Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 4 [Reprint 2020 ed.] 9783112388723, 9783112388716


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Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 4 [Reprint 2020 ed.]
 9783112388723, 9783112388716

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Hermann Schulze-Delitzsch's Schriften und Reden Lerausgegeben im Auftrage des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, e. V. von

F. Thorwart-Frankfurt a. M. unter Mitwirkung von

Dr. Hans Crüger-Charlottenburg, Professor Dr. G. Küntzel-Frankfurt a. M.,

Dr. E. Lennhoff-Frankfurt a. M., Dr. F. Schneider-Potsdam, Professor Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M.

IV. Band.

Berlin 1911. I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. L.

Inhaltsangabe. Zm Preußischen Abgeordnetenhause.

Säte

Reden in der Konfliktszeit. Wahlrede für den dritten Berliner Wahlkreis des Preußischen Abgeordnetenhauses. 26. Februar 1861..................................... 1 Schreiben an die Wahlmänner des in. Wahlbezirks in Berlin. 28. Februar 1861............................................................................. 10 Die Forderung geheimer Abstimmung bei den Wahlen zum Ab­ geordnetenhause. Rede vom 6. April 1861..............................14 Brief an Rudolf von Bennigsen. 15. April 1861............................... 18 Die Forderung eines Minister-Verantwortlichkeitsgesetzes. Rede vom 29. April 1861............................................................................. 19 Gegen die Armee-Reorganisation. Rede vom 28. Mai 1861 . . 27 Brief an Rudolf von Bennigsen. 6. Juni 1861.................................... 46 Brief an Rudolf von Bennigsen. 15. Juni 1861...............................47 Rede in der Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahlkreises am 26. November 1861............................................. 50 Die Anträge Hagen betr. Vermehrung der Titel des Hauptetats. Rede vom 6. März 1862 .............................................................. 53 Brief an Streit in Koburg. April 1862 .......................................... 59 Rede zur Adreßdebatte 1862. 5. Juni 1862 ..................................... 60 Gegen die Beeinträchtigung der Wahlfreiheit der Beamten. Rede vom 4. Juli 1862 ........................................................................ 80 Militärgerichte und Zivilgerichtsbarkeit. Rede vom 15. Juli 1862 85 Zur Frage der Ministerverantwortlichkeit. Rede vom 11. August 1862 90 Für Einführung geheimer Abstimmung bei Wahlen. Rede vom 20. August 1862 ............................................................................. 94 Brief von Gustav Freytag an Schulze. 1. September 1862 . . 100 Gegen den Militäretat. Rede vom 15. September 1862 .... 107 Die Zurückziehung deS Etats für das Jahr 1863. Rede vom 7. Ottober 1862 ............................................................................. 131 Die außerordentlichen Bedürfnisse der Marineverwaltung. Rede vom 9. Ottober 1862 ................................................... 148 Aus Briefen von H. V. v. Unruh an Schulze. 25. und 29. Ok­ tober 1862 ... .......................................................... 152

IV

Inhaltsangabe. Seite

Rede zur Adreßdebatte vom 28. Januar 1863 ................................ 152 Zum Diäten-Gesetzentwurf. Rede vom 10. Februar 1863 . . . 174 Für die Unverantwortlichkeit des Monarchen. Rede vom 17. Fe­ bruar 1863 ......................................................................................... 180 Die Beeidigung der Beamten auf die Verfassung. Rede vom 2. Mai 1863 .................................................................................... 181 Das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Rede vom 7. Mai 1863 .............................................................. 184 Der Konflikt des Kriegsministers von Roon mit dem Abgeordneten­ hause. Rede vom 12. Mai 1863 ......................... . . . 195 Rede vom 15. Mai1863 ............................................................ 198 Rede vom 18. Mai1863 ........................................................... 207 Rede vom 22. Mai1863 ........................................................... 211 Brief an Gustav Freytag vom 12. Juli 1863..................................... 222 Die Wahlfreiheit der Beamten. Rede vom 28. November 1863 . 225 Die Kassation der Wahl des Freiherrn von der Heydt. Rede vom 3. Dezember 1863 .............................................................. 237 Das Etatsrecht des Preußischen Abgeordnetenhauses. Rede vom 11. Januar 1864 ..................................................................................... 240 Rede vom 12. Januar 1864 ..................................................... 247 Rede vom 16. Januar 1864 ..................................................... 250 Rede vom 25. Januar 1864 ..................................................... 253 Gegen die Wahlbeeinflussungen der Regierung. Rede vom 25. Ja­ nuar 1864 ......................................................................................... 255 Brief H. V. v. Unruhs an Schulze vom 12. Oktober 1864 . . . 256 Brief an Gustav Freytag vom 14. Januar 1865 ........................... 257 Gegen die Wahlbeeinslussungen der Regierung. Rede vom 3. März 1865 .......................................................................................... 258 Das Petitionsrecht der Gemeinden. Rede vom 8. März 1865. . 261 Das Ctatsrecht des Preußischen Abgeordnetenhauses. Reden vom 14. März 1865 und 27. März 1865 ................................................ 267 Gegen die Bewilligung von Geldmitteln zu Eisenbahnbauten. Rede vom 29. März 1865 .............................. 276 Die Maßregelung der Ratsherren in Lauban. Rede vom 6. April 1865 281 Die Ablehnung der Vorlage betr. die Verpflichtung zum Kriegs­ dienst. Rede vom 4. Mai 1865 ............................................... 286

Virchows Konflikt mit Bismarck.

Rede vom 8. Juni 1865 .

Überweisung des Etats für 1866 an die Budgetkommission.

.

. 304

Rede

vom 19. Januar 1866 .................................................................... 305 Das Verbot des Kölner Abgeordnetenfestes. Rede vom 16. Fe­ bruar 1866 ......................................................................................... 307 Für die Immunität der Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Reden vom 3. und 10. Februar 1866 .................................................... 311 Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahlbezirks, Berlin, Ende Februar 1866 ......................................................... 328

V

Inhaltsangabe.

Seite

Die neuen Darlehnskassenscheine in Preußen nach der Verordnung vom 18. Mai 1866 ......................................................................... 333 Gegen die Jndemnitätsvorlage.

Rede vom 3. September 1866

. 351

Kirchen- und Schnlangelegenheiten. Der Delitzscher Gesangbuchstreit. Reden vom 14. Mai 1861, 1. Juli 1862 und 9. März 1863 .............................................................. 368 Gegen die Berufung der Brüder des Rauhen HauseS in die Ge­ fängnisanstalten. Reden vom 3. Juni 1861 und 2. Oktober 1862 386 Die Erteilung von Korporationsrechten an religiöse Vereine. Reden vom 26. August 1862 und 13. März 1865 ......................... 397

Gegen den konfessionellen Charakter der höheren Unterrichtsan­ stalten. Rede vom 30. September 1862 .............................. 409

Reden über verschiedene Fragen. Die gerichtliche Verfolgung der Beamten wegen Amts- und Dienst­ handlungen. Rede vom 26. April 1861................................. 413 Zur Frage des städtischen Wahlrechts.

Rede vom 3. Mai 1861 . 414

Die Revison des preußischen Vereinsgesetzes. Rede vom 5. Juni 1861 ................................................................................... 420 Gegen die willkürliche Auslegung des Jagdpolizeigesetzes. Rede vom 20. Februar 1862 .............................................................. 422 Zur Aufhebung des Reskripts vom 17. Juli 1860 betr. die Fort­ erhebung der Klassensteuer. Rede vom 2. September 1862 . 424

Dispositionsfonds für allgemeine politische Zwecke. Rede vom 23. November 1866 ................................................................... 425 Interpellation betreffend die Unabhängigkeit der Mchter. Reden vom 9. Mai 1867 und 29. Mai 1867 .................................... 429 Immunität der Abgeordneten. Reden vom 2. Dezember 1867 und 8. Januar 1868 ............................................................................. 427 Brief an C. Troitzsch................................................................................. 452

Übergang der Verwaltung von Waldeck und Pyrmont an Preußen. Rede vom 11. Dezember 1867 ................................................... 453 Rede zur Gedächtnisfeier für Taddel vom 22. Januar 1869

.

. 458

Beschlagnahme des Vermögens des Königs Georg von Hannover. Reden vom 1. Februar 1868 und 29. Januar 1869 .... 463

Gegen Eingriffe der Militärbehörde in die Zivilgerichtsbarkeit. Rede vom 26. Oktober 1869.......................................................... 488 Für das allgemeine Wahlrecht.

Rede vom 3. November 1869

. 489

Das Enteignungsrecht des Staates. Rede vom 20. November 1869 . 495 Gegen die Bewilligung von Geheimfonds. Rede vom 26. November 1869 ..................................................................... 498

VI

Inhaltsangabe. Seite

Die Verfasiung des Norddeutschen Bundes im Preußischen Abgeord­ netenhause. Das Wahlgesetz für den verfassunggebenden Reichstag des Nord­ deutschen Bundes. Rede vom 12. September 1866 .... 501 Das allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht. Vortrag vom 2. Dezember 1866 ............................................................................. 515

Die Wahlen zum Norddeutschen Parlament. Vortrag vom 7. Dezember 1866 ............................................................................. 521

Diäten für die preußischen Abgeordneten des zur Beratung der norddeutschen Bundesverfassung zu berufenden Parlaments. Rede von 17. Januar 1867 ..................................................... 535

Im Reichstag des Norddeutschen Bundes. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Bundesrat und verantwortliche Bundesminister. Rede vom 12. März 1867 .................................................................................. 543 Die Grundrechte in der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Reden vom 19. März 1867 und 21. März 1867 ..................... 560

Verantwortliche Bundesminister.

Rede vom 23. März 1867

.

. 567

Das Wahlrecht für den Norddeutschen Bund. Rede vom 28. März 1867 .................................................................................... 581 Die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres. Rede vom 5. April 1867 ..................................................................................... 590 Das Finanzwesen des Norddeutschen Bundes. Rede vom 9. April 1867 ..................................................................................... 595 Die Stellung der Südstaaten zum Norddeutschen Bund. Rede vom 10. April 1867 .................................................................... 598 Schlußberatung der Bundesverfassung. Reden v. 15./16. April 1867 601 Die Annahme der Bundesverfassung im Abgeordnetenhause. Rede vom 7. Aiai 1867 ......................................................................... 609 Die Reform der Salzsteuer. Rede vom 30. September 1867 . . 621 Die Beseitigung der Transitzölle von Mecklenburg und Lauenburg. Rede vom 8. Oktober 1867 ................................................................ 624 Militärkonvention mit dem Großherzogtum Sachsen-Weimar. Rede vom 22. Oktober 1867 .................................................................... 628 Zahlung von Diäten an die Reichstagsabgeordneten. Rede vom 2. April 1868 .......................................................................................... 630 Wahlfreiheit für die Beamten. Rede vom 16. April 1868 . . 637 Die Anleihebefugnis der Bundesregierung. Rede vom 8. Juni 1868 .................................................................................................... 639 Das Kommunalsteuerprivileg der Bundesbeamten. Rede vom 18. Juni 1868 ................................................................................... 642

Jnhaktsangabe.

VH Sette

Der Krieg mit Frankreich 1870/71. Gesetzentwurf wegen Errichtung von Darlehnskassen. Rede vom 21. Juli 1870 .................................................................................. 644 Die Verlängerung der Legislaturperiode bis Ende 1870. Rede vom 21. Juli 1870 ....................................................................... 645 Italien und der Deutsch-Französische Krieg. 1. Brief von Professor Vigano an Schulze................................646 2. Briefe an die italienischen Patrioten über den Deutschen Krieg und seine Folgen............................................................648 Die politische, soziale und sittliche Bedeutung des Krieges. Rede vom 2. September 1870 ............................................................. 664 Die Anleihe zur Fortsetzung des Krieges mit Frankreich. Rede vom 28. November 1870 ............................................................. 672 Die staatsbürgerliche Freiheit während des Kriegszustandes. Rede vom 3. Dezember 1870 ............................................................. 677 Die Bündnisverträge mit den Südstaaten. Rede vom 5. De­ zember 1870 .................................................................................. 680 Deutsches Reich und deutscher Kaiser. Rede vom 9. Dezember 1870 693 Die Reichsverfassung von 1871. Rede vom 27. März 1871... 701 Die Adresse des ersten Deutschen Reichstages an Kaiser Wilhelm I. Rede vom 30. März 1871 .................................................................... 702 Die Verfassung des Deutschen Reiches. Rede vom 4. April 1871 708 Diäten für die Mitglieder des Reichstages. Reden vom 19./20. April 1871....................................................................................................711 Die Fürsorge für die Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen Rede vom 13. Mai 1871 .............................................................. 726 Kriegsentschädigungen für Reservisten und Landwehrmänner. Rede vom 23. Mai 1871 ........................................................................ 728 Die Vereinigung von Elsaü und Lothringen mit dem Deutschen Reich. Rede vom 25. Mai 1871 .............................................. 735 Gewährung von Beihilfen an Reservisten und Landwehrmänner aus dem letzten Kriege. Rede vom 14. Juni 1871 ............... 743 Die Dotationen für die Heerführer im Kiege gegen Frankreich. Rede vom 15. Juni 1871 .................................................................... 747

3m Deutschen Reich. Die Rechtsstellung der freireligiösen und Dissidentengemeinden. Rede vom 8. Mai 1872 .................................................................... 754 Gegen die Jesuiten. Rede vom 16. Mai 1872 ................................ 755 Das Gesetz gegen die Jesuiten von 1872. Rede vom 14. Juni 1872 760 Die Diktatur in Elsaß-Lothringen. Rede vom 13. Juni 1872 764 Die Mitarbeit an den geistigen Kämpfen der Gegenwart. Rede vom 17. August 1872 ................................................................... 767 Anträge auf Versorgung des Reichstages mit genügendem Deratungsstoff und auf Vermeidung des gleichzeitigen Tagenvon Reichstag und Einzellandtagen. Rede vom 13. Juni 1873 769

vni

Inhaltsangabe. «Seite

Deutschland und Frankreich nach dem Friedensschlüsse. Vortrag vom 8. Januar 1874 ................................................................... 778 Das Reichsmilitärgesetz von 1874. Rede vom 20. April 1874 780

Das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial­ demokratie ........................................................................ 789 Brief an RechtsanwaltScholz-Wiesbaden ...........................................790 Rede zur Reichstagswahl 1878 ................................................................. 791 Die Stellung der Genossenschaften im Sozialistengesetz. Rede vom 11. Oktober 1878 .............................................................................. 810 Das Sozialistengesetz und die Hilfskassen. Rede vom 18. Oktober 1878 821 Das Sozialistengesetz und unsere Genossenschaften ...... 830 Das Verbot des Konsumvereins zu Falkenstein in Sachsen ... 831 Briefe an Troitzsch....................................................................................... 837 Aus dem Brief an Schenck....................................................................... 839 Wahlrede, gehalten am 21. Oktober 1881 zu Wiesbaden .... 840

Erklärung auf von neuem erhobene Angriffe vom 13. Oktober 1882 sei Sachregister........................................................................................ 867

Berichtigungen. Seite 241 Zeile 1 lies statt Luxemburgs: „Lauenburgs". Seite 331 Zeile 9 lies: „daß" die Tage usw. Seite 709 Zeile 8 des Textes von unten lies statt Minotität: „Minorität".

Im Preußischen Abgeordnetenhause.

VII. Reden in der KonfliktszeiL. 84. Wahlrede für den dritten Berliner Wahlkreis des Preußischen Abgeordnetenhauses. Vom 26. Februar 1861.

Schon Anfang ^859 war bei einer Nachwahl Schulze als Kandidat für die Vertretung des ersten Berliner Wahlkreises im preußischen Ab» geordnetenhause aufgestellt worden, indessen ohne Erfolg. Bei einer in der folgenden Legislaturperiode notwendig gewordenen Nachwahl im dritten Berliner Wahlkreise wurde ihrn von neuem die Kandidatur angetragen. Eine wahlmännerversammlung gab ihm am 26. Februar s86s Ge­ legenheit, sein Programm sowohl bezüglich der inneren als auch der äußeren Politik zu entwickeln: Meine Herren!

Als Kandidat Ihres Wahlkreises soll ich hinsichtlich

meiner politischen Richtung diejenigen Aufschlüsse geben, welche Ihnen

bei der Wahl zum Anhalt dienen können.

Diese sehr natürliche Forde­

rung tritt vielleicht mir gegenüber noch lebhafter auf, weil ich den in

den Jahren 1848 und 1849 tagenden Landesversammlungen angehört und mich seitdem nebst meinen politischen Freunden vom parlamentarischen

Leben zurückgezogen habe.

Da wollen Sie sich überzeugen, wie weit wir

es vermögen, an den Fäden der Vergangenheit anzuknüpfen, uns auf den

Boden der Tatsachen zu stellen, und damit tun Sie recht.

Ist doch

nur von diesem Boden aus, wie jede reelle Wirksamkeit, so namentlich

die Entwicklung unserer

öffentlichen Zustände allein möglich.

Daher

gibt es auch für die politische Tätigkeit der Volksvertretung in meinen Augen keine Wahl.

Die Verfassung von 1850 und ihre zeitgemäße Fort­

bildung, das, ohne alle Hintergedanken, ist die Aufgabe eines preußischen Abgeordneten, und mit dem Willen, ihr ehrlich und nach bestem Wissen und Vermögen zu genügen, trete ich vor Sie.

Lassen Sie mich zuerst im allgemeinen von dem Geiste reden, mit

welchem diese Aufgabe nach Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

meiner Ansicht erfaßt werden muß, und 4.



2

Schulze-Delitzsch.

hier will ich an die Worte anknüpfen, die wir neuerlich so oft haben hören müssen, an das Vertrauen und an das Drängen. *)

Gewiß ist es ein köstliches Ding um das Vertrauen zwischen Volk

und Regierung als die alleinige Grundlage dauernder gedeihlicher Zu­ stände, worin es durch nichts ersetzt werden kann.

Aber soll es diese

Wirkung äußern, soll es mehr als eine bloß unbewußte Hingebung des Augenblicks sein, die vielleicht eben so rasch wieder anderen Strömungen

Platz macht, so muß das Vertrauen ein gegenseitiges und ein wohl­ begründetes sein, begründet auf der Achtung des gegenseitigen Rechts;

so muß es also ebensogut von oben nach unten wie umgekehrt statt­ finden. Ich brauche kaum zu erwähnen, mit welchem Vertrauen im ganzen Lande die Übernahme der Regentschaft durch unseren nun­

mehrigen allverehrten König, die Berufung der freisinnigen Minister^) sowie die ersten entschiedenen Schritte derselben begrüßt wurden. Datierte

man doch von da den Beginn einer neuen besseren Zeit, und selbst die Volkspartei gab ihre bis dahin behauptete Zurückgezogenheit vom öffent­ lichen Leben auf und hielt es überall für ihre Pflicht, bei den Wahlen

die ministeriellen Kandidaten zu unterstützen, welchen meist die eigenen Beamten

Minister

der

entgegentraten.

Loyaler,

gemäßigter

nach

so

schweren Enttäuschungen hat sich nie ein Volk gezeigt; das ist nicht zu

viel gesagt.

Kommt ihm dafür das Vertrauen von oben in gleichem

Maße entgegen? — Leider drängen sich dazu viele dazwischen, deren Einfluß gefährdet ist,

wenn sich jenes

schöne gegenseitige Verhältnis

entwickelt, deren eigentlicher Lebensberuf es ist, das Mißtrauen gegm

den Volksgeist wachzuhalten, damit ihre Dienste gehörig im Preise bleiben, Dienste, welche den Staat mehr als einmal an den Rand des Abgrundes geführt haben.

Viel bleibt darum in dieser Beziehung noch zu tun, und

der Volksvertretung zumeist fällt diese Aufgabe zu.

Ich sagte es schon,

daß das rechte Vertrauen auf Achtung des gegenseitigen Rechts beruhe; auf Achtung seines Rechts hat aber nur derjenige Anspruch, der offen

und männlich

dafür einsteht.

Das

Volksrecht,

das Volksinteresse zu

wahren, rückhaltlos und fest, dies ist die Pflicht des Abgeordneten, dies

der Weg zur Herstellung des wahren Vertrauens,

das wir alle so

*) In der Presse war eine angebliche Äußerung des Prinzregenten mit­ geteilt worden, in welcher er Vertrauen in die von seinen Ministern ein­ geschlagene innere Politik verlangt und hinzugefügt habe: „Nur nicht drängen!" ’) 1858. Vor allem Rud. v. Auerswald, Patow, Flottwell; aber auch Schleinitz, Bethmann-Hollweg, Bonin gehörten der sehr gemäßigt konservativen Richtung an.

lebhaft wünschen. Einseitig nur immer den Räten der Krone entgegen­ kommen und die eigene Überzeugung unterdrücken, weil sie das Vertrauen des Landes besitzen, weil man ihnen keine Schwierigkeiten bereiten will: das fördert jene Achtung nicht, vielmehr annulliert es bloß die Wirksamkeit der Volksvertretung und entzieht ihr das Vertrauen von unten. Wozu wählt man denn überhaupt Abgeordnete und überläßt nicht gleich alles den Räten der Krone allein?

Nein, nicht um solcher Vertrauensmission

halber sendet man Abgeordnete, sondern weil die Minister Menschen sind und bei den besten Absichten fehlen können so gut wie andere, ja

sicher fehlen werden und müssen, wenn ihnen nicht durch wahrhaft un­ abhängige Männer das wirkliche Sachverhältnis, die wahren Interessen des Volks jederzeit lebendig vorgeführt und in Erinnerung gehalten werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Drängen. Eine Volksvertretung,

welche die Wünsche und Forderungen des Volks nicht formuliert und zu den ihrigen macht, eine Volksvertretung ohne Initiative verfehlt einen ihrer Hauptzwecke. Gerade weil die Regierung eine Menge Rücksichten zu nehmen, eine Menge sich kreuzender Interessen abzuwägen hat und sich wohl bedenken muß, ehe sie handelt; gerade weil deshalb niemand von ihr ein so unbedingtes, so leichtes Vorgehen verlangen wird, als

sich die Dinge etwa in der Idee machen: muß ihr die öffentliche Meinung vorangehen, wie der Gedanke der Tat, zwischen denen in der Politik meist ein weiter Raum liegt. Die Volksvertretung hat einmal darin eine andere Stellung als die Regierung und soll sie haben, und eine Regierung, welche ihr eigenes Interesse versteht, wird dieses Voraus­ gehen des durch die Volksvertretung repräsentierten öffentlichen Geistes, dieses sogenannte Gedrängtwerden, nie zu fürchten haben, vielmehr als

eine ihrer besten Stützen betrachten. Es liefert ihr das Material, die Vorarbeiten in allen wichtigen Maßregeln und ebnet ihr in jeder Hinsicht die Bahn. Vor allem aber versichert es sie über die Stimmung und

Meinung im Lande und ist somit ein Hauptquell ihrer Stärke bei allen bedeutenden Entschließungen, sowohl der inneren Reform wie der äußeren Politik. Ja viele Entscheidungen in großen Krisen sind mit Aussicht auf Erfolg kaum anders zu treffen, als wenn es vor aller Welt kund

wird, daß das ganze Volk mit seinem entschiedensten Willen, mit seiner vollen Kraft hinter seiner Regierung steht; deshalb ist ein solches Drängen

als das erfreuliche Zeichen der Beteiligung des Volks an den öffentlichen Angelegenheiten zu fördern, nicht zurückzuweisen, besonders in Verhält­

nissen wie die gegenwärtigen, wo die Regierung leicht recht bald in Lagen kommen kann, die sie nur, getragen von der äußersten Anspannung 1*

Schulze-Delitzsch.

4

dieses Volksgeistes, zu überwinden vermag, damit nicht andere Mächte mit zwingender Gewalt sich der Situation bemächtigen und wir nicht

wieder erst durch die bitterste Not den Bahnen zugedrängt werden, die allein zum Heile sühren.

Und was ist es denn so eigentlich Unerhörtes, was die öffentliche

Meinung, was die Volksvertretung von den Ministern fordert, und was man so unwillig von sich abweist? — Nichts als daß die Minister die Konsequenz ihres eigenen Programms ziehen, daß sie wirklich ausführen,

was sie versprochen, und nach allen Seilen hin energisch Hand an die

rechtswidrigen Auswüchse des alten Systems legen; mit einem Wort:

den Staat der polizeilichen Willkür wirklich in den Rechtsstaat über­ leiten.

so

Ihr Jnnehalten mitten auf dem mit so vieler Zustimmung, mit

schönen

gedeihlichen Resultaten

betretenen Wege,

das

Aufschieben

mancher unvermeidlicher Maßregeln untergräbt ihre Stellung und stärkt

nur die Reaktion.

Es ist, als hätten sie nicht den rechten Mut zu dem

von ihnen selbst inaugurierten System, und so gibt sich eine Halbheit,

ein Widerspruch mit den eigenen parlamentarischen Antezedenzien nicht selten bei ihnen kund, der ihre besten Freunde an ihnen irre macht.

So steht es in dem Streit wegen der reaktionären Beamten,^)

wegen der Schulregulative;') solche Bedenken walten ob bei der Novelle zur Städteordnung,') dem Gesetz über die Zivilehe^) u. a. Nirgends die

schwebenden Fragen zum Abschluß gebracht, alles nur halb erledigt, als

glaube man an die eigene Zukunst nicht und betrachte sein Werk selbst nur als ein Jnterimisttkum!

Und wo dann einmal entschieden vor­

gegangen wird, wie in der Heeresvorlage und den damit zusammen­ hängenden Finanzgesetzen — steht eine so unerschwingliche Belastung des Landes in Aussicht, wie sie keine frühere Regierung jemals in

Anspruch genommen hat.

*) Es waren beim Abgeordnetenhause mehrere Petitionen um Entlassung von reaktionären Beamten aus der Ära Manteuffel-Westphalen eingegangen. 2) Die unter dem Kultusminister v. Raumer 1854 für das preußische Volks­ schulwesen erlassenen Verordnungen. 8) In der Sitzung deS Abgeordnetenhauses vom 11. Mai 1859 war ein Beschluß gefaßt worden, der daS StaatSministerium zu einer Revision der Städteordnung von 1853 aufforderte. In demselben Sinne sprachen sich Anträge der Kommission für das Gemeindewesen vom 16. Mai 1860 aus. Im April 1861 endlich erhielt die Gemeindekommission den Entwurf einer Novelle zur Beratung, die aber zuerst an daS Herrenhaus gekommen war. 4) Am 15. Februar 1861 hatte das Herrenhaus das voni Abgeordnetenhaus angenommene Gesetz über die fakultative Zivilehe abgelehnt.

Allen diesen Unzuträglichkeiten, dieser Halbheit und Unentschiedenheit

insbesondere, vermag die Volksvertretung nun und nimmermehr dadurch beizukommen, daß sie in dasselbe Übel, in die gleiche Halbheit verfällt. Vielmehr ist nur die größte Entschiedenheit ihrerseits vielleicht noch im­ stande, die Räte der Krone, die in diesem Augenblick nicht leicht zu

ersetzen sind, ihrem eigenen Programm und dem Lande zu erhalten, ja

wieder zu erobern, wenn es sein muß.

Sie werden aus diesen Andeutungen ungefähr entnehmen, welche

Stellung ich als Abgeordneter einzunehmen gedächte.

Sicher gibt es

eine Menge von Maßregeln der gegenwärtigen Regierung,

welche zu

unterstützen ich für Pflicht halte, und ich würde in allen Fällen, wo die

Herren Minister innerhalb ihres vom Lande so freundlich begrüßten Programms stehen, stets auf ihrer Seite zu finden sein, mich auch gern bescheiden, wenn es mit den ersehnten Reformen nicht so rasch ginge,

wenn wir nur allmählich vorwärts kommen.

Allein wenn ich auch nicht

einmal die Anstalten dazu erblicke oder gar Rückschritte, die dem alten

System wieder zuführen, dann müßte ich mir freilich Vorbehalten, mich

zu jenen Drängern zu gesellen, welche die unerquickliche Rolle über­ nehmen, fortwährend an die Verwirklichung der verkündeten Grundsätze

zu mahnen. Indem ich hiermit meine allgemeinen Darlegungen schließe und die

Leitung der Erörterung auf einzelne Punkte den geehrten Herren über­ lasse, kann ich mir nicht versagen, noch eine Frage zu berühren, die zwar im Augenblick dem Abgeordnetenhause nicht speziell vorliegt, die

sehr die

aber so

Situation

beherrscht,

die ganze

geistige Lebenslust

unseres Volkes erfüllt, daß sie sich überall von selbst in den Vorder­ grund

drängt,

und

daß sie

niemals

übergangen werden

sollte,

wo

preußische Männer tagen, besonders wenn es sich um einen Platz in der Volksvertretung handelt.

Ich meine die nationale Frage, die Frage

der deutschen Einigung, die zugleich eine preußische Frage ist, die uns

angeht, wie alle deutschen Staaten, ja noch mehr, weil man mit Recht

die ersten Schritte von Preußen erwartet, und mit deren Lösung auch die Geschicke unseres engeren Vaterlandes auf das engste verknüpft sind.

Soll ich Ihnen Not und Schmerz des deutschen Volkes erst noch schildern?

Mitten unter großen einheitlich organisierten Staaten steht

unser Vaterland in seiner kläglichen Zersplitterung da, der Spielball fremden Übermutes, der Stück um Stück davon abgerissen und unserer

Nationalität entfremdet hat.

Auf dem Höhepunkt humaner Bildung ist

es zu politischer Nichtigkeit verdammt, und bei übermäßiger Anspannung

6

Schulze-Delitzsch.

seiner wirtschaftlichen Kräfte für eine Unzahl Regierungen mit ihrem kostspieligen Apparat von Diplomaten, Beamten und Soldaten — kein

rechter Schutz nach Außen, nicht einmal eine Flotte, seine Küsten, seinen Handel gegen die schwächsten Nachbarn zu decken!

Es ist bekannt, wie

jene schmählichen Zustände über unser Land gekommen sind.

Dasselbe

Element hat sie verschuldet, das sich auch jetzt wieder wie immer dem zeitgemäßen

Ausbau

Feudalaristokratie. gewaltig

unserer

Institutionen

staatlichen

widersetzt,

die

Die großen Kronvasallen waren es, welche der so

aufkeimenden deutschen Nationalmonarchie

den

Boden

unter

den Füßen wegzogen, indem sie ihr die Grundbedingung aller Monarchie,

die

Erblichkeit

vorenthielten, während

sie dieselbe sich

selbst in den

Reichsämtern und den damit verbundenen Rechten und Besitzungen zu verschaffen wußten! So geschah es, daß, während in den meisten übrigen europäischen Staaten der Absoluüsmus seine geschichtliche Mission, die

Völker durch Niederwerfung des Feudalismus zur nationalen Einheit

überzuführen,

erfüllte,

die Oberhand

behielt,

er dies in

Deutschland,

nicht vermochte.

wo

der Feudalismus

Vielmehr wurde bei uns der

siegende Feudalismus absolut, mit ihm die Ohnmacht und Zerrissenheit

des Landes.

Indessen mitten in diesem kläglichen Wirrsal, welches den

Baterlandsfreund fast an der Fortdauer des deutschen Namens ver­ zweifeln ließ, hatte der Genius unseres Volkes dafür gesorgt, daß gleich einer Oase in der Wüste, unter allen den verkrüppelten Staatsbildungen,

in diesen Nordostmarken des Vaterlandes, sich der gesunde Kern einer neuen wahrhaft nationalen Macht bildete, der seine Triebkraft unter den

schwierigsten Verhältnissen bewährte und bald aller Augen auf sich zog.

Nicht hundert Jahre waren verflossen, seitdem zuerst wieder der große brandenburgische Kurfürst deutsche Tüchtigkeit im Felde und Kabinett zu Ehren gebracht hatte, als sein Urenkel, der große Friedrich, dem halben

Europa im Kampfe begegnete und der Aufklärung des Jahrhunderts in seinen Staaten ein Asyl gab. Das Bewußtsein der ganzen Nation hob sich an dem einen Mann!

Ob auch später manche Schwankungen in

der von ihm eröffneten Bahn eintraten, so wurde Preußen doch immer

von der Gewalt der Umstände selbst zu diesem seinem geschichtlichen, seinem

deutschen Beruf zurückgeführt, ja

fortgerissen, und

wieder in

diesem Jahrhundert war es der Kern und Führer der nationalen Er­

hebung gegen den fremden Unterdrücker.

Durch diese Siege und Groß­

taten hat sich nun ein Bewußtsein im preußischen Volke entwickelt, ein Gefühl seiner geschichtlichen Sendung und Bedeutung, welches dasselbe vor den größten Opfern und Kämpfen nicht zurückscheuen läßt.

Davon

zu geben,

Zeugnis

ist aber

eben

jetzt

die

dringendste Veranlassung.

Angesichts der siegreich durchgekämpften Einheit Italiens, im Gefühl der (eigenen gefährdeten Existenz dem begehrlichen westlichen Nachbar gegen­

über, hat der Geist nationaler Zusammengehörigkeit alle deutsche Stämme mächtig ergriffen, und von Preußen erwartet man die Losung. Die Überzeugung, daß nur in dem einen Rettung sei, wenn sich endlich in

der letzten Stunde Deutschland über seine einheitliche diplomatische und

militärische Führung einigt, bricht sich allerwärts Bahn.

Eine deutsche

Zentralgewalt in der Hand des preußischen Königs mit einer deutschen Volksvertretung an der Seite!

Dies der Ruf, der durch die deutschen

Gaue schallt, und an uns ist es, zu zeigen, daß er in allen preußischen

Herzen

Widerhall

findet.

Sind doch die lebendigen Synipathien des

deutschen Volkes unser einziger zuverlässiger Bundesgenosse, wenn die Arglist des Auslandes, der Verrat heimischer Kabinette uns umspinnen. Preußen an der Spitze des geeinigten Deutschlands vermag den Gefahren der Lage ruhig und fest in das Auge zu blicken, nicht aber das eine ober das andere. Freilich stellen sich der Regierung Hemmnisse und Bedenken der schwersten Art in den Weg bei den Schritten, die das ersehnte Ziel

erfordert,

und

wir werden

deren

Vornahme nicht sogleich

erwarten.

Aber eben deshalb sollen das preußische Volk und seine Vertreter den

Mahnungen Deutschlands gegenüber ihre Stimme immer und immer

wieder erheben.

Denn nur aus solchen unzweifelhaften und allseitigen

Kundgebungen kann einesteils die Regierung die Kraft zu dem Entschlusse schöpfen, den das große Werk fordert; und andernteils wird nur so das Band lebendig erhalten zwischen uns und den übrigen deutschen Stämmen,

wenn diese uns von gleichem Drange beseelt wissen und nach Kräften

bemüht,

die Entscheidung, zu welcher

alles drängt,

je eher je lieber

Dies mein Standpunkt in der deutschen Frage,

herbeiführen zu helfen.

weshalb ich das neuliche Schicksal des Stavenhagenschen Antrags int Abgeordnetenhause nur lebhaft beklage.') Es wäre eine große Über­ eilung, der ich mich durchaus nicht schuldig machen möchte, in der eigen­ tümlichen Komplikation Hauses, die dasselbe

wollen.

des Falles gegen die deutsche Gesinnung des

doch sonst gezeigt hat,

einen Schluß ziehen zu

Allein zu bedauern ist der Fall doch immer, da er nur zu

sehr geeignet ist, das neuerlich erst sehr sparsam wieder keimende Ver­ trauen zu Preußen im übrigen Deutschland zu erschüttern, dessen wir !) Vgl. Bd. 3 S. 368.

8

Schulze-Delitzsch.

bei dem Einigungswerk doch gar nicht entbehren können.

Wir haben

daher dringende Ursache, bei dieser wie anderen Gelegenheiten darzutun, daß jene 41 Abgeordneten, welche den Antrag allein hielten, zwar die

dafür aber ganz entschieden die große

Minorität des Hauses waren,

Majorität des Landes hinter sich haben.

Zustimmung versichert

halten, so

Dürfte ich mich hierin Ihrer

würde mein Auftreten

vor Ihnen

schon deshalb allein kein verfehltes sein.

Ich, ein Mann der Provinz und fern

Ich komme zum Schluß.

der

politischen Tätigkeit

in größerem Kreise, habe mich

seit meinem

Verzicht auf die letztere mit den gewerblichen Interessen des mittleren und kleinen Gewerbestandes beschäftigt und das Erstreben von Wohlstand und Bildung der arbeitenden Klassen zu meiner Aufgabe gemacht.

Diese

Interessen würde ich, weil der Großbesitz und die Großindustrie durch

bedeutende Kapazitäten in der Kammer hinreichend vertreten sind, vor­ zugsweise geltend machen, wie ich auf Veranlassung einer Privatanfrage

hier beiläufig bemerke. Und dabei bietet sich mir zugleich ein Anknüpfungs­ punkt meiner Wirksamkeit an die Haltung der Wahlmänner Berlins. Die Wahlmänner Berlins

haben

in

den

schwersten

Tagen

der

Reaktion stets das Erreichbare in der Wahl liberaler Abgeordneter nach Kräften durchzusetzen gesucht.

Wie jene große Republik des Altertums

den Bürgern, die in schweren bedrohlichen Lagen, wenn viele hoffnungslos

die Hände sinken ließen, in ihrer unablässigen Energie nicht verzagten,

den Dank auszusprechen pflegte, daß sie sich wohlverdient um das Vaterland gemacht hätten, so dürfen auch die Wahlmänner Berlins diesen Dank in Anspruch nehmen, nicht verzweifelten.

Herren.

weil sie in den bösesten Tagen am Vaterlande

Dasselbe darf ich auch von mir behaupten, meine

Als ich mir jenen bescheidenen Wirkungskreis schuf, um im

kleinen zu wirken, was mir im großen versagt war, und als ich so in die innigste Beziehung mit jenen Schichten des Volkes trat, denen meine

Wirksamkeit galt, habe ich den Segen unausgesetzter Tätigkeit empfunden,

mitten unter Verkennung und Druck aller Art, und niemals an der Zukunft unseres Vaterlandes verzweifelt.

(Lebhafter Beifall.)

General v. Nlaliczewski richtete hierauf an Schulze die Frage, ob

er sich über den ihm aus seiner parlamentarischen Wirksamkeit von (8^8 zur tast gelegten Ausspruch: daß unser Königtum von Gottes Gnaden oder das tzaus ^ohenzollern eine bankerotte Firma sei, ’) aus« lassen wolle.

Schulze antwortete sofort:

*) Vgl. Bd. III S. 42.

£), sehr Dank,

gern.

Ich weiß

daß er diese Frage an

vorbereitet durch mehrfache lichen Beweisstücke darüber

dem

hat.

gerichtet

wirft,

und

nur

war darauf

sondern auch eine

Aber ich habe niemals gesagt, was man mir vor­

glücklicherweise

stenographischen

Ich

Zeitungsinserate und habe die urkund­ zur Stelle. Hätte ich jene Äußerung

wirklich getan, so wäre sie nicht bloß unverzeihlich absolute Albernheit.

Vorredner

Herrn

geehrten

mich

Berichte.

zeugen Es

mich

für

konnte

mir

amtliche Aktenstücke,

nicht

einfallen,

in

die

solcher

Weise von dem preußischen Königtum oder von dem Regentenhause der Hohenzollern zu sprechen.

Ich habe gesagt:

„Der Absolutismus (die

absolute Regierungsform also) mit seiner alten Firma von Gottes Gnaden habe in der Geschichte bankrott gemacht." Mag diese Äußerung schroff erscheinen, die Gefühle der einzelnen verletzen, so bedaure ich sie; aber ich kann nicht anders, ich halte auch jetzt noch diesen Ausspruch

seinem ganzen Wortsinn nach aufrecht. Blicken Sie um sich, sehen Sie hin nach Österreich, nach Italien, wohin jenes Regiment führt: zum Es gibt keinen

finanziellen, zuni sittlichen, zum politischen Bankerott.

anderen Namen dafür, ich kann mir nicht helfen, und so hat die neueste Geschichte selbst über meinen Ausspruch entschieden.

Wie heißt dieser

aber: er lautet wörtlich:

Nun glaube ich, daß in der Geschichte der Absolutismus mit der

alten Firma „von Gottes Gnaden" vollständig bankerott gemacht habe. Sie sehen, meine Herren, daß sich die ganze Sache um die beiden

Prinzipien handelt, um welche die politischen Kämpfe der Gegenwart sich bewegen, das dynastische und das nationale.

Mit dem dynastischen,

welches unter jenem Titel das Privateigentum des Fürsten an Land und Leuten proklamiert, wurde durch meine Äußerung gebrochen. Heißt

das das preußische Königtum antasten?

Ich denke,

das ist

mit dem

geschichtlichen Leben, mit den Interessen unseres Volkes so innig ver­ wachsen, daß es jener morschen Stütze nicht bedarf.

Gerade nur Preußen

allein in ganz Deutschland hat das Glück, alle Elemente einer nationalen

Regierung in sich zu vereinigen.

Jede große Wendung, jeder Glanzpunkt

seiner Geschichte lehnt sich an eine jener gewaltigen Gestalten des Hauses

Hohenzollern, die den Stolz unseres Volkes ausmachen.

Das ist meine

Meinung, und ich müßte keinen Blick in die Geschichte getan haben, wäre es anders. Daher bin ich nur dankbar dafür, daß mir Gelegenheit geboten wurde, die Entstellungen und Verdrehungen, die meinen damaligen

Worten zugefügt wurden, hier zu berichtigen und hoffentlich für immer zurückzuweisen.

(Beifall.)

Schulze-Delitzsch.

10

Auf einen nochmaligen Vorwurf, daß Schulze in jenem Ausspruch immerhin das monarchische Prinzip angetastet habe, schloß Schulze seine

Ausführungen: Ich glaube, man kann dem monarchischen Prinzip keinen schlechteren

Dienst erweisen, als wenn man

es mit dein Absolutismus auf eine

Linie stellt und dadurch mit den lebendigen Strömungen der Zeit, niit dem politischen Bewußtsein der Gegenwart in Konflikt bringt.

Ich glaube

nicht, als ich gegen den Absolutismus sprach, daß jemals versucht werden

könnte, mich der Feindschaft gegen das monarchische Prinzip zu zeihen.

Aber wir wissen

schon,

welche

andere

Interessen

sich bemühen, den

Absolutismus mit dem monarchischen Prinzip zu decken.

selben,

welche

sich allen berechtigten Wünschen

der

Es sind die­

Nation,

den ge­

bieterischen Forderungen der Neuzeit entgegenstemmen; aber diese werden

und müssen endlich doch siegen trotz aller Versuche, die, wie immer geartet, gegen sie in Bewegung gesetzt werden, denn mit ihnen streiten

die ewigen Mächte geschichtlichen Fortschritts.

(Lebhafter Beifall.)

Bei der Vahl am (5. Alärz (86( fiel die große Mehrheit der Stimmen auf Schulze.

85. Schreibe» an die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin. Aus der Volkszeitung.

Delitzsch, 28. Februar 1861.

Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern

des III. Berliner Wahlbezirks um Aufschluß über die von mir angeregten Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter in Deutschland zu genügen,

gebe ich hier eine kurze Erörterung dieser Bestrebungen, indem ich wegen Organisation und Einrichtung der Vereine im einzelnen auf die von mir

veröffentlichten Schriften: Affoziationsbuch für deutsche Handwerker und

Arbeiter, Leipzig 1853, und Vorschuß- und Kreditvereine, Leipzig 1859,

bei Keil, verweise. Es ist bekannt, wie tief die Arbeiterfrage in die politischen Kämpfe der Gegenwart eingreift.

In dem dunklen Gefühl, daß die wichtigsten

politischen Rechte ihnen nichts nützen, solange nicht ihre materielle Lage

verbessert sei, haben die beteiligten Klassen sich nicht selten zu den ver­ kehrtesten Forderungen und Bestrebungen in dieser Richtung hinreißen lassen.

Namentlich ist seit dem berüchtigten „panem et circenses“ des

römischen Proletariats der Versuch, die Garantie eines gesicherten Daseins

Schulze-Delitzsch.

10

Auf einen nochmaligen Vorwurf, daß Schulze in jenem Ausspruch immerhin das monarchische Prinzip angetastet habe, schloß Schulze seine

Ausführungen: Ich glaube, man kann dem monarchischen Prinzip keinen schlechteren

Dienst erweisen, als wenn man

es mit dein Absolutismus auf eine

Linie stellt und dadurch mit den lebendigen Strömungen der Zeit, niit dem politischen Bewußtsein der Gegenwart in Konflikt bringt.

Ich glaube

nicht, als ich gegen den Absolutismus sprach, daß jemals versucht werden

könnte, mich der Feindschaft gegen das monarchische Prinzip zu zeihen.

Aber wir wissen

schon,

welche

andere

Interessen

sich bemühen, den

Absolutismus mit dem monarchischen Prinzip zu decken.

selben,

welche

sich allen berechtigten Wünschen

der

Es sind die­

Nation,

den ge­

bieterischen Forderungen der Neuzeit entgegenstemmen; aber diese werden

und müssen endlich doch siegen trotz aller Versuche, die, wie immer geartet, gegen sie in Bewegung gesetzt werden, denn mit ihnen streiten

die ewigen Mächte geschichtlichen Fortschritts.

(Lebhafter Beifall.)

Bei der Vahl am (5. Alärz (86( fiel die große Mehrheit der Stimmen auf Schulze.

85. Schreibe» an die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin. Aus der Volkszeitung.

Delitzsch, 28. Februar 1861.

Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern

des III. Berliner Wahlbezirks um Aufschluß über die von mir angeregten Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter in Deutschland zu genügen,

gebe ich hier eine kurze Erörterung dieser Bestrebungen, indem ich wegen Organisation und Einrichtung der Vereine im einzelnen auf die von mir

veröffentlichten Schriften: Affoziationsbuch für deutsche Handwerker und

Arbeiter, Leipzig 1853, und Vorschuß- und Kreditvereine, Leipzig 1859,

bei Keil, verweise. Es ist bekannt, wie tief die Arbeiterfrage in die politischen Kämpfe der Gegenwart eingreift.

In dem dunklen Gefühl, daß die wichtigsten

politischen Rechte ihnen nichts nützen, solange nicht ihre materielle Lage

verbessert sei, haben die beteiligten Klassen sich nicht selten zu den ver­ kehrtesten Forderungen und Bestrebungen in dieser Richtung hinreißen lassen.

Namentlich ist seit dem berüchtigten „panem et circenses“ des

römischen Proletariats der Versuch, die Garantie eines gesicherten Daseins

vom Staate zu verlangen, wiederholentlich, wenn auch stets ohne Erfolg,

ausgetaucht.

Ja neuerdings hat man dies in den sozialistischen Schulen

Frankreichs*) bis zu dem förmlichen System des sozialen Staates aus­ gebildet, wonach alle Initiative, Gewinn und Risiko im Erwerbe, dem

einzelnen genommen und der Staatsgesellschaft aufgebürdet wird, welche als allgemeine gewerbliche Unternehmerin jeder Konkurrenz entrückt da­ steht und sämtliche Staatsangehörige nach Bedürfnis beschäftigt und lohnt.

Ich werde mich nicht bei einer Kritik dieser ungeheuerlichen Ausgeburt aufhalten, da wenige Sätze für meinen Zweck genügen.

Es gibt nichts

Verkehrteres und Gefährlicheres, als die Masse an die Vorstellung zu

gewöhnen, als könnte nichts selbständig aus eigener Kraft bestehen.

Denn

notwendig beraubt man sie so jedes wirtschaftlichen und sittlichen Halts und lähmt die wirksamsten Impulse zu Fleiß, Tüchtigkeit und Sparsam­

keit in ihnen.

„Die Natur hat dem Menschen Bedürfnisse gegeben, zu­

gleich aber auch Kräfte, deren richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner Bedürfnisse führt" — dies der Fundamentalsatz aller Wirtschaft, seine Konsequenz:

Existenz.

die Selbstverantwortlichkeit

des

einzelnen

für seine

Diese Verantwortlichkeit einem Dritten, dem Staate (und das

heißt doch nichts anderes, als den übrigen Gesellschaftsklassen) aufbürden,

den einzelnen entheben, die Folgen seines Tuns und Lassens zu tragen, heißt, seine Zurechnungsfähigkeit und in ihr jede Möglichkeit des geselligen

Zusammenlebens der Menschen in Frage stellen.

Nun ist zwar eben durch die Verkehrtheit solcher utopischer Versuche schon von selbst dafür gesorgt, daß von ihrer Durchführung auf die

Dauer niemals die Rede gewesen ist noch

die Rede sein kann, daß sie

nur für den Augenblick Verwirrung anrichten. Allein, außerdem führen sie noch das große Übel mit sich, daß sie jede geordnete Entwicklung der

öffentlichen Zustände, jede noch so hoffnungsvoll begonnene Bewegung sofort stören, sofort einen Rückschlag bewirken, sobald sie sich einmischen.

So groß ist der instinktive Abscheu der besitzenden Klassen davor, daß

sich die Mehrheit derselben sofort zurückzieht und, um nur die bedrohte Gesellschaft zu retten, lieber den politischen Fortschritt preisgibt und sich

jeder noch so willkürlichen Gewalt in die Arme wirft, welche ihr Schutz vor dem gefürchteten Umsturz verspricht.

Tritt ein solcher Bruch einmal

ein, so hat die Reaktion leichtes Spiel.

Ich kenne keine einzige große

*) Schulze meinte wahrscheinlich Louis Blanc, der 1839 in seiner Schrift „Organisation du travail“ die Begründung von „Nationalwerkstätten" zur Be­ seitigung der Prioatindustrie und der Konkurrenz empfohlen hatte. Das Buch war 1850 in 9. Auflage erschienen.

Schulze-Delitzsch.

12

politische Bewegung, die zur Feststellung dauernder gedeihlicher Zustände geführt hätte, von welcher sich Intelligenz und Besitz zurückzogen.

Spaltung insbesondere zwischen dem gebildeten Mittelstände

Die

und den

Arbeitern, zwischen Kopf und Arm der Nation, hat jedesmal zum Siege der Reaktion geführt.

So ist es immer gewesen, so wird es in Zukunft

sein, und deshalb erscheint es selbst vom rein poliüschen Standpunkte dringend geboten, jenem an sich berechtigten Drange in unserer Arbeiter­

welt nach Verbesserung ihrer Lage die rechten Bahnen zu weisen.

Zeige

man den wackeren Leuten, wie ihr wohlverstandenes Interesse nicht im vergeblichen Ankämpfen gegen die urewigen Mächte und Gesetze des Ver­

kehrs sondern darin besteht, daß sie mehr und mehr lernen, sich derselben zum eigenen Vorteil zu bedienen.

Dahin eben zielen die von mir angeregten

Organisationen, die Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter, durch

Vereinigung vieler kleinen Kräfte eine Großkrast zu bilden und so dem

einzelnen die notwendigsten Vorbedingungen lohnender gewerblicher Tätig­ keit zu sichern.

Ich kann, wie gesagt, hier nicht auf das Nähere ein­

gehen, nur das allen gemeinsame Prinzip will ich kurz berühren: es ist die Selbsthilfe.

Da wird jede Subvention von außen verworfen, da

gewöhnt man vor allem die Genossen, auf eigenen Füßen zu stehen, um

in sich selber die Eigenschaften zu entwickeln, welche das Gelingen auf dem Felde des Erwerbes bedingen. Überall knüpfen wir an das Bestehende an und erkennen im Privateigentum und

der freien Konkurrenz die

mächtigen Hebel der Zivilisation, im Kapital den besten Freund des Arbeiters, indem wir den künstlich durch Unverstand und bösen Willen

genährten Konflikt zwischen beiden dadurch ausgleichen, daß wir den be­ fruchtenden Strom des Kapitals soviel als möglich dem Geschäft des unbemittelten Arbeiters zuführen.

Es wäre im Angesicht einer so umfassenden Aufgabe gewiß eine lächerliche Vermessenheit, wollte ich das bisher Geleistete für mehr als einen Anfang ausgeben.

Indessen sind wir in den letzten Jahren so weit

gediehen, daß die Möglichkeit, auf dem eingeschlagenen Wege praktisch

etwas zu leisten, entschieden dargetan ist.

In mehr als 300 deutschen

Städten befinden sich in diesem Augenblick 400 bis 450 solcher Genossen­

schaften in Tätigkeit mit einer Gesamtmitgliederzahl von 70 000 bis 80 000 Köpfen, größtenteils im nördlichen Deutschland, indem der Süden bis jetzt noch sehr schwach vertreten ist, und die Aushilfe der arbeitenden

Klassen dort — am meisten in Bayern — mehr durch amtliche Institute unter Regierungssubvention vermittelt wird.

Der Gesamtumsatz unserer

Genossenschaften, von denen bereits jetzt eine große Anzahl Abschlüsse

vorliegen, muß für das Jahr 1860 auf mindestens 14 bis 16 Millionen Taler geschätzt werden, ihr Gesamtfonds auf 3% bis 4 Millionen Taler, wovon etwa 600000 bis 700000 Taler, aus vorläufigen geringen Bei­ steuern und zugeschriebener Dividende angesammelt, den Mitgliedern bereits gehören, das übrige durch Anleihen unter ihrer Solidarhaft zu­

sammengebracht ist.

Wegen der Resultate der früheren Jahre verweise

ich auf meinen Jahresbericht für 1859 über die auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter (Leipzig 1860

bei G. Mayer),

indem

der

die speziellen Nachweise und statistischen

Tabellen Pro 1860 enthaltende Bericht nicht vor Mai ausgegeben werden kann, weil bis dahin noch eine große Anzahl von Rechnungsabschlüssen der einzelnen Vereine eingeht.

Nun breiten

sich unsere Vereine in

neuester Zeit ämmer rascher aus und werden immer populärer, so daß sich die obigen Zahlen in wenigen Jahren friedlicher Entwicklung sicher verzehnfachen, wo dann eine schon sehr fühlbare Rückwirkung auf die Hebung der beteiligten Stände nicht ausbleiben kann. Und wie dies

auch in die politische Entwicklung in doppelter Hinsicht förderlich ein­ greifen muß, springt in die Augen.

Einmal schafft man so den niederen Volksschichten die Möglichkeit für eine wirklich fruchtbare Beteiligung bei der Politik und gewinnt in

ihren Sympathien für verfassungsmäßige Zustände die besten Hüter von Ordnung und Gesetz, was niemand gering anschlagen wird. Vor allem hat die Volkspartei die dringendste Ursache, der Sache die vollste Auf­ merksamkeit zu widmen. Will sie, daß ihr Programm: „die Beteiligung des ganzen Volkes an den Staatsangelegenheiten mittels des allgemeinen Stimmrechts", zur Wahrheit werde, will sie ihren Namen wirklich durch Sorge für das Volkswohl verdienen, so muß sie hier beginnen, eine wirklich nachhaltige Arbeit nicht scheuen, sonst wird sie niemals zum Ziele gelangen.

Die zweite Frucht von nicht geringerem Belang ist eben die Aus­ gleichung des unheilvollen Bruches zwischen den liberalen Parteien, der, wie ich andeutete, hauptsächlich auf sozialem Felde anhub und allein der Reaktion zugute kommt. Zeigen wir in der Arbeiterfrage das wahrhaft

Konservative unserer Grundsätze, leiten wir immer mehr den Strom der Arbeiterbewegung von jenen verderblichen sozialpolitischen Träumereien

ab auf wahrhaft erprobte volkswirtschaftliche Bahnen, und das Mißtrauen, die Furcht vor dem roten Gespenst, die so viele wackere Männer dem Fortschritt entfremdet haben, werden schwinden, und wir werden manchen früheren Mitkämpfer wieder in unseren Reihen sehen, der sich bisher scheu davon zurückgezogen hat.

14

Schulze-Delitzsch.

Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be­ strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker

vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunft aller politischen Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie

ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.

86. Die Forderung geheimer Abstimmung bei de» Wahle» zum Abgeordnetenhause. Rede in der 31. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. April 1861.

Bei Beratung von Petitionen, welche Abänderung der §§ 2\ und 30 des Wahlgesetzes vom 30. Mai durch Einführung von Zettelwahlen an Stelle der öffentlichen Abstimmung verlangten, hatte die Kommission Überweisung an die Regierung zur Berücksichtigung beantragt. Dagegen beantragte der Abg. von Bethmann-tzollweg^) Übergang zur

Tagesordnung, da der Abstimmungsmodus nur im Zusammenhang mit dem gesamten Wahlsystem geregelt werden könne, wenn auch er das Bedürfnis nach Erlaß des im Artikel 72 der Verfassung verheißenen Wahlgesetzes^) anerkannte. Jn der Diskussion nahm auch Schulze das Wort:

Ich spreche für den Kommissionsbericht und gegen die Tagesordnung. Wäre das, meine Herren, was die Minorität unserer Kommission

und der geehrte Antragsteller hauptsächlich für die Tagesordnung anführt, gegründet, hinge die Frage über geheime oder öffentliche Abstimmung untrennbar zusammen mit dem Wahlsystem, dann würde sich gegen den Antrag kaum etwas anführen lassen. Die Meinungen dieses Hauses *) § 21: „Die Wahlen erfolgen abteilungsweise durch Stimmgebung zu Protokoll nach absoluter Mehrheit und nach den Vorschriften des Reglements." § 30: „Die Wahlen der Abgeordneten erfolgen durch Stimmgebung zu Protokoll." 2) Vertreter des Wahlkreises Bromberg I. Richt der Kultusminister v. B. 8) Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, Art. 72: . . Das Nähere über die Ausführung der Wahlen bestimmt das Wahlgesetz . . ."

14

Schulze-Delitzsch.

Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be­ strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker

vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunft aller politischen Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie

ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.

86. Die Forderung geheimer Abstimmung bei de» Wahle» zum Abgeordnetenhause. Rede in der 31. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. April 1861.

Bei Beratung von Petitionen, welche Abänderung der §§ 2\ und 30 des Wahlgesetzes vom 30. Mai durch Einführung von Zettelwahlen an Stelle der öffentlichen Abstimmung verlangten, hatte die Kommission Überweisung an die Regierung zur Berücksichtigung beantragt. Dagegen beantragte der Abg. von Bethmann-tzollweg^) Übergang zur

Tagesordnung, da der Abstimmungsmodus nur im Zusammenhang mit dem gesamten Wahlsystem geregelt werden könne, wenn auch er das Bedürfnis nach Erlaß des im Artikel 72 der Verfassung verheißenen Wahlgesetzes^) anerkannte. Jn der Diskussion nahm auch Schulze das Wort:

Ich spreche für den Kommissionsbericht und gegen die Tagesordnung. Wäre das, meine Herren, was die Minorität unserer Kommission

und der geehrte Antragsteller hauptsächlich für die Tagesordnung anführt, gegründet, hinge die Frage über geheime oder öffentliche Abstimmung untrennbar zusammen mit dem Wahlsystem, dann würde sich gegen den Antrag kaum etwas anführen lassen. Die Meinungen dieses Hauses *) § 21: „Die Wahlen erfolgen abteilungsweise durch Stimmgebung zu Protokoll nach absoluter Mehrheit und nach den Vorschriften des Reglements." § 30: „Die Wahlen der Abgeordneten erfolgen durch Stimmgebung zu Protokoll." 2) Vertreter des Wahlkreises Bromberg I. Richt der Kultusminister v. B. 8) Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, Art. 72: . . Das Nähere über die Ausführung der Wahlen bestimmt das Wahlgesetz . . ."

über das Wahlsystem möchten wohl sehr erheblich auseinandergehen und

die wie

gelegentliche Erörterung einer so über

das Wahlsystem,

wichtigen und tiefgehenden Frage

möchte wohl

Petition zulässig und zweckmäßig erscheinen. Das Wahlsystem

kaum

bei Gelegenheit einer

Allein dem ist gar nicht so.

d. h. die Bemessung und Verteilung des Wahlrechts,

die Gesamtheit der Bedingungen, von denen man die Teilnahme an den

Wahlen abhängig macht, das ist etwas wesentlich Verschiedenes von der

äußeren Form der Abstimmung.

Es kommt den Petenten ja gar nicht

darauf an, an dem Systeme, an dem Klassen-Wahlsystem etwas geändert

zu wissen, sie sind hier nicht besorgt um ihr Wahlrecht, sie wollen in

dieser Hinsicht durchaus nichts Neues eingeführt wissen.

Nicht deshalb

wenden sie sich an dieses hohe Haus; es ist ihnen nur um die Sicherung

der saktischen Unabhängigkeit bei der Ausübung ihres Wahlrechts zu tun,

also nicht um das rechtliche Moment sondern um ein sittliches, um die Vorbedingung zu jeder Wahl, um das, meine Herren, was eine Wahl

erst zu dem macht, was sie sein soll, zu einem Willensakt aus freier Überzeugung. Welchem System Sie sich auch anschließen mögen, ob Sie

für unbeschränktes oder für beschränktes Stimmrecht sind, ob Sie viel­

leicht sich für Zensuswahlen entscheiden oder bei dem Klassen-Wahlsystem bleiben wollen: in dem einen wie dem anderen Falle tritt die Frage der

geheimen oder öffentlichen Abstimmung vollkommen selbständig an Sie heran.

Wir haben jetzt ein bestimmtes Wahlsystem, das Klassen-Wahl­

system, es wird kein anderes daraus, ob wir geheim oder öffentlich ab­

stimmen.

Führen Sie Zensuswahlen ein, ob Sie geheim oder öffentlich

dabei abstimmen, das ändert das System selbst auf keinen Fall. Ich meine also, dieses Bedenken, dieser Hauptgrund, den man für

die Tagesordnung geltend gemacht hat, erledigt sich von selbst.

Es steht

die Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhänge mit dem Wahlsystem

und wir mögen sie daher an und für sich selbständig erörtern. Der zweite Grund, der noch für die Tagesordnung geltend gemacht

und in der Kommission wie hier hervorgehoben worden ist: „die Regierung beschäftige sich in diesem Augenblicke mit den Vorarbeiten zu einem Wahl­

gesetze" — scheint mir ja noch weit mehr dafür zu sprechen, daß eine

Kundgebung unsererseits in einem so wichtigen Prinzipe gerade in diesem Augenblicke nur wünschenswert ist. Gebunden wird die Regierung in ihrem

Ermessen über das künftig vorzulegende Wahlgesetz durch eine Kundgebung von unserer Seite nicht,

aber gewiß werden Sie mir nicht bestreiten

wollen, daß eine solche Kundgebung ein erhebliches Moment

für die

Staatsregierung fei, und daß sie uns nur dankbar fein kann, wenn wir

16

Schulze-Delitzsch.

in einem Stadium, wo sie sich noch für das eine und andere entscheiden kann, die Meinung des Hauses aussprechen.

Ich meine also, gerade das

Moment, welches man gegen die Erörterung angeführt hat, spricht für dieselbe, und ich muß dasselbe behaupten noch in bezug auf eine dritte

Anführung seitens des geehrten Antragstellers:

„daß

die Legislatur­

periode des Hauses zu Ende gehe und man nicht in dieser letzten Frist

noch eine so große prinzipielle Frage in das Haus bringe".

Ja, meine

Herren, gerade deshalb meine ich, ist eben eine Kundgebung auch dem

Lande gegenüber sehr am Platze, und wir haben alle Ursache, zu zeigen, wie hoch

das Preußische Abgeordnetenhaus die Unabhängigkeit

seiner

Wähler anschlägt. Komme ich nun zur Sache selbst, so glaube ich, wird nur weniges demjenigen,

was

nachzutragen sein.

der Kommissionsbericht

und

die Petenten

anführen,

Daß das geheime Stimmrecht das einzige praktische

Sicherungsmittel für die Unabhängigkeit bei den Wahlen ist, darüber hat

die öffentliche Meinung längst entschieden, darüber liegen den einzelnen Mitgliedern dieses Hauses so reichliche Erfahrungen vor, daß wohl kaum ein Zweifel darüber stattfinden kann.

Das Haus hat bei früheren Ge­

legenheiten/) soweit ich aus dem Kommissionsbericht

entnehmen

kann,

auch wohl schon seine Meinung über diesen Punkt festgestellt, und ich

erlaube mir nur wenige Momente hinzuzufügen, die ich dem Kommissions­ berichte noch nicht habe entnehmen können.

Nicht bloß den ungesetzlichen

Druck auf die Abstimmung wird man, wenn man sich für das geheime Stimmrecht entscheidet, unmöglich machen; nein, noch eine ganz andere

Einwirkung, die bei den Wahlen auch und mit Erfolg angewendet wird, die Bestechung.

Nicht nur bedroht kann die Existenz eines Wählers

werden bei Betätigung seiner unabhängigen Gesinnung, — man kann

ihm auch Vorteile bieten, man kann statt der Bedrohung die Verlockung anwenden.

Entscheiden Sie sich für die geheime Stimmgebung, dann

wird derjenige, welcher so etwas versuchen wollte, sicher in eine sehr ungünstige Position kommen.

Was er auch aufwenden mag, es wird

ihm die Möglichkeit der Kontrolle darüber entzogen, ob ihm nicht sein so angelegtes Kapital ohne alle Zinsen und nutzlos entzogen wird; er

vermag sich nicht zu überzeugen, ob seine Bestechung ihm etwas nützt. Ferner ist bei der Diskussion dieser Frage so viel von der großen

Förderung gesprochen worden, die in der öffentlichen Stimmgebung liegen soll, von der Förderung des Bürgermutes und dem Appell an die un*) In den Sitzungen des Abgeordnetenhauses vom 28. März 1859 und vom 16. März 1860.

26. Februar und

abhängige Gesinnung, die dadurch an das Volk ergeht.

Ja, meine Herren,

ich glaube, recht viele von uns, die große Majorität des Hauses, schlägt gewiß die unabhängige Gesinnung des Staatsbürgers, ihre Erweckung

und Pflege recht sehr hoch an, weil sie nur in dieser die wahre Garantie verfassungsmäßiger Zustände erkennt, und viele Mitglieder dieses Hauses haben Gelegenheit gehabt und haben diese Gelegenheit ergriffen, haben es

an sich selbst bewiesen in einer Zeit, die jetzt Gott sei Dank hinter uns

liegt,

daß sie

einer

solchen

unabhängigen Gesinnung

manches Opfer

gebracht und manches deshalb haben über sich ergehen lassen.

Aber,

meine Herren, in dieser Weise bei der Gesetzgebung zu verfahren, mit solchen Voraussetzungen da heranzutreten, halte ich doch für durchaus

unberechtigt.

Die Faktoren des Staatslebens sind eben die Menschen,

und die Gesetzgebung hat zunächst der menschlichen Natur Rechnung zu tragen, vorzüglich in allen solchen Stücken, wo es sich um Motive handelt,

die an sich keineswegs unberechtigt und verwerflich sind, und zumal da,

wo der Sache selbst durch eine solche Rücksichtnahme kein Eintrag ge­ schieht.

Statt dessen, meine Herren, die Ausübung des wichtigsten bürger­

lichen Rechtes mit der berechtigten Sorge des Staatsbürgers um seine eigene und der ©einigen Existenz in Konflikt zu bringen, das möchte

wohl durch keine staatsmännische Rücksicht geboten fein.

Viele unserer

Wähler sind einmal in der Lage, daß ihre Existenz durch eine solche selbständige Ausübung des Wahlrechtes wesentlich bedroht wird.

nicht nötig, nach vielen Beispielen zu suchen.

Ich habe

In Ihrer aller lebendigem

Andenken leben diese Beispiele, und wir haben in unserem Staate genug

Opfer zu beklagen, die lediglich dem gefallen sind.

Nur durch die Un­

möglichkeit einer Kontrolle der Abstimmung wird dieselbe frei.

Statt

dessen ein Gesetz zu geben und in diesem Gesetze wichtige staatsbürger­

liche Rechte garantieren, tatsächlich aber die Ausübung dieser Rechte an

eine Art politischen Märtyrertums zu knüpfen, das, meine ich, sei unbe­ dingt zu verwerfen.

Ich wende mich nun an die Majorität dieses Hauses von einem anderen Gesichtspunkte aus.

Sie haben so oft und mit vom ganzen

Lande anerkannter Ausdauer für die Beseitigung der reaktionären Beamten

gekämpft,^) und daß ich bei der ganzen Deduktion von der ungesetzlichen Beeinflussung der Wähler namentlich auch diese Herren im Auge habe, brauche ich wohl kaum zu bemerken.

Ihr Kampf hat bis jetzt nicht viel

*) In der Sitzung vom 2. März war das Haus über eine diesbezügliche Petition deshalb zur Tagesordnung übergegangen, weil man dem König schon in der Adresse zu seinem Regierungsantritt diesen Wunsch ausgesprochen habe. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 4. 2

Schulze-Delitzsch.

18 Aussicht auf Erfolg gehabt.

Ich bitte Sie

daher, geben Sie

diesen

Tendenzen, die Sie dabei leiteten, namentlich dadurch Ausdruck, daß Sie,

soviel an Ihnen ist, ein Feld, auf welchem das ungesetzliche Einschreiten dieser Beamten einen so großen Druck auf die Staatsbürger ausübte, in

einer Art entziehen, daß es dem besten Willen der reaktionären Beamten unerreichbar bleibt und die Wähler vor jedem solchen Drucke sicherstellt. Denn, meine Herren, das meine ich doch in Ihrer aller Interesse hervor­

zuheben, ich glaube, wir tun wohl, uns noch auf manche Wahl mit diesen reaktionären Beamten einzurichten.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Bethmann-Bollweg an­ genommen.

Bei der Debatte am s6. Mai 186 s über einen Antrag des Abg. Reichensperger Geldern (kathol. Fraktion) auf Einführung geheimer Wahl

bei den Stadtverordnetenwahlen berief sich der Regierungsvertreter zugunsten der öffentlichen Wahlabgabe auf die vorstehende Rede Schulzes, der anerkannt habe, daß die sozialen Mächte im Staate das Recht hätten, ihren Einfluß geltend zu machen. Ihm antwortete Schulze später: Ich glaube nicht, daß mich jemand in diesem Hohen Hause so miß­

verstanden

hat,

wie der Herr Regierungskommissar in dem, was ich

neulich gesagt habe.

Ich habe gesagt, daß die sozialen Mächte berechtigt

sind, nicht zur Beeinflussung, sondern ich habe gesagt zum Einfluß, den

sie

selbst zu

erwerben

verstehen,

ohne

irgendwelche

Einwirkung

des

Gesetzes; das habe ich gesagt, Einflüsse, die sie zu erwerben verstehen

durch das Vertrauen ihrer Mitbürger, wie der Abgeordnete für Biele­ felds sehr richtig bemerkt hat.

87. Brief an Rudolf von Bennigsen. Berlin, 15. April 1861. Die Konstituierung unserer Fraktion als die nationale Partei des

Preußischen Abgeordnetenhauses darf ich als gesichert annehmen; sie wird nach

unserem

Wiederzusammentritt

Waldeck will noch nicht recht heran.

nach Pfingsten

erfolgen.*2)

Nur

Der alte Herr ist in allen solchen

entschiedenen Schritten sehr bedenklich geworden, wie ich ihn denn auch *) Waldeck. 2) Über die Gründung der Fortschrittspartei vgl. Parisius, Haverbeck 1, S. 208 ff.

Schulze-Delitzsch.

18 Aussicht auf Erfolg gehabt.

Ich bitte Sie

daher, geben Sie

diesen

Tendenzen, die Sie dabei leiteten, namentlich dadurch Ausdruck, daß Sie,

soviel an Ihnen ist, ein Feld, auf welchem das ungesetzliche Einschreiten dieser Beamten einen so großen Druck auf die Staatsbürger ausübte, in

einer Art entziehen, daß es dem besten Willen der reaktionären Beamten unerreichbar bleibt und die Wähler vor jedem solchen Drucke sicherstellt. Denn, meine Herren, das meine ich doch in Ihrer aller Interesse hervor­

zuheben, ich glaube, wir tun wohl, uns noch auf manche Wahl mit diesen reaktionären Beamten einzurichten.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Bethmann-Bollweg an­ genommen.

Bei der Debatte am s6. Mai 186 s über einen Antrag des Abg. Reichensperger Geldern (kathol. Fraktion) auf Einführung geheimer Wahl

bei den Stadtverordnetenwahlen berief sich der Regierungsvertreter zugunsten der öffentlichen Wahlabgabe auf die vorstehende Rede Schulzes, der anerkannt habe, daß die sozialen Mächte im Staate das Recht hätten, ihren Einfluß geltend zu machen. Ihm antwortete Schulze später: Ich glaube nicht, daß mich jemand in diesem Hohen Hause so miß­

verstanden

hat,

wie der Herr Regierungskommissar in dem, was ich

neulich gesagt habe.

Ich habe gesagt, daß die sozialen Mächte berechtigt

sind, nicht zur Beeinflussung, sondern ich habe gesagt zum Einfluß, den

sie

selbst zu

erwerben

verstehen,

ohne

irgendwelche

Einwirkung

des

Gesetzes; das habe ich gesagt, Einflüsse, die sie zu erwerben verstehen

durch das Vertrauen ihrer Mitbürger, wie der Abgeordnete für Biele­ felds sehr richtig bemerkt hat.

87. Brief an Rudolf von Bennigsen. Berlin, 15. April 1861. Die Konstituierung unserer Fraktion als die nationale Partei des

Preußischen Abgeordnetenhauses darf ich als gesichert annehmen; sie wird nach

unserem

Wiederzusammentritt

Waldeck will noch nicht recht heran.

nach Pfingsten

erfolgen.*2)

Nur

Der alte Herr ist in allen solchen

entschiedenen Schritten sehr bedenklich geworden, wie ich ihn denn auch *) Waldeck. 2) Über die Gründung der Fortschrittspartei vgl. Parisius, Haverbeck 1, S. 208 ff.

Reden in der Konfliktszeit.

19

nicht mit einem Male zum Eintritt in unsere Fraktion bewog, wo er sich jetzt sehr wohl befindet.

Indessen glaube ich fest, daß er sich unter

keiner Bedingung von uns trennt, und ich habe gesorgt, daß einem sehr

unliebsamen Einflüsse bei ihm (des bekannten früheren Oberbürgermeisters Ziegler aus Brandenburgs entgegengearbeitet wird. Nun ist aber unsere Stellung zu Braemer") und Veit8) — die

beide nicht für den von unserer Fraktion, vor meinem Eintritt in die Kammer, in der deutschen Frage wieder aufgenommenen von Staven-

hagenschen Antrag si gestimmt haben und zur Partei Vincke5* )2* gehören *4 —

eine eigentümliche und nicht klare.

Ich habe mit beiden andeutungsweise

verhandelt und werde versuchen, sie für uns und zum Zusammenwirken

bei den Wahlen unter dem nationalen Banner zu gewinnen. für

jetzt wünsche ich

Frankfurter Sitzungen

dringend,

daß

Allein

von dem ganzen Plane in den

nicht die Rede ist.8)

Sobald wir konstituiert

sind, werden wir offen und entgegenkommend uns an diese und andere Kammermitglieder wenden und, unter Schonung ihrer für jetzt einmal

genommenen Parteistellung, mit ihnen verhandeln.

Eine vorzeitige Ver­

öffentlichung unserer Pläne könnte nur schaden.

88. Die Forderung eines Ministerverantwortlichkeitsgesehes. Rede in der 42. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 29. April 1861.

Jn der Sitzung vom 27. April hatte die Beratung über gesonderte Anträge der Abgeordneten von Carlowitz7) und Behrend8) bett. Erlaß

eines Niinisterverantwortlichkeitsgesetzes begonnen; die Kommission wollte nur einen Beschluß herbeigeführt missen, der die Erwartung aussprach, daß die Regierung in der nächsten Session einen entsprechenden Entwurf vorlegen werde. Darauf hatte Abg. Behrend Rückverweisung seines *) Franz Ziegler, 1803—1876, war in der Preußischen Nationalversammlung Mitglied der äußersten Linken. 2) Landschaftsdirektor Brämer aus Ernstberg bei Gumbinnen, war Mitglied des Ausschusses des Nationalvereins. -) Vgl. Bd. III S. 143 ff. 4) Vgl. Bd. III S. 368. 6) Die sogenannten Altliberalen. °) Am 18. und 19. Mai fand in Frankfurt a. M. eine Ausschußsitzung des Nationalvereins statt. ’) Vgl. Bd. III S. 386 ff. ’) Kommerzienrat Behrend, Danzig, Vertreter für Danzig II.

Reden in der Konfliktszeit.

19

nicht mit einem Male zum Eintritt in unsere Fraktion bewog, wo er sich jetzt sehr wohl befindet.

Indessen glaube ich fest, daß er sich unter

keiner Bedingung von uns trennt, und ich habe gesorgt, daß einem sehr

unliebsamen Einflüsse bei ihm (des bekannten früheren Oberbürgermeisters Ziegler aus Brandenburgs entgegengearbeitet wird. Nun ist aber unsere Stellung zu Braemer") und Veit8) — die

beide nicht für den von unserer Fraktion, vor meinem Eintritt in die Kammer, in der deutschen Frage wieder aufgenommenen von Staven-

hagenschen Antrag si gestimmt haben und zur Partei Vincke5* )2* gehören *4 —

eine eigentümliche und nicht klare.

Ich habe mit beiden andeutungsweise

verhandelt und werde versuchen, sie für uns und zum Zusammenwirken

bei den Wahlen unter dem nationalen Banner zu gewinnen. für

jetzt wünsche ich

Frankfurter Sitzungen

dringend,

daß

Allein

von dem ganzen Plane in den

nicht die Rede ist.8)

Sobald wir konstituiert

sind, werden wir offen und entgegenkommend uns an diese und andere Kammermitglieder wenden und, unter Schonung ihrer für jetzt einmal

genommenen Parteistellung, mit ihnen verhandeln.

Eine vorzeitige Ver­

öffentlichung unserer Pläne könnte nur schaden.

88. Die Forderung eines Ministerverantwortlichkeitsgesehes. Rede in der 42. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 29. April 1861.

Jn der Sitzung vom 27. April hatte die Beratung über gesonderte Anträge der Abgeordneten von Carlowitz7) und Behrend8) bett. Erlaß

eines Niinisterverantwortlichkeitsgesetzes begonnen; die Kommission wollte nur einen Beschluß herbeigeführt missen, der die Erwartung aussprach, daß die Regierung in der nächsten Session einen entsprechenden Entwurf vorlegen werde. Darauf hatte Abg. Behrend Rückverweisung seines *) Franz Ziegler, 1803—1876, war in der Preußischen Nationalversammlung Mitglied der äußersten Linken. 2) Landschaftsdirektor Brämer aus Ernstberg bei Gumbinnen, war Mitglied des Ausschusses des Nationalvereins. -) Vgl. Bd. III S. 143 ff. 4) Vgl. Bd. III S. 368. 6) Die sogenannten Altliberalen. °) Am 18. und 19. Mai fand in Frankfurt a. M. eine Ausschußsitzung des Nationalvereins statt. ’) Vgl. Bd. III S. 386 ff. ’) Kommerzienrat Behrend, Danzig, Vertreter für Danzig II.

Schulze-Delitzsch.

20

Antrages an die Kommission verlangt und Reichensperger (Köln) im Hinblick auf die vorausgegangene entgegenkommende Erklärung der Regierung Übergang zur Tagesordnung. In der folgenden Sitzung am 29. war u. a. der Abgeordnete v. Skrg1) gegen die Hauptanträge ausgetreten, in dem er zwar den Einwand bekämpfte, daß ein solches

Gesetz gegen das monarchische Prinzip verstoße, aber wünschte, daß die Regierung die Initiative dazu ergreife. Meine Herren!

Die Redner

vor

Ihm antwortete Schulze: mir, namentlich

auch

in der

letzten Sitzung, lassen mir zu der wichtigen Frage, um die es sich hier handelt, freilich meist nur eine Nachlese übrig, und ich kann nicht mit

Bestimmtheit

sagen:

ob

diese Nachlese

gerade in

allen Stücken eine

Blumenlese sein möchte, wie sie uns das Mitglied für Regenwalde,^) bot. Ich bin auch genötigt, wie die Herren vor mir, zunächst die Ein­

wände kurz durchzugehen, die dem Erlaß, ja sogar der Anregung eines Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit überhaupt entgegenstehen. Der erste, den der Herr Abg. von Berg näher beleuchtet hat, daß

der

Erlaß

eines

Gesetzes

auf

Ministerverantwortlichkeit

gegen

das

monarchische Prinzip verstoße, läßt nur wenig zu sagen übrig, da ins­

besondere auch das Mitglied für Berlin,^ welches in der letzten Sitzung sprach, gründlich auf diese Frage eingegangen ist.

Indessen, wenn ich

das Referat in unserem Berichte hier vergleiche, so muß ich doch noch auf

einen Punkt aufmerksam

machen.

Wir lesen

hier,

in

daß

der

Kommission geltend gemacht wurde, das Gesetz beeinträchtige das mon­ archische Prinzip, weil es einen Dualismus zwischen Regierung und Volk erzeuge; und daß es sodann auch der speziell in Preußen bestehenden

monarchischen Gewalt entgegentrete, indem die Minister außer dem Könige auch noch einer Kammermajorität verantwortlich gemacht würden.

Ja, meine Herren, ein solcher Dualismus tritt freilich mit Not­

wendigkeit da ein, wo zu dem im absoluten Staat bestehenden einzigen Faktor der Gesetzgebung ein zweiter in der Volksvertretung hinzutritt,

und eine Kontrolle der Minister durch die Volksvertretung wird not­ wendig da sein, wo die Verfassung, wie z. B. beim Staatshaushalt und

anderen Punkten, diese Kontrolle dem Abgeordnetenhaus ausdrücklich überträgt. bei

der

Daß aber nun ohne diese beiden Elemente, ohne Mitwirkung Gesetzgebung,

ohne Kontrolle

des

-) Kaplan v. Berg, Vertreter für Aachen II. 2) Abgeordneter Wagener (konservativ). 8) Geh. Justizrat Prof. Dr. Beseler, Berlin.

Staatshaushalts

als

Vgl. Bd. III S. 28 ff.

das

mindeste,

konstitutionelles

Leben

überhaupt nicht

glaube ich, sind Sie sämtlich überzeugt.

davon,

möglich ist,

Worauf laufen nun alle diese

Bedenken hinaus? sie bekämpfen das konstitutionelle Prinzip im allge­ meinen in seinen Hauptgrundtagen und führen in ihrer Konsequenz zum

Absolutismus. der

Vorredner,

Ich habe demgegenüber, bei der eingehenden Ausführung nur

hervorzuheben,

daß ich glaube,

man

kann

dem

monarchischen Prinzip keinen schlechteren Dienst tun, als wenn man es

so mit dem Absolutismus identifiziert und es dadurch mit der ganzen

geschichtlichen Strömung

der

Gegenwart,

mit

den

Bedürfnissen

aller

zivilisierten Völker, die notwendig auf konstitutionelles Regiment hin­ drängen, mutwillig und ohne Not in Konflikt bringt.1)

Ich dächte, ein

kurzer Blick auf die letzten Dezennien gäbe die Beweise dafür schlagend. Überall, wo die konstitutionellen Institutionen ernst, mit redlichem Geist gehandhabt wurden, haben sie sich nicht etwa bloß als Garantie für

Volksrechte und Volksfreiheit bewährt

sondern auch als ein mächtiger

Wall, welcher Krone und Dynastie schützend umschloß.

In keinem Staate,

wo so gewaltet worden ist, sind Erschütterungen eingetreten,

monarchische Prinzip gefährdet haben.

die das

Dagegen sehen tvir da, wo man

sich hartnäckig gegen diese Wahrheiten verschloß, die entschiedensten und weitgreifendsten Katastrophen, und in diesem Augenblick wandern mehr als ein Fürst durch Europa als Gäste, ein Asyl in fremden Ländern

suchend.

Der zweite Punkt, der von einem der geehrten Redner?) wie in der Kommission betont wurde: daß ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz um deswillen gerade jetzt zu bedauern sei, weil man ja jetzt nicht einem

Ministerium entgegenstände, welches ein solches Gesetz besonders dringend

notwendig mache, sondern einem Ministerium, welches mit Recht das Vertrauen des Landes beanspruchen könne, ist ebenso wenig durchgreifend.

Daß es sich bei einem solchen Gesetz nicht um ein zeitweiliges einzelnes Ministerium sondern um eine Reihe von Ministern handle, wurde bereits geltend gemacht.

Ich muß noch hinzufügen, daß es gerade dann dringend

an der Zeit ist, ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz mit der Regierung

zu vereinbaren, wenn man auf der Ministerbank Männer sieht, zu denen man das Vertrauen hegen kann, daß sie diese wichtige Frage im Sinne

des Landes

entscheiden

helfen werden.

Wollen

Sie warten,

bis ein

Ministerium auf den Bänken säße, dem alles daran gelegen sein müsse,

daß ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz nicht zustande käme? Ich meine,

x) Vgl. Bd. III S. 42 f. (die Firma von Gottes Gnaden). a) Kreisrichter von Rosenberg-Lipmsky in Öls, Vertreter für Breslau.

Schulze-Delitzsch.

22

gerade jetzt, wo wir aus vielen Vorlagen, die uns^ seitens des Ministeriums

gemacht sind, gesehen haben, daß man ernst bedacht ist, manchen ernsten

Übelständen

abzuhelfen

und

den wirklichen

Ausbau

der

Versassung

vollenden zu helfen, lassen Sie uns die Frage in die Hand nehmen.

Wenn wir warten, bis die Anwendung des Ministerverantwortlichkeits­ gesetzes bei einer Ministeranklage notwendig wird, dann wird es sicher

gar nicht oder wenigstens nicht in dem Geiste zustande kommen, in dem wir es alle wünschen müssen.

Der dritte Punkt, meine Herren, ist die Regierungsinitiative.

Ich

bin weit entfernt, die Schwierigkeiten, die ein solches Gesetz hat, nicht vollkommen anzuerkennen.

Aber, meine Herren, ist denn diese Initiative,

die durch den Antrag des Abgeordneten Behrend geübt ist, indem er nicht eine eigene Arbeit, nicht eine eigene Vorlage,

nein,

eine durch­

gearbeitete Vorlage des früheren Ministeriums vorgelegt hat, ist das eine Initiative in dem Sinne, in dem Sie vielleicht nicht geneigt sind, darauf einzugehen?

Ist denn nicht die Frage von einer großen Anzahl

der Mitglieder dieses hohen Hauses schon reiflich diskuttert und erwogen bei vielen anderen Gelegenheiten V1)

Das, was man gegen die Initiative

in dieser Frage überhaupt sagen könnte, fällt durch den Weg, der hier

eingeschlagen ist, vollständig weg.

Ich komme

nun

zu dem Punkt, den

ich als besonders

wichtig

betrachte, und den ich deshalb besonders unter den Erwägungen des

Hauses heraushebe.

Es ist der Vorwurf oder das Bedenken, will ich

sagen, welchen das verehrte Mitglied für Köln^) in der Kommission sowohl als in der letzten Diskussion hier geltend gemacht hat: „daß es

in diesen Tagen am wenigsten tunlich und geraten scheine, mit einem

solchen Gesetze vorzugehen, weil eine demokratisch-revolutionäre Bewegung

durch ganz Europa, also auch durch unser Vaterland gehe".

Redner ist darauf

eingegangen und

hat mich

Der vorige

dadurch noch in der

*) Der Antrag Behrend war, abgesehen von einigen redaktionellen Ände­ rungen, identisch mit einem Regierungsentwurf aus der Sitzungsperiode von 1850—51, der mit einigen Änderungen am 3. Februar 1851 von der Zweiten Kammer angenommen, aber am 15. April 1851 von der Ersten abgelehnt worden war. Am 28. April desselben Jahres interpellierte Abg. Dr. Simson die Regierung in dieser Angelegenheit, erhielt aber eine ausweichende Antwort. In den Jahren 1852, 1853 und 1855 brachte der Abg. Wentzel mit Unterstützung der Abg. v. Patow und v. Auerswald wiederholt einen Gesetzentwurf über die Ministeroerantwortlichkeit ein, der aber niemals zur materiellen Beratung ge­ kommen ist. a) Abg. Reichensperger.

Meinung bestärkt, daß eine Behandlung dieser Frage gerade im Preußi­ schen Abgeordnetenhause nicht nur

für uns sondern

auch für ganz

Deutschland von Bedeutung ist, weshalb ich darauf etwas spezieller ein­ gehen muß. Ja, meine Herren, daß eine tiefgreifende Bewegung durch alle deutsche Lande zieht, wer möchte das leugnen? Und wäre es nicht so, tväre das preußische, wäre das deutsche Volk nicht so tief bewegt in diesen Zeiten, so wäre das das traurigste Zeichen wahrhaft politischer Erstarrung. Wenn die Gefahr einer Überziehung mit einem gewaltigen

Kriege so nahe an den Grenzen geht, eines Krieges,

der nicht bloß

Käbinettssragen und Interessen sondern die staatliche Unabhängigkeit, die nationale Existenz des ganzen Volkes bedroht, so wäre es über alles

Maß kläglich, wenn nicht das Volk in die anhaltendste und tiefste Auf­ regung geraten wäre. Und nun wollen Sie diese Bewegung, die so tief begründet war, eine Parteibewegung nennen? Ich mahne Sie an das Hauptmoment, das dabei hervortrat, nicht an die unmittelbare Gefahr

des Krieges, die nach einiger Zeit verschwand, nein, an den alten Fluch unseres Vaterlandes, an die Zerrissenheit und Vielköpfigkeit in Deutsch­ land, welche der Bedrohung einer fremden Macht gegenüber sich zeigte. In dem Augenblick, in welchem das preußische Heer seinen Tritt an die

gefährdeten Grenzen lenkte/) war es möglich, daß dem preußischen Regenten die Führerschaft in dem Kampfe versagt werden konnte, für den Preußen vor allen einstehen mußte; einen Bundesfeldherrn wollte

man aus ihm machen, etwa unter einem Bundeskriegsrat, der die ein­ heitliche Leitung des Kampfes von Haus aus lähmte?) Das tiefe Gefühl des Unheils, welches daraus hervorgehen mußte, hat eine unsägliche

Aufregung int ganzen Volke hervorgerufen und mußte es. Alle, die nur einen Funken politischen Bewußtseins in sich fühlten, mußten sich sagen, daß mit den höchsten Gütern der Nation ein gefährliches Spiel getrieben werde, und das, das wollten Sie mit den Herren Abgeordneten

für Köln und von Berg zu einer Parteibewegung stempeln? Dagegen muß ich mich sehr, sehr ernst erklären. Keine Partei darf sich anmaßen,

diese Bewegung in ihren Bereich zu ziehen; sie steht über allen Parteien, sie bewegt das ganze Volk, und wenn die demokratische Partei ihre Stellung dazu genommen hat, so hat sie wiederholt und öffentlich erklärt: daß vor der Gefahr des Vaterlandes jedes Parteiinteresse zurücktreten müsse, daß dem auswärtigen Feinde gegenüber es nur ein Volk und *) Die Mobilmachung im Sommer 1859 während des Krieges zwischen Sardinien und Frankreich mit Österreich. *) Vgl. PH. 3 S. 130.

Schulze-Delitzsch.

24

keine Parteien gebe, und daß eine Partei, die sich hier reserviert halten

wollte, jeder Berechtigung ihrer politischen Existenz entbehre. die Stellung der

demokratischen

Bewegung, dies ist sie noch.

Dies war

Partei bei dieser großen nationalen

Man weiß, daß die Gefahr nur vertagt

ist, nicht beseitigt, und so zieht sich diese Aufregung fort, bis in unsere

Tage hinein.

Man kann der dadurch entstandenen Bewegung also so

wenig den Namen einer nationalen versagen, als ihr den Namen von

einer politischen Partei auflegen. Es ist dem Abgeordneten von Berg nicht gelungen, durch seine

frühere

ändern,

Tätigkeit

schriftstellerische

und er wird ihr

Koburg-Gotha

keinen

auch

anderen

diesen

Charakter

heute durch

Stempel

der

seine

Bewegung zu

auf

Hindeutung

Selbst wenn

aufdrücken.

er

dagegen eine Feuerlöschordnung produziert — ein Gebiet, aus welchem

ich meinem alten politischen Freunde zum ersten Male begegne — wird

er, davon bin ich fest überzeugt, diesen tief in der Brust jedes deutschen Mannes

glühenden Funken mit seinem Löschreglement niemals

aus­

zulöschen vermögen.^)

Die Bewegung ist ebensowenig Partei angehört.

revolutionär,

sie

als

irgendeiner

Gerade in dieser großen Krisis, wenn Sie gerecht sein

wollen, hat sich überall im ganzen Lande das tiefe Bedürfnis unseres

Volkes bewährt und gezeigt, mit seinen Fürsten Hand gehen.

Man

hat wohl

eingesehen,

daß

es

wahrhaftig

in

Hand zu

ein

schlechtes

Begegnen der großen Krisis sei, wenn man den Erfolg des bevorstehenden Kampfes, der ein Zusammenhalten der Gesamtkraft des Volkes bedingt,

durch inneren

Hader

gefährdete.

Man ist geneigt,

über so

manches

hinwegzusehen, wenn nur in den obersten leitenden Kreisen der Kabinette

diejenige Einigung erzielt wird, die wir zu unserer Abwehr so notv. Berg halte im Januar 1861 gemeinsam mit Rodbertus und Bucher eine öffentliche Erklärung gegen daS Nationalitätsprinzip, für einen gesunden politischen Egoismus und für das Eintreten Deutschlands zugunsten Österreichs in Italien erlassen. 2) v. Berg hatte im Laufe seiner Rede ausgeführt, die jetzige poli­ tische Bewegung in Deutschland — gemeint war die durch den National­ verein neu erweckte Einheitsbewegung, welcher sich Herzog Ernst von KoburgGotha mit besonderer Wärme angenommen hatte — habe man zu Unrecht eine demokratische genannt, sie verdiene eher den Namen „Koburger". Er verglich die augenblicklichen politischen Zustände mit der Bewegung bei einer Feuersbrunst: Jeder wolle helfen, aber jeder habe eine andere Meinung über den einzu­ schlagenden Weg. Komme aber ein Mann mit der notigen Autorität, folgten diesem alle.

wendig gebrauchen, und ohne welche die ganze Zukunft unseres Volkes

Es hat sich nirgends ein revolutionärer Zug in dieser

gefährdet ist.

Bewegung gezeigt, und es müßte wahrlich die nachhaltigste Mißhandlung

des

nationalen Lebensnervs

Bahnen verschlagen wird.

erfolgen,

ehe

die

Bewegung

auf andere

Möchte sie zum Heile des Vaterlandes, möchte

sie in den Händen derjenigen Regierung, die vor allen Deutschen dazu

berufen ist, jene feste Gestalt gewinnen, die sie allein zu einem gedeih­ lichen Ziele führen kann.

Schon 1813, bei jener Erhebung gegen die

Fremdherrschaft, war es die preußische Regierung, welche den Kern der nationalen Bewegung bildete; möchte sie ihres großen Berufes und jener

großen Erfolge, welchen sie ihre jetzige Stellung in Europa dankt, ein­ gedenk sein, möchte sie auch jetzt eintreten und das nationale Banner

erheben, wenn über kurz

oder lang der alte Landesfeind' wieder

an

unsere Grenzen Pocht!

Komme ich nun zu der Stellung, welche diese angeschuldigte Be­ wegung in inneren Fragen, insbesondere zu diesem Gesetz einnimmt, und tote, sie sich hier charakterisiert, nun, meine Herren, so frage ich Sie:

wäre es nicht ein wunderbares Beginnen von feiten einer revolutionären Umsturzpartei, wenn sie sich in allen Stücken und so wieder bei diesem

Gesetze eifrig bemüht zeigt, daß alle schwebenden Fragen gesetzlich geordnet

werden, daß der Ausbau unserer Verfassung so gut rasch als ntöglich auf jede Weise bewirkt werde? Treiben einer Umsturzpartei?

es geht und so

Ist denn das ein

Liegt es nicht im Gegenteil in deren

Interesse, womöglich alle solche Fragen offen zu halten, ihre Erledigung

möglichst hinauszuschieben, um sie, wenn einmal die Macht wiederkehrt,

im anderen Sinne behandeln zu können? als

das

Treiben

einer

Das möchte man wohl eher

revolutionären Umsturzpartei zu

kennzeichnen

berechtigt sein, der es um nichts weniger zu tun sein kann, als daß

alles geschlichtet und in gesetzlichem Wege geordnet werde.

Und auch

von dieser Seite — ich selbst gehöre ja zu den wenigen Abgeordneten

der demokratischen Partei, welche die Ehre haben, in diesem Hause zu

sitzen — werden Sie mir gestatten, Beteiligung

bei

zurückznweisen.

dieser

Bewegung

von

jeden

Ich habe zwar hier

der Demokratie Unglimpf

und

auf das

ihrer

ernsteste

weder Beruf noch Mandat, für

irgendeine Partei zu sprechen, indessen glaube ich doch, daß ich ebenso­

gut, wie der Abgeordnete von Berg, durch meine Antezedenzien berechttgt bin, etwas auszusprechen, was ich für die Meinung der großen Majorität meiner Partei halte. Ich komme nun zum Schluß, indem ich Sie bitte, dem Amendement

26

Schulze-Delitzsch.

des Abgeordneten Behrend zuzustimmen; es zielt

dahin,

spezielle

die

Diskussion und definitive Beschlußnahme über den von ihm eingebrachten

Gesetzentwurf, die natürlich jetzt — ohne Vorberatung in der Kommission — in diesem hohen Hause nicht stattfinden kann, zu ermöglichen.

Ich

mache dafür noch geltend, daß ein bloßer Antrag an das Ministerium, wie ihn der Vorschlag des Abgeordneten

von

Carlowitz

enthält,

bei

weitem weniger kräftig nach der Seite der Minister hin wirken wird als das Einbringen eines Gesetzes, welches von einem früheren Ministerium Ich habe schon angedeutet, daß ich meine, wir

selbst ausgegangen ist.

müssen mit dem inneren Ausbau unseres Hauses eilen; die Frist ist uns vielleicht sehr knapp bemessen, in der wir unsere häusliche Rechnung zum Abschlusse bringen

und wir müssen

können,

vielleicht

bald

auf

einem anderen Gebiete auftreten, um dort für unsere Existenz einzu­

treten.

Deswegen wünschte ich die baldigste Erledigung der Frage, und

ich glaube, wenn wir dem jetzigen Ministerium ein Gesetz wieder als

annehmbar von feiten des Hauses vorführen, ein Gesetz, welches von früheren Ministern ausgegangen ist,

welche doch

gewiß

nicht geneigt

waren, die Stellung der Krone oder des Ministeriums in dieser Frage

übertrieben

freisinnig

aufzufassen

und der

Volksvertretung

gegenüber

preiszugeben — ich sage, wenn wir dieses Gesetz dem jetzigen Ministerium vorlegen, so werden wir demselben einen weit größeren Sporn geben,

möglichst rasch die jetzt schwebende wichtige Frage zu erledigen und eine solche Vorlage selbst dem Hause zu machen, als

mit unserem bloßen

Ersuchen, wenn auch bei der gegenwärtigen Lage der Dinge die Hoffnung,

daß der Gesetzentwurf noch im

Laufe dieser Sitzung

völlig

erledigt

werden könnte, selbst von denen, die ihn eingebracht haben, wohl hat

aufgegeben werden müssen. Zum Beschluß also nun,

meine Herren,

lassen Sie ja jene Be­

wegung unseres Volkes, von der ich so sehr bedauere, daß sie von dem

Mitgliede für Köln in jener Weise gekennzeichnet werden konnte, lassen

Sie sie ja in Frieden und in Ehre!

Die Lage wird vielleicht bald der

Art sein, daß der Staat selbst, der Thron und die Dynastie der nach­

haltigen tieferen, inneren Aufregung des Volkes dringend bedürfen, welche

der von dem Abgeordneten für Regenwalde *) erwähnten Diktatur wohl

wird unter die Arme greifen müssen, weil sich die Begeisterung und Opferfreudigkeit, die uns dann allein helfen kann, nicht sogleich auf den bloßen Kommandoruf einzustellen Pflegt. — Die Stimmung des schönen

l) Abg. Wagener.

Reden in der Konfliktszeit.

27

Rheinlandes, welchem der Herr Abgeordnete angehört, ist mir in dieser Beziehung zu wohl bekannt, und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die

Bewohner jener vorzugsweise bedrohten Provinz wie die Majorität dieses hohen Hauses ganz gewiß nicht geneigt sein werden, die nationale Bewegung

in unserm Vaterlande gering anzuschlagen und sie nach einer gewissen Seite

hin als ein bloßes Parteigetriebe herabziehen zu lassen.

(Lebhaftes Bravo!)

Nach einer längeren Diskussion wurde der Antrag v. Carlowitz

zurückgezogen und der Rommissionsantrag angenommen, der von der Regierung die Vorlegung eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes in der folgenden Session forderte.

89. Gegen die Armee-Reorganisation. Rede in der 58. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 28. Mai 1861. Die tzeeresverfassung Preußens beruhte auf den Gesetzen vom

3e September und 2\. November ^8(5, durch welche die all­ gemeine Wehrpflicht eingesührt worden war. Damals besaß Preußen (l Millionen Einwohner, von denen jährlich ^0788 Mann als Rekruten ausgehoben wurden, die drei Jahre bei der time, zwei Jahre bei der Reserve und je sieben ^)ahre bei der Landwehr ersten und zweiten Auf. gebots dienten. Seitdem war die Bevölkerung auf (8 Millionen ge­ stiegen, so daß die Zahl der Dienstpflichtigen entsprechend jenem ver-

hältnis jetzt 65000 Mann hätte betragen müssen. Aus Sparsamkeits­ gründen hatte sich aber die Aushebungsziffer fast gar nicht vergrößert, so daß der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht tatsächlich durchs brochen war und außerdem die soziale Ungerechtigkeit entstand, daß die älteren, oft schon verheirateten Leute der Landwehr ersten Aufgebotes

nach der Regelung von (8^/(5 bei einer Mobilmachung sogleich mit verwendet wurden, während jetzt etwa 2^000 jüngere, an sich wehr­

fähige und wehrpflichtige Leute zu tzause blieben, lediglich deshalb, weil man für sie in den Reihen des stehenden tzeeres keinen Platz hatte.

Zudem hatte sich seit (8(5 die militärische Brauchbarkeit der Landwehr verschlechtert, seit man wiederum aus Gründen der Sparsamkeit die Übungen nicht nur des zweiten sondern insbesondere auch des ersten

Aufgebotes wesentlich eingeschränkt und dadurch die natürlichen Mängel

noch verstärkt hatte, die sich aus der zeitlich weiter zurückliegenden Ausbildullg für ihre innere Festigkeit und die Sicherheit der taktischen Bewegungen^ ergaben. Auch war die politische Erregung der Zeit nicht

Reden in der Konfliktszeit.

27

Rheinlandes, welchem der Herr Abgeordnete angehört, ist mir in dieser Beziehung zu wohl bekannt, und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die

Bewohner jener vorzugsweise bedrohten Provinz wie die Majorität dieses hohen Hauses ganz gewiß nicht geneigt sein werden, die nationale Bewegung

in unserm Vaterlande gering anzuschlagen und sie nach einer gewissen Seite

hin als ein bloßes Parteigetriebe herabziehen zu lassen.

(Lebhaftes Bravo!)

Nach einer längeren Diskussion wurde der Antrag v. Carlowitz

zurückgezogen und der Rommissionsantrag angenommen, der von der Regierung die Vorlegung eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes in der folgenden Session forderte.

89. Gegen die Armee-Reorganisation. Rede in der 58. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 28. Mai 1861. Die tzeeresverfassung Preußens beruhte auf den Gesetzen vom

3e September und 2\. November ^8(5, durch welche die all­ gemeine Wehrpflicht eingesührt worden war. Damals besaß Preußen (l Millionen Einwohner, von denen jährlich ^0788 Mann als Rekruten ausgehoben wurden, die drei Jahre bei der time, zwei Jahre bei der Reserve und je sieben ^)ahre bei der Landwehr ersten und zweiten Auf. gebots dienten. Seitdem war die Bevölkerung auf (8 Millionen ge­ stiegen, so daß die Zahl der Dienstpflichtigen entsprechend jenem ver-

hältnis jetzt 65000 Mann hätte betragen müssen. Aus Sparsamkeits­ gründen hatte sich aber die Aushebungsziffer fast gar nicht vergrößert, so daß der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht tatsächlich durchs brochen war und außerdem die soziale Ungerechtigkeit entstand, daß die älteren, oft schon verheirateten Leute der Landwehr ersten Aufgebotes

nach der Regelung von (8^/(5 bei einer Mobilmachung sogleich mit verwendet wurden, während jetzt etwa 2^000 jüngere, an sich wehr­

fähige und wehrpflichtige Leute zu tzause blieben, lediglich deshalb, weil man für sie in den Reihen des stehenden tzeeres keinen Platz hatte.

Zudem hatte sich seit (8(5 die militärische Brauchbarkeit der Landwehr verschlechtert, seit man wiederum aus Gründen der Sparsamkeit die Übungen nicht nur des zweiten sondern insbesondere auch des ersten

Aufgebotes wesentlich eingeschränkt und dadurch die natürlichen Mängel

noch verstärkt hatte, die sich aus der zeitlich weiter zurückliegenden Ausbildullg für ihre innere Festigkeit und die Sicherheit der taktischen Bewegungen^ ergaben. Auch war die politische Erregung der Zeit nicht

Schulze-Delitzsch.

28

ohne Wirkung auf die älteren teute der Landwehr geblieben, zumal Preußen (8^8 in die Reihe der konstitutionellen Staaten eingetreten und somit vielen tandwehrleuten das politische Wahlrecht zuteil geworden war.

Die Erfahrungen, die insbesondere der preußische Feldzug in Baden |8$9

sowohl hinsichtlich der miltärischen Leistungsfähigkeit als der unbedingten politischen Zuverlässigkeit der Landwehr gebracht hatte, bildeten den An­

stoß zu den militärischen Reformplänen, deren eifrigste Vertreter der Prinzregent Wilhelm selbst, der Abteilungschef im Rriegsministerium v. Llausewitz und endlich Albrecht v. Roon waren, der sich durch eine

Reform-Denkschrift

aus

dem Juli

1858

den weg in das Lriegs-

ministerium gebahnt hatte, das er am 5. Dezember v. Bonins übernahm.

1859 an Stelle

Jn Roon kam das jüngere realistischere Geschlecht

zu Wort, das in stärkstem und bewußtem Gegensatze zu den idealistischen Triebkräften des Zeitalters der Befreiungskämpfe stand, wollte man damals gerade die Wehrkraft des Staates auf den freien inneren Sinn des Volkes stellen, den man als die wichtigste Kraft auch ohne lang­ jährige militärische Dressur ansah, so stellte Roon die eiserne Disziplin als unentbehrlichen Grundpfeiler des tzeeres hin. Scharnhorst und Boyen gedachten die Linie zu der inneren geistigen Erfülltheit der Land­ wehr emporzuheben; Roon umgekehrt wünschte die seiner Ansicht nach militärisch und politisch falsche Institution der Landwehr, die Tonart der Landwehr in die höhere und reinere der Linie hinaufzustimmen.

Deutschtum und sittliche Autonomie waren die Schlagworte von 1813; Preußentum und Disziplin diejenigen des wiedererwachten Friederizianismus. Somit beruhte die ^eeresvorlage, die dem Abgeordnetenhause am 10. Februar 1860 vorgelegt wurde, auf folgenden Grundsätzen: (. Man verstärkte die Präsenzziffer des stehenden Lseeres um 39 Infanterie- und 10 Kavallerieregimenter und machte damit die gesetzlich nach wie vor geltende allgemeine Wehrpflicht zur Tatsache.

Die jähr­

lichen Mehrkosten wurden auf 9% Millionen Taler veranschlagt. 2. Man verjüngte das ^eer, indem man die drei jüngeren Jahr­

gänge des ersten tandwehraufgebotes zur Kriegsreserve schlug, in der die Mannschaft, nachdem sie die dreijährige Dienstzeit durchgemacht hatte,

fortab statt zwei Jahre fünf zubringen sollte.

3. Man veränderte sehr wesentlich das Verhältnis von Linie zur

Indem die vier älteren Jahrgänge des ersten tandwehr­ aufgebotes mit dem zweiten Aufgebot vereinigt wurden und man dieser

Landwehr.

neuen Veteranengruppe wesentlich die Aufgabe der Festungsgarnisonen zuwies, hob man die 1813 aus Grundsatz herbeigeführte gleichwertige

Verwendung der tandwehr im Felde mit der Linie auf. Zudem wurde die Ausbildung der umgeformten tandwehr in weit stärkerem Maße in die ^and von tinienoffizieren gelegt, als es ^8^3 und vorgesehen und geschehen war, wo man absichtlich die tandwehr möglichst fern

von der tinie gehalten hatte, um gerade ein Musterbeispiel zu gewinnen, daß es im wesentlichen nur auf den inneren Sinn und nicht die äußere

Dressur im Kriege ankomme.

An dieser Stelle mündete also die Militärvorlage in die allgemeinen

politischen Fragen ein. Indem sie sich von den liberalen Gedanken der Scharnhorst-Boyenschen Zeit auf dem Gebiete der tandwehrorganisation abkehrte, rollte sie die allgemeinen Gegensätze von Preußentum und Deutschheit, liberaler und konservativ'autoritärer Staatsauffassung auf, die,

zumal auch

legung

des

für Schulze,

alsbald

Budgetrechts hüben und

durch drüben

verschiedenartige und

Aus­

durch die erheb­

lichen Kosten verschärft wurden. Gs waren Gegensätze, die das konservativ-liberale Ministerium der neuen Ära sprengen und die Re­ gierung zu entschiedener Stellungnahme, sei es rechts oder links, zwingen mußten. Dies ist der große historische Hintergrund des ganzen Streites um die Militärvorlagen. Die alten grundsätzlichen tiefsten Gegensätze der Zeit von J8^8 traten aus Anlaß der tzeeresvorlage zu erneutem Streit einander gegenüber, und sie umfaßten wie einst gleichzeitig und in notwendigem inneren Zusammenhang die Fragen der äußeren nationalen

wie der inneren Politik Deutschlands und Preußens. Die nationale Un­ zufriedenheit über die mangelnde nationale Einheit und die innere Um Zufriedenheit über die mangelnde politische Freiheit hatten sich ver­ bündet. weil man den Regierungen Kraft oder willen zum Einheit­ werk nicht mehr zutraute, versuchte man aus dem Wege durch die Frei-

heit des Volkes im Einzelstaat wie Gesamtreich zur Einheit der Nation zu gelangen. Den gleichen Versuch unternahm nun der Liberalismus J860: er war innerlich durch die wirtschaftliche Entwicklung erstarkt; er war in seinem nationalen Einheitwunsche mächtig angeregt worden

durch die Kriegsgefahr von (859; er war in seiner damaligen nationalen Hoffnung auf Preußen und seine Regierung durch den verlauf der Er-

eignisse tief enttäuscht worden; er hatte sich in dem deutschen National­

verein eine feste Organisation geschaffen. Er war national erregt und mißgestimmt über die preußische Führung zugleich in diesem Augenblick, als ihm eine Heeresvorlage unterbreitet wurde, die einer Regierung, welche die nationalen Einheitwünsche nicht hatte erfüllen können, eine

ungewöhnlich lastenreiche Verstärkung zuführen wollte und den liberalen

30

Schulze-Delitzsch.

Zug der „Neuen Ära" hinsichtlich der Landwehr, jenes Palladiums aus der großen alten liberalen Zeit, offenkundig abschwur. So entstand aus gleichen Gründen der Mißstimmung derselbe Gedanke: die Macht­

steigerung sollte nur unter der Garantie nationaler und freiheitlicher Verwendung zustande kommen; durch den Ausbau innerer Freiheit ein

freier preußischer Volksstaat in Preußen hergestellt werden, der mit der verstärkten tzeeresmacht fähig und gewillt war, der nationalen Einheit zu dienen. Deutsche einheitliche Zentralgewalt in der Ljand des Königs von Preußen und freiheitliche innere preußische Verfassung in gegen­ seitiger Bedingtheit sind ^8^8 wie (860 die Hauptgesichtspunkte des Streites; sie bilden die Grundlage der politischen Anschauungen wie (8^8

der erbkaiserlichen so (86( der Deutschen Fortschrittspartei, die damals im Juni als Organisation der liberalen Opposition entstand.^ Auf diesem allgemeinen Hintergründe möge sich nun der Verlauf

des parlamentarischen Streitfalles int einzelnen abheben. Die Kommission des Abgeordnetenhauses erklärte

sich

am

30. April (860 mit der in der Regierungsvorlage vom (0. Februar

geforderten Vermehrung der kinientruppen um 23000 Mann einverstanden, verlangte aber die Erhaltung der Landwehr in der Feldarmee und die Einführung der zweijährigen Dienstzeit in der Linie. Darcküf zog die Regierung ihren Gesetzentwurf zurück, indem sie sich auf den Standpunkt stellte, daß dem König nach dem Gesetz von (8(^ das Recht zustehe, die Stärke des Heeres auf der Grundlage allgemeiner wehr-

pflicht und dreijähriger Dienstzeit nach eigenem Ermeffen zu bestimmen; die Kammer habe nur die Mehrkosten zu bewilligen. Finanzminister von patow verlangte daher nunmehr für die nächsten (^ Monate 9 Millionen Taler zum Zweck „der Aufrechterhaltung und Vervoll­ ständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegsbereitschäft und die erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich und auf den

bisherigen gesetzlichen Grundlagen tunlich sind", indem er in der Kom­ mission erklärte, daß mit den geforderten Mitteln nur ein Provisorium vgl. die grundlegenden Ausführungen von Max Lenz in seiner Geschichte Bismarcks, 2. Aufl. 5. m ff.; ihm folgend auch H. Oncken, Bennigsen 57(ff. Für die preußische Reformzeit vgl. F. Meinecke, Hermann von Boyen 375ff.; 2, 32ff. und 77 ff. für Roon vgl. vor allem seine Denkschrift vom Juli 1858 (Denkwürdigkeiten 2, 519 ff.) und dazu L. Marcks, Albrecht von Roon in der Deutschen Rundschau 1(5, 202 ff., auch Meinecke, Boyen und Roon (Historische Zeitschrift 77, 207). Zum Ganzen auch Marcks, Kaiser Wilhelm I. Leipzig (899, S. 16^. Für die Einzelheiten des Kampfes um die Heeresvorlage auch w. v. Blume, Kaiser Wilhelm I. und sein Kriegsminister Roon. Berlin 1906. 5. 72 ff.

begründet werden, die übrigen Fragen aber unberührt bleiben sollten;

wenn also später das kjaus die Mittel nicht bewillige, könne alles wieder auf den alten Fuß gebracht werden.

In diesem Sinne genehmigte die

Hammer, obwohl von patow alsbald in der Plenarversammlung den Sinn seiner Worte dahin beschränkt hatte, daß der jetzige Zustand der erhöhten Präsenzstärke nur insofern ein provisorischer sei, als etwas End­ gültiges erst bei der Feststellung der Kosten im Betrieb durch den tandtag entstehen sönne,1) die Einstellung der geforderten 9 Millionen Taler

in das Budget.

Indessen sah die Regierung, wie aus der Thronrede

bei Schluß der Session am 23. Mai hervorging, hierin die tatsächliche Zustimmung zu der Ljeeresreform:

im Oktober des

gleichen Jahres

J) Die Äußerung v. patows in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 15. Mai 1860 lautete wörtlich: „Die Regierung selbst hat den Meg, welchen sie durch ihre neue Vorlage angegeben hat, als den Meg eines Provisoriums be­ zeichnet, und in dem Rommissionsbericht ist dieser Ausdruck wiederholt betont worden. Wollte man das, was die Regierung vor Augen hat, als ein Provisorium in dem Sinne bezeichnen, daß dieser provisorische Zustand nur hervorgerufen sei durch die gegenwärtige politische Weltlage, durch diese oder jene äußeren Ver­ hältnisse, mithin bei dem verschwinden der jetzt momentan obwaltenden Ver­ hältnisse ganz von selbst wieder umgewandelt werden muffe in den früher normal­ mäßigen Zustand, so würde die Staats-Regierung ein Provisorium in diesem Sinne nicht akzeptieren können. Sie geht vielmehr davon aus, daß ganz unab­ hängig von den äußeren Verhältnißen Umgestaltungen im Heerwesen notwendig sind' ich darf ja nur auf den einen Punkt Hinweisen, daß, wie von allen Seiten anerkannt worden ist, ein dringendes Bedürfnis obwaltet, fortan von der waffenpflichtigen Mannschaft einen erheblich größeren Teil als bisher auch waffenfähig zu machen. Die Regierung glaubt, sich in dieser Beziehung mit der Rommission und, wie ich hoffe, mit der großen Majorität des Dauses insoweit in voller Über­ einstimmung zu befinden. Wenn die Regierung deffenungeachtet den Zustand, um den es sich jetzt handelt, als einen provisorischen bezeichnet, so tut sie dies in dem Sinne, daß sie ihre Aufgabe nur darin erblickt, den Zustand, der sich gegenwärtig gleichsam von selbst aus den Verhältnissen herausgebildet hat, vorläufig aufrecht zu erhalten, und soweit es zu seiner Aufrechterhaltung notwendig ist, zu vervoll­ ständigen. Sie sieht den Zustand wie einen provisorischen in dem Sinne an, daß sie in dem gegebenen Zeitraum nur dasjenige tun wird, was sie tun kann auf Grund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, und innerhalb des von ihr er­ betenen Rredits, was sie tun kann, ohne dem verfassungsmäßigen Recht der Landes­ vertretung zunahezutreten. (Bravo!) Sie sieht den Zustand ferner als einen provisorischen an, weil sie davon ausgeht, daß die definitive Regelung der hier in Rede stehenden Verhältnisse nur das Resultat einer neuen Beratung mit der Landesvertretung fein kann, und sie wird an diese neue Beratung zu seiner Zeit herantreten mit dem vollen Vertrauen, daß es ihr gelingen werde, die Zu­ stimmung der Landesvertretung für ihre Pläne zu gewinnen." (Bravo!)

32

Schulze-Delitzsch.

wurden die neuen Regimenter formiert, ihnen ihre Geldzeichen verliehen, ihre Offiziere und Unteroffiziere endgültig ernannt. Bei Beginn der neuen Session des Landtags von (86| ergab sich, daß die Regierung in das Ordinarium des Iahresbudgets 8 Millionen Taler für die Neugestaltung des Ljeeres unter Hinweis auf den Ernst der äußeren politischen tage ausgeworfen, das Gesetz über die Dienst­

pflicht aber nicht wieder vorgelegt hatte.

Am 27. Mai begannen die

Beratungen des Militäretats int Plenum; während die Abgeordneten Reichensperger-Geldern und von Berg-^ülich (beide katholische Fraktion) und Wagener-Negenwalde (konservativ) sich für die Bewilligung und

zwar im Ordinarium erklärten, wollte von Hoverbeck-Allenstent (Mit­ glied der sich zusammenschließenden Fortschrittspartei) die Genehmigung nur dann aussprechen, wenn sofort ein Gesetz wegen Einführung der

zweijährigen Dienstzeit vorgelegt werde. Kriegsminister von Roon ver­ teidigte die Vorlage, indem er dem Abgeordneten von Berg zustimmte, der die früheren Kommissionsverhandlungen dahin auslegte, daß er ver­ standen habe, das von dem Minister geforderte Provisorium solle so lange in Gültigkeit bleiben, bis durch Gesetz dauernde Einrichtungen geschaffen worden. Deshalb erklärte Roon es auch für fraglich, ob die Regierung sich die Übertragung von laufenden Ausgaben aus dem

Ordinarium in das Extraordinarium gefallen lassen könne.

Abgeordneter Wagener hatte ziemlich unverhüllt die Krone nötigen­

falls zu einem Staatsstreich aufgefordert, indem er mit Emphase erklärte, eine parlamentarische Ablehnung der geforderten Geldmittel werde an den Tatsachen, daß die neuen Regimenter da wären und blieben, nichts ändern; ihm antwortete Tags darauf Finanzminister von patow, daß die Regierung stets die Rechte des Hauses achten und die Lösung der schwebenden Frage nicht außerhalb, sondern nur innerhalb der Ver­ fassung suchen werde. Nach ihm kam Schulze zum Wort: Der Verlauf der Debatte, meine Herren, hat besonders das Gute mit sich geführt, daß eine Verschiebung der vorliegenden Frage, wie sie von mehreren der verehrten Herren Redner gestern angebahnt wurde, nicht wohl mehr möglich ist. Keine Kriegsbereitschaft, keine bloß vorüber­ gehende Verstärkung der Streitbarkeit des Heeres; eine dauernde Reorgani­ sation, eine wesentliche Veränderung im Friedensstande der Armee, das

ist die Sache, um die es sich gegenwärtig handelt. Die dankenswerte Offenheit des Herrn Kriegsministers in seinen Handlungen und Aus­ einandersetzungen hat vorzüglich die Sache dahin geführt, daß ein Zweifel

darüber jetzt nicht wohl mehr von irgendeiner Seite erhoben werden

kann. Was also soll die Appellation an unseren Patriotismus, welche gestern in der Art gestellt wurde, als käme es auf sofortige Hilfe an, als befände sich der Staat in augenblicklicher dringender Gefahr, als drohe ein Krieg fast schon an unseren Grenzen. Ei, meine Herren, wenn

dies der Fall wäre, dann hätten wir freilich nicht Zeit, zu dingen oder zu markten um diese oder jene Position des Budgets, sondern wir müßten

willig das letzte hergeben,

und dann würde kein Streit und keine Meinungsverschiedenheit in diesem Hause sein.

Aber, meine Herren, wenn dem so wäre, dann hätte die Staats­ regierung auch nicht Zeit und nicht Muße, Friedensorganisationen vorzunehmen, dann könnte sie nichts an den Kadres und Truppenkörpern ändern, dann müßte sie das Vorhandene benutzen und müßte mit dem Vorhandenen, wie es 1859 geschah, der äußeren Gefahr entgegentreten.

Der Patriotismus in der Lage also, in welcher wir uns befinden, ist ein ganz anderer nnd stellt ganz andere Forderungen, als die der unbedingten Bewilligung an uns; vielmehr stellt er, da es sich um eine bleibende dauernde Belastung des Landes handelt, um eine dauernde bleibende Verstärkung seiner Wehrkraft, die Forderung der ernstesten und gewissen­ haftesten Prüfung der Regierungsvorlagen an uns, die uns nach dieser Richtung gemacht worden sind; er stellt sie an uns um so mehr, als wir

nicht in Abrede stellen werden, daß die politische Lage Europas im all­

gemeinen eine getrübte ist, daß sie schwere Verwicklungen in ihrem Schoße birgt, und daß über kurz oder lang wohl die Gefahr eines Krieges unserem Vaterland nahe treten kann. Es bleibt daher nur übrig, kurz einzugehen auf das, was von den verschiedensten Seiten für und gegen zur Sache beigebracht ist; denn was meinen und meiner Freunde Stand­ punkt anlangt, so hat der Abgeordnete von Hoverbeck ihn im Zusammen­ hänge ebenso klar als schlagend vor Ihnen bereits gestern entwickelt. Zuerst wird es wohl auf die Bedenken um die Gesetzlichkeit der von der Regierung vorgenommenen Schritte ankommen, nnd dabei handelt es sich wieder zunächst darum, daß die Verwendung eines nur zu provi­ sorischen Zwecken bewilligten Kredites zu einer dauernden Reorganisation

vorliegt, welche, wenn sie konsequent durchgeführt werden muß und soll, dauernde und fortwährende Weiterbewilligungen in ihrem Gefolge hat. Der Herr Finanzminister hat bereits gestern hierüber eine weitgehende

und ausführliche Deduktion gegeben, ich muß aber gestehen, daß ich von dieser Deduktion ebensowenig befriedigt als durch die Verteidigung der von der Regierung eingenommenen Position in dieser Frage von einer Schulze-Dclitzscli, Schriften imb Reden.

4.

Z

Schulze-Delitzsch.

34

anderen Seite überrascht worden bin, nämlich durch die Verteidigung des

Der Herr Abgeordnete hatte bei seiner Ver­ teidigung das Unglück, daß er weiter ging als die Regierung selbst, daß Abgeordneten von Berg.

er mehr bewies, als zu beweisen war, und das hat sehr häufig, wie Sie wissen, juristisch zur Folge, daß man dann nichts bewiesen hat. Er hat

gesagt, man habe wirklich im vorigen Jahr für die Dauer eine Bewilligung gemacht, nicht für ein Provisorium, und er suchte dies damit zu erklären daß er deduzierte, das „einstweilig" in der Bewilligung beziehe sich auf

den Kredit, auf die Geldgewährung, und nur diese sei ein Interimistikum, aber die Maßregel, für welche diese Summen bewilligt seien, die sei nicht interimistisch gewesen, und das habe man sich auch damals schon nicht verhehlt, daß es eine dauernde sei.

Der Abgeordnete von Berg spricht laut von großer europäischer Assoziation; der Redner fährt fort, zu dem Abgeordneten von Berg gewendet:

Der Abgeordnete von Berg darf dabei im Punkte der Assoziation ruhig sein, ich meinerseits perhorresziere jede politische oder sonstige Assoziation mit ihm auf das bestimmteste. (Bewegung.) Ich bitte Sie, meine Herren, sehen Sie sich doch einmal die Worte der Gesetzesvorlage an — wo steht das Wort „einstweilig"? Der Herr Abgeordnete von Berg wird da gleich geschlagen durch die einfachste Regel der nüchternsten Interpretation, vermöge deren man das Beiwort, welches das Hauptwort charakterisiert, nur in Beziehung bringen kann zu dem Hauptwort, welchem es beigegeben ist. Das Wort „einstweilig" steht nun aber keineswegs bei der Geldbewilligung sondern bei der Maß­

regel, zu welcher das Geld bewilligt worden ist.

Es lautet das Gesetz an dieser Stelle im Zusammenhangs: „daß zur einstweiligen Aufrechthaltung und Vervollständigung der Maßregel usw. dem Herrn Kriegsminister die und die Summe bewilligt werde." Also nicht eine einstweilige Bewilligung von Summen sondern eine Bewilligung zu einer einstweiligen, zu

Meine Herren!

einer provisorischen Maßregel.

Man darf nur den Kommissionsbericht, man darf nur

die Verhandlung im vorigen Jahre über diese Gesetzesvorlage lesen, so stellt sich diese Meinung ganz unzweifelhaft heraus. Insbesondere hat hier der Herr Abgeordnete Reichensperger gesagt, wie der stenographische Bericht nachweist: „er lege ein ganz besonderes Gewicht auf den Zusatz des Wortes Einstweiligen^, weil es dadurch sowohl der Regierung wie

aller Welt gegenüber sich klar herausstelle, daß eben nur zu einer provi­ sorischen Maßregel das Geld bewilligt sei."

Und wie ist das Wort „einstweilig" kommen.

überhaupt in das Gesetz ge­

In der Regierungsvorlage stand das Wort nicht; die Kommission

hat erst darauf gedrungen, daß zur Klärung der Frage, zur Verhütung

solcher Mißdeutungen

und künstlicher Interpretationen das Wort aus­

genommen werde, eine Maßregel, der sich der Herr Finanzminister in der Kommission in keiner Weise widersetzt, sondern mit der er sich durch­ aus einverstanden erklärt hat.

Ich halte daher, so glänzend und so kühn

auch die Deduktionen des Abgeordneten von Berg in dieser Hinsicht sind,

und so sehr sich die geehrten Herren von jener Seite des Hauses (nach

den Abgeordneten von Blanckenburg^) und Genossen hindeutend) und von dieser Seite (nach den Herren Abgeordneten Reichensperger und Genossen

hindeutend) zu der Buudesgenossenschaft gratulieren können, die sie an ihm in den wichtigsten Fragen und auch heute wieder erhalten haben,

die Sache für entschieden verfehlt und kann als nüchterner Jurist solchen

Interpretationen unmöglich beitreten. Ich komme zu einem zweiten Bedenken, meine Herren, was mir

auch nicht unwesentlich scheint.

Wir kennen die Differenz, welche zwischen

der Königlichen Staatsregierung und der Majorität der Kommission dieses

Hauses im vorigen Jahre statlfand in bezug aus die organisatorische Gesetzesvorlage, welche die Regierung einbrachte.

Die Regierung wollte

dreijährige, resp, bei der Kavallerie vierjährige Dienstzeit und Beibehaltung des Landwehrsystems in seiner vollen Integrität.

Nur in einem Punkte

war man einig darüber, daß mehr wie bisher die sämtliche wehrpflichtige

und wehrfähige Mannschaft zu den Fahnen herangezogen werden sollte.

Wie stellt sich nun die Sache jetzt?

Der Herr Kriegsminister zog

seine Gesetzesvorlage zurück, weil sie auf den entschiedensten Widerstand

stieß, und trug nur auf einen provisorischen Kredit an, der in der Weise,

wie ich dargelegt habe, bewilligt worden ist, und mit diesem Kredit hat er nun allerdings, wie ich bekenne, formal innerhalb der Grenzen des Gesetzes vom 3. September 1814 die Organisation in dauernder Weise

begonnen.

Aber, meine Herren, ich sage: nur formal; denn dem Geist

und der Anlage nach geht diese schon begonnene Organisation entschieden

darauf aus, die Gesetzesvorlage, mit der man damals nicht durchkam, zu verwirklichen.

Die Kadres sind bereits gebildet, die notwendig werden,

wenn man die Landwehr aus der mobilen Armee eliminieren will.

-) Vgl. Bd. III S. 388 ff.

Mit

Schulze-Delitzsch.

36

der Einziehung der Landwehrkavallerie ist ebenfalls begonnen —

ich

glaube daher, ich sage nicht zu viel, daß alle diese Maßregeln ganz ent­ schieden auf den Weg hinführen, den ich angedeutet habe.

Dies findet

auch darin seine Bestätigung: die Kadres, die gebildet sind, können bei dem

jetzigen

zweijährigen

Reservesystem,

wie

wir

aus

dem

Kriegs­

ministerium wissen, nicht gefüllt werden, und man will auf Jahrgänge Aus allen diesen vom

der Landwehr zurückgreifen, um sie zu füllen.

Ministerium selbst ganz offen entwickelten und mit den tatsächlichen Vor­

gängen übereinstimmenden Gründen,

ich,

glaube

ist

es nicht

zuviel,

wenn sich denen, die für volle Aufrechterhaltung des Landwehrsystems sind, die Befürchtung aufdrängt, daß bei weiterer konsequenter Verfolgung

dieses Weges das Landwehrsystem gefährdet sei und daß die künftige Volksvertretung, wenn die Dinge in dieser Lage länger bleiben und weiter so fortgeführt werden, sehr leicht in die Lage kommen kann, wo ein Einlenken ohne die größten Unzuträglichkeiten nicht mehr möglich ist.

Indessen, meine Herren, würde man vielleicht über alle diese Dinge

hinwegzugehen geneigt sein,

wenn,

was die Regierung wie auch wir

beabsichtigen, die größere Streitbarkeit unseres Landes und Volkes inner­ halb der durch dessen Finanzkräfte gebotenen Schranken wirklich auf diesem Wege erreicht würde.

Meine Herren!

Ich werde mich hüten,

auf die eigentlichen Fachfragen in dieser Beziehung einzugehen; sie sind

von kompetenterer Seite längst erörtert.

Ich kann hierbei nur einige

allgemeine Gesichtspunkte hervorheben, wie sie sich auch dem militärischen Laien, namentlich nach den Belehrungen, die

uns darüber

durch die

Kommissionsberichte und sonst von allen Seiten geworden sind, aufdrängen.

Ich knüpfe bei den Befürchtungen an,

die ich und viele meiner

Freunde haben, wegen der Gefährdung des Landwehrsystems, und ich

glaube mindestens so viel beigebracht zu haben, daß diese Befürchtungen gewiß auch Ihnen ‘ nicht ohne allen Grund erscheinen.

Ich möchte bei

dieser teuren Errungenschaft unseres Volkes nur zwei Worte beibringen,

die Ihnen, das weiß ich wohl, allen bekannt sind, aber an die sich gewiß

bei der weiteren Auseinandersetzung Ich bitte den Herrn Präsidenten

recht zweckmäßig anknüpfen läßt.

um Erlairbnis, nur zwei Zeilen aus

unserer Landwehrordnung^) vorlesen zu dürfen.

Es heißt in dieser Verordnung, die die Grundlage unserer Land­ wehrverfassung bildet:

„Der Eifer, mit dem die Landwehr in

l) Preußische Gesetzsammlung 1816 S. 77.

den Provinzen

unseres

Reiches errichtet ward, die Ausdauer, mit der sie in den Reihen der übrigen Krieger kämpfte, geben ihr gerechte Ansprüche auf unseren Dank.

Die Geschichte wird der Nachwelt

glänzendes Vorbild aufzeichnen.

diese Treue,

diesen

Mut

als

ein

Doch nicht bloß das Bewußtsein treuer

Pflichterfüllung sollte der Lohn einer so edlen Hingebung sein; durch die

Errichtung der Landwehr zeigte es sich bald, daß sie auch fähig sei, fort­

dauernd zur Verteidigung des Vaterlandes beizutragen, da es durch ihre Beibehaltung möglich wird, die Kosten, welche sonst die Erhaltung der

bewaffneten Macht forderte, zu vermindern und den einzelnen Krieger

früher, als es sonst möglich war, seiner Heimat und seinem Gewerbe zurückzugeben."

Nun, meine Herren,

dieses glänzende Vertrauensvotum Friedrich

Wilhelms III., welches er seinem Volke gegeben und welches sein Volk

in den ernstesten Tagen dieses Jahrhunderts um ihn verdient hat, — daß

wir alle daran hängen und mit ihm an den größten Erinnerungen der neueren Zeit, die unsere Geschichte bietet, das wird wohl niemand wunder­

nehmen, und daß wir da nicht gern daran tasten lassen möchten, ist auch

noch aus anderen Beweggründen als bloß aus Erinnerungen sehr natür­ lich.

Die Stellung Preußens unter den europäischen Großmächten ist

nun einmal so — das ist hier und auch sonst von den kompetentesten

Seiten

anerkannt, — daß es

wahren könnte,

ohne Volksbewaffnung

niemals dieselbe

den Positionen gegenüber, welche die anderen

reicheren Militärstaaten an unseren Grenzen einnehmen.

volks­

Dabei glaube

ich noch, daß gerade dieser Umstand, obgleich er von der einen und der

anderen Seite bedauert werden mag, eher ein glücklicher für uns ist.

Denn indem unser Vaterland darauf angewiesen ist, zur Aufrechterhaltung seiner politischen Machtstellung auf sein Volk, auf dessen Hingebung, auf

ein bewaffnetes Volk rechnen zu müssen, ist die Regierung zugleich ge­ nötigt

und

gedrungen, immer die Bahnen einzuhalten, welche es eben

möglich machen, daß Negierung und Volk ihre Interessen niemals von­

einander trennen, daß sie vielmehr, da eine auf das andere angewiesen, innig miteinander Hand in Hand gehen, zur Förderung des beiderseitigen Wohls.

Mau sage nun nicht, wie von einigen Seiten geschehen, diese

Landwehreinrichtung sei wohl gut gewesen, aber sie habe sich in manchen Punkten überlebt, und es sei wohl Zeit, sie durch etwas anderes (z. B.

das Reservesystem) zu ersetzen.

Wir sind weiter gekommen, ja, meine

Herren, das ist gewiß, in technischer Hinsicht, wie in der Kriegswissen­

schaft weiter gekommen, ganz gewiß in vielen Punkten.

uns eben denn,

Aber wer hindert

diese technischen Fortschritte auf die Landwehr anzu-

Schulze-Delitzsch.

38 wenden?

Das Prinzip der Landwehr, wie jene großen Worte des seligen

Königs es aussprechen, die im Lande noch in hohem Andenken stehen, enthält große, bleibende politische Wahrheiten, die zu allen Zeiten und unter allen Völkern ihre Geltung finden werden, mag auch die militärische Wissenschaft selbst, der sich natürlich unser Heer wahrhaftig nicht ver­

schlossen hat sondern in der es eine anerkannt hohe Stellung in Europa einnimmt, inzwischen weiter gekommen sein, und der Fortschritt in dieser

Beziehung kann auch für die Landwehr, unbeschadet des Prinzips, flüssig

gemacht werden. Möchten Sie nun aber vielleicht auch meiner Ausführung in dieser

Beziehung weniger Gewicht beizulegen geneigt sein, als der mancher mir gegenüber sitzenden Fachautoritäten,

so komme ich doch nun auf eine

andere Frage, in der wir alle nicht nur kompetent sind sondern in der

wir alle bis auf einen gewissen Punkt selbst Autoritäten, wenn auch in bescheidenstem Sinne, sein, und wenigstens so viel Einsicht haben müssen, als zu einem selbständigen Urteil befähigt, sobald wir überhaupt einen

Platz in der Landesvertretung beanspruchen.

Ich meine die Finanzen.

Träfe alles das zu, was das Ministerium sagt, erhielten wir wirklich

eine größere Streitfähigkeit, erlangten wir eine tüchtigere Wehrkraft auf dem Wege, den die Regierung für den geeignetsten hält, und wir ruinierten

unsere Finanzen dadurch, so verlören wir auf der einen Seite wieder, was wir auf der anderen gewonnen hätten, tüchtigkeit wäre es aus.

und mit unserer Kriegs­

Daß man einen Krieg nicht ohne Geld führen

kann, das brauche ich Ihnen, meine Herren, nicht auseinanderzusetzen.

Nun nehmen Sie aber die Sache wie sie liegt.

Was auch der Herr

Finanzminister dagegen einwendet, die Steuersätze sind überall im ganzen Lande in den letzten Jahren bis auf die äußerst zulässige Höhe angespannt.

Die Steuerkraft des Landes ist ebenfalls in bedeutender Weise in An­ spruch genommen zu einer Zeit, wo der Verkehr vermöge der politischen

Verhältnisse mehr oder weniger darniederliegend ist.

Zudem stehen keine

sicheren Deckungsmittel, welche in den lausenden sicheren Einnahmen des Staates begründet wären, diesen sicheren Ausgaben gegenüber.

Was man

uns in dieser Beziehung seitens der Regierung sagt und wie man das Exempel ansehen mag, es gehört wenig Einsicht dazu, um zu sehen, auf wie ungewissen Dingen die ganze Rechnung beruht.

Steigerung der Abgabenerträgnisse an,

Man nimmt die

aber man nimmt diese an in

einem Moment, wo eine große Zahl produktiver Kräfte, ein bedeutendes Mehr gegen sonst, dem Gewerbe entzogen ist.

So und so viele Produ­

zenten gehen in so und so viele Konsumenten über.

Und dies ist noch

nicht alles.

Es ist eine ziemliche Zahl von Millionen, die man fordert.

Ich verweise, meine Herren, Sie auf das, was der Abgeordnete von Hover-

Es wird ganz sicher

beck Ihnen darüber überzeugend dargetan hat?)

zu noch mehr Millionen kommen, als man uns jetzt vorrechnet.

Diese

Millionen werden nun zu einer Zeit, wo außerdem die Produktivkräfte,

so geschmälert werden, dem produktiven Kapital des Landes entzogen; um so viel weniger Löhne an Arbeiter kann man zahlen, die beim Acker­ bau und in den Gewerben beschäftigt werden könnten.

Wenn Sie das in

Rechnung stellen und nun in Anschlag bringen, daß die Regierung selbst

die Fortdauer des

politisch getrübten Zustandes mit seinem Druck auf

die Gewerbeverhältnisse annimmt, wenn Sie ferner, wie wir doch müssen, den Eintritt eines Krieges mit allen seinen Kalamitäten in das Auge fassen, so begreife ich vom staats- und volkswirtschaftlichen Standpunkte aus

wie man an eine Steigerung der Abgabenerträge denken

nicht,

kann.

An eine Perminderung müssen wir denken, aber nie an ein Wachsen. Was tun wir nun?

Wir leben von Anleihen.

Wir müssen, bevor

einige der neuen Abgaben flüssig sind, selbst nach der Rechnung des Herrn

Finanzministers bedeutende Millionen zuschießen.

Staatsschatz genommen.

Diese werden aus dem

Aber das Hineingreifen in den Staatsschatz ist

doch weiter nichts als ein Zurückgreifen auf Anleihen, mit denen wir

jenen Schatz füllten: das ist schon gestern auseinandergesetzt?)

Wir dekretieren also mit einem Worte, indem wir die Regierungs­

vorlage annehmen, ein immer wachsendes Defizit und meinen dann: die nach uns

kommenden Volksvertreter könnten die Hand frei haben in

ihren Verfügungen und auf dem einmal eingeschlagenen Wege wieder

einlenken in die rechte Bahn.

Das aber, meine Herren, ist nach meiner

Ansicht eine entschiedene Selbsttäuschung.

Auf diesem Wege wird die

Sache nicht reguliert, sondern ich fürchte, wir werden dahin kommen: daß, ehe der Krieg begonnen hat, wir durch die permanente Kriegsbereitschaft

die besten Kräfte und Mittel erschöpft haben, die für die Führung des Krieges erfordert werden. Nach dem Gesagten bleibt mir nur noch übrig, mich an einzelne

Redner zu wenden, wo ich mir zunächst erlaube, von den Herren, welche

gestern gesprochen haben, die Herren Wagener und Reichensperger unter einem

zu

berücksichtigen,

da

wir ja wissen, daß sie und ihre geehrten

*) Am Tage vorher hatte v. Haverbeck den Nachweis versucht, daß die Kosten der Reorganisation mit 9 Millionen nicht zu bestreiten seien. 2) v. Hoverbeck.

40

Schulze-Delitzsch.

Freunde untereinander wie in dieser Frage, so in den meisten anderen

im innigsten Einverständnis zu sein Pflegen.

(Heiterkeit.)

Von feiten des Abgeordneten für Regenwalde

habe ich mich über

den liebenswürdigen Humor gefreut, der so oft unsere Sitzungen erheitert, indem er den Nationalverein in Verbindung mit dem Kaiser Napoleon

gebracht hat.

Allerdings hat einer der geehrten Herren Redners schon

bemerkt, daß im Ernste darauf nicht gut geantwortet werden kann.

In­

des knüpft sich eine Beziehung daran, die recht eigentlich mit dem Gegen­ stände unserer Debatte zusammenhängt.

Ich halte den Kaiser Napoleon

von Frankreich für den allergefährlichsten und bedeutendsten Gegner und

Feind unseres Volkes, den wir überhaupt haben.

Aber gerade in den

Eigenschaften, die ihn für uns dazu machen, liegt es, daß er mehr als andere imstande ist, wie er es in Italien bewiesen hat, die Bedeutung

einer nationalen Bewegung zu würdigen, und daß er geneigt ist, vor einer solchen, wenn sie energisch hervortritt, mehr Respekt zu haben, als selbst vor einer gut geschulten Armee. Übrigens ist ja der National­ verein, wie Sie wissen, dasjenige Institut, welches die Herren ans jener

Seite (rechts) stets vorschieben, wenn sie der nationalen Bewegung über­

haupt, aus der er hervorgegangen ist, und die ihnen natürlich von ihrem

Standpunkte aus

höchst widerwärtig sein muß, entgegentreten wollen.

Dies ist auch wirklich ganz zweckmäßig, weil sich, anstatt jener nicht recht

greifbaren Strömung, einem solchen bestimmten Vereine viel besser bei­ kommen läßt, namentlich dann auch das so beliebte Mittel der Denun­ ziation besser macht.

(Sehr richtig!)

Was den geehrten Herrn Abgeordneten für Geldern ”) betrifft, so

hat er

bei

seinem Angriffe gegen

Deutschem Geiste gesprochen.

den Nationalverein

sehr

viel

von

Ich habe in dieser Beziehung mich um so

mehr darüber gefreut, als sonst der Kultus des Geistes gerade nicht Sache

der klerikalen Partei zu sein scheint.

(Heiterkeit.

Widerspruch.)

Das Originellste von allem, was jemals gegen den Nationalverein vorgebracht ist, bleibt aber die Ausführung des geehrten Abgeordneten: ’) Wagener hatte gesagt, die Streitfrage werde nicht von dem National­ verein gelöst sondern von Napoleon, in deflen Händen der Nationaloerein nur ein Werkzeug sei. s) Dr. Falk (Oletzko-Lyck-Johannisburg). 3) Reichensperger hatte gesagt, das für Deutschland Notwendige könne nicht auf den Wegen des Nationalvereins erreicht werden, der nur die eine nationale Eigenschaft habe, das Nationaldeutsche mit allen Kräften zu demütigen. Er hoffe, daß der deutsche Geist sich zum Guten wenden und daß die nationalen Einheits­ bestrebungen aus der falschen Negation den Weg herausfinden werden.

„daß bereits seit fünfzig Jahren vergeblich von den Fürsten und dem Bundestage an der Einigung Deutschlands gearbeitet werde!"

(Beisall.)

Ja, mein Himmel, darin liegt ja eben der Grund, daß die ganze

nationale Strömung sich unaufhaltsam über Deutschland ergoß bei der letzten Bedrohung unserer Grenzen, als alle Deutschen fühlten, daß die nationale Existenz, die politische Machtstellung ihres Vaterlandes durch die Säumnis der Fürsten bedroht sei. Muß denn nicht dann das Volk selbst die Initiative zur Wahrung seiner heiligsten, seiner nächsten Interessen, wo es sich um sein Fortbestehen unter den Völkern Europas

handelt, ergreifen, wenn man von feiten der Regierungen säumig darin

ist? Und wie kann man, da das letztere fünfzig Jahre hindnrch der Fall gewesen ist, da man in fünfzig Jahren nichts geschaffen hat als jenen Bundestag, den wir alle verwerfen und mit beni das geehrte Mitglied für Geldern selbst nicht zufrieden ist — wie mag man dann noch dem Nationalverein und der nationalen Bewegung überhaupt mit einem solchen Grunde entgegentreten?! In der Tat, meine Herren, ich habe dem geehrten Mitgliede für seine Verteidigung des Nationalvereins wider Willen nur zu danken. (Heiterkeit.) Die Ziele, welche der Verein verfolgt, liegen klar vor aller Augen. Um der nationalen Bewegung und ihrer notwendigen Allgemeinheit etwas Bestimmtes zu supponieren, sie zu ganz festen Zielen hinzuleiten und ganz bestimmte Mittel, die gesetzliche Agitation zur Verwirklichung dieser Ziele überhaupt in Anregung zu bringen, ist der Nationalverein ent­ standen. Was ist eins der Ziele, in welcher Weise erstrebt er denn die

deutsche Einigung? Durch die Führerschaft Preußens in militärischer und diplomatischer Hinsicht, welchem man die Zentralgewalt mit einer Volksvertretung an der Seite anvertraut wissen will. Dies ist das offene Banner, das ausdrücklich angenommene Programm, unter welchem der Nationalverein vor den Augen aller Welt operiert. Die preußische

Hegemonie in der Diplomatie und die preußische Hegemonie im Kriege! Und nun frage ich, welche Meinung hat das Mitglied für Regenwalde denn nun eigentlich von der Kapazität und von der Berechtigung Preußens, diese Führerschaft zu übernehmen, wenn er den Verein, welcher dieselbe ausdrücklich für Preußen vindiziert, beschuldigt, er konspiriere mit Frank­

reich? Nun, meine Herren, wenn das konspirieren mit den Feinden Deutschlands heißt, daß man unsere Regierung, unseren König an die Spitze von Deutschland stellen will, dann hört alle Deduktion auf logischen

Grundlagen für mich auf. (Lebhafte Heiterkeit.) Weiter hat das verehrte Mitglied für Regenwalde noch einige Be-

42

Schulze-Delitzsch.

Wertungen gemacht, die ich besonders erwähnen muß.

Die erste — ich

glaube, meine Herren, Sie haben es gleich mir zum großen Teil mit Staunen gehört — betrifft „das außerordentliche Opfer, welches seine Partei bei Annahme der Grundsteuervorlagen gebracht habe, und das

uns nun bestimmen müsse, den Militärvorlagen der Regierung beizn« stimmen." Wenn man das so hört, so sollte man eigentlich auf die Meinung kommen, daß von einer Entschädigung dabei gar keine Rede

gewesen sein könnte?) (Heiterkeit.) Denn, meine Herren, Opfer, welche darin liegen, wenn man sich eine Steuer auferlegen, dafür aber zu gleicher Zeit ein Entschädigungs­

kapital vom Staate geben läßt, so sind das Opfer von einer Kategorie, die überhaupt gar nicht unter den Begriff gebracht werden können. (Große Heiterkeit.) Ja, meine Herren, ich würde von feiten der verehrten Herren, wenn

ich gleich ihnen auf dem Standpunkt stände, daß ich eine berechtigte, bleibende, auf sozialen und moralischen Grundlagen basierte Aristokratie für notwendig hielte, so würde ich es für ein Opfer halten, wenn ich mir anmuten lassen sollte, dafür, daß ich in die allgemeine Bürgerpflicht wie jeder andere als Steuerzahler einrangiert würde — dafür mir eine Entschädigung zahlen zu lassen. (Heiterkeit.) Das würde ich meinerseits von dem angedeuteten wahrhaft aristo­ kratischen Standpunkte ans für ein Opfer halten. Daß die Herren es anders angesehen haben und einen anderen Weg einschlagen, das ist gewißlich keiner der Bausteine zur Aufrichtung der moralischen Grund­ lagen unserer Aristokratie. (Wiederholte Heiterkeit.) Weiter hat er die Ernte erwähnt, die, wenn in der Weise mit der Militärorganisation vorgegangen würde, die, wie ich glaube, von der Majorität des Hohen Hauses gewünscht wird — mit Einführung einer

zweijährigen Dienstzeit und Erhaltung des Landwehrsystems, sowie Ein*) Durch die Gesetze vom 21. Mai 1861 „betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer und betreffend die für die Aufhebung der Grundsteuerbefreiungen und Bevorzugungen zu gewährende Entschädigung" wurden alle bisher grund­ fteuerfreien oder bevorzugten Grundstücke, mit Ausnahme des Staatsgrundbesitzes und der Domanialgrundstücke der Standesherren, vom 1. Januar 1865 ab ihrem Reinertrag entsprechend gleichmäßig zur Grundsteuer herangezogen gegen Ge­ währung einer Entschädigung. Nachweisbare Steuerfreiheit sollte mit dem 20 fachen des neuen Grundsteuerbetrages abgelöst werden. Wo der Nachweis nicht geführt werden konnte, sollte eine Entschädigung in Höhe des 13'/» fachen Betrages derjenigen Summe bezahlt werden, welche die Besitzer dieser Grund­ stücke jetzt mehr als früher zu entrichten hatten.

rangiernng aller Waffen-, Wehrpflichtigen- und Fähigen in das stehende Heer — dann würden wir, ich und meine politischen Freunde, die Ernte

davon haben.

Nun, meine Herren, schon nach dem Vorhingesagten ver­

stehe ich einen solchen Standpunkt des geehrten Redners wohl.

Ich

könnte leicht darauf erwidern, ebenfalls von jenem Standpunkte aus, wenn das Gegenteil von dem, was wir beantragen, angenommen werde,

daß alsdann die Ernte an ihn nnd seine Freunde fallen würde. Aber auf einen solchen Standpunkt stelle ich mich gar nicht, obgleich

Eine politische Partei wie die (einige, die ihre ganze Beteiligung an dem Aufbau unserer Institutionen immer ich ihn bei ihm natürlich finde.

nur dazu benutzt hat, für sich, auf Kosten des Gemeinwohls, besondere Standesprivilegien und Vorteile durchzusetzen, die ist natürlich geneigt,

bei jeder anderen politischen Partei auch gleiche Motive vorauszusetzen, eben weil sie sich selbst keiner anderen bewußt ist. Ja, meine Herren,

wir wollen ernten, aber nur miternten, denn zu dem politischen Programm der Partei, welcher ich angehöre, gehört es wahrhaftig nicht, irgendeine Klaffe von Staatsbürgern von der Miternte, von dem gleichen Rechte und Vollgenuß der Wohltaten eines freien Staatslebens

ausznschließen. Weiter bin ich erfreut, daß mich die eingehende und theoretisch gewiß ganz korrekte Erwiderung des Herrn Finanzministers überhoben hat, der sonstigen Äußerung des Mitgliedes für Regenwalde entgegen­ zutreten, daß wir nämlich uns, indem wir bei den Budgetberatungen die

Frage der Bewilligung oder Nichtbewilligung der Forderungen der Regierung für die Reorganisation des Heerwesens in die Debatte ziehen, uns eines Eingriffs in die Rechte des Kriegsherrn schuldig machen. Ich wünsche nur, daß seitens des Herrn Finanzministers die entwickelten

Grundsätze auch immer exekutiert werden und daß den Worten auch immer die Taten in gleicher Linie zur Seite stehen möchten. Gewiß, das knüpft sich wohl unmittelbar hier an sowie an die Aufforderung des Herrn Abgeordneten Wagener an die Negierung, von der Mitwirkung des Landtages in der vorliegenden Frage ganz abzusehen, daß diese Frage, welche diesmal mit solcher Bestimmtheit an das Haus getreten

ist, ein rechter Probestein sei, ob und inwieweit das konstitutionelle Leben

bei uns bereits Wurzel gefaßt hot, ein Probestein sowohl nach oben, nach feiten der Regierung hin, als auch ein Probestein nach feiten der Volks­ vertretung. Aus diesem Grunde erlaube ich mir nur noch schließlich, wenige Worte an diejenigen verehrten Mitglieder, die sachlich in dem, was für

44

Schulze-Delitzsch.

die künftige Militärorganisation für das Land wünschenswert und heilsam ist, vollkommen auf demselben Boden mit uns stehen, an die verehrten

Mitglieder auf dieser (der rechten) Seite des Hauses.

Sie wollen gleich

uns die zweijährige Dienstzeit im stehenden Heer, sie wollen gleich uns die Integrität der Landwehr, zugleich aber auch die Einstellung aller

Waffenfähigen.

Sie wollen

dies

bewirken,

indem

sie,

solange

eine

Regierungsvorlage in diesem Sinne nicht gemacht wird, bloß interimistische

Bewilligungen, keine definitiven machen, die Ansätze in das Extraordinarium bringen wollen. Meine Herren!

Ich saß zu jener Zeit, von welcher die Differenz

herrührt, nicht innerhalb des Hauses, dem ich erst seit kurzem anzugehören

die Ehre habe.

Ich kann also ganz unbefangen von dem Eindruck jener

Beschlüsse^) im Lande Kunde geben.

rechten Bedeutung verstanden.

Aber

Sie wurden damals nicht in ihrer

seitdem ich die stenographischen

Berichte, die Kommissionsberichte gelesen, seitdem bekenne ich, obgleich ich

früher einen anderen Standpunkt eingenommen habe, offen und ungescheut, daß ich,

wie dies bei jedem Unbefangenen der Fall sein würde, mich

überzeugt habe,

mit welcher eingehenden

Sachkenntnis

haftigkeit Sie alles erwogen und beraten haben.

des Hauses damals abgegebene Votum

und Gewissen­

Das von der Majorität

ist mir jetzt vollkommen

ver­

ständlich, ich würde es vielleicht auch meinerseits damals geteilt haben. Aber, meine Herren, ein solches Verfahren, das, was sich damals recht­ fertigen mochte, ist jetzt nach den Erklärungen der Regierung, wie wir

sie gehört haben, nach meiner Ansicht nicht mehr möglich.

Ihnen seitens der Regierung

Wenn man

sagt: wir haben den zu interimistischen

Zwecken bewilligten Kredit zur Herbeiführung einer dauernden Organisation

benutzt, und wir werden dies auch ferner tun, weil natürlich auf dem Boden solcher Organisationen gar nicht wohl anders verfahren werden kann, so können Sie sich jetzt noch unmöglich in der Ansicht behaupten,

daß Ihre interimistische Bewilligung

eine Wirkung der Art ausüben

könne, daß sich die Regierung dadurch bestimmen ließe, Ihnen die ver­

langte Gesetzesvorlage zur verfassungsmäßigen Regelung der Sache zu

machen.

Das einzige verfassungsmäßige Mittel, denn von einem andern

kann bei uns natürlich nicht die Rede sein, ist und bleibt: daß wir eben allen

anderen Vorlagen und Geldforderungen

entschieden

unsere Zu­

stimmung verweigern, damit wir nicht der Organisation nach anderer

Richtung hin, als der von uns für heilsam geachteten, Vorschub leisten.

*) Vgl. S. 30 ff.

Nur so erreichen wir möglicherweise, daß sich vielleicht die Regierung zu einer Gesetzesvorlage in unserem Sinne entschließt. Einen anderen Weg gibt es nicht, und ich halte es für eine Selbsttäuschung, wenn man meint,

jetzt noch auf dem früheren Wege der extraordinären oder provisorischen

Bewilligungen darüber hinwegkommen zu können. Jetzt gibt es nur noch eine Alternative für uns alle: entweder sich einverstanden erklären mit dem Reorganisationsplane der Regierung und

die dazu erforderlichen Mittel auf dem Ordinarium zu bewilligen, oder sich nicht einverstanden damit zu erklären und die Mittel dazu überhaupt

nicht zu bewilligen. Ein drittes Mittel zu einer Maßregel, die man nicht billigt, interimistisch zu bewilligen, und dadurch auf eine Änderung der Sachlage wirken zu wollen, — das, muß ich gestehen, scheint mir, wie die Sache jetzt liegt, undenkbar, obwohl ich zugestehe, daß es im vorigen Jahre damit ganz anders lag und daß man sich im vorigen Jahre wohl noch der Hoffnung hingeben konnte, auf solche Art das Ziel zu erreichen. Jetzt aber kann eine Beschwichtigung durch einen solchen Mittelweg zu gar nichts führen; sie kann nicht dazu führen, daß wir uns

selbst genug tun, nicht dazu führen, daß wir der Regierung genug tun, und nicht dahin führen, daß wir dem Lande genug tun. Ich meine daher und glaube dabei vollständig auf dem Standpunkte zu stehen, der der Volksvertretung gebührt und durchaus kein Recht für mich in Anspruch zu nehmen, was nicht lediglich ein verfassungsniäßiges wäre und von diesem Standpunkte aus, welchen ich für jeden unter uns in Anspruch nehme, halte ich mich zu der Bitte an Sie berechtigt: vereinigen Sie sich mit uns bei der Verweigerung der zur Reorganisation des Heeres von der Regierung geforderten Mittel, weil es der einzige verfassungsmäßige Weg ist, um eine Heeresorganisation in Ihrem, wie in unserem Sinne

vielleicht herbeizuführen.

(Bravo.)

Nach lange fortgeführter Debatte wurde bei der Abstimmung am

3(. Mai zunächst ein Antrag Kühne (Berlin) angenommen: als Bedarf für die Aufrechterhaltung der Kriegsbereitschaft des Heeres an wiederkehrenden und einmaligen Ausgaben die Summe von 4. {32025

Talern zu bewilligen und der Königlichen Staatsregierung zu überlassen, die in dem Etat aufgenommenen Ausgabepositionen um 750000 Taler zu ermäßigen und dadurch auf den bewilligten Gesamtbetrag zurückzu­

führen.

Ferner wurde beschlossen, die obige Summe im Lxtraordinarium

zu bewilligen.

Schulze enthielt sich in beiden Fällen der Abstimmung.

Darauf nahm das ^aus noch einen Antrag mit großer Majorität an,

Schulze-Delitzsch.

46

demzufolge die Regierung bei Aufrechterhaltung der Reorganisation ver. pflichtet sein sollte, spätestens dem nächsten Landtage ein Gesetz behufs

Abänderung

des Gesetzes

vom

3. September 181^

über

die Ver­

pflichtung zum Ariegsdienste vorzulegen.

90. Briefe an Rudolf von Bennigsen. I. Berlin, 6. Juni 1861. Lieber Bennigsen! Endlich ist gestern das Programm der Deutschen Fortschrittspartei

in Preußen von mir, v. Haverbeck, v. Forkenbeck^) im Namen unserer

Fraktion

v. Unruh,

mit

Mommsen,

Virchow,

der

Redakteuren

den

National-, Volks- und Vossischen Zeitung vereinbart, und ich habe nicht wenig

Mühe

gehabt,

die

Leute zusammenzubringen

gesprochenen und bewußten Losung einer Koalition.

unter

der

aus­

Die deutsche Frage

ist vorangestellt — Zentralgewalt in den Händen Preußens mit deutscher Volksvertretung, wie sich von selbst versteht — die Presse kriegt es in

den nächsten Tagen; wir aber senden es zunächst in die Provinzen, um

Unterschriften zu

sammeln von Männern

von

Gewicht, wonächst

Ende Juni mit diesen Unterschriften veröffentlicht wird.

es

Ich sende Dir

Ich reise nämlich heute nach

sofort ein Exemplar, sobald ich es erhalte.

Delitzsch zurück und gehe dann mit meiner Familie nach Kösen, wo ich

schon Anfang nächster Woche eintreffe und den Sommer verlebe. Mit der Generalversammlung^) steht es wegen der Zeit recht übel. Freilich

müssen

die preußischen Richter

die vorgeschlagenen Tage des

August wünschen, für alle anderen aber ist die erste Septemberwoche die beste, namentlich für die Besucher des volkswirtschaftlichen Kongresses, der

vom 9. bis 12. September in Stuttgart stattfindet. scheiden, welche Rücksicht die richtigere ist.

Ich mag nicht ent­

Mir selbst wird es kaum

möglich, im voraus zur Generalversammlung und vorhergehender Aus-

schußsitzuug zuzusagen, da ich mich in der absolut zwingenden Lage be­ finde, den Sommer zu literarischen Arbeiten für meine Existenz zu be*) Max von Forkenbeck 1821 bis 1892; Rechtsanwalt in Breslau, später Oberbürgermeister von Berlin. s) Des Nationalvereins.

Schulze-Delitzsch.

46

demzufolge die Regierung bei Aufrechterhaltung der Reorganisation ver. pflichtet sein sollte, spätestens dem nächsten Landtage ein Gesetz behufs

Abänderung

des Gesetzes

vom

3. September 181^

über

die Ver­

pflichtung zum Ariegsdienste vorzulegen.

90. Briefe an Rudolf von Bennigsen. I. Berlin, 6. Juni 1861. Lieber Bennigsen! Endlich ist gestern das Programm der Deutschen Fortschrittspartei

in Preußen von mir, v. Haverbeck, v. Forkenbeck^) im Namen unserer

Fraktion

v. Unruh,

mit

Mommsen,

Virchow,

der

Redakteuren

den

National-, Volks- und Vossischen Zeitung vereinbart, und ich habe nicht wenig

Mühe

gehabt,

die

Leute zusammenzubringen

gesprochenen und bewußten Losung einer Koalition.

unter

der

aus­

Die deutsche Frage

ist vorangestellt — Zentralgewalt in den Händen Preußens mit deutscher Volksvertretung, wie sich von selbst versteht — die Presse kriegt es in

den nächsten Tagen; wir aber senden es zunächst in die Provinzen, um

Unterschriften zu

sammeln von Männern

von

Gewicht, wonächst

Ende Juni mit diesen Unterschriften veröffentlicht wird.

es

Ich sende Dir

Ich reise nämlich heute nach

sofort ein Exemplar, sobald ich es erhalte.

Delitzsch zurück und gehe dann mit meiner Familie nach Kösen, wo ich

schon Anfang nächster Woche eintreffe und den Sommer verlebe. Mit der Generalversammlung^) steht es wegen der Zeit recht übel. Freilich

müssen

die preußischen Richter

die vorgeschlagenen Tage des

August wünschen, für alle anderen aber ist die erste Septemberwoche die beste, namentlich für die Besucher des volkswirtschaftlichen Kongresses, der

vom 9. bis 12. September in Stuttgart stattfindet. scheiden, welche Rücksicht die richtigere ist.

Ich mag nicht ent­

Mir selbst wird es kaum

möglich, im voraus zur Generalversammlung und vorhergehender Aus-

schußsitzuug zuzusagen, da ich mich in der absolut zwingenden Lage be­ finde, den Sommer zu literarischen Arbeiten für meine Existenz zu be*) Max von Forkenbeck 1821 bis 1892; Rechtsanwalt in Breslau, später Oberbürgermeister von Berlin. s) Des Nationalvereins.

Reden in der Konfliktszeit. nutzen?)

47

Meine Stellung in der preußischen Volksvertretung verbietet

mir absolut, dem Justizminister auch nur ein Wort wegen meiner Zu­

lassung als Rechtsanwalt zu gönnen, obschon mir das Gesuch nicht ab­ Da will ich nun mit Agenturen mich ein­

geschlagen werden würde.

richten, die mir reichlich angetragen werden, und mir so ein Bureau gründen, um das deutsche Genossenschaftswesen fortführen zu können. — Die materielle Unabhängigkeit ist die Grundlage jeder anderen, darüber

sind wir wohl einverstanden. Ich kann mich daher beim besten Willen nur auf die Reisen im September einlassen,

wo ich die Rheinprovinz

und Westfalen durch­

nehmen will; vielleicht auch einen Ausflug nach Sonneberg mit Streit, den wir längst besprochen haben.

Sonst liege ich an der Kette, muß

zwei neue Bücher und eine ganz umzuarbeitende Auflage eines alten fertig machen, da hilft nichts I

Ich

schreibe

ausführlich

dem

mit

Programm.

Ist die Adresse

per Pattensen sicher?

*





II. Kösen, 15. Juni 1861. Lieber Bennigsen! Du

kennst

das

Programm

der

Deutschen

Fortschrittspartei

in

Preußen bereits durch die Zeitungen, indessen lege ich ein Exemplar bei, wie es mir erst heute indirekt über Delitzsch zugeht.

Die Programme

gehen nun in die Provinzen, und sollen die Unterschriften Ende Juni

veröffentlicht werden. Der Name Deutsche Fortschrittspartei ist nicht glücklich.

Ich hatte

Nationale Partei vorgeschlagen, weil dies nicht bloß die deutsche Politik

sondern

die

ganzen

dynastischen einschließt.

übrigen

Tendenzen

der

Partei

gegenüber

der

Nun, dem Namen der künftig aus den Wahlen

hervorgehenden Partei ist ja damit nicht vorgegriffen. Sonst ist vieles zu sagen.

Könntet Ihr eine Vorstandssitzung")

vielleicht einmal in Weimar ansetzen, so käme ich wohl dahin, aber viel weiter kann ich nicht weg, ich bin gar zu sehr zurück und muß jede

Stunde nutzen.

Für den September will ich mich aber bestimmt für

*) Die Generalversammlung fand Ende August 1861 statt; Schulze nahm an ihr teil. Vgl. Bd. III S. 182. 2) Des Nationalvereins.

Reden in der Konfliktszeit. nutzen?)

47

Meine Stellung in der preußischen Volksvertretung verbietet

mir absolut, dem Justizminister auch nur ein Wort wegen meiner Zu­

lassung als Rechtsanwalt zu gönnen, obschon mir das Gesuch nicht ab­ Da will ich nun mit Agenturen mich ein­

geschlagen werden würde.

richten, die mir reichlich angetragen werden, und mir so ein Bureau gründen, um das deutsche Genossenschaftswesen fortführen zu können. — Die materielle Unabhängigkeit ist die Grundlage jeder anderen, darüber

sind wir wohl einverstanden. Ich kann mich daher beim besten Willen nur auf die Reisen im September einlassen,

wo ich die Rheinprovinz

und Westfalen durch­

nehmen will; vielleicht auch einen Ausflug nach Sonneberg mit Streit, den wir längst besprochen haben.

Sonst liege ich an der Kette, muß

zwei neue Bücher und eine ganz umzuarbeitende Auflage eines alten fertig machen, da hilft nichts I

Ich

schreibe

ausführlich

dem

mit

Programm.

Ist die Adresse

per Pattensen sicher?

*





II. Kösen, 15. Juni 1861. Lieber Bennigsen! Du

kennst

das

Programm

der

Deutschen

Fortschrittspartei

in

Preußen bereits durch die Zeitungen, indessen lege ich ein Exemplar bei, wie es mir erst heute indirekt über Delitzsch zugeht.

Die Programme

gehen nun in die Provinzen, und sollen die Unterschriften Ende Juni

veröffentlicht werden. Der Name Deutsche Fortschrittspartei ist nicht glücklich.

Ich hatte

Nationale Partei vorgeschlagen, weil dies nicht bloß die deutsche Politik

sondern

die

ganzen

dynastischen einschließt.

übrigen

Tendenzen

der

Partei

gegenüber

der

Nun, dem Namen der künftig aus den Wahlen

hervorgehenden Partei ist ja damit nicht vorgegriffen. Sonst ist vieles zu sagen.

Könntet Ihr eine Vorstandssitzung")

vielleicht einmal in Weimar ansetzen, so käme ich wohl dahin, aber viel weiter kann ich nicht weg, ich bin gar zu sehr zurück und muß jede

Stunde nutzen.

Für den September will ich mich aber bestimmt für

*) Die Generalversammlung fand Ende August 1861 statt; Schulze nahm an ihr teil. Vgl. Bd. III S. 182. 2) Des Nationalvereins.

48

Schulze-Delitzsch.

Rheinland und Westfalen flottmachen.

Die diesjährigen Wahlen in

Preußen sind für die deutsche Sache gar zu wichtig, als daß wir uns nicht mit ganzer Kraft dafür einlegen sollten, denn die drei Jahre der

nächsten Legislaturperiode bringen nach menschlicher Berechnung die Krisis. ♦



*

Das Gründungsprogramm der Deutschen Fortschrittspartei lautete: 3m November dieses Jahres endigt die Legislaturperiode des gegenwärtigen Abgeordnetenhauses. Noch im Laufe des Jahres wird daher das ganze Volk zu einer Neuwahl seiner Abgeordneten berufen werden. Der drängende Ernst der Zeiten, die unsichere Lage der äußeren Verhältnisse unseres Vaterlandes, die inneren Schwierigkeiten, denen das gegenwärtige Abgeordnetenhaus sich nicht ge­ wachsen zeigte, verpflichten wie noch nie zuvor jeden wahlberechtigten Preußen zu einer eifrigen und furchtlosen Betätigung seiner politischen Überzeugung in Ausübung seines Wahlrechts. Um dieser Pflicht zu genügen und den Mitbürgern, welche derselben Überzeugung mit uns sind, einen festen Mittelpunkt bei den

bevorstehenden Wahlen zu geben, sprechen wir schon jetzt die politischen Grund­ sätze, die uns bei denselben leiten, in nachstehendem Wahlprogramm aus: wir sind einig in der Treue für den König und in der festen Überzeugung, daß die Verfassung das unlösbare Band ist, welches Fürst und Volk zusammenhält. Bei den großen und tiefgreifenden Umwälzungen in dem Staatssysteme Europas haben wir nicht minder die klare Einsicht gewonnen, daß die Existenz und die Größe Preußens abhängt von einer festen Einigung Deutschlands, die ohne eine starke Zentralgewalt in den fänden Preußens und ohne gemeinsame deutsche Volksvertretung nicht gedacht werden kann. Für unsere inneren Einrichtungen verlangen wir eine feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger sieht, es versteht, ihren Grundsätzen in allen Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen, und uns auf diesem Wege die Achtung der übrigen deutschen Stämme erringt und erhält. 3n der Gesetzgebung scheint uns die strenge und konsequente Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechtsstaates eine erste und unbedingte Notwendigkeit» wir verlangen daher insbesondere Schutz des Rechtes durch wirklich unabhängige Richter und diesen Schutz für jedermann leicht zugänglich, demnach Beseitigung des Anklagemonopols einer abhängigen Staatsanwaltschaft, Aufhebung des Gesetzes vom 8. April 18^7 über das Verfahren bei Kompetenzkonflikten, Auf­ hebung des Gesetzes vom 15. Februar 185^, betreffend die Konflikte bei gericht­ lichen Verfolgungen wegen Amts- und Diensthandlungen, überhaupt wirkliche Verantwortlichkeit der Beamten, endlich Wiederherstellung der Kompetenz der Geschworenen für politische und Preßvergehen. wir verlangen dann weiter endlichen Erlaß des in Artikel 6 t der Ver­ fassung in Aussicht gestellten Gesetzes über Verantwortlichkeit der Minister. Nicht minder notwendig erscheint uns zu Preußens Ehre und zum Ausbau der Verfassung die Herstellung einer auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung und

der Selbstverwaltung gestützten Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverfassung unter Aufhebung des ständischen Prinzips und der gutsherrlichen Polizei. Vie in Art. XII der Verfassung gewährleistete Gleichberechtigung Religionsgenossenschaften muß mit Nachdruck gewahrt werden.

aller

Vie Hebung des Unterrichtswesens in der Volksschule sowie in den Real­ schulen und Gymnasien kann nur durch den endlichen Erlaß des Unterrichtsgesetzes nach Beseitigung der ministeriellen verfassungswidrigen Regulative und Normal­ vorschriften erfolgen. In diesem Unterrichtsgesetze sowie der dringenden Ehe­ gesetzgebung muß bei letzterer durch die Annahme der obligatorischen Zivilehe die Trennung des Staates von der Kirche festgehalten und vervollständigt werden. Die unerwartet großen Lasten, die in der vergangenen Legislaturperiode dem Lande auferlegt sind, fordern unbedingt, daß die wirtschaftlichen Kräfte des Landes gleichzeitig entfesselt werden, somit, daß eine Revision der Gesetzgebung, wie sie bereits vom gegenwärtigen Abgeordnetenhause in seinen Resolutionen niedergelegt ist, ins Leben trete.

^ür die Ehre und die Machtstellung unseres Vaterlandes, wenn diese Güter durch einen Krieg gewahrt oder erlangt werden müssen, wird uns niemals ein Opfer zu groß sein; im Interesse einer nachhaltigen Kriegführung aber erscheint uns die größte Sparsamkeit für den Militäretat im Frieden geboten, wir hegen die Überzeugung, daß eine Aufrechterhaltung der Landwehr, die allgemein ein­ zuführende körperliche Ausbildung der Jugend, die erhöhte Aushebung der waffen­ fähigen Mannschaft bei zweijähriger Vienstzeit für die vollständige Kriegstüchtigkeit des preußischen Volkes in Waffen Bürgschaft leistet.

Die Erreichung dieser Ziele wird aber, das muß auch dem blödesten Auge nach der Geschichte der drei letzten Jahre unbedingt klar sein, ein frommer Wunsch bleiben, solange nicht auf verfassungsmäßigem Wege eine durchgreifende Reform des gegenwärtigen Herrenhauses erfolgt ist. Diese muß daher als der Anfang aller Reformen vor allem mit Energie angestrebt werden. wir fordern nun alle Gleichgesinnten auf, Männer zu wählen, die diese Grundsätze, die Grundsätze der Deutschen Fortschrittspartei :m kserzen tragen, Männer, deren Charakter und äußere Lebensstellung dafür bürgt, daß sie diese Grundsätze offen und von Rücksichten jeder Art unbeirrt im Abgeordnetenhause bekennen. wir halten es endlich für die Pflicht eines jeden Gleichgesinnten, den seine Mitbürger zum Abgeordneten wählen wollen, mit Hintansetzung allen eigenen Interesses dem Vertrauen seiner Mitbürger durch Annahme des Mandats zu ent­ sprechen. Im verfassungsmäßigen Staate werden Ziele nur durch ebenso furchtlose als konsequente und zähe Ausübung verfassungsmäßiger Rechte erreicht. Mögen daher alsbald im ganzen Lande unsere gleichgesinnten Mitbürger, fernerliegende Meinungsunterschiede vergessend, von der verfassungsmäßigen Frei­ heit des Vereinsrechts zum Zwecke der Wahlen — § 2\ des Gesetzes vom U. März 1850 — durch Bildung von Lokal-Wahlvereinen oder Komitees Gebrauch machen. (Das Programm trug außer den Namen der oben genannten Abgeordneten noch diejenigen von Bankier L. Delbrück, Verlagsbuchhändler Franz Duncker, Schulze-Delitzsck, Schriften und Reden. 4. 4

50

Schulze-Delitzsch.

Fabrikant Larl Elster, Schriftsteller Frese, verlagsbuchhänbler Guttentag, SanitLtsrat Dr. Holthoff und Dr. med. Langerhans, sämtlich in Berlin, zu welchen u. a. die Namen von Philipps, früher Oberbürgermeister in Elbing, Dr. Johann Jacoby, Dr. Rosch und Professor Dr. Albert Hänel in Königsberg, Dr. Elsner und Dr. Stein in Breslau traten.)

91. Rede in der Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahlkreises am 26. November 1861. (Nach der Nationalzeitung.)

Am November 1861 fanden die Urwahlen zu der neuen Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses statt. Sie ergaben für die Deutsche Fortschrittspartei einen selbst für deren Mitglieder unerwarteten Erfolg; im dritten Berliner Wahlkreis war die Wiederwahl Schulzes gesichert. Am 26. November entwickelte er vor einer Versammlung der Wahlmänner sein politisches Programm in einer Rede, über welche die Nationalzeitung wie folgt berichtet: Erst in diesem Jahre in diesem Bezirk zum Abgeordneten erwählt, sei der Redner sich bewußt, nicht abgewichen zu sein von den damals an derselben Stelle entwickelten Ansichten.^) Seitdem hätten sich die Dinge wenig geändert; die größten und wichtigsten Fragen seien als keine sehr glückliche Erbschaft auf die nächste Legislaturperiode gediehen. Er wolle daher die Beobachtungen und Erwägungen, die er aus der kreisenden Wahlbewegung mitgebracht, und die in weiteren Kreisen Beachtung verdienten, zum Thema wählen. Im ganzen habe die rege Beteiligung des Volkes bei den jetzigen Wahlen ganz gewiß eine Seite, welche für das jetzige Ministerium ein ehrendes Zeugnis ablege: Offenheit der Diskussion mit strenger Wahrung der gesetzlichen Schranken zeige ein gewisseSicherheitsgefühl, daß man nicht von höchster Stelle aus, wie bei dem vorigen Ministeriums) jenen ungesetzlichen Druck auszuüben genötigt sei, der dem Volke eines seiner wichtigsten Rechte verkümmerte; das Vertrauen zu den Ministern sei die Grundstimmung. Diese habe nur Bestätigung gefunden in dem ersten Wahlerlaß des Ministers des Innern, als er den großen konstitutionellen Grund­ satz ausgesprochen, es solle nirgends eine ungesetzliche Beeinflussung der Wahlen stattfinden. Aber kaum habe die Wahlbewegung frisch und fröhlich im Lande begonnen, da habe auch schon das offizielle Preßorgan seinen ungerechten Kampf gegen die entschieden liberale Partei begonnen, und mit einem Male war die unter dem Ministerium Manteuffel vollständig vergriffene „Umsturzpartei" in der Deutschen Fortschrittspartei von neuem aufgelegt. (Bravo! und Heiterkeit.) Die Wähler aus den Provinzen könnten Zeugnis dafür ablegen, wie solche Äußerungen gegen das Interesse des Ministeriums ausgebeutet würden. Es sei unbegreiflich, weshalb das Ministerium sich ohne allen Grund als im Zwie­ spalt mit der Deutschen Fortschrittspartei bezeichne, denn es bezeichne sich dadurch

i) Vgl. oben S. I ff. a) Ministerium Manteuffel.

50

Schulze-Delitzsch.

Fabrikant Larl Elster, Schriftsteller Frese, verlagsbuchhänbler Guttentag, SanitLtsrat Dr. Holthoff und Dr. med. Langerhans, sämtlich in Berlin, zu welchen u. a. die Namen von Philipps, früher Oberbürgermeister in Elbing, Dr. Johann Jacoby, Dr. Rosch und Professor Dr. Albert Hänel in Königsberg, Dr. Elsner und Dr. Stein in Breslau traten.)

91. Rede in der Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahlkreises am 26. November 1861. (Nach der Nationalzeitung.)

Am November 1861 fanden die Urwahlen zu der neuen Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses statt. Sie ergaben für die Deutsche Fortschrittspartei einen selbst für deren Mitglieder unerwarteten Erfolg; im dritten Berliner Wahlkreis war die Wiederwahl Schulzes gesichert. Am 26. November entwickelte er vor einer Versammlung der Wahlmänner sein politisches Programm in einer Rede, über welche die Nationalzeitung wie folgt berichtet: Erst in diesem Jahre in diesem Bezirk zum Abgeordneten erwählt, sei der Redner sich bewußt, nicht abgewichen zu sein von den damals an derselben Stelle entwickelten Ansichten.^) Seitdem hätten sich die Dinge wenig geändert; die größten und wichtigsten Fragen seien als keine sehr glückliche Erbschaft auf die nächste Legislaturperiode gediehen. Er wolle daher die Beobachtungen und Erwägungen, die er aus der kreisenden Wahlbewegung mitgebracht, und die in weiteren Kreisen Beachtung verdienten, zum Thema wählen. Im ganzen habe die rege Beteiligung des Volkes bei den jetzigen Wahlen ganz gewiß eine Seite, welche für das jetzige Ministerium ein ehrendes Zeugnis ablege: Offenheit der Diskussion mit strenger Wahrung der gesetzlichen Schranken zeige ein gewisseSicherheitsgefühl, daß man nicht von höchster Stelle aus, wie bei dem vorigen Ministeriums) jenen ungesetzlichen Druck auszuüben genötigt sei, der dem Volke eines seiner wichtigsten Rechte verkümmerte; das Vertrauen zu den Ministern sei die Grundstimmung. Diese habe nur Bestätigung gefunden in dem ersten Wahlerlaß des Ministers des Innern, als er den großen konstitutionellen Grund­ satz ausgesprochen, es solle nirgends eine ungesetzliche Beeinflussung der Wahlen stattfinden. Aber kaum habe die Wahlbewegung frisch und fröhlich im Lande begonnen, da habe auch schon das offizielle Preßorgan seinen ungerechten Kampf gegen die entschieden liberale Partei begonnen, und mit einem Male war die unter dem Ministerium Manteuffel vollständig vergriffene „Umsturzpartei" in der Deutschen Fortschrittspartei von neuem aufgelegt. (Bravo! und Heiterkeit.) Die Wähler aus den Provinzen könnten Zeugnis dafür ablegen, wie solche Äußerungen gegen das Interesse des Ministeriums ausgebeutet würden. Es sei unbegreiflich, weshalb das Ministerium sich ohne allen Grund als im Zwie­ spalt mit der Deutschen Fortschrittspartei bezeichne, denn es bezeichne sich dadurch

i) Vgl. oben S. I ff. a) Ministerium Manteuffel.

als im Zwiespalt mit der Majorität des Landes, was nach dem Wahlergebnis nicht mehr zweifelhaft sein könne, und dies in dem Augenblick, wo es sich zu dem großen Grundsatz bekenne: „es sei ihm um den wahren unverfälschten Ausdruck der öffentlichen Meinung zu tun, weil nur dieser die nötige Stütze einer konstitu­ tionellen Bewegung sei". Niemalid in der ganzen liberalen Partei denke nur entfernt daran, dem jetzigen Ministerium eine systematische Opposition zu bereiten. (Lebhafter Beifall.) Auf den Sturz des Ministeriums spekuliere im ganzen Lande nur eine Partei, die feudale (sehr wahr!), die sich freilich die konservative nenne; ihr Hauptführer, Herr v. Kleist (andauernde, den Redner unterbrechende Heiterkeit), habe wörtlich die jetzige Regierung als das Unglück für das Land bezeichnet. (Hört! hört!) Die Fortschrittspartei täusche sich keineswegs so sehr über die Lage der Dinge, daß sie sich einbildete, auch wenn sie die Majorität im künftigen Abgeordneten­ hause hätte, daß ihr deshalb das Ministerium zufiele, wenn die jetzigen Räte der Krone wirklich ihren Posten verließen; dahin sei unser Konstitutionalismus noch nicht gediehen. Die Kreuzzeitungspartei allein sei es, welche mit un­ verwüstlicher Hoffnung den Gedanken festhalte, daß beim Abtreten des jetzigen Ministeriums das Regiment ihr in die Hände fallen werde und müsse. (Heiterkeit.) Die Fortschrittspartei werde mit den Ministern gehen bis zur äußersten konstitu­ tionellen Möglichkeit. — Im weiteren Verlauf seiner Rede bekämpft der Redner das Dogma der unbedingten Ministerialität, das eine äußerste Rechte der Liberalen lehre, nach den äußeren wie inneren Voraussetzungen. Das jetzige Ministerium sei durchaus kein homogenes, nach allen Gliedern aus dem Schoße der liberalen Partei heroorgegangen; einige Minister hätten noch gar keine politische Richtung bekundet, einzelne^) aber seien mit allen Parteien gegangen seit dem ersten Einlenken unseres Staates in die konstitutionelle Bahn. (Bravo! Heiterkeit.) Hieße es aber nicht die Grundsätze des Liberalismus opfern, um den Liberalismus zu halten, wenn die Abgeordneten bei großen entscheidenden Fragen nicht ihrer pflichtgemäßen Erwägung sondern persönlich-ministeriellen Rücksichten folgen wollten? „Bloß um das liberale Ministerium zu stützen, damit kein reaktionäres an seine Stelle trete", hieße selbst Reaktion treiben, damit sie nicht von anderer Seite komme. Eine solche von der Reaktion mächtig befürwortete Maßregel, deren Gut­ heißen man den liberalen Abgeordneten zumutet, um das Ministerium zu stützen, sind die Militärvorlagen, wie sie kein Ministerium der Feudalen sich besser wünschen könnte. Schon der bisherige Militäretat konnte nur durch Anleihen trotz der Anspannung der Steuerkraft des Landes gedeckt werden, und die Staatsschuldenlast ist im fortwährenden Wachsen seit den letzten elf Friedens­ jahren. Was soll nun die dauernde Erhöhung des Militäretats in Friedens­ zeiten wirken — was wird, wenn die mindeste Kalamität eintritt, welche die Ausgaben mehrt und die Einnahmen vermindert? — die äußerste Erschöpfung und Zerrüttung der Staatsfinanzen! Man sehe die Konsequenzen des Systems in Österreich, Rußland — man sehe Frankreich, das in diesem Augenblick ein­

lenkt, um den Bankerott in der letzten Stunde zu vermeiden.

Und diese Länder

*) Z- D. Handelsminister von der Heydt. Vgl. zur Würdigung und Er­ klärung: Bergengrün, Staatsminister August von der Heydt, S. 254 ff.

52

Schulze-Delitzsch.

haben mindestens große Kämpfe um große Interessen geführt — will man uns Preußen bei geringeren materiellen Mitteln zumuten, ohne einmal große Politik zu treiben, am bloßen Degengerassel mitten im Faulbett des Friedens zu verbluten? — Stände ein Krieg bevor, wäre Thron und Vaterland in Gefahr, gälte es eine große Aktion um die höchsten Güter der Nation, wir gäben den letzten Taler und den letzten Blutstropfen. Aber die Vorschule, die Ausbildung zum Krieg im Frieden darf uns zum Kriege selbst nicht unfähig machen, uns nicht die Mittel zum Kriege im voraus entziehen. Außer dem finanziellen Ruin würde ein Zurückweichen der Volksvertretung in diesem Punkte dem konstitutionellen Leben bei uns eine schwere moralische Niederlage bereiten. Träte das künftige Abgeordnetenhaus hier zurück, gäbe eS das teuerste und wichtigste seiner Rechte, die Wurzel seiner Kraft, das Steuer­ bewilligungsrecht ferner solchen Übergriffen preis, als bisher in diesem Punkt

des Etats seitens der Regierung vorgekommen sind — das Volk würde alles Vertrauen zu seinen Vertretern verlieren, das ganze parlamentarische Wesen für Humbug halten. Welche schweren Erschütterungen sich hieran für unsere politische Entwickelung knüpfen müßten, springt in die Augen. So kann es denn nicht anders sein, dem Konstitutionalismus in Preußen kann die Probe an dieser Frage nicht gespart werden. Es muß sich zeigen, wie weit das neue System Wurzel geschlagen hat nach oben und unten. Man kann nicht zugleich konstitutionell regieren wollen und absolut über die Staatsmittel verfügen; man kann dem Volke nicht die wichtigsten Rechte zusichern und ihm deren Gebrauch verbieten. Keinesfalls können die Abgeordneten das konstitutionelle Prinzip selbst verleugnen, um es dem Lande in einem bloßen Scheinleben ohne jede praktische Folge zu erhalten. Erfüllen sie daher ihre ernste Pflicht: die öffentliche Meinung zur Geltung zu bringen, der Stimme des Landes vor den Räten der Krone den vollen wahren Ausdruck zu geben, und wir dürfen hoffen, daß die Männer, welche das Land mit solchem Vertrauen an der Spitze der öffentlichen Angelegenheiten begrüßt und getragen hat, ihr eine ernste Berück­ sichtigung gönnen. Schließlich spricht der Redner die Hoffnung aus, daß die einmütige Kund­ gebung des Volkes durch diese Wahl nach oben wohl Berücksichtigung finden werde; denn weniger Mut und weniger selbständige Haltung als ihre Wähler könnten preußische Abgeordnete nicht haben.

Auf eine Interpellation des Generals v. Maliczewski, ob nicht die konser­ vative Partei mit Recht daran denke, das Ministerium zu unterstützen, da sie das Finanz- und Rriegsministerium in der erhobenen Rabinetsfrage, das Handels­ ministerium in der Frage der Gewerbeordnung, den Minister des Kultus in der Aufrechterhaltung der Schulregulative unterstütze, erwiderte Schulze:

Ich habe eine viel zu hohe Meinung von der — wie soll ich sagen — politischen Klugheit der konservativen Partei, als daß ich auch nur einen Augen­ blick hätte vergeffen können, daß diese Partei nicht das Ministerium gerade in diesen Fragen unterstützen sollte. All diese Fragen und ihre bisherigen Lösungen beabsichtigen, Verhältnisse herbeizuführen, die gerade ihr taugen, welche ihr recht passen werden, wenn sie früher oder später an das Ruder kommt, was sie mit Entschiedenheit will. Daß aber in diesem Augenblick nach dem Ausfall der

Reden in der Konfliktszeit.

53

Wahlen, nach' der vollen Vergeblichkeit ihrer entwerten sonderbaren Bündnisse die konservative Partei das Ministerium nicht stürzen will, weil sie eS nicht kann, das glaube ich ihr. (Großer Beifall.)

92. Die Anträge Hagens betr. Vermehrung der Titel des Hauptetats. Rede in der 16. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. März 1862.

Zur Beratung stand der Antrag der Budgetkommission,

hervor-

gegangen aus einem Anträge des Abg. ^agen-Stettin (Fortschrittspartei), den Staatshaushaltsetat in Zukunft in größerer Spezialisierung vor­

zulegen. Abg. tzagen hatte im Plenum den erweiterten Antrag ein­ gebracht, diese Spezialisierung schon in dem vorgelegten Ltat für J862 vorzunehmen und diesen entsprechend umzuändern, um die Gewißheit

zu erlangen, daß die von der tandesvertretung bewilligten Gelder auch wirklich zu denjenigen Zwecken verwandt würden, zu denen sie bestimmt worden seien. Finanzminister von patow erklärte sich zwar nicht un­ bedingt gegen den Antrag,

hielt ihn aber für überflüssig, da das

Abgeordnetenhaus schon jetzt alle Ltatsüberschreitungen kontrolliere und das Ministerium dafür zur Verantwortung ziehen könne, bat aber, jedenfalls der großen Belästigung der Rechnungsbehörden wegen, die gewünschten Änderungen nicht schon im Etat für ^862 sondern erst

für die folgenden Jahre zu verlangen. Lr erklärte ferner auf eine Äußerung des Abg. Twesten-Berlin (Fortschrittspartei): er halte es für

ausgeschlossen, daß die Regierung jemals eine Stelle besetze, ehe sie durch den Ltat genehmigt sei. In der Diskussion nahm auch Schulze das Wort: Daß das, was der Hagensche Antrag verlangt, möglich ist, und daß es zweckmäßig ist, darin stimmt man in der Hauptsache in diesem Hause

überein.

Auch der Herr Finanzminister hat sich nicht dagegen erklärt.

Die Differenz ist, ob die beantragte Maßregel notwendig sei. — Meine Herren!

Da man von

bedeutende Tragweite

mehreren Seiten unserem Beschlusse

und

eine so

eine solche eventuelle Wichügkeit und ent­

scheidende Folgen beigemessen hat, so kommt es, glaube ich, nicht darauf an, in der Debatte sie so zu fassen, daß sie auf uns, die Mitglieder dieses Hauses bestimmend wirken.

Ich glaube, sie muß auch nach der

*) Abg. für Stettin, Stadtrat und Kämmerer von Berlin.

Reden in der Konfliktszeit.

53

Wahlen, nach' der vollen Vergeblichkeit ihrer entwerten sonderbaren Bündnisse die konservative Partei das Ministerium nicht stürzen will, weil sie eS nicht kann, das glaube ich ihr. (Großer Beifall.)

92. Die Anträge Hagens betr. Vermehrung der Titel des Hauptetats. Rede in der 16. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. März 1862.

Zur Beratung stand der Antrag der Budgetkommission,

hervor-

gegangen aus einem Anträge des Abg. ^agen-Stettin (Fortschrittspartei), den Staatshaushaltsetat in Zukunft in größerer Spezialisierung vor­

zulegen. Abg. tzagen hatte im Plenum den erweiterten Antrag ein­ gebracht, diese Spezialisierung schon in dem vorgelegten Ltat für J862 vorzunehmen und diesen entsprechend umzuändern, um die Gewißheit

zu erlangen, daß die von der tandesvertretung bewilligten Gelder auch wirklich zu denjenigen Zwecken verwandt würden, zu denen sie bestimmt worden seien. Finanzminister von patow erklärte sich zwar nicht un­ bedingt gegen den Antrag,

hielt ihn aber für überflüssig, da das

Abgeordnetenhaus schon jetzt alle Ltatsüberschreitungen kontrolliere und das Ministerium dafür zur Verantwortung ziehen könne, bat aber, jedenfalls der großen Belästigung der Rechnungsbehörden wegen, die gewünschten Änderungen nicht schon im Etat für ^862 sondern erst

für die folgenden Jahre zu verlangen. Lr erklärte ferner auf eine Äußerung des Abg. Twesten-Berlin (Fortschrittspartei): er halte es für

ausgeschlossen, daß die Regierung jemals eine Stelle besetze, ehe sie durch den Ltat genehmigt sei. In der Diskussion nahm auch Schulze das Wort: Daß das, was der Hagensche Antrag verlangt, möglich ist, und daß es zweckmäßig ist, darin stimmt man in der Hauptsache in diesem Hause

überein.

Auch der Herr Finanzminister hat sich nicht dagegen erklärt.

Die Differenz ist, ob die beantragte Maßregel notwendig sei. — Meine Herren!

Da man von

bedeutende Tragweite

mehreren Seiten unserem Beschlusse

und

eine so

eine solche eventuelle Wichügkeit und ent­

scheidende Folgen beigemessen hat, so kommt es, glaube ich, nicht darauf an, in der Debatte sie so zu fassen, daß sie auf uns, die Mitglieder dieses Hauses bestimmend wirken.

Ich glaube, sie muß auch nach der

*) Abg. für Stettin, Stadtrat und Kämmerer von Berlin.

Schulze-Delitzsch.

54

Seite unserer Wähler hin so allgemein verständlich geführt werden, daß die Wichtigkeit und die Notwendigkeit der Frage auch im Lande eine

einleuchtende ist.

Hier in diesem Hause, meine Herren, würde es an­

maßend sein, wenn jemand Ihnen die wichtigen Beziehungen derselben bei der Beratung des Budgets

noch wollte klarmachen.

Das erlaube

ich mir durchaus nicht, aber nach außen hin zielt die Bemerkung, daß

wir, wie schon ein Redner') ausgeführt hat, wirklich in unseren Befugnissen in Beziehung auf die Landesfinanzen bei weitem mehr beschränkt sind, als dies in anderen seit längerer Zeit in anerkannt gedeihlicher Wirk­

samkeit bestehenden Verfassungen der Fall ist.

Wir haben deshalb um

so mehr Ursache, die geringeren Befugnisse, die wir haben, auch ganz

voll und konsequent auszuüben.

Wir haben unser Wort dazu zu geben,

wenn neue Auflagen zu bewilligen sind; die alten werden, bis sie durch Übereinstimmung sämtlicher Faktoren der Gesetzgebung wieder aufgehoben

sind, forterhoben.

Wir können auch im ganzen nach dem bisherigen

Verfahren die Summen bestimmen, die zu den Staatsausgaben, sowohl

im ganzen als nach den verschiedenen Hauptpositionen in den Ministerien und den einzelnen Verwaltungszweigen, wie dieselben in dem jetzigen

Etat auseinandergehalten sind, verwendet werden sollen. Aber, meine Herren, was bewegt uns denn, die Positionen des

Hauptetats zu bewilligen? so frage ich Sie.

Nur die Spezialrechnungen,

die dem Staatshaushaltsetat beigegeben sind, weil man uns in diesen nachweist, daß diese Positionen des Staatshaushaltsetats stets zu dem

und dem speziellen und speziellsten Zwecke verwendet werden sollen.

Nur

allein deswegen bewilligen wir diese Etats und können dieselben bewilligen. Nun, meine Herren, wie sieht es denn mit dieser unserer Stellung nach Außen aus, wie mit unserer Stellung gegen die Staatsregierung hierbei? — Wenn hier Abweichungen In einzelnen, nur in die speziellen Rechnungen aufgenommenen Ansätzen stattfinden und wenn wir nicht in den Stand gesetzt sind, aus ihrer Überschreitung eine Verantwortlich­ keit gegen die Staatsregierung herleiten zu können, weil diese Spezialitäten

im Hauptetat fehlen: dann bringt man uns in eine Lage, daß wir die Basis unserer eigenen Bewilligungen geradezu verlieren.

Und in welche

Stellung könnten wir unseren Mandanten und Wählern gegenüber ge­

raten?

Es ist denkbar, ich behaupte nicht, daß dies jetzt geschehen sei

oder beabsichtigt wird; es ist aber sehr wohl denkbar, daß einzelne in

dem Hauptetat stehende Positionen, wenn man sie auflöst in ihre Unter«

*) Twesten.

abteilungen, in diesen eine Anwendung finden, mit der niemand von Und nun haben wir

uns und niemand im Lande einverstanden ist.

selbst

versäumt,

den

Weg,

der

allein

es

jetzt

möglich

macht,

das

Ministerium bei der Verantwortung für solche Verfügungen festzuhalten, anzubahnen. Ich meine, dabei können wir in diesem großen und wichtigen Rechte nicht bestehen, denn der einfachste Mann im Lande, der über diese Dinge denkt und in diese Feinheiten bei der Behandlung der Etats

nicht eingeweiht ist, wird allemal sagen, wenn die Volksvertretung bloß Gelder bewilligen und nicht unbedingt auch darüber wachen soll, daß die

Gelder zu

dem speziellen

Zweck

angewendet werden, zu dem sie

bewilligt worden sind, dann hat es mit diesem Bewilligungsrecht doch

wenig zu bedeuten!

Der Herr Finanzminister hat vorhin gesagt, daß

die Königliche Staatsregierung

keine Veranlassung gebe,

die gesuchten

Garantien notwendig erscheinen zu lassen, und daß es ihr z. B. nicht in den Sinn käme, Beamte anzustellen, für die in dem Etat nicht die

Gehaltspositionen ausgeworfen wären.

Ich habe da doch ein kleines

Bedenken, welches mir erlaubt sein mag, hier auszusprechen.

Ich habe

erst die Ehre gehabt, bei dem vorigen Landtage in der letzten Session

den Verhandlungen über das Budget beizuwohnen.

Ich weiß aber, weil

ich ihnen früher auch gefolgt bin, daß dem Herrn Kriegsminister be­

stimmte Bewilligungen im Militäretat aber immer nur auf ein Jahr gemacht worden sind, daß aber vom Kriegsministerium, wie wir aus

den ganz offenen Erklärungen des Herrn Ministers selbst wissen, Offiziere, wohl auch Militärbeamte, nicht etwa auf dies eine Jahr angestellt worden sind, auf welche sich die Bewilligung beschränkte, sondern definitiv auf Lebens­ zeit.

Daß also solche Fälle doch wohl vorkommen, glaube ich, wird dies

einfache Beispiel einigermaßen dartun, sowie daß wir für die Zukunft das Recht der Landesvertretung nach dieser Seite hin zu sichern, sehr wohl und sehr dringend Ursache haben. Der zweite Punkt, nachdem ich mich über die Notwendigkeit der

Maßregel ausgesprochen habe, ist die Opportunitätsfrage, von wo an

das beantragte Verfahren eintreten soll.

Ich gebe dem Herrn Finanz­

minister zu, daß jeder, der nur einen flüchtigen Einblick in die Sache hat, es nicht leugnen wird, daß mancherlei Jnkonvenienzen durch die

Umarbeitung des ganzen vorgelegten Etats entstehen können.

Zunächst

frage ich aber die Königliche Staatsregierung, ob es nicht zum Teil wenigstens von ihr ausgeht, daß die ganze Etats- und Budgetsberatung sich in einer sehr ungünstigen Lage befindet.

Die Etats werden uns

hier vorgelegt, nachdem das Etatsjahr schon lange begonnen hat, und

56

Schulze-Delitzsch.

das ist schon eine sehr mißliche Stellung für uns; sie führt uns wahrlich zu Jnkonvenienzen, die höher

anzuschlagen

Unbequemlichkeiten, welche die Umarbeitung

haben könne.

sind,

des

als

alle diejenigen

Budgets

im Gefolge

Wenn man uns statt im Januar, wie es die Verfassung

zuläßt, im November einberiefe und früher mit der Beratung des Budgets

dann würden wir uns der Etatsberatung gegenüber

anfangen würde,

in einer besseren Lage befinden, und es würde infolgedessen auch der Regierung die Möglichkeit gegeben sein, daß sie etwas früher in solche Umarbeitung einlenken könnte.

eine

Die gerügte Jnkonvenienz ist daher

keineswegs der wichtigen materiellen Tragweite der Maßregel gegenüber der Art, daß sie hier den Schwerpunkt für die Entscheidung abgeben

könnte, und ich glaube auch, da es sich bei dieser Jnkonvenienz nicht um eine

Maßregel

handelt, der

der Herr

Finanzminister prinzipiell

widersprochen hat, daß er ganz gewiß nicht, wie es von einer Seite1) hier ausgesprochen worden ist, ein Mißtrauensvotum in der Annahme der

Anträge finden kann.

Der Herr Finanzminister hat ja die Maßregel

gebilligt, er wünscht sie nur für die Zukunft, er hält es für schwierig, sie noch im Laufe dieses Jahres auszuführen.

So steht die Sache, und

wenn die Volksvertretung dennoch der richtigen Ansicht ist, daß, weil ihr

nur die Gegenwart gehört, die Maßregel jetzt zur Ausführung gebracht

werden müsse, so ist das kein Mißtrauensvotum so wenig gegen den Finanzminister als gegen das ganze Staatsministerium.

Man hat gesagt,

es dränge ja nicht so, das Vaterland, die preußischen Finanzen seien ja nicht in Gefahr?)

Ja, meine Herren, das glaube ich auch; aber etwas

anderes ist in Gefahr, Position

dieser

wenn

wir uns

Frage gegenüber

nicht

einzunehmen.

beeilen,

Das

eine

sehr

feste

ist nämlich der

preußische Konstitutionalismus. (Bravo! links.) Man spricht so viel von der neuen Ära, die seit Eintritt des jetzigen

Ministeriums herbeigeführt worden sei.

Viel Gutes, viel Wünschenswertes

für das Land ist mit dem Eintritt der jetzigen Räte der Krone hervor­ gerufen worden, aber eine wirklich neue Ära, ein epochemachender Wende­

punkt für die Geschichte des Konstitutionalismus in Preußen hat sich leider nicht im Gefolge dieses Eintritts entwickelt, und ich meine, um diese neue Ära herbeizuführen, werden wir recht wesentlich unsere parla­

mentarische Berechtigung, besonders in bezug auf die Feststellung des Budgets, in die Wagschale zu werfen haben.

Je fester wir stehen für

’) v. Benda (Potsdam) hatte gemeint, zu einem Mißtrauensvotum, wie den Hagenschen Anträgen, sei kein berechtigter Anlaß. 2) d. Kehler (Naugard), Regenwalde) in derselben Sitzung.

die Rechte der Volksvertretung, desto mehr hat dieser Wendepunkt der

Geschichte Aussicht, bleibende und nachhaltige Folgen für unser Vaterland herbeizuführen.

Wir wollen es uns nicht verhehlen, wir stehen in dieser

Frage und in andern, die sie im Gefolge hat,

in

einer ziemlich un­

günstigen Position, weil die früheren Häuser die Fragen, die auch an sie herangetreten waren, nicht gelöst sondern nur vertagt haben, obwohl diese Fragen von der Natur waren, daß die Vertagung von einem Jahre

zum andern die Schwierigkeiten der Lösung steigern mußte.

Ich will

darauf nicht näher eingehen; wir werden Gelegenheit haben, dies kennen

zu lernen, wenn wir zur Militärfrage und zum Militärbudget gelangen

und werden uns alsdann näher darüber aussprechen können.

Jetzt haben

wir vor allen Dingen zu bedenken, daß ein neuer Aufschwung bei den

letzten Wahlen im Lande stattgefunden hat, und daß das Land mit sehr bestimmten Forderungen an die Volksvertretung herangetreten ist, das

wird wohl niemand leugnen, und der Herr Abgeordnete für Berlin, der erst für den Kommissionsantrag gesprochen und ihn später amendiert

hat/) der wird wohl aus seinen Wahlverhandlungen selbst darüber die beste Rechenschaft geben können.

Ich meine aber, daß dieser Antrag

wieder zu denen gehört, die eine Vertagung der unerläßlichen Entscheidung wünschen, wenn auch nicht für lange, gewiß aber für heute.

Es soll

nach dem Amendement „die Vervollständigung und Spezialisierung der

einzelnen Etats schon für 1862 in dringenden Fällen nicht ausgeschlossen

fein".

Nun, meine Herren, wer bestimmt denn, welche Etats ausgewählt,

welche Fälle als

dringend

behandelt werden sollen?

Doch wohl die

Budgetkommission, hat sich der Herr Antragsteller gedacht.

Wie nun,

der Budgetkommission dasselbe erfolgt wie jetzt,

wenn das

wenn

in

Ministerium nicht einverstanden ist und erklärt, daß es auf die Sache

nicht eingeht, so sind wir nicht weiter als vorher, und die Frage kommt

in irgendeiner andern Form wieder in das Haus. Ich kann nur wieder

den Versuch sehen, die Frage zu vertagen, die Entscheidung möglichst von

sich wegzuschieben,

bis der

Moment, wo

man

genötigt ist, sich

endlich doch definitiv darüber zu entscheiden, uns unausbleiblich bevorsteht.

(Bravo! links.) Das widerspricht ganz gewiß der neuen Ära — ich will mich auch des Ausdrucks bedienen — infolge deren wir jetzt hierher geschickt sind.

Ich glaube,

wir stehen gerade in dieser Frage auf dem Anfänge des­

jenigen Abschnitts unserer Wirksamkeit, der der Kernpunkt der ganzen

*) Abg. Kühne-Berlin, der einen Vermittlungsantrag eingebracht hatte.

Schulze-Delitzsch.

58

Tätigkeit der Volksvertretung ist, auf dem unsere ganze Kraft beruht,

da es der einzige Punkt ist, wo wir nicht hingewiesen sind auf den Konsens anderer Faktoren

der Gesetzgebung, wo

wir allein

für

uns

Bedeutung haben und zum Besten des Landes etwas durchsetzen können. Man spricht wieder und hat es in der Debatte hervorgehoben, daß wir

in Konflikt mit dem Minister zu treten Gefahr liefen, den das ganze Land um seiner Verdienste und seiner liberalen Ideen willen so hoch

verehrt.

Ja, meine Herren, ich weiß nun nicht, wozu ich mich entschließen

soll, denn diesen Konflikt mit dem verehrten Teil des Ministeriums, den wir zu den Liberalen rechnen können, den fürchte ich, den wünsche ich

nicht, so wenig wie Sie!

Aber, wenn Sie mir zumuten, ihn zu ver­

meiden unter der Bedingung, daß ich den Prinzipien des Liberalismus und

des

Konstitutionalismus

untreu

werden

soll,

um

ein

liberales

Ministerium zu stützen, dann bin ich entschlossen, es darauf zu wagen. (Sehr wahr! links.)

Ich denke, es wird mit diesem ganzen Dinge nicht so schlimm sein,

und wenn wirklich die Rede von einem Zurücktritt des Ministers wegen einer solchen Abstimmung sein

Minister auch von

Rede sein.

sollte,

einem Rücktritt

dann

der

könnte leicht außer dem

jetzigen Landesvertretung

die

Ich meine, daß bei der jetzigen Lage das eine ohne das

andere kaum erfolgen dürfte, und hoffe, daß der Herr Finanzminister

es mir nicht übelnehmen wird, ehrenhaften

Namens,

den

wenn

derselbe in

ich

der

dringend im Interesse des Geschichte des

Konstitutionalismus trägt, wünsche, daß sein Rücktritt,

preußischen

wann er auch

erfolge, nur aus solchen Gründen erfolge, daß er seinen Prinzipien, die

er überall vertreten hat und die stets bei ihm festgestanden haben, nicht untreu werden will — ein Fall, der hier nicht vorliegt — und daß er sich durch seine Pflicht nicht in Konflikte mit seinen eigenen Grundsätzen

bringen lassen will, dann glaube ich, hat er und hat auch das Land den

Rücktritt nicht zu bedauern. Von uns, meine Herren, wenn bei uns von einem Rücktritt früher oder später die Rede sein sollte, von uns wünsche ich nicht, nein, von

uns weiß ich, daß ein solches Abtreten vor vollendeter Aufgabe nur

erfolgen kann und

wird, wenn

der Konflikt herbeigeführt wird, weil

auch wir nicht dazu zu bestimmen sind, davon abzulassen, daß wir das, was nach unserer festen Überzeugung die Wahrung der Rechte der Volksvertretung und das Wohl des Landes erheischt, unabweislich zur

Richtschnur unserer Anträge und Abstimmungen machen. (Enthusiastisches Bravo! links.)

Jn seiner Antwort erwiderte der Linanzminister auf den Hinweis, daß die Militärverwaltung provisorisch bewilligte Stellen definitiv besetzt habe: das Ministerium habe damals sofort erklärt, daß es gezwungen fei, die neuen Chargen auf jeden Lall endgültig zu besetzen, und an­ gesichts dieser Erklärung, welcher im ksause nicht widersprochen worden sei, sei der Aredit bewilligt worden.

Der Kammer stehe das Ministerium

solidarisch gegenüber, ein Konflikt könne daher nur mit dem Gesamt­ Namens des letzteren müsse er nunmehr dem

ministerium ausbrechen.

Antrag, der erst heute zu dessen Kenntnis gelange, widersprechen, da durch die Annahme die Fortführung der Geschäfte der Regierung nahezu unmöglich gemacht werde. Trotzdem wurde der Antrag mit gegen

Stimmen angenommen, worauf das Ministerium dem König seine Entlassung anbot. Der König lehnte diese aber am ff. März ab und ordnete die Auflösung des Abgeordnetenhauses an.

93. Brief an Streit in Koburg. (April 1862.)

Wegen des festen Halts unserer Partei in Preußen müssen Sie

mich wohl mißverstanden haben.

Jn Konsequenz Ihrer Ansicht niüßte

überhaupt eine deutsch-fortschrittliche Partei in Preußen nicht bestehen,

weil sie den Nationalverein kreuzte; besteht die Partei aber einmal, so bedarf sie einer Organisation, hauptsächlich zu den Wahlen, dann aber

auch

wegen

der

Wirksamkeit

durch Reaktion Geschädigten.

durch

die Presse,

Schadloshaltung

der

Bisher wurde nur ein Spezialkomitee für

jede Wahl besonders gewählt; jetzt, wo wir in unserem konstitutionellen Leben so ernsten und dauernden Kämpfen entgegengehen, muß die Partei

und ihre Leitung dauernd geordnet werden.

Wir müssen schon jetzt an

die nächsten Wahlen denken, die vielleicht nach nochmaliger Auslösung sehr bald bevorstehen.

Möglich, wir haben einen Staatsstreich, Oktroy-

ierung eines noch schlechteren Wahlgesetzes szu gewärtigen) — kurz, wir müssen in geschlossener Kampffertigkeit beisammen bleiben und dürfen die

mühsam geknüpften Fäden nicht fahren lassen, da wir schweren Stand bekommen.

ohnehin einen

Die Deutsche Fortschrittspartei ist die beste

Werberin, die Exekutive des Nationalvereins in Preußen; und die von

uns

geleitete Bewegung

gewirkt.

hat bedeutend

auf Verbreitung

des

Vereins

Alle bedeutenden Kammermitglieder unserer Partei sind dem

Nationalverein beigetreten, und im Zentralkomitee der Partei befinden

Jn seiner Antwort erwiderte der Linanzminister auf den Hinweis, daß die Militärverwaltung provisorisch bewilligte Stellen definitiv besetzt habe: das Ministerium habe damals sofort erklärt, daß es gezwungen fei, die neuen Chargen auf jeden Lall endgültig zu besetzen, und an­ gesichts dieser Erklärung, welcher im ksause nicht widersprochen worden sei, sei der Aredit bewilligt worden.

Der Kammer stehe das Ministerium

solidarisch gegenüber, ein Konflikt könne daher nur mit dem Gesamt­ Namens des letzteren müsse er nunmehr dem

ministerium ausbrechen.

Antrag, der erst heute zu dessen Kenntnis gelange, widersprechen, da durch die Annahme die Fortführung der Geschäfte der Regierung nahezu unmöglich gemacht werde. Trotzdem wurde der Antrag mit gegen

Stimmen angenommen, worauf das Ministerium dem König seine Entlassung anbot. Der König lehnte diese aber am ff. März ab und ordnete die Auflösung des Abgeordnetenhauses an.

93. Brief an Streit in Koburg. (April 1862.)

Wegen des festen Halts unserer Partei in Preußen müssen Sie

mich wohl mißverstanden haben.

Jn Konsequenz Ihrer Ansicht niüßte

überhaupt eine deutsch-fortschrittliche Partei in Preußen nicht bestehen,

weil sie den Nationalverein kreuzte; besteht die Partei aber einmal, so bedarf sie einer Organisation, hauptsächlich zu den Wahlen, dann aber

auch

wegen

der

Wirksamkeit

durch Reaktion Geschädigten.

durch

die Presse,

Schadloshaltung

der

Bisher wurde nur ein Spezialkomitee für

jede Wahl besonders gewählt; jetzt, wo wir in unserem konstitutionellen Leben so ernsten und dauernden Kämpfen entgegengehen, muß die Partei

und ihre Leitung dauernd geordnet werden.

Wir müssen schon jetzt an

die nächsten Wahlen denken, die vielleicht nach nochmaliger Auslösung sehr bald bevorstehen.

Möglich, wir haben einen Staatsstreich, Oktroy-

ierung eines noch schlechteren Wahlgesetzes szu gewärtigen) — kurz, wir müssen in geschlossener Kampffertigkeit beisammen bleiben und dürfen die

mühsam geknüpften Fäden nicht fahren lassen, da wir schweren Stand bekommen.

ohnehin einen

Die Deutsche Fortschrittspartei ist die beste

Werberin, die Exekutive des Nationalvereins in Preußen; und die von

uns

geleitete Bewegung

gewirkt.

hat bedeutend

auf Verbreitung

des

Vereins

Alle bedeutenden Kammermitglieder unserer Partei sind dem

Nationalverein beigetreten, und im Zentralkomitee der Partei befinden

Schulze-Delitzsch.

60

sich ausschließlich Mitglieder des Nattonalvereins, von denen acht dem Ausschuß angehören: von Unruh, Duncker, ich, Lüning, von Hoverbeck, von Forckenbeck, Müllensiefen, Behrend.

Deshalb ist unser fester Zu­

sammenhalt für die nationale Sache und den Verein nur förderlich und notwendig, und ich begreife nicht, wie Sie partikularistische Tendenzen davon fürchten?)

Daß

die preußischen Wähler bei den preußischen

Kammerwahlen von preußischen Führern geleitet werden müssen, ist klar und nur das zu wünschen, daß die Führer dem Nationalverein angehören.

94. Rede zur Adreßdebatte 1862. 9. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses 5. Juni 1862.

Nach der durch die Annahme des Antrags ^agen veranlaßten Auf­ lösung des Abgeordnetenhauses hatte ein Teil des Ministeriums sein verbleiben im Amt an eine gewisse Nachgiebigkeit gegenüber der liberalen

Parlamentsmehrheit geknüpft. Die Zolge war die Umgestaltung des Ministeriums, in dem u. a. von der tzeydt das Finanzministerium, Prinz

Hohenlohe-Ingelfingen den vorfitz im entschieden konservativen Sinne übernahm, und von den früheren Ministern nur der Ariegsminister von Roon und der auswärtige Minister v. Bernstorff verblieben. Ls begann feine Wirksamkeit mit strengen Weisungen an sämtliche Regierungsorgane, bei

den bevorstehenden Neuwahlen den Anschauungen des Ministeriums zum Siege zu verhelfen, indem es gegen die fortschrittlichen Parteien den Vorwurf erhob, daß fie eine verfassungswidrige Verschiebung des Schwerpunktes der staatlichen Gewalt von der Krone fort in die Volks­ vertretung anstrebe. Trotzdem erlitt die Regierung eine vollständige Niederlage: das Linke Zentrum und die Deutsche Fortschrittspartei er­ rangen 235 Mandate, die Konservativen und die ehemalige Fraktion

Vincke nur 33. Nach Eröffnung des neuen Landtags war von dem Abg. von SybelKrefeld als Antwort auf die Thronrede der Lrlaß einer Adresse an den König beantragt worden, die neben einem Protest gegen die Wahlerlasse eine kräftige und vorwärtsschreitende auswärtige Politik Preußens und namentlich die Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Rechtszustandes x) Vgl. über diesen sich hier ankündigenden Gegensatz im Nationalverein, der die älteren Gegensätze des Jahres 1848 zwischen Paulskirche und der preußischen Nationalversammlung wieder aufleben ließ, H. Oncken, Bennigsen 1,564ff.

Schulze-Delitzsch.

60

sich ausschließlich Mitglieder des Nattonalvereins, von denen acht dem Ausschuß angehören: von Unruh, Duncker, ich, Lüning, von Hoverbeck, von Forckenbeck, Müllensiefen, Behrend.

Deshalb ist unser fester Zu­

sammenhalt für die nationale Sache und den Verein nur förderlich und notwendig, und ich begreife nicht, wie Sie partikularistische Tendenzen davon fürchten?)

Daß

die preußischen Wähler bei den preußischen

Kammerwahlen von preußischen Führern geleitet werden müssen, ist klar und nur das zu wünschen, daß die Führer dem Nationalverein angehören.

94. Rede zur Adreßdebatte 1862. 9. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses 5. Juni 1862.

Nach der durch die Annahme des Antrags ^agen veranlaßten Auf­ lösung des Abgeordnetenhauses hatte ein Teil des Ministeriums sein verbleiben im Amt an eine gewisse Nachgiebigkeit gegenüber der liberalen

Parlamentsmehrheit geknüpft. Die Zolge war die Umgestaltung des Ministeriums, in dem u. a. von der tzeydt das Finanzministerium, Prinz

Hohenlohe-Ingelfingen den vorfitz im entschieden konservativen Sinne übernahm, und von den früheren Ministern nur der Ariegsminister von Roon und der auswärtige Minister v. Bernstorff verblieben. Ls begann feine Wirksamkeit mit strengen Weisungen an sämtliche Regierungsorgane, bei

den bevorstehenden Neuwahlen den Anschauungen des Ministeriums zum Siege zu verhelfen, indem es gegen die fortschrittlichen Parteien den Vorwurf erhob, daß fie eine verfassungswidrige Verschiebung des Schwerpunktes der staatlichen Gewalt von der Krone fort in die Volks­ vertretung anstrebe. Trotzdem erlitt die Regierung eine vollständige Niederlage: das Linke Zentrum und die Deutsche Fortschrittspartei er­ rangen 235 Mandate, die Konservativen und die ehemalige Fraktion

Vincke nur 33. Nach Eröffnung des neuen Landtags war von dem Abg. von SybelKrefeld als Antwort auf die Thronrede der Lrlaß einer Adresse an den König beantragt worden, die neben einem Protest gegen die Wahlerlasse eine kräftige und vorwärtsschreitende auswärtige Politik Preußens und namentlich die Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Rechtszustandes x) Vgl. über diesen sich hier ankündigenden Gegensatz im Nationalverein, der die älteren Gegensätze des Jahres 1848 zwischen Paulskirche und der preußischen Nationalversammlung wieder aufleben ließ, H. Oncken, Bennigsen 1,564ff.

in Entliessen

verlangte.

Die Adreß-Eominission

des

Dauses wollte

dagegen die Antwort auf die Thronrede mit dem Hinweis auf die innere tage des kandes und die Ernennung des neuen Ministeriums beschränken, jedoch mit Entschiedenheit gegen dessen Wahlerlaffe Stellung

nehmen. Zugleich mahnte sie an die Fortbildung der Verfassung, die Sicherung des Staates und der Schule gegen kirchliche Übergriffe und die verfassungsmäßige Beseitigung des Widerstandes des Herrenhauses gegen diese Forderungen. Ein Abänderungsantrag des Abg. von Vincke bewegte sich etwa in dem Gedankengang des von Sybelschen Antrags. Jn der am 4. Juni beginnenden und in den nächsten Tagen fort­ gesetzten Debatte entwickelte Virchow-Saarbrücken (Fortschrittspartei) ein­ gehend die Gründe für das Mißtrauen der Volksvertretung gegen das jetzige Ministerium, worauf FinanMinister v. d. Heydt die Ausschreitungen

der unteren Behörden in der lvahlbewegung entschieden verurteilte und Abänderung zusagte. Nachdem noch die Abg. Reichensperger-Geldern (kathol. Fraktion) und von Vincke-Stargard die Eommissionsanträge be­

kämpft hatten, kam Schulze zum Wort. Zunächst erlaube ich mir, dem geehrten Herrn Vorredner zu ver­ sichern, daß er sich jeder Furcht vor dem Versuch eines Übergriffs von Mitgliedern dieses Hauses, wie er sie aus dem von uns eingenommenen

Standpunkt

bei

den

eingebrachten

Adressen,

namentlich

dem

Adreß-

entwurf der Kommission herleitet, wohl ganz füglich wird entschlagen können.

Wenn man unsererseits den

im Adreßentwurf des Abgeordneten

für Pr.-Stargard der Krone beigelegten Schwerpunkt unseres verfassungs­

mäßigen Lebens nicht ohne Bedenken fand, so geschah dies seiner Viel­ deutigkeit wegen.

Niemand hat verkannt und kann verkennen, daß in

unserer Verfassung der Krone überaus wichtige Prärogativen, die ihr, wenn

man

näher

darauf eingeht,

eine

Volksvertretung geben, beigelegt seien.

bevorzugte Stellung vor der

Sie ist nicht nur gleichberechttgter

Faktor in der Gesetzgebung, sondern ihr gebührt auch die Exekutive; sie

hat das Recht über Krieg und Frieden, sie hat das hochwichtige Be­

gnadigungsrecht. An diese verfassungsmäßige Vollberechtigung hat niemand tasten wollen, und es ist möglich, daß nur dies durch den bemängelten Ausdruck hat gesagt werden sollen.

Ganz besonders bedenklich mußte es

aber scheinen, denselben in die Adresse zu bringen, weil er, abgesehen

von dem Mangel bestimmter Präzisierung, sich anlehnt an die von uns angegriffenen Wahlerlasse und Deduktionen der Minister, und in ihnen

62

Schulze-Delitzsch.

gegen die Majorität des aufgelösten Hauses in einem Sinne gebraucht ist, gegen den wir auf das ernsteste protestieren.

Gerade, indem wir ernstlich bestrebt sind, unser verfassungsmäßiges Recht zu üben und zu wahren, können wir unmöglich an die Verfassung in bezug auf die Stellung der übrigen Faktoren des verfassungsmäßigen Lebens tasten wollen; mit dem Augenblick, wo wir dies tun würden,

untergrüben wir selbst die Position, von der aus wir allein den Kampf mit Erfolg führen können, um den es sich jetzt handelt, und der nur ein

Durchgangspunkt des politischen Lebens unseres Volkes ist, wie er es bei allen anderen gewesen ist, die sich aus dem Absolutismus durch den

Scheinkonstitutionalismus hindurch zur wahren konstitutionellen Freiheit hindurchgerungen haben.

Nach diesem Eingang komme ich auf den Inhalt, auf die Form

des Adreßentwurfs der Kommission.

Itatürlich gehe ich nicht auf das

einzelne Redaktionelle ein bei dieser Generaldiskussion, wozu sich ja bei der Spezialdiskussion Gelegenheit sinden wird, sondern es kann sich nur

handeln

um

den

Standpunkt

im

allgemeinen,

der

den verschiedenen

Wenn man, wie das verehrte Mitglied für

Entwürfen zugrunde liegt.

Stargard, nicht der Ansicht ist, daß wir uns in einer außerordentlichen

Situation befinden, wie sie nicht leicht anderwärts in konstitutionellen Ländern vorkommt, dann wird man sich natürlich erklären müssen für eine Adresse, die sich der Thronrede, oder vielmehr der Eröffnungs­

rede (ich halte den Streit hierüber für ziemlich unfruchtbar) *) anschließt,

und man wird sich gegen den Kommissionsentwurf entscheiden müssen. Aber, meine Herren, ich

glaube

kaum,

bei

der

entschiedenen Ansicht,

welche die Majorität dieses Hohen Hauses bei den verschiedensten Gelegen­

heiten ausgesprochen hat und bei den entschiedenen Ansichten, die bei der Majorität der preußischen Wähler über diesen Punkt herrschen, noch weitläufig

hierauf

eingehen

zu

sollen.

Stargard findet nicht die Angriffe gegen

Das

verehrte

Mitglied

für

die frühere Majorität des

Hauses, gegen die Fortschrittsparteien, gegen die Majorität der preußischen

Wähler, wie wir sie in dem Erlaß des Herrn Ministers des Inneren

und anderer Behörden finden, welche jedermann vorliegen.

Das Mitglied

findet auch nicht, daß der Gegensatz so schroff und scharf in das Land ge­ worfen wäre zwischen Parlament und Königtum, weil der Ausdruck gebraucht

sei „parlamentarische Regierung und königliches Regiment".

Ich meiner-

Virchow hatte gemeint, das bei der Eröffnung des Landtages von dem Ministerpräsidenten verlesene Aktenstück müsse man Eröffnungsrede aber nicht Thronrede nennen.

feitg weiß dies nicht zu unterscheiden, denn wenn man parlamentarisches

Regiment und königliches Regiment oder Regierung einander gegenüber­ stellt, so setzt man das Parlament dem Könige entgegen und will eins

durch das andere ausgeschlossen wissen.

Nun, meine Herren, ich glaube,

wir kommen über diesen Punkt, der so eingehend von dem Abgeordneten

Dr. Virchow behandelt worden ist, leicht hinweg, wenn wir nach parla­ mentarischem Gebrauch bei unseren Abstimmungen auch hier einmal die

Gegenprobe machen.

Ich

bitte Sie, sich zu vergegenwärtigen,

welche

Konsequenzen man wohl seitens des gegenwärtigen Ministeriums gezogen haben würde, wenn die verfehlte Maßregel bei der Appellation an das Volk geglückt wäre. Wie, wenn nun wirklich das Volk darauf ein­ gegangen wäre, wenn es wirklich von seinem legalen Standpunkte aus glaubte, das Königtum und die Königliche Regierung sei gefährdet, und

man dürfe die alten Abgeordneten nicht wiederwählen, und man hätte dann eine gefügige Kammer in diesem Sinne erhalten? Denken Sie, meine Herren, eine Volksabstimmung gegen das parlamentarische Regiment! Wie hätte man dann die Wiederholung des entsetzlichen Attentats, das zur Auflösung den Vorwand lieh, daß nämlich die Abgeordneten das Recht ihrer Kontrolle des Staatshaushaltsetats wirklich alles Ernstes zu brauchen Anstalt machten, durch die unausbleiblichen Revisionen für

immer unmöglich zu machen gewußt. Was wir von solchen Revisionen bereits erlebt haben, kann uns ein ungefähres Bild geben, wohin es damit gekommen wäre, wenn die in das Volk geschleuderte Frage ver­ fangen hätte. (Bravo! links.) Der Herr Abgeordnete Reichensperger hat es durchaus unzulässig und unkonstitutionell gefunden, einen Gegensatz ebenso zwischen König­ tum und Volk, wie zwischen König und Regierung, wie ihn unsere

Adresse wenigstens implizite mittelbar enthält, aufzustellen. Meine Herren, wenn das unkonstitutionell wäre, wozu nützte uns dann diese ganze Befugnis? so frage ich Sie. In der Adresse haben wir das Recht, zu Sr. Majestät unmittelbar zu reden, besonders in solchen außerordentlichen Lagen des Landes, und da müssen wir den Gegensatz konstatieren und es aussprechen dürfen, wenn wir glauben, daß die Räte Sr. Majestät dem wahren Interesse Sr. Majestät nicht dienen. Wenn es sich mit dem konstitutionellen Prinzip nicht vertrüge, ein solches Wort an den Stufen des Thrones niederzulegen, dann hätte dies Recht der Adresse überhaupt keine praktische Bedeutung für unser konstitutionelles Leben. Ich komme zum Hagenschen Anträge, dem ersten Anstoß zur Auf­

lösung des Hauses.

Sie werden gewiß mit mir übereinstimnien, nach

64

Schulze-Delitzsch.

den eingehenden Erörterungen des Abgeordneten Virchow/) daß von ihm, als dem wirklichen Grunde zur Auflösung, seit seiner Ausführung durch

die Regierung eigentlich ernstlich nicht gut mehr die Rede sein kann. Nein, meine Herren, das Unerhörte unserer Lage liegt gerade darin:

wir sind — das liegt ja jetzt vor aller Augen klar da — nicht auf­

gelöst worden wegen bereits gefaßter Beschlüsse, wegen bereits gestellter Forderungen sondern wegen künftig erst zu fassender Beschlüsse und wegen künftig erst zu stellender Forderungen, die man sicher erwarten

zu müssen glaubte, wir wissen recht wohl in welcher Frage.

Die Be­

deutung des Hagenschen Antrages suche ich daher nicht in seiner formellen

Stellung zur Auflösung sondern in etwas ganz anderem, und hier liegt auch der Grund, warum ich auf die Auslassung des geehrten Mitgliedes

für Stargard eingehe, da er gewiß sehr wertvolle Belehrungen über die Stellung einer ministeriellen Partei zum Ministerium daran geknüpft und in unserer Abstimmung dabei einen politischen Fehler gefunden hat. Der Hagensche Antrag hat insofern in unserem parlamentarischen Leben

Epoche gemacht, da hier zum ersten Male ein gewisser Bruch mit der bis dahin innegehaltenen Rechnungstragungspolitik der liberalen Partei gemacht ist.

Krisis

Man wollte nicht mehr die Drohung einer ministeriellen

jedesmal

allbereites

als

Schreckmittel

zu

notwendigen

einem

Umlenken und Einlenken in Bahnen, die eigentlich der Mehrheit wider­ strebten, benutzt wissen.

(Bravo!)

Die Drohung einer Ministerkrisis verfing hier zum ersten Male nicht mehr, weil man nicht glaubte, die Prinzipien des Liberalismus

aufgeben zu dürfen, nur um liberale Minister an der Regierung zu haben. Ich habe noch nicht die Ehre gehabt, meine Herren, einer parla­ mentarischen Partei anzugehören, aus deren Mitte eben eine Regierung

hervorgegangen ist

(Heiterkeit);

den außerordentlich

reichen Erfahrungen des geehrten Sprechers nicht

ähnliche

Erfahrungen

schlichten

Ansichten

klärungen aussprechen

des und

ich bescheide mich

entgegensetzen

kann,

über die Stellung

geehrten

Mitgliedes

der Prüfung

des

aber

also,

ich

daß möchte

ich hier

meine

einer solchen Partei den

für

Stargard

Hauses

Er­

gegenüber einmal

anheimgeben.

Ich meine

allerdings, daß man in solcher Lage die gegründetste Ursache hat, ein

solches Ministerium zu stützen, aber nur so weit, als es sich innerhalb seines und des Parteiprogramms bewegt (Abg. Freiherr v. Vincke: Sehr *) Virchow hatte auseinandergesetzt, daß die Annahme des Hagenschen An­ trags nicht der wahre Grund für die Auflösung gewesen sein könne, da die Regierung ihn ja selbst ausgeführt habe.

richtig!), keineswegs aber so, daß man unbedingt auch da, wo man nicht

mit ihm einverstanden ist, wo es den Prinzipien der Partei entweder oder ihnen doch nicht entspricht, nicht mit dem nötigen

untreu wird

Ernst an ihre Verwirklichung geht, mit ihm gehen müßte.

ich,

daß

man

ein Ministerium

Meinung bestärkt,

es

schlecht stützt,

brauche nur

Zudem meine

man

wenn

es

in

der

der Ministerpräsident Fürst Karl

von Hohenzollern mit seinem Rücktritt zu drohen, und man würde dann sofort die nötigen Konzessionen machen, obwohl man es ungern und mit

Ich glaube, man hätte insbesondere die abgetretenen

Resignation tut.

liberalen Ministers weit besser 'gestützt, wenn man sie streng in der Bahn

hielt, die sie von Anfang an wirklich betreten haben, in den Wegen des Programms, welches sie bei ihrem Antritt vor dem Lande mit so vieler Zustimmung

aufgestellt

Dies sind meine schlichten

haben.

Ansichten

(Abg. Freiherr v. Vincke: Ganz richtig!), indes mag es wohl sein, daß eine Partei das

sich das wirklich in manchen Punkten ändert, wenn

Ministerium aus ihrer Mitte erhält (Heiterkeit).

Wir haben, glaube ich,

alle Ursache, meine Herren, und es ist gewiß ein Hauptzweck unserer

Diskussion, daß wir Belehrungen dankbar von einander annehmen.

In

diesen Belehrungen, in diesem Gegenstoß, dieser Klärung der Meinungen liegt das parlamentarische Leben.

Ich habe nun aber das geehrte Mitglied für Preußisch-Stargard aussprechen

hören:

ein politischer Fehler der Majorität

es

daß

früheren Hauses gewesen sei, den Hagenschen Antrag anzunehmen.

des Ich

möchte ihm mit einer Gegenbemerkung dienen, von der ich es ihm ganz

überlasse, ob er praktischen Nutzen daraus ziehen will.

ihm

selbst

eines politischen

aufgestellten Kriterium

Nach dem von

dem

Fehlers,

der

„Erfolglosigkeit", hat nicht die Majorität des aufgelösten Hauses sondern er selbst in dieser Angelegenheit einen „Fehler" begangen, als er sich so sehr

rasch

nach

der Fassung

jenes Beschlusses öffentlich gegen dessen

Zweckmäßigkeit und gegen die Majorität des Hauses erklärte.

unserem Beschlusse Folge

gegeben

wurde,

hat seine

Während

Erklärung jeden

Effekt verfehlt; das ist ihm recht lebhaft in seinem Wahl- und Heimats­ kreise

und

auch

sonst

in

den

liberalen

Kreisen

fühlbar

geworden.

(Heiterkeit.) Weiter, meine Herren, deutete auch der geehrte Abgeordnete, gewiß in der mildesten Weise, auf die parlamentarischen Antezedenzien einiger ’) Es waren der Finanzminister v. Patow, der Kultusminister v. Beth­ mann-Hollweg, der Minister des Innern v. Schwerin-Putzar, der Justizminister von Bernuth. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

5

Schulze-Delitzsch.

66 von uns hin?)

Hier erlaube ich mir, im Interesse eines so hochge­

ehrten Mitgliedes unserer Versammlung, die Bitte an ihn zil richten:

er möge

diesen Punkt den Herren

feudalen Partei überlassen,

die

sind

neben sich

von

viel besser

dazu

der

konservativ­

eingerichtet,

die

führen das ganze dazu nötige Rüstzeug, was hier angewendet werden

muß, und dessen er sich niemals zu bedienen geneigt sein wird, stets bei sich.

Der Herr Abgeordnete für Stolps) hat uns jetzt wie früher schon

eine kleine Illustration zu diesem dankbaren Thema geliefert, und der Herr Abgeordnete Virchow hat so

darauf geantwortet,^) daß ich nicht

noch einmal darauf zurückzukommen brauche.

Wollten aber wir, meine

Herren, aus den liberalen Fraktionen manche Reminiszenzen aus den

Kämpfen jener Tage hierher übertragen, so scheint mir, daß wir dadurch eine der Hauptbedingungen gefährden, von welcher zum großen Teil die

Wirksamkeit unserer parlamentarischen Session abhängt: die notwendige

Einigkeit der großen liberalen Partei des Landes, die, wie verschieden sie auch in

einzelnen Wegen

auseinandergehen mag,

jedenfalls in

ihren

Zielen, in den Hauptgrundsätzen ihres Programms zusammengeht; eine

Einigkeit, die wir dem Lande in so ernster Krisis schulden und möglichst auch in den Verhandlungen des Hauses aufrecht erhalten müssen. (Bravo!)

Was Form und Ausdrucksweise der Adreßentwürfe anlangt, so ist dies natürlich durch den Zweck, den man mit der Adresse überhaupt ver­

bindet,

bedingt.

Wenn

man

im

Kommissionsentwurf

viel

zu

viel

Loyalitätsversicherungen findet, so vergißt man dabei, daß es hier nicht bloß darauf ankommt, für uns und von unserer Seite aus Erklärungen

vor dem Throne niederzulegen, daß es vielmehr in dieser Adresse, wie

wir

den Zweck derselben auffassen, unsere besondere Aufgabe ist,

Stimmung im Lande Ausdruck zu geben.

Wir

haben

der

einen Protest

niederlegen wollen in der Seele des Volkes auf das unabweisbare Dringen unserer Wähler, die sich in ihrem Rechts- und Wahrheitsgefühl und in

ihrem loyalen Bewußtsein durch die Wahlerlasse der Ministerien verletzt *) Vincke hatte gesagt, wenn die Mitglieder der Fortschrittspartei nicht nach ihren parlamentarischen Antezedenzien beurteilt sein wollten, so dürften sie auch die Minister nur für Äußerungen ihrer jetzigen Amtszeit verantwortlich machen. 2) v. Gottberg (Stolp) hatte bei der Beratung der Vorfrage, ob überhaupt eine Adresse zu erlassen sei, die Mitglieder der Fortschrittspartei angegriffen, sie identifizierten die Lage ihrer Partei mit der Lage des Landes. Man müsse doch besorgen, daß einige dieser Herren ihre Ansichten aus dem Jahre 1848 noch heute verträten, d. h. die Rechte der Krone mindern wollten. s) Virchow hatte die Gründe der Majorität für ihr Mißtrauen gegen das Ministerium dargelegt.

fühlen.

Schon dies bedingt in vieler Hinsicht eine andere Ausdrucks­

weise und Sprache, als sie vielleicht für eigentliche Staatsschriften paßte.

Die Stellung des Hauses gegen das Ministerium anlangend, wie

sie unmittelbar durch

des Entwurfs gekennzeichnet wird,

die Fassung

ja, meine Herren, da ist es freilich unmöglich, daß wir einem Ministerium gegenüber, welches sich gleich bei seinem Eintritt in das Amt nur durch

Anwendung der Mittel der alten Mißregierung vor 1858 überhaupt in

seiner Stellung sichern zu können meinte, anders als mit entschiedenem Mißtrauen entgegentreten können.

Wir sind gewählt, wir sind hervorgegangen in der Wahrheit aus

der entschiedenen Opposition des ganzen Landes gegen die Inauguration des gegenwärtigen Ministeriums;

wir würden also unseren Ursprung

verleugnen, wenn wir anders als mit Mißtrauen in dieses Haus träten. Zudem, meine Herren, die politischen Antezedenzien — auch ich brauche

dieses Wort — und der Umstand, daß die einzige Partei im Hause und

im Lande, welche gegenwärtig offen das Ministerium stützt, die feudal­ konservative ist, diese Tatsachen verstärken noch dieses Mißtrauen.

von dieser Grundstimmung Adresse mitteilen

Hauses

mußte,

in

Aber

uns, die sich notwendig mittelbar der

wenn

sie

ein Ausdruck

des

der Stimmung

und des Volkes sein sollte, von dieser Grundstimmung ist ein

eigentliches Sinne doch

parlamentarisches noch

Mißtrauensvotum

weit verschieden.

in

konstitutionellem

Um ein solches Mißtrauensvotum

handelt es sich durchaus nicht, welches etwa das Eintreten des Hauses in

die

legislatorischen

Arbeiten

irgendwie

aufhalten,

be­

irgendwie

einträchtigen könnte, welches etwa die ausgesprochene Tendenz einer so­

fort zu bewirkenden Ministerveränderung

in

sich

Es

enthielte.

hieße

wirklich die Wünsche und Bedürfnisse unseres Volkes verkennen, wollten

wir nicht bereitwillig auf die Vorlagen des Königlichen Staatsministeriums

eingehen. Ei, meine Herren, gerade weil das Ministerium eines Haltes im

Lande bedarf, wird es schon nach dem obersten Gebote der Selbsterhaltung

uns vielleicht über manches rascher forthelfen, um was jahrelang mit den liberalen Ministern umsonst und vergeblich verhandelt worden

ist;

wir werden solche Zugeständnisse ganz bestimmt utiliter akzeptieren.



In­

dessen bei dieser Akzeptation und bei dem Eintritt in die Verhandlungen,

da werden wir uns allerdings sagen müssen, daß wir doppelt verpflichtet sind, die Augen offen zu haben.

Wenn die Gründe des Mißtrauens,

die Gründe des notwendigen Mißtrauens dem geehrten Mitgliede für Stargard noch nicht hinreichen, die in den Vorgängen bei und nach der 5*

Schulze-Delitzsch.

68

Auflösung des Abgeordnetenhauses und in den Wahlerlassen liegen, — nun, meine Herren, da möchte ich nun und ganz besonders, weil es auch

auf unsere Stellung im Hause wesentlichen Einfluß hat, ihm ein ganz entschiedenes und unbestreitbares Dokument vorführen, welches er so gut

kennt,

wie wir alle und wie das ganze Land.

Es

ist

Herrn Finanzministers an den Herrn Kriegsminister?)

der Brief des

(Ah! Heiterkeit.)

Ja, daraus sehen Sie ganz genau, aus welchen Motiven die Kon­

zessionen eigentlich gemacht worden

sind.

(Viele Stimmen:

„Richtig!

Sehr gut!")

Das ist ja der Unterschied zwischen dem Standpunkte, auf dem wir uns befinden, und demjenigen der Herren an dem Ministertische.

Wir

haben jene Forderungen gemacht, weil wir sie zum dauernden Wohl des

Landes und zur Entwicklung des Verfassungslebens für unbedingt not­ wendig halten.

Der Herr Minister aber spricht in jenem Schreiben sich

dahin aus, daß man die Konzessionen machen müsse, weil man sonst nicht bei den Wahlen ein Haus erhielte, wie es dem Ministerium wünschens­

wert ist. Da haben Sie das ganze Programm des Scheinkonstitutionalismus

beisammen!

(Sensation und Bravo!)

Sie können kein Dokument auffinden in der ganzen politischen Welt,

wo die dazu gehörigen Dinge so schlagend zusammengestellt sind. erste Aufgabe dieses Programms ist eine gefügige Kammer.

erhalten, macht man Konzessionen der liberalsten Art.

Die

Um die zu

Denn hat man

erst eine gefügige Kammer, so läßt sich ja mit diesen unbequemen Dingen

immer wieder fertig werden.

Und bei uns ist das vielleicht gar nicht

einmal nötig, daß man die Konzession zurücknimmt, weil sie wahrscheinlich

schon, ehe sie noch eine praktische Wirksamkeit erhalten, gar nicht zur

rechten rechtlichen Existenz kommen, denn hinter dem Ministerium steht ja bei uns noch ein anderer Faktor der Gesetzgebung, der vielleicht bei

manchen Maßregeln durch Ablehnung derselben die Gehässigkeit ganz von

den Schultern der Herren Minister

auf

die seinigen nimmt?)

Des­

wegen, meine Herren, wird in Preußen niemals dieses oder ein anderes Btinisterium das wirkliche Vertrauen des Landes erhalten, daß man sich

*) In einem vertraulichen Brief vom 21. März hatte der Finanzminister o. d. Heydt dem Kriegsminister v. Roon dargelegt, daß man zur Erzielung eines günstigen Wahlausfalles wenigstens zeitweilig die Militärausgaben um 2 ’/s Millionen Taler beschränken müsse, damit die bisherigen Steuerzuschläge von 25 Prozent in Wegfall kommen könnten. Vgl. über den viel besprochenen Vorfall Bergengrün, Heydt S. 288. 2) Das Herrenhaus.

von dem Ernste seiner guten Absichten völlig überzeugt hielte, als bis

es

in definitiver Weise Schritte getan

entschieden und

fassungsmäßig notwendig sind,

hat,

die

ver­

um das Haupthemmnis in der Fort­

unserer Zustände irgendwie

zu modifizieren oder zu

be­

seitigen (Lebhaftes Bravo!), und deswegen, meine Herren, tveil dies

die

entwicklung

allgemeine Stimmung im Lande ist, deshalb ist dies in die Adresse mit Die Konzessionen sind also im höchsten Grade prekär,

ausgenommen.

die wir bereits haben; sie sind vielleicht auch bedenklich; indes darauf

hier einzugehen, ist um so weniger notwendig, als wir ja in die Spezial­ beratung dieser Konzessionen eintreten werden, wenn dieselben uns besonders

Dasselbe, was ich von den Konzessionen sage, sage ich auch

beschäftigen.

von den Gesetzen und Vorlagen, die der Initiative des Königlichen StaatsHier, meine Herren, halte ich es für

ministeriums entsprungen sind.

auf einen Standpunkt zu kommen, der von dem Herrn Finanz­

nötig,

minister, und ich glaube mit Recht, so sehr betont wurde, als wir von

ihm die Vorlagen zuerst empfingen, und der mir eigentlich der Kern­ punkt des Programms des gegenwärtigen Staatsministeriums zri sein

scheint: es ist der Standpunkt der Wahrung der materiellen Interessen, auf den schon das geehrte Mitglied für Düsseldorfs

in der gestrigen

Debatte gewiß mit Recht und mit Grund hindeutete.

Durch das Ent­

gegenkommen gegen auf

die materiellen Forderungen, durch Verbesserungen

und wichtigen Gebiete

diesem großen

hofft

man die mangelnden

Sympathien zu gewinnen, und gewiß, meine Herren, das ist ein Stand­ punkt, Die

dem

wir unsere Anerkennung in keiner Weise versagen können.

außerordentliche

Wichtigkeit

im

Entwicklung

der

Güter-

und

Erwerbsleben des Volkes ist von allen Seiten anerkannt, und nament­

lich

bildet

sie

eine

Hauptströmung

unserer

Zeit;

Sie

wissen,

daß

man unser Jahrhundert deswegen als das Jahrhundert der materiellen

gekennzeichnet hat.

Interessen daß

ohne

humane

einen

und

gewissen

politische

sind; wir wissen,

Wir alle sehen

Grad

von

Entwicklung

wir gestehen zu,

ein,

Wohlstand

und

unseres Volkes

Bildung

gleich

die

unmöglich

daß der ganze Staatsbau nur durch die Wahrung

und die nötige Garantie für die materiellen Interessen eine dauernde und allein

solide

Grundlage

erlangt.

Sich

stützend

auf

diese

all­

gemeine Zeitanschauung, hat man in den Jahren 1848 und 1849 bei dem ersten Beginn der politischen Reaktion, uamentlich von dieser Seite

aus — ich habe jetzt nicht zu entscheiden, ob mit Recht oder mit Un-

*)■ Abg. v. Sybel.

70

Schulze-Delitzsch.

recht —

die Bewegung des Jahres 1848 angegriffen.

dieser

Es ist

Standpunkt gehörig ausgebeutet worden, aber derselben politischen Reaktion, die auf Grund dieses Fundaments ihrer Angriffe damals gewiß mit den

Sieg erlangte, ist

es Vorbehalten geblieben, den gründlichen Nachweis

innerhalb der Zeit ihrer Verwaltung zu führen, daß in keinen Händen

die materiellen Interessen eines Volkes schlechter bewahrt sind, als in den Händen der politischen Reaktion!

(Bravo!)

Welche staats- und volkswirtschaftlichen Theorien, welche Anwendung

und Verschleuderung der Staatsmittel, und zu lvelchen Zwecken!

Wie

ist die politische Geltung unseres Landes, wie ist die innere Entwicklung was kostet uns

nach allen Seiten hin dabei herabgekommen, und

diese Wirtschaft der Mißregierung vor dem Jahre 1858!

Indem

alle

ich

daher hier ausspreche, daß wir uns bereitwillig und daß wir uns ohne

alle Gefährde auf die Beratung der wichtigen Vorlagen des Staats­ ministeriums einlassen werden, möchte ich dabei doch ihm gegenüber, und

um unserem Volke gerecht zu werden, etwas aussprechen: ich

glaube,

meine Herren, das preußische Volk wird niemals geneigt sein, sich durch

anscheinende materielle Konzessionen auch nur ein Titelchen seines guten verfassungsmäßigen Rechtes entziehen zu lassen. Es

wird

nicht,

wie

Esau

(Bravo!)

seine Erstgeburt,

die

schwererrungene

politische Mündigkeit für ein Linsengericht verkaufen (Bravo!), das ihm von ministerieller Seite etwa vorgesetzt werden könnte, vorzüglich wenn

es weiß, daß dieses Linsengericht sehr bald in ein Schaugericht zusammen­

schrumpfen würde, und daß es mit seinen politischen Rechten auch die Gerichte von seinem Tische verschwinden sehen könnte.

(Bravo!)

Ich muß schließlich zu den Partien des Kommissionsentwurfs über­

gehen, die er nicht enthält und die eben, weil er sie nicht enthält, zu Angriffspunkten gegen ihn benutzt sind.

Der Herr Referent^) hat Ihnen

schon der Hauptsache nach den Standpunkt der Kommission klargemacht.

Eben wenn man der Ansicht ist, die allerdings von einigen Seiten des

Hauses noch bestritten toirb,8) daß unsere Lage derart ist, daß wir alle Ursache haben, sie zum Hauptgegenstand der Adresse an den Thron zu machen,

so

muß man zugeben, daß hier nicht bloß von einem augen­

blicklichen Angriff, etwa von mehr oder minder ungeschickten agitatorischen Stilübungen einzelner untergeordneten Behörden

die Rede

sein kann,

sondern daß es sich handelt um die Abwehr eines Angriffes, der unser

*) Twesten (Berlin). 2) Vincke hatte dem Entwurf der Kommission Übertreibungen vorgeworfen.

konstitutionelles Leben in seinem innersten Kern berührt.

Nun, meine

Herren, wer das anerkennt, der muß sich auch sagen, daß, wenn wir

mehr Dinge in

die Adresse hineinziehen als unumgänglich nötig sind,

wir unfehlbar den Eindruck der Adresse schwächen.

grenzung,

wenn man sich

einmal

Zudem ist die Be­

auf weiteres einläßt,

eine

ziemlich

schwere; das mögen Ihnen die verschiedenen Adreßentwürfe und Amen­ dements zeigen.

Es gibt gar zu viele wichtige Fragen, wer möchte denn

das bestreiten, für die sich große Sympathien im Hause im allgemeinen

und bei einzelnen Mitgliedern desselben im besonderen finden.

Da man

nun allen solchen Wünschen unmöglich Ausdruck geben kann,

so ist es

überaus schwer, eine Grenze zu finden, ohne den Forderungen einzelner zu nahe zu treten. Sodann aber, meine Herren, was insbesondere die Frage über die

auswärtige Politik betrifft — ich bin leider genötigt, wie die Dinge jetzt

stehen, auch die deutsche Frage mit unter die auswärtigen hineinzuziehen —,

so ist ein zweiter noch triftigerer Grund wohl zu berücksichtigen, den ich, wie der Herr Abgeordnete für Stargard schon berührte, bereits in der

Kommission geltend gemacht habe, und ich brauche nicht zu sagen, daß

ich seinen Ausführungen darüber in

bin.

keiner Weise beizutreten imstande

Ja, meine Herren, wenn man die Frage der auswärtigen Politik

berührt in einer Adresse

an

den Thron,

so scheint mir dies immer

implizite, mittelbar eine Aufforderung zu enthalten, sie auszunehmen und der Träger der Krone kann doch solche Frage nicht anders aufnehmen, als eben durch das jeweilige, das zeitige Ministerium, er hat dazu gar kein anderes Organ.

(Sehr wahr!)

Sehen Sie, meine Herren, wenn man nur den Standpunkt hat, in dem wir uns jetzt befinden, daß man durchaus nicht wünscht, im Inter­

esse für die Fragen selbst und für ihre richtige Erledigung, wenn man

nicht wünschen

kann,

daß das

zeitige Ministerium

scheint es denn doch durchaus geraten Adresse überhaupt gar nicht berührt.

sie

aufnimmt, so

zu sein, daß man

sie

in

der

(Sehr richtig!)

Denn sie in der Adresse Vorbringen und sich dabei gegen ihre Er­ ledigung durch die zeitigen Räte der Krone erklären — das geht doch

nicht.

Wohl aber lassen sich in der Adreßdebatte die Gründe für die

Weglassung solcher Fragen recht füglich entwickeln.

Wer möchte z. B.

von Ihnen wünschen, daß das jetzige Ministerium sich mit der schleswig-

holsteinschen,

mit der deutschen, mit der italienischen Frage beschäftige?

Müssen wir nicht fürchten, daß es sie nicht derart lösen oder vielmehr

ihre Lösung anbahnen möchte, tyi? wir von unserem politischen Stand-

Schulze-Delitzsch.

72

punkte aus es fordern, und der doch gewiß ein ebenso berechtigter in unseren Augen ist, als der der Staatsregierung in ihren Augen? Sodann, meine Herren, befinden wir uns in

der Lage durchaus

bestreiten zu müssen, das Königliche Staatsministerium könne, selbst wenn

es

den Willen dazu

hätte, diese Fragen jemals lösen.

Herren, gehören ganz andere Voraussetzungen, ministerium bietet.

als

Dazu, meine

sie unser Staats­

Ich erinnere Sie an die großen Kämpfe, von denen

die Lösung dieser Fragen kaum zu trennen sein möchte, deren schon der

Herr Vorredners gedacht hat. Denken Sie, meine Herren, an die deutsche,

an die schleswig-holsteinsche Frage; diese mit Aussicht auf Erfolg in die Hand zu nehmen, bedarf es der Entfesselung der ganzen Nationalkraft,

es

bedarf

der

hingebenden

Begeisterung

des Volkes,

seiner

vollsten

Sympathien, und ich frage die Herren Minister, ob sie sich zutrauen,

daß sie mit Erfolg in diesem Sinne das Nationalbanner zu entfalten imstande sind, und ob, wenn sie es tun, das preußische und das deutsche

Volk sich unter diesem Banner wohl scharen würde?

Eben aus dem

lebhaftesten Interesse für diese Frage haben wir geglaubt, besser zu tun, in der Adresse davon zu schweigen. — Die italienische Frage gibt mir

noch

zu einigen kurzen Bemerkungen

Mitglied für Geldern veranlaßt hat?)

im

besonderen

Anlaß,

die das

Es war natürlich dieser Punkt

die eigentliche oratio pro domo des verehrten Redners, und wir durften erwarten, hierüber von ihm ebenso energische als wertvolle Aufschlüsse zu erhalten.

Er ficht die von der ganzen liberalen Partei im wahren

Landesinteresse gewünschte Anerkennung des Königreichs Italien an, weil man

seitens der Italiener selbst erklärt habe: Italien

nichts, ihm fehle sonst das Haupt!

ohne Rom sei

Ja, meine Herren, wenn erst ein

ganzes Volk, wie das italienische, klar erkennt und offen ausspricht, was ihm fehlt und was es notwendig haben muß, um seine staatliche Orga­ nisation zu vollenden, dann hat es schon den ersten Schritt getan, das,

was ihm fehlt, zu erreichen.

Ich würde es freudig begrüßen, wenn wir

in Deutschland schon so weit im eigenen Erfassen und klaren Präzisieren dessen, was wir haben müssen und was zunächst not tut, vorgeschritten

wären!

(Bravo! links.)

Der Herr Vorredner hat dem Kinde Italien die Lebensfähigkeit an­ gezweifelt.

Gestatten Sie mir, da man uns einmal diese kindliche Bilder­

weise vorgeführt hat, daß ich mich auch in derselben bewege — ich meine,

das Kind hätte schon recht energisch gestrampelt. *) Reichensperger. =) Vgl. Bd. III S. 466.

(Heiterkeit.)

Die tapfere österreichische Armee weiß davon schon zu reden, und die Habsburger in Toskana und Modena und die Bourbonen in Neapel

und

Parma

empfunden.

haben

die

ersten

Lebensregungen

des

Kindes

Italien

Wenn der König Viktor Emanuel von dem Mitglied für

Geldern auch persönlich in die Debatte hineingezogen ist, so glaube ich,

wird ihm das nicht schaden.

Das Bild eines Regenten, in dem sich die

Volkswünsche, das Bedürfnis, der Drang des Landes verkörpert haben, der mutig die Schiffe hinter sich verbrennt und sein

alles einsetzt zur

Erfüllung der nationalen Hoffnungen, das nimmt eine so edle Stelle in

der Geschichte unserer Zeit ein, daß ein kleines Anspritzen von einer ge­ wissen Stelle schwerlich seinem Glanze schadet. Ich habe weiter nur noch darzutun, daß wir durch Weglassung der

erwähnten Fragen der äußeren Politik durchaus kein Mißverständnis bei

den Beteiligten hervorrufen.

Die Italiener z. B. wissen genau, wie wir

es in bezug auf sie meinen; es hat sich nicht bloß in der interessanten

Plänkelei einer Adreßdebatte das frühere Haus darüber erklärt sondern in einem sehr bestimmten Anträge hat es die volle Wucht seiner Gründe

in Vorberatungen entwickelt, die durch den Druck veröffentlicht wurden,')

und die allgemeine Zustimmung in ganz Deutschland und Italien ist diesen Kundgebungen des Hauses entgegengekommen, und es ist bekannt, daß die große Majorität des Hauses darin einig war.

Wenn Sie mir

sagen, es ist nicht dasselbe Haus, so muß ich Ihnen das formell zugeben;

ich glaube aber, wenn die Lage so ist, daß ein neues Haus nicht im gewöhnlichen

Wege

nach Ablauf der Legislatur-Periode

des

vorigen

sondern infolge der Auflösung und der Appellation an das Volk zu­

sammenberufen ist, und wenn dann dieselbe Majorität hineinkommt, die

im vorigen gesessen hat, dann kann ein solches Haus die geistige Kon­ tinuität seiner Arbeiten mit weit besserem Rechte in Anspruch nehmen, als dies formell von dem anderen Faktor der Gesetzgebung gegenwärtig geschieht. Deshalb kann und wird unsere Übergehung dieser Punkte in

der Adresse niemand mißverstehen, am wenigsten das deutsche Volk.

Die

Mahnung des Abgeordneten für Stargard an uns, die Mitglieder des

Nationalvereins in diesem Hause, wegen unseres Eifers hierbei, ist un­ nötig.

Ich

glaube,

gerade wir sind so ziemlich unterrichtet von der

Stimmung und Anschauung in den übrigen Teilen von Deutschland. *) In der Kommissionssitzung des Abgeordnetenhauses vom 5. März 1862 war beantragt worden, dem Plenum eine Erklärung zum Beschluß vorzulegen, daß es im Interesse Preußens liege, die Anerkennung des Königreichs Italien nicht länger zu verzögern.

74

Schulze-Delitzsch.

Das deutsche Volk,

ich wiederhole es, mißversteht uns nicht,

es weiß,

es begreift, warum wir gerade in diesem Augenblicke es uns versagen, unseren

heißesten Herzenswunsch

zu

Schritt zu seiner Verwirklickung

äußern,

zu tun,

Die öffentliche Meinung Deutschlands

ist

gerade jetzt irgendeinen

das größte Bedenken haben.

uns eigentlich in

unserem

Verhalten in dieser Beziehung selbst vorausgegangen; meine Herren, die öffentliche Meinung, die sechste Großmacht, hat ihre Verbindungen und Beziehungen abgebrochen zu dem jetzigen Ministerium.

Einstellung

Sie kennen die

und das Stocken der Flottensammlungen/) und so wenig

finanziellen Wert diese für das preußische Budget haben, so bedeutend waren sie als moralische Zustimmung, als Ausdruck der Sympathien und

der Hoffnungen, die das deutsche Volk zur preußischen Führung hegte.

Wir folgen nur diesem Vorgänge der öffentlichen Meinung, wenn auch wir in diesem Augenblick abstehen, die Frage weiter anzuregen.

Indem

wir uns gewissermaßen in das Innere unseres engeren Hauses zurück­

ziehen, weiß man doch wohl, daß wir es tun, weil wir in ernster Samm­ lung die nötigen Vorbedingungen, um

an die Lösung der Frage mit

Erfolg heranzutreten, uns einzig und allein verschaffen können.

und Deutschland sollen inniger

seiner

deutschen

wissen,

daß das

Mission

bewußt

Europa

preußische Volk niemals sich gewesen

ist, wie in diesem

Augenblick stiller Einkehr der Konzentration seiner Kraft, wo es bemüht ist, auszugleichen die inneren Zerwürfnisse und herzustellen die Bande

des Vertrauens zwischen Fürst und Volk, die uns so not tun im Ernste der Zeit, die es allein ermöglichen, den Verwickelungen, welche die Führung

des deutschen Volkes zu der ersehnten politischen Einigung im Gefolge

hat, mit Erfolg entgegenzutreten.

Das Mitglied für Geldern hat in

seiner bilderreichen Sprache uns gefragt nach denr Zauberstabe, den wir etwa bereit

hätten

in

dieser Sache.

Ich will ihm diesen Zauberstab

nennen, ganz kurz, ich denke, er wird mich verstehen.

In dem Augenblick,

wo ein König dieses Landes den Ausspruch tut, daß er für das Recht und die politische Existenz des deutschen Volkes einstehen will, ist der Zauber

gefunden, der wie der Stab Mosis den Quell im Felsen, die

ganzen Kräfte der deutschen Nation

in wunderreichem Lebensquell ouf-

sprudeln läßt, der alle Hindernisse hinwegschwemmt, die man ihm von

Außen und Innen, hier namentlich von der Seite, die in der Stockung aller geistigen und politischen Entwicklung ihre Lebenslust findet, ent­

gegengesetzt.

Das ist der Zauberstab, welchen das Mitglied für Geldern

y Vgl. Bd. III S. 192.

Auch der Herkules, den er vermißt, wird sich dann finden.

sucht. als

ein Fürst aus

dem Hause Hohenzollern

Mehr

hat Aufgaben gelöst,

zu

denen herkulische Schultern gehören, und ich hoffe, daß die Gnade Gottes,

auf die unser Herrscherhaus so stolz ist und die sich nach seiner Auf­

fassung darin dokumentiert hat in unserem Fürstengeschlecht, daß immer

zur rechten Zeit der rechte Mann gekommen ist, sich auch ferner an ihm bewähren wird, daß ihm und der Nation in ihrer großen Lebensfrage

der rechte Mann nicht fehlen wird. wir

unseren

Bahnen wir ihm den Weg, indem

inneren Frieden festigen und energisch und gerade gegen

alles ankämpfen, was ihn trüben könnte! Wenn vielleicht manche ernste

Bedenken und manche schwere Erwägungen in dem Nate des Fürsten,

die wir wohl verstehen, in dieser Sache dem Vorschreiten entgegenstehen, so wird die Not des Vaterlandes,

die Not des

weiteren und engeren

Vaterlandes zu Entschlüssen treiben, wie sie auch 1813 gefaßt werden mußten, um den Staat zu retten, und wenn die Not da ist, wird auch

die Kraft kommen und der Entschluß nicht fehlen, das hoffen wir zu

Gott in dieser großen Sache. Nach alledem, meine Herren, möchte ich mich also vollkommen auf

dem Standpunkt des Kommissions-Entwurfes halten, und nur in einem einzigen Punkt, den ich mir zum Schluß Vorbehalten habe, würde ich

mich

entschließen,

davon abzuweichen

und mich dem Amendement des

Abgeordneten v. Sybel und Genossen anzuschließen.

Ich halte es nicht

für notwendig, ich sehe keine besondere Hilfe, die wir den braven Hessen

dadurch verschaffen, wir haben unsere Stellung zu ihren Wünschen vor wenigen Monaten eingehend ausgesprochen;') aber, meine Herren, es ist mir bedenklich, da das Aniendement einmal gestellt ist, dasselbe abzu­

lehnen.

Das will ja niemand von uns, irgendwie in dem

nicht geendeten Kampfe unsere hessischen Brüder

schwächen,

noch lange

und

eine

Verwerfung des Amendements in dieser Lage könnte zu Mißverständnissen

Veranlassung geben.

Dies der eine Grund.

geordnete für Geldern

Dank weiß.

des

ganz

Den andern hat der Ab­

auch angedeutet, wofür ich ihm ganz besonders

Wir akzeptieren, sagt er von unserer Fraktion, mit Aufgabe

konsequenten

Standpunktes

im Kommissions-Entwürfe das

v. Sybelsche Amendement, um eine große Stimmenzahl für die Adresse

zu gewinnen. Ich akzeptiere dies. Ja, meine Herren, ich kann nachgeben, wenn ich glaube, daß das Nachgeben zur Einigkeit führt, und wenn man mir nicht zumutet, ein politisches Prinzip aufzugeben.

l) Vgl. Bd. III S. 328 ff.

Von letzterem ist

Schulze-Delitzsch.

76

hier in keiner Weise die Rede, und ich glaube, meine Herren, gerade da wir sehen, daß dieses Nachgeben und diese Einigkeit nach gewisser Seite hin gar keine erwünschten sind (Heiterkeit), um so mehr sehen wir uns dazu veranlaßt, sie festzuhalten.

(Bravo!)

Ich bitte Sie daher, meine Herren, im Beginn unserer Arbeiten

sowohl nach oben wie nach unten hin zu dokumentieren, daß das ernsteste Bestreben der Einigkeit unter allen liberalen Fraktionen dieses Hauses

unsere Schritte leitet und selbst einen liebgewordenen und verfochtenen Standpunkt augenblicklich aufgeben läßt, wenn es das Wohl des Vater­

landes, das Interesse der Sache, die wir alle wollen, fordert.

(Leb­

haftes Bravo!)

3m kaufe der Debatte antwortete der Kriegsminister auf die Rede

Schulzes, verwahrte das Ministerium gegen den Vorwurf des Scheinkonstitutionalismus und bestritt Schulze das Recht, seine Partei mit dem

kande zu identifizieren.

Dies gab Schulze Veranlassung zu einer kurzen

Erwiderung: Ich

habe einen

Bemerkung.

sehr persönlichen Grund zu meiner persönlichen

Der Herr Kriegsminister hat die Güte gehabt, mir einen

unparlamentarischen Ausdruck vorzuwerfen.

Ich weise

das

nicht für

mich, das hätte ich nicht nötig — sondern im Interesse des ganzen

Hauses hiermit zurück.

(Zustimmung.)

Es gibt nur eine Behörde, der, wenn gegen die parlamentarische Ordnung in diesem Hause gefehlt ist, das Urteil darüber zusteht.

glaube, darin stimmen Sie mir sämtlich bei. Wenn von Verdächtigungen

die Rede ist,

Ich

(Lebhaftes Bravo!)

des Ministers gegen uns meinerseits

so ist das nicht unparlamentarisch,

ich

kann jedermann

bezichtigen, ich kann es der Staats-Regierung gegenüber aussprechen, daß sie durch eine Äußerung, durch eine Erklärung die Partei verdächtige. Ich träte nur aus den Grenzen erlaubter parlamentarischer Diskussion

heraus, wenn ich sage, sie tue es „absichtlich"; und das hat der Herr

Minister von mir gesagt.

Wenn also jemand im Falle wäre, sich über

Verletzungen parlamentarischen Brauches zu beklagen,

so wäre ich es.

Ich will mich aber nicht demselben Fehler, den der Herr Kriegsminister begangen, aussetzen, ich will ihn nicht beschuldigen, denn mir steht über die parlamentarische Ausdrucksweise der Herren Minister in dieser Be­ ziehung keine Kritik zu.

(Bravo! links.)

Ferner wurde mir schuld gegeben, ich hätte in uns die alleinigen Vertreter des Landes — ich kann mich irren, mir liegt der stenographische

Bericht nicht vor — erblickt.

Das wäre gewiß gegen die Verfassung.

Aber ich glaube, es liegt hier eine Verwechselung des Herrn Ministers

zugrunde.

Ich habe von der Majorität des Landes, nicht von einem

politischen Körper, von der Volksvertretung gesprochen, und ich meine doch, daß das Haus, welches aus den Wahlen des Landes hervorgeht, allein von einer Majorität im Lande sprechen kann. Das andere Haus natürlich, so berechtigt es sich auch als Teil der Landesvertretung nach

den Worten der Verfassung ansehen mag, geht doch gewiß nicht aus der Majorität des Landes hervor. Das ist etwas ganz anderes, und ich trete durch meine Äußerung den Befugnissen des anderen Hauses in keiner Weise zu nahe. Alsdann soll ich auch irgend etwas gesagt haben, was der Erhebung

des Banners unseres Landes irgendwie zu nahe träte. Ich meine die Würde und Ehre des preußischen Banners wird wohl nicht gefährdet, wenn ich und meine Freunde wünschen, es möge das nationale Banner von ganz Deutschland werden, unter welchem sich, außer den Söhnen Preußens, auch die anderen deutschen Stämme schaaren. (Lebhaftes Bravo!)

Das ist wohl das beste, was wir unserem Banner und dem, in dessen Namen es geführt wird, wünschen können. (Anhaltendes Bravo! links.)

Nachher, glaube ich, habe ich irgendwie damit verstoßen, daß ich den Scheinkonstitutionalisinus der Herren Minister gekennzeichnet habe. Da liegt nun ein Dokument vor — ich will Sie nicht mit seiner Vorlesung ermüden — was ich als das eigentliche Programm des Scheinkonsti­ tutionalismus bezeichnen möchte, der Brief des Herrn Finanzministers. Eine Widerlegung von seiner Seite ist bis jetzt weder diesem Hause noch dem Lande gegenüber auch nur versucht. (Unruhe rechts.) Ich schließe ganz kurz. Ich appelliere über die Richtigkeit meiner Behauptung an das Haus und an das Land, und ich glaube, mit besserem

Erfolge, als die Herren Minister bei den Wahlen. (Lebhaftes Bravo! links.) Die Debatte wurde erst am folgenden Tage zu Ende geführt,

vor

ihrem Schluß kam Schulze in den folgenden Ausführungen auf Angriffe der Abg. v. Vincke und v. Saenger-Bromberg zurück:

Ich bin rücksichtlich der Konsequenz, indem ich mich gegen eine Er­ wähnung der deutschen Frage erklärte und doch nichts zu der Lkonzession

in bezug auf das Amendement für die hessische Frage erwähnte, eines Widerspruchs von dem Mitgliede für Stargard geziehen worden. Ich glaube, es läßt sich das Mißverhältnis, welches dabei obwaltet, mit zwei Worten berichtigen.

Die hessische Frage, meine Herren, liegt in manchen

Schulze-Delitzsch.

78

Beziehungen anders als die deutsche, wie auch schon hervorgchoben worden

ist.

Es hängt nicht von unseren Wünschen und Anträgen ab, ob das

gegenwärtige Ministerium in diesem Augenblick mit der hessischen Frage

sich beschäftigen soll.

Das Ministerium hat diese Frage

bereits voll­

ständig vor sich, es ist mitten in der Aktion begriffen, also der Wunsch, den ich rücksichtlich der deutschen Frage habe, man möchte nicht weiter

darin vorgehen, steht nicht mehr in der Gewalt des Hauses. In bezug auf die hessische Frage sodann, meine Herren, kann ich

mich doch,

auch wenn ich sie mit ausgenommen zu sehen wünsche, nicht

mit der Fassung des Vinckeschen Entwurfs einverstanden

das ist wahrhaftig nicht willkürlich.

erklären,

und

Der Standpunkt des Mitgliedes für

Stargard und seiner Freunde in der hessischen Frage ist ganz derselbe, der auf dieser Seite des Hauses (links) herrscht.

Er hat sich unbedingt

für die Herstellung des verfassungsmäßigen Rechtes, namentlich des Wahl­ gesetzes von 1849, erklärt.

Aber, meine Herren, wenn das sein Stand­

punkt ist, und niemand wird glauben, daß er einen andern einnehmen

könne, so ist das nicht ausgedrückt in seinem Entwurf, und darauf kommt

es an.

(Widerspruch rechts.)

Ich bitte, meine Herren, fassen Sie die Worte ins Auge: „In der Richtung nach diesem obersten Ziele preußischer Politik

haben wir die Machtentfaltung für Herstellung des gekränkten verfassungsmäßigen Rechtes in Kurhessen mit freudiger Genug­

tuung begrüßt." Wir wissen aber, daß die Regierung diese Machtentfaltung durchaus nicht zur vollständigen Wiederherstellung des Rechtes gemacht hat, insofern

sie noch das Wahlgesetz von 1849 und von 1831 als eine offene Frage gelassen hat.

Man kann also ein Mißverhältnis hineintragen, wenn man

die Erklärung des Abgeordneten für Stargard nicht kennt.

Es könnte

aus seiner Adresse hergeleitet werden eine Bedingung des Rechtes; uns aber ist unbedingtes Recht das oberste Ziel der Politik. Vizepräsident Behrend (den Redner unterbrechend): Der Herr Ab­

geordnete ist wohl nicht im Hause gewesen, als beschlossen wurde, daß

wir die hessische Frage speziell bei dem folgenden Passus des Entwurfes

behandeln wollten. Schulze: Ich wurde von dem Abgeordneten für Stargard angegriffen und habe nur erwidern wollen, sein Standpunkt sei kein korrekter. will dem Herrn Abgeordneten bei

dem

nächsten Passus,

Ich

der sich auf

Kurhessen bezieht, weiter darauf erwidern. Ich habe in der deutschen Frage noch kurz etwas zu bemerken.

Da

muß ich aus dem eigentlichen Widerspruch, den ich bei dem nächsten

Punkte ausführen soll, doch auf die deutsche Frage zurückgehen.

Meine

Herren, es ist hier interpretiert worden, wir seien nicht konsequent; *) denn der Herr Kriegsminister, der damals die Flottensammlungen

habe, sei noch da; zahlen wolle.

akzeptiert

warum man nicht mehr an ihn

man begreife nicht,

Ich glaube, daß der Herr Abgeordnete und seine Freunde

am allertvenigsten

Ursache haben, eine Identität

des zurückgedrängten

aufgelösten Ministeriums mit dem jetzigen daraus ableiten zu sollen, daß

einzelne Personen

noch in dem letzteren sind.

Für uns, meine Herren,

weil gerade

ist ein ganz anderes Ministerium da,

die liberalen Ele­

mente des Ministeriums ausgeschieden sind. Es würde ja ein Irrtum sein, zu glauben, daß bei den Flottensammlungen und bei den Flottenbeiträgen ein besonderes Vertrauen gegen

obgewaltet hätte.

die Person des Herrn Kriegsministers

Das Vertrauen

bezog

sich

auf die Gesamtheit des

Ministeriums auf seinen gesamten politischen Charakter, aber nicht auf

die einzelnen Personen.

(Bravo! links.)

Indem sich der gesamte politische Charakter durch das Ausscheiden

der liberalen Elemente zu unserem Bedauern geändert hat, können wir auf Personen gar nicht mehr rekurrieren, und eine Deduktion von dem

Verbleiben einzelner Personen im Ministerium müssen wir in dieser Be­ ziehung vollständig hier zurückweisen.

Und, meine Herren, derselbe Grund

waltet auch ob gegen die Deduktion des Abgeordneten v. Saenger.

Wir

haben damals im vorigen Hause in Gemeinschaft mit ihm und im Ein­ verständnis mit jenen Herren den deutschen Antrag eingebracht.*2) würden ihn jetzt wieder einbringen aus demselben Grunde.

Ministerium bedurfte eines Antriebs in dieser Sache.

Wir

Das vorige

Aber wir glaubten,

daß jetzt der Antrieb ganz gewiß nicht zum Guten führen könne, daß er nicht zur Erledigung

führen möchte in dem Sinne,

unserem Standpunkte aus wünschen.

Wir

müßten

wie wir

es

von

nun von unserem

jetzigen Ministerium erst Beweise haben, daß wir ihm in demselben Grade, wie dem vorigen Ministerium, unser Zutrauen schenken könnten, ehe wir einen solchen Antrag machen.

Es stehen uns ganz andere Umstände entgegen, wie sie damals vorVon v. Vincke. 2) In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 14. Februar 1862 waren gesonderte Anträge von Schulze und Albrecht (Konitz) zur deutschen Verfassungs­ frage eingebracht worden. Den Antrag Albrecht hatte auch v. Saenger unter­ schrieben. Beide Anträge kamen infolge der Auflösung des HauseS am 11. März nicht mehr zur Beratung im Plenum.

Schulze-Delitzsch.

80

walteten. Es ist, wie ich noch geltend machen will und auch schon gesagt worden, dies eine solche wichtige Frage, daß sie nicht so beiläufig abgemacht

werden

kann.

Wie der Abgeordnete Virchow schon

einer Adretz-Debatte bringen.

nicht

möglich

sein,

sagte, wird es bei

diese Sache zum Austrag zu

Die Stellung eines besonderen Antrages würde in dieser Be­

ziehung viel besser sein.

Wir sind aber außerdem am Ende der Adreß-

Debatte und Sie wissen ja, meine Herren, daß nach einer solchen mehr­ tägigen Debatte nach und nach wohl eine Ermüdung eintritt. (Allgemeine

Zustimmung.) Ich möchte, daß wir für diese Frage bei der Verhandlung mit ganzem frischem Mut eintreten, und daß sie nicht mit der Adresse abgemacht werde, wo ihr kaum das volle Recht, das sie verdient, zuteil werden würde.

Bei der Abstimmung wurde der Entwurf der Kommission mit dem

Amendement v. Sybel und einem Antrag Bresgen-Koblenz angenommen,

der in die Adresse noch die Bitte um ein Gesetz zur Begründung einer

selbständigen Gemeinde- und Kreisverwaltung und um Ermäßigung der Steuerlast ausgenommen wissen wollte.

95. Gegen die Beeinträchtigung der Wahlfreiheit der Beamten. Rede in der 17. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

4. Juli 1862.

Die Mitglieder des Dorfgerichts in Dürrgoy bei Breslau hatten eine Petition on das Abgeordnetenhaus gerichtet, die darauf antrug, einen Erlaß des Regierungspräsidenten in Breslau vom 26. März (862, der die Beamten zur eifrigen Unterstützung der Regierungspolitik gegen die Fortschrittspartei verpflichtete, als widerrechtliche Beeinflussung der

Wahlfreiheit zu erklären und bei der Regierung auf Schutz gegen jede Beschränkung des Wahlrechts in Zukunft hinwirken zu wollen. Ein Antrag der petitionskommission entsprach den Wünschen der Bittsteller, während Abg. v. vincke.Stargard unter heftigen Angriffen

auf die Regierung die Petition aus formalen Gründen der Regierung nur zur Berücksichtigung überweisen wollte. Der Minister des Innern von Iagow führte aus, daß die Regierung den Beamten nicht gestatten könne, sich an feindseligen Agitationen gegen das Ministerium zu be­

teiligen, und Abg. von Gottberg-Stolp (konservativ) betonte ausdrücklich das Recht der Regierung, durch Erlasse auf den Ausgang der Wahlen ein.

zuwirken, indem er zugleich dieser Art der Beeinflussung den Terrorismus bei der Beeinflussung der Wahlen von unten gegenüberstellte.

antwortete Schulze:

Beiden

Schulze-Delitzsch.

80

walteten. Es ist, wie ich noch geltend machen will und auch schon gesagt worden, dies eine solche wichtige Frage, daß sie nicht so beiläufig abgemacht

werden

kann.

Wie der Abgeordnete Virchow schon

einer Adretz-Debatte bringen.

nicht

möglich

sein,

sagte, wird es bei

diese Sache zum Austrag zu

Die Stellung eines besonderen Antrages würde in dieser Be­

ziehung viel besser sein.

Wir sind aber außerdem am Ende der Adreß-

Debatte und Sie wissen ja, meine Herren, daß nach einer solchen mehr­ tägigen Debatte nach und nach wohl eine Ermüdung eintritt. (Allgemeine

Zustimmung.) Ich möchte, daß wir für diese Frage bei der Verhandlung mit ganzem frischem Mut eintreten, und daß sie nicht mit der Adresse abgemacht werde, wo ihr kaum das volle Recht, das sie verdient, zuteil werden würde.

Bei der Abstimmung wurde der Entwurf der Kommission mit dem

Amendement v. Sybel und einem Antrag Bresgen-Koblenz angenommen,

der in die Adresse noch die Bitte um ein Gesetz zur Begründung einer

selbständigen Gemeinde- und Kreisverwaltung und um Ermäßigung der Steuerlast ausgenommen wissen wollte.

95. Gegen die Beeinträchtigung der Wahlfreiheit der Beamten. Rede in der 17. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

4. Juli 1862.

Die Mitglieder des Dorfgerichts in Dürrgoy bei Breslau hatten eine Petition on das Abgeordnetenhaus gerichtet, die darauf antrug, einen Erlaß des Regierungspräsidenten in Breslau vom 26. März (862, der die Beamten zur eifrigen Unterstützung der Regierungspolitik gegen die Fortschrittspartei verpflichtete, als widerrechtliche Beeinflussung der

Wahlfreiheit zu erklären und bei der Regierung auf Schutz gegen jede Beschränkung des Wahlrechts in Zukunft hinwirken zu wollen. Ein Antrag der petitionskommission entsprach den Wünschen der Bittsteller, während Abg. v. vincke.Stargard unter heftigen Angriffen

auf die Regierung die Petition aus formalen Gründen der Regierung nur zur Berücksichtigung überweisen wollte. Der Minister des Innern von Iagow führte aus, daß die Regierung den Beamten nicht gestatten könne, sich an feindseligen Agitationen gegen das Ministerium zu be­

teiligen, und Abg. von Gottberg-Stolp (konservativ) betonte ausdrücklich das Recht der Regierung, durch Erlasse auf den Ausgang der Wahlen ein.

zuwirken, indem er zugleich dieser Art der Beeinflussung den Terrorismus bei der Beeinflussung der Wahlen von unten gegenüberstellte.

antwortete Schulze:

Beiden

Auch ich will, ohne mich in die so reichlich beigebrachten Details zu mischen,

nur versuchen,

noch

einen allgemeinen Gesichtspunkt hervor­

zuheben, welcher mir noch nicht genug in der Debatte betont zu sein scheint. Ehe ich damit beginne, will ich aber nur beiläufig eine Äußerung

des Abgeordneten für Stolp zurückweisen oder eigentlich mehr erläutern. Er sprach, indem er den Regierungserlassen und dem dadurch geübten Einflüsse auf die Wahlen einen anderen Einfluß entgegen stellte, von einer

„Beeinflussung von unten".

Das ist nun allerdings eine vollständig neue

Form von Beeinflussung, unter der ich mir eigentlich nichts anderes vor­ stellen kann, als die Selbstbestimmung der Wähler durch ihre eigene Überzeugung. Die Beeinflussung des Volkes von unten kann doch nichts anderes sein, als die Beeinflussung des Volkes durch das Volk selbst. —

Was heißt nun das?

Das heißt eben die Abweisung einer Beeinflussung

von jeder Seite, von wo aus man sich eine Einwirkung durch etwas

anderes als durch Gründe anmaßt, also die Wahrung der eigenen freien

Selbstbestimmung.

Nun, daß die geehrten Herren von dieser Seite (rechts) nicht überall mit der erwachenden Selbständigkeit des Volkes, welche trotz der großen

Schwierigkeiten, die eben die Beeinflussung von oben ihr entgegenstellte,

trotz der bestehenden Formen bei Ausübung des Wahlrechtes, die jeden

einzelnen der strengsten Kontrolle unterwirft, — sich so geltend gemacht hat, nicht recht zufrieden sind, das glaube ich.

Ich meine

aber,

wir

werden diese neue Art von Beeinflussung des Volkes durch sich selbst

als ein Zeichen des mehr und mehr hervortretenden politischen Selbst­

bewußtseins bei den Wahlen gewiß nur mit Freuden begrüßen und uns einen derartigen Einfluß für immer zu sichern trachten.

In der Sache selbst hat man hervorgehoben, daß eigentlich die ganze Debatte,

in die man heute wieder eingetreten, schon vorweg genommen

sei bei der Adreßdebatte, und es überflüssig sei, heute wieder darauf

einzugehen?)

Dagegen, meine Herren,

möchte ich doch

sehr ernstlich

Protestieren.

Bei der Adreßdebatte, da ist allerdings die Beeinflussung

der Wahlen

und die Stellung der Herren Minister und der höheren

Regierungsbeamten durch ihre Wahlerlasse im allgemeinen zur Diskussion gezogen und kritisiert worden.

Heute liegt die Sache ganz anders, heute

liegt uns zum ersten Male von feiten beeinflußter Beamter eine be­

stimmte Petition und ein direkter Antrag — also ein konkreter Fall vor.

Daß gerade von dieser Seite, von feiten beeinflußter Beamter, es gar

*) Abg. von Gottberg-Stolp. Schulrc-Delttzsch, Schriften und Reden. 4.

Vgl. oben S. 61 (Adreßfrage). ß

82

Schulze-Delitzsch.

nicht so leicht ist, Vorstellungen, Petitionen, Anträge auf Abhilfe, auf Remedur an dieses Hohe Haus zu richten, das liegt schon in der Stellung der Beamten, und hier möchte ich eben die Gelegenheit der Debatte be­ nutzen, nicht nur rechtlich den Fall zu beurteilen, wie es ja die geehrten

Vorredner vor mir erschöpfend getan haben, — nein, ich glaube auch,

daß es sehr im Interesse des Hauses und des Landes liegt, wenn bei dieser

Gelegenheit

mehr

und

die

mehr in

volle Sympathie

allen Schichten

des Hauses

für

die

immer

des Beamtenstandes sich hervor­

tuenden Zeichen ausgesprochen wird, welche bekunden, daß auch dieser so

wichtige, einflußreiche und achtungswerte Stand in allen seinen Schichten sich mehr und mehr in seiner staatsbürgerlichen Stellung zu fühlen an­

fängt, daß mehr und mehr die spröde Absonderung aufhört, in der er

bis dahin, in einzelnen Kreisen mindestens, gegen das verfassungsmäßige

Leben sich behaupten zu müssen glaubte.

Ich begrüße in den Gründen,

welche dem Herrn Minister es notwendig erscheinen ließen, solche Erlasse

überhaupt in das Land zu schicken, ich begrüße darin eine Anerkennung

der von mir bezeichneten Regungen und bemerke folgendes dazu:

Die Beamten haben ganz allein und ohne Erlasse ihrer höchsten Vorgesetzten wahrhaftig Motive genug, niemals ohne Not Opposition zu machen.

Was hängt nicht alles

guten Fuße

mit

seinem

bei einem Beamten daran, auf einem

Vorgesetzten

zu

stehen.

Wenn

hier

also

Zeichen und Regungen der Selbständigkeit mehr und mehr durchzubrechen anfangen,

Dänemark.

nun,

meine Herren,

da muß etwas

faul

sein

im Staate

(Bravo! links.)

Denn wahrhaftig einen Oppositionskitzel wird man unserem Beamten­

stande und überhaupt dem Beamtenstande in keinem Staate wohl vor­ werfen können.

Wenn sie opponieren, so tun sie es auf ihre Gefahr,

und die Opfer und die vielen Unzuträglichkeiten und Unannehmlichkeiten,

die daraus für sie hervorgehen, sind ihnen selbst recht wohl bewußt. Ich habe schon gesagt, daß wir alle Ursache haben, diese selbständigen Regungen, die sich auch in den Schichten der Verwaltungsbeamten mehr

und

mehr verbreiten,

freudig zu begrüßen.

Grenze künftig von einem Ministerium leicht

Es wird hoffentlich die zu ziehen

sein,

die

der

Beamte bei seiner Beteiligung am politischen Leben inne zu halten hat. Ich glaube, sie läßt sich in einem kurzen Satze angeben: „Der Beamte

darf, wenn er sein Amt nicht verletzen will, die Politik nicht in seine Amtstätigkeit übertragen."

Aber weiter, meine Herren, geht die Sache

nicht: Politik zu treiben als Staatsbürger, das darf ihm nicht benommen sein, das muß ihm freistehen.

Nur in seiner Amtstätigkeit soll er seiner

Parteistellung

Politischen

Einfluß

keinen

gestatten,

bei

seinen

Amts­

funktionen sollen ihm alle politischen Parteien gleichstehen, und er soll sein Amt nicht mißbrauchen, um auf die Parteistellung anderer einen

Druck zu

Das aber, meine Herren, ist gerade der Punkt, der

üben.

nach meiner Ansicht nur zu sehr gefährdet ist durch die Wahlerlasse der

Gerade dadurch sind einzelne Beamte in vielen Fällen

Herren Minister. bewogen

und

angewiesen worden,

ihr

ganzes

amtliches

Ansehen

zur

Förderung gewisser politischer Parteitendenzen einzuwerfen in die Wag-

schale, das Gewicht ihrer amtlichen Stellung ihrem staatsbürgerlichen Recht hinzuzufügen.

Und

deswegen

ist die Bedeutung dieser

ganzen

Verhandlung so groß; sie wird hoffentlich mit dazu helfen, daß künftig die Scheidelinien und Grenzen besser innegehalten werden, und deshalb

möchte ich auch, daß wir den Kommissionsantrag oder das dazu von dem

Herrn

Abgeordneten

Majorität an nehmen.

für Stargard

gestellte

Amendement

mit

großer

Denn — es herrscht eigentlich gar keine Meinungs­

verschiedenheit unter den liberalen Parteien dieses Hauses, und ich sehe auch keinen Unterschied in den beiderseitigen Anträgen außer einem sehr formalen und unwesentlichen.

Denn wenn die Kommission den Antrag

der Petenten wörtlich zu dem ihren macht, das Amendement v. Vincke diesen selben Antrag den Ministern zur Berücksichtigung überweist, nun,

so ist das dasselbe.

Ich würde also, wenn der Kommissionsantrag nicht

durchgeht, für das Amendement des Herrn Abgeordneten v. Vincke mit

derselben Bereitwilligkeit stimmen; aber lassen Sie uns wenigstens für das

eine oder

das andere mit voller Majorität uns einwerfen.

Ich

glaube, wenn wir den Kommissionsantrag annehmen, werden wir der

Sache ebenso gerecht, wie durch jenes Amendement, und es wird nicht notwendig sein, deshalb eine Spaltung durch die Abstimmung, da die

Was

Meinung der liberalen Parteien eine einige ist, herbeizuführen.

wir tun und was wir bewirken durch die Annahme dieses Antrags oder

durch die Annahme des Amendements, das will ich noch durch ein paar kurze Worte hervorheben.

Zunächst, meine Herren, sichern wir uns in der dadurch immermehr wachsenden Beteiligung der Beamten an dem politischen Leben unseres

Volkes,

an

dem

neuen Verfassungsleben — wir sichern

uns

in

der

politischen Bewegung selbst ein sehr wertvolles Element in den Beamten, ein

sehr

Element.

zu beachtendes und im besten Sinne wahrhaft konservatives

Daun ist aber auch

von anderer Seite schon hervorgehoben

worden, wir werden, wenn wir den Beamten ihr volles staatsbürgerliches Recht garantieren, sie selbst in ihrer amtlichen Stellung stärken, nament-

6*

Schulze-Delitzsch.

84

lich

in

den sittlichen Bedingungen,

Funktionen getragen werden müssen. und vollberechtigte Staatsbürger

von

denen

auch

ihre amtlichen

Erst wenn dieselben alle als gleiche eintreten

in

das

verfassungsmäßige

Leben, wenn sie nicht von dem Volke als solche aufgefaßt werden, denen

es verboten ist, in den wichtigsten Dingen so gut ihre volle Herzens­ meinung wie andere Staatsbürger, zum Ausdruck zu bringen, wenn sie nicht, wie der verehrte Herr Vorredners bereits gesagt hat, dastehen sollen als solche, die notgedrungen, um sich nur ihre Stellung zu er­

halten, heucheln und ihre wahre Gesinnung verhehlen müssen.

Eine solche Meinung kann unmöglich

die würdige Stellung des

Beamtenstandes fördern, sie muß ihr notwendig Eintrag tun, und

je

mehr wir diesen Mangel beseitigen, desto mehr fördern wir den Beamten­ stand selbst.

Endlich aber, meine Herren, je mehr der Beamtenstand sich erschließt dem Zuge, dem frischen Zuge des jungen Verfassungslebens

bei uns,

desto mehr verliert die Reaktion einen Haupthebel, den sie im Kampfe mit dem verfassungsmäßigen Leben einzusetzen Pflegt.

Wenn erst jener

frische Lebenshauch auch alle die dumpfen Amtsstuben durchweht, dann, meine Herren, stehen wir viel sicherer am Beginne einer neuen Ära, als durch irgendeinen Ministerwechsel.

Ich meine nun, wir haben, wenn wir alles ruhig überschauen, den jetzigen Ministern eigentlich doch in mancher Hinsicht für ihre Erlasse

Dank zu wissen.

Es ist das eben ein Zeichen, meine Herren, daß eine

geschichtliche Idee ihrer Reife und ihrer Vollendung entgegensieht, und dies nehme ich für unser verfassungsmäßiges Staatsleben, für den Über­ gang

von

dem Absolutismus

zum Konstitutionalismus

bei uns in

Anspruch: daß ihr dann auch immer ihre Gegner dienen, sie mögen tun, was sie wollen — sie dienen ihr unbewußt, und

es bedurfte wirklich

eines so harten Anstoßes an das staatsbürgerliche und an das humane

Bewußtsein der Beamten, wie er durch die Ministerialerlasse gegeben ist, damit sich dasselbe in solcher Frische erheben konnte, wie wir es bei den letzten Wahlen gesehen haben.

Wie man uns mit manchem entgegen­

gekommen ist, was wir dankend akzeptieren, so akzeptieren wir auch das, was von feiten der Herren Minister geschehen ist in einer unbewußten

Kooperation für die neuen Zeitideen, also wider ihren Willen.

(Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Antrag v. Vincke abgelehnt und der der Kommission mit großer Majorität angenommen. *) Abg. Virchow (Saarbrücken-Ottweiler-St. Wendel).

96. Militärgerichte und Zivilgerichtsbarkeit. Rede in der 21. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

15. Juli 1862.

Aus Anlaß einer Interpellation des Abg. Simon-Breslau (Fort­ schrittspartei) und Genossen im preußischen Abgeordnetenhause am (5. Juli (862 betr. Übergriffe der Militärgerichte in die Zivilgerichts­ barkeit sprach sich Schulze wie folgt aus: Meine Herren!

Ich glaube,

es ist eine Verschiebung der Frage,

wenn man meint, ein Motiv der Interpellation liege darin und werde

von dem Antragsteller so aufgefaßt, als ob man die Militärgerichte der Parteilichkeit bezichtigen wollte?) Interpellation

Ich

dergleichen nicht finden

Interpellanten gar nicht darauf an,

habe in

der Begründung

können.

Es

kam

der

dem Herrn

zu behaupten — und er hat es

nicht getan — daß die Militärgerichte bei der Aburteilung von Ver­

gehen der Militärpersonen im allgemeinen sich eine bewußte Parteinahme zuschulden kommen ließen.

Er hat nur angegriffen und beseitigt wissen

wollen die Ausnahmestellung der Militärpersonen

nicht

nur

als

An­

geklagte sondern auch als Richter, namentlich auch die Militärjustizbeamten. Der Herr Justizminister hat wohl mit Recht geltend gemacht, daß Mißgriffe überall und in allen menschlichen Einrichtungen vorkommen,

weil ihre Träger eben Menschen sind.

Ich meine nur, bei keiner Staats­

einrichtung sei die Garantie gegen solche Menschlichkeiten, denen wir alle

unterliegen, so sehr zu suchen, schon in der Form der Einrichtung, als bei der Rechtsprechung und bei den Justizbehörden.

Es liegt aber gewiß

in der Organisation der Militärgerichte eine Versuchung unbewußt vor, eine Sonderstellung beim Rechtsprechen einzunehmen.

Denn daß ein ge­

wisses spezifisches Standesbewußtsein, ein besonderer Korpsgeist, den man

ja aus vielen Zweckmäßigkeitsrücksichten in keinem Stande so stark pflegt

wie im Militärstande, verbunden mit der nicht zu vermeidenden Abhängig­ keit von den Oberen nicht besonders geeignet sei, die zum Richterspruch

nötigen Garantien zu bieten, ist gewiß. Dabei halte man stets fest, wir reden

hier nicht nur

von

den

eigentlich militärischen Vergehen gegen die Disziplin oder sonst, welche Militärpersonen als solche begehen, sondern von den allgemeinen Vergehen,

in denen die Militärpersonen ja auch den materiellen Strafbestimmungen der bürgerlichen Gesetze unterliegen. Hierbei ihnen eine solche standesmäßige Ausnahmestellung

währen, liegt kein Grund vor.

zu

ge­

Und ich sagte es schon, dieselbe findet

*) In diesem Sinne hatte sich yyrher der Justizminister ausgesprochen.

Schulze-Delitzsch.

86

nicht nur bei den Angeklagten sondern auch bei den Justizpersonen statt, nämlich

bei den Auditeuren, die auch

verhältnissen, wenn

in bestimmten Subordinations­

auch nicht direkt in bezug

auf ihre unmittelbare

Justizverwaltung sondern sonst zu ihren militärischen Vorgesetzten stehen.

Es ist also durchaus nicht behauptet und liegt gewiß den Interpellanten und uns, die wir die Interpellation unterstützen, ferne,

gerichte der Parteilichkeit bezichügen zu wollen.

die Militär­

Wir wollen nur jene

Ausnahmestellung beseitigt wissen, und, meine Herren, was der Herr Justiz­

minister als Hindernis aus der Verfassung deduziert hat, trifft nicht zu.

Ich meine, meine Herren, der Artikel 41) bleibt doch in seinem

Recht.

Er hat uns den Arttkel 372)* 4dagegen *** angeführt.

Ja, meine Herren, wir haben noch ein späteres Gesetz, vom Jahre 1849,8)

da ist die Sache ebenso behandelt, und aus beiden geht klar

hervor, daß die bisher bestehenden Einrichtungen nicht als definitive an­ gesehen werden sollen.

Vielmehr

noch weiter der Ordnung durch

soll danach der Militärgerichtsstand

ein Gesetz Vorbehalten bleiben.

Gesetz vom Jahre 1849 sagt dies ausdrücklich.

Das

Die Sache ist also nichts

weniger als abgeschlossen, weder nach dem Wortlaut der Verfassung noch

nach dem

Geiste der

Verfassung;

vielmehr wird

das im 4.

Artikel

ausgesprochene Prinzip bei definitiver Regelung der Angelegenheit zur Geltung zu bringen sein, welchem jede Ausnahmestellung der Bürger vor

dem Gesetz, auch unserer Mitbürger aus dem Soldatenstande, enlgegensteht. Was die Mißgriffe betrifft, die in einzelnen Fällen vorgekommen

sind und die man aber mit allgemeinen Gründen, weil sie auch bei dem Zivilverfahren möglich sind, entschuldigen will und der Remedur über­ weist, so bemerke ich in bezug auf den Görlitzer Fall/) daß es mit der

T) „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt." 2) „Der Militärgerichtsstand des Heeres beschränkt sich auf Strafsachen und wird durch das Gesetz geregelt. Die Bestimmungen über die Militärdisziplin im Heere bleiben Gegenstand besonderer Verordnungen." ’) Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximierten Gerichtsstandes sowie über die anderweitige Organisation der Gerichte. 2. Januar 1849. Preußische Gesetzsammlung 1849, S. 4. 4) In einem Dorfe bei Görlitz war im Mai 1862 ein Zivilist von einem Soldaten des in Görlitz garnisonierenden Jägerkorps im Streit erstochen worden. Die Militärbehörde hatte das Gutachten der Zivilärzte, die den Getöteten zuerst gesehen hatten, nicht erfordert und die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Obduktion verhindert, da die Angelegenheit zur Zuständigkeit des Militärgerichts gehöre.

Feststellung des objektiven Tatbestandes, wo es sich um Verwundungen

und Tötungen handelt, mit einer späteren Remedur nach Wochen und Monaten doch eine eigene Sache ist. Das wird in vielen Fällen gar nicht mehr möglich sein nach so langer Frist. Es sind unter uns viele Richter, die solche Obduktionen geleitet haben; ich gehöre selbst dazu. Wir wissen, meine Herren, wie

es

damit steht.

Es liegt

in

dem

Görlitzer Falle die tötliche Verwundung eines Mannes vom Zivilstande vor; wer der Bezichtigte sein würde, ob ein Militär, darauf könnte es bei der Feststellung des objektiven Tatbestandes noch nicht ankommen. Wie man also Zivilärzte, noch dazu amtlich berufene, überhaupt hat aus­ schließen können bei jener Obduktion seitens der Militärbehörde, ist mir

unbegreiflich. — Da müssen wir denn abwarten, welche Aufklärung die Untersuchung darüber gewährt. Mit der späteren Remedur aber ist allerdings in diesem Falle nichts

getan. Ebenso hätte ich dem Herrn Justizminister das Rekurrieren auf die Ansicht des Verteidigers in dem berühmten Sobbe-Putzkischen Falle erlassen.') (Heiterkeit.) Daß ein Verteidiger aus dem Zivilstande vom Militär angenommen wird, wer kann etwas dagegen haben? Ich glaube aber, der Chef der Justiz ist ein viel zu erfahrener Jurist, als daß er in den Anträgen eines Verteidigers einen Standpunkt für legislatorische Aufgaben er­ blicken kann. Ich gestehe, mir ist derartiges noch nicht vorgekommen! Ferner die Schmähungen anlangend, die man einem Teil unserer Presse und wohl

allen, welche die Dinge aufgreifen und wahrhaft charakterisierend dar­ stellen, aufbürdet, darauf möchte ich doch auch ein Wort antworten, welches nicht berechnet ist und nicht die Tendenz hat, die Kluft zwischen Militär und Zivil weiter aufzureißen, von welcher die Rede war. Meine Herren! Man schmäht wahrhafüg einen Stand nicht, wenn man in bezug auf ihn Einrichtungen zu treffen wünscht, welche den Ausschreitungen von

Mitgliedern des Standes entgegentreten.

(Bravo!)

Wir, meine Herren, und unsere Wähler geben unsere Söhne und unsere Brüder an das Heer ab, damit sie zu dem ehrenvollen Beruf der Vaterlandsverteidigung in den Reihen des Heeres ausgebildet werden. Wir werden uns unser verfassungsmäßiges Recht, auf welches der Herr Präsident schon hindeutete, „daß wir die Vertreter des ganzen Volkes *) Ein damals viel besprochener Prozeß in Magdeburg gegen zwei Offiziere dieser Namen wegen Totschlags an einem Zivilisten.

Schulze-Delitzsch.

88

sind", um so weniger nehmen lassen, als der Herr Kriegsminister selbst anerkennt, daß das Heer im Volke stehe.

verfassungsmäßige Beruf,

Uns gebührt nun der volle

auch die Interessen unserer Mitbürger vom

Militärstande wahrzunehmen (Bravo!), und ich glaube, es wird keiner

in diesem Hohen Hause sein, der nicht zugeben wird, daß wir das nicht besser können, als wenn wir die ganze Verantwortlichkeit aber auch die

ganzen Garantien des Gesetzes für den Fall, daß sie wegen eines Ver­

gehens oder Verbrechens vor das Gericht gestellt werden, wenn wir ihnen

das so geben, wie wir es selbst genießen.

Ich kann nicht finden, daß

man darin einen Angriff, eine Schmähung gegen den ehrenvollen mili­

tärischen Beruf und den Stand, der ihn vertritt, finden kann. (Bravo!)

Se. Majestät

der König Friedrich Wilhelm III., dem doch wohl

niemand irgendwie die Absicht, seinem getreuen Heere, mit dem er so

Großes vollendet hat für das Wohl des Vaterlandes, zu nahe treten zu

wollen, unterlegen wird, ist bei einigen wahrlich nicht in so gehäuftem Maße vorgekommenen Exzessen, wie es jetzt der Fall ist, mit jenem be­

kannten Erlaß (die Worte liegen mir nicht vor, aber sie sind Ihnen ja

allen bekannt) diesen Ausschreitungen mit Ernst und mit ganz allgemeinen

Strafanweisungen an

die höheren Militärbefehlshaber entgegengetreten,

und zwar öffentlich zu jedermanns Kenntnis.

Meine Herren! Was ist

denn bis jetzt in dieser Art seitens des Herrn Kriegsministers geschehen? Als die Dinge zur Sprache kamen bei

der Adreßdebatte und wahrlich

die ärgsten Proben von den Eingriffen einzelner Kommandeure in das

Wahlrecht, die man

nicht

hat in Abrede stellen können, vorgebracht

wurden — in welcher Weise glaubte der Herr Kriegsminister diese An­

griffe zurückweisen zu müssen? Die Remedur sei eingetreten, hörten wir von ihm, aber in welcher Art? Sie werden sich der betreffenden Ver­ fügung aus den früheren Verhandlungen erinnern.

Der Verweis, den

der Herr Kriegsminister erteilt hat, ging nicht gegen die Sache, nicht gegen den materiellen Inhalt,

sondern er ging dahin:

die betreffenden

Herren hätten falsch gehandelt, daß sie während der Kontrollversammlung, während des eigentlichen militärischen Aktes, gelassen hätten.

sich in Politik ein­

Ich darf aus dieser Fassung nicht folgern, daß der Herr

Kriegsminister dadurch die Sache selbst gebilligt hätte (Heiterkeit); das wäre eine Anmaßung von mir, und der Herr Kriegsminister muß am besten wissen, wie er es gemeint hat.

Allein keiner von uns wird jenen

Verweis anders auffassen, ich meine objektiv, wenn er sich an die Stelle eines solchen Befehlshabers setzt, was der daraus folgern soll.

Objektiv

kann er wirklich kaum etwas anderes daraus entnehmen, als daß sein

Verhalten an sich gar nicht tadelnswert, nur daß es nicht an der rechten

Stelle gewesen sei.

(Heiterkeit.)

Die Folgerung kann vielleicht ganz falsch sein im Sinne des Herrn

Kriegsministers, aber doch ganz entschuldbar von dem Standpunkte dessen, der einen solchen Verweis erhält. Ich will schließlich nur noch ein paar Worte sagen, meine Herren, in bezug auf das, was seitens der großen, bedeutenden Männer geschehen

ist, denen der Herr Justizminister seine Anerkennung zollte, denen wir die Reorganisation des Staates im wahren Sinne seit den Jahren 1808

und 1809 verdanken.

Sie haben sich damals für die Beibehaltung des

Militärgerichtsstandes in Strafsachen im allgemeinen

entschieden.

Ja,

meine Herren, das waren aber auch ganz andere Verhältnisse wie die jetzigen. Hatten wir denn zu jener Zeit ein Volksheer? Nein. Es wurden erst die Grundlagen dazu von jenen Männern gelegt.

Die wirkliche Organisation ist gesetzlich erst viel später,

wie wir

wissen, in dem bekannten Gesetz von 1814, das uns vielfach beschäftigt

hat und beschäftigen wird, zum Abschluß gekommen.

Mit Ausnahme des

Offizierstandes, der ja natürlich eine vorzugsweise privilegierte Stellung

schon zu jener Zeit einnahm, kann man von der Masse des Heeres, den Gemeinen, nicht behaupten, und es lag wahrhaftig noch nicht im Geiste

jener Zeit, daß denselben die vollen staatsbürgerlichen Berechtigungen zu­ gestanden hätten, daß sie namentlich zur Ausübung von verfassungsmäßigen

Befugnissen der Staatsbürger in Gemeinschaft mit dem Volk berufen gewesen wären.

Damals konnte von so etwas noch gar nicht die Rede sein, denn das

Militär war damals noch eine ganz abgesonderte Klasse, man hatte,

wie gesagt, das Volkshcer noch nicht, welches man erst zu bilden suchte seinen Kulminationspunkt fand.

und

das in der Landwehr

jene

Männer noch an der Spitze des Staates

und

Ständen

wäre ihnen die

Leitung der fraglichen Angelegenheit gegeben, so würden sie sich keine

Minute bedenken, sich für das zu entscheiden, was wir, die Mitglieder

aller liberalen Fraktionen dieses Hauses, erstreben (Bravo!), und ich wünsche dringend, meine Herren, sowohl im Interesse der Königlichen Staatsregierung, als auch im Interesse des Vaterlandes, daß mehr der

Geist jener Männer, als Worte und Formen, tvelche durch die damals

im Lande herrschenden Verhältnisse bedingt waren, der Regierung zur Richtschnur

dienen

(Allseitiges Bravo!)

möchte;

dann

würde

es um uns alle gut stehen.

97. Zur Frage der Ministerverantworttichkeit. Rede in der 35. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

11. August 1862.

Auf Grund eines königlichen Erlasses vom 2\. März 1862 hatte Finanzminister von der kjeydt im Frühjahre des gleichen Jahres selb­

ständig ohne Befragung der Rammern die Ronvertierung der Staats»

anleihen

von

J85O

und

{852

von V/2 auf ^°/0

vorgenommen.

Obgleich das Ergebnis ein für die Staatskasse günstiges war, brachte

doch die Kommission des Abgeordnetenhauses bei diesem den Antrag ein: daß die Staatsregierung verpflichtet sei, bei Konvertierung oder außeretatsmäßiger Kündigung von Staatsanleihen die Genehmigung der kandesvertretung vorher nachzusuchen.

In der Sitzung vom

August {862 kam bei dem Etat der

Staatsschuldenverwaltung der Antrag zur Verhandlung. Ihm wider­ sprach aus praktischen Gründen Abg. von Vincke-Stargard, der diese Genehmigung nur dann eingeholt sehen wollte, wenn damit Belastungen für die Staatskasse verbunden seien. Er führte dabei aus, daß die Regierung die Transaktion nicht im Etat — gleichsam versteckt — zur Kenntnis des tandes hätte bringen sondern dafür in einer be­ sonderen Vorlage nachträglich Indemnität erbitten sollen. Aber ob vor­ her oder nachher, darauf komme es weniger an. Dagegen forderte der Finanzminister die Ablehnung des Kommissionsantrags, weil aus

dem Geschäfte ein dauernder Gewinn für die Staatskasse erzielt worden sei; auch in Zukunft halte sich die Regierung für berechtigt, ohne Zu­ stimmung des Abgeordnetenhauses Zinsherabsetzungen wie geschehen vor­ zunehmen. In der Debatte ergriff auch Schulze das Wort:

Meine Herren, ich glaube, die Diskussion ist insofern von der von der Budget-Kommission vorgeschlagenen Resolution abgegangen, als sie sich zu sehr in den vorliegenden Fall vertieft hat, während diese Reso­

lution eine rein prinzipielle für die Zukunft ist. Der Erfolg der Kon­ vertierung durch den Herrn Finanzminister hat sich, wie die Kommission

annimmt, als ein gelungener herausgestellt, und man bezieht sich nur darauf behufs der Exemplifikation. Dagegen beruht die Annahme der Resolution für mich auf sehr einfachen Erwägungen. Es ist von allen

Seiten anerkannt und es versteht sich von selbst, daß dergleichen Maß­ regeln sowohl gelingen als auch mißlingen können, und daß, wenn sie mißlingen, sehr leicht der Fall eintritt, daß sich dadurch Anleihen not-

wendig machen, die dann, wenn die Operation eine verfehlte war, gewiß nur unter sehr ungünstigen Umständen realisiert werden können. Wir sprechen daher durch Annahme der Resolution nichts weiter

aus: nicht, daß wir ein neues Recht für die Landesvertretung einführen wollen, was nicht schon verfassungsmäßig feststeht, sondern nur, daß wir uns in der Behauptung und Ausübung des verfassungsmäßigen Rechts hinsichtlich der Bewilligung neuer Anleihen die nötige Freiheit der Ent­

schließung zu sichern entschlossen sind. Wir wollen allen einseitigen Maßregeln der Regierung entgegentreten, wodurch man uns in die Not­ wendigkeit versetzen könnte, sehr ungünstige Operationen für die Staats­ kasse gutheißen zu müssen, weil wir sie dann gar nicht mehr ablehnen

können, weil wir durch eine solche Konvertierung in die Lage versetzt werden könnten, gar nicht die Wahl zu haben, ob und zu welchen Be­ dingungen wir eine Anleihe machen wollen oder nicht. Wir wahren uns also nur die Freiheit im Gebrauch unseres unbestrittenen verfassungs­ mäßigen Rechts. Ich glaube, auch das Amendement, was der Herr

Abgeordnete für Stargard gestellt hat, geht vollständig von derselben Tendenz aus, aber indem er es hypothetisch gefaßt hat — ich habe es nur einmal verlesen hören — indem er die Negierung nur auf die not­ wendige Zustimmung der Landesvertretung verwies, „wenn eine solche Maßregel zu Belastungen der Staatskasse führt", so gerät er in Wider­ spruch mit sich selbst. In dem Augenblick, wo die Regierung eine solche Maßregel ergreift, weiß sie selbst noch nicht, ob sie gelingt oder mißlingt; sie wird Erwägungen anstellen, aber die Gewißheit des Ausganges hat sie ganz bestimmt nicht in der Gewalt, und es ist in jedem solchen Falle von vornherein immer ungewiß, ob und welche Belastungen der Staats­ kasse daraus entstehen. Eine durch den Ausgang bedingte Verpflichtung zur Einholung der Genehmigung der Volksvertretung kann man daher unmöglich hinstellen, wenn man nicht die ganze Sache zu nichts machen will. Der Kernpunkt, um den es sich dreht — und in den Äußerungen

des Herrn Finanzministers vermisse ich eine bestimmte Entgegnung auf das, was in dieser Beziehung von dem Herrn Abgeordneten für Stargard so lebhaft betont und hervorgehoben wurde — ist die Verantwortlichkeit

des Ministeriums, wenn eine solche Maßregel einseitig gemacht wird, die Verantwortlichkeit für einen möglichen schlechten Ausgang. Geht man, wie man muß, von dieser Verantwortlichkeit aus, so ändert sich darin praktisch auch nach der Auffassung des Mitgliedes für Stargard durch

unsere Resolution nichts. Auch wenn Sie die Resolution der Kommission annehmen, bleibt immer dem Ministerium die Möglichkeit, wenn es sich

Schulze-Delitzsch.

92

getraut, die Verantwortlichkeit zu übernehmen, einseitig mit einer solchen Maßregel vorzugehen; das ist im konstitutionellen Leben, in diesen und

anderen ähnlichen Punkten stets der Fall.

Allein diese so sehr betonte

Verantwortlichkeit erschien mir, wenn ich recht verstanden habe, durch die Deduktionen des Herrn Finanzministers gewissermaßen abgelehnt zu werden,

und ich würde ihm sehr dankbar sein,

ruhigte, an.

wenn er das Haus darüber be­

denn darauf kommt es bei der Sache, ihrem Kern nach, allein

Ich habe die Deduktionen so verstanden, daß der Herr Minister

für sich die volle Befugnis in Anspruch nahm, dergleichen Konvertierung aus eigener Machtvollkommenheit vorzunehmen.

Er hob hervor, daß bei

Staatsanleihen ihm von der Volksvertretung die Wahl des Zeitpunktes

behufs Erlangung möglichst günstiger Bedingungen in die Hand gegeben werden müsse, weil nicht vorher zu ersehen ist, wie sich die Papiere an­

bringen lassen.

Wenn aber die Regierung eine solche Machtbefugnis bei

Abmessung des Zinsfußes einer Staatsanleihe habe, müsse ihr auch noch weiter gestattet werden, sie müsse alle Maßregeln, die nicht auf Erhöhung

sondern

auf Herabsetzung des

Zinssatzes

gehen,

einseitig

vornehmen

können, und sei dabei lediglich in ihren verfassungsmäßigen Befugnissen,

ohne daß eine Genehmigung der Volksvertretung erforderlich sei.

Wenn

das so wäre, so könnten wir ihr alsdann auch keine Vertretung des

Mißlingens aufbürden, weil sie eben nur vermöge ihrer verfassungsmäßigen Befugnis gehandelt hat.

Das ist der Kernpunkt:

„Das Ministerium

kann nur dann verantwortlich gemacht werden für ein einseitiges Vor­

gehen ohne vorherige Genehmigung der Kammer in dieser Hinsicht, wenn es an die vorherige Zustimmung der Kammer bei der ganzen Maßregel

gebunden war." Ich muß gestehen, daß ich in den Ausführungen des Herrn Finanzministers die Anerkennung der fraglichen Verantwortlichkeit nicht gefunden

habe, für den Erfolg einer solchen einseitig vorgenommenen Maßregel in

jeder Beziehung einstehen zu müssen, da er int Gegenteil die Zustimmung

des Hauses nicht für erforderlich hält.

Wie sehr daher auch der Herr Abgeordnete für Stargard das be­ stimmt wiederholt und von seinem Standpunkte aus gegen den Herrn

Minister betont hat, so ist ihm nicht eingehend darauf geantwortet worden. In bezug auf die praktische Gestaltung der Sache ist es wohl nie­

mandem zweifelhaft, daß, wenn dem Hause eine solche Konvertierungs­ maßregel vor ihrer Vollziehung zur

Erwägung anheimgegeben würde

und der Gegenstand würde seitens der Regierung so als vorteilhaft in allen Stücken konstattert,

daß man ihr dann

sicher ebensowenig ent-

gegentreten dürfte, als man gegenwärtig bereit ist, die Maßregel nach­

träglich zu akzeptieren.

Aber das Prinzip ist unter allen Umständen zu

wahren, denn es handelt sich hierbei um die Wahrung

eines großen

konstitutionellen Rechtes, um die Integrität des Rechtes, Anleihen zu

bewilligen, welches durch den Standpunkt der Regierung alteriert wird,

und ich glaube wohl, die sämtlichen liberalen Fraktionen des Hauses, welche eigentlich in der Sache vollkommen einig sind, könnten sich in

Erwägung

praktisch ganz unbedenklichen Konsequenzen

der

wohl ent­

schließen, dem Kommissionsantrage beizusümmen; denn die Lage der Sache kommt gerade erst dadurch in die Richtung, welche den Intentionen des

Herrn Abgeordneten für Stargard gemäß ist, indem sein eigenes Amen­ dement, welches den Grundsatz nur bedingt und inklusive einer Voraus­

setzung enthält, wie sie sich niemals in Wirklichkeit realisieren wird, dazu nicht genügt.

Ich bitte Sie daher, den Kommissionsantrag anzunehmen.

3n seiner Antwort erklärte der Finanzminister, daß er sich prinzipiell für alles verantwortlich halte,

was in seiner Geschäftsführung vor­

komme und angefochten werde. Wenn aber die Verantwortung so ver­ standen werde, daß die Hosten für diese Operation auch dann abgelehnt

werden, wenn aus ihr dem Staate ein dauernder Vorteil erwachse, so lehne er die Verantwortlichkeit ab. Lür ein Mißlingen einer solchen Unternehmung müsse die Regierung natürlich einstehen. Nachdem Abg. Rühne-Düffeldorf, um eine Einigung aller liberalen Fraktionen herbei­ zuführen, beantragt hatte, in dem Uommisfionsantrage das Wort „vor­ her" zu streichen, wandte sich Schulze mit den folgenden Worten nochmals gegen den Minister sowie auch gegen den Antrag Aühne: Ich wollte nur konstatieren, und ich glaube, das ist bei einer so wichtigen Frage sehr nötig, daß die letzte Antwort des Herrn Finanz­ ministers über seine Verantwortlichkeit eigentlich seine Nichtverantwort­

lichkeit dargetan

hat,

seine Nichtverantwortlichkeit

im konstitutionellen

Sinne, von welchem hier doch überhaupt nur die Rede sein kann.

einer Verantwortlichkeit ganz im allgemeinen,

wie sie

Mit

nicht nur den

Herren Ministern sondern jedem Beamten obliegt wegen gewissenhafter Verwaltung seines Amtes, haben wir es hier gar nicht zu tun, sondern wir haben es nur mit der Verantwortlichkeit zu tun, welche aus dem

konstitutionellen Recht der Volksvertretung fließt, ihre Genehmigung für künftige Konvertierungen zu verlangen. Eben die Konsequenz dieser kon­

stitutionellen Verpflichtung des Ministeriums zur Einholung der vor­ herigen Genehmigung ist, daß das Ministerium sich verantwortlich macht,

Schulze-Delitzsch.

94

wenn es eine solche Maßregel einseitig vornimmt, und daß es dann für die Erfolge stehen muß und mit einer Jndemnitätsbill vor das Haus treten. Diese Verantwortlichkeit hat der Herr Finanzminister — und ich freue mich, nochmals eine besondere Frage darauf gerichtet zu haben — wie ich ihn verstanden habe, vollständig und bestimmt abgelehnt, und

um so dringender haben wir Veranlassung, seine Verpflichtung nach unserer Auffassung auszusprechen, weil wir sonst das wichtigste Recht der Volksvertretung preisgeben würden, was wir weder vor uns noch vor

dem Lande verantworten könnten. Daraus folgt aber weiter, meine Herren, daß wir unbedingt das Amendement des Abgeordneten Kühne Denn wenn Sie die Einholung der vorherigen Zu­ stimmung nicht zur Pflicht machen, dann ist überhaupt von einer Zu­

verwerfen müssen.

stimmung nicht mehr die Rede im verfassungsmäßigen Sinne. Daß natürlich die Staatsregierung, wenn sie eine solche Maßregel einseitig

unternommen hat, nachher damit vor uns treten muß, dazu brauchen wir keine besondere Resolution, das versteht sich von selbst. Irgendwie muß die Sache im Staatshaushaltsetat vor uns kommen, in dieser oder

jener Form. Es wäre wirklich — ich wüßte nicht, wie ich es bezeichnen sollte —, wenn die Kommission eine besondere Resolution darüber für notwendig erachtet hätte. Sobald man daher das Wort „vorher" streicht,

so spricht man aus, daß das, was der Herr Finanzminister in seiner vorherigen Rede entwickelt hat, vollständig von uns adoptiert wird. Will die Regierung der nachträglichen Genehmigung sicher sein, so muß sie vorher fragen — das bedarf keiner weiteren Ausführung, und deshalb bitte ich Sie nochmals, daß Sie in vollständiger Wahrung der verfassungsmäßigen Stellung des Hauses in dieser wichtigen Frage unbedingt und ohne Amendement den Antrag der Kommission annehmen. (Bravo! links.) Bei der Abstimmung wurde der Antrag Vincke abgelehnt und der

der Kommission mit großer Majorität angenommen.

Der Antrag Kühne

war vorher zurückgezogen worden.

98. Für Einführung geheimer Abstimmung bei Wahlen. Rede in der 39. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

20. August 1862.

Dem Abgeordnetenhause war die Petition eines Wahlmanns Kamp­ mann und Genossen in Hünshoven (Rheinprovinz) zugegangen, welcher

die Wiedereinführung der geheimen Abstimmung

bei allen Wahlen

Schulze-Delitzsch.

94

wenn es eine solche Maßregel einseitig vornimmt, und daß es dann für die Erfolge stehen muß und mit einer Jndemnitätsbill vor das Haus treten. Diese Verantwortlichkeit hat der Herr Finanzminister — und ich freue mich, nochmals eine besondere Frage darauf gerichtet zu haben — wie ich ihn verstanden habe, vollständig und bestimmt abgelehnt, und

um so dringender haben wir Veranlassung, seine Verpflichtung nach unserer Auffassung auszusprechen, weil wir sonst das wichtigste Recht der Volksvertretung preisgeben würden, was wir weder vor uns noch vor

dem Lande verantworten könnten. Daraus folgt aber weiter, meine Herren, daß wir unbedingt das Amendement des Abgeordneten Kühne Denn wenn Sie die Einholung der vorherigen Zu­ stimmung nicht zur Pflicht machen, dann ist überhaupt von einer Zu­

verwerfen müssen.

stimmung nicht mehr die Rede im verfassungsmäßigen Sinne. Daß natürlich die Staatsregierung, wenn sie eine solche Maßregel einseitig

unternommen hat, nachher damit vor uns treten muß, dazu brauchen wir keine besondere Resolution, das versteht sich von selbst. Irgendwie muß die Sache im Staatshaushaltsetat vor uns kommen, in dieser oder

jener Form. Es wäre wirklich — ich wüßte nicht, wie ich es bezeichnen sollte —, wenn die Kommission eine besondere Resolution darüber für notwendig erachtet hätte. Sobald man daher das Wort „vorher" streicht,

so spricht man aus, daß das, was der Herr Finanzminister in seiner vorherigen Rede entwickelt hat, vollständig von uns adoptiert wird. Will die Regierung der nachträglichen Genehmigung sicher sein, so muß sie vorher fragen — das bedarf keiner weiteren Ausführung, und deshalb bitte ich Sie nochmals, daß Sie in vollständiger Wahrung der verfassungsmäßigen Stellung des Hauses in dieser wichtigen Frage unbedingt und ohne Amendement den Antrag der Kommission annehmen. (Bravo! links.) Bei der Abstimmung wurde der Antrag Vincke abgelehnt und der

der Kommission mit großer Majorität angenommen.

Der Antrag Kühne

war vorher zurückgezogen worden.

98. Für Einführung geheimer Abstimmung bei Wahlen. Rede in der 39. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses.

20. August 1862.

Dem Abgeordnetenhause war die Petition eines Wahlmanns Kamp­ mann und Genossen in Hünshoven (Rheinprovinz) zugegangen, welcher

die Wiedereinführung der geheimen Abstimmung

bei allen Wahlen

forderte.

In der Kommission war beschlossen worden, die Petition der

Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. 3m Plenum erklärte am 20. August {862 der Minister des Innern,

daß im Lande die Meinungen über die Vorzüge der geheimen Ab­ stimmung vor der öffentlichen sehr geteilt seien und er eine Berück­

sichtigung des Antrags nicht in Aussicht stellen könne. In der Debatte beantragte Abg. Dr. Gneist-Merseburg, zur Tagesordnung überzugehen, da das ksaus keine Veranlassung habe, über eine Frage von solcher

Tragweite zu beschließen, zumal es sich mehr um eine Frage der Zweck­ mäßigkeit als des Prinzips handele, wenn auch die zweifellos weitver­

breitete Sympathie für die geheime Abstimmung durchaus verständlich und natürlich fei.

Ihm antwortete Schulze:

Meine Herren! Der geehrte Herr Vorredner, der zuletzt sprach, scheint mir in einem Punkte in einem kleinen Widerspruch mit sich selbst zu

sein.

Er bezeichnet einmal zur Motivierung seiner Tagesordnung den

Gegenstand, um welchen es sich hier handelt, als einen Gegenstand von

höchster Tragweite; — ich stimme ihm darin bei.

Sodann aber bezeichnet

er wieder in seiner weiteren Ausführung denselben Gegenstand als einen

solchen, welcher durchaus nicht der Art, nicht von der Wichtigkeit sei,

daß er bei jeder Gelegenheit wieder herausgegriffen werden und eine Ver­

anlassung

bieten

könne,

immer

wieder

darauf einzugehen.

Wenn er

weiter ausführte, daß eine größere Diskussion, als sie jetzt bei vorgerückter

Stunde stattfinden könne, darüber nötig sei, so möchte ich dagegen nicht viel sagen; allein er übersieht dabei nur, daß das hohe Haus sich zu

den

verschiedenen Zeiten

in

den

verschiedensten Sitzungen mit dieser

Frage bereits beschäftigt hat/) daß also eine große Anzahl von Mit­

gliedern schon die Gründe für und wider durchgearbeitet und bei sich

festgestellt hat, daß überhaupt schon mehrmals derartige Petitionen uns vorgelegen haben; und wenn die gegenwärtigen Petitionen jetzt nur von

einer Seite kommen

und vielleicht nicht mit so entsetzlich vielen Unter­

schriften bedeckt sind, so liegt doch darin, daß Petitionen über diesen

Gegenstand in jeder Session immer wieder vor uns treten, etwas dafür,

daß durch dieselben wirklich ein im Volke, jedenfalls in großen Kreisen des Volkes lebhafter Widerspruch ausgedrückt wird. Ich meine demnach, wir sind recht wohl imstande hier darauf ein­

zugehen. werden.

Erledigt — ja erledigt kann diese Sache heute ohnehin nicht Der Antrag der Kommission lautet auch nur auf Überweisung

-) Vgl. S. 14 ff..

96

Schulze-Delitzsch.

zur Berücksichtigung, wie er bei einer Petiüon nicht anders lauten kann. Das Petitum der Petenten ist auf Wiedereinführung der geheimen Ab­

stimmung gerichtet; dies kann nur durch ein Gesetz geschehen, wie es sich

von selbst versteht.

Man wünscht also nur, die Regierung zu veranlassen,

mit einer Gesetzvorlage hierüber vor das Haus zu treten.

Dann, meine

Herreni wenn eine solche Gesetzvorlage eingebracht sein wird, werden wir allerdings in eine eingehendere Beratung und Besprechung über diesen

Gegenstand eintreten können.

Ich meine, für das, was die Petenten jetzt

wollen, für eine Anregung über ein Thema, worüber jedes Mitglied des

Hauses schon bei sich einig ist, da ist zu einer Debatte noch vollkommen

Raum und Maß. Ich gehe weiter und möchte zunächst etwas formulieren, was der

Herr Abgeordnete Paur über die Grundlage des ganzen Wunsches gesagt hat?)

Es handelt sich bei jeder Wahl natürlich um die Freiheit der

Entschließung, und zwar um die volle von keiner Seite beeinflußte Freiheit der Entschließung und Entscheidung, weil, wie gesagt, wir vor einem Willensakte stehen, der in den sittlichen Bereich gehört und wegen dieses sittlichen Momentes lediglich auf die Freiheit jedes einzelnen zurückgeführt werden muß.

Nun, meine Herren! wenn es die Tendenz jedes einzelnen ist, nicht

beeinflußt zu werden, wie der Herr Vorredner es so sachgemäß ausdrückte, so steht derselben freilich, wie es bei einem solchen öffentlichen Akte und

seiner Tragweite für das öffentliche Wohl sehr natürlich ist, auf der anderen Seite der Wunsch vielfach entgegen, eine Beeinflussung auszuüben.

Dem wird man nicht ohne weiteres entgegentreten und ihn unbedingt

verwerfen müssen; man wird vielmehr zu unterscheiden haben, ob der­

jenige, welcher einen Einfluß auf das Votum anderer zu haben wünscht in der Art, daß seine Meinung von diesen geteilt werde, ob er sich bei

seiner Beeinflussung erlaubter oder unerlaubter Mittel bedient.

laubten Mittel, meine Herren,

Die er­

brauche ich Ihnen nicht erst zu nennen;

bei jedem solchen Akte tritt die Presse aller Parteien auf, es werden Versammlungen gehalten, die Ansichten werden entwickelt, und man sucht

durch Entwicklung und Begründung seiner Ansicht eben einen Einfluß auszuüben.

Das sind erlaubte Mittel.

Nun, meine Herren! kommen

wir zu den unerlaubten, und denen wollen wir ja alle, auf welcher Seite wir immer sitzen, entgegentreten.

Nun gibt es wieder zwei Arten von

*) Abg. Paur-Liegnitz hatte ausgeführt, daß die öffentliche Abstimmung gegen den Grundcharakter der Wahl verstoße, die reine Vertrauenssache sei; eS komme nur darauf an, wer gewählt sei, nicht aber, von wem er gewählt sei.

solcher unerlaubter Beeinflussung:

Zufügung von Nachteilen, wenn der

Wähler nach dieser oder jener Richtung bei der Wahl handelt, und An­ bieten von Vorteilen, wenn er von seiner Überzeugung abweicht nach dem Willen dessen, welcher die Beeinflussung ausübt.

Wie die Dinge nun einmal sind, werden Sie zu der Begegnung dieser unerlaubten Beeinflussung niemals ein durchgreifendes praktisches

Mittel anders Heraussinden, als wenn Sie die Kontrolle über die Wähler und über die Abgabe ihres Votums unmöglich machen, und das geschieht wieder nur durch das geheime Ballot. Ich will nicht viel sprechen zur Begründung dieses Satzes, ich glaube, er wird von allen Seiten anerkannt.

Ich will nur auf die Bedenken,

die man hier und da mit sehr scheinbarer Berechtigung dagegen vorbringt,

noch einiges entgegnen.

Bürgermut,

Man spricht hier vor allen Dingen von dem

der ja bei solchen öffentlichen Akten gezeigt werden müsse;

wenn man Forderungen stelle, dann könne man den einzelnen auch nicht davon entbinden, offen für seine Überzeugung einzutreten. Meine Herren, auch ich lege auf eine solche Betätigung einer un­ abhängigen Gesinnung großen Wert, ich sehe nur in ihr für die längere

Dauer die wahren Garantien für eine verfassungsmäßige Entwicklung unserer Zustände, aber der Gesetzgeber muß eben die Dinge nehmen, wie

sie sind.

mittelbaren

Er kann nicht gleich mit der Forderung gewissermaßen eines Märtyrertums an die Bürger herantreten.

Die Faktoren

des Staates sind eben auch Menschen mit menschlichen und gewiß be­ rechtigten Privatinteressen, und es ist gewiß nicht staatsmännisch und ganz

gewiß nicht Pflicht des Gesetzgebers, wenn er die Ausübung eines solchen

öffentlichen Rechtes ohne Not in Konflikt bringt mit der wohlberechtigten Sorge des einzelnen für seine Privatinteressen.

Und zu diesen wohl­

berechtigten Sorgen des einzelnen für seine Privatinteressen rechne ich

die Sorge für die ©einigen und der ©einigen Existenz.

Es ist nicht

nur ein Recht jedes einzelnen sondern die Pflicht jedes einzelnen, daß

er zunächst und noch ehe er dahin kommt, seine staatsbürgerlichen Pflichten zu üben, für sich und die ©einigen und für seinen Erwerb sorgt.

Wir

knüpfen daran die Ausübung des Wahlrechts, indem wir diejenigen, welche Armenunterstützung beziehen, von dem Wahlrecht ausschließen.

Nun, sehen Sie, liegt gar keine Veranlassung vor, den Bürgermut dadurch zu pflegen, daß man die einzelnen, die ihn haben, die dafür ein­

stehen, und die unbeirrt eintreten für ihr Votum und nicht darauf hören, wenn man sie bedroht, daß man sie hinterher gewissermaßen bestraft oder

wenigstens Nachteile fühlen läßt, die mit dieser unabhängigen Abstimmung Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 4. 7

Schulze-Delitzsch.

98

sehr oft für sie verbunden sind.

Andererseits wird auch die Bestechung

auf keine wirksamere Weise gehemmt, als durch das Ballot; das liegt auch in der Natur der Sache, und viele haben dies auch früher, wo dasselbe noch galt, praktisch durchgemacht.

stechung

Wenn derjenige, der eine Be­

üben will, nicht kontrollieren kann, ob derjenige, auf den er

Einfluß zu üben beabsichtigt, auch seiner Verpflichtung genügt, so wird

er sich allemal bedenken, ehe er Vorteile und Opfer bringt; denn er ist

niemals sicher, ob die Gegenleistung auch eintritt.

Ich habe Dinge, die

sehr ernster Natur sind aber dennoch ans Komische streifen, über diese

Art der Beeinflussung,

Jahre 1859 erlebt.

die ihren Zweck

vollständig

verfehlt

hat,

im

Der Einwand des Bürgermutes geht eigentlich von

einer ganz bestimmten Partei dieses Hauses aus.

Diejenigen Herren, welche im Jahre 1861 dieselbe Debatte erlebt

haben, werden sich erinnern, daß es die feudal-konservative Partei war, als deren damaliger Hauptführer Herr Wagener') auftrat,

der in sehr

höhnischem Tone uns, die wir schon damals für die geheime Abstimmung eintraten, den Einwand entgegengestellte: wir sprächen von einem freien

Bürgermut und schienen doch selbst zu bezweifeln, daß wir die Leute dazu hätten, denn sonst würden wir uns nicht für die geheime Abstimmung so interessieren.

Ich glaube nun, wenn der geehrte Herr jetzt hier im Haus wäre —

und er ist eben nicht hier im Hause, weil auch bei der öffentlichen Ab­ stimmung die

meisten Bürger ihren Bürgermut

konstatiert haben —

wenn er aber wieder im Hause wäre, dann würde er sich sehr bedenken,

das zu sagen.

Das preußische Volk hat nun zweimal bei diesen Wahlen bewiesen, daß der Bann gebrochen ist, und daß es auch in der Tat jenen Nach­ teilen gegenüber wahrhaften Bürgermut genug besitzt und vieles zu er­ tragen weiß, um für seine Überzeugung mutig einzustehen und seine

politische Gesinnung, wie sie in ihm lebt, durch die Wahlen zu bekunden. Meine Herren, wenn der Herr Minister des Innern uns erklärt hat,

daß er die Berücksichtigung nicht respektieren würde, die das Haus ihm anempfehlen möchte in der Petition, so begreife ich das und Sie alle mit mir, meine Herren, denn allerdings die Manöver, die seitens der König­

lichen Staatsregierung bei den Wahlerlassen und die von den Unter­ behörden gemacht sind in bezug auf die ungeheure Klasse der Beamten und Beeinflußten, die sind dann sehr mißlich und die werden wir zum

*) In der Sitzung vom 6. April 1861.

Vgl. S. 16 f.

großen Teile los werden, wenn wir das geheime Wahlverfahren haben. Ich meine, die Debatten darüber im Hause sind uns allen so unerquicklich,

daß schon ihre Beseitigung durch die volle Befreiung des ehrenwerten

Beamtenstandes von einem solchen Drucke auf seine Wahlen ganz allein schon den Wert hätte, daß das Haus sich für die Ansicht der Petition ausspräche.

(Sehr richtig!)

Ich meine nun aber auch, meine Herren, daß es vollkommen falsch

ist, wenn man diese Frage, wie der Herr Minister getan hat und wie auch der letzte Herr Redner anzudeuten schien, im Zusammenhang mit dem Wahlrecht an sich bringt,

und wenn man meint, solange nicht das

ganze Wahlrecht reguliert sei, solle man nicht einen einzelnen Punkt

und

herausreißen

das für falsch.

durch

ein besonderes Gesetz

regulieren.

Ich halte

Es handelt sich hier nur um die Form der Abstimmung

bei den Wahlen, nicht um eine Abmessung des Wahlrechts.

Sie können

ein Wahlrecht haben, nach welchen Grundsätzen Sie wollen, Sie können

haben

das

Dreiklassensystem,

das

allgemeine gleiche

Zensuswahl — immer ist bei jedem möglich:

Stimmrecht,

die

öffentliche oder geheime

Abstimmung; die Wahlen zu Protokoll, wie wir sie jetzt haben, oder die

Zettelabstimmung.

Die Forderung gehört also nicht zum Wahlsystem,

nicht zur Verteilung und Bemessung des Wahlrechts unter den Staats­

bürgern, sondern das ist eine äußerliche Form der Ausübung, die sich

sehr wohl herausnehmen läßt und bei allen Arten des Wahlrechts, sie mögen bemessen sein, wie sie wollen, jedesmal wieder anwendbar ist und in Frage kommt.

Deshalb

muß

ich

der Argumentation

des Herrn

Ministers, der diese Frage einer weiteren Regulierung Vorbehalten hat, widersprechen.

Es ist

auch keine Parteisrage, meine Herren, und es ist durchaus

falsch, wenn man irgendeine Partei des Landes oder des Hauses, wie

das geschehen ist, speziell als diejenige betrachtet, welche immer mit diesem

Antrag vorkäme.

Wenn das jetzt von uns geschieht, so liegt das nur

in unseren Verhältnissen; aber ich glaube, niemals hat eine Partei zu

diesem Anträge eine günstigere Stellung eingenommen als wir jetzt.

Ich

deutete Ihnen schon an: die Ausbeutung der eben in der Macht befindlichen Partei ober von feiten der Regierung durch den Druck, den man bei der öffentlichen Stimmabgabe anwenden will, die ist jetzt ganz verfehlt

worden; das Volk hat sich in seiner Majorität dem Bann entzogen.

Wir haben also nicht etwa zu fürchten, diese Plätze nicht wieder eiuzu-

nehmen.

Wir haben gar kein Parteiinteresse an der Frage, es ist nicht die

Frage einer Partei, die zu den Grundsätzen der Partei gehört, sondern es

Schulze-Delitzsch.

100

ist eine Frage des Mißbrauchs der Machtstellung jeder Partei, welche sie

auch sein mag, wenn sie zur Verwaltung kommt.

(Sehr richtig!)

Ich meine, gerade jetzt bekunden wir dadurch, wie es uns bei allen

Wahlen, mögen sie uns auch gefallen oder nicht, nur darum zu tun ist,

daß die Wahlen der wahre Ausdruck des Volkswillens der Wähler sind. Meine Herren, ich bitte Sie recht sehr, die Sie jetzt vielleicht so gut wie

früher gegen den Antrag sind, zu bedenken, daß die Dinge wechseln, daß

sehr bald Sie, weil es sich um einen Schutz der Minorität handelt bei der Frage, wohl in der Lage sein können, sich nach dem geheimen Ballot zu sehnen . . . Auch für diese Lage sollen wir jede Partei gedeckt sehen,

denn wir, die wir hier sitzen in diesem Hause, meine Freunde und ich,

wir wollen nicht Wahlbeeinflussungen, wie sie bis zum Jahre 1858 durch das Land gingen, unsere Wahl verdanken sondern der freien Überzeugung unserer Wähler, und wenn die nicht auf uns fällt, dann wollen wir

lieber nicht hier sein.

(Bravo!)

Nach einer kurzen Erwiderung des Ministers des Innern, in der

er sich hauptsächlich gegen Schulzes Worte von den WahlmanSvern der Regierung wandte, und nach einer kurzen Antwort Schulzes wurde der Antrag Gneist abgelehnt und der der Kommission angenommen.

99. Brief von Gustav Freytag an Schulze. Siebleben, 1. September 1862. Lieber verehrter Freund! Mit

leidenschaftlicher

Teilnahme

habe

ich

den

tapferen Kampf

begleitet, welchen die nationale Partei in Preußen gegen das Militär­ kabinett führt, und meine besten Wünsche sind mit Ihnen und Ihren

Freunden gewesen. Heute aber schreibe ich Ihnen in großer Besorgnis. Die Kommissions­

verhandlungen in Angelegenheiten der preußischen Marine lassen fürchten, daß das Haus der Abgeordneten in seiner Majorität den Entschluß fassen könne, den Marineetat ebenso zu behandeln, wie die neuen Organisationen

im Militär, ablehnend. Das kann und darf nicht geschehen.

Denn es wäre ein Unglück

für den Staat und kein geringeres für die Nationale Partei. Nach langem

Schulze-Delitzsch.

100

ist eine Frage des Mißbrauchs der Machtstellung jeder Partei, welche sie

auch sein mag, wenn sie zur Verwaltung kommt.

(Sehr richtig!)

Ich meine, gerade jetzt bekunden wir dadurch, wie es uns bei allen

Wahlen, mögen sie uns auch gefallen oder nicht, nur darum zu tun ist,

daß die Wahlen der wahre Ausdruck des Volkswillens der Wähler sind. Meine Herren, ich bitte Sie recht sehr, die Sie jetzt vielleicht so gut wie

früher gegen den Antrag sind, zu bedenken, daß die Dinge wechseln, daß

sehr bald Sie, weil es sich um einen Schutz der Minorität handelt bei der Frage, wohl in der Lage sein können, sich nach dem geheimen Ballot zu sehnen . . . Auch für diese Lage sollen wir jede Partei gedeckt sehen,

denn wir, die wir hier sitzen in diesem Hause, meine Freunde und ich,

wir wollen nicht Wahlbeeinflussungen, wie sie bis zum Jahre 1858 durch das Land gingen, unsere Wahl verdanken sondern der freien Überzeugung unserer Wähler, und wenn die nicht auf uns fällt, dann wollen wir

lieber nicht hier sein.

(Bravo!)

Nach einer kurzen Erwiderung des Ministers des Innern, in der

er sich hauptsächlich gegen Schulzes Worte von den WahlmanSvern der Regierung wandte, und nach einer kurzen Antwort Schulzes wurde der Antrag Gneist abgelehnt und der der Kommission angenommen.

99. Brief von Gustav Freytag an Schulze. Siebleben, 1. September 1862. Lieber verehrter Freund! Mit

leidenschaftlicher

Teilnahme

habe

ich

den

tapferen Kampf

begleitet, welchen die nationale Partei in Preußen gegen das Militär­ kabinett führt, und meine besten Wünsche sind mit Ihnen und Ihren

Freunden gewesen. Heute aber schreibe ich Ihnen in großer Besorgnis. Die Kommissions­

verhandlungen in Angelegenheiten der preußischen Marine lassen fürchten, daß das Haus der Abgeordneten in seiner Majorität den Entschluß fassen könne, den Marineetat ebenso zu behandeln, wie die neuen Organisationen

im Militär, ablehnend. Das kann und darf nicht geschehen.

Denn es wäre ein Unglück

für den Staat und kein geringeres für die Nationale Partei. Nach langem

Zaudern und Schwanken bringt die Regierung ein Projekts ein, in der Hauptsache vortrefflich, nicht ohne einige Größe.

Es ist der leidenschaft­

lichste Volkswunsch, der dadurch der Erfüllung näher geführt wird, schnelle Ausführung ist versprochen,

sachverständige Stimmen sind im ganzen

durchaus mit den Vorschlägen einverstanden. druck macht dagegen das Widerstreben

welche

Gründe,

sie

Und welch traurigen Ein­

der Kommission!

Keiner der

dagegen heraussucht, ist stichhaltig, am wenigsten

die Forderung eines Flottenplans,den die Regierung nur geben könnte,

um wieder davon abzuweichen, denn die Erfindungen der Nautik werden

wahrscheinlich noch für lange Zeit zu immer neuen Akkommodationen an

das neu Erfundene drängen.

Es versteht sich, daß sie detaillieren muß,

so viel als möglich, aber von diesem Papier, das doch nur wieder ein

unmaßgebliches Projekt enthalten wird, die Bewilligung des Marinefonds abhängig zu machen, wäre unverzeihlich.

Dazu

die politische Lage.

Es ist der letzte Augenblick vor großen

Verwicklungen, der uns noch zur Vorbereitung für einen Lebenskampf

gegönnt ist.

Es ist die einzige Gelegenheit, welche den Preußen jetzt noch geboten ist,

großen

patriotischen Sinn und ihre vielgerühmte Opferfreudigkeit

zu betätigen. Der Staatsschatz! Seit Jahren haben wir gerufen, daß dies Auf­ sammeln von Übel sei, jetzt wird die beste Verwendung angeboten und

jetzt soll das tote Geld konserviert werden! In Zukunft

und

neue Steuern und keine Anleihe!

Grade der größte

gesundeste Fortschritt der Intelligenz in der Staatsregierung soll

unerträglich sein.

Und alle diese und andere Einwürfe verschwinden vollends in nichts, wenn man die Gefahren erwägt, welche eine Ablehnung der Marine­ vorschläge der Nationalen Partei, zunächst der Opposition in Preußen

bereitet. lassen.

Es würde der Anfang ihres Falls, darauf mögen Sie sich ver­

Nicht sogleich wird das laut werden, aber es wird unvergessen

in den Herzen auch der Getreuen hasten, und die nächste Zukunft schon mag dieser Unzufriedenheit laute Worte geben.

Mit Recht, denn solcher

Pessimismus ist nicht ein Fehler mehr, er ist ein Verbrechen.

So wie

jetzt in vielen einzelnen Staunen, Zweifel und Entrüstung über die seichte,

querköpfige und frivole Behandlung der großen Frage in der Koinmission *) Vgl. S. 148. 2) In der Sitzung der Marinekommission in den Tagen vom 26. bis 29. August war aus diesem Grunde die Regierungsvorlage abgelehnt worden.

Schulze-Delitzsch.

102

erwacht, so würde in kurzem die gesamte öffentliche Meinung Europas die Vertreter des preußischen Volkes richten, wenn sie über dem Partei­

haß das Wohl ihres Staates vergessen könnten. Auch

bewilligt

die Nationale Partei

nicht

Ministerium das Flottengeld sondern sich selbst.

einem

widerwärtigen

Denn Sie, mein Freund

und Ihre Gesinnungsgenossen, werden in den Ministerstühlen sitzen, wenn die Flotte, deren Basis Sie jetzt bewilligen, gebaut wird.

Der einzige politische Grund, welchen ein kluger Mann gegen die

Bewilligung geltend machen kann, ist ebenfalls nicht stichhaltig.

Es ist

wahr, das Ministerium sinnt darauf, im nächsten Jahr durch einen Krieg mit Dänemark aus den inneren Konflikten herauszukommen.

Und wie

unhold und ungelegen uns diese Operation gerade jetzt erscheine, wir

können sie nicht hindern.

Denn tatsächlich leben wir schon seit Jahren

im Kriege mit Dänemark, und das Marschieren, zu dem wir so oft ge­ trieben, ist nur ein neuer Paragraph unserer alten Forderungen.

Wer

aber den Krieg dadurch zu hindern sucht, daß er den Bau der ersten

Eisenfahrzeuge, welche uns den Dänen zur See gleichstellen könnten, auf­ schiebt, der irrt gröblich.

Das Ministerium wird den Streit doch be­

ginnen, und wenn unsere Häfen blockiert, unser Verkehr gestört ist und das Volk über unsere Ohnmacht murrt, dann wird die konservative Partei mit gerechtem Hohn in das Volk rufen, wer trägt die Schuld!

Es ist mein heißer Wunsch, daß Sie, mein verehrter Freund, diese Überzeugungen nicht mißbilligen. Sie wissen, daß mich kein anderes

Motiv treibt, Ihnen dieselben auszusprechen, als Sorge um Preußen und

die Zukunft der liberalen Partei. Wenn aber, wie ich hoffe, die patriotische Tendenz bei der Marine­ frage im Plenum zur Bewilligung treibt, so ist ebensosehr zu wünschen,

daß diese Bewilligung, welche voll von Selbstverleugnung und Resultat eines inneren Kampfes sein wird, nach außen den Charakter der Festig­ keit und einer gewissen Großartigkeit habe.

Leider ist das durch die

Wahl des Berichterstatters^) sehr erschwert.

Aber es wäre doch gut,

wenn bei der Verhandlung Ihre Partei eine ähnliche Kraft und Haltung

zeigen könnte, wie bei den Verhandlungen über den Handelsvertrags) den

Glanzpunkt der Session.

Es muß doch möglich sein, das Eingehen in

das technische Detail zu vermeiden.

Sie glauben gar nicht, wie schlecht

*) Harkort. *) Mit Frankreich: der einzige wichtige Fall, in dem die Regierung die Zustimmung der Volksvertretung gefunden hätte, bezeichnend gelegentlich einer energischeren Tat im Interessengebiet der auswärtigen Politik. Vgl. Bd.III S. 425ff.

der Eindruck ist, den dergleichen technische Besprechungen mit halbem Wissen und kurzem Gedärm fast immer ans den Leser machen. Es ist

dergleichen freilich auch bei guter Parteidisziplin nicht ganz zu hindern. Könnten Sie doch festhalten, ganz zu bewilligen, ohne Rückhalt, und doch

mit der vornehmen Reserve, welche diesem Ministerium gegenüber ziemt. Es beginnt sich in der Presse zu rühren, und wie ich höre, werden Auch die Leipziger werden eine solche Erklärung und Bitte an das Abgeordnetenhaus ergehen lassen. Ich

Petitionen für Bewilligung vorbereitet.

habe vorgeschlagen, in Form eines Briefes an Sie. Sie aber habe ich als den furchtbarsten „Gegner Sr. Majestät" sowohl wie als unseren lieben Gönner und Freund gewählt. Können Sie mir aus Ihrem Chaos von Geschäften einige Zeilen antworten, so werden Sie mir eine große Freude machen. So viel von unserer lieben kleinen Flotte.

Gestatten Sie mir noch einigen politischen Klatsch, auf die Gefahr, daß ich Ihnen nichts Neues melde. Die gegenwärtige Schwäche Preußens hat in Wien einen Taumel von Freude erregt. Man ist bereits mit dem Marquis von Brandenburg, den „Aventuriers" der deutschen Dynastien, wie unsere armen Hohenzollern dort heißen, ganz fertig. Die Reduktion Preußens ist so gut wie vollzogen. Es ist nur dem Zufall oder einer stillen Intrigue eines Berliner Diplomaten zu danken, daß wir nicht bereits einige österreichische Kriegsschiffe zum Schutz der Nordsee in den Häfen der Hansastädte sehen,

Franz Joseph empfindet sich bereits in vielen Stunden als deutscher Kaiser, und am Hofe zu Stuttgart wird über Aufstellung eines österreichischbahrisch-schwäbischen Beobachtungskorps in Böhmen ernsthaft verhandelt. In der Tat ist das Glück Österreichs wieder einmal in flackerndem Auf­

steigen. Man rechnet in der Hofburg darauf, daß Italien durch die Mazzinisten revolutioniert und das neue Haus zerschlagen wird, bevor

es fertig geworden. Und man sieht den Kaiser Napoleon mit großer Schadenfreude in eine Lage kommen, in welcher er das Bündnis mit Österreich suchen muß. Victor Emanuel unpopulär, Preußen durch inneren

Zwist zur Null herabgedrückt, und Rußland am Rand des

Verderbens. In Rußland beginnt die Flucht des Adels. Zum Winter wird eine allgemeine Emigration der lasterhaften Furchtsamen beginnen; die Berliner

Juweliere wissen sich bereits vor Anträgen von Diamantenkäufen kaum zu retten. Der Staat ist in einer Auflösung, welche bei uns immer noch für weit geringer gehalten wird, als sie ist, Noch hält dort die

104

Schulze-Delitzsch.

Bauern ein weit verbreiteter Glaube, daß der Kaiser') einen Ukas in goldener Kapsel beim Archimandrit von Moskau deponiert habe, in dem er jedem Leibeigenen außer der Freiheit so viel Land schenke, als der

einzelne brauche.

Im nächsten Februar wird die Kapsel geöffnet.

Wenn

diese Hoffnung getäuscht wird, beginnt im Frühjahr die Jacquerie und das Adelsschlachten wie in Galizien. auf dem Papier.

Ein Heer gibt es dort fast nur noch

Seit sieben Jahren sind keine Rekruten ausgehoben; die

dieses Jahr befohlene Aushebung kann nicht vollzogen werden, weil die Edelleute, welche sonst für die Regierung die Razzia der Rekruten be­

sorgten, jetzt ohnmächtig und widerwillig sind und die Regierung selbst

weder Truppen noch Kraft besitzt, in die Dörfer mit Gewalt einzufallen. Dazu kommt, daß die unteren Chargen des russischen Heeres bis zum

Hauptmann herauf vollständig antikaiserlich sind, in jeder Kaserne gibt

es Verschwörer, der Kaiser hat zweimal sehen müssen, daß Adjutanten seines Stabes wegen Brandstiftung und Hochverrat verhaftet wurden.

Eben jetzt hat man eine Anzahl Regimenter aufgelöst, weil die Mann­ schaft zu lückenhaft, die Offiziere zu unzuverlässig waren.

not.

Dazu die Geld­

Der schwache aber wohlmeinende Kaiser sitzt oft in Tränen, Groß­

fürst Constantin ist nach Warschau gegangen2) tote ein Opfer, und zum letzten Versuch, das Land zu erhalten.

Die Russen selbst glauben nicht

daran, daß sie Polen erhalten werden, und sie wollen es nicht.

Das

weiß man in Paris und Wien, leider in Berlin will man von den

großen Freunden derlei Elend nicht glauben. So ist in den großen Fragen, welche in den nächsten Jahren Europa beschäftigen werden, Rußland so ohnmächtig, wie „der Vogel, welcher auf dem Baume schreit"

— die Worte eines Mitgliedes der preußischen

Gesandtschaft zu Petersburg — es kann keinen Mann über die Grenze senden.

Diese Niederlage bestärkt in jeder Mittelmeerfrage die Bedeutung Österreichs außerordentlich, und das unselige Haus der Lothringer sieht sich mit Frankreich als Herr Europas an.

Man ist dort nicht schlau,

aber man hat etwas, was zuweilen die Klugheit ersetzt, hohe Ansprüche

und eine absolute Verachtung der Menschen. Ich habe in diesen 14 Jahren nie an deutschen Krieg geglaubt, aber

ich bin überzeugt, daß wir Preußen spätestens bei Ablauf der Zollvereins­ verträge in einen großen europäischen Kampf hineingezogen werden.

Es

') Alexander II. s) Am 11. Juni war Constantin zum Statthalter in Polen ernannt worden.

Wird ein Kampf um unsere Existenz, leider vielleicht ein Bruderkrieg

werden.

Und unser Nationalverein wird ihn nicht hindern.

In der königlichen Familie, soweit von ihr die Rede sein kann, ist

man in Erwartung solcher Krisis.

Vogel die Schlange.

Und man sieht sie nahen, wie der

Der einzige und letzte Trost ist das Heer, um das

man sich seit zwei Generationen so bemüht hat, daß man ihm unbedingt vertraut.

Schon vor zwei Jahren, als der jetzige König gedrängt wurde,

in der deutschen Frage über seine Formel „diplomatische und militärische

Führung im Auftrage der Kabinette"

hinauszugehen, sagte er in einer

offenherzigen Stunde: „Ich bin zu alt dazu, es ist gegen mein Empfinden,

das will ich dem Fritz überlassen.

Und ich will dafür sorgen, daß er

Ohne Zweifel ist dieselbe Ansicht noch heut der

ein Heer dafür erhält."

Grundzug seines Regierens, er will wie Friedrich Wilhelm I. das Material

vorbereiten.

Deshalb seine Hartnäckigkeit, er glaubt wirklich das Beste

ihm Mögliche zu tun, und er wird in dem parlamentarischen Kampf noch lange nicht nachgeben.

geraten,

mit seinem

Darüber ist er in die Hände des Prinzen Karl

Volk zerfallen,

sein

Staat zur

Unbedeutendheit

herabgesunken.

Wie wenig er daran denkt nachzugeben, auch nur der Ansicht, welche Herr Twesten vertritt/) mögen Sie daraus schließen, daß er neulich bei einem Garnisondiner sagte: „Wenn einer meiner Offiziere mir von zwei­

jähriger Dienstzeit spräche, ich würde ihn kassieren", worauf er kurz darauf

hinzusetzte: „Mit zweieinhalb Jahren könnte es gehen."

Bei dem Frank­

furter Schützenfest hat ihn nächst der Jupe des Herzogs von Koburg nichts

so betrübt und aufgeregt als Ihr Toast?)

„Da haben wir's, jetzt ist's

klar, wohin sie wollen, ein Parlamentsheer soll's werden.

Aber sie sollen

doch sehn, ob das Heer mir gehört oder Schulzen-Delitzsch!"

Der Kronprinz ist in der Politik sehr verständig und ohne Vorurteil, er sieht die Dinge klar und unbefangen.

In der Militärfrage ist er

nicht frei von den traditionellen Ansichten seines Hauses, aber ich glaube

nicht, daß ihm das Heer Herzensinteresse ist. nicht daraus machen.

Ein Spielzeug wird er

Er und seine Frau leben in der königlichen Familie

ganz isoliert, wie mir scheint, reich an stillen Sorgen und bitteren Eindrücken. In solcher Weltlage sehe ich den preußischen Militürkonflikt als ein

naüonales Unglück an, welches ohne Schuld des Volkes eingetreten ist, aus dem wir aber herausmüssen.

-) Vgl. S. 107. -) Vgl. unten S. 106 f.

Die letzte Heilung wird doch sein, daß

Schulze-Delitzsch.

106

die alten Generäle vor einem großen Kriege zurückgestellt, ein Teil der junkerhaften Elemente auf den Schlachtfeldern erschossen wird. Und daß teuererkaufte Erfahrungen uns die Institutionen geben, welche der gute Rat der Volksvertreter nicht durchsetzen wird.

Und wenn ich über Behandlung auch der Militärfrage eine Ansicht aussprechen darf, so wäre es die. Ich glaube nicht an einen Sieg der Opposition bis zum nächsten Frühjahr, ich habe die Überzeugung, daß

wir im Frühjahr den Krieg gegen Dänemark, wie unwillkommen er sei, nicht verhindern können, ohne dem Liberalismus eine tödliche Wunde zu schlagen. Ich bin aber überzeugt, daß die Katzbalgerei mit den Dänen zur Beendigung dieser Streitfrage führen wird, nicht ganz im Sinne der Regierung, nicht ganz zur Zufriedenheit der Opposition. Es wird ein

Kompromiß werden, deshalb wäre gut, wenn die Majorität bei ihrem diesjährigen Kampfe drei Gesichtspunkte nicht aus den Augen ließe. 1. Den

Geldpunkt nicht übermäßig zu betonen. Denn wenn die Opposition in Jahr und Tag zur Regierung kommt, Sie und Ihre Freunde werden nicht 41, sondern 50 Millionen im Frieden bedürfen: Höheres Traktement, besserer Servis, Festungen, Heranbildung des gesamten Volkes, größere Krastentwicklung Preußens. Und das Volk wird das tragen, und ohne zu leiden.

2. Der Verhandlung im Plenum eine würdige und entschiedene

Haltung zu geben, das kleinliche Mäkeln und Nörgeln zu vermeiden, die einzelnen großen Übelstünde unseres Heerwesens in maßvoller und im­

ponierender Weise hervorzuheben. 3. Stark zu betonen, daß die Volks­ vertretung zur Verständigung mit der Krone bereit sei, wenn das Volk ein Ministerium erhalte, dem es vertrauen könne. Also die Krone von den Ministern zu trennen. Das ist nicht unkonstitutionell, solange wir noch so wenig konstitutionelle Zustände haben. In jedem Falle erhalten Sie, mein verehrter Freund, sich Kraft und gute Laune. Mir aber freundlichen Anteil.

*

*

*

Schulze hatte am sH. Juli 1862 auf dem Schützenfest in Frank­ furt a. ZI!, folgenden Toast aus gebracht:

„Schützen! Sie mögen ermessen, mit welchen Gefühlen das Mitglied einer parlamentarischen Versammlung, welche in diesem Augenblick an einer Grundfrage alles parlamentarischen Lebens steht, indem sie über das Prinzip der stehenden Heere und mit diesem Prinzip über die Mög­

lichkeit der dauernden Entwicklung freiheitlicher, konstitutioneller Zustände

Reden in der Konfliktszeit.

107

zu entscheiden hat, Sie mögen ermessen, mit welchen Gefühlen ein solches Mitglied Ihre Bestrebungen entgegennimmt und von ihnen Zeuge ist.

Diese Frage wird

niemals den

bestehenden Gewalten

gegenüber eher

gelöst werden, als bis das Volksheer in dem bewaffneten Volke selbst

hinter dem Parlamente steht.

(Stürmischer Beifall.)

Und dazu haben

Sie, hat der Bund der deutschen Turner einen so würdigen und so viel versprechenden Anfang gemacht.

Die Ideen, für die wir einstehen, haben

nur einen Boden und nur eine Zukunft, wenn wir auf Sie hinter uns blicken können.

Ich meine daher, wir begrüßen in diesem Schützenfest

gerade ein Zeichen, daß unser deutsches Volk mehr und mehr in die

Bahnen einzulenken beginnt, die allein zum Heile führen, daß es das, was ihm bis jetzt fehlte, erringt, daß es Initiative bekommt.

Nur wenn

das Volk selbst seine heiligsten Interessen in die Hand nimmt, wenn es die politische Initiative ergreift in der Frage seiner freiheitlichen Ent­ wicklung, dann kann sie gelöst werden. wir haben,

Denn, meine Herren, alles was

was uns noch oben hielt in der Reihe der großen Völker,

während unser politisches Leben schmählichst darniederlag, das ist unsere geistige Entwicklung, die große Bedeutung unserer Literatur.

Diese hat

auch das Volk aus sich selbst geboren, und alle politische Wiedergeburt, sie muß aus dem Schoße des Volkes selbst hervorgehen.

Der deutsche

Schützenbund und der deutsche Turnerbund, sie sind das Vorparlament,

welches uns wirklich zum deutschen Parlamente führt."

(Nicht enden­

wollender Beifall!)

100, Gegen den Militäretat. Rede in der 47. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 15. September 1862. Aus den Verhandlungen der Budgetkommission über den Militäretat waren drei Anträge hervorgegangen: der Aommissionsantrag forderte

Streichung aller Mehrkosten der ^eeresreform und der Mittel für die Marine; die Abgeordneten Stavenhagen, Sybel und Twesten wollten sie

wieder für ein Jahr als Extraordinarium bewilligt wissen und dauernd bei zweijähriger Dienstzeit. Lin Antrag der Brüder Reichensperger wollte die Regierung zur Einholung der Indemnität für die ohne Ge­

nehmigung der Landesvertretung geleisteten Zahlungen für die Heeresreform auffordern. Am U. September begannen die Plenarverhandlungen. Finanz­ minister v. d. Heydt erkannte an, daß die Reorganisation vor der Sanktion

Reden in der Konfliktszeit.

107

zu entscheiden hat, Sie mögen ermessen, mit welchen Gefühlen ein solches Mitglied Ihre Bestrebungen entgegennimmt und von ihnen Zeuge ist.

Diese Frage wird

niemals den

bestehenden Gewalten

gegenüber eher

gelöst werden, als bis das Volksheer in dem bewaffneten Volke selbst

hinter dem Parlamente steht.

(Stürmischer Beifall.)

Und dazu haben

Sie, hat der Bund der deutschen Turner einen so würdigen und so viel versprechenden Anfang gemacht.

Die Ideen, für die wir einstehen, haben

nur einen Boden und nur eine Zukunft, wenn wir auf Sie hinter uns blicken können.

Ich meine daher, wir begrüßen in diesem Schützenfest

gerade ein Zeichen, daß unser deutsches Volk mehr und mehr in die

Bahnen einzulenken beginnt, die allein zum Heile führen, daß es das, was ihm bis jetzt fehlte, erringt, daß es Initiative bekommt.

Nur wenn

das Volk selbst seine heiligsten Interessen in die Hand nimmt, wenn es die politische Initiative ergreift in der Frage seiner freiheitlichen Ent­ wicklung, dann kann sie gelöst werden. wir haben,

Denn, meine Herren, alles was

was uns noch oben hielt in der Reihe der großen Völker,

während unser politisches Leben schmählichst darniederlag, das ist unsere geistige Entwicklung, die große Bedeutung unserer Literatur.

Diese hat

auch das Volk aus sich selbst geboren, und alle politische Wiedergeburt, sie muß aus dem Schoße des Volkes selbst hervorgehen.

Der deutsche

Schützenbund und der deutsche Turnerbund, sie sind das Vorparlament,

welches uns wirklich zum deutschen Parlamente führt."

(Nicht enden­

wollender Beifall!)

100, Gegen den Militäretat. Rede in der 47. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 15. September 1862. Aus den Verhandlungen der Budgetkommission über den Militäretat waren drei Anträge hervorgegangen: der Aommissionsantrag forderte

Streichung aller Mehrkosten der ^eeresreform und der Mittel für die Marine; die Abgeordneten Stavenhagen, Sybel und Twesten wollten sie

wieder für ein Jahr als Extraordinarium bewilligt wissen und dauernd bei zweijähriger Dienstzeit. Lin Antrag der Brüder Reichensperger wollte die Regierung zur Einholung der Indemnität für die ohne Ge­

nehmigung der Landesvertretung geleisteten Zahlungen für die Heeresreform auffordern. Am U. September begannen die Plenarverhandlungen. Finanz­ minister v. d. Heydt erkannte an, daß die Reorganisation vor der Sanktion

Schulze-Delitzsch.

108

durch den Landtag nicht als definitiv betrachtet werden könne und daß die Geldausgaben dafür seiner nachträglichen Zustimmung bedürften; die Regierung sei damit einverstanden, daß die Aasten noch einmal wie im Jahre s86s ins Extraordinarium übertragen würden. Eindringlich aber

warnte der Redner vor der Annahme des Aommissionsantrages, da dieser das Zustandekommen des Etatgesetzes gefährde und auch nicht

ausführbar sei, weil die Ausgaben für s862 zum größten Teil bereits geleistet seien. In der darauffolgenden Debatte, die sich über acht Tage hinzog,

kam Schulze erst am s5. September zum Wort: Ich hätte kaum geglaubt, meine Herren, nachdem wir jetzt schon am dritten Tage debattieren, daß immer und immer wieder der Rechtspunkt sich in dem Maße in den Vordergrund der Verhandlungen drängen würde, wie es geschieht, indem jeder Redner von beiden Seiten stets wieder darauf zurückkommt. Nun ich denke, wir sehen uns einmal die Erklärung der Regierung in ihren Hauptpunkten an, die wir am Donnerstag im Eingang der Debatte hörten, und ich hoffe, Sie werden dann mit mir übereinstimmen,

daß gerade diese Deduktion vollständig für uns und vollständig gegen die Staatsregierung in diesem Punkte spricht. Die Königliche Staatsregierung erkennt an: „daß die derzeitige Formation der Armee, insoweit solche eine dauernde Erhöhung des Etats oder eine anderweitige gesetzliche Regelung der Dienstpflicht erfordert, so lange als eine definitive nicht betrachtet werden kann, bis dazu die ver­ fassungsmäßige Zustimmung des Landtages erteilt sein wird, daß mithin

durch die Bewilligung des Etats für 1862 den künftigen Beschlüssen für die Wehrverfassung in keiner Weise präjudiziert werden soll", und fügt nur als Vorbehalt hinzu: „daß es unbedingt notwendig ist, das Bestehende bis zur definitiven Ordnung der Angelegenheit zu erhalten".

Ja, meine Herren, die Regierung verläßt ja aber eben das Be­ stehende und gerade wir sind es, die das Bestehende, versteht sich das

gesetzlich Bestehende bis zur gesetzlichen Neugestaltung beibehalten wissen wollen. Die Regierung ist es ja gerade, die uns ein neues zwischen das bereits bestehende und das erst zu schaffende Gesetzliche einseitig dazwischen

schiebt.

(Sehr richtig! links.)

Und daß wir eine dauernde Belastung

des Etats aus diesem einseitigen Dazwischenschieben eines Provisoriums erhalten, ich dächte, daran könnte auch niemand zweifeln. Die Dinge stehen ja schon seit dem Jahre 1860 so. Ja, meine Herren, wenn man

freilich annehmen wollte, daß die Regierung in allen solchen Fällen be­

liebig ein Provisorium errichten könnte, wenn ihr das

bestehende alte

nicht gefällt, und daß das beliebige und einseitig errichtete Provisorium

gelten müßte, bis nun durch die Vereinbarung der Faktoren der Gesetz­ gebung ein neues an die Stelle träte, ja, wozu dann überhaupt in der Gesetzgebung und in der Bewilligung des Etats noch eine Landesvertretung

nötig ist, das begreife ich nicht.

(Bravo! links.)

Denn das muß jedem klar sein, daß es sich wahrlich nicht um die

Militärfrage, so wichtig sie auch ist, allein handelt sondern um das ganze

verfassungsmäßige Recht der Volksvertretung bei Etatsbewilligungen bei der Gesetzgebung.

Haben wir denn nicht in der Gesetzgebung eine vollständige Analogie für dies Verfahren? Denken Sie doch an die Schulregulative, *) meine Herren! Da verordnet die Verfügung ausdrücklich, es solle bei dem alten

bleiben, bis ein Unterrichtsgesetz eingeführt ist.

das alte nicht genehm.

Der Regierung aber ist

Sie setzte in den 50er Jahren, wie Sie wissen,

ein neues einseitig dazwischen, ohne die Kammer zu

fragen, die Regu­

lative; nächstens, so hieß es dann, würde das Unterrichtsgesetz vorgelegt

werden. Wir haben dieses Provisorium nun seit acht Jahren, meine Herren, und wenn nicht eine Übereinstimmung über die Prinzipien des Unterrichtsgesetzes unter den Faktoren der Gesetzgebung zu erwirken ist,

wie dies jetzt gar nicht in Aussicht steht bei den sehr verschiedenen An­ sichten unter denselben, so behalten wir dieses Provisorium noch auf lange als Definitivum. Und so ist es auch hier.

Wir haben ein Definitivum in der Form

eines Provisoriums. Denn nehmen Sie doch den Fall, wie er hier liegt.

Man sagt Ihnen,

Sie werden nicht präjudiziert durch dies Verfahren,

es bleibt Ihnen bei der künftigen definitiven Bewilligung die Entscheiduug ganz frei; Sie sollen

ganz unbefangen durch die jetzigen Einrichtungen

imstande sein, an die wirkliche definitive Bewilligung zu gehen! Ei, meine

Herren,

dann tritt aber gerade dasselbe ein wie jetzt, man sagt Ihnen:

Sie dürfen das Provisorium nicht ändern, denn das hat eine Desorgani­ sation der Armee zur Folge.

Nun, meine Herren, wenn die Regierung

das Gesetz vorlegt und Sie konsentieren dem Gesetz nicht, wie denn da? Da tritt auch eine Desorganisation der Armee nach dieser Deduktion ein,

so gut,

als wenn Sie das Provisorium

jetzt verwerfen.

Nun, meine

Herren, der große Differenzpunkt, der mit der Regierung obwaltet, auch

*) Bgl. S. 4.

110

Schulze-Delitzsch.

unter den geehrten Rednern dieser Seite (nach rechts) über die zwei- oder dreijährige Dienstzeit,

ob

der in

der Gesetzesvorlage

zur Erledigung

kommen wird und ob der Gesetzesvorlage, wenn sie erfolgt, die Zustimmung

des Hauses gesichert ist, darüber können wir doch jetzt unmöglich schon Um nun ihre Ansichten einseitig gegen die

irgend etwas aussprechen.

der Volksvertretung durchzusetzen, braucht die Regierung nur dieselben in einem solchen Provisorium zu verwirklichen, und sie hat dessen Dauer

vollständig in ihrer Gewalt.

Sie bringt die Sache ganz einfach als Ge­

setzesvorlage ein, und wenn

dann die Majorität der Landesvertretung

nicht zustimmen zu dürfen glaubt, so kommt eben das neue Gesetz nicht zustande, und es bleibt beim Provisorium, solange es der Regierung

beliebt.

Die ganze Mitwirkung der Landesvertretung bei Etatsbewilligungen

wie bei der Gesetzgebung ist dann vollkommen annulliert. Die Regierung sucht uns die Sache dadurch genehmer zu machen,

daß sie sagt, sie sei in bona fide. Zunächst ist es für uns und für das Land, das wir vertreten, vollkommen gleichgültig, ob wir bona fide oder nicht um unsere verfassungsmäßige Mitwirkung bei dieser großen Frage

gebracht werden (Sehr richtig!), der Erfolg ist vollständig derselbe.

Aber

die Vorlage der Herren Abgeordneten Reick)ensperger und Genossen ent­

hält wirklich für die bona fides, für die Beurteilung des guten Glaubens der

Regierung

Momente.

bei Verwendung

des Extraordinariums sehr wertvolle

Einer der Herren Vorredner hat dies schon angedeutet. Die

Regierung, die freilich nicht ganz dieselbe war wie jetzt, in der aber doch ein Teil derselben Mitglieder sich befindet, wollte den alten Mißbrauch,

der sich eingeschlichen hatte, wonach die Vorlage des Etats immer erst in dem Jahre erfolgte, für den er galt, dessen Abstellung wir dem jetzigen

Herrn Finanzminister verdanken, sanktionieren, sie wollte diesen Brauch

gesetzlich festgestellt

wissen

und

machte

die

Gesetzvorlage,

die in den

Motiven des Antrages der Herren Abgeordneten Reichensperger und Ge­ nossen abgedruckt ist. Da unterschied sie recht wohl zwischen einer extra­

ordinären und einer ordinären Bewilligung, ganz in der Art, wie wir es tun, mit der Folge, daß in solchen Fällen ihr gestattet ist, die fort­ laufenden

ordinären Ausgaben

weiter

zu

verwenden, aber nun und

nimmermehr extraordinäre nur für eine bestimmte Zeit bewilligte.

Die

Vorlage ist nicht zum Gesetz geworden, wie bekannt. Noch wichtiger aber,

und

was

noch mehr die gemeinsamen Ansichten des Hauses und der

Regierung konstatiert, sind die Bewilligungen des Extraordinariums selbst, indem deshalb,

weil nach

dem erwähnten Gebrauch

der Etat erst im

Etatsjahre selbst vorgelegt wurde, das Extraordinarium auf sechs Monate

über das Etatsjahr hinaus in das neue Jahr hinüber bewilligt wurde Dies hat nur den Sinn, der in der erwähnten Vorlage der Regierung

hervorgehoben

weil

ist;

sie

hinsichtlich

der

Verwendung des

Extra-

ordinariums streng an den Ablauf der Zeit der Bewilligung gebunden diese Zeit auf eine Frist hinaus,

war, setzte man

binnen deren nach

damaligem Gebrauch der neue Etat wieder zur Beschlußnahme kam.

So

denke ich, kann diese Frage wohl als abgemacht betrachtet werden, wenn

man das alles zusammenstellt, und ich möchte

beinahe sie, wenn auch

im entgegengesetzten Sinne, wie der Herr Kriegsminister, nicht mehr für diskutabel unter uns halten. Man macht uns ferner seitens der Regierung darauf aufmerksam:

„wir ließen die Tatsache unberücksichtigt, daß die Ausgaben pro 1862 in

extraordinario des Militär-Budgets größtenteils bereits geleistet sind und daß in den letzten Monaten des Jahres keine Ersparnisse mehr gemacht werden könnten".

Das ist gewiß richtig, aber unberücksichtigt haben wir

diese Tatsache nicht gelassen.

Wir wissen,

daß

das Geld

nicht wieder

herbeigeschafft werden kann: wir wissen auch, daß die uns ohnehin nicht

zum Zweck führenden Mittel einer Ministeranklage nicht zu Gebote stehen,

und wir wissen, daß das Land sich wohl wird entschließen müssen, zu anderen großen Opfern

anders

als

das Land

auch dieses große Opfer zu bringen; denn wer

steht am Ende für alle diese Dinge ein! Aber,

meine Herren, daß die Regierung, wenn sie dergleichen Dinge ohne vor­ herige Genehmigung gemacht hat,

der nachträglichen Genehmigung, also

der Indemnität, wie man es im parlamentarischen Sprachgebrauch nennt,

bedarf, hat sie selbst anerkannt, und da möchte ich denn nun auf das

höchst Bedenkliche des Antrages der Herren Abgeordneten Reichensperger und Genossen zurückkommen.

Sie stellen den Satz in theei ganz richtig

auf, aber die Anwendung, die Regierung zu ersuchen, eine Indemnität bei uns nachzusuchen,

ist sehr bedenklich,

denn darin liegt bereits die

Verheißung der Erteilung (Zustimmung links), und, meine Herren, wenn die Indemnität

von

dem Standpunkt aus, der

schon

geltend gemacht

worden ist, daß wir die bereits verwendeten Gelder unmöglich wieder zurück­ bekommen können, vielleicht bei Austrag der Sache unumgänglich erscheinen kann, so sind wir doch nicht in der Lage, die Regierung zu bitten, daß sie eine solche doch ja bei uns nachsuchen möge.

(Zustimmung links.)

Denn das ist doch gewiß, wir sind dann nicht in der Lage, eine

Indemnität jemals erteilen zu können, solange man von dem ungesetz­ lichen Wege, der sie notwendig macht, wenigstens nicht abzulenken gemeint ist.

(Sehr richtig! links.)

Schulze-Delitzsch.

112

Die uns aufgedrungene Stellung der Wahrung unseres Rechts ist

keine Stellung aus freier Wahl, meine Herren, fassungsmäßige; die Regierung hat

es ist die einzig ver­

eine weit günstigere Stellung uns

Wir haben die Initiative hier nicht; wir können nicht Vor­

gegenüber.

lagen machen,

das kann

nur

um die Dinge auf den gesetzlichen Weg zurückzuführen; die Regierung.

Wir wollen nicht etwas Unmögliches

behaupten, nicht unmögliche Dinge durchführen, sondern wir wollen die

Dinge für die Zukunft wieder in den rechten Schnitt bringen.

Es ist dies ein Mittel der Abwehr einer weiteren Fortsetzung dieses

ungesetzlichen Weges, weiter nichts (Bravo! links), und der ganze Bericht der Budget-Kommission läßt wohl überall lesen, daß das Haus der In­

demnität sich nicht entziehen würde, wenn man die nötigen Schritte tue und wenn man seitens der Regierung Bereitwilligkeit zeige, das zu tun,

was geschehen muß, um auf den gesetzlichen Weg zurückzukommen.

Die

Regierung dagegen hat die Wahl; sie kann die Dinge in den alten Zu­ stand zurückführen, oder wenn sie das nicht will und es nicht für zuträglich

erachtet, kann sie eine Gesetzesvorlage mache» und für den Rest dieses Jahres die Indemnität nachsuchen.

Es ist im höchsten Grade eine Um­

drehung des wahren Sachverhältnisses, wenn man der Volksvertretung eine

zu schroffe und starre Haltung zuschreibt.

Die ganze Schroffheit und

Starrheit liegt nicht auf feiten der Volksvertretung, die die Hand zum Frieden ja sehr gern ergreifen würde, sondern auf feiten der Königlichen Staatsregierung. (Lebhaftes Bravo! links.) Denn in der einzigen Weise,

in der Pflicht

und Ehre es der Volksvertretung erlaubt,

die Hand

anzunehmen, hat die Regierung dieselbe jetzt nicht geboten. (Allseitiges Bravo!) Wir sind auf die schweren Verpflichtungen aufmerksam gemacht, die

an dieses Votum geknüpft sind; nun leicht hat's wahrlich keiner von uns

genommen.

Es ist auf unsere Stellung in der Adreßdebatte und in der

Adresse selbst hingewiesen; dabei ist es dem Herrn Finanzminister passiert,

daß er eine Stelle des Adreßentwurfs des Herrn Abgeordneten v. Vincke,

aber nicht der Adresse, die das Haus beschlossen hat, zitierte. *) Heiterkeit.)

(Große

Aber, meine Herren, die in dem Adreßentwurf des Herrn

Abgeordneten v. Vincke enthaltenen und vorgelesenen Stellen sind der Art, daß ich und meine politischen Freunde sie unbedingt unterschreiben

können. Es

(Bravo! links.) existiert keine Partei und am wenigsten hier auf dieser Seite

(auf die Linke deutend) — vielleicht auf einer anderen Seite, worauf ich

*) Vgl. S. 61, 107 f.

nachher zurückkommen werde —, die gemeint sei, die Verfassung irgendwie

anzutasten und den Schwerpunkt der Verfassung in das Parlament hin­ überzulegen. Davon ist genug gesprochen worden. Aber der Schwerpunkt der Verfassung und der verfassungsmäßigen Gewalten wird verlegt, wenn

die Königliche Staatsregierung der Volksvertretung ansinnt und vor der Volksvertretung zu deduzieren versucht, daß sie wohl den Etat zu be­

willigen die Pflicht, aber davon zu streichen kein Recht habe. (Bravo! links.) Darauf laufen die Dinge hinaus; sowie wir irgendwie Miene machen,

von unserem verfassungsmäßigen Rechte Gebrauch zu machen, ist es ein furchtbares Attentat, welches bezweckt, den Schwerpunkt der Verfassung

von der Krone in das Parlament zu bringen.

Lasse man uns doch

unser bescheiden Teil; es ist noch so viel aufzubauen in der Verfassung,

ehe wir das uns gebührende verfassungsmäßige Recht bekommen, daß wir das, was wir bis jetzt haben, unmöglich gesinnt sein können, irgendwie

in Frage stellen zu lassen.

(Bravo!)

Seit länger als zwei Jahren hat dieses Haus in seiner Majorität versucht, alles mögliche nachzugeben, um die Regierung auf den Weg

zu bringen, wo wir sie alle wünschen.

Ich meine, jetzt muß sich jeder

überzeugt haben, daß das nicht das rechte Mittel gewesen ist, daß wir

nicht weiter kommen damit, und daß es ewig bei dem Provisorium bleibt.

Die Herren, die dazumal dies in der besten Meinung und mit der besten Absicht getan

haben,

müßten doch jetzt,

wo die Dinge sich ent­

wickelt haben, mit uns überzeugt sein, daß sie ihre Absicht auf dem von

ihnen eingeschlagenen

nicht erreichen, und sie hätten so vielleicht

Weg

die dringendste Veranlassung, sich auf den anderen durchaus verfassungs­

mäßigen Weg mit uns zu diesem Zwecke zu vereinigen. Um eine Budget­ verweigerung handelt

es

sich

wahrlich

nicht in dieser Frage,

wie die

Regierung gern glauben machen möchte. Die Budgetverweigerung, wenn sie vorkommen möchte, die geschieht nicht von diesem Hause, was nur

einzelne Positionen zu streichen gedenkt, die würde den anderen Faktoren

der Gesetzgebung zufallen.

(Sehr richtig!)

Ich komme nun auf die Finanzfrage.

Meine Herren! Wir haben

wertvolle statistische Eröffnungen

von der Regierung

wir ihr nur dankbar sein können.

Sie haben die Zahlen selbst gelesen; ich

brauche

sie Ihnen

daher

nicht nochmals vorzusühren.

erhalten,

für die

Es kann nicht

meine Absicht sein, die Statistik anzugreifen; denn ich bin selbst Volks­ wirt,

und

die Statistik ist

eine

Hauptwaffe der volkswirtschaftlichen

Wissenschaft; aber, meine Herren, lesen Sie jene statistischen Mitteilungen,

und Sie werden sehen, daß man sie nur in ihrem Zusammenhänge aufSchulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 4.

g

114

Schulze-Delitzsch.

fassen und nicht Einzelheiten herausgreifen darf.

Verfahren Sie aber

darnach, so gelangen Sie zu sehr eigentümlichen Resultaten. Die Meinung zweier berühmter Statistiker, des geehrten Mannes, der an der Spitze

unseres statistischen Bureaus steht, des Geheimrat Engel/) und des be­

rühmten österreichischen

Statistikers Czörnig,

eines

der Heroen dieser

Wissenschaft sind in den Bericht ausgenommen worden.

Nach den Auf­

stellungen von Czörnig2) ist Preußen hinsichtlich des Militärbudgets und der Belastung seiner Einwohner schlechter gestellt als Österreich. Er

rechnet aus, daß ein minderer Betrag auf den einzelnen Kopf der Be­ völkerung in Österreich kommt als in Preußen. Darauf lege ich aber

keinen großen Wert, denn in Österreich möchte durchschnittlich die Steuer­ kraft eine weit geringere sein. Czörnig rechnet indessen auch aus, daß das Staatsbudget Österreichs für Militärzwecke im ganzen weniger belastet

sei, als das Preußens, und es bleibe, wenn Engel dies auch bestreitet, — mit welchem Recht, darüber maße ich mir kein Urteil an, — doch das unangefochten, daß Österreich, welches im günstigsten Falle uns hinsichtlich der Belastung etwa gleichstehen wird, trotz seiner ausgezeichneten Verhält­ nisse, — es behauptet wenigstens besser zu stehen als wir — durch seinen Militäraufwand an der Grenze des Staatsbankerotts angelangt ist.

Nun,

ich meine, wir befinden uns, Gott sei Dank, gegenwärtig noch in einer

günstigeren Lage, aber wenn die Regierung in Beziehung auf die Militär­ ausgaben den eingeschlagenen Weg schon im Frieden beibehalten will, so

haben wir,

zumal

noch

andere

sehr ernste Eventualitäten dazutreten

können, dringende Veranlassung, nach diesen statistischen Ermittelungen

innezuhalten. Herr von Czörnig spricht auch in wenigen Worten nicht nur von Österreich, was er als in einer sehr glücklichen Situation be­

findlich herauszustreichen versucht, sondern von allen europäischen Staaten. Im ganzen, sagt er — es ist ein kurzer Satz; gestatten Sie mir, Ihnen

denselben mitzuteilen: „Ungeachtet die Staatseinnahmen infolge der Entwicklung des Ver­

kehrs, insbesondere durch die allenthalben angelegten Eisenbahnen, sich bedeutend gehoben haben, so steigerten sich doch die Staatsausgaben in

noch höherem Maße.

Ein Fortschreiten auf diesem Wege müßte unaus­

weichlich zu dem finanziellen Ruin der Staaten und zur Zerrüttung des

Wohlstandes der Staatsbürger führen. — Es tritt die ernste Mahnung an die Regierungen, sowie an die Reichsvertretungen heran,

in

dieser

*) Ernst Engel (1821—1896) seit 1860 Direktor des Preußischen Statistischm Bureaus. -) Vgl. Bd. III S. 437.

Richtung innezuhalten, und den Weg friedlicher Reformen zum Ausbau der inneren Zustände und zu einer den Forderungen der Kulturentwicklung

entsprechenden Gestaltung einzuschlagen." Das, meine Herren, ist das wichtige

und wahre Resultat der

Forschungen dieses großen Statistikers, und man darf, wenn man sich auch nur auf einzelne herausgegriffene Zahlen stützt, nicht vergessen, daß die wahre Ansicht des Mannes in diesem Resums, in welches er seine ganze Forschung zusammenfaßt, eigentlich enthalten ist. Was in bezug auf unsere Zustände noch zu beherzigen ist, ist schon erwähnt worden. Ich begreife nicht, daß der Herr Finanzminister dagegen protestiert, das wertvolle Dokument von seiner Hand, welches nun einmal an die Öffentlichkeit gekommen ist, zu benutzen. Ich will seinen Brief nicht

wieder verlesen; Sie kennen ihn. *) Ja, meine Herren, wenn er ihn als eine vertrauliche Mitteilung und als nicht zur Grundlage einer öffentlichen Debatte geeignet hier geltend machen ivill, so ist das Vertrauliche gerade für uns ein Moment, daß wir ihm um so mehr Glaubwürdigkeit beilegen. (Sehr richtig! und Heiterkeit.)

Meine Herren, was die Herren, denen die Regierung anvertraut ist, sich untereinander zu sagen haben, das wird für uns gewiß von dem größten Gewichte sein; — und wenn wir nur einem Zufalle die Ver­ öffentlichung dieses wertvollen Dokumentes verdanken, so glaube ich, braucht der Herr Finanzminister gar nicht böse darüber zu sein, denn es sind darin seinerseits Ansichten ausgesprochen, die ihm gewiß nur zur

größten Ehre gereichen.

(Hört! und Heiterkeit.)

Bei alledem, meine Herren, wird eines denn doch zu sehr außer

acht gelassen. Es ist schon an den früheren Tagen davon die Rede gewesen, daß das doch wirklich kein Standpunkt sei — und zwar weder

für die Staatsregierung in ihrer Totalität als Staatsministerium noch für die Volksvertretung —, daß man die sehr wichtige Finanzfrage, wie der Herr Kriegsminister getan, auf die Formel reduziert, es komme hierbei

auf weiter gar nichts an, als darauf: „Ist Geld da zur Reorganisation?^) Wenn es da ist, muß es dazu verwendet werden, denn die Heeresorgani­ sation ist notwendig, wie ja jedermann anerkennen wird.

Wir brauchen

ein Heer, — folglich muß für das Heer, welches ich geschaffen, das un­ bedingt verwendet werden, was überhaupt da ist." *) Vgl. S. 68. 2) In der Sitzung vom 11. September.

Schulze-Delitzsch.

116 Woran

es

[an Selb] fehlt — in welchen wichtigen Verwaltungs­

zweigen bei uns, das ist hier offen und häufig erwähnt worden.

Man hat auch bei der ersten Debatte das ewige Fehlen von Geld

bei einem der wichtigsten Zweige, beim Unterrichte, bei der Besoldung

unserer Lehrer, bei der Hebung unserer Schulen herangezogen, und es

wurde darauf erwidert, die Schulen seien Gemeindeanstalten, mit denen

wir von Staats wegen nichts zu tun hätten.

Nun, meine Herren, daß

die Gemeinden in erster Linie für die Volksschulen aufzukommen ver­

pflichtet sind, das wissen wir alle und wird niemand von uns bestreiten; wir wissen aber auch, daß die Schule eine Staatsanstalt ist und daß die

Verfassung ausdrücklich bestimmt, daß den Gemeinden in dieser Beziehung geholfen werden soll, soweit ihre Mittel dazu Schulen erhalten.

da

auf den normalen Stand zu bringen

nicht reichen,

um die

und auf demselben zu

Das wissen wir auch und das verordnet die Verfassung, und

muß ich

denn

auf einen Defekt aufmerksam machen,

der zwar in

Zahlen im Budget sich nicht herausstellt, der aber näher und näher an

uns herantritt, wenn ihm nicht abgeholfen wird: es ist der Defekt an

geistigem Kapital (Lebhaftes Bravo! links), der, Sie mögen sich wenden

wie Sie wollen, über kurz oder lang in den Zuständen des Landes, in der Versiegung einer Menge seiner materiellen Hilfsquellen ebenfalls in

Zahlen seinen sehr greifbaren Ausdruck finden wird.

(Bravo!)

Auf das Technische der Frage einzugehen, wenigstens in die Details, das ist, meine Herren, für einen Abgeordneten etwas überaus Mißliches,

und ich enthalte mich dessen.

Das Notwendige in dieser Beziehung ist

von vielen Seiten bereits vorgebracht worden, und ich stelle hier nur noch ein paar Sätze auf lediglich deswegen, um uns vor Mißdeutungen zu

schützen.

Wir wollen in der Landwehr den Kern eines Volksheeres dem

Lande erhalten wissen — eines Volksheeres, welches an höchster Stelle

in den Worten „das Volk in Waffen" eine so schöne Bezeichnung ge­ funden hat.

Wir erkennen an und verschließen uns gar nicht der Wahr­

nehmung, daß vielleicht das Institut der Landwehr als die Grundlage

unseres Wehrsystems verbesserungsbedürftig sein möge; aber wenn es das ist, so ist es auch verbesserungsfähig.

(Bravo!)

Wir sehen aber in den Maßnahmen, die getroffen sind, mehr oder

weniger

eine Ablenkung

von

diesem

Systeme,

eine Schwächung

der

Stellung der Landwehr und eine Verlegung des Schwerpunktes — um doch auch einmal den Ausdruck zu gebrauchen — in das stehende Heer. Da glaube ich nun, meine Herren, dem läßt sich eins entgegnen. Wenn

man denn schon einmal vom Werbesystem, dieser geschichtlich notwendigen

Vorstufe, die ich jetzt nicht zu berühren brauche, zum System der all­

gemeinen Wehrpflicht überging, so ist damit notwendig eine Konsequenz geboten. Es muß die Dienstzeit notwendig so kurz bemessen sein, daß die Bürger so wenig als möglich in ihrem Erwerbe und in ihrer Be­ rufskarriere gestört werden, und daß sie nicht länger dienen, als es ihre militärische Ausbildung und außerdem vielleicht noch die Rücksicht auf die notwendige Stärke der Kadres unbedingt erfordert.

Es wurde deshalb im Jahre 1814 eine dreijährige Dienstzeit fest­ gesetzt. !) Meine Herren, es war dies ein großer und dankbar anzuerkennen­ der Fortschritt für jene Zeit, wenn Sie an die bis dahin gewöhnliche Dienstzeit bei dem Werbe-

und Konskriptionssysteme denken.^)

Bald

zeigte sich aber, daß auch diese dreijährige Dienstzeit noch über das not­ wendige Maß hinausging, und man kam mit einer zweijährigen au§.3*)l* *s Der Herr Abgeordnete v. Vincke hat dies so schlagend und mit Bezug­

nahme auf die technische Autorität ausgeführt, daß ich nichts hinzuzufügen habe. Also kommt es darauf an: will uns die Regierung ihren Organi­ sationsPlan akzeptabel machen, so ist das nur möglich durch Abkürzung der Dienstzeit in den Reihen des stehenden Heeres, als der Bildungs­ schule für die Landwehr. Wir verkennen nicht, daß in dem Organisations­ plane, .wenn er damit Hand in Hand ginge, manches Zweckmäßige und Annehmbare enthalten ist: Abkürzung der Dienstpflicht der Landwehr, die stärkere Heranziehung der waffenfähigen Mannschaft sind Dinge, über die ich mich für jetzt jedes Absprechens enthalte und worüber wir dann

zu sprechen Gelegenheit haben werden, wenn uns die Regierung noch einmal diese Frage vorlegen wird. Dies führt mich aber auf einige Ausführungen des Abgeordneten Herrn v. Vincke. Er stellte bei seinen Ausführungen, in denen er

sich für den Reorganisationsplan der Regierung erklärte, die Behaup­ tung auf, daß ein Heer von Fachsoldaten im Kriege immer Sieger sei. Wenn man dagegen die statistischen Mitteilungen des schweizerischen y Gesetz vom 3. September 1814. l) Im alten preußischen Staat war die Dienstpflicht in der Theorie un­ begrenzt, der Dienst des Soldaten war sein Gewerbe. In der Praxis war dieses System freilich gemildert durch die sogen. Beurlaubungen. In Friedenszeiten wurde der größte Teil des Heeres in die Heimat entlassen und jedes Jahr nur auf einige Wochen zur Übung einberufen. s) Durch Verfügung des Kriegsministers v. Witzleben vom 15. Oktober 1833. Die Maßregel war indesien lediglich aus Sparsamkeitsgründen — damit man die wachsende Zahl der Diensttauglichen ohne Vermehrung oder Vergrößerung der bestehenden Formationen militärisch ausbilden könne — getroffen worden.

Schulze-Delitzsch.

118

Statistikers Täubert ’) lieft, so wird man wieder die entgegengesetzte Meinung verteidigt finden.

„Die Miliz oder Landwehr, wie man

Derselbe sagt:

es nennen will, sei immer Sieger geblieben." ist so wenig wahr, wie das andere —

über diese Frage in abstracto nicht aufstellen. einen unbedingten Vorzug.

Meine Herren, das eine

solche Behauptungen lassen sich Die Volksheere haben

Wenn sie nämlich an der rechten Stelle und

zu der rechten Zeit in den Kampf geführt werden, so halten sie den Fachsoldaten nicht nur Stand, sondern sie sind ihnen sogar überlegen. Aber es haben auch die Berufsheere einen Vorzug vor den Volks­

Denn wenn man aus letzteren den Geist heraustreibt, der etwas

heeren.

aus ihnen machen kann, so wird mit ihnen auch ein wenig geschultes

Heer von Fachsoldaten leicht fertig werden können. Der Herr Abgeordnete

v. Vincke zogen,

hat sich namentlich

auf Preußens geschichtlichen Beruf be­

wie er zuerst durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm

so klar vorgezeichnet worden ist,

und er will daraus entnehmen, weil

derselbe die Grundlage zum ersten tüchtigen stehenden Heere gelegt hatte, wir müßten, wenn wir den Traditionen nicht untreu werden wollten,

uns auch ein stehendes Heer dieser Art beschaffen. da ist ihm doch eine kleine Verwechselung begegnet.

Ja, meine Herren,

Jener große Fürst

hat durch sein stehendes Heer eine der Schöpfungen, die ihn unsterblich machen, hervorgebracht. Er hätte es nicht gekonnt ohne sein stehendes Heer. Aber was folgt daraus? Zu jener Zeit war der Übergang

aus dem

Feudalheere in das stehende Heer noch nicht ganz vollzogen,

und

galt

da

es,

ein neues

Heersystem

anzubahnen.

Dieser

große

Mann hat aber nicht nur in dieser Beziehung, er hat auch in anderer Beziehung eine Ära angebahnt, in politischer Hinsicht, die dem werdenden Preußen not tat: die Ära der absoluten Fürstengewalt, und dabei stand ihm die Berechtigung zur Seite in der geschichtlichen Not­ wendigkeit eines solchen Überganges. Er brach die Macht der Feudal­

stände und schaffte sich ein stehendes Heer; nur so war er imstande, die

Keime zur wachsenden Größe unseres Staates zu legen. Aber daraus kann man nur folgern, daß, wenn derselbe große Fürst heute

die höchste Stelle einnähme, er wieder seine Zeit und die Ent­

wicklung seines Staates

begreifen würde,

und eben deshalb würde er,

*) Ein schweizerischer Statistiker dieses Namens war nirgends zu ermitteln. Nach freundlicher Mitteilung des Direktors des Eidgenössischen Statitischen Bureaus in Bern ist vielleicht Friedrich v. Taur, ein deutscher Revolutionär von 1848, gemeint, der von 1860 an ein „Archiv für schweizerische Statistik" veröffentlichte. Die Zeitschrift führte später den Titel „schweizerische Eisenbahnzeitung".

Wenn ihm die Erfahrungen von 1806 und 1813 zu Gebote ständen, wie sie der Regierung zu Gebote stehen,

bei der Organisation anders ver­

fahren und mit richtiger Würdigung seiner Landwehr dieselbe ausbilden, wie es der jetzige Stand der militärischen Wissenschaften uvd das jetzige Maß von technischen Forderungen verlangt, er würde zeitgemäß verfahren,

meine Herren. Man

fordert

unsere Zustimmung zur Reorganisation

wegen der politischen Lage des Landes. aussicht

auch

noch

Nun, eine wirklich nahe Kriegs­

haben wir in diesem Augenblicke

nicht;

aber allerdings wird

jeder, wie ich glaube, zugeben müssen, daß der politische Horizont ver­ düstert ist und daß wir an vielen Stellen eine Spannung der Verhältnisse

sehen, die einen Ausbruch früher oder später erwarten läßt.

Ja, meine

Herren, daraus aber zu folgern, daß unbedingt die neue Heeresorgani­ sation angenommen werden solle, das ist eine petitio principii, das heißt voraussetzen, daß sie gut und vorzugsweise dazu geeignet ist, allen Even­

tualitäten mit Erfolg entgegenzutreten.

Das ist aber gerade, was von

uns bestritten wird, und deshalb kann mau nicht so deduzieren.

meinen, und ich

möchte

hier

Wir

auf die Worte des Herrn Abgeordneten

v. Vincke im Jahre 1860 zurückkommen: wir meinen, daß eine Desorgani­

sation, wenn sie gefährlich ist in unserer Lage, nicht von uns ausgeht, die wir

den

sondern

wahren

von

der

echten Kern des preußischen Heeres erhalten wollen, Regierung, indem

sie

die Landwehr

desorganisiert.

Gerade in der Landwehr erkennen wir den Kern, dein wir in den Kämpfen, denen

wir früher

oder

später

entgegengehen

können,

den

Sieg

ver­

danken werden.

„Nur ein Mittel gibt es, sagt der Herr Abgeordnete Frhr. v. Vincke — durch welches der Onkel unseres Nachbars an der Seine geschlagen worden ist und durch welches, so Gott will, auch er geschlagen werden wird: das sind die nationalen Sympathien, das ist, daß das Volk ihm entgegentritt, nicht etwa nur in berufsmäßig geschulten Heeren, sondern

das Volk in

seiner Gesanttheit — unsere Landwehr ist das Mittel".

Und das meinen wir auch; sie wollen wir aufrecht erhalten und wollen wir schützen vor der Desorganisation.

Es kommt aber hierbei auch noch ein anderes Moment in Betracht. Es kommt in Betracht, daß, wenn wir so großen Kämpfen entgegen gehen, gerade unser preußisches Vaterland mehr als je und mehr als irgendein

anderer Staat Grund hat, die innersten Bedingungen, um den Kämpfen gewachsen zu sein, sich zu wahren; und die erste von jenen inneren Be­

dingungen ist der Friede, die Einigung zwischen Fürst und Volk, zwischen

Schulze-Delitzsch.

120

der Regierung und der Landesvertretung (Bravo!), denn nur in diesem ist die Operationsbasis, wenn ich so sagen darf, gegeben — nur, wenn wir alle moralischen Faktoren des Staatslebens heranziehen können, nur dann haben wir die Aussicht zum Siege, und ich möchte das Wort des

alten Kaisers hinzufügen: in hoc signo vinces1) — es trifft nirgends mehr zu, als bei uns.

Aber das erste, um diese Bedingung zu erfüllen,

ist, daß der gesetzmäßige Weg eingeschlagen wird, daß wir die Dinge in

gesetzlichen Verlauf bringen.

Ich beziehe mich hier, und schließe damit

diesen Teil meiner Ausführungen, auf die Worte, die das Gesetz vom September 1814 in den Eingang stellt: „Nur in einer gesetzmäßigen ge­

ordneten Bewaffnung der Nation haben wir die Bürgschaft eines dauernden Friedens nicht nur sondern auch der dauernden und gedeihlichen Ent­

wicklung unserer inneren Zustände, um die Garantie unserer gesetzmäßigen Freiheit zu wahren." Da komme ich denn unmittelbar an die politische Seite der Frage,

mit der sich in so eingehender Weise der Herr Abgeordnete Gneist be­

schäftigt hat.

Ich wollte sie nicht berühren, wenn nicht die Rede des

Herrn Abgeordneten Grafen Bethusy-Huc mich darauf zurückführte.

Er

berührte dabei zwei wichtige Momente; er sprach von der Teilung der Arbeit und appellierte an die Volkswirte des Hauses, und dann sprach er von dem alten germanischen Gebrauch und der Sitte in bezug auf

das Wehrsystem und seine Organisation.

Ja, meine Herren, da knüpfe

ich denn gleich an dieses volkswirtschaftliche Moment an.

Der Teilung

verdanken wir im Haushalte der Menschheit die leichtere, reichlichere und billigere Produktion aller zu unserem Leben Güter.

erforderlichen materiellen

Auch in der vorliegenden Frage kann man auf die Teilung der

Arbeit zurückkommen bei Ausbildung der eigentlich berufsmäßigen Soldaten. Allein in dieser Beziehung mache ich es als ein Gesetz der ganzen modernen

Entwicklung geltend, daß die Teilung der Arbeit beschränkt werden muß auf das Feld der Gütererzeugung und Verteilung, und daß sie nicht über­ tragen werden darf auf die idealen und poliüschen Aufgaben, die dem

einzelnen wie dem Staatsganzen obliegen.

(Bravo!)

Nur durch die Teilung der Arbeit und die dadurch erleichterte Ver­ sorgung mit den

notwendigsten Bedürfnissen kommt in fortschreitender

Entwicklung die Menschheit in den Stand, daß auch der einzelne mehr

und mehr Zeit gewinnt,

um sich seiner höheren humanen Bestimmung

und seinen bürgerlichen Pflichten hingeben zu können, was bei der un-

*) Gemeint ist die Sage von Kaiser Konstantin 812 n. Chr.

entwickelten industriellen Ärbeit unmöglich war. Wie daher diese Teilung

der Arbeit geboten ist auf dem materiellen Gebiet, so soll sie ausgeschlossen sein auf dem humanen und bürgerlichen Gebiet. Hier soll jeder einzelne in sich den vollen und ganzen Menschen, den vollen und ganzen Bürger entwickeln.

(Bravo!)

Aber zu dem ganzen und vollen Bürger gehört

Wehrbereitschaft und Mannesmut, Bereitschaft zur Verteidigung des Vater­ landes. Was ist denn ein Bürger und wovon ist das Wort hergeleitet?

Der Bürger ist und war angewiesen auf die Verteidigung seiner Burg

und der ihn schützenden Mauern seiner Stadt, die ihn in seinem friedlichen Erwerb in schlimmen Zeiten allein zu schützen vermochten.

Mittelalter.

Das war im

Für den Bürger in den modernen Staaten ist die Burg

nicht mehr der engbegrenzte Raum seiner Stadt, da ist die Burg, die er

zu verteidigen hat, das Vaterland, meine Herren, und der wahre Bürger muß ein Vaterlandsverteidiger sein, oder es fehlt ihm die eigentliche rechte Eigenschaft,

die es ihm unter allen Umständen möglich macht,

Rechte, die

er in Anspruch

Achtung zu erhalten.

nimmt,

von allen Seiten

für die

auch die nötige

(Bravo! Sehr richtig!)

Was nun die Hindeutung auf die alten germanischen Sitten, die

mit unserer Wehrverfassung in Zusammenhang gebracht wurden, anlangt,

so stütze ich mich auch bei meinem Standpunkte darauf.

Ich glaube, in

keiner Geschichte wie in der deutschen ist das Zusammenfallen einer Ver­ änderung im Wehrsystem mit einer großen politischen Veränderung im

öffentlichen Leben des Volkes so genau verknüpft.

Ich kann nur wenige

Worte dem widmen, denn es genau zu beleuchten, wäre Gegenstand eines

ganzen Werkes, und ich wollte, daß die im Hause anwesenden historischen

Autoritäten mit ihrer Feder den Gegenstand in populärer Weise dar­ stellten.

Ich kann nur darauf hindeuten, wie mit dem Heerbann, mit der

allgemeinen Wehrpflicht der Freien zugleich auch verloren ging die alte Gemein-Freiheit, die alte Selbstverwaltung in der Gau» und Volksgemeinde.

Sie machten beide Platz dem feudalen Heere und der feudalen Aristokratie, welche letztere bei dem Geschicke der Nation fortan fast ausschließlich außer

dem hohen Klerus eine Einwirkung hatte. Gegen das Ende des Mittelalters wiederum weicht das feudale Heer

dem stehenden Heere, und

die feudalen Stände weichen der absoluten

Gewalt, und jetzt seit den großen Kämpfen des vorigen Jahrhunderts, welche darauf hinausliefen, die bürgerliche Freiheit in den Kulturstaaten

Europas festzustellen, sehen wir eine neue Bewegung.

Mancherlei Ver­

änderungen in den Verfassungen der stehenden Heere bereiten sich vor;

fast überall aber kommt man darauf und sieht die Erkenntnis immer mehr

122

Schulze-Delitzsch.

und mehr Platz greifen, daß die einzelnen Bürger sich an der Verteidigung des Landes beteiligen müssen, daß sie waffenfähig werden müssen und daß

sie sich selbst, wo der Staat ihnen keine Institutionen bietet, wie wir in der Landwehr sie zu besitzen so glücklich sind, bemühen müssen, dergleichen ins Leben zu rufen. Sehen Sie die Bewegung in England, wo sich Freiwilligenkorps bilden, in Frankreich und Italien, wo Nationalgarden

errichtet sind; sehen Sie endlich auch auf die Turner- und Schützen­ bewegung in unserem Vaterlande, namentlich in denjenigen Staaten, die

keine Landwehr besitzen, wo aber die Bürger auf diese Weise bemüht sind, wenigstens die Keime einer künftigen Landwehr in sich und unter sich zu entwickeln.

Ich glaube, meine Herren, wir haben alle Ursache, namentlich wenn wir das vorher Gehörte beherzigen, daß uns große und ernste Kämpfe

bevorstehen könnten, diesen Grundzug, diese Strömung unseres Volkes, die sich so überaus opferfähig und gestaltungsfähig zeigt, als eine große

Errungenschaft unserer Zeit freudig zu begrüßen. Ich glaube, auch die deutschen Regierungen und vor allen die preußische, die dazu berufen ist, in jenen großen nationalen Kämpfen die Führerschaft zu übernehmen, hätten Ursache dazu, sich dieser Strömung anzuschließen! Ja, meine Herren, ich meine, und das wird doch niemand leugnen können, daß wir mit allen

diplomatischen Verbindungen nicht viel weiter kommen, sondern daß uns nichts übrig bleibt, als was der Herr Abgeordnete v. Vincke in den vorher von mir verlesenen Worten erklärt hat, nämlich uns nationale Sympathien zu erwerben; aber diese nationalen Sympathien müssen tatkräftige sein, sie dürfen nicht bloß auf Worten sondern sie müssen auf Werken beruhen, und deshalb wird es, wenn wir uns einmal auf sie stützen möchten und

müßten, darauf ankommen, daß sie uns energisch und brauchbar entgegen­ treten. Man dekretiert aber kein Volksheer auf dem Papier; die Waffenlust und Waffenvertrautheit, die Leibeskraft und Leibesgewandtheit, das ganze Zeug zum Volksheere muß im Volke schon selbst vorhanden sein, wenn man in der Stunde, wo es gilt, etwas damit anfangen will. Ist denn nicht auch durch die Turner so manches vorbereitet zu der großen Erhebung

von 1813? Deshalb sollte man das freudigst akzeptieren und die preußische Regierung hat die dringendste Veranlassung, die nationalen Sympathien

sich zu eigen zu machen und sie zu fesseln an das Banner, welches sie dereinst in ernster Stunde für die Nation wird entfalten und hochhalten müssen. Behüte der Himmel also in solchem Augenblicke, wo das Volk überall selbst freudig diese Dinge in die Hand nimmt und freudig sich vorbildet für die große Enffcheidung, daß die preußische Volksvertretung

irgendeine Richtung der

Regierung

in betreff

der Heeresorganisation

unterstütze, die von den guten alten preußischen Traditionen von 1813 abweicht, die das Vertrauen zu

unserem Volksheere, zu der Landwehr

vernichtet und welche die ganze so große und bedeutungsvolle Institution

verkümmert. Lassen Sie mich noch ein paar Worte über die Stellung der Parteien

in diesem Hause sagen.

Ich glaube, daß in der Frage einer Neugestaltung

und über deren Bedingungen wesentliche Unterschiede vielleicht kaum ob­ walten möchten zwischen den Herren auf dieser Seite des Hauses und

den Herren auf jener Seite, welche sich den Anträgen der Kommission

entgegenstellen.

Alle Einzelheiten zu konstatieren, ist hier nicht der Ort.

Der Herr Abgeordnete Freiherr v. Vincke hat ja schon die Forderung

der zweijährigen Dienstzeit unter großer Zustimmung von dieser Seite des Hauses formuliert, aber, wie ich schon vorhin andeutete, so meine ich doch, daß, wie die Dinge jetzt liegen, Sie Ihre Absicht, eine zeitgemäße Organisation zu erhalten, auf dem von Ihnen eingeschlagenen Wege nicht erreichen.

Die Regierung weist ja Ihren Vermittlungsantrag zurück, geht

nicht einmal auf die Vorschläge ein, welche ihr von dieser Seite geboten

werden, und das würde doch die erste Bedingung sein, wenn man auf diesem Wege zu etwas gelangen wollte.

Sie alle wollen so gut wie wir,

daß bei einer künftigen Organisation dem Hause eine Stimme zugesichert werde.

Diese Stimme für die künftige Organisation sichern wir aber

nur, indem wir dem Provisorium die längere Dauer verweigern.

Es

gilt, durch diese Maßregel uns erst die Bahn zu öffnen, deren Beschreiten

auch Sie als

die allein heilsame betrachten, die uns allein aus den

herrschenden Wirren herausführt; hier bin ich wieder genötigt, damit Sie

sehen, daß dies nicht willkürliche Voraussetzungen sind, auf das, was Sie

bei früheren Debatten selbst vertreten haben, mich zu berufen.

Sie alle

wissen, daß, als 1860 der Ausweg des Extraordinariums ergriffen wurde,

ein Verfahren,

über

welches ich mich auszusprechen Gelegenheit gehabt

habe/) die Lage wohl so angetan war,

daß das, was Sie beschlossen,

gewiß von vielen Punkten aus gerechtfertigt werden konnte.

1861 aber,

für welche Zeit der Abgeordnete v. Vincke meine Worte angeführt hat,

habe ich mir auszusprechen erlaubt, daß nach dem tatsächlichen Vorgänge der Regierung mir der Standpunkt des Vorjahrs bereits verloren zu sein

schien und der Kommissionsantrag, wie er jetzt vorliegt, allein korrekt sei. Damals hat der Berichterstatter — ich glaube, es war der Abgeordnete

') Vgl oben S. 44.

Schulze-Delitzsch.

124

v. Vincke selbst — ausgesprochen, wie die Dinge ständen und wie man

sich zu verhalten hätte, wenn diese extraordinäre Bewilligung nicht ihrem Er erklärte: „Er könnte

Sinne gemäß aufgefaßt und verwendet würde.

sich kein größeres testimonium paupertatis denken, das dieses Haus sich ausstelle, als wenn es heute der Ansicht wäre, daß es hier einer voll­

endeten Tatsache gegenüberstehe, welche gar nicht eintreten könne, und daß

die Abgeordneten

nicht

Gewissensfreiheit sich der

mit derselben

künftigen Vorlage gegenüber befänden, mit derselben Unbefangenheit ihre

Beschlüsse

wären."

fassen

Er

fügt

würden, dann

wie

sie

dies

ausdrücklich

jetzt zu

hinzu:

Es

tun

in der Lage

unterliege

keinem

Zweifel, daß jede Verwendung der Budgetansätze des Militäretats der

Bewilligung des Hauses unterliege und keine Ausgabe für irgendeine Organisation der Armee, die das Haus nicht gutgeheißen, gemacht werden könne, und daß eine Regierung, die dagegen handelt, sich einer Verletzung

der Verfassung schuldig mache.

(Abgeordneter v. Vincke: Sehr richtig!)

Der Abgeordnete v. Rosenberg-Lipinski, welcher auch gegenwärtig auf diesen Bänken sitzt, sagte damals: „Es liege die Garantie dafür, daß

das Extraordinarium eingehalten und kein Definitivum ohne die Zu­ stimmung des Hauses hierbeigeführt werde, gegen alle die vollendeten

Tatsachen, welche schon damals angeführt wurden, eben in den Worten

des Gesetzes, welches zugleich ein königliches Wort ist, in der vertrauens-,

vollen Zusage der Staatsregierung und vor allem, meine Herren, in uns selber. Ja, meine Herren, in uns selber, der Mut der Überzeugung läßt sich nicht präjudizieren, darum bringen wir ihn wieder mit." Nun, an diesen Mut der Überzeugung wird eben von uns — dies der Verlauf

der ganzen Debatte — appelliert, so daß es nicht nötig ist, noch weiter darauf einzugehen.

Aber, meine Herren, ich muß noch durchaus auf einen Punkt kommen,

auf die Haltung der Königlichen Staatsregierung uns gegenüber in dieser ganzen Debatte und in dieser ganzen Frage.

beiderseitigen Entgegenkommen.

Man spricht von einem

Ich habe schon einmal gesagt, die Volks­

vertretung hat keine Wahl: entweder sie gibt ihr Recht auf und verliert ihre ganze Stellung, oder sie behauptet es, indem sie es ausübt.

Die

Regierung hat die Wahl, ob sie umkehren will zu dem Etat von 1859,

oder ob sie ihre neue Schöpfung durch die Volksvertretung legalisieren lassen will.

Wer also hier den ersten Schritt tun muß und dies allein kann,

das beantwortet sich aus der Natur der Sache.

Alle Versuche, durch

Nachgiebigkeit etwas zu erreichen, sind von den früheren Versammlungm

Reden in der Konfliktszeit. vergeblich gemacht.

125

Die Indemnität, um die es sich handelt, meine

Herren, von der kann aber nicht die Rede sein, ehe nicht von feiten der Regierung eine Einlenkung in andere Zustände stattfindet, und wir haben keine Aussicht, nach den eben gegebenen Kundgebungen und Äußerungen

des Herrn Ministers eine solche zu erwarten.

Der Herr Kriegsminister,

das muß ich ganz besonders betonen, entwickelte Anschauungen, welche die verfassungsmäßige Stellung der Volksvertretung nicht bloß in dieser Frage sondern überhaupt in einer Weise berühren, daß es unsere Pflicht ist, für das ganze Land, meine Herren, förmlich Akt davon zu nehmen. (Hört! Hört!) Ich habe mir die Stellen notiert nach seinen Äußerungen und nach

dem stenographischen Berichte. Zuerst sind ihm die Hauptseiten der Frage nicht diskutabel, „weil jedermann weiß, wie darüber gedacht werden muß", sodann

„ist die

Verweigerung des Budgets ein Mittel, die Regierung aus ihrer ver­ fassungsmäßigen Position zu drängen"; sodann: „es sind einzelne Personen

auf der linken Seite des Hauses, welche das Vertrauen des Ministeriums nicht besitzen, er kann sie namentlich bezeichnen, es liegen mündliche und schriftliche Äußerungen vor, welche auf gefährliche Tendenzen schließen lassen; es sind nur wenige in der Partei, aber sie sind der Sauerteig, welcher den ganzen Teig durchdringt und ein Gebäck erzeugt, welches der

Regierung wenig schmackhaft erscheint!" Meine Herren, der Herr Kriegsminister vermißte an den Ausführungen eines hervortretenden Redners in der Freitagsdebatte die Popularität. Ich glaube, einen ähnlichen Vorwurf kann man ihm nicht machen (Heiter­ keit); seine Äußerungen sind überaus populär, jedermann im ganzen Lande, denke ich, wird sie verstehen und wird sie zu würdigen wissen.

Ich will eine ebenso offene Antwort darauf erteilen: Niemand im Lande hat zu bestimmen, welche Ansicht man in diesem Hause über irgendeine Frage, die hier vorkommt, haben muß! (Bravo!) Das Haus der Abgeordneten verweigert das Budget nicht, es streicht

einzelne Positionen. Ich sagte schon, wenn eine Verweigerung des Budgets im ganzen wirklich eintreten sollte, so wäre dies nur möglich je nach der Annahme oder Verwerfung desselben durch die beiden anderen Faktoren, die hierbei mitzusprechen haben. (Bravo!) Das Haus der Abgeordneten gebraucht also weiter nichts, wenn es

einzelne Positionen verweigert, als sein verfassungsmäßiges Recht; es ist aber vollkommen widersinnig, daraus einen Übergriff, ein Drängen der

126

Schulze-Delitzsch.

Regierung aus ihrer verfassungsmäßigen Position herzuleiten.

Und es ist doppelt unzulässig, wenn man daraus, daß ein berechtigter Faktor

des Staatslebens sein verfassungsmäßiges Recht zu dem Zwecke gebrauchen will, um unerlaubte Übergriffe in seine verfassungsmäßigen Rechte zurück­

zuweisen, — wenn man daraus diesem verfassungsmäßigen Faktor einen solchen Vorwurf machen will.

Wenn irgendwo dem verfassungsmäßigen

Rechte zunahe getreten wird, so geschieht es nicht von diesem Hause,

sondern gegen dasselbe, indem man dessen Recht zu einer bloßen Pflicht herabdrücken will, wie dies die Anmutung der Regierung involviert. Das ist der Eingriff, der hier vorliegt, ein Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung. (Bravo l)

Sodann, meine Herren, keine Verfassung in der ganzen Welt ver­

langt, daß die Abgeordneten das Vertrauen des Ministeriums besitzen sollen. (Heiterkeit. Hört! Hört!) Wohl aber verlangt es der konstitutionelle Geist und die konstitutionellen Prinzipien, wie sie allen konstitutionellen Verfassungen zugrunde liegen müssen, daß das Ministerium das Vertrauen der Volksvertretung besitzt. (Sehr richtig!) Wo das nicht der Fall ist, würde eine Empfehlung der Minister (Bravo!), daß Abgeordnete ihr Vertrauen besäßen, die schlechteste

Empfehlung bei ihren Wählern und im ganzen Lande sein. (Bravo! und Widerspruch.) Wenn dem Herrn Minister Äußerungen von Abgeordneten bekannt sind, mündlich oder schriftlich, denen er eine gefährliche Tendenz unter­ legt, so hat er dies bei derjenigen Behörde zur Geltung zu bringen,

welche mit diesen Dingen zu tun hat. (Sehr richtig.) Jedes Eingehen auf dergleichen Insinuationen steht unter dem Niveau des Hauses (Stimmen links: Sehr wahr!), und ich und meine politischen Freunde weisen daher diese Insinuationen ganz einfach zurück.

Endlich wird die Gesamtheit der preußischen Wähler dem Herrn Kriegsminister sehr dankbar sein für die Aufklärung, was es eigentlich mit der Volksvertretung für eine Bewandtnis hat, und zu welchem Zwecke sie da ist, nämlich: „ein schmackhaftes Gebäck für das jeweilige Ministerium zu bilden!" (Große Heiterkeit.) Ich bedaure, daß es diesmal versehen ist, daß das Gebäck nicht sehr schmackhaft geraten zu sein scheint. (Heiterkeit.)

Indessen knüpfe ich daran, meine Herren, die Hoffnung für das Haus, für diesmal noch nicht von dem Herrn Kriegsminister verspeist zu werden.

(Wiederholte Heiterkeit.)

Ich bleibe dabei in seinem Bilde und hoffe, mich ebenfalls ganz populär ausgedrückt zu haben. Übrigens bin ich der Hoffnung, daß, wenn auch die Ausfälle des

Herrn Ministers auf diese Seite des Hauses (die linke deutend) zu dem gegenwärtigen Protest in meinem und meiner politischen Freunde Namen Anlaß gegeben haben, das Haus mir darin beistimmen wird, daß es sich nicht bloß um den Protest einer Partei sondern der Volksvertretung im

allgemeinen, um den Protest des ganzen Hauses gegen derartige An­ schauungen, gegen ein solches Auftreten handelt. (Zustimmung. Wider­ spruch in der konservativen Fraktion.) Nun, wenn von dieser Seite, von den hier zunächst gelegenen Bänken der Rechten, ein Nein! erschallt, so ist das wohl sehr natürlich, meine

Herren. Sie haben ja die Ausführungen gehört, die mehr oder weniger seit einer Reihe von Debatten in dieser und allen Fragen auf den Ab­ solutismus als diejenige Staatsform zurückführten, in der die Herren sich allein wohl befinden zu können glauben.

Dann hört aber die Volks­

vertretung auf, und meine Voraussetzung, von der ich ausging, im Namen der Volksvertretung zu sprechen, mußte ich daher allerdings von dieser

Seite bestritten sehen. Zum Schluß noch ein kurzes Wort. Man spricht von der Vermeidung eines Konflikts. Ja, meine Herren, wenn dies in unserer Macht stände I Wie können wir aber einen Konflikt vermeiden, der bereits da ist, schon

lange da ist und nicht erst durch das Votum des Hauses konstatiert wird. Ja, wollten wir ihn auch jetzt wirklich nicht aufnehmen: er ist bereits

von anderer Seite ausgenommen worden, vom preußischen Volk.

Hat

man denn nicht die Frage in die letzten Wahlen hineingeworfen? Liegt nicht eine Kammerauflösung zwischen uns? Und gruppieren sich denn nicht ganz natürlich und ganz dem konstitutionellen Prinzip gemäß bei

einer Kammerauflösung die Wähler um bestimmte Fragen?

Machen sie

nicht die Wahl der Abgeordneten davon abhängig, wie ihre Kandidaten gerade zu diesen Fragen sich verhalten, mögen sie der aufgelösten Kammer angehört haben oder nicht? Was sollte daraus entstehen, wenn die Volksvertretung einem Konflikt, den das Volk ausgenommen hat, nicht auch in ihren Reihen

den vollen Ausdruck und den notwendigen Widerklang geben wollte! O, meine Herren, das weiß jeder im Lande, um was es sich jetzt handelt. Nicht um die Militärfrage allein, nein, um die ganze verfassungsmäßige Befugnis der Volksvertretung. Geben wir hier nach, weichen wir von der Position, die uns Verfassung und Gesetz nicht bloß einzunehmen be-

Schulze-Delitzsch.

128

rechtigen sondern verpflichten,

so ist diese Position in unserer ganzen

übrigen Wirksamkeit für immer verloren.

(Bravo! links.)

Einer Volksvertretung, die in dem einen Punkte nicht festzustehen

weiß, wird man auch in den anderen Punkten nicht die gehörige Achtung zu schenken bereit sein; und sie hat es dann nicht besser verdient! Ich meine daher, wir überlassen die Verantwortlichkeit dessen, was

aus unserem Feststehen folgt, denen, die uns in diese Situation geführt

haben (Bravo! links),

und wir halten uns so,

daß wir das, was wir

tun, vor der Versüssung und dem Lande verantworten

können.

Wir

kämpfen für die Grundlagen einer verfassungsmäßigen Freiheit, wir kämpfen für die größten Interessen unseres Volkes, wir kämpfen nicht bloß für

Preußen; auf uns sind die Blicke von ganz Deutschland gerichtet, denn man weiß, wenn hier der Absolutismus siegt, so ist es auch mit dem verfassungsmäßigen Leben in

vorbei.

den deutschen Klein- und Mittelstaaten

(Sehr richtig! links.)

Wir kämpfen für die ganze Zukunft unserer Nation.

Das, was

wir wollen, die Behauptung unseres verfassungsmäßigen Rechts, darauf beruhen die Grundsäulen des preußischen Staates, das Wohl und das Heil unseres Vaterlandes.

Und wie man sich auch uns entgegenstellt —

ich meine, die Dinge verlaufen in unseren Tagen schnell, es ist eine Not­

wendigkeit in diesem ihrem geschichtlichen Verlauf,

die uns ganz gewiß,

und ich denke, in nicht zu ferner Zeit, Recht verschaffen wird.

(Lebhaftes

Bravo! links.)

Noch am selben Tage antwortete der Kriegsminister auf diese Rede

und zweifelte unter Lsinweis auf Schulzes Rede auf dem Frankfurter Schützenfest am 3uli ’) seine und seiner Partei nationale Zuverlässig­ keit an. Darauf erwiderte Schulze: Über

die

Bedeutung

der Indemnität

habe ich

nichts

mehr zu

sprechen, da die Mißverständnisse in dieser Beziehung von den Herren Vorrednern aufgeklärt sind.

Aber ich muß zurückweisen,

als durchaus

unbegründet, was der Herr Kriegsminister darüber sagte, welche Stellung

wir der Landwehr anzuweisen

gedächten,

gegen das stehende Heer einnehmen sollte.

was für ein Verhältnis sie Ich habe ganz einfach gesagt:

wenn man das Element der Landwehr in unserem Heere schwächt, daß

man das Element des Volkstümlichen im Heere schwächt, dabei bleibe ich. Er warf mir ferner ein Wortspiel mit dem Wort Ich meine,

es ist kein Wortspiel,

') Siehe S. 106 f.

„bestehenden" vor.

sondern ich habe gerade dadurch den

konservativsten Standpunkt eingenommen, den es überhaupt gibt. Das muß ich aufrecht erhalten, daß eine Versammlung von Gesetzgebern nur das gesetzlich Bestehende als solches anzuerkennen hat und niemals vor einseitigen Schöpfungen der Willkür als vor vollendeten Tatsachen zurück­

scheuen darf. (Sehr richtig!) Ich glaube, das ist ganz allein konservativ. Nun, meine Herren, will ich einen kurzen Irrtum in bezug auf die statistischen Nachrichten berichtigen. Nicht mir sondern dem Herrn Kriegs­

minister ist ein kleiner lapsus calami passiert. Nachdem von preußischer Seite der Geheimrat Engel die v. Czörnigschen Aufstellungen in der er­ wähnten Art bemängelt hat/) ergänzt er die gelassene Lücke und kommt dadurch auf die Prozentzahl von 30°/o für Österreich, statt der von

Herrn

v.

Czörnig

berechneten

22%

als

das

wirkliche

Verhältnis,

welches die Militärausgaben zu dem übrigen Ausgabenbudget in Anspruch nehmen. Wenn nun von Herrn Engel selbst für Preußen die Zahl von 29%% berechnet ist, so sehe ich nicht ein, wo da mein Irrtum liegen

soll, als ich eine ziemlich gleiche Sachlage zwischen beiden Staaten aus jenen Angaben folgerte. aufrecht erhalten.

Ich darf also wohl meine ganze Deduktion

Nun, meine Herren, ich gehöre nicht zu denen, welche das Haus mit langen persönlichen Bemerkungen inkommodieren, Sie werden mir das bezeugen. Wenn aber in einer solchen Weise von dem Kriegsminister debattiert wird, die ich geradezu unerhört nenne, indem Äußerungen von

Mitgliedern außer dem Hause hier gewissermaßen vor Gericht gestellt werden, so muß es den einzelnen Mitgliedern vergönnt sein, hierüber sich

auszusprechen. Er hat mir den Mangel an Urbanität gegen ihn vor­ geworfen. Ich glaube, wenn ein Abgeordneter einen solchen Ausdruck

gebraucht hätte, so würde er zur Ordnung gerufen worden sein. (Sehr richtig!) Ich finde nun meinerseits auch keine Urbanität in diesem Ausdruck des Kriegsministers; das möge er mir zu bemerken erlauben, mit seinen eigenen Worten. Übrigens bedaure ich, daß er nicht besser verstanden hat, was ich in Frankfurt gesagt habe?) Ich habe heute, was ich damals

gesagt habe, es waren ja nur ein paar Worte, in meiner Deduktion wiederholt, indem ich ausgeführt habe, wie notwendig die Pflege der Keime zu einem Volksheere sei und wie notwendig ein solches Volksheer *) Vgl. oben S. 114. -) Vgl. oben S. 106 ff. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

9

ISO

Schulze-Delitzsch.

hinter dem Parlament stehen müsse, hinter dem Parlament der Zukunft, In Frankfurt beim deutschen

dem alle deutschen Herzen entgegenschlagen.

Schützenfeste da kann doch wahrhaftig nicht vom preußischen Parlamente

die Rede sein, das ja gar nicht erst zu schaffen ist sondern längst existiert, als ob es sich darum handle,

diesem ein besonders von der preußischen

Armee verschiedenes Parlamentsheer zu verleihen!

Kein Mensch hat mich

mißverstanden und konnte mich mißverstehen, außer der offiziellen Sold­ presse und dem Herrn Kriegsminister.

Deutsches Parlament und deutsche Zentralgewalt,

des Festes wie des gesamten Vaterlandes! der Ansicht,

dies die Losung

Und dabei bin und bleibe ich

daß wenn die Regienmg die nationalen Sympathien in

solcher Weise von sich stößt statt an sich zu fesseln, so werden wir nun

und mit dem Volksheer werden

und nimmermehr ans Ziel gelangen,

uns in der Stunde der Entscheidung die Bundesgenossen fehlen, die allein helfen können. Was ich in Frankfurt sagte, darf ich demnach Wort für Wort auf­

recht halten, gerade im Interesse Preußens, denn ich bin davon aus­

gegangen, daß Preußen die Führung in Deutschland gebührt, wie ich es hundertmal in diesem Hause ausgesprochen habe und an vielen anderen Stellen

in Deutschland vor bedeutenden Versammlungen patriotischer

Männer im Interesse meines engeren wie des großen Gesamtvaterlandes; und ich glaube, die preußische Regierung hätte am wenigsten Ursache, sich über meine Wirksamkeit zu beklagen! Ich

habe

noch

ein

Wort

v. Bethusy-Huc zu erwidern.

(Bravo!)

dem

geehrten

Abgeordneten

Grafen

Ich kann ihm nicht verargen, daß er diesen

Vorwurf,') den ich seiner Fraktion gemacht habe, von sich zurückwies. Aber

daß ich einen Anlaß dazu hatte,

werde ich aus dieser Debatte beweisen.

Der geehrte Abgeordnete v. Gottberg, den

er

doch

zu

seiner Partei

rechnet, hat, ohne daß ein Widerspruch der übrigen Herren dieser Partei erfolgte, gesagt, wenn der Konflikt weiterginge und das Budget nicht zu­

stande käme, so müsse es gemacht werden, wie cs früher immer geschehen. Die Könige von Preußen hätten die Militärsachen seit so und so langer

Zeit für sich allein geordnet, und so müsse es alsdann auch weiter fort­

gehen. Das kann niemand bestreiten;

die Könige von Preußen haben die

Militärsachen so lange für sich allein geordnet, als sie absolute Monarchen

waren.

Der genannte Herr Abgeordnete macht also in seinem Anlaufe

') Vgl oben S. 127.

einen kühnen Satz über die ganze Verfassung hinweg; seine Parteigenossen haben ihn darin nicht desavouiert, — ohne alle Veranlassung habe ich

also den Ausspruch nicht getan. meine Herren,

Schließlich gestatten Sie mir,

daß ich im Interesse

der Debatten dieses Hauses und der Würde unserer Versammlung noch­

mals dagegen protestiere, daß in dieser gegen alle parlamentarische Sitte verstoßenden Weise, wie von dem Herrn Kriegsminister hier verfahren wird, solche Dinge — Äußerungen, die bei Gelegenheit außerhalb des

Hauses gemacht worden sind,

hier vor das Haus gebracht werden,

als

sei dasselbe eine Anklagejury für politische Denunziationen.

Ich

wiederhole dem Herrn Minister,

unter dem Niveau dieses Hauses.

Erst

am 23. September fand

Rommissionsantrages

mit

308

ein

solches Verfahren

steht

(Lebhaftes Bravo!)

die Debatte durch Annahme des

Stimmen

gegen

\\

ihren Abschluß.

Gleichzeitig schieden der Nlinisterpräsident Fürst Hohenlohe-Ingelfingen und die Minister des Äußeren und der Finanzen Graf Bernstorff und von der bjeydt aus dem Dienst, weil fie glaubten, ohne Konzessionen an

den Landtag, insbesondere der zweijährigen Dienstzeit, nicht im Amte bleiben zu können. An Stelle der beiden ersteren trat der preußische Gesandte in Paris, Otto von Bismarck.

10L Die Zurückziehung des Etats für das Jahr 1863. (Rede in der 61. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. Oktober 1862.)

Die Regierung hatte nach Übernahme des Ministerpräsidiums durch Bismarck „im Interesse der Verständigung" am 29- September 1862 den Etat für (863 vorläufig zurückgezogen, worauf die Budgetkommission

am 6. Oktober beantragte, die Regierung aufzufordern, den Etat für (863 dem Abgeordnetenhaus so zeitig vorzulegen, daß seine Feststellung noch vor dem (. Januar (863 erfolgen könne. Außerdem sei jede Ausgabe der Regierung für verfassungswidrig zu erklären, die durch einen Beschluß des tzauses definitiv abgelehnt sei. hierzu hatte der Abg. v. Vincke-Stargard ein Amendement eingebracht, wonach die Ver­ pflichtung der Regierung ausgesprochen wurde, daß sie, „abgesehen von

den in Ansetzung des Etats für (862 zu gewärtigenden weiteren Vor­ lagen", noch vor Ablauf des Jahres (862 die Bewilligung eines vor-

einen kühnen Satz über die ganze Verfassung hinweg; seine Parteigenossen haben ihn darin nicht desavouiert, — ohne alle Veranlassung habe ich

also den Ausspruch nicht getan. meine Herren,

Schließlich gestatten Sie mir,

daß ich im Interesse

der Debatten dieses Hauses und der Würde unserer Versammlung noch­

mals dagegen protestiere, daß in dieser gegen alle parlamentarische Sitte verstoßenden Weise, wie von dem Herrn Kriegsminister hier verfahren wird, solche Dinge — Äußerungen, die bei Gelegenheit außerhalb des

Hauses gemacht worden sind,

hier vor das Haus gebracht werden,

als

sei dasselbe eine Anklagejury für politische Denunziationen.

Ich

wiederhole dem Herrn Minister,

unter dem Niveau dieses Hauses.

Erst

am 23. September fand

Rommissionsantrages

mit

308

ein

solches Verfahren

steht

(Lebhaftes Bravo!)

die Debatte durch Annahme des

Stimmen

gegen

\\

ihren Abschluß.

Gleichzeitig schieden der Nlinisterpräsident Fürst Hohenlohe-Ingelfingen und die Minister des Äußeren und der Finanzen Graf Bernstorff und von der bjeydt aus dem Dienst, weil fie glaubten, ohne Konzessionen an

den Landtag, insbesondere der zweijährigen Dienstzeit, nicht im Amte bleiben zu können. An Stelle der beiden ersteren trat der preußische Gesandte in Paris, Otto von Bismarck.

10L Die Zurückziehung des Etats für das Jahr 1863. (Rede in der 61. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. Oktober 1862.)

Die Regierung hatte nach Übernahme des Ministerpräsidiums durch Bismarck „im Interesse der Verständigung" am 29- September 1862 den Etat für (863 vorläufig zurückgezogen, worauf die Budgetkommission

am 6. Oktober beantragte, die Regierung aufzufordern, den Etat für (863 dem Abgeordnetenhaus so zeitig vorzulegen, daß seine Feststellung noch vor dem (. Januar (863 erfolgen könne. Außerdem sei jede Ausgabe der Regierung für verfassungswidrig zu erklären, die durch einen Beschluß des tzauses definitiv abgelehnt sei. hierzu hatte der Abg. v. Vincke-Stargard ein Amendement eingebracht, wonach die Ver­ pflichtung der Regierung ausgesprochen wurde, daß sie, „abgesehen von

den in Ansetzung des Etats für (862 zu gewärtigenden weiteren Vor­ lagen", noch vor Ablauf des Jahres (862 die Bewilligung eines vor-

132

Schulze-Delitzsch.

läufigen extraordinären Kredits bei der tandesvertretung zu beantragen habe, falls der Etat für |863 nicht vor Ende (862 fertiggestellt fei.

Dagegen erklärte ein von Gsterrath-Vppeln eingebrachtes Amendement: (. das E[aus hält mit der Regierung als Grundsatz fest, daß Der

Etat in Zukunft zeitig genug vorgelegt werden müsse, um seine Feststellung vor dem Beginn des Jahres, für welches er bestimmt

ist, zu ermöglichen; 2. wenn dieses durch außergewöhnliche Umstände für ein Jahr nicht hat geschehen können, dann dürfen bis zur gesetzlichen Feststellung

des Etats nur die zur Fortführung der Verwaltung unumgänglich notwendigen, im Etat des Vorjahres bewilligten laufenden Aus. gaben geleistet oder auch übernommen werden.

Die Verhandlungen über die Anträge begannen am 6. Oktober;

am folgenden Tage erklärte Ministerpräsident von Bismarck namens des Gesamtministeriums den Kommissionsantrag für eine Herausforderung zu

schleuniger Fortsetzung des Streites. Die Regierung verspreche sich aber keinen Gewinn für die von ihr erstrebte Verständigung, wenn sie mit der­ selben polemischen Schärfe, welche die Reden des vorhergehenden Tages charakterisierte, die Theorie der Theorie, die Interpretation der Dnterpretation gegenüberstellen wollte. Dazu werde die Zeit kommen, wenn die Aussicht auf eine friedliche Ausgleichung geschwunden sein sollte. Jn dem Amendement Vincke sehe die Regierung ein Unterpfand für die entgegen­ kommende Aufnahme ihrer Bemühungen zur Verständigung, und sie werde gegebenenfalls Vorschläge machen, welche auf den Antrag eingingen, ohne sich dessen Motive anzueignen. In der sich hierauf weiter fortspinnenden Debatte kam Schulze an sechster Stelle zum Wort: Meine Herren! Daß sich die ganze Lage der Sache in bezug auf

die zwischen der Landesvertretung und zwischen der Königlichen Staats­ regierung obschwebenden Differenzen durch die neue Konstituierung des

Ministeriums, insbesondere

durch

den

Eintritt

des

Herrn Minister­

präsidenten, vollständig verschoben hat und eine andere geworden ist, das haben sämtliche Redner des Hauses bereits anerkannt.

Auch ich bin in

der Lage, wie eben diese Redner insgesamt, von der Situation im all­

gemeinen ausgehen zu müssen, in der wir uns befinden, und wenn die staatsrechtliche Seite der Frage schon so genügend gestern hier Ihnen vorgeführt worden ist, so werde ich doch vielleicht einzelnes berühren

müssen, um eben auch meinem Standpunkt, wenn auch nur in einer

Nachlese gegen die geehrten gestrigen Herren Redner, gerecht zu werden. Ich hoffe, daß Sie dies um so mehr statuieren werden, als es sich nicht bloß darum handelt, hier vor dem Hause zu sprechen, auf die Überzeugung der Herren, die hier sitzen, zu wirken, sondern ebenso sehr darum, in

einer solchen Krisis sich in faßlicher Weise auch vor dem Lande aus­

zusprechen.

Vielleicht mag manches hier noch verständlicher und knapper

zusammengefaßt werden, als es in den früheren Debatten geschehen ist, so treffend und erschöpfend dieselben auch waren, indem sie sich speziell

an eine Versammlung von Politikern, wie sie hier im Hause sitzt, richteten. Die Militärdifferenz, die uns so lange beschäftigt, die bis jetzt den Kernpunkt unserer Sitzungen

bildete, ist zu einer Differenz geworden

über das Recht dieses Hauses in der Etatbewilligung.

Unsere Mitwirkung

bei der Regelung des Staatshaushalts wird in Frage gestellt, indem man die unerläßliche Bedingung derselben, die rechtzeitige Vorlegung des Etats, welche es möglich macht, die verfassungsmäßige Beschlußfassung darüber

vor

Eintritt

des

Etatsjahres

herbeizuführen,

hinwegdeduziert.

Der

Artikel 99 der Verfassung besagt, daß die Einnahmen und Ausgaben des Staats für jedes Jahr im voraus veranschlagt und'auf den Staats­

haushaltsetat gebracht werden müssen, welcher jährlich durch ein Gesetz

festgestellt wird.

Die Regierung versteht ihn anders, also gilt er nicht;

vielmehr tritt eine Interpretation ein, die natürlich ohne Mitwirkung der

Regierung selbst nicht statthaben kann: dies das Programm, ich will nicht sagen „des neuen Ministeriums", ich muß wohl sagen „des Herrn Minister­ präsidenten", mit dem er die allerneuste Ära einleitet, die Ära, wie wir

von vielen Seiten hören, „der großen Aktion", die sich aber weit eher, wie mir scheint, als eine Ära der großen Reaktion darstellen dürfte.

Daß auf diese Weise das wichtigste Recht der Volksvertretung in Frage gestellt wird, haben die Herren Vorredner schon hinlänglich illustriert,

Ich gehe noch ein Stück weiter; ich sage: durch die Stellung, die das Königliche Staatsministerium in dieser Art einnimmt, ist die Existenz der

Verfassung selbst gefährdet. Die Regierung hat den Etat, so hörten wir von dem Herrn Minister­

präsidenten, überhaupt nur vor Beginn des Etatsjahres zu veranschlagen, keineswegs aber so zeitig vorher vorzulegen, daß wir uns darüber vor Eintritt dieser Periode schlüssig machen könnten.

Kommt das Etatgesetz

nicht zur rechten Zeit zustande, so wirtschaftet, wie Sie gehört haben, die Königliche Staatsregierung ohne Etat; denn dann, so war die Deduk­ tion, die so überaus charakteristtsch ist, „tritt das vor der Entstehung der Verfassung

unbestreitbar gültig gewesene Recht der Krone wieder ein,

Schulze-Delitzsch.

134

wonach sie unbeschränkt über die Staatsgelder verfügen könne"?)

Das,

meine Herren, das hat der Herr Ministerpräsident nicht bloß in der

Kommissionssitzung ganz klar gesagt oder doch mindestens angedeutet, er hat es bei den Verhandlungen, die Ihnen der Herr Abg. Dr. Simson gestern mitteilte, früher auch auf das genaueste und präziseste in diesem

Hause ausgedrückt?) Ich glaube, meine Herren, Sie sind mit mir darin einverstanden, daß man in dieser Weise nicht interpretieren kann,

und zwar aus dem

sehr einfachen Grunde, den alle Juristen, überhaupt alle, die jemals mit Interpretationen von Gesetzen zu tun gehabt haben, als obersten Grundsatz dabei mir zugestehen werden: Man darf keine Bestimmung eines Gesetzes,

oder was sonst der Interpretation unterliegt, so interpretieren, daß die­ selbe sinnlos wird.

Das ist absolut unzulässig.

Aber die ganze Dispo­

sition des Artikels 99 der Verfassung, welche unbestritten den Zweck hat,

der Volksvertretung die Mitwirkung bei Ordnung des Staatshaushalts zu sichern, wird vollkommen sinnlos, wenn sie nicht in der Art, wie alle Redner es bisher gefordert haben, verstanden wird.

vertretung wirklich die Kontrolle

.Stimme

bei

den

der

Staatsausgaben

Staatsfinanzen

irgendeinen

Soll die Volks­

üben,

Einfluß,

soll

ihre

die mindeste

Geltung haben, so ist es unbedingt notwendig, ja es versteht sich von selbst, daß man sie vor Bestreitung dieser Ausgaben, vor Verwendung

der Gelder darum fragt, daß man vor Beginn des Etatsjahres ihre

Beschlüsse darüber einholt.

Wenn man uns aber nach Beginn der be­

treffenden Periode zu einer Zeit damit kommt, wo die Ausgaben schon

bestritten, die Gelder schon verausgabt sind, dann ist es mit unserer Mitwirkung überhaupt ein Humbug.

Was in aller Welt können wir

denn noch bewilligen und was versagen und feststellen, wenn das Geld fort, unsere Bewilligung, wie der Herr Abg. Dr. Simson schon sagte, gegenstandslos geworden ist?

Wo bleibt unser Recht, wenn gar nichts

mehr über die Sache zu sagen ist, weil uns ein fait accompli, eine

vollendete Tatsache entgegentritt, schuldige Pflicht erfüllen?

und wie können wir die dem Lande

Daß man über so ungeheuer einfache Sätze

noch ein Wort verlieren muß, ist

ganz unbegreiflich!

Ich wiederhole

daher: solche Interpretationen, wie sie der Herr Minister beliebt, sind

nach den ersten Jnterpretationsregeln,

die schon im Allgemeinen Land-

’) Äußerungen Bismarcks in der Kommissionssitzung vom 30. September 1862. s) Dr. Simson (Schleiden, Malmedy, Möntjoie) hatte mit den obigen über­ einstimmende Ausführungen Bismarcks aus einer Rede in der Zweiten Kammer von 1861 zitiert: vgl. Horst Kohl, Bismarcks Politische Reden 1, 312 ff. und 330.

recht (Titel IV, Teil I1) aufgestellt sind, durchaus zu verwerfen, weil

sie die betreffende Bestimmung der Verfassung sinnlos und in sich

Widersprechend machen. Aber, meine Herren, wenn man auch hiervon absieht und sich auf

den Wortlaut der Verfassung beschränkt, so ist doch auch, wenn man sich nur an die Worte halten will, die Sache völlig klar. Stellt man nämlich die Artikel 99 und 104 der Verfassungsurkunde zusammen, so ergeben sich folgende unbestreitbare Sätze: Zuerst ist in Artikel 104 gesagt, daß zu Etatsüberschreitungen die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich ist. Meine Herren,

daraus geht in Verbindung mit dem Artikel 99 klar hervor, daß unsere Verfassung überhaupt Ausgaben ohne Existenz eines Etats nicht kennt, ja sich die Möglichkeit solcher Ausgaben gar nicht denken kann. Die Verfassung kennt danach wohl solche Ausgaben, die im Etat nicht bewilligt sind, aber nur als Etatsüberschreitungen d. h. Ausgaben, die neben und außer einem jedenfalls vorhandenen Etat vorkommen, weil sie durch augenblickliche und unvorhergesehene Bedürfnisse entstanden sind, die man bei Feststellung des Etats übersah oder noch nicht kannte. Hier gibt der Artikel 104 die Norm in die Hand, wie diese Ausgaben durch nach­

trägliche Genehmigung in die verfassungsmäßige Norm hinübergeführt werden können. Nur bei solchen Etatsüberschreitungen kommt die nach­ trägliche Genehmigung vor, nimmermehr bei der Etatfeststellung. Und eben, weil die Verfassung Geldverwendungen, die der Etat nicht enthält,

nur als Etatsüberschreitungen kennt und dieser Begriff mit Notwendigkeit auf das Vorhandensein eines Etats zurückweist, kennt sie kein Wirtschaften ohne Etat, das liegt ganz unzweifelhaft schon in den Worten, in der ausdrücklichen Fassung jener Artikel. Ferner, meine Herren, das Gesetz über den Etat — und das ist wohl festzuhalten — unterscheidet sich in sehr wesentlichen Punkten von allen übrigen Gesetzen zunächst dadurch, daß es zustande kommen muß. Das ist bei keinem anderen Gesetze der Fall. Das Etatgesetz muß zu­

stande kommen nicht nur, weil es durchaus notwendig ist, für die Staats­ verwaltung einen Etat zu haben, sondern weil es ausdrücklich in der Verfassung heißt: „Die Einnahmen des Staats müssen im voraus ver­ anschlagt werden und der Etat wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt."

Das ist bei keinem anderen Gesetz irgendwie verordnet worden. Bei jedem anderen Gesetz liegt es in der Hand der Regierung und Volksvextretuflg, *) Auslegung von Willenserklärungen.

ob sie die Initiative ergreifen wollen oder nicht, bei dem Etatsgesetz muß die Regierung sie ergreifen, und das Etatsgesetz muß zustande kommen.

Das ist der Unterschied zwischen dem Etatsgesetz und den anderen Gesetzen,

den man nicht immer im Auge behält. Endlich,

meine Herren,

steht nach den angeführten

Verfassungs­

bestimmungen fest, da ein Wirtschaften ohne den von der Volksvertretung

festzustellenden Etat nicht vorkommen kann, daß die Verweigerung von

einzelnen Ausgabepositionen, von einzelnen Etatposten durch das Ab­

geordnetenhaus, obgleich das Abgeordnetenhaus nur ein Faktor ist, welcher

mitwirkt bei der Feststellung des Etatsgesetzes, dennoch wegen seiner ihm in der Verfassung zugeteilten bevorzugten Stellung sofort entscheidend

und definitiv ist; und zwar einfach deshalb, weil ein Amendieren das Streichen oder das Verweigern der Regierungsforderungen nur im Ab­ geordnetenhaus selbst stattfinden kann, nun und nimmermehr durch einen

anderen Faktor der Gesetzgebung, da namentlich dem Herrenhaus nur die

Annahme oder Ablehnung des ihm vom Abgeordnetenhaus übermittelten Etats im ganzen zusteht. Um ein solches Amendieren, die spätere Bewilligung

einer gestrichenen Post herbeizuführen, gibt es nur ein einziges verfassungs­ mäßiges Mittel, und dies hat die Regierung in ihrer Gewalt.

Sie kann

die paziszierenden Teile ändern; sie tritt entweder selbst zurück oder sie

löst das Abgeordentenhaus auf, um alsdann die Frage nochmals zum Austrag zu bringen.

Will man diesen Weg nicht beschreiten oder bleibt

derselbe ohne Erfolg und die Verweigerung wird aufrecht erhalten, so

hat in Etatssachen der Mindestbewilligende allemal Recht; weil eine Ver­ einbarung, auf welcher das Ganze beruht, wie der Herr Ministerpräsident selbst behauptet, nur so weit vorhanden ist, als die Bewilligung reicht.

Sie sehen, meine Herren, wie die Dinge liegen, daß dies wohl die

einzig korrekte

Auffassung

des

verfassungsmäßigen

Verhältnisses der

Staatsgewalten in bezug auf diese Sache sein kann, und dagegen kommt

keine mißbräuchliche Praxis auf, auf welche man sich am Ministertische

beruft?)

Am allerwenigsten kann von Präzedenzfällen, die sich auf die

bisherige Praxis dieses Hauses beziehen, die Rede sein.

Denn die Volks­

vertretung hat stets und zu allen Zeiten, wenn dieser Fall vorkam, da­

gegen protestiert und die verspätete Vorlegung des Etats eben als miß­ bräuchlich bezeichnet.

Sogar seitens vieler Minister ist diese Konzession

*) Bismarck hatte gesagt, die Regierung habe zuerst in Abweichung von dem zwölfjährigen Usus den Etat für 1863 zeitiger vorgelegt und dasselbe für die Zukunft zugesagt. Ebenso v. d. Heydt in seinen Kammerreden vom 11. und 16. September 1862.

unbedingt gemacht worden. Ja, sagte man, es sei ein Mißbrauch, man bedaure denselben, wäre aber für den Augenblick nicht in der Lage, sich

anders zu helfen, man würde sich aber bemühen, ihn für die Zukunft Endlich, wenn ich förmlich juristisch deduzieren soll, so ist ja der Besitzstand in dieser mißbräuchlichen Praxis unterbrochen. Wir haben ja die rechtzeitige Vorlegung des Etats pro 1863 noch eben gehabt, abzustellen.

die Regierung hat somit ihre Verpflichtung faktisch anerkannt und uns in Besitz gesetzt. Wie steht die Sache nun? Das jetzige Ministerium entreißt uns diese mühsame Errungenschaft unseres parlamentarischen Kampfes und zieht den schon vorgelegten Etat pro 1863 wieder zurück. Aber nun, meine Herren, kann nach bekannten Grundsätzen niemand, der in dieser Weise auftritt, durch seine eigene Handlung sich eine Rechts­ basis konstituieren wollen, indem er das Rechtsverhältnis willkürlich verrückt. Wer also sich selbst eine so mißbräuchliche Praxis schafft gegen den Protest des andern, besonders nachdem in die rechte bereits eingelenkt war, der kann für sich nun und nimmermehr davon rechtliche Präjudizien ableiten wollen; das verbieten die einfachsten Verjährungsgrundsätze, auf

die ich hier nicht weiter zurückkommen will. Nun denn, meine Herren, vergleichen Sie einmal mit diesen von keiner Seite des Hauses bestrittenen konstitutionellen Grundsätzen die Theorie des Herrn Ministerpräsidenten und seine Interpretationen, die er ja heute von neuem durch Ablehnung der Motive des v. Vinckeschen Amendements bei Annahme von dessen Resolution aufrecht erhält. Er

entgegnet auf unsere Ausführungen, ohne sich irgend auf Gründe ein­ zulassen: „Theorie gegen Theorie, und Interpretation gegen Jnterpretation." — Nun, wenn man so klare Bestimmungen unserer Verfassung, die die Mitwirkung der Volksvertretung bei Feststellung des Haushalts

regeln, über die nicht nur etwa dieses Haus, über die das ganze Land, ja die ganze konstitutionelle Welt einig ist, die Bestimmungen der Artikel 99 und 104 und andere über die Budgetbewilligung für zweifelhaft

erklärt, um das konstitutionelle Staatsrecht mit solchen Interpretationen zu bereichern: ja, dann weiß ich nicht, welcher Paragraph unserer Ver­ fassung vor solchen Zweifeln und Interpretationen noch sicher ist. Dann kann man mit demselben Rechte die ganze Verfassung sür unklar, für

zweideutig in ihrem Sinne erklären und stets sagen: den Paragraphen verstehen wir anders wie ihr, der muß interpretiert werden, folglich gilt er nicht, wenn wir nicht von neuem unseren Konsens dazu geben! Und, meine Herren, was tritt nun ein, wenn eine solche sogenannte

138

Schulze-Delitzsch.

Lücke*) in die ganze konstitutionelle Entwicklung unserer Zustände eingeführt wird, was tritt dann ein nach der Theorie des Herrn Ministerpräsidenten? — Das krönt das Ganze — dann tritt der Absolutismus an die Stelle

der beseitigten Verfassungsartikel. Der Herr Ministerpräsident sagt, daß in solchen Fällen, wo solche Differenzen obwalten, über die eine Einigung der konstitutionellen Gewalten nicht stattfinde, dann die Krone in ihrer

ursprünglichen, unbeschränkten Machtvollkommenheit die Dinge in die Hand nimmt, bis man sich mit ihr über die Interpretation verständigt hat, ein Moment, den sie natürlich vollkommen in der Hand hat. Mit

kurzen Worten, der Absolutismus tritt dann an die Stelle dessen, was

aus der Verfassung als zweifelhaft hinweginterpretiert worden ist, und zwar auf so lange, meine Herren, bis durch die mittels Einigung aller Faktoren der Gesetzgebung zustande gekommene Interpretation das konstitutionelle Recht wieder hergestellt worden ist, d. h. solange es der Regierung beliebt. Ich verweile einen Moment hierbei, denn wenn auch früher diese Theorie noch niemals in solcher Schroffheit, in solcher Kon­ sequenz aufgestellt ist, sind wir doch nicht selten einer gewissen Praxis begegnet, die bewußt oder unbewußt dahin führte. Gerade in dieser Zwiespältigkeit erblicke ich ein Grundübel unserer Zustände. Eben, daß solche Auffassungen an maßgebender Stelle noch existieren, daß zwei solche Systeme, von denen doch das eine das andere ausschließt, zu gleicher Zeit in unsere Zustände noch hineingreifen, eben daher kommen die ganzen Unzuträglichkeiten und Hemmnisse unserer staatlichen Entwicklung. Ich bitte Sie, meine Herren, wenn solche Anschauungen in regierenden Kreisen obwalten, welche Folgen muß dies haben? Lücken in der Ver­ fassung, gleichviel ob eingebildete oder wirkliche, werden ergänzt durch ein System, mit dem der Verfassungsstaat absolut unverträglich l) Die Auffassung von der „Lücke", welche schon vorher von der Kreuz­ zeitung vertreten worden war, hatte Bismarck in der Sitzung der Budgetkommission vom 30. September 1862 entwickelt. Die Verfassung mache das Zustandekommen der Budgetgesetze von der Zustimmung der drei Faktoren: Krone, Herrenhaus Und Abgeordnetenhaus abhängig; verweigere ein Faktor die Zustimmung, so fei tabula rasa vorhanden, und es folgere daraus das Notrecht der Regierung, die Verwaltung ohne Budget weiter zu führen, denn was die Verfaflung nicht aus­ drücklich den anderen Faktoren der Gesetzgebung übertragen habe, sei ein Recht der Krone geblieben. Daß König Wilhelm diese staatsrechtliche Auffasiung teilte, geht aus seinem Briefe vom 2. Januar 1863 an den ihm befreundeten Oberst­ leutnant v. Vincke-Olbendorf hervor. Vgl. „Kaiser Wilhelms des Großen Briest, Reden und Schriften" 2, 43 ff. Vgl. übrigens auch Bismarcks Rede vom 24. Sep­ tember 1849 bei Horst Kohl, Politische Reden 1, 119 ff.

Der Konstitutionalismus wird ergänzt durch den Absolutismus! (Hört! Hört!) Nun, was dabei herauskommen soll, meine Herren, das sagt sich

ist!

jeder selbst. Diese Theorie in ihrer ganzen Schärfe uns vorführen, das heißt doch wahrhaftig nicht Konflikte versöhnen, das heißt den Konflikt

für permanent erklären. (Sehr wahr!) Noch dazu bildet nach dieser Auffassung der Absolutismus die Grund­ lage und Regel, denn das konstitutionelle Recht muß in jedem Falle speziell erst durch eine Vereinbarung mittels der beliebten Jnterpretationsmethode festgestellt werden; — es ist also nur die Ausnahme, und man

fällt in die Regel zurück, sobald diese spezielle Feststellung nicht gelingt, was, wie wir sahen, von der Regierung abhängt. Wann wird man denn endlich begreifen, daß man nicht auf zweierlei Art zu gleicher Zeit regieren kann!

Man kann doch nicht zugleich konstitutionell und absolut

regieren wollen! (Sehr richtig!) Es ist unmöglich, daß man sich in einem Punkte, in einer Ver­ waltungsbranche, die absolute Machtvollkommenheit vorbehält, und in anderen Punkten dagegen die Volksvertretung ruhig ihre Pflicht erfüllen läßt und ihre Rechte respektiert. Solche Zustände und solche Vorstellungen führen notwendig zur Auflösung des ganzen konstitutionellen Organismus.

Nach diesen allgemeinen Ausführungen will ich mir erlauben, auf die einzelnen Amendements zu dem Kommissionsantrage und auf diesen selbst einzugehen. Ich, meine Herren, stehe mit vollster Überzeugung zu dem Anträge der Kommission. Es ist vorhin schon angeführt worden von einigen geehrten Herren Rednern, daß selbst von Anhängern unserer

Partei, namentlich von der Presse, der Kommissionsantrag in mancher Hinsicht als nicht weit genug gehend bemängelt worden ist. Ich gebe auch zu, daß die ganze Frage, die in so scharfer Formulierung bei uns allerdings als eine neue auftritt, gewiß noch andere wesentliche Seiten bietet, und daß man von da aus wohl durch den Resolutionsantrag

manchem nicht genug tut. Ob z. B., meine Herren, ein Etat zurück­ gezogen werden kann von der Regierung, über den bereits zum großen Teil Beratungen stattgefunden haben, über den bereits Beschlüsse des Hauses existieren, der also durchaus nicht mehr eine res Integra bildet, das mag wohl von manchem Standpunkt aus bezweifelt werden können, namentlich dann, wenn man die Frage mit Artikel 76 der Verfassung

in Zusammenhang bringt, wonach der Etat vor Beginn des Etatsjahres vorgelegt und festgestellt werden muß, und das Jahr selbst schon so weit verflossen ist.

Aber die Kommission hat in diesen und anderen Punkten,

Schulze-Delitzsch.

140

wie ich meine, ganz recht gehabt, daß sie auf diese mißlichen und bedenk­ lichen Dinge, die irgendwie einem Zweifel unterliegen können, sich gar

nicht eingelassen sondern daß sie sich bemüht hat, einen Standpunkt zu gewinnen, der unbestreitbar von jeder Seite in vollkommenem Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung dasteht.

Gerade in solchem Kon­

flikt hat jeder Teil die äußerste und dringendste Aufforderung zur Mäßigung

in seinen Forderungen, und daß die Kommission diesen Standpunkt fest­ gehalten hat, den Standpunkt der äußersten Mäßigung, und daß sie lieber

versäumt

hat,

manchem

vielleicht nicht

unberechtigten,

weitergehenden

Wunsche gerecht zu werden, weil sie auf irgendeiner Seite dieses Hauses wie im Lande Bedenken hätte erregen können, das ist gerade das, was

wir wohl alle Ursache haben anzuerkennen.

Die Dinge liegen so, daß

es besser ist, man sagt von uns, „wir fordern zu wenig" als „wir gehen Ich bitte Sie doch, meine Herren, die so bemängelte Reso­

zu weit".

lution einmal anzusehen.

Gegen die Nr. 1 derselben, die Aufforderung

an die Königliche Regierung, den Etat pro 1863 so schleunig dem Hause vorzulegen, daß die Feststellung desselben noch vor dem 1. Januar 1863

erfolgen kann, hat uns der Herr Abgeordnete für Stargardx) vorgeworfen,

sie stütze sich nur auf theoretische Gründe und gehe nicht auf das praktische Ich finde es gerade Praktisch, daß man nicht bloß eine Thesis

Gebiet.

ausspricht, nein, daß man mehr tut, daß man eine Forderung an bie

Regierung aus der Thesis ableitet.

Die Forderung bezieht sich auf den

Etat Pro 1863; sie hat mit dem Etat pro 1862 nichts zu tun, auf den

sich vielmehr der zweite Teil der Resolution bezieht, — ihr die Unausführbarkeit entgegengestellt.

schiedensten

Widerspruch

mit

dem

und man hat

Allein hier bin ich im ent­

Abgeordneten

für Stargard

und

glaube, daß mindestens, als die Regierung an ihre Stelle trat, und selbst jetzt noch es gar nicht so unmöglich ist, die Vorlage noch rechtzeitig zu bewirken. Ist denn etwas vollständig Neues zu schaffen?

Haben wir es nicht

erlebt, in wie kurzer Zeit der abgetretene Finanzminister nicht bloß die

Spezialisierung des Etats pro 1862, nein, auch den neuen Etat pro 1863 gefertigt und uns vorgelegt tjat?2)

(Hört! Hört! links.)

Liegen denn nicht schon die Arbeiten über das Ganze vollständig

vor?

Und es kann sich doch höchstens um Abänderung eines Etattitels,

über die Militärverwaltung handeln, wo vielleicht Umarbeitungen nötig

*) Abg. v. Vincke. s) Infolge der Annahme deS Antrages Hagen vgl. S. 53 ff.

sind; ferner aber, meine Herren, bringen Sie die Gesetzesvorlage über die Heeresorganisation mit zu den Aufgaben der Regierung, die sie zu lösen

hat, so liegen auch darüber Fassungen und Vorarbeiten der verschiedensten

Art vor. Wenn man uns aber sagt, es walten gewisse Schwierigkeiten dabei ob, die sich nicht wohl aussprechen lassen, um ein Gesetz vorzulegen, welches Aussicht auf Annahme im Hause hätte, ja, meine Herren, so sind das unmeßbare Dinge, und wir wissen so wenig, wie lange die Schwierig­

keiten dauern könnten, daß die rechtzeitige Etatvorlage, mit welcher so ungeheuer wichtige Rechte und Pflichten der Volksvertretung Zusammen­

hängen,

doch wahrhaftig nicht davon abhängig gemacht werden darf.

Ja, wenn man nicht gleich mit dem Gesetz auftreten kann, wenn man vielleicht deshalb einer teilweisen Streichung des Etats entgegensehen muß: so ist, wenn das erwünschte Gesetz später erbracht wird, es ja noch

im Etatjahre recht gut möglich, einen nachträglichen Kredit, die Geneh­ migung einer Etatüberschreitung zu erlangen. Das sind also Bedenken

und Anstände, die, wenn man sie mit gutem Willen und mit voller ernster Absicht aus eine Ausgleichung anfaßt, sich überwinden lassen. Es ist gar kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß, wenn vom Ministerium in dieser Weise, mit Gewährung wirklicher Garantien, mit Entgegen­

kommen gegen die berechtigten Volkswünsche in der Militärfrage vor­ gegangen würde, sich nicht eine Ausgleichung, ein allerseits annehmbares Abkommen mit diesem Hause sollte treffen lassen. Der zweite Teil der Resolution ist in entgegengesetzter Hinsicht be­

mängelt worden. „Es ist verfassungswidrig," spricht die Kommission, „wenn die Königliche Staatsregierung eine Ausgabe verfügt, welche durch einen Beschluß des Hauses der Abgeordneten definitiv und ausdrücklich abgelehnt worden ist." Das geht vielen der Herren nicht weit genug. Sie wollen einen Ausspruch, daß überhaupt Ausgaben, die nicht budgetmäßig vom Ab­

geordnetenhause bewilligt sind, nicht statuiert werden sollen. Ja, meine Herren, das ist auch in den Erwägungsgründen der Resolution in thesi

ausgesprochen; weshalb man das aber in den Beschluß nicht ausgenommen hat? — das scheint mir wiederum ein Beweis von der großen Besonnen­ heit und Wohlüberlegtheit der Kommission. Die Kommission hat nur die Frage, die in diesem Augenblick praktisch ist, erledigen wollen und zum Austrag bringen. Es handelt sich gegenwärtig nur um diese Differenz, um die im Etat gestrichenen Ausgaben pro 1862 für die im Extraordinarium der

Militärverwaltung gesetzte Heeresreorganisation.

Den Ausgaben, die vom

142

Schulze-Delitzsch.

Abgeordnetenhaus schon definitiv abgelehnt worden sind, deren weiterer Bestreitung widerspricht die Resolution und bezeichnet sie als die aller­ frappanteste Verfassungsverletzung.

Meine Herren, wenn der Etat bei dem anderen Faktor der Gesetz­ gebung, im Herrenhause, seine Erledigung gefunden haben wird, wenn

wir erst wissen werden, was dort geschieht und was die Regierung als­ dann tut, dann wird es an der Zeit sein, mit einem weiteren Beschlusse

vielleicht in der gewünschten Art, oder je nachdem die Sache sonst liegt, weiter vorzugehen.

kann vielleicht in umfassenderer Weise und

Dann

bestimmter wie jetzt die ganze Frage präzisiert werden.

In diesem Augen­

blick, meine ich, haben wir durchaus nicht Ursache weiterzugehen, als die Kommission gegangen ist.

Das Prinzip, von dem aus überhaupt weiter­

gegangen werden kann, wenn der Fall erst so liegt, das haben wir in

den Erwägungsgründen

ausgesprochen,

und von

diesem Prinzip

aus

können wir unseren ganzen Standpunkt nach allen Seiten hin wahren,

sobald

es irgendwie geboten erscheint, und sobald der Gang der Sache

sich im ganzen übersehen läßt.

Daß die Kommission da nicht Vorgriff,

das halte ich für durchaus gerechtfertigt, und es ist ein Vorzug mehr, daß sie uns die Hand für jede weitere Eventualität, die wir jetzt nicht

bestimmen können, daß

sie

uns dafür die Hand vollkommen freihält.

Eben deshalb ist es auch vollkommen genügend, daß das fragliche Prinzip in die Erwägungsgründe verwiesen worden ist.

Wende ich mich sodann zu den Amendements, so scheint mir keines die Vorzüge des Komuiissionsantrages

zu

teilen.

Die Amendements

Osterrath und Reichensperger kommen darauf hinaus und beschränken sich

wesentlich darauf, die praktische Kernfrage, die Bestreitung der von uns abgelehnten

zuheben.

Ausgaben

der

Heeresreorganisation

pro

1862

heraus­

Sie haben also insofern ganz gewiß einen praktischen Wert,

aber sie fassen die Frage von der Verpflichtung der Staatsregierung pro 1863, die durch die Zurückziehung des Etats pro 1863 ebenso praktisch geworden ist, und über die wir nicht hinwegkommen, die fassen sie gar

nicht ins Auge, wie dies die Kommission tut.

Ferner sprechen sie das

Prinzip in der Art, wie wir es nach dem von mir Gesagten fordern müssen, nicht im allgemeinen aus und wahren die Stellung der Volks­

vertretung in dieser Beziehung nicht für den ferneren Gebrauch und für

weitere Eventualitäten. Das sind die Gründe, weshalb ich mich gegen beide Amendements erklären muß.

Ich würde mich aber bei weitem eher entschließen können, diesen

Amendements, weil sie doch in einem Punkte praktisch sind, beizustimmen, als dem Amendement des Abgeordneten Freiherrn v. Vincke und seiner

Genossen; dieses, meine Herren, erscheint mir, so sehr es uns als opportun

den inopportunsten Beschluß

gepriesen wird,

enthalten

zu

von

allen,

welche wir fassen könnten, und gegenwärtig, wie auch die Herren Redner

vor mir berührt haben, worden

zu

sein,

geradezu

nachdem

für

die Antragsteller unhaltbar

ge­

der Präsident des Ministeriums mit seiner

akzeptierenden Erklärung vor das Haus getreten ist, in der er die Motive der Herren ablehnte. Zunächst

scheint

es

mir überaus bedenklich, überhaupt und ganz

allgemein, daß in solchen Fällen, in solchen Konflikten, die durch ein ein­ seitiges und nicht verfassungsmäßiges Vorgehen der Königlichen Regierung

herbeigeführt worden sind, — daß wir uns da bemühen, der Königlichen

Regierung anzugeben, wie

sie sich wohl am besten aus dem von ihr

herbeigeführten Konflikte herauszieht. Das ist unmöglich unsere Sache.

(Zustimmung links.)

Man kann, wenn man durchaus

sich berufen fühlt, in der Debatte der Regierung den Rat erteilen oder

auch privatim,

das

mag

ganz patriotisch

sein

und jedem unverwehrt.

Aber den Rat in einem Beschlusse des Hauses erteilen und darin die Mittel im voraus sichern, die zu weiterer Vertagung der Frage führen:

von allem, was vorgeschlagen ist, scheint mir dies der ungeeignetste Weg zu sein, die Regierung dahin zu bringen, künftig von einem solchen ver­

fassungswidrigen Vorgehen abzustehen.

Vielmehr heißt es, ihr die Sache

leicht machen, und wenn die Herren am Ministertisch uns in so zarter

Sorgfalt für die Beseitigung der sclbstgeschaffenen Verlegenheit sehen, so

mag sich ihnen unter Umständen ein ziemlich spöttisches Lächeln aufdringen.

Und dürfen wir denn überhaupt einen solchen Rat geben, der immer­

hin auf eine Umgehung des verfassungsmäßigen Verfahrens hinausläust, solange es nach unserer Überzeugung noch möglich ist, dasjenige inne­ zuhalten, was die Verfassung vorschreibt? wenigsten.

Dann doch gewiß am aller­

Zudem kommt der Weg, den Sie Vorschlägen, gerade den von

uns allen bekämpften Tendenzen der Regierung im höchsten Grade ent­ gegen; denn was ist denn die ganze Tendenz?

in

das

Man will uns wieder

fait accompli der Etatsverausgabungen hinein haben, immer

tiefer und tiefer, und je weiter wir uns auf diese schiefe Ebene begeben, desto schwerer und unmöglicher wird es zuletzt, wieder herauszukommeu;

das geht so fort mit dieser Hinnahme des fait accompli, bis zuletzt der Absolutismus darüber fait accompli geworden ist!

(Lebhafter Beifall.)

Und wie, meine Herren (zur Rechten gewendet), wollen Sie nun

Schulze-Delitzsch.

144

gar jetzt nach den Erklärungen des Herrn Ministerpräsidenten noch diesen

Ich habe wohl gehört, daß man seinen Gegnern,

Standpunkt festhalten?

wenn sie weichen, eine goldene Brücke bauen soll, aber wo können Sie

sagen, daß das Ministerium im Zurückweichen von dem Standpunkte be­

griffen ist, den wir alle bekämpfen.

Mit Ihrem Kreditangebot bezwecken

Sie weiter nichts, als daß man mit der Etatsfestsetzung glücklich wieder

hineinschlüpft

das Etatsjahr selbst.

in

Das übrige findet sich dann.

(Lebhaftes Bravo! links.)

Sie bauen also da dem Gegner eine Brücke zum Angriff, aber keine

solche, auf welcher der Feind sich mit Ehren zurückziehen könnte.

(Bravo!

von allen Seiten.)

Das

bestreiten.

muß ich durchaus

meine Herren, dadurch,

der

daß

Und abgesehen

von alledem,

Herr Ministerpräsident Ihre Offerte

annahm und die Erwägungsgründe, worin Sie unser verfassungsmäßiges

Recht wahrten, ablehnte, erhalten Sie als politische Partei eine ganz un­ glaublich

Resolution

Ei, dazu gebraucht

ungünstige Stellung.

von

die Herren Minister

Ihnen, daß

willigung annehmen!

es ja gar keiner eine

derartige Be­

(Heiterkeit.)

Darüber können Sie unbesorgt sein.

Möchten Sie auch, meine

Herren (zur Rechten), bei Stellung Ihres Antrages vollständig recht gehabt

haben, in der Fassung der Gründe geschickter, wie die Kommission, den konstitutionellen Standpunkt gewahrt haben: aber in dem Moment, wo

das Staatsministerium diese Erwägung zurückweist und das Geld nur unbedingt so zu nehmen sich erbietet (Große Heiterkeit), fällt Ihre eigentlich

nur bedingte Bewilligung weg.

(Große Heiterkeit.

Bravo!)

Sie sind in voller Konsequenz Ihrer eigenen Erwägungsgründe nicht imstande, jetzt noch für den Antrag, nachdem er in dieser Weise vom

Ministerium verstümmelt worden ist, zu stimmen.

(Bravo! links.)

Nein, meine Herren, so leicht können wir es nicht nehmen.

Der

Kampf dauert lange, die größten Unzuträglichkeiten sind für das Land

entstanden,

und

wir dürfen

uns

wahrlich nicht auf das Terrain des

Ministeriunrs hinüberziehen lassen, auf dem kein Ende ist.

Wir können

den Kampf nur auf unserem Terrain zu Ende führen, auf dem des ver­ fassungsmäßigen Rechtes, aber nun und nimmermehr darauf eingehen oder

es gar erleichtern, daß man wieder ohne Etat mit allerlei Kreditbewilligungen in das neue Etatsjahr hineingeht. Oh, das ist keine Hand der Versöhnung,

die man uns da bietet, — ich sehe in dieser uns, wie es heißt, entgegen­

gestreckten

Hand

nur

die Bereitwilligkeit,

die Gelder des Landes zn

nehmen (Große Heiterkeit), aber wahrlich nicht, den Konflikt zu beenden.

Die Versöhnung, die die Staatsregierung bisher gepredigt hat, ist

nur das unbedingte Eingehen auf ihren Willen, d. h. das Aufgeben der

verfassungsmäßigen Stellung der Volksvertretung.

(Bravo!)

Ich komme zum Schluß und knüpfe dabei an einiges an, was eben­ falls der geehrte Herr Vorsitzende des Staatsministeriums in den Ver­ handlungen unserer Budgetkommission ausgesprochen hat, und gewiß vieles

darunter wenigstens mit einer großen Scheinbarkeit. Meine Herren, wir wurden darauf hingewiesen, daß das konstitutionelle Leben bei den Völkern, die sich schon länger einer Konstitution erfreuen, nicht allein durch die

Verfassungsurkunde, durch den toten Buchstaben entstanden sei. Das habe sich allmählich gemacht, man habe sich in die Praxis hineingelebt und sei so über viele Schwierigkeiten und Differenzen hinweggeführt, und wir müßten dann eben auch abwarten und Geduld haben, das würde sich dann auch bei uns mehr und mehr durch Präzedenzen fest- und heraus­ stellen. Wir wurden auf England verwiesen, meine Herren. Dabei will

ich an eins erinnern, so viel Wahres das Gesagte auch hat: daß nämlich die Engländer und andere Völker, die zuerst in diese Bahnen mit ihrem konstitutionellen Staatsleben eintraten, natürlich noch ganz andere Kämpfe

und Differenzen durchgemacht haben in den letzten Jahrhunderten, wo überhaupt eine konstitutionelle Praxis und ein konstitutionelles Staatsrecht als Wissenschaft noch gar nicht vorhanden war. Das ist wohl festzuhalten. Ich meine aber, die Völker, die neuerdings in konstitutionelle Bahnen eingelenkt haben, mußten doch vernünftigerweise die Erfahrungen der früheren benutzen. Es gibt ja eine Geschichte, es haben sich in dem Leben aller konstitutionellen Völker gewisse Grund- und Kernsätze festgestellt, und wir heutzutage fangen doch nicht vom Standpunkte des 16. und 17. Jahr­ hunderts wieder von vorne an. (Bravo!) Und weiter: ist denn das Verfassungsleben bei uns so gar jung, als man von vielen Seiten darzustellen liebt? Datiert es denn von heute, datiert es erst von 1849 oder 1850? O nein, meine Herren, wir haben

schon ein paar Menschenalter mit dem Einlenken aus dem alten absoluten Staat in den konstitutionellen zu tun gehabt, lange ehe wir.eine Konstitution hatten. Ich dächte, einer der Herren Redner hätte dies auch schon flüchtig angedeutet. *)

Gerade bei uns hat die Sache einen eigentümlichen Ent­

wicklungsgang genommen vom ersten Ausgangspunkte an, den ich seinem Charakter nach uns gern zum Heile des Vaterlandes zu erhalten wünsche, und gewiß Sie alle mit mir.

Das alte System brach bei uns nicht

*) Virchow (Saarbrücken). Schulzr-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

146

Schulze-Delitzsch.

zusammen in dem Anstürmen des revolutionären Volkes, es brach zusammen aus eigener innerer Morschheit bei dem ersten gewaltigen Anstürme der Zeit (Hört! Hört! links) in den Jahren 1806 usw. Nicht blutige Kämpfe zwischen der Dynastie und dem Volke wie in

England und Frankreich haben bei uns den modernen Staat eingeleitet — im Gegenteil, nicht Kämpfe des Volkes gegen die Dynastie, nicht gegen den Thron, sondern Kämpfe des Volkes mit und für Thron und Vater­

land, sie haben dem Volke die Weihe gegeben und seine Reife zur Freiheit eingeleitet; sie haben die heiligen Versprechungen an höchster Stelle hervor­ gerufen, die ihm für sein treues opferfreudiges Einstehen, durch welches es mit dem Vaterlande auch den Thron rettete, gegeben worden sind. (Bravo!) Ich meine, wir wollen unserer staatlichen Entwicklung diesen Charakter im allseitigen Interesse doch niöglichst zu erhalten suchen (Bravo!), und ich meine, meine Herren, die Leute, die die Dinge in andere Bahnen drängen, sind nicht zu suchen in diesem Hause; hier, hoffe ich, sitzen sie nicht einmal in irgend welcher Minderzahl. .Wenn überhaupt wo, so suche man sie im Lager der Partei, die sich vorzugsweise die konservative

nennt, in der Partei des Rückschritts. Was in den europäischen Staaten, wo diese Richtung die Regierung in den Händen hatte, geschehen ist, das,

denke ich, hat die Geschichte unseres Jahrhunderts, das hat die Geschichte der neuesten Zeit so schlagend bewiesen, daß man endlich einmal aufhören sollte mit den ewigen Anschuldigungen: daß, wer die naturgemäße Fort­ entwicklung volksmäßiger Institutionen in Staat und Gesellschaft wünscht, daß der den Thronen gefährlich sei. Ich meine, nur auf dem entgegengesetzten Wege liegt die Gefahr, das zeigt der flüchtigste Blick. Und, meine Herren, in diesen Kämpfen und Schwankungen der Zeit hat sich, Gott sei Dank, eins entwickelt, eine Garantie für unsere Zukunft, die sich allen Interpretationen und Revisionen unserer Verfassung aufrecht erhalten hat: der wahrhaft konstitutionelle

Geist im Volke. Meine Herren! Die Teilnahme an den öffentlichen An­ gelegenheiten, das Aufhören des Jndifferentismus für das öffentliche Leben, das politifche Bewußtsein, die Einsicht in das, worauf es ankommt, sind im erfreulichen Wachsen begriffen.

Es ist eine alte Erfahrung, daß

gerade das Abmühen der Reaktion, gerade die Mißhandlung des Bolksgeistes, die wir in manchen Jahren erlebt haben, jene Reife des Volkes unendlich fördert. Ich meine daher, meine Herren, die Dinge stehen ganz gut. Ich teile durchaus nicht die mir etwas pessimistisch erscheinende Anschauung, die einer der früheren Herren Minister hier ausgesprochen hat: „Es sei leicht, ein Staatswesen, wie das unserige zu zerstören, aber

sehr schwer, es wieder aufzubauen."

Ach nein, meine Herren, im preußischen

Staatswesen hat sich der grundgesunde Kern, trotz einer Menge von wirk­

lich

ungeschickten Staatslenkern

in schweren Zeiten in solchem Maße

behauptet, daß ich glaube, seine Zerrüttung, da sie diesen Herren nicht gelungen ist, muß wohl nicht so leicht herzustellen sein.

Gerade die

ungeschickteste Handhabung der Geschicke unseres Vaterlandes in einzelnen Zeitperioden hat stets nur dazu gedient, Regierung und Volk mit zwingender

Gewalt aus schweren Niederlagen wieder auf die rechte Bahn zu weisen. (Sehr richtig!)

Und wie die Dinge jetzt stehen, meine Herren, so mahne ich Sie

einfach an ein Gesetz, welches in der physischen so gut wie in der politischen Welt ganz gleichmäßig gilt.

Das ist das Gesetz der Bewegung.

Die

Dinge bleiben nicht auf demselben Flecke stehen; es ist die Grundbedingung

alles Lebens, daß sie in steter Fort- und Umbildung begriffen sind.

Und

dann meine ich, meine Herren, wenn eben gerade einmal unsere öffent­

lichen Angelegenheiten oder die Leitung derselben in einer gewissen Richtung,

die wir als rückläufig zu bezeichnen haben, bis zu einem äußerst möglichen

Punkte angekommen sind; wenn es nicht gut möglich ist, jemand an die Spitze der Geschäfte zu stellen, der entschiedener diese Richtung vertritt,

so liegt es in dem Gesetz der Pendelschwingung, daß, weil eine weitere Ausweichung nicht mehr nach dieser Seite möglich ist, die Schwingung nun nach der anderen Seite hin erfolgen muß. (Große Heiterkeit. Bravo!)

Meine Herren, ich habe die besten Hoffnungen und schiebe sie nicht auf gar zu lange hinaus.

Man hat von der Machtfrage gesprochen: Recht ist Macht, wenn Männer da sind, die in rechter Weise dafür einstehen. fest,

und

Stehen wir hier

steht das Volk hinter uns mit seinem ganzen, tief sittlichen

Ernst für die Verfassung des Landes, dann hat es keine Not.

„Inter­

pretation gegen Interpretation, Theorie gegen Theorie", rufe ich dann mit dem Herrn Ministerpräsidenten, und das, was dann, wenn dieser

Konflikt ausgetragen sein wird, die unbestrittene Praxis in diesem Hause sein wird wie am Ministertische, das wird ganz gewiß nicht die Theorie

sein, die uns von dieser Seite (auf den Ministertisch zeigend) angekündigt wurde.

(Stürmisches Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Aommissionsantrag mit 25\ gegen

36 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen.

Schulze-Delitzsch.

148

102, Die außerordentlichen Bedürfnisse der Marineverwaltung. Rede in der 63. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 9. Oktober 1862.

Zur Fortsetzung begonnener und zum Beginn neuer Schiffsbauten

hatte die Regierung von dem Abgeordnetenhause die Bewilligung von \ ^00000 Talern verlangt, welche Summe vorschußweise aus dem Staats­

schatz entnommen werden sollte.

Dazu war von dem Abg. Roepell-Danzig

der Verbesserungsantrag eingebracht worden: „Der Kriegs- und Marine-

minister ist ermächtigt, zur Beschaffung von drei panzerbooten 600000 Taler

als erste Rate zu verwenden; die Mittel zur Deckung dieser Ausgabe wie der zweiten und dritten Rate von je 400000 Talern*) find aus dem Staatsschatz zu entnehmen." Die Budgetkommission empfahl dagegen in

erster Linie Ablehnung der Regierungsvorlage, eventuell definitive Ent­

nahme der Summe aus dem Staatsschatz; zugleich forderte fie die Regierung auf, dem Abgeordnetenhause in der nächsten Session einen voll­ ständigen plan zur schleunigen Entwicklung der Kriegsmarine vorzulegen. In der am 8. Gktober beginnenden sehr ausgedehnten Diskussion

kam Schulze erst am folgenden Tage zum Wort: Meine Herren, ich bitte, mich zunächst auch zu den Amendements­ stellern 2) zu rechnen, da mein Name nur durch einen Zufall unter denen der übrigen Herren weggelassen worden ist; ich habe es mitberaten und

meinen Konsens dazugegeben.

vor Ihnen auszudrücken.

Dies nur, um meine Stellung zur Frage

Sie ist gewiß eine der mißlichsten,

wir uns befinden, meine Herren!

vor der

Wir sollen sehr beträchtliche Finanz­

bewilligungen, wenn auch jetzt nicht erteilen, so doch in der Art einleiten,

daß wir oder die Herren,

die nach uns in diesem Hause sitzen werden,

dadurch irgendwie gebunden sind.

sind die Dinge begonnen,

so

Man fasse das auf,

wie man will;

kann man das Begonnene nicht opfern;

man muß auf dem beschrittenen Wege fortschreiten.

Auf der anderen

Seite liegt uns aber gewiß das, was die Regierung durch diese Vorlage zu fördern gedenkt, entschieden am Herzen.

Wir haben bei den verschiedenen Gelegenheiten uns auch in dieser Richtung

ausgesprochen.

Es

kommt nun noch,

um das Dilemma zu

verstärken, für uns die neueste Stellung des Staatsministeriums hin*) In der Vorlage steht 600 000 Taler. e) Roepell hatte infolge deö Widerspruchs des Kriegs- und des Finanz­ ministers seinen Antrag zurückgezogen, der Abg. Stavenhagen ihn aber wieder ausgenommen.

Ich will den ganzen Konflikt,

sichtlich der Budgetbewilligung hinzu?)

der ausreichend behandelt ist, in keiner Weise wieder vorführen;

aber

daß es uns bei Finanzbewilligungen, bei Verpflichtungen für die Zukunft doch ganz entschieden am Herzen liegen muß, zu wissen, wie die König­

liche Staatsregierung in ihren Finanzoperationen nach den von ihr aus­ gesprochenen

Sätzen

und

entschiedenen Konflikt

dem

nach

über

das

Budget vorzugehen gedenkt, das werden Sie mir alle zugestehen. Trotzdem, meine Herren, daß die Sache in dieser Lage war, haben

wir uns dennoch entschlossen, das Amendement zu stellen.

Wir sagten

uns, wir müßten dabei von allen persönlichen Rücksichten abstehen.

Die

Sache ist zu bedeutend und unter den obwaltenden Umständen gleichzeitig

zu dringend, und wir haben es deshalb vermocht, auch bei dieser Sach­

lage das Amendement zu

willigung

der

gierung zu erklären.

Voraussetzung,

stellen,

Hauptpositionen

um

von

unsere Bereitwilligkeit zur Be­ der Re­

diesen Extraforderungen

Aber, meine Herren, allerdings mit der unbedingten

daß man wegen deren Deckung in der Weise vorgehen

und uns die Zusicherung geben werde, welche die Herren Abgeordneten Roepell (Danzig)

und Reichenheim2)

formuliert

haben.

Wir können

unmöglich, solange wir nicht wissen, wie die Königliche Staatsregierung in dem gegenwärtigen Konflikte in bezug auf die Finanzen des Landes

und deren Ordnung vorgehen wird — wir können unter keinen Be­ dingungen

zustimmen,

große

bedeutende

Zukunft dem Lande aufzuerlegen.

sich schon etwas Mißliches, wir unsere Pflicht auffassen,

nicht so

handelten.

Finanzministers und

Nach

Finanzbewilligungen

für die

Wir übersehen das nicht, es ist an

und es wäre unter diesen Umständen,

wie

etwas ganz Unverantwortliches, wenn wir den

eben gehörten Erklärungen

des Herrn

des Herrn Kriegsministers haben wir uns daher

genötigt gesehen und unter uns beschlossen, das Amendement fallen zu lassen, und wollen uns nur dagegen verwahren — wir haben ja tat­

sächlich den Gegenbeweis gegeben —, daß wir nicht unserem Programm in der Adreßdebatte treu geblieben wären. Wir haben den Beweis gegeben, daß wir immer sachlich geblieben

und daß wir unter keinen Umständen durch persönliche Stellungen, durch persönliches Vertrauen oder Mißtrauen uns in unserem eigenen Votum bestimmen lassen. Der Herr Kriegsminister deutete noch an, in bezug auf die erste *) Vgl. die Verhandlungen vom 7. Oktober S. 131 f. •) Der Abg. Reichenheim (Waldenburg) hatte sich in einer Rede für den Antrag Roepell erklärt.

150

Schulze-Delitzsch.

Rate sei die Regierung uns ja entgegengekommen, und man solle die

noch nicht als ein Unterpfand für spätere Bewilligungen betrachten.

Ja,

meine Herren, ich habe schon gesagt, uns erscheine es nicht so. Beginnt man erst den Bau der Panzerboote, dann möchte ich das künftige Abgeordnetenhaus sehen, welches nicht die Summen bewilligen wollte, die zu dem ferneren Bau derselben erforderlich wären. Das müssen wir dann, darin haben wir keine Wahl mehr, wir können dann

nicht opfern, was schon bewilligt ist, und ich glaube nach der ganzen Stellung, die der Herr Marineminister schon angedeutet hat, würde eine solche Nichtbewilligung nachher wahrscheinlich zur Folge haben, daß man sie nicht beachtete. Denn wenn jetzt seststeht, daß ein Teil der Schiffe, z. B. die in Nr. 2 geforderten Übungsschiffe, schon beschafft sind, schon

existieren, ohne daß von dem Hause die Bewilligung dazu gegeben ist, weil man es für notwendig hielt — was ich jetzt durchaus nicht näher beleuchten will — ja, bann wird man auch in dieser Beziehung später

ebenso vorgehen und vielleicht mit einem viel besseren Grunde gegen die Landesvertretung Vorgehen können, welche den Anfang einmal zugegeben hat, und man wird annehmen, daß dieselbe auch das fernere Vorgehen zugeben wird, was in der Tat dem ganzen Marinewesen nur zum Schaden fein könnte. (Sehr richtig!) Zum Schluß, meine Herren, möchte ich noch ein paar Worte sagen zur Berichtigung einer nach meiner Ansicht nicht richtigen Auffassung des Herrn Marineministers in bezug auf die Stellung Preußens zu Deutschland und in bezug auf die Sympathien, von denen er gestern gesprochen hat.

Ganz gewiß hat ganz Deutschland in Gefahren auf unser Vaterland, auf Preußen zu sehen, und das preußische Schwert sowie die preußische

Führung werden unter allen Umständen hoffentlich ihren Wert für unser großes gemeinsames Vaterland behaupten; darin stimme ich dem Herrn Marineminister vollkommen bei. Als im Jahre 1859 der Feind an die Tore des Vaterlandes klopfte, da rief man überall aus den südwestlichen

Grenzen nach Preußen, und es ist daher unsere doppelte Pflicht, unsere Wehrhaftigkeit zu sichern; darin sind wir einig. Aber wenn der Herr Marineminister meint, daß das die einzige Aufgabe sei, um die preußischen Sympathien in Deutschland zu sichern, so muß ich ihm erklären, daß, so lange Preußen und die preußische Regierung nicht im Innern die Zu­

stände verfassungsmäßig geordnet haben, ihm auch die deutschen Sym­ pathien immer fehlen werden.

Meine Herren, man setze unser Volk nicht in eine Klasse mit dem französischen! Das läßt sich freilich durch die Gloire für die Entwicklung

der bürgerlichen Freiheiten abftnden.

anderen Zug.

Das deutsche Volk hat einen ganz

Das läßt sich auf diese Weise nicht abfinden; das macht

die Dinge nicht bloß zu Machtfragen, das will seine Machtentwicklung auf Grund seines Rechts, und so lange der Herr Kriegsminister bloß die eine Seite der Frage, die gewiß sehr richtig ist, herauskehrt, die Re­

gierung aber nicht auf dem anderen Wege vorgeht, so lange wird ihr das

Element, die Zustimmung des deutschen Volkes fehlen, die ihr in den

Tagen der Gefahr recht sehr not tut.

(Bravo!)

Der Kriegsminister lehnte namens der Regierung das Amendement Stavenhagen ab, da er für die Marine bereits bindende Verpflichtungen

eingegangen sei. Darauf äußerte der Abg. Virchow, es sei zwecklos, das Amendement noch aufrecht zu erhalten, da man der Regierung mit der Streichung des Wortes „vorschußweise" nur eine Handhabe zur «Er­ neuerung solcher verfassungswidrigen Handlungen gäbe, wenn die Regierung die gestellten Bedingungen für die Bewilligung nicht an. nehmen wolle, so müßten er und feine Freunde das Ganze ablehnen. Die Regierung möge dann zunächst einmal in offizieller Form Indemnität nachfuchen. Unmittelbar nach ihm kam noch einmal Schulze zum Wort: Ich füge dem nur noch ein praktisches Bedenken bei, worüber ich mich

aber

eines anderen sehr gern

Staatsregierung bereits erklärt hat,

belehren lasse.

Da die Königliche

daß sie bereit sei,

diese erste Rate

aus dem Staatsschatz zu entnehmen, und zwar definitiv, wenn das Wort

„vorschußweise" abgelehnt wird,

Verlegenheit.

so scheint mir, kommen wir in einige

Nämlich wenn wir das Amendement durchsetzen

die Stimmenmehrheit im Hause findet, so

kommt allerdings,

und es da

die

Königliche Staatsregierung nicht gesonnen ist, auf eine Zusicherung der

späteren Entnahme aus dem Staatsschatz einzugehen, das Gesetz nicht zu­

stande, es erhält nicht Gesetzeskraft, weil die Zustimmung eines Faktors

der Gesetzgebung dann fehlt.

Da wir aber wissen, die Königliche Staats­

regierung ist bereits int Vorgehen mit der Sache begriffen, nimmt dann die erste Rate doch aus dem Staatsschatz,

und man

so ist eine teil­

weise Bewilligung da, und wir kommen nach den Grundsätzen, die in

den Budgetverhandlungen noch zu existieren scheinen, in große Verlegenheit. Ich wollte die geehrten Herren bei der außerordentlichen Unbestimmtheit der

Grundsätze über die Budgetbehandlung nur einigermaßen hieran erinnern.

Bei der Abstimmung wurden aus der Regierungsvorlage nur 200000 Taler zum Bau von Übungsschiffen bewilligt. Die Mittel da­ für sollten definitiv dem Staatsschatz entnommen werden.

152

Schulze-Delitzsch.

103. Aus Briefe» von H. V. v. Unruh an Schulze. Berlin, 25./10. 1862.

Bei Empfang dieses haben Sie Ihren Namen schon unter einem Aufruf in den Zeitungen gelesen.

Es ging nicht anders.

Sie durften

darunter nicht fehlen, und es war keine Zeit, Sie persönlich heranzuholen. Der Oppermannsche Fall: Versetzung in Ruhestand und Kabinettsordre

hat hier selbst an der Börse so eingeschlagen, daß wir das Eisen schmieden

müssen solange es warm ist.

Gestern Abend redigiert, steht der Aufruf zur Bildung eines Ent­ schädigungs-Fonds heute in den Zeitungen. . . . Wir wünschen eine nachhaltige Selbstbesteuerung im ganzen Lande förmlich zu organisieren in Zirkularen an die Abgeordneten und Vertrauensmänner.. -1)

29./10. 1862. Für heute nur noch, daß sämtliche Gelder an A. Delbrück (Delbrück, Leo & Co.) einzusenden sind nebst Listen. Delbrück remittiert nach London

contra Beschlagnahme, leistet aber die beschlossenen Zahlungen und trassiert dann wieder auf London. Bei mir allein sind schon Tlr. 1800 eingegangen.

104. Rede zur Adreßdebatte. Rede in der sechsten Sitzung deS Preußischen Abgeordnetenhauses am 28. Januar 1863. Am

Januar (863 war der preußische Landtag mit einer von

dem Ministerpräsidenten auf Befehl des Königs verlesenen Thronrede wieder eröffnet worden.

Jn der Sitzung vom 22. Januar waren von

Virchow, v. Vincke (Stargard) und Reichensperger (Geldern) Anträge auf

Erlaß einer Adresse an den König eingebracht worden.

x) Am 11. Oktober 1862 hatte daS Herrenhaus das vom Abgeordnetenhaus beschlossene Budget abgelehnt und das Budget der Regierung angenommen. Darauf erklärte am 13. Oktober das Abgeordnetenhaus, dieser Beschluß verstoße gegen den Sinn und Wortlaut der Verfassung und sei deshalb null und nichtig. An diesem Tage wurde der Landtag geschlossen. Jn demselben Monat noch erfolgten Maßregelungen oppositioneller Beamter, u. a. wurde der Vorsitzende der Budgetkommission OberregierungSrat von Bockum-Dolffs von Koblenz nach Gumbinnen versetzt und der fortschrittliche Staatsanwalt Oppermann zur Dis­ position gestellt. Das vormalige Zentralwahlkomitee der Fortschrittspartei forderte öffentlich zu Sammlungen für die durch den Verfassungskampf geschädigten Ab­ geordneten auf.

152

Schulze-Delitzsch.

103. Aus Briefe» von H. V. v. Unruh an Schulze. Berlin, 25./10. 1862.

Bei Empfang dieses haben Sie Ihren Namen schon unter einem Aufruf in den Zeitungen gelesen.

Es ging nicht anders.

Sie durften

darunter nicht fehlen, und es war keine Zeit, Sie persönlich heranzuholen. Der Oppermannsche Fall: Versetzung in Ruhestand und Kabinettsordre

hat hier selbst an der Börse so eingeschlagen, daß wir das Eisen schmieden

müssen solange es warm ist.

Gestern Abend redigiert, steht der Aufruf zur Bildung eines Ent­ schädigungs-Fonds heute in den Zeitungen. . . . Wir wünschen eine nachhaltige Selbstbesteuerung im ganzen Lande förmlich zu organisieren in Zirkularen an die Abgeordneten und Vertrauensmänner.. -1)

29./10. 1862. Für heute nur noch, daß sämtliche Gelder an A. Delbrück (Delbrück, Leo & Co.) einzusenden sind nebst Listen. Delbrück remittiert nach London

contra Beschlagnahme, leistet aber die beschlossenen Zahlungen und trassiert dann wieder auf London. Bei mir allein sind schon Tlr. 1800 eingegangen.

104. Rede zur Adreßdebatte. Rede in der sechsten Sitzung deS Preußischen Abgeordnetenhauses am 28. Januar 1863. Am

Januar (863 war der preußische Landtag mit einer von

dem Ministerpräsidenten auf Befehl des Königs verlesenen Thronrede wieder eröffnet worden.

Jn der Sitzung vom 22. Januar waren von

Virchow, v. Vincke (Stargard) und Reichensperger (Geldern) Anträge auf

Erlaß einer Adresse an den König eingebracht worden.

x) Am 11. Oktober 1862 hatte daS Herrenhaus das vom Abgeordnetenhaus beschlossene Budget abgelehnt und das Budget der Regierung angenommen. Darauf erklärte am 13. Oktober das Abgeordnetenhaus, dieser Beschluß verstoße gegen den Sinn und Wortlaut der Verfassung und sei deshalb null und nichtig. An diesem Tage wurde der Landtag geschlossen. Jn demselben Monat noch erfolgten Maßregelungen oppositioneller Beamter, u. a. wurde der Vorsitzende der Budgetkommission OberregierungSrat von Bockum-Dolffs von Koblenz nach Gumbinnen versetzt und der fortschrittliche Staatsanwalt Oppermann zur Dis­ position gestellt. Das vormalige Zentralwahlkomitee der Fortschrittspartei forderte öffentlich zu Sammlungen für die durch den Verfassungskampf geschädigten Ab­ geordneten auf.

Die Adresse Virchow rügte, daß der (Etat für |862 nicht festgestellt, -er für |863 nicht rechtzeitig wieder vorgelegt sei und klagte die Minister -es Verfassungsbruches an. Eine kleine Minderheit der Nation habe, gestützt durch die Minister, in Adressen an den König die gröblichsten Verleumdungen des Abgeordnetenhauses vorgetragen. *) Unter Mißbrauch

ihrer Gewalt habe die Regierung verfassungstreue Beamte gemaßregelt und die Presse verfolgt. Nicht einberufene tandwehrmänner seien durch unzulässige Befehle militärischer Vorgesetzter in der Ausübung ihrer

staatsbürgerlichen Rechte behindert worden. Der Antrag Vincke berührte den Konflikt nur mit wenigen Worten: Die wichtigste Aufgabe sei die Verständigung über die im vergangenen ^ahre ungelöst gebliebenen Fragen. Sie könne nur herbeigeführt werden, wenn vor allen Dingen von der Regierung der klare Inhalt des Art. 99

-er Verfassung anerkannt und die Feststellung des (Etats für [862 in verfassungsmäßiger weife unverzüglich bewirkt werde. Auch

die von Reichensperger vorgeschlagene Adresse protestierte,

wenn auch formell viel schärfer als die von Vincke, gegen die Verletzung

der Verfassung und verlangte die Beendigung des Konflikts durch formelle und tatsächliche Anerkennung des Rechtes der kandesvertretung. Die Plenarberatung begann am 27. Januar und dauerte zwei Tage. Die Kommission hatte dem Lsause den virchowschen (Entwurf zur Annahme empfohlen.

Am 28. kam Schulze zum Wort:

Meine Herren! Bei dem ziemlich vorgeschrittenen Stadium der Debatte möchte wohl für einen der späteren Redner es geboten sein, sich an die

Haupteinwürfe gegen den von der Adreßkommission vorgelegten Entwurf

zu halten, um so den leitenden Faden zu finden, an den er diejenigen Eindrücke, die er aus der Debatte selbst entnommen hat, anreiht, um

nicht jeden inneren Zusammenhangs zu entbehren. Gegen die Adresse — denn wir haben ja noch die Frage des „Ob" zu entscheiden — haben sich meines Wissens nur zwei Redners aus­

gesprochen, deren Bedenken mir wesentlich von dem Gedanken getragen

zu sein scheinen: daß eine Adresse zu erlassen an Se. Majestät, die der Lage des Landes vollkommen entspricht, bedenklich sei wegen ihres Erfolges,

den sie nach oben haben möchte, und daß eine andere Adresse zu erlassen, die eben der Lage nicht entspricht,

etwa

eine

bloße

Paraphrase

der

Seit Ende 1862 hatte der konservative Preußische Volksverein die Ab­ sendung von Deputationen mit Adressen im Sinne der Konservativen an den König veranlaßt. 2) Graf Schwerin-Putzar (Stettin) und Reichensperger (Beckum).

Schulze-Delitzsch.

154

Thronrede, wiederum bei der Lage des Landes nicht gut möglich sei.

Für mich gibt es nur einen durchgreifenden Gesichtspunkt in dieser An­ gelegenheit, welcher mir die Stellung des Hauses nach allen Seiten hin

fest und unverrückbar zu bestimmen scheint. Seitdem wir uns im Oktober vorigen Jahres getrennt haben nach Fassung der Beschlüsse, die durch

das schon damals hervortretende Verhalten der Königlichen Staatsregierung in der Budgetfrage bedingt waren und die gewisse Eventualitäten in

dieser Beziehung im Auge hatten, sind diese Eventualitäten wirklich ein­ getreten. Dieses Vorgehen der Herren Minister nun bei unserem Wieder­

zusammentritt ignorieren zu wollen, das würde für mich so viel heißen als sanktionieren, daß wir selbst, meine Herren, unser und des Landes

gutes Recht

von

der Königlichen Staatsregierung ignoriert würden.

Denn Sie wissen es, um was es sich handelt: uns reden, uns beschließen

lassen und nebenher fortregieren, ohne sich an diese Beschlüsse trotz ihrer verfassungsmäßigen Berechtigung zu kehren. Meine Herren!

Wir

können

unter solchen Umständen unmöglich

wieder an unsere gewöhnlichen Arbeiten gehen, als sei nichts vorgefallen;

denn diese Vorgänge sind derart,

daß sie unsere Arbeiten selbst aufs

wesentlichste tangieren. Ehe wir arbeiten, müssen wir uns doch versichern, daß diese Arbeiten einen praktischen Erfolg haben und nicht nutzlos sind; und ehe wir Be­ schlüsse fassen, müssen wir doch tun, was an uns ist, damit diesen Beschlüssen

ihre verfassungsmäßige Geltung nicht verkümmert werde.

Was sollen

wir denn anders tun? Das Land, meine Herren, fassen wir unsere Aufgabe nicht an diesem Ende an, würde uns gar nicht verstehen! Dies als Ausgangspunkt unserer diesjährigen Tätigkeit zu betrachten, gebietet uns die Pflicht gegen das­

selbe,

wie die Rücksicht auf unsere eigene Würde.

Ein Schweigen in

solchen Punkten hieße über uns selbst hinweg zur Tagesordnung schreiten.

Daß zu dieser Pflicht gegen das Land zugleich die entschiedenste Pflicht gegen den Träger der Krone selbst hinzutritt, wurde schon gestern auS-

geführt.

Nimmt der Konflikt weitere Dimensionen an, dann ist in dem

Schwanken der zu erwartenden Kämpfe, wo, wie der Herr Ministerpräsident selbst ausgesprochen hat,

die Macht entscheidet, das Volksrecht so gut

gefährdet wie der Thron, weil in dem Ausbeuten augenblicklicher Erfolge, worin wahrhaftig noch nicht der Sieg liegt, wie die Geschichte lehrt, das

Maßhalten von allen Seiten sehr schwer ist.

(Bravo!)

An der Schwelle dieses Konfliktes, meine Herren, ist es daher unsere Pflicht, wie es die Verfassung an die Hand gibt, über die Personen der

Herren Minister hinweg uns an Seine Majestät selbst zu wenden, und wenn je, so ist es in diesem Augenblick geboten.

so

einer

Beim Beginn

unheilvollen Verwickelung haben wir die

dringendste Veranlassung, alles, also auch dieses Mittel,

zu versuchen,

um unser Vaterland, wenn es irgend sein kann, vor Eventualitäten, die

niemand im voraus abzusehen vermag, zu schützen und ihm eine friedliche

Entwicklung in ihren Grundbedingungen zu bewahren.

(Bravo!)

Daß das Wort, das wir hier sprechen, wenn es irgend Wirkung haben soll, ein offen und unumwunden die Lage des Landes ohne Scheu kennzeichnendes

sein

muß,

versteht sich von selbst,

und ich knüpfe an

denjenigen Einwurfs an, mit welchem man den Adreß-Entwurf, den die

Kommission gebilligt hat, zunächst und int allgemeinen entgegentrat, daß die Ehrfurcht gegen Se. Majestät den König darin verletzt sei.

Meine

Herren, wenn man den Standpunkt festhält, daß eine Pflicht gegen Se. Majestät den König hiermit zu erfüllen ist, dann wird man von selbst

darauf kommen, daß vor dieser ernsten Pflicht die bloße Courtoisie ganz gewiß zurückzutreten hat.

(Zustimmung.)

Aber, meine Herren, auch abgesehen davon: wir sind keine Höflinge, wir

haben nicht

für die Annehmlichkeiten des Monarchen zu sorgen;

unseres Amtes ist es, als Volksvertreter ihm die Wahrheit zu

sagen

(Bravo!), und dieses Sagen der Wahrheit, dieses Tun, wozu wir bestellt

sind, soll mir niemand als eine Verletzung der Ehrfurcht darstellen.

Im

Gegenteil, jede Ehrfurcht, die auf wirklich sittlichen Grundlagen beruht, schließt als erste Pflicht die Wahrhaftigkeit in sich.

(Bravo!) Nicht unsere

Sprache überhaupt sondern die Dinge, denen wir Ausdruck zu geben

haben, sind derart, daß es für Se. Majestät ebensowenig angenehm sein mag, sie zu hören, als für uns, sie zu sagen, und wir alle wünschten in

unserm und des Landes Interesse, daß dem nicht so gewesen wäre. Aber wer hat diese Lage der Dinge verschuldet? so können wir ruhig

und mit reinem Bewußtsein die Frage an das Land richten, und wie die Antwort ausfällt, das wissen wir bereits.

Dagegen möchte ich gegen die

Ausführungen der Herren behaupten, daß die Annahme die Ehrfurcht

gegen den Träger der Krone weit eher verletzt: man dürfe nicht wagen, ihm Dinge zu sagen,

die ihm unangenehm sein könnten.

liegt eine Voraussetzung

von

Denn hierin

der Auffassung hinsichtlich seiner hohen

Negentenpflichten, die nicht mit wahrer Ehrfurcht besteht. (Bravo!) Wenn schon in der Verhüllung der Wahrheit jenem Gefühle zu nahe getreten

i) Des Grafen Bethusy-Huc (Kreuzburg).

Schulze-Delitzsch.

156

wird, so ist es wohl der höchste Grad der Verletzung dieser Ehrfurcht,

die wir alle dem Träger der Krone schulden, wenn man mit wissentlicher

Unwahrheit vor ihn tritt — (Hört! Hört!) und wir haben in dieser Adresse zu konstatieren (ich komme auf den Punkt noch besonders), daß in der Tat eine Minderheit im Lande ist, die dies gewagt hat, indem sie bei den bekannten Loyalitäts-Adressen und Deputationen die Miene

anzunehmen wagte, als sei dies der Ausdruck einer großen Partei im Lande.

Ich weise daher im Namen der Unterstützer und Verfasser des

Virchowschen Adreß-Entwurfs, meiner politischen Freunde, den Vorwurf

der verletzten Ehrfurcht gegen Se. Majestät zurück und im verstärkten

Maße jener kleinen Partei zu, möge sie in diesem Hause Vertreter haben oder nicht.

Kommen wir nun auf den materiellen Inhalt der Adressen, nun, so geht nach dem Vorausgeschickten schon von selbst hervor, daß nur der

Virchowsche Entwurf, der von der Kommission adoptierte, dem, was ich im allgemeinen als notwendiges Erfordernis der Adresse bezeichnete, ge­

nügt. Meine Herren, zunächst tritt hier das Hervorheben der Verfassungs­

verletzung in den Vordergrund.

Darin sind ja auch die Verfasser der

anderen Entwürfe, wenigstens der Abgeordnete Reichensperger, **) mit uns einig, der die Adresse lediglich darauf beschränkt wissen will.

meine Herren,

ist

dies

ganze Thema

7. Oktober?) völlig erschöpft.

in

Eigentlich,

unserer Versammlung vom

Ich brauche nicht zu sagen, welchen Wert

wir, meine politischen Freunde und ich, auf die Einstimmigkeit legen, mit

der von der ganzen liberalen Partei im Lande sowohl wie von allen

Parteien dieses Hauses mit Ausschluß der kleinen hier zur Rechten der Tribüne, die Verfassungs-Verletzung seitens des Ministeriums, das wirk­

liche Vorhandensein einer solchen angenommen wird. — Keiner der Herren Antragsteller, keiner der Wortführer der Parteien hat in seinen Aus­

führungen, wie dies die Verhandlungen der Adreß-Kommission

und die

bisherigen Debatten ergeben, den mindesten Zweifel an seinem Standpunkt in dieser Rücksicht gelassen.

Aber, meine Herren, nicht gleichmäßig hat

sich diese ganz zweifellose und einmütige Anschauung in die Adreß-Ent-

würfe selbst übertragen, und auf das letztere kommt es denn doch an. Denn die Adresse ist das Aktenstück, das wir Sr. Majestät zu überreichen

haben, und von den Debatten hat man höchsten Orts doch nicht Kenntnis zu nehmen. Hier muß ich nun im Entwürfe des Abgeordneten Reichensperger

x) Abg. Reichensperger-Geldern. *) Siehe S. 131 (Zurückziehung des Etats).

zunächst, fast noch mehr in seinen mündlichen Ausführungen als in dem Entwurf selbst, der Verdunkelung eines der wichtigsten Punkte in der Budgetfrage entgegentreten.

Gewiß kann man nicht schärfer, nicht zu­

treffender, als er getan hat, die Verfassungswidrigkeit einer budgetlosen

Regierung dartun.

Ich glaube, seine Ausführung in dieser Hinsicht wird

wohl jeder von uns für unbedingt korrekt anerkennen.

Aber, meine

Herren, obgleich in seinem Entwurf mit einer kurzen Andeutung das

Bestreiten direkt verweigerter Ausgaben

auch hervorgehoben ist, haben

wir doch zu unserem Erstaunen gehört und hören heute von einem anderen

geehrten Parteigenossen: *) daß eigentlich etwas Definitives unseren Beschlüssen über die Verweigerung bestimmter Positionen des Budgets von

nicht beigelegt wird.

Ja,

1862

das läuft in einer Beziehung mit den Aus­

führungen des Herrn Ministerpräsidenten selbst, die Sie kennen, zusammen, der ja auch vollständig auf dem Standpunkt steht,

den

wir schon am

7. Oktober unbedingt verworfen habend) daß auch zu der Verweigerung

von Budgetposten die Einigkeit aller drei Faktoren der Gesetzgebung gehört, ehe sie definitiv wirksam ist, während man doch den unendlich einfachen

Satz hierbei festzuhalten hat, daß, wenn eine Bewilligung an die Zustimmung

mehrerer gebunden ist, zu der Verweigerung natürlich das Veto jedes

einzelnen von ihnen genügt.

Der Herr Abgeordnete Twesten hat dies

so gründlich ausgeführt, daß ich unmöglich noch weiteres hinzufügen kann. Ich will daher, da man uns wieder mit diesen Ausführungen vor dem

Lande entgegentritt, nur ganz kurz die Sätze andeuten, denen wir schon in den Tagen des Oktobers den vollsten Ausdruck gegeben haben.

Sie

liefen wesentlich darauf hinaus: a) Das Etatsgesetz darf nicht zusammen­

geworfen werden mit den übrigen Gesetzen und ihrer Vereinbarung.

Das

Etatgesetz mufc8) nach der Verfassung zustande kommen, nicht bloß, weil ohne Etat nicht regiert werden kann, nein, weil die Verfassung dies aus­ drücklich im Artikel 99 verordnet. Wie also, wenn hier keine Vereinigung

stattfindet, wenn keiner der dissentierenden Faktoren, die dabei mitzusprechen haben, zurückweicht von seiner Ansicht, jeder seine Position behauptet, wie wir zwischen Regierung und Abgeordnetenhaus sehen? Wenn dies der Fall ist, dann, meine Herren, bleibt konstitutionell nichts anderes

übrig als, da das Gesetz zustande kommen muß und da keiner der Faktoren

gezwungen werden

kann, zu konsentieren,

daß man die Personen der

Paziszenten wechselt, und dies hat allein die Staatsregierung in der *) Pfarrer Dr. Zehrt-Erfurt. «) Vgl. S. 131 ff. s) Vgl. S. 135.

Schulze-Delitzsch.

158 Hand.

Man löst das Abgeordnetenhaus auf, oder das Ministerium tritt

zurück. Eine andere konstitutionelle Theorie gibt es nicht. Weiter, meine

Herren, wir halten fest und bleiben dabei: b) Direkt verweigerte Aus­ gaben sind, sobald der eine Faktor der Gesetzgebung, hier speziell das Abgeordnetenhaus, dies ausspricht, definitiv abgeworfen und definitiv unzulässig, weil in Budgetsachen der Mindestbewilligende allemal einfach rechnungsmäßig recht hat.

Denn nur bis zur Mindestbewilligung hin

geht das Einverständnis der Bewilligung unter allen Faktoren, c) Endlich, meine Herren, waren wir darin einverstanden, daß der Artikel 104 der Verfassung, wonach zu Etatsüberschreitungen die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich ist, nicht auf ausdrücklich verweigerte Ausgaben Paßt sondern nur auf Ausgaben, zu denen überhaupt der Konsens des

Abgeordnetenhauses noch nicht nachgesucht worden ist. Weiter ist dem zu widersprechen, was der Herr Ministerpräsident von der Notwendigkeit erwähnte, in welcher sich die Regierung befunden

habe, um fortzuregieren, in Ermangelung des Zustandekommens des Etats­ gesetzes, die notwendigen Ausgaben zu bestreiten, um nur das Bestehen

des Staates zu retten. Meine Herren, wenn wir das ganze Budget ver­ weigert und nicht bloß zirka 6 Millionen Kosten der Heeresreorganisation gestrichen hätten, so möchte man gegen uns eher etwas daraus herleiten können. Aber, meine Herren, wenn der preußische Staat bis zu Ende des Jahres 1860 bestanden hat, ohne die Kosten solcher Heeresorganisation, so soll man uns doch noch den Nachweis führen, daß diese Kosten zum

Fortbestand des Staates nötig gewesen sind.

(Hört! Hört! Sehr richtig!)

Dies müssen wir daher entschieden ablehnen und solchen Nachweis erwarten. Daß natürlich für das Notwendige, wo spezielle Rechtstitel vorhanden sind, die Staatsregierung gezwungen war, Zahlung zu leisten, hat der Herr Vorredner') ganz bestimmt und klar ausgeführt, weshalb

der Hinweis auf die Beamtengehalte, die doch sicher in diese Kategorie gehören, nicht an der Stelle war. Der Herr Ministerpräsident hat nun auch des Erlasses des Zuschlages zur Einkommensteuer hier gedacht.*) Nun, meine Herren, wie da von einem Erlaß die Rede sein kann, das,

(Heirerkeit.) Aber es gehört dies, wie es scheint, zu der jetzt noch bestehenden Begriffsverwirrung über Einnahmen, die nur auf Zeit, die nur extra­ ordinär bewilligt, und Einnahmen, die im Ordinarium ein für allemal glaube ich, verstehen wir hier sämtlich nicht.

0 Reichensperger (Beckum). -) Vgl. S. 68.

bewilligt sind.

Auch habe ich noch etwas, wenn auch nur andeutungs­

weise, hinzuzufügen: ich glaube, daß vielleicht die königliche Staatsregierung auf das Bermissen dieser Einnahmen nicht so sehr großen Wert legt, weil sie es in der Gewalt hat,

durch andere Mittel und in durchaus

gesetzlich-verfassungsmäßigen Formen diesem Ausfall beizukommen. Zu meiner Kenntnis wenigstens

sind eine Menge von Fällen ge­

kommen, daß in der fortwährenden Steigerung der Steuersätze der einzelnen

Veranlagten in den betreffenden

Steuern, um deren Zuschläge es sich

handelt, man einen großen Teil des ausfallenden Zuschlags wieder zu ersetzen vermocht hat.

(Sehr richtig!)

Man beruft sich dann gewöhnlich auf das Zunehmen der Einnahme­

quellen des Staates als auf etwas höchst Erfreuliches.

Ich halte dem

aber entgegen, daß eine Steigerung der Einnahmen des Staates, die nicht zugleich Hand in Hand geht mit der nachweislichen Zunahme der Steuer­

kraft, nicht unbedingt und so ohne weiteres von uns als etwas Erfreuliches

anerkannt werden könne. Noch weniger,

(Zustimmung.)

meine Herren, als der Reichenspergersche Entwurf

genügt mir der des Abgeordneten v. Vincke in bezug auf die Hervor­ hebung der Verfassungs-Verletzung.

Daß seitens seiner und seiner Freunde

dies in der Debatte in der genügendsten, schärfsten und klarsten Weise

geschehen ist, habe ich bereits anerkannt, aber in dem Entwurf ist eigent­ lich von der Verfassungs-Verletzung selbst direkt gar nicht die Rede. Wer sich nur an den Entwurf zu halten hätte, der wird kaum die Meinung

des Herrn Verfassers in dieser Beziehung daraus entnehmen können. Da ist die Rede von „ungelösten Fragen", über welche die Verständigung

nur dadurch erreicht werden kann, daß von der Regierung der Inhalt

des Art. 99 anerkannt und die Feststellung des Haushaltsetats pro 1862 in verfassungsmäßiger Weise bewirkt wird.

Das ist ja, als läge der Fall

des Art. 104 der Verfassung vor, und die Sache wäre mit einer nach­ träglichen Genehmigung abzumachen, obschon das Ministerium einen Teil der Ausgaben des Etats für 1863,

die

für die Heeresreorganisation,

nicht ohne sondern gegen die ausdrückliche Bewilligung des Hauses be­

stritten hat. Wir sollen eine Indemnität erteilen, während das Ministerium in seinem Verfahren, welches die Indemnität fort und fort wieder nötig

macht, beharrt.

Dabei ist freilich das eine gewiß: daß man einem Un­

recht, welches man von einem andern zu dulden hat, durch seine nach­

trägliche Genehmigung in gewissem Sinne dadurch ein Ende machen kann,

daß man es durch seine Genehmigung zum Recht stempelt.

Nicht, daß

man nun weniger zu leiden hätte: aber es geschieht einem dann eben kein

160

Schulze-Delitzsch.

Unrecht mehr, es geschieht einem recht! Aber ich glaube doch, daß wir

so

und

auf diesem Wege

zurückkommen.

unmöglich in

die

konstitutionelle Ordnung

Meine Herren, wenn eine Verfassungsverletzung, eine

so ernste Sache, weiter keine Folgen haben soll für die, welche sie begehen,

dann steht der Konstitutionalismus in Preußen doch auf schwachen Füßen. Und wenn die Volksvertretung in einem solchen Falle weiter keine Mittel

hat, den Dingen beizukommen als ihre nachträgliche Zustimmung, als sie durch ja sagen in Ordnung zu bringen, so weiß ich nicht, ob es sich

dann der Mühe verlohnte, den ganzen Verfassungsapparat, der wirklich in seinem Hauptpunkte zu einem leeren Spielwerk herabsinkt, noch über­

haupt zu behaupten und dafür so lebhaft zu kämpfen, als wir und als

das Volk es zu tun gesonnen sind.

Weiter hat man die Aufnahme der Partien über die inneren Miß­ stände in dem Virchowschen Entwurf von sehr verschiedenen Seiten her

bemängelt.

Ich frage einfach, ist es denn möglich, kann man denn eine

Adresse über die Lage des Landes erlassen, ohne sich über die inneren Zustände zu verbreiten, stehen denn diese so ganz allein, so lose für sich

in der Luft, hängen sie denn nicht auf das innigste mit der Verfassungs­

verletzung eng zusammen, sind sie denn nicht ihre Folgen, ihre Konse­ quenzen, wie sie sich greifbar einem jeden int Lande aufdrängen? Kommen nicht viele gerade erst durch diese ihnen nahe tretenden Folgen zu einem

ganz klaren und vollen Bewußtsein der geschehenen Verfassungsverletzung?

Wir wissen ja, wie es in solchen Dingen zu gehen pflegt und gehen muß. Denn

es

ist immer

innere Notwendigkeit in diesem Fortschreiten der

Königlichen Staatsregierung, das wollen wir nicht verkennen. Man braucht einen Anhang, eine Stütze im Lande, man muß willige Werkzeuge haben.

Da muß die Regierungsgewalt als Lock- und Schreckmittel herhalten, um zu ersetzen, was die freie Überzeugung der Bürger und Beamten ver­

weigert. (Bravo!) So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein in dem Falle, in welchen sich unser gegenwärtiges Ministerium befindet.

Das ganze Land, meine Herren, ist darüber in Bewegung; es ist kein

Kreis, wo nicht achtbare Männer zu dulden hätten, kein Kreis, der nicht

solche Maßregeln erfährt und heftig davon empört ist. — Und nun sollen

wir dieser allgemeinen, berechtigten Stimmung des Landes hier an dieser

Stelle, indem wir uns vornehmen, über die Lage des Landes offen und unumwunden zu sprechen, keinen Ausdruck geben! (Sehr wahr!) Man spricht von fehlenden juristischen Beweisen.

einigen Fällen vor.

Sie liegen in

Nehmen Sie das authentische, zuletzt an uns offiziell

eingegangene Aktenstück über die Nötigung des Abgeordneten Gräser zu

seiner Mandatsniederlegung. ')

Es liegen andere Fälle bereits erwiesen

vor; bei einigen fehlen zwar förmliche Beweise, aber sie würden leicht zu

beschaffen sein, wollte das Haus sich seines Rechts bedienen und eine

Kommission ernennen, die das nötige Material beschaffte.

(Sehr wahr!)

Aber, meine Herren, ist das ein Apparat zu einer Adresse? Gehören

die juristischen Beweise in eine Adresse an Se. Majestät? Bringt man die Verifikation solcher Fälle auch sonst in eine Beschwerde, in die Anklage selbst hinein? (Zustimmung links.)

Wenn dieser Passus Anklang findet Allerhöchsten Orts, so wird es sehr leicht sein, den Anschuldigungen die Verifikationen folgen zu lassen. (Sehr wahr!)

Aber sie vorher vorzu nehmen zu solchem Zwecke, scheint mir nicht

geboten zu sein. Unsere Pflicht dabei ist — ich nehme es gar nicht leicht damit — nichts in die Adresse zu bringen von solchen Anschuldigungen,

bei

denen

wir nicht subjektiv und moralisch heilig von der Wahrheit

überzeugt sind.

Aber weiter geht die Pflicht und die Stellung des Ab­

geordnetenhauses bei Erlaß der Adresse nicht.

Wenn wir einen Beschluß

zu fassen hätten, meine Herren, dann möchte eine solche Kommission vorher

einzusetzen sein.

Sie sollen mir aber aus der parlamentarischen Praxis

aller konstitutionellen Völker einen Fall beibringen, wo man, um eine solche Adresse zu machen,

vorher Untersuchungskommissionen

vorher den Beweis erwogen hätte.

eingesetzt,

Sie werden mir den Fall schuldig bleiben.

Ganz besonders ist der Passus bemängelt worden — und hier muß ich einen Augenblick verweilen —, worin die Schmähungen, welche auf das Abgeordnetenhaus gehäuft sind, besonders hervorgehoben werden, indem

man jener Minorität und der von ihr in Szene gesetzten Loyalitätsadrefsen gedenkt und

sich darüber gegen Se. Majestät ansspricht.

Ja, meine

Herren, da muß ich anknüpfen an das, was ich über unsere Pflicht der

Wahrhaftigkeit gesagt habe in Verbindung mit der Ehrfurcht, die wir

Sr. Majestät schuldig sind.

Gerade wenn wir sehen, daß Täuschungen

beabsichtigt werden, müssen wir umsomehr reden, und haben wir umsomehr

die Pflicht, solchen beabsichtigten Täuschungen entgegenzutreten. (Sehr wahr!) Und nun nehmen Sie unsere spezielle Stellung, meine Herren; uns berühren diese Schmähungen wahrlich sehr wenig! (Widerspruch rechts.) *) Der Abg. Pfarrer Gräser (Sangerhausen) hatte durch eine Zuschrift vom 13. Januar dim Hause milgeteilt, daß er sich gezwungen sehe, sein Mandat niederzulegen, da ihm da« Konsistorium in Magdeburg eröffnet habe, daß di« Annahme einer Wahl für den Landtag mit den Pflichten deS geistlichen Amtes im Widerspruch stehe. Schuljk-Delitzsch, Schriften und Reden. 4. H

Schulze-Delitzsch.

162

Es sind Ehrenbezeugungen für uns in den Augen des Landes und unserer Wähler, von jener Partei geschmäht zu werden! (Bravo! links.) Aber Sr. Majestät gegenüber steht die Sache anders; Sr. Majestät

gegenüber müssen die Männer, welche der würdige und wahre offizielle Ausdruck der Meinung des Landes sind, Bestrebungen entgegentreten und

sie schonungslos mit dem Ausdruck, den sie verdienen, kennzeichnen, Be­ strebungen, welche dahin gehen, Se. Majestät über die Meinung des

Landes zu täuschen! (Lebhaftes Bravo!) Und nicht wir sind allein hier die Betroffenen, nicht um uns handelt

es sich allein, um das ganze Volk, meine Herren;

das ganze Volk ist

indigniert, und das ganze Volk findet sich mit Koth beworfen in jenen

Bestrebungen (Oh, oh! Murren rechts), und da können wir nicht umhin, hier einzuschreiten. Warum hat man denn, so frage ich Sie, uns jene Adresse eingeschickt seitens unserer Wähler, als damit wir sie brauchen sollten, jenen künstlichen Adressen entgegenzutreten (Sehr wahr! links), über deren

Zustandekommen wir nur zu gut

unterrichtet sind?

Die kleine und

Mächtige Partei, von der sie ausgeht, meine Herren, hat auch gestern

durch eines ihrer Mitglieder') — ich spreche nicht davon, inwieweit es

bei den Loyalitätsdeputationen, bei den Schmähungen gegen das Haus

beteiligt ist, es hat sich aber als Mitglied der Partei im übrigen hier geführt, ist unter uns als solches aufgetreten — sie hat gestern in der Debatte ihre altbewährten Mittel wieder hervorgesucht, womit sie stets kämpft: sie hat sich mit dem Königtum identifiziert.

Da mußten wir

hören: „Die jetzige Adresse ist entweder das Ende der Fortschrittspartei

oder das Ende der Monarchie!"

Ja, meine Herren, so hat es allemal geklungen aus diesen Reihen; wenn man ihren verfassungswidrigen Privilegien zu nahe tritt, ihre mit dem allgemeinen Wohl unvereinbare Stellung angreift, wie die jetzige

Bewegung, dann ist es mit dem Staat, dann ist es mit der Monarchie

aus! (Zustimmung und Heiterkeit links.) Sie sind, so sagen Sie, die einzigen Träger der Monarchie.

Ich

srage Sie nun, auch bei der fiüchtigsten Kenntnis der preußischen Ge­

schichte, gibt es wohl eine Partei im ganzen Lande, deren Einfluß auf die Regierung so unfehlbar jedesmal den ganzen Staat, das Vaterland

und den Thron, an den Rand des Abgrundes gebracht hat?

(Hört!

Hört! links.)

Meint man denn, die Geschichte auch nur dieses Jahrhunderts sei

*) Graf Bethusy-Huc (Kreuzburg).

in uns nicht in lebhaftem Andenken? Kennen wir nicht die Katastrophe, welche der Preußische Staat durch sie in Zeiten, wo sie das Vollwort, den größten Einfluß auf die öffentliche» Angelegenheiten übten, erlitten hat? Und ist sie es etwa gewesen, die die Wiedererhebung nach tiefem Fall herbeiführte? War nicht die Bedingung dieser Erhebung noch jedesmal

gerade der Bruch mit dieser Partei? (Sehr richtig! links.) Meine Herren! Man kann dem Königtum keinen schlechteren Dienst leisten, inan kann es nicht mehr gefährden, als wenn man es mit den ganzen Bedürfnissen der Nation, mit der fortschreitenden Zeitentwicklung

mutwillig und ohne Not in Widerspruch bringt. Wohin dies führt, meine Herren, ich will darauf nicht eingehen; aber die neueste Geschichte dieser Tage, die ein ganzes Kontingent von Fürsten uns geliefert hat, welche sicher jetzt nach so bitteren Erfahrungen es schwer bereuen, daß sie diese geschichtliche, diese längst erkannte Wahrheit sich nicht zur Richtschnur ihrer Handlungen machten, — ich denke, sie sind ein lebendiges Beispiel,

was die reaktionäre Partei der Monarchie für gute Dienste zu leisten

vermag. (Bravo! links.) Hoffen und glauben wir, daß das weitere Fortgehen der Kämpfe

Die Dinge sind noch lange nicht auf dem unglücklichen Punkte angelangt, daß man daran verzweifeln müßte. Wir haben die Hoffnung, daß die ehrliche Stimme der Vertreter des Landes zu den vermieden wird-

Ohren Sr. Majestät dringe. Wenn wir gleich wissen — Fürsten sind ja Menschen und genötigt, viel durch fremde Augen zu sehen — wenn wir also gleich wissen, daß

die Umgebungen Sr. Majestät unserem Ziele nicht sehr günstig sein mögen, wenn vielleicht ein augenblicklicher Erfolg nur von wenigen erwartet wird: daß solch eine ehrliche Ansprache, Hand in Hand mit den weiteren Even­

tualitäten unserer Lage, ganz ohne Wirkung bleiben würde, das glauben wir nicht! (Sehr richtig! links.) Und diese Stimmung, denke ich, meine Herren, ist der beste Beweis,

den wir dem Träger der Krone von unserer Ehrfurcht zu geben ver­ mögen. Dasselbe, was von der Notwendigkeit der Darlegung der inneren Landeszustände gilt, gilt auch vou der äußeren Politik. Ich kann kurz über diesen Passus hinweggehen. Es ist gestern und heute mit beredten

Worten ausgeführt worden, daß in Preußen innere Zerwürfnisse not­ wendig die Kraft der Aktion nach außen hin lähmen. An diesem Wesen unseres Staates können wir nichts ändern. Meine Herren, von gewisser Seite sieht man darin eine Schwäche im Vergleich

11*

164

Schulze-Delitzsch.

zu den anderen Grotzmächten.

Ich sehe vielmehr seine Stärke darin, denn

gerade dieser Zug, dieses Unfertige, was Preußen zur Erreichung seiner großen Bestimmung in die Zukunft hinweist, das nötigt Preußen ouch eine Zukunstspolitik auf, und das nötigt Preußen gerade, um seiner Vergangenheit gerecht zu werden, mit toten und unhaltbaren Prinzipien zu brechen, allein eine nationale, keine bloße Kabinettspolitik zu verfolgen, um der Zustimmung des Volkes sicher zu sein.

Meine Herren! Die große Aktion des Herrn Ministerpräsidenten, die uns mit so vieler Emphase seinerzeit angekündigt wurde, mußte schon daran scheitern; sie scheitert auch noch an etwas anderem, sie scheitert an dem Widerstand derjenigen einzelnen Partei im Lande, auf die er und das

jetzige Ministerium überhaupt sich stützt, der feudalen.

Meine Herren,

diese Partei, ich muß gestehen, ist darin politischer und viel konsequenter als der Herr Ministerpräsident selbst, wenn er meint, seine innere Politik lasse sich mit der großen Aktion vereinigen. Die feudale Partei weiß

sehr gut, daß das nicht möglich ist, und ein Mitglied der früheren Kammer hat in meiner Gegenwart geäußert: „Was ist das? Der Herr Ministerpräsident will im Inneren konservativ sein — im feudalen Sinne natürlich — und nach außen Fortschrittspolitik treiben? das geht nicht!"

Gewiß, meine Herren, diese Partei hat sich viel zu wohl befunden unter der weiland Metternichschen Obmacht über Preußen und unter den Auspizien von Olmütz, *) als daß sie ihrerseits geneigt sein sollte, unseren Staat in große Aktionen eintreten zu lassen; sie weiß, es wäre ihre Vernichtung. Man sollte hinsichtlich der äußeren Situation aber doch eins bedenken. Der geehrte Herr Sprecher vor mir8) hat gefragt: wo denn die Macht wäre, die Preußen seine sinkende Geltung etwa fühlbar machen könnte, und hat die Großmächte um uns her die Revüe passieren laffen. — Wir haben es näher, meine Herren. Nehmen Sie die Regierungen der kleinen und der Mittelstaaten in Deutschland, nehmen Sie die Würzburger, ”) da können Sie ungefähr sehen, wie außerordentlich die berechtigte Geltung Preußens, die wir alle in Anspruch nehmen, wie außerordentlich die

gestiegen ist in der letzten Zeit! (Sehr wahr!) *) In den Verhandlungen zu Olmütz 1850 hatte Preußen auf die Fort­ führung der Unionspolitik verzichtet. Dgl. Bd. III S. 187. 2) Reichensperger (Beckum). ’) Bgl. Bd. III S. 197.

Man sollte uns mit Hessens und mit den neuesten Erfolgen beim Bundestags) verschonen, meine Herren. Ich schreibe diese sogenannten Erfolge keineswegs einer besonderen Rücksicht der übrigen Staaten gegen

unsere Regierung zu. Meine Herren! Ob die Energie des preußischen Feldjägers oder der General v. Schmerling die Dinge in Kurhessen zur Entscheidung brachten, das wird uns vorläufig noch ein Geheimnis bleiben, vielleicht ein durchsichtiges, jedenfalls wissen wir nichts mit Bestimmtheit. Wenn es wirklich wahr ist, daß unser Ministerium den Kurhessen einen Dienst getan, ihren Verfassungskonflikt zu Ende geführt hat, so können

gerade wir dies unmöglich mit besonderem Danke anerkennen, denn uns hat es den Verfassungskonflikt gebracht! — Weiter ... Das DelegiertenProjekt war eigentlich schon gefallen, ehe es zur Abstimmung im Bundestag kam, es war gefallen in der öffentlichen Meinung, und keine der Regierungen, die es protegierten, konnte sich im entferntesten der Einbildung hingeben, daß ihre Kammern es genehmigen würden, deren Genehmigung es doch hätte unterbreitet werden müssen. Daß diese Dinge sämtlich sich unter den Auspizien Österreichs entwickelt haben, weiß ein jeder. In bezug auf Österreich habe ich eine Bemerkung zu machen.

Der Herr Vorredner")

hat recht, ich muß ihm beipflichten, und habe bei Gelegenheit, nicht hier, sondern anderwärts in Deutschland, öffentlich zu erklären gehabt, daß die Schwierigkeiten, in denen sich Österreich befindet, ganz erheblich größer

sind, als die Schwierigkeiten unserer Lage. Aber eins sollte man da bedenken, wodurch Österreich in diesem Augenblicke gegen uns in Vorteil kommt und uns die Sympathien abgewinnt in Deutschland. Während Österreich in der vollen Hingabe an das konstitutionelle Prinzips) die ungeheuren Schwierigkeiten seines Staatswesens wenigstens einleitend und

augenblicklich zu beschwören wußte, lenkte man in Preußen ohne jede Veranlassung und ohne alle Not von dem konstitutionellen Prinzip in das absolute zurück, und bereitete sich dadurch künstlich Verlegenheiten 1) Um den andauernden Streitigkeiten zwischen dem Kurfürsten und den kurhessischen Ständen ein Ende zu machen, hatte Bismarck am 24. November 1862 durch einen Feldjäger eine mit der Einsetzung des nächsten erbberechtigten Agnaten drohende geharnischte Note nach Kassel geschickt. Jnfolgedeffen wurde die Ver­ fassung von 1831 wieder hergestellt. 2) Am 22. Januar war der von Österreich und den Mittelstaaten am

14. August des Vorjahres gestellte Antrag auf Einberufung einer Delegierten­ versammlung zur Beratung von Gesetzentwürfen über Zivilprozeß und Obligationen­ recht, gegen den sich Preußen erklärt hatte, vom Bundestag abgelehnt worden. 8) Reichensperger (Beckum). 4) Die Verfassung Schmerlings vom 26. Februar 1861.

Schulze-Delitzsch.

166

und untergrub die Stellung unseres Vaterlandes in dem Augenblicke, als Österreich das rechte Mittel erkannte, die seine zu festigen. (Sehr richtig.) Fragen Sie aber weiter nicht bloß nach den Kabinetten; fragen Sie das

deutsche Volk, meine Herren, — ich weiß zwar, das ist ein so unberech­ tigter Faktor in den Augen der Herren Minister, daß sie ihn natürlich

gar nicht beachten.

Indessen, meine Herren, wenn die Stunde der Ent­

scheidung kommt, dann wird man sich seitens der alsdann an der Spitze Preußens befindlichen Regierung doch um ihn zu kümmern haben, und wird es auch tun; und der Aufruf an das Volk, der eine so große Stelle

in unserer Erhebung im Jahre 1813 machte, der wird alsdann wieder sein Recht und seine volle Bedeutung finden.

(Bravo!)

Wie es jetzt damit steht, welchen Erfolg er etwa jetzt in Deutschland haben möchte, da könnte sich die Regierung leicht durch eine Probe über­

zeugen.

Gewiß geht der große Drang nach Einigung so lebhaft und

ungeschwächt wie je durch alle deutschen Herzen.

„Zentralgewalt und

Parlament" ist noch jetzt die Losung im ganzen deutschen Volke.

Preußen hatte unter dem Ministerium Bernstorffs diese Losung auf seine Fahnen geschrieben; wir haben nicht gehört, daß sie bis dato gewechselt sei.

Aber, meine Herren, wenn das jetzige Ministerium den

Ruf erschallen ließe, — es wird es nicht tun, es befindet sich gar nicht in der Möglichkeit dazu, ich gebe nur die hypothetische Annahme hier —

(Heiterkeit) wenn es ihn erschallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen deutschen Parlament niemand ein finden! (Bravo! Große Heiterkeit.)

Wenn es unpatriotisch sein soll, nach der Ansicht einiger der Herren, daß wir diese Dinge hier offen verhandeln, so mache ich dagegen etwas geltend, was die Vorredner noch nicht erwähnt haben.

Wir legen nicht

nur die Wunde offen sondern wir geben auch die Heilmittel an, und ich glaube, daß das Ansehen Preußens durch diese Verhandlung im Aus­ lande wahrhaftig nicht verliert — ich rede natürlich von dem preußischen

Staate im ganzen, nicht von der gegenwärtigen preußischen Regierung. Meine Herren! Wenn ein Volk sich der Bedingungen seiner Schwäche

aber auch zugleich der Bedingungen seiner Stärke bewußt ist, so weiß der

Feind, daß der Niederlage die Erhebung auf dem Fuße zu folgen pflegt

*) Am 14. August 1862 hatte Bernstorff den Vorschlag Österreichs aus Be­ rufung einer Konferenz aus Delegierten der deutschen Kammern abgelehnt. Preußen könne sich nur von einem die Verfaffung des Bundes wahrhaft refor­ mierenden Vorgehen Erfolg versprechen. Eine kräftige Zentralgewalt und eine Nationalrepräsentation seien die Mittel zur Erhöhung der äußeren Machtstellung Deutschlands.

und wird sich dreimal bedenken, eine nur momentane Schwäche zu be­ nutzen. (Bravo!) Und das, meine Herren, das dokumentieren wir durch die gegenwärtige Debatte.

Nur so, meine ich, wie die Dinge nun einmal liegen, können

wir das an Geltung der preußischen Machtstellung nach außen behaupten, was nach unserer innigsten Überzeugung ihr durch die jetzige Haltung

der Königlichen Staatsregierung gefährdet wird.

(Bravo!)

Bei diesem Stande der Sache, meine Herren, glaube ich, mich den Rednern anschließen zu müssen, welche meinen, es gelte vor allem Einig­ keit unter den liberalen Parteien, es gelte ein Zusammengehen im Erlaß der gegenwärtigen Adresse, kein ängstliches Mäkeln um einzelne Ausdrücke und Wendungen, sondern ein Halten an dem Ganzen. Machen wir uns die Stellung nur ganz klar, in der gegenwärtig die Königliche Staats­ regierung nach den vernommenen Erklärungen sich zu uns befindet. AlL wir die Adreßdebatte im vorigen Jahre begannen, meine Herren, da kämpften wir gegen den Schein-Konstttutionalismus; jetzt tritt uns die

absolute Anschauung in den bestimmenden Kreisen immer uiiverhülltec und immer entschiedener entgegen. Wir können das Kompliment der Offenheit, welches der Herr Ministerpräsident dem Adreßentwurf der Kommission gemacht hat, ganz bestimmt in bezug auf seine Auslassung erwidern, welche in der Tat an Offenheit nichts zu wünschen übrig läßt. Auch meine ich, es tut gut, daß beide Seiten so offen gegeneinander gewesen sind. Das Land wird sich an diese Erklärungen und an die Taten, an die faktische Haltung, die diese Erklärungen begleiten, halten, und es wird

seinen Teil zu wählen wissen, es wird wissen, zu wem es zu stehen hat. Der Herr Ministerpräsident hält die „Interpretation von der Lücke" vollkommen aufrecht, die uns gleich bei seinem ersten Auftreten erbaute.') Wir haben schon damals nachgewiesen, daß das einer Aushebung der Berfassung gleichkommt, wenn man so klare Punkte derselben, wie die Budgetbewilligung und die Rechte der Abgeordneten dabei als zweifelhaft darzustellen sucht, wo man doch nicht etwa bloß die eigene Verfassung, wo man das konstitutionelle Staatsrecht, überhaupt die Verfassungen aller zivilisierter Völker gegen sich hat. Wenn man das kann, meine Herren, so kann man jeden Artikel der Verfassung für zweifelhaft erklären. (Leb­ haftes Bravo!) Man kann dann allemal behaupten, und das ist eben der verhängnis-) Vgl. S. 138.

168

Schulze-Delitzsch.

Volle und der Hauptfehlschluß dabei: „die Verfassung hat eine Lücke, weil diese Bestimmung zweifelhaft ist, folglich tritt das ein, was vor der Ver­ fassung bestand, nämlich der Absolutismus! (Sehr richtig! Auf allen Seiten.) Wie das irgendwie — ich meine nicht bloß staatsrechtlich sondern staatsmännisch, um mich auch einmal dieses Ausdruckes zu bedienen, gerechtfertigt werden kaun, ein System aus seinem Gegenteile zu vervoll­ ständigen, den Konstitutionalismus zu ergänzen aus dem Absolutismus — (Große Heiterkeit) ja, meine Herren, da hört die Möglichkeit, überhaupt zu deduzieren, für mich geradezu auf. (Sehr richtig!)

Die Regierung hat auch — um auf das zurückzukommen, was einige der Herren Vorredner hier noch anfügten — die Regierung hat auch hinsichtlich der Gesetzvorlage in betreff derjenigen Angelegenheit, die den Kernpunkt der früheren Sitzung bildete und aus welcher der Verfassungs­ konflikt sich entwickelte, unumwunden jede Brücke zur Ausgleichung ab­ gebrochen.

Es heißt in der Thronrede, „daß die Staatsregierung die

Heeresreorganisation unbedingt aufrecht erhalte und erwarte, daß durch unsere gesetzliche Bewilligung der Ausgaben dafür die Dinge in die rechte

Ordnung würden geführt werden". Ich weiß nun nicht, wie da in dem Adreßentwurfe des Herrn Abgeordneten v. Vincke noch von einer Hoffnung die Rede sein kann, daß die Heeresvorlagen billigen Erwartungen ent­ sprechen könnten. Das ist damit völlig abgeschnitten, denn er und seine

Freunde wollen ja doch, wie wir wissen, diese Reorganisation nicht unbedingt sondern nur mit Modifikationen, und der Herr Abgeordnete v. Vincke hat selbst in seinem Adreßentwurfe als die Bedingungen für die Durchführung der Reorganisation aufgestellt, daß dieselbe mit den notwendigen Rück­ sichten auf die Ordnung der Finanzen und die wirtschaftlichen Kräfte des Landes in Einklang gesetzt werden müsse. Aber auf solche Modifikationen, etwa mit zweijähriger Dienstzeit, können wir uns nach dem Ausspruche in der Eröffnungsrede nicht die mindeste Rechnung machen. Ich sehe in dem allem nur die Anmutung: daß wir die Dinge durch Aufgeben unseres Standpunktes und klarer verfassungsmäßiger Rechte also mit völliger Resignation, dem Unrecht zu steuern, zum Abschluß bringen, indem wir das Unrecht durch unsere Genehmigung legalisieren; und tun

wir dies nicht, so gedenkt man, Genehmigung fortzuwirtschaften, Ja, meine Herren, gegen Unser Abgabe-Bewilligungsrecht

sozusagen, in contumaciam ohne unsere bis wir uns fügen. (Heiterkeit.) diese Theorie hört jede Deduktion auf. wird zur Pflicht, und der Gebrauch dieses

Rechtes ist Mißbrauch, wie wir noch gestern vom Ministertische hörten! Meine Herren, aber damit nicht genug, gestatten Sie mir nun den Punkt

zu berühren, der mir hauptsächlich in der Debatte hervorgehoben werden zu müssen scheint.

Zu der Verletzung der Verfassung in bezug auf die

Budgetbewilligung ist im Laufe dieser Verhandlungen eine neue hinzu­ getreten, ebenso flagrant als die alte. Jeder der Herren Redner ist auf eine Äußerung des Herrn Ministerpräsidentenx) eingegangen, welche, wie dieses Haus so das ganze Land gleich sehr in Staunen setzen wird, und

Sie werden mir auch gestatten, etwas näher mich damit zu beschäftigen,

weil es mir unsere Pflicht zu sein scheint, über diese überraschende Er­ öffnung unsere Auffassung vor dem Lande von dieser Tribüne zweifellos

festzustellen.

Sie wissen, was ich meine: das Vorschieben der geheiligten Person Sr. Majestät des Königs zur Deckung der von dem Herrn Minister­

präsidenten und seinen Kollegen ergriffenen Maßregeln, welche auf un­ mittelbare Willensmeinungen des Trägers der Krone zurückgeführt wurden. Ich finde darin nicht nur das vollständige Verrücken des verfassungs­ mäßigen Standpunktes eines verantwortlichen Ministeriums der Krone

Preußens sondern das vollständige Verrücken des konstitutionellen König­ tums überhaupt, meine Herren (Sehr richtig!), wie beide in den Artikeln 43

und 442) unserer Verfassung unzweifelhaft festgestellt find.

Es ist ein

Verstoß, ein Verstoß gegen die Fundamentalsätze unseres und jedes anderen konstitutionellen Staatsrechtes, wie er in der Tat nach meiner Auffassung nicht stärker, nicht gröber sein kann.

Die unbestrittenen Grundbedingungen

jeder Monarchie, der unbeschränkten wie der beschränkten, sind einmal die

Erblichkeit der Krone und sodann die Unverletzlichkeit der Person des Trägers derselben.

Tasten Sie eines dieser Prinzipien an, so tasten Sie

das monarchische Prinzip selbst an, meine Herren.

Wie ist nun mit den

Bedingungen der beschränkten Monarchie, mit der Forderung der Mit­

wirkung des Volkes bei seinen öffentlichen Angelegenheiten das zweite dieser Prinzipien zu vereinigen, meine Herren? Daß das ganze konsti­

tutionelle Staatswesen darauf beruht, daß eben nicht mehr nach unbedingter

Einzelwillkür regiert werden soll, das brauche ich nicht zu sagen.

Nun,

in der Gesetzgebung, in der Budgetbewilligung, der Ordnung des Staats*) Bismarck hatte am Tage vorher gesagt, daß der Vorwurf der Verfassungs­ verletzung, den man dem Ministerium mache, sich indirekt gegen den König richte, der die ministerielle Politik gebilligt habe. *) Art. 43: Die Person des Königs ist unverletzlich. Art. 44: Die Minister des Königs sind verantwortlich. Alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantrvortung übernimmt.

170

Schulze-Delitzsch.

Haushaltes macht sich das leicht; da erhält das Volk durch seine Vertreter

eine Stimme, eine förmliche wirkliche Beteiligung, daß nichts ohne seine Zustimmung geschehen kann. Nun aber bleibt, meine Herren, die andere ebenso wichtige Seite des Staatswesens, die Exekutive.

Hier können Sie

nicht so verfahren. Sie können keinen beratenden Körper in die Exekutive sich einmischen und mitsprechen lassen, Sie würden dadurch nicht nur der nötigen Einheit in der Verwaltung entgegentreten, Sie würden dadurch

auch mit den Souveränitätsrechten des Monarchen in einen entschiedenen Widerspruch geraten. Wie ist dies allein zu ordnen? Wie ist die not­ wendige Beschränkung, die hier doch stattfinden muß, zu vereinigen mit

den Forderungen, die ich zuletzt geltend gemacht habe? Denn eine Be­ schränkung, eine Grenze, muß auch die Exekutive haben, oder das ganze konstitutionelle Prinzip ist in sich nichtig. Was hilft dem Volke die Teilnahme an der Gesetzgebung, wenn es dem Träger der Krone unbedingt freistände, die Gesetze gar nicht zu beachten, wenn er nicht gehalten wäre, danach zu regieren? Was hilft selbst die Verfassung, wenn es ihm frei­

stände, sie aufzuheben und jede Minute einen Eingriff in dieselbe vor­ zunehmen? — Der einzige denkbare Ausweg, der die berechtigten Interessen des Volkes schützt, ohne der Souveränität zu nahezutreten, ist das Institut der Ministerverantwortlichkeit. In ihm haben wir die notwendige Grenze des Fürsten in der Exekutive. Er kann nicht mehr allein handeln, er kann nicht nach völliger Willkür Regierungsmaßregeln vornehmen,

wenn er nicht Männer findet, welche sich getrauen, die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. — Nun, meine Herren, und was gewinnen wir durch diese sinnreiche Ordnung? Sie schützt einmal das Volk, sie gibt ihm die Garantie einer verfassungs-, einer gesetzmäßigen Regierung, sie entrückt der unbegrenzten Eigenmacht eines einzelnen seine heiligsten Güter und größten Interessen im öffentlichen und Privatleben. Anderer­ seits aber schützt sie auch, ebensogut wie das Volk, den Thron. Denn sie übernimmt die Verantwortlichkeit für alle Regierungsmaßregeln von dem Träger der Krone. Verantwortlichkeit ist mit Unverletzlichkeit un­ verträglich: sanktionieren wir die Unverletzlichkeit, so können wir auch nicht dulden, daß eine Verantwortlichkeit dem Träger der Krone angesonnen

wird.

Wer hieran tastet, ich glaube, Sie werden mir beistimmen, tastet

auch das konstitutionelle Königtum, das monarchische Prinzip in einer seiner Grundsäulen an. Ein konstitutioneller Minister darf sich wohl mit seiner Verantwortlichkeit gegen den Fürsten decken, dem er dient, wenn ihm Maßregeln angesonnen werden, die er eben nicht zu verant­ worten wagt; aber, meine Herren, kein konstitutioneller Minister darf sich

mit der Person und dem Willen des Königs decken gegen die Verant­ wortlichkeit, die er gegenüber dem Lande zu tragen hat, — und dieses

Verhältnis hat der Herr Ministerpräsident in seinen Deduktionen auf den Kopf gestellt und dadurch gegen eine seiner verfassungsmäßigen Haupt­

pflichten verstoßen.

(Stürmisches Bravo!)

Man sprach seitens eines der geehrten Herrens

hierbei von Mut,

der zum Ministerium gehöre, es sei feige, zurückzuweichen usw.

Meine Herren, lassen Sie uns doch die persönliche Bravour, die wir bei dem Krieger ehren, nicht in dieser Weise unbedingt auf den Staats­ mann übertragen. Der Mut des Staatsniannes im konstitutionellen Staate

besteht eben darin, im Notfälle, wenn das Wohl des Landes es erheischt, nach redlicher Überzeugung, nach festen Prinzipien zu handeln, und selbst der Person des Königs etwas abschlagen zu können, »vas ihm unheilvoll für den Staat erscheint.

Das ist der Mut des Staatsmannes, aber nicht

der, unbedingt im blinden Gehorsam alles auszuführen, was ihm irgendwie Allerhöchst zugcmutet werden könnte.

Meine Herren, lassen Sie mich

dieser Auffassung durch das Verlesen weniger Worte aus einem organischen

Gesetze eines deutschen Verfassungsstaates, der durchaus nicht im Gerüche

revolutionärer Regierung steht, hier einen Ausdruck geben.

Das groß­

herzoglich-hessischeGesetz über die Ministerverantwortlichkeit vom 5. Juli 1821

leitet die betreffenden Bestimmungen mit folgenden Worten ein, die, wie ich glaube, der Sache einen würdigen Ausdruck geben: „Da Befehle, welche zu gesetzwidrigen Handlungen oder zur Ver­

letzung Unserer den Ständen gegebenen Zusagen führen könnten,

nie von Unserem Willen ausgehen sondern nur in einem Miß­ verständnisse gegründet sein können, dessen Aufklärung Wir als eine Pflicht Unserer obersten Staatsdiener und Staatsbehörden

betrachten, so haben Wir ... für gut befunden, zu verordnen

wie folgt." Wie mit der angeführten Eröffnung des Herrn Ministerpräsidenten

eine weitere gestern gefallene Äußerung, daß er die angesonnene Verant­ wortlichkeit nicht fürchte, zu vereinigen ist, will mir nicht recht zu Sinn. Einerseits glaube ich ihm das recht wohl, meine Herren.

Gewiß wird

niemand von uns den Herren Ministern uns gegenüber Furcht in dieser

Beziehung zutrauen; es ist auch zu einer Furcht ihrerseits wohl um so weniger Veranlassung, da ja das Minister-Verantwortlichkeitsgesetz bis jetzt noch fehlt.

(Heiterkeit.)

’) Graf Bethusy-Huc.

172

Schulze-Delitzsch.

Um so weniger aber sollte man glauben, hätte der Herr Ministerpräsident eine Deckung zu suchen brauchen, umsoweniger hatte er Veranlassung, den Namen Sr. Majestät des Königs in die von uns angefochtenen Ver­ ordnungen hineinzuziehen.

Ich glaube doch, daß die Frage da berechtigt

ist: was das Königtum in großen Krisen, wo es sich um ernstere Folgen für die Minister handelt, wo das Verfassungsleben weiter ausgebildet und mit einem fehlenden Strafgesetze auftritl, — was das Königtum dann wohl an Aufopferung und Hingebung von Männern zu erwarten hat, welche jetzt ohne alle Not und ohne jede dringende Veranlassung den

Namen des Königs selbst in den Streit der Parteien hineinziehen. (Bravo!) Wir, meine Herren, wir werden uns niemals verleiten lassen, in diese abschüssige Bahn einzulenken; wir werden nie Geist und Wortlaut der Verfassung so weit verletzen, und wir nehmen von diesem Verfahren, von dieser Anschauung des Herrn Ministerpräsidenten — denn ich kann eigentlich nicht behaupten, daß ich seitens der übrigen Herren Minister

dasselbe gehört hätte — (Heiterkeit) nur Akt, um zugleich zu konstatieren, daß wir sie nicht beachten, daß sie für uns so gut als nicht da sind, daß wir nun und nimmermehr dadurch das Recht der Volksvertretung in der freien Kritik von Regierungsmaßregeln uns verkümmern lassen werden, die für uns nichts anderes sind und bleiben, als Akte der bei aller Un­

verantwortlichkeit verantwortlichen Minister. (Bravo!) Zum Schluß, meine Herren, erlaube ich mir, Sie nur noch zu bitten:

richten Sie von der Ministerbank nun auch nach denen Ihre Blicke, die hinter uns stehen, richten Sie dieselben auf das Volk und seine Haltung, um die nötige Kraft und den nötigen Mut zu schöpfen, dessen wir zur Durchführung unserer Sache bedürfen. Man hat keine Opfer gescheut, man hat sich Nachteilen jeder Art ausgesetzt bei den Wahlen, um seiner Überzeugung den wahren und echten Ausdruck zu verschaffen. Das Ver­

halten unserer Wähler, des preußischen Volkes in seiner großen Mehrheit, ist in ganz Europa anerkannt worden. Es hat dies ein gewisses berech­ tigtes Selbstgefühl in unserem Volke hervorgerufen, auf das wir wohl Rücksicht zu nehmen und das wir wohl zu pflegen haben, als eine der

Grundwurzeln politischer Tüchtigkeit. Noch weiter, meine Herren! Das Volk hat nicht gemeint, mit der Wahl sei es abgemacht; nun wir in die Landesvertretung geschickt seien, nun brauche es sich nicht weiter um den Gang der öffentlichen Angelegen­ heiten zu kümmern. Nicht bloß die an uns gerichteten Adressen beweisen, wie aufmerksam man der Entwicklung der Dinge folgt, nein, auch noch

durch einen anderen Akt, den ich hier öffentlich konstatieren will, hat das

Volk seine gereiste politische Entwicklung ganz entschieden bewiesen, ich

meine seine Selbstbesteuerung zum Nationalfonds. *)

(Lebhaftes Bravo!)

Das ist ein Akt der Mündigkeit des Volkes.

So handelte man

bisher nur in England. Das Volk scheut nicht die schweren Opfer, die aus dem Ansinnen der Regierung in dieser Beziehung zur Übernahme gesteigerter Staatslasten hervorgehen, es legt sich selbst eine Steuer auf,

um seinen Vertretern und allen wackeren Männern, die furchtlos für die

Verfassung einstehen und die sich ihres verfassungsmäßigen Rechts inner­

halb der gesetzmäßigen Schranken bedienen, die Selbständigkeit, die materielle Existenz zu sichern.

Und nun frage ich, wie möchten wir einem solchen

Volke gegenüber bestehen, wenn wir uns kleiner zeigten als unsere Wähler, wenn wir nur eines Fingers Breite von der Wahrung unseres guten

Rechtes abstehen wollten? Nein, meine Herren, das können wir schon deshalb nicht, weil wir Mandatare sind.

sondern wir stehen für andere.

Wir stehen nicht für

uns,

Wenn die Räte der Krone meinen, da-

Heil des Vaterlandes erfordere ein Weichen von unserem Standpunkte,

ein Nachgeben in diesem oder jenem Punkte — gut, so mag das ihre Überzeugung sein. Aber dann müssen sie sich nicht an uns wenden, meine Herren, denn wir sind nur Depositare des Volksrechts, sondern sie müssen sich an das Volk selbst wenden, an die Wähler, denn nur in den Händen des Volks selbst liegt die Möglichkeit, von seinem verfassungsmäßigen

Recht etwas zu opfern.

(Sehr wahr! links.)

Man apelliere, wie wir an den König durch die Adresse über das Ministerium hinweg gesprochen haben, über uns hinweg an die Wähler.

Verfassungsmäßig ist der Staatsregierung dies Mittel in der Auflösung

gegeben. Aber unsererseits zu weichen, meine Herren, ist unmöglich. Will das Volk es tun, nun, so ist das seine Sache; uns aber dürfte das Volk in einem solchen Falle nicht wieder hierher schicken und nicht wieder mit

einem solchen Mandate betrauen.

Denn wir meinen, wir begingen einen

Verrat, wenn wir hier im Anfänge dieser Verfassungskämpfe wichen und die politische Entwicklung bei uns in ihren ersten Keimen schädigten. Es

wäre ein Verrat nicht nur wider die nächsten Interessen des Volkes, gegen die Möglichkeit eines friedlichen Austrags, sondern gegen den Fortschritt,

gegen die geschichtliche Zukunft, ja gegen die Existenz des Vaterlandes, der es dem Verfall preisgeben, würde.

seiner Stellung in Europa berauben

Man spricht in der theologischen Welt von einer rätselhaften

Sünde, von der es keine Vergebung gibt, der Sünde wider den heiligen

-) Siehe Bd. 3 S. 198.

174

Schulze-Delitzsch.

Geist.

Ich meine, wir würden uns dieser Sünde schuldig machen, der

Sünde wider den Geist und die Geschichte unseres Volks, und wir könnten es uns nimmer vergeben! (Stürmisches Bravo! links. Unruhe rechts.) Bei der Abstimmung, die erst am folgenden Tage stattfand, wurde der Birchowsche Entwurf mit 255 gegen 68 Stimmen angenommen.

In der Sitzung vom 3|. Januar gab der Präsident des Abgeordnetenhauses eine Zuschrift des Ministerpräsidenten bekannt, daß der Aönig es ab­ gelehnt habe, die mit der Überreichung der Adresse beauftragte Depu­

tation zu empfangen.

Infolgedessen wurde beschlossen, die Adresse auf

schriftlichem Wege direkt in die ^ände des Königs gelangen zu lassen.

105. Zum Diäten-Gesehentwurf. Rede in der 11. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 10. Februar 1863.

Im Art. 85 der Verfassung von (850 war ein Gesetz betr. die Bewährung von Reisekosten und Diäten für die Mitglieder der Zweiten Kammer in Aussicht genommen. Nachdem zwei Entwürfe — einer von (8^9, der andere von (85( — durch den Schluß der Session nicht zur Erledigung gelangt waren, ruhte die ganze Frage bis zum Anfang (863. Am 5. Januar dieses Jahres brachte der Iustizminister Graf zur kippe im Abgeordnetenhause eine neue Vorlage ein. Sie setzte die Diäten für die Dauer der Session auf drei Taler täglich fest und gewährte außer­

dem Reisekosten. Für die Dauer der Beurlaubung eines Mitgliedes sollten weder Reisekosten noch Diäten bezahlt werden. Im § 3 wurde außerdem bestimmt, daß vom Staate besoldete Beamte, die ein Mandat annehmen, die Rosten ihrer Stellvertretung bis zur ^öhe ihres Gehaltes zu tragen hätten. Die Beratung der Vorlage im Plenum begann am 9- Februar; die vorberatende Kommission hatte beantragt: (. prinzipaliter den Aegierungsentwurf abzulehnen, 2. eventualiter demselben in der Fassung der Rommission die Zu­ stimmung zu erteilen. In dieser neuen Redaktion wäre vor allem der § 3 vollständig be­ seitigt worden.

Nachdem die Rommissionsvorlage von verschiedenen Seiten bekämpft worden war, kam Schulze am nächsten Tag zum Wort:

174

Schulze-Delitzsch.

Geist.

Ich meine, wir würden uns dieser Sünde schuldig machen, der

Sünde wider den Geist und die Geschichte unseres Volks, und wir könnten es uns nimmer vergeben! (Stürmisches Bravo! links. Unruhe rechts.) Bei der Abstimmung, die erst am folgenden Tage stattfand, wurde der Birchowsche Entwurf mit 255 gegen 68 Stimmen angenommen.

In der Sitzung vom 3|. Januar gab der Präsident des Abgeordnetenhauses eine Zuschrift des Ministerpräsidenten bekannt, daß der Aönig es ab­ gelehnt habe, die mit der Überreichung der Adresse beauftragte Depu­

tation zu empfangen.

Infolgedessen wurde beschlossen, die Adresse auf

schriftlichem Wege direkt in die ^ände des Königs gelangen zu lassen.

105. Zum Diäten-Gesehentwurf. Rede in der 11. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 10. Februar 1863.

Im Art. 85 der Verfassung von (850 war ein Gesetz betr. die Bewährung von Reisekosten und Diäten für die Mitglieder der Zweiten Kammer in Aussicht genommen. Nachdem zwei Entwürfe — einer von (8^9, der andere von (85( — durch den Schluß der Session nicht zur Erledigung gelangt waren, ruhte die ganze Frage bis zum Anfang (863. Am 5. Januar dieses Jahres brachte der Iustizminister Graf zur kippe im Abgeordnetenhause eine neue Vorlage ein. Sie setzte die Diäten für die Dauer der Session auf drei Taler täglich fest und gewährte außer­

dem Reisekosten. Für die Dauer der Beurlaubung eines Mitgliedes sollten weder Reisekosten noch Diäten bezahlt werden. Im § 3 wurde außerdem bestimmt, daß vom Staate besoldete Beamte, die ein Mandat annehmen, die Rosten ihrer Stellvertretung bis zur ^öhe ihres Gehaltes zu tragen hätten. Die Beratung der Vorlage im Plenum begann am 9- Februar; die vorberatende Kommission hatte beantragt: (. prinzipaliter den Aegierungsentwurf abzulehnen, 2. eventualiter demselben in der Fassung der Rommission die Zu­ stimmung zu erteilen. In dieser neuen Redaktion wäre vor allem der § 3 vollständig be­ seitigt worden.

Nachdem die Rommissionsvorlage von verschiedenen Seiten bekämpft worden war, kam Schulze am nächsten Tag zum Wort:

Meine Herren! Ehe ich auf die Sache selbst eingehe, erlaube ich mir, Sie auf eine sehr wichtige, bedeutsame Äußerung des Herrn Ministers

des Innern *) in der Debatte aufmerksam zu machen, in der Tat Akt zu nehmen haben.

Innern Vorbehalten zu fein,

von der wir doch

Es scheint dem Herrn Minister des

unsere konstitutionellen Staatsrechte mit

sehr gewagten und eigentümlichen Theorien zu bereichern.

Er sprach

vorhin aus, daß es vollkommen in der Hand der Regierung liege,

ein

wirklich zustande gekommenes Gesetz, und das heißt doch natürlich nur eins, zu dem alle drei Faktoren der Gesetzgebung ihre Zustimmung gaben, welches also seitens der Königlichen Staatsregierung sanktioniert ist —

denn sonst existiert es nicht als Gesetz — zu publizieren, wann sie es will.

(Hört! Hört!) Ja, meine Herren, daß man auf diese Weise unsere ganzen gesetz­

geberischen Befugnisse zunichte

das habe ich nicht nötig,

machen kann,

Ihnen auszuführen; die Gesetze kommen zustande, und sie werden irgendwie in ein Archiv gelegt, um nach einer beliebigen Reihe von Jahren, wenn

es opportun ist, dann an den Tag zu kommen! Ich glaube, wir können diese Äußernng unmöglich vorübergehen lassen, ohne von ihr Akt zu nehmen, wenn auch in diesem Augenblicke

die Sache nicht gleich praktisch zur Anwendung kommt.

Wenn ich mich gegen den

Ich gehe weiter in der Sache selbst. Kommissionsentwurf habe einschreiben lassen,

so will ich bemerken, daß

dies, wie bei fast allen Rednern vor mir, die Bedeutung hat, daß ich

nur gegen die eventuellen Anträge der Kommission und entschieden für

den Prinzipalen, für die Verwerfung des ganzen Gesetzes bin.

Gehen

wir doch einmal in einem kurzen Rückblick darauf ein, wie es sich gemacht,

wie es sich ganz natürlich aus den bisherigen Zuständen unseres Staates

entwickelt hat, daß man den Beamten bei den Wahlen eben ein so großes Zutrauen geschenkt hat.

von

Meine Herren, im absoluten Staat — das ist

verschiedenen Seiten und bei verschiedenen Gelegenheiten hier int

Hause geltend

gemacht worden — waren es gerade die Beamten,

bei

denen wir in Preußen einen gewissen Schutz gegen die Willkürlichkeiten der Regierung zu finden gewohnt waren.

Es konnte gar nicht fehlen,

daß beim Beginn unserer konstitutionellen Laufbahn dies die Wirkung

hervorrief, daß man eine große Anzahl jener Männer als Abgeordnete

in die verschiedenen Häuser, die hier getagt haben, schickte.

*) Graf zu Eulenburg, der am 9. Dezember 1862 Ministers von Jagow getreten war.

an

Wie fing

die Stelle bt§

Schulze-Delitzsch.

176.

es

man

nun

an?

Nach

der

Feststellung

unserer

Jahre 1850 versuchte man es mit denjenigen Beamten,

Verfassung

im

die den meisten

Einfluß auf die Wahlen haben: mit Landräten und Verwaltungsbeamten, die unmittelbar darin eingreifen und deren Geltung durch die unmittel­

bare Berührung mit den materiellen Interessen

der Bevölkerung eine

vorzugsweise naheliegende und sich bemerklich machende ist.

es

versucht!

Man hat

Indes im Fortschreiten unseres parlamentarischen Lebens,

nachdem sich der öffentliche Geist im Volke und die Teilnahme an den

Wahlen mehr und mehr entwickelt hatten, ist man davon zurückgekommen. Trotzdem, daß der große und vorherrschende Einfluß auf die Wahlen,

welchen die Statistik derselben ergibt, noch fortdauert, hat sich das Ver­ trauen der Bevölkerung jetzt mehr und mehr auf andere Klassen von

Beamten übertragen. Es ist merkwürdig, welche Gründe jetzt die Herren Minister und einige Herren dafür bestimmt haben, gegen die Wahl so vieler Beamten

zu

eifern, dem Volke gegenüber geltend zu machen, wie wichtig es sei,

ganz unabhängige Leute, wie die Beamten es nicht immer sein können, herzusenden!

Meine Herren, früher — während der Dauer der Londrats-

kammer^) — sind solche Anträge weder von der Ministerbank,., noch von feiten jener geehrten Herren (auf die Rechte deutend) irgendwie gestellt worden.

Es ist dies der jetzigen Entwicklung der Dinge Vorbehalten,

und insofern stimme ich dem Herrn Minister bei, insofern scheint auch mir eine Tendenz, eine gewisse Opportunität in der Einbringung des Gesetzentwurfes zu liegen.

Ich glaube, wenn derselbe im Jahre 1854

oder 1855 eingebracht wäre, so würde er der Regierung nicht so opportun

gewesen sein. Ich

komme nun weiter auf die Unabhängigkeit der Beamten, die

vielleicht der Kernpunkt der ganzen Situation ist.

Da kommen nun die

eigentlichen Widersprüche und die Zirkelschlüsse, wie sie von dem Herm

Abgeordneten

gemacht sind.

v. Gottberg

und

auch

von

dem

Herrn

Justizminister

Er ist durchaus dafür, man solle nicht so viele Beamten

wählen, weil die Beamten nicht unabhängig seien, und auf der anderen

Seite wissen wir ja olle, wie es hier schon in öffentlicher Debatte aus­

gesprochen ist, wie ja auch eben der Herr Minister des Innern in dieser

Art deduziert hat, daß gerade darauf hingewirkt wird, die Beamten auS ihrer

unabhängigen Stellung in eine abhängige niederzudrücken.

Ja

') Das von 1855 bis 1858 tagend« Abgeordnetenhaus, das 72 Londräte zu seinen Mitgliedern zählte.

freilich, meine Herren, wenn man so verfährt, dann kann man alles be­ weisen, was die Herren wollen.

Man beeifert sich,

den Beamten ihre

unabhängige Stellung zu

nehmen, und dann sagt man: wählt keine Beamten,

denn sie sind nicht

unabhängig! Nun sollte man meinen, das wäre eine Schlußsolge; aber es kommt

noch ganz anders.

Wenn es wirklich gelungen wäre, die Beamten von

der unabhängigen Stellung, die ihnen als Staatsbürgern — abgesehen

von

ihren

sonstigen Funktionen

meine Herren,

würde man es

— zukommt,

zurückzudrängen,

dann,

seitens der Regierung mit Vergnügen

sehen, wenn sie in die Kammer gewählt würden, — davon bin ich über­

zeugt.

(Hört!)

Wie stellt sich denn überhaupt die Unabhängigkeit des Beamten in seinem staatsbürgerlichen Verhältnis zu seinen amtlichen Funktionen, zu

seiner Qualifikation als Beamter, zu seiner Stellung gegenüber denjenigen, mit denen er amtlich zu tun hat? werfen.

Darauf müssen wir auch einen Blick

Ich meine nun, es gäbe gar kein besseres Mittel, dem Beamten

das nötige Ansehen in seinen amtlichen Funktionen, den höchsten Begriff von

seiner Integrität und von

seiner Unbestechlichkeit

in dem Kreise

seiner Amtierung, in dem Kreise der seinem Bezirke zugeschlagenen Bürger zu versichern, als wenn er sich auch in seinen staatsbürgerlichen Be­

ziehungen und,

sofern sie ihn zum Abgeordneten führen, als Abgeord­

neter im höchsten Grade unabhängig zeigt, — wenn er sich nicht zu­ gänglich zeigt weder Androhungen bevorstehender Nachteile, noch den ihm

gebotenen Vorteilen, je nachdem er die eine oder andere Richtung verfolgt. Meine Herren, wer es überhaupt mit der Stellung der Beamten gut

meint und wer in der unabhängigen Stellung eines angesehenen tüchtigen

Beamtenstandes ein Staatserfordernis sieht, ich sollte meinen, das müßte allemal

hinauskommen,

darauf

ihm

diese

Unabhängigkeit zu

sichern.

Welche Meinung z. B. von der Unbestechlichkeit und Unparteilichkeit des

Richters soll der Gerichtseingesessene haben, der mit demselben zu tun hat, wenn man dessen Stellung damit zu kennzeichnen anfängt, daß ein solcher Mann

in

bezug

auf die Wahrung und Wahrnehmung seiner

staatsbürgerlichen Pflichten anders und schlechter gestellt sein soll, als

jeder andere Staatsbürger?

Das heißt doch nur ein Untergraben der

ganzen Stellung der Beamten.

Grade von ihnen soll man erwarten,

daß sie ganz unabhängig, ganz unbestechlich und unnahbar dastehen, und

zwar in ihren staatsbürgerlichen Beziehungen zuerst, weil man nur in diesem Falle dieselbe Integrität in ihrer Beamtenstellung von ihnen zu Schulre-Delitzsch, Schriften und Reden. 4.

12

Schulze-Delitzsch.

178 erwarten hat,

indem die beste Garantie für das letztere in der ersteren

gegeben ist. Nun sind noch ganz eigentümliche Äußerungen gefallen, denen man doch wirklich einiges entgegnen muß.

Es ist von dem besonderen Reiz

gesprochen worden — und der schien ja von den materiellen Vorteilen

des Mandats abgeleitet zu sein, welche die Beamten dabei hätten —, von

Nun meine Herren,

dem Reize, sich um eine solche Stelle zu bewerben.

wie macht es sich mit dem Bewerben um ein Mandat?

Meine Herren,

wir sind alle praktische Leute, die es selbst gesehen haben, die auch mitgestimmt haben, denn wir sind so gut Abgeordnete wie wir Wähler ge­

wesen sind. Ist da etwa eine so große Konkurrenz in den Wahlkreisen und ein so großer Überfluß von Männern gewesen, die fähig waren und zudem Charakter hatten, solche Dinge durchzuführen und eine bestimmte politische Richtung zu verfolgen, wie sie die Mehrzahl der Wähler in den Wahlkreisen erforderte? Hatte man dazu im Überfluß Beamte und

außerdem Leute aus anderen Lebensstellungen, die das Zeug dazu gehabt, ihre Meinung und die der Wähler im Abgeordnetenhause zu vertreten?

Oh! glauben Sie das nicht! Wer den Dingen näher gestanden hat, der weiß, daß bei weitem eher Mangel an Kandidaten als Überfluß gewesen ist — das ist ja ganz unleugbar!

Wenn sich in solchen Fällen die Be­

amten dem entziehen wollten, ja dann kämen die Wähler oft in die allergrößte Verlegenheit.

Wir

sind

noch

nicht

so

weit

in unserem

konstitutionellen Leben vorgeschritten, wie auch schon der verehrte Herr Graf v. Schwerin bemerkte.

Unser Gemeindeleben, welches eine künftige

Vorschule werden muß für diese Versammlung, ist noch nicht vollständig

entwickelt;

wir erwarten in dieser Beziehung den Ausbau unserer Ver­

fassung noch.

Meine Herren, wo sollen da geübte und sachverständige Männer anders Herkommen, als aus dem Beamtenstande?

Und was nun diesen

Reiz anbelangt, so kann der dock unmöglich groß sein.

Meine Herren,

es ist offenbar für den Beamten, auch wenn er die Stellvertretungskosten

behält, ein großes Opfer, herzugehen nach Berlin und für die Diäten,

welche er erhält, hier auszuhalten und seine Zeit und Tätigkeit zu ver­ wenden

und

seine

Gesundheit

aufzureiben!

Nun,

wer

darin

einen

materiellen Reiz findet, ja, der muß noch nicht in dem Falle gewesen sein, auf diese Diäten Anspruch zu haben. Ich glaube, es liegt dies sehr nahe.

(Heiterkeit.) Wenn diese Dinge den Herren

auf der Ministerbank einmal nahegetreten wären, dann würden sie sich wahrhaftig nicht in dieser Weise über diejenigen Beamten äußern, welche

Reden in der Konfliktszeit.

179

sich einer Bewerbung hingegeben und ein Mandat angenommen haben.

Die Herren Minister sind selbst als Bewerber in einer Menge von Wahlbezirken

aufgetreten und,

meine Herren,

wenn sie nicht gewählt

worden sind, an der Mitwirkung ihrer Organe und an deren Gehorsam

hat die Schuld wahrhaftig nicht gelegen.

(Heiterkeit.)

Es soll nun ganz unerhört sein, so hörte ich vom Ministertische

sagen, daß Beamte, wenn sie ein Mandat angenommen haben, entschieden Opposition der Staatsregierung gegenüber machen.

Ja, meine Herren,

wenn das Mandat einmal angenommen ist, dann meine ich, ist für uns

alle der Schritt eben getan, der nur rückgängig gemacht werden kann durch die Niederlegung des Mandats;

denn in dem Augenblick,

wo ich

hier stehe, hat mich auch der Chef meiner Verwaltung nicht als Beamten

sondern als Vertreter des Volkes zu respektieren (Hört! Hört!), und wie meine Wähler erwarten, daß ich nur meiner politischen Überzeugung

nachgehe, so müßte auch der Chef meiner Verwaltung — wenn es ihm darum zu tun ist, wirklich durch und durch achtbare Männer, denen er selbst seine Achtung nicht versagen kann, zu Beamten zu haben — es zu

schätzen wissen, wenn ich auch ihm gegenübertrete, wenn seine Ansicht mit

der seinem Ressort untergebenen Beamten nicht übereinstimmt. Aber, meine Herren, es ist dies ein Zeichen

Kindheit!

Man spricht immer davon,

unserer politischen

der politische Sinn sei in den

Massen noch nicht entwickelt; ja, meine Herren, der rechte politische, der

konstitutionelle Sinn ist

auch

in

anderen Schichten, in den höheren

Kreisen noch nicht vollständig entwickelt.

(Große Heiterkeit.)

Wenn derselbe in allen Schichten der Verwaltung lebte, dann hätten wir solche Differenzen nicht, dann würde man die gegenseitige Überzeugung

achten, und in dem Kampf der Überzeugung — ohne auf einen anderen Boden überzulenken, der außerhalb der Verfassung liegt — in diesem

gegenseitig berechtigten Kampfe auf dem Boden der Verfassung, die zum Heile des Vaterlandes notwendige Ausgleichung finden.

Vorlage des Gesetzes und in der Art und Weise,

Ich kann in der

wie dasselbe von den

Herren Ministern diskutiert worden, nur ein trauriges Zeichen finden,

daß wir noch sehr weit von dem Ziele entfernt sind, was wir alle im Interesse unseres Vaterlandes wollen.

(Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Entwurf fast einstimmig abgelehnt.

Schulze-Delitzsch.

180

106. Für die Llnverautwortlichkeit des Monarchen. Rede in der 13. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 17. Februar 1863.

Bei der Beratung des Etats pro (863 in der Sitzung vom (7. Zebruar (863 hatte sich der Abg. v. Gottberg (Stolp) gegen die in

dem Aommissionsbericht behauptete Verfassungsverletzung gewandt und dabei bemerkt, die Verfassung dürfe nicht auf Grund allgemeiner konstitutioneller Doktrinen ausgelegt werden sondern nur im Sinne des­ jenigen, welcher die Verfassung erlassen habe. Nun sei aber die preußische Verfassung eine vom König oktroyierte; wenn dieser hätte glauben können,

daß ihm je die zur Reorganisation seiner Armee er-

forderlichen Ausgaben verweigert würden, so würde er wohl Bedenken

getragen haben, die Verfassung gerade so zu beschwören und zu be­ stätigen, wie sie vorliege. Die Verfassung sei nicht im Sinne der all­ gemeinen konstitutionellen Grundsätze von der Krone beschworen worden sondern im Geiste der alten preußischen Traditionen. Nachdem der Präsident den Redner im Laufe seiner Ausführungen schon einmal ermahnt hatte, die Person des Königs nicht in die

Debatte zu ziehen, erhob sich noch Schulze gegen ihn: Meine Herren!

Nur der vorige Herr Redner hat bewirkt, daß ich

mich überhaupt in die Rednerliste habe einschreiben lassen, denn es scheint

mir im allgemeinen Interesse des Hauses, daß außer dem, was schon der

Herr Präsident bemerkte, es unbedingt nötig ist — ganz herausgehoben

aus der Debatte —, einen Protest im Namen der Verfassung und des Preußischen Abgeordnetenhauses gegen diese Ansichten, die wir eben ver­ nehmen mußten, hiermit feierlichst einzubringen.

Nicht wir,

(Bravo!)

meine Herren, haben die Allerhöchste Person in diesen

Streit hineingezogen!

Mr haben uns schon in der Adreßdebatte gegen

dieses Beginnen, in welchem die Herren Minister die Initiative ergriffen haben, ernstlich verwahrt und haben auf die nachteiligen Konsequenzen dieses Beginnens aufmerksam gemacht.

Jetzt ist nun aber der geehrte

Herr Vorredner noch viel weiter gegangen, als irgend jemand.

Er hat

sich angemaßt, sogar über den Sinn zu sprechen, der Allerhöchsten Orts dem Eid auf die Verfassung beigelegt ist!

(Sehr richtig!)

Das ist bei Gott unerhört, und ich habe keinen anderen Ausdruck

dafür, als zu sagen: das ist eine unerhörte Frivolität!

(Bravo! Bravo!)

Ich mache darauf aufmerksam, daß es sich doch wahrhaftig bei diesen Fragen nicht bloß um eine Ehrfurchtsverletzung gegen Se. Majestät handelt

sondern

um die Annullierung des Rechtes dieses Hauses.

Denn was

wollen, was sprechen die Herren aus? Sie sagen, wenn momentan eine Allerhöchste Willensmeinung eintritt, so ist die Sache vorbei, es existiert

darüber keine Diskussion mehr; wir haben uns nur zu fügen und ja zu sagen! Wie damit der Zweck einer Landesvertretung und das Recht, die Verfassung zu wahren, vereinbar sein soll,

müssen die Herren, die das

behaupten können, sich nicht recht klar gemacht haben. Meine Herren!

Aus sehr materiellen Gründen verwahren wir uns

gegen dies Verfahren, weil es die Kritik der Regierungsmaßregeln, zu der wir hier uns berufen glauben, unmöglich macht.

allemal auf diese schiefe Ebene,

Wir gehen ein für

auf diesen Weg nicht ein, sondern für

uns existieren solche Ansichten gar nicht, und wie man sich auch mit

Allerhöchsten Willensmeinungen zu decken versuchen mag, alle diese Dinge bleiben für uns Akte der Verantwortlichkeit der Minister, und wir werden es uns durch die Minister nicht verschränken lassen, mit vollster Über­

zeugung an ihre Prüfung zu gehen, und wir werden uns nicht wehren lassen, wenn wir bei der Prüfung finden, daß sie gesetz- und verfassungs­

widrig sind,

Macht reicht, gehören!

dies

auszusprechen, und soweit unsere verfassungsmäßige

die Folgen eintreten zu lassen, die sich auf solche Dinge

(Lebhaftes Bravo.)

Die Rommission hatt« beantragt, die Minister mit ihrer Person und ihrem vermögen für die verfassungswidrig geleisteten Ausgaben haftbar zu machen. Das ^aus nahm den Antrag mit großer

Majorität an.

107, Die Beeidigung der Beamte« auf die Verfassung. Rede in der 37. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 2. Mai 1863.

Jn dieser Sitzung stand zur Beratung eine Interpellation Virchow,

die folgenden Wortlaut hatte: „3n welcher weise hat die Königliche Staatsregierung den Art. (08 der Verfassung (von der Vereidigung aller Staatsbeamten auf die Verfassung) zur Ausführung gebracht? In welchen Zweigen der Staatsverwaltung gibt es Beamte, welche nicht auf die Ver­ fassung beeidet sind? und wie rechtfertigt das Ministerium die

Ausnahmen?" veranlaßt war sie durch eine Mitteilung der Regierungskommissare in der Budgetkommission, daß sie nicht auf die Verfassung vereidigt seien.

Nachdem der Minister des Jnnern, Graf zu Eulenburg,

die Beant.

wollen, was sprechen die Herren aus? Sie sagen, wenn momentan eine Allerhöchste Willensmeinung eintritt, so ist die Sache vorbei, es existiert

darüber keine Diskussion mehr; wir haben uns nur zu fügen und ja zu sagen! Wie damit der Zweck einer Landesvertretung und das Recht, die Verfassung zu wahren, vereinbar sein soll,

müssen die Herren, die das

behaupten können, sich nicht recht klar gemacht haben. Meine Herren!

Aus sehr materiellen Gründen verwahren wir uns

gegen dies Verfahren, weil es die Kritik der Regierungsmaßregeln, zu der wir hier uns berufen glauben, unmöglich macht.

allemal auf diese schiefe Ebene,

Wir gehen ein für

auf diesen Weg nicht ein, sondern für

uns existieren solche Ansichten gar nicht, und wie man sich auch mit

Allerhöchsten Willensmeinungen zu decken versuchen mag, alle diese Dinge bleiben für uns Akte der Verantwortlichkeit der Minister, und wir werden es uns durch die Minister nicht verschränken lassen, mit vollster Über­

zeugung an ihre Prüfung zu gehen, und wir werden uns nicht wehren lassen, wenn wir bei der Prüfung finden, daß sie gesetz- und verfassungs­

widrig sind,

Macht reicht, gehören!

dies

auszusprechen, und soweit unsere verfassungsmäßige

die Folgen eintreten zu lassen, die sich auf solche Dinge

(Lebhaftes Bravo.)

Die Rommission hatt« beantragt, die Minister mit ihrer Person und ihrem vermögen für die verfassungswidrig geleisteten Ausgaben haftbar zu machen. Das ^aus nahm den Antrag mit großer

Majorität an.

107, Die Beeidigung der Beamte« auf die Verfassung. Rede in der 37. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 2. Mai 1863.

Jn dieser Sitzung stand zur Beratung eine Interpellation Virchow,

die folgenden Wortlaut hatte: „3n welcher weise hat die Königliche Staatsregierung den Art. (08 der Verfassung (von der Vereidigung aller Staatsbeamten auf die Verfassung) zur Ausführung gebracht? In welchen Zweigen der Staatsverwaltung gibt es Beamte, welche nicht auf die Ver­ fassung beeidet sind? und wie rechtfertigt das Ministerium die

Ausnahmen?" veranlaßt war sie durch eine Mitteilung der Regierungskommissare in der Budgetkommission, daß sie nicht auf die Verfassung vereidigt seien.

Nachdem der Minister des Jnnern, Graf zu Eulenburg,

die Beant.

182

Schulze-Delitzsch.

wertung der Interpellation in dieser allgemeinen Form abgelehnt hatte,

folgte eine Besprechung derselben, in derem verlaufe auch Schulze das Wort nahm:

Meine Herren! Der Herr Kriegsminister hat bei seiner ersten Ent­ gegnung auf die Ausführung des Herrn Abgeordneten für Saarbrücken *) seine Schlußfolgerung eine schiefe genannt. Ich habe nun gerade in

der Auslassung des Herrn Kriegsministers gefunden — und ich glaube, die Herren Redner vor mir sind schon speziell darauf eingegangen — daß das doch recht wesentlich auf eine Verschiebung der Frage hinaus­ liefe. Die Armee soll nicht den Eid auf die Verfassung leisten, dies ist ein unbestrittener Grundsatz, auf den alle Teile rekurrieren bei der

Diskussion. Der Herr Kriegsminister schließt daraus, daß nun Personen,

die der Armee, sei es, angehören, oder mögen sie in beliebigen militärischen Funktionen stehen, nicht den Eid auf die Verfassung zu leisten haben; wir schließen daraus, meine Herren — sämtliche Herren, die hier, mit Ausnahme des einzigen Abgeordneten Mallinckrodt, aufgetreten sind,

schließen daraus — wenn die Personen, die der Armee angehören, wirklich nicht den Eid auf die Verfassung leisten dürfen, dann dürfen sie nicht zu Funktionen verwendet werden, welche die nach unserer Ver­ fassung nötige Eidesleistung voraussetzen. (Sehr wahr!) So liegt die Frage. Was nun den inzidenten Streitpunkt betrifft, den der Herr Justtzminister wieder angeregt und aufgewärmt hat, so möchte ich sagen, daß

er sich das Gesetz doch einmal wirklich ansehen möchte. Er beklagte vorhin den Mangel einer Gesetzsammlung und nur daraus ist mir seine letzte Deduktion erklärlich. Die Bibliothek des Hauses hat mehrere Exemplare davon, und sie hätte sie ihm gewiß verstattet. (Heiterkeit.) In der Lit. d der Verordnung^) heißt es: „sowie die bei den Truppenteilen vertragsmäßig angenommenen Handwerker, welche nicht gleich den Soldaten Sold beziehen."

Er wird sich also wohl überzeugen, daß eine Kategorie in das Gesetz hineingekommen ist, die er nun und nimmermehr zum eigentlichen Soldatenstande wird rechnen können, und wodurch Wesentliches gegen die früheren Bestimmungen geändert ist. Ich schließe daran noch etwas an.

Wohin die Theorie der Minister führt in bezug auf die Vereidigung, ’) Virchow. 2) Erlaß vom 17. Juli 1862, betreffend die Klassifikation der zum preußischen Heere und zur Marine gehörenden Militärpersonen.

Reden in der Konfliktszeit.

183

auf die Verfassung, und in bezug auf die bei uns verfassungsmäßig be­

stehende Exemption des Heeres von der Vereidigung, das werden wir an

einem Nachbarstaate, dem wir uns in neuerer Zeit sehr zuneigen, leicht dartun können.

In Rußland, einem wirklich ausgebildeten Militärstaate,

da kann auch ein General Justizminister werden.

Bei der entschiedenen

Bildung, die wir doch gewiß in den Reihen unseres Heeres geltend machen können, glaube ich, wenn wir einen General kommandieren lassen zum Justizministerium, so würde er ungefähr die Funktionen des Herrn

Justizministers auch versehen können (große Heiterkeit),

er würde über

die Prinzipien, nach denen Gesetze gegeben werden und wie sie verfassungsinäßig abzuändern seien, vielleicht klarer sein als der jetzige Herr Justiz­

minister.

(Bravo!)

Der Herr Abgeordnete für Anklam *) hat England zitiert, und ich glaube, das Zitat war ein richtiges.

Er meint, in England würde man

bei einer solchen Antwort der Regierung, daß sie die Interpellation nicht

beantworten könne, von einer Diskussion dieser Art abstehen.

Das be­

streite ich nicht; aber ich habe schon früher bei derartigen Gelegenheiten

geltend machen müssen,

England.

daß die Dinge bei uns anders liegen,

als in

In England ist eine andere als vollkommen und streng ver­

fassungsmäßige Regierung unmöglich; es kann ein solches Verhältnis, wie es nur uns durch unsere Stellung und durch die Pflicht als Vertreter

des Volkes aufgedrängt ist zur Königlichen Staatsregierung, im englischen Parlament nicht gedacht werderi.

Das kommt dort nicht vor,

deshalb

soll man uns mit solchen Analogien verschonen; sie sind vollkommen unpassend auf unsere Verhältnisse.

Die Interpellation, die er auch so sehr tadelte und statt deren er lieber einen Antrag gewünscht hätte,

soll ja eben eine Anbahnung des

Antrags sein; es soll uns durch die Anfrage an die Regierung und durch deren Auskunft selbst diejenige strenge,

offizielle Grundlage

werden, auf die hin ein Antrag nur gestellt werden könnte.

verschafft

Hätten wir

den Antrag gleich eingebracht, so könnte leicht und vielleicht mit Recht von der Regierung oder deren Vertretern gesagt werden: warum habt

Ihr uns nicht erst offiziell gefragt? der Voraussetzungen

haben.

von Hause aus

Da würden wir einen ganzen Teil

durch die Beantwortung erledigt

Ich glaube also, daß die Interpellation ganz und gar nötig war,

wenn wir das Material über die Gegenstände von der Regierung erhalten wollten, worüber sie selbst am besten unterrichtet ist.

*) Graf o. Schwerin.

Schulze-Delitzsch.

184

Schon der Herr Abgeordnete v. Forckenbeck hat den Vorwurf der

Agitation

von

uns zurück- und der Staatsregierung zugewiesen.

Ich

muß darauf noch verweisen: der Abgeordnete v. Mallinckrodt hat nicht bloß die Interpellation eine allgemeine agitatorische Maßregel genannt,

wie der Abgeordnete für Anklam, sondern noch anderes hinzugefügt.

Er

meinte, wir wollten durch diese und andere ähnliche Vorgänge im Hause

eine Agitation hervorbringen, als wollten wir die Meinung erwecken, als ob die Verfassung Stück für Stück abgebrochen würde — ich glaube, er

drückte sich aus „als ob Stein für Stein von dem verfassungsmäßigen Gebäude abgebrochen würde".



Ja, meine Herren, wenn wir in der

Lage sind, durch unsere Anträge und Diskussionen so etwas — leider! —

vor dem Lande konstatieren zu müssen, so ist das wahrlich keine an­

genehme Lage dieses Hauses.

Es ist keine Lage, in die wir uns begeben

haben, sondern, wie schon der Abgeordnete v. Forckenbeck sagte, eine Lage, die man uns aufgedrängt hat.

Aber, meine Herren, wenn man in einer

solchen Lage ist, so ist das eben die letzte Pflicht, die man als Ab­

geordneter dem Lande gegenüber zu erfüllen hat.

Man muß konstatieren

vor dem ganzen Lande, weshalb die Bemühungen und die gesetzgeberischen Arbeiten des Abgeordnetenhauses unwirksam bleiben.

Es bleibt nichts

übrig, als den Wählern, die uns hierher gesendet haben, klar zu sagen,

Schritt für Schritt, daß es sich nicht mehr bloß um Verfassungslücken, sondern daß es sich wirklich um einen Bruch in die Verfassung handelt. Das müssen wir tun; das ist die letzte, traurigste Pflicht, die wir erfüllen

können; das Land ist sehr interessiert dabei, zu wissen, wie es in allen diesen Dingen steht.

(Bravo! Links.)

108. Das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Rede in der 40. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 7. Mai 1863.

Zur Beratung stand der Gesetzentwurf betreffend die Abänderung

des Gesetzes vom 3. September (8(4 über die Verpflichtung zum Ariegsdienst.

Die Äommission hatte den Entwurf der Regierung im ganzen

verworfen und einen neuen ausgearbeitet, der zunächst zur Beratung kam.

Nachdem

acht Redner

teils

für

teils

gegen den Entwurf der

Rommission gesprochen hatten, kam Schulze zum Wort:

Ich glaube, meine Herren, daß der beredte Aufruf an die Gesinnung,

an die politische Reife und an die Haltung des preußischen Volkes in

Schulze-Delitzsch.

184

Schon der Herr Abgeordnete v. Forckenbeck hat den Vorwurf der

Agitation

von

uns zurück- und der Staatsregierung zugewiesen.

Ich

muß darauf noch verweisen: der Abgeordnete v. Mallinckrodt hat nicht bloß die Interpellation eine allgemeine agitatorische Maßregel genannt,

wie der Abgeordnete für Anklam, sondern noch anderes hinzugefügt.

Er

meinte, wir wollten durch diese und andere ähnliche Vorgänge im Hause

eine Agitation hervorbringen, als wollten wir die Meinung erwecken, als ob die Verfassung Stück für Stück abgebrochen würde — ich glaube, er

drückte sich aus „als ob Stein für Stein von dem verfassungsmäßigen Gebäude abgebrochen würde".



Ja, meine Herren, wenn wir in der

Lage sind, durch unsere Anträge und Diskussionen so etwas — leider! —

vor dem Lande konstatieren zu müssen, so ist das wahrlich keine an­

genehme Lage dieses Hauses.

Es ist keine Lage, in die wir uns begeben

haben, sondern, wie schon der Abgeordnete v. Forckenbeck sagte, eine Lage, die man uns aufgedrängt hat.

Aber, meine Herren, wenn man in einer

solchen Lage ist, so ist das eben die letzte Pflicht, die man als Ab­

geordneter dem Lande gegenüber zu erfüllen hat.

Man muß konstatieren

vor dem ganzen Lande, weshalb die Bemühungen und die gesetzgeberischen Arbeiten des Abgeordnetenhauses unwirksam bleiben.

Es bleibt nichts

übrig, als den Wählern, die uns hierher gesendet haben, klar zu sagen,

Schritt für Schritt, daß es sich nicht mehr bloß um Verfassungslücken, sondern daß es sich wirklich um einen Bruch in die Verfassung handelt. Das müssen wir tun; das ist die letzte, traurigste Pflicht, die wir erfüllen

können; das Land ist sehr interessiert dabei, zu wissen, wie es in allen diesen Dingen steht.

(Bravo! Links.)

108. Das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Rede in der 40. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 7. Mai 1863.

Zur Beratung stand der Gesetzentwurf betreffend die Abänderung

des Gesetzes vom 3. September (8(4 über die Verpflichtung zum Ariegsdienst.

Die Äommission hatte den Entwurf der Regierung im ganzen

verworfen und einen neuen ausgearbeitet, der zunächst zur Beratung kam.

Nachdem

acht Redner

teils

für

teils

gegen den Entwurf der

Rommission gesprochen hatten, kam Schulze zum Wort:

Ich glaube, meine Herren, daß der beredte Aufruf an die Gesinnung,

an die politische Reife und an die Haltung des preußischen Volkes in

diesem Verfassungskonflikt, mit dem der verehrte Redner vor mir1) ge­ schlossen hat, denn doch auch nach einer besttmmten Richtung hin seine Äußerung zu nehmen hat, nämlich nach der, seine Vertreter in der wahr­ haftig nicht ganz leichten Aufgabe, in der wir alle — und ich glaube

dies von allen Seiten des Hauses behaupten zu können, — mit Hin­ gebung hier begriffen sind, zu unterstützen. Gestatten Sie mir, daß ich gerade von diesem Gesichtspunkt aus mich gedrungen fühle, etwas vor Ihnen geltend zu machen, was wohl auch den Herren Rednern vor mir

schon unwillkürlich sich bei ihren Reden aufgedrängt hat. Wir sind in der Debatte über einen der wichtigsten Gesetzentwürfe der Königlichen Staatsregierung. Meine Herren, dieser Debatte sind lange und zahlreiche Sitzungen

der von uns eingesetzten Kommission vorhergegangen. In diesen Sitzungen hat die Königliche Staatsregierung nicht Veranlassung genommen, irgendwie durch ihren Vertreter, den Herrn Kriegsminister, mit Bestimmtheit zu bekunden, welche Stellung sie zu den Abänderungsvorschlägen der Kom­ mission gegen den Gesetzentwurf einnimmt. Meine Herren, es ist darüber und über die Motive bereits hier ver­ handelt worden. Ich glaube, man mag darüber denken wie man will, wir waren denn doch wohl berechtigt, heute als Basis für unsere ganze Debatte eine Erklärung des Herrn Kriegsministers, die uns in der Kom­ mission fehlte, entgegenzunehmen. (Hört! Hört! Links.) Ich weiß nicht, wie die Debatte in dieser Weise fortgeführt werden will, wenn es uns an einer solchen bestimmten Erklärung mangelt. (Sehr richtig!) Viele von uns, meine Herren, die nicht ohne Bedenken gegen alle Teile des Kommissionsvorschlages sind, obgleich sie dessen große Verdienst­

lichkeit in vielen Punkten, namentlich in materieller Beziehung auch gern anerkennen, obgleich sie die Hand zur Einigung in dieser Lage gar gerne bieten würden, viele von uns sind durch diese Lage doch dahin gedrängt, in jedem Fall hier, da man ja gar nicht weiß, was in dieser Hinsicht zu erwarten ist, ihren Standpunkt zu wahren. Meine Herren! Ich erlaube mir deshalb, ohne daß dadurch der ernste Wille der Einigung von den Herren, in deren Namen ich einen Antrag

einzubringen habe, der sich auf das gegenwärtige Gesetz bezieht, aus­ geschlossen sein soll, um unsere Stellung, unseren Standpunkt nach allen

Seiten hin zu wahren, einen Antrag auf Erlaß einer Resolution an Stelle ') Abg. Prof. Dr. Rudolf Gneist (Mansfeld).

Schulze-Delitzsch.

186

eines Gesetzes zu überreichen, und bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, denselben vorzulesen.

(Die Erlaubnis wird erteilt.) Der Antrag lautet: Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, zu erklären: In Erwägung, daß das Haus durch Annahme des von der

Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurfs zur Abänderung des Gesetzes vom 3. September 1814 der seit 1860 lediglich tatsächlich

bestehenden sogenannten Reorganisation des Heeres in ihrem ganzen

Umfange zustimmen und somit zugleich sich verpflichten würde,

die Gesamtkosten für diese Reorganisation zu bewilligen; in Erwägung, daß das Haus die Aufrechthaltung dieser Reor­

ganisation aus volkswirtschaftlichen, finanziellen und politischen Gründen für nachteilig hält;

in Erwägung, daß die erste Vorbedingung jeder Verständigung in dieser Frage — die gesetzliche zweijährige Dienstzeit — von dem Staatsministerium abgelehnt ist;

in Erwägung, daß das Haus unmöglich gewillt sein kann, einer Regierung, welche fortdauernd das Budgetrecht desselben und so

die Verfassung des Landes verletzt, überhaupt erhöhte Geldmittel

und damit eine verstärkte Aushebung an Mannschaft zur Ver­

fügung zu stellen,

verwirft

das Haus

der Abgeordneten den

gedachten Gesetzentwurf, erklärt aber zugleich,

daß es bereit sein würde, mit einer Regierung, welche die verfassungsmäßigen Rechte des Hauses der Abgeordneten und

ihre eigene Verantwortlichkeit durch das in der Verfassung

vorgesehene Gesetz unzweideutig anerkennt, eine Reform der

Wehrverfassung auf folgenden Grundlagen zu vereinbaren:

1. Verpflichtung jedes Preußen zur Verteidigung des Vaterlandes. 2. Rückführung der Friedensstärke der Armee

auf den Stand

vor der Reorganisation am 1. April 1859, unter Hinzu­ rechnung

der

später

ordnungsmäßig

bewilligten

zwölften

Batterien bei den neun Artillerie-Regimentern und den dritten Kompagnien der neun Pionier-Abteilungen.

3. Zweijährige Präsenzzeit bei der Fahne. 4. Reservezeit von höchstens drei Jahren.

5. Wiederherstellung einer selbständigen und kriegstüchtigen or­ ganisierten Landwehr ersten und zweiten Aufgebots, welcher noch die nicht zum stehenden Heere ausgehobene Dkannschaft

zur Ausbildung und Verstärkung überwiesen wird mit; einer Dienstzeit von fünf Jahren im ersten und fünf Jahren im

zweiten Aufgebot.

6. Feststellung des Verfahrens bei der Aushebung, sowie der Einteilung und Organisation des Heeres und der Landwehr

im Wege der Gesetzgebung. 7. Sicherstellung der Reservisten, Landwehrmänner und Landwehr-Offiziere in der Ausübung aller ihrer staatsbürgerlichen

Rechte, solange sie nicht zum Dienste einberufen sind. 8. Beschränkung der Militär-Gerichtsbarkeit auf rein militärische

Vergehen und Verbrechen. 9. Aufhebung der Kadettenhäuser. 10. Eröffnung der Beförderung auch im Frieden für Unteroffiziere

zum Offizier

lediglich nach der Diensttüchtigkeit

und Be­

seitigung der tatsächlich bestehenden Bevorzugung des Adels

in den Offizierstellen. 11. Erhöhte Besoldung

der Gemeinen

und Unteroffiziere unter

Gleichstellung der dabei jetzt bevorzugten Truppen des Garde­ korps mit den Linientruppen und ausreichende Entschädigung

der Gemeinden für den Servis. 12. Gesetzliche Regelung des Militärpensionswesens. Die Antragsteller sind der Herr Abgeordnete Duncker und ich selbst.

(Der Antrag ist ausreichend unterstützt und wird zum Druck befördert.) Der Redner fährt dann fort: Ich knüpfe nur an die beredte Mahnung des vorangehenden Herrn Redners an.

Gerade einer der Hauptpunkte, die in der Debatte hervor­

getreten sind, ist die betonte Einigung der liberalen Parteien, nicht bloß

einer oder der anderen Fraktion dieses Hauses in dem gegenwärtigen Kampfe, in welcher der Herr Redner mit Recht eine Bedingung seiner Durchführung sucht.

Nun, meine Herren, ich denke, wenn in einzelnen

Fragen der künftigen Organisation differente Ansichten bestehen^

so ist

diese Einheit, auf Grund deren wir hier zusammengetreten sind und zu­ sammengewirkt haben, dabei beteiligt.

nicht im mindesten gefährdet,

nicht im mindesten

Ich mache Sie namentlich darauf aufmerksam, wie es in

dieser Hinsicht im Lande

späteren Wirksanikeit stand.

bei

unserer Wahl und

bei

unserer

ganzen

Die liberalen Parteien gehen in manchen

Punkten, in manchen Organisationsfragen, die künftig zu erledigen sind,

nicht unbedingt von denselben Grundsätzen aus.

Auch die Fortschritts-

Schulzr-Delitzsch.

188

Partei, meine Herren, ist eine Koalitionspartei; unsere Einigung besteht —

und wir sind dazu mit großer Majorität bei den Wahlen berufen zur Abwehr unheilvoller Regierungsmaßregeln,

namentlich in der Militär­

Wir sind ferner berufen, um zu retten, was von der Verfassung

frage.

zu retten ist, um dadurch die Basis zur künftigen Entwicklung unserer verfassungsmäßigen Freiheiten auf gesetzlichem Wege dem Lande zu er­

halten.

Meine Herren, diese Einheit, die Einheit in dieser Hauptaufgabe,

um welche sich die ganzen Wahlen gruppiert haben, die Einheit in dieser

Auffassung der Aufgabe unserer parlamentarischen Wirksamkeit ist durch jene Differenzen^) auch nicht entfernt berührt worden;

ausgesprochenen Charakter,

namentlich

es liegt in dem

der Deutschen Fortschrittspartei

als Koalitionspartei, daß sie sich um diese bestimmte Aufgabe gruppiert

hat, während die vorhandenen verschiedenen politischen Elemente nicht ihre politische Überzeugung aufgegeben haben. Es ist möglich, daß bei

der künftigen Staatsordnung, bei künftigen gesetzlichen Einrichtungen eine Abweichung, ein Auseinandergehen der einzelnen stattfiuden wird;

es ist eine Forderung an ein politisch reifes Volk,

aber

daß man sich nicht

um Programme, sondern um große Fragen, die augenblicklich zu lösen

sind, gruppiert, und nur im Anfänge unseres politischen Lebens, etwa zu Ende der vierziger Jahre, mag es vorgekommen sein, daß die Programm­

seligkeit etwas in den Vordergrund getreten ist.

Wir befinden uns nach

wie vor im reinen mit der Hauptaufgabe, ebenso wie mit der speziellen

Aufgabe, die uns jetzt beschäftigt. der

Gesetzesvorlage

der

Meinungsverschiedenheit

Hauses. über

Meine Herren,

Denn in bezug auf die Verwerfung

Königlichen unter

Staatsregierung

sämtlichen

liberalen

besteht

Fraktionen

keine

des

im Augenblick freilich, wenn man es versucht,

die Abwehr, über die

nächste Aufgabe hinauszugehen

und die

künftige Gestaltung unseres Heerwesens schon speziell zu formulieren, in demselben Augenblicke treten Differenzen unter uns hervor, die auch eben nicht von wesentlicher Bedeutung in materieller Beziehung sind.

Diese

Differenzen sind berechügt, und, meine Herren, wie sich niemand Illusionen macht, als ob sie durch die jetzige Gesetzvorlage der Kommission praktisch

erledigt werden könnten, so werden sie leicht, sehr leicht unter uns selbst

zum Austrag kommen, wenn die wirkliche Zeit gekommen ist, diese Frage in die Hand zu nehmen, ich meine, wenn wir einer liberalen Regierung, wenn wir einem Ministerium, welches unseren verfassungsmäßigen Rechten Rechnung trägt, uns gegenüber befinden.

(Bravo!)

*) Stavenhagen, Taddel, Gneist hatten für die Kommissionsanträge, Schulze und v. Kirchmann dagegen gesprochen.

Es wäre in der Tat ein Mangel von Bewußtsein dessen, was namentlich der Bildung der Fortschrittspartei zugrunde gelegen hat, es wäre in der Tat eine Schwachmütigkeit zu glauben, daß dies Auseinander­

gehen in Dingen, die nun einmal im Lande so gut wie im Parlamente unter den freisinnigen Parteien eine verschiedene Auffassung haben, daß

diese Meinungsverschiedenheiten,

welche

wirklich vorhanden sind,

hier

irgendwie zu verhüllen wären, und daß sie nicht zum Austrage zu bringen wären. Ich meine, wir können gar keinen besseren Beweis von

der Gesundheit der Grundlage unserer Einigkeit geben, als wenn wir das wirklich Differente hier erörtern und dadurch die Ansichten im Lande und im Hause klären und die künftige Einheit gründlich vorbereiten helfen. (Sehr wahr!) Was ich für die Resolution in der Fassung, die Sie gehört haben, und gegen den anderen Weg, die Sache durch eine Gesetzesvorlage zu erörtern, ganz in kurzem hätte anführen mögen, ist zum Teil schon vor mir hier gesagt worden;^) ich meinte eben deshalb, weil die ganze Haltung

alteriert wurde, indem man diese beiden verschiedenen Standpunkte in die Debatte zog, wäre es Pflicht gewesen, mit einer bestimmten For­ mulierung dieses Resolutionsstandpunktes hier aufzutreten, weil sonst die ganze Debatte eines jeden Haltes in dieser Beziehung entbehrt. Zu­ nächst, meine Herren, ist schon ausgeführt worden und ich habe selbst in der Ausführung des Herrn Abgeordneten Gneist eine Bestätigung dafür gesunden, daß es in diesen Gesetzen, die uns hier vorliegen, und um die es sich hier handelt, einigermaßen bedenklich für einen legislativen Körper, für ein Parlament sei, die Initiative zu ergreifen. Daß dies aber die Kommission getan, daß sie nicht amendiert hat, daß sie einen der Re­ gierungsvorlage diametral entgegenstehenden Gesetzentwurf gegeben hat, daß sie eine vollständige gesetzgeberische Tätigkeit entwickelt hat, meine Herren, das nehme ich sachlich an, mag man auch über die Form denken was man will; der Unterschied in der Deduktion des Abgeordneten Gneist beruht nun in folgendem. Er trennt die beiden Aufgaben — ich mache ihn darauf aufmerksam —, er trennt die Aufgabe der Ordnung der Wehrpflicht von der eigentlichen Organisationsfrage; ich mache ihn dann noch darauf aufmerksam: wie haben wir die Dinge im vorigen Jahre

aufgefaßt, und wie müssen sie aufgefaßt werden, wenn sie zu einer be­ friedigenden Lösung kommen sollen? — Wir haben, indem wir einen Gesetzentwurf forderten, von der Königlichen Staatsregierung, hauptsächlich J) Von Meibauer (Schievelbein).

190

Schulze-Dtlitzsch.

um über die Verwirrungen der Budgetfrage hinwegzukommen und eine gesetzliche Basis

finden,

zu

die

gesetzliche Ordnung

der

ganzen An­

gelegenheit verlangt, aber nicht bloß die Ordnung der Frage über die

Wehrpflicht. Meine Herren, lesen Sie die Verhandlungen nach und Sie werden

mir recht geben müssen, und wäre dies nicht so, wäre es auch nicht aus­

drücklich ausgesprochen, man kann sich die Frage nicht anders denken, selbst wenn Sie ihre Tragweite nur in bezug auf die Budgetbewilligung

in Betracht ziehen.

Die Organisationsfrage, die Fragen über die Kadres,

über die Menge der Osfizierstellen und dergleichen, greifen so tief in die

Budgetfrage ein, daß ich nicht weiß, wie Sie eine gesetzliche Basis für die Erledigung der Streitigkeiten über das Budget herbeiführen wollen,

wenn Sie diese Dinge

nicht gleichzeitig

lassen sich einmal nicht trennen.

mitordnen.

Diese Aufgaben

Ich will dem Herrn Abgeordneten

Gneist zugeben, daß wir in der einen Beziehung, wo es sich weniger um militärisch-technische Fragen handelt, kompetenter sind als in den anderen

Beziehungen ohne Mitwirkung und Hilfe von militärischen Technikern. Das kann man ihm zugeben;

aber dennoch sind in der Organisations­

frage eine ganze Menge anderer Dinge, in denen sich auch der militärische

Laie sehr wohl orientieren kann.

Muß man denn gerade in die Details

der Organisation eingehen? Gibt es nicht allgemeine Gesichtspunkte, die man sesthalten kann?

Auch hier läßt sich eine Grundlage wohl gewinnen,

welche die Mitwirkung dieses legislativen Faktors nicht zu einem bloßen

Ja macht, sondern ihm eine selbständige Haltung für die Hauptgesichts­ Nun, meine Herren, wie steht es nun?

punkte gestattet.

Ich meine,

sogar die Kommission hat es gefühlt, daß diese Dinge nicht wohl zu trennen sind.

Warum hat sie die Resolutionen uns vorgelegt?

selbst hat gefühlt,

Sie

es ist ein Zusammenhang zwischen den Dingen, wir

erledigen nicht die ganze Frage, indem wir nur das Gesetz

über die

Wehrpflicht beraten, sondern wir müssen auch etwas in der Organisations­

frage tun, und daraus sind eben die Resolutionen entstanden.

gestehe,

daß

Kommission

meine, dann

mich

gerade dieser Vorgang

einnimmt

gegen

Ja ich

den Standpunkt der

und in meinem Standpunkt mich bestärkt; ich

sollte man nicht das eine definitiv erledigen durch den

Versuch eines Gesetzentwurfs, das andere aber offen lassen, in betreff

des andern bloß Wünsche aussprechen; denn man gibt es damit aus der Hand.

Liegt der Regierung daran, den einen Punkt zu ordnen, dann

wird sie auch in der Lage sein, in betreff des andern ebenfalls die Hand

zu bieten und ihn gleichzeitig mit zu ordnen, wenn sie weiß,

daß man

nur auf die definitive Ordnung der ganzen Sache nach beiden Richtungen hin einzugehen gewillt ist.

Und

nun,

meine Herren,

tritt

hier

auch

ein

sehr bedeutendes

Moment hinzu, von dem ich glaube, daß es in unserem Hause nicht ernst

genug aufgefaßt werden kann.

Warum legt uns die Königliche Staats­

regierung bloß das Gesetz über die Dienstpflicht vor?

Weil sie uns das

Recht bestreitet, bei dem Gesetz über die Organisation unser Vollwort als parlamentarische Versammlung einzulegen.

weshalb

man

seitens

der Königlichen

Das ist der Hauptgrund,

Staatsregierung die

Zlufgaben

trennt; sie meint, wir seien nur berufen, die Aufgabe nach der einen

Seite hin mit zu ordnen, — auf dem anderen Gebiete habe sie ganz

allein zu entscheiden, wie das in dem von dem Herrn Abgeordneten Gneist heute angedeuteten aber auch früher hier schon vielfach entwickelten, antikonstitutionellen Begriffe der Kriegsherrlichkeit liege.

Meine Herren,

ich glaube kaum, daß wir uns diesem Teile der Aufgabe ganz entziehen

können; ich glaube aber, daß, wenn Sie sich derselben nach dieser Richtung hin ebenfalls nicht entziehen können, Sie Bedenken tragen müssen,

die

wirklich untrennbare Aufgabe zu trennen, nach beiden Richtungen hin

einen verschiedenen Standpunkt einzunehmen, und die Frage nach der einen Seite hin zu ordnen, nach der anderen aber offen zu lassen.

Wir

werden im Interesse unserer parlamentarischen Befugnisse bei der Organi­ sation des Heeres, die so wesentlich in die brennende Budgetfrage eingreift,

uns hüten müssen, derart zu verfahren, vielmehr auch nach dieser Seite hin unser Vollwort zu wahren und einzulegen haben. Einen weiteren Punkt, weshalb ich wünschte, lieber im Wege der

Resolution über die ganze Frage wegzukommen, habe ich kurz angebeutet,

und habe dem nur wenig noch hinzuzufügen. Es liegt eben darin, meine Herren, daß man, wenn man auf den

Gesetzentwurf eingeht, eben notwendig über eine Menge Fragen sich ganz

definitiv im voraus entscheiden muß, wo noch Differenzen möglich sind, wo sie noch nicht vollkommen genug unter uns geklärt sind.

Ich meine,

wenn man resolviert, kann man die Gesichtspunkte allgemeiner hinstellen, und kann sie eben dadurch der künftigen Lösung anheimgeben, der man

ja doch gar nicht bestimmt präjudiziert mit einigen offenen Fragen, wie sie nun einmal schweben unter den Parteien. Endlich, meine Herren, ein dritter Gesichtspunkt, der mich entschieden

gegen die jetzige definiüve Regulierung des einen Teils der Aufgabe ein­ nimmt, ist auch schon angedeutet worden. Wir haben in manchen anderen Dingen,

trotz

der

Stellung,

die aus

dem

Verfassungskonflikte

dem

Schulze-Delitzsch.

192

Ministerium gegenüber hier im Hause entstanden ist, — wir haben uns trotzdem eingelassen auf diese gemeinschaftliche Vereinbarung von Gesetzen;

— wo große und wichtige materielle Interessen des Landes es erforderten, da haben wir von dem Konflikte absehen zu müssen geglaubt; wir haben

z. B. Eisenbahnvorlagen und bedeutende Handelsverträge erledigt.

Jetzt

ober, meine Herren, in dieser Frage scheint es mir geradezu geboten zu sein — da die wichtigsten Interessen des Landes es erfordern — auch

nicht einmal den Versuch der Vereinbarung zu machen, sondern den Gesetzentwurf entschieden abzulehnen.

Denn was sollte daraus werden!

Stellen Sie sich doch vor, — wenn man ein Gesetz macht, dann muß man doch, — so wenig man sich auch täuscht über die Annahme oder

Nichtannahme — an die Möglichkeit des Zustandekommens denken, —

stellen Sie sich nun vor, wie die Königliche Regierung, wenn sie das Gesetz jetzt wirklich mit uns vereinbarte, bei den von ihr ausgesprochenen

Ansichten dasselbe wohl ausführen würde?

Ja, ich meine, meine Herren,

Sie würden rein das Gegenteil von dem erzielen, was Sie wollen.

Ich

verkenne nicht, daß der Gesetzentwurf der Kommission eine Masse Kautelen enthält, daß er überhaupt in der Fassung sicher gegangen ist, soweit es

möglich ist.

Ich mache dem Gesetzentwurf von dieser Seite keine Be­

mängelung; aber, meine Herren, die Erfahrung, wie man das Unzwei­ deutigste und Unzweifelhafteste durch Interpretationen in das Gegenteil

zu verkehren weiß, müßte uns doch wohl sehr vorsichtig machen. Ich bin fest überzeugt, es blieben nicht viele von den wohlmeinenden Absichten dieses Hauses übrig, wenn man die Ausführung eines in solcher Weise

zustande gekommenen Gesetzes in die Hand der jetzigen Königlichen Re­ gierung, die ja unseren Ansichten prinzipiell entgegensteht und die sich mit

diesen Ansichten auch niemals vereinigen wird, legen würde.

Einmal, — und das haben die Redner vor mir auch konstatiert, und darauf möchte ich noch zurückkommen — sind wir weiter gegangen:

in der Vorlegung des Ministerverantwortlichkeitsgesetzes. Ja, meine Herren, ich meine, da hatten wir aber auch allen Grund dazu, und wenn wir uns dabei auch ebenso gut sagten, es würde uns schwerlich die Hand geboten werden zu dieser Vereinigung, — wenn wir uns das damals gerade ebenso gut sagten wie jetzt —, so galt es bei diesem Minister­

verantwortlichkeitsgesetze doch, vor dem ganzen Lande zu konstatieren, daß

das Königliche Staatsministerium sich seiner konstitutionellen Verant­

wortlichkeit

und

damit

der ganzen

verfassungsmäßigen

Basis

seiner

Stellung zu entkleiden entschlossen sei und sogar soweit gehen würde,

dies dem Lande gegenüber zu erklären.

Dies haben wir damit erreicht;

aber eben weil dies nun geschehen ist, und weil niemandem im ganzen Lande und in diesem Hause mehr der mindeste Zweifel darüber beifallen kann, was wir zu erwarten haben, und daß wir in der Tat von dem Augenblicke an nicht mehr ein konstitutionelles Ministerium uns gegen­

über haben, so meine ich, müßte uns das doch dahin drängen, — und

das erwidere ich gerade dem Herrn Abgeordneten Grafen von BethusyHucZ) — daß es wohl berechtigt und kein Eingriff in die Rechte Sr.

Majestät des Königs wäre, wenn bei jeder Gelegenheit von diesem Hause

bei wichtigen Diskussionen darauf hingedeutet würde, daß nicht eher die Rückkehr zu

einer gesunden Basis der Entwicklung unseres Landes ge­

wonnen sei, als mit dem Rücktritt dieses Ministeriums, und daß nur

allein auf diese vom Lande gestellte Bedingung hin ein Friede besiegelt werden könne.

Ich glaube aber, wenn man sich an jemanden wendet

und ihn ersucht, was bis jetzt nicht anders geschehen ist, von seinem Rechte Gebrauch zu machen, so ist das doch wahrlich kein Eingriff in seine Rechte.

uns an

Wir erkennen ja das Recht Sr. Majestät an, wenn wir

Se. Majestät

wenden

und dieselbe ersuchen, zum Heile des

Vaterlandes davon Gebrauch zu machen.

Der formulierte Gedanke, —

so lautet die Anführung des Abgeordneten Gneist — sei in einer parla­ mentarischen Versammlung eine Tat.

Man kann dies sehr gut und gern zugeben, man kann aber auch

entgegnen: er ist nur dann eine Tat, welche zum Zwecke führt, wenn es

zur rechten Zeit formuliert wird.

Der Gedanke kann auch zur unrechten

Zeit formuliert werden und ich glaube, es

sein, ihn zu formulieren.

kann ein politischer Fehler

Wir sind ja wesentlich und materiell nicht

darin unterschieden, wie wir künftig die Dinge geordnet wissen wollen, aber wohl in der Auffassung der politischen Situation,

und ich meine

doch, da die Dinge so liegen, daß wir zur Behutsamkeit alle Ursache haben.

Würde bei der Amendierung der Kommissionsvorlage, zu der uns

bald die Spezialdiskussion führen wird, einzelnes an dem Gesetzentwurf,

was vielen von uns bedenklich erscheint, vielleicht durch die Amendierung beseitigt, so bieten wir dazu gerne die Hand, denn wir sehen wohl ein, wie wichtig auch nur die äußere Form der Einheit und der Einigkeit ist,

die ja auch wesentlich und innerlich niemals in diesem Hause unterbrochen

worden

ist; aber solange dies nicht festgestellt ist,

müssen wir dabei

bleiben, die Resolution aufrecht zu erhalten, und dabei bleiben, daß es x) Als einen Angriff auf das Königtum hatte es Graf V. bezeichnet^ wenn Schulze immer wieder die Entlassung der Minister fordere. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 4.

13

Schulze-Delitzsch.

194

zweckmäßig sei, uns in dieser Beziehung zu versichern.

Sie können mir

einwerfen: man beschränke sich auf die einfache Verwerfung;

der Verneinung liege die Einigung für alle Teile.

das ist doch auch noch einer politischen

gerade in

Ja, meine Herrem,

Erwägung unterworfen.

wissen, welcher Flut von Angriffen und

Sie

geflissentlichen Entstellungen

unsere Absichten hier in dieser Beziehung ausgesetzt worden sind.

Ich

meine, um dagegen uns zu decken, sei cs eine Pflicht des Hauses gegen

sich selbst, wenn wir die Punkte klarlegen,

die eine Einigung zwischen

uns und der Regierung unmöglich machen und nur dadurch werden wir

den Verdächtigungen und Entstellungen unserer Absichten am besten ent­ gegentreten; dann haben wir auch die Pflicht, vielleicht einer künftigen

Regierung gegenüber die Punkte im voraus anzudeuten, auf die hin das

Ministerium auf die Unterstützung des Hauses rechnen könnte, wenn man mit einem Gesetzentwurf nach dieser Richtung hin uns entgegenkommt.

Deswegen, meine Herren, glaube ich Ihnen in meinem und meiner

Freunde Namen die Annahme der Resolution empfehlen zu können und fasse ganz kurz mit wenigen Worten noch den Stand der Dinge bei uns zusammen, indem ich namentlich auch auf die bedauernswerten Differenzen die gar nicht aus der Sache selbst, sondern aus einer reinen Entstellung

von persönlichen Ansichten hineingezogen sind und zu denen überall nicht die mindeste Veranlassung vorgelegen hat, nicht Rücksicht nehmet)

Ich

suche die Punkte noch einmal ganz kurz zusammenzufassen, in denen wir einig sind, und diese enthält die Resolution, die wir vorgeschlagen haben.

Die Reorganisation der Königlichen Staatsregierung von 1860 hat keine Aussicht, irgendwie die Stimme eines der Mitglieder der liberalen Fraktion

dieses Hauses zu erhalten: es gibt niemanden unter uns, der der Re­ gierung in dieser Hinsicht Konzessionen zu machen bereit ist.

Die Punkte

aber, auf die es bei der künftigen Organisation mit Hinzutritt der Be­

willigung der Volksvertretung ankommt, sind in den Debatten dieses

Hauses und früher und gründlicher in den Arbeiten der Kommission, die entschieden ihren Wert behalten, dem Lande klar- und bloßgelegt — diese

Arbeit

ist keine vergebliche, sie wird

ihre Frucht ganz gewiß in der

Klärung der Ansichten behaupten.

Endlich aber, meine Herren, die Differenzen, die noch unter uns

obwalten, mit denen werden wir recht leicht und bald fertig werden, wenn die erste Bedingung nicht nur in dieser Frage, sondern in der ganzen *) Auch in der liberalen Presse war ein lebhafter Streit darüber entbrannt» ob die Regierungsvorlage im ganzen abzulehnen oder zu verbessern sei.

Ordnung unsers Staatslebens erfüllt ist; wenn ein Ministerium, welches

entschieden gewillt ist, sich auf den Boden der Verfassung zu stellen, uns gegenübersteht.

Aber,

meine

Herren,

daß

dies geschehen

wird

und

geschehen muß, diese Hoffnung können wir keinen Augenblick aufgeben.

Wer daran verzweifeln wollte, daß die Herren, die gegenwärttg uns

gegenüber auf der Ministerbank sitzen, über kurz oder lang, sobald der

erste Mahnruf der Not an das Vaterland ergeht, andern Nachfolgern Platz machen werden, der müßte an der Zukunft des Vaterlandes ver­

zweifeln (Sehr wahr! Links), und ich meine, diese beruht auf so festen und so bedeutenden und bewährten geschichtlichen Fundamenten, daß sie trotz

der zerstörenden Leistungen, die wir von mehr als einem Ministerium erfahren haben, von keinem Ministerium je auf die Dauer erschüttert

werden wird.

(Bravo!

Links.)

Darauf wurde die Sitzung vertagt.

109. Der Konflikt des Kriegsministers von Roon mit dem Abgeordnetenhause. I. Die am 7. Mai abgebrochene Debatte wurde am 9. und Mai fortgesetzt. Auf beiden Seiten hatte man sich in eine immer gereiztere Stimmung hineingeredet. „Diesem Ministerium nichts," war die Parole der großen Majorität des Abgeordnetenhauses. In der Sitzung vom IJ. Mai hatte der Abg. v. Sybel (Rrefeld) den Ariegsminister in der schärfsten Zorm persönlich angegriffen. Kein Mensch sei weniger als dieser Minister berechtigt, die Rammer zum Patriotismus aufzufordern; es fei denn, daß er dem kande den ersten wahrhaft patriotischen Schritt seiner taufbahn anzeige, daß er nämlich aufhören wolle, das Hindernis des Friedens zwischen König und Volk zu sein. Darauf erklärte Roon der­ artige persönliche Äußerungen gegen das Ministerium oder gegen eines

seiner Mitglieder als „ganz unberechtigte Anmaßung", und als ihn nun der Vizepräsident v. Bockum-Dolffs (tzamm, Soest) unterbrach, rief er: „Ich lasse mich nicht unterbrechen, ich kann sprechen nach der Verfassung wann ich will; die Befugnis des Präsidenten geht bis an den Minister­ tisch und nicht weiter."

Unter großem Tumult vertagte darauf der

Präsident die Sitzung auf eine Stunde. Als aber das L)aus wieder zusammentrat, hatten sich die Minister entfernt und erschienen auch nicht

13*

Ordnung unsers Staatslebens erfüllt ist; wenn ein Ministerium, welches

entschieden gewillt ist, sich auf den Boden der Verfassung zu stellen, uns gegenübersteht.

Aber,

meine

Herren,

daß

dies geschehen

wird

und

geschehen muß, diese Hoffnung können wir keinen Augenblick aufgeben.

Wer daran verzweifeln wollte, daß die Herren, die gegenwärttg uns

gegenüber auf der Ministerbank sitzen, über kurz oder lang, sobald der

erste Mahnruf der Not an das Vaterland ergeht, andern Nachfolgern Platz machen werden, der müßte an der Zukunft des Vaterlandes ver­

zweifeln (Sehr wahr! Links), und ich meine, diese beruht auf so festen und so bedeutenden und bewährten geschichtlichen Fundamenten, daß sie trotz

der zerstörenden Leistungen, die wir von mehr als einem Ministerium erfahren haben, von keinem Ministerium je auf die Dauer erschüttert

werden wird.

(Bravo!

Links.)

Darauf wurde die Sitzung vertagt.

109. Der Konflikt des Kriegsministers von Roon mit dem Abgeordnetenhause. I. Die am 7. Mai abgebrochene Debatte wurde am 9. und Mai fortgesetzt. Auf beiden Seiten hatte man sich in eine immer gereiztere Stimmung hineingeredet. „Diesem Ministerium nichts," war die Parole der großen Majorität des Abgeordnetenhauses. In der Sitzung vom IJ. Mai hatte der Abg. v. Sybel (Rrefeld) den Ariegsminister in der schärfsten Zorm persönlich angegriffen. Kein Mensch sei weniger als dieser Minister berechtigt, die Rammer zum Patriotismus aufzufordern; es fei denn, daß er dem kande den ersten wahrhaft patriotischen Schritt seiner taufbahn anzeige, daß er nämlich aufhören wolle, das Hindernis des Friedens zwischen König und Volk zu sein. Darauf erklärte Roon der­ artige persönliche Äußerungen gegen das Ministerium oder gegen eines

seiner Mitglieder als „ganz unberechtigte Anmaßung", und als ihn nun der Vizepräsident v. Bockum-Dolffs (tzamm, Soest) unterbrach, rief er: „Ich lasse mich nicht unterbrechen, ich kann sprechen nach der Verfassung wann ich will; die Befugnis des Präsidenten geht bis an den Minister­ tisch und nicht weiter."

Unter großem Tumult vertagte darauf der

Präsident die Sitzung auf eine Stunde. Als aber das L)aus wieder zusammentrat, hatten sich die Minister entfernt und erschienen auch nicht

13*

Schulze-Delitzsch.

196 mehr.

Am folgenden Tage verlas der Präsident Grabow im Eingang

der Sitzung ein Schreiben des Staatsministeriums vom Tage vorher, im welchem von dem Präsidium eine Erklärung verlangt wurde, daß eine

Iviederholung eines solchen der gesetzlichen Begründung entbehrendem Verfahrens gegen eines seiner Mitglieder nicht in Aussicht stehe. Der Präsident beantragte, das Schreiben der Geschäftsordnungs­

kommission zur schleunigen Berichterstattung zu überweisen und einst­ weilen, bis zum Eingang des Berichts, die Sitzung zu vertagen. Beide Anträge wurden angenommen. Darauf erhielt Schulze das Wort zur

Geschäftsordnung: Rede in der 43. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 12. Mai 1863.

Meine Herren! Ich

habe nicht die Absicht, dem, was unser ver­

ehrter Herr Präsident über die Behandlung dieser Sache gesagt hat,

irgendwie entgegenzutreten.

gibt, welches

Ich meine aber, daß es noch ein Verfahren

eine baldige Sitzung gleichzeitig mit dem, was der Herr

Präsident vorgeschlagen hat, ermöglicht.

Wenn diese große Frage ein­

gehend geprüft werden muß, so schließt das durchaus nicht aus, daß von unserem Präsidio eine Aufforderung an die Herren Minister ergeht, ihrer verfassungsmäßigen Pflicht, unseren Sitzungen beizuwohnen, auf die Auf­

forderung dieses Hauses zu genügen, und daß eine Sitzung schleunigst,

vielleicht morgen schon, anberaumt wird, wo wir dann abwarten müssen,

ob die Herren überhaupt erscheinen werden oder nicht; und darauf richte ich meinen Antrag, „daß das Präsidium diese Anforderung an die Herren Minister ergehen lasse und schon morgen eine Sitzung anberaume."

Die Frage wegen der Disziplin des Hauses, wie weit die Herren

Minister derselben unterliegen und der Geschäftsordnung sich zu fügen

haben, möge dann auf dem von dem Präsidium vorgeschlagenen Wege ausgetragen werden.

Dem Präsidenten und dem Abg. v. ksoverbeck, die sich gegen den Antrag ausgesprochen hatten, antwortete Schulze: Ich kann mich durchaus nicht überzeugen, daß bei der dringenden

Lage unserer Geschäfte es nicht besser wäre, wenn das Hohe Präsidium selbst den Tatbestand ergänzt durch die Aufforderung an das Staats­

ministerium in den Sitzungen zu erscheinen.

Dann hat die Kommission

viel leichtere Arbeit; sonst aber wird die Sache tagelang hinausgeschoben,

und wir wissen nicht, woran wir sind.

Ich bleibe bei dem Anträge, daß

die Aufforderung sogleich geschieht, und wir werden dann sehen, was das

Königliche Staatsministerium darauf tut.

Der Tatbestand einer Ver­

weigerung, einer verfassungsmäßigen Pflicht nachzukommen, wird nicht eher festgestellt, als bis eine Aufforderung an das Ministerium ergangen

und das Ministerium derselben nicht nachgekommen ist.

Gegen Schulze wandte sich der Abg. Dr. Simson, durch den Antrag werde die Entscheidung, die die Kommission erst vorbereiten solle, vor­ weggenommen.

Abg. Dr. Gneist meinte, die Frage sei von dem Starts»

Ministerium verschoben worden, denn es handle sich gar nicht um die Disziplinargewalt des Dauses über die Minister, sondern um das Recht

des

Präsidenten, jederzeit das Wort zu nehmen.

Daher muffe die

Kommission beauftragt werden, dem Staatsministerium die Formulierung der Frage, so wie sie wirklich liegt, erst vorzuhalten. Den beiden Vor­ rednern antwortete Schulze: Meine Herren, ich bedaure, Sie noch einmal mit ein paar kurzen

Worten in dieser Beziehung inkommodieren zu müssen.

Zunächst möchte

ich im Interesse des gestern fungierenden Herrn Präsidenten gegen den

Herrn Abgeordneten Gneist geltend machen, der, indem er für den Herrn Präsidenten sprach, doch den Standpunkt des ganzen Konfliktes etwas

verrückt hat:

Nicht

um die Bestimmung der Reihenfolge der Redner

handelt es sich, sondern um das Recht, jeden Redner zu unterbrechen und in der Beziehung sein Recht als Präsident wahrzunehmen. Über die Reihenfolge der Redner war kein Streit.

Dann muß ich mich ebenso verwahren gegen die Auffassung des

Herrn Abgeordneten Simson; das heißt immer wieder die ganze Frage ihrer Bedeutung entkleiden.

Es handelt sich bei meinem Anträge um

ein ganz unverrückbares Recht des Hauses, welches gar nicht von der Kommission

erst festgestellt zu

werden braucht:

Das Haus kann die

Minister auffordern, zur Beratung eines Gesetzes, zur Erfüllung ihrer Schuldigkeit und ihrer Pflicht hierher zu kommen; ob sie sich ohne Grund dessen entschlagen wollen oder mögen, wird sich finden.

Ohne die er­

folgte bezügliche Aufforderung des Herrn Präsidenten ist nicht festzustellen,

daß die Herren Minister sich geweigert haben, ihre verfassungsmäßige

Pflicht, hier zu erscheinen, zu erfüllen.

Dabei muß ich bleiben.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Schulzes mit großer Ma­ jorität abgelehnt. II.

Jn der Sitzung vom 15. Mai gab der Präsident zunächst bekannt, daß er das Staatsministerium unter Mitteilung der Tagesordnung zur

198

Schulze-Delitzsch.

heutigen Sitzung eingeladen, aber wiederum eine ablehnende Antwort von dem Ministerpräsidenten erhalten habe. Zugleich gab er bekannt,

daß von den Abgg. Virchow (Saarbrücken) und Gneist (Mansfeld) selbständige Anträge auf Erlaß einer Adresse an den Honig eingegangen seien. Erster Gegenstand der Beratung war der Bericht der Kommis» sion über das Schreiben des Staatsministeriums vom ((. Mai. Sie be­ antragte zu beschließen, daß das tzaus sich nicht veranlaßt finde, auf das in der Zuschrift des Ministeriums ausgesprochene verlangen einzu­

gehen. Außerdem hatte der Abg. Reichensperger (Beckum) beantragt, das ^aus möge erklären, daß zwar der Präsident zur Aufrechterhaltung der Ordnung des ksauses die Minister in ihren Reden unterbrechen dürfe, daß ihm aber eine Disziplinargewalt über die Minister und das Recht, sie zur Ordnung zu rufen, nicht zustehe. Nachdem die Abg. Karsten (Waldenburg), v. Gottberg (Stolp) und

Reichensperger (Beckum) gegen den Kommisfionsantrag, die Abg. Gneist und Virchow dafür gesprochen hatten, erhielt Schulze das Wort: j Rede in der 44. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 15. Mai 1863.

Meine Herren! Der Kommissionsbericht hat schon das ©einige getan, den tatsächlichen Vorfall, welcher Veranlassung zu unserer heutigen Ver­ handlung gibt, gegen die verschiedenen Entstellungen, die mau versucht hat, klar und unverrückt festzuhalten. Auch die Herren Redner, die hier auf der Tribüne gestanden haben, sind natürlich auf diesen Vorfall zurück­

gekommen, und ich füge nur einiges Wenige zu den wirklich ganz selbst­ verständlichen Gründen hinzu, die der Bericht entwickelt und die nicht nur jedem in parlamentarischen Angelegenheiten erfahrenen, sondern auch dem einfachsten Mann in unserem Volke, der sich je an unserem Vereins­ und Versammlungsleben beteiligt hat, verständlich sind. Meine Herren! Die Unterbrechung des Herrn Kriegsministers seitens unseres Herrn Präsidenten hatte eine ganz bestimmte Veranlassung; ich

meine, daß er dadurch nicht nur ein Recht seiner hohen Stellung ge­ wahrt, sondern daß er auch eine Pflicht erfüllt hat (Sehr wahr!), und das wollte ich bloß noch nachtragen. Der Herr Kriegsminister erlaubte sich in einer Zensur von Äußerungen des Herrn Abgeordneten v. Sybel in das Amt und das Recht des Präsidenten einzugreifen, und der

Präsident hatte notwendig hier die Pflicht und das Recht, seine Stellung, vermöge deren er der einzige Mann im Hause ist, dem so etwas zusteht, zu wahren, und hätte er das nicht getan, so hätte er seine Pflicht nicht

getan, meine Herren (Bravo!), das erlaube ich mir nur nachzutragen.

Das Ding ist doch sehr einfach; diese feinen Unterschiede von Disziplinar- und Polizeigewalt lassen sich doch wahrlich auf ein paar Sätze zurückführen. Wer in dieses Haus eintritt und in die Debatte eintreten will, hat sich in die Ordnung dieses Hauses zu fügen, denn

nur die Ordnung dieses Hauses macht es ihm möglich, zum Worte zu kommen und hier parlamentarisch zu diskutieren; wenn er diese Geschäfts­ ordnung also für sich in Anspruch nimmt, so muß er sie auch gegen sich gelten lassen, das scheint mir ganz selbstverständlich.

Wenn man außer

dieser allgemeinen Pflicht und diesem unbedingten und selbstverständlichen Recht des Präsidenten, diese Ordnung so aufrecht zu erhalten, wie sie jede Debatte in Vereinen und Versammlungen mit sich bringt, so daß sie eine parlamentarische ist, wenn man außerdem noch die eigentliche Disziplinargewalt unterscheiden will, welcher die Minister, wie mehrere Abgeordnete ausgeführt haben, nicht unterworfen sein sollen, so ist das wirklich etwas ganz anderes, etwas, was auf einem ganz anderen Blatte steht. Mit diesem Vorfälle hat dies aber auf keinen Fall etwas zu tun, und das Königliche Staatsministerium hat dies wohl gefühlt und deshalb eben die Bedingung auf eine etwas zweifelhaftere Frage gestellt; denn obgleich ich glaube, daß die Mehrheit dieses Hauses auch in dieser Frage wohl eine Ansicht hat und wohl auch die Befugnis der Disziplinargewalt ihrem Präsidenten erhalten will, so kann doch die Frage, wie wir gehört

haben von einigen Seiten, noch als eine etwa zu bestreitende geltend gemacht werden. Hier war es ja dem Staatsministerium nur darum zu tun, in seinem Schreiben auf dieses möglicherweise noch etwas bestrittene Gebiet hinüberzulenken. So wie wir auf den Weg eingehen, den uns

das Amendement des Herrn Abgeordneten Reichensperger vorschlägt, so soulagieren wir das Königliche Staatsministerium in dem Bestreben, die ganze Frage zu verrücken, und den scheinbaren Grund zu erhalten, sich seiner konstitutionellen Verpflichtung, im Hause auf Erfordern zu erscheinen, zu entziehen. Meine Herren, ich möchte zuerst einmal materiell geltend machen, es kann wahrhaftig in diesem Augenblick und bei der Stellung, die wir der Königlichen Staatsregierung gegenüber einnehmen, nicht unsere Aufgabe sein, über irgendein Recht des Hauses und seines Präsidiums, wo wir nicht dringend darauf hingewiesen sind, wo uns nicht ein faktischer Vor­

gang dazu nötigt, ein solches Verdikt abzugeben.

Ein Verdikt über Tat­

sachen zu fällen, die überhaupt noch gar nicht eingetreten sind, halte ich für bedenklich, weil man da immer auf Kontroversen stößt, die man nicht

unnütz hervorrufen soll.

Sodann aber ist, was ich auch schon andeutete,

namentlich hier zu bedenken, daß es nicht unsere Sache sein kann, ein

Recht des Hauses aufzugeben dem Königlichen Staatsministerium gegen­ Dahin geht nun das ganze Amendement, welches der Herr Ab­

über.

geordnete Reichensperger uns vorgeschlagen hat.

Wir sollen über dieses

Rügerecht schon jetzt absprechen, und was tun wir?

Wir unterstützen

den Weg, den das Ministerium am Ende seines Schreibens einschlägt, worin man sich seitens des Ministeriums beklagt:

„Solange dieses Rügerecht des Präsidiums nicht beseitigt wird,

sind wir verhindert, den Sitzungen beizuwohnen." Nein, meine Herren, unterstützen wir das Ministerium darin nicht,

die Frage zu verschieben.

Wir wollen sie auf ganz unbestrittenem Boden

festhalten, wie sehr wir auch überzeugt sind, wenigstens zum Teil, und ich hoffe, bei dem größten Teil des Hauses diese Überzeugung zu finden,

daß das Rügerecht, weil es nicht/ getrennt werden kann von der Präsidial­ gewalt, von der ordnungsmäßigen Leitung der Debatte, dem Präsidenten zusteht.

(Sehr wahr!)

Weiter, meine Herren, gehe ich nun auf die eigentümliche Beleuchtung über und auf das Verfahren des Herrn Präsidenten ein, die wir nament­ lich von dieser Seite des Hauses (der rechten) gehört haben, von dem

Herrn Abgeordneten für Stolp.

Ja, er bestritt hier, daß zur Glocke

und zum Hutbedecken überhaupt eine Veranlassung gewesen toäre1).

Nun

ist aber doch die Sache nach unserer Geschäftsordnung und nach dem allgemeinen parlamentarischen Gebrauch ganz einfach. Kann der Präsident sich nicht durch sein Wort, durch sein Eintreten, durch seine Ansprache

die nötige Aufmerksamkeit und den nötigen Respekt verschaffen, so ist ihm

zur Unterstützung seines Wortes, wo es nicht durchgreift, die Glocke ge­

geben.

Führt auch die Glocke und deren Gebrauch nicht dahin, daß die

Störung beseitigt wird, daß er den nötigen Respekt findet und daß die Ordnung wieder hergestellt wird, so ist das letzte Mittel das Bedecken

des Hauptes seitens des Präsidenten.

So, meine ich, hat die Sache doch

gelegen, und wenn der Herr Abgeordnete für Stolp da einen feinen Unterschied macht, daß eine Störung von allen, eine allgemeine Störung

der Ruhe stattfinden müsse, wenn die Hutbedeckung gerechtfertigt sein

sollte, so meine ich, liegt das in der Geschäftsordnung nicht.

Sobald

eine Störung, die den Fortgang und die ordnungsmäßige Leitung der

Debatte im Hause hindert, stattfindet, möge sie von einem oder mehreren *) Hierdurch hatte der Präsident des Abgeordnetenhauses am 12. Mai kund­ gegeben, daß nach den Äußerungen von Roons die Sitzung unterbrochen sei.

ausgehen, so ist das letzte Mittel, durch die Hutbedeckung zu zeigen, daß

jetzt der Boden auf ein anderes Feld gekommen sei, daß ein physischer Widerstand gegen die Anordnung des Präsidenten es unmöglich mache, die

ordnungsmäßige Leitung der Debatte, wie sie die Würde des Hauses er­ fordert, zu erhalten; so lag die Sache. Kriegsminister in

dem

Der Präsident war dem Herrn

bloßen Wortkampf bei

der höheren physischen

Energie der Lunge des Herrn Kriegsministers nicht gewachsen (Heiterkeit) und daher gezwungen, sich der Glocke zu bedienen.

Denn der Herr

Kriegsminister überredete ihn — man hat sonst einen anderen Ausdruck —

(Erneute Heiterkeit) er mußte sich der Glocke bedienen; der Herr Kriegs­ minister gab aber seinen Widerstand nicht auf gegen die Glocke, er fuhr

vielmehr fort und machte es dem Präsidenten unmöglich, mit der Sache

zu einem weiteren Ziele zu kommen.

Da hat diese Störung von einer

einzigen Seite hier im Hause zu einem Zustande geführt, der, da über­ haupt Glocke und Wort des Präsidenten nicht mehr durchgriffen, nicht anders beseitigt werden konnte, als durch das letzte Mittel.

Wenn es

sich nur darum handelt, meine Herren, daß wir zugleich hier in Frage

ziehen, wie dies seitens des Herrn Abgeordneten Gneist geschehen ist, wie wir weiter zu verfahren haben, wenn der Beschluß des Hauses in dieser oder jener Weise gefaßt wird, und es kann bei der Einstimmigkeit unserer

Geschäftsordnungskommission kaum

zweifelhaft sein, nach welcher Seite

der Beschluß ausfallen wird, so glaube ich, daß die Würde dieses Hauses —

es ist ja darüber sormell nicht zu diskutieren, da das sich nachher finden

wird — uns doch wenigstens dagegen entschieden einnehmen muß, was der Abgeordnete Gneist andeutete?)

Ich gehe nur so weit auf den Gegen­

stand ein, da derselbe gar nicht weiter zur Verhandlung steht.

Mit einer

bloßen brieflichen Aufforderung seitens unseres Präsidenten an die Minister,

ihrer konstitutionellen Pflicht sich zu fügen und in den Verhandlungen

des Hauses zu erscheinen, ist die Sache wahrhaftig nicht abgetan.

Ich

meine, die Würde des Hauses fordert entschieden, daß wir von unserem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und einen Beschluß fassen,

den Präsidenten zu beauftragen, laut Beschluß dieses Hauses die Minister zum Erscheinen aufzufordern, wie dies der betreffende Verfassungsparagraph vorschreibt, welcher dies Recht nur dem Hause, nicht aber dem Präsidenten für seine Person beilegt.

Ich glaube, nur der kann von einer vollen

*) Gneist hatte u. a. ausgeführt, es sei gar nicht Sache des Hauses, auf das Schreiben des Ministeriums zu antworten, sondern es solle dem Präsidenten lediglich die Unterlagen zu seiner Antwort liefern, deren schriftliche Formulierung ihm überlassen bleiben müsse.

202

Schulze-Delitzsch.

Wahrung seiner Würde reden, der auf seinem Recht steht und besteht

in einem Falle, wo es in solcher Weise angegriffen wird.

Wir müssen

endlich wohl dem Königlichen Staatsministerium beweisen, daß wir nicht gemeint sind, einen Buchstaben dieses Rechtes aufzugeben, daß wir nicht

dazu schweigen werden, sondern daß wir alle parlamentarischen Mittel er­ schöpfen werden, wenn sie während der Beratung dieses Hauses über die

wichtigsten Gegenstände der Gesetzgebung entweder in ihrem Palais oder

hinter den Türen dieses Saales sich gemüßigt finden, zu verharren. hat bereits Aufsehen genug gemacht,

Es

daß nicht schon bei der Erklärung

des Herrn Ministerpräsidenten, die wahrhaftig schon ein recht hübsches Gesamtbild zu dem jetzigen Falle abgibt, wie das Königliche Staats­ ministerium sich zu uns zu stellen gedenkt, daß nicht schon damals ein

sehr ernstes Wort gegen

diese Mißachtung seiner Aufgabe und

seiner

Stellung hier im Hause selbst in Form irgendeines angemessenen Be­ schlusses gefallen ist.

Ich denke, meine Herren, nun liegen die Dinge so,

daß es mit der Sache nicht weiter geht, daß wir nicht eine Minute länger zögern

können, die Aufforderung kraft des uns verfassungsmäßig zu­

stehenden Rechtes ungesäumt zu erlassen. Ich möchte da den Herrn Ab­ geordneten für Stolp und seine Freunde kurz auf die Äußerung hinein­

weisen, die über diesen ersten Fall — und der jetzige wird billig mehr

Sensation machen — seitens eines der konservativsten Männer,

eines

Aristokraten aus den höchsten Familien Englands, den Sie gewiß als

von reinem Blut und Wasser anerkennen, des Lord Shaftesbury') in dieser Hinsicht

an maßgebender Stelle in England gefallen ist.

Ja,

meine Herren, die englische Aristokratie hat allerdings ihre Stellung

immer darin gesucht, daß sie, wo irgend möglich, für die verfassungs­ mäßigen Rechte und für die Würde der parlamentarischen Rechte ein» *) Anthony Ashley Cooper Graf von Shaftesbury (1801—1885), Mitglied des englischen Oberhauses, parlamentarischer Vorkämpfer für die Verbefferung der Lage der arbeitenden Klaffen. In der Sitzung des Hauses der Lords vom 8. Mai 1863 hatte Sh. die schärfsten Angriffe gegen die Polenpolitik der preu­ ßischen Regierung gerichtet. Glücklicherweise müsse man das preußische Volk von seiner Regierung unterscheiden. Das Preußenvolk habe angefangen, gegen das Verfahren des Ministeriums zu protestieren. Aber wenn ein Volk, das etue Verfassung besitze, wie sie in Preußen bestehe, sich von einem Minister der Krone das bieten lasse, was Bismarck ihm geboten habe, so verdiene es weder dm Mamen noch die Gerechtsame eines freien Volkes. Sh. meinte Bismarcks Er­ widerung gegen Twesten in der Sitzung vom 17. April, daß die Regierung, wenn sie es für nötig finde, auch ohne die Zustimmung des Abgeordnetenhauses Krieg sühren werde. Vgl. Horst Kohl, Bismarcks politische Reden 2, 166 ff.

getreten ist, aber nicht hat sie sich denen zugesellt, die bei jeder Gelegenheit,

und bei dieser wiederum, die Dinge in dieser Beziehung, ich will mich sehr milde ausdrücken, mir etwas sehr leicht zu nehmen scheinen. Überhaupt steht ja der ganze Vorfall nicht allein da; er muß mit anderen, mit der

materiellen Stellung des Ministeriums zu uns in allen großen Fragen, die

zum Konflikt gediehen sind, in den innigsten Zusammenhang gebracht werden. Wie man unser Budgetrecht nicht anerkennt, wie man allen unseren

verfassungsmäßigen Rechten in den wesentlichsten Punkten entgegentritt;

wie für die Herren auf der Ministerbank es nur Rechte gibt, die sie sich aus unserer Verfassung nehmen, aber keine Pflichten, so ist es auch hier; bloß Rechte wollen sie in Anspruch nehmen, die ihnen die Verfassung

gibt, und die notwendig korrespondierenden Pflichten existieren für sie

nicht.

Es ist dies die alte Lehre von der starken Regierung, vermöge

deren man die Stärke einer Regierung darin legt und darin sucht, daß man sich unter Umständen über Verfassung und Gesetz und Recht hinweg­

setzen kann, meine Herren.

Nun, ich denke, wir haben es in der Hand,

bei dieser Gelegenheit und bei den weiteren Verhandlungen, die uns noch bevorstehen, wenigstens das Unsere dazu beizutragen, um zu zeigen, daß die wahre Stärke einer Regierung in der Achtung des Rechtes besteht

und nicht in seiner Verletzung.

Lassen Sie uns wenigstens den Herren

gegenüber das Unsere tun und von dem guten Rechte der Volksvertretung auch in formeller Beziehung nicht einen Buchstaben opfern.

die Worte des Herrn Ministerpräsidenten?

Wie lauteten

„Bis an diese Barre, welche

die Plätze der Minister von dem Sitzungssaale scheidet, ginge nur die

Gewalt des Präsidenten,

nicht darüber hinaus."

Nun, ich denke, in

unseren Bestrebungen zum Ausbau unseres verfassungsmäßigen Rechts­

staates sind wir an einen Zeitpunkt gekommen, wo der Konflikt Dimen­ sionen annimmt, daß wir, so weit unsere Mittel reichen, den Herren

dort

drüben zu beweisen haben, daß Gesetz und Recht auch über die

Barre dieser Ministerbänke hinausgeht und daß sie sich ihnen zu fügen

haben, oder aber offen mit allen verfassungstreuen Männern im ganzen

Lande zu brechen, um vor dem Lande zu bekunden, welcher Richtung sie überhaupt folgen und welche Stellung und welche Aufgaben uns hier in diesem Hause zugemessen sind.

(Bravo! Auf beiden Seiten des Hauses.)

Bei der Abstimmung wurde das Amendement Reichensperger ab­ gelehnt und der Rommiffionsantrag mit 2st5 gegen 20 Stimmen an­

genommen. Darauf schlug der Präsident vor, in der Mitteilung dieses Beschlusses an das Staatsministerium zugleich das Datum und die

Schulze-Delitzsch.

204

Tagesordnung (Militärgesetz) der nächsten Sitzung mit der Einladung zur Teilnahme bekanntzugeben. Dagegen beantragte v. Lorckenbeck

(Mohrungen), das Ljaus möge beschließen, für die nächste Sitzung die

Gegenwart des Äriegsministers zu verlangen.

Nachdem die Abgg. Gneist

und Graf v. Schwerin (Anklam) sich dagegen ausgesprochen hatten, nahm Schulze nochmals das Wort: Meine Herren, wenn es sich darum handelt in dem gewöhnlichen

Laufe der Verhandlungen den Wünschen des Ministeriums entgegenzu­

kommen wegen Vertagung oder Verlegung der Sitzungen, ist in diesem

Hause im Laufe der ganzen jetzigen Sitzungsperiode diesen Wünschen nicht entgegengetreten, sondern es ist immer darauf Rücksicht genommen worden. Aber auf diesen Modus können wir in unserem Falle unmöglich rekurrieren wollend)

Das Ministerium hat bereits in mehreren Schreiben zu er­

kennen gegeben, es wolle sich seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung, an den Beratungen teilzunehmen, entziehen.

Völlig feststellen, ob es dies

tun wird, geht nicht anders, als durch eine vorherige Aufforderung des Hauses.

Darüber ist gar kein Streit unter uns, sondern wir sind alle

darin einverstanden, und der Ausdruck der Verfassung darüber ist klar.

Nun frage ich Sie, wollen Sie wirklich noch mehrere Sitzungen die

Dinge hinziehen?

Ich verstehe gar nicht, was dann unsere ganze Ver­

handlung und die ganze Beratung der Frage in der Kommission^eigentlich für Folgen hat.

Die ganzen Prinzipien sind ja klargelegt und der

Fall ist festgestellt, und nun soll erst noch einmal irgendeine

andere,

gar nicht im gewöhnlichen Gebrauch des Hauses liegende Aufforderung

des Präsidenten erfolgen, ehe wir durch die Aufforderung des Hauses die Feststellung der Sache vornehmen.

Ich bedauere, meine Herren, daß das

nicht schon damals gleich geschehen ist; aber wie Sie sich dem entziehen

wollen und nach diesen Verhandlungen es noch einmal aufschieben wollen, dafür geht mir das Verständnis ab. Wenn der Herr Abgeordnete für Anklam gesagt hat: fortiter in

rebus, suaviter in modo, so stimme ich diesem Grundsatz bei, aber aus dem suaviter sind wir in dieser Sache heraus (Heiterkeit) und es wird,

wo das Haus sein verfassungsmäßiges Recht hat, sehr schwer sein, da wieder hereinzukommen.

Der Beschluß, den wir zu fassen haben, ist eine

Tat, es ist der erklärte Wille des Hauses, sein Recht zu brauchen und geltend zu machen gegen die Minister. Tat zu einer Tat kommen.

Also wir müssen hier über die

Es braucht dies ja in keiner schroffen Weise

3) Das Vorstehende richtet sich gegen Gneist.

zu geschehen; der Herr Präsident wird die Geschäftsordnungsform allein

finden, in welcher er den Beschluß des Hauses dem Staatsministerium mitteilt.

Aber aus der Tat, die allein möglich und indiziert ist, sich

herauszuziehen, um noch einmal einen Umweg zu machen, um zu dem

suaviter zu gelangen, ist nicht möglich.

Aber so liegt die Sache nicht,

es unterstützt uns durchaus nicht in der öffentlichen Meinung (Oh! Oh! Rechts),

daß wir jetzt, wenn die Sache entschieden ist, sie auf einem

anderen als dem allein möglichen Wege zum Austrage bringen.

Darauf sprachen die Abgg. v. Lsennig (Strasburg) und toewe (Bochum)

für den Antrag v. Lorckenbeck, während die Abgg. v. Vincke (Stargard), v. Bockum-Dolffs und Graf v. Schwerin für den Vorschlag des Prä­ sidenten eintraten. Dabei meinte Graf v. Schwerin gegen Schulze, er halte es für das Schlechteste, was eine Volksvertretung tun könne, wenn

sie sich von der öffentlichen Meinung treiben lasse. Gegen die drei letztgenannten Vorredner wandte sich wiederum Schulze: Der Herr Abgeordnete für Stargard hat hervorgehoben, daß, da

wir schon einen Beschluß in der Sache gefaßt hätten, man nicht mit

einem zweiten Beschlusse zugleich Vorgehen solle.

Ich mache nur dagegen

geltend, daß der von dem Herrn Abgeordneten für Mohrungen, unserem

Herrn Berichterstatter in der Militärsache, beantragte Beschluß gar kein nebenherlaufender besonderer Antrag, sondern daß er rein die Folge, die

Exekutive des bereits gefaßten Beschlusses ist.

duktion nicht beitreten.

Ich kann also dieser De­

Was uns hier untergelegt ist in bezug auf die

Schärfung des vorhandenen Konflikts, so antworte ich darauf nur, daß

wir alle ein gleiches Interesse haben, nicht, daß die Konflikte verschärft werden — das ist kaum möglich, dafür sorgt schon das Ministerium —,

sondern daß sie ausgetragen, aber nicht bis in die Ewigkeit hingezogen

werden, und ich fürchte, daß die goldenen Brücken, die nach dem Vor­ schläge des Herrn Abgeordneten von Vincke dem geschlagenen Feinde erbaut werden sollen, nicht an der Stelle sind und um deswegen nicht

an der Stelle sind, weil der Feind sich noch gar nicht sür geschlagen

erklärt.

So stehen die Sachen nicht, der Kampf ist von der Gegenseite

noch nicht aufgegeben.

Also das schlägt sich selbst!

Ich meine, durch

den Bau solcher goldenen Brücken zum Rückzug aus jener unvorteilhaften

Position bewirken wir nur, daß der Kampf bis in die Ewigkeit verlängert wird, und wir bringen die Dinge auf diese Weise nie zum Austrag, man mag dem Ministerium mehr oder weniger entgegenkommen.

Ich denke

aber, es ist dies ein Punkt, auf den ich nicht näher einzugehen habe.

Schulze-Delitzsch.

206

Nun ist mir auch von dem Herrn Abgeordneten für Anklam das Rekurrieren aus die öffentliche Meinung verargt worden. In einem solchen großen Konflikt aber, wie sie in den meisten konstitutionellen Ländern stattgefunden haben, ehe sich das Recht und der Gang der Dinge fixierte,

ist nie ein Kampf entschieden worden, wo nicht die öffentliche Meinung

des Landes auf Seite der Volksvertretung gestanden (Sehr richtig! Links) und ich meine, wir haben in unserem parlamentarischen Leben aus den Zeiten, die nicht lange hinter uns liegen, aus den Zeiten der neuen Ära, manche Beispiele, wie gefährlich es für eine tüchtige Versammlung ist, wenn sie sich auf den parlamentarischen Jsolierschemel setzt und mit dem

Leben, mit den

Geistesströmungen

Wechselbeziehung bleibt.

des

Landes

nicht

in

lebendigster

(Sehr wahr!)

Ich nehme es gern hin; ich habe mich noch nie treiben lassen, von

Prinzipien abzugehen; ich wünsche aber, getrieben und getragen zu werden mit meinen politischen Freunden von der öffentlichen Meinung, insoweit die Prinzipien, die wir vertreten, die des Landes sind, insoweit sie uns nicht

zumutet, von

diesen Prinzipien abzulassen, sondern

Strömung dahin führt,

Prinzipien.

(Bravo!

soweit ihre

uns zu schützen in der Durchsetzung unserer

Links.)

Bei der Abstimmung wurde der Antrag von Zorckenbeck angenommen.

in. Zu Eingang der Sitzung vom (8. Mai teilte der Präsident mit, daß er von dem Beschlusse des Lsauses in der Sitzung vom (5. dem Staatsministerium Kenntnis gegeben und darauf heute Antwort erhalten

habe. Darin erkläre das Ministerium, daß es das Recht des Präsidiums, die Minister zu unterbrechen, nicht bestreite. Jn der Sitzung vom ((. habe aber der Präsident unter Berufung auf die ihm angeblich zu« stehenden

Disziplinarbefugnisse einen

Schweigen auferlegt.

Minister unterbrochen und ihm

Aus diesem Grunde habe das Ministerium eine

Erklärung erbeten, daß eine Wiederholung dieses, der gesetzlichen Be­ gründung entbehrenden verfahrens gegen eines seiner Mitglieder nicht in Aussicht stehe. Solange es eine solche Erklärung nicht erhalten hätte, könne es sich an den Beratungen -es Abgeordnetenhauses nicht beteiligen, könne namentlich auch der Kriegsminister der an ihn ergangenen Auf­

forderung, der Sitzung vom (8. Mai beizuwohnen, nicht nachkommen. Auf Antrag v. Haverbeck (Gsterode-Neidenburg) beschloß darauf das Haus, man habe keine Veranlassung, der in dieser Angelegenheit

gefaßten Resolution irgend etwas hinzuzufügen.

Sofort danach bean»

fragten die Abgg. v. Forckenbeck (Mohrungen) und Schulze:

f. Die Be­

ratung über das Lfeeresgesetz so lange zu unterbrechen, bis das Staats­

ministerium seiner

verfassungsmäßigen Pflicht

der Teilnahme

an

der

Beratung nachkomme; 2- auf die nächste Tagesordnung den Bericht der Kommission über die an den König zu erlassende Adresse zu setzen.

der sich

anschließenden

Debatte

verteidigte

Schulze

den

Antrag

In mit

folgenden Worten: Rede in der 45. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 18. Mai 1863.

Meine Herren, ich möchte dem, was das verehrte Mitglied für Montjoie *) über die Wechselwirkung Vvn Recht und Pflicht sagte, auch

noch eine andere Wechselbeziehung hinzufügen, die ein Recht haben muß, wenn es so genannt zu werden verdient, d. h. es muß ein Recht, welches man einer großen Körperschaft, namentlich wie der unsrigen beilegt, doch irgendwie, nach irgendeiner Seite hin, mit welch beschränkten Mitteln man auch will, realisiert werden können. Denn mit Rechten, die, sobald der andere sie anzuerkennen verweigert, so gut als gar nicht mehr vorhanden sind, — mit solchen Rechten Haden wir es doch nicht zu tun, meine Herren. Nun haben wir uns hinsichtlich unserer Macht

allerdings gebunden an die engen Schranken, wie sie eben ein parlamen­ tarischer Körper hat. Nur das, was ein Parlament vermag, können wir für die Ausübung unserer Rechte einsetzen, weiter nichts; eine materielle Macht steht uns nicht zur Seite. Und da bleibt uns denn, meine Herren, in unserem Falle, wo uns von feiten der Regierung die Anerkennung eines Rechts verweigert wird, das alle jetzt als ein Recht des Parlamentes anerkennen, dem aber auf unsere Aufforderung von den Ministern nicht entsprochen wird, — ich sage, es bleibt uns da durchaus nichts anderes übrig, als daß wir uns aus eben den Boden stellen wie die Minister; wir müssen uns ebenfalls auf den Boden der Verweigerung stellen und versuchen, ob wir aus diesem Boden so machtlos sind, als die Herren (rechts) es darstellen, und ob es wirklich ein so großer Dienst ist, welchen wir dem Ministerium leisten, wenn wir uns weigern, in die Verhandlung der vorliegenden Sache, die Militärvorlage, einzutreten oder vielmehr darin weiter fortzufahren. Ich möchte dabei doch bemerklich machen, daß

die Stellung des Ministern, welches allerdings an der Spitze der ganzen materiellen Macht unseres Staates steht, nicht eben gerade so beneidens­

wert ist.

Es ist doch mißlich, die Dinge so weiter fortzuführen, nament-

') Dr. Simson hatte von dem Recht des Hauses, die Anwesenheit der Minister zu fordern und von ihrer Pflicht zu erscheinen, gesprochen.

Schulze-Delitzsch.

208

lich in einer politischen Lage des Landes wie die, in der wir uns befinden,

und ich meine,

solange die 'Minister so Verfahren, solange sie unser-

verfassungsmäßiges Recht, daß sie hier zu erscheinen haben auf

unsere

Aufforderung, nicht respektieren, solange haben wir auch in die Beratung

einer Vorlage nicht weiter einzugehen, an deren Durchführung ihnen doch

viel liegen muß.

Wenn dann weiter gesagt worden ist, meine Herren,

daß es vollständig gleichgültig wäre, ob wir über eine Adresse beraten wollten oder über ein solches Gesetz, wie die Militärvorlage'), — ja, so habe ich auch dem einige Worte zu entgegnen.

Es handelt sich bei einem so wichtigen organischen Gesetze, wie die

Militärvorlage ist, doch zunächst, wie bei allen Gesetzen, um eine Verein­ barung zwischen denjenigen beiden Faktoren, die in den Räumen dieses

Hauses hier verhandeln.

Es ist aber doch ein ganz anderes Ding bei

einer Adreßverhandlung.

Eine Adresse richten wir nicht an die Minister,

sondern über deren Häupter hinweg an Se. Majestät den König, und

hierbei können die Minister erklären, sie finden es in ihrem eigenen Interesse nicht für geboten, zu erscheinen, und dann mögen sie es unter­ lassen.

Bei einer Adreßdebatte haben wir nichts mit den Ministern zu

vereinbaren; da reden wir allein als Parlament, und unsere Stimme allein ist mithin da von Bedeutung.

Ganz etwas anderes ist es mit

dem Gesetz, das wir jetzt vor uns haben.

Wir wissen bis zu

diesem

Augenblick noch nicht, obgleich unzählige Kommissionssitzungen stattgefunden

haben und obgleich in diesem Hause eine mehrtägige Verhandlung über die Hauptprinzipien des Gesetzes stattgefunden hat, wie sich die Regierung

zu den Vorschlägen der Kommission stellt.

darüber

Sie hat ihre Erklärungen

erst der Spezial-Diskussion Vorbehalten, und

über alle diese

Prinzipalen Dinge, wie z. B. den Vorschlag der zweijährigen Dienstzeit, haben wir keine Erklärung der Staats-Regierung.

Nun, meine Herren, wollen Sie in dieser Weise fortverhandeln,

wollen Sie ein so großes Gesetz ohne die Minister fertig machen? In welche Lage kommen wir, wenn später von feiten der Regierung etwas geschieht

oder erklärt wird, was die ganze Lage der Sache geändert haben würde, wonach wir gehandelt haben würden, wenn wir es vorher gewußt hätten?

Mit einer Adreßdebatte erreichen

wir im Interesse des Landes mehr,

wir erreichen dadurch eine Wahrung unserer Würde.

In meinen Augen,

— verzeihen Sie mir den Ausdruck, aber ich spreche es als eine subjeküve

Auffassung aus — in meinen Augen würde ein parlamentarischer Körper

*) Graf v. Schwerin.

in einer solchen Lage durch die Durchführung der Beratung eines Gesetzes

sich lächerlich machen, und das will das Land nicht.

Man würde es

uns im höchsten Maße verargen, hier die Sitzungen mit dieser Art gesetz­

geberischer Tätigkeit auszufüllen.

Ich von meiner Seite getraue mich

wenigstens das Recht zu vertreten, dazu in keiner Weise die Hand zu

bieten.

(Ruf: Sehr richtig!)

Der Herr Abgeordnete Löwe hat nun einen Verbesserungsantrag zu

dem von mir und dem Herrn v. Forckenbeck eingebrachten Antrag gestellt, worin er die Vertagung der Verhandlungen überhaupt nur für heute bewirkt wissen will.

Meine Herren, ich glaube doch, daß unser Antrag besser ist; ich glaube, wir haben nichts zu scheuen, und wir binden uns auch dadurch nicht, denn der Fall liegt uns konkret in diesem Augenblicke vor.

haben nach meiner Ansicht durch

Wir

unsere Abstimmung nur festzustellen,

daß wir die Beratung dieses großen organischen Gesetzes bei der jetzigen Lage der Dinge nicht eher fortsetzen werden, als bis die Minister ihrer

verfassungsmäßigen Pflicht genügen und auf Erfordern in diesem Hause erscheinen.

Ich scheue mich nicht, es zu sagen: Es ist hierdurch kein bloßes

Prinzip ausgesprochen, sondern es ist die Entscheidung einer in diesem Augenblick an uns konkret herangetretenen Frage; deswegen halte ich auch

an dem Anträge fest; sollte er nicht durchgehen, dann würde ich allerdings auch für den zweitzweckmäßigsten Antrag in dieser Frage stimmen können.

Der Herr Abgeordnete Reichensperger2) hat uns in sehr emphatischer

Weise davor gewarnt und uns den schweren Vorwurf zugeschleudert, daß

wir den Rechtszustand, den wir durch ihn und seine Freunde — diejenigen verehrten Männer, die den früheren Parlamenten beigewohnt und die Reaktion bekämpft haben — für unsere Verfassung mühsam errungen

hätten, in Gefahr brächten. Meine Herren, ich weiß allen jenen Männern, und ich habe das auch vielfach ausgesprochen, sehr vielen Dank, daß sie sich in schlimmen Zeiten daran gemacht haben, uns wenigstens die Basis einer verfassungs­

mäßigen Entwicklung zu retten und zu sichern.

Wenn man hierauf einen

Anspruch erhebt, dann erkenne ich dies sehr gern an; aber daß der ganze

Zustand, in dem wir uns jetzt dem Ministerium gegenüber befinden, ein Rechtszustand wäre, den wir alle Ursache hätten aufrecht zu erhalten, in dieser Beziehung, erlauben Sie mir, wird es doch auch wohl eine ab­

weichende Meinung zu haben zulässig sein. Geldern. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

14

Schulze-Delitzsch.

210

Wir führen den Kampf gegen einen Zustand, der auf nichts weniger als auf einen Nechtszustand Anspruch macht.

Wir haben ein geschriebenes

Recht, wir haben die Verfassung, die wir weiter fortbilden sollen; aber

faktisch ist die Verfassung suspendiert. geordneten

Reichensperger,

daß

wir

Ich bestreite dem Herrn Ab­ uns

faktisch

im

Rechtszustande

befinden, und ich glaube, meine Herren, Sie werden mir zugeben, daß

wir alles tun müssen, daß dieser rechtlose Zustand möglichst bald hin­ übergeführt werde zu einem verfassungsmäßigen Zustande, von dem wir jetzt gar nicht reden können.

Wenn ferner von dem geehrten Abgeord­

neten geltend gemacht worden ist, es sei eine schlechte Taktik — die Worte sind mir entgangen — wenn man ein großes Prinzip auf eine formelle

Frage reduziert, so frage ich: wer tut denn das? Wir tun es nicht, das

Ministerium hat es getan, es hat ein großes Prinzip auf einen formellen Konflikt basiert

und benutzt diese Stellung der Sache, um aus dem

großen

herauszukommen.

Prinzip

diesen

haben

Bruch

nicht

Wir sind dies nicht gewesen,

herbeigeführt,

sondern

wir

haben

wir

unsere

Schuldigkeit in der Wahrung unseres verfassungsmäßigen Rechtes wieder­ holt getan den Angriffen des Ministeriums gegenüber. Der Herr Abgeordnete v. Gottberg meinte, wir scheuten uns auf die Anfrage des Ministeriums zu antworten, weil wir in Verlegenheit dadurch

kommen würden.

Ihm sage ich nur: Die Dinge sind umgekehrt -- .das

Ministerium befindet sich in Verlegenheit und möchte gern durch Ver­

schiebung der Sache uns in Verlegenheit setzen; aber ich glaube nicht,

daß das Haus auf diesen Weg eingehen wird. Der Herr Abgeordnete Lette hat den Antrag auf Vertagung der

Frage

eingebracht...

(Einzelne

Stimmen:

Der

Antrag

ist

nicht

unterstützt!)

Präsident bemerkt, daß der Antrag nicht die nötige Unterstützung gefunden hat. Dann habe ich darüber nicht mehr zu sprechen, meine aber über­

haupt: über manche Fragen darf man sich nicht vertagen, sonst vertagt

man sich selbst auch in anderer Weise, und über manche Fragen muß man sogleich

schlüssig sein.

Staatsministerii

Das Erscheinen oder Nichterscheinen des

beschäftigt uns alle schon seit mehreren Tagen, und

jeder hat mit sich einig zu werden, was in dem einen oder anderen Falle zu tun ist.

Wenn ein Streich auf mich geführt wird, so wehre ich ihn

sofort ab und vertage darin nichts. Man hat die Adresse in bezug auf die Opportunität bemänzelt.

Meine Herren, wer nicht sieht, daß wir jetzt an einem neuen wichtigen Wendepunkt angelangt sind, insofern es sich um die Fortsetzung unserer

parlamentarischen Verhandlungen handelt, für den wird der Zeitpunkt einer Adresse nie kommen! wer aber begreift, daß wir an einem ernsten Wendepunkt stehen, der wird auch jetzt für eine Adresse stimmen.

Der

Herr Abgeordnete für Montjoie sagt, das Land wisse das alles schon, dem würden wir nichts Neues sagen.

Ja, das Gefühl der traurigen

Zustände, in denen wir uns befinden, mag wohl allgemein verbreitet sein; aber

das Land

will sehen, wie wir zu dem Dinge stehen, es

will eine srische Abwehr!

Also: erlassen Sie die Adresse und erschöpfen

Sie darin die ganze Lage des Landes mit Offenheit, Männlichkeit und Würde, und Sie dürfen überzeugt sein, die Adresse bleibt nicht die einzige.

Man erwartet nur von Ihnen die Losung, damit dann die Meinung des

Landes Ihrer Adresse den rechten Stützpunkt gibt.

Sie wird die Losung

für viele Adresfen im ganzen Lande sein, beschließen Sie sie nur erst (Bravo!).

Bei der Abstimmung wurde der Antrag töwe (Bochum), der an Stelle des Absatzes \ des v. Lorckenbeckschen Antrages setzen wollte: „Die Beratung der Militärnovelle wird bis auf weiteres von der Tages­ ordnung abgesetzt," mit dem 2. Teil des Antrages v. Lorckenbeck an­ genommen.

IV. Jn der Sitzung vom 2\. Mai verlas Bismarck eine Königliche Bot-

schäft, die die Forderung des Ministeriums für berechtigt erklärte und das Lsaus ermahnte, die gewünschte Erklärung abzugeben. Auf Antrag von Virchow (Saarbrücken) beschloß das Ljaus, die Sitzung zu vertagen, die Königliche Botschaft der Adreßkommission zur schleunigen Bericht­ erstattung zu überweisen und für den nächsten Tag eine Sitzung zur Entgegennahme des Berichts anzuberaumen. Am folgenden Tage gelangten mit dem Kommissionsbericht auch die Anträge von Virchow und Gneist auf Erlaß einer Adresse an den König

zur Verhandlung.

Zn der Debatte ergriff auch Schulze das lvort:

Rede in der 47. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 22. Mai 1863.

Meine geehrten Herren!

Jn Debatten über so große Fragen, da

glaube ich auf Ihre allseitige Zustimmung zu stoßen, wenn ich es als einen sehr mißlichen Zustand beklage, daß uns, den Abgeordneten, nicht

die Herren auf den Ministerbänken entgegensitzen.

Denn wie auch in 14*

Schulze-Delitzsch.

212

dem einzelnen die Meinungen hier auseinandergehen, die rechten Gegner

finden wir doch bei den Fragen, um welche es sich gegenwärtig handelt, weniger in den Reihen des Hauses, als am Ministertische — das ver­

steht sich von selbst I

Da begrüße ich es nun als ein durchaus will­

kommenes Ereignis, wenn der Standpunkt der Herren Minister unter

uns in so ausreichender und gewandter Weise vertreten worden ist, als

es durch das verehrte Mitglied für Geldern^) geschah. das

Königliche

Staatsministerium in

allen Fragen

Ich glaube, daß

der

Verfassungs­

verletzung, die der genannte Herr Redner in der Budgetfrage auf uns selbst zurückgeschleudert — zum allgemeinen Erstaunen sämtlicher verehrten

Mitglieder auf allen Seiten des Hauses! — in der Tat nicht wirksamer

und gewandter hätte vertreten werden können (Heiterkeit), und so hat man denn doch einen Anwalt mitten im Hause, und die ganze Debatte wird dadurch lebendiger und dankbarer, meine Herren. (Bravo! Heiterkeit!)

Meine Herren, ich will darauf, da ja der verehrte Herr Redner in der Butgetfrage mit seinen Angriffen

hinreichend

widerlegt ist,

nicht

näher eingehen, er hat mit der Gewandtheit, die wir ja alle an ihm

kennen, wieder allerlei Dinge — namentlich über persönliches und parla­

mentarisches Regiment — eine der allerbequemsten Phrasen, hinter die man sich jetzt seitens der Verteidiger der Königlichen Staatsregierung

versteckt, zusammengeworfen.

Ich glaube diesen ganzen von der Kreuz­

zeitungspartei gemachten Gegensatz am besten charakterisieren zu können, wenn

ich ihn in dieselbe Kategorie setze, wie die Geschichte von dem

obersten Kriegsherrn. in

Dieser oberste Kriegsherr paßt gerade ebensowenig

das konstitutionelle System,

als jener Unterschied zwischen parla­

mentarischem und Königlichem Regiment.

Ich weiß nur das, daß das­

jenige, was diese Herren als persönliches Regiment dem parlamentarischen

gegenübersetzen, alles andere eher ist, als ein verfassungsmäßiges Regiment. Auf das übrige in dieser Beziehung gehe ich nicht weiter ein. Ich komme nun auf das Bedenken der geehrten Herren von der

Polnischen Fraktion/) sich unserer Adresse anzuschließen.

Sie verlangen

im Interesse ihrer Nationalität, daß auch diese große Frage, die wohl in der Tat in der europäischen Politik jetzt zu den brennendsten gehört, miterwähnt wird.

Meine Herren, ich meine doch, daß Sie zu der Klage eigentlich keinen Grund hätten.

Wir haben dieser Frage eingehend und in spezieller

2) Reichensperger. 2) v. Zoltowski (Buk).

Diskussion hier im Hause die vollste Gerechtigkeit widerfahren lassen, die Ansichten pro und kontra haben sich geltend gemacht, Resolutionen sind angenommen, und ich meine, die Herren werden, wenn sie unseren Stand­ punkt als deutsche Männer und preußische Abgeordnete berücksichtigen, sich über die Beschlüsse des Hauses in dieser Beziehung nicht zu be­ klagen haben?) Was haben wir denn im allgemeinen erklärt mit diesem auch von dem Herrn Abgeordneten Reichensperger soviel angefochtenen Ausdrucke des Adreßentwurfs: „Wir weigerten die Mitwirkung zu der Politik der Regierung." Er bezog das hauptsächlich auf die inneren Maßregeln der Regierung, er meinte, daß wir in den inneren Angelegenheiten des Landes bei den parlamentarischen Arbeiten nun unsere Mitwirkung ver­ sagen wollten. Es gehört wohl keine große Jnterpretationskunst dazu, um zu verstehen, daß hier von einer Mitwirkung in der Politik in bezug auf die auswärtigen Fragen die Rede ist. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten schon früher erklärt, daß wir diese Politik im höchsten Grade für gefährlich erachteten, wir erklären dies auch in einem ganz besonderen, längeren Passus des Adreßentwurss, indem wir die Gefahren des Vaterlandes beklagen, in welche uns die jetzige Politik der Regierung verwickelt. Und weiter verweigern wir dann in Positio 5 des Entwurfs unsere Mitwirkung dazu. Meine Herren, das ist ja, wie aus den früheren Abstimmungen und Beschlüssen hervorgeht, namentlich unsere Mitwirkung zu der Politik in der polnischen Frage, und dies ist ja die Frage, die uns vorzugsweise in die Gefahr gebracht hat, in die Gefahr eines europäischen Krieges! Und welche Chancen auch neuerlich hinzu­ getreten sind, — ich will sie mit wenigen Worten erwähnen — einer Änderung unserer früheren Beschlüsse oder des Hinzufügens eines speziellen Passus in der Adresse bedurfte es deshalb nicht. Allerdings wissen wir bereits nach sehr guten und verbürgten Nachrichten — die Dinge werden sich ja von selbst leider so entwickeln, daß das Haus, wenn es dann noch tagt, ganz bestimmt spezieller an die Sache heran­ treten muß, — mir wissen, sagte ich, daß unsere Regierung bereits einen hochgestellten Beamten, ein Werkzeug ihrer Politik, dem Lande gegenüber hat desavouieren müssen — und damit ihre Politik selbst! Wir lesen von der zur Dispositionsstellung jenes Beamten. Weiter hören wir — auch darüber werden wir mehr erfahren, und können uns jetzt in der *) In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 27. Februar 1863. Bd. III S. 481 ff.

Siehe

214

Schulze-Delitzsch.

Adresse nicht speziell darauf stützen — daß nach gut unterrichteten Blättern, die russischen Gesandten in London und Paris erklärt haben, daß eine europäische Macht hauptsächlich durch ihre Ratschläge die russische Regierung gegen die Ratschläge der Westmüchte eingenommen

habe/) daß indessen gegenwärtig bessere Einflüsse in Petersburg über­

wögen. Also die ganze Schuld der polnischen Verwickelung auf Preußen geschoben! Wir sind die Ratgeber gewesen, die Rußland solche Rat­ schläge gegeben haben gegen die Wünsche der Westmächte, und so haben wir die Aussicht, für die russische Politik möglicherweise in einen Krieg verwickelt zu werden, in welchem nicht einmal Rußland auf unserer Seite stehen wird.

Ich denke also, wenn die Herren Polen sich das Ganze ansehen und den ganzen Passus von der Verweigerung der Mitwirkung zur

auswärtigen Politik

lesen,

dann können sie leicht

erkennen, daß die

polnische Frage dabei mit gemeint ist, da sie unter den auswärtigen diejenige ist, die vor allen in den Vordergrund tritt.

Weiter aber bin ich genötigt, namentlich durch den Vorredner, den Grafen Schwerin, auf eine Prüfung des Kommifsionsentwurfs im Gegen­ satze zu der {einigen einzugehen. Ich brauche kaum zu wiederholen, wie sich die beiden Entwürfe unterscheiden.

Der Herr Vorredner und seine Freunde haben eine Antwortadresse auf die Kabinettsordre des Königs erlassen zu müssen geglaubt, indem sie hauptsächlich den springenden Wir meinten schon früher, ehe dieser da war, daß eine Adresse über die Lage des Landes nötig sei. Dieser Meinung waren die Herren damals nicht, und so bewegen wir uns also beiderseits Punkt im Auge behielten.

hier vollständig konsequent, jede Partei auf ihrer Operationslinie, die sie schon vorher eingenommen hat. Bei Rechtfertigung unseres Standpunktes kommt es zunächst darauf

an, die konstitutionelle Stellung unseres Staatsministeriums der Landes­ vertretung gegenüber klarzumachen, welche uns die Hauptveranlassung zu der Adresse gab. Ich gehe durchaus nicht auf die Budgetfrage und das damit Zusammenhängende ein. Lassen Sie mich auf das in der letzten Zeit Dazugetretene kommen, was nach allen den Konflikten eine Auffassung des Ministeriums über seine konstitutionellen Pflichten von

solcher Naivetät zutage gefördert hat, daß, wären die Dinge nicht gar zu ernst und traurig für uns, wir dieselbe kaum nach Verdienst einer *) Durch die von der preußischen Regierung dem Petersburger Kabinett angebotene Militärkonvention vom 8. Februar 1863. Vgl. Bd. III S. 482,

parlamertarischen Erörterung

unterwerfen

könnten.

Von dem Herrn

Kriegsmnister haben Sie so gut, wie ich, gehört, daß er im vollen Ernste meinte, cls die Stellung unseres Staates, als eines konstitutionellen ihm gegenüber geltend gemacht wurde: „Preußen sei ein Militärstaat";

Militärfaat und konstitutioneller Staat, Dinge, welche einander direkt ausschliesen, erschienen ihm als völlig vereinbar?) Der Jnzidenzpunkt ist die teste Illustration von diesem konstitutionellen Militärstaat oder militärstmtlichen Konstitutionalismus, in welchem er eine so hervorragende Stellung ein nimmt.

Der Geist seiner Wirksamkeit wird dadurch in vielen

Punkten ganz erklärlich.

Nun, ich habe keine Antwort weiter darauf,

als daß der Militärstaat ein Staat ist, wo das Militär Staatszweck, der Statt der Soldaten wegen da ist, und daß wir uns eben gegen den Militärstaat wehren, weil wir den Verfassungsstaat wollen, und jeder­

mann tteiß, daß sich diese Dinge nicht vereinbaren lassen, und daß, wenn dcs gegenwärtige Ministerium Preußen als Militärstaat ansieht, seine Letung und Handhabung der Maßregeln unmöglich jemals eine

konstitutionelle sein kann. Mit der Ministerverantwortlichkeit wissen Sie es ja, wie es ging. Wir wurden auf die Verantwortlichkeit in jener Welt verwiesen. Indessen die Herren Minister scheinen der Sache doch nickt ganz zu vertrauen und suchen nebenbei nach einer Deckung der Veranrtvortlichkeit vor dem irdischen Richter. Das allbereite Mittel dazu haben Sie auch jetzt wieder bereit, Se. Majestät als Deckung für ihre Maßregeln zu gebrauchen. Wie unkoustitutionell das ist, brauche ich Ihnen auch nicht weiter noch auseinanderzusetzen und füge nur eins hinzu. Ich hoffe, daß diejenige Volksvertretung, die auf den Bänken dieses Hauses sitzt, wenn der Konflikt ausgetragen sein wird, wenn dem konstitutionellen Rechte des Landes seine Würdigung und Achtung ge­ sichert ist, daß diese Volksvertretung es für ihre erste Aufgabe erachten

wird, den Herren Ministern klarzumachen, daß sie auch vor dem irdischen Richter eine Verantwortlichkeit haben, indem sie auf diejenigen Verfolgungen in strafrechtlicher und zivilrechtlicher Hinsicht dringt, welche selbst die jetzigen, wenn auch mangelhaften Gesetze gestatten. Denn die

Erfahrung hat gelehrt, daß, solange nicht einmal gezeigt worden ist, daß ein frevelhaftes Spiel mit dem Recht und Interesse des Landes ernste Folgen

nach

sich zieht,

daß es dann immer

wieder Männer

gibt, die dasselbe wiederholen. (Sehr wahr!) Nun komme ich auf die Versöhnlichkeit, die uns in der Kabinetts’) Roons Rede in der Sitzung vom 9. Mai 1863.

Schulze-Delitzsch.

216

orbre1), am Schluß namentlich, entgegentritt, und die ein sehr zu beachtendes

Moment

bildet; denn Versöhnlichkeit, Neigung zum Austrage unseres

Konfliktes muß freilich zum Wohle des Landes auf beiden Seiten an­ genommen werden.

Man will, das ist sehr klar, durch diesen Appell an

die Versöhnlichkeit die Schuld des Konfliktes durch den Mangel dieser:

Eigenschaft auf unserer Seite vor dem Lande konstatieren.

Und, meine

Herren, wir haben außer dieser allgemeinen Mahnung, die wir da er­ halten haben, noch einen anderen Anhalt, wie es mit dieser Versöhnlichkeir, mit dem Grade des Nachgebens, der uns zugemutet wird, gemeint ist.

Sie erinnern sich aus der Debatte über die Militärnovelle, daß der Herr

Kriegsminister von einem Handel sprach; man solle gegenseitig etwas bieten, um etwas dafür zu erhalten.

geht.

Nun sehen wir einmal zu, wie das

Ich habe allerdings die Ansicht, wenn es sich um entgegenstehende

Interessen handelt, die nicht gut zusammenzubringen sind, so läßt sich

auf dem Wege des Kompromisses von diesen Interessen hier und da etwas nachgeben. Man kann bei Interessen, meine Herren, mit sich handeln lassen;

aber, meine Herren, das kann man nicht bei Prinzipien, und namentlich bei Prinzipien, auf die der ganze Staat gegründet ist, und deren Er­

schütterung die Erschütterung des Staates selbst nach sich ziehen müßte.

Was müßten wir z. B. bei diesem Handel, von dem man sprach, von der Regierung fordern? Kann uns denn die Regierung das gewähren? Was

wir fordern müssen, darüber brauche ich keinen Widerspruch im Hause

zu fürchten.

Ich glaube, wir können nichts anderes fordern und haben

es auch nie gefordert, als die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen, die Bürgschaft, daß der Verfassungsbruch nicht in Zukunft bei jeder Ge­

legenheit wiederkehre, oder gar fortgesetzt in die Zukunft hinein dauernd verschleppt werde, und endlich die Sühne des begangenen Verfassungs­ bruchs. Über diese Dinge, meine Herren, kommen wir nicht weg. Nun frage ich Sie, meine Herren: kann die Regierung — ich meine die jetzige

Regierung und die jetzigen Minister — uns das gewähren? Nein, meine Herren, das kann sie nicht, denn ein Brechen mit dem Verfassungsbruch

wäre ihrerseits ein Brechen mit sich selbst, mit dem eigenen System; das kann man aber von niemand verlangen.

Was wäre die erste Folge davon,

wenn man uns nachgäbe? — Diese, daß das Königliche Staatsministerium

der Staatsanwaltschaft die Anweisung geben müßte, es selbst in Ver­

folgung zu setzen, die Anklage gegen die eigenen Mitglieder zu erheben. Das sind Dinge, die man niemandem zumuten kann, und ich mute sie

y Vgl. oben S. 211.

auch meinen Feinden nicht zu.

Und wie sonach die Regierung uns nicht

bieten kann, was wir fordern, so können auch wir der Regierung nicht das zugestehen, was sie fordert. Die Regierung will aus der Ungesetzlich­

keit heraus, das bezweifle ich im vollen Ernste gar nicht, denn alle Un­ gesetzlichkeit, sobald das Volk zum Bewußtsein derselben kommt, hat immer

ihre sehr unbequemen Seiten. Es fragt sich nur, wie, auf welchein Wege sie heraus will. Die Regierung will nun sich dadurch herausziehen, daß sie von uns verlangt: wir sollen die Ungesetzlichkeit sanktionieren, indem wir sie zur Gesetzlichkeit umstempeln; wir sollen aus der Verfassungs­

verletzung dadurch herauskommen, daß wir dieselbe gutheißen. Ja, das ist wahr, mit allen Verfassungsbrüchen für die Zukunft wäre es dann für allemal aus, für immer vorbei, denn mit der Verfassung selbst wäre

es dann vorbei, und dann freilich brauchte sie kein Mensch mehr zu brechen. Gegen diese Deduktion läßt sich in der Tat wenig sagen. Wollten wir weichen von unserem Budgetrecht auch nur um einen Deut, dann wäre die Verfassung in ihrem innersten Lebensnerv abgetötet, sobald das Grundrecht der Verfassung zunichte gemacht wäre. Was hätten wir dann? Resümieren wir also den Handel. Wir hätten eine Rückkehr zur Gesetzlichkeit, indem wir die Ungesetzlichkeit als solche proklamierten und dadurch permanent machten; gezeichnete Errungenschaft hätten wir das allerdings Landesvertretung fortvegetierte, deren Befugnis darin Maßregeln der Regierung ja zu sagen. (Heiterkeit

und für diese aus­ erreicht, daß eine bestände, zu allen auf der äußersten

Rechten.) Das wäre die Basis, auf der sich künftig das konstitutionelle Recht des Landes weiter entwickeln sollte. Gerade hier liegt nun die Hauptdifferenz mit dem geehrten Redner vor mir,1) der uns einen Teil der Schuld bei dem Konflikt zumaß, indem er aber anerkannte, daß es sich dabei nicht sowohl um die Anmaßung irgendeines konstitutionellen Rechts von unserer Seite handele als viel­ mehr nur darum, daß wir nicht immer recht opportun mit dem Gebrauch

unserer verfassungsmäßigen Rechte vorgegangen seien.

(Stimmen rechts:

Wo ist denn das gesagt worden?) Das lag in seiner Deduktion, so habe ich sie wenigstens verstanden; wir hätten dadurch den Konflikt auf die Spitze getrieben. Durch ein

Nachgeben, durch ein nicht volles Einnehmen der strengen Linie unseres Rechts, durch ein Zurückweichen von Zeit zu Zeit hätten wir vielleicht *) Graf v. Schwerin-Putzar.

218

Schulze-Delitzsch.

mehr erreicht und unsere konstitutionelle Entwicklung für die Zukunft

gesichert. Meine Herren!

Da könnte ich einfach zunächst darauf antworten:

ein Recht, welches man nur unter der Bedingung besitzt, es nicht zu ge­ brauchen, ist an sich nicht bloß wertlos; nein, meine Herren, das ist mehr,

das ist sogar schädlich, weil das Gefühl der Rechtssicherheit und Rechts­ achtung dadurch notwendig im Volke erschüttert wird, und die nutzlosesten Konflikte für die einzelnen und für die parlamentarischen Körper not­ wendig dadurch herbeigeführt werden.

Aber, meine Herren, ich gehe einen Schritt weiter, um das ganz

Falsche und höchst Gefährliche dieser Anschauung vor Ihnen darzulegen. Der Absolutismus ist in unseren Tagen bei allen gebildeten Nationen nur noch möglich in der Form des Scheinkonstitutionalismus. In seiner nackten Form kommt er nicht mehr durch. Er hat sich selbst so weit aufgegeben, das einzusehen, und nur überall danach gestrebt, jene Form anzunehmen. Und, meine Herren, deshalb, weil dem so ist, ist es die erste Pflicht in dem politischen Kampfe unserer Tage, ihn aus diesem seinem Schlupfwinkel herauszutreiben! Die Verfassung soll eine Wahr­ heit werden, eine ganze Wahrheit; will man sie nicht halten ganz und unverbrüchlich, so soll man sie brechen; offen und vor den Augen der ganzen Welt, meine Herren! (Heiterkeit auf der äußersten Rechten.) Und ich sage, daß diejenigen, die aus Opportunitätsrücksichten die Dinge verschleiern wollen, um dieses und jenes wertlose Stück konstitu­

tionellen Scheinlebens zu retten, daß sie nur dazu mitwirken, um die politische Lüge und politische Heuchelei noch länger hinzufristen (Sehr

wahr!). Die politische Lüge und Heuchelei aber, das ist eben die Form des Absolutismus in unseren Tagen! (Bravo! Links.) Darum, meine Herren, halte ich es für besser, die Dinge offen hin­ zustellen, und jene Position, die der Absolutismus nicht bloß bei uns, sondern in vielen anderen Ländern so folgereich verteidigt, zu stören. Nein, meine Herren, scheuen wir uns nicht, bringen wir den Zustand

mit seinen ganzen Konsequenzen offen und klar zum Bewußtsein, zur Kenntnis an der höchsten Stelle des Landes, indem wir ein offenes und

männliches Wort dort einlegen, bringen wir ihn — und das sage ich dem verehrten Abgeordneten für Anklani^) auf das, was speziell an mich gerichtet war — auch zum Bewußtsein vor dem Volke!

T) Graf v. Schwerin-Putzar.

Denn das leugne

ich ja gar nicht, eine Adresse hat zwei Seiten,

ganz gewiß, und nur

darin liegt ihre Bedeutung, und alles, was wir hier beschließen, hat eben

diese zwei Seiten, meine Herren!

Es ist nicht nur unmittelbar unsere

Aufgabe bei der Adresse, Se. Majestät zu unterrichten von den Inten­ tionen und Auffassungen der Volksvertretung, nein auch diese ganze Lage, die ganzen Intentionen der Volksvertretung in alle Wege klar zur Kennt­

nis des Landes zu bringen. —

Ich habe früher schon auf das geantwortet, was mir von feiten des geehrten Abgeordneten für Anklam bei einer anderen Gelegenheit gewisser­

maßen vorgeworfen wurde, ich habe früher schon darauf geantwortet, daß ohne den öffentlichen Geist im Lande zu erwecken, wir nimmermehr den Ausbau unserer freien Institutionen zu vollenden imstande sind?)

Und

ich halte es für den wertvollsten Teil unserer Wirksamkeit und unserer

parlamentarischen Aufgabe, hier von dieser Tribüne aus, namentlich wenn die Zustände im Lande so liegen, daß das freie Wort und die Presse

mehr und mehr gefährdet werden, mit all unseren Kräften so viel als möglich dazu beizutragen, den öffentlichen Geist wachzuhalten.

Der ge­

ehrte Herr Abgeordnete, dem ich im übrigen die höchste Achtung zolle,

hat namentlich in der Kommissionsdebatte, wie er sich erinnern wird, gesagt: „Wir riefen die Geister wach und würden sie nicht zu bannen

vermögen!"

Ja, meine Herren, die Geister wollen wir wachrufen, es

ist, wie früher in verhängnisvollen Tagen, das einzige Mittel der Rettung

für unser von allen Seiten gefährdetes Vaterland.

Und

wenn dann

Männer an der Regierung wären, die weiter nichts wüßten, als sie zu bannen, weil sie mit ihnen nicht zu regieren verständen, dann hätten sie bloß bewiesen, daß sie regierungsunfähig wären.

Aber etwas anderes

soll man nicht wachrufen: die schlechten Leidenschaften; davor soll man sich hüten, die verschlingen regelmäßig den, der sie entfesselt.

Aber in

dem Kampf mit den schlechten Leidenschaften, den man sich jetzt wieder im Lande anzufachen bemüht, dächte ich, stehen wir unseren Mann und

beweisen, daß wir den Geist

wachrufen

in unserem Volke gegen die

schlechten Leidenschaften. Wissen Sie, welche politische Partei jene Richtung fördert?

Die feudale Reaktion.

Lesen Sie ihre großen Blätter und die

Verhandlungen ihrer Vereine; da finden Sie in welcher Weise man die schlechten Leidenschaften einer bewußtlosen Menge auszunutzen denkt in dem gegenwärtigen Kampf

um die politischen

Güter

unseres

Volkes.

Dort bei den Rittern der Kreuzzeitung finden Sie deren Stützpunkt, nicht

') Vgl. S. 205 f.

220

Schulze-Delitzsch.

in den Reihen der Deutschen Fortschrittspartei.

Diese hat sie vielmehr

wirksamer bekämpft, als irgendeine Regierung dies vermocht hätte. Ja, meine Herren, zum Bewußtsein muß das Volk kommen, was

es gegenwärtig gilt; wissen muß es, daß es sich hier handelt um die ganze Grundlage seiner humanen, seiner politischen, seiner materiellen

Entwicklung und, meine Herren, mein Freund Loewe hat es schon gesagt, um seine nationale Existenz.

Ich will nicht auf die Bedeutung unserer

äußeren Verwickelungen zurückkommen.

Es ist dies schon hinreichend von

dem Herrn Referenten^) und seinen Nachfolgern gewürdigt worden. eins erlauben Sie mir noch anzuführen.

Nur

Es gibt gewisse große und all­

gemeine Krisen in der Geschichte, in denen ganz neue, gewaltige Ideen auftreten, worin sich neue Staatenbildungen, eine neue Machtstellung der

Völker vorbereitet und die hinaus ihre Richtung erhält.

historische

Entwicklung

auf Jahrhunderte

Wehe dem Volke, an dessen Spitze in einer

so großen allgemeinen Krise nicht tüchtige Führer stehen, die weder das

Vertrauen des Landes besitzen noch es verdienen.

Preußen gerade ist

groß geworden dadurch, meine Herren, daß in solcher Epoche im vorigen Jahrhundert und am Ende des vorvorigen Jahrhunderts so ausgezeichnete

Fürsten an seiner Spitze gestanden haben.

Daß eine solche Krise jetzt

vorhanden ist, darüber, glaube ich, täuscht sich niemand.

Es ist ein

neuer bewegender Gedanke in die Geschichte eingetreten, der von dem reifen Bewußtsein der Völker zeugt, der nationale Gedanke.

Man mag

ihn verdammen, man mag ihn segnen; man muß ihn aber anerkennen,

darüber kommt man nicht hinweg, und die Befähigung der Staatsmänner

hängt davon ab, ob sie mit diesem Gedanken zu wirtschaften verstehen, ob sie sich an die Spitze seiner Strömung zu stellen vermögen, ob sie

die gewaltige elementare Kraft, die er in sich birgt, zu bändigen, und zu weisen Staatszwecken

anzuwenden

vermögen.

Es ist traurig,

meine

Herren, daß unser Volk bei dem vollen Bewußtsein, daß eine solche Krise

vorhanden ist, nicht mit freudigem Gefühle der nächsten Zukunft ent­

gegensieht. Es fühlt seine Kraft, und es fühlt seine Macht und es weiß, daß die volle Lösung seiner Geschicke, wie es dieselbe wünscht, ohne schwere

Opfer und Kämpfe ihm nicht vom Himmel herunterfallen wird.

Es ist

dazu bereit, aber es fühlt sich und seine Kraft wie mit einem verderb­ lichem Netze umwunden, wenn es die Führerschaft betrachtet, unter der

es gegenwärtig in diese Kämpfe eintreten müßte, und es ist traurig, in

*) v. Unruh.

einen solchen großen Kampf um die letzten Geschicke des Landes zu gehen

mit halber Seele und mit dem trüben, zehrenden Gedanken,

daß das

nationale Banner anderen Händen anvertraut werden müsse, wenn die

Nation zum Siege geführt werden solle.

(Sehr wahr!)

Ja, meine Herren, nicht umsonst, so meine ich, soll der Herr Kriegs­

minister uns an unsere Verantwortlichkeit, wie er neulich getan hat, vor Mit- und Nachwelt ermahnt haben.

Wir fühlen sie, indem wir diese

Worte an Se. Majestät richten.

Möchten die Räte der Krone doch ihrer Verantwortlichkeit in dem­

selben Grade eingedenk sein, wie wir der unsrigen. Man spricht von einem Appell an das Volk; schon debattiert man

ganz offen

und unverhohlen im reaktionären Lager die Oktroyierung

des Wahlgesetzes als Mittel die Volksstimme zu fälschen, ehe man sie anruft.

(Zustimmung.)

Es ist die höchste Zeit zu dem Appell an den Thron, zu dem die Verfassung uns die Veranlassung und die Mittel gestattet.

Nicht darauf

kommt cs an, ob dieser Appell eine unmittelbare Folge hat, sondern das

ist die Frage, ob wir in einem der kritischsten Momente, die unser Vater­

land je gesehen hat,

diesen Moment richtig erkennen und das einzige

Mittel gebrauchen, das unsere Stellung, das unsere Pflicht uns in die

Hand gibt.

uns

nicht

Unsere Stimme mag schwach ins Gewicht fallen, wir können eine

unmittelbare

Entscheidung

anmaßen

an der

Stelle,

welche über die auf die loyalste Weise an sie gerichtete Bitte zt> ent­ scheiden hat.

Aber in solchen Dingen kommt es nur darauf an, daß man

seine Schuldigkeit tut.

Mit uns ist ein mächtiger Bundesgenosse, mit

uns ist die Not, ist der drängende Gang der Geschichte unserer Tage und dem schreibe ich es zu, wie ein Mitglied vorher sagte, daß wir einen

Bundesgenossen haben in dem feindlichen Lager.

Ein Schwanken, eine

Ungewißheit, ein Bedenken tritt ein in die Reihen der Gegner — sie kämpfen, aber sie kämpfen unsicher und mehr und mehr kommt über sie

selbst unwillkürlich, ob sie

auch uns gegenüber noch so viel Sieges­

gewißheit zur Schau tragen, das Gefühl eines verlorenen Postens.

Wer

gegen eine geschichtliche Notwendigkeit sich auflehnt, meine Herren, der ist eben von Hause aus immer verloren.

(Lebhaftes Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde die Adresse der Aommission angenommen,

in der das ^aus erklärte, es habe kein Mittel der Verständigung mehr

mit diesem Ministerium; es lehne feine Mitwirkung ;u der gegenwärtigen Politik der Regierung ab.

Schulze-Delitzsch.

222

Der König verweigerte den Empfang einer Deputation zur Über­ reichung der Adresse und antwortete auf die schriftliche Übersendung mit einer scharfen Kritik des Abgeordnetenhauses. Er lehne einen wechsel des Ministeriums mit Entschiedenheit ab, die Minister besäßen sein ver­ trauen, ihre Amtshandlungen seien mit seiner Billigung geschehen und er danke ihnen, daß sie dem verfassungswidrigen Streben des Abgeord­ netenhauses nach Machterweiterung entgegenträten. Jn der Sitzung vom 27. Mai wurde die Session geschlossen und am Juni erließ die Regierung die sogenannte Preßordonnanz, welche die Verwaltungs­ behörden berechtigte, Zeitungen nach zweimaliger Verwarnung zu unter­ drücken. Am 2. September, also wahrend der Vertagung, wurde die Auflösung des Dauses verfügt. Am 2^. September erschien ein Erlaß des Ministers des Innern, der sich in scharfer Form über die regierungs­ feindliche Haltung der Beamten aussprach. Das Resultat der am 28. Oktober vollzogenen Neuwahl war eine schwere Niederlage für die Regierung: nur noch 37 ministerielle Abgeordnete kehrten in die Kammer zurück. Am 9. November wurde der Landtag eröffnet.

110. Brief an Gustav Freytag. Potsdam, 12. Juli 1863. Das Vorgehen des Kronprinzen findet alle Anerkennung, und was

Sie davon sagen, ihn nicht durch den unseligen Loyalitätsdusel zu ver­

derben, wird jeder unterschreiben?) Sie das nie zu fürchten.

Von der Fortschrittspartei haben

Die wird bis zum Kampfe mit dem Königtum

selbst fortgetrieben, möglicherweise sehr bald einer radikaleren Majorität Platz machen, welcher selbst ein entschiedeneres Vorgehen des Thronfolgers

schwer genügen wird.

Jn der stillen Werkstätte des Volksgeistes bereiten

sich in aller Ruhe Dinge vor, von denen die, welche nicht in genauer

Beziehung zum Volke stehen, keine Ahnung haben! Aber in dem, was Sie über die jetzt vom Volke und seinen Führern

zu beobachtende Taktik sagen, bedaure ich, in keiner Weise Ihnen zu-

stimmen zu können.

Die jetzige Pause ist eine natürliche und notwendige.

Einesteils bezeichnen Sie den Grund selbst; man fühlt sich am Ende des 9 Der Kronprinz hatte sich aus einer militärischen Inspektionsreise Ende Mai in Danzig öffentlich als Gegner der inneren Politik Bismarcks bekanr.t.

Schulze-Delitzsch.

222

Der König verweigerte den Empfang einer Deputation zur Über­ reichung der Adresse und antwortete auf die schriftliche Übersendung mit einer scharfen Kritik des Abgeordnetenhauses. Er lehne einen wechsel des Ministeriums mit Entschiedenheit ab, die Minister besäßen sein ver­ trauen, ihre Amtshandlungen seien mit seiner Billigung geschehen und er danke ihnen, daß sie dem verfassungswidrigen Streben des Abgeord­ netenhauses nach Machterweiterung entgegenträten. Jn der Sitzung vom 27. Mai wurde die Session geschlossen und am Juni erließ die Regierung die sogenannte Preßordonnanz, welche die Verwaltungs­ behörden berechtigte, Zeitungen nach zweimaliger Verwarnung zu unter­ drücken. Am 2. September, also wahrend der Vertagung, wurde die Auflösung des Dauses verfügt. Am 2^. September erschien ein Erlaß des Ministers des Innern, der sich in scharfer Form über die regierungs­ feindliche Haltung der Beamten aussprach. Das Resultat der am 28. Oktober vollzogenen Neuwahl war eine schwere Niederlage für die Regierung: nur noch 37 ministerielle Abgeordnete kehrten in die Kammer zurück. Am 9. November wurde der Landtag eröffnet.

110. Brief an Gustav Freytag. Potsdam, 12. Juli 1863. Das Vorgehen des Kronprinzen findet alle Anerkennung, und was

Sie davon sagen, ihn nicht durch den unseligen Loyalitätsdusel zu ver­

derben, wird jeder unterschreiben?) Sie das nie zu fürchten.

Von der Fortschrittspartei haben

Die wird bis zum Kampfe mit dem Königtum

selbst fortgetrieben, möglicherweise sehr bald einer radikaleren Majorität Platz machen, welcher selbst ein entschiedeneres Vorgehen des Thronfolgers

schwer genügen wird.

Jn der stillen Werkstätte des Volksgeistes bereiten

sich in aller Ruhe Dinge vor, von denen die, welche nicht in genauer

Beziehung zum Volke stehen, keine Ahnung haben! Aber in dem, was Sie über die jetzt vom Volke und seinen Führern

zu beobachtende Taktik sagen, bedaure ich, in keiner Weise Ihnen zu-

stimmen zu können.

Die jetzige Pause ist eine natürliche und notwendige.

Einesteils bezeichnen Sie den Grund selbst; man fühlt sich am Ende des 9 Der Kronprinz hatte sich aus einer militärischen Inspektionsreise Ende Mai in Danzig öffentlich als Gegner der inneren Politik Bismarcks bekanr.t.

gesetzlichen Widerstandes — nach m. A. nur scheinbar und für den Augen­ blick, da dieser gesetzliche Widerstand eine viel großartigere und energischere

Gestalt anznnehmen vermag, als welche wir bisher beim Volke erzielten. Aber eben: man fühlt, daß das Volk selbst und anders wie bisher in die Aktion treten müsse, und das geht niemals so rasch und auf den Sprung, wenn nicht äußere große Begebenheiten oder inneren Kalamitäten der tiefgreifendsten Art den öffentlichen Geist Plötzlich aufstacheln. Es ist eine Pause der Sammlung, nicht der Indolenz oder Ermattung. Dazu

kommt:

wir sind in Preußen länger als 1% Jahr in fortwährender

Spannung und Agitation gewesen, namentlich den ganzen vergangenen Sommer hindurch. Die Menschen sind daher auch physisch ermattet und

bedürfen einen Augenblick Ruhe. Es ist eben eine kurze politische Gurken­ zeit, beide feindliche Heere haben sozusagen die Sommerquartiere (= den

Winterquartieren im Kriege) bezogen. Man flickt sich aus in Bädern und sonst, ersetzt die Schäden, verproviantiert sich, um im Herbst den Kampf mit neuer Kraft zu beginnen; unsere Landwirte, die braven Ost­ preußen, müssen endlich einmal nach einer Ernte sehen und Ordnung im Hause und Wirtschaft machen, ehe sie wieder an die Politik gehen können. Nur ein großes Ereignis könnte diesen Gang der Dinge ändern und die Reihen der Kämpfer und die Aufnahme des Kampfes im Volke jetzt schon hervorrufen — die Reaktionsmisere reicht dazu nicht aus. Wer nun unter solchen Umständen irgendeine bedeutende Agitation forcieren wollte, würde nicht nur ganz unfehlbar damit durchfallen, sondern auch sich unnütz ruinieren und der Sache den größten Schaden zufügen. Besonders wir würden ganz unverantwortlich handeln, eine so treffliche Position, wie wir sie im Lande haben, durch so unzeitiges Vorgehen zu verderben. Alle liberalen Elemente immer fester um uns zu sammeln,

die besitzenden Klassen uns immer fester zu verbinden — das ist jetzt unsere Aufgabe; die stille Vorbereitung zum Kampfe, nicht dessen Beginnen. Die Regierung liefert uns sicher die beste Losung dazn, dessen sind wir gewiß. Und mag man über uns, namentlich im Auslande, reden — Ungeduld und übereiltes Handeln wäre jetzt der größte Fehler! Wir kennen das Terrain, wir wissen, was wir wollen, das wird man sehen, wenn's losgeht, und darauf brauchen wir nicht lange zu warten. —

Leider wird die Wendung der Dinge wahrscheinlich nicht vor der äußeren Bedrängnis eintreten. Das können wir nicht ändern. Vielmehr ist unsere Aufgabe, diese äußere Bedrängnis zu benutzen. Jede Übereilung,

jede Hast, vorher zur Entscheidung zu kommen, kostet uns die Stellung, jene sicher und bald eintretenden Umstände benutzen zu können. Daß

diese Benutzung sich nicht innerhalb der Defensive halten kann und halten

wird, ist selbstverständlich.

Was das Verhältnis des Kronprinzen zur Opposition anlangt, so ist die Bildung einer kronprinzlichen Partei, die von ihm inspiriert würde,

geradezu

unmöglich,

höchstens

würden

schwächlichsten Art dazu hergeben.

sich

ein paar Altlibcrale

der

So etwas, ein Eingreifen, ein Leiten

des Parteikampfes verlangt man vom Kronprinzen nicht.

Eine Partei,

die sich dazu hergäbe, würde sich im Lande geradezu diskreditieren?)

An Verbreitung tüchtiger Flugblätter, deren Verfolgung und an

Verurteilungen wird es übrigens nicht fehlen, die Arbeit hat begonnen. Schaffen Sie uns nur recht gute Sachen; was hier nicht druckbar ist, wird anderweit besorgt.

Aber noch

gebricht es an Manuskript.

besten Kräfte auf Reisen, die ganze Presse macht Ferien!

Die

Auch hier be­

darf es einiger Wochen, um etwas zu liefern.

Darum Geduld! Wir haben

15 Jahre gewirkt und die Ausdauer

nicht verloren, neuerlich die großen Erfolge in der Arbeiterfrage, die viel wichtiger sind als das bißchen Oktroyierung, und uns viel größere

Garantien für den Sieg unserer Sache bieten — und nun sollen wir in blinder Hast, um die Sache um einige Monate zu zeitigen, alles

mühsam und allmählich Gewonnene preisgeben? — Nein, solche Miß­

griffe überlassen wir lieber unseren Gegnern.

Möge man jetzt auf uns

schimpfen, der Erfolg wird uns recht geben! Was Sie von einer literarischen Mitteilung des bezüglichen Brief­

wechsels schreiben,

davon ist mir nichts bekannt, auch den gestern ver­

sammelten Freunden nichts.

Aber die Süddeutsche Zeitung, höre ich,

zeigt dergleichen an? — Von hier geht eine solche Indiskretion nicht aus?) Mit den Arbeiterkrawallen in Berlin ist es nichts.

Kein ordentlicher

Arbeiter läßt sich in diesem Augenblicke dazu hinreißen; ich würde mich selbst dazwischenwerfen, denn ein größerer Dienst könnte der Reaktion nicht geschehen.

Höchst verdächtig sind die Entschuldigungen und Verteidigungen der Kreuz­ zeitung — ich höre von gut unterrichteter Seite, daß, wie am Schillersest, Geld­ verteilungen unter Lehrjungen und bestraften Subjekten stattgefunden haben.

Vieles möchte ich wohl mündlich noch weiter besprechen, brieflich will's nicht gehn! T) Vgl. zu diesem Briefe R. Haym, Das Leben Max Dunckers. Berlin 1891 S. 292 ff.; Bismarck, Gedanken und Erinnerungen 1, 316—330. 2) Die Süddeutsche Zeitung hatte am 8. Juli Mitteilungen aus dem infolge der Danziger Rede des Kronprinzen Friedrich Wilhelm entstandenen Briefwechsel zwischen ihm und seinem königlichen Vater gebracht.

Reden in der Konfliktszeit.

225

Potsdam, 14. Juli 63. P. Scr. Ich habe den vorstehenden Brief noch zurückgehalten, weil ich gestern nicht nach der Stadt kam und die Sache nicht pressierte. Da erhalte ich Ihren Brief vom 12 kn. Soweit ich kann, wird Ihren Wünschen Genüge geschehen. Ich weiß nichts von dem qu. Memoriale1),2 doch ist schon Order gegeben, und soll jede Vorsicht gebraucht werden.

Doch glaube ich, wird man sich hüten und zurückgehen.

HL Die Wahlfreiheit der Beamten. Rede in der neunten Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. November 1863.

Zur Beratung stand ein Antrag Schulze und v. (Larlowitz (Görlitz): „Behufs der Information des Hauses wegen der bei den letzten

Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Be­ einflussung der Wähler und Verkümmerung der verfassungs­ mäßigen Wahlfreiheit preußischer Staatsbürger wird in Gemäß­ heit Art. 82 der Verfassung?) eine Kommission zur Untersuchung der Tatsachen eingesetzt und derselben aufgegeben, die geeigneten Ermittelungen vorzunehmen und dem Hause Bericht darüber zu erstatten." Nachdem die Abgg. GrafSchwerimputzar, v. Blanckenburg (Naugard),

Reichensperger (Geldern), v. d. Heydt (Ziegenrück-Schleusingen) dagegen, die Abgg. Becker (Dortmund), Wachter (Breslau) und Virchow (Saar­ brücken) dafür gesprochen, der Minister des Innern Graf zu Eulenburg seinen Wahlerlaß3) verteidigt und angekündigt hatte, daß die gegen den Wunsch der Regierung eingesetzte Kommission von ihr keine Unterstützung zu erwarten habe, kam Schulze zum Wort:

Man hat von feiten der Gegner des Antrages und namentlich auch von feiten des Herrn Ministers des Innern die Frage aufgestellt: was man damit eigentlich wolle, weshalb man noch faktische Ermittelungen stattfinden lassen wolle, da ja in den bereits vorliegenden Tatsachen ein

hinreichendes Material zur Benutzung nach den verschiedensten Richtungen bereits vorliege. Nun, meine Herren, ich meine denn doch, eine Jnfori) In den Papieren Schulzes nicht vorhanden. 2) Art. 82: Eine jede Kammer hat die Befugnis, behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen zu ernennen. 3) Vgl. S. 222. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

15

Reden in der Konfliktszeit.

225

Potsdam, 14. Juli 63. P. Scr. Ich habe den vorstehenden Brief noch zurückgehalten, weil ich gestern nicht nach der Stadt kam und die Sache nicht pressierte. Da erhalte ich Ihren Brief vom 12 kn. Soweit ich kann, wird Ihren Wünschen Genüge geschehen. Ich weiß nichts von dem qu. Memoriale1),2 doch ist schon Order gegeben, und soll jede Vorsicht gebraucht werden.

Doch glaube ich, wird man sich hüten und zurückgehen.

HL Die Wahlfreiheit der Beamten. Rede in der neunten Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. November 1863.

Zur Beratung stand ein Antrag Schulze und v. (Larlowitz (Görlitz): „Behufs der Information des Hauses wegen der bei den letzten

Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Be­ einflussung der Wähler und Verkümmerung der verfassungs­ mäßigen Wahlfreiheit preußischer Staatsbürger wird in Gemäß­ heit Art. 82 der Verfassung?) eine Kommission zur Untersuchung der Tatsachen eingesetzt und derselben aufgegeben, die geeigneten Ermittelungen vorzunehmen und dem Hause Bericht darüber zu erstatten." Nachdem die Abgg. GrafSchwerimputzar, v. Blanckenburg (Naugard),

Reichensperger (Geldern), v. d. Heydt (Ziegenrück-Schleusingen) dagegen, die Abgg. Becker (Dortmund), Wachter (Breslau) und Virchow (Saar­ brücken) dafür gesprochen, der Minister des Innern Graf zu Eulenburg seinen Wahlerlaß3) verteidigt und angekündigt hatte, daß die gegen den Wunsch der Regierung eingesetzte Kommission von ihr keine Unterstützung zu erwarten habe, kam Schulze zum Wort:

Man hat von feiten der Gegner des Antrages und namentlich auch von feiten des Herrn Ministers des Innern die Frage aufgestellt: was man damit eigentlich wolle, weshalb man noch faktische Ermittelungen stattfinden lassen wolle, da ja in den bereits vorliegenden Tatsachen ein

hinreichendes Material zur Benutzung nach den verschiedensten Richtungen bereits vorliege. Nun, meine Herren, ich meine denn doch, eine Jnfori) In den Papieren Schulzes nicht vorhanden. 2) Art. 82: Eine jede Kammer hat die Befugnis, behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen zu ernennen. 3) Vgl. S. 222. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

15

Schulze-Delitzsch.

226

mation, wie sie die beantragte Kommission bezweckt, die setzt noch mehr voraus, als ein bloßes beiläufiges Zurkenntniskommen dieser oder jener Tatsachen

bei einzelnen

auf andere Zwecke

hinzielenden Diskussionen.

Sie will eine Vervollständigung der Tatsachen, wenn namentlich in dem zur Kenntnis Gekommenen die greifbaren deutlichen Spuren vorhanden sind, daß noch eine ganze Masse ähnlicher Tatsachen vorliegen, sie verlangt

eine Gruppierung der Tatsachen, damit eben aus diesem vollständigen und übersichtlich geordneten Material begründete Anträge an das Haus

gestellt werden können.

Denn, meine Herren, mit den bloßen Wahlkassationen, wie einige der Herren meinten, ist doch die Sache wahrhaftig nicht vorbei.

Dadurch

wahren wir wohl unsere Rechte bei der Legitimationsprüfung in bezug

auf bereits vorgekommene Unregelmäßigkeiten.

Aber, meine Herren, die

Einsetzung der Kommission zielt nicht allein auf die Vergangenheit, sie zielt zugleich mit auf die Zukunft, und schon vor mir haben einige der

Herren Redner geltend gemacht, daß es hier wesentlich darauf ankomme, daß wir in diesem Hause uns der Wahrung des Rechts unserer Wähler

und somit einer unserer höchsten Pflichten unterziehen.

Die Dinge gehen

weiter, selbst wenn Sie Wahlen kassieren und nicht zugleich gegen die

Beeinflussungen selbst mit aller Macht auftreten, so wird man bei den Nach­

wahlen mittels

derselben Operationen vielleicht dieselbe Wahl hervor­

bringen, nur daß die Beeinflussungen dann vorsichtiger auftreten und

keinen äußeren Anhalt zur Kassation bieten. Ebensowenig ist die Sache abgemacht, wenn man bei den einzelnen

Wahlprüfungen jedesmal besondere, auf den Schutz der Wahlfreiheit ab­ zielende einzelne Anträge formulieren und einbringen wollte, wie der

Herr Minister des Innern rät.

Welche Masse von Wiederholungen und

Verzögerungen hätten Sie damit in das Haus gebracht! Nein, diese An­ träge müssen mit der Ordnung des ganzen Materials und mit dessen

Ergänzung in ihrer Gesamtheit dem Hause unterbreitet werden und je nach dem Befund der Regierung gegenüber vertreten und dem Lande

gegenüber geltend gemacht werden, wenn sie irgendeinen Erfolg haben, einen Eindruck hervorbringen sollen.

Weiter hat man die Befugnisse der Kommission, ihre äußere Wirk­ samkeit für sehr unbedeutend und nicht ausreichend gehalten.

nisse im einzelnen stehen in verstehen sich aber von selbst.

der Verfassung freilich

Die Befug­

nicht angegeben,

Eine Kommission zur Untersuchung von

Tatsachen muß diese festzustellen befugt sein mit allen geeigneten Mtteln, wenn sie ihrem Zweck genügen soll.

Ja, meine Herren, ich konnte mich

wohl der Äußerung des Herrn Ministers des Innern, die Sie eben gehört zum

haben,

voraus

versehen

bei

Stellung

des

Antrags,

„daß

die

Regierung der Kommission nicht besonders freundlich entgegenkommen Ich meine aber, wenn wir dabei die Mitwirkung der Königlichen

würde".

Staatsregierung nicht in der Weise, wie wir wohl nach dem Gesetz bean­

spruchen können, erfahren werden, so wird man uns von anderer Seite

desto bereitwilliger entgegenkommen.

Im ganzen Lande wird man unseren

Aufforderungen zur Bereicherung des schätzbaren Materials freudig nach­ kommen, die Dokumente werden sich einfinden, und es werden sich ganz

von selbst in besonders flagranten Fällen auch die Zeugen der Kommission

stellen.

Ich könnte dem verehrten Mitglieds für Geldern *) in bezug auf

das, was er von der Glaubwürdigkeit solcher Zeugen, die sich so freiwillig darbieten, von dem Verfahren bei den Zeugenverhören sagt, antworten:

Wir brauchen die Zeugen nicht zu vereiden, schon deshalb, weil wir das

Urteil nicht fällen.

Es ist ein Informativ-Verfahren, auf welches wir

Anträge unter Umständen auf strafrechtliche Verfolgung gründen, wo

dann die Vereidung später erfolgen mag.

Und wenn man etwa wohlbegründeten, mit hinreichenden Tatsachen und Beweisen unterstützten Anträgen seitens der Behörden keine Folge

gibt, dann würde die Königliche Staatsregierung öffentlich vor aller Welt in die Mitschuld ihrer Beamten eintreten.

Das wäre auch ein Erfolg.

(Sehr wahr!)

Was nun die Glaubwürdigkeit solcher Zeugen betrifft, die sich bei der Kommission selbst melden, so sagt der Herr Abgeordnete für Geldern,

seien dies Leute von einem gewissen Parteistandpunkte, die,

weil die Vereidigung fehle, wenig Glauben verdienen.

namentlich

Ich akzeptiere das

erstere, aber ich will mir erlauben, die Partei zu charakterisieren, der

solche Leute angehören.

Sie gehören der großen Partei an, die Unab­

hängigkeit und Rechtsgefühl besitzt im Lande, und ich glaube, wenn sich solche Leute freiwillig der Regierung gegenüber melden und der Gefahr

aussetzen, sich dieser mißliebig zu machen und gemaßregelt zu werden, sie

eher die Präsumtion der höchsten Glaubwürdigkeit für sich als gegen sich hätten.

(Sehr wahr!)

Wir haben die Pflicht unseren Wählern gegenüber, daß, wenn die­

selben

in

der Ausübung ihres heiligsten Rechtes von den Behörden

beschränkt werden, wir dagegen auftreten und mit allen uns verfassungs­ mäßig zustehenden Mitteln sie erkämpfen müssen, denn nur dadurch wird

*) Reichensperger.

228

Schulze-Delitzsch.

die Ermutigung derselben herbeigeführt, und wenn wir das nicht tun, so

kann das nur eine Entmutigung im Lande zur Folge haben.

Schon

massenhaft sind uns Tatsachen in betreff der Wahlbeeinflussungen mit­

geteilt worden, die wir bei den einzelnen Wahlprüfungen nicht alle an­ führen konnten, die zum Teil auch erst später eingegangen sind.

Wenn

wir darauf gar nichts tun und mit diesem Material gar nichts anzufangen

wisfen, dann weiß ich nicht, was man im Lande über uns urteilen soll. Wir verlangen und erwarten von den Wählern, daß sie uns stützen sollen in unserer schweren Aufgabe, sie sollen nicht lau werden, wenn unsere Kämpfe lange dauern; wir verlangen, daß sie fest beharren auf den

Forderungen und Prinzipien, zu deren Vertretung sie uns hergesandt haben.

Wenn wir von unseren Wählern aber verlangen, daß sie uns in

unserer Tätigkeit stützen sollen, dann sind auch wir unsererseits verpflichtet,

unsere Wähler in ihren Rechten zu schützen, soviel es uns möglich ist,

hauptsächlich in freier Ausübung desjenigen Rechts, vermöge dessen es ihnen allein möglich ist, unmittelbar für uns einzutreten.

(Bravo!)

Ich komme nun von diesen mehr formalen und Zweckmäßigkeits-

Einwänden auf den materiellen Einwurf, der weiter gemacht wird.

Der

alte Konflikt zwischen uns und der Regierung, so heißt es, würde durch diesen Antrag verschärft und ein neuer Konflikt herbeigeführt.

Der Herr

Korreferent *) hat Ihnen schon die Gründe angegeben, weshalb dies ganz

gewiß nicht zutrifft.

Ein neuer Konflikt ist es auch im Grunde gar nicht,

es ist der alte Versassungskonflikt in seinem innersten Kern, nur nach einer anderen Seite hin.

Die Wahlbeeinflussungen sind es gerade, meine

Herren, und deswegen müssen wir hier anfassen, die den ganzen Ver­

fassungskampf zu dem unmittelbaren Bewußtsein des ganzen preußischen

Volkes bringen.

An diesem Punkte, meine Herren, angegriffen, wird der

preußische Staatsbürger, der preußische Wähler nicht mehr bloß in den Vollbefugnissen

seiner

Vertreter

geschädigt,

sondern

jeder

einzelne in

seinem ureigensten Rechte unmittelbar und in Person gehindert und ge­

kränkt.

Es handelt sich da nicht mehr um den Konflikt der Regierung

mit diesem Hause, mit der Volksvertretung, wegen deren verfassungs­ mäßigen Rechts, wie in der Budgetbewilligung; nein, meine Herren, es

handelt sich jetzt um den Konflikt der Regierung mit dem Volke selbst

in der Schädigung des Rechts

aller

preußischen Wähler,

der

Wahl-

freiheit (Sehr wahr!) und das, meine Herren, haben wir wahrhaftig zu

konstatieren! Dabei sind wir und das Land im höchsten Grade interessiert. *) v. Forckenbeck.

Und zwar ist dieses Wahlrecht nach zwei Seiten hin alteriert.

Nicht

bloß, daß durch diese gesetzwidrigen Wahlbeeinflüssungen auf den Wahlakt

selbst

eingewirkt,

das

freie Abgeben der

Wahlstimme beeinflußt

und

gehindert, das Resultat also unter Umständen gefälscht wird: nein, man

gibt auch in der vollen Konsequenz dieses Systems seitens der Königlichen

Staatsregierung dem Ausspruche selbst, dem gültigen Gesamtvotum der Wähler, keine Folge! Worauf ich ziele, das sind die wiederholten Auf­ lösungen dieses Hauses, meine Herren, wegen einer und derselben Differenz.

Alle Verfassungen geben wohl einer jeden Regierung das Auslösungsrecht, das Recht der Appellation von der Meinung der Volksvertretung an das Volk selbst.

Das liegt ganz in dem konstitutionellen Prinzip.

Aber,

meine Herren, wie denn nun? Die Regierung legt diese verfassungsmäßige Berufung an die Wähler ein, löst das Haus auf, und die Wähler geben

den verlangten Spruch in den neuen Wahlen und verwerfen die Appellation, indem sie die Abgeordneten der früheren Majorität wieder in das Haus

entsenden. — Wie nun? Darf dann die Regierung das immer fortsetzen und immer und immer wieder, wenn sie den Spruch von der rechten

Instanz erhalten hat und er gefällt ihr nicht, von neuem appellieren? Von wem appelliert man und an wen appelliert man denn in dieser

Weise? Von dem Abgeordnetenhause an das Volk appelliert man dann

nicht mehr, wenn man in derselben Differenz Auflösung auf Auflösung

Man appelliert von dem Spruche des Volkes selbst — gegen

häuft.

dessen Entscheidung — und an wen? — formell an dasselbe Volk, der

Sache nach an sich selbst! (Sehr wahr!)

Meine Herren! Allerdings hat unsere Verfassung die Zahl der Auf­ lösungen und die Frist, in der sie aufeinander folgen sollen, nicht bestimmt,

der Buchstabe ist also

nicht verletzt.

Aber, wenn nicht der Geist der

Verfassung durch solche Maßnahmen verletzt wird, wenn nicht eine solche echt konstitutionelle Maßregel durch einen solchen Gebrauch in ihr absolutes

Gegenteil verkehrt wird, dann weiß ich nicht mehr, was das Ganze für einen Sinn haben soll, und was das konsÜtutionelle Prinzip überhaupt bedeutet.

(Bravo! Sehr wahr!)

Und wer sind denn nun diese über

den Spruch der Wähler an sich selbst appellierenden Herren Minister?

Was bieten sie dem Lande, um sich zu dieser eminenten völlig über und außerhalb der Verfassung stehenden Stellung zu qualifizieren? Was wissen

wir von ihnen? Sie können nicht regieren mit dem Budgetrecht des

Hauses, sie können nicht regieren mit der Preßfteiheit; und endlich in der

Das

letzten Chance,

ist

eine

sie

können

wunderbare

nicht regieren mit

Qualifikation,

um

auf

der Wahlfreiheit! Grund

derselben

Schulze-Delitzsch.

230

jene höchste Instanz über die Verfassung in Anspruch zu nehmen, denn Sie können

das heißt:

Verfassung regieren,

nicht mit der

zu deren

Kardinalpunkten alle jene Behinderungen ihrer Regierungsfähigkeit gehören.

Ja, solange die Verfassung in Preußen das Staats-

(Lebhaftes Bravo.)

sie können überhaupt gar nicht regieren!

bildet, heißt es,

grundgesetz

(Große Heiterkeit.

Sehr wahr!)

Bravo!

Verweilen wir noch bei den Beeinflussungen selbst und bei deren notwendigen Folgen und den Formen; da hat schon der Abgeordnete

v. Blanckenburg uns gesagt, daß Beeinflussungen nötig, daß sie auch von

unserer Seite ausgeübt worden seien.

Es wurden in dieser Beziehung

schon von dem Herrn Grafen Schwerin die Begriffe des geehrten Herrn

ein wenig rektifiziert. Beeinflussung?

Wer ist denn gegen eine erlaubte, ja gebotene

Wer wird denn bestreiten, daß man durch Schrift und

Rede, durch die Presse und durch Versammlungen, auf jede geeignete Weise einen Einfluß üben kann und darf auf die Überzeugung seiner Mitbürger?

Wer will denn das hindern?

Gewiß doch wir nicht.

Wir

hindern einen solchen Einfluß gewiß nicht; sondern, wenn jemand den­ selben beschränkt, namentlich in der Presse, so ist es die Regierung.

Sie,

und in ihrer Unterstützung die konservative Partei, setzt eine andere Art der Beeinflussung an die Stelle der von mir erwähnten, und deshalb

möchte ich einen weiteren Bezug hier anknüpfen für die Herren, die jener Fraktion angehören.

(Auf die konservative Fraktion deutend.)

Es gibt

außer der gedachten noch eine zulässige Art des Einflusses bei den Wahlen,

das ist der Einfluß, der in einer bedeutenden sozialen Stellung liegt,

Die Intelligenz ist in diesem Sinne eine

wenn er richtig geübt wird.

Macht, der Großbesitz ebenso. Eine Persönlichkeit, um die sich viele andere gruppieren, die ein großes Interesse repräsentiert, an welches sich viele

kleine anlehnen, übt Einfluß.

Die Großindustrie, der große Grundbesitz

haben Einfluß vermöge ihrer sozialen Stellung auf viele, welche in ihrer Existenz auf sie angewiesen sind.

Das ist eine Tatsache, das ist natür­

lich, das kann man nicht verbieten, wer will ihnen diesen Einfluß nehmen? Aber Sie, meine Herren, die Sie in einer so günstigen Stellung sind,

müssen sich doch wenig sicher darin fühlen, geradezu

Weise

in

herausfordern, diesem

Einfluß

sie

durch

zu

ihre

stützen!

daß

Sie die Regierung

Beamten

So

denkt

auf

und

ungesetzliche handelt

eine

wahrhafte Aristokratie, und als solche prätendieren Sie doch zu gelten, nicht,

eine

wahre

in der ganzen

des Volkes hat.

Aristokratie,

welche

die

Wurzeln

ihrer

Stellung

politischen Entwicklung und den materiellen Interessen

So etwas könnte dieselbe eher vernichten als stärken.

Das könnte Ihnen doch ein einziger Blick in die Geschichte recht leicht

klarmachen! Meine Herren! Es muß ein eignes schönes Gefühl sein, durch eine Beeinflussung von der Art, wie wir sie bekämpfen — wie der Herr Graf von Schwerin sich ausdrückte, durch Benutzung von Peitsche und Zuckerbrot — einen Sitz hier im Hause einzunehmen. (Heiterkeit.)

Ich gestehe, das ist Liebhaberei. Ich weiß nicht, wie ich bei meiner einfach bürgerlichen Auffassung mich solchenfalls ausnehmen würde. Doch meine ich, wir haben uns diese Dinge einfach vom Leibe zu halten

und darauf zu halten, daß nur der rechte Einfluß, der heilsame, gesetz­ mäßige Einfluß bei den Wahlen geübt werde. Die Herren (nach rechts auf die konservative Fraktion deutend), welche bei ihrer wichtigen sozialen

Stellung ohnehin schon eine so günstige Position haben, stellen sich ein Paupertätszeugnis aus und zeigen, daß etwas faul sein muß in ihrer Stellung, weil sie diesem berechtigten Einfluß mißtrauen und eine andere Gewalt zu ihrer Unterstützung aufrufen, die der Ungesetzlichkeit. (Sehr richtig! Bravo!) Ich spreche nun zunächst von der Beeinflussung, welche seitens der Regierung gegen alle Klassen von Staatsbürgern, soweit man nur reichen konnte, geübt ist, und zwar durch vollkommene Verwirrung der politischen Begriffe. Das ist die Sache, die schon neulich hier erörtert worden ist und auf die ich daher nur ganz kurz einzugehen brauche. — Ich meine, die Verwirrung der Begriffe von dem Gegensatze, der zwischen Ver­ fassungstreuen und Königstreuen in zahllosen amtlichen Erlassen zu lesen steht. Nun, meine Herren (nach rechts gewendet), wohin soll das führen? Es ist schon in den früheren Debatten hervorgehoben; ich will deshalb das Bild nur noch mit einem kleinen Zuge vervollständigen. Wenn man die Leute in unserem Lande wirklich dahin brächte, wenn es gelänge,

die beiden Begriffe verfassungs- und königstreu wirklich in einen Gegen­ satz bei ihnen zu bringen und sie zur Entscheidung für das eine oder andere zu drängen; und wenn die Mehrzahl des preußischen Volkes nun zu der Entscheidung käme, die Verfassung sei doch nicht so übel und sie wollte daran festhalten — nun, meine Herren, was hätten Sie dann gemacht? Wem hätten Sie einen Dienst damit geleistet? Der Monarchie doch gewiß nicht! (Lebhaftes Bravo!) Ich will aber davon abgehen und materielle Einwirkungsmittel kurz

erörtern. Der Wähler wird also mit Drohungen bestürmt, durch An­ drohung von Schäden und Angebot von Vorteilen. Da handelt es sich um verschiedene gewerbliche Konzessionen, da werden Lieferungsverträge

232

Schulze-Delitzsch.

mit Behörden in Aussicht gestellt oder zurückgezogen — wer könnte nicht

spezielle Fälle davon anführen!

(Zustimmungsrufe von allen Seiten.)

Sie sind uns allen nahe genug getreten.

Ich will nicht bis auf alle

die kleinlichen Geschichten heruntergehen, wie sie mir in meinem Wohn­ orte vorgekommen sind, die wirklich im äußersten Grade an das Komische streifen; — mir ist die Sache und die Debatte hier viel zu ernst dazu! Nun, meine Herren, worauf spekuliert man, um die Dinge durch­ zubringen; worauf rechnet man, wenn man sich einen Erfolg solcher

Mittel verspricht?

Auf alles Niedrige und Gemeine in der menschlichen

Natur (Stürmisches Bravo!); man spekuliert auf die Feilheit, man pro­ klamiert die Feilheit als das besttmmende Mottv des öffentlichen Lebens

in unserem Staate!

(Wiederholtes Bravo.)

Auf eine solche Grundlage stützt das Ministerium sein System!

Bedenkt man denn gar nicht,

welch' unzuverlässige Stütze dies ist?!

Feile, die man in solcher Weise gewonnen, die fallen in der Stunde der Gefahr am ersten wieder ab, — auf die möchte sehr schwer sich zu ver­

Denn wenn der Ernst der Situation und die Gefahr des

lassen sein!

Schadens an sie herantritt, so werden sie das schwankende Gebäude als

dessen Grundsäulen nicht mehr tragen wollen, — um nicht von ihm im Sturze mitgetroffen zu werden. — Aber das ist nur die eine Seite der

Sache, und wir haben alle genug Gelegenheit gehabt, der andern zu machen.

Erfahrungen von

Meint man wirklich, nachhaltig die Bedrohten

zu sich herüberzuzwingen, deren augenblickliche Not oder Schwäche man gemißbraucht?

O, meine Herren, das ist ein System, welches den furcht­

barsten Haß, der nur denkbar ist, gegen sich hervorruft gerade bei den­

jenigen, welche man auf solche Weise unter sich beugt.

Es ist die furcht­

barste Demütigung, die schwerste Kränkung, die man begeht, wenn man einen Menschen vor sich selbst erniedrigt und ihn zwingt, sich öffentlich

vor seinen Mitbürgern dazu zu bekennen!

Wohl, der Gezwungene denkt

dabei an Frau und Kind, an seine klägliche Lage, an Hunger und Kummer

— aber das Gefühl wird er trotzdem nicht los, daß er allen seinen Ge­ nossen als ein kläglicher Mensch erscheint, der solchen Rücksichten nach­

geben muß, der nicht den Mannes- und Bürgermut besitzt, wie ihn die allgemeine Achtung bedingt, seiner Überzeugung in einer wichtigen großen Angelegenheit ohne jede Rücksicht und zum eigenen Schaden Ausdruck zu geben.

Zu mir ist mehr als einer gekommen mit der brennendsten

Scham und mit der bittersten Klage, und ich glaube, viele von Ihnen

haben solche Fälle so gut erlebt als ich.

allen Seilen.)

(Lebhafte bejahende Zurufe von

Ja, meine Herren, von den Leuten, die gegen uns gestimmt haben, weil sie mußten — sind die Wünsche und stillen Gebete für uns gewesen.

Und nun sprechen Sie noch von Majoritäten! Beiläufig, meine Herren, mache ich noch auf einen Zug hierbei auf­ merksam, den wir schon bei einigen ähnlichen Angelegenheiten bemerkt haben, eine vielleicht unbewußte Hinneigung des von der Regierung geübten Systems zu gewissen sozialistischen Versuchen und Bestrebungen,

die Sie kennen?) Ja, meine Herren, jene sozialistische Schule erklärt auch die Magenfrage zur Hauptsache bei der Lösung der großen sozialen Auf­ gabe. Behüte Gott unser Vaterland davor, daß es den Herrn Ministern gelingt, diese Magenfrage nicht in der Weise, wie wir gesehen haben, zur Kapitalfrage zu machen, und lassen Sie unsrerseits uns alles tun, daß die großen Fragen unseres Landes gelöst werden mit Herz und dem Kopf der Nation! (Lebhaftes Bravo!) Lassen Sie mich nun noch ein paar Worte insbesondere über die Beeinflussung der Beamten, die eine so große Rolle hier einnimmt, sagen. Es ist schon in der Diskussion ausgeführt, daß, wenn man jemand sagt,

wie er wählen muß, man ihm dann faktisch das Wahlrecht nimmt. Wählen setzt freie Entscheidung, einen freien Entschluß nach dieser oder jener Seite voraus: eine Wahl kann nicht anders gedacht werden. So­ wie Sie jemand sagen: Du kannst wählen, aber du mußt so wählen, so nehmen Sie ihm sein Wahlrecht. Darüber besteht kein Zweifel. Wenn dem nun so ist, und wenn es feststeht, daß dem Beamten, wenn sie nicht nach Order wählen, mit Dsiziplinaruntersuchung gedroht ist, so haben wir zwar von dem Herrn Minister des Innern vernommen, daß dies nicht mit seinem Willen geschehen sei. Aber der Herr Minister wird mir erlauben, solange er die Vorteile des Systems akzeptiert, und die Verfolgungen, die bereits demgemäß eingeleitet sind, nicht sistiert, so lange seine den Druck übenden Organe höchstens einen kleinen, milden Verweis bekommen und nicht wegen Mißbrauchs ihrer Amtsgewalt bestraft werden: so lange kann ich ihn von der Kooperation nicht lossprechen, und ich glaube, meine Herren, Sie stimmen mir bei. (Lebhaftes Bravo.) Ich muß dabei verbleiben: Durch die Verfügungen, wie sie uns vorliegen, von vielen Regierungen, Landräten usw., und wie die Kom­ mission sie uns in noch größerer Menge herbeiführen wird, ist das Wahl­ recht der Beamten faktisch aufgehoben. Wenn das aber der Fall ist, dann dürfte man die Beamten einfach nicht wählen lassen, denn dann *) Bismarcks Hinneigung zu Produktivgenosienschaften mit Staatshilfe.

Schulze-Delitzsch.

234

trifft der Begriff der Selbständigkeit nicht zu, den der § 8 des Wahl­

gesetzes verlangt.

Schon im Jahre 1848 kam der Begriff der Selb­

ständigkeit in dieser Beziehung in Frage, da man die privatrechtliche und die politische Selbständigkeit hierbei vermischte, und indem das deshalb erlassene Reskript vom 20. Dezember 1848 sagte, es müsse diese Selb­

ständigkeit in jedem einzelnen Falle nach den Umständen bemessen werden,

und daß man nicht allzuängstlich und zu strenge deduziere, sondern den

Begriff etwas weiter fassen solle, nahm es doch eins als feststehend an, indem es wörtlich sagt: „Gleichwohl gibt es gewisse persönliche Eigenschaften und äußere

Verhältnisse, welche den Inhaber der ersteren, beziehungsweise den von den letzteren Betroffenen, zeitweise oder für immer in einen

derartigen Zustand der Abhängigkeit versetzen, daß die zur Aus­ übung des Wahlrechts notwendige politische Selbständigkeit bei

ihm offenbar nicht als vorhanden angenommen werden kann." Nun, meine Herren, wenn man Beamte anweist, wie sie wählen

sollen und ihnen sagt, wenn sie nicht so oder so stimmten, daß sie dann zur Disziplinar-Untersuchung und zur Strafe bis zur Amtsentlaffung

gezogen werden sollen, so ist das ein Zustand, .wie er nicht trauriger sein kann, und die Beamten besitzen nicht die gleiche politische Selbständigkeit

wie die übrigen Wähler, so daß ihnen das Wahlrecht im Sinne des Gesetzes anvertraut werden könnte.

Dieser Gesichtspunkt ist bis jetzt in

den Debatten noch nicht hervorgehoben worden.

Weshalb — so frage

ich — hat denn der Gesetzgeber die Selbständigkeit als Grundbedingung, an welche die Ausübung des Wahlrechts geknüpft ist, hingestellt?

Doch

nicht bloß der Leute halber, welche unselbständig sind, denn diese sind überhaupt nicht in der Lage, ein Recht üben zu können.

Nein, meine

Herren, der Gesetzgeber hat verhüten wollen: daß durch die Abgabe von

beeinflußten Stimmen nicht das wahre Votum der freien und berechtigten Wähler verfälscht werde; es ist also ein Schutz der selbständigen Wähler

dagegen, daß durch Stimmen von Leuten, welche gar nicht in der Lage sind, frei wählen zu können, nicht das Resultat der ganzen Wahl ver­

kehrt werde. Und so und nicht besser verhält es sich auch mit den Beamten, wenn man sie in diese unselige Lage bringt. Lieber lasse man sie nicht mit wählen! denn, dürfen sie nicht nach eigener Überzeugung stimmen, so kann es ihnen gleichgültig sein, ob sie überhaupt ein Wahlrecht haben.

Sie sind dann keine Wähler, sondern gehen bloß auf Befehl in die Wahlversammlung und geben auf Befehl ihrer Oberen die ihnen zu­ diktierten Stimmen ab, und das heißt eben die übrigen Wähler auf das

empfindlichste beeinträchtigen in ihrer Stimmabgabe. bedenken.

Das ist wohl zu

Will das Ministerium daher auf diesem Wege vorgehen, so

muh es eine Gesetzvorlage einbringen, wonach die Beamten überhaupt des Wahlrechts beraubt werden — das ist das einzige Korrekte — so aber ist die Sache nicht korrekt.

Weiter ist schon gesagt, daß, wenn man die Beamten in die Lage bringt, vor aller Welt, in den Kreisen, in welchen sie leben und nach ihrer politischen Gesinnung bekannt sind, gegen diese handeln zu müssen,

daß dies kein Weg ist, die Beamten einer besonderen Achtung zu empfehlen. Und mit solchen Mitteln, meine Herren, mit deren Fortsetzung will

das Königliche Staatsministerium, wie wir neulich in der Debatte über

die Preßverordnung hörten, sein System durchführen, und hofft, bei all­ mählicher Anwendung desselben, zum Siege zu kommen.

Meine Herren!

Ich möchte doch wirklich wissen und fragen: welche Meinung haben die

geehrten

Herren

preußischen Volke?

aus

den Ministerbänken

denn

eigentlich

von

dem

Wäre es denn wirklich möglich, den tiefen Sinn für

Recht und Sitte in unserm Volke mit solchen Mitteln auf diese Weise

allmählich zu verkehren, die Feilheit und Gesinnungslosigkeit zum Prinzip

des öffentlichen Lebens bei uns zu machen?

Ja, meine Herren, würde

der Widerstand unseres Volkes gegen dieses System

damit gebrochen,

dann wäre die Volkskraft selbst gebrochen und die Herren Staatslenker

möchten sich dann umsehen, wie sie mit einem solchen caput mortunm, welches dergleichen Experimente willenlos über sich ergehen läßt, in den

Stürmen fertig werden wollen, die bereits den Horizont Europas be­

drohen!

Da würden wir wohl mit größerer Berechtigung als der Ab­

geordnete von Blanckenburg ausrufen tonnen: Finis Borussiae!1) Wenigstens mit dem Preußen, welches wir alle im Herzen tragen, mit seinem geschicht­

lichen Berufe, damit wäre es aus, und ein anderes finge an, das Eldo­ rado einer gewissen Partei, wo man, um die kleinen Herren nach innen spielen zu können, nach außen hin die ganze Freiheit, Selbständigkeit des

Vaterlandes preisgebe.

Freilich den

Herren ist

es um nichts weiter

zu tun, als sich ein gefügiges Abgeordnetenhaus zu schaffen.

Das ist

die klägliche Eintagspolitik, an der wir laborieren; damit, meinen sie, ist die ganze Sache gemacht, dann werden sie mit allen Dingen fertig.

Ja,

da ist aber eins nicht in Rechnung gebracht: Gerade wenn das erreicht ]) Blanckenburg hatte gesagt, solange Preußen bestehe, habe die Regierung einen Einfluß auf alle Klassen des Volkes geübt und dadurch sei Preußen groß geworden. Wenn diese Beeinflussung in Zukunft auf den Nationalverein über­ gehen sollte, dann werde es bald heißen: Finis Borussiae.

Schulze-Delitzsch.

236

wäre, dann finge die Gefahr erst recht an.

Wenn es wirklich dahin

kommt, daß das Volk sein Recht in diesem Hause nicht mehr vertreten sieht und nicht mehr seine rechte unverfälschte Meinung hier erschallt,

dann geraten die Dinge in andere Geleise und die Herren mögen sehen, ob sie damit fertig werden.

Dann wird das Volk nicht mehr auf seine

Vertreter blicken, weil es alle Hoffnung, alles Vertrauen auf dieselben eingebüßt hat, dann sieht es sich allmählich, wie die Geschichte erweist, von der Wahlurne zu anderen Mitteln hingedräfigt. Indessen, meine

Herren, es hat damit noch nicht so große Gefahr.

Die Herren setzen

es nicht durch! Wir sitzen wahrlich nicht im tiefsten Frieden auf einer Insel der Südsee ganz abgesperrt von allen Dingen, die in Europa vorgehen, o nein!

Die Zeiten sind vor der Tür, die Stunde kommt, wo man des

Volkes bedarf (Sehr richtig!), und dann wird über dieses System zu Gericht gesessen werden.

Nur das eine ist dabei schlimm, daß wir alle

diese Entwicklungen der Grundlagen, der Größe, des Gedeihens und des Wohlstandes, wie der bürgerlichen Freiheit in unserem Vaterlande an die Not des Vaterlandes knüpfen müssen, und daß ein Moment nach

dem andern dahingeht, wo ein Ministerium, eine Regierung, welche das

Volk und seinen Geist und seine wahren Interessen verstände, den großen Zielen, wie sie in unserem Staate winken, die ganze

sich, mit vollen Segeln zuzusteuern vermöchte?)

Volkskraft hinter

(Bravo!)

Darauf erwiderte der Minister des Innern, er glaube nicht, daß diese Art des volksrednertums, die in künstlicher Lxtase unbewiesene Behauptungen vorbringe, in diesem tzause großen Lindruck machen werde. Venn das Abgeordnetenhaus diese Rede in (00000 Exemplaren *) Gegen die Möglichkeit anderer lvahlbeeinfluffung der Beamten hat sich Schulze schon in den Verhandlungen der preußischen Abgeordnetenhauses vom 13. August 1862 ausgesprochen, als die Regierung die Bewilligung von 8ooo Taler beantragte, um daraus den Justizbeamten Zuschüffe zu ihren Gehältern in Form von Unterstützungen zu gewähren. Schulze"verlangte deren gesetzliche Verwendung durch Gehaltsaufbesserungen, indem er u. a. aussührte: „Um solche Gratifikationen muß der Richter bitten, er muß darum ein­ kommen und sein Gesuch begründen, wobei er, wenn nicht eine bestimmte Norm vorhanden ist, der vollkommenen Willkür und dem einseitigen Befinden des Chefs der Justiz anheimgegeben ist, ob dieser sie bewilligen will oder nicht. Das ist etwas, was geleistet wird nach dessen guten Willen; der Richter hat kein Recht darauf, es ist eine Gnade, die man gegen ihn ausübt." Nach einem Hinweise auf die belgische Verfassung, die ausdrücklich die Gewährung von ähnlichen und fortlaufenden Zuschüssen zu richterlichen Gehältern, welche nicht auf gesetzlichen

im Lande verteilen lasse, so erreiche es dasselbe wie mit der Einsetzung Dem Minister antwortete

der Rommission und könne sich diese ersparen. später Schulze:

Ich wollte nur das Urteil des Herrn Ministers des Innern, das

er über mich als Volksredner ausgesprochen, dankbar akzeptieren, und die Bemerkung, die ich ihrem ganzen Werte nach anschlage, mit ebenso wohlgemeinten Worten erwidern. Ich ersehe nämlich mit Genugtuung aus der Kritik, welche der Herr Minister in der erwähnten Beziehung übt, daß er mehr und mehr seit Antritt seines Ministeriums mit dem Volk und dessen Meinung und den Rednern, die sie aussprechen, sich zu

beschäfttgen anfängt.

Wenn er damit so fortfährt, kann vielleicht einmal

etwas recht Ersprießliches dabei herauskommen, und ich glaube allerdings, daß dazu viel Ursache seinerseits vorhanden ist. (Bravo! links.) Bei der Abstimmung wurde der obige Antrag mit großer Majorität angenommen.

112. Die Kassation der Wahl des Freiherrn von der Heydt. Rede in der 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 3. Dezember 1863.

Im Oktober (863 war der frühere preußische Zinanzminister v. d. tzeydt bei einer Neuwahl im Wahlkreise Ziegenrück-Schleusingen, einer preußischen Exklave in Thüringen, von der dortigen konservativen Partei als Randidat aufgestellt und gewählt worden. Dor der Wahl hatte v. d. Ljeydt die Absicht ausgesprochen, die ihm zustehenden parla­ mentarischen Diäten zum Besten des Wahlkreises verwenden zu wollen, Bestimmungen beruhen, ausschließt, fuhr er fort: „Nun, ich will nicht gerade von einem Gesetze reden, aber doch mindestens von einer Norm, die festgestellt werden sollte, unter welcher ein Justizbeamter eine solche Unterstützung zu beantragen das Recht haben könnte. So lange dies nicht ist, meine ich, daß die Unter­ stützung und die Nachsuchung um Unterstützung den Richter in eine deprimierende Lage bringt und auf Gratifikation hinausläuft. Man hat schließlich aus der Ablehnung der Regierungsvorlage ein Mißtrauensvotum gegen das jetzige Mi­ nisterium gemacht. . . Nun, wir haben so lange keine Ursache zu einem Ver­ trauensvotum, als Disziplinaruntersuchungen eingeleitet sind gegen richterliche Beamte, die nichts weiter getan haben, als sich ihres verfassungsmäßigen Rechts bei den Wahlen zu bedienen." In ähnlicher weise hat Schulze auch in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom Oktober \BG2 die Bewilligung von Geheimfonds an das Ministerium des Innern bekämpft.

im Lande verteilen lasse, so erreiche es dasselbe wie mit der Einsetzung Dem Minister antwortete

der Rommission und könne sich diese ersparen. später Schulze:

Ich wollte nur das Urteil des Herrn Ministers des Innern, das

er über mich als Volksredner ausgesprochen, dankbar akzeptieren, und die Bemerkung, die ich ihrem ganzen Werte nach anschlage, mit ebenso wohlgemeinten Worten erwidern. Ich ersehe nämlich mit Genugtuung aus der Kritik, welche der Herr Minister in der erwähnten Beziehung übt, daß er mehr und mehr seit Antritt seines Ministeriums mit dem Volk und dessen Meinung und den Rednern, die sie aussprechen, sich zu

beschäfttgen anfängt.

Wenn er damit so fortfährt, kann vielleicht einmal

etwas recht Ersprießliches dabei herauskommen, und ich glaube allerdings, daß dazu viel Ursache seinerseits vorhanden ist. (Bravo! links.) Bei der Abstimmung wurde der obige Antrag mit großer Majorität angenommen.

112. Die Kassation der Wahl des Freiherrn von der Heydt. Rede in der 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 3. Dezember 1863.

Im Oktober (863 war der frühere preußische Zinanzminister v. d. tzeydt bei einer Neuwahl im Wahlkreise Ziegenrück-Schleusingen, einer preußischen Exklave in Thüringen, von der dortigen konservativen Partei als Randidat aufgestellt und gewählt worden. Dor der Wahl hatte v. d. Ljeydt die Absicht ausgesprochen, die ihm zustehenden parla­ mentarischen Diäten zum Besten des Wahlkreises verwenden zu wollen, Bestimmungen beruhen, ausschließt, fuhr er fort: „Nun, ich will nicht gerade von einem Gesetze reden, aber doch mindestens von einer Norm, die festgestellt werden sollte, unter welcher ein Justizbeamter eine solche Unterstützung zu beantragen das Recht haben könnte. So lange dies nicht ist, meine ich, daß die Unter­ stützung und die Nachsuchung um Unterstützung den Richter in eine deprimierende Lage bringt und auf Gratifikation hinausläuft. Man hat schließlich aus der Ablehnung der Regierungsvorlage ein Mißtrauensvotum gegen das jetzige Mi­ nisterium gemacht. . . Nun, wir haben so lange keine Ursache zu einem Ver­ trauensvotum, als Disziplinaruntersuchungen eingeleitet sind gegen richterliche Beamte, die nichts weiter getan haben, als sich ihres verfassungsmäßigen Rechts bei den Wahlen zu bedienen." In ähnlicher weise hat Schulze auch in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom Oktober \BG2 die Bewilligung von Geheimfonds an das Ministerium des Innern bekämpft.

Schulze-Delitzsch.

238

wenn er gewählt werde, ein verzicht, der nach der Verfassung unzu­ lässig war. v. d. tzeydts Absicht war dann ohne sein wissen im ksenneberget Kreisblatt bekanntgemacht worden und führte einen Protest gegen

die Gültigkeit der Wahl herbei. Jn der Verhandlung darüber im Ab­ geordnetenhause hielt Schulze die folgende Rede: Ich freue mich, meine Herren, daß zuletzt der Herr Abgeordnete

Loewe diese in meinen Augen sehr einfache und sehr objektiv und lediglich

objeküv zu behandelnde Sache auf den Punkt gebracht hat, wo sie allein

hingehört. Was liegt uns vor? Klassifizieren wir einmal die Bekanntmachung des Wahlkommissarius *) oder die bestimmte Erklärung des Kandidaten, auf die Diäten zu verzichten! Ich glaube, ganz abgesehen davon, von wem sie ausgeht, etwas Strafrechtliches liegt gewiß nicht vor. Denn ein Kauf der Wahlstimmen kann darin nicht gefunden werden. Was liegt uns nun wirklich vor? Ein ganz bestimmter Verfassungs-Paragraph!^) Eben weil man dieser Art des Auftretens bei den Wahlen strafrechtlich nicht entgegentreten kann, deshalb tritt die Verfassung dem entgegen und be­ zeichnet damit, daß es etwas Bedenkliches um die Sache sein müsse,, wenn man einen besonderen Verfassungs-Paragraphen für notwendig erachtet hat, sich darüber auszusprechen. Wie ist es nun mit der Zurechnung dieser geschehenen Erklärung in bezug auf die Wahl des Herrn Freiherrn

v. d. Heydt? Meine Herren! Es kommt gar nicht darauf an, ob Herr v. d. Heydt diese Erklärung publiziert hat, ob er dazu veranlaßt hat, ob sie der Landrat publiziert hat. Es kommt nur und lediglich darauf an, daß sie überhaupt vor den Wahlen publiziert ist, (Sehr richtig! links). Und daß sie publiziert ist — das tritt noch hinzu, in dem amtlichen Organ des Kreises. Wenn Herr v. d. Heydt sagt, es wird nicht gelesen, oder es hätte keinen Einfluß, so sage ich, es ist die Nummer, die den 24. Oktober, am Sonnabend vor den Wahlen, herausgekommen ist — ich habe sie in meiner Hand —, sehen Sie sich aber, meine Herren, den übrigen Inhalt der Nummer an, und sagen Sie dann, ob dem Landrat das Inserat hätte entgehen können. Es steht wörtlich darin das Königswort zu den Wahlen an die Gemeinde Steingrund abgedruckt, es

kommt dann amtlich, was damit zusammenhängt, eine Bekanntmachung „die Abgeordnetenwahlen betreffend", im Auftrage des Wahlkommissarius von dem Kreislandrat von Schleusingen, dann wird die Liste der Wahl*) Aufforderung zur Wahl deS königstreuen Kandidaten.

S) Art. 85.

männer bekannt gemacht, die der amtlichen Bekanntmachung unmittelbar in bezug auf die bevorstehende Wahl folgt.

sehr für harmlos ausgerufene Annonce.

Und dann kommt die so

Wird der Landrat nicht ein

Blatt selber kontrollieren in dem Augenblick, wo die Entscheidung der

Wahl nahesteht? Wird er dieses Blatt nicht kontrollieren müssen? Wird

er nicht die Expedition überwachen müssen, toenn Erlasse von ihm so

wichtiger und durchgreifender Art für die Wahlen im Kreisblatte enthalten sind? Und dann, meine Herren, wollen Sie sagen, es ist so ganz zufällig

durch einen Anonymus hineingekommen! Und wenn es so hineingekommen ist, meine Herren, ich halte mich an das eine, was vorliegt, und was

im Gesetze als verwerflich und unzulässig qualifiziert ist.

Es hat die

Bekanntmachung stattgefunden, und diese Bekanntmachung ist das recht­

liche Moment, was den ganzen Tatbestand für uns vollendet; der Bekannt­ machung entspricht der tatsächliche Wille, der erklärte Wille des Kandidaten Herrn v. d. Heydt, ganz gleich, ob er dies vertraulich zu Freunden oder irgendwie geäußert hat; die Sache ist bekannt geworden, denn sonst hätte

sie nicht notifiziert werden können.

Dieser Wille, der feststeht, den er

zugesteht, den er im engsten Kreise erklärt zu haben zugibt, ist vor der Wahl den Wählern bekannt geworden.

Was wollen Sie weiter? Damit

ist der Tatbestand da, es hat die Beeinflussung stattgefunden, die die Verfassung unbedingt verwirft, und weiter zurückzugehen auf den Autor ist unnötig.

Erlauben Sie mir noch ein Paar Worte zu sagen: es hätte

für mich der Versicherung des Herrn v. d. Heydt, daß es nicht in seiner

Absicht

gelegen,

daß

eine öffentliche Bekanntmachung geschehen

nicht bedurft, das habe ich voraus gewußt.

sollte,

Da ist der Herr Abgeordnete

v. d. Heydt ein durch die ganze diplomatische Schule viel zu durchgebildeter,

politisch viel zu kluger Mann (Heiterkeit.), als daß er eine solche Unklug­ heit, wie diese es wäre, begehen würde, deren hält ihn gewiß niemand

für fähig, einen Mann, der die viel größere diplomatische Gewandtheit bewiesen hat, daß er den verschiedensten und entgegengesetztesten Systemen

gedient und sich alle Tage oben gehalten hat, ein solcher Mann wird

wahrhaftig eine solche Unklugheit nicht begehen.

(Lebhafter Beifall.)

Aber

wie gesagt, darauf kommt es nicht an, diese Erklärung, sein Wille ist im Wahlkreise bekannt geworden, unmittelbar vor den Wahlen, und zwar in

einem öffentlichen Organ, welches ganz speziell unter der Kontrolle des Landrates steht und in Verbindung mit direkten Wahlerlassen von Be­

hörden, in derselben Nummer, ist dies Inserat bekannt geworden, und

dann wollen Sie noch glauben, daß es den Wahlmännern unbekannt geblieben und daß sie nicht gewußt hätten, von welcher Seite es ausgeht.

Schulze-Delitzsch.

240

Ist dies glaubwürdig? Nein! — Wenn wir diesem Verfahren gegenüber die Wahl noch beanstanden wollen, so hieße das den Rechtspunkt der Frage verschieben, die uns wirklich so tatsächlich, so klar und objektiv vorliegt, wie kaum eine andere Frage! (Sehr richtig!) Meine Herren! Es ist dann das sittliche Moment hervorgehoben und gefragt worden, was wir durch die Ungültigkeitserklärung der Wahl erreichen würden, und ich glaube da nur auf die neulichen Debatten

zurückweisen zu müssen. Wenn aber der Herr Abgeordnete,') der sich für die Gültigkeit der Wahl erklärte, sagte, man dürfe der Ehre der Wähler nicht zu nahe treten und sagen, daß sie dadurch beeinflußt worden sind, so nehmen wir das auch gar nicht an, wir wollen durch die Kassation der Wahl nur, daß den preußischen Wählern dergleichen nicht einmal geboten werde und dafür haben wir den Paragraph der Verfassungs­

urkunde hinter uns. (Bravo!) Wir wollen uns dagegen verwahren, wir wollen nicht bloß die

Integrität eines Kreises wahren, das ganze preußische Volk ist interessiert,

daß in jedem Kreise die Wahlen mit voller Integrität erfolgen, es hat ein Interesse an dem Gesamtresultat aller Wahlen im Lande, deshalb kann man nicht davon reden, daß man dem einen oder dem anderen Wahl­ kreise zu nahe trete. (Bravo!) Will, meine Herren, das drängt sich mir dabei noch auf, der Herr Abgeordnete einmal seiner Generosität freien Lauf lassen, dann zeugt seine Qualifikation mehr für das Herrenhaus als für das Abgeordneten­

haus.

(Heiterkeit.)

Bei der Abstimmung wurde das Mandat für ungültig erklärt. Indessen wurde v. d. tseydt bei der Neuwahl mit größerer Majorität von dem Kreise wiedergewählt.

113. Das Etatsrecht des Preußische« Abgeordnetenhauses. I. Rede in der 24. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. Januar 1864.

Zu der Frage der Armeereorganisation gesellte sich die des DeutschDänischen Krieges. Eine Verordnung des dänischen Königs hatte im März (863 unter Mißachtung der Londoner Beschlüsse^) die Verbindung *) Dr. v. Bunsen (Rheinbach, Bonn). -) Vgl. Bd. III S. 339 f.

Schulze-Delitzsch.

240

Ist dies glaubwürdig? Nein! — Wenn wir diesem Verfahren gegenüber die Wahl noch beanstanden wollen, so hieße das den Rechtspunkt der Frage verschieben, die uns wirklich so tatsächlich, so klar und objektiv vorliegt, wie kaum eine andere Frage! (Sehr richtig!) Meine Herren! Es ist dann das sittliche Moment hervorgehoben und gefragt worden, was wir durch die Ungültigkeitserklärung der Wahl erreichen würden, und ich glaube da nur auf die neulichen Debatten

zurückweisen zu müssen. Wenn aber der Herr Abgeordnete,') der sich für die Gültigkeit der Wahl erklärte, sagte, man dürfe der Ehre der Wähler nicht zu nahe treten und sagen, daß sie dadurch beeinflußt worden sind, so nehmen wir das auch gar nicht an, wir wollen durch die Kassation der Wahl nur, daß den preußischen Wählern dergleichen nicht einmal geboten werde und dafür haben wir den Paragraph der Verfassungs­

urkunde hinter uns. (Bravo!) Wir wollen uns dagegen verwahren, wir wollen nicht bloß die

Integrität eines Kreises wahren, das ganze preußische Volk ist interessiert,

daß in jedem Kreise die Wahlen mit voller Integrität erfolgen, es hat ein Interesse an dem Gesamtresultat aller Wahlen im Lande, deshalb kann man nicht davon reden, daß man dem einen oder dem anderen Wahl­ kreise zu nahe trete. (Bravo!) Will, meine Herren, das drängt sich mir dabei noch auf, der Herr Abgeordnete einmal seiner Generosität freien Lauf lassen, dann zeugt seine Qualifikation mehr für das Herrenhaus als für das Abgeordneten­

haus.

(Heiterkeit.)

Bei der Abstimmung wurde das Mandat für ungültig erklärt. Indessen wurde v. d. tseydt bei der Neuwahl mit größerer Majorität von dem Kreise wiedergewählt.

113. Das Etatsrecht des Preußische« Abgeordnetenhauses. I. Rede in der 24. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. Januar 1864.

Zu der Frage der Armeereorganisation gesellte sich die des DeutschDänischen Krieges. Eine Verordnung des dänischen Königs hatte im März (863 unter Mißachtung der Londoner Beschlüsse^) die Verbindung *) Dr. v. Bunsen (Rheinbach, Bonn). -) Vgl. Bd. III S. 339 f.

Holsteins und Luxemburgs mit Schleswig gelöst, eine neue dänische Ver­ fassung vom {8. November des gleichen Jahres Schleswig vollständig

mit Dänemark verschmolzen. Hiergegen legte der Deutsche Bundestag Verwahrung ein, und als diese ohne Folge blieb, beschloß er die Bundesexekution. Zu deren Ausführung rückten am 23. Dezember bayrische und sächsische Truppen in Holstein ein. Da aber Bismarck in der populären und mittelstaatlichen Agitation zugunsten des Herzogs Friedrich

von Augustenburg und in dessen Wiederauftreten in Kiel eine Ver­ letzung des Londoner Protokolls sah, an dem er wenigstens äußerlich damals noch festhielt, so verband er sich mit Österreich, das die dänische Integrität wirklich aufrecht erhalten wollte, zu einem am 28. Dezember beim Bunde eingebrachten Antrag auf Besetzung Schleswigs als Pfand

für die Erfüllung der Forderung, daß Dänemark die Novemberverfaffung wieder aufhebe. Der Antrag wurde am \Januar {864 erneuert; am selben Tage begannen im preußischen Abgeordnetenhause die plenarverhandlungen über den Etat der Militärverwaltung für {864, in welchem der Kriegsminister v. Noon noch einmal den aus dem Vorjahr bekannten Standpunkt der Regierung beleuchtete und dem Hause tendenziöse Politik vorwarf. In der darauffolgenden großen Zahl der Redner empfahl Reichensperger (Geldern) sowohl der Regierung als der Volksvertretung eine gewisse Nachgiebigkeit, indem er entsprechende Einigungsvorschläge machte. Im Laufe der Debatte kam auch Schulze zum Wort: Meine Herren! Nur die ernste Mahnung des Herrn Kriegsministers, den ich leider in diesem Augenblicke nicht mehr auf seinem Platze sehe,

wonach es ihm bei seiner Motivierung der Vorlage der Königlichen Staats-

regierung weniger darum zu tun war, das Haus, welches er schon in fester Meinung in der Sache vorzufinden meinte, zu überzeugen, als viel­

mehr vor dem Lande seine Stellung zu motivieren, — nur dieser Umstand

gibt mir den Mut, Sie bei so vorgeschrittener Zeit wenige Minuten

noch in Anspruch zu nehmen.

Ja, die ganze Ansprache des Herrn Kriegs­

ministers war, das gab schon ihr Gedankenlauf, ihr Ton und ihre Haltung,

wesentlich auf das Land berechnet, und ich muß mir daher erlauben, einige Hauptpunkte derselben, die unser ganzes konstitutionelles Leben auf das

tiefste berühren, noch besonders hervorzuheben.

Zunächst muß ich doch

vielen der Herren Redner pro und contra noch hier im voraus bemerk­

lich machen, daß bei den Deduktionen der Gegenseite mir ein Haupt­ gesichtspunkt der uns vorliegenden Frage verfehlt zu sein scheint.

Ich

muß wiederholt darauf dringen, ein für allemal festzuhalten: wir beraten

hier den Friedensetat der Armee. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.



242

Schulze-Delitzsch.

Es wird also vieles von dem, was die Gegner vorgebracht haben,

von Krieg, Notständen in auswärtigen Verwickelungen, gar nicht auf den Gegenstand der Debatte passen.

Wie wir uns zu verhalten haben im

Angesichte eines großen Krieges, das ist eine andere Frage, die hier bei diesem Friedensetat gar nicht zum Austrage gebracht werden kann.

Wir

beraten hier in diesem Friedensetat dauernde, bleibende Zustände der

Militärverfassung und des Heeresstandes in unserem Lande, aber nicht ganz besondere außerordentliche Lagen, die vielleicht ganz andere Maß­

regeln erfordern dürsten.

In dieser Beziehung erwähne ich denn auch

gegen den letzten der Herren Redner/) der auch diese Rücksicht für seine Meinung geltend machte, indem er namentlich mit großer Zustimmung des

Hauses bemerkte: daß die Landwehr keine Waffe sei, um Demonstrationen damit zu machen.

Ich mache ihm in dieser Beziehung bemerklich, daß

das, wie er aus der großen Beistimmung entnommen haben wird, auch

die Meinung der sämtlichen Mitglieder auf der anderen Seite des Hauses

(links) sein möge, und ein Grund mehr, weshalb wir auf diese Waffe einen so hohen Wert legen.

Wir haben nicht gefunden, daß die bis­

herigen Demonstrationen, welche die Regierung mit vielen Kosten seit 1859

gemacht hat, besonders dazu geführt hätten, das Ansehen Preußens und die Meinung von der Energie seines Handels im Auslande sehr zu ver­

stärken.

Wir werden also wahrscheinlich allen solchen Demonstrationen

nicht so sehr geneigt sein, um uns deshalb für die Reorganisation zu entscheiden. Der Herr Kriegsminister ging davon aus, wie ich schon andeutete,

das Votum der Abgeordneten sei schon vorher festgestellt worden in den

Fraktionen; die Debatten im Hause würden daran schwerlich etwas ändern. Das ist in einer Hinsicht wahr, nur hat er sich in der Instanz bedeutend vergriffen, in welcher die Meinung der Abgeordneten schon vorher fest­

gestellt ist.

Es ist diese Instanz die große Majorität des ganzen Londes,

die nicht erst in den Fraktionen festgestellt zu werden brauchte!

Ich

glaube, es gibt kein Mitglied in diesem Hause, welches hier nicht schon

eingetreten wäre mit einer ganz bestimmten, festen Meinung über diese Frage (Lebhafter Beifall.), und ich würde mir erlauben, jedem Mitzliede, das nicht schon mit einer solchen bestimmten Ansicht pro und contra in dieser Frage hier eingetreten wäre, die ganze Qualifikation zum Volks­

vertreter abzusprechen.

(Viele Stimmen: Sehr richtig!)

Die Frage wird seit Jahren schon hier ventiliert, und ich vüßte 9 v. Mitschke-Collande (Trebnitz).

nicht, was man dazu sagen sollte, wenn man nicht bereits früher eine

feste Position darüber eingenommen hätte. Ich komme noch einmal zu dem Standpunkte des Herrrn Kriegsininisters, der für die ganze Situation so charakteristisch ist, wie ihn schon mehrere der Herren Vorredner angegriffen haben, wo er die vermeintliche

Wohlfahrt des Staates über die Gesetzlichkeit und über die Rücksicht auf die verfassungsmäßigen Befugnisse dieses Hauses setzte?)

Ich habe dem,

was das geehrte Mitglied für Brandenburgs) in dieser Beziehung sagte,

nur weniges hinzuzusetzen.

Er hat schon bemerkt, wie das der gerade

Weg sei, das ganze Staatswesen in seinen wichtigsten Fragen der sub­ jektiven Willkür eines jeweiligen Ministeriums preiszugeben.

Ich füge

hinzu, meine Herren, ich habe in dieser Beziehung wohl gehört und ge­

lesen in der Geschichte: daß in einzelnen ganz besonders gefährlichen und verzweifelten Lagen eines Staates sich große Staatsmänner und weise

Regierungen entschlossen haben, für den Augenblick zur Rettung der be­

drohten staatlichen Existenz über das Gesetz sich hinwegzusetzen und die

Indemnität von ihren Mitbürgern zu erwarten.

Aber, meine Herren,

bei einer dauernden Staatseinrichtung, wie bei der Heereseinrichtung im

Frieden, da uns mit salut public zu kommen, was heißt das, meine Herren? Das heißt die Ungesetzlichkeit und die Willkür zum dauernden Motiv im

Staatsleben machen und die wichtigsten Institutionen darauf gründen.

Und ich frage Sie, meine Herren, stimmen Sie nicht mit mir überein in dem Urteile, daß es das unheilsamste, verderblichste, das dem wahren

öffentlichen Wohl

am meisten Widersprechende ist, was es in einem

Staate geben kann, auf diese Weise die Ungesetzlichkeit zur Grundlage

der staatlichen Ordnung auf die Dauer machen zu wollen.

(Sehr richtig!)

Ich wüßte nicht, welches Unternehmen weniger Anspruch hätte, mit

der allgemeinen Wohlfahrt und der Rücksichtnahme auf das Staatswohl sich zu decken, als dieses.

Selbst ein gutes Gesetz, eine gute Einrichtung

auf diesem Wege eingeführt, schlagen durch den Rechtsbruch, der ihnen im

Keime anklebt, nicht zur Wohlfahrt des Staates, sondern zum Gegenteile um. Es ist dann noch gesprochen worden^) — und dies war wohl ein

Hauptargument gegen die Kommissionsanträge^) — von dem Ruin der

Armee, und daß, wenn von feiten der Regierung den Beschlüssen des *) Roon hatte gesagt, die Selbsterhaltung sei wie für das Individuum, so auch für den Staat die oberste Pflicht. 2) Abg. Staoenhagen. 3) Von Roon. ') Auf verschiedene Streichungen am Militäretat.

Schulze-Delitzsch.

244

Hauses in dieser Budgetfrage nachgegeben würde, eine entschiedene Des­ organisation in dem Heereskörper eintreten würde.

Nun glaube ich aber

doch, der Herr Kriegsminister und seine Kommissarien werden von den

vielfachen Verhandlungen dieser Sache, im Hause wie in den Kommissionen,

sowohl in den früheren Jahren, als auch jetzt wieder, Notiz genommen haben, ja, sie sind sogar verpflichtet gewesen, dies zu tun.

Hat man sich

denn in den Verhandlungen vom Jahre 1862 an etwa nicht selbst gesagt: daß man die Armee, wenn dieser Beschluß zur Ausführung käme, nicht

sofort desorganisieren dürfe und wolle? Hat das irgend jemand gewollt, meine Herren?

Schlagen Sie einfach die Kommissionsberichte nach, da

finden Sie Auskunft darüber.

Schon in dem vom Jahre 1862 ist

darüber eingehend verhandelt worden, und ich erlaube mir nur ein paar

Worte aus dem betreffenden Kommissionsberichte mitzuteilen:

„Die Mitglieder der Dkajorität der Kommission", heißt es darin, „waren darin einig, daß nach Ablehnung der Mehrkosten der Organisation die Staatsregierung veranlaßt sei, eine Vorlage, einen Nachtragsetat, dem die etwaigen Mehrbedürfnisse infolge

der seit dem 1. Januar 1862 aufrechterhaltenen Kriegsbereitschaft,

infolge ferner der Zurückführung des Heeres aus der Kriegs­ bereitschaft in eine Organisation, sei es innerhalb des Gesetzes von

1814, sei es innerhalb eines neu vereinbarten Gesetzes, der Landes­

vertretung zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorzulegen." Dasselbe sagt der Bericht wiederholt, und drückt namentlich die Bereitwilligkeit zur Ordnung der Sache aus, wenn die Regierung dem

verfassungsmäßigen Budgetrechte der Kammern nachgäbe, wie dies ihre

Pflicht nach der Meinung der Majorität dieses Hauses ist.

Also, meine Herren, mit dieser Tendenz, daß wir die Desorganisation

des Heeres, und gerade in der gegenwärtigen Zeit beabsichtigen, sollte man uns doch nicht kommen.

Mit gutem Glauben, meine Herren, kann

man es nicht, wenn man von den Verhandlungen, die in diesem Hause und in seinen Kommissionen gepflogen sind, überhaupt Kenntnis genommen hat.

Wir sollen, so mahnt uns der Herr Minister weiter, wohl bedenken, daß wir ein hohes Spiel treiben.

Ja, meine Herren, das ist wahr, wir

treiben ein hohes Spiel, aber dieses hohe Spiel, wenn man unseren

Kampf so nennen will, ist noch keiner der großen Nationen erspart worden, die überhaupt eingelenkt haben in das moderne Staatswesen; — dieses hohe Spiel müssen wir treiben.

Wir würden unsere Mission nicht

erfüllen, wenn wir nicht bereit wären — da die höchsten Güter der Nation,

die bürgerliche Freiheit, die ganze humane und wirtschaftliche

Entwicklung davon abhängen — dieses

hohe Spiel aufzunehmen und

unsererseits jeden Einsatz, der dazu gehört, willig dem Altare des Vater­ landes darzubringen.

(Lebhaftes Bravo.)

Aber, meine Herren, wenn die eine Seite dieses hohe Spiel auf sich nehmen muß, so gibt uns — da der Herr Kriegsminister selbst dieses Bild hereingezogen hat — so gibt uns die Geschichte auch Beispiele, daß

der Einsatz von der anderen Seite auch manchmal ein sehr hoher gewesen

und verloren worden ist.

(Ruf: Sehr wahr!)

Daß wir übrigens im Budgetrecht die Garantie aller verfassungs­ mäßigen Befugnisse dieses Hauses überhaupt preisgeben würden, darüber

verliere ich gegenwärtig kein Wort.

Und wenn schon der Herr Ab­

geordnete Stavenhagen Ihnen gesagt hat, „wenn wir den Gebrauch des­ selben aufgeben wollten bei der auswärtigen Politik der Regierung und bei Kriegen, wenn wir da nichts weiter als die Art der Kostenaufbringung

zu beschließen hätten, ohne unsere Prüfung behufs der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Geldbewilligung selbst eintreten zu lassen, dann gäben

wir eben das Budgetrecht auf", so füge ich dem noch hinzu: wenn je

eine Volksvertretung, die auf konstitutionellem Boden steht, diese Rücksicht zu nehmen hat, so hat die preußische Volksvertretung doppelt diese Pflicht.

Sie wissen

so gut wie ich, daß in unserer Verfassung das Steuer­

bewilligungsrecht uns nur sehr bedingt und sehr beschränkt zusteht.

Die

alten gewöhnlichen Steuern werden forterhoben, sie unterliegen nicht der

Neubewilligung mit jedem Etatsjahr, wie in anderen Ländern.

Aber,

meine Herren, unser Bewilligungsrecht tritt ein bei neuen Steuern, bei

außerordentlichen Ausgaben und bei Anleihen, die doch weiter nichts als

vorweggegrisiene Steuern sind.

Also gerade dieses Recht, dieser uns ge­

bührende Teil des sonstigen konstitutionellen Steuerbewilligungsrechtes

wird ja vorzugsweise praktisch bei Kriegen und dergleichen außerordentlichen Lagen, denn eben da muß man außerordentliche Mittel haben, da braucht

man Anlehen oder neue Steuern, um für künftig oder sofort sich mit den erforderlichen Deckungsmitteln zu versorgen. Hieraus folgt unwiderleglich, daß in dem Augenblicke, wo wir die

auswärtige Politik unbedingt ohne direkte Mitwirkung mittels der Geld­

bewilligung

der Regierung überlassen und uns auf das Jasagen be­

schränken bei Beschaffung der Mittel für jede einseitig beliebte Regierungs­ politik: daß wir alsdann das spezielle der preußischen Volksvertretung in der preußischen Verfassung so beschränkt zugewilligte Steuerbewilligungs­

recht faktisch aufgeben.

Und dies können und dürfen wir nicht, und

werden und müssen es für jeden Fall ganz entschieden

und energisch

Schulze-Delitzsch.

246

wahren. — Das wäre das, was ich dem Herrn Minister entgegenzu­ setzen hätte. Noch zwei Worte dem Herrn Abgeordneten Reichenspergers gegen­

über.

Wir, die wir schon länger die Ehre gehabt haben, mit unserm

Kollegen in dieser Volksvertretung zu tagen, wir wissen und kennen die außerordentliche Gewandtheit, die er besitzt, für etwas zu stimmen

dagegen zu sprechen.

(Heiterkeit.)

Wir haben das heute wiederholt wahrgenommen. „er müsse für den Kommissions-Antrag stimmen." und

dessen

erörtern.

nähere

und

Beziehungen

Er hat gesagt,

Ich will dieses Muß

zu seinem Votum hier

nicht

weiter

(Hört!)

Aber, meine Herren, daß er dagegen gesprochen hat, das ist wohl niemandem in diesem Hause

zweifelhaft.

Es mag dies allerdings in

recht zweckmäßig sein, eine Deckung nach

mehreren

mancher

Rücksicht

Seiten.

Man kann nun dem einen seine Abstimmung, dem andern seine

Motivierung vorhalten, wie es eben paßt.

(Heiterkeit.)

Natürlich müssen wir es jedem freistellen, es damit zu halten, wie er glaubt gut zu tun und wie er es verantworten mag.

Ich erwidere ihm dann zum Schluß noch mit einem Proteste.

Er

hat uns gesagt: Die Verfassung und freiheitliche Entwicklung bei uns, die sei vom Thron ausgegangen in der neuen Ära. Nun, meine Herren,

das ist hier und da in bezug auf die Entstehung unserer Verfassung so­ gar von gewissen Seiten dieses Hauses und von gewissen Mitgliedern, die jetzt nicht einmal mehr auf den Bänken sitzen, wohl schon gesagt

worden.

Ich glaube aber einen Protest im Sinne meiner politischen

Freunde einzulegen gegen dieses angebliche Geschenktsein unserer Verfassung

aus Gnaden,

gegen diese Eröffnung der freiheitlichen Entwicklung in

unserm Staatsleben aus Gnaden und immer wieder aus Gnaden! Nein,

meine Herren!

Wenn

irgendein Volk, wenn namentlich ein

deutscher

Stamm sich ein Anrecht zu diesen Dingen erworben hat und heilige Zu­ sagen von feiten seiner Fürsten ihm gegeben sind in der höchsten Not,

eingelöst und erkämpft mit ungeheuren Opfern an Gut und Blut, so ist

es das preußische Volk (Lebhaftes Bravo.), und in seinem Namen glaube

ich mich berufen, und zugleich im Namen meiner politischen Freunde, gegen solche Losungen der Freiheitsgeschenke von oben herunter, aufs ernstlichste zu

protestieren,

meine Herren (Lebhaftes Bravo.), und ich

glaube, aus diesem Protest und den einzelnen, die sich ihm anschließen.

’) Geldern.

wird das Land entscheiden, ob, wie der Abgeordnete Reichensperger sagt, das preußische Volk aus einem Irrtume die Majorität dieses Hauses

hergeschickt hat.

(Bravo!)

Nach längerer Debatte wurde die Besprechung vertagt. II. Rede in der 25. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 12. Januar 1864.

Am folgenden Tage wurde die Debatte fortgesetzt.

Zum Titel 20,

Gehälter und töhnung der Truppen, hatte die Kommission den Beschluß beantragt, es sei dringend erforderlich, die bei einer mäßigen Friedens­

stärke finanziell zulässige Erhöhung des Soldes der Gemeinen und Unter­ offiziere baldigst herbeizuführen und dabei die bevorzugten Truppen des Gardekorps den tinientruppen gleichzustellen. In der Debatte erklärte sich der Kriegsminister v. Roon mit dem Kern des Antrages einverstanden und bemerkte gegen Virchow, wenn

dieser die Hoffnung ausgesprochen habe, daß das gegenwärtige Ministerium gar nicht mehr in die Lage komme, der Armee diese Wohltat zuzuwenden, so könne er, der Minister, auch den Spieß umdrehen. Im taufe der Verhandlung befürwortete töwe (Bochum) den Antrag unter Hinweis auf einen Brief des Kriegsministers an einen patriotischen tzilfsverein, in dem dieser selbst zugegeben habe, daß für die Truppen bei dem be. vorstehenden Feldzuge noch nicht ausreichend gesorgt sei. v. tzoverbeck (Gsterode) ergänzte diese Mitteilungen durch die Verlesung eines Aufrufs des tandrats im Kreise Ziegenrück, tzier war behauptet, daß die bei Lübeck zum Einmarsch in ksolstein bereitstehenden Truppen Mangel an warmen Bekleidungsstücken litten, und deshalb zu Sammlungen auf­ gefordert worden sei. Gegen beide Vorredner wandte sich in starken Worten der Minister. Er lehnte den Aufruf des tandrats als für ihn unverkindlich ab. Für die Truppen fei vollkommen ausreichend von -er Militärverwaltung gesorgt. Sein Brief habe viel weniger die öffentliche Mildtätigkeit anregen, als den allgemeinen Sympathien des tandes für die

Armee Gelegenheit zum Ausdruck geben wollen. Darauf entgegnete Schulze: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, daß die Sympathien für das Heer, namentlich für die Teile unseres Heeres, die jetzt schon mobil gemacht

und ausgezogen sind/)

um sich einem vielleicht schweren Winterfeldzuge

2) Das ist ein Irrtum: erst am 18. erfolgte die Kriegserklärung, am 20. übernahm Wrangel den Oberbefehl und am 1. Februar überschritt das preußisch­ österreichische Heer die Grenze.

248

Schulze-Delitzsch.

auszusetzen, erst durch den Herrn Kriegsminister angeregt zu werden

brauchen.

Ich meine, sie sind ohne Unterschied der Parteien auf der

natürlichsten Basis schon im ganzen Lande vorhanden.

Denn, meine

Herren, ich denke doch gerade die Majorität, die hier im Hause Opposition

macht, und die ja auch die Majorität im Lande ist, liefert wohl recht viele ihrer Söhne und Brüder zu jenem Kontingent, und sie wird wahr­ lich geneigt sein, wo einzelne Mängel, wie der Herr Kriegsminister selbst

zugesteht, vorhanden sind, zur Abhilfe dieser Mängel auch einstweilen aus ihren Mitteln durch die in Vereinen der verschiedensten Art eröffneten

Sammlungen beisteuern zu helfen. irgendeine Partei.

Es bedarf gar keiner Mahnungen an

Wir sind durch die Bande des Blutes, wenn wir

ganz absehen von den patriottschen Banden,

schon ohnehin an unser

Heer gefesselt, und ich zweifle nicht, daß jene Sympathien sich auch von

allen Seiten betätigen werden. Aber wie der Herr Kriegsminister aus der Anregung dieser Frage,

wie sie geschehen, einen Grund entnehmen konnte, in dieser Weise aufzu­ treten, wie er es getan hat, das verstehe ich nicht, meine Herren.

Es ist

doch bei Gott unendlich bescheiden, und es ist doch das allerwenigste, wenn wir, die wir nun seit Jahren schon über diese Frage mit der Regierung rechten, und die wir wissen, daß gegen unsere Bewilligung viele Millionen

jährlich zu der Armee-Reorganisation verwendet werden, wenn wir nun, da solche Mängel in der Ausrüstung durch die Behörden selbst in der Presse an die Öffentlichkeit gelangt sind, einmal fragen: warum hat man

denn mit diesen gegen unsere Bewilligung verwendeten Millionen, von denen man uns sagt: „Wir tun das auf unsere Verantwortung", nicht jenen Mißständen abgeholfen, wie sie leider noch bestehen? Das ist doch

gewiß eine ungeheuer bescheidene Frage seitens einer Landesvertretung gegenüber unserem klaren, wenn auch von anderer Seite in Abrede ge­

stellten BudgetrechtI Und wenn der Herr Kriegsminister bestreitet, daß seinerseits etwas geschehen sei, die Meinung in das Publikum zu bringen, als herrschen derartige Mängel in der Armee, so möchte ich ihn nur auf

sein eigenes Antwortschreiben

an

den Halleschen

Verein aufmerksam

machen, das er nicht desavouieren kann, wie das Schreiben des Landrats von Ranis?)

Es heißt darin:

„Es ist wahr, daß die Verwaltung die Pflicht hat, für die zu Felde ziehenden Truppen usw. in auskömmlicher Weise auch in betreff der von der Jahreszeit bedingten außerordentlichen Bedürf-

Sitz des LandratsamteS des Kreises Ziegenrück.

nisse zu sorgen.

Wahr ist es aber auch, daß es der Verwaltung

bei der Plötzlichkeit, mit der diese in den gewöhnlichen Etats

nicht vorgesehenen Bedürfnisse hervortreten, ohne die beanspruchte patriotische Mithilfe der Vaterlandsfreunde schwer werden wird,

den Ausrückenden alle Erfordernisse rechtzeitig und ausreichend

zugehen zu lassen." Ich verstehe nicht, wie der Herr Minister behaupten kann, daß durch solche Äußerungen seinerseits nicht Vorstellungen von dieser mehr oder

minder großen Unzuträglichkeit sich im Publikum in dieser Weise bilden mußten, und um so weniger, meine ich, hat er zu diesem Erstaunen und

zu dieser unbilligen Hinweisung aus uns Veranlassung gehabt.

Dabei möchte ich noch eins geltend machen.

Der Herr Kriegsminister

hat in dieser Sache für sich an das Land und an die öffentliche Meinung

appelliert, auf deren Zurseitestehen er großen Wert legt.

Ach, wenn

doch dieses Anerkennen der öffentlichen Meinung, diese Appellation an

das Land im ganzen die Schritte des Herrn Kriegsministers und seiner verehrten Herren Kollegen ein wenig mehr leiten wollte! (Heiterkeit.) Er hat in derselben Rede auch zugleich auf die Andeutung des Herrn

Abgeordneten Virchow, daß ja das Maßregeln seien, die man nicht auf das jeweilige Ministerium, sondern auf die Regierung im allgemeinen

beziehen müsse, uns eine gegenseitige Andeutung gegeben, die wir wohl alle verstanden haben, daß wir nämlich nicht auf lange mehr hier wären.

Solche wertvolle Aufschlüsse treten bei derartigen Debatten, wo die Herren

etwas warm werden, nicht selten unwillkürlich heraus, daß man Winke über die

nächste

entnehmen kann.

von

der

Regierung innezuhaltende

Poliük

daraus

Die Andeutung ging auf die Auflösung des Hauses.

Das wäre nun auch so eine Appellatton an das Land.

Ich glaube nicht,

daß das Mitglied eines Ministeriums, von welchem eine solche Folge dem

Geiste

aller konstitutionellen Verfassungen widerstrebender wiederholter

Auflösungen einer Kammer in derselben Frage beschlossen wurde, welches so wenig auf den Ausspruch des Volkes, auf die Appellation an dasselbe

achtet, daß es nicht mehr von der Kammer an das Volk, sondern von dem Spruch des Volkes an sich selbst appelliert — ich glaube nicht, daß

ein solches Mitglied eines solchen Ministeriums das Recht hat, mit großem Erfolg an die Meinung des Landes zu appellieren! (Bravo!) Ich denke,

es wird schließlich denn doch noch eine andere Appellation ergehen, die über das Ministerium hinweggeht.

Bei der Abstimmung wurde der Rommisfionsantrag zum Titel 20 mit großer Majorität angenommen.

Schulze-Delitzsch.

250

III. Rede in der 27. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16. Januar 1864.

Bei der Beratung des Gesetzes über den Etat pro s86H hatte der Abg. Jacoby (Berlin) erklärt, er werde dem Budget so lange seine Zu­ stimmung verweigern, als das gegenwärtige Ministerium an der Spitze der Geschäfte stehe, worauf v. Blanckenburg (Naugard, Regenwalde) antwortete, daß bei der diesjährigen Ltatberatung es sich nur noch um den Austrag eines Machtkampfes zwischen der Majorität und der Krone

handele. Die Hohenzollern hätten einst die ÜZuitzows ihrer Macht unter­ worfen, sie würden auch mit den Schulzes und Müllers der Zukunft noch fertig werden. Gegen beide Vorredner wandte sich später Schulze: Meine Herren! In bezug auf das Votum des Herrn Abgeordneten

Jacoby und dessen Motivierung habe ich eine kurze Bemerkung zu machen, die mir, abgesehen von allen Ausführungen über das Budgetrecht, die hier gefallen sind, ganz einfach und faßlich für den Kommissionsantrag

durchzugreifen scheint.

Sobald wir das ganze Budget verweigern, würden

wir gerade das tun, was unsere Gegner, die Minister, die der Abgeordnete

Jacoby auf solche Weise stürzen zu können vermeint, am besten stützt, was sie am meisten von uns wünschen.

deutungen des Herrn Abgeordneten

Nehmen Sie doch die An­

v. Blanckenburg.

Der

hat auch

deutlich auf ein Ablehnen des Budgets, wenn es nicht vollständig nach

den Anträgen

der Regierung durchgeht, sondern mit Streichung

Militärreorganisationskosten beliebt wird, hingedeutet.

der

Eine Stellung in

Gemeinschaft dieser Herren (auf die konservative Fraktion deutend) bei

dieser Frage würde mir schon an sich eine höchst bedenkliche sein. (Heiterkeit.) Das kann sich ja niemand verhehlen: Sobald wir so verführen, würden wir die ganze Gehässigkeit der Maßregel, ohne Budget zu regieren,

von den Schultern des Ministeriums weg auf unsere Schultern laden. Unsere ganze Position würde verschoben, die Früchte aller unserer mehr­

jährigen Kämpfe wären geopfert, und ich begreife und verstehe nicht, wie man vom politischen Standpunkte aus sich für eine solche verderbliche,

nur den Gegnern dienende Maßregel entscheiden könnte.

Dabei scheint

mir nur eins geboten, daß wir eine Mahnung an das Königliche Staats­

ministerium bei der Lage der Sache alle Ursache haben, auszusprechen. Meine Herren! Es ist keine Kleinigkeit für eine so große Versammlung, mit dem Bewußtsein,

ja sogar bei der von der anderen Seite aus­

gesprochenen Absicht, sich den schweren legislatorischen Arbeiten zu unter­

ziehen,

daß

dieselben

vergeblich sind, daß die Staatsregierung wahr-

scheinlich die Beschlüsse des Hauses, so sehr sie auch innerhalb von dessen

Befugnissen liegen, nicht beachten werde.

Dem gegenüber, wenn wir

dennoch uns dieser Pflicht wieder unterzogen haben, dann mag eine erste Mahnung an die Königliche Staatsregierung, die schon von einem früheren

Redners angedeutet worden ist, gestattet sein.

Ja, meine Herren, Ver­

wickelungen der unabsehbarsten Art müssen sich notwendig an eine längere Fortsetzung dieser budgetlosen Finanzwirtschaft anschließen.

(Sehr wahr!)

Ich will mich nicht darauf einlassen, eine Interpretation möglicher­

weise bestreitbarer Bestimmungen der Verfassung in bezug auf das Steuer­

bewilligungsrecht des Hauses zu geben.

Ein Satz aber ist klar, meine

Herren, und diesen will ich hier zur Geltung bringen.

Meine Herren!

Es ist selbstverständlich: „daß das Recht zur Erhebung von Steuern

niemals getrennt gedacht werden kann von der Pflicht, die erhobenen Steuern verfassungsmäßig, d. h. nach den Bestimmungen eines von der Landesvertretung beschlossenen Budgets, zu verwenden."

(Hört! Hört!)

Ein Separatrecht, Steuern zu erheben, was ewig fortdauern soll,

ohne daß man auch eine Pflicht hat, mit den Steuern so zu verfahren,

wie ich eben andeutete, das gibt es nicht.

Wer es annimmt, der muß

überhaupt von Steuern, von deren Bestimmung zur Deckung der Staats­ zwecke, ganz wunderbare Vorstellungen haben?)

Deuten wir darauf hin,

daß das Beharren der Königlichen Regierung bei ihrem verfassungswidrigen

Verfahren notwendig am Ende zu solchen Konsequenzen führt, daß dann die Urrechte des Volkes sich Geltung schaffen auf solchen Wegen, wenn es keine Abhilfe gibt auf gesetzlichem Wege.

Gewiß sind dies keine Zu­

stände, die uns und dem Lande erwünscht sein können, keine Zustände, die wir verschuldet haben.

wollen

Wir harren aus auf unserem Posten.

die Dinge wieder in

Wir

eine verfassungsmäßige, gesetzliche Bahn

bringen, soviel an uns ist; weil wir dies wollen, haben wir uns der Arbeit unterzogen, trotz der geringen Aussicht auf Erfolg, und deswegen

stehen wir fest, fort und fort mit zäher Ausdauer auf unserem Posten. Ich konrme nun auf das, was der geehrte Abgeordnete v. Blancken-

burg äußerte:

„Die Hohenzollern hätten früher die Quitzows der Ver­

gangenheit niedergeworfen, sie würden auch mit den Schulzes und Müllers J) Twesten (Berlin). 2) Über die Pflicht der Regierung, die erhobenen Steuern nur im Rahmen des von der Landesvertretung genehmigten Budgets zu verwenden, und über das hinausfolgende Bewilligungsrecht des Landtags zur Steuererhebung hat sich Schulze im gleichen Sinne nochmals in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 13. Mai 1865 ausführlich ausgesprochen.

Schulze-Delitzsch.

252 der Zukunft fertig werden."

Ich glaube, der Herr Abgeordnete wird mir

zu einer Bemerkung hierauf gewiß eine besondere Berechtigung zugestehen.

(Heiterkeit.)

Ich habe mich gewundert, daß gerade von diesen Bänken aus (auf die konservative Fraktion deutend) auf diese Geschichte angespielt wurde

(Erneute Heiterkeit); ich würde mich wirklich nicht für berechtigt erachtet

haben, diese abgemachte

Sache

hier hereinzuziehen, dies vielmehr für

geradezu abstrus gehalten haben. Ich folge aber dem geehrten Abgeordneten v. Blanckenburg dahin, der über die Sache in seinem ritterlichen Bewußt­ sein

allerdings eine

haben mag.

Nun ja, meine

die Quitzows und

Genossen nieder­

andere Auffassung

Herren, die Hohenzollern

haben

geworfen — aber zu welchem Ende und zu welchem Zwecke?

Erstlich

haben sie sie niedergeworfen zugunsten der Herstellung gesetzlicher Zustände

und zweitens zum besten eines friedlichen Verkehrs, zum besten des fried­

lichen Bürgertums, und deswegen eben, weil diese gewaltigen Mächte mit den Hohenzollern waren — Gesetz und Recht, das Bürgertum mit seiner großen Zukunft, — konnten sie jene Tat tun (Lebhaftes Bravo), und deswegen ruht der Segen der Geschichte noch auf diesen Taten, und des­

wegen sind eben die Hohenzollern ein Fürstengeschlecht gewesen, dem eine

so große Zukunft und so großer Erfolg in der Geschichte bereitet war,

weil sie ihre Zeit und die Bedürfnisse ihres Volkes verstanden.

(Wieder­

holtes Bravo.)

Aber, meine Herren, es scheint, als ob diesem Fürstengeschlecht in neueren Zeiten noch mehrere Zweige von den Quitzows übriggeblieben

sind, die auch niedergeworfen werden müssen, damit Gesetz und Recht

in

das

friedliche

Bürgertum

zu

seiner

vollen

Geltung

gelangen.

(Heiterkeit.) Der Unterschied ist freilich der, die Herren von heute sind in einer

viel besseren Lage als die von damals, wo sie auf den Stegreif ritten; sie sitzen mit in der Regierung und haben sich der Staatsgewalt bemächtigt,

und deshalb hat es seine Schwierigkeiten, und man kann mit ihnen nicht

so aus dem Stegreif fertig werden, wie es dazumal ging mit den Rittern von der Landstraße.

(Lebhafter Beifall.)

Ich muß doch ein für allemal antworten auf die Frage des ge­

ehrten Abgeordneten: „wer regieren solle bei uns?"

Gesetz!

Das Recht, das

und der König als dessen Wächter und Vollzieher.

Und wenn

er von Macht sprach mit Hindeutung auf die Schulzes und Müllers, fo kann ich auch das akzeptieren.

Ich meine, mit diesen gemeinen bürger­

lichen Namen hat der geehrte Herr ja doch das ganze Bürgertum gemeint;

seine Rede konnte nicht anders verstanden werden.

(Zustimmung von

allen Seiten.)

Ich von meiner Seite akzeptiere es dankbar, daß mein Name ihm in dieser Hinsicht als eine Parole gedient hat, und sage: Ja, das Bürger­

tum ist eine Macht, die man zu will.

respektieren hat, wenn man regieren

(Großer Beifall.)

Gewiß, meine Herren, eine Regierung soll stark sein.

Ja, das wollen

wir auch, meine Herren; es kommt nur darauf an, wo, wie eine Regierung

ihre Stärke sucht.

(Bravo!)

Leider suchen eine große Anzahl der Regierungen ihre Stärke darin, sich hinwegsetzen zu können über Recht und Gesetz und meinen nur stark zu

sein, wenn sie nicht nötig hätten, das zu respektieren.

Nun, meine

Herren, wohin das endlich führt, davon geben bei vielen Regierungen

die neuesten geschichtlichen Ereignisse ein Beispiel.

(Wiederholtes Bravo.)

Eine wahrhaft starke Regierung sucht ihre Stärke, wie eben die

Hohenzollern jener Tage, im Schutz der Gesetze, im Dienste des Rechts, und steht nicht wider ihr Volk, sondern mit ihm und an dessen Spitze.

(Lebhafter Beifall.)

Soweit sind wir doch im neunzehnten Jahrhundert gekommen, daß man so absolut hin nicht allein alles Recht und alle Rechtsquellen auf die Dynastien zurückführt.

Die Völker sind ihrer selbst willen da (Wieder­

holtes lebhaftes Bravo), sage ich dem geehrten Abgeordneten, und nicht

um der Regierung, der Dynastien willen, sondern die Regierungen sind der Völker willen da.

(Erneuter lebhafter Beifall.)

Das sind die Rechtsanschauungen des neunzehnten Jahrhunderts, und alle, die sie nicht teilen, machen sich nur lächerlich und stehen nicht innerhalb des Bewußtseins unserer Zeit.

(Bravo! auf beiden Seiten.)

Bei der Abstimmung wurde der von der Budgetkommission in Ein­ nahme und Ausgabe um rund 6000 Taler ermäßigte Etat angenommen.

IV. Rede in der 32. Sitzung des Abgeordnetenhaus es vom 25. Januar 1864.

Jm Eingang der Sitzung teilte der Präsident mit, daß das LjerrenHaus den vom Abgeordnetenhaus angenommenen Etat verworfen, und

dem Entwurf der Regierung feine Zustimmung erteilt habe. Auf seinen Antrag wurde dieser Beschluß der Budgetkommission zur Berichterstattung

überwiesen, die noch im Laufe der Sitzung dem Hause den Antrag zur

Annahme vorlegte:

Lchuizc-Delitzsch.

254

daß der Beschluß des Herrenhauses ein verstoß gegen die Ver­

fassung, eine Verletzung der Rechte des Abgeordnetenhauses und deshalb null und nichtig sei, daß die Staatsregierung sich eines offenen verfaffungsbruches schuldig mache, wenn sie fortfahre, eigenmächtig über die Mittel des Staates zu verfügen und daß jede ohne Genehmigung der tandesvertretung aufgenommene

Staatsanleihe verfaffungswidrig und für den preußischen Staat

unverbindlich sein solle.

Bei der Debatte über die Frage, ob dieser Aommissionsantrag so­

fort ohne Diskussion zur Abstimmung kommen solle, oder ob nach der Geschäftsordnung eine Debatte vorausgehen müsse, ergriff auch Schulze das Wort: Meine Herren!

Nach meiner Ansicht ist es nicht leicht, den Stand

der Frage, um deren Erledigung es durch die Resolution sich handelt, gewaltsamer zu verkennen, als in der Diskussion über die Geschäftsordnung.

Um was handelt es sich legislativen Akt?

denn hier? Handelt es sich denn um einen

Das Haus hält seine Prärogative von dem anderen

Faktor der Gesetzgebung durch ein ihm amtlich mitgeteiltes Aktenstück für

entschieden verletzt (Sehr richtig!), und das hat das Haus mit sich selber

abzumachen, darüber ist das Haus kompetent, und über diese Wahrung der Prärogative, über den entstandenen Konflikt hat das Haus nicht erst mit dem Ministerium zu verhandeln.

Es ist von dem Herrn Redner

mir gegenüber, von dem Herrn Grafen Schwerin gesagt worden, wir

würden mehr unsere Würde wahren, wenn wir die Verhandlung hinaus­ schieben wollten.

Meine Herren! Das Land erwartet von uns in unserer

Lage, daß wir Beschlüsse fassen ohne Aufschub.

Die ganze Existenz, die

verfassungsmäßigen Befugnisse der Volksvertretung sind in Frage gestellt durch den Beschluß, der vom Herrenhause gefaßt ist.

Unsere Prärogative,

die wir haben müssen, wahrlich nicht in unserem, sondern im Interesse des Landes, sind verletzt worden,

und hierüber müssen wir schlüssig

werden: So oder so! und man soll nicht die Geschäftsordnung, die wir uns selbst gegeben haben, als Fallstrick benutzen, den man uns in präg­ nanter Stunde vor die Füße legt!

Wir haben zu beschließen — der

Präzedenzfall ist da! Wir würden alle Achtung, die wir, Gott sei Dank,

im Lande haben, aufs Spiel setzen, wenn wir hier nicht zur rechten Stunde und in der letzten Stunde den Beschluß faßten, wie der Vorgang nach dem Vorschlag des Herrn Präsidenten, den das Haus

genehmigt

hat, ihn uns vorzeichnet: gerade um unsere Stellung zu wahren, erheben

Sie sich, meine Herren, zur Höhe Ihrer Sendung und beschließen Sie

in diesem Augenblick! Das ist der einzige Weg.

Nachdem die Annahme des Rommissionsantrags erfolgt war, verlas der Minister des Innern die Rönigliche Mrder über den Schluß der Session und lud das ^aus auf den Nachmittag zur schließlichen Lntlassung in das Schloß ein. Die Versammlung beschloß aber, bis zu diesem Zeit­ punkte die Verhandlungen fortzusetzen.

114. Gegen die Wahlbeeinfluffungen der Regierung. Rede in der 32. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 25. Januar 1864.

Unmittelbar vor dem durch die Auflösungsordre herbeigeführten Schluß der Session erstattete noch die Rommission zur Untersuchung von

angeblich bei den letzten Wahlen vorgekommenen Wahlbeeinflussungen Bericht und beantragte, die Weigerung des Ministeriums den Requi­ sitionen der Rommission zu entsprechen, für verfassungswidrig zu erklären. Dem widersprach der Minister des Innern, welcher sich dabei auf Belgien berief, wo kürzlich durch ein besonderes Gesetz zur Untersuchung von bestimmt behaupteten Wahlbeeinflussungen eine parlamentarische Rommission eingesetzt worden sei. wenn das Ejaus über bestimmt bezeichnete Lalle Aufklärung verlangt hätte, so würde sie von der Regierung gegeben worden sein. Das Verhalten der Rommission aber, die sich ganz all­

gemein damit beschäftigt habe nachzuspüren, ob Wahlbeeinflussungen stattgefunden haben, verstoße so sehr gegen die Grundgesetze des staat­ lichen Lebens, daß aus diesem Grunde die Regierung sich der Rommission gegenüber negativ verhalten habe und dabei auch in Zukunft verharren müsse, wenn die Rommission nicht andere Wege einschlage. Dem Mi­ nister antwortete Schulze:

Meine Herren! Wenn der Herr Minister des Innern uns auf den großen Unterschied des Verfahrens, das neuerlich in Belgien, dem kon­ stitutionellen Musterlande, stattgefunden hat, gegen das von uns ein­

geschlagene vorgehalten hat, nun, da glaube ich, wird man bei irgend unbefangener Auffassung der Sache wohl immer darauf zurückkommen, daß eben der Zustand in Belgien und der belgische Konstitutionalismus,

wie ihn die Regierung dort übt, ein ganz anderer sei, und den Unter­ schied, der zwischen den belgischen und unseren Zuständen in dieser Hin-

Sie sich, meine Herren, zur Höhe Ihrer Sendung und beschließen Sie

in diesem Augenblick! Das ist der einzige Weg.

Nachdem die Annahme des Rommissionsantrags erfolgt war, verlas der Minister des Innern die Rönigliche Mrder über den Schluß der Session und lud das ^aus auf den Nachmittag zur schließlichen Lntlassung in das Schloß ein. Die Versammlung beschloß aber, bis zu diesem Zeit­ punkte die Verhandlungen fortzusetzen.

114. Gegen die Wahlbeeinfluffungen der Regierung. Rede in der 32. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 25. Januar 1864.

Unmittelbar vor dem durch die Auflösungsordre herbeigeführten Schluß der Session erstattete noch die Rommission zur Untersuchung von

angeblich bei den letzten Wahlen vorgekommenen Wahlbeeinflussungen Bericht und beantragte, die Weigerung des Ministeriums den Requi­ sitionen der Rommission zu entsprechen, für verfassungswidrig zu erklären. Dem widersprach der Minister des Innern, welcher sich dabei auf Belgien berief, wo kürzlich durch ein besonderes Gesetz zur Untersuchung von bestimmt behaupteten Wahlbeeinflussungen eine parlamentarische Rommission eingesetzt worden sei. wenn das Ejaus über bestimmt bezeichnete Lalle Aufklärung verlangt hätte, so würde sie von der Regierung gegeben worden sein. Das Verhalten der Rommission aber, die sich ganz all­

gemein damit beschäftigt habe nachzuspüren, ob Wahlbeeinflussungen stattgefunden haben, verstoße so sehr gegen die Grundgesetze des staat­ lichen Lebens, daß aus diesem Grunde die Regierung sich der Rommission gegenüber negativ verhalten habe und dabei auch in Zukunft verharren müsse, wenn die Rommission nicht andere Wege einschlage. Dem Mi­ nister antwortete Schulze:

Meine Herren! Wenn der Herr Minister des Innern uns auf den großen Unterschied des Verfahrens, das neuerlich in Belgien, dem kon­ stitutionellen Musterlande, stattgefunden hat, gegen das von uns ein­

geschlagene vorgehalten hat, nun, da glaube ich, wird man bei irgend unbefangener Auffassung der Sache wohl immer darauf zurückkommen, daß eben der Zustand in Belgien und der belgische Konstitutionalismus,

wie ihn die Regierung dort übt, ein ganz anderer sei, und den Unter­ schied, der zwischen den belgischen und unseren Zuständen in dieser Hin-

256

Schulze-Delitzsch.

sicht stattfindet, den müssen wir und werden wir leider in jeder Beziehung

zugeben. Was nun aber das Spezialisieren der Fälle, die eine solche Unter­

suchungskommission zu erörtern haben soll, anlangt, so muß ich darauf aufmerksam machen: erst als durch die Konstatierung einer ganzen Masse von einzelnen Fällen in diesem Hause bei Gelegenheit der Legitimations­

prüfungen sich ergeben, in welcher organisierten, systematisch organisierten Weise seitens der höchsten und einflußreichsten Regierungsbeamten und seitens der lokalen Organe vorgegangen sei,

erst als sich das ergab,

mußte die Ansicht im Hause auftauchen und Boden gewinnen, daß man dieses System in seiner Gesamtheit einer ernsten Untersuchung zu unter­ ziehen habe.



Ich verliere darüber kein Wort, erlaube mir aber zugleich

ich glaube als Vorsitzender der V. Abteilung eine besondere Ver­

pflichtung und ein besonderes Recht dazu zu haben — hier nochmals zu

konstatieren (der Herr Minister des Innern ist ja schon deshalb befragt

worden), daß wir an dem letzten Tage unserer Sitzungen noch nicht die Erledigung einer speziell, meine Herren, speziell an das Ministerium von

feiten der Abteilung ausgegangenen und durch das Haus und dessen

Präsidenten weiter dirigierten Verhandlung über die Wahlbeanstandung

des Abgeordneten für Jüterbog und Luckenwalde vor uns haben.

Der

Herr Landrat Hoffmann, dessen Wahl beanstandet werden mußte wegen sehr bedenklicher Vorfälle, worüber ganz spezieller Beweis angetreten ist,

sitzt noch in dieser Minute nach Monaten in unserm Hause (Hört!),

und ich kann, da hier die wiederholtesten Admonitionen und Erinnerungen durch das Präsidium infolge der von mir als Vorsitzenden der Abteilung

gestellten Aufforderung an das Ministerium gerichtet worden sind, nicht umhin, darauf hinzuweisen:

eine besondere Bereitwilligkeit bei Bean­

standungen der Wahlen dieser Herren, die zu den Stützen der Regierung gehören, hat sich faktisch seitens des Staatsministeriums nicht kundgegeben.

Der Rommissionsantrag wurde mit großer Majorität angenommen.

115. Brief H. V. v. Anruhs an Schulze. Berlin, 12. Oktober 1864.

... Ich gehe nach Weimars und nicht nach Eisenach Verein).

(Nattenal-

Viel tun wird sich nirgends lassen, höchstens falsche Schritte ver-

*) Am 16. Oktober 1864 fand eine Versammlung des 36 er Ausschusses des Abgeordnetentages statt.

256

Schulze-Delitzsch.

sicht stattfindet, den müssen wir und werden wir leider in jeder Beziehung

zugeben. Was nun aber das Spezialisieren der Fälle, die eine solche Unter­

suchungskommission zu erörtern haben soll, anlangt, so muß ich darauf aufmerksam machen: erst als durch die Konstatierung einer ganzen Masse von einzelnen Fällen in diesem Hause bei Gelegenheit der Legitimations­

prüfungen sich ergeben, in welcher organisierten, systematisch organisierten Weise seitens der höchsten und einflußreichsten Regierungsbeamten und seitens der lokalen Organe vorgegangen sei,

erst als sich das ergab,

mußte die Ansicht im Hause auftauchen und Boden gewinnen, daß man dieses System in seiner Gesamtheit einer ernsten Untersuchung zu unter­ ziehen habe.



Ich verliere darüber kein Wort, erlaube mir aber zugleich

ich glaube als Vorsitzender der V. Abteilung eine besondere Ver­

pflichtung und ein besonderes Recht dazu zu haben — hier nochmals zu

konstatieren (der Herr Minister des Innern ist ja schon deshalb befragt

worden), daß wir an dem letzten Tage unserer Sitzungen noch nicht die Erledigung einer speziell, meine Herren, speziell an das Ministerium von

feiten der Abteilung ausgegangenen und durch das Haus und dessen

Präsidenten weiter dirigierten Verhandlung über die Wahlbeanstandung

des Abgeordneten für Jüterbog und Luckenwalde vor uns haben.

Der

Herr Landrat Hoffmann, dessen Wahl beanstandet werden mußte wegen sehr bedenklicher Vorfälle, worüber ganz spezieller Beweis angetreten ist,

sitzt noch in dieser Minute nach Monaten in unserm Hause (Hört!),

und ich kann, da hier die wiederholtesten Admonitionen und Erinnerungen durch das Präsidium infolge der von mir als Vorsitzenden der Abteilung

gestellten Aufforderung an das Ministerium gerichtet worden sind, nicht umhin, darauf hinzuweisen:

eine besondere Bereitwilligkeit bei Bean­

standungen der Wahlen dieser Herren, die zu den Stützen der Regierung gehören, hat sich faktisch seitens des Staatsministeriums nicht kundgegeben.

Der Rommissionsantrag wurde mit großer Majorität angenommen.

115. Brief H. V. v. Anruhs an Schulze. Berlin, 12. Oktober 1864.

... Ich gehe nach Weimars und nicht nach Eisenach Verein).

(Nattenal-

Viel tun wird sich nirgends lassen, höchstens falsche Schritte ver-

*) Am 16. Oktober 1864 fand eine Versammlung des 36 er Ausschusses des Abgeordnetentages statt.

hüten. Wo zurzeit die Macht fehlt, muß man sich sehr vor hochtrabenden Aussprüchen hüten. Wählen auch Sie zwischen beiden Versammlungen; so halte ich Sie, den schlagferügen und populären Redner und Preußen, in Eisenach für noch unentbehrlicher als in Weimar ... ... Ich unterschätze die Bedeutung der arbeitenden Klassen in bezug

auf Politik um so weniger, als der Mangel an festen ausdauernden Charakteren in den Mittelschichten in die Augen springt. Die wohlhabenden Bürgerlichen sind politisch stumpf. Reiche von uns gewählte unbesoldete Stadträte, ganz unabhängige Menschen sind ohne Energie gegenüber einem Burschen wie Seydel/) geschweige denn Bismarck. Wenn aber die wohlhabende Mittelklasse und der reiche Bürger keinen politischen

9?ert> und Halt hat, so ist klar, daß die politische Unterdrückung immer zunehmen muß, bis die unteren Schichten den Kampf aufnehmen oder — wie in Frankreich — durch den Imperialismus zeitweise gewonnen werden ..."

116. Brief an Gustav Freytag. Berlin, 14. Januar 1865.

... Von den nächsten Vorgängen in unserm Abgeordnetenhause kein Wort. Erreichen läßt sich im Augenblick nichts in unserm Sinne; es ist eben eine jener Pausen eingetreten, weniger ein Ermüden als ein inneres Sammeln des öffentlichen Geistes, wie sie in solchen Kämpfen von Jahren regelmäßig stattfinden, und für das politische Bewußtsein der Massen keineswegs verloren sind. Da müssen wir zähe auf unsern Posten aushalten und den Rechtsstandpunkt wahren, unbekümmert um

die Schreier von rechts und links. Gelingt es uns, die Gegner zu ver­ hindern, die Legalisatton ihrer Verfassungsbrüche zu erlangen, so ist das Tunliche gewahrt und die künftige Zeit wird es uns Dank wissen. — Doch das ist ein Kapitel, worüber ich mich einige Stunden mit Ihnen

unterhalten möchte. Jetzt habe ich ein anderes Anliegen an Sie.

Ich darf voraussetzen,

daß Sie das Ungefähre über die Stiftung wissen, zu welcher ich den mir gewidmeten Fonds bestimmt habe?) Ich bedarf dafür die Rechte einer 3) Damaliger Oberbürgermeister von Berlin. 2) Das ihm von Genossenschaften und Freunden am 4. Oktober 1863 über­ reichte Kapital von 50000 Taler. Schulze machte daraus eine Stiftung zur Er­ haltung und Dotierung von Männern, welche ihre Tätigkeit dem Gemeinwohl mit Einschluß des Genossenschaftswesens widmeten. Schulze-Dclitzsch, Schrifken und Reden.

4.

H

hüten. Wo zurzeit die Macht fehlt, muß man sich sehr vor hochtrabenden Aussprüchen hüten. Wählen auch Sie zwischen beiden Versammlungen; so halte ich Sie, den schlagferügen und populären Redner und Preußen, in Eisenach für noch unentbehrlicher als in Weimar ... ... Ich unterschätze die Bedeutung der arbeitenden Klassen in bezug

auf Politik um so weniger, als der Mangel an festen ausdauernden Charakteren in den Mittelschichten in die Augen springt. Die wohlhabenden Bürgerlichen sind politisch stumpf. Reiche von uns gewählte unbesoldete Stadträte, ganz unabhängige Menschen sind ohne Energie gegenüber einem Burschen wie Seydel/) geschweige denn Bismarck. Wenn aber die wohlhabende Mittelklasse und der reiche Bürger keinen politischen

9?ert> und Halt hat, so ist klar, daß die politische Unterdrückung immer zunehmen muß, bis die unteren Schichten den Kampf aufnehmen oder — wie in Frankreich — durch den Imperialismus zeitweise gewonnen werden ..."

116. Brief an Gustav Freytag. Berlin, 14. Januar 1865.

... Von den nächsten Vorgängen in unserm Abgeordnetenhause kein Wort. Erreichen läßt sich im Augenblick nichts in unserm Sinne; es ist eben eine jener Pausen eingetreten, weniger ein Ermüden als ein inneres Sammeln des öffentlichen Geistes, wie sie in solchen Kämpfen von Jahren regelmäßig stattfinden, und für das politische Bewußtsein der Massen keineswegs verloren sind. Da müssen wir zähe auf unsern Posten aushalten und den Rechtsstandpunkt wahren, unbekümmert um

die Schreier von rechts und links. Gelingt es uns, die Gegner zu ver­ hindern, die Legalisatton ihrer Verfassungsbrüche zu erlangen, so ist das Tunliche gewahrt und die künftige Zeit wird es uns Dank wissen. — Doch das ist ein Kapitel, worüber ich mich einige Stunden mit Ihnen

unterhalten möchte. Jetzt habe ich ein anderes Anliegen an Sie.

Ich darf voraussetzen,

daß Sie das Ungefähre über die Stiftung wissen, zu welcher ich den mir gewidmeten Fonds bestimmt habe?) Ich bedarf dafür die Rechte einer 3) Damaliger Oberbürgermeister von Berlin. 2) Das ihm von Genossenschaften und Freunden am 4. Oktober 1863 über­ reichte Kapital von 50000 Taler. Schulze machte daraus eine Stiftung zur Er­ haltung und Dotierung von Männern, welche ihre Tätigkeit dem Gemeinwohl mit Einschluß des Genossenschaftswesens widmeten. Schulze-Dclitzsch, Schrifken und Reden.

4.

H

258

Schulze-Delitzsch.

juristischen

Person

und

Gothaischen Regierung?)

hatte Aussicht der

Gewährung

seitens

der

Ich lege Ihnen eine Abschrift der von mir

entworfenen Stiftungsurkunde bei sowie die Briefe des Dr. Hennebergs

und v. Seebachs,") woraus Sie die Anstände ersehen, und die namentlich

darauf

die man erhebt

basieren, daß man die Stiftung als eine

Wohltätigkeitszwecken gewidmete ansieht, was ich für entschieden falsch

halte, da sie nur Leistungen honorieren und dadurch ermöglichen soll, die

dem gemeinen Besten zugut kommen.

Können Sie Ihren Einfluß bei den maßgebenden Personen in Gotha vielleicht für die Sache in Bewegung setzen? — Eventuell würden Sie

den Minister Mathys) vielleicht für die Sache interessieren? Stiftung in Baden domiziliert würde?

Damit die

Ich wollte mich dann sogleich

selbst an ihn wenden.

Im ganzen sind wir hier guten Mutes, wenn wir auch uns nicht verhehlen, daß noch Schweres über uns kommen könnte, namentlich Ver­

folgungen der brutalsten Art.

Ich gehe aber meinen Weg und tue mein

Teil Arbeit für Wohlstand und Bildung der Massen, da weiß ich auch,

wie Sie von Ihrer Dichterwarte, daß kein Stück dieser Tätigkeit verloren ist für die Gesamtentwicklung der Zeit.

Und es sind doch große Tage,

in denen wir leben, und große Geschicke,

um die es sich handelt, daß

man sich freuen muß, auch sein bescheiden Teil mitzuarbeiten — wie

schwindet da aller Egoismus und alles Hervordrängen eitler Persönlich­

keiten vor den großen Dimensionen unserer Zukunft! Doch genug der Exklamationen; ich wollte Ihnen nur von der Stimmung in unseren Kreisen einen schwachen Ausdruck geben.

Ich denke, wir haben etwas

gelernt und werden noch mehr lernen müssen — aber niemals etwas vergessen.

117. Gegen die Wahlbeeinfluffungen der Regiernug. Rede in der 15. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 3. März 1865.

Gegenstand der Verhandlungen war eine Interpellation des Abg. prof. Dr. Möller.Königsberg (Fortschrittspartei) über eine im preußischLylauer Areisblatt am 4. Februar J865 erschienene Bekanntmachung 2) 2j 3) 4)

Tatsächlich erhielt die Stiftung dort später Korporationsrechte. Vgl. Bd. III S. 141. Vgl. Bd. III S. 146, 148. Vgl. über ihn Bd. III S. 145.

258

Schulze-Delitzsch.

juristischen

Person

und

Gothaischen Regierung?)

hatte Aussicht der

Gewährung

seitens

der

Ich lege Ihnen eine Abschrift der von mir

entworfenen Stiftungsurkunde bei sowie die Briefe des Dr. Hennebergs

und v. Seebachs,") woraus Sie die Anstände ersehen, und die namentlich

darauf

die man erhebt

basieren, daß man die Stiftung als eine

Wohltätigkeitszwecken gewidmete ansieht, was ich für entschieden falsch

halte, da sie nur Leistungen honorieren und dadurch ermöglichen soll, die

dem gemeinen Besten zugut kommen.

Können Sie Ihren Einfluß bei den maßgebenden Personen in Gotha vielleicht für die Sache in Bewegung setzen? — Eventuell würden Sie

den Minister Mathys) vielleicht für die Sache interessieren? Stiftung in Baden domiziliert würde?

Damit die

Ich wollte mich dann sogleich

selbst an ihn wenden.

Im ganzen sind wir hier guten Mutes, wenn wir auch uns nicht verhehlen, daß noch Schweres über uns kommen könnte, namentlich Ver­

folgungen der brutalsten Art.

Ich gehe aber meinen Weg und tue mein

Teil Arbeit für Wohlstand und Bildung der Massen, da weiß ich auch,

wie Sie von Ihrer Dichterwarte, daß kein Stück dieser Tätigkeit verloren ist für die Gesamtentwicklung der Zeit.

Und es sind doch große Tage,

in denen wir leben, und große Geschicke,

um die es sich handelt, daß

man sich freuen muß, auch sein bescheiden Teil mitzuarbeiten — wie

schwindet da aller Egoismus und alles Hervordrängen eitler Persönlich­

keiten vor den großen Dimensionen unserer Zukunft! Doch genug der Exklamationen; ich wollte Ihnen nur von der Stimmung in unseren Kreisen einen schwachen Ausdruck geben.

Ich denke, wir haben etwas

gelernt und werden noch mehr lernen müssen — aber niemals etwas vergessen.

117. Gegen die Wahlbeeinfluffungen der Regiernug. Rede in der 15. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 3. März 1865.

Gegenstand der Verhandlungen war eine Interpellation des Abg. prof. Dr. Möller.Königsberg (Fortschrittspartei) über eine im preußischLylauer Areisblatt am 4. Februar J865 erschienene Bekanntmachung 2) 2j 3) 4)

Tatsächlich erhielt die Stiftung dort später Korporationsrechte. Vgl. Bd. III S. 141. Vgl. Bd. III S. 146, 148. Vgl. über ihn Bd. III S. 145.

des dortigen tandrats, in welcher er zur Wahl des konservativen Kandi­ daten für das Abgeordnetenhaus aufforderte. Nachdem der Interpellant feine Interpellation selbst begründet hatte, antwortete sofort der Minister

des Innern, Graf zu Eulenburg, und nannte dabei die Behauptung,

daß der tandrat gegen liberale Wähler mit höherer Steuereinschätzung vorgehe, eine Verleumdung. Nachdem Dr. Möller darauf geantwortet hatte, erhielt Schulze das Wort: Wenn der Herr Minister des Innern der neulichen Debatte, wo wir die Wahlen zu annullieren hatten des Grafen v. Sierstorpff und des Herrn Pastor Mader,') beigewohnt hätte, so hätte ihn das sicher ab-

gehalten, den Vorwurf der Verleumdung gegen den Herrn Sprecher und

Interpellanten hier vorzubringen.

Es sind bei jener Gelegenheit durch

Vernehmung teils von Verwaltungsbeamten, teils von Gerichtsbeamten die gröblichsten amtlichen Ausschreitungen gerade in der Beziehung durch­

aus konstatiert,

die der Herr Minister jetzt in Abrede stellt: Es sind

Unterbeamte bedroht mit Disziplinar-Untersuchungen und mit allen mög­

lichen Nachteilen in bezug auf Abgabe ihrer Stimme durch den Landrat bei jener Gelegenheit, daß wohl zu alledem, was der Interpellant vor­ gebracht hat, dringende Gründe und genügende tatsächliche Unterlagen

vorhanden gewesen sind.

Indessen ich gehe über diesen Punkt hinweg

und komme auf das, was der Herr Minister des Innern sagte in bezug

auf das Parteileben bei uns und die Stellung der Königlichen Staats­ regierung dazu.

Der Herr Minister meinte, daß sich oppositionelle Parteien am leichtesten und wirksamsten organisieren und beklagte, daß die Regierungs­

partei noch nicht dahin gelangt sei.

Ich möchte das doch nur mit einer

gewissen Modifikation zugeben und noch etwas anders formulieren.

Ich

meine, meine Herren, nicht sowohl Oppositions-Parteien an sich organi­

sieren sich leicht, sondern die extremen Parteien.

Von allen Parteien

werden sich immer die extremsten am leichtesten organisieren, das liegt

ja in der Sache selbst, weil bei ihnen eben eine ganz bestimmte ein­

seitige fanatische Richtung nach einem Punkt und Ziel hin obwaltet, für

die dann eine besondere Einheit der Operation zu gewinnen leichter ist, als für die Mittelparteien.

Nun, was der Herr Minister weiter sagte,

daß die Regierung genötigt sei, auf eine Partei sich zu stützen, und daß ihr Wunsch sein müsse nach einer Majorität in den Häusern der Volks­

vertretung, das werden wir ihm wohl alle glauben.

2) In der Sitzung vom 22. Februar 1865.

Aber wir werden

Schulze-Delitzsch.

260

dabei denn doch, da man einmal auf eine Kritik der Parteien eingegangen ist, auch unsererseits hervorzuheben haben, auf welche Parteien sich die

königliche Staatsregierung denn eigentlich stützt, und da behaupte ich int Gegensatz zu dem Herrn Minister des Innern: sie stützt sich auf die am

geschlosfensten, festesten organisierten, wenn auch in der Minorität be­

findlichen, auf die extremsten Parteien, die es überhaupt in unserem Lande gibt, auf die sogenannte konservativ-feudale Partei, und

zugleich

sehen sie ihre Verbindung nach der entgegengesetzten Seite hin, die voll­ ständig den anderen Flügel bildet, nach dem sozialdemokratischen Lager

vor aller Augen.

(Sehr wahr!)

Diese beiden extremen Parteien, sie zusamnien bilden die Regierungs­ partei, und die eifrigsten Verteidiger der Regierungspolitik sind in diesen beiden sonst schnurstracks entgegengesetzten Lagern vorhanden, namentlich

auch in der Presse, wo uns die Proben davon täglich zukommen.

Meine

gewiß

jemals

Herren,

nun

Dagewesenes.

ist das

doch

etwas Wunderbares,

kaum

Wenn wir insbesondere nach Frankreich blicken, dessen

Verfassung und Verwaltungssystem sich unsere Regierung in vielen Be­ ziehungen zum Vorbilde nimmt, bemerken wir wohl, daß sich die Gesellschaft

aus Furcht vor dem roten Gespenste, vor der Agitation der einen Partei,

der Anhänger der sozialen Republik dem Cäsarismus unterworfen hat. Bei uns ist aber ein Kunststück von dem Ministerium gelöst worden, ein

politisches oder ein diplomatisches — wie Sie wollen — wie es noch nie vorgekommen ist, daß eine Regierung die

entgegengesetzten extremsten

Parteien unter ihre Fahne einigen und sich auf beide zugleich stützen konnte; das ist eine Merkwürdigkeit, die im politischen Leben sich kaum wiederholen möchte.

Allerdings habe ich meine Gedanken für die Stellung,

die Sie dadurch gewonnen.

Sie kann für den Augenblick dieses oder

jenes möglicherweise dadurch erzielen und erreichen; mir kommt aber doch eine so gewonnene Stellung bedenklich vor in bezug auf die Dauerhafägkeit

ihrer Basis.

Es würde das der Stellung, ich möchte sagen des Koloß

von Rhodus gleichen, der mit weit gespreizten Füßen sich über eine Meer­

enge ausstreckte (Heiterkeit), und ich bezweifle, daß diese Stellung sehr

viel Dauer verspricht. Ich schließe nun, indem ich mich über den Wunsch der Regierung, mit Majoritäten in diesem Hause zu regieren, noch etwas näher verbreite.

Ja, das ist ein so konstitutioneller Wunsch, daß wir uns

nur dazu

gratulieren könnten; aber er stellt sich bei der Königlichen Regierung nach

einer ganz besonderen Richtung hin dar.

Ich glaube unbedingt, daß es

der Wunsch der Regierung ist, eine Majorität in diesem Hause zu haben.

aber sie hat den stillen Vorbehalt dabei, wenn sie die Majorität nicht

bekommt, mit der Minorität und wie bisher fortzuregieren, sich um die

wirklich vorhandene Majorität nicht zu bekümmern. tutionalismus.

Das ist ihr Konsti­

(Heiterkeit.)

Nun, unter Umständen geht das Ding eben solange es geht.

Was

uns aber anbelangt, meine Herren, so haben wir nur eine einzige Auf­ gabe in dieser Hinsicht, die jetzt durch die Äußerung des Herrn Ministers

besonders klargelegt ist: Wenn bei diesen ungesetzlichen Wahlbeeinflussungen

durch Beamte uns keine Aussicht eröffnet wird, daß die Königliche Regierung dem abhilft, diesem ungesetzlichen Unfug steuert, ja dann bleibt uns nicht

viel anderes übrig, als daß wir die uns in dieser Hinsicht verfassungs-

nnißig zustehenden Mittel um so konsequenter üben.

(Sehr wahr!)

Wir müssen eine Korporation wider Willen seitens der Herren von der konservativen Partei erzielen;

wir müssen ihnen zeigen,

daß ein

Gebrauch solcher ungesetzlichen Mittel sie nicht zum Zwecke führt, daß, wo sie solche Mittel, den Amtsmißbrauch von Beamten für ihre Wahl­

kandidaten in die Schranken führen, wir die Wahlen einfach nicht aner­

kennen.

Dann können wir vielleicht eine wirksame Abhilfe hoffen, dann

werden die Herren sich selbst an ihre Freunde unter den Landräten,

Wahlkommisfarien, Regierungspräsidenten usw. wenden und ihnen sagen, sie

möchten das lieber lassen, denn es Hilfe ihnen nichts.

(Sehr richtig! links.)

Darum üben wir unsere Befugnisse, die uns die Verfassung gibt;

es ist der einzige Weg.

Von der Königlichen Staatsregierung haben wir

nicht zu erwarten, daß auf andere Weise unsere Wähler zu ihrem vollen

Rechte gelangen.

(Bravo! links.)

118. Das Petitionsrecht der Gemeinden. Rede in der 16. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 8. März 1865.

Auf der Tagesordnung standen Petitionen der Städte Breslau und Bromberg betr. Sicherung des Rechts der Stadtverordnetenversamm­

lungen, selbständig Petitionen einreichen zu dürfen. Der Antrag der Gemeindekommission lautete auf Überweisung an das Ministerium zur Berücksichtigung.

Jn der Debatte stimmte Dr. Aosch (Königsberg) für

den Antrag der Rommission, trotzdem er ihn für eine Selbstironie halte, da das Ministerium, das hier Abhülfe schaffen solle, selbst angegriffen

werde, indessen bleibe nach der Verfassung der Geschäftsordnung dem krause kein anderer weg übrig.

aber sie hat den stillen Vorbehalt dabei, wenn sie die Majorität nicht

bekommt, mit der Minorität und wie bisher fortzuregieren, sich um die

wirklich vorhandene Majorität nicht zu bekümmern. tutionalismus.

Das ist ihr Konsti­

(Heiterkeit.)

Nun, unter Umständen geht das Ding eben solange es geht.

Was

uns aber anbelangt, meine Herren, so haben wir nur eine einzige Auf­ gabe in dieser Hinsicht, die jetzt durch die Äußerung des Herrn Ministers

besonders klargelegt ist: Wenn bei diesen ungesetzlichen Wahlbeeinflussungen

durch Beamte uns keine Aussicht eröffnet wird, daß die Königliche Regierung dem abhilft, diesem ungesetzlichen Unfug steuert, ja dann bleibt uns nicht

viel anderes übrig, als daß wir die uns in dieser Hinsicht verfassungs-

nnißig zustehenden Mittel um so konsequenter üben.

(Sehr wahr!)

Wir müssen eine Korporation wider Willen seitens der Herren von der konservativen Partei erzielen;

wir müssen ihnen zeigen,

daß ein

Gebrauch solcher ungesetzlichen Mittel sie nicht zum Zwecke führt, daß, wo sie solche Mittel, den Amtsmißbrauch von Beamten für ihre Wahl­

kandidaten in die Schranken führen, wir die Wahlen einfach nicht aner­

kennen.

Dann können wir vielleicht eine wirksame Abhilfe hoffen, dann

werden die Herren sich selbst an ihre Freunde unter den Landräten,

Wahlkommisfarien, Regierungspräsidenten usw. wenden und ihnen sagen, sie

möchten das lieber lassen, denn es Hilfe ihnen nichts.

(Sehr richtig! links.)

Darum üben wir unsere Befugnisse, die uns die Verfassung gibt;

es ist der einzige Weg.

Von der Königlichen Staatsregierung haben wir

nicht zu erwarten, daß auf andere Weise unsere Wähler zu ihrem vollen

Rechte gelangen.

(Bravo! links.)

118. Das Petitionsrecht der Gemeinden. Rede in der 16. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 8. März 1865.

Auf der Tagesordnung standen Petitionen der Städte Breslau und Bromberg betr. Sicherung des Rechts der Stadtverordnetenversamm­

lungen, selbständig Petitionen einreichen zu dürfen. Der Antrag der Gemeindekommission lautete auf Überweisung an das Ministerium zur Berücksichtigung.

Jn der Debatte stimmte Dr. Aosch (Königsberg) für

den Antrag der Rommission, trotzdem er ihn für eine Selbstironie halte, da das Ministerium, das hier Abhülfe schaffen solle, selbst angegriffen

werde, indessen bleibe nach der Verfassung der Geschäftsordnung dem krause kein anderer weg übrig.

262

Schulze-Delitzsch. Ja, meine Herren, ich bin durch die Worte des Herrn Abgeordneten

Kosch am Schluß seiner Rede dahin gebracht worden, den

Antrag des

Kommissionsberichtes etwas zu schwach zu finden und auf eine andere

Form hinzudeuten, deren wir uns bei früheren Gelegenheiten auch bedient

haben.

Es ist Sitte des Hauses gewesen, daß da, wo nach Ansicht der

Majorität eine ganz bestimmte Rechtsverletzung stattfand, und die König­

liche Staatsregierung und das Haus sich schnurstracks entgegenstanden in ihren Ansichten, eine Sache nicht zur Berücksichtigung, sondern zur

Abhilfe an die Königliche Staatsregierung überwiesen wurde.

So scheint

mir nun diese Sache von meinem Standpunkte aus zu liegen, und ich

werde mir alsdann erlauben, ein Amendement

zur Abänderung

des

Kommissionsantrages in diesem Sinne einzubringen.

Mit der Deduktion meines Herrn Vorredners^) über den Rechts­

punkt, stehe ich wohl im ganzen auf gleichem Boden, ich komme nur hier und da noch zu einigen anderen Resultaten, die ich Ihnen noch kurz vorführen werde.

Wer die Ausführungen des Herrn Ministers und des

ersten Redners auf der Tribüne^) gehört hat,

muß

notwendig

dazu

kommen, wenn er die Sachlage sonst nicht kennt, zu denken: es handle sich hier um Beschlüsse der Stadtverordneten

über irgendeine Staats­

angelegenheit, nicht um das Peütionsrecht, welches sie als Vertreter der

Stadtgemeinde ausgeübt haben.

Alle die Kompetenzen der Bestimmungen

der Städteordnung können doch wohl nicht anders angewendet werden, als da, wo die Stadtverordneten eben beschließen und als Stadtverord­

nete austreten, wo sie amtliche Funktionen ausüben.

Dann

freilich,

meine Herren, brauchen wir solche Kompetenzgrenzen; aber, meine Herren,

das Recht, einen Wunsch, eine Meinung zu äußern, das Petitionsrecht, welches

allen

preußischen

Korporationen und Behörden durch unsere

Verfassung gewährleistet ist, kann sich doch unmöglich an Kompetenzgrenzen hinsichtlich seines Gegenstandes in

Sie doch die Verfassung.

irgendeiner Weise binden.

Nehmen

Die Verfassung unterscheidet bei dem Petttions-

recht nicht zwischen dem einzelnen, welchem sie es erteilt und zwischen Behörden und Korporationen.^)

Nun hat der einzelne, der petitioniert,

*) Abg. v. Kirchmann (Breslau). 2) Sowohl der Minister des Innern als der Abg. Hübner (Breslau) hatten der Stadtverordnetenversammlung in Breslau Überschreitung ihrer Kompetenzen vorgeworfen. ’) Art. 32 der Verfassung von 1850: „Das Petitionsrecht steht allen Preußen zu. Petitionen unter einem Gesamtnamen sind nur Behörden und Korporationen gestattet.

ganz unzweifelhaft das Recht, entweder eine Privatangelegenheit, die ihn berührt, zum Gegenstand der Petition zu machen, oder er kann in bezug

auf Staatsangelegenheiten gewisse Wünsche äußern, wenn der Gegenstand

ihn auch nicht unmittelbar berührt; davon ausgehend, daß sein Einzelwohl

mit dem Wohl der Gesamtheit untrennbar zusammenhängt.

Sie können

doch die Behörden und Korporationen nicht anders und schlechter stellen. Gewiß haben die städtischen Vertreter zunächst das Recht, eine Gemeinde­ angelegenheit zum Gegenstand einer Petition zu machen; aber, meine

Herren, sie werden dann auch so gut wie jeder einzelne Landesangelegen­ heiten zum Gegenstand von Petitionen machen können, selbst wenn sie

mit ihren Gemeindeangelegenheiten wirklich gar nicht im Zusammenhang

ständen, wie dies doch offenbar hier, wie die Herren vor mir klar dargelegt

haben, der Fall ist.

Sonst stellen Sie ja die Behörden und Korpora­

tionen entschieden schlechter, als den einzelnen

und dazu werden Sie in

dem betreffenden Artikel unserer Verfassung nicht im mindesten Veran­

lassung finden.

Darum resümiere ich mich und fasse meine Ansicht dahin

zusammen, die Kompetenzbestimmungen der verschiedenen Gesetze, nament­

lich der Städteordnung über die Befugnisse der Stadtverordnetenkönnen

sich verständigerweise nur auf solche Dinge beschränken, wo die Stadt­ verordneten mit beschließender Gewalt auftreten, d. h. Angelegenheiten, in welchen sie ein entscheidendes Wort zu sprechen haben.

(Sehr wahr.)

Sie können nun und nimmermehr aber dahin zielen, da, wo der

von ihnen vertretenen Gemeinde verfassungsmäßig das Recht, ihre Meinung zu äußern, ihre Wünsche an den Stufen des Thrones niederzulegen und

im Hause der Abgeordneten kundzugeben, zusteht, ihnen eine in der Ver­ fassung selbst nicht gesetzte Grenze zu ziehen und den Gegenstand ihrer Wünsche oder Meinungsäußerung zu beschränken, am wenigsten sie ab­

halten, große wichtige Landesangelegenheiten, die jmit dem Wohl ihrer Gemeinde, wenn auch nicht immer im unmittelbaren, so doch im mittel­

baren Zusammenhang stehen, zu den Stufen des Thrones zu bringen. Lassen Sie mich noch auf die Motive, die das Petittonsrecht als *) Städteordnung von 1853 § 35: „Die Stadtverordnetenversammlung hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu beschließen, soweit dieselben nicht aus­ schließlich dem Magistrate überwiesen sind. Sie gibt ihr Gutachten über alle Gegenstände ab, welche ihr zu diesem Zwecke durch die Aufsichtsbehörden vor­ gelegt werden. Über andere als Gemeindeangelegenheiten dürfen die Stadt­ verordneten nur dann beraten, wenn solche durch besondere Gesetze oder in ein­ zelnen Fällen durch Aufträge der Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind. Die Stadtverordneten sind an keinerlei Instruktion oder Aufträge der Wähler gebunden."

Schulze-Delitzsch.

264

einen so wichtigen Teil der Verfassung darstellen, einen Augenblick ein­ gehen, es wird noch weiter zur Beleuchtung der Sache beitragen.

Weswegen will man, daß solche Petitionen über allgemeine Landes­ angelegenheiten bei dem Träger der Krone, bei den höchsten Behörden niedergelegt werden können?

Man will einen Zusammenhang zwischen

allen Bürgern des Staats Und den höchsten Stellen hergestellt wissen, man will den Kanal nicht verschlossen wissen, die Wünsche und Meinungen

des Landes unmittelbar bis an die höchsten Spitzen zu bringen.

Nun,

meine Herren, wenn wir dem einzelnen das Recht geben, wieviel mehr müssen es im Interesse der Sache, im Interesse der höchsten Landes­

behörden, und im Interesse der Krone selbst die Vertreter der Kommunen

haben, der wichtigsten Glieder des staatlichen Organismus! Sie bedeuten weit mehr als der

Einzelne für sich, sie sind die

Vertrauensmänner großer Gesamtheiten.

Was sie darbringen, was sie

niederlegen als den Ausdruck ihrer Wünsche und Meinungen an den Stufen des Thrones, das bietet eine weit größere Garantie für das Zu­

treffende, für die Begründung des Verlangens, als bei jenen, denn es kommt von Männern, die in der Gemeinde sich in einer ihnen bestimmten einflußreichen Stellung bewegen, und welche besonders Gelegenheit haben,

von den Wünschen und von dem, was ihre Mitbürger drückt, unmittelbar Kenntnis zu nehmen.

Auch nach den Motiven, weshalb überhaupt in

unserer Verfassung den Staatsbürgern, den Behörden und Korporattonen

das Petttionsrecht zugesichert ist,

auch

von

Standpunkte also

diesem

müssen wir dasselbe eher im höheren als im minderen Grade den Kor­

porationen, besonders den Kommunen gesichert verlangen, als es bei dem

einzelnen der Fall ist.

Der Herr Minister hat zwar von den schreck­

lichen Folgen gesprochen, die daraus entspringen würden, wenn plötzlich

die ganzen Stadtverordnetenkollegien im Lande — es werden nahezu an tausend sein — von diesem Rechte Gebrauch machen wollten?)

O! meine Herren, ich glaube, wenn die ganzen Kommunalbehörden

ffich in Bewegung

setzten nach

der Richtung

hin

wie die Königliche

Regierung es wünscht (Hört! Hört!), es würde dem Herrn Minister durchaus nicht schrecklich sein.

Allerdings ist, was man für das Ministe­

rium nach dieser Richtung hin in Szene gesetzt hat, schwächlicher Versuch geblieben.

Wir sehen die Herren Minister sich die größte Mühe geben

und

den mindesten Schrecken empfinden

nicht

über

die landkundigen

*) Der Minister des Innern hatte gemeint, daß es zu revolutionären Be­ wegungen führen müsse, wenn man den Stadtverordnetenversammlungen das Recht gebe, über alle möglichen politischen Angelegenheiten zu petitionieren.

Loyalitätsdeputationen, die man von allen Seiten in Bewegung setzt; und als Bewohner Potsdams habe ich öfters Gelegenheit gehabt, mir

deren für den Unbefangenen in der Tat einigermaßen schreckliche Physiog­

nomien näher anzusehen (Heiterkeit); selbe gereichten aber keineswegs dem Ministerium zum Schrecken, und ich bin überzeugt, wenn Tausende mehr

gekommen wären, das Ministerium würde keine Minute Bedenken getragen

haben, sie in Gemeinden oder auch die Vertreter derselben der Majestät vorzuführen. welche das

Weiter meine ich, gerade diejenigen Herren unter uns, persönliche

Regiment stets so

sehr

hervorheben

und

es

dem

parla­

mentarischen entgegensetzen, welche durchaus die persönliche Einwirkung des- Trägers der Krone auf die Staatsangelegenheiten in möglichst aus­ gedehnter Form wünschen, wenigstens diese sollten doch dafür sein, daß uninittelbar aus dem Lande dem Träger der Krone alles Material, alle

Motive zu dem persönlichen Eingreifen unterbreitet werden, welches ver­ fassungsmäßig noch immer in großem Maße, namentlich in der Berufung

der Staatsminister stattfinden kann.

Gerade diese Verehrer des persönlichen Regiments inüßten vor allem dahin streben,

daß der Träger der Krone in möglichst unmittelbarer

Weife, über die Köpfe der Mitglieder dieses Hauses hinweg, von den

unverfälschten Wünschen und Gesinnungen im Lande jederzeit durch solche Petitionen in Kenntnis erhalten werde.

Endlich muß ich noch auf das

zurückkommen, was der erste Herr Redner, der Herr Abgeordnete Hübner

hier gesagt hat: „Wir sollten uns hüten, eine Herabwürdigung der Be­ hörden und städtischen Körperschaften im Interesse der politischen Agitation

zu billigen", indem wir uns für die Petition erklärten.

Meine Herren!

Ich finde eine Herabwürdigung von Behörden

nicht darin, wenn diese ihre selbständige männliche Gesinnung, ihr eigenes

Urteil in wichtigen Landesangelegenheiten kundgeben und den Drang in sich fühlen, es an höchster Stelle niederzulegen, wohin

es gehört, weil

sie das Vertrauen haben, daß man ihnen dort entgegenkommen, und daß

man Rücksichten auf ihre Meinungsäußerung nehmen würde.

Ich finde

aber eine Herabwürdigung von Behörden darin, und bedaure sie, wenn man den Behörden anmutet, jede politische Überzeugung, jedes eigene

Urteil in diesen Dingen zu unterdrücken und blindlings den Inspirationen und Dekreten von oben zu folgen.

(Bravo!

Links.)

Ich finde ferner eine Herabwürdigung der Behörden seitens

der

Königlichen Staatsregierung darin, wenn man, wie dies bei den Magi­ straten

unserer Kommunen

geschieht,

konsequent

selbständige Männer,

Schulze-Delitzsch.

266

Männer mit eigenem Urteil, hochangesehen unter ihren Mitgliedern, von

der Gemeindeverwaltung ausschließt und ihre Wahl nicht bestätigt; wenn man solchen Elementen den Zugang zu den städüschen Körperschaften

verschließt — darin finde ich von meinem Standpunkte aus eine Herab­ würdigung der Kommunen.

(Beifall links.)

Dies dem Herrn Abgeordneten Hübner.

Ich glaube hiermit genugsam motiviert zu haben, daß es bei den vorliegenden Petitionen schwerlich noch auf eine Überweisung zur Berück­ sichtigung ankommen kann.

Die Königliche Staatsregierung steht in der

Mehrheit geäußerten Ansichten schnurstracks entgegen, sie ist quasi Partei

in dieser Sache, da die Beschwerden sich erstrecken auf Handlungen des

Ministeriums selbst.

Ich möchte daher glauben, daß es bei weitem mehr

dem Sinne und der Aufgabe dieses Hauses in einem solchen Falle ent­

spräche, wenn wir die Petitionen nicht zur Berücksichtigung — die können

sie nicht finden, wenn das Königliche Ministerium nicht selbst sich ver­ leugnen soll — wenn wir vielmehr das direkte Verlangen der Abhilfe

aussprächen. Ich erlaube mir, mein Amendement darauf zu richten und auf den

Tisch des Hauses niederzulegen.

Die Beratung wurde in der folgenden Sitzung fortgesetzt. 3n ihrem verlauf zog Schulze sein Amendement zugunsten eines Antrages von Gneist (Mansfeld) zurück, der folgenden Wortlaut hatte: „Das

^aus der Abgeordneten wolle beschließen: Ministerialreskripte, welche den Magistraten und Stadtverordneten das Petitions- und Beschwerde­ recht in öffentlichen Angelegenheiten untersagen oder beschränken, und die darauf gerichteten Lxekutivmaßregeln widerstreiten dem Art. 32 der Verfaffungsurkunde." Dieser Antrag wurde mit großer Majorität an­

genommen.

119. Das Etatsrecht des Preußische» Abgeordnetenhauses. I.

Am 1). Januar (865 war der Landtag wieder eröffnet worden.

Am März begann die Plenarberatung des Etats. Die Kommission hatte beantragt, zu beschließen: I. Der Etat lasse eine richtige Verteilung der Staatsausgaben nicht erkennen.

2. Der Militäretat bedürfe einer

wesentlichen Umgestaltung und Ermäßigung.

5. Lür produktive, kulturelle

Schulze-Delitzsch.

266

Männer mit eigenem Urteil, hochangesehen unter ihren Mitgliedern, von

der Gemeindeverwaltung ausschließt und ihre Wahl nicht bestätigt; wenn man solchen Elementen den Zugang zu den städüschen Körperschaften

verschließt — darin finde ich von meinem Standpunkte aus eine Herab­ würdigung der Kommunen.

(Beifall links.)

Dies dem Herrn Abgeordneten Hübner.

Ich glaube hiermit genugsam motiviert zu haben, daß es bei den vorliegenden Petitionen schwerlich noch auf eine Überweisung zur Berück­ sichtigung ankommen kann.

Die Königliche Staatsregierung steht in der

Mehrheit geäußerten Ansichten schnurstracks entgegen, sie ist quasi Partei

in dieser Sache, da die Beschwerden sich erstrecken auf Handlungen des

Ministeriums selbst.

Ich möchte daher glauben, daß es bei weitem mehr

dem Sinne und der Aufgabe dieses Hauses in einem solchen Falle ent­

spräche, wenn wir die Petitionen nicht zur Berücksichtigung — die können

sie nicht finden, wenn das Königliche Ministerium nicht selbst sich ver­ leugnen soll — wenn wir vielmehr das direkte Verlangen der Abhilfe

aussprächen. Ich erlaube mir, mein Amendement darauf zu richten und auf den

Tisch des Hauses niederzulegen.

Die Beratung wurde in der folgenden Sitzung fortgesetzt. 3n ihrem verlauf zog Schulze sein Amendement zugunsten eines Antrages von Gneist (Mansfeld) zurück, der folgenden Wortlaut hatte: „Das

^aus der Abgeordneten wolle beschließen: Ministerialreskripte, welche den Magistraten und Stadtverordneten das Petitions- und Beschwerde­ recht in öffentlichen Angelegenheiten untersagen oder beschränken, und die darauf gerichteten Lxekutivmaßregeln widerstreiten dem Art. 32 der Verfaffungsurkunde." Dieser Antrag wurde mit großer Majorität an­

genommen.

119. Das Etatsrecht des Preußische» Abgeordnetenhauses. I.

Am 1). Januar (865 war der Landtag wieder eröffnet worden.

Am März begann die Plenarberatung des Etats. Die Kommission hatte beantragt, zu beschließen: I. Der Etat lasse eine richtige Verteilung der Staatsausgaben nicht erkennen.

2. Der Militäretat bedürfe einer

wesentlichen Umgestaltung und Ermäßigung.

5. Lür produktive, kulturelle

Zwecke und für Erhöhung der Besoldungen der tehrer, Unterbeamten sowie der Unteroffiziere und Gemeinen der Armee seien größere Summen

einzustellen, weiter wurde eine Reform der Gebäudesteuer, der Rlaffenund Einkommensteuer verlangt und die Regierung aufgefordert, einen

nach diesen Grundsätzen umgearbeiteten Etat vorzulegen.

Eine dem

Aommissionsbericht beigegebene Denkschrift enthielt eine bis zum ^ahre ^8)9 zurückgehende vergleichende Übersicht der preußischen Finanzverwaltung. Nachdem der Referent v. Forckenbeck (Ukohrungen) das verfassungs­ widrige Verhalten der Regierung aufs schärfste kritisiert und vor allem praktische Anerkennung des Budgetrechts der Rammer gefordert hatte, warf der Abg. v. Gottberg (Stolp) der Kommission vor, sie täusche dem

Volke die Möglichkeit von Steuererleichterungen vor, um sich populär zu machen.

Darauf erhielt Schulze das Wort:

Rede in der 20. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 14. März 1865.

Ich habe nach der Vollständigkeit des Berichtes selbst und nach der Ausführung, die seitens des Herrn Abgeordneten v. Forckenbeck gegeben

ist, und der Sie alle so lebhaft zustimmten, nur eine sehr kurze Bemerkung zu machen, nur einen ganz kleinen Protest einzulegen gegen einiges, was der letzte Herr Redner anführte.

Er suchte das Bestreben der Budgetkommission, einmal das ganze

Finanzgebahren der Regierung seit Jahren zusammenzufassen, es über­ sichtlich darzustellen, um darin den rechten Standpunkt zu finden für die jetzige Haltung unseres Hauses bei so schweren Verwicklungen und bei so

großen und so schwierigen Finanzfragen, wie sie uns vorliegen, — dieses Streben suchte er als ein nicht gerechtfertigtes Jagen nach Popularität

hinzustellen; er bemerkte dabei, daß solche materiellen Vorteile, wie man etwa den Steuerzahlern sie darbiete, indem man Steuerermäßigungen

ihnen in Aussicht stellte, ein sehr wohlfeiles Mittel sei, um dadurch

Popularität für eine Partei zu

gewinnen.

Ich kann erstens dagegen

nur geltend machen: wenn es die besondere, verfassungsmäßige Aufgabe

einer parlamentarischen Körperschaft wie die unserige ist, gerade die Finanzen zu überwachen, gerade das richtige Verhältnis zwischen den Einnahmen und

Ausgaben des Staates herzustellen, wenn wir uns also in dieser Arbeit mit der unmittelbar uns übertragenen Aufgabe in dem genauesten Zu­

sammenhänge finden, so begreife ich nicht, wie eine gewissenhafte Lösung dieser Aufgabe, die wirklich nur durch Arbeiten der umfassendsten und schwierigsten Art gewonnen werden konnte — und Sie wissen alle, wie schwer diese Arbeiten, namentlich die Beschaffung des statistischen Materials

Schulze-Delitzsch.

268

für die Berichte unserer Kommission seitens der Königlichen Staatsregierung

unserer Kommission gemacht worden ist — ich sage, so begreife ich doch

wahrhaftig nicht, wie man das Bestreben, die erwähnte Aufgabe auf das

gewissenhafteste zu lösen, als ein wohlfeiles Haschen nach Popularität

bezeichnen kann!

Und nun weiß ich am allerwenigsten, wie gerade die

Partei, der der Herr Abgeordnete Gottberg angehört, dazu kommt, durch ihn einen solchen Vorwurf gegen die Majorität des Hauses zu erheben.

Ist es denn nicht gerade diese Partei, welche — wie wir aus den Wahl­

verhandlungen, wie wir aus einer Menge von Dingen, die hier zur Kenntnis und zur Verhandlung kamen, gesehen haben, — ist es nicht gerade diese Partei (zur konservativen Fraktion), die wesentlich sich immer

zu verstärken sucht durch Androhung materieller Nachteile und durch

Bietung materieller Vorteile! — (Lebhafte und wiederholte Zustimmung Widerspruch aus der konservativen Fraktion.)

links.

Ja, meine Herren (zur konservativen Fraktion), das ist konstatiert in diesem Hause, sogar der Mißbrauch der Amtsgewalt ist Ihnen nach­ gewiesen, den eine Menge Ihrer Parteimitglieder begangen hat, um Ihre

Reihen zu verstärken.

Ich glaube, wenn wir also auf dieser Seite des

Hauses (links), Gebrauch machen von unserem verfassungsmäßigen Mandate behufs einer Gewinnung genauer finanzieller Übersichten, behufs einer ge­

wissenhaften Anwendung und Jnverhältnissetzung der Ausgaben und Ein­ nahmen, so sind Sie die letzten, die ein Haschen nach wohlfeiler Popu­

larität uns vorzuwerfen haben!

(Lebhaftes Bravo!)

Auf eine Erwiderung v. Gottbergs, daß er Schulzes Worte als Beleidigung auffaffe, antwortete dieser: Wenn der Herr Abgeordnete von Gottberg mich nicht verstanden

hat, so tut mir das sehr leid, denn ich habe sehr deutlich gesprochen, bin aber nicht verpflichtet, mit meiner Rede von der Tribüne mich speziell

an sein individuelles Verständnis zu wenden. Er würde wohlgetan haben, wenn er sich von der völligen Unpersönlichkeit meiner Äußerung

hätte überzeugen wollen, er hätte vorher den stenographischen Bericht ein­

gesehen.

Ich habe beide Parteien einander gegenübergestellt; der Herr

Abgeordnete hat der Partei, der ich anzugehören die Ehre habe, vor­

geworfen, sie hasche durch Konzessionen, wie eine Steuererniedrigung, nach Popularität: das hat das Haus gehört.

(Zustimmung.)

Ich habe darauf gesagt, die Mitglieder dieser Partei (rechts) hätten am wenigsten Ursache, dergleichen Dinge hervorzuheben, da gerade kon­ statiert fei durch Wahlverhandlungen und sonst, daß man die Drohung

materieller Nachteile und die Bietung materieller Vorteile nicht scheut, um sich zu verstärken. (Sehr wahr!) Damit hat er gar nichts zu tun; das, was ich den Herren jener Seite vorgeworfen habe, habe ich nur geltend gemacht gegen das, was der Herr Abgeordnete v. Gottberg uns vorgeworfen hat.

Das Land und

das Haus mögen darüber entscheiden, welcher von diesen Vorwürsen der begründetere ist.

Die Debatte wurde an den folgenden Tagen fortgesetzt, ohne daß sich Schulze zunächst beteiligte. Auf beiden Seiten wurde mit steigender

Erbitterung gekämpft.

In der Sitzung vom (6. sprach Wagener (Neu­

stettin) die Lsoffnung aus, der König werde den Etat oktroyieren.

Mehr­

mals, besonders in der Sitzung vom 23. März, kam Roon zum Wort. Er erklärte, daß die Regierung unverändert an der dreijährigen Dienst­ zeit festhalte, wenn Preußen die Armeereorganisation aufgebe, so sei sein 2Osehen in Europa zerstört. Er warf dabei der Majorität Gelüste

nach Machterweiterung vor, wodurch die Regierung gezwungen werde, den Rechtsboden zu verlassen. Ihm gegenüber verteidigte Simson (Montjoie) die Rechte des Dauses. Am 27. März kam Schulze wieder zum Wort:

II. Rede in der 28. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 27. März 1865.

Meine Herren! Nach der mehrtägigen und eingehenden Debatte über die materiellen Fragen würde es mir nicht eingefallen sein, das Wort zu

ergreifen, da ja ohnehin ein Abschluß dieser Debatte im Hause noch nicht einmal erfolgt, sondern wir ja erst in die definitive und spezielle Beratung erst später einzutreten haben, wenn ich es nicht für durchaus geboten erachtete, auf das Vorgehen des Herrn Kriegsministers in bezug auf dasjenige, dessen er uns vor dem Lande beschuldigt/) Verwahrung ein­ zulegen. , Ich will darauf nicht eingehen, ob es sich wirklich hier um die

Drohung eines Bruches von seiner Seite handelte.

Uns liegen ja gegen­

wärtig die stenographischen Berichte vor, und danach stellen sich die Äußerungen des Herrn Kriegsministers so dar: daß im Augenblick und

bisher ja durchaus keine Intention seitens der Königlichen Staatsregierung *) Roon hatte gesagt, die Schuld an der Fortdauer des Konflikts liege beim Abgeordnetenhause, das verfassungswidrig nach Machterweiterung strebe.

270

Schulze-Delitzsch.

obwalte und gewaltet habe, einen solchen Bruch mit dem Verfassungsrecht

herbeizuführen?) Aber, meine Herren, es ist dabei eine Perspektive gestellt, al s ob es

namentlich in der Haltung dieses Hauses läge, wenn zukünftig der be­ tretene verfassungsmäßige Weg nicht inne gehalten werden könne. liegt ja die Sache uns unbedingt vor.

So

Die Haupttendenz, die her Herr

Kriegsminister allein gehabt haben kann bei den ausführlichen und ein­ gehenden Äußerungen über unser Parteiwesen, unsere Organisation, über

unsere Tendenzen nach Machterweiterung usw. kann doch nur die sein,

um vor dem Lande zu konstatieren, daß es nicht die Schuld des König­ lichen Staatsministeriums sei, wenn die Versöhnung, wenn die Ausgleichung

eben nicht zustandekomme; sondern daß diese Schuld nur allein in unseren

Reihen gesucht werden müsse.

Und dies eben will ich zum Gegenstände

einiger Verwahrungen und Erinnerungen gegen das von ihm geäußerte

machen. Was er zunächst über die vortreffliche Organisation der Parteien der Majorität des Hauses gesagt hat, da tut es mir nur leid, daß ich

das nicht akzeptieren kann?)

Diese Organisation mag sein wie sie will,

aber so vollendet, wie er sie sich denkt, ist sie bei weitem nicht.

Ver­

möge der Organisationen haben wir durchaus nicht gesiegt in den Wahlen, da hätte die Partei unserer Gegner, die in der Minderheit sind, aber

eine weit geschlossenere und festere Organisation besitzt, wenn es auf diese

allein ankäme, bei weitem mehr Chancen für sich gehabt.

Wir haben

wohl aus anderen Gründen den Erfolg für uns abzuleiten: weil eben

mit uns ist und in unserem Verfassungskampfe mit uns geht das Volk, selbst im Vollbewußtsein der Interessen, um die es sich handelt.

Wir

können auch gar nicht die Stützen alle haben, deren unsere Gegner hier im Hause sich erfreuen, denen ja die Regierungsmittel zu Gebote gestellt

werden.

Wir haben keine Kreisboten, die unsere Flugblätter vertreiben

0 Aus Roons Rede: „Die Regierung steht bis zu diesem Augenblicke in der entschiedensten Intention — den verfaflungsmäßigen Zustand zu retablieren, soweit er alteriert ist. Dazu müssen Sie die Hand bieten, aber nicht Vorschläge machen, welche zu dem geraden Gegenteile führen. Meine Herren! Wenn Sie das verschmähen, so steht allerdings die Frage auf einem ganz anderen Boden. Es handelt sich dann nicht mehr um eine Rechtsfrage, sondern es handelt sich um eine Existenzfrage." 2) Roon hatte gemeint, die Majorität erfreue sich einer so vorzüglichen Parteiorganisation, daß mit den bestehenden Gesetzen nicht dagegen anzukämpfen sei. Ob aber das Gesetz nicht Mittel finden werde, um störend in diese Organi­

sation einzugreisen, das werde die Zukunft lehren.

und umhertragen, wir haben auch keine Ortsschulzen, die bei Ordnungs­ strafe die Leitartikel aus den offiziellen und offiziösen Blättern usw.

ihren Gemeinden vorlesen müssen. Das sind mächüge Organisations­ mittel, an denen es uns ganz entschieden gebricht, und die die Königliche Staatsregierung natürlich nur den Männern derjenigen Partei, auf die sie sich stützt, zugute kommen läßt. Weiter ging — und daran will ich speziell anknüpfen — eine Aus­ führung des Herrn Ministers dahin, daß eigentlich die ganzen Beschlüsse im Hause von dem Fraktionswesen abhingen, daß cs hier im Hause gar

nicht mehr darauf ankomme, daß die notwendige Unbefangenheit gar nicht mehr vorhanden sei, um sich durch die Macht der Debatte bestimmen zu lassen und schlüssig zu werden über die großen Fragen, die uns hier

beschäftigen.

Wohin das zielt, meine Herren, brauche ich nicht zu sagen.

Ich hätte aber gerade von dem Herrn Kriegsminister geglaubt, der ja doch als bedeutender militärischer Techniker eben die Wichtigkeit seiner Kadres in der Armeeformation kennt, daß er die Notwendigkeit der Fraktionen, als der parlamentarischen Kadres besser zu schätzen wisse, ohne

welche in der Tat bei einem Hause von solcher Mitgliederzahl eine im Interesse aller Teile zu vermeidende Verwirrung in der Debatte not­ wendig eintreten müßte. Die Fraktionen sind die Kadres, in welche sich die einzelnen einreihen, um den parlamentarischen Meinungskampf in einem größeren parlamentarischen Körper durchführen zu können, damit nicht die äußerste subjektive Willkür den Verhandlungen allen festen Halt raubt. Darin aber irrt sich der Herr Minister, wenn er meint, in den Fraktionen würde die Abstimmung im Hause im voraus entschieden. Nein, meine Herren, die Stellung der Mitglieder der liberalen Partei zu den Fragen, um die es sich gegenwärtig handelt, um die sich der Konflikt dreht, zur Budget- und zur Militärfrage — deren Fixierung muß der Herr Minister nicht in den Fraktionen suchen, vielmehr muß er weit hinter die Fraktionen zurückgreifen. Die Königliche Staatsregierung hat die Entscheidung dieser Frage in materieller Hinsicht — in formeller Hinsicht verbleibt sie natürlich diesem Hause zu — selbst an eine ganz

andere Stelle hinverlegt und ist dabei über die Köpfe der Mitglieder dieses Hauses hinweggegangen. Sie hat durch eine zweimalige Appella­ tion vermittels der Auflösung dieses Hauses*) die Entscheidung den

Wahlkörperschaften des Landes, den Urversammlungen der preußischen

Wähler selbst in die Hände gelegt und in diesen Urversammlungen ist der v) Vgl. oben S. 222 und 255.

Spruch erfolgt, so daß die Fraktionen unseres Hauses sich gar nicht noch damit zu befassen nötig hatten. Denn wir alle — welcher Partei wir auch angehören mögen — hatten mit unseren Ansichten über die be­ zeichneten Streitpunkte vor die Wähler zu treten, und die Darlegung dieser Ansichten hat über die Wiederwahl entschieden. Kurz, in den. Fraktionen war in dieser Beziehung nichts mehr zu tun. Sie hatten darin nicht erst eine bestimmte Stellung einzunehmen; das Land hat sie eingenommen, das Land hat die Fragen beantwortet, und zwar so deutlich, daß dies nicht mehr mißverstanden werden kann, weil ja die Befragung wie die Antwort eine doppelte gewesen ist. Unsere Stellung zu diesen Fragen ist also eine sehr klare und eine sehr günstige in jeder Hinsicht. Ich muß mir aber erlauben, nach den eigenen Ausführungen des Herrn Kriegsministers zu bezweifeln, daß seine Stellung zu der Militärreorganisation eine ebenso klare und günstige ist. Ich erinnere Sie an die Mitteilungen, die uns durch den Herrn Kriegsminister geworden sind, als es sich um die Frage wegen des so­ genannten Antrittes des Erbes des Generals v. Bonin handelte?) Der Herr Kriegsminister hat uns gesagt, — wir haben ja dieser Offenheit nur zu danken — daß von ihm das Reorganisationsgesetz nicht herrührt, daß er es vielmehr fertig vorgefunden habe. Ich glaube, das ist auch ein ziemlich offenes Geheimnis, und das war wohl den meisten Mit­ gliedern dieses Hauses bekannt, so daß niemand diese Äußerung des Herrn Kriegsministers bezweifeln kann. Aber wenn er kurz zuvor gesagt: er habe in dieser Beziehung das Erbe des Generals v. Bonin augetreten, so wird er mir doch erlauben müssen, meine Zweifel dagegen auszusprechen. Wenn man überhaupt in diesen Dingen von Erbschaft­ antreten reden kann, wo es sich noch um eine sehr lebendige und wirk­ same Kraft handelt, der die Autorschaft zuzuschreiben ist, so liegt die Sache doch anders. Wir kennen die verhängnisvolle Stelle, meine Herre», die noch immer als die Klippe in unser Verfassungsleben hineinragt, weil sie sich der konsÜtutionellen Verantwortlichkeit entzieht, von welcher jenes sogenannte Erbe, der Reorganisationsplan ausgegangen ist?) Wenn nun der Herr Kriegsminister sagt, er habe das Erbe des Generals v. Bonin angetreten, so könnte das die irrtümliche Meinung erwecken, als rühre jener Plan von dem General v. Bonin her. So ist es nicht: J) In der Sitzung vom 21. März hatte Roon dem Abg. F. Duncker er­ widert, er (R.) sei in der Frage der Reorganisation durchaus der Erbe seines Vorgängers v. Bonin. 2) Gemeint ist das Militärkabinett.

Der General v. Bonin hat das Erbe ausgeschlagen, und der Herr Kriegs­ minister hat es angetreten, so liegt die Sache!

Der Herr Kriegsminister sagte nun weiter, er habe den Plan bereits fertig vorgefunden, und er seinerseits würde es wahrscheinlich nicht für ratsam erachtet haben, denselben in allen seinen Einzelheiten zu vertreten.

So habe ich es mir notiert, und so ist dies auch im stenographischen Bericht wiedergegeben. günstig wie die unsrige.

Daraus folgere ich, seine Stellung ist nicht so

Er hat einen Plan vor das Haus gebracht,

und versucht, denselben mit aller Energie durchzuführen, einen Plan, mit

dem er nicht in allen Punkten einverstanden gewesen ist. So stehen wir nicht zu der Frage. Wir stehen mit vollster Überzeugung auf den Be­ schlüssen, die in den früheren Sessionen gefaßt worden sind und sind im vollen Einverständnis darüber nicht nur unter uns, sondern auch mit

unserem Volke.

Weiter ist die Fortschrittspartei speziell beschuldigt worden, daß sie nach einer Machterweiterung strebe.

Nun, meine Herren, unterscheiden

wir zunächst die Rechts- und die Machterweiterung.

Der Herr Abgeordnete

für Montjoie^) hat dies Verhältnis in bezug auf die erstere schon so klar

dargelegt, daß ich nichts hinzuzusetzen habe.

Wenn man auf verfassungs­

mäßigem Wege nach einer Erweiterung der verfassungsmäßigen Befugnisse

strebt, so ist das kein Vorwurf; das mag jeder parlamentarischen Körper­ schaft, das mag auch jeder Regierung unbedingt freistehen.

Dagegen wird

niemand etwas einreden können, wenn eine Regierung auf verfassungs­ mäßigem Wege in diesem ober jenem Punkte eine Änderung der Verfassung wünscht, und ebensowenig wird man uns entgegentreten können, wenn wir auf verfassungsmäßigem Wege dies oder jenes in der Verfassung

geändert wünschen.

Aber darum handelt es sich eigentlich hier gar nicht.

Wir sind gar nicht in der Lage, Verfassungsänderungen anzustreben, so­

lange die Verfassung noch keine Wahrheit bei uns geworden ist; es

handelt sich für uns nur darum, sie erst zur Wahrheit zu machen. da komme ich auf die Machterweiierung, die wir beabsichtigen sollen.

Und

Ja

meine Herren, dazu bekenne ich mich, und es bedarf nur einer kurzen Verständigung, wenn ich sage, wir bekennen uns alle zu dem Streben

nach Macht, wenn wir nämlich unter Macht dasjenige Moment verstehen, welches dem Recht beiwohnen muß, damit dieses zur Wahrheit werde

Wir leben noch in einem jungen Ver-

und sich vollständig realisiere.

x) In der Sitzung vom 23. März hatte Simson gegen den Minister das Streben nach Machterweiterung der Volksvertretung verteidigt, wenn es mit verfassungsmäßigen Mitteln geschehe. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

18

274

Schulze-DeUtzsch.

fassungsleben; noch bei weitem hat der konstttutionelle Geist nicht alle

Schichten der Bevölkerung durchdrungen, namentlich die oberen noch nicht, so daß man die verfassungsmäßigen Befugnisse der Landesvertretung so

unbedingt anerkennt.

Daß dies geschehe, müssen wir aber wünschen, und

dahin müssen wir streben, eine Stellung zu gewinnen, daß niemand hinfüro es wagt, die Verfassung des Landes und die verfassungsmäßigen Rechte seiner Vertreter anzutasten.

So weit muß es in der Entwicklung

unseres konstitutionellen Lebens kommen, daß niemand von oben oder von unten daran zu tasten wagt, weil er weiß, daß sich gegen ihn das

Rechtsbewußtsein des ganzen Landes empört, daß ein jeder im Lande

für die Verfassung einsteht.

Es handelt sich also nicht um eine Macht­

erweiterung, sondern um eine Machterwerbung, denn die Tatsachen sprechen,

wir haben die Macht, von der die Rede ist, noch gar nicht; man respektiert uns noch nicht in unserem verfassungsmäßigen Rechte, und wenn wir darnach streben, daß diese Macht unserem Rechte beitrete, ist diese Macht

im Dienste des Rechtes, so wird uns niemand einen Vorwurf daraus

machen können.

Etwas anderes ist es aber, wenn man die Macht von

anderen Seiten dazu braucht, nicht hinter dem Recht zu stehen als dessen Träger, sondern sich über das Recht hinwegzusetzen.

Es hat zu allen

Zeiten Staatsgewalten und Regierungen gegeben, die bei einem Einlenken

in ein freieres, konstitutionelles Leben ihre Macht hauptsächlich darin suchten, inwieweit sie imstande wären, dem Rechte Trotz zu bieten.

Nur

das hielt man für Macht, dem sich bei Konflikten das Recht beugen müsse.

Wir haben einen ganz eigentümlichen Belag durch den Herrn

Kriegsminister, wie diese beiden Auffassungen ineinander spielen in seiner

Auslassung vom Donnerstag.

Er hielt uns vor, und gewiß mit Recht,

die dreijährige Dienstzeit beruhe auf dem Gesetz vom September 1814, und daran könne nichts geändert werden als nur durch ein neues Gesetz

unter Zustimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung.

Das ist richtig;

aber wie denn nun, beruht denn nicht auch eine Erhöhung des Militär-

Budgets ebensogut auf dem Zustandekommen des Etatgesetzes? Wenn der Herr Kriegsminister hier sich stützt auf das Gesetz und auf das wirkliche Recht, wo wir ihn nicht widerlegen können, will er dann nicht auch das­

selbe gegen sich gelten lassen? Soll Recht und Gesetz nur gegen uns, gegen die Volksvertretung gelten, nicht auch ebensogut für und gegen das

Königliche

Staatsministerium?

Aber

meine Herren,

das ist

die alte

Geschichte, da heißt es: ja, Bauer, das ist ganz was anderes! (Heiterkeit.

Sehr richtig!) Es wäre

noch vieles, was sich

in den Äußerungen

des Herrn

Ministers darböte; indes ich glaube, das jeder Redner, der jetzt noch auf­

tritt, die Verpflichtung hat, sich möglichst kurz zu fassen.

Ich will mir

deshalb nur noch erlauben, zum Schlüsse auf einen Punkt zu kommen.

Es ist die Existenzfrage, die der Herr Kriegsminister am Schlüsse seiner Rede aufwarf.

Er meinte, wenn die Majorität des Hauses auf

ihrer Ansicht beharre, dann sei nicht mehr die Frage, wie die Dinge im

Wege des Kompromisses, des gegenseitigen Entgegenkommens gelöst werden

können, dann stehe die Existenzfrage vor uns.

Die Perspektive, die er

uns eröffnete, war, daß die Königliche Regierung, wenn wir nicht unter Aufgeben unseres Rechts — denn darum handelt es sich doch einzig — ihr entgegenkämen, allerdings möglicherweise sich gedrängt fühlen könnte,

in andere Bahnen einzulenken.

Ich weiß nun nicht recht, für wen das eine Existenzfrage sein soll. Darüber hat der Herr Kriegsminister sich nicht ausgesprochen.

Meint

er nur die Existenz dieses Hauses, d. h. der gegenwärtigen Zusammen­ setzung desselben? Daß er uns damit hat schrecken wollen, kann ich nicht

glauben, das ist uns schon einigemal geschehen, und wir haben uns nie gescheut, die Konsequenzen unserer Beschlüsse durchzuführen und dafür

einzustehen. Ich glaube also, da muß eine andere Existenz gemeint sein; vielleicht erfahren wir noch durch den Herrn Kriegsminister, welche Existenz eigentlich

durch das Ganze und durch unser Verhalten bedroht werden soll, etwa die Existenz unserer Verfassung, oder welche Existenz sonst.

Nun, ich knüpfe da an das an, was der Herr Kriegsminister über

die Auflösung des Hauses gesagt hat: Er und seine Kollegen hätten kein Vertrauen zu dieser Maßregel: die Sache liege so, daß bei Innehaltung der bisherigen Wahlgesetze, welche ja in diesem Augenblick und bis jetzt noch in den Intentionen der Königlichen Staatsregierung liegt, — wie

wir ihr zu glauben haben —, sie von der Auflösung nicht viel erwarten könne.

Wenn nun dem so ist und die Herren Minister keine besondere

Lust zu haben

scheinen, diese Maßregel

zu

ergreifen, um aus

dem

Dilemma herauszukommen, so bleiben uns eben nur die anderen An­

deutungen übrig. Aber, meine Herren, wie man sich auch sträubt, man wird um die Appellation an das Volk doch nicht herumkommen.

Entweder man muß

den verfassungsmäßigen Weg der Auflösung mittels eines Appells an die

preußischen

Wähler betreten, oder den,

wenn

auch

in ferne Aussicht

gestellten, das Weichen von der Verfassung d. h. etwas tun, was vielleicht

nach dieser oder jener Richtung hin nach einem Staatsstreich schmecken könnte.

18*

Schulze-Delitzsch.

276

Aber auch das ist eine Appellation an das Volk. Solche Appel­ lationen auf nicht verfassungsmäßigem Wege sind anderen Völkern bei Eintretung in den Berfassungsstaat nicht erlassen worden. Es mag sein, man entschließt sich zu diesem Appell, die Antwort ist

bis jetzt, wie die Geschichte lehrt, von den Völkern immer erfolgt, früher oder später.

Ein Volk hat sich in solchem Falle nicht nur schlüssig zu

machen, wem es Recht gibt, ob seinen Vertretern, ob der Regierung —

nein, es hat alsdann noch über eine viel wichtigere Frage zu entscheiden, die weit hinausgeht über den jeweiligen Verfassungskonflikt allein.

Wenn diese Appellation jemals an uns herantritt, dann wird das Volk

durch die Haltung, die es dazu einnimmt, zugleich darüber zu entscheiden

haben, ob und inwieweit es überhaupt für konstitutionelles Staatsleben reif ist! Uns, seinen Vertretern ziemt es nicht, daran zu zweifeln, und wir müssen davon ausgehen, daß, indem wir das verfassungsmäßige Recht verteidigen, uns die Stütze im Volke nicht fehlen wird. (Lebhaftes Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Aommissionsantrag angenommen.

120. Gegen die Bewilligung von Geldmitteln z« Eisenbahnbaute». Rede in der 30. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 29. März 1865.

Zur Beratung standen 2 Eisenbahnvorlagen, ferner ein Entwurf betr. Kapitalbeschaffung zum Grunderwerb für die Berlin-ltüstriner

Bahn und ein solcher betr. die Gewährung einer Zinsgarantie von Prozent für das Anlagekapital einer Eisenbahn von Trier durch die Eifel nach Tall. Die Kommission halte Ablehnung beantragt. Jn der Debatte hatte v. Benda (Teltow) und v. Airchmann aus wirtschaftlichen

Gründen für Annahme, Waldeck (Bielefeld) aus grundsätzlichen ErWägungen, zur Wahrung des Budgetrechts, dagegen gesprochen. Ihm schloß sich Schulze an:

Meine Herren! Die prinzipielle Seite der verschiedenen Vorlagen, die wir hier eben behandeln, ist für alle, die wir schon behandelt haben, wie die jetzt vorliegende und die noch danach kommende, dieselbe. Es wird sich also im wesentlichen dieselbe prinzipielle Debatte so ziemlich bei allen wiederholen. Das liegt in der Sache.

Ich füge nun zu dem, was der Herr Abgeordnete für Bielefeld schon zur Wahrung des politischen Standpunkts gesagt hat, noch hinzu

und werde meine Ausführungen dahin konzentrieren: daß nicht bloß der

Schulze-Delitzsch.

276

Aber auch das ist eine Appellation an das Volk. Solche Appel­ lationen auf nicht verfassungsmäßigem Wege sind anderen Völkern bei Eintretung in den Berfassungsstaat nicht erlassen worden. Es mag sein, man entschließt sich zu diesem Appell, die Antwort ist

bis jetzt, wie die Geschichte lehrt, von den Völkern immer erfolgt, früher oder später.

Ein Volk hat sich in solchem Falle nicht nur schlüssig zu

machen, wem es Recht gibt, ob seinen Vertretern, ob der Regierung —

nein, es hat alsdann noch über eine viel wichtigere Frage zu entscheiden, die weit hinausgeht über den jeweiligen Verfassungskonflikt allein.

Wenn diese Appellation jemals an uns herantritt, dann wird das Volk

durch die Haltung, die es dazu einnimmt, zugleich darüber zu entscheiden

haben, ob und inwieweit es überhaupt für konstitutionelles Staatsleben reif ist! Uns, seinen Vertretern ziemt es nicht, daran zu zweifeln, und wir müssen davon ausgehen, daß, indem wir das verfassungsmäßige Recht verteidigen, uns die Stütze im Volke nicht fehlen wird. (Lebhaftes Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Aommissionsantrag angenommen.

120. Gegen die Bewilligung von Geldmitteln z« Eisenbahnbaute». Rede in der 30. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 29. März 1865.

Zur Beratung standen 2 Eisenbahnvorlagen, ferner ein Entwurf betr. Kapitalbeschaffung zum Grunderwerb für die Berlin-ltüstriner

Bahn und ein solcher betr. die Gewährung einer Zinsgarantie von Prozent für das Anlagekapital einer Eisenbahn von Trier durch die Eifel nach Tall. Die Kommission halte Ablehnung beantragt. Jn der Debatte hatte v. Benda (Teltow) und v. Airchmann aus wirtschaftlichen

Gründen für Annahme, Waldeck (Bielefeld) aus grundsätzlichen ErWägungen, zur Wahrung des Budgetrechts, dagegen gesprochen. Ihm schloß sich Schulze an:

Meine Herren! Die prinzipielle Seite der verschiedenen Vorlagen, die wir hier eben behandeln, ist für alle, die wir schon behandelt haben, wie die jetzt vorliegende und die noch danach kommende, dieselbe. Es wird sich also im wesentlichen dieselbe prinzipielle Debatte so ziemlich bei allen wiederholen. Das liegt in der Sache.

Ich füge nun zu dem, was der Herr Abgeordnete für Bielefeld schon zur Wahrung des politischen Standpunkts gesagt hat, noch hinzu

und werde meine Ausführungen dahin konzentrieren: daß nicht bloß der

politisch-prinzipielle Standpunkt uns verpflichtet, gegen die geforderten gegen die Garantien uns auszusprechen.

Anleihen, wie

Nein, meine

Herren, ich gehe weiter und bestreite, daß die verehrten Abgeordneten, die von mir sehr

hoch

an­

geschlagenen materiellen Interessen des Landes in diesem Falle in

ge­

da

glauben,

aus

Berücksichtigung

der

auch

wisser, beschränkter Art, wie ich gerne anerkenne, der Regierung entgegen­ kommen zu müssen — ich bestreite, daß sie mit solcher Verwertung der

materiellen haben.

Interessen,

in

der Betonung

derselben als Motive recht

Ich meine, auch wenn wir die Bilanz der materiellen Interessen

ziehen, meine Herren, werden wir bei ruhiger Erwägung auf den Stand­ punkt kommen, den diese Seite des Hauses (die linke) hat.

das denn?

Wie liegt

Mir kommt die Sache gerade so vor bei diesen Forderungen

von Anleihen und Garantien für Gsenbahnzwecke, welche sich beide gar nicht trennen lassen, als ob die Regierung selbst uns eine Vorlage zu dem ausgesprochenen Zwecke macht, ihr die Mittel zur Fortsetzung des

budgetlosen Regiments zu gewähren!

(Sehr richtig!)

So liegt mir die Sache, und ich glaube, dos läßt sich mit wenigen Worten

erläutern.

Wie die Königliche Staatsregierung es macht, wie

sie das Regiment und die ganze Staatsverwaltung ohne Budget fort­ setzt, wissen wir ja alle.

einnahmen, —

Die Steuern, die sie hat, die sonstigen Staats­

sie verfügt über dieselben zu Staatszwecken nach ihrem

Ermessen, nach ihrem einseitigen Belieben, möge ein Budget zustande

gekommen sein oder nicht.

Diese Einnahmequellen fließen ihr einmal,

und, meine Herren, wir befinden uns in diesem Augenblick nicht in der

Lage, dieselben irgendwie ihrer Verfügung zu entziehen.

Was haben nun

wir außerdem einzusetzen, worüber verfügen wir unsererseits ihr gegen­ über, der die bereiten Staatsmittel zu Gebote stehen? Über Anleihen

und Garantien! So weit ist es noch nicht gekommen, daß die königliche Staatsregierung Herrin wäre über Anleihen und Garantien, daß sie da

ohne uns Kredit hätte, da muß sie uns fragen, da haben wir noch unser

Vollwort und das dürfen wir nicht aus den Händen geben.

Sowie wir

nur dies tun, und sei es in der besten Meinung — mir fällt es nicht

ein, unsere politischen Freunde, weil sie von uns abweichen, dieserhalb zu verdächtigen, ich verstehe ihren Standpunkt sehr wohl und kann mich

dahin versetzen, wenn ich ihn schon nicht teile — sowie wir dies tun,

sowie wir der Regierung es ermöglichen, wichtige Landesinteressen — denn um diese handelt es sich, und ich erkenne die Vorlagen in dieser

Beziehung an — durch

unsere

Genehmigung von Zinsgarantien und

Anleihen in die Hand zu nehmen, so machen wir der Regierung es auch

Schulze-Delitzsch.

278

möglich, das budgetlose Regiment fortzuführen!

Denn keine Regierung

kann überhaupt in unserer Zeit bestehen, wenn sie außerstande ist,

den

großen materiellen Interessen zu genügen, und unsere Sache ist es, meine Herren, nur Männern unseres Vertrauens diese in ihre Hände zu legen,

nur solchen die Mittel dazu zu geben. Was der Herr Abgeordnete Gneist daher gestern in dieser selben

prinzipiellen Debatte/) wenn sie sich auch nicht unmittelbar auf den vor­ liegenden Gegenstand bezog, ausführte, ist vielen von uns nicht klar geworden.

Es war das eine gelehrte Rede, eine Ausführung, die mich lebhaft an seine

Ausführungen im Jahre 1861s), wo er Mitglied der Fraktion Vincke war, erinnert hat, und ich glaube, meine Herren, der Abgeordnete von Blancken-

burgb) hat sich darüber schon treffend ausgesprochen.

Ich meine besonders,

meine Herren, uns alte Achtundvierziger, die wir damals für unsere Be­ schlüsse eingestanden sind mit unserer ganzen Existenz in der Naüonal-

versammlung so gut wie auf der Bank der Angeklagten, die hätte er heraus­ lassen sollen.

Der Herr Abgeordnete Jung^) hat bereits gesagt, meine

Herren, wie wenig Analogie vorhanden ist zwischen heute und damals,

wo noch kein konstitutionelles Staatsleben und keine Verfassung bestand wie jetzt.

Es gibt Situationen, die in keinem Handbuch über Staatsrecht

vorgesehen sind, und wenn es gilt, im höchsten Notstände gegen gewalt­

samen Angriff eine Verfassung seinem Lande erst zu erkämpfen, dann werden für so abnorme Zustände auch außerordentliche Mittel, die in

keinem konstitutionellen Kodex stehen, angewendet werden müssen.

Ich

berufe mich auf das unparteiische Urteil der Geschichte über die Männer, die damals alles einsetzten, und ich erinnere zugleich — der Herr Ab­

geordnete respektiert ja in allen solchen Dingen den Spruch der Gerichte, er verwies uns auch in bezug auf Ministerverantwortlichkeit darauf —

daß über die Steuerverweigerer von 1848 die Geschworenen Berlins

entschieden haben, das Nichtschuldig ausgesprochen haben über uns als

Angeklagte.

Das

öffentliche Meinung

muß

auch

dabei

in

Anschlag

kommen,

daß

die

und das öffentliche Gewissen durch seine natür-

*) Gneist hatte am Tage vorher in der Debatte über einen anderen Bahn­ bau auseinandergesetzt, daß der Streit um das Budget mit der Bewilligung oder Nichtbewilligung solcher Vorlagen, wie der vorliegenden, nichts zu tun habe. ’) Schulze meint das Jahr 1862, vgl. Sinnt. 3. ’) Brandenburg hatte auf die Übereinstimmung der jetzigen Äußerungen

Gneists mit denen in seiner Rede vom 6. Oktober 1862 gegen das Budgetver­ weigerungsrecht des Parlaments hingewiesen. 4) Vertreter für Elberfeld.

lichsten Vertreter, die Geschworenen, in dieser Sache das Endwort ge­

sprochen habe. Manche Rücksichten, meine Herren, sind gewiß, und davon gehen Sie ja aus, in diesem Kampfe zu nehmen.

So ganz absolut, wie man

vielleicht schon bei einem erstarkten verfassungsmäßigen Leben in unserem Lande auftreten könnte, können wir vielleicht nicht handeln, das ist ja bei früheren Gelegenheiten hinlänglich erörtert worden, und ich brauche

wohl darauf nicht zurückzukommen. Aber meine Herren, in diesem Rechnung­

tragen gegenüber dem noch nicht genug gefesteten und entwickelten konsti­ tutionellen Geiste des Landes lassen Sie uns nicht zu weit gehen.

Wir

müssen von unserem Volke so viel Einsicht und Verstand bei solchen Maßregeln erwarten.

Wir dürfen das Volk nicht auf eine so niedrige

Stufe setzen, als es einige der Herren in dieser Sache zu tun scheinen.

Das ist nicht der rechte Weg, das Volk zu heben und weiterzuführen auf den Standpunkt, den es in diesem Kampfe einnehmen muß, wenn er überhaupt durchgeführt werden soll.

Das hat seine Grenzen.

Wahr­

haftig ich meine, es ist nicht zu viel bei Zurückstellung der Regierungs­

vorlagen gegen die großen Fragen, die dadurch alteriert werden, verlangt,

wenn wir den Interessenten zumuten, vielleicht noch ein bis zwei Jahre darauf zu warten!

(Sehr richtig!

Links.)

Bedenken Sie doch, meine Herren, welche großen materiellen In­ teressen, welche Millionen stehen dagegen auf der anderen Seite der Bilanz!

Nehmen Sie

nur die vielen Millionen,

die die nicht gebilligte Re­

organisation im Wege des budgetlosen Regiments kostet.

sFerner steht

auf dieser anderen Seite die unendliche Menge wirtschaftlicher Kräfte, die

der produktiven Arbeit des Landes entzogen werden.

Nun, ich meine, meine Herren, wie wir die Lehrer und Beamten warten lassen müssen, bis nach Beseitigung des budgetlosen Regiments

allen vernünftigen und gerechten Ansprüchen Genüge geschehen kann, so mögen auch die Interessenten von den Eisenbahnen damit warten.

Ich

wüßte nicht, warum wir sie anders gestellt wissen wollten; mögen sie mit uns allen warten und streben bis es besser wird.

Je fester die Position

ist, die das Haus und unser Volk dabei einnimmt, desto eher werden wir

das Ende des budgetlosen Regiments herbeiführen.

Aber durch das Be­

willigen von Forderungen, wie die vorliegenden, werden Sie der Fort­ setzung jenes Regiments nur Vorschub leisten.

Ich sagte schon: Verweigern

Sie diese Dinge und kehren Sie damit die Spitze gegen die Regierung die alsdann außerstande sein wird, der Wucht der materiellen Interessen lange zu widerstehen. Denn dann wird die Überzeugung im Volke Platz

Schulze-Delitzsch.

280

greifen, daß dieses budgetlose Regiment nichts, als eine große Schädigung des Ganzen ist, daß es nicht bloß die Verkümmerung des politischen

Rechtes,

sondern

Interessen dann

Lahmlegung

auch die

sich schließt.

in

wir

werden

nicht

aller

materiellen

berechtigten

Haben Sie dem Volke das klargemacht,

sehr

lange

mehr

um

das

Budgetrecht zu

streiten haben.

Bei der Abstimmung wurden die Gesetzentwürfe angenommen. Die Debatte wurde fortgesetzt über einen Gesetzentwurf bett. Gewährung einer Staatsbeihilfe zum Bau einer Eisenbahn pillau—tyk (Ostpreußen)

sowie einer solchen an

die Tilsit—Insterburger Eisenbahngesellschaft.

Die Kommission hatte Verweisung an die Budgetkommission, der Abg. v. Benda hier wie auch bei den vorhergehenden Entwürfen Annahme vorgeschlagen. Schulze trat auch hier für Ablehnung ein: Meine Herren, ich muß doch dabei bleiben,

eigentümliche Erscheinung.

wir haben hier eine

Auf den Bänken der großen liberalen Partei

wird doch gewiß jeder von uns in Anspruch nehmen, daß wir, ohne daß irgendein

Teil

der

Liberalen

irgendeine

Prärogative

in

Anspruch

nehmen könnte, alle zusammen für die ernste Verteidigung des Budget­ rechtes eingetreten sind, und jetzt betreten wir Wege, die doch wirklich dem Kampfe um das Budgetrecht im höchsten Grade Abbruch tun.

Es

ist wieder ein Amendement Benda eingebracht, welches dahin führt, daß die Regierung künftig, wenn einzelne Ausgaben sie genieren, die wir ihr

nicht bewilligt haben, bei dem Nichtzustandekommen des Etats, der doch

in unseren Händen liegt, dahin kommt, daß sie uns Vorlagen macht, und

wenn das Ausgaben sind, die wir alle gern bewilligen wollen, weil wir

den Zweck derselben billigen, dann lenken wir notwendigerweise auf den

Weg ein, der das budgetlose Regiment regelmäßig macht.

Das wollen

Sie doch nicht, das will doch keiner!

eigentümliche

Erscheinung.

Es ist dies eine

Ich kann es der konservativen Partei nicht verdenken, wenn

sie darüber mit einem gewissen Triumphe sich äußert.

eigentümlich.

Dies ist doch

Nach dem gewöhnlichen konstitutionellen Gebrauch, auf den

ja das Mitglied für Mansfeld solchen Wert legt und worüber er uns so wertvolle Aufschlüsse gibt, ist es doch gebräuchlich, wenn es sich um

Regierungsvorlagen handelt, und die Regierung sieht voraus, daß sie in

der Form nicht angenommen werden, und es läßt sich ein Weg finden, um sie annehmbar zu machen, so werden die Amendements, welche der Regierung in Hinsicht des Gesetzvorschlags zu Hilfe kommen, doch nicht in den Reihen der Opposition aufgestellt, sondern die Regierungspartei

stellt sie auf.

Das verschiebt unsere Stellung zueinander etwas, was

ich wegen der Position, in der wir uns befinden, bedaure.

Das ^aus erklärte sich mit dem Inhalt des Gesetzentwurfs ein. verstanden; die endgültige Beschlußfassung sollte aber nach dem Kom» missionsantrag erst eintreten, wenn die Budgetkommission die Vorlage vorberaten habe.

121. Die Maßregelung der Ratsherren in Lauda». Rede in der 35. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 6. April 1865.

Zur Beratung stand die Beschwerde dreier Ratsherren der Stabt tauban in Schlesien über einen Verweis, den ihnen die Königliche Regierung für ihre vor dem dortigen Untersuchungsrichter auf die Nach­ forschung der Untersuchungskommission des Abgeordnetenhauses *) gemachten Aussagen über lvahlbeeinflussungen der Regierung erteilt hatte. Die Kommission hatte Übergang zur Tagesordnung wegen nicht eingehaltenen Znstanzenzugs beantragt. Gin Antrag von Dr. Becker (Dortmund) wollte das Verfahren für verfassungswidrig erklärt wissen. Nachdem u. a. die Abg. v. Tarlowitz (Görlitz), Dr. Becker, Dr. John (kabiau) u. a. gegen das Verfahren der Regierung gesprochen hatten, erhielt Schulze das lvort: Meine Herren! Ob es schon höchst überflüssig wäre, nach den gestern stattgefundenen Ausführungen über unsere kommunalen Petitionen^) und

was damit zusammenhängt, die ja alle einen unleugbaren, inneren Zu­

sammenhang haben, noch einmal die großen Momente vorzuführen, die aus der geflissentlichen Störung unseres Kommunallebens und dessen

Selbständigkeit hervorgehen, da dies schon so vollkommen erschöpfend ge­ schehen ist, glaube ich doch, auch bei der Behandlung dieser gegenwärtigen

PeMon wird man auf den inneren Zusammenhang der ganzen Maßregeln der Königlichen Staatsregierung gegen die Kommunen und Kommunal­

beamten einzugehen, nicht ganz verzichten können.

Es liegt eine Steigerung

der Regierungsmaßregeln vor und diese Steigerung hat sich sehr glücklich

gegen das ursprüngliche Arrangement der Tagesordnung durch das jetzige herausgestellt; wir sind von dem Allgemeinen auf das Spezielle und wir

sind vom wenig Starken heute auf das Stärkste gekommen, was über­

haupt in diesem Genre seitens der Königlichen Staatsregierung möglich ist. *) Sie war in der Sitzung vom 28. November 1863 zur Ermittelung von Wahlbeeinflussungen eingesetzt worden. Vgl. S. 225 ff. 2) Am Tage vorher war eine Beschwerde der Stadtverordnetenversammlung in Königsberg wegen Nichtzulassung dreier Rechtsanwälte zum Amt eines Stadt­ verordneten der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen worden.

stellt sie auf.

Das verschiebt unsere Stellung zueinander etwas, was

ich wegen der Position, in der wir uns befinden, bedaure.

Das ^aus erklärte sich mit dem Inhalt des Gesetzentwurfs ein. verstanden; die endgültige Beschlußfassung sollte aber nach dem Kom» missionsantrag erst eintreten, wenn die Budgetkommission die Vorlage vorberaten habe.

121. Die Maßregelung der Ratsherren in Lauda». Rede in der 35. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 6. April 1865.

Zur Beratung stand die Beschwerde dreier Ratsherren der Stabt tauban in Schlesien über einen Verweis, den ihnen die Königliche Regierung für ihre vor dem dortigen Untersuchungsrichter auf die Nach­ forschung der Untersuchungskommission des Abgeordnetenhauses *) gemachten Aussagen über lvahlbeeinflussungen der Regierung erteilt hatte. Die Kommission hatte Übergang zur Tagesordnung wegen nicht eingehaltenen Znstanzenzugs beantragt. Gin Antrag von Dr. Becker (Dortmund) wollte das Verfahren für verfassungswidrig erklärt wissen. Nachdem u. a. die Abg. v. Tarlowitz (Görlitz), Dr. Becker, Dr. John (kabiau) u. a. gegen das Verfahren der Regierung gesprochen hatten, erhielt Schulze das lvort: Meine Herren! Ob es schon höchst überflüssig wäre, nach den gestern stattgefundenen Ausführungen über unsere kommunalen Petitionen^) und

was damit zusammenhängt, die ja alle einen unleugbaren, inneren Zu­

sammenhang haben, noch einmal die großen Momente vorzuführen, die aus der geflissentlichen Störung unseres Kommunallebens und dessen

Selbständigkeit hervorgehen, da dies schon so vollkommen erschöpfend ge­ schehen ist, glaube ich doch, auch bei der Behandlung dieser gegenwärtigen

PeMon wird man auf den inneren Zusammenhang der ganzen Maßregeln der Königlichen Staatsregierung gegen die Kommunen und Kommunal­

beamten einzugehen, nicht ganz verzichten können.

Es liegt eine Steigerung

der Regierungsmaßregeln vor und diese Steigerung hat sich sehr glücklich

gegen das ursprüngliche Arrangement der Tagesordnung durch das jetzige herausgestellt; wir sind von dem Allgemeinen auf das Spezielle und wir

sind vom wenig Starken heute auf das Stärkste gekommen, was über­

haupt in diesem Genre seitens der Königlichen Staatsregierung möglich ist. *) Sie war in der Sitzung vom 28. November 1863 zur Ermittelung von Wahlbeeinflussungen eingesetzt worden. Vgl. S. 225 ff. 2) Am Tage vorher war eine Beschwerde der Stadtverordnetenversammlung in Königsberg wegen Nichtzulassung dreier Rechtsanwälte zum Amt eines Stadt­ verordneten der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen worden.

282

Schulze-Delitzsch. Im ganzen sehen wir ja auch hier dieselbe alte Geschichte, die wir

nach verschiedenen anderen Seiten hin schon erlebt haben: die Regierung

löst wieder einmal eine unserer wichtigsten staatlichen Institutionen aus

dem Gesamtrahmen heraus, der bestimmt ist, unser ganzes öffentliches

Leben zu umspannen, aus dem Verfassungsrahmen, aus dem Rahmen

des konstitutionellen Lebens, von dem doch alle unsere Institutionen nur einen Teil bilden, in den sie sich notwendig eingliedern müssen.

Und

was aus der Auslösung folgt, die gewaltsamsten Interpretationen, das Umkehren dieser Institution ihrem Geist und Wortsinn nach, das Ein­

lenken in den nackten Absolutismus, das zeigt sich eben hier.

Sie werden

sich erinnern, was der Herr Minister des Innern von der Aufsicht der

Königlichen Staatsregierung über Kommunalbeamte und über Kommunen

gestern sprach, indem er nach Grundsätzen in dieser Beziehung suchte?) Ich will auf diese Materie hier nicht näher eingehen; aber einen Grund­

satz wird er mir nach seinen eigenen Deduktionen gewiß zugeben müssen. „Die Kommunen sollen nie aufhören, sich als Glieder des Staatsganzen zu fühlen und als solche in ihrer ganzen Lebensbetätigung zu bewähren." Nun, meine Herren, wenn dieser unbestreitbare Grundsatz, auf den er selbst hindeutet, wahr ist: wie kommt es denn, daß die Königliche Staats­ regierung in dem Augenblick, wo eben die Kommunen sich als Glieder

des verfassungsmäßigen Staatsganzen fühlen und lediglich dahin zielende Lebensregungen äußern, — daß sie dann eben der Zensur der Königlichen

Staatsregierung verfallen? Und was haben wir denn alles für Fälle

gehabt, wo diese Zensur eintrat? Überall sehen wir, daß, wo das lebendigste Gefühl, Glieder eines großen konstitutionellen Staatsganzen zu sein, und

das Bestreben, sich als solche zu betätigen, hervortrat, dasselbe der Zensur

der Regierung unterworfen wurde. Ebenso wie mit den Kommunen, ist es mit den Beamten.

Die

Beamten sollen unbedingt — so heißt es in diesem Falle, der jetzt vor­

liegt, und das haben wir so scharf als möglich zu markieren — herab­ gedrückt werden auf den Stand des unbedingten Gehorsams gegen die

Anordnungen ihrer Oberen; sie sollen dabei weder Gesetz noch Recht mehr respektieren, sondern zu diesem unbedingten Gehorsam bei Strafe ver­

pflichtet sein?)

Das läßt sich aus dem Falle hier auf das schlagendste

x) Der Minister hatte das Aufsichtsrecht des Staates über die Kommunen verteidigt. 2) Ein Mitglied der Liegnitzer Regierung hatte im Herbst 1863 die Mit­ glieder des Magistrats in Lauban unter Androhung von Disziplinarmaßregeln zur Wahl ministerieller Kandidaten ausgefordert.

nachweisen.

Zuerst beschränkt man sie, wie Sie aus den Verhandlungen

des vorigen Jahres wissen/) bloß im Punkte der politischen Agitation gegen die Regierung. Später, und daraus hat sich ja das Ganze der gegenwärtigen Petition entwickelt, dahin zielen alle die Verfügungen, die den Petenten Ursache zu ihrer Beschwerde gaben, später beschränkte man sie in ihrem Wahlrecht selbst. Man entzog ihnen geradezu das Wahl­ recht. Die Beamten sind vereidet auf die Verfassung, sie sind also unmittelbar hineingestellt worden als lebendige, selbsttätige Glieder in

unseren Verfassungsstaat. Nichtsdestoweniger nimmt man ihnen das wichtigste Staatsbürgerrecht, das Wahlrecht. Denn, meine Herren, die Beamten unter Strafandrohungen kommandieren zur Stimmabgabe, das heißt ihnen das Wahlrecht nehmen.

Stimmabgabe auf Kommando ist

keine Wahl; die Wahl setzt notwendig in ihrem Begriffe eine innere, freie Entscheidung aus eigener Überzeugung voraus. Man nimmt ihnen also dies Wahlrecht. Nun wäre das sehr einfach, wenn man ihnen geradezu verböte, zu wählen. Aber nein, meine Herren, das hieße den Zweck dabei verfehlen. Man nimmt ihnen die Selbständigkeit, die zur Wahl gehört, man macht den Wahlakt zum Gegenteil von dem, was er fein soll; aber man benutzt dies, um blinde Werkzeuge zu finden und um einen Faktor, der verfassungsmäßig nicht mitzusprechen hat bei den Wahlen, um der Königlichen Staatsregierung selbst als solcher durch ihre unbedingt ge­

horsamen Beamten die Wahlen der Volksvertretung in die Hände zu spielen. Daraus hat sich das Ganze, was uns hier vorliegt, entwickelt.

Nun geht es aber immer weiter und weiter! Sowie diesen RegierungsIntentionen entgegen eine selbständige Regung in den Beamtenkreisen eintritt, daß die so Gemaßregelten dennoch sich ihres verfassungsmäßigen Rechtes bedienen, so tritt nun die Disziplinierung mit ihrer Forderung des unbedingten Gehorsams gegen jedes Belieben von oben an dieselben heran. Und wie die Königliche Regierung, meine Herren, in dieser Hin­ sicht in der nächsten Zeit vorzugehen gedenkt, darüber liegen außer der Petition einige interessante Winke vor. Ich erwähne einen derselben,

welcher wahrscheinlich — die Sache schwebt noch und ist noch nicht völlig abgewickelt — auch noch zur Kenntnis des Hauses gelangen wird. Ge­

statten Sie mir daher, dieses Falles, der mir vollkommen beglaubigt vor­ liegt, wenigstens soweit er gediehen, hier zu erwähnen, ohne gegenwärtig die Namen zu nennen. Ein Justizbeamter, zum Bürgermeister einer Mittelstadt designiert, sollte sich über seine Qualifikatton ausweisen, und *) Vgl. S. 225.

die Frage, die, wie ich Ihnen authentisch versichern kann, vom Regierungs­ präsidenten ihm vorgelegt wurde, lautete dahin: wie er wohl als Richter erkennen würde über die Stellvertretungskosten der beamteten Abgeord­ neten? (Hört!)

Er sollte sich demnach bestimmt erklären, daß er nie anders als im

regierungsfreundlichen Sinne wählen und unbedingt alle Anordnungen der Regierung befolgen und ausführen würde.

Natürlich verzichtete er

unter diesen Umständen auf die ihm zugedachte Ehre. Ja, meine Herren, wenn man das hört und wenn man es in Zusammenhang bringt mit

den Dingen, wie sie hier vorliegen, so muß man wirklich glauben — der Herr Minister sprach ja von Schlägen, die herüber und hinüber zwischen dem Haus und der Ministerbank geführt würden *) —, daß hier auch wieder ein Schlag bevorstehe; denn etwas der Art ist aus früheren

Ministerien noch kein einziges Mal hervorgegangen. Soll man nun sagen, in welcher Weise sich wohl die Kommunen und die einzelnen einer solchen Lage der Dinge gegenüber zu halten hätten, soll man dann ferner sich entscheiden, was seitens des Hauses zu tun ist, da drängen sich unwillkürlich einige Betrachtungen auf. Ja, den Kommunen wird nichts übrig bleiben, als fest auf ihrem Rechte zu stehen und es ruhig darauf ankommen zu lassen. Es müßte eine schöne Ministerkarte

geben, wenn künftig in allen Kommunen des Landes die Regierungskommissarien die Hauptrolle in den Magistratskollegien spielten. Die

Regierung würde aber vielleicht selbst dann doch bei der konsequenten Durchführung einer solchen allgemeinen Kommunalverwaltung durch den Staat einigermaßen in Verlegenheit kommen. Die disziplinierten Beamten aber, meine Herren, — ja, ich glaube, wenn wir nicht imstande sind, ihnen die Verweise abzunehmen, wegen deren sie sich beschweren, so sollen

sie dabei erwägen, indem sie fest und männlich ausharren in dem Wider­ stände gegen ungesetzliche Zumutungen der Königlichen Staatsregierung: daß solche Verweise und alles, was sich daran knüpft, in Kämpfen, wie der unseres Landes, doch wahrhaftig Dinge sind, die noch einmal in ihren Familien, bei ihren Mitbürgern, ihnen als die höchsten Ehrenzeichen

werden angerechnet werden! (Enthusiastisches Bravo!) Sie von diesen Verweisen zu befreien, habe ich daher gar keine sehr große Eile. — Wie man am Krieger die Wunden ehrt, die er im guten Kampfe T) Der Minister hatte am vorhergehenden Tage gesagt, die Regierung er­ widere jetzt nur einen Schlag, der vom Hause gegen sie geführt worden sei.

empfangen, so tragen alle die Schädigungen, die unsere Mitbürger in

dem jetzigen Verfassungskampfe davontragen, ihren Lohn in sich!

Ich

mag und will daher gar nicht dazu mitwirken, sie von diesen Verweisen zu befreien; sie sollen ihnen bleiben als Denkmal, daß sie als Männer,

und gerade als solche Männer gestanden haben, aus denen wir wünschen müssen, daß unser ganzer Beamtenstand zusammengesetzt sein möchte! — (Lebhaftes Bravo!)

Sie haben gestern das Wort des Herrn Ministers des Innern

gehört: er wünsche keine Politiker in den Kommunalämtern^)

Wie der Herr Minister das machen will, das weiß ich eigentlich nicht.

(Sehr richtig! Heiterkeit.)

Wer ist denn kein Politiker? Wer ist denn nicht in dieser Lage der

Sache in

unserem

Lande gezwungen, irgendeiner politischen Richtung

sich anzuschließen? Sind es denn etwa diejenigen, die der Herr Minister bestätigt? Sind das keine Politiker? Nun dann, meine Herren, dann

mögen sich die Herren von der Konservativen Partei bei dem Herrn Minister für das Kompliment bedanken!

(Sehr gut! Heiterkeit.)

Sie sind eben auch Politiker, und ich bin gewiß der letzte, der das bestreiten möchte, daß es nicht auch Leute unter ihnen geben könne, die in voller Überzeugung die Ansicht teilten, welche sie vertreten. Darüber

wollen wir nicht vorweg absprechen, meine Herren, das ist eben eine Gewissenssache; aber Politiker sind und bleiben sie! Ob gute oder schlechte, nun, das wird der weitere Gang der Dinge ja lehren! Ein Politiker zu

sein, ist geradezu Erfordernis, um mit einem Amte in der Kommune betraut zu werden. Wer das nicht ist, wer also keine selbsteigene Über­

zeugung sich bildet in der großen Staatsfrage, wie dessen Mitbürger da­ zu kommen sollten, dem ein Kommunalamt anzuvertrauen, das verstehe ich gar nicht! (Vielseitige Zustimmung.)

Wir haben daher wohl

Ursache,

Herrn Dr. Becker zu entscheiden.

weshalb ich

uns für das Amendement des

Ich füge noch einen Grund mehr hinzu,

dem Kommissionsantrage nicht beitreten kann.

Ich halte

es allerdings für durchaus richtig, für mehr als bloß Formales, meine Herren, wenn wir uns an den Jnstanzenzug halten; denn wir würden

uns sonst, täten wir das nicht, eine Masse von Petitionen zuziehen, die

füglich ihre Erledigung in der Verwaltung finden. Aber, meine Herren, die Remedur, die hier nachgesucht wird, ist im

Grunde eine Remedur gegen den Herrn Minister des Innern selbst.

*) Der Minister hatte gegen die politischen Agitatoren gesprochen.

Schulze-Delitzsch.

286

Das Zirkularreskript/) gegen welches die Magistratsmitglieder in Lauban gesündigt haben sollen, weswegen sie einen Verweis erhalten haben, rührt

ja von dem Herrn Minister des Innern selbst her.

Denn erst den

Jnstanzenzug ihnen auferlegen, das heißt verlangen, daß die Petenten

sich bei dem Minister des Innern über den Minister des Innern selbst

beschweren sollen, und das scheint mir durch die Sache durchaus gar

nicht geboten.

Deshalb glaube ich, müssen wir uns für das Amendement

Becker entscheiden, und selbst wenn Sie anderer Meinung und für Bei­ behaltung des Jnstanzenzuges auch hier wären, so ist doch immer fest­

zuhalten, daß bei Gelegenheit dieser Petition, abgesehen von deren nächstem Zwecke, wieder ein ganz flagranter Fall zu unserer Kenntnis gekommen

ist, wo der Minister des Innern nicht bloß den Art. 82 der Verfassungs­

urkunde,

eine Prärogative dieses Hauses schwer verletzt, sondern

sich

auch einen ebenso schweren Eingriff in die Justiz erlaubt hat, indem er

Beamte durch bloße Dekrete von einer allgemeinen, gesetzlich feststehenden Bürgerpflicht entbunden hat, die für die Verwaltung der Justiz, für das ganze Rechtsleben des Staates unbedingt unentbehrlich ist.

Dies haben wir zu konstatieren in der Resolution.

Meine Herren!

Der jetzige Fall ist

auch nicht ganz erschöpft in der früheren Resolution des Hauses, welchen der Abgeordnete Wachler erwähnte.

Die frühere Resolution hatte es nur

mit dem Widerstreben der Königlichen Staatsregierung gegen unser Recht,

eine Untersuchungskommission einsetzen zu können, zu tun.

Hier kommt

zu den fortgesetzten Bestrebungen der Regierung nach dieser Richtung noch hinzu der Eingriff in die Justiz, der in solcher Weise, bei einem konkreten Falle, noch nicht an uns herangetreten ist.

Aus dem Grunde

würde ich mir den Vorschlag erlauben und halte es für angemessen, das

Amendement Becker anzunehmen.

(Bravo!)

Das ^aus beschloß, die Angelegenheit an die Kommission zurück­

zuverweisen.

122. Die Ablehnung der Vorlage bett, die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Rede in der 45. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 4. Mai 1865.

Am 28. April hatte die Beratung des Gesetzentwurfs, betr. di« Verpflichtung zum Kriegsdienst begonnen.

Die Kommission hatte ein»

’) Ein auf Grund ministerieller Verfügung von der Liegnitzer Regierung am 18. Dezember 1863 erlassenes Reskript, das den mittelbaren und unmittel­ baren Staatsbeamten Aussagen vor der Untersuchungskommission des Abgeord­ netenhauses verbot.

Schulze-Delitzsch.

286

Das Zirkularreskript/) gegen welches die Magistratsmitglieder in Lauban gesündigt haben sollen, weswegen sie einen Verweis erhalten haben, rührt

ja von dem Herrn Minister des Innern selbst her.

Denn erst den

Jnstanzenzug ihnen auferlegen, das heißt verlangen, daß die Petenten

sich bei dem Minister des Innern über den Minister des Innern selbst

beschweren sollen, und das scheint mir durch die Sache durchaus gar

nicht geboten.

Deshalb glaube ich, müssen wir uns für das Amendement

Becker entscheiden, und selbst wenn Sie anderer Meinung und für Bei­ behaltung des Jnstanzenzuges auch hier wären, so ist doch immer fest­

zuhalten, daß bei Gelegenheit dieser Petition, abgesehen von deren nächstem Zwecke, wieder ein ganz flagranter Fall zu unserer Kenntnis gekommen

ist, wo der Minister des Innern nicht bloß den Art. 82 der Verfassungs­

urkunde,

eine Prärogative dieses Hauses schwer verletzt, sondern

sich

auch einen ebenso schweren Eingriff in die Justiz erlaubt hat, indem er

Beamte durch bloße Dekrete von einer allgemeinen, gesetzlich feststehenden Bürgerpflicht entbunden hat, die für die Verwaltung der Justiz, für das ganze Rechtsleben des Staates unbedingt unentbehrlich ist.

Dies haben wir zu konstatieren in der Resolution.

Meine Herren!

Der jetzige Fall ist

auch nicht ganz erschöpft in der früheren Resolution des Hauses, welchen der Abgeordnete Wachler erwähnte.

Die frühere Resolution hatte es nur

mit dem Widerstreben der Königlichen Staatsregierung gegen unser Recht,

eine Untersuchungskommission einsetzen zu können, zu tun.

Hier kommt

zu den fortgesetzten Bestrebungen der Regierung nach dieser Richtung noch hinzu der Eingriff in die Justiz, der in solcher Weise, bei einem konkreten Falle, noch nicht an uns herangetreten ist.

Aus dem Grunde

würde ich mir den Vorschlag erlauben und halte es für angemessen, das

Amendement Becker anzunehmen.

(Bravo!)

Das ^aus beschloß, die Angelegenheit an die Kommission zurück­

zuverweisen.

122. Die Ablehnung der Vorlage bett, die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Rede in der 45. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 4. Mai 1865.

Am 28. April hatte die Beratung des Gesetzentwurfs, betr. di« Verpflichtung zum Kriegsdienst begonnen.

Die Kommission hatte ein»

’) Ein auf Grund ministerieller Verfügung von der Liegnitzer Regierung am 18. Dezember 1863 erlassenes Reskript, das den mittelbaren und unmittel­ baren Staatsbeamten Aussagen vor der Untersuchungskommission des Abgeord­ netenhauses verbot.

fache Ablehnung

der ganzen Vorlage beantragt.

Lin Amendement

v. Bonin wollte die Friedensstärke des Heeres in solcher kjöhe gesetzlich festlegen, daß unter Aufrechterhaltung der bestehenden kseeresorganisation eine Dienstzeit von 2*/2 bei der Infanterie und von 3 Jahren bei den anderen Waffengattungen durchführbar gewesen wäre. Gleich am ersten Tage hielt der Kriegsminister eine vierstündige Rede über das Recht der Regierung zur Durchführung der Reorganisation und das Recht des

Lr warf der Mehrheit vor, daß sie aus parteipolitischen Gründen auf die Fortdauer des Konflikts spekuliere. Über das Amendement v. Bonin äußerte er sich zunächst ausweichend, Dauses in der Budgetfrage.

lehnte aber später eine Erklärung ab, da das Amendement wegen allzu

geringer Unterstützung keine praktische Bedeutung habe. In der Sitzung vom 2. Mai verteidigte Simson (Montjoie) die Rechte des tsauses und v. Blanckenburg hielt der Mehrheit vor, daß sie in sich uneinig in der Auffassung des Budgetrechts sei. Am

Mai kam Schulze zum Wort:

Meine Herren!

Daß

die Debatte

über

die solange

und

soviel

ventilierte wichtige Frage durch das Auftreten des Herrn Kriegsministers

in der ersten Sitzung diese Wendung genommen hat — und ich glaube,

der Herr Minister war dazu gewiß ebenso berechtigt, als es eine richtige Taktik seinerseits war, daß sie weniger für das Haus als für das Land berechnet zu sein scheint: diese Ansicht teilen Sie, glaube ich, sämtlich mit mir.

Aus diesem Gesichtspunkte, und gegenüber den in der Debatte,

sowohl seitens des Herrn Ministers als der Mitglieder der Konservativen

Partei vorgetragenen ganz exorbitanten Auffassung über konstitutionelles

Wesen und der Interpretation der Verfassung und der sie ergänzenden Gesetze/) erlauben Sie wohl auch mir mit ein paar sehr einfachen Sätzen zu beginnen, die ich wahrhaftig nicht des Hauses und seiner Mitglieder wegen notwendig halte, von denen ich aber glaube, daß sie in gemein­

faßlicher Weise vor dem Lande an dieser Stelle wohl angebracht sein

mögen. Bis jetzt ist vorzugsweise in der Behandlung der Frage die Ge­

fährdung des Budgetrechtes, bei dem von der Regierung eingeschlagenen Wege zur Herbeiführung der Armeereorganisation betont worden und 2) Gemeint ist die konservative bzw. ministerielle Auffassung, daß, da das Heeresgesetz von dem absoluten König erlassen sei, dieser auch so lange über das Heer verfügen könne,

wie ein übereinstimmender Beschluß der gesetzgebenden

Gewalten nicht zustande gekommen sei.

gewiß mit Recht.

Nach meiner Ansicht hat man indessen darüber ein

wenig zu sehr die andere Seite der Frage zurückgedrängt, das Recht dieses Hauses bei Feststellung der Wehrpflicht selbst, welches in ebenso eminentem Sinne und ganz genau aus denselben Gründen wie das Budgetrecht Fundamentalsatz jedes verfassungsmäßigen Staatslebens ist. Gestatten Sie mir einen einzigen höchst einfachen Satz in dieser Hinsicht

an die Spitze meiner Ausführung zu stellen.

Weil es Staatszweck, der

erste und hauptsächlichste Staatszweck ist, den Staatsbürgern die Selbst-

besttmmung über ihre Person und über ihr Eigentum, die freie Verwendung ihrer Kräfte und Mittel zu selbstgewählten Zwecken zu sichern, mit einem Worte, ihnen die Freiheit der Person, die Sicherheit des Eigentums zu garantieren, wie dies auch unsere Verfassung in den Artikeln 5 und 9

ausspricht, so gilt überall, wo überhaupt nicht der nackte Absolutismus herrscht, sondern eine verfassungsmäßige Staatsordnung gilt, in jeder Form derselben, von der Republik bis zu dem feudalen Ständestaate, der

Satz: Was der Staat zu seinem Bestehen von den Mitteln und Kräften seiner Bürger, zu persönlicher Dienstleistung und finanzieller Aushilfe beansprucht, die Opfer, die er von ihrem Eigentum und ihrer persönlichen Freiheit zu seinen Zwecken fordert, das alles kann nun und nimmermehr anders, als mit Zustimmung dieser selben Bürger festgestellt werden?) Daraus folgt unwiderleglich: Das Recht zur Bestimmung der Wehrpflicht ist genau ein ebenso fundamentales Recht jeder Verfassung als das Budgetrecht. Es kommt nicht sekundär, insofern es nämlich das Budget*) Auf diese Äußerung kam in der Sitzung vom 2. Juni der Abg. von Blanckenburg zurück, indem er bemerkte, daß das von Schulze angerufene Natur­ recht der preußischen Verfassung widerspreche und nur durch Verfassungsbruch erreicht werden könne. Ihm antwortete Schulze u. a.: „Ich meine, daß ich bei meiner Ausführung wohl eigentlich auf dem Artikel unserer Verfassung gefußt und sie eben nur in der Kürze in Verbindung mit dem allgemein geltenden Staatsrecht gebracht habe. Darin unterscheide nicht bloß ich mich, sondern unterscheiden die sämtlichen Mitglieder dieser (der linken) Seite des Hauses sich von dem geehrten Herrn Abgeordneten, daß wir, wo eS irgendwie eine angezweifelte Bestimmung gilt, nicht das konstitutionelle StaatSrecht Preußens, wie es die Verfassung uns gibt, aus dem alten Absolutismus heraus ergänzen und erklären, sondern aus dem allgemeinen konstitutionellen Staatsrecht, wie es sich vernünftigerweise — und insofern kann ich den Ausdruck „Naturrecht" mir wohl gefallen lassen, ich weise ihn nicht ab — wie es sich nicht nach den Velleitäten über naturrechtliche Anschauungen, sondern wesentlich nach der geschichtlichen Entwicklung dargestellt hat. Das ist die Lage der Sache. Ich meine, der Herr Abgeordnete wird sehr wohl Ursache haben, dies zu erwägen, wenn er solche Dinge wieder anführt."

recht tangiert, sondern primär mit demselben Range, wie das Budgetrecht selbst in Frage. Die Regulierung desselben also muß überall der Gesetz­ gebung überlassen werden, weil eben nur so die Mitwirkung der Landes­ vertretung stattfinden kann. Das bestimmt auch der Artikel 34 unserer Verfassung auf das klarste und ausdrücklichste, und hinsichtlich der Aus­ führung sind wir auf ein früheres Gesetz zurückgewiesen, welches schon im absoluten Staate die Regelung auf diesem Wege nebst einer Reihe weiterer gesetzlicher Verordnungen anbahnte, auf das Gesetz von 1814. Ich habe hierbei den durchschlagenden Deduktionen meines Herrn Vor­ redners, des Herrn Abgeordneten v. Forckenbeck wenig hinzuzusetzen und bemerke nur: es kommt wesentlich auf die Auslegung, auf die Begriffs­ bestimmung vom „Umfang der Wehrpflicht" im Sinne der Verfassung an. Wenn die Verfassung sagt: „Den Umfang und die Art dieser Pflicht bestimmt das Gesetz", so kommt es eben darauf an, was wir unter „Um­ fang" verstehen. Nun, ich glaube, hier liegt der große Fehlschluß in den Deduktionen der Königlichen Staatsregierung; sie beschränkt den Begriff einzig und allein auf die Bestimmung der Dienstzeit des einzelnen, sie geht nur auf den Umfang der Wehrpflicht für den einzelnen zurück. Davon aber steht in der Verfassung kein Wort; die Verfassung sagt: „Alle Preußen sind wehrpflichtig. Den Umfang und die Art dieser Pflicht bestimmt das Gesetz." Also den Umfang der Belastung für die Gesamtheit sowohl, wie für den einzelnen und darum muß neben der Dienstzeit der letzteren die Stärke und Zahl der Aushebung darunter mitbegriffen werden. Denn auf das letztere Moment kommt es für die Gesamtheit der Staatsbürger rücksichtlich des Umfangs der Wehrpflicht an. Es ist nicht bloß für die damit Betroffenen, es ist für die Gesamtheit aller Staatsbürger von höchstem Interesse, wie stark die Aushebung sei, denn die gesamte Güter­ produktion des Landes entbehrt so viel Kräfte, als die Aushebung für den Kriegsdienst in Anspruch nimmt. Aber noch mehr, und das ist nicht genug hervorgehoben worden: auch für den einzelnen Wehrpflichtigen ist der Umfang seiner Wehrpflicht wesentlich atteriert durch die Stärke der Aushebung. Es ist durchaus nicht für den einzelnen gleichbedeutend — ich exemplifiziere nur, mache nicht Anspruch auf die Richtigkeit der statistischen Zahlen, die von mancher Seite bemängelt werden könnten — ob von 200 000 Wehrpflichtigen alle unter die Fahnen gestellt werden, oder nur 100000 oder nur 50 000. Ein Vermindern oder Vermehren ‘) „Alle Preußen sind wehrpflichtig. Den Umfang und die Art dieser Pflicht bestimmt das Gesetz." Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

Schulze-Delitzsch.

290

der Gesamtziffer vermindert oder vermehrt für jeden einzelnen die Wahr­ scheinlichkeit, daß er selbst eingezogen werde.

Auch insofern, meine Herren,

ist in dem Umfange der Wehrpflicht, der verfassungsmäßig durch das

Gesetz bestimmt werden soll, die Stärke der Aushebung begriffen, welche die Belastung der Gesamtheit wie des einzelnen wesentlich alteriert.

Ich

glaube, das haben wir mit an die Spitze von der Ausführung der Un­ rechtmäßigkeit der gegenwärtigen Reorganisation zu stellen.

Ich komme nun auf die Behauptung des Herrn Kriegsministers, daß, solange diese Sache nicht durch Zustandekommen eines Gesetzes ge­ regelt sei, das Recht der Bestimmung an die Exekutive falle.

Sie kennen

sie ja, Sie haben die Rede gehört, der stenographische Bericht gibt uns genaue Auskunft.

Erstlich trifft die Voraussetzung, daß es an einer

gesetzlichen Bestimmung mangele, nicht zu, wie aus dem Gesagten hervor­

geht.

Der Vorbericht unserer Kommission stellt die Gesetze zusammen,

wonach die Stärke zwar nicht direkt, aber vollkommen ausreichend relativ durch die Zahl der Kaders und die Bestimmungen über deren Stärke usw.

geregelt war.

vollständig

Es gab in der Praxis hierbei eine kleine

Fluktuation, es konnte etwas mehr oder weniger in unbedeutendem Maße dabei gewechselt werden, aber im ganzen war in der Organisation eine feste Schranke gegeben, und in einer Reihe von Jahren, wo die Be­

stimmungen festgehalten wurden, ist eben immer eine annähernd gleiche Zahl bei den Aushebungen nachgewiesen.

Die Voraussetzung des Herrn

Kriegsministers trifft also nicht zu, die bindende, gesetzliche Norm ist da. Und wäre sie nicht, wohin sollte es führen, wenn bis zur gesetzlichen

Vereinbarung sollte?

die

Bestimmung

der Regierung allein maßgebend sein

Das wäre gerade in bezug auf die Wehrpflicht dasselbe wieder,

wie in bezug auf das Budgetrecht: solange die Regierung kein gesetzlich verändertes Budget hat — Sie haben es ja neulich und oft gehört, und

Sie haben auch die Ausführung des Abgeordneten Simsons dagegen

gehört — so lange verfügt die Regierung selbst über die Staatsmittel!

Das

ist

hier gerade

dasselbe:

solange

kein Gesetz

über Stärke

und

Organisation des Heeres zustande kommt, bestimmt dies die Regierung! Was

heißt das?

Die Regierung bestimmt überhaupt über diese Dinge

beliebig, da es von ihr abhängt, ob ein Gesetz zustande kommen soll

oder nicht.

Das ist die Konsequenz dieses Standpunktes!

Regierung bände sich an das Gesetz,

Gewiß, die

aber nur wenn es in einer Art

2) In der Sitzung vom 2. Mai hatte Simson gesagt, die Regierung könne sich wohl zivilrechtlich, aber niemals strafrechtlich gegen den Vorwurf der Ver­ fassungsverletzung schützen, wenn sie Staatsgelder ohne Etatgesetz verausgabe.

zustande kommt, die ihren Intentionen gemäß ist; wo nicht, so kommt es

eben nicht zustande, sie gibt den Konsens nicht dazu, und nun hat sie

alles allein in den Händen.

Nun liegt der Akt, ein wesentlicher Zlkt der

Gesetzgebung in den Händen der Exekutive! Lassen Sie mich im Anschluß hieran auf die Interpretationen kommen,

die wir weiter hierüber gehört haben. damit überrascht.

Der Herr Kriegsminister hat uns

Wir waren an manches gewöhnt im Punkte der Inter­

pretation, aber eine derartige, wie sie der Kriegsminister in der Sitzung vom 28. April gegeben hat, die ist doch bis jetzt noch nicht in diesem

Hause vorgebracht.

Könige als

Weil das Gesetz vom Jahre 1814 von dem absoluten

damaligen alleinigen Gesetzgeber erlassen ist,

so hat auch

nur dieser als König, der in Person ja in diesem Augenblick nicht mehr regiert, sondern sein Nachfolger allein das Recht der authentischen Inter­

pretation. Ja, meine Herren, es ist auf den Herrn Justizminister rekurriert.

Wenn dieser geehrte Herr bis jetzt seine juristische Autorität (Heiterkeit) durch hartnäckiges Stillschweigen

über die wichtigsten Rechtsfragen, die

hier verhandelt werden, allein wahren zu können geglaubt hat (Heiterkeit. Sehr gut!), so meine ich, ist ihm diese Interpretation, die doch wohl sein

Herr Kollege im Ministerrat ihm wird vorgelegt haben, doch zn stark

gewesen, um sie hier an dieser Stelle zu vertreten. Denn, meine Herren, um den Widersinn, die vollkommene Haltlosigkeit dieser Interpretation zu beurteilen, dazu braucht man nur einmal ganz

entfernt und in der untergeordnetsten Weise durch die juristische Schule gelaufen zu sein.

(Sehr richtig!)

Dann weiß man, daß eine authentische Interpretation nur von dem Gesetzgeber gegeben werden kann, und wenn die gesetzgebende Gewalt nicht

mehr bei dem einen Faktor, der in früheren Zeiten dieselbe allein besaß, geblieben ist, wie es nach dem Übergange in das konstitutionelle Staats­ leben rücksichtlich des Königs der Fall ist, daß ein solcher Akt der gesetz­

gebenden Gewalt, wie die authentische Interpretation, auch bei früheren

Gesetzen einseitig demselben nicht zusteht. Ich schließe, da wir gerade in dem Kapitel der wunderbaren und überraschenden Interpretationen sind, noch einige der geehrten Herren dieser Seite (rechts) des Hauses an.

Da hat das geehrte Mitglied, Herr

Wagener, namentlich uns angeführt/) zur Ergänzung der Verfassung müsse

das alte Landrecht herangezogen werden wegen der Bestimmung über die

In der Sitzung vom 29. April.

292

Schulze-Delitzsch.

Befugnisse des Königs über das Heer und alles damit Zusammenhängende. *)

Nun, meine Herren, wo da eine Lücke Herkommen soll, weiß ich nicht. Wir haben in der Verfassung in den Art. 45—48 die eingehendsten,

speziellsten Bestimmungen über das Recht der Krone in bezug auf das Heer und das Militärwesen, sie geben dem Könige, der an der Spitze

dieses Staates steht, so weitgehende und so wichtige Befugnisse, als sie je in einer Konstitution überhaupt vorkommen können.

Aber in dieser

Weise einseitig über den Umfang und die Art der Ausübung der Wehr­

pflicht unter irgendeinem Vorwande der Formatton oder Organisation zu bestimmen, von einem solchen Rechte des Königs steht kein Wort darin.

Es ist aber das alte Stück, das wir hier wieder hören: Die Herren er­ gänzen und erläutern den Konstitutionalismus aus dem Absolutismus,

sie erläutern und erklären das eine System aus dem damit vollkommen unverträglichen, auf dem entschiedensten Gegensatz beruhenden anderen. Das ist der Weg, wie man eben den ganzen Konstitutionalismus bei uns

im Keime zu verderben und allmählich vollständig zu beseitigen gedenkt. Weiter hörten wir auch eine sehr eigentümliche und wunderbare Auslegung des Budgetrechts, was dadurch zur Budgetpflicht wurde, von dem Herrn Abgeordneten v. Blanckenburg.

Es kam dabei allerlei vor,

dem ich hier auch wohl ein Wort gönnen muß.

Er erwähnte nämlich,

indem er uns Mangel an Konsequenz vorwarf, wie wir, die wir im Streite wären mit dem Ministerium, wie die Beamten im ganzen Lande überhaupt bei dem nicht zustande gekommenen Etat die bewilligten Diäten­ sätze erhalten und annehmen könnten.

Ja, meine Herren, das glaube

ich wohl, damit wäre den Herren wohl gedient, wenn durch solche Dinge

und durch solche vermeintliche Konsequenzen das Abgeordnetenhaus all­ mählich in ein Herrenhaus umgewandelt werden könnte, wenn eine große

Zahl von Mitgliedern, die nicht in der Lage sind, ohne Diäten hier zu sitzen und Opfern an Zeit und Anstrengungen jeder Art sich zu unter­

ziehen, dadurch aus dem Hause faktisch ausgeschlossen würden.

Das wäre

wohl sehr schön im Sinne dieser Herren, aber ob im Sinne des Volkes,

das ist eine andere Frage. (Sehr wahr!) Überhaupt lassen Sie mich dies anschließen: die ganze Stellung dieser Herren, wie sie sich bei dieser und jeder anderen Gelegenhttt er­ gab, ist der Art, daß wir wohl alle zu der Überzeugung allmählich gelangen müssen, daß die konservative Partei im Lande auf alles mögliche Anspruch

haben kann, aber nun und nimmermehr auf den Namen — wenn man *) Teilll Tit. 13 A.L.R. „Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt."

den rechten Sinn damit verbindet — einer Aristokratie, den sie doch beansprucht; Aristokratien in konstitutionellen Staaten — das ist das englische Beispiel — erhalten nur dadurch eine feste Grundlage, daß sie sich an den Kämpfen des Volkes gegen den Absolutismus, an den Kämpfen

um die Feststellung der Grundlagen eines neuen verfassungsmäßigen

Staatslebens beteiligen, aber nun und nimmermehr dann, wenn sie nicht mit dem Volke, sondern gegen das Volk in solchen Kämpfen stehen. (Sehr richtig!) Ich gehe nun von der Frage der Verfassungsmäßigkeit auf die Frage der Zweckmäßigkeit der Reorganisation über, ohne die einzelnen technischen Punkte dabei zu berühren, die so oft und so vielfach hier behandelt sind. sind

Meine Herren! Ich gehöre zu denen, die der entschiedenen Meinung und diese Meinung für vollkommen begründet halten durch

alles, was früher und jetzt darüber verhandelt ist: daß eine ebenso große, ja sogar eine größere Wehrhaftigkeit unseres Landes erreicht werden kann ohne die Reorganisation. Aber ich fühle mich gedrungen, folgendes vorauszufchicken. Selbst wenn es Männer in unserer Mitte gibt, die dieser Ansicht nicht sind, die da meinen, zur größeren Wehr­ haftigkeit des Landes sei die Reorganisation wohl nützlich und wohl er­ forderlich, so wird doch jeder sich dabei eine andere Frage vorzulegen haben, und das ist die: Ist denn nicht der von dem Königlichen StaatsMinisterium eingeschlagene Weg zur Herbeiführung dieser Reorganisation bedenklicher als alles? Ist er nicht selbst dann noch unbedingt verwerf­

lich und dann noch höchst gefährlich, wenn man wirklich eine größere Wehrhaftigkeit des Staates dadurch, wie wir durchaus bestreiten, herbei­ führen könnte? Der Herr Kriegsminister hat uns gesagt, und gewiß eine Wahrheit damit ausgesprochen: vor allem müsse das Land, da es stolz auf seine Freiheit sei, sich die Unabhängigkeit nach außen sichern. Gewiß meine Herren! Ein Land, das seine inneren Freiheiten bewahren will, darf den Kraftaufwand nicht scheuen, um nach außen unabhängig zu sein, weil ja sonst von den äußeren Feinden die innere Freiheit, die

inneren Rechte der Bürger angetastet würden. Aber, meine Herren, wenn man, um diese Unabhängigkeit nach außen zu sichern, einen Weg ein­

schlägt, der die innere Freiheit der Bürger nicht bloß an sich antastet und beschränkt, sondern sie im Kern angreift, in ihrer Wurzel untergräbt, dann wird wohl das Bedenken berechtigt sein: wollen wir um diesen Preis

eine Verstärkung unserer Wehrhaftigkeit? Nun und nimmermehr? Im Rechtsstaate ist das Militär mit seinem ehrenvollen Berufe der Ver­ teidigung des Vaterlandes nichts anderes als ein Mittel zum Staats-

Schulze-Delitzsch.

294

zwecke, aber nach dieser Anschauung macht man das Militärhalten und das Heer zum Staatszwecke selbst und formuliert sich und sein ganzes System als Militärstaat, den ich einfach im Unterschiede vom Rechtsstaate dahin bezeichne, daß im Militärstaate das Militärhalten Staatszweck ist, im Rechtsstaats nur das Mittel zur Aufrechterhaltung der Unabhängig­

keit des Vaterlandes nach außen. (Sehr richtig!) Also auf diesem Wege ist es höchst gefährlich und bedenklich zu er­ reichen, was wir dem Herrn Kriegsminister als löbliches Ziel hätten zu­ geben können, und wie richtig das ist, das zeigt eine Anzahl von Männern,

die mit mir und meinen politischen Freunden in vielen wichtigen Fragen nicht einverstanden sind. Es sind dies die, wenn auch nicht zahlreichen Mitglieder der altliberalen Partei. Sie sind unbedingt einverstanden mit der Zweck­ mäßigkeit der Reorganisation, sie halten aber den eingeschlagenen Weg für so verderblich, daß sie sich ihm so gut wie wir mit allen Kräften entgegenstellen.

Ich will nun ganz kurz auf die militärischen Erleichterungen ein­ gehen, die das Land durch die Reorganisation nach der Behauptung von deren Verteidigern erreichen soll. Es werden uns da die drei Jahre

aufgezählt, die insgesamt an der Dienstpflicht überhaupt erlassen werden sollen. Ja, meine Herren, über die ist kein Streit, das wollen alle Teile,

das wollen wir auch. Aber das ist wenig praktisch. Wenn diese letzten Jahre im zweiten Aufgebote der Landwehr einmal praktisch werden sollen, dann, meine Herren, muß es so übel stehen im Lande, daß danach über­ haupt nicht mehr gefragt werden kann, dann ist die Existenzfrage an uns

herangetreten, und dann muß und wird sich jeder stellen, der noch einen Arm hat, dreinzuschlagen. (Zustimmung.) Aber auf dies kommt es gar nicht an. Ich glaube nicht, daß der Herr Kriegsminister

imstande

sein

wird,

dem Volke

dies

als

eine

große Konzession darzustellen. Die Sache beruht vielmehr auf den ersten Jahren der Dienstzeit, das ist der Schwerpunkt, das ist die prak­ tische Seite; und was wird uns da gegeben?

Zwei Jahrgänge der

Landwehr werden in die Reserve übergeführt. Man sagt: Ja, wenn diese Überführung auch nicht bewilligt wird, wir haben schon für Mobili­ sierung und andere Zwecke außerhalb des Krieges doch einmal die Land­

wehr herangezogen, und man ändert im Grunde nur den Namen, da die Regierung die Sache faktisch doch einmal ausübt. Was heißt das aber? Womit will man das dem Lande gegenüber verantworten?

Wir sollen,

darauf kommt es hinaus, das, was die Königliche Staatsregierung bis

jetzt gegen die Gesetze des Staats, welche die Landwehr vor der Heran­ ziehung außer dem Kriegsfalle gesichert haben, getan hat, legalisieren.

wir sollen, was die Regierung bloß faktisch besitzt, in dessen rechtlichen

Besitz sie setzen; und das nennt man eine Erleichterung.

Wenn der

Herr Kriegsminister dem hinzugesügt hat, gegen größeren Gebrauch der Reserve zu einer stärkeren Heranziehung bei Übungen und Manövern usw.

seien wir ja gesichert durch das Schutzmittel der Geldbewilligung, meine Herren! wenn man in demselben Atem, wo man uns bestreitet, daß wir das Recht überhaupt hätten, die einmal getroffene Einrichtung der Heeres­

reorganisation durch eine Verweigerung der Geldmittel rückgängig zu machen — wenn man in demselben Atem dieses unser mißachtetes Budget­ recht uns als Schutzmittel gegen weitere Übergriffe in dieser Beziehung

empfiehlt, dann mögen Sie mir erlauben, und der Herr Kriegsminister

möge es mir nicht übel nehmen, wenn ich sage: Ich kann das bei jemandem,

der die eigenen Konsequenzen so schars zu ziehen weiß, kaum noch für Ernst nehmen; ich bin eher geneigt, es für Hohn anzunehmen gegen die

Landesvertretung.

(Sehr wahr!)

Ich komme nun auf die finanziellen Rücksichten, die ja auch eine

sehr große Rolle bei der Sache spielten.

Es ist uns keine neue Steuer

auferlegt worden, sagte der Herr Kriegsminister, um den Vorwurf der finanziellen Überbürdung abzuweisen. Dagegen läßt sich streiten. Es

handelt sich namentlich bei der Gebäudesteuer *) und deren Veranlagung um Fragen, die man nicht so unbedingt unter den Gesichtspunkt alter

Besteuerung bringen kann.

Aber das sind Dinge, worüber sich streiten

läßt, und worauf ich nicht näher eingehen will.

schon in der letzten Sitzung gesagt wurde.

Zutreffender ist, was

Wenn die Regierung es ver­

steht, durch Hinaufschraubung der Ansätze in gewissen Zweigen der direkten Steuern eine solche Höhe der finanziellen Einnahmen hervorzubringen, wie es bei uns gegenwärtig der Fall ist, dann braucht man allerdings keine neue Steuer, und die Überbürdung ist doch vorhanden. Eine sehr große finanzielle Belastung des Landes kann also auch ohne neue Steuern

vorhanden sein und ist es wirklich. Ja, selbst wenn dies nicht wäre, wenn die Mittel ganz ohne alle Unbequemlichkeit der Steuerzahlenden flössen, aber

man sich in der Unmöglichkeit befindet, durch die Erhöhung des Militär­ etats, andere dringende Staatsbedürfnisse in geeigneter Weise zu befriedigen, kommt das nicht auf dasselbe hinaus?

Abgesehen von wichtigen pro-

*) In der Sitzung vom 28. April 1865 hatte Roon gesagt, für die Reorga­ nisation sei dem Lande keine neue Steuer auferlegt worden, und als man ihn auf das Grund- und Gebäudesteuergesetz von 1861 hinwies, entgegnete er, dieses Gesetz sei infolge eines lange vor der Reorganisation im Lande geäußerten Wunsches eingebracht worden.

Schulze-Delitzsch.

296

duktiven Anlagen, von der Befriedigung großer allgemeiner Landesinteressen,

wen haben wir nicht alles vertrösten müssen mit gerechten Ansprüchen auf

bessere Zeiten?

Die Beamten und die Lehrer, ja selbst die Unteroffiziere

und die Gemeinen des stehendes Heeres haben wir vertrösten müssen wegen

der Erhöhung ihrer Gehälter, bis es möglich geworden sei, nach der Zurück­ führung der Reorganisation in ihre Schranken alles zu ordnen.

Nennt

das der Herr Kriegsminister keine Belastung des Landes, wenn sein Etat

die Mittel so in Anspruch nimmt, daß wir für die übrigen notwendigen Ausgaben nichts übrig behalten? Ich halte das für eine sehr große Belastung des Landes und glaube,

das nicht erst in diesem Hause beweisen zu müssen, daß eine solche Be­ lastung des Landes schon seit Beginn der Reorganisation wirklich besteht. (Sehr wahr!) Der Herr Kriesminister hat uns auch mitgeteilt, um zu beweisen,

wie wenig der Kredit Preußens durch die Reorganisation gelitten habe,

daß mehrfache Anerbietungen an das Ministerium herangetreten wären — ich muß wenigstens die Äußerung so auffassen — von Anlehen, die man als verfassungswidrig abgelehnt habe. Ich glaube, meine Herren, dieser Punkt

der Deduktion war nicht sehr glücklich.

Erstens hätte es eines Beweises

dafür, daß der Kredit Preußens nicht erschüttert ist, unter uns nicht bedurft; er ist, Gott sei Dank, nicht erschüttert, und wir wollen das

Unsrige beitragen durch Bekämpfung der Reorganisation, daß er auch in Zukunft nicht erschüttert werde.

Vielleicht hat gerade das den Kredit

Preußens nicht bloß moralisch, sondern auch finanziell bei allen zivilisierten

Nationen gestärkt, daß von diesem Hause der preußischen Volksvertretung

der Armeereorganisation von dem Gesichtspunkte aus,

daß dadurch die

Kräfte des Landes auf die Länge gefährdet werden, bekämpft wird, und ich glaube, dieser Kredit könnte wohl leiden in dem Augenblick, wo in dem fraglichen Punkte ein Nachgeben der Regierung gegenüber von dem

Hause stattfindet.

(Sehr wahr!)

Aber abgesehen davon frage ich den Herrn Kriegsminister, muß er sich denn nicht selbst sagen, daß durch eine solche Hindeutung der Möglichkeü der Aufnahme von Anleihen ohne Mitwirkung der Volksvertretung sehr leicht jemand aus unseren Reihen ihm antworten könnte: Ei nun, das ist ja prächtig!

Wenn das Königliche Staatsministerium mit den Mitteln des Landes wirt­

schaftet, ohne Budget und mit entschiedenster Mißachtung der Rechte de: Volksvertretung, dann soll es doch dem Hause nicht mit Anleihen kommen;

dann soll es doch diese Geschäfte auf seine eigene Verantwortung abmache« (Sehr gut!), und uns nicht zumuten, daß wir Anleihen bewilligen für

Zwecke, die wir nicht kontrollieren können, daß wir nicht eine Bewilligung aussprechen, ehe nicht die Anerkennung des Budgetrechtes stattgefunden hat!

— Das würde der Herr Minister auf die ihm gemachten wertvollen Mitteilungen, die ich

übrigens akzeptiere, sich erwidern lassen müssen.

(Sehr gut!)

Wir haben dann von ihm weiter gehört für die Notwendigkeit selbst einer finanziellen Belastung, wir wollten ja selbst das Volksheer und mit diesem sei notwendig verbunden das stehende Heer als Schule für

den Krieg, und diese Schule dürfe nicht zu enge sein, wenn sie bei An­

näherung an die allgemeine Wehrpflicht ihren Zweck erfüllen solle. Das mag recht sein; vielleicht ist diese Schule jetzt zu enge, wenn man eine Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflicht wünscht.

Ja, meine

Herren, da gibt es aber noch ein anderes Hilfsmittel, die kürzere Dienstzeit. Man behalte die Schüler nicht so lange in der Schule, dann wird die Schule weiter werden und dann wird sie eine größere Zahl der Wehr­ pflichtigen umfassen, dann wird eine größere Anzahl von Schülern sich

ausbilden lassen.

Ich gebe zu, daß vom Herrn Kriegsminister von seinem

rein technisch-niilitärischen Standpunkte aus die möglichste Verlängerung der Schulzeit gewünscht werden mag.

Aber bei jeder Schule, bei dieser

militärischen sowohl, wie bei jeder anderen, werden wir wohl auch den Zweck der Schule im Auge behalten müssen, wir werden uns sagen müssen,

wenn man noch so schön in längerer Zeit die Schüler ausbildet: das Land braucht die Schüler in seinen Reihen, die Lernenden müssen Erwerbende

werden nach einer gewissen Zeit;

das Land kann der Schüler nicht so

lange entbehren, wie der Herr Minister es wünscht zur Erreichung seiner

Zwecke, weil es sonst am Ende an den Leuten fehlen müßte, welche die

Schule bezahlen.

(Sehr gut!)

Dabei trage ich noch etwas nach, bloß um eine Antwort zu erteilen

auf die überaus naive Frage des Herrn Abgeordneten von Blanckenburg über die

verschiedenen Arten des Budgetrechts dieses und jenes Ab­

geordneten. *)

Es passiert den Herrn der konservativen Partei sehr häufig,

daß sie große Wahrheiten sagen, ohne es zu wollen.

(Heiterkeit.)

Er griff uns damit an, daß er das Budgetrecht als ein willkürliches, von den einzelnen beliebtes aufstellte.

Ich antwortete ihm darauf mit

dem einfachen Satz, den ich bei Beginn meiner Diskussion auszusprechen

*) Blanckenburg hatte in der Sitzung vom 2. Mai die Auffassung der Majorität vom Budgetrecht bekämpft und dabei spottend gemeint, daß von den führenden Herren, wie Gneist, Simson, Schwerin, Jacoby, jeder darüber eine andere Meinung habe.

Schulze-Delitzsch.

298 mir

erlaubt habe: jawohl, wir haben, indem wir das Budgetrecht des

Landes wahrnehmen, zugleich das Budgetrecht jedes Bürgers, jedes ein­ zelnen Steuerzahlers und Staatsbürgers im Auge. denn?

Denn was ist es

In mein Recht, über meine Mittel zu verfügen, greift der Staat

ein, indem er mich auffordert, zu seinen Zwecken Steuern, Teile meines

wohlerworbenen Eigentums, an ihn abzugeben.

nachlässigen,

den

Gesamtstaatshaushalt

Sowie wir es also ver­

gehörig

zu

kontrollieren,

die

Staatslasten auf ihr wahres Bedürfnis zurückzuführen, vernachlässigen wir nicht nur unsere Pflicht als Vertreter gegen die Gesamtheit, sondern auch die Pflicht, die wir gegen jeden einzelnen Staatsbürger haben.

Die

Staatskasse erhält ihre Zuflüsse aus den Privatkassen der Bürger.

Und

Eingriffe in die Staatskasse sind zugleich Eingriffe in den Privatsäckel jedes Bürgers.

Indem wir für das Budgetrecht der Landesvertretung

einstehen, stehen wir zugleich für die volle Befugnis jedes einzelnen ein, über sein Eigentum zu seinen eigenen Zwecken zu verfügen.

Daher ist

unser Budgetrecht das Budgetrecht jedes einzelnen Bürgers, weil aus deren Haushalt der Staatshaushalt bestritten werden muß. Es ist nun der Punkt zu erörtern der Konzessionen und Versöhn­

lichkeit, des Entgegenkommens seitens der Regierung, den der Herr Kriegs­ minister so sehr vorangestellt hat?)

vieles darüber beigebracht.

Forderung, noch

dazu

Der Kommissionsbericht hat schon

Die viermalige Vorlegung einer und derselben

jedesmal verstärkt, beweist die Versöhnlichkeit!

Nun weiterhin die Stellung zum Amendenient des Herrn Abgeordneten

v. Bonin.

Wie sich der Herr Minister dazu verhält, was er davon

billigt, was nicht, wissen wir nicht, das ist uns ein Rätsel geblieben, darüber hat er sich nicht ausgesprochen.

Wenn es so aufgefaßt würde,

wie er dächte, was er jedoch nicht wissen könne, dann könnte man wohl den Ausgangspunkt zu Verhandlungen darin finden! — Meine Herren!

Was heißt denn das?

Erstens einmal müssen wir die Auffassung des

Herrn Kriegsministers von diesem Amendement erraten.

der Herr Minister die kleine Minorität derer,

die

Dann bemängelt das

Amendement

unterstützen und sagt: ohne der Majorität sicher zu sein könnte die Re­

gierung sich nicht wohl auf Verhandlungen darüber einlassen. x) In der Sitzung vom 28. April hatte Roon gesagt, die Regierung habe ihre versöhnliche Gesinnung in der Frage der Reorganisation auch durch das viermalige Einbringen einer Vorlage bewiesen, obwohl sie alles durch Verordnung hätte machen können. Über das Amendement v. Bonin sich zu äußern, habe die Regierung keinen Anlaß, da es nur wenig unterstützt sei, also keinen praktischen Erfolg habe.

Wenn wir also die Ansicht erraten haben, so müssen wir erst noch die Majorität feststellen, daß die Dkajorität des Hauses darauf eingeht,

also einen Beschluß darüber fassen, und wenn wir dann diesen Beschluß

gefaßt haben,

nimmt der Herr Kriegsminister es zum Ausgangspunkt

für weitere Verhandlungen.

Meine Herren!

(Sehr gut!)

Das ist eine eigentümliche Art von Konzessionen.

Ich glaube, bei dieser Konzession kann die Königliche Staatsregierung in

ihrem bisherigen System vollkommen bestehen und ungestört fortfahren. (Sehr gut!)

Nun ist dabei weiter von ihr behauptet,

die Rückführung der Or­

ganisation sei nicht möglich; wir desorganisierten das ganze vorhandene Heer mit der Forderung der Rückführung usw.

Nun, da möchte man

zuerst fragen: wer hat denn diesen Zustand herbeigeführt, wenn dem wirklich so wäre?

Ganz allein die Königliche Staatsregierung durch

einseitiges Betreten dieses willkürlichen Weges.

Es ist doch sehr bedenklich,

meine Herren, wenn die Staatsregierung ausspricht: das ist einmal von mir wenn auch gegen das Gesetz und ohne die Beistimmung der Volks­

vertretung in einem Punkt, wo diese verfassungsmäßig notwendig war, geordnet und herbeigesührt; nun dürft ihr dagegen nichts haben und müßt euch fügen, denn sonst entstehen die größten Schädigungen für das ganze

Land.

Damit läßt sich alles machen, das ist nicht konstitutionell, das

ist das System der vollendeten Tatsachen; und ich habe noch nicht gesehen,

daß da, wo sich eine Volksvertretung darauf eingelassen hat, etwas an­ deres herausgekommen ist, als daß zuletzt der Absolutismus darüber zur

vollendeten Tatsache geworden ist. Aber wir wollen davon absehen; wir haben das Recht — und einige Vorredner haben

es

getan — es unbedingt zu bestreiten, daß

jemand in diesem Hause die Desorganisation der Armee verlangt. ist

noch niemanden eingefallen.

Das

Ehe der Herr Minister so etwas be­

haupten kann, muß er sich erst überzeugen und hätte doch erst überhaupt über diesen ganzen Punkt in Verhandlungen eintreten müssen.

Er hatte die größte Veranlassung

dazu im Jahre 1863, als ein

Teil von unseren Freunden hier die Amendements zu der damaligen Vorlage gestellt hatte?)

Es müßte doch erst durch bestimmte Forderungen

seinerseits festgestellt werden, was zur Verhütung der Desorganisation der Armee mit Zustimmung der Landesvertretung geschehen könnte.

Hat

y Die Anträge von Forckenbeck und Gen. zum Militürgesetz vom Mürz 1863 verlangten Fixierung des jährlichen Rekrutenkontingents auf 60000 Mann und zweijährige Dienstzeit.

Schulze-Delitzsch.

300

er uns schon eine Vorlage mit der zweijährigen Dienstzeit gemacht, wo vielleicht eine Anzahl der neuen Kaders nach Ansicht vieler Mitglieder

des Hauses beibehalten werden könnte?

Es ist nicht die Ansicht aller;

es mußte aber doch festgestellt werden, wofür die Majorität sich entscheidet. Ist er etwa darüber schon in Verhandlung getreten?

Mit welchem Rechte

will also der Herr Kriegsminister sagen und behaupten, daß von uns die Desorganisation der Armee verlangt wird?

Das Recht hat er erst,

wenn er über diesen Plan, über diesen Vorschlag vollständig in Ver­ handlung eingetreten ist und wenn die Mittel und die Möglichkeit ver­ weigert worden sind, auf diesem oder jenem Wege, den es dahin gibt ohne Auflösung der Armee in den Grundbestandteilen zu einem Resultat

zu gelangen. Lassen Sie mich zum Schluß kommen.

Über das Amendement

Bonin habe ich nach dem Abgeordneten v. Forckenbeck nicht viel zu sagen, nachdem der Herr Kriegsminister sich in der Weise, wie wir gehört haben, ausgesprochen hat und es vollständig ablehnt, sich nur darauf einzulassen.

Ich, wenn ich der Antragsteller wäre, würde das Amendement ganz ent­

schieden zurückziehen und nicht dem Hause zumuten, darüber überhaupt noch in eine Debatte einzutreten.

Endlich habe ich noch auf einige Vorwürfe zu antworten, die uns

so beigehend in der schwersten Art von dem Herrn Kriegsminister gemacht worden sind.

Ich komme da auf die Partei, der an der Verlängerung

des Konfliktes gelegen sein soll.

Ja, meine Herren, führen

wir doch

einmal mit der allergrößten Ruhe und Kaltblütigkeit die Frage auf das dabei obwaltende Interesse zurück.

Welche Partei kann denn ein Interesse

haben an der Verlängerung des Konfliktes, frage ich, wenn es überhaupt

eine solche Partei gibt?

Wir in der liberalen Mehrheit wünschen unser

verfassungsmäßiges Recht, was uns während des Konflikts bestritten ist,

wieder herzustellen.

Wir können nur zu unserer Vollgeltung gelangen

durch Beendigung des Konfliktes, während dessen Dauer wir machtlos sind.

Ich weiß keinen Weg weiter, um uns zum Ziele zu helfen, wir

können also die Partei nicht sein, die gegen ihr eigenes Interesse die

Verlängerung

des

Konfliktes,

die Fortdauer

der

Vorenthaltung der

wichtigsten Rechte der Volksvertretung seitens der Königlichen Staats­ regierung, die sich im Besitz der faktischen Macht befindet, wünschen kann.

Es wäre das absolut verkehrt.

Wenn es

also irgendeine Partei gibt,

der an dem Konflikt und dessen Fortsetzung gelegen sein soll — da die Behauptung einmal ausgestellt

— ich würde sehr Bedenken getragen

haben, mit ihr in das Haus zu treten — so ist es einzig die konservative

Partei.

Denn gerade der Konflikt treibt die Königliche Staatsregierung

diesen Herren, als ihre einzige Stütze, mehr und mehr in die Arme.

Ihnen kann also an der Fortdauer des Konfliktes liegen, denn sie können hoffen, mehr und mehr in den Mitbesitz der Regierungsgewalt, den Sessel der Herren Minister uns gegenüber zu kommen, wenn die Regierung sich

auf sie allein bei dem ganzen Konflikt stützen kann.

Ihnen allein kann

daher daran gelegen sein, in ihrem Interesse allein liegt es, den Konflikt

aufrecht zu erhalten, nicht aber in unserem Interesse — wenn man eben

die Frage auf den kaltblütigsten Standpunkt zurückführt. Der Herr Abgeordnete Wageners hat sodann noch wie gewöhnlich

uns einige tragische Aussichten

eröffnet.

Er meint, wir würden uns

schon nach der reorganisierten Armee sehnen; wenn die soziale Revolution ausgebrochen sei, würden wir uns hinter die verstärkten Bataillone zurück­ ziehen können.

Ach, mein Gott! das ist der alte traurige Irrtum der

Herren und anderer, die in ihren Vorstellungen ihnen gleichen, daß man

große Bewegungen im Leben der Völker, die sich allmählich und unwider­ stehlich verbreiten,

mit der Gewalt der Bajonette unterdrücken könne!

Weder politische noch soziale Revolutionen, die wahrhaft im Bewußtsein der Zeit liegen, hält man mit Bajonetten nieder, am wenigsten mit den

Bajonetten eines Volksheeres. Denn die Herren haben trotz aller Kasernen­ schranken noch nicht die Steuern erfunden, welche die Söhne des Vater­ landes vor den Ideen, welche die Lebenslust unserer Epoche bilden, und vor deren alles durchdringenden Kraft schützt.

(Lebhaftes Bravo!)

Und was die Stellung des Herrn Wagener und seiner Freunde und die unserige zu dieser sozialen Revolution anlangt, so ist die freilich ver­

schieden.

Wir suchen dem politischen und dem sozialen Bruch durch Reformen und durch Anstrebung des humanen, politischen und wirtschaftlichen Fort­

schritts vorzubeugen.

Nicht wir, diese Herren sind es, welche in das

Fahrwasser der Revolution einlenken, indem sie sich gegen die notwendigen

Reformen und gegen die notwendigen Zugeständnisse erklären und das

Zustandekommen hindern.

Und was namentlich die sozialen Bestrebungen

anlangt, da kennen wir sehr gut die Tendenzen der Herren.

Der Herr

Abgeordnete Wagener bezog sich auf den bekannten Konflikt zwischen den

Arbeitern und Arbeitgebern in Burg?)

Er hat wahrscheinlich nicht

gewußt, daß dieser Konflikt in diesem Augenblick durch die Bestrebungen

T) In der Sitzung vom 29. April. 2) Am 30. April war in Burg bei Magdeburg ein Arbeiterstreik ausgebrochen.

Schulze-Delitzsch.

302

wahrhafter Arbeiterfreunde im beiderseitigen Interesse und

seitigen ist.

Zugeständnissen,

Ich

hatte

der

sehen,

in

gestern

dieser

mit

keineswegs durch

bie- Staatsgewalt,

das

den

Sache

Vergnügen,

der

Vermittler

in die Reihen der konservativen Partei.

Mann war,

er

bei

beider«

beseitigt mir

gehört

zu

nicht

Wir glauben einer gewalt­

samen Revolution vorzubeugen, tnbem wir alle guten und

alle edlen

Eigenschaften des Menschen, indem wir die sittlichen und intellektuellen

Kräfte unserer Arbeiterbevölkerung mehr und mehr wecken und pflegen, indem wir den Arbeitern mehr und mehr zu einem bescheidenen Grade von Wohlstand helfen und sie an die eigene Kraft und Tüchtigkeit, an

ihre eigene Tätigkeit und Lebenshaltung bei Besferung ihrer Lage ver­ weisen.

Sie aber, meine Herren (nach rechts), haben in der letzten Zeit

mit dem roten Gespenste gespielt, Sie würden Ursache haben sich hinter die Bataillone zurückzuziehen, und es ist recht schön,

daß Sie vor den

Arbeitern selbst ihre löblichen Tendenzen wegen des Gebrauchs der Re­

organisation enthüllen.

Ich denke, wenn die Bataillone marschieren —

und, meine Herren, sie marschieren schon lang im friedlichen unwider­

stehlichen Zuge — so werden sie schwerlich nach den Intentionen und

Losungen des Herrn Abgeordneten Wagener und seiner Freunde marschieren — und ich denke, an uns wird es nicht fehlen, mit ihnen Hand in

Hand zu gehen zur Erstrebung wirklich menschenwürdiger Zustände für

alle Klassen unseres Volkes. Meine Herren!

(Bravo!)

Immer unverhüllter treten aus dieser ganzen Debatte

die Tendenzen der Königlichen Staatsregierung und der Partei, auf die

sie sich stützt, hervor. Sie gestatten mir wohl zuletzt noch die wenigen Worte aus dem stenographischen Bericht, die charakteristische Äußerung, die der Herr Kriegsminister getan hat, die das Stärkste enthält, was wohl

je vor einem Parlament gesprochen ist, Ihnen vorzulesen. Es ist das, was auf Seite 1206 des Berichtes enthalten ist, seine Äußerung über den vitiösen Zirkel?)

Es heißt da:

„Nun, meine Herren, wenn man sagt: Nein, wir bewilligen der Negierung den Gesetzentwurf nicht und die neue Heeresorganisa­ tion, weil unser Budgetrecht bei den Verhandlungen über diese

Sache zu Schaden gekommen ist, so bin ich durchaus außerstande,

zu begreifen, wie man mit einer solchen Logik jemals aus diesem

fehlerhaften Zirkel herauskommen

kann.

Wenn

die Regierung

der Meinung ist — wie es in der Tat der Fall — daß sie von !) In der Sitzung vom 28. April.

der neuen Hceresorganisation nicht lassen kann, in ihren wesent­

lichen Grundzügen wenigstens, und wenn aus diese Weise also fort und fort eine Nötigung an die Negierung herantritt, das Recht, was Sie hochhalten, nicht zu achten in der Weise, wie Sie es wollen: wie wollen Sie denn herauskommen, wie kann die

Regierung herauskommen??"

(Heiterkeit.)

Was heißt das, meine Herren? — Wenn nach der Meinung der Regierung etwas als notwendig erscheint, so tritt an sie die Nötigung

heran, das verfassungsmäßige Recht zu durchbrechen. Das ist deutlich, meine Herren, und dafür haben wir dem Herrn Kriegsminister zu danken.

Es sieht nun jeder im Lande, wofür wir hier stehen, und wofür wir hier in dieser Militärsrage den Kampf führen, und jeder im Lande mag uns zustimmen oder nicht. Es handelt sich im Augenblick darum, daß wir mit Ausdauer dagegen kämpfen, daß das System der Königlichen Staatsregierung, welches sie faktisch ausübt, wenigstens nicht legalisiert werde, weil wir hoffen und glauben, der Tag und die Stunde werden kommen, wo bessere Zeiten zur Verwirklichung unserer verfassungsmäßigen Rechte überhaupt eintreten werden für dieses Land. Dann sind wir aller­

dings der Königlichen Staatsregierung und ihren Freunden insofern zu Dank verpflichtet: Sie haben alle die Mängel und die angeblichen Lücken

und die möglicherweise zweideutigen Stellen in der Verfassling gezeigt (sehr gut!), welche die alsdann tagenden Vertreter des Hauses ins Auge zu fassen haben werden. (Sehr gut!) Niemand im Lande kann bei der Äußerung des Herrn Kriegs­

ministers noch zweifelhaft sein, wie es steht.

Möge das Volk darüber entscheiden! Will es nicht seinerseits mit zäher Ausdauer auf seinem Posten sein, dann können auch wir es nicht; will es das nicht, will es Kompromisse schließen über seine eigene politische Existenz, und die liegt allein in der verfassungsmäßigen Staatsordnung — will es das, dann,

meine Herren, möge es andere Männer an diese Stelle schicken, als uns! (Bravo!) Wir haben weder Lust mit der Zukunft unseres Vaterlandes, noch mit unserer eigenen Vergangenheit zu brechen! (Stürmisches Bravo!)

Am folgenden Tage wurde die Vorlage abgelehnt.

Das Amende­

ment v. Bonin war schon vorher vom Antragsteller zurückgezogen.

304

Schulze-Delitzsch.

123. Virchows Konflikt mit Bismarck. Rede in der 64. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 8. Juni 1865.

3n der Sitzung vom 2. Juni hatte Virchow als Berichterstatter gegen einige Äußerungen Bismarcks erklärt, der Ministerpräsident habe sich wohl nicht die Mühe genommen, den Bericht ganz zu lesen, sondern es habe ihm wahrscheinlich genügt, den Schluß seiner Prüfung zu unter­

ziehen.

Menn er ihn aber gelesen habe und solche Behauptungen dann

noch hier aufstelle, so wisse er (Virchow) in der Tat nicht, was er von der Wahrhaftigkeit des Ministerpräsidenten denken solle. Darauf schickte ihm Bismarck eine Pistolenforderung. In der Sitzung vom 8. Juni brachte v. Zorckenbeck die Angelegenheit zur Sprache und gab der Er­

wartung Ausdruck, daß der Präsident dem Abg. Virchow die Annahme der Forderung im Namen des Dauses untersage. Der Präsident Grabow gab auch sofort eine entsprechende Erklärung ab; es entwickelte sich aber, besonders infolge des Eingreifens v. Roons, noch eine längere Debatte, in der auch Schulze zum Wort kam: Um der Wähler und des Landes willen müsse das Haus eine Ent­

scheidung entweder durch einen Beschluß oder durch einen Spruch des Prä­

sidenten treffen.

Das Land fordert, daß wir, das Haus, die einzelnen Mit­

glieder gegen den angedeuteten Weg des Austrages in solchen Dingen schützen,

weil dies das einzige Mittel ist, sie in treuer, fester, voller Pflichterfüllung zu sichern.

Da müßte man wahrhaftig erst an dem Wahlgesetz mehreres

ändern und ganz andere Qualitäten für die Depuüerten in Aussicht

nehmen, als die für einen geistigen Kampf, wenn man sie hierher schicken Was sollte dann aus der Behandlung aller der wichtigen Landes­

will.

angelegenheiten, die wir hier festzustellen berufen sind, werden? Ich bitte

Sie, zu bemerken, es ist sehr charakteristtsch, wie sich die einzelnen Parteien

im Hause zu dieser Frage stellen.

Ja, mein Gott, das kann auch ein

Weg werden, den man versuchen mag, um in den Majoritäten möglicher­ weise etwas zu ändern. treten.

Solchen Dingen müssen wir im Prinzip entgegen-

Das geht doch wahrhaftig nicht, daß wir dulden, daß die Sachen,,

um die wir hier sind, auf diese Weise sollen zum Austrag gebracht werden. Dann, meine Herren, muß ich noch erwähnen dem Herrn Kriegs­

minister gegenüber/) wir brauchen

gar nicht

auf den Mangel eines

8) Roon hatte gesagt, die Minister seien nicht so gut gestellt wie die Ab­ geordneten, die für ihre Reden in diesem Hause nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Da sie sich gegen Beleidigungen nicht durch das Anrufen des Staatsanwalts schützen könnten, bleibe ihnen nur übrig, sich mit der Waffe Genugtuung zu holen.

Minister-Verantwortlichkeitsgesetzes zurückzugehen. Die Minister sind — und wir haben ja solche Fälle und Äußerungen des Herrn Kriegsministers

auch erlebt — wirklich faktisch beinahe in höherem Grade nicht verant­ wortlich für ihre Reden wie wir. Eine Anklage gegen die Minister, meine Herren, die hängt von der Staatsanwaltschaft ab, und seien Sie sicher, wir haben die Dinge besprochen, es wird keine preußische Staats­

anwaltschaft wegen Beleidigung der Abgeordneten durch die Minister je gegen einen derselben eine Anklage formulieren. Zum Schluß sprach der Präsident noch einmal die dringende Lr.

Wartung aus, daß Virchow das Duell nicht annehmen werde, das denn auch unterblieb.

124. Die Überweisung des Etats für 1866 an die Budget­ kommission. Rede in der dritten Sitzung des Abgeordnetenhauses am 19. Januar 1866.

Jn der Sitzung vom Januar (866 hatte Finanzminister v. Bodelschwingh den Etat für 1866 vorgelegt, worauf der Abg.

Twesten (Waldenburg) beantragte, erst nach Eingang der gedruckten Exemplare über die geschäftliche Behandlung Beschluß zu fassen. Jn der sich darüber entwickelnden Debatte sprachen u. a. toewe (Bochum) und Faucher (Bitterfeld-Delitzsch) für den Antrag Twesten, dagegen die Abg. Stavenhagen (Potsdam) und Waldeck (Bielefeld). Darauf zog Twesten seinen Antrag zurück und beantragte statt dessen, das Budget zunächst einer Vorberatung im ganzen ^ause zu unterziehen. Auch diesem Antrag schloffen sich Faucher und toewe an, wahrend Waldeck ihn be­

kämpfte.

Gegen Waldeck sprach auch Schulze:

Ich will von einer anderen Seite an die Frage herantreten, als die Abgeordneten Loewe und Faucher,^ ich wünsche die Vorberatung im Hause im Interesse der Budgetkommission selbst, mit Rücksicht auf die jetzige Situatton. Ich meine, meine Herren, wir verrücken im Grunde die ganze Stellung dieser Kommission, wenn wir ohne weiteres und ohne Vorberatung ihr das Budget gegenwärtig überweisen. Unsere Fach­

kommissionen haben den wesentlichen Beruf, die technischen Vorarbeiten zu *) Faucher und im wesentlichen auch Loewe hatten für den Antrag Twesten gestimmt, weil in einer solchen Vorberatung der Standpunkt des Gesetzgebers zum Budget klarer gemacht werden könne, als es bisher der Fall gewesen sei. Schulze-Delitzsch. Schriften und Reden. 4. 20

Minister-Verantwortlichkeitsgesetzes zurückzugehen. Die Minister sind — und wir haben ja solche Fälle und Äußerungen des Herrn Kriegsministers

auch erlebt — wirklich faktisch beinahe in höherem Grade nicht verant­ wortlich für ihre Reden wie wir. Eine Anklage gegen die Minister, meine Herren, die hängt von der Staatsanwaltschaft ab, und seien Sie sicher, wir haben die Dinge besprochen, es wird keine preußische Staats­

anwaltschaft wegen Beleidigung der Abgeordneten durch die Minister je gegen einen derselben eine Anklage formulieren. Zum Schluß sprach der Präsident noch einmal die dringende Lr.

Wartung aus, daß Virchow das Duell nicht annehmen werde, das denn auch unterblieb.

124. Die Überweisung des Etats für 1866 an die Budget­ kommission. Rede in der dritten Sitzung des Abgeordnetenhauses am 19. Januar 1866.

Jn der Sitzung vom Januar (866 hatte Finanzminister v. Bodelschwingh den Etat für 1866 vorgelegt, worauf der Abg.

Twesten (Waldenburg) beantragte, erst nach Eingang der gedruckten Exemplare über die geschäftliche Behandlung Beschluß zu fassen. Jn der sich darüber entwickelnden Debatte sprachen u. a. toewe (Bochum) und Faucher (Bitterfeld-Delitzsch) für den Antrag Twesten, dagegen die Abg. Stavenhagen (Potsdam) und Waldeck (Bielefeld). Darauf zog Twesten seinen Antrag zurück und beantragte statt dessen, das Budget zunächst einer Vorberatung im ganzen ^ause zu unterziehen. Auch diesem Antrag schloffen sich Faucher und toewe an, wahrend Waldeck ihn be­

kämpfte.

Gegen Waldeck sprach auch Schulze:

Ich will von einer anderen Seite an die Frage herantreten, als die Abgeordneten Loewe und Faucher,^ ich wünsche die Vorberatung im Hause im Interesse der Budgetkommission selbst, mit Rücksicht auf die jetzige Situatton. Ich meine, meine Herren, wir verrücken im Grunde die ganze Stellung dieser Kommission, wenn wir ohne weiteres und ohne Vorberatung ihr das Budget gegenwärtig überweisen. Unsere Fach­

kommissionen haben den wesentlichen Beruf, die technischen Vorarbeiten zu *) Faucher und im wesentlichen auch Loewe hatten für den Antrag Twesten gestimmt, weil in einer solchen Vorberatung der Standpunkt des Gesetzgebers zum Budget klarer gemacht werden könne, als es bisher der Fall gewesen sei. Schulze-Delitzsch. Schriften und Reden. 4. 20

Schulze-Delitzsch.

306

unseren Beratungen zu liefern, nicht

Verfassungslebens zu erörtern. gehabt

haben,

große Prinzipienfragen

Obgleich wir Fachkommissionen stets

haben wir derartige Fragen

kommissionen überwiesen

unseres

fast

regelmäßig

Spezial­

und eine ganz andere Zusammensetzung der

Kommission für solche spezielle Fragen dadurch ermöglicht, als wo wir

eben die technischen Details vor Augen hatten.

dem Budget jetzt.

So liegt die Sache mit

Es sind eine große Menge von Prinzipienfragen, die

unmittelbar mit dem Budgetrecht Zusammenhängen, auch wenn man ganz von den anderen durch den Abgeordneten Twesten miterwähnten PunktenT)

absieht, die der Abgeordnete Waldeck getrennt davon behandelt wissen will, über welche auch zum Teil schon besondere Anträge vorliegen.

Ich

will nun gar nicht sagen, daß dieselben der Budgetkommission unbedingt entzogen werden sollen; aber, meine Herren, dann bedarf die Budget­ kommission sozusagen noch eines Mandats von unserer Seite.

Jetzt

ist sie unsere technische Kommission zur Detailberatung des Budgets, und

für jene prinzipiellen Punkte müßte ihr, ich bleibe dabei, die Direttion durch die Debatte im Hause gegeben werden. kommission

wird

Die Stellung der Budget­

ohnedies dem Hause gegenüber verschoben,

und ich

entnehme den Beweis dafür aus den Vorgängen des vorigen Jahres, wo die Budgetkommission gleich bei Beginn ihrer technischen Arbeiten sich

selbst veranlaßt fand, in einem Generalbericht unsere Entscheidung mittels

einer Anzahl von Resolutionen einzuholen, weil ähnliche Prinzipienfragen

vorlagen?)

Diese haben sich gegenwärttg noch gesteigert, und es wäre

durchaus anomal, wenn wir die Budgetkommission sich selbst dabei über­

ließen, so daß sie sich genötigt fände, wiederum an das Haus zu gehen, um über Dinge, die nun einmal nicht technischer Natur sind, entscheiden

zu lassen.

Ersparen wir es ihr diesmal, geben wir ihr die Direktion

über diese Fragen gleich mit, und die Budgetkommission wird ihre Auf­ gabe um so sicherer erledigen.

Weiter, meine Herren, habe ich noch einiges zu bemerken gegen die Ansichten des Abgeordneten Waldeck.

Er meint, die Vorberatung im

Hause führe zu einer unbestimmten Debatte, da keine Anträge vorlägen.

Ei, meine Herren, in einer Lage wie der unsrigen möchten wohl in den meisten parlamentarischen Versammlungen solche unbestimmte Debatten

vorkommen, ich erinnere nur an die Adreßdebatten, deren Aufgabe auch nicht in der Erledigung spezieller Anträge, sondern in einem getreuen

*) Nämlich die augenblickliche politische Lage.

-) Vgl. S. 266 ff.

Bilde von der Lage des Landes besteht.

Wir haben nun eine Thron­

rede; indessen liegen mancherlei Gründe vor, die uns früheren Erfahrungen gegenüber

könnten.

diesen

Weg der Adresse nicht angemessen erscheinen lassen

Es liegt mir nicht ob, die desfallsigen Gründe zu erörtern, und

ich beschränke mich, darauf hinzudeuten, daß eben die angeregte prinzipielle

Debatte im Hause dem Lande einen Ersatz der Adreßdebatte zu verschaffen

geeignet sein dürfte.

Die Lage ist so, daß ich besümmt glaube, das Land

erwartet von uns ein Aussprechen der allgemeinen Beschwerden, und ich kann der Ansicht nicht beistimmen, als sei in dieser Beziehung nichts weiter nötig, und jedermann sei schon sicher, und jeder sei so ganz klar

über alle Fragen unseres gefährdeten Verfassungslebens.

Ach, meine

Herren, wenn die Königliche Staatsregierung mit allen ihren Mitteln, die sie in so unbedenklicher Weise und außerhalb aller Rechtsschranken

braucht, die Sachlage in ihrem Sinne einseitig darzustellen und geltend zu machen, wie bisher, fortfährt, wenn die unabhängige Presse allmählich

mundtot gemacht wird (Sehr richtig!), dann ist diese Tribüne der einzige Ort der unverfälschten Meinungsäußerung, welcher das Volk im höchsten Grade bedarf.

Verschieben wir nicht den Standpunkt, niemand wird

durch diese Vorberatung im Hause in bezug auf die weitere Behandlung

der Budgetvorlagen präjudiziert.

Werden dieselben alsdann doch der

Budgetkommission überwiesen, so ist diese in viel besserer Lage und hat eine klarere Aufgabe, wenn sie eine spezielle Direktton zur Erledigung der Prinzipienfragen erhält.

Ich glaube, sie bedarf es, und das Haus

kann sich diese Direkttonserteilung in so großen Fragen durchaus nicht

vergeben.

Me Auffassung darüber muß zum Gesamtaustrage vor dem

Lande in offener Debatte des Hauses gebracht werden, niemals in irgend­

einer geheimen Sitzung einer Kommission. Twesten zu stimmen.

Ich bitte für den Antrag

(Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Twesten abgelehnt und der Etat an die Budgetkommisfion verwiesen.

125. Das Verbot des Kölner Abgeordnetenfestes. Rede in der 10. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 16. Februar 1866.

Am (0. 3uK \865 hatt« ein Komitee in Köln unter dem Vorsitz des

Stadtverordneten Tlassen-Kappelmann sämtliche Alitglieder der liberalen

Parteien zu einer Festlichkeit nach Köln eingeladen, behufs „Austauschs 20*

Bilde von der Lage des Landes besteht.

Wir haben nun eine Thron­

rede; indessen liegen mancherlei Gründe vor, die uns früheren Erfahrungen gegenüber

könnten.

diesen

Weg der Adresse nicht angemessen erscheinen lassen

Es liegt mir nicht ob, die desfallsigen Gründe zu erörtern, und

ich beschränke mich, darauf hinzudeuten, daß eben die angeregte prinzipielle

Debatte im Hause dem Lande einen Ersatz der Adreßdebatte zu verschaffen

geeignet sein dürfte.

Die Lage ist so, daß ich besümmt glaube, das Land

erwartet von uns ein Aussprechen der allgemeinen Beschwerden, und ich kann der Ansicht nicht beistimmen, als sei in dieser Beziehung nichts weiter nötig, und jedermann sei schon sicher, und jeder sei so ganz klar

über alle Fragen unseres gefährdeten Verfassungslebens.

Ach, meine

Herren, wenn die Königliche Staatsregierung mit allen ihren Mitteln, die sie in so unbedenklicher Weise und außerhalb aller Rechtsschranken

braucht, die Sachlage in ihrem Sinne einseitig darzustellen und geltend zu machen, wie bisher, fortfährt, wenn die unabhängige Presse allmählich

mundtot gemacht wird (Sehr richtig!), dann ist diese Tribüne der einzige Ort der unverfälschten Meinungsäußerung, welcher das Volk im höchsten Grade bedarf.

Verschieben wir nicht den Standpunkt, niemand wird

durch diese Vorberatung im Hause in bezug auf die weitere Behandlung

der Budgetvorlagen präjudiziert.

Werden dieselben alsdann doch der

Budgetkommission überwiesen, so ist diese in viel besserer Lage und hat eine klarere Aufgabe, wenn sie eine spezielle Direktton zur Erledigung der Prinzipienfragen erhält.

Ich glaube, sie bedarf es, und das Haus

kann sich diese Direkttonserteilung in so großen Fragen durchaus nicht

vergeben.

Me Auffassung darüber muß zum Gesamtaustrage vor dem

Lande in offener Debatte des Hauses gebracht werden, niemals in irgend­

einer geheimen Sitzung einer Kommission. Twesten zu stimmen.

Ich bitte für den Antrag

(Bravo!)

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Twesten abgelehnt und der Etat an die Budgetkommisfion verwiesen.

125. Das Verbot des Kölner Abgeordnetenfestes. Rede in der 10. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 16. Februar 1866.

Am (0. 3uK \865 hatt« ein Komitee in Köln unter dem Vorsitz des

Stadtverordneten Tlassen-Kappelmann sämtliche Alitglieder der liberalen

Parteien zu einer Festlichkeit nach Köln eingeladen, behufs „Austauschs 20*

Schulze-Delitzsch.

308

der Ideen über die jetzige politische tage des Landes" und „um gegen­ seitig die Ausdauer und Einmütigkeit zu beleben, welche der zum Schutze

der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten zu führende Kampf von

Der Polizeipräsident von Köln verbot aber, gestützt auf das Gesetz vom JJ. März 1850 über Verhütung des Miß­

einem jeden erfordert."

brauchs des versammlungs- und Vereinigungsrechts das beabsichtigte Fest und löste das Komitee auf. Dieses beantragte gerichtliche Entscheidung

und erzielte auch die Aufhebung der polizeilichen Verfügung.

Infolge­

dessen kamen am 22. 3uli 150—160 Abgeordnete zusammen. Die Polizei aber ließ das tokal schließen und die Erschienenen durch Militär aus­ einandertreiben. Diese Vorgänge veranlaßten Llassen-Kappelmann und ^73 Kölner Einwohner zu einer Beschwerde an das Abgeordnetenhaus, die in der Sitzung vom 16. Februar zur Verhandlung stand. Die Iustizkommifsion beantragte einen Beschluß, daß die Verhinderung des

Festes verfassungswidrig sei, daß der Minister des Innern bei diesem Anlaß seine Pflicht verletzt habe, da er auf die Beschwerde des Komitees nicht geantwortet und die gesetzwidrigen Maßnahmen nicht verhindert habe, und daß der Gberprokurator verpflichtet sei gegen den Regierungs­

präsidenten und den Polizeipräsidenten von Köln strafrechtliche Ver­ folgung herbeizuführen. In der Debatte erklärten die Gegner des Antrags, daß das Fest eine Störung des öffentlichen Friedens geworden wäre und als eine Demonstration gegen das im Mai stattgefundene Iubelfest der Vereinigung der Rheinprovinz mit Preußen aufzufaffen sei. Der Minister des Innern nannte es ebenfalls eine gehässige, ruhestörende Demonstration, verteidigte die angegriffenen Beamten und sprach die Lrwartmlg aus, daß die Beamten auch in Zukunft dem Gesetz und den Befehlen ihrer Vorgesetzten Folge leisten würden, ohne sich an die Beschlüsse des Dauses zu kehren. Dagegen wandte sich Schulze: Meine Herren! redners

Ich

ausgeführt hat,

habe dem, was namentlich der Herr Vor­

nur äußerst wenig hinzuzufügen.

Lassen Sie

mich über die Interpretationen, die wir nun heute auch wieder haben

hören müssen, kurz mit einem Worte hinweggehen. einfach, daß das Wort:

Konstatieren wir

„zu friedlichen Zwecken" im Art. 29 der Ver-

fassungsurkunde?) danach nichts weiter zu bedeuten hat, als:

„zu dem

0 Becker (Dortmund) hatte für die Resolution gesprochen. 2) „Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschloffenen Räumen zu versammeln."

Zwecke,

um Demonstrationen

für

die

Königliche

Staatsregierung

zu

machen," konstatieren wir, daß, wenn diese Interpretation Platz greift, daß nur friedliche Versammlungen in diesem Sinne gestattet sind, daß dies ein Monopol des Versammlungsrechts für die patriotischen Ver­

eine wäre.

Denn darüber muß sich doch jeder klar sein, daß außer

den Herren Konservativen in ihren Vereinen es keinen Preußen gibt, der, wenn er sich irgend seiner Rechte bewußt ist, imstande wäre, sich in solchen friedlich, d. h. unbedingt gegen die Intentionen der Königlichen

Staatsregierung willfährigen Versammlungen zu bewegen. Ich komme nun auf die sehr dankenswerten Aufschlüsse der geehrten

Herren von drüben und des Herrn Ministers des Innern in bezug auf die in Köln beabsichtigten Demonstrationen, die natürlich ihnen entschieden gehässig sind und sein müssen.

Daß eine politische Demonstration vorlag,

darüber haben sich die Herren Vorredner geäußert.

Politische Demon­

strationen sind Kundgebungen irgendeiner politischen Gesinnung, und der Herr Minister des Innern gestand zu, es sei an sich eine solche Kund­

gebung in den Gesetzen nicht verboten.

Nun, meine Herren, es kann

aber Lagen geben, wo sie nicht nur etwas Zulässiges sind, sondern etwas

durch und durch Notwendiges, etwas, was geradezu zu den Pflichten gehört, die das politische Leben auferlegt. Der Demonstration

von

der

anderen Seite gegenüber, von der

vorhin gesprochen worden ist, war dies ganz entschieden der Fall mit

der Gegendemonstration in Köln für die Majorität des Abgeordnetenhauses. Was sollen und was können derartige Demonstrattonen anders bewirken, als den wirklichen Sinn und Geist derer, von denen sie ausgehen, öffent­

lich feststellen?

Wenn man sich nun bemüht, nach irgendeiner Seite hin

eine Demonstration in Szene zu setzen namens einer ganzen Provinz,

die zu den schwersten Irrtümern führen muß, wenn man sie für den wahren Ausdruck der Gesinnung der dortigen Bevölkerung hält, dann ist es geboten und geradezu das loyalste, was man tun kann, durch

offene Kundgebung den Beweis vom Gegenteil zu führen, die wahre Sachlage zur Geltung zu bringen.

In demselben Augenblick, wo die

Königliche Staatsregierung es unternommen hat, dies zu verhindern — wie auch schon der Herr Abgeordnete Becker andeutete — hat sie die Notwendigkeit dieser Gegendemonstration zur Ehre der Wahrheit zuge­

standen.

Wir

können

diese Ausführungen

in jeder Beziehung

nur

akzeptieren, sie enthalten ein Zugeständnis, wie sehr die Veranstaltung

des Kölner Abgeordnetenfestes am Platze war.

Jawohl mag es vielen

der Herren unbequem sein, wenn die wahre und rechte Volksstimmung

Schulze-Delitzsch.

310

durch die Mauer durchdringt, die man sich bemüht, zwischen Fürsten und Volk zu ziehen, das glauben wir gerne.

Den eigentlichen Kernpunkt der Sache traf der Herr Minister des Innern mit den wenigen Worten, die er in bezug auf seine Beamten

aussprach.

Er sagte, es mögen hier Beschlüsse gefaßt werden, welcher

Art sie wollten, sie wären entschieden wirkungslos, denn die Beamten würden immer nur „dem Gesetz und den Befehlen ihrer Oberen" gehorchen. Ja, meine Herren, darin liegt's ja eben, als ob beide miteinander über­

einstimmten!

Wenn nun aber die Gesetze und die Befehle der Oberen

im schneidendsten Kontrast stehen, wem gehorchen sie dann? Wahrhaftig,

daß der Herr Minister mit solcher Sicherheit aussprechen konnte, die Beamten würden den Beschlüssen, die wir hier fassen, um Recht und

Gesetz zu Ehren zu bringen, nicht folgen, das muß zu den traurigsten Betrachtungen über die Lage unseres Vaterlandes führen.

Nach den

Ausführungen des Herrn Ministers und seiner Frmnde kann die Polizei alles!

Exisüert irgendwo ein Recht, welches sie selbst, als im Gesetz be­

gründet, anerkennt, so genügt doch schon die bloße Möglichkeit, es könnte gemißbraucht werden, dazu, um es zu kassieren. Aber, meine Herren, da ist noch ein Verfassungsartikel, mit dem sie noch nicht fertig sind, der ihnen vielleicht unter einer anderen Lage aus­

nehmend zusagen muß, nämlich der Verfassungsparagraph von dem Be­

lagerungszustand.

Da stehen in Art. 111, wenn man wirklich das Ber-

sammlungsrecht, welches in

dem § 29 der Verfassung garantiert ist,

zeit- und ortsweise aufheben will, die Formen und Bedingungen vor­ geschrieben, unter welchen dies allein geschehen darf,

Man muß zu diesem

Behufe erst den Belagemngszustand proklamieren, ehe man sich an diesen Rechten derart, wie es in Köln geschehen, vergreifen darf.

Aber das ist

es ja eben, wir leben überhaupt in Preußen in einem solchen nicht

proklamierten Belagerungszustand; das Ministerium hält Gesetz und Recht im ganzen Lande in permanentem Belagerungszustand (Lebhafte Zustim­

mung), weil es nicht regieren kann ohne Belagerungszustand! (Sehr wahr!)

Endlich noch ein kurzes Wort.

Sämtliche Redner haben sich ge­

drungen gefühlt, der „Wette", ^) die der Herr Minister des Innern hier ’) In der Frage, ob eine bei diesem Fest geplante Dampferfahrt auf dem Rhein eine öffentliche Versammlung und die Veranstalter deshalb wegen Mchtanmeldung zu bestrafen seien, hatte die Revisionsinstanz gegen den Vorderrichter die Fahrt als öffentliche Versammlung erkannt und den Prozeß an die erste Instanz zurückverwiesen. Diese entschied aber noch einmal im freisprechenden Sinn. Die dagegen vom Staatsanwalt von neuem eingelegte Berufung war

Reden in der Konfliktszeit.

311

anbot, zu gedenken, denn in der Tat war dies eine so exorbitante Äußerung aus seinem Munde und an dieser Stelle, daß wir nicht umhin können, dies auf das besümmteste hier zu konstatieren und dem ganzen Lande gegenüber geltend zu machen. Aber es genügt nicht bloß mit dem, was schon über die Charakterisierung dieser Äußerung gesagt ist, nein,

meine Herren, dem ganzen Hause, nicht dem einzelnen Redner liegt diese

Pflicht ob.

Wir wollen uns nicht in dieselbe Mitschuld verwickeln lassen,

in der sich das Herrenhaus befindet, als dort von feiten eines anderen

Mitglieds des Königlichen Staatsministeriums **) der Versuch einer Korrek­ tion der Entscheidungen des Obertribunals verheißen, und öffentlich in der Versammlung eines Faktors der preußischen Gesetzgebung gebilligt wurde. Uns soll man das nicht in dieser Art bieten, und nach meinem Gefühle

muß eine solche Wette, welche die Unabhängigkeit der preußischen Justiz

so schwer kompromittiert, mit dem entschiedensten, allgemeinsten Unwillen aller Mitglieder des Hauses abgewiesen werden.

(Lebhaftes Bravo!)

3n der Debatte wurde der Kommifponsantreg mit großer Majo­

rität angenommen.

126. Für die Immunität der Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Reden in der 5. und 8. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 3. und 10. Fe­ bruar 1866.

Am 20. Mai (865 hatte der Abgeordnete Twesten im Abgeord-

netenhause dem Richterstande und zumal dem obersten Gerichtshof aus Anlaß der Verurteilung liberaler Zeitungen politische Korruption vor­

geworfen.

Die

Regierung

versucht«

daraufhin

Twesten

und

aus

gleicher Ursache den Abgeordneten Frentzel „wegen Verbreitung falscher

Tatsachen"

in Anklagezustand versetzen zu lassen; die Gerichte erster

und zweiter Instanz lehnten aber auf Grund des § 8H der Verfassung

über

die

Immunität

der

Abgeordneten

die

Verfolgung

ab.

Der

Straffenat des Gbertribunals, in den der Präsident v. Schlieckmann

entgegen

den

bestehenden

Vorschriften

einige

Hilfsarbeiter

berufen

zur Zeit der Debatte im Parlament noch nicht entschieden. Im Hinblick darauf meinte der Minister es sei hundert gegen einS zu wetten, daß das Appellations­ gericht bei seinem Spruch verharren werde. *) Bismarck in der Sitzung des Herrenhauses vom 14. Juni 1865, in der die Urteile erster und zweiter Instanz Im Fall Twesten besprochen wurden. Bgl. das folgende Stück Nr. 126.

Reden in der Konfliktszeit.

311

anbot, zu gedenken, denn in der Tat war dies eine so exorbitante Äußerung aus seinem Munde und an dieser Stelle, daß wir nicht umhin können, dies auf das besümmteste hier zu konstatieren und dem ganzen Lande gegenüber geltend zu machen. Aber es genügt nicht bloß mit dem, was schon über die Charakterisierung dieser Äußerung gesagt ist, nein,

meine Herren, dem ganzen Hause, nicht dem einzelnen Redner liegt diese

Pflicht ob.

Wir wollen uns nicht in dieselbe Mitschuld verwickeln lassen,

in der sich das Herrenhaus befindet, als dort von feiten eines anderen

Mitglieds des Königlichen Staatsministeriums **) der Versuch einer Korrek­ tion der Entscheidungen des Obertribunals verheißen, und öffentlich in der Versammlung eines Faktors der preußischen Gesetzgebung gebilligt wurde. Uns soll man das nicht in dieser Art bieten, und nach meinem Gefühle

muß eine solche Wette, welche die Unabhängigkeit der preußischen Justiz

so schwer kompromittiert, mit dem entschiedensten, allgemeinsten Unwillen aller Mitglieder des Hauses abgewiesen werden.

(Lebhaftes Bravo!)

3n der Debatte wurde der Kommifponsantreg mit großer Majo­

rität angenommen.

126. Für die Immunität der Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Reden in der 5. und 8. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 3. und 10. Fe­ bruar 1866.

Am 20. Mai (865 hatte der Abgeordnete Twesten im Abgeord-

netenhause dem Richterstande und zumal dem obersten Gerichtshof aus Anlaß der Verurteilung liberaler Zeitungen politische Korruption vor­

geworfen.

Die

Regierung

versucht«

daraufhin

Twesten

und

aus

gleicher Ursache den Abgeordneten Frentzel „wegen Verbreitung falscher

Tatsachen"

in Anklagezustand versetzen zu lassen; die Gerichte erster

und zweiter Instanz lehnten aber auf Grund des § 8H der Verfassung

über

die

Immunität

der

Abgeordneten

die

Verfolgung

ab.

Der

Straffenat des Gbertribunals, in den der Präsident v. Schlieckmann

entgegen

den

bestehenden

Vorschriften

einige

Hilfsarbeiter

berufen

zur Zeit der Debatte im Parlament noch nicht entschieden. Im Hinblick darauf meinte der Minister es sei hundert gegen einS zu wetten, daß das Appellations­ gericht bei seinem Spruch verharren werde. *) Bismarck in der Sitzung des Herrenhauses vom 14. Juni 1865, in der die Urteile erster und zweiter Instanz Im Fall Twesten besprochen wurden. Bgl. das folgende Stück Nr. 126.

312

Schulze-Delitzsch.

hatte, erklärte indessen in seiner Sitzung vom 29. Januar s866 die

Verfolgung für zulässig und verwies die Angelegenheit an die vorinstanz zur erneuten Verhandlung. Gegen dieses Verfahren forderte der Abg. v. ksoverbeck einen Protest des Abgeordnetenhauses durch einen Antrag vom Februar, daß der Strafantrag der Staatsanwaltschaft sowie seine Zulassung durch den höchsten Gerichtshof eine Überschreitung der

Befugnisse der Staatsanwaltschaft und der Gerichte und eine Verletzung des Art. 84 der Verfassung enthalte und verlangte sofortige Schluß­ beratung darüber.

Gegen die Stimmen einiger Mitglieder, welche den

Antrag an eine Kommission verweisen wollten, trat Schulze für die so­ fortige plenarberatung ein: Meine Herren! Gewiß sind alle Mitglieder dieses Hauses von der Wichtigkeit, welche die Herren Vorredner diesem Anträge beilegen, und

weshalb dieselben die Behandlung durch eine Kommission verlangen, über­

zeugt.

Aber es gibt Fragen und Anträge, meine Herren, über die jeder­

mann, der die Ehre hat, hier im Hause zu sitzen, von vornherein mit sich selbst schlüssig sein muß (Sehr wahr!) und sie keiner vorberatenden

Kommission anvertrauen mag, weil dies vollständig ein Mißtrauen gegen sich selbst aussprechen würde.

Meine Herren! in Anträgen wie dieser,

wo es sich um Akte handelt, durch welche in unzweideuügster Weise die

wichtigsten Prärogative des Hauses angetastet sind, wo sich dieser Konflikt

mit der richterlichen Gewalt noch zu den anderen Konflikten, mit denen wir zu schaffen haben, gesellt, kann nur das Haus selbst seine eigene

Kommission sein. Ich wäre nie geneigt, einer Kommission eine solche Vorarbeit zu übergeben. Mit allen hier einschlagenden Überlegungen sind wir längst fertig, seitdem wir von dem Angriff auf unsere heiligsten Rechte wissen.

Zudem kommt noch, daß wir die Entscheidung der Sache

durch eine Vorberatung in der Kommission hinausschieben müßten.

Streng

genommen können wir in einem Falle, wo wie hier die Redefteiheit des

Hauses angetastet wird, überhaupt nicht eher in irgendeine Verhandlung treten, als bis wir unsere Rechte in dieser Beziehung gewahrt haben.

Dieser Antrag ist also eigentlich präjudiziell für alle unsere Verhand­

lungen.

Hier gilt es, rasch und entschieden handeln; ebenso plötzlich und

unerwartet, wie der Angriff gekommen ist, ebenso entschieden, so rasch

und bestimmt muß die Haltung des Hauses dem Angriff gegenüber vor dem ganzen Land sich kundgeben. Da kann kein Bedenken sein, da kann es keine Vorberatungen und Erwägungen geben, damit sind wir mit uns von Haus aus selbst fertig, wenn wir überhaupt Volksvertreter

sein wollen, und ich bitte Sie, dem Anträge des Abgeordneten Hoverbeck beizupflichten und in den abgekürzten Weg der Schlußberatung im Hause

einzutreten.

Das tzaus willigte in die sofortige Schlußberatung ein und setzte

sie auf den 9. Februar fest.

Jn der sehr ausgedehnten Debatte kam

Schulze erst am sO. Februar zum wort: Meine Herren! Wer den Verhandlungen und den Debatten des

Hauses in dieser Sache unbefangen und unparteiisch gefolgt ist, der wird sich genötigt finden, einen eigentümlichen Zug, der namentlich unter denen,

die den Antrag, der vorliegt, befürworteten, durchgreifend war, anzuer­

kennen.

Den schwersten Angriffen auf konstttutionelles Recht, auf Ihre

persönliche Prärogative gegenüber war es, obgleich von erregtem Gefühl getragen, wie dies einer der Herren VorrednerT) bezeichnete, das Haupt­ streben aller Reden, den mindesten leisesten Zweifel an der rechtlichen Befugnis dieses Hauses bei Fassung dieses Beschlusses aufzuhellen und

zu widerlegen.

Dieser Zug, immer das Rechtsbewußtsein zu wahren,

trotz der Angriffe, des Rechtsbruchs der Gegner dennoch niemals selbst außerhalb der Schranken des Rechts zu treten, charakterisiert unseren ganzen Kampf und steigert sich heut mit diesem Kampf selbst auf seinen Kulminationspunkt.

Ich möchte diesen Zug nicht missen, meine Herren;

er trägt uns allerdings bei anderen Völkern im Auslande, die Mttel

und Wege desselben nicht kennen, nicht sowohl Anerkennung als eher Verspottung ein.

Aber wenn dieser Zug, mitten im Kampfe die Prinzipien

des Rechts zu wahren und sich nicht aus dieser Position drängen zu lassen, auch den Kampf verlängert, so begrüße ich ihn dennoch mit Freuden,

als in dem Grundcharakter, dem Rechtssinn unseres Volkes wurzelnd;

denn er wird bewirken, daß wir nach dem Kampfe Früchte sehen, und zwar dauernde Früchte.

„Ein gefügiges Abgeordnetenhaus um jeden Preis!"

Das ist die

Forderung, mit der bei uns wie anderswo der Absolutismus in seiner

widerwärtigsten Form, als Schein-Konsütutionalismus vor uns tritt, wie

er sich immer zeigen muß, wenn er überhaupt bestehen will.

Wir sind

Zeugen gewesen, welche Mittel man aufgeboten hat, dahin zu gelangen,

— den Druck auf die Wähler, dem nun die Verfolgung der Abgeord­ neten gefolgt ist; bei diesem äußersten Mittel angekommen, tritt nun sofort die vollständige Verkehrung aller konstitutionellen Prinzipien und

Verhältnisse an das Licht, ein vollständiges Auf-den-Kopf-stellen der Dinge. *) Abg. Richter (Teltow).

314

Schulze-Delitzsch.

Ich bitte Sie, meine Herren, soviel auch von den anderen Rednern davon schon berührt ist, einmal einen Gesamtblick darauf zu werfen. Zunächst haben wir das unerhörteste Schauspiel, welches noch nicht auf­ geführt worden ist, seitdem es überhaupt Verfassungen gibt; eine verant­ wortliche Kammer und ein unverantwortliches Ministerium (Sehr gut!),

ein fakttsch unverantwortliches Ministerium. Denn Herren, während man uns die Indemnität entzieht, fassung garantiert, weiß man faktisch die Möglichkeit Herren Minister auf die Anklagebank zu bringen.

gleichzeittg, meine die uns die Ver­ auszuschließen, die Man hält einfach

das Minister-Verantwortlichk^itsgesetz, nach welchem das Anklageverfahren geregelt wird, vor und macht so die Klage abhängig von der Genehmigung der Herren Minister selbst, d. h. vom Erlaß des Gesetzes, welcher in

ihrer Hand liegt, und von der Anweisung, die sie zu ihrer eigenen Ver­ folgung ihren Staatsanwälten erteilen. (Sehr gut!) Nun, meine Herren, das mag, wenn man eben so unverantwortliche Pläne verfolgt, wie die Herren Minister, diesen ganz gut ersprieß­ lich scheinen. Wer etwas tut, was er nicht verantworten kann, meine Herren, gegen Gesetz und Recht, der wird sich möglichst die Verantwortlichkeit, die strafrechtliche Verfolgung namentlich, abzustreifen suchen. Das ist

ganz natürlich, wenn nur nicht etwas anderes dabei mit unterliefe, was ich den geehrten Herren einmal näher vor Augen stellen möchte. Um die Verantwortlichkeit des Ministeriums aufrechtzuerhalten in dieser Weise und durchzuführen, wird es nötig, die übrigen Staatsgewalten, denen die Verfassung die Indemnität, die Unverletzlichkeit zugesichert hat, in diese Verantwortlichkeit anstatt des Ministeriums hereinzuziehen. Das ist doch gewiß, man kann nicht an dem Fundament, auf welchem die eine Staatsgewalt beruht, rütteln und dasselbe untergraben, ohne daß man zugleich den Schwerpunkt aller übrigen verrückt — das folgt notwendig. Es ist der oberste konstitutionelle Grundsatz aller Verfassungen und der preußischen Verfassung insbesondere: Die Person des Königs ist unver­ letzlich und seine Minister sind verantwortlich und haben mit ihrer Verantwortlichkeit der Volksvertretung für sämtliche Regierungsakte ein­ zustehen. Ja, meine Herren, glaubt man denn, man kann diesen Grund­ satz auseinanderreißen und zerspalten und das eine Stück, den einen Fetzen davon aufrechterhalten und den anderen beseitigen? In dem

Moment, wo das Ministerium seine Verantwortlichkeit für die Regierungs­ akte auf diese Weise wegzuschaffen versucht, in dem Moment, als es sich nur dem Träger der Krone allein für verantwortlich erklärt, in diesem

Moment zieht es diesen selbst in die Verantwortlichkeit hinein (Sehr wahr!),

schiebt ihn vor zu seiner eigenen Deckung der Volksvertretung gegenüber.

Haben.wir nicht in mehr als einer Phase unseres Konfliktes erlebt, meine Herren, ist es Ihnen nicht allen gegenwärtig, wie man den Willen

des Trägers der Krone für sich und seine Maßregeln seitens der Minister ausdrücklich in Anspruch genommen hat hier in diesem Hause? **)

(Sehr

gut!) Und wo, auf welcher Seite war die Loyalität, die sich entschieden

gegen solches Vorgehen verwahrte und es absolut nicht annahm

und

gelten ließ, sondern sich streng in den verfassungsmäßigen Grenzen hielt? Waren nicht wir es, die bei dem Satze blieben: davon wissen wir nichts,

wir wissen nichts von Allerhöchsten Willensmeinungen in unserer Ver­ fassung, alle diese Maßregeln sind Akte des verantwortlichen Ministeriums,

und wir wollen nicht die Krone in den Kampf der Parteien mit hinein­

gezogen wissen. Aber, meine Herren, damit nicht genug, — weiter wird durch das

Vorschreiten

des Königlichen Staatsministeriums

auch

die richterliche

Gewalt, indem man sie zur offenbaren Mithilfe bei den in Frage stehenden

Verfassungsverletzungen heranzieht, auf das schwerste in ihrer Stellung

kompromittiert. Daß und wie das Königliche Staatsministerium, insbesondere der Herr Justizminister, in dieser Hinsicht verfahren ist, ist genügend hier entwickelt,^) ich brauche es in seinen Einzelheiten nicht zu wiederholen.

Mit den Verwaltungsbeamten, meine Herren, hat es begonnen: bei den

Verwaltungsbeamten war es die Purifikation, mit der man die Sache

angriff.

Die widerwilligen Werkzeuge wurden entlassen?)

Meine Herren,

bei der Justiz geht das nicht, mit einer Purifikation kommt man nicht fort, man muß vielmehr den entgegengesetzten Akt, der das gerade Gegen­

teil von Purifikation in jedem Sinne darbietet, anwenden, um hier Einfluß zu erlangen.

Man entläßt nicht Widerwillige, die sich nicht dienstbeflissen

in dieser Beziehung erweisen, dem Ansinnen der Minister gegenüber, sondern man zieht Dienstwillige hinzu.

Hilfsarbeitern gesehen.

Sie haben dies alles an den

Hier werden wir,

nach Analogie

der Probe­

arbeiten im juristischen ©jornen, erleben, daß ganz besondere Probestücke in passenden Fällen

abgelegt werden

müssen,

vermöge

welcher

man

solcher Probe- und Hilfsarbeiter für alle Zeiten sicher sein kann, weil

O Dgl. S. 169. *) Der Justizminister Graf zur Lippe hatte die Verfolgung Twestens durch daS Obertribunal veranlaßt. s) Vgl. S. 152.

Schulze-Delitzsch.

316

eine Umkehr, wenn man einmal derartige Dienste geleistet, für immer unmöglich ist.

(Sehr wahr!)

Diese schwere Verschuldung, die nach meiner Ansicht und gewiß nach der Ansicht der meisten Mitglieder dieses Hauses auf dem Königlichen Staatsministerium lastet, hat von einigen unserer Gesinnungsgenossen

den Antrag hervorgerufen, den Angriff in dieser Sache nicht gegen das Gericht, sondern gegen das Königliche Staatsministerium zu richten?) Ich

habe, weil man immer wieder auf das Hauptmotiv dieses Antrags, die Unantastbarkeit des Richterspruches, zurückkommt, weil auch der letzte Herr

Redner^) es getan, noch einmal auf diesen Punkt einzugehen.

Ich glaube

aber, meine Herren» wollte man den Antrag nicht so fassen, wie er von uns formuliert ist, den Konflikt nicht mit den Gerichten, sondern mit

dem Königlichen Staatsministerium und mit der Staatsanwaltschaft er­

heben: so hieße dies der Sache die Spitze abbrechen und jede Wirkung,

die wir möglicherweise beabsichtigen könnten, vollständig verfehlen. Ich kann nur bei dem anknüpfen, was bereits einige der Herren

Vorredner8) gesagt haben.

Wir ehren die Sprüche der Gerichte, wir

wollen unabhängige Richter, wie die Verfassung sie will, die sie jedoch

im Artikel 864) ausdrücklich einer Autorität unterwirft, der Autorität

des Gesetzes; so steht die Sache.

Hier handelt es sich vor allem, wie

der Abgeordnete Waldeck gestern überzeugend Kompetenz.

ausgeführt hat, um die

Wohl können sich die Richter innerhalb dieser Kompetenz,

innerhalb der durch die Gesetze ihrer Wirksamkeit gezogenen Schranke frei bewegen, und niemand hat die Autorität ihrer Sprüche anzutasten. Wahrlich, wir sind die letzten, die dies tun möchten; denn wir haben

wohl das größte Interesse daran, die Unabhängigkeit der Gerichte zu

wahren, die wir durch das ganze Vorgehen des Ministeriums in dieser Sache gefährdet sehen.

Aber nur innerhalb dieser gesetzlichen Zuständigkeit

stehen die Gerichte in unantastbarer Wirksamkeit.

Durchbricht der Richter

die Schranken des Gesetzes, dann wird er selbst dem Gesetze verantwortlich

und macht sich schuldig.

allerwenigstens

eines Mißbrauches seiner Amtsgewalt

Meine Herren, bei den geringfügigsten Interessen, wo eine

’) Antrag Kanngießer (Crefeld) und Mommsen (Halle), der das Verfahren des Justizministers im Falle Twesten als Berfaffungsverletzung charakterisierte. 2) Abg. Hahn (Ratibor). ’) Unter anderen die Abgg. Waldeck, Twesten, Mchter. *) Art. 86: Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfenen Gerichte ausgeübt. Die Urteile werden im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt.

solche Überschreitung der Kompetenz überhaupt in Frage kommen kann,

scheut man sich in keiner Weise seitens der Königlichen Staatsregierung selbst gegen richterliche Beschlüsse einzuschreiten. Bekanntlich hat man einen

besonderen Kompetenzgerichtshof zu diesem Zwecke organisiert, an dessen Besetzung Verwaltungsbeamte hervorragend teilhaben und der zugunsten der Verwaltung die gerichtliche Kompetenz beschränkt. In gewissen Fällen können durch ihn schon eingeleitete Klagen von den Gerichten abberufen und an die Administrativbehörden gewiesen werden?) Da haben Sie die

Anerkennung des Grundsatzes, daß außerhalb der gesetzlich bestimmten Kompetenz die richterliche Gewalt nicht gilt und nicht respektiert werden kann. Nun, meine Herren, hier, wo es sich um eine verfassungsmäßige Prärogative eines Faktors der Gesetzgebung handelt, um einen Eingriff

in das öffentliche Recht.des Landes, eine Verletzung der Verfassung, hier soll die richterliche Kompetenz eine unbegrenzte sein, Ein­

spruch

zu

erheben,

wenn

durch Beschluß

des

Gerichtshofs wider

sonnenklare, eine Reihe von Jahren niemals bezweifelte, stets anerkannte Nerfassungsbestimmungen verstoßen wird? Wer, so frage ich, verleiht dem Richterstande, der richterlichen Gewalt jene ausgezeichnete, jene un­ antastbare Stellung? Wer anders als die Verfassung, dieselbe Verfassung die auch uns, den Volksvertretern, die Prärogative zur Ausübung unserer schweren Pflicht gibt. Eine Antastung der Verfassung ist doch wahrlich mehr, als eine Überschreitung irgend welches anderen speziellen Gesetzes.

Die Verfassung ist es, die allen Bürgern des Staates überhaupt alle Rechte, den Schutz der Gesetze garantiert: sie ist die allgemeine Rechts­ quelle, die Garantie des gesamten Rechtslebens der Nation. Und dem Eingriff hier, dem soll man nicht entgegentreten dürfen? Aber wenn es sich um Zins und Steuern und dergleichen handelt, um die größten Kleinigkeiten, da kann selbst die bereits eingeleitete Klage durch Erhebung des Kompetenzkonfliktes seitens irgendeiner Provinzialregierung dem Gerichte entzogen, ihr Beschluß kassiert und die Sache der Verwaltungs­

behörde zur Entscheidung überwiesen werden.

Das verträgt sich nicht

zusammen; das ist ein Widersinn, wenn man in kleinen Dingen ein solches Mittel zur Abwehr gegen Kompetenzübergriffe der Gerichte an­

wendet, und in anderen wichtigen Fragen dergleichen überhaupt nicht zu­ lassen will. Läßt man die Zurückweisung der Gerichte in die Schranke ihrer gesetzlichen Kompetenz in Fällen, wo sie keine Befugnisse zur Ent2) Gemeint ist wahrscheinlich die Verordnung vom 8. April 1847 (Gesetz­ sammlung 1847 S. 170). Die Verfassung von 1850 hat diese Regelung der Frage noch nicht für endgültig angesehen wie der Art. 96 zeigt.

Schulze-DeUtzsch.

318

scheidung haben einmal zu, so muß man

großen Angelegenheit tun, wo durch

dies

einen

um so mehr in dieser

Übergriff

ihrerseits

eine

Schädigung des allgemeinen Rechts des Landes vorliegt, eine Verletzung

der verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung.

Wer nun —

das ist die nächste Frage — kann und soll einen

solchen Angriff zurückweisen: wem anders liegt dies ob, meine Herren, Wer wird für uns hier eintreten,

wer kann dies anders als wir selbst? wenn wir uns selbst verlassen?

Wer soll unsere Prärogative wahren,

wenn nicht wir? — Es gibt keinen Kornpetenzgerichtshof für und über

ein Parlament; ein Parlament muß sich selbst sein Kompetenzgerichtshof sein, es muß selbst seine Prärogative wahren.

Und dies um so mehr dann,

wenn die Gerichte, die berufenen Wächter und Ausführer des Gesetzes,

den Einbruch in das Heiligtum der Volksvertretung wagen.

Geben wir

dieses unser Recht preis, meine Herren, dann glaube ich, möchten schwere

Kämpfe dazu gehören, um es uns und dem Lande jemals wieder zu er­

obern.

Man mag über dieses Recht selbst sagen was man will, über

seine hohe politische Bedeutung herrscht kein Zweifel; es ist das Funda­ ment des Verfassungslebens.

Der letzte der Redners vor mir hat die

von dem Herrn Abgeordneten Gneist ausgeführte Notorietät seines Be­ stehens und seine Notwendigkeit konstitutioneller Gemeingültigkeit bestritten.

Er hat sich auf« Zitate aller Art eingelassen, wohin im Augenblick es freilich nicht möglich ist, ihm zu folgen.

Ich muß aber ein allgemeines

Mißtrauen gegen ihn haben, weil es ihm namentlich passierte, daß er die

beiden Zachariae, den älteren und den jüngeren, den Göttinger und den Heidelberger verwechselte (Heiterkeit!

Sehr gut!), und daß wir von ihm

hörten, wie er den Geschichtsforscher Waitz aus einem Geschichtsforscher zu einem Rechtslehrer machte.

(Heiterkeit.)

Wie gesagt, ich kann mich in diesem Moment, ohne das Material zur Hand zu haben, nicht darauf einlassen; aber ich will eine Autorität,

die diese Herren ja sonst über alle Wissenschaft setzen, wenn Sie es ge­ statten, mit kurzen Worten anführen.

Meine Herren!

Es ist dies eine

Ausführung, die im Jahre 1853 in der schlagendsten Weise sich in —

der Kreuzzeitung findet.

(Heiterkeit.)

Es handelt sich um den bekannten Aldenhovenschen Fall,^) der auch *) Hahn-Ratibor (konservativ). Gneist hatte gesagt, in Preußen gelte auch eine europäische Notorietät von Rechtsbegriffen nicht. ’) In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 1. Februar 1853 hatte der Abg. Aldenhoven (Neuß) dem Minister v. Westphalen wiffentliche Verletzung der Wahrheit vorgeworsen.

in unsere Debatten hereingezogen wurde. In der Nummer vom 6. März 1853

finden Sie — (zu den Konservativen) ich scheue Ihre Kontrolle nicht, ich wünsche sie, wörtlich folgendes: „Ebenso, wie die neulichen Beschuldigungen des Abgeordneten

Aldenhoven gegen den Minister des Innern bei den Verhandlungen über

Aufhebung

der

Gemeindeordnung mit Recht allgemeines

Aufsehen erregen mußten, ist auch die gestrige Invektive des Ab­

geordneten Wentzel gegen den Bundestag wohl geeignet, im Schoße

der Zweiten Kammer eine Rüge zu erfahren, wiewohl es seine Schwierigkeit haben mag, solche subjektive Äußerungen einer gewissen Tendenz als über die parlamentarischen Befugnisse hinaus­

gehend zu konstatieren.

Ob aber nicht dadurch, daß dergleichen

Differenzen vor das Forum des Staatsanwalts gezogen werden, ein viel größeres Übel sich herausbilden müßte, als die Ursache der gerichtlichen Verfolgung selbst bietet, stehen wir keinen Augen­

blick an zu bezweifeln.

Persönlichen Kränkungen wird die Persön­

lichkeit füglich immer erfolgreicher entgegentreten können, als ein

Verhör am grünen Tisch.

Dafür reden die Beispiele englischer

und französischer Ministerien.

Gegen andere parlamentarische

Extravaganzen muß mit gebührendem Ordnungsruf und ander­ weitigen Rügen, jedoch immer innerhalb der Kammern vorgegangen

werden.

Mit gerichtlicher Verfolgung eines einzigen Deputierten

wegen unziemlicher Wortausdrücke

faktisch zu." Meine Herren! gesprochen, und

schlösse man die Kammern

(Hört! hört!) So hat das Organ dieser Herren in jener Zeit

Sie werden mir wohl nach

diesen gründlichen

und

schlagenden Ausführungen, daß die unbeschränkte Redefreiheit, die Jndem-

nüät der Abgeordneten in ihrer Funktion, das Kernrecht der Volksver­

tretung ist, erlassen, über diesen Punkt noch ein einziges Wort zu ver­

lieren.

Aber eben daraus folgt, meine Herren, unsere Befugnis und unsere

Pflicht zur Abwehr jedes darauf gerichteten Angriffs.

Das erste, natür­

lichste und unveräußerlichste aller Rechte, welches den einzelnen Menschen und einer großen Körperschaft, wie wir sind, gegeben ist, besteht in dieser Abwehr gegen ungesetzliche Angriffe, wenn es sonst an jeder Hilfe gebricht, in dem Recht, in solchem Notstände sich selbst zu verteidigen, sür die

Bedingungen seiner eigenen Existenz einzutreten.

Meine Herren!

In

dem Augenblick, wo wir dies versäumen, unser Recht nicht, wie der Antrag tut, den Gerichten gegenüber durch Einlegung der Verwahrung aufrecht

erhalten, wären wir, wie ich schon andeutete, verloren, wir hätten uns

Schulze-Delitzsch.

320 selbst aufgegeben.

Die Beispiele aus der englischen Geschichte, die uns

so schlagend gestern vorgetragen sind/) sie ergeben, meine Herren, daß

die Lords und die Gemeinen von England sich in Fällen dieser Art in dem Vollgefühle ihres Berufes und ihrer Aufgabe bewegt haben; und die

regelmäßige Ausübung dieses parlamentarischen Notrechts ist in England zur Magna Charta der Nation geworden.

Meine Herren!

wir hier nicht dem ersten Versuche entgegen,

Treten auch

so haben wir überhaupt

schon verloren und nicht für uns bloß sondern auch für die, die nach uns an dieser Stelle sich befinden werden. Der Herr Abgeordnete Twesten hat bereits gesagt — und nehmen

Sie nur die Gründe der Staatsanwaltschaft, die eben bei der Verfolgung

gegen die Herren Twesten und Frentzel maßgebend gewesen sind — daß sich daraus alles machen läßt, daß danach künftig weder eine Abstimmung noch sonst etwas geschützt ist gegen die gerichtliche Verfolgung.

Deutung, daß man eben nicht in dem

Bewußtsein

Die

als Abgeordneter

gehandelt habe, sondern in irgendwelcher anderen Nebenabsicht, läßt sich ebensogut

wie

bei Reden auch bei Absttmmungen anbringen, so daß

auch der bloß Stimmende unter allen Umständen dem Strafrecht verfällt.

Ja, wir sind nicht sicher, daß auch Verhaftungen direkt gegen

die Be­

stimmungen der Verfassung vorkommen können, wenn man diesen Weg weitergeht.

Das ist gerade ebensogut in den betreffenden Verfassungs­

artikel hinein- und heraus zu interpretieren, wenn man mit dem zwie­ spältigen „Bewußtsein"

operiert, wie dies bei der Meinungsäußerung

möglich war, und wir könnten es erleben, daß schließlich die Boten der Gewalt sich in dem Schoß des Parlamentshauses einfinden und die Ab­ geordneten von ihren Plätzen holen. Weiter, meine Herren, rät man uns zu warten, bis der Beschluß der Kriminalsenate des Obertribunals offiziell bekannt, d. h. in Wirksamkeit

getreten ist?)

Aber dann dürfte leicht aus dem Beschluß ein Urteil

werden, ehe dies Haus Protest einlegen könnte, und dies wäre das aller­

verkehrteste, was wir tun könnten.

Ich gehe bei meiner Auffassung in

*) Gneist hatte aus der englischen Geschichte Beispiele angeführt, daß bereits am Ende des 14. Jahrhunderts die Lords und Commoners strafrechtliche Verfolgung parlamentarischer Äußerungen für null und nichtig erklärt hatten. Angriffe auf die Immunität der englischen Deputierten seien unter den Tudors und Stuarts wohl vorgekommen, besonders unter Karl I. habe man für solche Fälle die Gerichte besonders besetzt, aber stets hätten Ober- und Unterhaus ent­ schieden dagegen protestiert. 2 So der Justizminister.

diesem Punkte weiter als der Abgeordnete Twesten.

auf den Beschluß noch mehr an, als auf das Urteil.

Mir kommt es

Wenn die Dinge nicht für

vielleicht sich ändern, meine Herren, wenn man vielleicht es

zweckmäßig findet, die Sache für den Augenblick weiterzutreiben, wenn die Verfolgung sistiert,

man

was ja in dem Belieben der Regierung

steht, in dieser oder in jener Instanz, so wäre gerade durch den ge­

faßten

Beschluß

über

Einleitung

der

Verfolgung,

wir

wenn

nicht

dagegen protestiert hätten, das Präjudiz für alle Zukunft geschlossen,

womit

man

uns

bringen könnte. Beschluß

mußten

zu

gelegener Zeit

allemal wieder in dieselbe Lage

Gegen den

Der Beschluß ist daher hier wesentlich.

wir daher unverzüglich ankämpfen — er hat alles

zu bedeuten, aus ihm ist alles und zu gelegener Zeit immer ein Urteil zu machen.

Deshalb, meine Herren, müssen wir diesen neuen Konflikt aufnehmen, wie er an uns herantritt, als Konflikt mit der richterlichen Gewalt, ohne auszuweichen; tun wir dies nicht, so setzen wir uns in die Unmöglichkeit,

des verfassungsmäßigen

die alten Konflikte im Sinne

Volksrechts zu

lösen, die in ihm kulminieren. Nicht das kann also Gegenstand unseres Protestes sein — so muß ich nochmals den Parteigenossen, die hier eine abweichende

Meinung

haben/) wiederholen — nicht das ist Gegenstand unseres Protestes, daß

sich das Königliche Staatsministerium herbeigelassen hat, den höchsten Gerichtshof in diese Sache hineinzuziehen; nein, meine Herren, sondern

das: daß sich der höchste Gerichtshof dazu hat brauchen lassen!

(Sehr

wahr! links.) Nicht dem Ministerium, den Gerichten wollen wir eine Schranke

ziehen mit unserem Protest, meine Herren; die Gerichte wollen

wir,

soweit es in unserer Macht liegt, aus diesem Kampfe entfernt halten.

Denn daß der Konflikt mit dem Königlichen Staatsministerium daneben fortgeht und daß das schließlich nicht durch Protest erledigt wird, ja, meine Herren, das weiß jeder Mann auf diesen Bänken.

Daher lassen

wir uns auch namentlich, ich wiederhole es, nicht darauf ein, wie das

Amendement Bethusy^) es will, zu warten, bis uns die Gründe des Be­ schlusses alle bekannt sind.

Das hieße, den Protest überhaupt vertagen,

*) v. Forckenbeck (Mohrungen), Gneist (Mansfeld), Kanngießer (Krefeld), Richter (Teltow). 8) Graf Bethusy-Huc hatte Übergang zur Tagesordnung beantragt, da der Beschluß des Obertribunals weder in seinem Wortlaut noch in seiner Begründung aktenmäßig vorliege. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

4.

21

Schulze-Delitzsch.

322

das hieße dem Königlichen Staatsministerium entgegenkommen bei seinen

Absichten; wir würden diese Gründe nicht eher erfahren, bis wir aus­

einandergegangen

wären und dann wäre keine Möglichkeit zur Rechts­

verwahrung vorhanden.

Man darf also wohl hoffen, daß hier in diesem

Falle sich alle Meinungsverschiedenheiten unter den Parteien des Hauses

mehr und

mehr

einigen werden.

ausgleichen

und sich in Annahme des Antrags ver­

In einem Falle wie diesem sollte es eigentlich gar keine

Parteien geben, weil das Privilegium, um das es sich hier handelt, jeder

gleichmäßig zustatten kommt, jeder zu loyaler Wirksamkeit gleich unent­ behrlich ist.

Nur eine Partei, welche überhaupt unsere verfassungsmäßige

Entwicklung hartnäckig bekämpft, mag der Tendenz entgegentreten, wie sie in dem Anträge enthalten ist.

Lassen Sie mich dabei den Angriffen der Herren aus der konservativ­

feudalen Fraktion einiges

speziell entgegnen.

haben, wie Sie mir bezeugen werden,

Diese geehrten Herren

eine eigentümliche Haltung in

dieser Debatte angenommen, die von ihrer sonstigen abweicht.

Wir be­

gannen in dieser ernsten Frage gestern mit einer kleinen ganz richtigen parlamentarischen Plänkelei des Abgeordneten Wagener.

Es trat dann

als Hauptredner der Graf von Wartensleben auf (Heiterkeit), von dem

die Herren Präsidenten, um ihn gegen einen Ordnungsruf zu schützen, selbst sagen mußten: daß man es mit seinen Äußerungen nie so genau

nehmen dürfe. Dann, meine Herren, ist mir besonders ausgefallen die außerordent­

liche und in ihrer bisherigen Wirksamkeit nicht begründete Anhänglichkeit, ihr Eintreten für eine unabhängige Justiz.

Wir wissen doch sonst, daß

das Mögliche geschehen ist von konservaüver Seite, um der Verwaltung ein Übergewicht zu verschaffen über die Justiz. Das Disziplinar­ gesetz der Richter^) und eine Menge solcher Dinge, sie alle sind mit

bester

Zustimmung

ihrerseits

seinerzeit

ins

Werk

gesetzt

worden.

Wir haben nie vorher als jetzt, wo es dem Herrn Minister gelungen ist, die fraglichen Beschlüsse bei dem höchsten Gerichtshof zu extrahieren,

diese Sympathien für die Justiz und für die Unantastbarkeit ihrer Be­ schlüsse erlebt.

Das führt doch jeden zu eigentümlichen Bedenken.

Ist das eine

Umkehr in den politischen Grundsätzen dieser Herren oder ist es eine Umkehr seitens der Justiz?

So muß man sich doch dabei fragen.

Und

ich glaube, der Seitenhieb, den der Abgeordnete Wagener sich nicht ent-

') Gesetz vom 7. Mai 1851 mit Nachtrag vom 26. März 1856.

halten konnte, auf die Kreisrichter wieder mit unter fließen zulassen/) gibt uns die nötigen Aufschlüsse über seine wirkliche Meinung.

Ja, meine

Herren, wenn die Justiz auf diese Weise fortfährt, wie sie begonnen hat, wenn auf diesem Wege künftig die Gesinnung, d. h. die unbedingte Will­

fährigkeit gegen die jeweiligen Tendenzen der Machthaber, das Grund­ prinzip der Justiz werden sollte, dann glaube ich, hat sie sich ganz ent­

schieden des Beifalls der geehrten Herren dieser Fraktion (nach rechts

deutend) zu erfreuen.

Im anderen Falle aber, wenn in den verwerflichen

Kreisrichtern immer wieder das Streben nach wahrer richterlicher Un­ abhängigkeit auftaucht, dann werden wir erleben, daß der Herr Abgeord­

nete Wagener und seine Freunde künftig vielleicht bei anderen Fragen,

wo dies Element sich hineinmischen sollte, vielleicht eine andere Stellung

einnimmt.

(Sehr richtig!)

Ich muß mir nun noch erlauben, mich gegen das zu kehren, was

wir seitens des Herrn Ministers der Justiz und des Herrn Minister­ präsidenten gehört haben.

Die Interpretation mit „Wort und Meinung",

meine Herren, die wir von dem Ministertische aus hörten, bedarf keiner Widerlegung, eine einzige Bemerkung darüber genügt, um sie zu charak­ terisieren?)

Nähmen die geehrten Herren, welche das gesprochen haben,

nicht so hohe Stellen ein, so glaube ich, hätten sie durch diese Inter­ pretation ihre Qualifikation zu Hilfsarbeitern im Strafsenat des Ober­

tribunals vollständig nachgewiesen.

(Große Heiterkeit.)

Der Herr Justizminister beehrte dabei auch noch die Volksvertretung

von 1848 mit einem Angriff, auf den Sie mir, als einem ihrer Glieder,

der infolgedessen auch vor den Gerichten des Landes stand, schon eine Antwort erlauben müssen.

Er sagte, es sei damals auch die Brandfackel

der Anarchie durch die Beschlüsse der Nationalversammlung in das Land geworfen worden, das Volk hätte ihnen auch nicht Folge gegeben und es sei dies und das daraus entstanden — das einzelne ist mir ent­ gangen, ich habe den stenographischen Bericht noch nicht gelesen. — Nun, *) Wagener hatte gesagt, es würden in der Welt sehr viele schlechte und einfältige Erkenntnisse gemacht, nicht nur von den höchsten Gerichtshöfen, sondern auch von den KreiSrichtern. Daraus habe aber noch niemand gefolgert, daß sich deshalb jemand zum Richter über denjenigen Gerichtshof aufwerfen könne, der in letzter Instanz verfassungsmäßig in VerfafsungSfragen zu entscheiden habe. Bismarck hatte auS der Entstehungsgeschichte deS § 84 der Verfassung zu beweisen gesucht, daß er kein Schutz gegen Beleidigung sei. Ihre Meinung könnten die Abgeordneten auch nach der Entscheidung deS Obertribunals in Zu­ kunft frei aussprechen, aber verleumderische,, beleidigende Worte seien nicht Meinungen sondern Handlungen, die im Gesetze mit Strafe bedroht seien.

21»

meine Herren, ich kenne eine Frucht, die aus dem Festhalten und Fest­ stehen der Majorität der Nationalversammlung bei äußerster persönlicher

Gefahr entstanden ist: die preußische Verfassung. Ich erlaube mir die Behauptung: ohne dieses unerschütterliche Feststehen würde man sich mit der Oktroyierung der Verfassung sehr besonnen haben, die man aber nötig hatte, um sie als milderndes Öl in die hochgehenden Wogen der

Volksstimmung zu mischen.

Daß die damaligen Beschlüsse, wenn auch

indirekt, dahin führten, darüber mag sich unser Vaterland beglückwünschen. Man würde ohne diese Beschlüsse, einer schwachen Volksvertretung gegen­

über, mit der Verfassung wahrlich nicht vorgegangen sein. Das Volk mag sich also, was seine damaligen Abgeordneten getan haben, es mag sich das, wofür sie mit ihrer Person, mit Freiheit, Ehre und Existenz eingetreten sind, recht sehr wohl gefallen lassen. (Lebhafter Beifall.)

Ich muß sodann, meine Herren, mich gegen den Herrn Minister­ präsidenten wenden, obwohl ich bedaure, daß er augenblicklich nicht an­ wesend ist. Der Herr Ministerpräsident hat auch eine Vergangenheit als Abgeordneter, er ist immer ein hervorragendes Mitglied seiner Partei gewesen, und es sind eine Menge Zitate aus seinem Munde anzuführen, wo er auf einem anderen Standpunkte rücksichtlich der Redefreiheit ge­ standen hat, wo er auch gemeint hat, daß es bei extravaganten Äußerungen mit einer Rüge seitens des Vorstandes, der mit der Disziplin im Hause betraut ist, getan sein müsse, ungefähr so, wie ich mir erlaubt habe, Ihnen vorhin vorzulesen. Da ist mir nun aber, meine Herren, das Höchste von Überraschung gekommen, wie ich die Interpretation, die ja noch weiter

ging, als die des Herrn Justizministers, mit anhören mußte. Der Ministerpräsident von Preußen ist ja außer seiner parlamentarischen Ver­ gangenheit, außer seiner wichtigen, hervorragenden Stellung im König­ lichen Staatsministerium in den inneren Angelegenheiten, doch zugleich Vertreter der preußischen Diplomatie. Wir wissen ihn befaßt mit den wichtigsten Verhandlungen mit auswärtigen Mächten, wir hören von seinen Reisen und seinen Erfolgen — oder Nichterfolgen*) (Heiterkeit), über die wir natürlich noch nicht ganz klar sein können, da die Ver­ handlungen schweben.

Aber, meine Herren, wenn ein so hervorragender Diplomat, der einen konstitutionellen Staat wie Preußen bei den Regierungen anderer *) Gemeint ist vermutlich Bismarcks Reise nach Biarritz im Oktober 1865, wo er die Haltung Napoleons bei einem Konflikt zwischen Preußen und Österreich erkunden wollte, aber von diesem nur halbe Andeutungen und unverbindliche Zusagen erhielt. Vgl. R. Fester in der Deutschen Rundschau 113, 212 ff.

konstitutioneller Staaten vertritt, dazu kommen kann, zu sagen, so etwas,

eine solche Prärogative der Indemnität des Abgeordneten sei etwas voll­ kommen Unerhörtes, das existiere nirgends, während er selbst in die Staaten kommt, wo doch dies alles existiert, so muß ich Ihnen gestehen,

ich befinde mich in der äußersten Verwunderung?) (Heiterkeit.) Ich kann doch nicht glauben, daß es ein Scherz ist, wenn wir auch an geniale

Scherze von ihm gewöhnt sind in vieler Hinsicht. Und weiter der Hauptkern seiner Deduktion: daß die volle Indem­ nität, die der Artikel 84 der Verfassung") gewährt, sich mit Art. 4 nicht vertrage — ja, meine Herren, man mag so ernst durch die gegenwärtige

Verhandlung bewegt sein wie man will, aber wenn man das aus einem so gewichtigen Munde hört, dann ist es doch nicht möglich, sich der Heiterkeit zu enthalten. (Zustimmende Heiterkeit.) Ich kenne gar kein Moment, welches besser für unsere Interpretation spräche, als die Deduktion

des Herrn Ministerpräsidenten. Wenn er sagt, der Art. 84 kann nicht so aufgefaßt werden, wie wir es wollen, denn im Art. 4 steht: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich, Standesvorrechte finden nicht statt," so glaubt er, wir dürfen dies Recht nicht in Anspruch nehmen, weil es ein unzuverlässiges Standesvorrecht ist. Sowie man dies letzte widerlegt hat — und die Widerlegung ist doch wirklich ziemlich leicht — so hat er mit Wegfall seiner Argumentation unseren Satz selbst zugegeben. Standes­ vorrechte, Privilegien, Prärogative, die jemandem mit Bezug auf Ausübung einer besonderen Funktion beigelegt werden, sind Standesvorrechte?! Die Abgeordneten bilden einen Stand, meine Herren?! (Heiterkeit.) Das ist ja ganz wunderbar! (Wiederholte Heiterkeit.) Doppelt wunderbar bei dem Manne, der an der Spitze der preußischen Staatsverwaltung steht, der lange Zeit Mitglied der preußischen Landtage gewesen ist! Wenn der so etwas sagt und mit solchen Gründen kämpft — ja, meine Herren ... (Der Redner hält inne; die Versammlung bricht in lautes Lachen aus.) es fehlt mir wirklich der Ausdruck, dies zu bezeichnen. (Andauernde Heiterkeit.) ’) Bismarck hatte gesagt: „Ich habe vergeblich in allen Gesetzgebungen nach einer Analogie einer solchen Bestimmung (nämlich der Freiheit der Abgeordneten, Beschimpfungen auszusprechen) gesucht — ich habe sie nicht schöpfen können. Mir ist nur eine eingefallen, die Sie hoffentlich nicht werden anziehen wollen, die preußische Gesindeordnung. Da heißt es: „Reizt das Gesinde durch un­ gebührliches Betragen die Herrschaft zum Zorn, so kann es wegen Injurien, die es von der Herrschaft erfährt, nicht klagen." 2) § 84: „Sie (die Abgeordneten) können für ihre Abstimmung in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf den Grund der Geschäftsordnung zur Rechenschaft gezogen werden."

Schulze-Delitzsch.

326

Sie kennen mich, meine Herren; ich werde so leicht nicht unparla­

mentarisch im Ausdruck; aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, und spreche dies ganz offen aus. Nun, meine Herren, der Herr Ministerpräsident sagt weiter: er

wolle das Volk vermittelst dieser gerichtlichen Verfolgungen gegen unsere

Anmaßungen schützen.

sindeordnung.

Er ging so weit, zu argumentieren mit der Ge­

Das hätte ich ihm in seiner Stellung wirklich erlassen,

und Sie erlassen mir wohl auch, in dieser Stunde und an diesem Orte

dasjenige, was darauf ausgesprochen zu werden verdiente. Weiter sprach derselbe Herr Ministerpräsident auch von „weismachen" *) und war überhaupt in einem äußerst heiteren Humor in dieser ganzen

Sache. wenden!

Lassen Sie mich nur dies Wort wiederholen und auf ihn an« Der Minister wird dem preußischen Volke nie weismachen, daß

seine Abgeordneten

so

ernst auf dieser Prärogative bestehen, weil sie

sich Vorrechte gegen ihre Wähler anmaßen wollen.

Ein solches politisches

Kind ist niemand mehr in unserem Volke, daß er nicht wüßte, daß ohne

die Redefreiheit die Abgeordneten nicht imstande sind, ihre schweren Pflichten

zu erfüllen, und gerade das preußische Volk will und verlangt von seinem

Abgeordneten bei dem immer schärfer sich entwickelnden Konflikte, daß

die Dinge, die man gegen fein Verfassungsrecht verübt, mit dem rechten Namen benannt werden.

Wenn dies und jenes vorkommt, meine Herren,

wenn dann und wann einmal ein Redner sich zu einer unparlamentarischen Äußerung wirklich hinreißen läßt, so sind eben die Dinge, über die wir

reden müssen und denen wir uns widersetzen müssen, die sind so außer aller Ordnung, daß es niemand wunder nehmen kann, wenn einmal ein einzelner sich auch außerhalb der parlamentarischen Redeordnung fort-

reißen läßt.

(Beifall links.)

Nun, meine Herren, ich komme zum Schluß!

Unser Protest, den

wir mittels dieser Anträge erheben, soll wirkungslos sein.

uns das ruhig abwarten, meine Herren!

Lassen Sie

Machen wir uns doch einmal

klar, an wen der Protest gerichtet ist eigentlich:

Dieser Protest des

Preußischen Abgeordnetenhauses ist gerichtet an die ganze gebildete Welt, und, meine Herren, wir liegen nicht auf einer abgesonderten Insel, außer­

halb der Solidarität, die sich unter den gebildeten Nationen im Rechts­ leben wie in den materiellen Interessen immer mehr und mehr heraus­

bildet.

Der Kredit eines Staatswesens wird jetzt nicht mehr bloß nach

Bismarck hatte gefragt, ob man wirklich dem Lande weismachen wolle, daß die Meinungsfreiheit untergraben sei, wenn die Abgeordneten nicht das Recht zu beleidigen und zu verleumden hätten.

der Stärke seiner Heere, nach seiner Machtentfaltung allein beurteilt, er

hängt wesentlich auch von der Meinung ab, die man von der Kulturfähigkeit und dem Kulturstande und den gesicherten bürgerlichen und humanen Ver­ hältnissen einer Nation, der Verlässigkeit ihrer Regierung bei den anderen Völkern hegt.

Warten wir diesen Protest ab! Ich meine, die von uns an­

gerufene Macht ist derart, daß keine Regierung eines mitten in dieser Soli­ darität gehenden Staates auf die Länge ohne den Konsens in dieser Hinsicht

wirtschaften kann.

Mit bloßen Handelsverträgen^) macht man die Dinge

allein nicht mehr ab (Lebhafter Beifall), seitdem sich mehr und mehr in den Völkern wie in den einzelnen die Überzeugung befestigt, daß der Verkehr und die Wirtschaft des Volkes, die Wahrung seiner materiellen Interessen nimmermehr der sittlichen Grundlage entbehren kann, und daß

es ohne dies in sich zusammenstürzt.

Sodann, meine Herren, richten wir unseren Protest auch an Ge­

wissen und Eid der sämtlichen preußischen Richter, an ihre amtliche, ja an ihre wissenschaftliche Ehre. das

Denn auch diese ist kompromittiert, auf

tiefste kompromittiert, und ein gebildeter Mann, der es in dem

Sinne seiner Wissenschaft ist, den schmerzt es in seiner Seele, wenn er solche Dinge mit seiner amtlichen Autorität, mit seinem Rechtsbewußtsein,

mit seinem wissenschaftlichen Bewußtsein vor ganz Deutschland vertreten soll.

Endlich, meine Herren, wenn der Protest nach diesen beiden Seiten nicht unbedingt durchschlüge — wir richten ihn an die alleinige Instanz, die hier zu entscheiden hat, an das preußische Volk.

Meine Herren! Der

konstitutionelle Staat kennt keine gerichtliche Verfolgung seiner Abge­ ordneten wegen ihrer Meinungen und ihrer Berufsübung innerhalb des

Hauses.

Aber er macht damit wahrlich die Volksvertretung noch nicht

frei von der Verantwortlichkeit.

Der Gerichtshof, der hierüber zu sprechen

hat, sind die Wähler, meine Herren, und das Verfahren, welches, wenn man glaubt, die Abgeordneten opfern das Staatswohl sträflicher Partei­ leidenschaft, sie gehen zu weit, sie tun ihre Schuldigkeit nicht, — das

Verfahren, welches man allein konstitutionell gegen sie einleiten kann, das ist der Appell an das Volk, die neuen Wahlen.

Die Wähler, in ihnen

das gesamte Volk, sind der alleinige Gerichtshof, vor dem sie Rede zu

stehen

haben, solange es konstitutionelles Recht gibt.

mit diesem Proteste kommen wir auf die Länge durch.

Und ich denke,

Unwillkürlich

fällt mir dabei ein königliches Wort ein, noch aus der Zeit vor unserem

*) Anspielung auf den Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Öster­ reich vom 11. April 1865. Vgl. Bd. in S. 460 ff.

Schulze-Delitzsch.

328

konstitutionellen Leben, welches damals sehr bezeichnend war:

soll ein Stück Papier zwischen mich und mein Volk treten." *)

„Niemals So hat

ein Träger der Krone, während der absolute Staat bestand, im Voll­ gefühle seiner Macht gesagt und die Gewährung der Verfassung damit

von sich abgelehnt.

Nun, meine Herren, das Stück Papier ist dennoch

zwischen die Krone und das Volk getreten.

Nun bemüht man sich von

gewisser Seite, Stück für Stück von diesem Papiere abzureißen.

Wir

wollen aber schließlich einmal sehen, ob nicht gerade die Krone und die

Dynastie das größte Interesse haben werden, und ob sie sich anders werden erhalten können, als daß das Stück Papier mit allen Anlagen

und Anhängen, welche die jetzigen Vorgänge denen, die nach uns kommen

werden, rätlich erscheinen lassen, wiederhergestellt und vervollständigt werde! (Stürmisches Bravo auf allen Seiten.)

Nach längerer Debatte wurde der Antrag Haverbeck mit 263 gegen 35 Stimmen angenommen.

127. Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahl­ bezirks, Berlin Ende Februar 1866. Jn der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 22. Februar hatte Bismarck zwei königliche Verordnungen mitgeteilt, nach denen der Land­ tag am 23. mittags geschloffen und die Sitzungen beider Däuser bis dahin

vertagt werden sollten. Veranlassung waren die Beschlüsse des Abgeord­ netenhauses über die Entscheidung des Mbertribunals gegen Twesten, über die Vorgänge beim Kölner Abgeordnetenfest und über die Vereinigung tauenburgs mit Preußen.*2)3 Ende Februar befaßte sich eine von Sanitäts­ rat Dr. Holthoff und Buchhändler Springer einberufene Versammlung der lvahlmänner des dritten Berliner Wahlbezirks mit diesen Vorgängen» In dieser Versammlung erstattete Schulze als Abgeordneter des Wahlkreises den folgenden Bericht:^) Meine Herren!

Wie ich aus den Worten des Herrn Vorsitzenden

entnehmen zu müssen glaube, hat diese Versammlung einen doppelten

a) Die bekannten Worte Friedrich Wilhelms IV. in der Thronrede, mit der er am 11. April 1847 den vereinigten Landtag eröffnete. 2) Vgl. S. 307. In der Sitzung vom 3. Februar 1866 hatte das Abgeord­ netenhaus die Vereinigung Lauenburgs mit Preußen mit 251 gegen 44 Stimmen für rechtsungültig erklärt. 3) Wir folgen dem Bericht der Westfälischen Zeitung in Dortmund vom 2. März 1866.

Schulze-Delitzsch.

328

konstitutionellen Leben, welches damals sehr bezeichnend war:

soll ein Stück Papier zwischen mich und mein Volk treten." *)

„Niemals So hat

ein Träger der Krone, während der absolute Staat bestand, im Voll­ gefühle seiner Macht gesagt und die Gewährung der Verfassung damit

von sich abgelehnt.

Nun, meine Herren, das Stück Papier ist dennoch

zwischen die Krone und das Volk getreten.

Nun bemüht man sich von

gewisser Seite, Stück für Stück von diesem Papiere abzureißen.

Wir

wollen aber schließlich einmal sehen, ob nicht gerade die Krone und die

Dynastie das größte Interesse haben werden, und ob sie sich anders werden erhalten können, als daß das Stück Papier mit allen Anlagen

und Anhängen, welche die jetzigen Vorgänge denen, die nach uns kommen

werden, rätlich erscheinen lassen, wiederhergestellt und vervollständigt werde! (Stürmisches Bravo auf allen Seiten.)

Nach längerer Debatte wurde der Antrag Haverbeck mit 263 gegen 35 Stimmen angenommen.

127. Versammlung der Wahlmänner des dritten Berliner Wahl­ bezirks, Berlin Ende Februar 1866. Jn der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 22. Februar hatte Bismarck zwei königliche Verordnungen mitgeteilt, nach denen der Land­ tag am 23. mittags geschloffen und die Sitzungen beider Däuser bis dahin

vertagt werden sollten. Veranlassung waren die Beschlüsse des Abgeord­ netenhauses über die Entscheidung des Mbertribunals gegen Twesten, über die Vorgänge beim Kölner Abgeordnetenfest und über die Vereinigung tauenburgs mit Preußen.*2)3 Ende Februar befaßte sich eine von Sanitäts­ rat Dr. Holthoff und Buchhändler Springer einberufene Versammlung der lvahlmänner des dritten Berliner Wahlbezirks mit diesen Vorgängen» In dieser Versammlung erstattete Schulze als Abgeordneter des Wahlkreises den folgenden Bericht:^) Meine Herren!

Wie ich aus den Worten des Herrn Vorsitzenden

entnehmen zu müssen glaube, hat diese Versammlung einen doppelten

a) Die bekannten Worte Friedrich Wilhelms IV. in der Thronrede, mit der er am 11. April 1847 den vereinigten Landtag eröffnete. 2) Vgl. S. 307. In der Sitzung vom 3. Februar 1866 hatte das Abgeord­ netenhaus die Vereinigung Lauenburgs mit Preußen mit 251 gegen 44 Stimmen für rechtsungültig erklärt. 3) Wir folgen dem Bericht der Westfälischen Zeitung in Dortmund vom 2. März 1866.

Zweck, einmal sich über den Beschluß des Abgeordnetenhauses gegenüber dem verhängnisvollen Votum des Obertribunals zu äußern, und da werden

Sie mir als einem der beteiligten Abgeordneten um so eher gestatten zu schweigen, als ich annehmen muß, daß ich der politischen Einsicht und

dem Charakter der Wahlmänner und Wähler dieses Bezirkes, der gewohnt

ist, mit regstem Interesse den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses zu folgen, in Wahrheit zunahetreten müßte, wenn ich über diese Sache nur ein Wort verlöre.

(Zustimmung.)

Der andere Zweck entspringt aber daraus,

daß es eine natürliche Sitte dieses großen Wahlkörpers ist, nach Schluß

der Session in unmittelbare persönliche Beziehungen zu seinen Abgeord­ neten zu treten, und diesen kann es ihrerseits nur lieb sein, dem Wahl­

körper eine Art Rechenschaftsbericht abzustatten und

sich mit ihm zu

verständigen über die Prinzipien, die bei ihnen maßgebend gewesen sind,

und über die Stellung, die sie den großen Fragen gegenüber eingenommen haben.

Die Abgeordneten müssen konstatieren, ob sie in ihren Anschau­

ungen mit denen des Wahlkörpers eins geblieben sind, um dadurch die

Kraft und den Halt zu gewinnen, deren sie jetzt mehr als je bedürfen, wenn sie ihre Pflicht erfüllen wollen.

Meine Herren, es ist ein eigen­

tümlicher Zug der gegenwärtigen Situation, daß auch die einfachsten, die allergewöhnlichsten Maßregeln einen ganz bestimmten politischen Charakter

haben, und daß der große Konflikt, in dem wir stehen, sich bis auf die

kleinsten Geschäftsformalitäten

hinunter

erstreckt.

Betrachten

Sie die

Formen, unter denen das Abgeordnetenhaus geschlossen worden ist, und Sie werden finden, daß dergleichen noch niemals in einem konstitutionellen Staat stattgefunden hat.

Gewiß steht der Regierung das formelle Recht

zu, das Abgeordnetenhaus zu schließen.

Ob der Schluß zweckmäßig oder

nicht ist, wie er sich zu den großen Landesinteressen verhält, das ist

freilich eine andere Frage.

Aber die Regierung hat das Recht zu schließen,

sie hat davon Gebrauch gemacht und so läßt sich über den Schluß selbst nichts sagen.

Ebenso steht ihr das Recht zu, das Abgeordnetenhaus zu

vertagen und sie kann auch dieses Recht ausüben, ohne daß man dagegen etwas einwenden könnte.

Aber die Frage, meine Herren, ob das Haus

zu gleicher Zeit geschlossen und vertagt werden kann, ist zum mindesten doch eine sehr zweifelhafte.

Die Vertagungsorder hatte auch offenbar nur

das zum Zweck, daß bis zum Augenblicke der Schließung keine Sitzung gehalten, daß das Haus seiner parlamentarischen Tätigkeit vollständig ent­

hoben werden sollte.

Und dazu tritt noch ein anderes tatsächliches Moment

hinzu, das nämlich, daß die Bureaus geschlossen, die Drucksachen inhibiert, daß jede Versügung, die dem Hause in seinen eigenen Räumen zusteht,

Schulze-Delitzsch.

330

untersagt, daß die Beamten des Hauses jeder Folgeleistung, die sie dem Präsidium geschehen.

schuldig

sind,

wurden.

enthoben

Das

ist

noch

niemals

Bis zum Schlüsse der Session sind und bleiben wir doch

immer das Haus der Abgeordneten;

bis dahin steht uns noch immer

innerhalb

Befugnisse

unserer

parlamentarischen

die

freie

Verfügung

über uns selbst und über unsere Arbeiten zu.

Was

nun

das Resultat unserer parlamentarischen Tätigkeit an­

betrifft, so bin ich, meine Herren, allerdings, solange ich die Ehre habe,

diesen Wahlkreis zu vertreten, kaum jemals in der Lage gewesen, Ihnen mit so geringen Früchten gegenüberzutreten.

Einzelnes ist erledigt, aber

was will das sagen im Verhältnis zu den großen Fragen, die ihrer

Regelung noch warten, von denen das materielle Wohlsein, die Rechts­ zustände im Innern, die ganze Aktionskraft nach außen, der deutsche Beruf Preußens abhängt?

Das ist gewiß kein erfreuliches Resultat;

aber das Abgeordnetenhaus hat die Förderung der Vorlagen einer kaum

erhörten Beschleunigung unterzogen und in kürzester Zeit die wichtigsten

Gesetzentwürfe bis zu den Verhandlungen im Plenum des Hauses vor­

bereitet.

Das

Schluß.

Trotzdem hat auch diese Session für alle, die keine Eintags­

ist nun

alles zunichte geworden durch den plötzlichen

politiker sind, ihre Früchte getragen, nicht für heute, aber für die weitere

Entwicklung unseres Verfassungslebens.

Zunächst meine Herren, ist es

nunmehr wohl klar geworden, wie richtig die Taktik der Majorität, die Kampfesweise des Abgeordnetenhauses

im

großen Ganzen gewesen ist.

Es galt der Staatsregierung gegenüber die festgeschlossene Abwehr, das innigste Zusammenhalten der ganzen großen liberalen Majorität.

Es

galt nicht, innere Organisationsfragen auf die Tagesordnung zu bringen, die nur dazu dienen können, die liberale Partei zu zersplittern; denn wenn einmal der große Kampf ausgekämpft» wenn das verfassungsmäßige

Recht festgestellt ist, wenn es gilt, dieses Recht im einzelnen auszubauen, dann, meine Herren, und das wollen wir uns nicht verhehlen, dann wird und muß die liberale Partei in vielen Mchtungen auseinqndergehen, dann werden Kämpfe anderer Art folgen und neue Parteibildungen

entstehen.

Jetzt aber gilt es einmütig zusammenzustehen, nicht Neu­

gestaltungen vorzunehmen, es gilt mit einem Wort dem jetzt herrschenden System, welches, wie wir überzeugt sind, den bestehenden verfassungsmäßigen

Verhältnissen

nicht entspricht, die

Legalisation

vorzuenthalten.

(Leb­

haftes Bravo.) Dem gegenüber steht die sehr wohl organisierte Regierung und führt

tatsächliche Einrichtungen ein, die das Parlament nicht hindern kann, denn

es fehlt ihm an Macht dazu; wir können ihr daher nur sagen: Tut das auf eure Verantwortlichkeit, aber da es nach unserer Überzeugung nicht legal ist, verweigern wir unsere verfassungsmäßige Zustimmung.

(Bravo.)

Vielen, meine Herren, ist das allerdings nicht genug, aber allen

kalten

und

besonnenen Männern

geziemt es, einzugestehen,

daß diese

zähe Ausdauer zurzeit das allein Gebotene ist und daß, wenn diese zähe Ausdauer verlassen werden sollte, die ganze Macht des Parlaments

aufhört.

(Zustimmung.)

Wir

können jetzt nur negieren,

aber

wir

negieren in dem Bewußtsein, das die Tage schon kommen werden, in

denen man sich im Interesse des Vaterlandes nach der rechtlichen Sanktion

des Parlaments wird

umsehen müssen.

(Sehr wahr!)

Das, meine

Herren, ist der Gewinn: Man ist sich klar geworden, worin die Kraft

des Abgeordnetenhauses besteht, worin der Nerv seiner Tätigkeit liegt. Auch die altliberale Partei ist über den Konflikt selbst mit uns eines

Sinnes, und es ist in Wahrheit ein großer Gewinn, daß in der letzten

großen Frage alle Männer, die in den parlamentarischen Kämpfen Ehre und Namen erworben haben,

fest zusammenstehen.

Ein weiterer Ge­

winn ist mit der Einsicht gekommen, der sich auch diejenigen, die sonst

schwachmütig vor den Konsequenzen zurücktraten, jetzt nicht mehr entziehen können: daß es nämlich ganz unmöglich ist, den Konflikt durch einen Kompromiß, durch Nachgibigkeit der Volksvertretung zu beseitigen. (Bravo!)

Was heißt auch hier nachgeben? Militärorganisation

die Verheißung

Wahrheit werden soll?

Etwa für ein Eingehen auf die

hinnehmen,

daß

das Budgetrecht

Nun, meine Herren, das würde heißen, die ganze

Frage, die so tief einschneidend ist für die Entwicklung unseres Verfassungs­

lebens, vom Rechtsboden auf den Boden der Machtfrage selbst hinüber­ treiben, und das mögen andere tun, die Volksvertretung aber darf es sicher nicht.

(Bravo!)

Wohin hat denn das halbe Nachgeben geführt, dessen sich die Volks­

vertretung vom Jahre 1860 schuldig gemacht hat?^

geben denn nicht den ganzen Konflikt erst geschaffen?

Hat dieses Nach­ Der Boden des

Nachgebens ist ebenso abschüssig wie der der Vergewaltigung, und, meine Herren, wenn man sich erst auf diese schiefe Ebene begeben hat, dann ist

wahrlich niemand imstande zu übersehen, wo denn eigentlich sich das Ende dieser Rutschbahn befinden mag.

(Heiterkeit.)

Nachgeben heißt also nicht,

den Konflikt schließen sondern den Konflikt in Permanenz erklären.

stimmung.)

*) Vgl. S. 30 ff.

(Zu­

Schulze-Delitzsch.

332

Der Konflikt muß ausgetragen werden, und mag es dauer», so lange es wolle, der Austrag wird nicht ausbleiben. Ein Land wie Preußen

kann nicht auf alle Ewigkeit in solchen Zuständen beharren; das mag wohl in Kurhessen *) angehen, aber nicht in Preußen, denn Preußen ist eine europäische Großmacht, und zwar eine solche, deren Machtstellung auf sittlichen Grundlagen gestützt ist, welche man nicht mit solchen Kon­

flikten schafft. (Lebhaftes Bravo!) Meine Herren! Die Abgeordneten treten jetzt in den Kreis ihrer Wähler zurück; nicht bloß die Session ist geschlossen, die Wahlperiode ist abgelaufen. Sie treten also vor das allein zuständige Gericht, vor das ihrer Wähler, und vor den einzigen Prozeß, dem sie unterworfen sind, vor die neuen Wahlen. Wenn man von Übergriffen des Ab­

geordnetenhauses spricht, so stehen wir jetzt vor dem Gericht unserer Wähler. Mit den Neuwahlen ist es freilich ein eigenes Ding, es haben bisher Versuche aller Art stattgefunden, um sich Einfluß auf dieselben zu verschaffen, und man kann es der Regierung kaum verdenken, wenn

sie zu ihren Gunsten einwirken möchte, es kommt ja eben nur auf die Mittel an. Die Regierung hat ihre bevorzugte Stellung, sie hat eine Masse von Beamten; es kommen dazu die Einflüsse auf den Erwerb des Lebens, die auch von der sogenannten kleinen aber mächtigen Partei zu ihren Gunsten ausgeübt werden; aber alle diese Hilssrichterschaft*2) hat nichts gefruchtet; wir sind zu wiederholten Malen aufgelöst und doch wieder gewählt worden. Es kommt ja bei jeder Auflösung wesentlich darauf an, ob die gewählte Majorität bloß ein Resultat einer augenblicklichen Stimmung ist oder der Ausdruck des Volkswillens, selbst ein Teil vom Herzschlage der Nation. Um die Volksstimme zu unterdrücken, dazu gehört die vollständige Auflösung der Nation. Diese kann aber nur durch jahrhundertelange Demoralisation erreicht werden, und eine solche hat zum Glück in Preußen noch nicht Platz gegriffen, und wie wenig hoch ich »nein und meiner politischen Freunde Verdienst auch schätzen mag, das eine wenigstens weiß ich: Zr» einer solchen Auflösung habe ich und meine Freunde nichts beigetragen. (Lange anhaltender Beifall.)

Darauf erklärte sich die Versammlung mit dem Verhalten und den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses in allen punkten einverstanden. Die Mehrheit des Dauses habe sich auf dem Boden des verfassungsmäßigen Rechts gehalten. Lin Zusatz, daß der kvahlkörper bereit sei, alle Nach2) Vgl. Vd. III S. 324ff. 2) Vgl. ©. 311 ff.

teile, die seinen Abgeordneten erwachsen könnten, zu tragen, wurde auf Wunsch von Schulze abgelehnt. Denn, so erklärte er, das setze das Abgeordnetenhaus auch ohne Beschluß voraus, und das tand werde auf jeden Lall die Überzeugung haben, daß die Wähler der Hauptstadt

ihm auch hierin mit gutem Beispiel vorangehen würden.

128. Die neuen Darlehnskaffenscheine in Preußen nach der Verordnung vom 18. Mai 1866. Aus Nr. 23 der Blätter für Genossenschaftswesen, Jahrg. 1866.

Der Vertagung des preußischen Abgeordnetenhauses am 23. Fe­ bruar |866 war dessen Auflösung am 9. Mai gefolgt, nachdem der Rrieg mit Österreich unvermeidlich geworden war. Am |8. Mai erschien eine königliche Verordnung, welche die Errichtung von staatlichen Darlehnskasien in allen Provinzen befahl. Sie sollten unter Aufsicht der

preußischen Bank arbeiten und Vorschüsse auf waren und Wertpapiere in Form von sogenannten Darlehnskassenscheinen geben, die im tzöchstbetrage von 25 Millionen Talern umlaufen durften. Alle öffentlichen Rassen waren verpflichtet, die Scheine zum Nennwerte! anzunehmen?)

Die Maßregel wurde vielfach als verfassungswidrig angesehen, da sie den Staat mit einer schwebenden Schuld belastete, für deren Übernahme

die Zustimmung des tandtages nicht eingeholt war. ordnung richtete sich

der

folgende,

im Juni

Gegen die ver-

veröffentlichte

Aufsatz

Schulzes:*2) So wenig die Blätter für Genossenschaftswesen politische Tages­ fragen als solche zu behandeln bestimmt sind, so wenig können sie sich

entbrechen, Maßnahmen der Staatsbehörden, insoweit die Interessen unserer Genossenschaften davon berührt werden, in das Gebiet ihrer Erörterung

zu ziehen.

Und dies ist bei dem durch die Verordnung vom 18. Mai d. I.

durch die Königlich Preußische Staatsregierung geschaffenen neuen Papier­ gelde, den Darlehnskassenscheinen, der Fall, welche in einem Umfange von

25 Millionen als Geldzeichen umlaufen und bei allen öffentlichen Kassen in Preußen nach ihrem vollen Nennwert angenommen werden sollen. 2) Vgl. Bergengrün, v. d. Heydt S. 328. 2) Unmittelbar vor der Kriegserklärung (17. Juni 1866) hatte Professor Franz v. Holtzendorff an Schulze geschrieben: . . Sie sind einer unserer deutschen Kultur- und L^umanitätsapostel. wie wäre es, wenn Sie in diesem kritischen Augenblicke eine Ansprache an die Nation

teile, die seinen Abgeordneten erwachsen könnten, zu tragen, wurde auf Wunsch von Schulze abgelehnt. Denn, so erklärte er, das setze das Abgeordnetenhaus auch ohne Beschluß voraus, und das tand werde auf jeden Lall die Überzeugung haben, daß die Wähler der Hauptstadt

ihm auch hierin mit gutem Beispiel vorangehen würden.

128. Die neuen Darlehnskaffenscheine in Preußen nach der Verordnung vom 18. Mai 1866. Aus Nr. 23 der Blätter für Genossenschaftswesen, Jahrg. 1866.

Der Vertagung des preußischen Abgeordnetenhauses am 23. Fe­ bruar |866 war dessen Auflösung am 9. Mai gefolgt, nachdem der Rrieg mit Österreich unvermeidlich geworden war. Am |8. Mai erschien eine königliche Verordnung, welche die Errichtung von staatlichen Darlehnskasien in allen Provinzen befahl. Sie sollten unter Aufsicht der

preußischen Bank arbeiten und Vorschüsse auf waren und Wertpapiere in Form von sogenannten Darlehnskassenscheinen geben, die im tzöchstbetrage von 25 Millionen Talern umlaufen durften. Alle öffentlichen Rassen waren verpflichtet, die Scheine zum Nennwerte! anzunehmen?)

Die Maßregel wurde vielfach als verfassungswidrig angesehen, da sie den Staat mit einer schwebenden Schuld belastete, für deren Übernahme

die Zustimmung des tandtages nicht eingeholt war. ordnung richtete sich

der

folgende,

im Juni

Gegen die ver-

veröffentlichte

Aufsatz

Schulzes:*2) So wenig die Blätter für Genossenschaftswesen politische Tages­ fragen als solche zu behandeln bestimmt sind, so wenig können sie sich

entbrechen, Maßnahmen der Staatsbehörden, insoweit die Interessen unserer Genossenschaften davon berührt werden, in das Gebiet ihrer Erörterung

zu ziehen.

Und dies ist bei dem durch die Verordnung vom 18. Mai d. I.

durch die Königlich Preußische Staatsregierung geschaffenen neuen Papier­ gelde, den Darlehnskassenscheinen, der Fall, welche in einem Umfange von

25 Millionen als Geldzeichen umlaufen und bei allen öffentlichen Kassen in Preußen nach ihrem vollen Nennwert angenommen werden sollen. 2) Vgl. Bergengrün, v. d. Heydt S. 328. 2) Unmittelbar vor der Kriegserklärung (17. Juni 1866) hatte Professor Franz v. Holtzendorff an Schulze geschrieben: . . Sie sind einer unserer deutschen Kultur- und L^umanitätsapostel. wie wäre es, wenn Sie in diesem kritischen Augenblicke eine Ansprache an die Nation

Schulze-Delitzsch.

334

Wie verhalten sich unsere Volksbanken und andere Genossenschaften

zu

diesem Papiergelde, — welche Garantien

haben dieselben für die

jederzeit prompte Einlösung der Scheine? — diese Frage drängt sich ihnen wie jedem, der als Zahlungnehmer oder Geber mit den neuen Scheinen

in Berührung kommt, auf, mag er im übrigen in unserem Staatsleben einen politischen Parteistandpunkt einnehmen, welchen er will.

Der erste Punkt, der hierbei in Betracht kommt, ist natürlich die

Gültigkeit der Verordnung, welche die Scheine kreiert, weil von ihrer Gültigkeit die Gültigkeit der Scheine selbst, d. h. ihre Realisierbarkeit, die Verpflichtung der Staatskassen zu ihrer Annahme abhängt, ohne welche die Annehmer der Scheine nur ein wertloses Stück Papier in der

Hand haben würden. In dieser Hinsicht bezeichnet sich die Verordnung selbst nur als eine

vorläusige, auf Grund des Art. 63 der Preußischen Verfassung erlassen, welcher lautet:

Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffent­ lichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Not­

standes nicht

es

dringend erfordert, können, insofern die Kammerit

versammelt

sind,

Staatsministeriums,

unter Verantwortlichkeit

Verordnungen,

die

der

des gesamten

Verfassung

zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erfassen werden.

nicht

Dieselben sind

aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Ge­

nehmigung sofort vorzulegen.

Die fragliche Verordnung ist demnach von der nachträglichen Genehmigung beider Häuser des Preußischen Landtages abhängig, und es wird wohl kaum erst darauf aufmerksam gemacht werden müssen, wie mißlich solche

vorläufige Maßregeln in Geldsachen schon an sich sind.

Welche Un-

verfaßten, die in tzunderttansenden von Exemplaren zu verbreiten wäre.

Mir

scheint, daß mit Notwendigkeit jetzt etwas geschehen muß, um auf den Geist der Nation zu wirken, und das Wort Selbsthilfe!! auf dem politischen Gebiet lediglich ausgesprochen werden muß.

Für sehr falsch halte ich es, fich von dem Zusammentritt des noch nichr ge­ wählten Abgeordnetenhauses eine Abhilfe zu versprechen.

Wie die Wahlen au»-

fallen werden, weiß Bismarck, und er ist auch darauf vorbereitet. Mir scheint es darauf anzukommen, jetzt in dieser Krise den Gedanken zu pflegen, daß nur das

Volk in unmittelbarster Gesamtäußerung seines willens das jetzige System stürze« kann.

Mindestens sollten Sie ein Sendschreiben an alle Arbeiter- und Kreditvereiwe

erlassen und dieselben ermahnen, sich nicht durch Annahme der Darlehnskaffensckeiive

zu Mitschuldigen der Rechtsverletzung zu machen. Aufschwung mehren helfen."

Schon das würde einen geistige«

Zuträglichkeiten für alle Beteiligten müßten daraus entstehen, wenn die

ganze Operation wegen versagter Genehmigung rückgängig gemacht, die Masse des verausgabten ungültigen Papiers, welches von dem Augenblick

an niemand mehr annehmen würde, eingezogen werden sollte! Aber selbst der Erlaß der Verordnung als einer nur vorläufigen entspricht nicht einmal den Erfordernissen des Art. 63 der Verfassung.

Wir wollen von der Geltendmachung zweier Momente dagegen:

a) daß die preußische Regierung durch Schluß des Landtages vor Beendigung der Budgetberatung sich selbst in die Lage versetzt hat, des Beirates der Kammern im jetzigen Augenblick zu ent­ behren;

b) daß der Mangel des im Art. 61

der Verfassung verheißenen

Ministerverantwortlichkeitsgesetzes die Geltendmachung der bei Er­ laß solcher Verordnungen vorausgesetzten Ministerverantwortlichkeit illusorisch macht, hier absehen, um nicht zu tief in das rein politische Gebiet zu geraten.

Dagegen müssen wir unsere Ansicht auf das bestimmteste dahin aus­ sprechen: daß gegen das im Art. 63 der Verfassung für den Erlaß der­

artiger Verordnungen aufgestellte Haupterfordernis:

„daß dieselben der

Verfassung nicht zuwiderlaufen dürfen", durch die Verordnung verstoßen

ist.

Denn es handelt sich bei der ganzen Maßregel um nichts Geringeres,

als um eine Staatsanleihe, und der Art. 103 der Verfassung bestimmt

hierüber ausdrücklich:

Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Über­ nahme von Garantien zu Lasten des Staates.

Hierdurch ist jede solche Operation im bloßen Verordnungswege, d. h. ohne Zustimmung des Landtages, ausgeschlossen und läuft also „der Ver­

fassung zuwider".

Daß die Ausgabe der Darlehnskassenscheine mit der Verpflichtung der Staatskassen, sie jeden Augenblick zum vollen Nennwert als bares

Geld anzunehmeu, nichts als eine Staatsanleihe ist, hat man unseres Wissens noch nicht bestritten, und kann es mit Grund niemals bestreiten,

vielmehr tritt die ganze Summe dieser Scheine den bereits vorhandenen

Kassenanweisungen hinzu, mit denen sie zusammen den unverzinslichen

Teil unserer Staatsschuld bildet.

Ob der Staat den durch Ausgabe der

Scheine gewonnenen Fonds für seinen eigenen Bedarf oder zur Ausgabe der in der

Verordnung in Aussicht genommenen Darlehen an dritte

Personen verwendet, mit anderen Worten: was er mit der aufgenommenen

Schulze-Delitzsch.

336

Anleihe macht, ob er deren Ertrag weiter verborgt, ist dabei völlig gleich­

Er, der Staat, ist der Schuldner jeden Inhabers eines solchen

gültig.

Papiers und muß aus seinen Mitteln für dessen Einlösung durch An­

nahme desselben statt baren Geldes in seinen Kassen aufkommen.

Ob

und inwieweit er durch das Geld wiederum Forderungen an Dritte er­ wirbt, bleibt ganz außer Betracht, da er seine Gläubiger nicht mit diesen

Forderungen sondern nur durch Bargewähr im Wege Kompensation be­ friedigen kann. Wenn man

aber selbst dieser Ausführung sich nicht anschließen

wollte, so käme man doch nie über die Garantie des Staats mit der Folge einer finanziellen Belastung desselben hinweg, von welcher nach Art. 103 der Verfassung dasselbe gilt wie von einer Anleihe?)

In dem

Gesetz vom 20. April 1848, wodurch die früheren Darlehnskassenscheine

in ganz legaler Form geschaffen wurden"), ist es ausdrücklich anerkannt, daß es sich dabei um Übernahme einer solchen Garantie handele.

Nach alledem fragt es sich also, wie sich der demnächst zusammen­ tretende Landtag zu der Verordnung verhalten wird, und ob von seiner

Zusttmmung die nachträgliche Legalisierung derselben zu erwarten ist, welche allein imstande ist, die Gültigkeit der Papiere und die Verbind­

lichkeit des Staats zur Einlösung durch Annahme in seinen Kassen fest­

zustellen. Wir verzichten dabei auf alle Mutmaßungen über das Vorherrschen dieser oder jener Parteirichtung auf dem künftigen Landtage und be­

schränken uns auf diejenigen Gesichtspunkte, von denen wir glauben:

daß keine preußische Volksvertretung, welcher politischen Mchtung

sie auch angehören möge, wenn sie überhaupt die preußische Landes­ verfassung nicht preiszugeben gewillt ist, davon abzuweichen im­ stande sein wird.

Und hier wird im wesentlichen eine doppelte Erwägung für die Mit­ glieder des Landtages maßgebend sein:

a) einmal das Eingreifen der Maßregel in das Verfassungsleben überhaupt, ihre Rückwirkung auf die Stellung der Staatsgewalten

zu einander, insbesondere die verfassungsmäßige Bedeutung der Volksvertretung; und sodann

b) ihre wirtschaftliche Zweckmäßigkeit. x) Art. 103: „Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Übernahme von Garantien

zu Lasten des Staates." 2) Vgl. Bergengrün, Hansemann S. 454 f.

In ersterer Beziehung scheint es nun völlig zweifellos: daß keine

preußische Volksvertretung jemals darein willigen kann und wird, daß das letzte der ihr bisher noch unverkümmert verbliebenen wichtigen Finanz­ rechte, die Zustimmung zu Staatsanleihen, ihr durch solche einseitige Regierungsakte entzogen und sie dabei in die unhaltbare Stellung des bloßen Jasagens zu bereits geschehenen und kaum mehr abzuändernden

Dingen zurückgedrängt werde. Ist die Volksvertretung in Preußen in dem konstitutionellen Grund­ recht, der Bewilligung der Steuern für jedes Etatsjahr, ohnehin durch

die Verfassung nicht genügend gesichert;^) wird ferner das ihr unzweifel­ haft beigelegte Ausgabebewilligungsrecht bei Feststellung des Staatshaus­ haltsetats von der Regierung tatsächlich nicht geachtet und ohne Budget

regiert: so würden die Abgeordneten sich selbst und die letzte Garantie des Verfassungslebens vernichten, wenn sie, anstatt den gegenwärtigen ersten Versuch, ohne ihre Mitwirkung Staatsanleihen aufzunehmen, mit allem Ernste zurückzuweisen, durch nachträgliche Genehmigung desselben ein Präjudiz schaffen helfen, welches ihre Wirksamkeit dabei für immer lahm legte. Unternimmt es die Regierung, das verfassungsmäßige Recht der Volksvertretung zu verkürzen, so mag sie das vertreten; diese aber wird sich vor allem davor hüten müssen, ihr durch nachträgliche Ge­ nehmigung solcher Schritte die Verantwortlichkeit dafür ab- und auf die eigenen Schultern zu nehmen — Absolutismus unter Volksverantwort­ lichkeit! — Daß freigewählte Vertreter des Volkes jemals zu einer solchen Ungeheuerlichkeit mitwirken sollten, erscheint uns undenkbar. Ist hiernach schon vom politischen Gesichtspunkte aus die Zustimmung des Abgeordnetenhauses zu der fraglichen Verordnung nicht zu erwarten, so treten in bezug auf die wirtschaftliche und finanzielle Zweckmäßigkeit der darin ergriffenen Maßnahmen sowie den davon gehofften Erfolg noch schwere Bedenken hinzu, welche die Zustimmung der Volksvertretung auch von dieser Seite her unwahrscheinlich machen. Um der schon länger durch ungünstige Verkehrsverhältnisse vor­ bereiteten Geschäfts- und Kreditkrisis, welche angesichts des unsere Grenzen bedrohenden Krieges täglich mehr zum Ausbruch kommt, zu begegnen, greift der Staat zu dem bereits im Jahre 1848 angewandten Mittel der Kreierung neuen Papiergeldes,^) welches er darlehnsweise an bedrängte

Gewerbetreibende gegen Pfand auf kurze Fristen (3 bis höchstens 6 Monate) *) Nach Art. 109 werden die bestehenden Steuern und Abgaben forterhoben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden. 2) Durch Königliche Verordnung vom 15. April 1848. Vgl. oben S. 336. Schulze-Delitzsch. Schriften und Reden. 4.

22

338

Schulze-Delitzsch.

ausgibt, um dieselben in den Stand zu setzen, ihren Zahlungsverpflich­ tungen zu genügen und ihre Geschäfte im Gange zu erhalten. Sicher hat die Ausgabe eines Geldzeichens unter Staatsgarantie

als Kontrahierung eines

unverzinslichen Anlehens etwas Verlockendes,

besonders im vorliegenden Falle, wo der Staat die solchergestalt geschaffenen Fonds seinerseits zu hohem Zins und unter Pfandsicherheit wieder aus­

leihen will.

Allein diesem Vorteil steht ein Nachteil gegenüber, welcher

in kritischen Zeitperioden den Vorteil weit überwiegt.

Die ausgegebenen

Papiere unterscheiden sich von den eigentlichen Kassenanweisungen nur dadurch, daß bei ihnen nicht wie bei diesen die jederzeitige Auswechslung

in Silber durch eine besondere Auswechslungskasse in Berlin stattfindet; dagegen können sie wie jene in jedem Augenblick bei den Staatskassen

präsentiert und müssen alsdann statt baren Geldes angenommen werden. — Jedenfalls kommt diese Art der Realisation mittels Kompensation

auf

Staatsforderungen der Silbereinlösung insoweit gleich, als solche

Staatsforderungen in der ausreichendsten Art an alle Steuerpflichtigen und in beliebigen stets fälligen Beträgen existieren, welche die Präsentation der Papiere jederzeit leicht und bequem in den aller Orten befindlichen

Staatskassen möglich machen.

Für den Staat insbesondere läuft es auf

eins hinaus, ob er seine Gefälle und Erträgnisse bar bezieht und sie zur Einlösung der Scheine verwendet, oder ob er die letzteren gleich statt bar annimmt; er bezahlt eben in beiden Fällen Schulden und erleidet dadurch einen Ausfall an seinen Einnahmen.

Das Bedenkliche aber ist:

daß er diesen Ausfall nicht vorhersehen kann und daß derselbe in der

Regel zur ungelegensten Zeit eintritt.

Denn man hat eine Schuld ohne

Kündigungsfrist kontrahiert, deren Rückforderung meist ganz plötzlich und

massenhaft geschieht, und von einer Tilgung wie bei verzinslichen Anleihen

im Wege allmählicher Amortisation, wo die Termine den Finanzkräften des Staates gemäß geregelt werden können, ist keine Rede.

Deshalb

wird selbst in gewöhnlichen ruhigen Zeiten ungestörten Verkehrs eine solide Finanzverwaltung mit Emission von dergleichen Papiergeld niemals das

wirkliche Bedürfnis an solchen Umlaufsmitteln überschreiten und dabei stets das rechte Verhältnis mit den vorhandenen Deckungsmitteln im Auge

behalten, damit den Staatskassen

nicht durch massenhaften plötzlichen

Andrang bei irgend welchen Vorkommnissen ernste Verlegenheiten bereitet werden.

Noch anders aber steht die Sache in so kritischen Zeiten, wie

die gegenwärtigen, beim Ausbruch einer großen Verkehrs- und Kreditkrisis, im Angesicht eines europäischen Krieges.

In solchem Falle, wo selbst

das solidest fundierte Papiergeld am Kurse verliert und zu den Aus-

wechselungskassen zurückströmt, führt jede Vermehrung desselben unerbittlich

zu einer reißend fortschreitenden Entwertung, und der Staat, der den Anforderungen auf Realisierung sehr bald nicht mehr gewachsen ist, sieht

sich genötigt, zum Zwangskurse, d. h. zur öffentlichen Jnsolvenzerklärung, zu schreiten, wodurch die Privatvermögen der Bürger schwere Verluste erleiden, der Staatskredit aber einen Stoß erhält, den er sobald nicht verwindet. Wie dies zu chronischen Übelständen der schwersten Art, zur-

dauernden Zerrüttung der Staats- und Privatwirtschaft in ganzen Ländern

führt, wenn sich der Vorgang innerhalb naheliegender Zeitperioden wieder­ holt, davon sind die Finanz- und Valutaverhältnisse in Österreich der

sprechende Beweis. Untersuchen wir zuerst den Stand des Papiergeldes in Preußen in bezug auf Bedürfnis und solide Fundierung, um uns über die Zweck­

mäßigkeit der neuen Emission ein Urteil zu bilden. Nach mehrfachem Experimentieren mit dem zuerst durch Verordnung

vom 4. Februar 1806 eingeführten Staatspapiergeld — den Tresorscheinen,

denen später die Talerscheine und sächsischen Kassenbilletts hinzutraten —, welches das Aufgeben des Zwangskurses im Privatverkehr und seine Be­ schränkung auf den Verkehr mit den Staatskassen zur Folge hatte, wurde

durch Kabinettsorder vom 21. Dezember 1824 das noch jetzt bestehende System der Kassenanweisungen eingeführt und die unverzinsliche direkte

Staatsschuld auf 11, 242, 347 Taler konsolidiert.

Dieselbe stieg nach

mehreren weiteren Emissionen bis zum Jahre 1850 auf 20,842,347 Taler. Diesem direkten Staatspapiergeld, welches

a) bei Zahlungen an alle öffentlichen Kassen die Stelle des baren

Geldes vertritt, dagegen aber auch bei Zahlungen aus öffentlichen

Kassen an alle Privatpersonen dafür angenommen, und b) von dem besonders dazu bestellten Realisationskontor in Berlin

jederzeit ohne Agio gegen bar Geld eingelöst werden mnß, traten inzwischen noch andere Geldzeichen, eben­ falls unter Einsetzung des Staatskredits, hinzu.

Zunächst erhielt die Preußische Bank bei ihrer Reorganisation durch die Bankordnung vom 5. Oktober 1846 die Befugnis zur Ausgabe von

Banknoten im Betrage von 21 Millionen Talern, welche a) von der Bank selbst in allen ihren Kassen voll in Zahlung an­

genommen und bei der Hauptbankkasse zu Berlin jederzeit auf Verlangen gegen bar eingelöst, aber auch b) von allen öffentlichen Kassen anstatt baren Geldes und Kassen­ anweisungen angenommen werden müssen.

Schulze-Delitzsch.

340

Als Deckung für den Notenbetrag muß die Bank ein Drittel des­

selben in barem Gelde oder Silberbarren, drei Sechstel in diskontierten Wechseln und ein Sechstel in Lombardforderungen zu sicherem Unterpfand stets bereit haben.

Dabei steht das ganze Institut und die Fertigung

und Ausgabe der Noten insbesondere unter der Kontrolle und Oberauf­ sicht des Staats, obschon nur ein kleiner Teil des Stammkapitals dem

Staate und der bei weitem größte Privatteilnehmern gehört.

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich für uns zweierlei: 1. daß es sich bei dieser Banknotenemission um eine Garantie des

Staates handelt, da die Bank mit ihrem eigentümlichen Kapital für Einlösung und Umlauf der Noten zu sorgen hat und der Staat nur ergänzend ihr, als der ursprünglich Verpflichteten, zur

Seite steht;

2. daß aber diese Garantie insofern den Charakter einer Prinzipalen Mitverpflichtung, eines Eintretens in erster Linie seitens des Staats trägt, als die Banknoteninhaber in jedem Augenblick die Staats­ kassen

behufs der Realisation

im Kompensattonswege angehen

können, nicht die Bank als ursprünglich Verpflichtete, als Haupt­ schuldnerin zunächst in Anspruch zu nehmen und erst, wenn hier Zahlung nicht erfolgt, sich an den Garanten zu halten haben.

Daß der letztere Umstand in kritischen Zeiten den Zudrang dieser Noten zu den öffentlichen Kassen in bedenklichem Maße in Aussicht stellt

und den Staat in verhängnisvoller Weise in jede Zahlungseinstellung der Bank zu verwickeln geeignet ist und die höchste Vorsicht hinsichtlich

des Maßes der Notenausgabe gebietet, ist ebenso unbestreitbar richtig als die Tatsache: daß man seitens der preußischen Finanzverwaltung diese

Vorsicht bis dahin wirklich beachtet und dadurch wesentlich zu dem guten

Fortgang der Preußischen Bank beigetragen hat. Weiter schritt man nach Maßgabe des Gesetzes vom 15. April 1848,

welches bis auf wenige unwesentliche Abweichungen mit der gegenwärtigen Verordnung gleich lautet, zur Schöpfung von 10 Millionen Darlehns-

kassenscheinen zu demselben Zweck, wie dem jetzt ausgesprochenen: bei den

damals durch die politischen Bewegungen in Deutschland hervorgerufenen Verkehrsstockungen eine augenblickliche Hilfe zu gewähren.

Als indessen

bei dem raschen Vorübergehen der Krisis schon mittels Gesetzes vom

30. April 1851 die Auflösung der Darlehnskassen und die vollständige Abwicklung ihrer Geschäfte bis Ende 1852 angeordnet worden war, er­

folgte keineswegs die Einlösung der ausgegebenen Scheine mittels der aus Rückzahlung der Darlehne eingegangenen Summen, vielmehr wurden gegen

Reden in der Konfliktszeit.

341

Einziehung der Scheine für den ganzen Betrag von 10 Millionen neue

Kassenanweisungen ausgegeben, und so durch Gesetz vom 19. Mai 1851 der Betrag der unverzinslichen direkten Staatsschuld auf 30 842 347 Taler erhöht, was mit Hinzurechnung der 21 Millionen Banknoten eine Gesamt­ summe von zirka 52 Millionen vom Staat garantiertes Papiergeld ergab. In diesem Stande, von welchem niemand behaupten kann, daß er

dem Bedürfnis und den Finanzkräften des Staats nicht entsprochen hätte,

blieben die Dinge bis 1856, wo sie die jetzige Gestaltung annahmen, in welcher leider der alte gesunde Grundsatz der preußischen Finanzverwaltung, die feste Begrenzung des Effektivbestandes dieser Geldzeichen in bedenklicher

Weise gelockert ist?)

Zwar das dirette Staatspapiergeld an Kassenanweisungen wurde

durch das Gesetz vom 7. Mai 1856 um 15 Millionen vermindert, auf annoch 15 842 347 Taler reduziert, und an der Stelle des ausfallenden

Betrags

eine

neue verzinsliche Anleihe von 16 598 000 Talern aus­

genommen. Allein durch Gesetz von demselben Tage, wodurch das Einschußkapita! der Privatteilnehmer von 10 auf 15 Millionen erhöht wurde, befreite

man die Bank bei ihrer Notenemission unter Staatsgarantte von der ihr

in dem Höchstbetrage von 21 Millionen gezogenen Schranke und erteilte ihr die Befugnis: über diese 21 Millionen hinaus nach Bedürfnis Noten

in unbeschränttem Betrage auszugeben, indem man ihr nur die Pflicht

auferlegte: von dem ausgegebenen Mehrbeträge in ihren Kassen ein Drittel in barem Gelde oder Silberbarren und den Überrest in diskon­

tierten Wechseln bereitzuhaben. In welchem Umfange die Bank hiervon Gebrauch gemacht hat, ergibt

sich aus ihren eigenen Ausweisen, indem danach im jährlichen Durch­

schnitt an Noten zirkulierten und an Metall vorhanden war: Jahr:

Umlaufende Noten:

Metalldeckung:

1855

19*/10 Millionen

24V.0 Millionen

1857

60



317.»

1859

758/10



53

M

1862

1066/10



86 7xo

1t

65 7.0

11

1864 1865

116 Vio

ca. 133

„ „

ca. 62

tt

Daß diese enorme Steigerung der Notenausgabe seit 1856 mit der ") Vgl. das günstigere Urteil bei Bergengrün, v. d. Heydt S. 226f.

Schulze-Delitzsch.

342

allerdings auch bedeutenden Zunahme des Verkehrs doch den Vergleich

Dabei kann aber die Bank selbst

nicht aushält, springt in die Augen.

Erhöhung ihres gegenwärtigen

ohne

Metallfonds und unter

genauer

Innehaltung der ihr gesetzten relativen Grenze der Metalldeckung jeden Augenblick noch weitere 50 Millionen Noten ausgeben.

Ja, wenn sie

sich nicht damit begnügen will, braucht man ja nur die Metallbestände zu

erhöhen, um für jeden Taler in Silber drei Taler in Noten zu emittieren,

denn daß die Deckung des Restes in Wechseln sich allemal findet, ist gewiß.

Freilich ist solchen Operationen schon durch die kommerziellen

Verhältnisse selbst die Grenze gezogen, und die Leiter der Bank sind er­ fahren genug, um nicht in solcher Weise Ruf und Existenz des ihnen

anvertrauten Instituts auf das Spiel zu setzen.

Allein schon daß so

etwas überhaupt möglich ist, muß bei Kreditoperationen unter Staats­

garantie ernst in Erwägung gezogen werden, wozu noch die Erfahrungen

treten, wie es bei anderen ähnlichen mit dem Staate in Verbindung

stehenden Geldinstituten gegangen ist, wenn sie bei großen Landeskalami­

täten zu Negoziationen für den Staat selbst herangezogen wurden. Indessen lassen wir diese äußersten Möglichkeiten beiseite und halten

wir uns an die Sache, wie sie tatsächlich im Augenblick liegt, wonach

also: 15842347 Taler Kassenanweisungen,

133 000 000 Taler Bank­

noten als öffentlich garantiertes Papiergeld in Umlauf sind, wozu nun die 25 000 000 Taler Darlehnskassenscheine treten, welche sich nur da­

durch von den ersteren unterscheiden, daß ihre Einlösung in Silber nicht gefordert werden kann, und daß sie (wie die Banknoten) in öffentlichen Kassen wohl in Zahlung gegeben, aber nicht aus öffentlichen Kassen (gleich

den Kassenanweisungen) in Zahlung vom Publikum angenommen werden

müssen.

Sehen wir zu, welche Folgen von der Emission der Darlehnskassen­ scheine bei dieser Sachlage und unter den jetzigen Umständen zu erwarten sind.

Um bei Beurteilung der Grenzen der Papiergeldemission einen An­ halt zu gewinnen, müssen wir vorerst das Wesen und die Bedingungen

des

Papiergeldes

überhaupt

uns

klarmachen

und

wollen

versuchen,

wenigstens das Hauptsächlichste darüber anzudeuten, soweit der uns zu­

gemessene Raum es gestattet. Die Grundlage des gesamten modernen Verkehrs, nachdem derselbe seit Emanzipation des beweglichen Kapitals aus der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft übergegangen ist, liegt in der Einführung eines all­

bereiten, überall gültigen Tauschmittels, welches einen eigenen, dauernden,

allgemein anerkannten Wert darstellt, daher bei jedermann und zu jeder

Zeit anzubringen und deshalb geeignet ist, alle Umsätze leicht und bequem

zu vermitteln: eine Rolle, welche dem Edelmetall in ungeprägtem sowohl wie geprägtem Zustande als Geld in der ganzen zivilisierten Welt zufällt. Wenn dem in neuerer Zeit die Kreditwirtschaft hinzutritt, so ist dies

nur als Ergänzung des Systems aufzufassen.

Die Kreditwirtschaft ersetzt

oder verdrängt die Geldwirtschaft so wenig, als der Kredit das Kapital ersetzen oder verdrängen kann.

Im Gegenteil entspringt aller Kredit aus

Kapitalbedürfnis und sucht das Kapital nur von anderswoher herbeizu­

ziehen und dahin zu führen, wo es daran gebricht, wie der Kanal das befruchtende Wasser.

Ohne Kapital kein Kredit; das Vorhandensein des

ersteren ist die Voraussetzung des letzteren, das steht ein für allemal fest. Daher kann man wohl durch richttg berechnete Kreditoperationen bewirken,

daß das in einem gewissen Verkehrsbereiche vorhandene Kapital besser benutzt und in Umlauf erhalten wird, kein Teil davon müßig liegt, das zeitweilig in der einen Jndustriebranche entbehrliche in der anderen an­

gelegt und so mit derselben Kapitalmasse mehr geschafft wird; man kann durch den Kredit das vorhandene Kapital zu produktiven Zwecken besser verteilen, durch das Zuviel bei dem einen das Zuwenig bei dem anderen

ausgleichen, seine belebende Wirkung für die schaffende Tätigkeit möglichst allgemein verbreiten: aber als Kapital dienen, dessen Stelle im Verkehr aussüllen, kann der Kredit so wenig, als wir uns des bloßen Versprechens

einer Sache anstatt der Sache selbst bedienen können.

Ich kann den

Kredit nicht als Rohstoff verarbeiten, nicht als Werkzeug bei meiner Arbeit

gebrauchen, mich nicht während derselben seiner als Nahrungsmittel be­ dienen.

Diese Dinge (und sie sind eben Kapital) müssen vielmehr in der

Wirklichkeit irgendwo vorhanden sein, dann erst wird es möglich, sich

dieselben mittels des jkredits zu verschaffen.

Kapitalübertragung,

stellt

Krediterteilung ist sonach

gegenwärtig bereits vorhandene Werte zur

Verfügung des Kreditnehmers, um diesen dadurch zur Schaffung künftiger Werte in den Stand zu setzen, mittels deren derselbe die übernommenen

Verpflichtungen nach Ablauf gewisser durch seine geschäftlichen Operationen

bedingter Fristen tilgt.

Der Kredit bewirkt daher kein Mehr an dem

jeweiligen Nationalkapital, über welches er disponiert, wenn er auch bessert Wachstum für die Zukunft fördert; vielmehr kann er sich nur innerhalb

der Grenzen des wirklich vorhandenen Kapitals bewegen, soll er nicht

seiner notwendigen Unterlage beraubt werden. Die Anwendung dieser einfachen Sätze, welche sich aus der Natur

der Sache ergeben und dennoch so häufig außer acht gelassen werden,

mag uns auch für diejenige Form der Krediterteilung einen Maßstab der

Schulze-Delitzsch.

344

Beurteilung bieten, um die es sich bei Ausgabe von Staatspapiergeld und

An die Stelle eines wirklichen Wertes

Banknoten als Geldzeichen handelt.

als Umlaufsmittel des Edelmetalls tritt hier ein bloßes Wertzeichen, eine

Anweisung auf solchen Wert in der Form eines Zahlungsversprechens.

Das Eigentümliche dieses Verhältnisses aber besteht darin: daß der Staat oder die Bank, insofern sie es unternehmen, dritten Personen Zahlmittel

in solchen Scheinen statt baren Geldes vorzustrecken, diesen gegenüber als Kreditgeber austreten; daß sie aber, da sie in den gegebenen Scheinen

Zahlungsanweisungen aus sich selbst, und zwar für jeden Inhaber aus­ stellen, zugleich Kreditnehmer,

Schuldner

aller derjenigen werden,

welche die Scheine in ihrem Umläufe gedeihen.

an

Die Emission solchen

Papiergeldes ist sonach eine Krediterteilung, bei welcher dem Kreditnehmer anstatt Kapital, selbst wieder nur Kredit, der Kredit des notenaus­

gebenden Staats oder der Bank zur Verfügung gestellt und ihm über­ lassen wird, sich damit anderswoher das benötigte Kapital zu verschaffen. Die ganze Operation setzt zu ihrem Gelingen zweierlei voraus:

1. daß in dem Verkehrskreise, in welchem die Papiere zirkulieren,

ein bereit Summe entsprechender Betrag an wirklichen Umlaufs­ werten, an Metall, vorhanden und disponibel, nicht anderweit

bereits in Produktion und Handel gebunden ist;

2. daß die Besitzer dieser Umlaufswerte geneigt sind, dieselben gegen die Noten hinzugeben und dadurch den Notenausgebern auf Höhe

derselben den Kredit zu erteilen, auf welchen diese ihre Schuldner durch Ausgabe der Noten angewiesen haben.

Jedermann sieht, daß in dem ersten Erfordernis der Emission von Papiergeld eine Grenze gezogen ist, deren Überschreitung das größte Unheil über die industrielle Welt hervorrufen und die Wohltat des

Kredits sofort in das Gegenteil verwandeln muß.

In dem Augenblicke,

wo Wertzeichen, hinter denen keine reellen Werte stehen,

besonders in

dem sensibelsten Teile des beweglichen Kapitals, den Umlaufsmitteln, sich

in den Verkehr drängen, verliert derselbe seinen soliden Halt.

Die Noten­

presse schafft kein Kapital, macht Papier nicht zu Metall, und die Fik­

tion von Kapital, welches in Wirklichkeit in solchem Umfange gar nicht vorhanden ist, langt auf diesem Wege unfehlbar bei einem Defizit an.

Die mit einer solchen Steigerung

der Zahlungsmittel, welche Anlage

suchen, zunehmende Leichtigkeit, Kredit zu erhalten ruft naturgemäß leicht­ sinnige Unternehmungen hervor

Höhe, auf welcher

das

und treibt die Spekulatton auf eine

künstliche System regelmäßig im

Schwindel zusammenbricht.

allgemeinen

Wenn wir so im allgemeinen eine Schranke für Papiergeldausgabe in der in einem bestimmten Verkehrskreise vorhandenen Masse von dis­

poniblem Umsatzkapital sahen, so wird dieselbe durch das zweite von uns aufgestellte Erfordernis noch enger begrenzt

und

auf die Größe des

Die Neigung des

eigenen Kapitals der Notenausgeber zurückgeführt.

Publikums, die Noten für bar zu nehmen, ihre Umlaufsfähigkeit also, beruht offenbar auf dem Vertrauen, welches dasselbe in deren jederzeitige

Einlösungsfähigkeit, in den Willen und die Mittel der Ausgeber setzt,

ihre papiernen Zahlungsversprechen in jedem

Augenblicke mit barem

Will ein Institut einen solchen Kredit beim Publi­

Gelde zu erfüllen.

kum genießen, so muß es in glaubwürdigen Ausweisen den Stand seiner desfallsigen Verpflichtungen und der vorhandenen Deckungsmittel regel­

mäßig veröffentlichen und die letzteren im richtigen Verhältnis zu den ersteren stets bereit haben.

Es handelt sich in letzterer Beziehung um

die Erfüllung einer Verpflichtung, deren Umfang und Fälligkeitszeit man

nicht übersieht, denn man hat versprochen: jede der ausgegebenen Noten jeden

Augenblick

an jeden,

der

sie präsentiert, gegen bar einzulösen.

Man kennt seine Gläubiger nicht, man weiß nicht,

wann sie und wie

viele davon auf einmal Zahlung fordern werden, man müßte also, strenge

genommen, von dem Augenblick an, wo man eine Note ausgibt, deren

Betrag in Metall zurücklegen.

Geht man aber auch für gewöhnlich nicht

so weit, indem in ruhigen Zeiten,

solange keine außerordentlichen Er­

schütterungen des Marktes und Verkehrsstockungen eintreten, ein solches plötzliches Andrängen der Noteninhaber nicht zu besorgen ist und die

Zuflüsse

an

so

man

wird

Geld doch

die

Abflüsse

für

eine

in

den

solide

Kassen

regelmäßig

Fundierung

solchen

ersetzen, Papiers

fordern müssen:

daß ein großer Teil des ausgegebenen Betrags in klingendem

Metall und der Rest in solchen Forderungen und Ausständen bei

der notenausgebenden Kaffe vorhanden sein muß, die keinen Kurs­ rückgängen unterliegen und deren Eingang sicher in festen und

kurzen Fristen erwartet werden kann. Bei direktem Staatspapiergeld liegen

angemessene Deckungsmittel

beider Art vor in den baren Beständen der Staatskassen und in den sicheren und fortlaufenden Eingängen an Steuern und Gefällen jeder Art, sobald sich die Summe dieses Papiergeldes auf einen Betrag be­ schränkt, der die Bestreitung der laufenden Ausgaben neben einer fort­

schreitenden Einlösung möglich läßt.

Jedermann wird zugestehen, daß

dieses Maß bei dem eigentlichen Staatspapiergeld in Preußen bisher

Schulze-Delitzsch.

346 durchaus

eingehalten

ist,

wobei wir

indessen

von

der

Mithaftung

der Staatskassen für die Noten der Preußischen Bank gänzlich absehen. Bei diesen Noten dagegen wie bei denen einer jeden Bank, lvird auf eine besondere Metallreserve zu halten sein, während sich zur Sicherung

des dadurch nicht gedeckten Betrages gute bankmäßige Wechsel mit mehreren Unterschriften und auf nicht zu lange Fristen am meisten eignen.

Stets

jedoch muß die Metallreserve nach der allgemeinen Praxis die Hälfte der ausgegebenen Noten übersteigen, wenn das Verhältnis als durchaus solid gelten, weder die Bank noch das Publikum dadurch gefährdet erscheinen

soll.

Das Beispiel der Bank von England sowie der Preußischen Bank

selbst geben hierzu die besten Beläge, indem bei ihnen, sobald man sich

dieser Grenze näherte, die Geschäfte durch Erhöhung des Diskonto sofort

beschränkt wurden, um das Gleichgewicht herzustellen.

Infolgedessen hat

die Bank bei uns trotz des gesetzlich zulässigen Minimum der Silber­

deckung von nur ein Drittel in ihrem wohlverstandenen Interesse noch

niemals auf diesen äußersten Punkt bei ihrer Notenausgabe zurückgegriffen, obschon sie seit den letzten Jahren allerdings merklich von ihren strengen Grundsätzen nachgelassen und unter die Hälfte der Metalldeckung herunter­

gegangen ist.

Daß das in Preußen unter Staatsgaranüe umlaufende Papiergeld zum mindesten bereits die alleräußerste Grenze dessen erreicht, was der

Verkehr in friedlichen Zeiten

überhaupt vertragen kann, und daß die

Dehnbarkeit der Befugnisse der Preußischen Bank in Emission weiterer Notenbeträge schon mit einer soliden Fundierung solcher Geldzeichen selbst

in friedlichen Zeiten nicht wohl zu vereinbaren ist, denken wir hiermit anschaulich gemacht zu haben.

Wir wollen deshalb auch nicht weiter

auf die noch außerdem vorhandenen Noten der Privatbanken in Preußen, welche in einem Betrage von zirka neun Millionen kursieren, zurückgreifen

oder auf das Papiergeld und die Banknoten der Zollvereinsstaaten (zirka 60 Millionen), welche ebenfalls in dem Verkehrskreise der Preußischen

Bank zirkulieren, dafür aber auch denselben über den Preußischen Staat hinaus erweitern.

Wir leiten vielmehr aus allem für unsern Zweck nur

den einen Satz ab: daß, wenn für gewöhnliche Zeiten ruhigen Verkehrs

schon jede weitere Emission von Papiergeld bei uns nur unheilvoll wirken müßte: die Kreierung solcher neuer Geldzeichen, eine Vermehrung der­

selben um 25 Millionen, wie sie die Verordnung über die Darlehns-

kassenscheine in das Werk setzt, im Beginn eines großen Krieges im höchsten Grade gefährlich und zweckwidrig erscheint; denn durch dieselbe wird der in solcher Lage ohnehin schon eintretende Kursrückgang auch

der solidest fundierten Papiere nur gar zu leicht bis zur Entwertung gesteigert und der Vermögensschädigung der Privaten das Sinken des öffentlichen Kredits hinzugefügt, wie wir schon im Eingänge bemerkten. Wie wenig stichhaltig der Grund ist, welchen man hiergegen und

für die Ausgabe der Scheine anführt: daß dieselben ja auch im Jahre

1848 gute Dienste getan und sich als Mittel, der Industrie über die damalige Krisis hinweg zu helfen, bewährt hätten, ergibt ein kurzer Hin­ blick auf die gänzliche Verschiedenheit der Lage zwischen damals und jetzt, wobei wir ganz davon absehen: daß der Beweis, ob und inwieweit mit der Maßregel im Jahre 1848 wirklich etwas geleistet ist, doch noch erst zu erbringen sein würde, indem wir dies so ohne weiteres noch gar nicht

einmal zugeben können. Daß infolge der inneren politischen Bewegungen in Deutschland und in einem großen Teile Europas, welche zugleich den äußern Frieden bedrohten, eine Verkehrsstockung und Kreditkrisis ziemlich allgemein sich damals verbreitete, ist bekannt. Indessen nahmen die kriegerischen Opera­ tionen seitens Preußens keine weiteren Dimensionen an und trafen nicht das eigene Land, überhaupt aber befestigten sich die Zustände besonders im Zollvereinsgebiet in verhältnismäßig kurzer Zeit und traten wieder in die Bahnen ruhiger Entwicklung. In derartigen Krisen von kurzem Verlaufe, bei vorübergehenden Gefahren, stellen sich die Verhältnisse nicht anders, wie bei den in gewissen Zwischenräumen von Jahren wieder­ kehrenden Kreditkrisen gewöhnlicher Art, welche nicht in kriegerischen Ver­

wicklungen sondern in einer ungesunden Richtung des Verkehrs selbst ihren Grund haben. Von diesen aber auf die gegenwärtige Lage einen Schluß zu ziehen, ist durchaus falsch, weil ihnen ganz verschiedene Ur­ sachen von denjenigen zugrunde liegen, welche die jetzige Kalamität hervor­ gerufen haben. Wenn in einer Reihe günstiger Geschäftsjahre starke Ansammlungen des Kapitals und Überreizungen des Spekulationsgeistes das kommerzielle Leben künstlich über die Kräfte und das Bedürfnis hinaus steigern und das davon unzertrennliche leichtsinnige Kreditgeben und Kreditnehmen reißend überhand nimmt und zu gewagten Unter­ nehmungen führt, so tritt regelmäßig auf dem Höhepunkt eines solchen

schwindelhaften Treibens der Umschlag ein, der um so tiefer in das Verkehrsleben eingreift, je mehr äußere ungünstige Konjunkturen, welche

sich auf die Bezugs- oder Absatzwege erstrecken, sich dazu gesellen.

Kredit,

Produktion und Handel leiden empfindliche Stöße, Verluste in großem

Maßstabe treten ein, eine Menge ungesunder Unternehmungen geht zu­ grunde und auch solide Geschäfte werden erschüttert. Allein das Ganze

348

Schulze-Delitzsch.

bleibt doch mehr oder weniger ein naturgemäßer Rückschlag, welchen die Überschreitung der inneren Gesetze des Verkehrs nach sich zieht und der

deshalb auch von selbst in einen

natürlichen Heilungsprozeß ausgeht,

dessen Verlauf sich ungefähr übersehen läßt.

Kredit und Unternehmungs­

geist haben nicht den Boden verloren, sie werden nur vorsichtiger, und

in dem durch die Geldknappheit hervorgerufenen Steigen des Zinsfußes ist der Regulator gefunden, welcher Produktion wie Handel nötigt, sich ein­ zuschränken, wodurch sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nach­ frage, das rechte Verhältnis der Kapitalansammlung zum Kapitalbedarf

in nicht langer Zeit wieder herstellt. In solchen Fällen, wenn bei den ersten Anzeichen die Panik ausbricht, jenes kopflose Überstürzen, ollen

Überblicks und Haltes beraubt, und das Übel weitaus verschlimmert: da

wird unter Umständen, wenn sich nicht schon eine Anzahl angesehener Firmen zu einer energischen Maßregel ermannt, der Staat mit einer solchen Kreditoperation unter seiner Garantie, da sein eigener Kredit ja

nicht in Mitleidenschaft steht, heilsam zu wirken, dem weiteren Umsich­ greifen des Sturzes vorzubeugen und den Übergang zur Besserung zu beschleunigen vermögen. Was will aber dies alles sagen gegen Zustände, wie sie jetzt bereits bei uns begonnen haben und in weiterer Ausdehnung im Anzuge sind! Noch sind die Wunden, die unserer Industrie der Amerikanische Kriegs)

geschlagen hat, nicht geheilt, da steht ein innerer deutscher Krieg vor uns, der unser Vaterland unmittelbar zerfleischt, das mühsam zur Festigung

der deutschen Industrie geschlungene Band, durch welches dieselbe erst die

Ebenbürtigkeit auf dem

Weltmarkt sich zu

sichern

imstande ist, den

deutschen Zollverein zerreißt und in seinem weiteren Verlaufe zu einem europäischen zu werden droht.

Schon melden sich demgemäß die Zeichen

einer mit großer Heftigkeit auftretenden europäischen

Geschäfts- und

Kreditkrisis in London, dem maßgebenden Platze des Weltteils, und ver­ stärken die Wirkungen der Lage bei uns.

Da ist nicht mehr bloß vom

Zurückziehen des Kapitals, vom Unterbrechen der Kapitalbildung, von

Stockungen und Verlusten in engeren und weiteren Kreisen, dem Zu­ sammenbrechen schlecht fundierter Geschäfte die Rede.

Ein Teil des

Nationalreichtums geht der Zerstörung, ein anderer der Entwertung auf

Jahre entgegen.

Industrielle Etablissements werden in Masse geschlossen,

die Werkstätten stehen leer, der Ackerbau liegt in ganzen Distrikten dar-

*) Der Bürgerkrieg zwischen den Süd- und den Nordstaaten der Union von 1861—65.

nieder.

Statt der Schaffung neuer Werte herrscht

Konsumtion im Lande.

die

unproduktive

Der Kredit sinkt auf Null, das bewegliche Kapital,

soweit es sich nicht aus dem Lande zieht, wird zum bloßen Konsumtions­ mittel, Ansammlungen von Jahren werden in kurzer Zeit aufgezehrt.

Und das läßt sich nicht so bald wieder Herstellen, das wirkt noch lange nach, auch wenn die unmittelbaren Verwüstungen des Krieges aufgehört

haben.

Dezennien gehören dazu, die Verluste an menschlicher Arbeitskraft

und Kapital, den Rückschritt des gesamten Kulturstandes, der unzertrenn­

lich damit verbunden ist, einigermaßen auszugleichen und alles nur auf

diejenige alte Stufe wieder emporzubringen, auf der es sich vor dem Kriege befand. Wie kann, wie soll nun in solchem Falle der Staat den Privaten in

ihren Geschäften aushelfen?

In

einer Zeit,

wo jedermann seine

Geschäfte und Kredite einschränkt, sich vor neuen Unternehmungen, neuen

Verpflichtungen hütet, soll der Staat ein neues Bankgeschäft unter seiner

Garantie beginnen zu gunsten einzelner Kommerziellen, soll eine Anleihe ohne Kündigung kontrahieren, Papiere ausgeben, die jederzeit in seinen Kassen

angenommen werden müssen: dies alles in einer Zeit, wo er der bereiten Mittel in seinen Kassen weniger als je gewiß und mehr als je selbst

bedürftig ist.

Denn wie Krieg einerseits die Einnahmen des Staats aus

den Erträgen des ffskalischen Eigentums jeder Art, aus den Zöllen und Steuern bedeutend vermindert, so vermehrt er in demselben Grade seine

Ausgaben.

Mese Ausgaben für den Sold der Truppen, für Proviant

und Kriegsmaterial müssen aber in solchen Zeiten meist in Metallgeld

gedeckt werden, und vieles von notwendigem Bedarf ist gar nicht anders

zu

haben.

Allein wie soll dieser verstärkte Metallabfluß ausgewogen

werden, wenn gerade in solchen Zeiten die Kasseneingänge in Papier bestehen?

Wohin muß das führen, wohin hat dies noch immer geführt

überall in gleichen Lagen als zum Zwangskurs?

Und welche große

allgemeine Kalamität, welche Erschütterung des Privat- und öffentlichen Kredits eine solche Jnsolvenzerklärung des Staates nach sich zieht, welche die der Privaten massenhaft zur Folge hat, ist bekannt.

Der gesamte

Verkehr, Industrie und Handel des ganzes Landes verlieren durch die Zerrüttung der Valutenverhältnisse die Konkurrenzfähigkeit mit den Nach­ barländern auf dem Weltmarkt, und dem öffentlichen Bankerott folgt

die Demoralisation in der Geschäftswelt. Deshalb keine derarügen Mittel, welche das Übel nicht beseitigen sondern

es ärger machen, es in weitere Kreise verschleppen. Der Staat darf nicht, um einzelnen zu Hilfe zu kommen, selbst wenn dies möglich wäre, alle schädigen,

Schulze-Delitzsch.

350

das gemeine Wesen, die öffentlichen Interessen gefährden.

Um eine unver­

meidliche aber doch vorübergehende Kriegskalamität zu mildern, darf man sich

nicht auf Operationen einlassen, welche dieselbe, ohne sie zu heben, zu einem

dauernden Friedensnotstande umschaffen!

In einer Lage, wo die eigenen

Mittel des Staates sicher nicht zu seinen eigenen Bedürfnissen ausreichen, wo er selbst Anleihen und sicher nicht zu günstigen Bedingungen zu suchen genötigt ist, um den Forderungen, die die Kriegführung gebieterisch

an ihn stellt, zu genügen, kann er nicht Anleihen oder Garantien, am wenigsten in der gefährlichsten Form, die es gibt, ohne bestimmte Rück­

zahlungsfrist, mittels eines jeden Augenblick in seinen Kassen präsentattonsfähigen Papiergeldes eingehen.

Wenn ein Krieg von Dimensionen wie

der gegenwärtige immer den Staatskredit selbst mehr oder weniger er­ schüttert, so kann dieser Kredit nicht auch noch zu Maßnahmen, die außer­

halb des eigentlichen Staatszweckes liegen, in solcher Zeit in Anspruch genommen werden.

Und dazu ist um so weniger Anlaß vorhanden, als

obenein in unserem Staate in der Preußischen Bank ein Institut unter

des Staats

Kontrolle und Beteiligung ausgesprochenen

Bestimmung

(man vgl.

existiert,

§ 1

der

mit der ausdrücklich

Bankordnung vom

5. Oktober 1846):

den Geldumlauf des Landes zu befördern, Kapitalien nutzbar zu machen, Handel und Gewerbe zu unterstützen und einer über­

mäßigen Steigerung des Zinsfußes vorzubeugen, zu welchen Behufe es mit den wertvollsten Privilegien ausgestattet ist,

namentlich mit dem der Notenemission unter Staatsgarantie, wie wir sahen.

Der Preußischen Bank kam es zu, die Operationen vorzunehmen,

wozu man die Darlehnskassenscheine kreirte, und sie hatte in ihren Noten die geeigneten Mittel dazu in den Händen.

Dann haftete doch wenigstens

sie selbst mit ihrem Kapital für die Einlösung der Scheine, wenn auch die Staatsgarantie dafür obenein stehen blieb.

Der Direktor der Bank

soll sich für die ganze Maßregel, der Ansicht des Finanzministers ent­

gegen, ausgesprochen haben — warum, so fragen wir, hat er sie denn nicht durch die Bank in das Werk setzen lassen, in deren Geschäftsbereich sie ganz

entschieden gehörte, wenn sie überhaupt einen günstigen Erfolg versprach? Aber

abgesehen

von

allem,

was wir gegen das Eintreten des

Staates durch Gründung der Darlehnskassen angeführt haben, sprechen

wir es noch zum Schluffe mit voller Bestimmtheit aus: die Maßregel wird den beabsichtigten Erfolg, der Industrie des

Landes über die gegenwärtige Krise wegzuhelfen, gar nicht ein­ mal erreichen.

Nicht in drei, nicht in sechs Monaten — der längsten Frist, auf welche die Darlehne gegeben werden sollen — ist die Wiederherstellung der Verkehrsverhältnisse mit der Wirkung zu erwarten, daß die verpfän­

deten Vorräte an fertigen Waren und Rohstoffen selbst mit irgend noch erträglichem Verlust umgesetzt werden könnten. Nicht bloß die Spekulation, die Kaufkraft der Konsumenten selbst, ist auf längere Zeit gelähmt und wird nicht einmal durch den Frieden, selbst wenn derselbe mit Ablauf jener Fristen zustande käme, sogleich wiederhergesiellt. Voraussichtlich schreitet vielmehr die Entwertung immer weiter vor, je größere Dimen­ sionen der Krieg annimmt, und der Verkauf der verpfändeten Waren,

wenn infolgedessen die Versteigerungen überhandnehmen, wird noch un­ günstigere Resultate liefern, als wenn man sich im Augenblicke dazu

entschlösse. Die Darlehne helfen daher denen, welche ohne sie zur Schließung ihrer Geschäfte schreiten müssen, nichts, werden vielmehr nicht selten ihre Lage verschlimmern. Abgesehen von den Kursrückgängen, welchen die Papiere sicher entgegensehen, in welchen man die Valuta der Darlehne gewährt, gewinnt man damit eine Frist, welche zu einer auch nur leidlichen Abwicklung der Geschäfte nicht ausreicht. Oder hält man vielleicht die Sachlage dazu angetan, um die Geschäfte ohne die äußerste Beschränkung fortzusetzen, die Vorräte, für die es an Ab­ nehmern fehlt, noch zu häufen? Nein, das heißt, unsere Industriellen zur Verschiebung derjenigen Maßregeln aufmuntern, welche die Situation unerbittlich von ihnen verlangt, und zu denen sich dieselben am Ende

doch und alsdann unter Umständen werden entschließen müssen, wo die­ selben nur mit größeren Verlusten für sie in das Werk zu setzen sind. Auch von diesem speziellen Standpunkte aus können wir uns kein Heil von den neuen Darlehnskassen versprechen und bleiben bei dem von uns gleich bei Beginn unserer Erörterungen ausgesprochenem Satze: daß die Genehmigung der oktroyierten Verordnung vom 18. Mai d. I. über die Gründung der Darlehnskassen usw. seitens des

Landtags weder zu erwarten noch zu wünschen ist.

129, Gegen die Indemnitätsvorlage. Reden in der 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 3. September 1866.

Nachdem die am Tage des Sieges von Röniggrätz vorgenommenen Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhause eine überwiegende Mehr, heit für die Regierung ergeben hatten, berief eine Königliche Verordnung

Nicht in drei, nicht in sechs Monaten — der längsten Frist, auf welche die Darlehne gegeben werden sollen — ist die Wiederherstellung der Verkehrsverhältnisse mit der Wirkung zu erwarten, daß die verpfän­

deten Vorräte an fertigen Waren und Rohstoffen selbst mit irgend noch erträglichem Verlust umgesetzt werden könnten. Nicht bloß die Spekulation, die Kaufkraft der Konsumenten selbst, ist auf längere Zeit gelähmt und wird nicht einmal durch den Frieden, selbst wenn derselbe mit Ablauf jener Fristen zustande käme, sogleich wiederhergesiellt. Voraussichtlich schreitet vielmehr die Entwertung immer weiter vor, je größere Dimen­ sionen der Krieg annimmt, und der Verkauf der verpfändeten Waren,

wenn infolgedessen die Versteigerungen überhandnehmen, wird noch un­ günstigere Resultate liefern, als wenn man sich im Augenblicke dazu

entschlösse. Die Darlehne helfen daher denen, welche ohne sie zur Schließung ihrer Geschäfte schreiten müssen, nichts, werden vielmehr nicht selten ihre Lage verschlimmern. Abgesehen von den Kursrückgängen, welchen die Papiere sicher entgegensehen, in welchen man die Valuta der Darlehne gewährt, gewinnt man damit eine Frist, welche zu einer auch nur leidlichen Abwicklung der Geschäfte nicht ausreicht. Oder hält man vielleicht die Sachlage dazu angetan, um die Geschäfte ohne die äußerste Beschränkung fortzusetzen, die Vorräte, für die es an Ab­ nehmern fehlt, noch zu häufen? Nein, das heißt, unsere Industriellen zur Verschiebung derjenigen Maßregeln aufmuntern, welche die Situation unerbittlich von ihnen verlangt, und zu denen sich dieselben am Ende

doch und alsdann unter Umständen werden entschließen müssen, wo die­ selben nur mit größeren Verlusten für sie in das Werk zu setzen sind. Auch von diesem speziellen Standpunkte aus können wir uns kein Heil von den neuen Darlehnskassen versprechen und bleiben bei dem von uns gleich bei Beginn unserer Erörterungen ausgesprochenem Satze: daß die Genehmigung der oktroyierten Verordnung vom 18. Mai d. I. über die Gründung der Darlehnskassen usw. seitens des

Landtags weder zu erwarten noch zu wünschen ist.

129, Gegen die Indemnitätsvorlage. Reden in der 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 3. September 1866.

Nachdem die am Tage des Sieges von Röniggrätz vorgenommenen Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhause eine überwiegende Mehr, heit für die Regierung ergeben hatten, berief eine Königliche Verordnung

Schulze-Delitzsch.

352

den Landtag auf den 5. August zusammen. Bismarck hatte schon vor dem Krieg aussöhnende Verhandlungen mit Twesten und v. Unruh be­ gonnen; er erklärte nunmehr seine Bereitwilligkeit,

durch

Entgegen­

kommen den Konflikt beizulegen, und es gelang ihm nach schweren Kämpfen mit dem König und den Ukinistern, einen Passus in die Thron­

rede zu bringen, in dem eine Indemnitätsoorlage angekündigt wurde. Am s. September begann die zweitägige Debatte über den Entwurf im Plenum, von den Rednern sprachen dagegen die Abgg. Waldeck (Ulünster), Gneist sUIansfeld), Michelis (Allenstein), Ejarfort (Hagen), Virchow (Saarbrücken), v. Haverbeck (Königsberg); für Annahme sprachen u. a. Michaelis (Stettin), töwe (Bochum), v. Vincke (Glben-

dorf), Lasker (Berlin). Meine Herren!

Gegen den Entwurf sprach auch Schulze:

Ich denke, die bisherigen Debatten haben uns alle

zu dem Bewußtsein gebracht, daß von dem bloß ausschließlichen und formellen Standpunkte an die Frage heranzutreten, bloß von dem Budget­ recht allein zu sprechen, während die Vorlage der Königlichen Staats­

regierung doch so gedeutet und aufgefaßt wird, daß sie den Schluß des ganzen Verfassungskonfliktes herbeizuführen bestimmt sei, nicht richtig ist.

Man muß eben von dem allgemeinen Standpunkte an diese Frage heran­ treten, wenn man sich wirklich auf die Höhe derselben erheben will. Das, was denjenigen, welche sich nicht entschließen können, schon in diesem Augenblick und ohne ein tatsächliches Einlenken der Königlichen

Staatsregierung zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände die Indemnität zu erteilen, von allen Seiten vorgehalten wird und was wirklich bei dem vielen Verworrenen und Verwirrenden, was für und

wider die Sache vorgebracht ist, einer genauen Beleuchtung bedarf, ist: die Anerkennung der letzten großen Kriegsereignisse und der dadurch

herbeigeführten tatsächlichen Zustände, wodurch die ganze bisherige Stellung der Parteien, ihre fernere Beteiligung bei der Politik geändert sein soll. Ja, meine Herren, Erfolge der großen Kämpfe ignorieren, so tun, als

ständen die Dinge genau wie vorher, das wäre ein Brechen mit der

Wirklichkeit als dem Boden, auf welchem allein Politik getrieben werden kann, das mag man den Herren zugeben.

festgehalten werden.

Aber dabei muß doch eins

Es handelt sich um Erfolge in der äußeren Politik,

welche die Festigung der Existenz- und der Machtbedingungen unseres Staates nach außen herbeigeführt haben.

Diese Errungenschaften für

Macht und Größe unseres Vaterlandes sind doch nichts, als die äußeren

Fundamente, der reale Boden, von wo aus an die Verwirklichung der

historischen Bestimmung unseres Staates zu gehen möglich wird, als des

vorzugsweise nationalen, des Verfassungs- und Rechtsstaates, der den Beruf hat, an der Spitze Deutschlands zu stehen, der Entwickelung des deutschen

Volkes in Politischer und humaner Beziehung die Bahnen zu sichern.

Diese Tatsachen, diese Errungenschaften der Kämpfe dürfen also der inneren Staatsgestaltung, dem Rechte und dem Bedürfnis des Volkes keinen Ein­

trag tun; sie müssen sie vielmehr fördern.

Die angedeuteten Ziele werden

also durch die äußeren Erfolge nicht verrückt, vielmehr liegt der Wert und die Bedeutung der letzteren nur darin, daß sie dazu beitragen, jene Ziele leichter und in näherer Zeit zu erreichen.

Hier, meine Herren,

mit helfen, hier die Politik der Regierung stützen, davon absehen, daß

man auf anderem Wege dahin gestrebt hat, vielmehr die Erfolge durch Ausnutzung und Festigung, die gewonnenen Positionen für jene Ziele

verwerten — darin mag man die Anerkennung der Tatsachen suchen; dazu mitzuwirken, meine ich,

mag man als

Aufgabe der preußischen

Volksvertretung bezeichnen. Aber, meine Herren, nimmermehr können jene Ziele davor zurücktreten, dazu kann man nimmermehr beistimmen, das

kann man doch nicht unter der berechtigten Anerkennung der Tatsachen

begreifen wollen, die ich eben zugestanden habe.

Meine Herren!

Jene

äußeren Erfolge verhalten sich zu den inneren Aufgaben des Staates nur wie das Mittel zum Zweck, und hier stehen wir unmittelbar vor dem inneren Konflikt und vor dem angeblichen Abschluß, den er durch

die Gesetzvorlage der Regierung erhalten soll.

Meine Herren!

Auch

hier stelle ich keineswegs in Abrede, daß vielleicht zum Abschluß jenes Konfliktes

kein Zeitpunkt günstiger sein dürste als dieser.

Durch die

Energie, durch die Umsicht der Männer an der Spitze unseres Ministeriums ist Großes geleistet worden, das erkennen wir alle an.

Die allgemeine

Siegesfreude im Lande, das gehobene Selbstbewußtsein unseres Volkes, das mag wohl bei dem Rückblick auf die Vergangenheit eine versöhnliche

Stimmung im ganzen erwecken.

Aber, meine Herren, zu dieser Aus­

gleichung gehört denn doch, wenn dieselbe in einer Art erfolgen soll, wie «s das Wohl des Vaterlandes erheischt, ein Entgegenkommen von beiden Seiten.

Seite.

Ein Frieden muß es sein, keine Unterwerfung von der einen

Wir können angesichts der großen Ereignisse wohl mit der Ver­

gangenheit abschließen, wir können ihre Unbilden vergessen um der Zu­ kunft willen, aber wir können nimmer so weit gehen, die Zukunft unseres Volkes

selbst zu

gefährden

durch unsere Konzession.

Zur wirklichen

Schließung des Konfliktes, meine Herren, bedarf es einer Garantie, daß