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German Pages 591 [620] Year 1910
Hermann Schulze-Delitzsch s
Schriften und Reden Lerausgegeben im Auftrage des
Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen
Erwerbs- und Wirtschaftsgmoffenschaften, e. V. von
F. Thorwart - Frankfurt a. M. unter Mitwirkung von
Dr. Hans Crüger-Charlottenburg, Professor Dr. G. Küntzel-Frankfurt a. M., Dr. E. Lennhoff-Frankfurt a. M., Dr. F. Schneider-Potsdam,
Professor Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M.
II. Band.
Berlin 1910. Z. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. L.
Vorbemerkung für Band II. Der vorliegende Band, welcher die Reden und Aufsätze SchulzeDelitzsch's zur Arbeiterbewegung und eine Auswahl seiner wirtschafts politischen Reden enthält, ist von Professor Dr. Stein bearbeitet.
Inhaltsangabe. I. Rede« und Aufsätze zur Arbeiterbewegung. Seit»
Aufruf zur Bildung volkswirtschaftlicher Vereine.
Arbeit und Bildung.
1857
...
1861.............................................................
1
4
Schreiben an die Wahlmänner des drittm Wahlbezirks in Berlin.
11
1861..................................................................................
Rede, gehalten in der Arbeiterversammlungzu Berlin.
1862.
.
15
1863 .... 26 Vorwort............................................................................... 26 Einleitung.......................................................................... 28
Kapitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus.
Inhaltsangabe.
IV
Seite
I.
Vortrag: Die Arbeit................................................................................30
a) b) c) d) II.
Wesen und Zweck der Arbeit; die soziale Selbsthilfe ... 30 Die Hilfsmittel der Arbeit.............................................................34 Form der Arbeit innerhalb der menschlichen Gesellschaft . . 37 Die Teilung der Arbeit im besonderen....................................... 41
Bortrag: Das Kapital und dessen Verhältnis zur Arbeit
.
.
45
a) Begriff und Verwendung des Kapitals. Die produktive Kon sumtion ............................................................................45 b) Entstehung des Kapitals..............................................................48 c) Übertragbarkeit des Kapitals........................................................ 50 d) Kredit und Kapitalrente............................................................. 51 e) Einfluß des Kapitals auf die Lage derArbeiter .... 56 f) Einfluß des Kapitals auf dieZivilisation.................................... 64 III.
Vortrag: Tausch, Wert und freie Konkurrenz..................................68
Das Eigeninteresse und seine Wirkungen im Haushalt der Gesellschaft....................................................................................... 69 b) Der Tausch..................................................................................... 72 c) Der Wert...........................................................................................78 d) Die Konkurrenz............................................................................... 85 a)
IV.
Vortrag:
Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der
arbeitenden Klassen
a) b) c) d) e) f)
V.
Bortrag: Fortsetzung.............................................................................. 114 a) b)
VI.
...... ................................................................... 89
Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klassen..................................................................................................90 Soziale Abwege............................................................................... 93 Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln... 94 Die Garantie der Existenz durch den Staat................................97 Einzelne soziale Formeln............................................................ 104 Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Stand punkte der Arbeiterftage......................................................... 109
Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs 114 Der rechte Weg zum Ziele........................................................... 121
Bortrag: Schluß.................................................................................. 133 a) Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschaft ... 133 b) Die Genossenschaft mit Staatshilfe.......................................... 145
Die Abschaffung des gefchästlichm Risikos durch Herrn Laffalle. 1866
173
Vorwort....................................................................................................... 174
Einleitung....................................................................................................... 175
Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiete.................................................................................................. 176
Inhaltsangabe.
V Seite
Die Assekuranz gegen dasRisiko........................................................... 185 Die Abschaffung des Risikos.................................................................... 190 Nachtrag....................................................................................................... 205 Reden zur Arbeiterfrage................................................................................ 211 Tischrede
1863
auf die Arbeiter bei dem Deutschen Abgeordnetentag.
..............................................................................................
Rede in der Arbeiterversammlung in Offenbach.
1863
Reden in Chemnitz.
Deutschlands Arbeiter.
1863
1865
212 213 215
1863
1865
221
............................................................................
235
Soziale Rechte und Pflichten. 1. 2.
.
................................................................
Die nationale Bedeutung der deutschen Genoffenschaften. Freie Arbeü.
211
.
.
........................................................ 243
1866
Der Mensch und die Gesellschaft...................................................... 244 Das soziale Übel und deffen Bekämpfung..................................... 250
Die sozialen Folgen der Arbettsteilnng.
1866 ....................................... 201
Die Wirkungen der Arbeitsteilung auf wirtschaftlichem Gebiete . 261 Die sozialen Übelstände der Arbeitsteilung....................................... 263 Geschichtliche Entwicklung......................................................................... 268
Praktische Folgerungen............................................................................... 273
Die soziale Frage.
1869 ............................................................................... 275
Wesen und Bedeutung der sozialen
Frage........................................... 276
Die Mittel zu ihrer Lösung.................................................................... 284 Die soziale Verantwortlichkeit.................................................................... 287 Die soziale Frage und die Kirche........................................................ 294 Reden zur Koalitionsfreiheit......................................................................... 299 Rede vom 11. Februar 1865
...........................................................
Schlußwort vom 15. Februar 1865 Rede zum Waldenburger Strike. Reden zum Waldenburger Strike.
............................. .....
Neujahrsansprache.
1870
... 333
17. Dezember 1869 17. Januar 1870 .
Brief an den Nürnberger Volkswirtschaftlichen Verein.
302
314
.
.
1869
.
335
. 349
................................................................. 352
Die Waldenburger und die Fortschrittspartei.
1870
.... 355
Der industrielle Großbesitz und die Arbeiterbewegung in Deutsch land.
1870
...................................................................................
361
Inhaltsangabe.
VI
Seite
Reden zur Frage des Bereinsrechts................................................ 374 Rede vom 19. Juni 1869
...................................................................
376
Rede vom 17. April 1872
...................................................................
386
Reden zur Gewerbefreiheit
393
An die preußischen Handwerker.
1861...............................................394
Der Sieg der Gewerbefreiheit im Preußischen Abgeordnetenhause. 1861
..................................................................................................
Reden zur gesetzlichen Regelung des fteien Hilfskassenwesens Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede
vom vom vom vom vom vom vom
409
. 433
.
18. März 1869 ................................................................... 1. Mai 1869 .......................................................................... 26. Mai 1869 ................................................................... 5. Mai 1873 ......................................................................... 22. April 1874 ...................................................... 5. November 1875 ............................................................. 3. Februar 1876 ...................................................................
435 443 453 456 462 465 478
Reden über die Haftpflicht bei von Eisenbahnen, Bergwerken und anderen Unternehmungen herbeigeführten Unfällen.................... 482 ...................................................................
482
Rede vom 8. Mai 1871 .........................................................................
491
Rede vom 28. April 1871
Rede zur Einführung von Fabrikinspektoren 1869............................ 497
Die Stellung der höheren Gesellschastsklaffen zur sozialen Frage. 1880 ......................................................................................... 501 Das sozial-politische Testament von Schulze-Delitzsch.
1883
.
. 508
II. Wirtschaftspolitische Reden. Rede über Staatsbahn oder Privatbahn.
1862
............................ 513
Rede zu dem Gesetzmtwurf betr. Erweiterung des Rotenprivllegs der Prmßischm Bank. 1865 ................................................. 523 Rede zvm Antrag Lasker betr. die Aufhebung vertragsmäßiger Zinsen. 1867 .............................................................................. 532
Rede zur Regierungsvorlage betr. Rotstandsnnterstützungen in den Reg.-Bez. Königsberg vnd Gumbinnen. 1868 ........................... 542 Rede zum Gesetzentwurf betr. Beschlagnahme des Arbeits- oder Dimstlohnes. 1868 ......................... 549
VII
Inhaltsangabe.
Seite
Reden zur Regelung des Hypothekenbmkwesms................................. 554 Rede vom 15. Dezember 1876 ..........................................................
554
Rede vom 29. März 1879
561
...............................................................
Reden zur Wucherfrage....................................................................... 564 Rede vom 28. April 1880
...............................................................
564
Rede vom 7. Mai 1880 .....................................................................
569
Rede über die Beschränkung des Rebverkehrs. Sachregister
1883
.
.
.
. 575
...................................................................................... 579
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung. I. Aufruf zur Bildung von volkswirtschaftlichen Vereinen. (Aus der „Gartenlaube", Jahrg. 1857 Nr. 47.) Eine große Anzahl deutscher Mitglieder des Wohltätigkeitskongresses*)
hat es für ihre Pflicht gehalten, über die internationalen Bestrebungen die Interessen ihres eignen Vaterlandes nicht zu vergessen.
Sie konnten
sich nicht verhehlen, daß der Zweck des Kongresses, die Entfernung und Linderung der Armut, am wirksamsten durch Beseitigung der Ursachen
derselben zu erreichen sei.
Die mächügste derselben ist die Unkenntnis
der Gesetze der Volkswirtschaft.
Es wurde daher in einer besonders
abgehaltenen Versammlung die Bildung von volkswirtschaftlichen Vereinen in größeren und kleineren Städten Deutschlands, selbständig
oder im
Anschluß an die bereits bestehenden gewerblichen und landwirtschaftlichen
Vereine, vorgeschlagen, welche bemüht sein sollen, zur Verbreitung richtiger volkswirtschaftlicher Begriffe und zur Anlegung besserer volkswirtschaft licher Einrichtungen beizutragen.
Damit erklärten sich die Anwesenden, namentlich die unterzeichneten
Mitglieder einverstanden. Es trat hierauf ein nach Bedürfnis zu verstärkender Redaktions ausschuß zusammen, welcher bis zur definitiven Organisation der Sache
durch einen künftigen Kongreß es sich zur Aufgabe machen wird, ein Zusammenwirken
der
in jener Richtung tätigen Kräfte
Dieser Ausschuß besteht vorläufig
anzubahnen.
aus den Herren Dr. Pickford in
Heidelberg, Max Wirth, Herausgeber des „Arbeitgebers" in Frankfurt, und Dr. B. Böhmert, Redakteur des „Bremer Handelsblattes" in Bremen. Zum provisorischen Vorort wurde Bremen gewählt, und zum Geschäfts führer des Redaktionsausschusses bis auf weiteres Dr. Böhmert ernannt.
Anfragen, Vorschläge, Anmeldungen gebildeter Vereine usw. sind an
den Geschäftsführer einzusenden. Frankfurt a. M., den 16. September 1857.
*) Über den Congrfes international de bienfaisance siehe näheres Bd. I S. 253. D. Hsgbr. Schrrlze-Delttzsch, Schriften und Reden. II.
j
2
Schulze-Delitzsch.
gez. Geheimrat Mittermaier aus Heidelberg, Präsident Dr. Lette aus Berlin,
Geheimrat Prof. Schubert aus Königsberg, Hofrat Welcker aus Heidel berg, Staatsrat Friedländer aus Heidelberg, Direktor Hoyer aus Vechta
in Oldenburg, Herm. Schulze aus Delitzsch, Prof. Dr. Makowizka aus Erlangen, Geheimrat Rau aus Heidelberg, Dr. Asher aus Hamburg, Direktor A. Varrentrapp aus Frankfurt, Regierungspräsident Francke
aus Koburg, Konsul Reinach aus Frankfurt, Dr. Pickford und Dr. C.
Dietzel aus Heidelberg, Dr. Böhmert aus Bremen, Dr. K. Birnbaum aus Gießen, Professor Stubenrauch aus Wien, Prof. Dr. A. Ahrens
aus Gratz, Dr. S. Neumann aus Berlin.
Kaum wird der vorstehende „Aufruf", für den schon die Namen der unterzeichneten wissenschaftlichen
Autoritäten sprechen,
und dessen
Verbreitung sich die gesamte deutsche Tagespresse zur Ehrenpflicht gemacht hat, einer besonderen Empfehlung bedürfen. Über die außerordentliche Wichtigkeit volkswirtschaftlicher Kenntnisse für das gesamte Staats- und
Erlverbsleben einerseits, und die unglaubliche Unwissenheit auf diesem Felde, selbst bei sonst gebildeten Leuten sind alle Kundigen einig.
Bei
dem augenfälligen Streben unseres Volkes, namentlich unserer Gewerbe
treibenden und Arbeiter, nach einer besseren wissenschaftlichen Vorbildung für ihren Beruf, welches besonders die Naturwissenschaften neuerlich in seinen Kreis zieht, ist die Vernachlässigung der Volkswirtschaftslehre um
so auffälliger, als es dieselbe mit der brennendsten unserer Tagesfragen,
der sozialen, unmittelbar zu tun hat.
Da dem nun einmal so ist, so
werden einige Winke am Platze sein, in welcher Weise diese Gleichgültig keit des Publikums zu überwinden und die wünschenswerte allgemeine
Beteiligung am zweckmäßigsten zu erzielen sein wird. Nach den Erfahrungen des Unterzeichneten ist dies nur durch Heraus
kehrung der praktischen Seite der Sache zu bewirken.
Nicht bloß volks
wirtschaftliche Kenntnisse verbreiten, sondern auch zu praktischen Organi
sationen und Unternehmungen auf diesem Felde anregen und die Hani> bieten wollen die
beabsichtigten Vereine, insbesondere sind es die auf
vernünftiger Selbsthilfe der arbeitenden Klassen beruhenden Assoziationen,
deren Förderung sie sich angelegen lassen sein werden, wie denn ein von dem Unterzeichneten in Frankfurt gehaltener Vortrag über Assoziationen zu dem Aufrufe und dem Beitritt der verzeichneten Kongreßmitglieder
Gelegenheit gab. deutet,
diese
Vereinigen sich nun namentlich, wie der Aufruf an
volkswirtschaftlichen
mit
den
schon
vielfach
bestehenden
Gewerbevereinen, oder konstituiert sich der Verein, wo es an letzteren
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
3
bisher fehlte, zugleich als volkswirtschaftlicher und Gewerbeverein, was
sehr anzuraten ist, da ja die Aufgaben und Tendenzen beider sich gegen
seitig ergänzen und fördern: so steht ein höchst folgenreiches Eingreifen in die lokalen gewerblichen Zustände in Aussicht.
Den belehrenden Vor
trägen über Volkswirtschaft und Gewerbekunde usw. schließen sich Bücher,
Zeichnungen, Modelle, Zeitschriften an, welche zur Benutzung der Mit
glieder gehalten werden.
Da kann, sobald die Teilnahme allgemeiner
wird, an die Fortbildung der jungen Gewerbetreibenden, an eine Sonntags
schule gedacht werden, an Gründung von Vorschußbanken für die Mit glieder
und
dgl.
mehr.
Endlich
gehen
von
solchen
Vereinen, zur
Erweckung eines regeren Strebens der Gewerbetreibenden am Orte, sowie zur Bildung
des
Verkehrs,
wohl
auch
öffentliche
Ausstellungen
der
Gewerbeerzeugnisse der Mitglieder zu passenden Zeiten aus, wozu u. a. die bevorstehende Weihnachtszeit eine gute, allen willkommene Gelegenheit
bietet.
Eine solche Ausstellung wird namentlich von dem hier bereits
in der Bildung begriffenen „volkswirtschaftlichen und Gewerbeverein" in den letzten Wochen vor dem Fest beabsichtigt, und diese tatsächliche Kund gebung von der Wirksamkeit des Vereins hat eine außerordentliche Zahl
von Anmeldungen sofort, als sie zur Kenntnis des hiesigen Publikums gelangten, zuwege gebracht.
Um manchen dessallsigen Wünschen hinsichtlich der speziellen Ein richtung solcher Vereine entgegenzukommen, bemerke ich, daß wohl ein
ziemlich allgemein passendes Statut für die hiesigen „volkswirtschaftlichen
und Gewerbevereine" von mir ausgearbeitet, jedoch noch nicht definitiv festgestellt ist, dessen Übermittlung ich auf portofreie Anfragen gern über nehme.
Wegen der Kosten, welche die Mitgliedschaft verursacht, wird
aber deren Beschränkung auf ein möglichst geringes Maß wünschenswert
sein, damit die unbemittelten Gewerbetreibenden nichts vom Beitritt ab hält.
Ein vierteljährlicher Beitrag sämtlicher einzelner Mitglieder —
von 2 */2 bis 5 Neugroschen — wird zur Erreichung der Vereinszwecke hinlänglich sein, und denkt man auch hier bei der in Aussicht stehenden zahlreichen Beteiligung für Anschaffung der nötigen Zeitschriften, Bücher
und Utensilien für das erste damit zur Genüge auszureichen. Delitzsch, im Oktober 1857.
Schulze-Delitzsch.
Schulze-Delitzsch.
4
II. Arbeit und Bildung. Bortrag, gehalten im Berliner Handwerker-Verein am 4. Februar 1861. Den deutschen Handwerker-, Arbeiter-Bildungs- und Gewerbe-Vereinen.
Berlin, Verlag von Franz Duncker.
Was läge wohl dem,
1861.
der in Ihren Verein tritt, näher, um davon
zu Ihnen zu sprechen, als die beiden Mächte, deren Vermittelung sich
derselbe zur Aufgabe gesetzt hat: Arbeit und Bildung*) das A und O,
Anfang und Endziel aller menschlichen Kultur.
Beide in ihren inneren
Bedingungen auf das engste miteinander verbunden, in engster Wechsel
beziehung zueinander, keine ohne die andere möglich — und doch in der Geschichte unseres Geschlechts, ja zum Teil auch in der Auffassung, in
den Zuständen unserer Tage vielfach im schroffen Gegensatz miteinander, gleichsam die beiden auseinandergerissenen Enden der Menschheit. Werfen wir einen Blick auf die Anfänge, die ersten rohesten Zu
stände der menschlichen Gesellschaft, wie sie bei den wilden Völkerschaften
entfernter Kontinente noch jetzt beobachtet werden können. wir nichts von jenem Zwiespalt.
Da finden
Arbeit und Bildung, beide noch
völlig unentwickelt, Roheit und Unfertigkeit allgemein.
Die Schwierig
keit, sich die zur leiblichen Notdurft unumgänglichen Bedürfnisse zu ver schaffen, welche in den höchst unvollkommenen Arbeitsmitteln ihren Grund
hat, nimmt die Kräfte aller dergestalt in Anspruch, daß ihnen zu eigent lichen Bildungsstrebungen nicht Zeit noch Lust bleibt.
zuerst die leibliche Existenz gesichert sein, ehe
Natürlich muß
man an etwas anderes
denken kann, und es währet lange Zeit, ehe man dahin gelangt, mehr als dem augenblicklichen Bedürfnis zu genügen und für die Zukunft
etwas zurückzulegen.
Indessen schärfen sich in diesem Kampfe um das
Leben Einsicht und Tatkraft des Menschen und allmählich lernt man immer leichter und vollkommener die nächsten und notwendigsten Auf
gaben lösen, bis endlich Vorräte sich sammeln und das eigentliche Haus halten beginnt.
Nun erst tritt der Zeitpunkt ein, wo eine Generation
der anderen ein stets wachsendes Erbe von Gütern und Erfahrungen übermacht. An die Stelle des Mangels tritt allmählich der Überfluß,
an die Stelle einer unsicheren, kümmerlichen Existenz ein gesichertes, be hagliches Dasein, und die Menschen kommen dazu, die edleren Keime ihrer Natur zu entwickeln.
Der Hungernde und Frierende, der Obdach-
*) Daß hier von Arbeit im engeren Sinn, der Gewerbetätigkeit der Produktion der zum Leben erforderlichen materiellen Güter die Rede ist, brauchen wir zur Verhütung von Mißverständnissen wohl kaum zu bemerken.
lose und Nackte haben während
eines solchen Zustandes keinen Sinn
für das Schöne und Erhabene, können keinen großen Gedanken nach
hängen, keiner Folge klarer Schlüsse sich hingeben.
Nicht einmal der,
welcher für den Augenblick zwar das dringendste Bedürfnis gefüllt hat, aber in steter Sorge für die nächste Stunde, der Ungunst jedes Zufalls
preisgegeben, dumpf in den Tag hineinlebt.
Ohne eine gewisse Sicherung
der äußeren Existenz sind dauernde Bildungsstrebungen weder bei dem
Daher bleibt die erste un
einzelnen, noch bei einem Volke denkbar. erläßliche
Voraussetzung
dazu:
die gesteigerte Leistungsfähigkeit
der Arbeit in Beschaffung der zum Leben notwendigen und nützlichen Güter. Es muß ein Überschuß der Gesamtproduktion über das
Gesamtbedürfnis stattfinden, welcher es gestattet, daß ein Teil der vorhandenen Kräfte sich anderen Zwecken widmen könne.
Solange noch
alle Kräfte in der Aufgabe der Versorgung mit des Leibes Nahrung
und Notdurft gleichsam
gebunden sind, ist
von
Anbahnung
höherer
Geistesbildung nicht die Rede.
So ist denn die Arbeit, die Tätigkeit für die leiblichen Lebens bedürfnisse, in doppelter Rücksicht die Mutter aller Bildung.
Ein
mal, weil sie allein die notwendige materielle Grundlage dazu beschafft, die Menschen erst in diejenige äußere Lage versetzt, welche dazu gehört,
jene höheren Aufgaben in den Kreis ihrer Bestrebungen zu ziehen.
So
dann aber zweitens, weil sie, neben jener äußeren Möglichkeit, auch
Von Haus aus träge, wird
die innere Befähigung dazu vermittelt.
der rohe Naturmensch nur durch die Not,
physische Bedürfnis dazu getrieben,
sich
nur durch das
zwingende
anzustrengen, seine Kräfte zu
gebrauchen. Das ist im Anfänge ein mühseliges, lästiges Ding. In dessen machen Übung und Gewöhnung es allmählich leichter, die geregelte TäÜgkeit führt zu geregeltem Genuß, und die Lust am Tun wächst mit
den Früchten desselben.
Und einmal geweckt, bleibt dieser Drang in den
Menschen für immer rege und läßt sie nicht bei jenen ersten Aufgaben stehen
bleiben,
deren Lösung ihnen von Tag zu Tag leichter wird,
sondern auf weiteres denken.
So erstarkt die Menschheit in der Arbeit
um die materielle Existenz, als in einer notwendigen Vorschule für alle höheren Strebungen, und so durchgreifend ist dieser Satz, daß überall, wo die Arbeit sich nicht entwickelt, auch die Bildung niemals rechten Fuß
gefaßt hat. Blicken Sie auf die wilden Horden der Polar- und Tropen gegenden.
Wohnhaft in Ländern, wo die Natur entweder so feindlich
gegen den Menschen auftritt, daß selbst seine größten Anstrengungen ihr
nur das kümmerlichste Dasein abzuringen vermögen, oder wo sie mit
6
Schulze-Delitzsch.
verschwenderischer Hand selbst die Tafel für ihn deckt, ohne daß er viel mehr zu tun braucht, als eben zuzugreifen: ist die Trägheit, die Unlust zur Arbeit vorherrschend und die Menschen befinden sich in Zuständen von Rohheit noch jetzt, wie sie bei ihren Vorfahren am Anfänge aller Geschichte nicht viel ärger gewesen sein können. Trotz dieser innigen Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Bildung gingen indessen die Wege beider in der alten Zeit scheinbar weit aus einander. War man allmählich auch bei einzelnen Völkern zu dem von uns angedeuteten Punkte gelangt, wo das Gesamtarbeitsresultat einen Überschuß über das dringendste leibliche Bedürfnis aller lieferte, so war doch die Arbeit, bei der noch immer andauernden großen Unvollkommen heit der Arbeitswerkzeuge und Methoden, auch jetzt noch so hart und schwer, daß die ganze Kraft des Arbeiters dabei erschöpft wurde und er darüber sogar die Disposition zu weiteren Dingen verlor. Deshalb drängte der Gang der Dinge von selbst zu dem Ausweg: „daß man die beiden Hauptrichtungen menschlicher Bestrebungen, die beiden Hauptseiten menschlicher Entwicklung als unvereinbar unter verschiedene Personen teilte." So schied sich die Menschheit in zwei einander entgegengesetzte Hälften. Damit die eine — die günstiger gestellte — die Freien, die Vollbürger — der aufreibendsten Beschäftigung für das gemeine Be dürfnis überhoben, sich ganz den höheren geistigen Aufgaben im öffent lichen wie int Privatleben, der Wissenschaft, Kunst, Politik widmen könnten, wurde die andere — die Sklaven — rechtlos, der freien Persönlichkeit beraubt, wurde ihnen allein die ganze Last der niederen Erwerbstätigkeit aufgebürdet und so jene Kluft geschaffen, die so ver hängnisvoll und doch in den Zeitverhältnissen so tief begründet war. Denn das können wir uns nicht verhehlen, daß bei der niedrigen Stufe der Industrie — noch in der Blütezeit der Griechen und Römer wurde z. B. das Getreide von Sklaven auf Handmühlen vermahlen — der Fort
schritt der Zivilisatton kaum um andern Preis zu erkaufen war. Damit die eine Halbscheid der Menschen ihre Bahnen betreten konnte, mußte die
andere auf jeden Anteil daran, ja auf die eigene Menschheit verzichten. Wirklich war das soziale Dogma des Altertums in dem Satze beschlossen: daß Bildung und Gesittung mit jedem höher« Streben und veredeltem Lebensgenuß, Vollgeltung in Staat und
Gesellschaft nur für einen Teil, nicht für die Gesamtheit der Menschen möglich sei, daß vielmehr der andere Teil geopfert, zum Dienste des Lasttiers erniedrigt werden
müsse, damit der erstere Zeit und Kraft frei behalte, den
höchsten Zielen unseres Geschlechts zuzustreben. Die Exklusivität, die Ausschließlichkeit war das Grundelement
Wie sich ein Volk dem
der antiken Gesellschaft.
andern
mit seinen
Nationalgöttern als bevorzugt entgegensetzte, die andern als Barbaren, Fremde, Philister sich gegenüber als preisgegeben betrachtete, so standen
wiederum innerhalb des Volks jene Hauptklassen sich einander entgegen, die Herren und Sklaven,
die Freien und die niedrigen Arbeiter.
Und so vollständig stimmte dies mit der damaligen industriellen und
humanen
Entwicklungsstufe,
so
vollständig
wurzelte
namentlich
die
Sklaverei in der Lebensanschauung und Lebenshaltung der Zeit, daß dieselbe allgemein als ein durch das allgemeine Bedürfnis wie durch die
allgemeine Sitte geheiligtes völkerrechtliches Institut aufgefaßt wurde. So erklärt es sich einesteils, daß wir selbst bei den erleuchtetsten Geistern
des Altertums niemals einem Bedenken gegen die humane Berechtigung der Sklaverei begegnen; andernteils, daß sich die davon so hart Be troffenen ihr mit einer uns unbegreiflichen Resignation fügten.
Die
Arten, wie jemand der Sklaverei verfiel, standen rechtlich ein für allemal
fest und wer in den Fall kam, sei es der Kriegsgefangene, der an fernen Küsten Schiffbrüchige, der zahlungsunfähige Schuldner, hatte es zu nehmen wie ein Götterverhängnis.
Sklaven
mußte man
nun
einmal haben,
darüber waren alle einig, mochte sich jeder hüten, wie er konnte, daß ihn
das Los nicht traf.
Wirklich verdanken wir diesem Gange der Dinge das ganze reiche Erbe, welches wir aus jenen frühen Zeiten überkommen haben, alle jene
unvergänglichen
Schätze
der
Wissenschaft
und Kunst,
an welche die
moderne Bildung erst wieder anknüpfen mußte, um sich aus der Ver
sunkenheit des Mttelalters, aus dem Wust von Geistesdruck und Pfaffen
blödsinn emporzuarbeiten. Aber eben darum sollten wir auch, so ost wir der großen Männer gedenken, welche jene unsterblichen Werke schufen,
uns zugleich dankbar der Unglücklichen, Verstoßenen erinnern, auf deren
Schultern jene erst zu den Höhen des Lebens emporgetragen wurden, wo allein die freie Schöpferkraft gedeiht. Wohl verzeichnet die Geschichte
viel glänzende Namen von Fürsten und Führern im Reiche des Geistes — aber die tausend und abertausend Seufzer jener Dulder, die, um das beste Teil ihres Selbst verkürzt, mit Schweiß und Blut die Fundamente
jener herrlichen Denkmale kitteten, davon schweigen ihre Blätter. Jahrtausende vergingen auf diese Weise, in denen sich das soziale
Lebensprinzip des Altertums in Kraft erhielt, bis
es im äußersten
Schulze-Delitzsch.
8 Materialismus erstarrte.
Indem die bevorzugten Klassen ihre Stellung
zur Fröhnung des raffiniertesten Sinnengenusses mißbrauchten, vergaßen
fie völlig aller höheren gemeinnützigen Bestrebungen, worin doch einzig
die Berechtigung dieser Stellung lag.
Da, während noch im Römerreich
der volle Glanz äußerer Macht die schon beginnende innere Fäulnis
bedeckte, brach sich das Christentum aus den Tiefen der gedrückten Menschheit Bahn, gleich einem Quell in der Wüste, eine neue Welt des
Geistes und Gemütes erschließend und mit den alten Göttern zugleich
stürzte jenes Dogma der sozialen Ausschließlichkeit.
In der allgemeinen
Gotteskindschaft aller Menschen, in der gleichmäßigen Berufung
aller Völker wurde der Fluch aufgehoben, der auf den verstoßenen
Klassen und Stämmen lastete, wurde die gleiche Bestimmung eines jeden anerkannt, die ganze volle Menschheit in sich zu hegen und zu entwickeln.
Bildung und Gesittung das Gemeingut aller!
Dies die große,
erschütternde Losung der Christuslehre, die ungeheure Umwälzung in den
Grundvorstellungen der Zeit, womit das Verdammungsurteil gesprochen war über die Sklaverei wie über die ganze antike Gesellschaft.
Aber lange und schwere
Jahrhunderte
vergingen, ehe
die
hohe,
welterlösende Idee sich auch nur in schwachen Anfängen zu verkörpern begann und wie weit wir noch jetzt vom Ziele sind, brauche ich nicht
zu
sagen.
Nur
der Gesellschaft.
sehr
vollzieht
langsam
sich
der
Läuterungsprozeß
Von der Sklaverei zur Leibeigenschaft, zu den
verschiedenen Graden der Gebundenheit an Scholle und Beschäftigung,
von der unbedingten Zwangsarbeit zum Frohndienst war ein weiter Weg und es kostete schwere Kämpfe, ehe die hörigen Leute, welchen die gewerbliche Arbeit meist zugewiesen war, zum freien Städtebürgertum
des Mittelalters sich emporrangen.
Und wird auch gegenwärtig in den
neuern Kulturstaaten die bürgerliche Freiheit,
die Gleichheit vor dem
Gesetze für alle Klassen festgestellt und somit der Bann des Gesetzes von den Arbeitern genommen: unsere Tage hinein.
tatsächlich klafft die Spalte noch bis in
Die Forderungen des materiellen Bedürfnisses sind
so gesteigert, es gehört soviel mehr dazu, sich durchzubringen, sich ein Wissen anzueignen, daß wir trotz der verbesserten Bolkserziehung noch immer keine kleine Zahl von Arbeitern in geistiger Verkümmerung, ja zum Teil in sittlicher Verwilderung von den Segnungen der Zivilisation
so gut wie ausgeschlossen sehen.
Ja, selbst nicht wenige bisher gesicherte
Existenzen, zum Beispiel in unserm Handwerkerstande, fühlen sich in ihrer Lage bedroht, durch die völlige Revolutton in den alten Produktions und Betriebsmethoden, durch welche sie von ihrer Selbständigkeit herab-
gedrückt und der Ausbeutung des Grotzkapitals überliefert zu werden fürchten;
ein Umstand, der sie mit Unmut und Mißtrauen gegen den Verlauf der Dinge erfüllt und sie den Ansprüchen der Gegenwart immer mehr zu entfremden droht.
Und doch ist gerade in diesem von manchem so verkannten und gefürchteten Entwicklungsgänge
der neuern
Industrie
erst die
entschiedene Wendung zum bessern enthalten, welche sich Bahn brechen wird, sind nur erst die Wehen der Übergangsperiode überwunden, wie sie von jeder
solchen Krisis
untrennbar sind.
Indem die neueren
Forschungen und Entdeckungen, besonders im Gebiet der Naturwissen schaften, mehr und mehr die Naturkräfte zu menschlichen Arbeits zwecken zu Gebot stellen, steigert sich einmal die Produktionsfähigkeit
Grade und wir gelangen zu immer
der Arbeit in außerordentlichem
leichterer und billigerer Befriedigung unserer Bedürfnisse.
Weiter aber —
und dies können wir nicht genug betonen — ersetzen jene Naturkräfte mehr und mehr die bloß mechanische Muskeltätigkeit des Arbeiters und so entstehen höhere Ansprüche an die Einsicht, an das geistige Verständnis
der Arbeiter, um die Arbeitsvorgänge zu leiten, die eingreifenden Kräfte zu beherrschen.
Das Handwerk geht mehr in Kopfwerk über, es
treten Verstandeskombinationen
ein,
wo bisher
nur körperliche Kraft
und Geschicklichkeit entschied, es wird eine andere, mehr wissenschaftliche Vorbildung nötig.
So vollzieht sich, unmerklich aber unablässig, und
ohne daß eine menschliche Gewalt es zu verhindern vermöchte, ein großer
weltgeschichtlicher Prozeß vor unseren Augen, von unberechenbaren Folgen für die Zukunft der arbeitenden Klassen.
Ich möchte ihn die Ver
geistigung der Arbeit nennen, mittelst deren der Arbeiter seine höheren
Anlagen bei seiner unmittelbaren Berufstätigkeit immer mehr beteiligt
und die niedrigste und aufreibendste Art der Körperanstrengung mehr und mehr von ihm genommen und den Naturkrästen aufgebürdet wird.
Nur auf diesem Wege steht die wahre Emanzipation des Arbeiters zu hoffen, die Emanzipation nicht von äußerer Knechtung und fremder
Gewalt — die hat sich längst vollzogen — sondern von den eigenen, ihm selbst anklebenden Mängeln, von der Gebundenheit, dem Verkommen
seiner edelsten Kräfte.
Erst wenn Wissenschaft und Kunst als Gehilfen
in die Werkstätte treten, wird der Druck von seiner sozialen Stellung genommen,
und
die
nachhaltige
Versöhnung
zwischen
Arbeit
und
Bildung wird herbeigeführt, indem die Bildung als Arbeitsmittel, als das unentbehrliche Werkzeug des Arbeiters auftritt.
Freilich hat sich der Blick unserer arbeitenden Klassen noch nicht
überall so geklärt, um dieses erhabene Ziel mit vollem Bewußtsein in
10
Schulze-Delitzsch.
das Auge zu fassen. Indessen, wie sich auch ein Teil der älteren Hand werker gegen die Erkenntnis noch sträubt, er wird täglich kleiner, und die junge Heranwachsende Generation bezeugt durch ihre Haltung, daß
sie wohl begreift, um was es sich für sie handelt. Welche Rührigkeit, welches ernste Streben in den Hunderten von Handwerker-, Gewerbe-
und Bildungsvereinen, in den Fortbildungsschulen, wie wird da die Gelegenheit benutzt, zu lernen! Vor kurzem erst hatte ich Gelegenheit, dem Feste beizuwohnen, welches der Arbeiterbildungsverein in Hamburg, einer der ältesten und bestorganisierten in Deutschland,
beging, die von ihm erworbenen und neugebauten, großartigen Räume zu weihen, und war Zeuge des trefflichen Geistes, der die tausende seiner Mitglieder beseelte. Doch, was bedarf es weiteren Zeugnisses — stehe ich nicht vor dem Handwerker-Verein der Preußischen Hauptstadt, der während der kurzen Zeit seines Bestehens als Musteranstalt fördernd und anregend auf das ganze Land gewirkt hat? Eine Elite von Handwerkern und Arbeitern, von Lernenden auf der einen und eine Elite von Ordnern und Lehrenden auf der andern Seite, wie sie nur eine solche Stadt, ein solcher Mittelpunkt wissenschaftlichen und gewerblichen Lebens zu vereinigen vermag! — Aber wie auch die Vereine unserer Provinzial- und Landstädte gegen den Ihrigen zurück stehen müssen, so geht doch auch von ihnen viel des guten und löblichen aus. Und überall treten einem der Bildungsdrang und die Bildungsfähigkeit unserer Handwerker auf das Erfreulichste ent gegen und machen es selbst für die Gebildetsten zu einer wahren Lust, unter den frischen Männern und Jünglingen zu weilen und das ihrige zur Förderung der Vereinszwecke beizutragen. Es ist gar nicht leicht für die wackeren Leute, die Opfer an Zeit und Geld zu bringen, welche das Vereinsleben fordert; es gehört ein ernster und fester Wille dazu, die knappen Freistunden, besttmmt zur Ruhe und Erholung, einer andern,
oft nicht weniger anstrengenden Arbeit, dem Lernen zu widmen. Aber welche schöne, große Aussicht eröffnet sich auch beim beharrlichen Ver folgen des gesteckten Zieles: Die Forderung des ganzen vollen Menschentums für den Arbeiter! Weshalb wären denn — so dürfen wir dann ausrufen — Kraft und Trieb zu höherer Entfaltung gleichmäßig von der Natur in alle Menschen gelegt, wenn ein Teil von Haus aus dazu bestimmt sein sollte, sie geflissentlich zu ersticken? — Es ist nicht wahr, nicht jetzt, nicht für unsere Tage mehr wahr, daß die
einen geistig verkümmern müßten, damit die andern in den Stand gesetzt würden, großen Gedanken, erhabenen Gefühlen sich zu widmen. Die
Kulturaufgabe der Menschheit erfordert die Kräfte aller und die gemein same Arbeit gibt das gemeinsame Recht.
göttliche Funke eingeboren,
Ist doch uns allen derselbe
lebt doch uns allen derselbe ewige Drang
im Busen, und wenn so die Gottheit unserem Geschlecht selbst die Bahnen weist, die zu ihr führen, erhebt sie keine Menschenopfer als Wegsteuer! —
Es ist wunderbar, wie selbst in den finstersten Perioden die Ahnung
von einer solchen bessern Zeit die gedrückte Menschheit niemals verlassen hat. Nehmen Sie die alten ehrwürdigen Überlieferungen vom ver lorenen Paradies, vom goldenen Zeitalter unter dem Gott Saturn, dem zu Ehren die Römer alljährlich das bekannte Fest der
Saturnalien feierten, wo Herren und Sklaven die Rolle wechselten, wo die Sklaven zu Tisch saßen
daß
und ihre Herren sie bedienten.
Nur
nach besseren Zuständen sich in die Vergangenheit
die Sehnsucht
verirrte, weil das entmutigte Geschlecht daran verzweifelte, sie jemals zu
In gleichem Sinne ver
schauen und sie als ewig verloren betrauerte.
weist unsere Kirche
die Gläubigen
Söhne unserer Tage goldenen Zeiten,
erheben
an
kühn
eine andere Welt.
Allein die
das Haupt und wissen,
von denen die Dichter singen,
daß jene
nicht hinter uns,
sondern vor uns liegen, daß sie nicht der Anfangspunkt der Mensch
heit sein können,
Jahrtausende
sondern das
langsam
Endziel sind,
entgegenreifen.
dem wir im Laufe der
Auch läßt man sich nicht mehr
durch das Verweisen auf ein Jenseits abhalten, das erhabene Ziel schon hienieden
anzustreben.
Das ist ja das wahrhaft Menschenwürdige in
uns, daß wir mit allen Kräften darnach ringen, das Wahre und Rechte, das Schöne und
Gute zu erkennen, und das als solches Erkannte in
allen Verhältnissen des praktischen Lebens zu verwirklichen. ans Werk; der Arbeit mit der Bildung im
Drum rüstig
Vereine ist kein Ziel zu
hoch, keine Aufgabe zu schwer, daß sie davor zurückscheuten.
Nur so
wird es geschehen, daß die Menschheit dereinst ihre großen Saturnalien feiert, wo
die Arbeit in
Wissenschaft ihr dient. geweiht.
den Ehren
des
Festes Tafel hält, und die
Solchem Kultus sind die Stätten dieses Hauses
Möge ihnen die rechte Gemeinde niemals fehlen!
III. Schreiben a« die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin vom 28. Februar 1861. (Aus der „Volkszeitung" Jahrg. 1861.)
Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern
des
HL Berliner Wahlbezirks um Aufschluß
über die von mir an-
Kulturaufgabe der Menschheit erfordert die Kräfte aller und die gemein same Arbeit gibt das gemeinsame Recht.
göttliche Funke eingeboren,
Ist doch uns allen derselbe
lebt doch uns allen derselbe ewige Drang
im Busen, und wenn so die Gottheit unserem Geschlecht selbst die Bahnen weist, die zu ihr führen, erhebt sie keine Menschenopfer als Wegsteuer! —
Es ist wunderbar, wie selbst in den finstersten Perioden die Ahnung
von einer solchen bessern Zeit die gedrückte Menschheit niemals verlassen hat. Nehmen Sie die alten ehrwürdigen Überlieferungen vom ver lorenen Paradies, vom goldenen Zeitalter unter dem Gott Saturn, dem zu Ehren die Römer alljährlich das bekannte Fest der
Saturnalien feierten, wo Herren und Sklaven die Rolle wechselten, wo die Sklaven zu Tisch saßen
daß
und ihre Herren sie bedienten.
Nur
nach besseren Zuständen sich in die Vergangenheit
die Sehnsucht
verirrte, weil das entmutigte Geschlecht daran verzweifelte, sie jemals zu
In gleichem Sinne ver
schauen und sie als ewig verloren betrauerte.
weist unsere Kirche
die Gläubigen
Söhne unserer Tage goldenen Zeiten,
erheben
an
kühn
eine andere Welt.
Allein die
das Haupt und wissen,
von denen die Dichter singen,
daß jene
nicht hinter uns,
sondern vor uns liegen, daß sie nicht der Anfangspunkt der Mensch
heit sein können,
Jahrtausende
sondern das
langsam
Endziel sind,
entgegenreifen.
dem wir im Laufe der
Auch läßt man sich nicht mehr
durch das Verweisen auf ein Jenseits abhalten, das erhabene Ziel schon hienieden
anzustreben.
Das ist ja das wahrhaft Menschenwürdige in
uns, daß wir mit allen Kräften darnach ringen, das Wahre und Rechte, das Schöne und
Gute zu erkennen, und das als solches Erkannte in
allen Verhältnissen des praktischen Lebens zu verwirklichen. ans Werk; der Arbeit mit der Bildung im
Drum rüstig
Vereine ist kein Ziel zu
hoch, keine Aufgabe zu schwer, daß sie davor zurückscheuten.
Nur so
wird es geschehen, daß die Menschheit dereinst ihre großen Saturnalien feiert, wo
die Arbeit in
Wissenschaft ihr dient. geweiht.
den Ehren
des
Festes Tafel hält, und die
Solchem Kultus sind die Stätten dieses Hauses
Möge ihnen die rechte Gemeinde niemals fehlen!
III. Schreiben a« die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin vom 28. Februar 1861. (Aus der „Volkszeitung" Jahrg. 1861.)
Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern
des
HL Berliner Wahlbezirks um Aufschluß
über die von mir an-
12
Schulze-Delitzsch.
geregten Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter in Deutschland
zu genügen, gebe ich hier eine kurze Erörterung dieser Bestrebungen, indem ich wegen Organisation und Einrichtung der Vereine im einzelnen auf die von mir veröffentlichten Schriften: Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter und Vorschuß- und Kreditvereine verweise. Es ist bekannt, wie tief die Arbeiterfrage in die politischen Kämpfe der Gegenwart eingreist. In dem dunklen Gefühl, daß die wichtigsten poliüschen Rechte ihnen nichts nützen, solange nicht ihre materielle Lage verbessert sei, haben die beteiligten Klassen sich nicht selten zu den ver kehrtesten Forderungen und Bestrebungen in dieser Richtung hinreißen lassen. Namentlich ist seit dem berüchtigten „panem et circenses“ des römischen Proletariats der Versuch, die Garantie eines gesicherten Daseins vom Staate zu verlangen, wiederholentlich, wenn auch stets ohne Erfolg, auf getaucht. Ja, neuerdings hat man dies in den sozialistischen Schulen Frankreichs bis zu dem förmlichen System des sozialen Staates aus gebildet, wonach alle Initiative, Gewinn und Risiko im Erwerbe, dem einzelnen genommen und der Staatsgesellschaft aufgebürdet wird, welche als allgemeine gewerbliche Unternehmerin, jeder Konkurrenz entrückt, da steht und sämtliche Staatsangehörige nach Bedürfnis beschäftigt und lohnt. Ich werde mich nicht bei einer Kritik dieser ungeheuerlichen Aus geburt aufhalten, da wenige Sätze für meinen Zweck genügen. Es gibt nichts Verkehrteres und Gefährlicheres, als die Masse an die Vorstellung zu gewöhnen, als könnte nichts selbständig aus eigener Kraft bestehen. Denn notwendig beraubt man sie so jedes wirtschaftlichen und sittlichen Halts und lähmt die wirksamsten Impulse zu Fleiß, Tüchtigkeit und
„Die Natur hat dem Menschen Bedürfnisse ge geben, zugleich aber auch Kräfte, deren richtiger Gebrauch ihn zur Be friedigung seiner Bedürfnisse führt" — dies der Fundamentalsatz aller Sparsamkeit in ihnen.
Wirtschaft; seine Konsequenz: die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen
für seine Existenz. Diese Verantwortlichkeit einem Dritten, dem Staate (und das heißt doch nichts anderes als den übrigen Gesellschaftsklassen) aufbürden, den einzelnen entheben, die Folgen seines Tuns und Lassens zu tragen, heißt, seine Zurechnungsfähigkeit und in ihr jede Möglichkeit des geselligen Zusammenlebens der Menschen in Frage stellen. Nun ist zwar eben durch die Verkehrtheit solcher utopischer Versuche
schon von selbst dafür gesorgt, daß von ihrer Durchführung auf die Dauer niemals die Rede gewesen ist, noch die Rede sein kann, daß sie
nur für den Augenblick Verwirrung anrichten.
Allein, außerdem führen
sie noch das große Übel mit sich, daß sie jede geordnete Entwicklung der öffentlichen Zustände, jede noch so hoffnungsvoll begonnene Bewegung
sofort stören, sofort einen Rückschlag bewirken, sobald sie sich einmischen. So groß ist der instinktive Abscheu der besitzenden Klassen davor, daß sich
die Mehrheit derselben sofort zurückzieht und, um nur die bedrohte Ge sellschaft zu retten, lieber den politischen Fortschritt preisgibt und sich jeder noch so willkürlichen Gewalt in die Arme wirft, welche ihr Schutz
vor dem gefürchteten Umsturz verspricht.
Tritt ein solcher Bruch ein Ich kenne keine einzige
mal ein, so hat die Reaktton leichtes Spiel.
große polittsche Bewegung, die zur Feststellung dauernder gedeihlicher
Zustände geführt hätte, von welcher sich Intelligenz und Besitz zurück
zogen. stände
Die Spaltung
insbesondere
zwischen
dem
gebildeten Mittel
und den Arbeitern, zwischen Kopf und Arm der Nation, hat
jedesmal zum Siege der Reaktion
so wird es in Zukunft sein,
geführt.
So ist es immer gewesen,
und deshalb erscheint es selbst vom rein
politischen Standpunkte dringend
geboten,
jenem
an sich
berechttgten
Drange in unserer Arbeiterwelt nach Verbesserung ihrer Lage die rechten
Bahnen zu weisen.
Zeige
man
den wackeren Leuten, wie ihr wohl
verstandenes Interesse nicht im vergeblichen Ankämpfen gegen die urewigen Mächte und Gesetze des Verkehrs, sondern darin besteht, daß sie mehr
und mehr lernen, sich derselben zum eigenen Vorteil
bedienen.
Dahin
eben zielen die von mir angeregten Organisationen, die Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter, durch Vereinigung vieler Keinen Kräfte eine Großkraft zu bilden und so dem einzelnen die notwendigsten Vor
bedingungen lohnender gewerblicher Tätigkeit zu sichern.
Ich kann, wie
gesagt, hier nicht auf das Nähere eingehen, nur das allen gemeinsame Prinzip will ich kurz berühren: es ist die Selbsthilfe.
Da wird jede
Subvention von außen verworfen, da gewöhnt man vor allem die Ge
nossen, auf eigenen Füßen zu stehen, um in sich selber die Eigenschaften
zu entwickeln, welche das Gelingen auf dem Felde des Erwerbes bedingen. Überall knüpfen wir an das Bestehende an und erkennen im Privat eigentum und der freien Konkurrenz die mächtigen Hebel der Zivilisation, im Kapital den besten Freund des Arbeiters, indem wir den künstlich
durch Unverstand und bösen Willen genährten Konflikt zwischen beiden dadurch ausgleichen, daß wir den beftuchtenden ©front des Kapitals so
viel als möglich dem Geschäft des nnbemittelten Arbeiters zuführen. Es wäre im Angesicht einer
so umfassenden Aufgabe gewiß eine
lächerliche Vermessenheit, wollte ich das bisher Geleistete für mehr als einen Anfang ausgeben.
Indessen sind wir in den letzten Jahren so weit
14
Schulze-Delitzsch.
gediehen, daß die Möglichkeit, auf dem eingeschlagenen Wege praktisch etwas zu leisten, entschieden dargetan ist. In mehr als 300 deutschen Städten befinden sich in diesem Augen blick 400 bis 450 solcher Genossenschaften in Tätigkeit, mit einer Ge samtmitgliederzahl von 70000 bis 80000 Köpfen, größtenteils im nörd
lichen Deutschland, indem der Süden bis jetzt noch sehr schwach vertreten ist, und die Aushilfe der arbeitenden Klassen dort — am meisten in
Bayern — mehr durch amtliche Institute unter Regierungssubvention vermittelt wird. Der Gesamtumsatz unserer Genossenschaften, von denen bereits jetzt eine große Anzahl Abschlüsse vorliegen, muß für das Jahr 1860 auf mindestens 14 bis 16 Millionen Taler geschätzt werden, ihr Gesamt fonds auf 3*/4 bis 4 Millionen Taler, wovon etwa 600000 bis
700000 Taler, aus vorläufigen geringen Beisteuern und zugeschriebener Dividende angesammelt, den Mitgliedern bereits gehören, das übrige durch Anleihen unter ihrer Solidarhaft zusammengebracht ist. Wegen der Resultate der früheren Jahre verweise ich auf meinen Jahresbericht für 1859 über die auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter (Leipzig 1860 bei G. Dkayer), indem der die speziellen Nachweise und statistischen Tabellen pro 1860 enthaltende Bericht nicht vor Mai ausgegeben werden kann, weil bis dahin noch eine große Anzahl von Rechnungsabschlüssen der einzelnen Vereine eingeht. Nun breiten sich unsere Vereine in neuester Zeit immer rascher aus und
werden immer populärer, so daß sich ihre Zahlen in wenigen Jahren friedlicher Entwicklung sicher verzehnfachen, wo dann eine schon sehr fühl bare Rückwirkung auf die Hebung der beteiligten Stände nicht ausbleiben kann. Und wie dies auch in die politische Entwicklung in doppelter Hin sicht förderlich eingreifen muß, springt in die Augen. Einmal schafft man so den niederen Volksschichten die Möglichkeit
für eine wirklich fruchtbare Beteiligung bei der Politik und gewinnt in ihren Sympathien für verfassungsmäßige Zustände die besten Hüter von Ordnung und Gesetz, was niemand gering anschlagen wird. Vor allem hat die Volkspartei die dringendste Ursache, der Sache die vollste Auf merksamkeit zu widmen. Will sie, daß ihr Programm: „die Beteiligung des ganzen Volkes an den Staatsangelegenheiten mittels des allgemeinen
Stimmrechts", zur Wahrheit werde, will sie ihren Namen wirklich durch Sorge für das Volkswohl verdienen, so muß sie hier beginnen, eine
wirklich nachhaltige Arbeit nicht scheuen, sonst wird sie niemals zum Ziele gelangen. Die zweite Frucht von nicht geringerem Belang ist eben die Aus-
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
15
gleichung des unheilvollen Bruches zwischen den liberalen Parteien, der, wie ich andeutete, hauptsächlich auf sozialem Felde anhub und allein der
Reaktion zugute kommt. Zeigen wir in der Arbeiterfrage das wahrhaft Konservative unserer Grundsätze, leiten wir immer mehr den «Strom der Arbeiterbewegung von jenen verderblichen sozialpolitischen Träumereien ab auf wahrhaft erprobte volkswirtschaftliche Bahnen und das Mißtrauen, die Furcht vor dem roten Gespenst, die so viele wackere Männer dem Fortschritt entfremdet haben, werden schwinden und wir werden manchen früheren Mitkämpfer wieder in unseren Reihen sehen, der sich bisher scheu davon zurückgezogen hat. Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunst aller politischen
Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen Frage abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.
Delitzsch, am 28. Februar 1861.
IV. Rede, gehalten in der Arbeiterversammlung z« Berlin am 2. November 1862.*) (Aus der „Volkszeitung": Jahrg. 1862.)
Meine Herren, ich habe von verschiedenen der Herren Vorredner
gehört, wie sehr auch in der Arbeiterfrage, die Ihrer Ansicht nach eine nicht politische ist, die Politik immer wieder von dieser oder jener Seite
zur Sprache gebracht worden ist. Ich werde versuchen, diese Frage nach ihrer sozialen Tragweite und getrennt von der Politik zu behandeln. *) Zu der Londoner Industrieausstellung 1862 war auch auf Veranlassung liberaler Sozialpolitiker eine Reihe deutscher Arbeitervertreter entsandt worden. Schon bald nach ihrer Rückkehr tauchte in Berlin und Leipzig der Gedanke auf, einen deutschen Arbeiterkongreß zu veranstalten. In Berlin wie in Leipzig wurden Komitees zur Vorbereitung des Kongresses gewählt. Das Berliner Komitee ver-
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
15
gleichung des unheilvollen Bruches zwischen den liberalen Parteien, der, wie ich andeutete, hauptsächlich auf sozialem Felde anhub und allein der
Reaktion zugute kommt. Zeigen wir in der Arbeiterfrage das wahrhaft Konservative unserer Grundsätze, leiten wir immer mehr den «Strom der Arbeiterbewegung von jenen verderblichen sozialpolitischen Träumereien ab auf wahrhaft erprobte volkswirtschaftliche Bahnen und das Mißtrauen, die Furcht vor dem roten Gespenst, die so viele wackere Männer dem Fortschritt entfremdet haben, werden schwinden und wir werden manchen früheren Mitkämpfer wieder in unseren Reihen sehen, der sich bisher scheu davon zurückgezogen hat. Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunst aller politischen
Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen Frage abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.
Delitzsch, am 28. Februar 1861.
IV. Rede, gehalten in der Arbeiterversammlung z« Berlin am 2. November 1862.*) (Aus der „Volkszeitung": Jahrg. 1862.)
Meine Herren, ich habe von verschiedenen der Herren Vorredner
gehört, wie sehr auch in der Arbeiterfrage, die Ihrer Ansicht nach eine nicht politische ist, die Politik immer wieder von dieser oder jener Seite
zur Sprache gebracht worden ist. Ich werde versuchen, diese Frage nach ihrer sozialen Tragweite und getrennt von der Politik zu behandeln. *) Zu der Londoner Industrieausstellung 1862 war auch auf Veranlassung liberaler Sozialpolitiker eine Reihe deutscher Arbeitervertreter entsandt worden. Schon bald nach ihrer Rückkehr tauchte in Berlin und Leipzig der Gedanke auf, einen deutschen Arbeiterkongreß zu veranstalten. In Berlin wie in Leipzig wurden Komitees zur Vorbereitung des Kongresses gewählt. Das Berliner Komitee ver-
16
Schulze-Delitzsch.
Sie haben gewünscht, eine Meinung auch von mir über Ihr Vor haben zu hören. Wenn dieser Wunsch auch vielleicht schon in der guten Meinung von meinen vielfachen Bestrebungen für den Arbeiterstand bei
Ihnen begründet war, so, glaube ich, hat doch auch der Umstand zu meiner Einladung beigetrageu, daß ich in diesem dritten Berliner Wahl
kreise, wo Sie jetzt tagen, Deputierter bin zu unserem preußischen Ab geordnetenhause und daß mich ein persönliches Band gerade an die Arbeiter — denn der dritte Berliner Wahlbezirk ist der industriereichste im ganzen Staate — ganz besonders fesselt. Unter meinen Wahlmännern habe ich sehr viele Arbeiter, und hier erwähne ich eines Punktes, der von einem der Redner*) vor mir geltend gemacht wurde, indem er meinte, der Arbeiterstand habe gar nicht recht Zeit, sich um Politik zu kümmern. Meine Herren, wenn Sie die nicht gehabt hätten, dann stände ich wahr scheinlich nicht als Arbeiter vor Ihnen. Sie wollen einen Arbeiterkongreß veranstalten; das wollen wir ein mal nicht bloß an und für sich betrachten, sondern wir wollen es in
Zusammenhang bringen mit dem großen Zuge unserer Zeit. öffentlichte am 22. Oktober 1862 in der „Volkszeitung" die Einladung zu dem Kongreß, der für die Zeit vom 18. bis 25. November in Aussicht genommen war. In der gleichen Nummer wandte sich A. Streckfuß, ein bekannter Fort schrittler, gegen diese Idee; in dieser Zeit einer politischen Krise sei daraus eine Schwächung der liberalen Opposition zu befürchten. „Es kann für die im finstern arbeitenden Feinde der Freiheit keinen günstigeren Anhaltspunkt: geben, als die jetzige so unzeitgemäße Arbeiterbewegung." Er erwähnte den ^allerdings un begründeten Verdacht, die Sache geht von der Redattion aus". Die Versammlung vorn 2. November sollte nun die Entscheidung bringen; an ihr nahmen als Ver treter des Leipziger Komitees die späteren Anhänger Lassalles Fritzsche und Vahlteich teil. Von Führern der Fortschrittspartei waren neben S chulze Streckfuß und v. Unruh zugegen. Schulze nahm in seiner Rede Bezug auf das von dem Komitee aufgestellte Kongreßprogramm: 1. die Einführung der Gewerbefreihett und 2. der Freizügigkeit durch ganz Deutschland, 3. die Beratung und Fest stellung von Grundstatuten für Asioziattonen und für Jnvalidenkassen für alle Arbeiter, 4. die Arrangierung einer Welt-Industrieausstellung zu Berlin in den nächsten Jahren. Schulze fand nicht bloß den begeisterten Beifall, sondern auch Zusttmmung zu seinem Vorschlag einer Verlegung und zwar wurde Leipzig statt Berlin auf Vorschlag der Leipziger Vertreter in Aussicht genommen. Auf Anrufen des Leipziger Komitees verfaßte dann im Februar 1863 Laffalle sein „Offenes Antwortschreiben", das von der Berliner Versammlung und von Schulzes Rede ausgeht. Damit war der offene Krieg zwischen Lassalle und der Fort schrittspartei, insonderheit zwischen Lassalle und Schulze ausgebrochen. D. Hrsgb. *) Es war dies ein Arbeiter namens Lippke, der Streckfuß wegen seines Artikels in der „Volkszeitung" hefttg angriff. D. Hrsgb.
Unter manchem Drucke und mancher Ungunst der Verhältnisse hat mich in meinen Hoffnungen für eine Bessergestaltung unseres öffentlichen
Lebens immer das eine aufrechterhalten: daß das Volk in allen Schichten
sich mehr und mehr gewöhnt, sein eigenes Wohl und Wehe, die Ge staltung seiner Geschicke selber in die Hand zu nehmen. Nur diesem Grundzuge unserer Zeit dürfen Sie zuschreiben die
Unzahl von Kongressen, von Vereinen, die sich den verschiedensten Be strebungen widmen, den Juristentag, den Handelstag, den Handwerkertag, die Versammlungen der Land- und Forstwirte, den Nationalverein.
Jede
Vereinigung hat ihr besonderes Arbeitsfeld; der letztgenannte Verein z. B.
nimmt die Frage der poliüschen Fortgestaltung Deutschlands in die Hand. Wo Sie Hinblicken: alle Berufsstände scharen sich mehr und mehr zusammen,
suchen sich durch gemeinsame Beratungen aufzuklären, was ihnen frommt
und not tut, und formulieren ihre Forderungen an die Gesetzgebung der
Staaten, wie ihren Interessen wohl am besten gedient werden müßte.
Ich habe bei früheren Gelegenheiten diesen Grundzug unserer Zeit als das Prinzip der Volksinitiative bezeichnet, und ich habe von da an eine neue Ära — ich gebrauche das Wort nicht in dem Sinne, in
welchem es in der Politik in Mißkredit gekommen ist,*) sondern im wirk lichen Sinne des Wortes — ich habe von da an eine neue Ära im Volke bei mir selbst datiert, ich habe gemeint: das hat bei den Deutschen
gefehlt zu ihrer inneren Gediegenheit, zu ihrer humanen Bildung, daß
sie die Initiative bekommen und ihre eigenen Geschicke selbst in die Hand
nehmen.
Nun, meine Herren, wenn ich so den Zug der Zeit gekenn
zeichnet habe, so werden Sie ganz allein schon meine Stellung zu Ihrem Kongresse wahrnehmen.
Ich billige Ihr Vorhaben als etwas Gutes,
Hoffnungsvolles nicht nur für Sie, die Sie
dem Arbeiterstande an
gehören, sondern ich heiße es für Sie allgemein willkommen.
Die zweite Frage, meine Herren, die sich daran knüpft, ist die der Zeit, in welcher Sie Ihr Vorhaben, und zwar in Ihrem eigenen Interesse, am besten bewerkstelligen. Da ist schon von den geehrten Vorrednern**) mir vieles vorweggenommen worden.
Ich teile die Ansicht, daß Sie
nichts ausrichten, wenn Sie die Sache überellen, daß Sie zu keinem gedeihlichen Resultate gelangen, wenn Sie schon in den nächsten Tagen, namentlich in Berlin, unvorbereitet in Beziehung auf Ihre Beratungs*) Mit dem Worte „Neue Ara" wurde die von dem Prinzregenten int Jahre 1859 in Preußen eingeleitete Politik bezeichnet. D. Hrsgb. **) Auch die Leipziger Abgesandten waren für eine Verlegung des Kongresses bis zum Januar. D. Hrsgb. Sckulje-Delttzsch, Schriften und Reden.
II.
2
18
Schulze-Delitzsch.
Vorlagen, welche Sie in Ihr Programm inseriert haben, etwas keineswegs gehörig Vorbereitetes in Szene setzen wollen. Herr Streckfuß hat mit Recht vorgeführt, wie wenig das, was Sie in dem Kreise der Hauptstadt bei einer vorzüglich gebildeten Arbeiterbevölkerung bewegt, durch das ganze Land dringt. Sie wollen doch nicht allein gehen, die Arbeiter
von einigen bedeutenden Plätzen, wie Berlin, Leipzig, Nürnberg; Sie wollen doch etwas Nationales schaffen, Sie wollen einen deutschen Arbeitertag halten. Dazu reichen die drei Städte nicht aus; da muß die Idee bei weitem mehr in den Arbeiterstand hineingelangen und auch
in die Bevölkerung der übrigen deutschen Nachbarländer einschlagen. Das geht nicht, meine Herren, in ein paar Wochen, dazu brauchen Sie ein paar Monate. Und wollen Sie die Vorberatungen wirklich gut
fördern, so brauchen Sie wiederum dazu einige Zeit. Lassen Sie mich einmal kurz auf das Programm eingehen, da wollen wir uns bald verständigen. Sie haben z. B. hier, und gewiß recht zweckmäßig — ich billige das ganze Programm — die Arrangierung einer Weltausstellung zu Berlin nach dem Vortrage des Herrn Vahlteich daraus weggelassen. Das ist ja eine Aufgabe, deren Lösung durchaus nicht in Ihrer Macht oder in Ihrem besonderen Berufe und Interesse liegt. Das werden Sie der großen Industrie überlassen, die in Ver bindung mit den Staatsbehörden allein imstande ist, diese Dinge in einer gedeihlichen Weise auszuführen. Aber die Einführung der Ge werbefreiheit und Freizügigkeit durch ganz Deutschland, die Beratung und Feststellung von Grundstatuten für Assoziationen und Jnvalidenkassen für alte Arbeiter und endlich gewerbliche Mitteilungen der zum Besuch der Londoner Ausstellung gewesenen Arbeiter: das sind durchaus zweckmäßige
Dinge, mit denen ein Arbeiterkongreß sich füglich und gewiß mit Frucht beschäftigen kann. Nun, meine Herren, wenn aber ein solcher Kongreß, namentlich ein erster dieser Art, zusammentritt, so stellen Sie sich das Ding nicht so leicht vor! Sehen Sie, ich bin ein alter Kongreßmann, ich habe manches in dieser Beziehung durchgekämpft, mit veranstaltet, ich weiß einigen Be
scheid. Da sind wir immer sehr vorsichtig gewesen; da haben wir durch bestimmte Fachmänner Vorarbeiten schaffen lassen, ein Beratungsmaterial, was dann für den einzelnen schon zurecht gemacht war. Den Stoff haben wir lange vorher zusammengetragen. Wenn nun ein paar hundert Arbeiter zusammenkommen und ohne Vorbereitung sich in so großen Fragen ergehen, das würde eine wunderliche Geschichte werden, die auf dem babylonischen Turmbau hinausliefe.
Sehen Sie doch einmal auf das Verfahren der ständischen Ver sammlungen!
Ja, die haben ihre Kommissionen für die Vorarbeiten,
die treten zusammen und liefern, ehe sie in volle Beratung gehen, sich ganz klare Berichte, zu denen der Stoff gehörig zusammengefaßt, gesichtet
Nun werden Sie mir zugeben,
und allen Mitgliedern mitgeteilt wird.
daß die Arbeiter — so hoch ich aus Erfahrung ihre Befähigung für solche Beratungen schätzen gelernt habe — wohl nicht fähiger, geübter und gewandter sein werden als die anderen, etwa die Juristen, Volks
wirte, die oft jahrelang ihre Vorarbeiten machen.
Besonders auf eins
muß ich Sie aufmerksam machen, es ist vielleicht der wichtigste Punkt Ihres Programms, den Sie auf keinen Fall abändern mögen: die Be
ratung und Feststellung von Grundstatuten für Assoziationen und Jnvalidenkassen für alte Arbeiter.
Sehen Sie, das ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. Sie wissen, daß außer Leipzig
auch Nürnberg mittels eines Komitees
sich an Ihrem gemeinsamen Vorhaben
beteiligt hat.
Die Herren aus
Nürnberg schickten mir eine Vorarbeit für eine solche Jnvalidenkasse und ersuchten mich,
sie zu begutackten.
Ja,
den
1. November wollten sie
schon tagen — so stand es in dem Schreiben; sie haben's auch auf
geschoben — und ich bekam die Sache erst vom 26. zum 27. Oktober in die Hände. Ich habe es dennoch sofort vorgenommen und habe ihnen wenigstens
ein
allgemeines
Gutachten
gegeben.*)
Trauen
Sie
mir
Erfahrung
genug zu: wenn dieses Statut angenommen worden wäre, so wäre die
Kasse fünf Jahre, nachdem sie in Wirksamkeit trat, bankrott gewesen.
Das konnte ich nachrechnen
und das
Fehlern ihres Exempels nachgewiesen.
habe ich den Herren
mit den
Das ist keine Kleinigkeit; solche
Dinge sind sehr ernst, und wer sie in die Hand nimmt, hat eine un geheuere Verantwortlichkeit, falls etwas nichts taugt.
Nehmen Sie ein
mal an: eine Jnvalidenkasse wird beschlossen; es heißt: ihr zahlt mit dem
und dem Lebensjahre so oder so viel und dafür habt ihr z. B- von eurem 60. Lebensjahre die Pension zu erwarten.
Es werden nun jahrelang
*) Schulze hatte sich schon seit Jahren mit dem Gedanken einer Alters-, Peafions- und Jnvalidenkasse für Arbeiter beschäftigt. Schon in der „Innung der Zukunft" von 1855 hatte er alles, was er an statistischen Vortagen hatte austreiben können, zusammengestellt. In seinem Gutachten für die Nürnberger Arbeiter hebt er die großen versicherungstechnischen Schwierigkeiten, die mangelnden Unterlagen einer Pensionsversicherung nachdrücklich hervor und rät zur Vorsicht, ebenso einige Tage später in einem Brief an den Direktor des Vorschußoereins zu Zwickau, der ihm den gleichen Gedanken unterbreitet hatte. D. Hrsgb.
Schulze-Delitzsch.
20
die Beiträge angesammelt; das dauert 20, 30 Jahre lang, ehe die Sache in Fluß kommt.
Es sammelt sich ein Kapital an.
Wie denn nun, wenn
der fleißige Arbeiter 25 oder 30 Jahre die Beiträge sich mühsam ab gedarbt und in die Kasse getragen hat, und nun kommt er in das Jahr der Berechtigung, wird Invalide, und die Kasse ist bankrott!
Das ist
bei allem in der Welt keine Kleinigkeit und ich würde mich vor einer solchen Verantwortlichkeit entsetzlich hüten. Darum, die Dinge wollen ernste Vorarbeit haben.
stehen Ihnen zu Gebote, die bereit sind,
Viele Kräfte
für Sie diese Vorarbeit zu
übernehmen, aber nicht in Wochen und einigen Monaten. Sie, meine Herren.
Der Beschluß
ist
Weder ich noch
der Ihrige.
meine Freunde können Ihnen etwas hineinreden.
Das erwägen
Ich will mich nur für
meine Freunde und mich erbieten, indem ich Ihnen anheimstelle, davon Gebrauch zu machen. Ihnen für Invaliden-
und ähnliche Kassen
Vorarbeiten zu machen. Es ist nun in betreff der Zeit vom Januar die Rede gewesen.
die Ob
der Kongreß dann schon möglich sein wird, darüber wage ich nicht ab zusprechen.
Aber ich möchte Ihnen einen Rat erteilen.
Sie haben Ihre
Kommission, oder setzen eine solche noch ein; da bestimmen Sie nicht gleich und nicht zu früh im voraus: es soll und muß im Januar ge schehen. Überlassen Sie es Ihren Vertrauensmännern im Komitee, den Kongreß seinerzeit, wenn die Sache reif ist, auszuschreiben.
Hören Sie noch ein paar Gründe gegen eine sobaldige Anberaumung
noch etwa im Januar, wo die Zustände von jetzt wahrscheinlich noch dauern. Aus den Äußerungen der Herren Vertreter des Leipziger Arbeitervereins, der so bereitwillig auf eine Vertagung der Sache ein
gegangen ist, zeigt sich ebenfalls, wie ganz Deutschland
eine
große
Wichtigkeit der Entwicklung der Zustände in Preußen beilegt, indem gerade von dort die Mahnung ausging, nicht im Augenblick, wo das Interesse
des Publikums auf andere wichtige Dinge gerichtet sei, den Arbeiter kongreß zu berufen.
Ich will die politische Seite nicht hervorheben, ich
will ganz allein das vor Ihnen geltend machen, was lediglich in der
Arbeiter Interesse liegt.
Solange die Dinge so gespannt bei uns sind,
solange ist das allgemeine Interesse nun einmal diesen Dingen zugewandt,
es wird sich ganz gewiß nicht einer Arbeiterversammlung zukehren. könnten
andere Kongresse: Juristen-, Handelstage,
Wir
volkswirtschaftliche
Kongresse abhalten wollen: es würde uns ebenso gehen, wenn sie mitten
in die Dinge hineinfallen: es hängt zu viel Wohl und Wehe von der Entwicklung des öffentlichen Lebens ab, für alle Stände, für die anderen
Überlassen Sie also dem Komitee, welches Ihr
wie für den Ihrigen.
Vertrauen an die Spitze gestellt hat, mit dem Ausschreiben des Arbeiter
kongresses vorzugehen, sobald nur irgend die Dinge dazu besser liegen.
Endlich, meine Herren, Sie sind prakttsche Männer; Ihr Wohl hängt ab von dem Gedeihen der Etablissements, bei denen Sie als Arbeiter oder als Unternehmer beteiligt sind.
Ich brauche vor Ihnen nicht weit aus
zuholen, um Ihnen klar zu machen, daß unsere jetzige Zeitepoche für die ganze Industrie eine höchst krittsche ist.
Die eigentümlich schwankende
Lage aller europäischen Verhältnisse drückt auf den Geist und Entschluß
der großen Unternehmer.
Auch der furchtbare amerikanische Krieg ist
wichtig und unheilvoll für unsere Industrie.
Das können wir zwar
nicht ändern, wir wollen aber nicht in diese Dinge noch mehr hinein
stöbern I
Wir können hier nur schaden, nämlich bewirken, daß zu dem
Druck von außen sich noch von unseren inneren Verhältnissen her ge wisser zu ängstlicher Menschen — die wir aber doch nehmen müssen, wie
sie sind! — eine Einschüchterung bemächtigt, welche die vorhandene Ge
schäftslähmung noch steigert, namentlich das Kapital noch weiter von der Industrie sich zurückziehen läßt. Ich brauche Ihnen, meine Herren, nicht zu sagen, daß ich von dem völligen Ungrunde solcher Ängstlichkeit oder
solcher Besorgnis überzeugt bin, daß ich durch den vielfachen Verkehr mit Arbeitern viel zu sehr die wohlwollenden, rechtlichen vernünftigen Ab
sichten derselben kennen gelernt habe, um jene an Ihr neues Unternehmen
sich knüpfende Furcht zu teilen.
Ich erwarte nur das Beste von ihm
für alle Teile: aber es gibt sehr ängstliche Leute, die wir jetzt zu ver mehren, glaube ich, im Interesse wohltun.
der Arbeiter und
der Industrie nicht
Weiter und tiefer bitte ich diese Andeutung nicht aufzufaffen.
Es tut aber, meine Herren, nicht bloß die sehr umfangreiche Arbeit der Vorbereitung der Beratungsvorlagen not, ehe Sie daran gehen können,
Beschlüsse zu fassen: nein, eine andere Klärung der Sache ist erforderlich. Ich denke mir, es wird von der wohltätigsten Wirkung für Sie alle und
den Erfolg Ihres Kongresses sein, wenn in den großen Städten, wüche Mittelpunkte der Bewegung sind, Berlin, Leipzig, Nürnberg, und die sich
etwa
noch
anschließen,
vorher
Vorträge
über
die
wichtigsten
Arbeiterfragen gehalten werden, an denen sich die Arbeiter zu be
teiligen haben.
Da ist vor allem zu diskutieren das Verhältnis von
Arbeit und Lkapital.
Das ist vielleicht die Kernfrage, um die sich die
ganze Bewegung dreht.
Da tut Aufklärung not von vielen Seiten. Ich
versichere Sie, in dem sogenannten Mittelstände selbst existieren noch so
konfuse Ideen über dieses Verhältnis, daß es ein wahres Grauen erregt.
22
Schulze-Delitzsch.
Solche Ideen reichen noch höher hinauf.
In unserem Beamtenstande
möchte man oft das volkswirtschaftliche ABC geradezu von vorn an
Der Arbeiter wird sich da also nicht zu schämen brauchen — und er hat Sinn für Bildung und die Bereitwilligkeit zu ihrer Empfängnis in Berlin so glänzend bewiesen — wenn befähigte Männer, die viel fangen!
Vertrauen genießen, Vorträge darüber halten: was er sich daraus nehmen will, muß dem einzelnen überlassen bleiben. Wenn aber eine Reihe ge halten ist — dazu finden sich in Großstädten leicht Kräfte — und Sie haben so gewissermaßen einen Vorbereitungskursus durchgemacht, dann werden Sie mit viel größerem Erfolg auch an Ihren Arbeiterkongreß gehen. Denn wenn auch einzelne von Ihnen über die Dinge klar denken und sehen, so werden sie doch aus Erfahrung sich bekennen, daß die große Menge einer solchen Aufllärung recht sehr bedarf. Ich selbst erbiete mich, hier in Berlin mit tätig zu sein, über Arbeit und Kapital und das wechselseittge Verhältnis beider Ihnen einen Vortrag zu halten. Gehen wir so von allen Seiten mit gutem Willen und rechtem Ernst an die Sache, dann kann Ihnen der Erfolg nicht fehlen. Alle
Vernünfügen werden sich Ihren Bestrebungen anschließen, auch wenn sie nicht zu Ihrem Stande gehören, dann wird der deutsche Arbeiterstand — denn Sie dürfen glauben, daß man Ihren Bewegungen große Auf merksamkeit im Lande zollt — im Gegensatz zu den westlichen Nachbarn — wo die ganze Staatsgesellschaft schon zag und bang wird, wenn Arbeiter so etwas unternehmen wollen, weil man ihre Intentionen nach Sozialismus und Kommunismus fürchtet — die Ehre unseres Volkes auch nach außen, ja vor aller Welt wahrnehmen und die beste Frucht wird ihm selber zufallen! Es ist da ein Wort gefallen, was mich veranlaßt, Ihnen einen
weiteren Gesichtskreis zu eröffnen. Politischer Fortschritt, sozialer, humaner Fortschritt — bringen wir sie doch einmal nicht zu unserer politischen Bewegung in Preußen, sondern zu der ganzen großen Be wegung des geschichtlichen Fortschritts, in welcher sich die Menschheit entwickelt in ihrer aufsteigenden Bildung von Jahrhundert zu Jahrhundert, in Bezug und Zusammenhang! In welcher kurzen Formel läßt sich die
Sache wohl begreifen? Wir sehen, wie die Dinge gehen in Hinsicht der Arbeiterfrage in den dunklen finstern Jahrhunderten weit hinter uns und
wie gestalten sich die Dinge jetzt und nach welcher ferneren Zukunft streben sie hin? — Die ganze menschliche Geschichte geht von einem be
stimmten Zwiespalt aus und strebt nach Wiedervereinigung.
In den
dunklen, ungebildeten, rohen Zeiten, in den Anfängen der Geschichte, wo namentlich die gewerbliche Arbeit — mit ihrem Zweck zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Daseins — noch unentwickelt war, wo
man nur äußerst unvollkommene Werkzeuge hatte, wo man noch nicht verstand, sich der Naturkräfte zu den schwersten menschlichen Arbeits
zwecken zu bedienen: da vermochte man menschliche Bildung, Entwicklung zu allem höheren Streben, die Entfaltung aller edleren geistigen Keime der Natur nur dadurch zu erreichen und
zu erkaufen,
daß
die
eine
Hälfte der Menschheit geopfert, zum Sklavendienst verurteilt wurde, damit
die andere Hälfte, von jenen Mühen um die Notdurft des Lebens gänzlich
befreit, sich den höheren Aufgaben und Zielen des menschlichen Geschlechts Das ist fortgegangen durch Jahrhunderte.
widmete.
Da, zum erstenmal,
aus den Tiefen der gedrückten Menschheit, deren eine Hälfte in der Ge stalt des Sklaventums einem menschenwürdigen Dasein ganz entzogen wurde,
—
Wüste jene
da trat wie
wunderbare,
ein große
zum Strom
wachsender Quell in der
heilvolle Lehre
des Christentums in
die Weltgeschichte, jene Lehre, die im vollständigen Gegensatz zu dem
barbarischen Eigennutz
rohen,
krassen,
zugten
Volksklassen,
der seinen Fuß
des Altertums
für die bevor
auf den Nacken der zu Sklaven
entwürdigten Mitmenschen setzen konnte, den Satz predigte: alle Menschen
sind
als Kinder
Gottes
berufen zur
Entfaltung
der
ganzen vollen
Menschheit! Ach, meine Herren, es hat aber noch viele Jahrhunderte gekostet,
ehe jener Segensquell anfing, die Wüste wirklich zu befruchten! als heilvolle Lehre so ausgesprochen war, wurde
Was
deswegen noch nicht
Wahrheit in den praktischen Lebensverhältnissen, und es wird noch Jahr hunderte kosten, ehe sich der große Kampf, in dem sich die ganze Ge
schichte manifestiert, durchdringen wird zum allgemeinen Heile.
Aber
dahin geht und strebt die Geschichte. Nun komme ich auf das zurück, was ich andeuten wollte: die Arbeiter
frage ist tief in der ganzen geschichtlichen Entwicklung begründet.
Ob
es möglich ist, daß alle Menschen an den höheren Aufgaben unseres
Geschlechts, an der Entfaltung aller edlen, von der Natur in dasselbe gelegten geistigen Keime teilnehmen können, darum handelt es sich, das ist der geschichtliche Fortschritt und dieser, der ein tief humaner ist,
steht über allen politischen Parteien, wie sie sich auch nennen.
Wenn
eine politische Partei die Probe ihrer geschichtlichen Berechtigung machen will, dann soll sie sich gewissenhaft fragen: werden wir jenen großen
sittlichen und humanen Forderungen gerecht?
Schulze-Delitzsch.
24
Auf diesen Fortschritt verweise ich Sie als deutsche und preußische
Arbeiter, mit dem haben Sie es zu tun! Und wenn einige gesagt haben, wir fragen nicht nach einer politischen
Partei, wir gehören der an, die unsere Interessen wahrnimmt, so gebe ich Ihnen recht, wenn sie das Wort „Interesse" richtig verstehen.
Aber
Sie müssen darunter nicht verstehen die augenblickliche Konzession gegen
eine mißverstandene Forderung, nein, Sie müssen Ihr Interesse geltend
machen als das Interesse der allgemeinen menschlichen Entwicklung; Sie müssen zu der Partei gehören, welche Ihnen die Bahn
freier Ent
wicklung erschließt, die den höheren humanen Fortschritt als höchstes Ziel aus ihre Fahne schreibt. Ich muß schließlich noch auf einen spezielleren Punkt kommen, den auch einer der Vorredner berührte.
Sie haben auch aus meinen Worten
wohl entnommen, daß die Frage der höchsten Entwicklung geknüpft ist an
die Frage des materiellen Bedürfnisses. recht, wenn er ungefähr sagte: unser Brot haben.
Ich gebe einem der Vorredner
zunächst kommt es darauf an, daß wir
Ja, meine Herren, ohne einen gewissen Grad von
behäbigem Dasein — wir wollen uns diesen Grad sehr bescheiden denken —
und ohne einen gewissen Grad von Bildung wird allerdings der Arbeiter stand nie fähig sein, sich fruchtbar Gegenwart zu beteiligen.
an den
politischen Aufgaben der
Was es auch für Parteien gibt, wenn es ihnen
Ernst ist, daß der Arbeiterstand an ihrem Streben sich beteilige, so müssen
sie sich kümmern, daß zu dem Glück eines mäßigen Wohlstandes eine wachsende geistige Bildung sich geselle.
der Erfolg politischen Strebens.
Auf diesem Grunde beruht auch
Wenn man von Demokratie spricht,
meine Herren, so erkläre ich sie solange für eine hohle Phrase, als sie nicht bei diesem Punkte angefaßt hat, als sie nicht den Erfolg ge winnt, daß die große Masse der arbeitenden Bevölkerung in die politische
Bewegung als Träger mit eintreten kann, weil die materiellen Grund lagen der Existenz besser als bisher gesichert sind.
Darum endige ich mit den Worten: wenn wir Männer, die von
Ihnen nicht
zu
Ihrem
Stande gerechnet
werden,
uns
darum be
kümmern, daß die Aufgaben und Ziele, die Sie sich gestellt haben, er
reicht werden, so geschieht das nicht bloß aus Teilnahme, aus Betätigung
unserer humanen Gesinnung, in welcher wir wünschen, auch anderen
möge es wohlergehen, wir tun es auch — es
klingt Ihnen vielleicht
sonderbar — aus Eigennutz: die ganze bürgerliche Gesellschaft ist aufs
wesentlichste dabei interessiert, einen solchen Arbeiterstand zu haben, wie
ich es angedeutet, und namentlich die bürgerliche Gesellschaft in Deutsch-
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
land.
25
Auf dem deutschen Mittelstände ruht die Entwicklung des wahren
deutschen Wesens; aus dem deutschen arbeitenden Mittelstände hat sich zuerst in der städtischen Freiheit der Keim des jetzigen Staatsbürgertums
geschichtlich
Unsere deutschen Arbeiter in den
wieder gebildet.
alten
Städten sind diejenigen, welche die Wurzel gelegt haben zu dem großen Baum bürgerlicher Freiheit, der, so Gott will, recht bald unser ganzes
Vaterland beschattet.
Weil wir einen Mittelstand in Deutschland haben
müssen, auf daß deutsches Wesen, deutsche Gesittung und deutsche Bildung immer mehr nach der ureigensten Anlage der deutschen Volksnatur sich
entfalten: deshalb
gefährdeten
brauchen wir einen in seiner Existenz nicht mehr
Arbeiterstand.
Wer
dafür
für die Arbeiter, sondern zugleich auch seines ganzen Volkes.
kämpft,
für die
kämpft
nicht
bloß
nationale Entwicklung
Das halten Sie fest und sagen Sie nicht — wie
einige tun —: wenn wir jetzt Konzessionen machen und uns fügen, so bringen wir ein Opfer!
Nein,
meine Herren, Sie dienen sich selbst am
besten, wenn Sie Ihre Stellung in der großen Gesamtentwicklung der
bürgerlichen
Gesellschaft
richtig
auffassen.
Wenn
Sie
sich
aber in
Konflikt und Gegensatz brächten zur Entwicklung der bürgerlichen Frei
heit im Vaterlande, dann wäre der deutsche Arbeiterstand verloren; er
wäre abgefallen von dem, was ihn groß gemacht hat, von der bürger lichen Freiheit, von der inneren Entwicklung
nach allen
Seiten
hin,
der wir das danken, was wir jetzt sind. Können meine Freunde und ich Ihnen durch Vorträge dienen, so sind wir gern dazu bereit, und Ihr Komitee wird sich mit uns darüber
verständigen.
Hoffentlich sehen wir
uns
an dieser oder einer anderen
Stelle wieder, wo wir die großen Fragen, über die auf dem Kongresse
eine entscheidende Verständigung herbeigeführt werden soll, vorher unter
uns in ruhiger Gründlichkeit besprechen wollen, damit wir etwas zustande
bringen, was Deutschland Ehre macht.
Nehmen
Sie sich jetzt einmal
vor, ehe Sie so große Rechte ausüben, dazustehen als Männer, die frei
tagen über ihre eigenen Geschicke, nehmen Sie sich vor, um dieser großen Ehre wahrhaft würdig zu werden, daß Sie zuvor noch soviel als nur möglich lernen!
Schulze-Delitzsch.
26
V. Kapitel z« einem deutschen Arbeiterkatechismus.*) Sechs Vorträge vor dem Berliner Arbeiterverein von Schulze-Delitzsch. Leipzig, Verlag von Ernst Keil. 1863.
Vorwort. Schon der Titel gibt die Entstehungsart dieses Büchleins an. ist
gesprochen,
nicht
geschrieben, teils
Es
nach stenographischen Auf
zeichnungen, teils nach den Notizen des Verfassers reproduziert.
Eine
strenge Planmäßigkeit darf man daher nicht erwarten, wenn man auch, wie er hofft, den leitenden Faden nicht verkennen wird.
Namentlich waren
Wiederholungen in den einzelnen Reden nicht zu vermeiden, der Wieder
anknüpfung des Verständnisses halber nach wochenlanger Unterbrechung, noch dazu vor einem zum Teil wechselnden Publikum.
Daß der Versuch, auf solche Weise gewissermaßen einen volks wirtschaftlichen Kursus für Handwerker und Arbeiter zu geben,
der Kritik gegenüber gewagt ist, dessen ist sich der Verfasser vollkommen
bewußt.
Wäre die Frage nicht bei den jetzigen Bewegungen auf sozialem
und politischem Gebiete als eine drängende erschienen, so würde er gewiß eine ruhige Überarbeitung und spätere Publikation vorgezogen haben.
So aber steht er nicht an, den allseitigen Aufforderungen zu genügen und die Borträge, die nun einmal bei dem gegenwärtigen Streite mit
in den Vordergrund getreten sind, in einer Volksausgabe,
für deren
*) Schulze hielt die sechs Vorträge in Erfüllung seines Versprechens, das er in der Arbeiterversammlung vom 2. November 1862 gegeben hatte. Die Vor träge fanden vom Januar bis April 1863 statt. Anfang März, nach dem vierten Vortrag, veröffentlichte Lassalle sein „Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreffes zu Leipzig". Im sechsten Vortrag setzte Schulze sich kritisch mit den ökonomischen und genoffenschaftlichen Ideen des „Offenen Antwortschreibens" auseinander. Laffalle antwortete in der Streitschrift „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian oder Kapital und Arbeit", die zugleich das ökonomische Hauptwerk Laffalles ist. (Der Untertitel „Der ökonomische Julian" geht auf ein Pamphlet, betitelt „Herr Julian Schmidt, der Literarhistoriker", zurück, das Laffalle unter Mitarbeit Lothar Buchers im Frühjahr 1862 gegen den damals sehr angesehenen Kritiker und liberalen Schriftsteller Julian Schmidt veröffenllicht hatte.) Laffalles Buch erschien im Frühjahr 1864. Die Antwort Schulzes erfolgte im Oktober 1865 in seinem Büchlein „Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herrn Laffalle". I. B. v. Schweitzer, der Freund und spätere Nachfolger Laffalles im Präsidium des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, verteidigte Laffalle in einer Reihe von Aufsätzen in dem „Sozialdemokrat", dem Organ Schweitzers, unter dem Titel „Der tote Schulze gegen den lebenden Laffalle". D. Hrsgb.
würdige Ausstattung und Wohlfeilheit die Verlagshandlung in gewohnter
Weise sorgt, allgemein zugänglich zu machen. Vielleicht, daß die Mängel
der Improvisation durch die frische Anregung, welche dieser Form der Produktion eigen zu sein pflegt, in etwas ausgewogen werden. Daß es sich dabei nicht um Aufstellung neuer, sondern um die praktische An
wendung längst bekannter volkswirtschaftlicher Sätze handelte, nicht um eine gelehrte Abhandlung, sondern um eine populäre Darstellung, ergibt der Zweck von selbst. Den richtigen Anknüpfungspunkt zu finden, von wo aus man des Interesses der Hörer und Leser sich gleich von Haus aus bemächtigt; für jede weitere Entwicklung sich möglichst auf einen Anhalt im eignen Ideen- und Lebenskreise seines Publikums zu stützen; die wirtschaftlichen Beziehungen des Verkehrs auf höhere allgemein menschliche Anschauungen zurückzuführen, das Materielle soviel als möglich zu ver geistigen: darauf ging der Verfasser aus. Daß es ihm nicht ganz miß lungen ist, dafür darf er vielleicht in dem Erfolg bei seinem unmittelbaren Hörerkreise ein Zeichen finden. So möge denn das Büchelchen als das, was es sein soll, vor die Öffentlichkeit treten: als Beitrag zu einem Werke, zu einer Tat der Zukunft. Der deutsche Arbeiterkatechismus, dem es in einigen Kapiteln vorarbeiten helfen will, er ist bereits in Angriff genommen, überall, wo sich der Geist regt in den arbeitenden Schichten unseres Volkes. Ihn schreibt kein einzelner, nicht ich, nicht ein anderer; er wird überhaupt nicht bloß geschrieben, er wird gedacht und empfunden in Kopf und Herz aller tüchtigen Elemente des Standes. Gemeinsam arbeitet man daran in der Unzahl von Vereinen, in jeder Schule und Werkstätte, wo Arbeiter bemüht sind, sich zu Bildung und Wohlstand
emporzuringen. Es ist eine große unsichtbare Gemeinschaft, doch schon fangen die Früchte ihres Strebens an, sichtbar zu werden, und ihre Organisationen treten eine nach der andern an das Licht. „Das ganze volle Menschentum für uns" — dies Losung und Zweck der Be wegung, die Forderung der Arbeiter an die Gesellschaft; — „Die Er
weckung und Pflege der edleren Keime unserer Natur, geistiger und sittlicher Tüchtigkeit in den einzelnen" — dies das Mittel
zum Zwecke, die Forderung der Arbeiter an sich selbst. In diesem Sinne den Mitarbeitern an dem großen nationalen Werke, allen strebenden deutschen Arbeitern, mein treuer Bundesgruß! Berlin, im Mai 1863.
Der Verfasser.
Schulze-Delitzsch.
28
Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I.
Bortrag: Die Arbeit.
a) b) c) d)
Wesen und Zweck der Arbeit. Die soziale Selbsthilfe. Die Hilfsmittel der Arbeit. Form der Arbeit innerhalb der menscklichen Gesellschaft. Die Teilung der Arbeit im besonderen.
U. Bortrag: Das Kapital und deffen Verhältnis zur Arbeit.
a)
Begriff und Verwendung des Kapitals. sumtion. b) Entstehung des Kapitals. c) Übertragbarkeit des Kapitals. d) e) f)
III.
Das Eigeninteresse und seine Wirkungen im Haushalt der Gesellschaft. Der Tausch. Der Wert. Die Konkurrenz.
Bortrag: Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klassen.
a) b) c) d) e) f) V.
Kredit und Kapitalrente. Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter. Einfluß des Kapitals auf die Zivilisation.
Bortrag: Tausch, Wert und freie Konkurrenz.
a) b) c) d) IV.
Die produktive Kon
Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klaffen. Soziale Abwege. Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln. Die Garantie der Existenz durch den Staat. Einzelne soziale Formeln. Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Standpunkte der Arbeiterfrage.
Bortrag: Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klaffe«
(Fortsetzung).
a) b) VI.
Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs. Der rechte Weg zum Ziele.
Bortrag: Die praktischen Mttel und Wege zur Hebung der arvettendeu Klaffe«
(Schluß).
a) b)
Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschaft. Die Genossenschaft mit Staatshilfe.
Einleitung. Die Borträge, zu denen ich mich gegen Sie, meine Herren, die
Arbeiter Berlins, anheischig gemacht habe, sollten den Verhandlungen des
Deutschen Arbeiterkongresses, der im Laufe dieses Jahres stattfinden
wird, gewissermaßen den Boden bereiten helfen. Der Kongreß verfolgt durchaus praktische Zwecke.
Er bestrebt
sich, gewisse gemeinsame Maßnahmen nach verschiedenen Seiten hin im
Interesse des deutschen Arbeiterstandes herbeizuführen. Die Hauptsache ist daher,
Interessen aufzuklären.
gesunde
Anschauungen
menschlichen
den Arbeiterstand über seine wahren
Und dazu gehört vor allen Dingen, daß man über
Tätigkeiten
die
natürlichen
Grundgesetze
und Zustände auf
aller
wirtschaftlichem
und Erwerbsgebiete verbreitet, weil ohnedies es an jedem begründeten
Urteile über die sozialen Schäden und Heilmittel gebricht, und die Mittel
zur Abhilfe beim besten Willen und trotz aller Verschleuderung von Kräften und Vermögen niemals zum Ziele führen. Über Wesen und
Zweck der Arbeit, über ihre Hilfsmittel und Resultate, ihre Beziehungen zu den wirtschaftlichen Bedürfnissen
des einzelnen Menschen
wie der
menschlichen Gesellschaft, ja zu den höheren Aufgaben der Kultur, muß
man einigermaßen im klaren,
über
den Entwicklungsgang dieser Ver
hältnisse in der Geschichte einigermaßen unterrichtet sein, wenn man es mit Erfolg unternehmen will, auf diesem wichtigen und schwierigen Ge
biete einzugreifen und zu bessern.
Da gilt es, sich die ersten Grund
wahrheiten, sozusagen das ABC des menschlichen Verkehrs klar zu machen,
verderbliche Irrtümer zu bekämpfen und vor allen Dingen Natur und
Bestimmung der Menschen selbst überall im Auge zu behalten, um deren Tun und Zustände es sich handelt, ehe man die Sache tätig in die
Hand nimmt. Und so wollen wir denn auch mit dem nächsten beginnen
und uns heute über Wesen, Zweck und Form
der menschlichen Arbeit im
allgemeinen unterhallen. Das nächste Mal kommen wir sodann zum Kapital und dessen Verhältnis zur Arbeit, als einem der Kernpuntte der sozialen Frage, da man in der Un entbehrlichkeit
dieses
gewalttgen Hilfsmittels, vermöge
deren
es
den
Arbeitsmarkt gewissermaßen beherrscht, von mancher Seite her ein feind
liches Element für den Arbeiter erblicken will, mit dessen Bekämpfung
man vor allen Dingen das Werk beginnen müsse. Haben wir uns dann noch über Tausch und Wert als Grundftagen
alles menschlichen Verkehrs verständigt, so gehen wir endlich in den letzten Borträgen ein auf
Schulze-Delitzsch.
30
die praktischen Mittel zur Verbesserung des Loses der
arbeitenden Klassen, wobei wir Gelegenheit erhalten, auf den bisherigen Gang der Dinge auf diesem Felde einige geschichtliche Rückblicke zu werfen, welche uns zugleich für die weitere Entwicklung in der Zukunft wertvolle Anhaltspunkte und
Garantien bieten.
I. Die Arbeit.
a) Wesen und Zweck der Arbeit. Die soziale Selbsthilfe. Wir beginnen die Besprechung dieses wichtigen Themas mit dem
nächsten und natürlichsten, was in uns allen und vor aller Augen vor sich geht, stündlich und täglich, zu dessen Verständnis eben nur gesunder Sinn und die Anregung zum Nachdenken, durchaus keine Gelehrsamkeit erforderlich ist. Blicke einmal ein jeder in sein Inneres, kehre er eine Minute bei sich selbst ein, beobachte er dann die andern um sich: was ist es denn eigentlich, was den Menschen den Anstoß zur Tätigkeit im Erwerb verleiht und ihnen einen Erfolg dabei, sagen wir zunächst die Erschwingung ihres Unterhalts, sichert? Was ist es, was in uns allen die treibende und wirkende Kraft dabei abgibt? Da nehmen wir ohne Ausnahme zwei Dinge wahr, die uns sämtlich, wie wir da sind, angeboren werden: Bedürfnisse und Fähigkeiten.
Mit beiden kommen wir auf die Welt, und was es mit unseren Be dürfnissen auf sich hat, das wissen wir nur zu gut, daran niahnt uns
Nun macht sich die Sache so. In jedem Bedürfnis liegt der Trieb nach Befriedigung von Haus aus eingeschlossen, denn nur an diesem schwächeren oder stärkeren Drange erkennen wir überhaupt das Vorhandensein eines Bedürfnisses. So erkennen wir das Bedürfnis nach Speise und Trank am Hunger und Durst, d. h. an dem Triebe, zu essen jede Stunde.
und zu trinken, das Bedürfnis nach Ruhe an der Müdigkeit, d. h. dem Triebe zu ruhen. Zur Befriedigung selbst gelangt man aber in der Regel nur durch eine Tätigkeit, ein Bemühen. Die gebratenen Vögel fliegen den Leuten nicht in den Mund; Brot, Nahrung, Kleidung und dergleichen findet man nicht auf der Straße, sie wollen verdient sein. Sobald nun der Trieb nach Bestiedigung eines Bedürfnisses stark genug
wird, um die natürliche Trägheit zu überwinden, die allen Menschen innewohnt, spornt er die vorhandenen Fähigkeiten an, sich zur Erreichung des Zieles in Bewegung zu setzen, und entwickelt dieselben durch Übung
und Gebrauch zu Kräften und Fertigkeiten. Es gibt keinen Pein licheren Zustand als den des unbefriedigten Bedürfnisses, und so stark
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
31
und nachhaltig ist daher jener Antrieb, daß er nur mit dem Leben selbst
in uns erlischt. Dieser einfache Vorgang: Bedürfnis — Anstrengung — Be friedigung — füllt den ganzen Inhalt des menschlichen Lebens, das
Bedürfnis, natürlich nicht so enge aufgefaßt, auf die bloß körperliche Notdurft
bezogen,
sondern
unter Berücksichtigung der ganzen
Mannigfaltigkeit der Triebe und Anlagen unserer Natur.
reichen
In dem Be
dürfnis also, in dem Triebe nach Befriedigung desselben liegt die eigentliche Spannkraft, die verborgene Feder, welche den Menschen
nach den angedeuteten Zielen hin in Bewegung setzt und erhält, und um
so unwiderstehlicher wirkt, als wir ohne Befriedigung einer ganzen Menge dieser Bedürfnisse gar nicht bestehen können, er also mit dem Selbst
erhaltungstriebe, dem stärksten bei allen lebendigen Geschöpfen, un
mittelbar zusammenfällt.
Ihm gegenüber steht die Befriedigung als
Ziel- und Ruhepunkt, so jedoch, daß aus ihrem Schoße fortwährend neue
Bedürfnisse erwachsen, um im steten Kreislauf immer wieder darin be graben zu werden.
Ich verweise auf die schon früher gebrauchten Bei
spiele von Hunger und Ruhe.
Beim letzten Bissen fängt schon die Ver
dauung, bei den ersten Schritten und Hantierungen in der Frühe des Tages schon der Verbrauch von Kräften an — beides die Quellen
neuen Hungers, neuer Ermüdung.
Nun ist aber der Mensch ein mit Selbstbewußtsein und Selbst bestimmung, mit Verstand und Willen begabtes Wesen.
Daher ver
mag er einerseits das Gesetz dieses Kreislaufs, die größere oder geringere Notwendigkeit der einzelnen Bedürfnisse, ihre regelmäßige Wiederkehr ein zusehen, andererseits kann es nicht fehlen, daß er bestrebt sein wird, sich
eine gesicherte Stellung, eine Einwirkung auf einen sein ganzes Dasein so wesentlich bedingenden Vorgang zu verschaffen, daß er dessen Regelung
und Beherrschung mit aller Macht anstrebt. Wir wissen, daß wir morgen und alle folgenden Tage essen müssen, Obdach und Kleidung brauchen, wir kennen den Wechsel der Jahreszeiten, den steigenden Bedarf unserer
wachsenden Familie, die Erfordernisse geschäftlicher Unternehmungen und
werden natürlich alles tun, daß das Nötige uns zu rechter Zeit zu Gebot
stehe.
Und hier, mit diesem bewußten Eingreifen des Menschen in
den von uns bezeichneten Kreislauf seines Daseins von Bedürfnis — Anstrengung —
Befriedigung —
stehen wir
vor
dem
großen
Faktor, vor der wirkenden Hauptmacht im Haushalt der Menschheit, mit der wir uns heute vorzugsweise beschäftigen, vor der Arbeit. Denn
Arbeit ist eben jede in Voraussicht künftiger Bedürfnisse auf deren Be-
Schulze-Delitzsch.
32
friedigung gerichtete planmäßige Tätigkeit des Menschen.
Arbeiten in
diesem Sinne kann nur der Mensch, weil die Voraussetzungen dazu nur
in den von der Natur ihm allein unter allen Wesen unseres Erdkörpers verliehenen Fähigkeiten —
Verstand und Willen — gegeben sind.
Wohl braucht auch das Tier seine Kräfte zur Befriedigung seiner Be dürfnisse und strengt sich zu diesem Behufe an, aber in der Regel nur
im Augenblick, wo es das Bedürfnis fühlt, und nie weiter, als dasselbe gerade reicht.
Dies heißt aber nicht arbeiten, so wenig, als wenn ein
Wanderer aus einem Quell am Wege Wasser schöpft oder eine Frucht vom Baum streift, seinen augenblicklichen Hunger oder Durst zu stillen. Erst wenn jemand Wasser in Gefäßen zusammenträgt zum Gebrauch in
der Wirtschaft, Beeren oder Früchte zum Vorrat sammelt, arbeitet er,
weil nur dann von einer Berechnung, einer Vorsorge für die Zukunft die Rede ist.
So ist denn der Zweck der Arbeit die Befriedigung mensch licher Bedürfnisse, und derselbe wird erreicht durch vernünftigen Gebrauch der von der Natur in den Menschen gelegten Kräfte.
Dadurch erhalten wir den ersten Hauptgrundsatz für die Stellung des
einzelnen zur menschlichen Gesellschaft hinsichtlich die Pflicht der Selbstsorge, selbst.
seiner Existenzfrage: eines jeden auf sich
„Du hast Bedürfnisse, an deren Befriedigung die Natur deine
geknüpft
Existenz Natur
die Verweisung
hat
hat"
—
lautet
dieser
Satz
—
„aber
dieselbe
dir auch Kräfte gegeben, die du nur richtig anzuwenden
brauchst, um deinen Bedarf zu decken. Deshalb liegt dein Schicksal zum guten Teil in deiner
Hand und
du
bist selbst dafür verantwortlich,
dir sowohl wie deinen Mitmenschen, denen du mit deinen Ansprüchen
nicht zur Last fallen darfst, da sie alle, so gut wie du, für sich sorgen müssen." Darauf, daß jeder die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage
und sie nicht andern aufbürde, auf der Selbstverantwortlichkeit und
Zurechnungsfähigkeit beruht die Möglichkeit alles
gesellschaftlichen
Zusammenlebens der Menschen, sowie des Staatsverbandes.
Nur unter
Wesen, die wissen, was sie tun, und alle dafür aufkommen müssen, ist eine durch sittliche und polittsche Gesetze geregelte Gemeinschaft,
eine
Gegenseitigkeit der wirtschaftlichen und bürgerlichen Beziehungen zu aller
Förderung überhaupt denkbar. Diese Selbstverantwortlichkeit, die soziale Selbsthilfe, gerade bei Beschaffung der materiellen Notdurft des Daseins antasten, wo ohnehin das Tierische in unserer Natur seine dunkle Grenz linie hat, hieße auf dem Felde des Erwerbs den Krieg aller einführen,
auf einem Felde, wo mehr als auf jedem anderen Frieden und Sicher heit die Bedingungen des Gedeihens sind.
Indessen setzt diese Selbstverantwortlichkeit als notwendige Er
gänzung die Freiheit der Arbeit voraus, die Gestattung der un
gehemmten Bewegung des Arbeiters im Gebrauch seiner Kräfte und Mittel zum Erwerb seines Unterhalts.
„Legt ihr uns die Verantwortlichkeit für unsere Existenz auf die eigenen Schultern, weil die Natur uns die Kräfte dazu gegeben: ei, so dürft ihr uns in deren freiem Gebrauche zu diesem Endzweck auch nicht
hemmen," so antworten die Arbeiter mit Recht auf die obige Forderung. „Wir bescheiden uns, daß wir den allgemeinen Staatsgesetzen so gut, wie
jeder andere Staatsbürger, Gehorsam schuldig sind, daß wir das Recht
respektieren müssen, das ja uns selbst schützen, für uns da sein soll, wie für jeden anderen.
Aber auf dem Boden des Erwerbs, in Gewerbe und
Arbeit muß Freiheit sein, da muß jeder sich rühren und seine Kräfte
gebrauchen können, wie er will und kann, um seinen und der ©einigen
Unterhalt zu erschwingen.
Greift ihr da willkürlich ein und
regelt und beschränkt und
ordnet an
und
maß
verbietet und schützt und
schließt aus, führt ihr da Vorrechte und Begünstigungen ein für einzelne
Klassen — ei, so übernehmt ihr auch die Folgen. gehemmt und
Wenn wir dann,
beschränkt in freier Wahl und Ausübung unserer ge
werblichen Tätigkeit,
nicht zu bestehen vermögen, so trifft
euch die
Verantwortung davon und ihr müßt die Sorge für unsere Subsistenz übernehmen."
Das aber ist mehr, als irgend eine Klasse der Gesellschaft, als der
Staat vermag, selbst wenn er den Willen dazu hätte.
Der Staat ist
ja nichts, was über und außer den Menschen in der Luft schwebt, er ist
die Gesamtheit der Staatsangehörigen, und der Staatssäckel besteht von dem, was aus den Privatsäckeln der Bürger in ihn hineinfließt.
Nun können wohl wenige von vielen oder auch ein vorübergehender Notstand vieler von allen übertragen werden. Aber die zahlreichste Klasse der Staatsbürger dauernd an eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln,
d. h. aus den Mitteln der übrigen Gesellschaftsklassen, also viele auf wenige, verweisen, wäre gleichbedeutend mit dem' öffentlichen Bankerott, denn die in solcher Weise bewirkte Mehrbelastung der Staatsfinanzen,
die außerordentliche Mehrausgabe geht ja dabei Hand in Hand mit einer ebenso großen Verringerung der Staatseinnahme.
Nicht nur
daß die unterstützte Klasse aus der Reihe der Steuerzahler ganz aus scheidet, deren Zahl sich also vermindert, schwächt man auch die nachhaltige Schulze-Delitzsch, Schriften und Redm.
II.
3
34
Schulze-Delitzsch.
Steuerkraft der noch übrigbleibenden Minderheit, indem man durch die
notwendige Erhöhung ihrer Steuersätze ihren Geschäftsfonds, das werbende Kapital des Landes, und mit ihm ihr Einkommen schmälert. Und wahr haftig, nicht bloß das Defizit der Staatsfinanzen, auch der sittliche und wirtschaftliche Ruin der Gesellschaft ginge notwendig aus solchem Gebühren hervor, vor allem des Arbeiterstandes selbst. In der Verweisung auf öffentliche Hilfe, in der Annahme, daß sich die Arbeiter aus eigener Kraft zu helfen nicht vermöchten, verlöre der Arbeiterstand die sittliche Würde, seine Mitglieder jeden Antrieb zur
Tüchtigkeit, Fleiß, Sparsamkeit. Das ganze Erwerbsleben der Nation käme dadurch zurück, und das Almosen verschlänge zuletzt das indu strielle Kapital des Landes, den Fonds, welcher bestimmt ist, die Löhne der Arbeiter zu zahlen. Daher Freiheit der Arbeit, Gewerbefreiheit und Frei zügigkeit, als eine der ersten Forderungen der Arbeiter und als not wendige Voraussetzung der sozialen Selbsthilfe. Eine Selbst verantwortlichkeit für seine Subsistenz jemandem aufbürden wollen, dem man nicht die Freiheit gewährt, sein Geschick selbsttätig in die Hand zu nehmen, ist ein Unding. Verantwortlichkeit und Freiheit — dies die sich gegenseitig bedingenden Grundsäulen der sittlichen, politischen und wirtschaftlichen Welt.
b) Die Hilfsmittel der Arbeit. Fragen wir weiter nach dem Verfahren, welches der Mensch eiu schlägt, um seiner Arbeit den Erfolg zu sichern, fo drängt sich uns zu
nächst folgende wichtige Wahrnehmung auf. Welche Wirkungen wir auch nach dem Gesagten der Tätigkeit des Menschen beizulegen geneigt sind, und wenn auch ohne ihr Dazwischen treten von Befriedigung unserer Bedürfnisse niemals die Rede sein kann, so würde dieselbe doch niemals für sich allein zum Ziele gelangen, vielmehr bedarf sie dazu einer Ergänzung von anderer Seite, will sie über haupt den gewünschten Erfolg haben. Diese Aushilfe leistet ihr die Natur,
Die Arbeit des Menschen und die Macht der Natur sind die un entbehrlichsten Bundesgenossen bei jeder Produktion, bei der Hervor
bringung aller zum Leben notwendigen, nützlichen und angenehmen Dinge, indem sie stets nebeneinander herlausen und auf die mannigfaltigste Art in einander übergreifen. Die Natur ganz allein stellt uns zunächst die Stoffe,
aus denen wir alles fertigen, als Gegenstände der Bearbeitung zu Ge bote, ohne welche die Arbeit überhaupt undenkbar wäre, da aus nichts
nichts gemacht werden kann. Sodann benutzen wir aber auch ihre Kräfte
als Hilfsmittel beim Arbeiten selbst. Und so sehr hängt die Arbeit auch
in letzterer Beziehung von der Naturhilfe ab, daß dieselbe nicht selten lediglich darin besteht, die Dinge — Werkzeuge und Stoffe — in die
rechte Lage zueinander zu bringen, damit die Naturkräfte in der vom
Arbeiter beabsichttgten Weise alsdann die Sache abmachen.
Man nehme
z. B. Mühlwerke von Wind oder Wasser getrieben, wie alle Maschinen, Aber auch wo das
bei denen die Natur die bewegenden Kräfte leiht.
letztere nicht der Fall ist, gibt es kaum einen Arbeitsakt, zu dem sich die Menschenhand nicht aus dem großen Zeughaus der Naturkräfte bewaffnete.
So sind z. B. alle Arbeitswerkzeuge vom einfachsten bis zu dem kunst voll Zusammengesetztesten nichts weiter, als Vorrichtungen, um die Natur
kräfte den Zwecken der Arbeit dienstbar zu machen.
Im Messer, der
Axt, dem Pfluge, der Säge z. B. ist es die dem Eisen von der
Natur beigelegte Eigenschaft der Härte, vermöge deren es weichere Stoffe Im Hammer ist es wiederum die Schwere desselben Metalls,
zerteilt.
ebensogut wie es in dem Mühlwerk die Fallkraft des Wassers oder Treib
kraft des Windes, in der Dampfmaschine endlich die Spannkraft der Wafferdämpfe ist, die wir bei unseren Arbeiten für uns benutzen —
alles Eigenschaften, welche diesen Dingen von der Natur beigegeben sind. Eine
Arbeitstätigkeit
ohne
diese Beihilfe der
Naturkräfte
ist
daher,
wenigstens in unseren vorgeschrittenen Zeilen, mit irgendeinem Erfolg
geradezu
unmöglich, und wir
können
uns
kaum vorstellen,
wie die
Menschen der frühesten Zeiten, ehe jene Werkzeuge erfunden waren, fast
nur auf ihre Muskeln und Glieder angewiesen, imstande gewesen sein
mögen, sich die Mittel auch nur zum allerkümmerlichsten Dasein zu ver schaffen.
Daher kann es denn gar nicht fehlen, daß die Menschen von
jeher bestrebt gewesen sind, ihre mühevollen Anstrengungen durch immer
erweiterte Heranziehung der Naturkräfte zu vermindern. Der Satz: „daß
menschliche Arbeit um so leichter und dabei auch um so ergiebiger
ist, je mehr die Naturhilfe sie unterstützt," müßte sich jedem von selbst aufdrängen, und von dem mächttgen Sporn des eigenen Interesses
getrieben, strengte sich der menschliche Geist unablässig an, tausend Mittel
und Wege zu dem lockenden Ziel zu finden,
und
eröffnete jene un
absehbare Reihe von Entdeckungen und Erfindungen, welche alle darauf
hinauslaufen, setzen.
schritt von
großen
Naturkraft an die Stelle menschlicher
— Daß dies der jeher
Gang ist,
genommen,
Entdeckungen
in
den
Anstrengung
welchen aller industrielle
zu
Fort
und den die neuere Industrie seit den Naturwissenschaften
entschiedener
und
36
Schulze-Delitzsch.
Lascher als je in unseren Tagen innehält, wird kaum der Erwähnung
bedürfen. Nach alledem ist die Vornahme jeder Arbeit an gewisse Vor bedingungen gebunden. Es ist nicht genug, daß die Natur Rohstoffe geschaffen und Kräfte in Eisen, Wasser, Dampf usw. gelegt hat. Ich
muß meinerseits Anstalten treffen, sie für mich benutzen zu können. Ich muß die Stoffe herbeischaffen in der rechten Menge und Beschaffenheit.
Um die Kräfte zu benutzen, bedarf es bestimmter Maschinen und Werk zeuge» sie sozusagen aus ihrer elementaren Freiheit einzufangen und mir dienstbar zu machen, denn sonst sind Stoffe und Kräfte freilich wohl im großen Haushalt der Natur, aber für mich so gut wie nicht vorhanden. Ehe man also mit irgend einer Beschäftigung, einer Arbeit zu Erwerbs zwecken beginnen kann, muß man einmal für Beschaffung der zu ver arbeitenden Rohstoffe, sodann der nötigen Arbeitswerkzeuge und endlich für seine und seiner Mitarbeiter Subsistenzmittel während der Dauer der Arbeit gesorgt haben. Allerdings handelt es sich in allen diesen Stücken um die Beihilfe der Natur, die wir unserem Arbeits unternehmen dadurch sichern wollen — aber auch diese Beihilfe gewährt die Natur nicht ohne eine vorherige Zutat von Arbeit, wie wir sehen, möge sie durch die Ansammlung und Herbeischaffung von Arbeitsstoffen und Subsistenzmitteln oder durch die Herstellung von Werkzeugen behufs Benutzung ihrer Kräfte veranlaßt werden. Diese notwendigen Voraus setzungen jeder auf Herstellung von Sachgütern gerichteten Arbeit können also ohne Ausnahme nur durch frühere, der jetzt beabsichtigten vorher gegangene Arbeiten der verschiedensten Art geschafft werden; wir begreifen dieselben unter dem Namen Kapital, d. h. die Summe
früherer Arbeitsresultate, deren jemand zum Beginn wie zur Fortsetzung einer bestimmten gewerblichen Beschäftigung not wendig bedarf. Wir haben es damit besonders im zweiten Vortrage
zu tun, weshalb wir hier nur im Vorübergehen die falsche Vorstellung berichtigen, als ob das Kapital in einer Geldsumme bestände. Allerdings kann eine solche als Kapital dienen, weil man sich für Geld alles an
schaffen kann, was man gerade braucht, aber die Wirksamkeit des Geldes dabei ist eben deshalb nur eine vermittelnde.
Ob z. B. ein Sohn,
der von seinem Vater zu irgend einem Geschäft ausgestattet wird, oder ein Arbeiter, der sich seine Geschäftseinrichtung durch allmähliche Er sparnisse sammelt, die nötigen Rohstoffe, Werkzeuge und Vorräte zur Wirtschaft in Natur besitzt, oder das Geld dazu in den Händen hat, ist gleichgültig, da er im letzteren Falle sie für Geld sich sogleich
anschaffen kann.
Das Kapital besteht daher nicht in einer Geldsumme,
eine Geldsumme ist an sich kein Kapital.
Vielmehr kommt sie als
solches nur in Betracht, insoweit sie zu dem angedeuteten Zweck ver wendet oder bestimmt ist.
c) Form der Arbeit iuuerhal- der menschlichen Gesellschaft. Haben
wir Wesen
und Zweck der
Arbeit aus
der
Natur des
Menschen heraus entwickelt, die Hilfe, welche ihm die Natur dabei leistet, betrachtet, so müssen wir nun ein schon früher in anderer Beziehung erwähntes Element nochmals in den Kreis unserer Betrachtung ziehen,
durch welches die Arbeit in Form und Art ihrer Verrichtung wesentlich bestimmt wird: die menschliche Gesellschaft.
Der arbeitende Mensch
lebt nicht allein auf einer wüsten Insel, neben und um ihn leben viele andere Menschen mit gleichen Bedürfnissen und Trieben, zu deren Be
friedigung sie gleichfalls auf eigene Tätigkeit angewiesen sind. statt dadurch in Beschaffung der Mittel zum Dasein
Und an
beeinträchtigt, in
seinen Arbeitszwecken gehemmt zu werden, wird der einzelne im Gegenteil dadurch
gefördert, und alle fühlen
sich durch den ihnen von Natur
angeborenen Gesellschaftstrieb vielmehr zum regsten Verkehr, zum innigen
Anschluß
aneinander angewiesen.
Es ist kein Zweifel, der
Mensch ist für das gesellige Zusammenleben mit seinesgleichen von der
Natur geschaffen, denn alle seine Triebe und Fähigkeiten drängen ihn unwiderstehlich dazu hin, diese Gemeinschaft zu suchen und zu pflegen.
Er kann nicht, auch wenn er wollte, wie das Wild im Walde, wie das Raubtier in der Wüste, vereinzelt leben.
Er würde in der Einöde ver
kümmern, seine Bestimmung verfehlen, seine natürliche Bestimmung versteht sich, denn mit der theologischen haben wir nichts zu tun.
Diese
natürliche Bestimmung des Menschen aber ist, wie die aller erschaffenen Wesen, die Entwicklung sämtlicher in ihnen enthaltenen Keime
und Anlagen. Zu einer solchen Entwicklung gelangt aber der Mensch
in völliger Abgeschlossenheit mit sich allein niemals, vielmehr bedarf es dazu notwendig des Zusammenlebens und dadurch ermöglichten Aus
tausches gegenseitiger Hilfsleistungen mit Wesen seiner Art.
Ohne dies
würde dem einzelnen in den meisten Fällen kaum die kümmerliche leib
liche Existenz möglich sein, und seine ganze Zeit und Kraft in den müh seligsten und rohesten Verrichtungen zur Beschaffung der allernotwendigsten
Subsistenzmittel völlig erschöpft werden, ohne daß ihm zur Ausbildung der höheren Anlagen des Geistes und Gemüts irgendwie Zeit und Ge
legenheit würde.
Man lasse dabei nie außer Augen: das ärmlichste und
Schulze-Delitzsch.
38
niedrigste Los, welches jemandem unter uns nur immer beschieden sein
mag,
ist
einem
Dasein
außerhalb
menschlichen
der
Gesellschaft,
ab
geschieden von aller Berührung mit anderen Menschen, vorzuziehen. Der
ärmste Tagarbeiter schläft doch auf Stroh, hat Kleidung und Obdach,
so schlecht sie sein mögen, sein Stück Brot für den Hunger und besitzt
irgend ein Gerät und Werkzeug zu Wirtschaft und Arbeit. Wie wäre es, stände er nackt und bloß allein für sich in der Öbe — hätte er da wohl
Aussicht, sich diese Gegenstände zu beschaffen?
Ja, selbst die Sprache
und mit ihr das Verfolgen jeder geordneten Gedankenreihe gingen ihm ab, und er fände sich geistig und leiblich auf einer Stufe, kaum unter schieden von dem Tier.
Indessen vermögen wir uns solche Zustände in
der Wirklichkeit, aus Erfahrung, gar nicht zu denken (es müßte denn von einem Schiffbrüchigen auf einer wüsten Insel die Rede sein), weil Menschen außerhalb der Gesellschaft überhaupt nicht existieren.
Denn solange und
wo immer es Menschen gibt, haben wir auch eine Gesellschaft, treten sie auch in Verkehr miteinander, eben weil sie gar nicht anders können, weil ihr Naturzustand der gesellige ist.
Prüfen wir nun, wie diese Beziehungen sich zu jenem Kreislauf, der,
wie wir sahen, das Leben des einzelnen ausfüllt, verhalten, und wie beide, die Forderungen des Einzellebens und die Bedingungen des geselligen
Verkehrs, sich in Einklang miteinander setzen. Bedürfnis — Anstrengung — Befriedigung, das waren die
drei Seiten, unter denen sich uns jener Kreislauf darstellt.
Fassen wir
dieselben einzeln ins Auge, so drängt sich uns bei genauerem Hinblicke
sofort ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen auf.
Im Bedürfnis
und der Befriedigung, den Anfangs- und Endpunkten des Ganzen, die fortwährend ineinander verlaufen, um
eins aus dem andern von
neuem hervorzugehen, haben wir etwas höchst Persönliches vor uns, in dem Sinne, daß ihre Überleitung ineinander immer nur in einer und
derselben bestimmten Person, ohne Teilnahme einer anderen,
gehen kann.
Es gibt kein Bedürfnis,
vor sich
dessen Befriedigung bei
einem
anderen, alL dem, der es empfindet, stattfinden kann, und umgekehrt. Weder meinen Hunger, noch meinen Durst, noch meine Müdigkeit kann ich
einem Gesättigten und Ausgeruhten mitteilen, noch werde ich dadurch satt oder gestärkt, daß ein anderer für mich ißt oder schläft.
Da hilft
nichts, ich muß selbst essen, trinken, schlafen, atmen usw., wenn ich das Bedürfnis dazu empfinde, sonst wird mir nicht geholfen, ein anderer kann
das nicht für mich abmachen.
Halten wir daher fest: es ist ein für
allemal unmöglich, daß jemand sein Bedürfnis auf einen anderen über-
trägt und
daß die
Beftiedigung
eines
Bedürfnisses, welches jemand
empfindet, sich in einem anderen als in ihm selbst vollziehen kann. Beide Vorgänge fallen unmittelbar und mit Notwendigkeit in einem und dem selben Menschen zusammen.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Mittelglied in der Kette, der Anstrengung, welche dazu dient, dem Bedürfnis zur Befriedigung zu verhelfen.
Sie kann von jedem beliebigen anderen ausgehen, als
von dem, der das Bedürfnis empfindet, und ihm doch zur Befriedigung
verhelfen.
„Die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit sind über
tragbar", lautet das hier eingreifende volkswirtschaftliche Gesetz.
Wir
können nicht einer anstatt des anderen genießen, aber wir können einer für den anderen arbeiten, wir können uns einander gegen
seitig Dienste leisten und mit dem, was jeder zum Leben braucht, ver
sorgen. — Dies die große und weise Einrichtung der Natur, wodurch
die Gesellschaft, der gesellige Verkehr der Menschen überhaupt mög
lich wird. Aber nicht genug, daß somit die Möglichkeit der Gesellschaft ge
geben ist, so liegt in dieser natürlichen Organisation der Arbeit, welche wurzelt in der Organisation des Menschen selbst, wie wir
dies im allgemeinen Wir
schon erwähnten, zugleich ihre Notwendigkeit.
können nicht bloß einer für den anderen
arbeiten, einer dem
anderen unsere Arbeitserzeugnisse zu Gebote stellen, nein, wir müssen es, wenn
wir überhaupt zur völligen Befriedigung aller Bedürfnisse
mittelst unserer Arbeit gelangen wollen.
Denn dem schon
oben
von
uns aufgestellten Satze:
daß außerhalb der Gesellschaft die Bedürfnisse des ver einzelten Menschen
seine
Kräfte übersteigen
und Ver
kümmerung sein gewisses Los ist, steht der andere ebenso unumstößlich gegenüber:
daß innerhalb der Gesellschaft, im Austausch der wechsel seitigen
Arbeitserzeugnisse und Leistungen, die Kräfte
des Menschen weit über seine Bedürfnisse hinausgehen.
Eine der Hauptursachen, weshalb die Menschen einzeln für sich nicht imstande sind, sich mit allen ihren Bedürfnissen zu versehen, liegt in der überaus verschiedenen Verteilung der Anlagen und Kräfte unter
ihnen, in ihrer verschiedenen Begabung, welche die einzelnen nur
zu dieser oder jener, keinen aber zu allen den vielen und mannigfaltigen
Arbeitsverrichtungen befähigt, welche zu diesem Behufe erforderlich sind So mußten dieselben, durch die eigne Natur getrieben, wohl ganz von
40
Schulze-Delitzsch.
selbst auf
den einzig möglichen Ausweg verfallen und diese Aufgaben
unter sich
verteilen.
Anstatt sämtliche zu
seiner Versorgung not
wendigen Arbeiten zu übernehmen, widmet sich jeder nur einer oder der
andern davon.
Zwar gelangt er so durch seine unmittelbare Tätigkeit
nur zur Befriedigung eines und des andern seiner Bedürfnisse.
Allein
indem er seine ganze Zeit und Kraft darauf verwendet, gewisse Artikel
herzustellen oder gewisse Verrichtungen zu übernehmen, vermag er in einer solchen besondern Branche natürlich weit mehr zu leisten, als er zu seinem
eigenen Gebrauche bedarf und behält einen mehr oder minder bedeutenden Überschuß davon, welchen er anderen Personen zur Verfügung stellen kann.
Da nun diese ihrerseits wiederum
ebenso
verfahren
und
von
ihnen sich jeder eine besondere Arbeitsbranche aussucht, so ist, bei der
unendlichen Verschiedenheit der
Neigungen und Mhigkeiten
Menschen, mit Gewißheit darauf zu rechnen,
daß alle nur
unter den
denkbaren
Beschäfttgungsarten vertreten sein werden und der Gesamtbedarf in allen
möglichen Richtungen sein Genüge findet.
Auf diese Weise kann sich
jeder versichert halten, daß er für dasjenige, was er in seinem Geschäfts
zweige über seinen Bedarf hinaus schafft, alles, was er sonst zu seinem Leben
braucht, von den andern tauschweise erhalten kann, unter der
Bedingung
nämlich, daß
sein
eigenes
jenen ebenfalls zur Befriedigung
genehm ist.
Arbeitsprodukt,
seine Leistung,
eines Bedürfnisses dient
Der eine z. B. fertigt Tuch, der
und ihnen
andere Kleider, jener
Schuhwerk, dieser Möbel, noch andere bauen Häuser, treiben Acker- und
Bergbau usw., und jeder gibt die gewonnenen Produkte, die er nicht selbst für sich gebraucht, im Austausch gegen die Produkte der anderen hin.
Auf solche Weise nötigt jeden das Interesse, das
er an seiner
eigenen möglichst vollkommenen Versorgung hat, seinen Gesichtskreis zu
erweitern und anstatt des geschlossenen Kreises der eigenen Bedürfnisse das Gesamtbedürfnis der Gesellschaft ins Auge zu fassen.
Vergleichen
wir nur einmal das, was wir selbst schaffen, mit dem, was wir alles brauchen, und wir können uns nicht verhehlen, daß, welchen Arbeitszweig einer auch erwählt hat,
jeder von uns doch
die Befriedigung seiner
Bedürfnisse weit mehr den Erzeugnissen fremder als eigner Arbeit ver dankt.
Der Schneider mag wohl seine Kleider, der Bäcker sein Brot,
der Tischler seine Möbel selbst fertigen; aber wer liefert ihm das Tuch,
das Mehl, das Holz dazu, wer ihre Werkzeuge? — und welche hundert Dinge bedürfen diese Leute nicht noch außerdem!
Aus dem allen folgt:
daß, je mehr und je besser jemand durch seine Arbeit für fremde Be dürfnisse sorgt, je geeigneter seine Produkte von den andern zu diesem
Zwecke befunden werden, desto sicherer und vollständiger er dadurch zu
gleich selbst mit allem, was er seinerseits braucht,
versehen sein
wird,
weil er der bereitesten Abnahme versichert sein kann, und so in den Stand gesetzt wird, das
von ihm Gewünschte
leicht und sofort zu erhalten. ist dieser gesellschaftliche Zug Gesamtwirkungen
Rolle in dem
selbst
großen
da
ebenfalls im Austausch
Und so unverwüstlich und unwiderstehlich
unserer Natur,
eintreten,
wo
daß
seine
wohltätigen
die einzelnen, welche
Schauspiel abspielen,
gar
nichts
ihre
voneinander
wissen; daß die verschiedensten Personen an den verschiedensten Orten, ja selbst zu verschiedenen Zeiten, indem jede nur das allgemein mensch
liche Bedürfnis int Auge hat, zu Dingen, von denen sie keine Ahnung haben, zusammenwirken, daß ihre Leistungen, nach mannigfachem Wandern von Hand zu Hand in gewisse schließliche Endresultate zur Befriedigung des Bedarfs von Leuten zusammenlaufen,
deren Dasein
ihnen
nicht
einmal bekannt war.
d) Die Teilung der Arbeit in verschiedene Geschästszweige im besonderen. Die Wirkungen dieser Teilung der Arbeit — der Scheidung der
menschlichen Arbeit in verschiedene Gruppen und Geschästszweige — hin
sichtlich der Erleichterung sowie der Steigerung der Ergiebigkeit der Arbeit
sind unübersehbar und entziehen sich jeder Berechnung.
Und zwar äußern
sich dieselben in drei Hauptrücksichten.
Leistungsfähigkeit
der
Dieser Einfluß zeigt sich wiederum in mehreren Stücken.
Zu
Zuerst Arbeit.
inbetreff
der
gesteigerten
nächst erhalten die einzelnen Gelegenheit, durch die Wahl verschiedener Beschäftigungen ihre besonderen Kräfte und Anlagen zu verwerten.
Die
natürliche Begabung der Menschen ist außerordentlich ungleich; Körper stärke, Mut, Einsicht, Phantasie, Spekulationsgabe sind höchst verschieden unter die einzelnen verteilt.
Indem jeder die Stelle einnehmen kann,
zu welcher er besonders geschickt ist, wird ungeheuer viel gewonnen.
Die
Verschiedenheit der Fähigkeiten, welche ohnedem das allgemeine Elend
begründen würde, gereicht nun der Gesamtheit zum großen Nutzen. Dank dieser Teilung der Gesamtausgabe in eine Menge verschiedener Branchen, kann nunmehr der Starke bis zu einem gewissen Punkte der höheren
Einsicht, der Kenntnisreiche, der Geistvolle der Körperkraft entbehren usw., während, wenn alle alles schaffen müßten, jeder den Mangel irgend einer zu dieser oder jener Leistung erforderlichen Eigenschaft zu bellagen haben würde.
Sodann hat die Beschränkung auf spezielle Geschästszweige not
wendig eine größere Erfahrung in allem, was die Produktion fördert,
Schulze-Delitzsch.
42
sowie eine größere Geschicklichkeit in den vorkommenden Verrichtungen zur Folge, als bei der Zersplitterung der Tätigkeit in unzählige Zweige erreicht werden kann.
Die wachsende Vertrautheit mit dem gewählten
Arbeitsgebiet führt zu neuen Erfindungen, überhaupt zur größtmöglichen Vervollkommnung der Leistungen, welche aus Qualität und Quantität der
Produkte zurückwirkt.
Wenn man erwägt, wieviel Zeit dazu gehört, um
es nur in einem einzigen Berufszweige zu demjenigen Grade von Ge
schicklichkeit und Erfahrung zu bringen, ohne welchen nichts mit einigem Erfolge geschafft werden kann, so würde die traurige Lage der Menschen
gar nicht abzusehen sein, wenn jeder alle die verschiedenen Verrichtungen, welche zur Beschaffung aller Subsistenzmittel notwendig sind, selbst über
sich nehmen müßte.
Das höchste Lebensalter reichte nicht im entferntesten
zu den Lehrjahren hin, und ehe es jemand nur zu den kümmerlichsten Anfängen brächte, wäre er tot.
Die ganze Industrie aber käme nie über
die erste Kindheit hinaus.
Weiter wirkt die Arbeitsteilung auf Verhütung der Kapitals vergeudung bei der Arbeit.
gewisse Materialien
Zeit.
Wie wir sahen, gehören zu jeder Arbeit
und Werkzeuge nebst Lebensunterhalt auf gewisfe
Man nehme nun den einzelnen, welcher alle die verschiedenen
Arbeiten zur Befriedigung seiner Bedürfnisse selbst verrichten soll.
Er
bedarf einer Schneider-, einer Schuhmacher-, Tischler-, Schmiede-, Weber-, Maurer-, Zimmer-, Fleischer-, Bäcker- usw. Werkstätte, mit Werkzeugen
und Materialien aller Art, er muß Ackergerät und Vieh anschaffen, eine Mühle anlegen, kurz, er muß tausend Dinge haben, ehe er die tausend
verschiedenen Verrichtungen nur beginnen kann.
Es ist klar, daß allein
die Anschaffung dieser Masse von Vorbedingungen der Arbeit alle seine Kräfte Zeit seines Lebens weit übersteigt.
Nur wenn sich eine Anzahl
Menschen gesellig vereinigt und die Beschäftigungen unter sich verteilt, wird eine eigentliche Arbeit überhaupt erst möglich.
Statt jener tausend
fachen bedarf jeder nur einer auf ein einziges Gewerbe berechneten Ein richtung, welche zugleich allen übrigen im Kreise seiner Kundschaft mit
zustatten kommt. Endlich übt die Arbeitsteilung auf die Mitwirkung der Natur
kräfte und Schätze bei jeder Produktion den erheblichsten Einfluß aus. Bekanntlich sind dieselben auf der Erdoberfläche in ungleichem Maße ver teilt.
Nun ist aber der Mensch, wie wir ebenfalls schon sahen, mit allem
um so besser versorgt, je mehr die Natur ihn bei Hervorbringung seines Bedarfs
unterstützt.
Dank der Macht der Arbeitsteilung und des da
durch ermöglichten Tausches, schlägt diese ungleiche natürliche Beschaffen-
heit der verschiedenen Gegenden, ebenso wie die Ungleichheit der Begabung unter den Menschen selbst, zum Besten des Ganzen aus. nun an jedem Orte vorzugsweise das,
ausgestattet hat.
Man produziert
wozu ihn die Natur besonders
An jeder Stelle wird hauptsächlich diejenige Arbeit ge
trieben, welche dort, der mitwirkenden lokalen Naturgeschenke halber, die
ergiebigste ist, was im ganzen den Ertrag aller Arbeit überhaupt steigert. Müßten die Menschen ihr Eisen unter dem Äquator, ihre Gewürze in den kalten Erdstrichen in Gewächshäusern produzieren, welche Mühe
und trotzdem welche kümmerlichen Resultate hätten sie davon!
So aber
werden die Ebenen der gemäßigten Klimate mit Getreide, die Berghänge wärmerer Länder mit Wein, die Niederungen der Tropenflüsse mit Reis,
Baumwolle usw. bebaut; an den Küsten wohnen Fischer, in den Wäldern Jäger, um die Minen siedeln sich Bergleute an, an fallenden Wassern erstehen Mühlenwerke, Dampfmaschinen und Schmelzwerke in den Kohlen distrikten. Überall sind verschiedene Arbeitszweige vorherrschend, in jedem
Lande die seiner Beschaffenheit gemäßen Produkte und Arten der Tätigkeit, bei welchen die Naturkraft die menschliche Anstrengung am besten unter
Das Schlußresultat davon aber die möglichst beste und billigste
stützt.
Versorgung aller mit allem. Ein Beispiel der
Arbeit Raum
wunderbaren Wirkungen dieser
in Verknüpfung
an
einem
der
der fremdartigsten
Teilung
der
Tätigkeiten in Zeit und
alltäglichsten Verbrauchsgegenstände.
Betrachte
jemand einmal den Rock, den er trägt, und mache sich klar, was alles
dazu gehörte, ihn zustande zu bringen. Menschen
in
den
Zuerst mußten sich eine Anzahl
Gauen Deutschlands
oder Südrußlands oder
Australiens mit der Schafzucht beschäftigen, um die rohe Wolle zu
liefern.
Diese Wolle mußten Schiffer und Fuhrleute zu den Spinnereien
Englands, der Niederlande usw. transportieren, von denen Tuchmacher, vielleicht ganz anderer Länder, das Garn erhielten, um das Tuch zu
weben.
Auch der Tätigkeit des Färbers bedurfte es, ehe es der Schneider
zur Ferügung des Rockes erhielt, wobei
er selbst wieder des Knopf
machers, des Nadel-, Zwirn-, Seiden- und Stahlwarenfabrikanten (wegen
der Scheren
usw.)
vorhergegangener
bedurfte,
deren Fabrikate wiederum ganze Reihen
Arbeit von Herstellung des Rohstoffes bis zu
schließlichen Gestaltung zu durchlaufen hatten.
ihrer
Die Seide wurde vielleicht
in Südfrankreich, der Lein oder Hanf in Schlesien oder Rußland, das Eisen in den schwedischen, belgischen oder westfälischen Gruben gewonnen und wieder an anderen Orten verarbeitet.
Und das ist noch nicht alles.
Sämtliche Arbeiter in den verschiedenen hier eingreifenden Beschäftigungen
44
Schulze-Delitzsch.
bedurften, um sich denselben unterziehen zu können, während deren Dauer
Wohnung, Kost, Kleidung und Werkzeuge aller Art.
So treten die Land
wirte, Baugewerke und alle sonstigen Arbeiter, die ihnen jene notwendigen
Bedingungen verschaffen, in die unabsehbare Reihenfolge von Tätigkeiten mit ein, welche, ohne daß die einen um die andern wußten, in dem er
wähnten
einfachen
Konsumtionsartikel
ihren
gemeinsamen
Endpunkt
fanden.
Und wie mit diesem geringfügigen Gegenstand, zu dessen Fertigung so unendlich verschiedene Arbeiten, oft in verschiedenen Weltteilen, ge
hören, zwischen deren Verrichtung Jahre liegen, ebenso und nicht anders
verhält es sich mit der Versorgung der ganzen Gesellschaft, so daß keine noch so unscheinbare Einzeltätigkeit verloren geht, ohne zu dem großen
Gesamtergebnis mitzuwirken. Was wir aber schon am Schluffe unserer heutigen Betrachtung
wenigstens andeutungsweise hervorheben wollen, ist: daß diese auf den ersten Blick bloß materiellen, bloß auf die Ver
sorgung mit den zum Leben notwendigen, nützlichen und angenehmen Dingen bezüglichen Vorgänge zugleich von höchster kulturgeschicht licher Bedeutung sind.
Nicht nur daß die Arbeit, durch Sicherung der leiblichen Existenz, uns die unerläßliche Voraussetzung jeder höhern Tätigkeit gewährt, stählt sie auch den Geist zum Ringen um die höchsten und schwierigsten Auf
gaben.
Denn überall hat das Menschengeschlecht in der Kindheit seiner
Entwicklung, bei den rohesten, unausgebildetsten Arbeitsmethoden, seine Tätigkeit zuerst in der Beschaffung der äußersten Notdurft zum Leben erproben müssen und sie darin erschöpft.
Der harte Kampf um das
nackte Dasein, die Sorge für das nächste ließen es nicht dazu kommen,
an weitere Strebungen und Ziele zu denken.
Erst die allmähliche Ent
deckung und Benutzung der Arbeitshilfsmittel, von denen wir sprachen,
und die dadurch gesteigerte Leistungsfähigkeit der Arbeit, welche einen Überschuß des Gesamtarbeitsprodukts über das Gesamtbedürfnis er möglichte, stellte der Menschheit das erforderliche Maß von Zeit und
Kräften zu Gebote, um sich höhern Aufgaben zu widmen und mehr und
mehr in die Bahnen der Zivilisation einzulenken.
Namentlich fällt der
in neuerer Zeit immer bewußter von der Arbeit eingeschlagene Weg der Dienstbarmachnng der Naturkräfte für die materielle Güter produktion mit jenen höchsten Zielen, mit der Herrschaft des Geistes über die Materie zusammen, wie denn auch von seiner beharrlichen Verfolgung
allein die wahre Emanzipation des Arbeiters, die Erlösung von
den rein mechanischen, rohsten und aufreibendsten Arbeitsverrichtungen endlich zu erwarten ist — ein Punkt, mit dem wir uns später eingehend
zu beschäftigen haben.
So erheben Sie sich, Sie, die Männer der Arbeit, an diesem Ein
blick in das große Gesamtbetriebe des menschlichen Verkehrs, wie flüchtig ich Ihnen auch in dem kurzen Raum dieser Stunden denselben zu er öffnen vermochte.
Es tut not, daß der einzelne von Zeit zu Zeit aus
der Enge seines bürgerlichen Berufs ausschaue und
Brust
und
Blick
weite in dem Gefühl des Jneinandergreifens aller menschlichen Tätigkeiten
zu einem großen Ganzen, daß er sein Tun und Sein verkettet weiß mit Beziehungen und Kräften, die ihn oben
haltm, wenn das Bleigewicht
seines irdischen Looses ihn mit seiner ganzen Schwere niederzuziehen
Nichts ist so geeignet, die sittliche Würde im Arbeiter rege zu
droht.
halten, als wenn er seine Tätigkeit nicht bloß als Broterwerb für sich, sondern in ihrem ganzen Wert für die Gesellschaft begreift.
Wurzeln
doch in der Arbeit, wie in ihrem Mutterboden, die größten Errungen
schaften, die segensreichsten Fortschritte der Menschheit.
Und was die
Arbeit der Gesellschaft gewesen ist, wie sie ihr die Kulturbahnen er
öffnet hat — so beginnt mehr und mehr der Segen dieses Tuns auf sie selbst zurückzuströmen.
Schon zahlen Kunst und Wissenschaft ihr die
langversäumten Zinsen, und den Arbeitern, die diesen notwendigen Ent
wicklungsgang klar zu erfassen und für sich zu benutzen wissen, wird ihr
volles Teil an dem
großen Erbe der Menschheit nicht vorenthalten
bleiben.
II. Das Kapital. Ich schließe meinen heutigen zweiten Vortrag, in welchem wir
uns mit dem Kapital und dessen Beziehungen zur Arbeit be
schäftigen, an einige Haupffätze an, zu denen wir schon bei unserer ftühern Besprechung über die Arbeit gelangten.
a) Begriff und Verwendung des Kapitals.
Die produkttve Konsumtion.
Um eine gewerbliche Tätigkeit überhaupt beginnen und fortsetztzn zu
können, bedarf man unerläßlich dreierlei Dinge: a) Rohstoffe zur Verarbeitung; b) Werkzeuge zur Arbeit;
c) Subsistenzmittel während der Dauer der Arbeit, oder, was
für den, welcher andere Arbeiter beschäftigt, dasselbe ist: einen
Fonds zur Zahlung von Arbeitslöhnen. Diese als notwendige Vorbedingung zu jeder Arbeitstätigkeit erforderlichen
Schulze-Delitzsch.
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Dasselbe kann
Gegenstände heißt man zusammengenommen Kapital. aus den
verschiedensten
Dingen
bestehen,
je
nach
den verschiedenen
Gewerbszweigen, zu welchen es dient, in einer Geldsumme eigentlich nie mals, indem Geld, als das allgemeine Tauschmittel, nur insoweit hier
in Betracht kommt, als man seinen Bedarf jederzeit dafür haben
kann,
während es selbst, als gemünztes Metall, weder als Rohstoff zur Ver
arbeitung, noch als Arbeitswerkzeug, noch als Subsistenzmittel unmittelbar
gebraucht wird.
Hiernach bildet das Kapital denjenigen Teil des Vermögens eines Menschen, der nicht sofort verzehrt, nicht zur Befriedigung augenblicklicher
persönlicher Bedürfnisse
verwendet, sondern
entweder zum dauernden
Nutzen und Gebrauch für die Zukunft angesammelt und verwendet, oder bei einer künftigen Arbeit, bei Beginn oder Fortsetzung eines Geschäfts, gleichviel ob eines eigenen oder fremden, angelegt wird.
Auf den Zweck,
auf die Bestimmung also kommt es an, welche man den verschiedenen Teilen seines Vermögens, seines Einkommens gibt, um
zu entscheiden,
was davon als Kapital anzusehen ist, und nur das vom augenblicklichen Bedarf Erübrigte hat auf den Namen Anspruch. In dieser Rücksicht gelten z.B. Gebäude, Grund und Boden, Schiffe,
Maschinen und dergleichen immer als Kapital, denn sie gehen nicht im augenblicklichen Verzehr auf, sondern gewähren einen dauernden Nutzen, dienen zur Befriedigung von Bedürfnissen im Leben oder zum Geschäfts
betrieb auf geraume Zeit.
Andre Dinge kommen teils als Kapital, teils
als bloße Verzehrgegenstände in Betracht, je nachdem man über sie ver
fügt.
Ein Gutsbesitzer z. B. verwendet von seiner Weizenernte einen
Teil zur Aussaat, einen anderen zur Ernährung seiner Arbeiter, einen dritten verkauft er und bewirkt mit dem Erlös die Verbesserung seiner Grundstücke oder den Ankauf neuer Äcker: alles kapitalmäßige Anlagen, welche die Fortbestellung und Ausdehnung seiner Landwirtschaft, d. h. also
seines Gewerbs oder Geschäfts bezwecken und auf zukünftigen Erwerb abzielen.
Wenn er aber einen vierten Teil der Ernte im Kuchenbacken
aufgehn läßt, bei einem großen Feste, welches er seinen Bekannten und
Arbeitern ausrichtet, so ist das etwas anderes, und dieser Teil wird rein
verzehrt,
ohne als Kapital ihm für
die Zukunft zunutze zu kommen.
Ferner die Vorräte eines Kramladens.
Für den Kaufmann sind
sie Kapital, weil er aus ihrem Umsatz die Mittel zur Fortführung seines Geschäfts zieht.
In den Händen des Kunden aber, der einige Lot Kaffee
oder Gewürz, ein Pfund Reis oder Zucker von ihm zum augenblicklichen Bedarf entnimmt, können sie nur als Konsumartikel angesehen werden usw.
Von diesem überall durchgreifenden Gesichtspunkte aus wird man nicht blos wirklich greifbare Sachgüter, materielle, körperliche Dinge dem Kapital beizuzählen haben. Selbst Kenntnisse, Er fahrungen und Fertigkeiten, Willenskraft und Unternehmungs geist und andere geistige und körperliche Vorzüge und Anlagen, die jemand durch anhaltende Bemühung und Übung gewonnen oder in sich
ausgebildet hat, und nun für die Dauer in seinem Leben und Berufe nutzt, gehören in gewissem Sinne hierher, schon weil sie nicht im augen blicklichen Gebrauche aufgehn, sondern zur Befriedigung künftiger Be dürfnisse wesentlich mitwirken. Ebenso eine große Entdeckung und Er findung, das Resultat langer mühsamer Forschungen und Versuche, weil es weit in die Zukunft hinaus seine Wirkungen erstreckt und, ge hörig ausgebeutet, seinem Besitzer ein Einkommen gewährt' Dabei muß aber hinsichtlich der Verwendung des Kapitals auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam gemacht werden. Wenn wir das selbe als den der persönlichen und augenblicklichen Verzehrung des Eigners entzogenen Vermögensteil bezeichneten, so kann dies nicht so gemeint sein, als ob es überhaupt nicht zur Konsumtion bestimmt sei. Indem es viel mehr zu einer produktiven Anlage, zu einem Geschäft, einer Arbeit ver wendet wird, wird es früher oder später ebenfalls konsumiert, d. h. in seiner vorhandenen Gestalt vernichtet, nur daß diese Konsumtion eine produktive ist, d. h. daß sie in eine Produktion, in eine Schaffung werthabender Dinge ausläust. An die Stelle des durch die Arbeit vernichteten Kapitals treten neue Werte, mit einem Worte: das Kapital ersteht immer von neuem aus seiner Vernichtung, vorausgesetzt, daß diese ordnungsmäßig durch eine produktive, d. h. Güter schaffende Arbeit er folgt. Jede Zerstörung auf diesem Wege schließt zugleich eine Erzeugung neuer Güter in sich, während die als bloße Genußmittel dienenden Ver mögensteile rein zerstört werden, ohne eine solche Folge zurückzulassen. Beispiele aus dem täglichen Leben liegen uns tausendfältig vor. Wenn ein Arbeiter von dem erhaltenen Wochenlohn, oder ein Handwerker von dem Preise seiner verkauften Waren einen Teil zur Bezahlung einer ge machten Zeche int Wirtshaus, oder zu einem Theaterbillett oder sonst zu
augenblicklichem Bedarf an Nahrung und Heizung verwendet, so ist das so Verwendete konsumiert und für ihn nicht mehr da, ohne daß irgend ein fernerer Nutzen in Zukunft ihm daraus erwüchse. Ganz anders ver hält es sich aber mit demjenigen, was jemand zurücklegt, vielleicht in die Sparkasse trägt, oder in sein eignes oder ein fremdes Geschäft steckt. Der Talg und die Soda, die ein Seifensieder zu Seife verarbeitet, Leder unb
Schulze-Delitzsch.
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und Tuch zu Stiefeln und Mützen, Holz zu Möbeln verschnitten usw. sind
durch die Verarbeitung auch konsumiert, können nicht wieder zu gleichem Zwecke
verbraucht werden.
Aber an ihre Stelle tritt eben das fertige Produkt,
das jene Stoffe nicht nur ersetzt, sondern sie an Wert weit übertrifft, und aus dessen Erlöse sie stets von neuem wieder angeschafft werden können.
So werden die Kohlen zur Heizung eines Dampfkessels oder
einer Schmiede sofort und völlig vernichtet, in den mittelst der dadurch ermöglichten Fabrikation erzeugten Waren aber, außer den Rohstoffen usw., reichlich ersetzt.
Wieder andere Teile des Betriebskapitals bei einem Ge
schäft, z. B. Werkzeuge, bauliche Anlagen, Maschinen und bergt, dienen zu mehr als einem einzigen Produktionsakt, werden
durch die
Vornahme einer einzigen Arbeit noch nicht zerstört, sondern nur allmählich abgenutzt, so daß ihre endliche Vernichtung durch eine ganze mehr oder minder lange Reihe von Produkten, bei deren Erzeugung sie mitgewirkt
haben,
ersetzt wird.
Am schlagendsten
stellt sich die wiedererzeugende
Kraft des Kapitals in dem schon oben gebrachten Beispiele der Ernte dar, von der ein Teil zur Aussaat verwendet wird und sich durch die neue Ernte nicht nur ersetzt, sondern vervielfältigt.
So mag jede
ordentliche Kapitalverwendung einer Aussaat verglichen werden, welche
einer lohnenden Ernte entgegensieht, und vor allem hat man den Satz dabei festzuhalten:
daß sich das Kapital nicht sowohl durch Aufbewahrung zu erhalten, als vielmehr durch Wiedererzeugung zu ver vielfältigen strebt.
b) Entstehung des Kapitals. Fassen wir die Entstehung des Kapitals in das Auge, so haben
wir schon von dem Erübrigen und Aufsammeln desselben gesprochen, und so den Weg angedeutet, auf welchem es sich zunächst bildet. ist in allen Fällen
Kapital
das unmittelbare Ergebnis eines Sparens.
Es
entsteht nur, wenn jemand nicht seinen ganzen Arbeitsertrag,
sein ganzes Einkommen zu unproduktiven Ausgaben, zur Be friedigung
seiner
augenblicklichen
sondern einen Teil davon zurücklegt.
überhaupt nicht zustande kommen.
Bedürfnisse
verwendet,
Anders können Kapitalien
Indessen reicht das Sparen, das
Nichtverzehren einer Sache für sich allein nicht hin, Kapital zu schaffen.
Vielmehr muß demselben eine lohnbringende Tättgkeit, eine produktive Arbeit notwendig vorhergehen, wie sich von selbst versteht, weil ohne dem
die Gegenstände, an welchen gespart werden kann, fehlen würden.
Die
Sachgüter und Werte müssen erst geschaffen werden, welche man auf
sammeln, von denen man etwas erübrigen will, das Gnkommen muß
erst verdient werden, ehe man davon etwas zurücklegen kann. gibt es aber nur ein Mittel: die Arbeit.
Hierzu
Sie allein stellt den Menschen
alle nützliche und notwendige Dinge in der Welt zur Verfügung, sie
allein schafft alle Werte, und so kommen wir wieder auf die Arbeit selbst zurück, als Urquell alles Vermögens, sowohl der Genußmittel,
der
zum
augenblicklichen
weitergehenden
zu
Zwecken
Konsum
des
bestimmten
Erwerbs,
zur
Gegenstände, Fürsorge
wie
für
des
unsere
künftige Existenz zurückgelegten Teils, den wir eben als Kapital be zeichnen.
Lediglich das Produkt der Arbeit, geht das Kapital, wie wir sahen,
wieder in Förderung der Arbeitszwecke auf, strömt befruchtend in den Schoß der Arbeit selbst zurück, um sich in stetigem Kreislauf in neuen Arbeitserzeugnissen wieder zu
erneuern.
Eine
wunderbare
Wechsel
beziehung, die, wie nichts anderes in der Welt, die Interessen beider,
Und wie
des Kapitals wie der Arbeit, unlösbar miteinander verkettet!
sehr dabei die höheren Eigenschaften der menschlichen Natur tätig sind, wie die besten Kräfte des Menschen dabei geweckt und in Übung gehalten
werden, ergibt ein kurzer Hinblick.
Wurzeln nicht Fleiß, Arbeits
tüchtigkeit, Sparen in den geistigen und sittlichen Eigenschaften unserer Natur?
Welche Einsicht, welche Kenntnisse und Erfahrungen gehören
nicht dazu, in irgendeinem Fache gut und mit Erfolg zu arbeiten, etwas
Und ferner zu dem rechten Haushalten mit dem
Tüchtiges zu leisten!
Ertrage seiner Arbeit muß jemand die Zukunft in das Auge fassen, die Einwirkung des zu ersparenden Kapitals auf Befriedigung künftiger Be
dürfnisse in Geschäft und Wirtschaft berechnen und in Anschlag bringen, um sich zu entschließen, die Gegenwart der Zukunft zu opfern.
Da gilt
es, sich selbst und seine Neigungen zu beherrschen, dem augenblicklichen
Reize des Genusses zugunsten großer, dauernder Vorteile in der Zukunft
zu entsagen, Gelüsten aller Art zu widerstehen, sich in Mäßigkeit und Enthaltsamkeit zu üben.
Insbesondere treten hier die heiligsten Familien
bande und Pflichten mit in das Spiel, da jemand von aufopfernder Liebe für die ©einigen durchdrungen fein muß, und
Entbehrungen
zurückznschrecken,
deren
um nicht vor Mühen
Früchte
nicht
selten
erst
Kinder und Enkel genießen. — Kurz, von welcher Seite wir auch die Sache fassen mögen, überall greifen die wirtschaftlichen Strebungen bei der Kapitalsbildung auf den edleren Teil der menschlichen Natur
zurück. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.
4
50
Schulze-Delitzsch.
c) Übertragbarkeit des Kapitals. Um den Grundsatz: „daß die Arbeit allein alle Werte, alles mensch
liche Vermögen, also auch das Kapital schafft," nicht mißzuverstehen, unterscheide man jedoch die Übertragung eines schon bestehenden Ver mögens von dessen Erzeugung.
Wir sehen und begegnen in
unserm
Kreise täglich Menschen, welche im Besitze oft sehr großer Reichtümer, bedeutenden Kapitals sich befinden, ohne daß jemand behaupten kann,
daß dies das Ergebnis ihrer eigenen Tätigkeit sei, daß sie durch eigene Anstrengung und Sparsamkeit sich ihren Besitz verdient Hütten.
dies hebt obige Regel nicht auf.
Allein
Haben solche Leute ihr Vermögen nicht
selbst erworben, so haben es andere an ihrer Statt getan und es ihnen
übertragen.
Denn
irgend jemand muß die dazugehörigen Gegenstände
durch seine Tätigkeit erzeugt, durch seine Ansammlung zusammengebracht
haben, das ist doch nicht anders möglich.
„Die Früchte der mensch
lichen Arbeit sind übertragbar" — dies die große Wahrheit, woraus
wir schon bei unserer vorigen Unterhaltung die Dköglichkeit der mensch
lichen Gesellschaft herleiteten. Vielleicht haben Eltern und Freunde ihnen ihren Besitz vererbt oder geschenkt, vielleicht haben sie ihn in der Lotterie,
dem gewöhnlichen oder Börsenspiel erworben.
Ja selbst durch Betrug,
Raub, Mebstahl und wie alle die widerrechtlichen Aneignungen fremden
Gutes heißen, können Vermögensstücke an einen Inhaber kommen,
an ihrer Erzeugung keinen Teil hat.
der
Daß aber auf alle diese erlaubten
und unerlaubten Arten nur bereits geschaffenes Kapital aus einer Hand in die andere übergeht, niemals aber Kapital oder überhaupt Vermögen
erzeugt oder geschaffen wird, daß das letztere vielmehr ein für allemal nur durch Arbeiten und Sparen möglich ist, wird nach dem Gesagten
wohl jedem einleuchten.
Zugleich ergibt sich aus dieser Betrachtung das
Verwerfliche solcher Bestrebungen, die nur darauf hinauslaufen, sich des Vermögens anderer zu bemächtigen, um sich der Anstrengung zu über
heben, selbst solches
zu
schaffen, wozrr besonders das Spiel in allen
seinen Formen und Arten gehört.
Wer darin seinen Erwerb sucht, wer
von dem großen Gesamtkapital, von der Gesamtgütermasse eines Volks, welche notwendig ist, um dem Gesamtbedarf Genüge zu tun, auf solche
Weise einen Teil an sich zu bringen sucht, ohne doch selbst zu dessen
Erhaltung und Vermehrung beizutragen, schwächt das allgemeine Ver mögen, und ein Gemeinwesen, welches viele solche Schmarotzer der Gesellschaft, deren Leistungen mit dem, was sie dafür in Anspruch
nehmen, nicht im Verhältnis stehn, zu erhalten hat, kommt notwendig in seiner wirtschaftlichen Entwicklung, in seinem Wohlstände zurück.
Dagegen werden wir sicher gegen solche Kapitalsübertragungen nichts
haben, welche freiwillig von dem, dessen Mühe das Ganze geschaffen hat, ausgehen, um Gefühlen der Neigung, um der Fürsorge für die Seinigen gerecht zu werden.
Wie oft habe ich gerade
von Männern,
die in
schwerer Arbeit und hartem Entbehren sich mühsam emporgebracht haben,
es als schönste Frucht ihres Tuns rühmen hören: daß es ihren Kindern leichter werden solle, als es ihnen selbst beschieden gewesen, daß sie ihnen eine sorgfältigere Erziehung, sowie die nötigen Mittel für den Anfang
hätten geben können.
d) Kredit und Kapitalrente. Wenn schon hiernach die Mißbräuche, welche dabei möglich sind, von den Wohltaten, welche die Übertragbarkeit menschlicher Arbeitserzeugnisse und
Dienstleistungen in ihrem Gefolge hat, ganz unermeßlich überwogen werden, so müssen wir noch einer anderen Seite der Sache von außerordentlicher Tragweite besonders gedenken. Es ist nämlich die Übertragung von Vermögen nicht so auf zufassen, daß darin stets und mit Notwendigkeit eine Enteignung, ein Lösen aller Beziehungen des bisherigen Eigners, ein völliges Aufhören seines Rechts daran für immer, enthalten sein müsse.
Vielmehr vollzieht sie
sich beim Kapital als demjenigen Vermögensteil, welcher, seiner Be stimmung zum Betrieb eines produktiven Geschäftes gemäß, durch seine Verwendung nicht zerstört sondern wiedererzeugt wird, ebensogut in der
Weise, daß jemand dasselbe dem andern nur auf Zeit zur Benutzung oder zum Verbrauche überläßt, mit der Bedingung der Wiedererstattung.
Es leuchtet auf den ersten Blick ein, tote ungeheuer wichtig diese Art der Kapitalsübertragung, die wir unter dem Namen Kredit begreifen, für das ganze Erwerbsleben der Völker, insbesondere für alle ist, die nicht selbst hinlänglich begütert sind, um ein Geschäft aus eigenen Mitteln zu
begründen.
In der Wirklichkeit gibt es nur sehr wenige, die gleich beim
Beginn ihrer Laufbahn
von Eltern, Verwandten, Freunden die volle
Ausstattung, namentlich zu bedeutenderen Unternehmungen, als Mitgift
erhalten, und die übergroße Mehrzahl
bleibt auf fremde Mittel, auf
Kredit angewiesen, um nur beginnen zu können.
Aber der findet sich
auch immer, sobald nur irgend in der Solidität des Kreditsuchenden die gewöhnlichen Garantien geboten sind.
Dazu treibt den Kapitalinhaber
schon das eigene Interesse, fein Kapital nicht müßig liegen zu lassen, sondern es, soweit er es im eignen Geschäft nicht bedarf, im fremden
anzulegen, damit es ihm eine Rente gewährt.
Und
hier kommen wir
Schulze-Delitzsch.
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auf den Kapitalzins und dessen Berechtigung und Nutzen in der Ge schäftswelt.
Wie wir bereits ausführten, ersetzt sich das in einem ordentlich geleiteten Geschäft angelegte Kapital nicht bloß, sondern es verviel-
sältigt sich, wie die Aussaat
durch
Ernte.
die
Indem dasselbe die
Naturhilfe bei der Arbeit heranzieht, vertritt es gewissermaßen lebendige
Arbeiter im Geschäft, weil es die Leistungen der vorhandenen verstärkt, und wird auf diese Weise werbend, d. h. einen Ertrag gewährend. Man
nehme z. B. eine Werkstatt von sechs Arbeitern, die alle knapp und schlecht mit Rohstoff und Werkzeugen versehen sind,
und daneben eine
gleiche von vier Arbeitern, welchen der Rohstoff reichlich und in besserer Qualität sowie die passendsten und besten Werkzeuge zu Gebote stehen,
und jeder praktische Geschäftsmann wird mir zugeben, daß die vier mehr
leisten werden, als die sechs.
Wer daher die Mühe und Entsagung über
sich genommen hat, welche die Ansammlung eines Kapitals unleugbar
kostet, und dann dessen Nutzen einem Dritten überläßt, auch nur auf Zeit, hat den vollständigm Anspruch auf eine Entschädigung, auf eine Teilnahme an dem Gewinn, den er ihm allein möglich macht, an der
Ernte, zu welcher er die Aussaat lieferte.
Keineswegs ist er durch die
bloße Rückgewähr nach gemachtem Gebrauch abgefunden.
Gewinne ich
doch durch den überlassenen Gebrauch ein Mehr, welches mir auch nach
Rückgewähr des Geliehenen verbleibt, erwerbe ich mir doch durch die zeit
weise Verfügung über fremdes Kapital eigenes.
Z. B. ich habe eine
vorteilhafte Bestellung, die mir lohnende Beschäftigung auf längere Zeit
verspricht, und bedarf Kapital, um dieselbe auszuführen.
Aber ich selbst
besitze keins, sondern will es mir durch die Ausführung erst ver
dienen.
Gibt mir niemand Kredit, so kann ich die Arbeit gar nicht
übernehmen, und der in Aussicht stehende Erwerb ist verloren.
Welchen
großen Dienst leistet mir also der, welcher mein Kreditbedürfnis be friedigt, und wie gern werde ich ihm einige Prozente meines Gewinns als Entgeld dafür zukommen lassen!
Ja, den offenbaren Vorteilen des
Kreditnehmers steht obenein der klare Verlust des Kreditgebers gegenüber, der nur durch den Zins ausgewogen werden kann, indem der
jenige, welcher Kapital vorstreckt, seinerseits auf die Nutzungen desselben bis zur Wiedererstattung verzichten muß. als den Kapitalzins.
Es gibt daher nichts Gerechteres,
Denn Kapitalzins ist weiter nichts, als der
Kaufpreis für die Nutzung oder den Gebrauch einer Sache während einer bestimmten Zeit.
Um dies in schlagenden Beispielen darzutun, muß immer wieder
darauf zurückgewiesen werden, daß man Kapital stets in seinem richtigen Sinne und nicht bloß als eine Summe Geld auffaßt. — Also der
Besitzer eines Ackers leiht oder verpachtet einem anderen diesen Acker mit der darauf stehenden Ernte (sein Kapital) auf ein Jahr mit der Bedingung, ihn das Jahr darauf, ebenfalls mit stehender Ernte, zurück
zugewähren.
Jedermann sieht, daß diese Rückgewähr des Feldes mit der
Emte des nächsten Jahres kein Entgelt für den Feldbesitzer ist, daß er dafür mit gutem Fug noch einen Pachtzins fordern wird, da er ja
Diese dem Pächter überlassene Ernte
die Ernte des Pachtjahres verliert.
gewährt demselben ja nicht bloß den Samen, welchem die später zurück
zugewährende Ernte entkeimt, und
etwa
noch den geringen Ackerlohn
sondern ein ansehnliches Mehr an Getreide, welches Mehr der Pächter
entweder im eigenen Konsum oder durch Verkauf verwerten kann. —
Weiter: ein Gewerbtreibender bedarf einer Werkstatt, eines Schuppens
und anderer baulicher Anlagen, deren Herstellung größere Mittel be anspruchen würden, als worüber er verfügt.
Wird derselbe dem, der
sie ihm auf eine Reihe von Jahren überläßt und so selbst auf ihren Gebrauch verzichtet, nicht gern einen Metzins zahlen, obschon er sie
während seiner Benutzung imstande erhalten und nach Ablauf der Zeit zurückgewähren muß? — Ein Tuchmacher bedarf einer Dampfmaschine,
und der Inhaber eines größeren Etablissements überläßt ihm die seine auf einen Tag in der Woche.
Welchen Dienst erweist er dem Manne,
welche Kosten erspart er ihm, und dieser zahlt wiederum einen ent sprechenden Mietzins mit Vergnügen und macht einen bedeutenden
Profit.
Ganz dasselbe findet statt bei Überlassung von Vorräten an
Rohstoffen
oder Waren zur Verarbeitung und zum Handel mit der
Bedingung der Wiedererstattung in
derselben Quantttät und Qualität
oder auch in Geld nach einer gewissen Zeit.
Wie gerne gibt hier der,
welcher sie notwendig im Geschäft braucht und nicht die Mittel hat, sie sofort zu bezahlen, sie gegen bar
zu
kaufen, einen Preisaufschlag für
den gewährten Kredit, weil er durch ihre Verarbeitung und Umsatz nicht nur die Mittel zur Wiedererstattung oder Zahlung nach verflossener Frist erwirbt, sondern noch einen Überschuß, den Preis seiner daraus verwendeten Arbeit, welche vorzunehmen ohne jene Stoffe er gar nicht
in der Lage gewesen wäre. In allen diesen Fällen erhält also der Kapitalist für die leihweise Überlassung seines Kapitals einen Zins, das
Kapital gewährt ihm eine Rente, ohne daß es von ihm geopfert würde, und, wie wir sahen, mit vollem Fug. — Daß sich dieses Verhältnis
natürlich nicht ändert, wenn der Gläubiger statt aller dieser Dinge dem
54
Schulze-Delitzsch.
Schuldner eine Summe Geld gibt, versteht sich von selbst, und jedermann weiß, welchen Nutzen man sich durch eine Summe Geld zu rechter Zeit im Geschäft
machen
kann.
Ob ich Rohstoffe
oder
Waren
zum
Handel auf Kredit gegen den gewöhnlichen Preisaufschlag nehme, oder
mir das Geld zu ihrer Bezahlung borge
keinen Unterschied.
und dieses verzinse, macht
Ob ich jemandem mein Landgut, meinen Obstgarten
verpachte, mein Haus
vermiete und Pacht-
oder Mietzins von ihm
nehme, oder ob ich ihm dieselben verkaufe, das Kaufgeld kreditiere und mir von diesem den Zins geben lasse, ist dem Prinzip nach völlig gleich. für geliehenes Geld hat denselben Charakter und
Der Zins
dieselbe
Berechtigung, wie jener Pacht-, Miet- oder Leihzins, als Entschädigung
des Kapitalisten für die entbehrte, einem anderen überlassene Benutzung seines Kapitals auf eine gewisse Zeit. Und diese Eigenschaft des Kapitals, daß es, auch ohne unmittel
bare Tätigkeit des Eigners, sobald es irgendwie mit menschlicher Arbeit
in Verbindung gesetzt wird, als werbend auftritt, einen Ertrag, eine Rente gewährt, ist gleich wohltätig nach allen Seiten.
Wie würde sich
jemand entschließen, sein Kapital jemals einem anderen zu überlassen, mit dem ihn nicht etwa die oben erwähnten engeren Bande verknüpfen, wenn er nicht selbst mit an dem Vorteil teilnehme, die es dem Dritten gewährt?
Das Kapital ist die Frucht seiner Tätigkeit und Enthaltsam
keit — wird nicht jeder den Preis seiner Mühe selbst genießen wollen?
Erst durch die Kapitalsrente, den Zins, wird der Kredit aus dem engen Bereich der Sympathie, gewisser bloß persönlicher Beziehungen — Verwandtschaft, Freundschaft und dergleichen — in den des allgemeinen
Interesses gerückt, die Ausnahme zur Regel erhoben und so erst jene breite Grundlage gewonnen, wie sie ein
so wichtiger Hebel des
menschlichen Verkehrs erfordert. Dazu kommt, wie wir bereits andeuteten, daß bei jedem Verleihen
von Kapital stets eine nähere oder entferntere Gefahr vorhanden ist, dasselbe zu verlieren.
Nur wenn
das Unternehmen, in welchem das
Kapital angelegt wird, gelingt, fließt dasselbe aus dem Ertrag wieder an
den Eigner zurück.
Wenn nun auch der Kapitalist sich meistens vorsehen
wird, an einen unsoliden Geschäftsmann oder zu einem der gewöhnlichen Garantien ermangelnden Unternehmen Geld herzugeben, so
daß jener
schlimme Fall gewiß nicht die Regel im Kapitalverkehr bildet, so kommt er doch vor.
Wenn also hiernach bei dem Verleihen zu dem Entbehren
des Kapitalgenusses gar noch die Gefahr des Verlustes kommt, so würde, träte nicht der Zins, die Kapitalsrente, hinzu, es an jedem
natürlichen Antrieb bei den Menschen fehlen, sich darauf überhaupt ein zulassen. Me Ansammlung wie die Übertragung der Kapitalien würden alsdann in ihren wesentlichen Beziehungen gelähmt, zum größten Nach
teil unserer wirtschaftlichen Entwicklung, welche in so außerordentlichem Grade vom Wachstum und ungestörten Umlauf der Kapitalien abhängt. Und diese Rücksicht wird noch verstärkt, wenn man sich in die Lage
des weniger bemittelten Arbeiters denkt, mag er sich vom Betriebe eines eigenen kleinen Geschäfts nähren oder für seine Leistungen von
anderen gelohnt werden. zurückzieht,
Was würde aus ihm, wenn er sich im Alter
um von seinen mäßigen Ersparnissen zu leben, gewährten
diese nicht irgendwie einen Ertrag?
Welche enormen Summen müßten
die Menschen sammeln, um eine Versorgung im Alter zu haben, wenn dieses angesammelte Vermögen keine Rente abwürfe, nicht durch Zins
auf Zins im Laufe der Jahre anwüchse, sondern rein konsumiert würde! — Wie weit langte da der Arbeiter, der sogenannte kleine Mann mit dem mühsam Erübrigten?
Mag er dasselbe jetzt in ein gangbares Geschäft ge
steckt haben, welches, einem anderen Arbeiter übergeben, ihn für den Rest seiner Tage noch mit ernähren soll, mag er es in eine jener Jnvalidenoder Altersversorgungskassen allmählich eingesteuert haben — ohne die Nutzbarkeit, die Rente, wodurch sich die in den einzelnen Jahren ein
gelegten Steuern, so groß oder gering sie sind, im Laufe der Zeit von selbst verdoppeln, würde es niemals auch nur annähernd für die be
scheidensten Ansprüche genügen.
Tausende würden erfordert, um, auf
eine Reihe von Lebensjahren verteilt, auch nur eine kümmerliche Existenz
zu decken, und kaum würde so viel damit erreicht, wie jetzt mit Hunderten. Gerade in der von so vielen Unverständigen so verschrieenen Kapitals rente, in dem Zins, den es trägt, liegt ein stetig fortzeugender Segen, der in seinen Endresultaten allen zustatten kommt, und dem kleinen Kapital
des Arbeiters
gerade am meisten not tut, soll es auch nur den be
scheidensten Ansprüchen genügen.
Ja, Zins ist lästig!
Hebt den Zins auf, und der Kredit ist weg,
und wenn ihr ihn am nötigsten braucht, fehlt er euch! Was wir aber noch besonders hervorheben bei diesem Kreditieren, ist: daß es wiederum, gleich der Kapitalsrente selbst, in seiner Wurzel auf
sittliche Voraussetzungen, auf Vertrauen zu der Tüchttgkeit, der Rechtlichkeit
der Menschen gegründet ist. Und auf diese Weise erhalten wir auf dem Felde des Erwerbs, bei welchem Unkenntnis und vornehme Überhebung
so oft alle besseren Regungen ausgeschlossen meinen, den trösllichen und
erhebenden Satz:
56
Schulze-Delitzsch.
„Daß der weitaus größte Teil des wirtschaftlichen Verkehrs auf
der ganzen Erde auf Kredit, d. h. dem wirklichen Wortsinn nach auf Treu und Glauben beruht, und daß die Menschen bei immer weiterer Entwicklung dieser Grundlage in ihrem Erwerbsleben tüchtig vorwärts gekommen sind, sich also dabei nicht verrechnet haben können."
Nicht bloß den einzelnen, die gerade selbst im Falle eines Über schusses oder Bedürfnisses sind, überläßt man daher in unseren Tagen mehr diese so wichtige Kapitalversorgung nebenher, vielmehr ist die
Vermittlung des Kredits zu einem selbständigen Geschäft der wichtigsten Art geworden, dem Bankgeschäft. Viele Tausende von Privat- und öffentlichen Banken bilden ein Netz über alle zivilisierten Länder, und welche Bedeutung in neuester Zeit unsere Volks- und Handwerkerbanken, unsere Vorschuß- und Kreditvereine erlangt haben, die, recht eigentlich ein Institut des deutschen Handwerker- und Arbeiterstandes, darauf be rechnet sind, dem kleinen Mann Kapital zuzuführen und ihn hinsichtlich seines Kreditbedürfnisses unabhängig zu machen, darüber haben wir uns bei dem weiteren Borschreiten unserer Besprechungen noch besonders zu unterhalten.
e) Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter. Wenn wir weiter zu der wichtigen Frage über den Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter übergehen, so heben wir zunächst
nach demjenigen, was wir über die Wirksamkeit desselben auf die produktive Arbeit im vorigen entwickelt haben, folgendes hervor: 1. Das Kapital ist ohne Verbindung mit der Arbeit, mit einem produktiven Unternehmen, tot; es trägt keine Rente, keinen Zins, sinkt zum bloßen Verzehrmittel herab, wird aufgezehrt, ohne sich wieder zu erzeugen; es hat danach das stete Bestreben nach Anlage
in irgendeinem Geschäft oder Erwerb; die Arbeit übt eine natür liche Anziehungskraft auf dasselbe aus.
2. Es vermittelt uns bei der Arbeit die Naturhilfe, Arbeitsstoffe, Werkzeuge und Subsistenzmittel; woraus es besteht, das sind ja eben die Punkte, wo wir auf das Dazwischentreten der Natur angewiesen sind, und jede Kapitalsanwendung läuft darauf hinaus, Naturerzeugnisse und Naturkräfte uns bei der Erwerbs tätigkeit zu Gebote zu stellen, sie zu unseren Arbeitszwecken heran zuziehen, wie wir dies ausführlich in unserem ersten Vortrage be
sprochen haben.
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
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Das Kapital ist daher einmal bei der Arbeit unerläßlich notwendig,
weil ohne dasselbe die Vornahme einer Arbeit geradezu unmöglich ist, und sodann nützt es im höchsten Grade dabei, indem es die Arbeit leichter und ergiebiger macht.
Der schon im ersten meiner Vorträge
entwickelte Satz:
„daß die Arbeit um so weniger Anstrengung kostet und doch um
so mehr leistet, je mehr die Natur sie unterstützt," ist so selbstverständlich, daß ich ihn nicht nochmals begründe.
Je reich
licher und je besser in der Qualität mir die Stoffe zu Gebote stehen,
je vollendetere und passendere Werkzeuge und Arbxitsvorrichtungen ich habe, desto Vorzüglicheres kann ich liefern, desto schneller und leichter kann
ich arbeiten.
Jedes, auch das einfachste Werkzeug, davon sprachen wir
schon, setzt Naturkräfte für die Arbeiter in Tätigkeit, und was hier Maschinen leisten, ist allen bekannt. Hier nur ein paar Beispiele. Als die erste Papiermaschine in England (1806) hergestellt wurde, stieg die
Ergiebigkeit der Produktion — oder, was dasselbe ist, fielen die Produktions
kosten — so, daß man das Papier um das Dreifache billiger geben konnte.
Die neuere verbesserte Maschine von Dickinsdn aber liefert jetzt
aus der nassen, gestampften Masse die Bogen vollkommen trocken und
fertig in drei Minuten, während man vorher drei Wochen zu allen dazu gehörigen Operationen bedurfte! — Sodann sehe man einmal in unseren
großen Walzwerken usw. einen Dampfhammer arbeiten, regiert durch den Fingerdruck eines Knaben, der durch sein ungeheures Fallgewicht mit einem Schlage mehr leistet, als zehn starke Männer durch stundenlanges Hämmern vermöchten.
wir unter Männern,
Und solche Beispiele gibt es zu Tausenden, die die dies meist aus praktischer Erfahrung kennen,
nicht weiter anzusühren brauchen. Ist nach alledem das Kapital das notwendige Erfordernis wie der treue Gehilfe des Menschen bei der Arbeit, so scheint es schon darum schwer begreiflich, wie es eine für die arbeitenden Klassen, deren Gedeihen
von dem Gedeihen der Arbeit im allgemeinen doch nicht wohl getrennt werden kann, feindliche Macht sein soll, was man von einigen Seiten
den Arbeitern einzureden sucht.
Wir werden uns mit diesem Punkt
etwas genauer zu beschäftigen haben, um manchen folgeschweren Irrtümern
zu begegnen. Zuerst kommt hierbei die unumstößliche Wahrheit in Betracht, daß wir im Kapital, als der Summe früherer Arbeitserzeugnisse, die wir für unser Geschäft brauchen, weiter nichts als Arbeit bezahlen. In der Tat
ist alles Kapital seinem letzten Zweck nach nichts weiter als Lohnfonds,
58
Schulze-Delitzsch.
und jede Kapitalanlage läuft schließlich unfehlbar auf Zahlung von Arbeitslöhnen hinaus. Nehmen wir einmal, um uns dieses wichtigen Satzes zu versickern,
sämtliche denkbare Mlle in dieser Beziehung vor. Also ich lege mein Kapital in meinem eigenen Geschäft an, was will das sagen? Zu
erst, ich zahle davon Löhne an meine Arbeiter; ferner, ich brauche Werkzeuge und Rohstoffe — aber was heißt das anders, als ich zahle die Arbeitslöhne derer, welche jene Dinge fertigen, zubereiten, sammeln usw.
Endlich, ich verwende es zum Bau von Werkstätten, Lagerhäusern und dergleichen — wiederum nichts anderes, als ich bezahle die Bauarbeiten und die Arbeiten derjenigen, welche das Baumaterial, Steine, Hölzer, Kalk, herstellen und herbeischaffen.*) Ganz dasselbe geschieht, wenn ich mein Kapital nicht im eigenen Geschäft anlege, sondern verborge, d. h. zu einem fremden Unternehmen gegen Zins hergebe. Denn das Verleihen eines Kapitals kann nur zum Zweck irgendeiner gewerblichen Anlage gedacht werden, weil es, wenn es der Schuldner nicht selbst werbend benutzte, sondern bloß verzehren wollte, weder zurückerstattet noch verzinst werden könnte. So betreibt z. B. die Aktiengesellschaft, deren Obligationen ich nehme, Bergbau, eine Eisenbahn, ein Bankgeschäft, oder eine Spinnerei und dergleichen; der Grundbesitzer, dem ich mein Geld auf Hypothek gebe, beschäftigt sich entweder mit Landwirtschaft oder dem Bau und Vermieten von Häusern; der Kaufmann oder Handwerker, dem ich leihe, treibt vielleicht Warenhandel oder Möbel-, Schuh- und Kleider produktion. — Ja sogar im letztmöglichen Falle, wenn jemand sein Vermögen nicht in einem produktiven Unternehmen anlegt, sondern rein verzehrt, vielleicht zum Studieren oder Erlernen irgendeines Kunstzweiges verwendet, oder auch es im reinen Luxus vergeudet, selbst in diesem Falle ändert sich das Schlußergebnis nicht, selbst in diesem Falle zahlt er am Ende nichts weiter als Arbeitslöhne. Das Honorar der Lehrer, der Preis der Bücher, die Verwendung für Wohnung, Kleidung, Nahrung,
was sind sie anders als Löhne für die Arbeiten der bei diesen Leistungen irgendwie beteiligten Personen? Und wenn ich mir eine schöne Villa *) Daß natürlich unter allen diesen Arbeitern und den ihnen zukommenden Löhnen auch die Unternehmer und Leiter der Geschäfte, deren Tätigkeit in den meisten Fällen die weitaus wichtigste und schwierigste von allen ist, mit in Anschlag kommen und ihr Teil erhalten müssen, versteht sich von selbst, da mit dieser Stellung außer dem Hauptanteil der Arbeit auch noch daS Risiko des in das Geschäft gesteckten Kapitales, der Frucht früherer Arbeit verbunden ist, was wir hier ein für allemal bemerken.
baue, Delikatessen der teuersten Art, feine Weine, kostbare Mldwerke und Geräte anschaffe, in welche andere Hände gelangt das Geld, als in die Hände derer, welche zur Herstellung aller dieser Gegenstände mittelbar
oder unmittelbar Arbeiten verrichtet haben? — Kurz, wie wir schon
andeuteten: „Jede irgend denkbare Verwendung von Vermögen, die produktive
Kapitalanlage so gut, wie die bloß unproduktive Konsumtion, die reine Verzehrung,
hat stets den Zweck, menschliche Arbeits
erzeugnisse und Leistungen sich zur
Verfügung zu
stellen
und
läuft schließlich unfehlbar auf Zahlung von Arbeitslöhnen hinaus."
Um diese Naturnotwendigkeit zu vermeiden, müßte jemand seine Mittel geradezu wegwerfen oder vergraben, d. h. sie ungenutzt oder un
gebraucht liegen lassen, jeder Verfügung darüber, jeder Verwendung der selben entsagen. Hieraus folgt,
daß durch die Vermehrung, das Wachstum der
Kapitalien die vermehrte Beschäftigung und bessere Löhnung der Arbeiter
bedingt wird, und daß, wenn nicht etwa die Vermehrung der Arbeiter in noch größerer Progression stattfindet, als die des Kapitals, Lohn und
Beschäftigung dadurch steigen.
Wie der Preis aller Waren davon abhängt, einerseits in welcher Menge sie zu haben sind, andererseits wie stark der Begehr .danach ist — vom Verhältnis des Angebots zur Nachfrage also — so auch die
Höhe der Arbeitslöhne.
Je mehr Kapital in einem Lande vorhanden
ist, desto mehr industrielle Unternehmungen können nicht nur, sondern
werden ganz bestimmt entstehen, weil das Kapital ohnedies keine Anlage
fände und tot liegen bleiben müßte. Je größeren Umfang aber wiederum die Gewerbstätigkeit annimmt, desto mehr Arbeiter werden gesucht, desto mehr steigt die Nachfrage nach Arbeitern.
Geht sie über das Angebot,
über die Zahl der Beschäftigungsuchenden hinaus, d. h. sind weniger
Arbeiter vorhanden, als man haben möchte, oder gerade nur soviel, so
steigen die Löhne, die Arbeiter haben die Wahl unter den Arbeitgebern;
im umgekehrten Falle sinken sie, und die Arbeitgeber sind in der Lage, unter den Arbeitsuchenden zu wählen und ihre Bedingungen zu machen.
Unter allen Umständen ist also das Kapitalwachstum in einem Lande
den Arbeitern günstig.
Weiter
hat
aber auch
die durch
das
Kapital bewirfte größere
Leichtigkeit und Ergiebigkeit der Arbeit andere günstige Folgen, deren
Einfluß auf die arbeitenden Klassen nicht ausbleiben kann. Einmal wird die Billigkeit der meisten Produkte dadurch in hohem
60
Schulze-Delitzsch.
Maße gefördert, unter denen natürlich die verschiedenartigsten Konsumartikel,
deren gerade die arbeitende Klasse als die zahlreichste bedarf, eine hervor ragende Stelle einnehmen. Daß die dadurch herbeigeführte Verminderung
der Ausgaben ebenso wohltätig für den Haushalt einer Arbeiterfamllie wirkt, wie eine Vermehrung der Einnahmen, ist klar. Eine ganze Menge von Gegenständen, die vorher ausschließlich für den Verbrauch der mehr
bemittelten Stände dienten, sind dadurch weiteren Konsumtionskreisen zu
gänglich geworden, und die ganze Lebenshaltung unserer Arbeiter hat sich auf eine Stufe gehoben, von der vor 40 bis 50 Jahren keine Rede
war.
Man vergleiche insbesondere Wohnung, Kleidung und häusliche
Einrichtung der Arbeiter in der Gegenwart mit den Zuständen des ge
nannten Zeitabschnittes, und man wird den erheblichsten Fortschritt nicht
verkennen, wieviel auch in dieser wie in anderer Hinsicht noch zu wünschen übrigbleibt. Sodann aber kann es nicht fehlen, daß die erhöhte Leichtigkeit der Arbeitsmethoden, welche das Kapital so außerordentlich fördert, den Ar
beitern gerade in den allerwichtigsten Beziehungen, in der Hebung des geistigen und sittlichen Elements, mehr und mehr zustatten kommen muß.
Denn wenn denselben dadurch die rohsten, auf bloß mechanischer An wendung der Muskelkraft beruhenden Verrichtungen erspart und den Natur-
kräften aufgebürdet werden, wird der einzige Weg der Erlösung für viele
von mühseligem, sie in leiblicher und geistiger Verkümmerung nieder haltendem Tagewerk beschritten.
Eine gewisse Summe solcher Dienst
leistungen der niedrigsten Art ist nun einmal unentbehrlich, um die für die Gesamtheit notwendige Gütermasse herzustellen, davon kommt man
nicht los.
Aber das ist eben der Charakter des durch das Wachstum
des Kapitals, des geistigen wie des sachlichen, vermittelten Fortschritts in der Industrie, daß das Handwerk immer mehr Kopfwerk wird,
daß jene Verrichtungen, wie sie das Altertum den Sklaven zuwies, mehr und mehr den Naturkräften zufallen und wir in den Maschinen, deren Bann die Elementargeister zu unserem Dienst heranzwingt, eine
immer bereite, nie versagende Sklavenschar erhalten, deren eiserne Riesen
arme uns jenen Ausfall hundertfältig ersetzen. Gerade in diesem Verlauf
der Dinge ist die Verheißung enthalten: daß auch die Arbeiter, wenn erst die ganze Entwicklung im vollen Flusse sein wird, wenn sie selbst
erst immer bewußter in dieselbe eingetreten sind, nicht mehr über ein Verfehlen ihrer menschlichen Bestimmung zu llagen irgend Grund haben
werden, daß ihnen vielmehr Zeit und Kraft gelassen wird, neben ihrem Broterwerb die edleren Anlagen und Keime ihrer Natur zu pflegen und
an dm höheren Interessen des öffentlichen und Privatlebens sich lebendiger, als ihnen bisher möglich war, zu beteiligen.
Nach alledem wird sich der grobe Fehlschluß ergeben, mittels dessen
man hier und da die Arbeiter, zu ihrem eigenen größten Schaden, gegen das Kapital einzunehmen gesucht hat. Eben weil mittels des Kapitales,
besonders durch die Maschinen, Arbeitskräfte gespart werden, so kämen dadurch Arbeiter außer Brot, so sagt man. — Dabei übersieht man
zunächst, daß, wenn wirklich einmal in einem Geschäft durch Maschinen
oder sonstige Verbesserung der Arbeitsmethoden Menschenkräfte erspart
werden, dies doch nur alsdann die Entlassung von Arbeitern zur Folge haben kann, wenn man sich darauf beschränkt, dieselbe Summe von Waren
zu produzieren wie vorher.
Das ist aber in der Praxis nie die Folge
einer solchen Verbesserung, vielmehr produziert man mit derselben Arbeiter
menge eben mehr als vorher, erweitert sein Geschäft, welches ja bei der Ersparnis in den Betriebskosten rentabler wird, und durch die größere Billigkeit seiner Artikel größere Kundenkreise anlockt.
Niemand schränkt
sein Geschäft ein, wenn es mehr als bisher abzuwerfen anfängt, vielmehr
dehnt er es in solchem Falle aus. — Wenn aber wirklich einmal jemand bloß den früheren Geschäftsumfang beibehalten und eine Anzahl Arbeiter
entlassen sollte, nun, so bedenke man doch, daß alsdann ja auch ein Teil seines Betriebsfonds, weil nun weniger Löhne zu zahlen sind, nicht
mehr gebraucht und zu anderweiter Anlage ftei wird und, wie wir sahen, gar nicht anders als wiederum in Arbeitslöhnen seine Anwendung suchen kann. Man vernichtet doch diesen Überschuß nicht, man muß ihn ja doch
irgendwie verwenden; derselbe fließt daher anderen Geschäften zu, wo er
notwendig nach wie vor zur Löhnung von Arbeitern dient.
Eine solche
Verbesserung in den Arbeitswerkzeugen und Methoden hat daher niemals zur Folge: „daß weniger gearbeitet wird", sondern: „daß dasselbe
Maß von Arbeit mehr hervorbringt, als bisher"; das halte man
ein für allemal fest.
Werden daher an der einen Stelle Arbeiter aus
obigem Grunde überflüssig, so werden sie dafür an der anderen Stelle gebraucht.
Ja, es findet von ihnen, bei dem angedeuteten Gange der
Dinge, gegen früher nicht nur eine gleiche, sondern eine immer steigende Zahl
Beschäfügung.
Denn wenn die Arbeit im ganzen leichter und
lohnender wird, so lockt das notwendig an, und der Lohnfonds wird
nicht
bloß nicht vermindert,
sondern steigt
beträchtlich, weil die
Unternehmer mehr Gewinn als bisher ziehen und also mehr zu ihrem Kapital schlagen, welches wiederum in immer gesteigertem Maße seine Anlage entweder in Vergrößerung der bisherigen oder in neugegründete»
Schulze-Delitzsch.
62
Etablissements sucht. Ist doch z. B. in der Herstellung solcher verbesserten
Arbeitswerkzeuge und Vorrichtungen selbst, namentlich im Maschinen
bau, ein ganz neuer, höchst wichtiger Arbeitszweig gegründet, der vielen Tausenden fleißiger Hände lohnende Beschäftigung gibt, wie die groß
artigen Etablissements in Berlin selbst schlagend nachweisen. Das einzige, was daher von diesem Einwurf zugegeben werden kann, ist, daß allerdings vorübergehend für Arbeiter einzelner Etablissements, ja selbst ganzer Arbeitsbranchen, durch eine plötzliche Änderung in der Betriebsweise Verlegenheiten entstehen können, da das Unterkommen in anderen Geschäften, der Übergang zu anderen Beschäftigungsarten, sich
keineswegs so leicht und so bald bewerkstelligen läßt, und es mag wohl kommen, daß der Fortschritt für die Gesamtheit mit manchen Unzuiräglichkeiten, ja mit dem zeitweiligen Notstände einzelner erkauft werden muß.
Aber daß die arbeitenden Klassen im ganzen und allgemeinen durch das
Wachstum der Kapitalien
und
die dadurch bedingte Verbesserung der
Betriebsarten nicht beeinträchtigt, vielmehr in jeder Hinsicht nur gefördert werden, glauben wir dargetan zu haben, und daher müssen solche Über
gänge zum Heil des Ganzen durchgemacht werden, indem man den augen
blicklich Notleidendenden beispringt, so gut es geht. Wie stünde es sonst
mit dem Fortschritt!
Man nehme z. B. die zahlreichen Abschreiber von
Büchern, die einen sehr guten Verdienst hatten und bei Erfindung der Buchdruckerkunst in große Not kamen und ihr Brot verloren.
man deshalb sollen dre Buchdruckerkunst verbieten?
Bildungsstufe ständen
Hätte
Und auf welcher
wir jetzt, wenn man es getan hätte? —
damit stehen die gemachten Erfahrungen überall im Einklang.
Und
Betrachten
wir einmal die Baumwollwaren- und Eisenproduktion in England,
wo der Umschwung in der Fabrikationsweise seit Ende des vorigen Jahr hunderts so ungeheuer hervortritt.
Im Jahre 1785 stellte Watt die
erste Dampfmaschine in einer Baumwollenfabrik auf, und gleich darauf wurde der mechanische Webstuhl von Arkwright erfunden, jedoch erst seit Anfang dieses Jahrhunderts angewendet.
Während die in England
verarbeitete rohe Baumwolle im Jahre 1785 nur gegen 18000000 Pfund betrug, war sie 1849 auf 775000000 Pfund,
1856 bis
1857 auf
877000000, also nahezu auf das Fünfzigfache gestiegen und die Zahl
der Arbeiter in den
damit beschäftigten Fabriken trotz der Maschinen
unendlich vermehrt, so daß nach einer Schätzung im Jahre 1849 in Großbritannien 1300000 Menschen (einschließlich der Familienglieder
der Arbeiter, besonders der teilweise mitbeschäftigten Kinder) von diesem
Industriezweige lebten.
Und dabei war, was die Hauptsache ist, der
Arbeitslohn unausgesetzt gestiegen. Ein Baumwollspinner sGarn Nr. 300) bekam an Geld Wochenlohn: 1804:
32 Vs Schilling in 74 Arbeitsstunden,
1833:
42»/,
„
„ 69
1850:
40
„
„ 60
„
Um einen sicheren Maßstab für die Vergleichung hierbei zu finden, muß die Summe der Besriedigungsmittel, welche der Arbeiter zu verschiedenen
Zeiten für seinen Lohn haben konnte, berücksichtigt und dessen Steigen oder Sinken danach bemessen werden.
Die mit dieser Ermittelung im
Jahre 1833 betraute englische Parlamentskommission hat deshalb
die Löhne auf die Quantitäten Mehl und Fleisch reduziert, welche man durchschnittlich zu den verschiedenen Zeiten dafür haben konnte, als die Hauptnahrungsmittel der Arbeiter, mit deren Preisen die der übrigen
Bedürfnisse der Regel nach im Verhältnis stehen.
Danach ergab sich
die wöchentliche Lohnhöhe eines männlichen Baumwollarbeiters in
England im Durchschnitt auf: im Jahre:
an Weizenmehl:
oder an Fleisch:
1804
117 Pfd.
62'/, Pfd.
1814
175
„
67
1833
267
„
83
1850
320
„
85
„
wobei obenein die Arbeitszeit seit 1833 von 74 auf 60 Stunden wöchent lich gemindert war.
Wenn man hierzu das Sinken der Preise,vieler
anderer wichtiger Verbrauchsartikel rechnet (die gedruckten Kattune z. B. sind seit 1820 bis 1849 durchschnittlich von 12»/, Pence auf 4 Pence für die Elle, also mehr als das Dreifache, gesunken, die weißen Kalikos von 8 auf 2’/9 Pence), so dürfte, da die Löhne der Summe nach eher gestiegen als gefallen sind, und z. B. die am geringsten bezahlten Arbeiter,
wie Spinner, Weber, Bleicher, 1849 nicht unter 24 Pfd. Sterling jährlich (ca. 160 Taler preuß. Kurant) außer ihren Frauen und Kindern erhielten, die entschiedene Verbesserung des Loses der Arbeiter außer allem Zweifel sein.
Dieselbe Erfahrung bietet die Eisenproduktion.
Jahre 1740 in England und Wales nur
Während im
17000 t (ä 2000 Pfd.)
Roheisen gewonnen wurden, betrug jetzt das Erzeugnis, Schottland hinzu
gerechnet, 1396000000 t! Der Gebrauch der Steinkohlen beim Schmelzen seit 1740 und die Anwendung erhitzter Gebläsluft seit 1827 bewirkten, daß
gegen die frühere Betriebsweise 50 Prozent mehr an Eisen gewonnen und 50 Prozent an Kosten erspart wurden.
Nur durch diese ungeheuere Stei
gerung der Produktion und die dadurch bedingte Billigkeit ist der vorher nie
64
Schulze-Delitzsch.
geahnte Verbrauch dieses Metalls und mit ihm der materielle Aufschwung unserer Zeit mit ihren Maschinen, Eisenbahnen, Dampfschiffen und der gleichen erst ermöglicht und die Zahl sowie das Einkommen der dabei beschäftigten Arbeiter außerordentlich vermehrt. So stieg die Bevölkerung von Birmingham, dem Hauptsitz der Eisenwarenfabrikation in England, von 1801 bis 1841 von 73000 auf 181000 Seelen, und die Arbeiter, welche hier fast immer auf Stück arbeiten, gewannen besonders durch Anwendung der Dampfkraft, indem ihnen die Fabrikanten den Ge brauch der in besonderen Lokalen aufgestellten Maschinen in getrennten
Räumen mietweise überlassen. Ebenso ist in Sheffield, wo man plattierte Waren und schneidende Instrumente fabriziert, die Vermehrung des Wohl standes wie der Bevölkerung — letzterer von 1821 bis 1841 fast um das Doppelte, von 65000 zu 111000 — sichtbar, indem hier namentlich die Stahlproduktion einen hohen Aufschwung nahm und allein die Aus fuhr von Rohstahl, welche 1810 nur 917 t betrug, sich 1849 auf 8095 t belief. In gleicher Weise hat sich in den Fabrikdistrikten des preußischen Westfalen seit vermehrter Ausbeutung der Steinkohlen- und Eisengruben und Einführung verbesserter Betriebsmethoden, hauptsächlich Anwendung der Dampfkraft, die Zahl der arbeitenden Bevölkerung außerordentlich gehoben und zugleich damit die Höhe der Löhne, indem fortwährend Arbeiter aus anderen Gegenden herangezogen werden müssen und die heimischen, trotz der Fruchtbarkeit ihrer Familien, nirgends zureichen. Alles ist aber nur die Folge des Zuströmens und schnellen Wachstums der Kapitalien, welche, gelockt von dem günstigen mittels der verbesserten Betriebsmethoden erzielten Erfolge, in der dortigen großartigen Industrie ihre Anlage suchen, eine Erscheinung, welche naturgemäß und notwendig unter denselben Bedingungen überall dieselbe ist.
f) Einfluß des Kapitals auf die Zivilisatton. Habe ich so versucht, Ihnen die Bedeutung des Kapitals im Erwerbsleben, seine Beziehungen zur Arbeit, darzulegen, und manche irrige Vorstellung darüber zu berichtigen, so erübrigt noch eins. Was ich schon bei unserer ersten Unterhaltung flüchtig andeutete, das tiefe Eingreifen der auf Befriedigung unseres leiblichen Bedürfnisses gerichteten Arbeit in das höhere Kulturleben, das werden wir, nach dem
Borausgeschickten, vor allem auf die Bildung und das Wachstum der Kapitalien in der menschlichen Gesellschaft zurückzuführen und hier einen Augenblick zu verweilen haben.
Nur in der durch Entdeckung und Benutzung der von uns erwähnten Hilfsmittel gesteigerten Leistungs-
fähigkeit der menschlichen Arbeit, wodurch sie in immer reichlicherem
und vollkommenerem Maße die Versorgung aller mit allem bewirkt und einen Überschuß ihrer Gesamtproduküon über das Gesamtbedürfnis ergibt, fanden wir die Möglichkeit der aufsteigenden Zivilisation.
Nur
dadurch, daß ein immer größeres Maß von Kräften, die bis dahin in
der Sorge für des Leibes Nahrung und Notdurft gebunden waren, darin aufgingen, frei und in den Stand gesetzt wird,
sich höheren geistigen
Aufgaben zu widmen, kommt ein Volk, kommt die Menschheit im ganzen vorwärts. Dieser Überschuß der Produktion, diese von der augenblicklichen
Verzehrung erübrigte, der Zukunft, als unentbehrliche materielle Unterlage jener höheren Bestrebungen, vorbehaltene Gütermasse ist aber eben das Kapital.
Und nicht nur, daß es die Bedürfnisse der Zukunft deckt, wirkt
es wieder auf das stetige Wachstum der Leistungsfähigkeit der Arbeit zurück und multipliziert sich unaufhörlich selbst in unabsehbarer Steigerung.
Werfen wir daher zum Schluß, um uns das wohltätige Gesamt
ergebnis dieses Ganges
der Dinge für alle klarzumachen, einen Blick
auf das, was auf solche Weise im Laufe der Jahrhunderte an Errungen
schaften für die gesamte Menschheit gewonnen worden ist. wir, seitdem sich
unser Geschlecht
aus
Da sehen
mühsamen Anfängen
empor
gearbeitet hat, Millionen fleißiger Hände neben- und nacheinander emsig
am Werke.
Da häuft man allmählich an Nahrung, Kleidung und Gerät
Vorrat auf, schafft Wohnungen und Werkzeuge zu
allerlei Gebrauch,
macht Land urbar, Ströme schiffbar, baut Kanäle, Straßen und Eisen bahnen usw.
Und
nicht bloß auf die Herstellung solcher körperlicher
Dinge und Werte, nicht bloß auf
die Ansammlung von Sachgütem
beschränkt sich diese Vorsorge, dieses weitaus in die Zukunft greifende Tun. Wie von diesem ein Überschuß zurückbleibt zu weiterer Verfügung, der von dem gegenwärtigen Geschlecht nicht konsumiert wird, so sammelt
sich auch ein Fonds von Gedanken und Erfahrungen, der nicht aufgeht
im Tagwerk, der vielmehr bleibt, obschon er dauernd dabei
genutzt und gerade dadurch immer erhöht wird.
Aus ihm aber entwickeln
sich allmählich die großen gemeingültigen Wahrheiten und Entdeckungen,
die Schätze der Wissenschaft, als Resultate der allgemeinen Einsicht und Erfahrung, ein geistiges Gesamtkapital zu dem materiellen, von
womöglich noch größerer Bedeutung als dieses.
So vermag der Mensch
sein ganzes Sein und Wirken in ein bleibendes Resultat zusammenzufassen,
Gedanken und Tat gegenständlich, greifbar zu fixieren, die Stoffe, die ihm die Natur gewährt, ja seine ganze Umgebung, seinen Zwecken gemäß um
zugestalten und ihnen den Stempel seines Willens aufzudrücken. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.
5
Aus
66
Schulze-Delitzsch.
diese Weise gewinnt der einzelne eine Bedeutung über die Grenze seines physischen Lebens hinaus, eine Wirksamkeit für nachkommende Geschlechter. Vermöge des Charakters der Dauerbarkeit, der Übertragbarkeit,
welcher den Früchten seines Denkens und Tuns anklebt, wird stets ein großer Teil davon als Überschuß seines Schaffens über sein Verzehren Gemein gut der folgenden Generation und häuft sich von Jahrhundert zu Jahr
hundert gleich
einem
großen
immer wachsenden
Erbe
des
ganzen
Menschengeschlechts, in welches die Nachkommen gleich von Geburt aus
Blicken wir um uns in unserer nächsten Umgebung, in dieser
eintreten.
großen Hauptstadt, was nehmen wir wahr? — Viele Tausende von
öffentlichen Gebäuden und Privatwohnungen, mit allem Gerät zum Ge brauch reich ausgestattet, deren sich mehrere Geschlechter teils schon bedient
haben, teils nach uns noch bedienen werden, ohne daß sie nötig hätten, für ihr Obdach und eine Masse von dringenden Bedürfnissen des öffent
und Privatlebens, welchem diese Dinge dienen, eine Hand zu
lichen rühren.
Welche ungeheuere Kapitale sind hier und in allen zivilisierten
Ländern angelegt, in Straßen und Transportmitteln, in Landkulturen
und Pflanzungen, in
Werken
und
Werkzeugen
zu
friedlicher Arbeit
wie zur Verteidigung des Landes gegen den äußeren Feind,
weit
über
die Gegenwart,
über
die alle
augenblickliche Bedürfnis
das
ihrer
Gründer und Verfertiger hinausgehen und den Nachkommen die Mühe sparen, das alles erst von neuem zu schaffen!
Und jene Ansammlung
und Ausbildung vollends von Wissen und nützlichen Fertigkeiten, von
Entdeckungen und
Erfindungen, die Leben und Arbeit immer leichter
machen, das größte, welches das
reichste
und
unverwüstlichste Kapital
von
allen,
stets gesteigerte Wachsen der übrigen erst möglich macht!
Was ist da nicht alles von grauer Vorzeit her auf uns gekommen und
was denken wir nicht alles wieder für unsere Nachkommen hinzuzufügen! Welche
unabsehbare
Aussicht
für
die Menschheit!
So
werden
den
folgenden Geschlechtern alle die kümmerlichen Anfänge gespart, an welchen
die Vorfahren sich mühsam abarbeiteten in den verschiedenen Zweigen
menschlicher Tätigkeit und Kenntnis.
Indem die ersteren da beginnen,
wo die letzteren stehen blieben, müssen sie es notwendig weiter bringen, bis sie endlich auch ihrerseits, bei einem gewissen Endpunkte angelangt,
diesen einer späteren Generation wiederum als Anfangspunkt übermachen. — Welcher ungeheure Unterschied zwischen den Besten und Weisesten unter
den Völkern des Altertums in ihren rohen und verkehrten Vorstellungen von den gewöhnlichsten Vorgängen
der
uns umgebenden Natur und
einem unserer Schulknaben, dem die Gesetze des Sonnensystems, die Er-
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
67
klärung der wichtigsten Naturerscheinungen und Kräfte als etwas Gemein verständliches gleich von Haus aus mitgegeben werden!
Ferner welcher
mrgeheure Unterschied zwischen den Leistungen jener frühesten Menschen, welche (gleich den wilden Völkerschaften entfernter Kontinente noch heute)
mit höchst unvollkommenen Werkzeugen, zumeist auf ihre Muskelkraft angewiesen, mühsam ihres Lebens Notdurft gewannen, und dem Riesen
fortschritt der heutigen Industrie, welche mit den kunstvollsten Maschinen und sinnreichsten Arbeitsmethoden alles hinter sich läßt, was man im
Altertum von den Wunderwerken der Zyklopen fabelte!
Und in alle
diese Errungenschaften tritt das gegenwärtige Geschlecht, wir alle, meine Herren, ohne Ausnahme ein, ohne sich dafür zu bemühen und ohne sich dafür zu bedanken, wie in eine ihm von Rechts wegen gebührende Mit gift. Weit entfernt, sich bei dem Überkommenen zu beruhigen, dasselbe müßig zu genießen,
findet es darin
nur einen Sporn, neue Schätze
seinerseits hinzuzufügen und es so bereichert und vermehrt wieder seinen
Nachkommen zu überlassen.
Alles dies, dieser großartige, wunderbare Vorgang, vollzieht sich tagtäglich vor aller Augen, obschon viele das geistige Band, welches die
Einzelerscheinungen verknüpft, nicht beachten und deshalb die Bedeutung Sie aber, die Sie mit mir den
des Ganzen mißkennen.
Gang der
Dinge aufmerksam ins Auge gefaßt haben, werden mich verstehen, wenn ich diesen Teil unserer Betrachtung dahin zusammenfasse:
„daß die Fähigkeit der Kapitalansammlung bei den Menschen
gleichbedeutend ist mit ihrer Kulturfähigkeit, indem vom Wachstum dieses geistigen und sachlichen Kapitals der Menschheit jeder Fort
schritt in der Zivilisation, die allmähliche Vervollkommnung mensch licher
Zustände
in
intellektueller,
sittlicher
und
wirtschaftlicher
Hinsicht notwendig bedingt wird." Und Sie werden sich um so lieber, meine Herren, mit mir in dieser Anerkennung vereinigen, wenn sie bedenken:
„daß diese Wirkungen des Kapitals allen, dem Armen wie dem Reichen, zustatten kommen."
Mag man sich über die ungleiche Verteilung des Kapitals im ein zelnen, über das erfolglose Ankämpfen des kleinen gegen den großen
Besitz beklagen, über das ungerechte Maß, mit welchem die Früchte der Arbeit zwischen deren Teilnehmern und dem Kapitalisten bemessen werden — Punkte, welche uns beim nächsten Vortrag beschäftigen werden — jenes
große Gesamtkapital kommt allen zustatten.
ganzer Nationen, ja der
ganzen
Menschheit,
In dasselbe treten ein, wie in ein gemeinsames
68
Schulze-Delitzsch.
Erbe, alle Nachgeborenen, welchem Stande, welcher Gesellschaftsklasse sie auch angehören, und wenn man in Arbeiterkreisen hier und da auch
noch der Meinung sein mag, daß die Kapitalansammlung bei den einzelnen
den
nichts
übrigen
helfe — das Anwachsen jenes Gesamtkapitals
an
Bildung, Besitz und Gesittung, welches unsere ganze Zeit, alle Ver
hältnisse im öffentlichen wie im Privatleben sozusagen als die geistige Lebenslust durchdringt und demselben seinen Stempel aufdrückt, ist ein Segen für alle.
wie
der
Wie sehr namentlich unsere Arbeiter daran teilnehmen,
ihnen so
regste Bildungstrieb gerade bei
kraftvoll Wurzel
ein lebendiges Zeugnis
geschlagen hat, davon, meine Herren, ist
die
heutige, wie so viele andere Versammlungen, in denen man es unter nehmen konnte, die Arbeiter der preußischen Hauptstadt mit so ernsten
und schwierigen Fragen zu beschäftigen.
Und es ist eine Freude für
jeden, für den gelehrtesten und gebildetsten, mit Ihnen in dieser Art zu
verkehren, das sage ich aus mehrfacher Erfahrung, und viele der so genannten höheren Kreise könnten sich ein Beispiel nehmen an dem Ernst und der Haltung, die solche Versammlungen beseelt.
Eben daraus schöpfe
ich auch die Hoffnung und den guten Mut für das Gelingen des Werks,
das wir alle, Sie und ich und viele Gleichgesinnte noch außer ihrem Stande, im Herzen tragen, für dessen geistige, sittliche und wirtschaftliche
Hebung.
Wie viel auch noch zu erstreben ist, eins ist erreicht, die Haupt
bedingung zum Gelingen des übrigen.
Die Kluft von Bildung und
Unbildung klafft nicht mehr zwischen den Arbeitern und den
übrigen Ständen.
Wir verstehen uns, wir sind uns näher gekommen.
Sie, meine Herren, haben begonnen, wo man beginnen muß.
Sie sind
Lernende geworden und haben so die erste der Weihen empfangen, ohne welche man die Bahnen freier menschlicher Entwicklung niemals Endlich: Sie haben sich auf sich selbst gestellt in Ihrem
betreten kann.
Beginnen, auf die eigene Kraft — und, meine Herren, Bildung und
Tatkraft, daß sind die Bürgen Ihres endlichen Sieges!
III. Lausch, Wert und frei« Konkurrenz. Ich spreche heute zu Ihnen zunächst vom Tausch, der Grundform
des menschlichen Verkehrs, und sodann vom Wert, als Dingen, die in notwendiger
Wechselbeziehung
zueinander
nur
an einander erklären lassen.
das
wichtige
die ja
in
bekannt ist.
und
der
vielbestrittene
Arbeiterfrage eine
Dabei Kapitel
stehen,
und
kommen
der
die
wir
freien
sich
zugleich
beide
auf
Konkurrenz,
ziemliche Rolle spielt,
wie Ihnen
a) Das Eigenintereffe und seine Wirkungen im HanShalt der Gesellschaft. Wir hatten in den ersten Vorträgen gesehen, daß sich alle Arbeit auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bezieht und nur diese zum
Zwecke hat.
In dem Bedürfnis, welches mit dem Menschen auf die
Welt kommt, und in dem Drang nach Befriedigung, der unmittelbar in
das Bedürfnis eingeschlossen ist, sahen wir die treibende Kraft im Haus halt der Gesellschaft, die den einzelnen antreibt, sich anzustrengen, um
zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu
gelangen — eine gebieterisch
treibende Kraft, weil an die Befriedigung gewisser Bedürfnisse das leibliche Dasein des Menschen selbst geknüpft ist.
Weiter sahen wir, daß der Mensch als ein denkendes Wesen, als
ein Wesen mit Verstand und mit Willen begabt, natürlich auf diesen sich unaufhörlich wiederholenden Vorgang, auf diesen Kreislauf von Be
dürfnis — Anstrengung — Befriedigung, wirkung zu erhalten bestrebt war.
eine
geregelte Ein
Als die planmäßige Tätigkeit, welche
auf die Regelung zukünftiger Bedürfnisse sich richtete, erkannten wir eben die Arbeit.
Nun wissen Sie ebenfalls aus den früheren Vorträgen, daß
die Form, in welcher der Mensch innerhalb der menschlichen Gesellschaft
arbeitet, die Teilung der Arbeit, die Scheidung der Einzeltätigkeiten in gewisse Arbeitszweige ist, zu der die einzelnen durch die verschiedene Begabung ihrer Natur ganz von selbst hingedrängt werden,
und ohne
welche wir nie zur vollkommenen Befriedigung unserer Bedürfnisse zu
gelangen vermöchten.
Niemand sucht durch seine Anstrengung alle die
Mnge, die er gebraucht, unmittelbar selbst herzustellen
— das würde
ihm geradezu unmöglich sein — sondern ein jeder wählt eine bestimmte
Arbeitsbranche, eine besondere Beschäftigung, er stellt nur eine gewisse Klasse von Artikeln her, die er und seine Mitmenschen brauchen, und ist, da alle andern ebenso verfahren, sicher, daß er seinen Begehr in den
verschiedensten Dingen für das Mehr seiner eigenen Arbeitsprodukte, das er nicht selbst konsumiert, von ihnen erhalten kann.
So entwickelt sich
aus dieser Arbeitsteilung heraus von selbst der Tausch als die Grund form alles menschlichen Verkehrs.
Dabei stoßen wir auf einen Grundzug im Wesen des Menschm, welcher mit jener Nötigung zur Arbeit, deren wir gedachten, im uächsten Zusammenhänge steht, auf das mit Unrecht so verschrieene Eigeninteresse. Wir erkennen in ihm die wohltätige Ausgleichung
zwischen zwei ent
gegengesetzten Strömungen unserer Natur, zwischen der allen Menschen
eingeborenen Trägheit und dem Bedürfnis.
Nur in dem Bedürfnis
liegt der Sporn, so fanden wir, die Trägheit zu überwinden und den
70
Schulze-Delitzsch.
Menschen zur Anstrengung zur vermögen.
Aber auch so
tut er nicht
gern mehr, als er muß, obschon er in Beziehung auf seine Bedürfnisse
den brennenden Wunsch hegt, sie so vollkommen als möglich zu befriedigen. Beide widerstreitende Antriebe vermittelt nun eben das Eigeninteresse, die berechtigte Selbstsorge, die Liebe, die ein jeder für sein eigenes Ich hat.
Es stellt sich uns dar, als das stetige Verlangen und Streben
jedes Menschen, seine Bedürfnisse in immer vollkommnerem
Grade und mit immer leichterer Mühe zu befriedigen.
Prüfe
sich nur jeder selbst, darauf läuft doch sein ganzes Trachten auf wirt
schaftlichem Gebiete hinaus: soviel als möglich zu haben und so
wenig als möglich dafür zu tun. Und, meine Herren, es liegt ein großer, tiefer und weiser Sinn in dieser Veranstaltung der Natur.
Denn, sehen Sie, wäre dem nicht so,
wo bliebe da der gewerbliche Fortschritt?
Eben weil der Mensch so
viel als möglich von seiner Arbeit haben will, weil er sich die Arbeit
so leicht als möglich machen will, eben deswegen, aus Scheu vor der
Anstrengung, wird er erfinderisch.
So fühlt er sich getrieben, unablässig
darauf zu denken und darüber zu sinnen: wie kannst du dies oder jenes
wohl besser anfangen?
Wie kannst du dir Mühe ersparen?
Wie kannst
du deine Arbeit ergiebiger machen und mehr Frucht davon ziehen?
Diesem
Zuge unserer Natur verdanken wir also die meisten großen Entdeckungen und Erfindungen auf gewerblichem Gebiet.
Das Eigeninteresse ist es,
das den Menschen sein ganzes Leben lang treibt, vorwärts zu kommen, es immer weiter zu bringen, und das ihn erst mit dem Tode verläßt.
Soll
es indessen seine wohltätige Macht bewähren, so sind dazu zwei Voraus setzungen nötig. Die erste ist die Freiheit. Um dem Antriebe seines Eigeninteresses
gemäß seine Kräfte schaffend walten zu lassen, bedarf
der einzelne un
gehemmten Spielraum dazu, wie wir schon im ersten Vortrage sahen, indem sonst weder das Resultat der Selbstsorge, die Sicherung der leib lichen Existenz, erreicht, noch die Verantwortlichkeit dafür dem im Ge brauch seiner Kraft Behinderten aufgebürdet werden kann. Andrerseits bedarf es aber auch einer Schranke dieser Freiheit, damit das Eigeninteresse den
einzelnen nicht zu Ausschreitungen fort
reiße, welche der Gesamtheit schaden.
Diese findet sich indessen in der
Natur des Verhältnisses selbst gegeben.
Ich verlange als einzelner für
mich, daß man der Gebahrung meiner Kräfte in Beschaffung meiner
Subsistenzmittel freien Spielraum gebe.
Ich bin aber nicht allein
ans der Welt, meine Herren, neben mir sind noch andere Menschen
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
71
da, Wesen, ausgestattet mit gleichen Bedürfnissen und gleichen Kräften, auf deren ungehemmten Gebrauch sie so gut, wie ich, zum Behuf der
Befriedigung ihrer Bedürfnisse angewiesen sind.
Ja noch mehr — nur
im Wechselverkehr, nur in gegenseitiger Aushilfe gelangen wir alle zu diesem erwünschen Resultat, wir bedürfen einer des andern, wir sind auf friedliche Gemeinschaft miteinander von der Natur angewiesen.
Deshalb
ist es im gemeinsamen Interesse aller geboten, daß jedem der ungehemmte
Gebrauch
seiner Kräfte,
das freie Spiel seines Willens gewährleistet
werden muß, jedoch mit der Bedingung, daß er in das gleiche Recht
des andern, der dieselbe Freiheit, denselben Spielraum für sich fordert,
nicht hemmend und störend eingreife.
Dies der bestimmte Rechts
kreis, dessen Schutz Sache der Staatsgewalt ist, innerhalb dessen sich jeder bewegen mag, und den er um so lieber den andern zugestehen wird, als er nur dadurch ihn für sich selbst sichert.
Und hier stehen wir an
dem Punkte, in welchem sich die Sonderinteressen der einzelnen zum
Gesamtinteresse
zusammenschließen.
Sicherheit,
Rechtsschutz,
Friede — dies die Bedingungen des Gedeihens für alle, an denen allen
gleich sehr gelegen ist — wo sich das Eigeninteresse nicht bloß als Hebel der Einzeltätigkeit, sondern ebensosehr als Triebkraft für das gesellschaftliche
Zusammenleben bewährt.
Seinen Ausdruck findet diese Anerkennung des
Rechtes der andern im eignen Interesse, unter Bedingung der gleichmäßigen Respektierung
des
eignen Rechtes,
in
dem
Grundsatz
der
Gegen
seitigkeit. Vermöge des Eigeninteresses will jeder, wie wir sahen, von seiner Tätigkeit soviel als möglich haben und so wenig als möglich dafür tun. Das wäre nun ein sehr eignes Ding, wenn bloß ein einzelner Mensch
mit diesem Eigeninteresse begabt wäre; es ist dies aber eine allgemeine Eigenschaft der menschlichen Natur.
Alle Menschen, die neben mir leben,
denken in dem Punkte ganz ebenso wie ich, und daraus, daß dieser Hang
nicht bloß einen treibt, sondern alle beseelt, aus dieser Allgemeinheit ent wickelt sich die natürliche Schranke, deren wir gedachten in der Gegen seitigkeit ganz von selbst, mit der für alle wirtschaftlichen Beziehungen
in der ganzen Welt gemeingültigen Formel: „Keine Leistung ohne Gegen leistung, nichts umsonst, nichts ohne Entgeld" — welche sich uns als das Eigeninteresse des einen, ausgewogen durch das aller andern,
ihrem letzten Grunde nach darstellt.
Während ich hiernach gesonnen bin,
für meine Leistungen, wenn ich einem
andern meine Produkte,
meine
Dienste anbiete, soviel als möglich zu erlangen, und ihm für feine Er
zeugnisse und Leistungen so wenig als möglich zu geben, hegt der andere
Schulze-Delitzsch.
72
gerade dieselben Absichten, und Sie können es sich schon allein vorstellen,
daß in der Regel (wo nicht andere den geschäftlichen Beziehungen fremde Beweggründe eintreten) niemand dem andern etwas umsonst zu geben geneigt sein wird.
Niemand wird dem andern in seinem eignen wahl
berechtigten Interesse die Resultate seiner Arbeit, seine Zeit, seine Dienst
leistungen zu Gebote stellen, ohne daß der andre ihm etwas als Rekompens, als Belohnung, als Gegenleistung dafür gewährt.
b) Der Tausch. Die Regelung dieses Verhältnisses ist aber der Tausch, der Tausch im weitesten Sinne, nicht bloß als Umwechselung zweier Sachen (z. B.
eines Ochsen für 20 Stück Schafe u. dgl.), wie man ihn im gemeinen
Leben aufzufassen Pflegt.
Vielmehr begreifen wir darunter jedes Ge
schäft, vermöge dessen jemand einem andern irgend etwas von Wert,
gleichviel ob Sachgüter oder Dienstleistungen, zur Verfügung stellt, und etwas anderes, seien es wiederum Sachgüter oder Dienstleistungen, oder auch Geld, als Gegenleistung, Entschädigung oder Lohn dafür empfängt.
Daß jeder dem andern etwas
gegeben oder getan
und etwas wieder
dafür empfangen hat, darin liegt das Wesen des Tausches.
Was zunächst seine Möglichkeit anlangt, so
haben wir dieselbe
bereits aus der Arbeitsteilung hergeleitet, welche wiederum auf der Übertragbarkeit der Erzeugnisse menschlicher Arbeit beruht, worüber
wir im ersten Vortrage ausführlich gesprochen haben.
Ohne Arbeits
teilung wäre der Tausch unmöglich, und ohne Tausch die Arbeitsteilung nutzlos. Der erstere ist nichts, als die Ausführung der letzteren, die sonst ohne allen praktischen Wert bliebe.
Jede Hemmung des freien Aus
tausches von Arbeitsprodukten und Dienstleistungen tastet
demnach den
großen Grundsatz der Arbeitsteilung an, der wir es, wie der erste Vor trag zeigte, allein danken: „daß die Kräfte des Menschen größer
sind, als seine Bedürfnisse."
Arbeitsteilung und Tausch sind beide
das Hauptbindemittel der menschlichen Gesellschaft, die Grundbedingung der aufsteigenden Kultur.
Seinem Motiv nach beruht der Tausch auf dem Eigeninteresse. Ich wünsche meine Bedürfnisse so vollkommen als möglich zu befriedigen. Das kann ich nicht, wenn ich mir die Dinge alle selbst machen soll. Vielmehr bin ich darauf hingewiesen,
mit anderen in Beziehung zu
treten, mit ihnen zu tauschen, ihnen meine Dienstleistungen oder die Früchte meiner Arbeit zu Gebote zu stellen, weil sie ohne dies mir ihrer
seits die Produkte ihrer Arbeit nicht zur Verfügung stellen würdm,
um die es mir doch zu tun ist.
Deshalb stellt sich aber als notwendiges
Element, in welchem allein der Tausch sich entwickeln kann, soll er seinen Zweck nicht verfehlen, die Freiheit heraus, da sich ohne dies das Interesse
gar nicht dabei würde betätigen können.
Jede der tauschenden Parteien
sucht lediglich ihren Vorteil dabei und stellt eine Berechnung mit sich an, ob sie bei dem Tausch besser zur Befriedigung ihres Bedürfnisses gelangt, als auf andre Weise. Dies drängt mit Notwendigkeit darauf hin, daß alles der freien Übereinkunft der Tauschenden überlassen werden
muß.
Darüber, was ich bedarf und was ich an mein Begehren setzen
wU, vermag kein Dritter ein Urteil zu fällen, weil dies ausschließlich meinem eigensten, innersten Empfindungskreise angehört.
Ich muß da
her tauschen können, mit wem ich will, und Bedingungen dabei eingehen,
wie sie mir passen und vorteilhaft erscheinen.
Niemandem kann das
Recht zugestanden werden, mich zum Tausche mit jemand zu nötigen oder davon abzuhalten, ebensowenig mir vorzuschreiben, mehr oder weniger als Gegenleistung zuzugestehen, als ich Lust
habe.
Denn mit jedem
solchen Eingriffe wird der Zweck des Tausches für mich verrückt,
sein
Resultat zu einem meinen Interessen widerstreitenden, und das ganze Geschäft der Sphäre alles Verkehrs, der freien Übereinkunft der Be teiligten entrückt, die allein zu beurteilen befugt sind, was ihnen zusagt
oder nicht.
Gehen wir auf die Formen des Tausches über, in denen er im Verkehr austritt, so begegnen wir zuerst der einfachen Umwechslung,
deren wir schon gedachten, als der ursprünglichsten, die in den kindlichen Zeiten des Menschengeschlechts, in den Uranfängen aller Geschichte, ge
herrscht hat.
Zwei bestimmte Sachen, jede unmittelbar zur Befriedigung
eines Bedürfnisses dienend, werden für einander hingegeben, in Natur ausgewechselt.
Der eine
gibt Vieh und nimmt dafür Getreide, jener
bekommt Waffen und Gerät und liefert dafür Wein und Früchte usw. Allein so wird das heute nicht mehr gemacht, das wissen Sie aus Er
fahrung.
Jener ursprüngliche Tausch hat dem Kauf im Verkehr Platz
gemacht.
Man wechselt jetzt nicht mehr unmittelbar Arbeitsprodukt gegen
Arbeitsprodukt um, sondern es gibt eine Zwischenware, das Geld, die allen Tausch vermittelt.
Das Bedürfnis einer solchen Zwischenware
stellte sich sehr bald heraus, als die Menschen in geordnetere, geregeltere
Zustände, in lebhaftere Beziehungen zueinander traten. Jene uranfängliche
Form des Tausches, der Naturaltausch (so wollen wir ihn nennen), hemmte den Verkehr zu sehr, machte ihn zu mühsam, zog ihm zu enge
Grenzen.
Da fiel man darauf, eine Zwischenware zu finden, die von
74
Schulze-Delitzsch.
allen und zu jeder Zeit begehrt werde, und welche den Tausch erleichtere. In den ältesten Zeilen haben namentlich Haustiere als solche gedient,
worauf z. B. der Name des Geldes bei den Römern (pecunia von pecus) hindeutet.
Dies bezeugen mehrfache urkundliche Nachrichten, ich erinnere
z. B. an eine Stelle in den berühmten Homerischen Gesängen aus der
alten Griechenzeit, wo Stiere als solche Zwischenware und damit zu
gleich als Wertmesser zur Schätzung anderer Dinge aufgeführt sind. Zwei der kämpfenden Helden tauschen dort ihre Rüstungen, die eine ist von Gold und die andere von Erz, und da hat man gleich die Taxe
nach Stieren bemessen, wie bei uns nach Talern, und die eine wird
auf hundert Stiere, die andere auf neun Stiere taxiert. sich in alten Zeiten.
So half man
Indes, meine Herren, bei der unendlichen Ver
schiedenheit des Wertes einzelner Stücke derselben Gattung unter den
Haustieren und ihren großen Preisschwankungen eignete sich dies Aus
kunftsmittel nicht so recht, und es begannen bei gesteigertem Verkehr die
edlen Metalle mehr und mehr die früheren Tauschmittel zu verdrängen.
In neuerer Zeit hat man sie allgemein in der Form des Geldes als Zwischenware beim Tausch eingeführt, wobei es, wenn nicht für immer,
so doch sicher für lange Zeit verbleiben wird, denn in der Tat entspricht
dasselbe allen Anforderungen, die man zu diesem Zwecke machen kann. Die Unentbehrlichkeit und große Bedeutung einer solchen Zwischen ware wird jedermann einleuchten, wenn er bedenkt, daß der bloßen Um
wechslung ihrer Natur nach ziemlich enge Grenzen gezogen sind, sowohl hinsichtlich der Gegenstände des Tausches, wie der dabei beteiligten Per sonen.
Wie will z. B. ein Baumeister ein Haus, die Frucht seiner
Tätigkeit innerhalb eines Jahres, gegen
die tausenderlei
wechseln, die er während dieser Zeit braucht?
Dinge um
Er muß Kleidung, Möbel,
Fleisch, Brot, Bücher, Feuerung, Licht usw. haben, alles von verschiedenen Personen und zu den verschiedensten Zeiten, und kann doch nicht das Gebäude in tausend Stücke zerlegen und das eine davon heut, das andere
morgen, jedesmal für eins jener Bedürfnisse, umwechseln.
Wie soll ein
Arzt, ein Advokat es einrichten, daß er jedem, von welchem er für den Augenblick irgend eine Sache bedarf, Wissenschaft leistet?
Kreis der
gerade einen Dienst mit seiner
Ebenso geht die Umwechslung niemals über den
persönlichen Bekanntschaft hinaus.
Man muß voneinander
wissen, die gegenseitigen Bedürfnisse kennen, in persönliche Beziehungen
zu einander treten, wenn sie zustande kommen soll. Kurz, die Menschheit würde sehr bald am Ende des Tausches, der Arbeitsteilung mit ihren unermeßlichen Segnungen, d. h. am Ende des Fortschntts stehen, wenn
man nicht in jener Zwischenware das Mittel gefunden hätte, welches zwischen das Bedürfnis und dessen Befriedigung tritt, mit der Aufgabe:
den in seiner Unmittelbarkeit auf den engen Kreis bestimmter Persönlich keiten beschränkten Vorgang dergestalt zu verallgemeinern, daß nicht bloß jeder mit dem, der sein spezielles Bedürfnis zu befriedigen imstande ist,
sondern alle mit allen tauschen können.
Anstatt daß ich nämlich für
meine Sache oder Leistung von dem, welcher dieselbe entgegennimmt, un mittelbar meinen Bedarf erhalte, nehme ich die fragliche Zwischenware,
für welche ich dann, je nach Lust und Gelegenheit, das mir Wünschens werte von jedem beliebigen Dritten jederzeit eintauschen kann.
Selbstverständlich wird eine solche Zwischenware ihre ^Bestimmung
um so besser erfüllen, je sicherer und bequemer der Empfänger dafür sein eigenes Bedürfnis in den verschiedensten Arttkeln dafür einzutauschen
vermag.
Sie muß
daher
zunächst
der
Art sein, daß sie selbst ein
dauerndes, allen gemeinsames Bedürfnis befriedigt, daß sie möglichst all
gemein begehrt wird.
Ferner muß sie leicht transportabel und auf
zubewahren, dem Verderben und Wertschwankungen so wenig als mög lich ausgesetzt sein, sowie leicht abzuschätzen, leicht wäg- und teilbar sein. Allen diesen Anforderungen entsprechen unter allen bekannten Gegen ständen nun zumeist die edlen Metalle.
Unter Hinzutritt der öffent
lichen Garantie, welche durch das Münzgepräge die einzelnen Metall
stücke mit dem Stempel eines festen Gehalts in Quantität und Qualität
(Schrot und Korn) versieht und so ihre Abschätzung fixiert, ist daher gegenwärtig das Geld überall zu dieser wichtigen Rolle im Verkehr er
hoben und die Macht geworden, welche in allen zivilisierten Gemein wesen den Tausch vermittelt.
Und so ist die Umwechslung fast überall
in unserm Verkehr in die kompliziertere Form des Tausches, in den
Kauf übergegangen, die zwar den wirtschaftlichen Charakter der erstern nicht ändert, sich jedoch insofern von ihr unterscheidet, als der Zweck des ganzen Vorgangs, die Befriedigung
Parteien, nun
nicht mehr
der Bedürfnisse
unmittelbar davon erreicht
der tauschenden wird.
Indem
mindestens der eine Teil, der Verkäufer, die Zwischenware, das Geld, erhält, wird dessen Stoff, das edle Metall, nur in den allerseltensten
Fällen sein Bedürfnis befriedigen, wie etwa beim Goldschmied, wenn et einen Dukaten einschmelzt, um das Gold zu verarbeiten. er für
das
Vielmehr muß
erhaltene Geld sich erst dasjenige, was er selbst braucht,
anderswo verschaffen.
Dabei geschieht, im Grunde
genommen, weiter
nichts, als daß anstatt einer einzigen einfachen Umwechslung zwei der gleichen
vorgenommen
werden,
wodurch
sich das
Geschäft als
Um-
Schulze-Delitzsch.
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Wechslung in zwei Akten darstellt, als aus zwei Faktoren zusammen gesetzt, welche Kauf und Verkauf heißen.
Jeder behält so das Be
dürfnis und dessen Befriedigung, den Genuß, für sich, während er die Frucht seiner Anstrengung, welche den letztern bedingt, auf einen andern
überträgt.
Der Tausch, Leistung für Leistung, erhält also sein Recht,
indem derjenige, der dem andern etwas zu dessen Bedarf gewährte, wieder
etwas zum Entgeld dafür bekommt, was, wenn es ihm auch den seiner seits gesuchten Genuß nicht unmittelbar gewährt, ihn doch in den Stand
setzt, denselben sich sofort anderweit zu verschaffen, ihn also mittelbar zum Ziele führt.
So verkauft er also erst seine Sache, seine Dienstleistung
für die Zwischenware, das Geld, um mit diesem alsdann eine andere Sache oder Dienstleistung, deren er benötigt ist, für sich zu erkaufen und
indem er nacheinander Verkäufer und Käufer geworden ist, hat er weiter nichts getan, als getauscht.
Um die ganze
unermeßliche Wichtigkeit dieser
Vermittlung
des
Tausches in der Form des Kaufes für den menschlichen Verkehr zu würdigen, mögen uns folgende einfache Erwägungen dienen.
Erstlich wird es allein auf solche Weise möglich, wie wir schon oben andeuteten, daß sich nicht immer erst zwei ängstlich aufsuchen müssen,
von denen grade jeder das besitzt, was der andre braucht, wenn ein Tausch zustande kommen soll.
Vielmehr fragt nunmehr jeder bloß nach einem
Abnehmer seines Produktes, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser Ab nehmer ihm gerade dasjenige dafür wiedergeben kann, was er selbst eben
braucht, weil das Geld, welches er für seine Sache erhält, ihn in den Stand setzt, seinen Bedarf sich jederzeit von jedem Dritten zu verschaffen. Ohne dies mußte z. B. A, der ein Sofa veräußern wollte und Getreide
dafür brauchte, lange suchen, bis er einen fand, der erstens ein Sofa
verlangte und zweitens gerade das gesuchte Getreide besaß, um dasselbe dafür geben zu können.
So aber schlägt er sein Sofa an jeden los, der
es verlangt, und kaust sich sein Getreide bei jedem andern, der solches besitzt, von dem Gelde, welches ihm der Abnehmer des Sofas bezahlte.
Der Verkäufer des Getreides, dem es seinerseits ebenfalls durchaus nicht
um das Metall an sich zu tun ist, sondern vielleicht um einen Anzug, verwendet das erhaltene Geld ebenfalls weiter zur Beschaffung seines
Bedarfs von einem Vierten,
und so wandert
dasselbe
als Vermittler
einer unabsehbaren Reihenfolge von Tauschgeschäften von Hand zu Hand,
mit der Wirkung der Befriedigung der Bedürfnisse aller Zwischenbesitzer
auf die für alle möglichst leichteste und bequemste Weise. Ferner
wird
nur durch
eine
solche
geeignete Zwischenware die
Teilbarkeit der zu vertauschenden Gegenstände ermöglicht, ohne welche
der Tausch in den
meisten Fällen sofort stocken würde.
Denn in der
Wirklichkeit stellt sich der Fall fast nie so, daß eine Leistung mit der Gegenleistung von völlig gleichem Werte wäre, und ohne weiteres mit
ihr umgewechselt werden könnte.
B z. B., der einen fertigen Rock um
setzen will, bedarf nicht bloß Brot,
sondern auch Fleisch, Butter, ein
Paar Stiefel und etwas Feuerungsmaterial, welche Gegenstände in den von ihm gewünschten Quantitäten alle zusammen den Wert seines Rockes
nicht übersteigen.
Allein der Rock kann doch nicht zerschnitten, und seine
Stücke an verschiedene Personen überlassen werden, und doch sind die
dafür begehrten Gegenstände im Besitze verschiedener Personen.
Hier ist
die direkte Umwechslung eben so unmöglich, wie in dem oben angeführten Beispiele von dem Hause, und nur durch die vermittelnde Zwischenware
ist der Tausch und die daran geknüpfte Befriedigung der Bedürfnisse zu bewerkstelligen, indem diese Zwischenware teilbar ist, der Verkäufer des
Rockes oder Hauses also die erhaltene Summe teilen und so zur Be friedigung seiner verschiedenen Bedürfnisse einzeln verwenden kann.
Endlich wäre auch durch die bloße direkte Umwechslung Bedürfnissen, die jemand an einem ganz andern Orte und zu einer ganz andern Zeit
braucht und die er im Augenblicke noch nicht einmal speziell anzugeben
imstande ist, nie und nimmermehr abzuhelfen, während die Zwischenware beim Tausch dies alles leicht und auf stets zutreffende Weise erledigt. Man nehme an:
ein Arzt hat eine wissenschaftliche Reise in fremde
Länder vor, zu welcher er sich durch seine ärztliche Praxis die Mittel
verdienen muß.
Er bedarf voraussichtlich während dieser Reise Nahrung,
Kleidung, Transportmittel, Wohnung und Dienste mancher Art.
Un
möglich kann er diese Dinge für seine gegenwärttgen ärztlichen Dienst leistungen einwechseln und auf die Reise mitnehmen, und er müßte die
Reise unterlassen, wäre nicht die Zwischenware, das Geld da, von dem er sich die nötige Summe an seinen ärztlichen Honoraren sparen und
dann gewiß sein kann, daß er dafür, vielleicht erst in Jahren, in ganz fernen Gegenden und von Menschen, denen er selbst nie einen Dienst geleistet, alles Benötigte ohne Schwierigkeit tauschweise zu erhalten ver
mag.
Ferner ein Advokat in Berlin läßt seinen Sohn in Heidelberg
studieren und
braucht für
Unterhalt und Unterricht.
denselben während dieser
Universitätszeit
Wie wollte er es im Wege der einfachen Um
wechslung anfangen, sich dies für seine Dienstleistungen von den Leuten
in Heidelberg zu verschaffen, von denen höchstwahrscheinlich niemand seiner Dienstleistungen bedarf?
So aber läßt er sich von seinen Klienten in
78
Schulze-Delitzsch.
Berlin Geld zahlen und ist nun imstande, mit diesem die seinem Sohne
von den
Professoren, Speisewirten, Schneidern, Hausbesitzern usw. in
Heidelberg geleisteten Dienste zu belohnen.
Aus alledem ergibt sich zur Genüge, welche wichtigen Dienste das
Geld der Menschheit von jeher erwiesen hat und noch leistet, indem es
die Entwicklung des Tausches bis in das Unendliche ermöglicht.
Jeder
stellt nun seine Dienste nicht mehr dieser oder jener Person, deren Be
dürfnisse er, unter ängstlicher Rücksicht auf das eigne, erst mühsam er mitteln mußte, sondern der Gesellschaft gewissermaßen im
Gebot,
ohne
ganzen zu
sich darum zu kümmern, wer die dadurch bezweckte Be
friedigung genießen wird
und
ob
Gegendienst zu leisten imstande ist.
gerade dieser ihm den gewünschten
Ebenso erhält er als Entgelt
nicht
unmittelbare Genußmittel, sondern Geld, mit dem er sich dieselben an schafft, wo und wann er will.
Auf solche Weise erhebt sich der Umsatz,
der Verkehr über den Kreis persönlicher Beziehungen, über Zeit und Raum. Meistenteils weiß niemand, durch wessen Anstrengungen seine Bedürfnisse
befriedigt werden und wessen Bedürfnissen seine eignen Anstrengungen zugut kommen, da der Tausch durch die Dazwischenkunft des Geldes in
unzählige Umwechslungen sich auflöst, bei denen die Beteiligten die un
mittelbare Berührung miteinander verlieren.
c) Der Wert. Unmittelbar
an den Tausch
knüpft sich nun
der
Begriff
des
Wertes an.
Wie wir sahen, war das Eigeninteresse das Motiv zum Tausch, vermöge dessen wir, um an Mühe und Kosten bei Befriedigung unserer Bedürfnisse zu sparen, uns die Leistungen anderer, die Produkte fremden Fleißes, zu diesem Behufe gegen Hingabe unserer eignen zu verschaffen
suchen.
Notwendig tritt daher in jedem solchen Falle eine Berechnung
bei den tauschenden Parteien ein, eine Veranschlagung dessen, was von
ihnen gefordert wird, gegen das, was sie dafür erhalten, und nur dann werden sie sich zum Tausche entschließen, wenn jede von ihnen bei dieser
Vergleichung findet: daß das, was sie der andern geben oder leisten soll, ihr weniger Mühe und Kosten verursacht, als die Herstellung dessen, was sie dafür bekommt.
Das durch die zu solchem Zweck angestellte Ver
gleichung gefundene Verhältnis der auszutauschenden Sachen oder Dienste
ist der Wert. Hiernach ist der Wert nicht etwas den Dingen oder Handlungen an sich Anklebendes, keine Eigenschaft, sondern nur eine Beziehung der-
selben zueinander, welche einzig und allein bei ihrem Austausche hervor
„Ohne Tausch kein Wert", nur gegenseitige Leistungen sind
tritt.
es, die uns zum Begriff des Wertes verhelfen.
Dies vor allem haben
wir festzuhalten, um uns darüber klar zu werden, worin der Wert oder
genauer der Vergleichungspunkt der gegenseitigen Leistungen eigentlich liegt. Daß er nicht in der Stofflichkeit, der
Dauerbarkeit liegen
könne, worin ihn einige suchen wollen, ist demnach gewiß.
Schon der
eine Umstand muß dagegen erhebliche Bedenken erregen, daß alsdann nur Sachgüter Wert hätten, und daß eine Menge von Handlungen, welche
nicht in Produktion eines solchen ausliefen und oft die wichtigsten Dienste einschließen, welche Menschen einander leisten können, wertlos wären;
man nehme nur die Tätigkeit des Arztes, Lehrers, Schriftstellers, Ad vokaten, Beamten und anderer.
Freilich sind vielleicht in den meisten
Fällen Sachgüter die Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse. Dennoch
liegt auch in solchen Fällen nicht in dem Dinge an sich, sondern in deffen Lieferung an den Konsumenten der Wert.
Denn die Bedürfnisse
zu befriedigen, müssen die Dinge dem, der das Bedürfnis fühlt, int rechten
Augenblick zur Hand sein.
Nur der Umstand also, daß eine Ware dem
Begehrenden zur Verfügung gestellt wird werden
oder doch jederzeit
kann, gibt ihr Wert, den sie ohnedies und
an
sich,
gestellt wenn
sie sich an einem Orte befindet, wo sich niemand ihrer bedienen kann oder mag,
nicht besitzt,
wie z. B.
die kostbarsten
Erze in den un-
aufgeschlossenen Tiefen der Erde, die edelsten Früchte in den menschen
leeren Einöden der Tropenwälder, und überhaupt alles, was sich nicht im menschlichen Verkehr befindet.
In allen Fällen ist also die Tätigkeit
eines Menschen im Spiele, durch welche dem Bedürfnisse eines anderen
abgeholfen, d. h. diesem ein Dienst geleistet wird, wenn von einem Werte die Rede sein soll, und sämtliche Sachgüter, die man uns zur Verfügung
stellt, lösen sich, genau besehen, stets in eine Reihe solcher Dienstleistungen
auf, sowie der dafür gezahlte Preis seinem letzten Grunde nach in Arbeits
lohn.
Nehmen wir einen Gegenstand des allgemeinsten Bedarfs, ein
Dutzend Hemden.
einschlagen.
Um sie mir zu schaffen, kann ich einen doppelten Weg
Einmal kaufe ich mir den Flachs vom Ackerbauer und gebe
ihn an die Spinnerin, welche mir das Garn daraus liefert.
Dieses
schaffe ich wieder zum Leineweber und die gefertigte Leinewand auf die
Bleiche, worauf ich die Nähterin bestelle und nun erst die fertigen Hemden erhalte.
Alle diese Personen, die mir die erwähnten Dienste verrichten,
muß ich bezahlen.
Worin liegt nun der Wert der Hemden, des Schluß-
produkts aller ihrer Leistungen? Offenbar in der Gesamtheit der zu ihrer
Schulze-Delitzsch.
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Herstellung und Lieferung an mich erforderlichen Leistungen, welche dos Maß
meiner
Gegenleistung
— den für
eine
jede von mir za ge
währenden Lohn — bestimmen, und im Grunde habe ich nichts als Arbeitslöhne und keineswegs die Hemden bezahlt. Wie aber, wenn ich mir statt dessen die Hemden gleich fertig kaufe? Ändert dies das eigent
liche Sachverhältnis, ist der Wert nun mit einem Male in die Hemden übergegangen, und wo soll der Unterschied liegen, der das Prinzip des Werts für jeden der beiden Fälle ändert?
Der Verkäufer der fertigen
Ware hat doch ebenfalls die erforderlichen Arbeiten bestellen und bezahlen müssen, und wenn derselbe noch etwas über seine Auslagen am Preise
aufschlägt, so ist dieses Mehr wiederum nur die Belohnung der Dienste, die er dem Käufer geleistet, indem letzterer die Mühe der Annahme und
Kontrollierung so vieler Arbeiter spart und sogleich zur Befriedigung seines Bedürfnisses gelangt, worauf er sonst noch lange hätte warten müssen.
Ebensowenig zutreffend ist die Ansicht derer, welche den Wert in die Nützlichkeit der Dinge setzen, d. h. in diejenige Eigenschaft derselben,
vermöge deren sie uns zur Befriedigung von Bedürfnissen dienen.
Hier
müssen wir uns vor allem auf das von uns früher Angeführte beziehen, wonach es zwei Faktoren gibt, welche alle erdenklichen Dinge und Leistungen
deren der Mensch bedarf, hervorbringen, Arbeit und Naturkraft. Daß das uns von der Natur Gebotene unmöglich einen Wert haben kann,
da es unentgeltlich ist, versteht sich von selbst, und so gelangen wir auch
von dieser Seite dahin, den Wert lediglich in die Arbeit zu verlegen.
So ist es z. B. ein allen Menschen gemeinsames höchst dringendes Be
dürfnis, zu atmen.
Da aber die Natur selbst uns allen das Mittel zu
Gebote gestellt hat, dieses Bedürfnis zu befriedigen, ohne daß es dazu
menschlicher Arbeit bedarf, so hat dieses Naturgeschenk, die atmosphärische
Luft, trotz ihrer großen unleugbaren Nutzbarkeit, keinen Wert.
Dies
kann sich natürlich nicht ändern, wenn beide Faktoren bei der Nützlichkeit
eines Gegenstandes zusammenwirken, wenn also die Arbeit hinzutreten muß, um eine Naturgabe völlig für unser Bedürfnis zuzurichten. Stets
muß auch hier derjenige Teil der Nutzbarkeit, welchen die Natur gewährt, unentgeltlich, also wertlos sein, und nur die Mitwirkung menschlicher Arbeit kann verwertet werden.
machen.
Folgendes Beispiel wird dies anschaulich
Unter die nützlichsten und unentbehrlichsten Dinge, die es gibt,
gehört das Wasser, da es eines der dringendsten Bedürfnisse, den Durst, befriedigt und auch sonst zu einer Menge höchst notwendiger Verrichtungen gebraucht wird.
Dennoch hat es jeder in dem Quell an seiner Wohnung
umsonst und bezahlt an niemanden etwas, wenn er daraus schöpft. Nun
kann es aber in der Nähe meiner Wohnung daran fehlen, und der Quell, der mir meinen Bedarf liefert, eine Viertelstunde und weiter entfernt sein.
Da das Bedürfnis keinen Aufschub verträgt, muß ich jeden Morgen
den Weg machen, mich für den Tag zu versorgen. Das Wasser hat
seine Nutzbarkeit,
Wie steht es nun?
seine Eigenschaft,
den Durst zu
löschm usw., von der Natur erhalten und behält dieselbe gleichmäßig, der Quell mag nahe oder entfernt von menschlichen Wohnungen fließen.
Allein damit diese Eigenschaft in bezug auf bestimmte Personen An wendung finden könne, muß das Wasser im Augenblick des Bedürfnisses
zur Hand sein.
Zur Befriedigung des fraglichen Bedürfnisses gehören
also zwei Momente: 1. daß das Wasser trinkbar, und 2. daß es dem Durstenden zur Hand sei. Das erste Moment gewährt die Natur allein,
ohne menschliches Zutun, das zweite entweder die Natur (wenn ich den Quell in meiner Nähe habe) oder die Arbeit eines Menschen (wenn das Wasser geholt werden muß).
Nur im letzteren Falle kann von einem
Werte die Rede sein, und zwar sobald ich mir das tägliche Wasserholen
sparen will und es mir von einem anderen verrichten lasse, der nun einen Gegendienst, einen Lohn für sich fordert.
Also nicht im Wasser
und dessen Nützlichkeit, sondern in der auf dessen Herbeischaffung ge wendeten Arbeit steckt der Wert, wie man leicht daraus ersieht, daß
derselbe mit der größeren Entfernung des Wassers, d. h. mit der minderen oder mehreren Mühe seiner Herbeiholung wächst. Und so verhält es sich
mit allen nur denkbaren Gegenständen, auch den kostbarsten und seltensten. Denn Kostbarkeit und Seltenheit sind keine den Sachen an sich inne wohnende Eigenschaften (wie Schwere, Härte usw.), sondern drücken nur
gewisse Beziehungen zum Begehr und Verkehr aus,
und besagen im
Grunde nichts anderes, als daß dergleichen Dinge nur mit großer Mühe
herzustellen oder aufzufinden sind, und daß sie eben der darauf zu wendenden
größeren Arbeit halber auch einen größeren Wert haben.
Ein Diamant,
eine gediegene Silberstufe sind ihrer Seltenheit halber äußerst schwierig
aufzufinden, und weil das Nachsuchen danach viel Zeit, Mühe und Kosten verursacht, und nur deshalb, haben sie großen Wert. Allerdings wünscht man den Diamanten hauptsächlich seiner Härte, seiner Strahlenbrechung halber.
Allein diese Eigenschaften sind, weil sie ihm die Natur verleiht,
unentgeltlich, und fände man ihn, gleich dem Kiesel, in jedem Bache, so würde niemand etwas dafür bezahlen, obschon seine Eigenschaften dieselben
blieben.
So aber sichert ihm seine Seltenheit, die Schwierigkeit seiner
Herbeischaffung seinen Wert. Freilich hört man in der Sprache des ge meinen Lebens in allen solchen Fällen sagen: der Diamant, der Eimer Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.
g
82
Schulze-Delitzsch.
Wasser usw. kostet so und soviel, als ob der Wert im Stoffe läge. Ja, um sich aus
der Verlegenheit zu helfen, hat man sogar
zur Auf
stellung zweier Arten von Wert, eines Tausch- und Nutzwertes, seine Zuflucht genommen, die unter sich verschieden sein sollen, womit man
eigentlich den in der ganzen Begriffsbestimmung liegenden Fehler zu gesteht.
Auch schon die tägliche Erfahrung von den Wertschwankungen der
meisten Gegenstände steht mit der von uns bekämpften Auffassung in
Widerspruch.
Denn stäke der Wert in den Dingen, in deren inneren
Eigenschaften und Nützlichkeit, so müßte er, bei der Beständigkeit dieser
Eigenschaften, auch seinerseits immer derselbe bleiben.
So aber steigt
und fällt er bei einer und derselben Sache zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen.
Man
nehme
z. B. eine gewöhnliche
Semmel, die in der Regel wenige Pfennige kostet, bei einer Hungersnot
aber, in einer belagerten Stadt, bisweilen mit Gold ausgewogen werden kann.
Aus dem Stoff des Gebäcks, aus seiner Nutzbarkeit kann dies
niemals erklärt werden, denn darin hat sich nichts geändert.
Die Be
standteile der Semmel, ihre Nährkraft, vermöge deren sie den Hunger füllt, sind sich in beiden Fällen gleich geblieben, und doch ist der Wert ein ungeheuer verschiedener.
Die ganze Differenz, die wir ganz un
gezwungen auf den minderen oder höheren Grad der Schwierigkeit zurück führen, das erwähnte Nahrungsmittel zu beschaffen, bleibt somit auf jenem
Wege ein ungelöstes Problem. In der Arbeit also,
der Anstrengung des Menschen, welche
er
forderlich ist, um einen nutzbaren Gegenstand zu unserer Verfügung zu stellen, oder uns einen nützlichen Dienst zu erweisen, steckt einzig und
allein der Wert.
So viel dürfen wir durch die beigebrachten Beispiele
als ausgemacht ansehen, und wenn wir der Kosten dabei gedachten, so
gehören diese in allen Fällen selbst zur Arbeit.
Denn, wie wir früher
dargetan haben, ist das bei einer Arbeit zur Verwendung kommende Kapital stets die Frucht früherer Arbeit, und alle Auslagen lösen sich am
letzten Ende wiederum in Arbeitslöhne auf, so daß der aufgestellte Satz in seinem vollen Umfange zur Geltung kommt. Indessen ist hiermit die Frage noch nicht gelöst.
Denn bekanntlich
vereinigt der Tausch zwei Arbeitsakte, Leistung und Gegenleistung, deren
beide Träger, die Parteien im Geschäft, ein entgegengesetztes Interesse an der Schätzung haben.
Stets wird A für feine Sache ober feinen Dienst
so viel wie möglich haben und B so wenig als möglich dafür geben wollen, mit anderen Worten: Jeder wird die Arbeit des anderen in der
gegenseitigen Leistung so niedrig als möglich, die in der eigenen so hoch als möglich schätzen. Was entscheidet nun zwischen ihnen, worin liegt der schließliche Einigungspunkt? — Sind es die Anstrengung» der Auf
wand, welche jede dieser Leistungen dem kostet, der sie gewährt? Kann z. B. A sagen: das, was ich dir gewähre, kostet mich drei Tage meiner Arbeit, und du mußt mir nun ebenfalls die Frucht von drei Tagen der
deinigen dafür geben? — Dem widerspricht schon der oben von uns auseinandergesetzte Zweck der Arbeit und des Tausches, die Befriedigung von Bedürfnissen. Natürlich kann es dabei nicht auf das mehrere oder mindere Beschäftigtsein eines Menschen ankommen, sondern auf das, was er dadurch schafft, nicht auf den Akt, sondern auf das Resultat der Arbeit, weil nicht die Bemühung des anderen, sondern deren Produkt übertragbar und geeignet ist, Bedürfnisse zu befriedigen. Wie sehr sich
z. B. auch der Bäcker plagt — wenn ihm sein Teig verunglückt, ehe das Brot daraus fertig wird, so wird niemand von seiner Arbeit satt und niemand wird ihm die gehabte Mühe bezahlen. Ferner kann ein un geschickter Arbeiter acht Tage zur Fertigung eines Stückes brauchen, welches ein geschickter in zwei Tagen vollendet, wird deshalb jemand geneigt sein, ihm dafür nun ebenfalls die Frucht von acht Tagen seiner eigenen Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen? — Gewiß nicht. Ferner: einige Arbeiten sind schwierig, andere leicht; zu einigen gehört die Anlage eines großen Kapitals (das Aufopfern der Früchte vieler früheren Arbeit), zu anderen nicht; bei einigen wird eine mühsame, kostspielige Vorbildung erfordert, eine ungewöhnliche natürliche Begabung, bei anderen nicht. Wird man z. B. dem Arzt, dem Staatsmann, dem Künstler zumuten, den Ertrag ihrer Arbeit in einer gewissen Zeitdauer für den des ge wöhnlichen Tagelöhners in gleicher Frist hinzugeben? Und doch müßte man dies, wenn in der Arbeit dessen, der den Dienst verrichtet, der Maß stab des Werts läge.
Der Schneider, der in drei Tagen für einen
berühmten Maler einen Anzug fertigt, der vielleicht mit 25 Talern be zahlt wird, könnte dann von diesem ebenfalls ein in drei Tagen gemaltes Porträt als Äquivalent fordern, wofür gut und gern 100 Luisdor bezahlt
werden.
Endlich kommen auch noch mancherlei Zufälligkeiten ins Spiel,
welche mit zu veranschlagen sind. Jemand findet zufällig einen Diamanten
und verfügt somit über einen großen Wert. Er fordert von einem Lieb haber für Überlassung des Steines einen Betrag, welcher dem Arbeits erträge desselben innerhalb eines Jahres gleichkommt. Kann nun der Käufer dagegen einwenden, daß der Finder ja kaum eine Minute Zeit nötig gehabt, um den Stein aufzuheben, und so gut wie gar keine Mühe
e*
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Schulze-Delitzsch.
auf dessen Aquisition verwendet habe, und daß sie doch beide den Ertrag
gleicher Arbeit austauschen müßten, weshalb schon der tausendste Teil seiner Forderung zu hoch wäre? Sicher würde der Finder entgegnen:
daß, wenn der andere die Forderung zu hoch finde, er hingehen möge
und sich selbst einen gleichen Stein suchen.
Freilich könnte der Liebhaber
dann in den Fall kommen, leicht mehrere Jahre und gefährliche und kost spielige Reisen an dieses Suchen zu verwenden und am Ende gar nicht
einmal des Erfolges sicher sein.
Und hiermit ist denn auch der eigent
liche Punkt, auf den es ankommt, getroffen.
Nicht in dem Funde des
Diamanten, sondern in dessen Überlassung an den Liebhaber liegt
der Dienst, welchen der Finder diesem leistet, und es kann dem Liebhaber völlig gleich und muß auf den Wert der Dienstleistung völlig einflußlos
sein, wie es jener seinerseits angefangen hat, um zu dem Stein zu ge langen. Der Wert, den die Überlassung des Steines für den Liebhaber hat, ist vielmehr gleich derjenigen Arbeit, welche dem Liebhaber dadurch erspart wird, d. h. demjenigen Aufwand an Mühe und Kosten, welche ihm das eigene Aufsuchen des Steines verursachen würde.
Denn
nur um an eigener Arbeit bei Befriedigung seiner Bedürfnisse zu sparen,
tauscht man überhaupt.
Der Vergleichungspunkt bei Abwägungen der
gegenseitigen Leistungen ist also keineswegs das, was jeder von beiden Teilen in jedem besonderen Falle an Mühe und Kosten bei seiner dem anderen dargebotenen Leistung aufgewendet hat, sondern lediglich: das jenige,was jeder durch die Leistung desanderen an eigenerMühe spart oder zu ersparen glaubt. Fordert der andere ein Äquivalent,
welches entweder diese Ersparnis übersteigt oder sie doch völlig aufwiegt,
so geht man eben nicht auf das Geschäft ein, sondern verrichtet sich den Dienst und schafft sich die Sache entweder selbst oder sucht sie von einem
dritten zu erhalten.
Daß natürlich die Schwierigkeit und Kostspieligkeit einer Leistung im allgemeinen, d. h. die Schwierigkeit und Kostspieligkeit, die es
sür einen jeden hat, dieselbe herzustellen, mit jener beim Tausch
gesuchten Ersparnis fast immer zusammenfällt und also auf den Wert von Einfluß ist, versteht sich von selbst.
Nur hüte man sich, dies zu
spezialisieren, so daß man z. B. einem bestimmten Produkt des A, je nach dem Maße von Arbeit, das gerade er dabei aufgewendet hat, einen Wert beimessen wollte, weil dies, wie wir vorstehend zeigten, den ge schickten und ungeschickten Arbeiter in eine Klasse werfen, Fleiß und
Faulheit, gute und schlechte Produkte gleich qualifizieren
hieße.
Das
Publikum fragt niemals: was ein Erzeugnis diesem oder jenem Pro-
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
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duzenten an Arbeit und Auslagen gekostet hat, sondern schätzt die Arbeit
nur danach: wie ihre Herstellung unter Benutzung aller Hilfsmittel der Produktion und des Verkehrs bei einsichtigem, tüchtigem Betriebe zu stehen kommt.
Und darin hat das Publikum ganz recht. Es bleibt Sache eines
jeden, sich die erforderliche Tüchtigkeit und Umsicht in seinem Erwerbs
zweige anzueignen, und niemals kann den Konsumenten zugemutet werden,
für jeden Mißgriff, jedes Ungeschick, jeden Mangel in zweckmäßiger Be triebsweise,
welches
alles
die Produktion mühsamer und
kostspieliger
macht, zu bezahlen, indem dafür gerechterweise nur der zu büßen hat,
der sie verschuldet.
d) Die Konkurrenz. Außer der Möglichkeit,
sich
eine Sache selbst anzufertigen, einen
Dienst selbst zu leisten, wenn uns von jemandem mehr, als uns billig
dünkt, dafür abgefordert wird, deuteten wir im vorigen noch auf den Ausweg hin: das Gewünschte von einem Dritten zu erhalten, als ein Hauptschutzmittel gegen Überteuerung. In der Tat würde es ohne dies sehr übel um den menschlichen Verkehr stehen.
Denn hätten wir stets
nur die Wahl, eine jede Sache oder Leistung entweder von einer be stimmten Person zu entnehmen oder sie uns selbst herzustellen, so würden
wir meist die gestellte Forderung, wie hoch sie auch wäre, bewilligen oder auf die Sache gänzlich verzichten müssen,
weil wir beim
besten
Willen eine verhältnismäßig nur geringe Anzahl von Gegenständen oder Diensten selbst herzustellen oder zu leisten imstande sind.
Der Schlosser
braucht einen Anzug, der Holzhauer eine Säge, die Waschfrau einen Kessel, der Kaufmann ein Pianoforte usw., und keiner von ihnen allen
ist auch nur im entferntesten imstande eines dieser Dinge durch eigene
Tätigkeit herzustellen, und hat nur im Austausch mit andern die Möglich keit vor sich, je zu ihrem Besitz zu gelangen.
Wären sie nun bloß auf
eine Person angewiesen, so müßten sie zahlen, was diese verlangte, oder sie bekämen die Dinge gar nicht.
Allein so haben sie statt dieser Alternaüve
noch den Ausweg, wenn sie von dem einen überteuert werden, sich an
andere zu wenden, welche das Gesuchte ihnen ebenfalls zur Verfügung
zu stellen bereit und imstande sind. einen Hauptregulator des Wertes.
So erhalten wir in der Konkurrenz Schon früher
erkannten wir die
Freiheit als das Element der Arbeit wie des Tausches.
Die Befugnis
aller, alles mögliche vorzunehmen, sich mit allem zu beschäfttgen, wobei sie ihre Rechnung zu finden meinen, und die fernere Befugnis aller,
mit allen zu tauschen, ist nun eben die freie Konkurrenz, Gewerbe- und
Schulze-Delitzsch.
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Handelsfreiheit unter einem, unter deren Herrschaft jeder gewiß sein darf, feine Bedürfnisse im Wege des Tausches auf die möglichst vollkommenste
und billigste Weise befriedigt zu erhalten.
Denn in demselben Grade, wie
die Konsumenten der Begehr des Erwerbs
gewisser Sachen, treibt die
Produzenten der Begehr des Absatzes derselben, weil dieser Absatz ihnen
allein die Mittel gibt, hinwiederum ihren eigenen Bedarf, ihre eigene Konsumtion in anderen Artikeln zu decken.
Und sorge nur niemand,
daß irgend ein Bedürfnis, irgend ein Wunsch
Konkurrenz unbefriedigt bleiben möchte. Eigeninteresse die Beobachtung der
auf diesem Markte der
Es ist wunderbar,
wie das
und Händler schärft
Produzenten
und sie auf das eigenste Begehren, die ganze so ungeheuer wechselnde
Zahl der verschiedensten Bedürfnisse und Liebhabereien aufmerken läßt. Da darf nur hier und da eine Anfrage, ein Begehr auftauchen,
so
gleich finden sich Leute, die ihnen zu entsprechen bereit sind, sobald sich
Und hat sich ja einmal
nur Aussicht zeigt, ihre Tätigkeit zu verwerten.
ein einzelner eines neu aufkommenden Betriebszweiges, vielleicht mittels
einer eigenen Erfindung, für den Augenblick ausschließlich bemächttgt, sogleich suchen andere, die das höhere Verdienst des ersteren lockt, in
das Geheimnis einzudringen, das sie über kurz
oder lang
sicher ent
decken, und zum Besten des gesamten Publikums gemeinnützig machen,
indem sie es der allgemeinen Konkurrenz übergeben.
Andererseits kommt
aber auch wieder die Konkurrenz den Produzenten und Verkäufern zu statten, ebensogut
wie
den Konsumenten,
da
auf
feiten
der letzteren
ein eben solches Drängen nach dem Erwerb guter und billiger Waren
stattfindet wie seitens der ersteren nach Absatz.
Nicht bloß von jeder
mann zu kaufen macht sie den Konsumenten möglich, sondern auch
an jedermann zu verkaufen den Produzenten, so daß die letzteren,
so gut wie die ersteren, vor unbilligen Bedingungen bei dem gegen®
seitigen Austausch geschützt sind und nicht in den Fall kommen, ihre Ware um ein Spottgeld hinzugeben, so lange sie dieselbe bei anderen zu besseren Bedingungen anbringen können.
Das entgegengesetzte Interesse
beider Teile, dessen wir gedachten, vermöge dessen der eine so teuer als
möglich seine Arbeit abzusetzen, der andere so billig als möglich seinen Bedarf anzuschaffen wünscht, findet eben nur in dieser allseitigen Kon kurrenz seine Ausgleichung.
Denn während den Verkäufer das Interesse
antreibt, den möglichst hohen Preis zu fordern, nötigt ihn die Konkurrenz, sich vor Ausschreitungen zu hüten, damit nicht ein Mitproduzent ihn unterfordere und er mit seiner Ware sitzen bleibe.
Und indem hinwiederum
der Käufer in seinem Interesse stets den möglichst niedrigen Preis zu
bieten geneigt ist,
hindert ihn wiederum die Konkurrenz, zu weit zu
gehen, weil sonst ein anderer Liebhaber ihm die Sache vorweg kaust.
Nach alledem erscheint der Wert wesentlich als die Tauschfähig keit der Dinge und wird einerseits von dem Maße bestimmt, in welchem die gesuchten Sachen oder Dienste vorhanden oder zu haben sind — dem
Angebot derselben — andererseits von dem Grade, in welchem sie gesucht
werden, von der Zahl der darnach Begehr Tragenden — von der Nach frage — weil eben von dem Jneinandergreifen beider Momente größere oder geringere Schwierigkeit oder Leichtigkeit abhängt, sich die Dinge zu
verschaffen.
Aber nur mittels
der freien Konkurrenz, welche für
Angebot und Nachfrage den weitesten Spielraum läßt, vermag sich der
gerechte Wertmaßstab auf diese Weise im wahren Interesse der Gesamtheit herauszustellen.
Denn
nur durch eine solche Verallgemeinerung
des
Verkehrs, durch eine solche Zulassung aller werden Forderung und Gebot
der Willkür der einzelnen, dem Druck des Monopols entrückt und ge wissermaßen
auf eine Gesamtschätzung
des ganzen
Publikums,
des produzierenden wie des konsumierenden, zurückgeführt.
Dagegen betrachten Sie einmal die Kehrseite der freien Konkurrenz, die Arbeits- und Handelsbeschränkung zugunsten einzelner Per sonen oder Klassen, das Monopol.
Was, so frage ich, erreicht man
durch diesen sogenannten Gewerbeschutz, und wer braucht ihn? Der
tüchtige, der fleißige, der unternehmende Arbeiter wahrhaftig nicht, der hält es mit den andern schon aus, der kommt mit fort. Nur das kann man dadurch bewirken, daß auch die Faulheit und Unfertigkeit, die Dumm heit und der alte Schlendrian bestehen, weil man das Publikum zur
Kundschaft bei ihnen nötigt.
Daß durch ein solches Verfahren alle Ver
vollkommnung in den Gewerben zum Schaden des Ganzen ausgeschlossen wird, nicht nur zum Schaden der Konsumenten, sondern der Produzenten
selbst, die durch diesen Polizeischutz von außen am Ende jeden Halt in
sich, wie ihn nur die eigene Tüchtigkeit gewährt, verlieren und in ihren Leistungen immer mehr zurückbleiben, lehrt die Erfahrung, und die Lage des Arbeiterstandes in den einzelnen Ländern ist im allgemeinen um so
eine
bessere, je mehr man sich der Gewerbefreiheit nähert, wovon
England, Frankreich, Nordamerika und die Schweiz Beispiele ab geben.
Das allerschlimmste bei diesem Schutz, der nur denen zu statten
kommt, die keinen Schutz verdienen, ist aber, daß wir übrigen, daß das
gesamte Publikum nicht nur dadurch im höchsten Grade benachteiligt wird, indem es seinen Bedarf schlechter und teuerer kauft, sondern daß
es
auch noch obenein den
kostspieligen Apparat von Behörden
und
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Schulze-Delitzsch.
Maßregelten jeder Art aus seiner Tasche bezahlen muß, den das gemein
schädliche System mit sich bringt. Weiter bedenkt man nicht, daß jedes Attentat gegen den gewerblichen
Fortschritt, wie es unleugbar in der Beschränkung der freien Konkurrenz liegt, ein Attentat gegen den Fortschritt überhaupt ist. der menschlichen
Die Gesamtheit
Tätigkeiten geht von einem und demselben
geistigen
Mittelpunkte unserer Natur aus, demselben Triebrad, das den Menschen überhaupt in Bewegung setzt.
Sie können kein Fach von den anderen
trennen; hemmen Sie in dem einen, so wirkt dies notwendig auf die
anderen zurück. Macht man die Fortentwicklung in den Gewerben stocken,
so greift man störend zugleich in die bürgerliche und humane Entwicklung ein.
Denn was ist der Fortschritt der Gewerbe am letzten Ende? Worauf
beruht er?
Auf den großen geistigen Errungenschaften der neueren Zeit,
besonders in den Naturwissenschaften, wodurch der Mensch immer mehr
und mehr in den Stand gesetzt wird, die Naturkräfte für seine Arbeits zwecke zu benutzen.
Gerade hierbei, auf diesem materiellen Gebiete, wird
das höchste Ziel, welches dem Menschengeschlecht vorgezeichnet ist, Natur zu beherrschen, verwirklicht.
die
Hier gilt es, den Naturkräften jene
rohesten und aufreibendsten Beschäftigungen auszubürden, die in alten
Zeiten den Sklaven zufielen, und so der Menschheit mehr und mehr
in allen ihren Schichten die Betätigung bei ihrer höheren Bestimmung zu ermöglichen.
Und was sollte denn aus der Wissenschaft selbst werden,
wenn man sie verhinderte, die Resultate ihrer Forschung in praktischen
Strebungen anzuwenden?
Ein totes Wissen, ein gelehrter Bücherkram,
abgeschlossen gegen das Leben der Zeit, dessen innige Durchdringung und Vergeistigung ihr höchster Beruf ist!
Doch damit lassen wir diesen Gegenstand und mit ihm überhaupt die Vorfragen, über welche eine Verständigung notwendig war, ehe wir dem
Endziel
unserer Unterhaltungen
näherrücken
konnten,
der
Be
sprechung der praktischm Mittel und Wege zur Hebung des Loses der arbeitenden Klassen, womit wir das nächste Mal beginnen werden. —
Daß ich dabei immer auf Sie selbst, auf das eigene Handanlegen, Ihre
Strebsamkeit, Ihr Zusammennehmen der eigenen Kraft zurückkommen werde, weil das Heil für den Menschen, das rechte Leben und Gedeihen, immer
von ihm selbst ausgehen muß, ihm nicht von außen eingeflößt werden kann, haben Sie an dem bisher von mir Gehörten schon gemerkt.
Ich
bin kein Wunderdoktor, der Rezepte verschreibt, die allen für alles helfen, auch wenn sie es noch so verkehrt angreifen, auch wenn sie noch so un
vernünftig gegen die eigene Gesundheit wüten.
Ich kann nur den Weg
zeigen, auf dem Sie sich selbst zu helfen vermögen, weil es eine andere Hilfe, als die Selbsthilfe, um seinen Zustand gründlich und auf die
Dauer zu bessern, nicht gibt.
Das alles geht freilich nicht mit einem
Male, das will Ausdauer und Arbeit. Aber erhalten Sie mir nur Ihre Aufmerksamkeit, wie bisher, so denke ich Ihnen doch manche Lehre, die sich praktisch bewähren wird, mit auf den Weg zu geben, der freilich nicht
ohne Mühe ist, aber dafür auch desto sicherer zum Ziele führt.
Darum
nicht gesäumt und frisch vorwärts! Wissenschaft und Praxis, Arbeit und
Bildung Hand in Hand — ich denke, die werden schon etwas vor sich bringen!
IV. Die praktischen Mittel und Weg« zur Heb««- der arbeitende« Klaffen. Bevor wir mit unserer heutigen Besprechung beginnen, stelle ich
Ihnen, meine Herren, eine Anzahl Männer aus verschiedenen deutschen Ländern vor, welche, gleich mir und anderen hiesigen Freunden, der
ständigen Deputation des Kongresses deutscher Volkswirte an
gehören, die gegenwärtig hier tagt.*)
Dieselbe hat die Aufgabe, die zur
Abhaltung des alljährlich stattfindenden Kongresses nötigen Maßregeln
und Vorarbeiten wahrzunehmen. Dieser Volkswirtschaftliche Kongreß, von dem
Sie
gehört
haben,
Deutschland und hat sich zur
Wissenschaft
—
vereinigt namhafte
Aufgabe
gesetzt,
Männer aus ganz
die Hauptlehren
der
mit der auch wir es in unseren Vorträgen zu tun
haben — nicht bloß zu erörtern, sondern namentlich auch sie in das
praktische Leben überzuführen, weshalb er mit dem künftigen Arbeiter kongreß in engster Wechselbeziehung steht und dessen Zwecke nach Kräften
fördern wird.
Und dies ist bei dem Einfluß, den
sich der Volks
wirtschaftliche Kongreß bereits erworben, bei den Erfolgen, die er schon z. B. für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit in mehreren deutschen
Ländern errungen hat, für die deutschen Arbeiter von Bedeutung, und ein solcher Bundesgenosse gewiß nicht zu verachten. *) Es hatten sich namentlich von Fremden zur Versammlung eingefunden: der Präsident der Nassauischen Zweiten Kammer Dr. Braun von Wiesbaden, Handelskammerpräsident Müller aus Stuttgart, Fabrikant Billing aus München, Finanzrat Hopf aus Gotha, N. D. Wichmann aus Hamburg, Staatsrat Dr. Francke aus Koburg, die Herren Max Wirth und Röhrich aus Frankfurt a. M., Redakteur Wolf und Maron aus Stettin u. a. Aus Berlin waren anwesend: Präsident Dr. Lette, die Herren Prince-Smith, Geheimrat Dr. Engel und viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Sämtliche Herren wurden mit lebhafter Akklamation begrüßt.
Schulze-Delitzsch.
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Da haben nun diese Männer gewünscht, einmal einer solchen Ver sammlung bei uns beizuwohnen,
die Berliner Arbeiter kennen zu
lernen, Zeugen zu sein von dem Ernste und der Haltung, wie sie hier den Lehren ihrer Wissenschaft
entgegengetragen werden.
Es tut gut,
wenn Süd und Nord, Ost und West unseres Vaterlandes sich so berühren. In dem Bewußtsein gleicher Bestrebungen, der Anerkennung tüchtigen
Sinnes, denen man überall im großen Vaterlande begegnet, bildet sich
allmählich ein geistiges Band, ein Verständnis dessen, was uns allen gemeinsam nottut, die wohl dazu helfen können, daß es besser werde in Deutschland.
Denn, meine Herren, der Quell, woraus allein bei uns
das Heil kommen kann, in wirtschaftlicher und in politischer, in materieller und in geistiger Beziehung, das wissen Sie alle, das habe ich offen aus gesprochen hier und aller Orten, das ist der Volksgeist, das ureigne
Erfassen dieser Aufgaben durch Sie selbst, Ihre eigene Tat, die Selbst
hilfe! a) Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klaffen. Nach dieser
Vorausschickung gehen wir zum
Gegenstand unserer
heutigen Erörterung über, zur Vorführung und Prüfung derjenigen
Mittel und Wege,
die man zur Verbesserung des Loses der
arbeitenden Klassen entweder bereits versucht, oder doch wenig stens vorgeschlagen hat und uns empfiehlt.
Und um ein Urteil
über ihren Wert oder Unwert zu fällen, werden wir zunächst damit zu beginnen haben, die Übelstände selbst kurz zu charakterisieren, denen ab
geholfen werden soll.
Wir werden hier, um nicht die Zeit mit Dingen
zu verlieren, über welche wir eigentlich alle einig sind, mit einigen flüchtigen
Andeutungen ausreichen.
Sie stehen ja selbst in den Verhältnissen, um
die es sich handelt, zum großen Teil mitten drin; und nicht sowohl um einen weitläufigen Beweis des Mangelhaften der betreffenden Zustände
ist es Ihnen zu tun, als vielmehr um die Mittel, dieselben zu-bessern. Die Hauptklage eines großen Teiles der Arbeiter, der wir hier be
gegnen, ist das Ungenügende ihres Verdienstes, welches gar viele mit ihren Familien hart genug trifft. Wohnung, Nahrung und Kleidung sind vielen von Ihnen knapp, ja kärglich zugemessen und stehen nicht in dem rechten Verhältnis zu den Ansprüchen, die man an Ihre Arbeits leistungen, an Ihre Kraft und Gesundheit macht. Um das Notwendigste
zu erschwingen, müssen die Kräfte der einzelnen oft über das Maß an
gestrengt werden.
Die Arbeitszeit muß, um durchzukommen, auf eine
Länge ausgedehnt werden, daß alsdann für die Erholung und für weitere
Bildungsbestrebungen keine oder nur eine sehr ungenügende Zeit bleibt. Das ist eine der Hauptklagen, meine Herren. Ein weiterer wichtiger
Punkt ist die Unsicherheit in dem Lose, in der Stellung der Arbeiter. Auch der, der viel verdient — und es gibt nicht wenige, die ein solches reichliches Verdienst haben, — ist plötzlichem Wechsel ausgesetzt und kann nicht mit Sicherheit auch nur auf die nächste Zukunft rechnen. Dabei müssen wir unter zwei Klassen von Arbeitern unterscheiden. Die Gründe
der Unsicherheit ihres Loses bei denjenigen Arbeitern, die ein Geschäft für eigene Rechnung treiben, also namentlich bei unseren Handwerkern und Kleinmeistern, liegen in der Überlegenheit der Fabrikindustrie, welche, mit allen Hilfsmitteln der neueren Technik, des Großkapitals und Groß
betriebs ausgestattet, sie in ihren kleinen Geschäften und ihrer alt herkömmlichen Betriebsweise erdrückt, so daß sie, je länger, je weniger zu konkurrieren vermögen. Ein Gebiet nach dem anderen gewinnt ihnen diese überlegene Industrie ab, dringt in Fächer ein, die man bisher ganz sicher wähnte, von denen man kaum bis dahin geglaubt hätte, daß sie mit ihren Maschinen je da Platz greifen könnte. Bei den nicht selbständigen Arbeitern dagegen, die in fremden Etablissements gegen Lohn ihre Beschäftigung suchen, liegt die Unsicherheit ihrer Stellung zum Teil schon in der außerordentlichen Schwierigkeit, sich je zur gewerblichen Selbständigkeit emporzuarbeiten, welche ihre Abhängigkeit von bestimmten Arbeitgebern mehr oder weniger bedingt. So wird ihr Schicksal, sieht
man auch von möglicher Willkür dieser Arbeitgeber völlig ab, an das Bestehen der sie beschäftigenden Etablissements gebunden, welche nicht allein
durch Mißgriffe ihrer Leiter, sondern bei der jetzigen industriellen Ent wicklung fast noch mehr durch mancherlei Verkehrsschwankungen erheblichen Gefahren ausgesetzt sind. Ich mahne Sie z. B. an die großen Handels krisen und Kreditstockungen, die je zuweilen, infolge politischer Wirren und von Kriegen, sowie durch besondere Konjunkturen und allgemeine welche den Weltmarkt beeinflussen, ausbrechen. Da kommt es nicht selten vor, daß die Unternehmer ihre Etablissements schließen müssen, weil sie nicht mehr bestehen können, daß kommerzielle Verhältnisse bedingt,
sie mindestens zum Teil dies tun müssen, daß sie nicht mehr die bis herige Arbeiterzahl beschäftigen können, auch beim besten Willen nicht. Nehmen Sie einmal jetzt, meine Herren, die große Baumwollenkrise, die durch den amerikanischen Krieg entstanden ist. In den Weberdistnkten, welche Not mußte da eintreten! Eine große Zahl von Arbeitern
wurde brotlos und kein vernünftiger Mensch wird den Fabrikanten, den Arbeitgebern die Schuld daran beimessen. Man konnte den Rohstoff
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Schulze-Delitzsch.
nicht mehr haben. Der Preis war fast um 300 Prozent gestiegen und erst
in neuerer Zeit ist ein Sinken durch anderweitige Zufuhren in der Ein leitung begriffen, wiewohl die regelmäßigen Verhältnisse auch jetzt noch nicht hergestellt sind. Daß die Stockung eines so großen Industriezweiges
auch in viele andere gewerbliche Kreise hineingreift, die mittelbar in Verbindung damit stehen, ist natürlich. Mir liegt ein interessanter Brief eines Wiener Arbeiters, eines Schlossers der Maschinenbauwerkstätten, vor. Darnach sind auch große Arbeitsstockungen bereits in Wien ein getreten, viel größere, wenn die Angaben richtig sind, als hier unter uns; Arbeitsstockungen, die nicht aus die Baumwollenweberei usw., sondern eben auch auf andere Branchen, wie Maschinenbau und dergleichen sich er strecken. Sie wissen, welche Ausdehnung die Not in England bereits angenommen hat. Und, wie jetzt, sind solche Notstände schon oft da gewesen, ja, es herrscht leider eine gewisse Regelmäßigkeit in ihrer Wieder kehr, daß sie als etwas in den industriellen Zuständen selbst Begründetes, nicht etwa rein Zufälliges aufgefaßt werden müssen. Drücken aber schon die erwähnten Mißstände oft hart genug auf den Arbeiter, was wird erst, wenn Krankheit und Schwäche, verschuldete und unverschuldete Unglücksfälle sich dazugesellen! Wenn es unter allen Ständen und Klassen der Gesellschaft Verlorene und Verwahrloste gibt, die durch Untüchtigkeit und schlechte Leidenschaften, durch Mangel an Energie und sittlichen Halt sinken und am Ende völlig herunterkommen — wieviel häufiger muß dies unter dem Arbeiterstande vorkommen, wo die Ungunst der Verhältnisse ohnehin der Ausbildung und Geltendmachung der geistigen und sittlichen Kräfte Schwierigkeiten mancher Art entgegen stellt! Schon von Kindheit an, wo gerade das meiste zur Pflege jener
edleren Anlagen geschehen sollte, sehen wir sie nicht selten der Ver nachlässigung, der äußersten Not preisgegeben, der Verführung, den bösesten
Beispielen ausgesetzt und dadurch im Keime verkümmert. Bleiben dann später die traurigen Früchte nicht aus, so sind in der Tat Schuld und Schicksal schwer zu scheiden und gewiß verdienen derartige Fälle ein viel milderes Urteil, als wenn sie in den höheren Schichten der Gesellschaft
vorkommen, wo ihnen jene traurige Entschuldigung nicht zur Seite steht. Ja, um gerecht zu sein, können wir uns nicht entbrechen, es auszusprechen:
daß die geistige und sittliche Tüchtigkeit der großen Mehrzahl des Standes, die sich unter ungünstigen Einflüssen mancher Art bewährt hat, ein Zeugnis von dem unverwüstlichen Fonds der menschlichen Natur im allgemeinen abgibt, wie es nicht ermutigender und hoffnungsreicher für die Lösung der uns vorliegenden schwierigen Aufgaben gedacht werden kann.
b) Die Mittel zur Abhilfe. Nach diesem flüchtigen Rückblick auf die Notstände, mit denen wir es zu tun haben, kommen wir nun zu den Mitteln der Abhilfe.
Zuerst begegnen wir hier verschiedenen Systemen, welche das gemein haben, daß sie die Abhilfe der arbeitenden Klassen von außen her, durch andere Mittel als die eigene Kraft derselben, zu bewirken unternehmen. Dieselben
beruhen
sämtlich bewußt oder unbewußt auf der
Voraus
setzung:
daß die natürlichen Antriebe und die Kräfte in dem Menschen nicht ausreichen, um allen, namentlich den arbeitenden Klassen, eine
genügende Existenz zu sichern, daß daher irgendwie von einer anderen Seite her nachgeholfen werden müsse.
Daß ich diese Ansicht nicht teile, wissen Sie aus den früheren Vor trägen, indem ich gleich zum Anfänge von dem Satze ausging:
daß der Mensch von Natur Bedürfnisse, aber zugleich auch Kräfte erhalten habe, deren richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner
Bedürfnisse führt.
So gelangten wir dahin,
den Menschen für seine Existenz ver
antwortlich zu machen, ihm die Pflicht der Selbstsorge aufzulegen
und nur die Freiheit für alle zu fordern, damit sie zum Gebrauch ihrer Kräfte ungehemmten Spielraum hätten.
Im Gegensatze hierzu führen
alle jene anderen Systeme, weil sie die Möglichkeit und Durchführbarkeit der Selbsthilfe und Selbstsorge leugnen, zur Abhängigkeit, ja, insoweit sie die dem Menschen eingeborenen Kräfte und natürlichen Antriebe für ungenügend zu dem angeführten Zweck halten, zum mehr oder weniger
verdeckten Zwange.
Sie alle stellen auf diese Weise der menschlichen
Natur gewissermaßen ein Armutszeugnis aus, mit anderen Worten ein
Mißtrauensvotum gegen den lieben
Gott,
der in der Begabling des
Menschen ein solches Mißverhältnis zwischen Sollen und Können sich
hat zu Schulden kommen lassen! Wir werden das Falsche und Verkehrte der hierauf fußenden Pläne am besten erkennen, indem wir näher darauf
eingehen und machen vorher nur ganz allgemein im voraus darauf auf merksam: daß, wenn die Menschen nicht die erforderlichen Antriebe und Kräfte in sich selbst haben, um die Existenzfrage für alle genügend lösen
zu können, wenn wirklich dazu noch eine andere Hilfe nötig wäre, es nicht wohl abzusehen ist, wer diese ihnen eigentlich leisten soll, da die Her stellung der zur genügenden Gesamtversorgung erforderlichen Güter und Menste anders als durch menschliche Arbeit nicht gedacht werden kann.
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Schulze-Delitzsch.
c) Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln. Die eine, bisher am meisten beliebte und hierher gehörige Art von Hilfe, die man dem Arbeiterstande von außerhalb zuzuführen sich berufen
fühlt, ist die Unterstützung im großen, die organisierte Subvention, im Gegensatz zu der Mildtätigkeit der einzelnen.
Dieselbe beläßt es
dem Prinzip nach bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Einrichtungen und der dadurch bedingten Stellung des Arbeiters und beschränkt sich
darauf, durch Zuschüsse an die Arbeiter aus fremden Mitteln in den
Fällen nachzuhelfen, wo ihr Verdienst sich dem Bedürfnis im ganzen oder im einzelnen nicht gewachsen zeigt.
Die Vermittlung der Hilfe
wird dabei entweder dem Staate zugemutet, oder durch besonders dazu ausgestattete Institute, milde Stiftungen, gemeinnützige Vereine, welche
von den reicheren Gesellschaftsklassen ausgehen, geübt, wie denn nicht selten auch die Kirche, ihres alten Liebesberufes als Hort der Armen Da werden Kranken- und
und Bedrängten eingedenk, sich einmischt.
Unterstützungskassen gegründet, Rettungshäuser und Spitäler, Schulen und Kosthäuser, Asyle für Alte
und Schwache angelegt, Lebensmittel
und Heizmaterial unter dem Preis abgelassen usw.
Wie löblich und
ehrenwert nun auch diese Maßregeln sein mögen, wenn es sich darum
handelt, der
vereinzelten
beizuspringen,
Hilflosigkeit
oder
selbst
allgemeineren, aber vorübergehenden Notständen abzuhelfen, so wenig
taugen sie dazu, die Quelle des Elends selbst zu verstopfen.
Die dauernde
Hebung großer, zahlreicher Bevölkerungsklassen bewirkt man nicht durch Almosen
und
niemals
kann
dasselbe
als
Mittel
bei
Lösung
der
sozialen Frage in Betracht kommen, indem es sich dabei viel mehr um Verhütung der Verarmung, um Sicherung vor Notständen, Erhaltung
der Arbeiter in wirtschaftlich gesunden Zuständen, als darum handelt,
einzelnen bereits verarmten, von der Not schon ergriffenen Angehörigen des Standes zu Hilse zu kommen.
Im Gegenteil, wo diese
humane
Fürsorge sich als Regel, als etwas geltend macht, was in den Zuständen der Arbeiter selbst begründet sei, wo man den Arbeitern die Aussicht,
der Wohltätigkeit anheimzufallen, als das natürliche Endziel ihrer Lauf
bahn eröffnet: da stärkt, da fördert man die Leute wahrhaftig nicht, da begünstigt man bloß das gedankenlose in den Tag Hineinleben, da
demoralisiert man den ganzen Stand und das ist wahrlich das verkehrteste Mittel, ihn zu heben.
Wo man sich um die Leute nicht eher kümmert,
als bis sie siech und preßhaft sind, wo man die Krankheit sozusagen
auf Kosten der Gesundheit
hätschelt, da
werden
von
den
Gesunden
immer mehr zu den Kranken übergehen, weil sie es ja alsdann viel besser
haben und alles nur gehen zu lassen brauchen, wie es den Gönnern gefällt.
Daß dies auf die Dauer nicht durchgeführt werden kann, indem an
die Ansprüche
stetig
die Hilfszuschüsse
und
in
demselben
Maße
wachsen, als die Zahl derer, welche die Zuschüsse leisten können und
sollen, abnimmt, springt in die Augen.
Trotz der augenfälligen Gefahr
dieses Systems neigen indessen noch immer eine ganze Anzahl Groß
besitzer unter unseren
Industriellen
und Feudalen, eine gewisse Klasse
von Staats- und Kirchenmännern mit Vorliebe sich ihm zu, denen es um alles eher, als um den wirklichen allgemeinen Fortschritt, um die
nachhaltige Hebung des Arbeiterstandes zu tun ist, indem sie die ganze
Frage nur in die Hand nehmen aus Furcht vor dem roten Gespenst. Da
versucht
man
es
mit
solchen
Ableitungsmitteln,
welche,
sobald
sich die Arbeiter darauf einlassen, besser als alles geeignet sind, sie in
der Abhängigkeit zu erhalten und nicht aufkommen zu lassen.
Denn
hat man dieselben erst dahin gebracht, daß sie sich selbst aufgeben, sich jeder Verantwortlichkeit für die Folgen des eigenen Tuns und Lassens
entschlagen, von der Aufhilfe durch eigene Kraft absehen; hat man sie zu Anwärtern auf das Almosen
heruntergesetzt:
dann ists mit ihrer
Bildungsfähigkeit, ihrer Sttebsamkeit und Tatkraft, ihrem sittlichen Halt
vorbei, dann schwindet die Selbstachtung und an eine wirkliche Hebung ihres Standes ist nicht mehr zu denken,
auf diese Weise
kommt,
bietet
Den besten Beleg, wohin man
uns Belgien, das
klassische Land der
Subvention, wo namentlich die Kirche auf diesem Gebiet großen Ein
fluß übt.
Ungeheure Mittel
aus
milden Stiftungen und
Fonds werden hier fortlaufend aufgemendet, und die
öffentlichen
jährliche dazu
bestimmte Rente, welche dieselben gewähren, beträgt in dem kleinen Lande
14 Millionen Franks. Und mit diesem großartigen Apparat hat man es glücklich dahin gebracht, daß 25 Prozent der Bevölkerung, also je der vierte Kopf, Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln
beziehen!
Welcher
ungeheuere Kapitalstock — zirka 350 Millionen Franks — ist hier dem produktiven Betriebe, dem Fonds, aus welchem die Arbeitslöhne gezahlt
werden, entzogen und strömt, anstatt in die Werkstätten, in die Spitäler! Daß endlich auch hier eine Gegenströmung eintreten mußte,
da
das
Wachsen dieses toten Kapitals mit dem steigenden Defizit des Lohnfonds
Hand in Hand ging und in seinem weiteren Borschreiten den Ruin des Rationalwohlstandes in Aussicht stellte, ist bekannt, und die Krisis von
1857, welche damit zusammenhing und das klerikale Ministerium vom Ruder brachte, wird hoffentlich einen Halt auf der verhängnisvollen Bahn
zur Folge haben.
96
Schulze-Delitzsch.
Daß sich das Verhältnis nicht im mindesten ändert, wenn man an Stelle der Privaten den Staat eintreten und die Aushilfe aus öffent
lichen Mitteln bestreiten läßt, ist klar; und es ist eine nahezu komische Vorstellung, als könne man dieselbe auf diese Art des Almosencharakters,
des lästigen für die Geber und erniedrigenden für die Empfänger ent
kleiden.
Schon im ersten Vortrage haben wir gezeigt, daß der Staat
keine Klaffe seiner Angehörigen unterstützen kann, als auf Kosten der
übrigen, daß er niemandem etwas geben kann, ohne es dem andern zu nehmen, indem seine Einnahmequellen sich auf die Taschen seiner An
gehörigen reduzieren und diese stärker in Anspruch genommen werden müssen, sobald das zur Übertragung der allgemeinen Staatslasten von ihnen Eingesteuerte ganz oder teilweise für andere Zwecke vorweg ge
nommen
Die ganze Staatsmöglichkeit in
wird.
an die Staatskasse
selbst notwendig braucht,
seinem Einkommen
er also etwas mehr verdient, als er
daß
abgibt,
finanzieller Hinsicht
von
etwas
beruht darauf, daß jeder Staatsbürger
Dabei können wohl einzelne Ausfälle, das
Aussorgen einzelner Weniger von den übrigen Vielen übertragen werden.
des
wie es Voraussetzung
aber,
Wenn
ist,
Subventionssystems
die
zahlreichste Klasse der Bevölkerung im allgemeinen nicht so viel verdient, als sie braucht, also nicht nur nichts beitragen, sondern ebenem aus
Staatsmitteln Unterstützung haben soll, oder, was auf dasselbe hinaus
läuft, wenn
Dazugehörigen zwar
die
auch eine geringe
Steuer
den Staatssäckel entrichten, dafür aber mehr aus demselben
bekommen, als sie hineinsteuern — und so wenn sie
dar,
doch
geradezu
auf den
öffentlichen
stellt sich die Maßregel
haben soll —:
überhaupt Sinn
Bankerott
in
heraus
los
und
so geht man
die
Unmöglichkeit
einer solchen dauernden Unterstützung Bieler durch Wenige springt in die Augen.
Dergleichen weisen aber die deutschen Arbeiter ein für allemal von Endaussicht Tätigkeit vom
Preis
ihrer
Bestrebungen
im
nicht
soll
besten
Falle
der
sondern ein gesichertes, wenn auch bescheidenes, durch eigene
Spittel,
unter
nicht auf das Almosen gestellt werden, die
Ihre Sache soll
sich ab.
sie
Gefühl
einer
hängigkeit
Tüchtigkeit
und
dem
der
errungenes ist
kämpfen, eigenen
Kraft,
Unterstützung,
niederdrücken
lassen,
wichtigsten Existenzfrage auf Gnade stützt.
deren
sein.
Los
Das
werden
sie die
jeden
sich
sie
nicht
niemals
bedürfen,
trifft,
den guten Willen
der
anderer,
Banner,
Getragen
soziale Selbsthilfe.
die
in
um
den
die
Ab
in
der
sich
auf
fremde
d) Die Garantie der Existenz durch de« Staat. Im Gefühl der Unzulänglichkeit und Unwürdigkeit dieses Unter stützungswesens gehen denn die eigentlichen Sozialisten einen Schritt weiter, indem sie ein ganz neues Verkehrssystem an die Stelle des
gegenwärtigen,
auf
dem
Eigeninteresse
und
der
Privattätigkeit
be
ruhenden, setzen und die Staatsgarantie für die materielle Existenz aller Bürger, einschließlich der Arbeiter, als erste Forderung aufstellen.
Die Pläne, diese Forderung zu verwirklichen, sind sehr verschieden, und Sie haben wohl schon von den Lehren des Engländers Owen und der Franzosen St. Simon, Fourier, Cabet und Louis Blanc gehört, die im
einzelnen ihnen vorzuführen, mir Zeit und Zweck unserer Besprechungen
nicht gestatten.
In der Wirklichkeit sind sie alle kläglich gescheitert.
Ge
meinsam ist ihnen, daß der Staat, außer seiner politischen Aufgabe, es
noch auf sich nimmt, das Erwerbsleben seiner Bürger zu regeln, was
freilich aus der Forderung der Gewährleistung von deren Existenz von selbst folgt.
Denn soll er eine solche Garantte übernehmen, so muß er
notwendig eine Kontrolle über Arbeit und Haushalt derer, für die er einstehen soll, ausüben, kann sie nicht in den Tag hinein wirtschaften
und faulenzen lassen und ihnen immer nur Zuschüsse geben; das hielten
keine Finanzen in der Welt aus.
Es bleibt daher nichts
übrig,
der
Staat muß nicht nur die Aufsicht über die einzelnen in ihrer Tätigkeit,
• sondern weiter auch die Anordnung und Regelung derselben übernehmen, er muß nicht nur sorgen, daß
sie arbeiten, sondern
arbeiten, wenn er für die Resultate verantwortlich sein,
einstehen soll.
auch, was sie für den Riß
Und so führt diese Garantieforderung mit Notwendigkeit
dahin: daß der Staat selbst Jndustrieanstalt, Arbeitgeber, ge
werblicher Unternehmer wird, der die Arbeiter beschäftigt und lohnt, wie seine Beamten.
Denn in anderer Weise kann er in der Existenzfrage
für die Gesamtheit seiner Bürger nicht einstehen, abgesehen davon, daß bei
der allen zugesicherten Gewährleistung die wenigsten noch Lust behalten werden, das Risiko und die Mühe eines Geschäfts zu übernehmen. Um uns zu vergegenwärtigen, wohin man käme, wenn ein solcher sozialer Staat jemals durchgeführt werden könnte, wollen wir einmal nur
die mäßigsten
in dieser Beziehung gestellten Forderungen ins
Auge
fassen, und von den äußersten Verkehrtheiten, die mit unterlaufen, ganz
absehen.
Wir erinnern namentlich an die Vorschläge von Louis Blanc
und die Nationalwerkstätten von 1848 in Frankreich. Darnach soll der Staat, um die verderbliche Konkurrenz (!) und die schädliche Über macht des Privatkapitals (!) zu Schulze-Delitzsch, Schriften und Rede». II.
beseitigen, allmählich alle gewerblichen 7
98
Schulze-Delitzsch.
Unternehmungen an sich ziehen und für öffentliche Rechnung betreiben, um durch die Überlegenheit der öffentlichen Mittel jedes Aufkommen eines noch so gut ausgestatteten Privatgeschäfts im Keime zu unterdrücken, die ganze Privatindustrie sozusagen aufsaugen. Er beschäftigt sodann alle Arbeiter, gibt ihnen
dafür, was sie mit ihrer Familie brauchen,
d. h. er verteilt die produzierte Gütermasse unter sie nach Bedürfnis und sorgt so, daß alle genug bekommen, garantiert ihnen die Existenz. Ist das überhaupt möglich?
Und was käme dabei heraus, wenn
man es probierte? Das erste, was uns hier entgegentritt, ist die Kriegserklärung gegen das Privatkapital, welches an seiner Anlage in lohnenden ge werblichen Unternehmungen gehemmt und daraus verdrängt werden soll. Meint jemand, daß die Kapiialisten dazu still halten würden? Nein!
Wenn sie sonst gegen die Staatsgewalt nichts auszurichten vermöchten, so würden sie einfach entweder selbst auswandern, oder ihre Kapitalien
aus dem Lande ziehen. Und mit ihnen verließen uns Unternehmungs geist, industrielle Tüchtigkeit und Erfahrung, die Mächte, von welchen die Blüte der Industrie abhängt! O, das Kapital ist eben so empfindlich gegen alle Eingriffe und Maßregelei, als es sich leicht dagegen zu helfen weiß. Überall schafft es sich seine Stätte, überall nimmt man es mit Freuden auf, da braucht es nicht erst der Freizügigkeit, die wir für den Arbeiter erst mühsam erkämpfen müssen. Was nun aus einem solchen Gemeinwesen werden müßte, aus dem man die Privatkapitalien und die Privatindustrie vertrieben hätte, das mag sich jeder selbst aus malen und ich frage nur: wo der Staat alsdann die ungeheuern Kapitalien,
die er znr Einrichtung und zum Betriebe der ganzen Industrie des Landes gebrauchte, hernehmen wollte? Denn daß sie auch im besten Falle nicht von Haus aus gleich da sind, sondern erst allmählich ver dient und aufgesammelt werden müssen, ist gewiß. Die unbemittelten Arbeiter können ihm die nötigen Summen nicht vorstrecken und bei den
von ihm bekämpften und vertriebenen Kapitalisten hat ein solcher sozialer Staat weder guten Willen noch Kredit, um etwa eine Anleihe
zustande zu bringen. Doch sehen wir hiervon einmal ganz ab und nehmen an, Geld und Kredit in der erforderlichen ungeheuern Menge seien da — wir wissen zwar nicht, wo sie Herkommen sollen — und es könne wirklich begonnen werden mit dieser Staatsindustrie. Da stoßen wir sofort auf folgende Bedenken der erheblichsten Art.
Zu einer ausreichenden Versorgung aller mit allem gehört eine be stimmte Quantität von Sachgütern und Dienstleistungen der mannig
faltigsten Art und diese Masse darf nicht geringer sein, als das gegen wärtig von der Privatindustrie erzeugte Gesamtprodukt, das sieht jeder.
Denn wenn dieses letztere für die vollkommene Befriedigung der Be
dürfnisse aller, namentlich der Arbeiter, nicht hinreicht, — und davon
geht man doch aus — so darf, um die genügende Versorgung aller zu bewirken, nicht weniger, es muß im Gegenteil d. h. mehr gearbeitet werden, als bisher.
geradezu
und
denke es
mehr produziert,
Nun behaupte ich aber
mit schlagenden Gründen darzutun: daß die
Arbeitsleistungen in den beabsichtigten Staatswerkstätten hinter denen
der Privatindustrie notwendig zurückbleiben müssen, daß man also im sozialen Staate weniger und schlechter arbeiten würde.
Bedenken Sie
nur, meine Herren, gegenwärtig wird die ganze Aufgabe durch die Privat tätigkeit der einzelnen gelöst, von denen jeder durch sein eigenes Interesse getrieben, um der möglichst vollkommenen Befriedigung seiner eignen Be
dürfnisse halber, eifrig für das Gesamtbedürfnis arbeitet.
früher gesehen, wie mächtig dieser Sporn
Wir haben
des Eigeninteresses
den
einzelnen auf dem Gebiete des Erwerbes zur Tätigkeit, Umsicht und Er findsamkeit antreibt und wie der Umstand: „daß, je besser und billiger
jemand durch seine Leistungen die Bedürfnisse anderer (seiner Kunden) befriedigt, desto besser
er selbst mit allem versorgt sein wird," dieses
Eigeninteresse in seinen Wirkungen ohne, ja oft wider den Willen der einzelnen zum Segen für die Gesamtheit macht.
Und diesen gewaltigen
Hebel, diesen angebornen unverwüstlichen Hang der menschlichen Natur,
in dem wir die bewegende Grundkraft im Haushalte der Gesellschaft er
kannten, tastet man an und verlegt den Impuls, den ersten Anstoß zum Erwerb aus dem Willen, der freien Strebung der einzelnen in die Ge
samtheit, aus dem Bereich der individuellen Tätigkeit in das Staats getriebe!
Als bestände diese Gesamtheit, der Staat, aus etwas anderem
als eben diesen einzelnen, als lähme man nicht jene wirkende Kraft in der Gesamtheit, wenn man sie in den einzelnen lähmt! — Was, so
fragen wir, wird die Folge sein von dieser Verletzung der menschlichen Eigenart (Individualität), der natürlichen Grundform unseres Wesens,
auf wirtschaftlichem
Gebiet, von
dieser Verschiebung der gewerblichen
Initiative aus der Privattätigkeit in den Staat?
Was wird die Folge
davon sein, wenn den einzelnen ihre Tüchtigkeit, ihr Fleiß nicht mehr
zustatten kommt, wenn ihnen Unfertigkeit und Faulheit nicht mehr
schaden, wenn keiner auf die Früchte seiner Arbeit mehr ausschließlich 7*
100
Schulze-Delitzsch.
Anspruch hat, wenn seine Subsistenz nicht mehr davon abhängt, wenn das Maß seiner Genüsse nicht mehr bedingt ist durch das Maß seiner Leistungen, wenn er nicht mehr für seinen Privat-, sondern für den
Staatsnutzen schafft und aus Staatsmitteln seinen Unterhalt empfängt? Was anders, als daß die zur Befriedigung aller erforderliche Masse von Gütern und Diensten in immer geringerer Quantität und Qualität, immer knapper und schlechter hergestellt wird, mit einem Worte: die immer schlechtere und kärglichere Ver sorgung aller mit allem! Weiter, wenn jemand nichts davon hat, ob er wenig oder viel, gut oder schlecht arbeitet, so kann es nicht fehlen, daß keiner mehr tut, als er muß. Der Staat wird also die äußerste Überwachung üben
und den Arbeitszwang eintreten lassen müssen, soll nicht die ganze Maschine in kürzester Zeit still stehen. Wie nun in dem konsequent durchgebildeten Polizeistaat eigentlich jedem Menschen ein anderer als Aufseher an der Seite stehen müßte, der ihn verhindert, seine Kräfte zu mißbrauchen, so bedarf es in diesem projektierten sozialen Staate für jeden eines Treibers, der ihn zwingt, seine Kräfte überhaupt erst zu gebrauchen! Ein ungeheuer kostspieliger Verwaltungsapparat, ein Heer von Beamten ist die nächste Folge davon, und das Gesamtresultat, das Quantum der zu schaffenden Güter, welches schon durch die Auf hebung der Privatindustrie und die geringere Ergiebigkeit der Staats arbeit merklichen Abbruch litt, schwindet noch mehr zusammen dadurch,
daß die Zahl der produktiven Arbeiter vermindert wird, indem jenes Beamtenheer für die Produktion verloren geht und obenein von den übrigen unterhalten werden muß. Aber damit nicht genug. Noch verwickelter und wirklich unlösbar wird die Aufgabe der Verteilung der allgemeinen Gütermasse durch den Staat unter die einzelnen nach deren Bedürfnis und Verdienst. Wer mag sich hier zum Richter aufwerfen, nur allein über das, was der einzelne bedarf? Ist das Bedürfnis nicht etwas höchst Verschiedenes, Wechselndes, rein Persönliches, je nach der verschiedenen Begabung und Organisation der Menschen? Welche Behörde kann mir zudiktieren, was
ich bedarf, über ein Moment urteilen, welches ich nur ganz allein in mir selbst empfinde? Und hat nicht gerade die Natur in ihrer Weisheit der
Verschiedenheit der Begabung unter den Menschen die Verschiedenheit der Bedürfnisse beigegeben, als mächtigen Sporn ihrer Bestrebungen? Wie kärglich der Lohn mancher Arbeiter ist, sie können doch darüber nach Gutdünken verfügen. Das aber müßte sofort aufhören, wenn die. Be-
Hörde jedem nach Bedürfnis zumißt, wenn der Staat bestimmt, wieviel
und wozu das, was die einzelnen erhalten, verwendet werden soll.
Es
ist ein Eingriff in die Persönlichkeit, in den innern Kern des mensch
lichen Wesens, wie er nicht plumper und gehässiger gedacht werden kann,
eine Tyrannei, eine Einmischung der Behörde, einmal bis in die Schüssel auf meinem Tisch, bis zu dem Topf an meinem Herd und dann bis in mein innerstes Herz, meine eigensten Gefühle, vollkommen unerträglich,
.wenn man sie je hätte durchführen können!
Und nun zur Abmessung
des Bedürfnisses noch die Würdigung des Verdienstes.
Wo liegt
der Ausgleichungspunkt zwischen beiden und wem wird man dabei genug tun?
Den natürlichen Wertmesser hat man abgeschafft, nach welchem sich
der Wert eines Dienstes, eines Arbeitsstückes durch Angebot und Nach frage in freier Konkurrenz regulierte.
taxe.
Was bleibt dafür?
Die Staats
Nun werden aber Verdienst und Bedürfnis häufig im Gegensatz
zueinander stehen; was soll da entscheiden?
Ist es zunächst darum zu
tun, das Bedürfnis zu decken — und das ist ja der erklärte Hauptzweck
des ganzen Systems —, so muß das Verdienst davor zurücktreten wir müssen alle Leistungen, gute wie schlechte, gleich berücksichtigen.
und Kurz,
Schwierigkeiten ohne Ende und wenn wir auch die Staatsbehörde mit ganz unerhörten Befugnissen bekleideten, so Hilfe das doch nichts, wenn
wir sie nicht zugleich mit übermenschlichen Fähigkeiten versehen könnten,
wie sie dazu gehören, solche Aufgaben zu lösen. Was also erreichen wir mit all dem Zwang, den man der mensch lichen Natur antut?
Arbeiten müssen wir doch alle nach wie vor, um
zu leben; warum nicht jeden zunächst an die Frucht seiner eignen Arbeit verweisen?
Der Staat ist die Summe seiner Bürger.
einzelnen die Existenz garantiert, heißt
Wenn er den
dies doch im Grunde nichts
anderes, als daß diese sie sich selbst untereinander garantieren.
Muß
daher jeder in irgend einer Weise für irgend eine Existenz einstehn, so fängt er doch am füglichsten bei sich selbst an und rettet so wenigstens seine
Selbständigkeit, denn daß diese mit der Verantwortlichkeit un widerruflich verloren geht, haben wir gezeigt.
Nun kann man sich doch
wirklich nichts Verkehrteres denken als: jemandem die Garantie fremder
Existenzen auflegen, um ihn der Sorge für die eigne zu überheben;
mit andern Worten: ihn für andre arbeiten lassen, damit er für sich selbst nicht zu arbeiten braucht!
Eine schöne Errungenschaft in dieser
Verkehrung der natürlichen Verhältnisse!
Und wie der einzelne dabei
notwendig zurückkommen und die Existenzfähigkeit am Ende wirklich ver
lieren muß, wenn er sie mit der Tat zu bewähren verhindert wird, Jo
Schulze-Delitzsch.
102 der Staat selbst.
Bereits im ersten Bortrage stellten wir als erste
Forderung, auf welcher die Möglichkeit jeder rechtlichen, sittlichen und
wirtschaftlichen Gemeinschaft beruhe, die Verantwortlichkeit, die Zu
rechnungsfähigkeit ihrer Glieder auf, vermöge deren jedes die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage.
Bei den finanziellen Bedürfnissen
des Staates, als einer solchen Gemeinschaft, stand also die Selbst verantwortlichkeit und Selbstsorge für die materielle Existenz seitens seiner Bürger im Vordergrund.
Ein existenzfähiger Staat setzt
vor allen Dingen existenzfähige Bürger als seine Träger voraus, die
schon da sein müssen, ehe er bestehen kann.
Statt dessen
soll dieser
soziale Staat sich solche Bürger erst schaffen und wir fragen, woher derselbe dann selbst seine Existenzfähigkeit und die Garantien hernimmt,
die er den Bürgern bieten soll, wenn diese sie ihm nicht vorher zubringen?
— In der Tat ein tolles Exempel, eine köstliche Rechnung!
Man
meint, daß die einzelnen aus eigner Kraft der Aufgabe ihrer Versorgung
nicht gewachsen sind, da wirft man sie in eine Masse zusammen, lähmt
ihnen dadurch ihre Leistungsfähigkeit und meint nun, diese Summe von
Subsistenzunfähigen würde der Aufgabe mehr gewachsen sein, als jeder einzelne darunter; als ob bei dieser Addition der sozialen Insolvenz mit den Aktiven nicht zugleich die Passiven, mit dem Haben nicht zugleich
das Soll wüchse!
In Zahlen: Eins kann Eins — d. h. sich selbst —
nicht ernähren; da addiert man 90 solcher Eins, entzieht jeder noch ein Bruchteil ihres Ernährungswertes, und nun sollen die 90 zusammen nicht
etwa bloß 90 — d. h. sich selbst — nein sogar 100 ernähren, nämlich sich und das unnütze Beamtenheer dazu, welches der soziale Staatsapparat
erfordert!*) Das fatale Einmaleins, daß es sich den schönen Weltverbesserungs
phantasien so hartnäckig entgegensetzt — das muß noch einmal abgeschafft werden!
Stieße man nicht überall an diese verdrießliche Rechnungsbilanz,'
wie herrlich müßte es in dem sozialen Staate sich in den Tag hinein
leben lassen!
Da braucht
niemand
mehr
sich zu mühen und sich zu
kümmern, der Staat leistet ihm ja für sein Auskommen Gewähr und
er hat sich nur blind dessen Anstoße und Leitung zu überlassen.
Ja
der einzelne darf nicht einmal eigne Pläne machen, an eigne Unter nehmungen denken,
denn das ist ausschließlich Staatsmonopol.
Der
Staat allein ist Arbeitgeber, das ganze Land ist eine große Arbeiter kaserne, wo
jeder
nach
*) 90 X — 1 = 100!
amtlichen Regulativen
sein Tagewerk
abtut
und
nach
amtlichen Regulativen
ohne Sorge also, das
am
Leben.
Denn
seinen Bedarf zugemessen erhält —
mag sein,
die
beste
aber freilich
Freude
des
auch ohne Freude
Menschen,
die
Freude
am eignen Tun, wo soll die Herkommen, wenn alle und jede Selbst bestimmung bei diesem Tun ausgeschlossen ist
und wenn niemand der
Früchte dieses Tuns froh wird? — Mit der freien Konkurrenz frei
lich, mit der Privatindustrie wäre man fertig — aber zugleich hat
man das ganze große und reiche Lebensbild des menschlichen Verkehrs, die lausend mannigfaltigen Wechselbeziehungen zerstört, die Menschen an
einander knüpfen, und Neigung, Interesse und Streben beseitigt, jedes Ziel, jede Aussicht abgeschnitten,
kurz alles fortgenommen, was dem
einzelnen seinen Beruf wert, seine Arbeit lieb macht, ihm die Mühe seines
Tagewerks versüßt! Messen
Da wird nicht mehr ge- und verkauft, da sind nicht
und Märkte — das ganze
Rührigkeit und Regsamkeit
ist
in
anstalt des Staates eingepfercht.
Erwerbsleben die große
mit seiner
bunten
allgemeine Arbeits
Aller Schmuck des Daseins hört auf,
durch Dekrete der Behörde wird jedem sein Teil Unterhalt und Erholung zugemessen und Lust und Laune in der Zwangsjacke erstickt, mit der man
die menschliche Natur für
dies neue System
zurechtzuschulen versucht!
Wem mit der ganzen Einrichtung gedient ist, wem eine solche Staats
garantie für seine Subsistenz zustatten kommt, wer sie allein wünschen muß, ergibt sich von selbst.
Nur derjenige, der für sich selbst zu sorgen
entweder außerstande ist — der Einfältige, Ungeschickte, Schwache — oder diese Sorge dem Staat zu überlassen bequemer findet — der Faule,
Lüderliche, Gedankenlose. Bisher waren Fälle der Verkommenheit einzelner aus den genannten Gründen Ausnahmen und wen es traf, der hatte
den Schaden — hier
setzt
man dergleichen Dispositionen als Regel
voraus und baut ein soziales System auf, welches darauf hinausläust, daß dergleichen Leute den Schaden nicht haben, daß
samtheit übertragen wird!
er von der Ge
Also ein Paradies für Schwache und Tauge
nichtse dieser soziale Staat, während Tüchtige und Geschickte, Menschen
mit Unternehmungsgeist und Tatkraft dadurch in ihrem Aufschwünge ge
hemmt und gehindert werden, sich zu wirtschaftlichen Zuständen empor zuschwingen, wie sie ihren Leistungen und Bedürfnissen gemäß sind.
Eine
Begünstigung des Schlechten also auf Kosten des Guten, eine Pflege der
verkommenen, der kranken Elemente der Gesellschaft auf Kosten der ge sunden und strebsamen, ja auf Kosten aller menschlichen Tüchtigkeit, jedes
gewerblichen und humanen Fortschritts überhaupt!
Und was wäre denn
das für eine Art von äußerlicher Gleichheit, die man mit allen diesen
104
Schulze-Delitzsch.
Opfern zu erkaufen vermöchte? — Die Gleichheit des Elends!
Ge
wiß würde eine Menge von Unterschieden wegfallen zwischen den Zuständen, welche jetzt die einzelnen scheiden, wenn eben keinem mehr die Möglichkeit
des Emporarbeitens gegeben wäre.
Aber das Niveau, die Ausgleichungs
linie, worauf das Ganze hinausliefe, wäre kein aufsteigendes, sondern ein stetig sinkendes; das allgemeine Los, welches die Gesellschaft erwartete, wäre kein Vorwärts-, kein Empor-, sondern ein Herunterkommen.
Wer es unternimmt, Tüchtigkeit und Untüchtigkeit auf ein gleiches Maß
rücksichtlich ihres Lohnes zu setzen, der bringt sie endlich auch auf ein gleiches Maß rücksichtlich ihrer Leistungen, da hilft nichts, und dies
wäre der sicherste Weg, auf welchem die ganze menschliche Gesellschaft am Ende verlumpte.
e) Einzelne soziale Formeln. Haben wir so den Sozialismus ganz allgemein in einigen Haupt
zügen charakterisiert, so werden wir nun auch imstande sein, einige Irr tümer oder Mißverständnisse, die gewissermaßen auf diesem Felde sprich
wörtlich geworden sind, in das rechte Licht zu setzen.
Sie alle, meine
Herren, haben gehört von dem famosen „Recht auf Arbeit und auf
Lohn".
Das kommt nun freilich darauf an, wie man es versteht. Das
Recht auf Arbeit, das Recht, sich durch seine eigene Tätigkeit zu nähren, das nehmen wir wahrhaftig für uns alle in Anspruch und erblicken darin sogar eine Pflicht.
Aber in jener Formel ist das anders gemeint.
Da
meint man mit dem „Recht auf Arbeit" und dem „Recht auf Lohn" die Befugnis, daß jeder irgendeine Arbeit, die ihm gerade beliebt, unter
nimmt und dann dafür, gleichviel, ob sie jemand begehrt, ob sie jemand
brauchen kann oder nicht, auch einen speziellen Lohn dafür in Anspruch
zu nehmen hat, der ausreichend ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen und ihn für Zeit, Mühe und Kosten zu entschädigen. Das ist aber eine Verkehrt
heit.
Das Recht auf Arbeit, d. h. das Recht zu arbeiten, hat natürlich im
allgemeinen jeder und man soll auch niemandem wehren, zu arbeiten, was er will.
Mag jeder selbst zusehen, daß und wie er bei seiner Arbeit
bestehen kann.
Aber das ist eben der Punkt und da kommen wir zu
dem Recht auf Lohn.
Freilich
hat jede Leistung einen Anspruch auf
Gegenleistung, das haben wir im letzten Vortrag genau erörtert, aber doch nur alsdann, wenn die Leistung irgend jemandem genehm
ist, einem anderen zustatten kommt, von ihm genutzt wird, mit einem Worte, wenn sie jemand mag.
Denn was war überhaupt der
Zweck aller Arbeitstätigkeit des Menschen? Die Befriedigung mensch-
licher Bedürfnisse. Nur soweit eine Arbeit das Bedürfnis irgendeines Menschen befriedigt, hat sie einen Anspruch auf Lohn, auf eine Gegen
leistung von dem, dessen Bedürfnis dadurch befriedigt worden ist, der sie
zu diesem Behufe benutzt, in Anspruch genommen hat.
Es hat daher
niemand das Recht, zu sagen: „Ich habe hier das und das gemacht, das
kostet mich so und so viel Arbeitszeit und Mühe und so viel Auslagen, deshalb mußt du mir so und so viel dafür geben."
Niemand kann den
anderen zwingen, seine Arbeit, seine Ware anzunehmen und ihm, was
er fordert, dafür zu geben, vielmehr kommt es darauf an,
ob
sie der
andere brauchen kann und ihm die Forderung zugestehen will — auf die freie Übereinkunft beider Teile. Nehmen wir einmal, um die
Folgerungen aus jenem Satze auf ihrem äußersten Punkte zu zeigen, folgendes Beispiel.
Jemand kauft sich ein Ries Papier und verschneidet
das Ganze mit Aufwendung der äußersten Mühe und Sorgfalt in lauter
ganz feine haardünne Streifen, wozu er mehrere Wochen Zeit verbraucht. Kann er nun hingehen und sagen:
Papierschnitzel haben, das habe ich
„Das und das muß ich für meine
an Kosten, Zeit und Mühe auf
gewendet, denn ich habe ein Recht auf Arbeit und Lohn"? — Sicher
wird kein Mensch
ihm für das Zeug das mindeste zahlen wollen und
man wird ihm sagen: „Hole der Popanz deine dummen Dinger, die
mögen wir nicht haben; beschäftige dich künftig mit Dingen, welche jemand
brauchen kann!"
Und die Leute haben ganz recht.
Warum?
Weil die
fragliche Arbeitsleistung kein menschliches Bedürfnis befriedigt und weil
nur diejenige Arbeit Lohn verdient, welche zu diesem Zwecke dient. Des wegen muß jeder Arbeiter, ehe er etwas vornimmt, sich fragen und klar
machen: Befriedigst du mit deinem Tun ein Bedürfnis deiner Mitmenschen? Wollen die Leute das, was du machst, haben? Können sie es brauchen?
Werden sie es dir abnehmen? — Und er muß sich auf nichts einlassen, wo dies nicht zutrifft.
Das ist das erste.
Das zweite, was er zu be
denken hat, sind die Bedingungen, wie er die Sache herstellen, die Arbeit
verrichten kann, insofern die Gegenleistung, der Lohn, den er fordert, bei welchem er zu bestehen denkt, davon abhängt.
Denn das Mehr,
welches ein Arbeiter an Zeit, Mühe und Kosten aufwendet, gegen das
jenige, was bei geschickter und vernünftiger Betriebsweise — wie andere die Dinge liefern — dazu gehört haben würde,
ist für den eigentlichen
Zweck, die Herstellung der dem Bedürfnis der Kunden dienenden Sache, gerade ebenso verloren, wie bei den Papierschnitzeln das Ganze. Ich ver
weise deshalb auf das, was ich im letzten Vortrage über den Wert an
geführt habe, und wir sind wohl alle darüber einig, daß wir das Recht
106
Schulze-Delitzsch.
auf Lohn, auf das, was jemand für Befriedigung menschlicher Bedürf nisse wirklich geleistet hat, beschränken, weil es bei Belohnung der Arbeit
allein auf die erzielten Resultate, nicht darauf, daß und womit sich der einzelne beschäftigt und welche Mühe und Kosten er darauf ver wendet, ankommt.
Halten wir daher ein für allemal fest: Das wahre
Recht auf Arbeit ist die Freiheit der Arbeit und das wahre Recht
auf Lohn ist die Freiheit des Tausches, die freie Konkurrenz. Nur in diesen Dingen kommen jene Forderungen in vernünftiger und
allein ausführbarer Weise zur Geltung. Dann, meine Herren, die Brüderlichkeit! Nun, das ist ein schönes und großes Wort, das ist ein Wort, das — ich weiß es — in Ihrer aller Herzen zündet. Ja, meine Herren, aber als Wirtschaftsprinzip,
als Grundlage zur Ordnung und Regelung des Haushalts, des Erwerbs
lebens der Menschen, da können wir die Brüderlichkeit unmöglich auf
stellen.
Die Grundlage für diese Beziehungen, wie wir gesehen haben,
als wir über den Tausch und das berechtigte Eigeninteresse sprachen, ist die
Gegenseitigkeit.
„Nichts ohne Entgelt! Leistung für Leistung!"
so heißt der Spruch, nach welchem sich der wirtschaftliche Verkehr der Menschen regelt.
Ein anderes
Prinzip ist
hier nicht wohl denkbar,
namentlich würde die Brüderlichkeit uns zu den verkehrtesten Dingen
führen, denn was anderes könnte sie auf diesem Gebiete bedeuten, als das Hingeben seiner Arbeitserzeugnisse an die anderen, die ihrer be dürften, ohne Entgelt, ohne entsprechende Gegenleistung?
Nun
sind und bleiben wir aber doch einmal alle zum Behufe unserer Ver
sorgung auf die Arbeit angewiesen, anders ist doch das einmal nicht zu beschaffen.
Daher haben wir das Verkehrte des Umweges: den einzelnen
statt auf seine eigene, auf fremde Arbeit anzuweisen, schon beim sozialen
Staate gezeigt. Wenn ich meinem Mitmenschen meine Arbeitserzeugnisse
zur Deckung seines Bedarfs umsonst hingebe, so komme ich ja notwendig in die Lage, die Leistungen der anderen, ihre Produkte, ihre Dienste wiederum meinerseits in Anspruch zu nehmen und auch nichts dafür zu
geben, denn wo sollte ich den Lohn für sie hernehmen, wenn man mich selbst nicht lohnt? — Was würde das für eine wunderliche Sache sein. Ich schenke anderen meine Sachen, dann aber fordere ich, daß mir die
anderen die ihrigen ebenfalls schenken, weil ich sonst leer ausginge und
meine Bedürfnisse doch auch befriedigt sein wollen.
Ein merkwürdiges
Geschenk, für das man wieder schenken muß, eine schöne Brüderlichkeit, die man zu fordern das Recht haben muß, die in demselben Augenblick, wo man die Gegenseitigkeit mit ihrem reinen Rechtskreise durch sie er-
setzen will, selbst in ein Rechtsverhältnis umschlägt! Das heißt den edlen und hohen Begriff zur Lächerlichkeit machen, weil man ihn auf ein Gebiet überträgt, wohin er nicht gehört. Und dasselbe, wie in wirtschaftlicher, ist in politischer Hinsicht der Fall, meine Herren.
Die Brüderlichkeit kann auch nicht Staatsprinzip sein. Man hat hier und da von einem solchen Staate, im Gegensatz des Rechtsstaates, gesprochen. Aber wie die Gegenseitigkeit das Prinzip für das Wirtschaftsleben ist, so ist für das politische Staatsleben die Gerechtigkeit die Grundlage. Zwangs rechte und Zwangspflichten festzustellen und zu ordnen, gilt es da und die Bürger durch die öffentliche Macht zu ihrer Erfüllung anzuhalten. Die Brüderlichkeit aber mit ihren Geboten, wie sie uns die innere Stimme in der eigenen Brust zuruft, gehört in den Bereich der freien Sittlichkeit. Den staatsbürgerlichen Pflichten kann und darf sich daher unter dem Vorwande der Brüderlichkeit niemand entziehen wollen, die müssen zuerst erfüllt werden, ehe jene an die Reihe kommt. Erst muß ich meine Schuldigkeit tun, ehe ich meinem Herzen genügen darf. Nehmen
Sie an, ein vom Staate besoldeter Professor oder Beamter verrichtet die Arbeit nicht, für die man ihn bezahlt, um allerlei Liebespflichten nach zugehen, vielleicht gemeinnützige Vereine zu leiten, bildende Vorträge zu halten usw. Was würden Sie dazu sagen, hätte eine solche Handlungs weise und wäre sie von den brüderlichsten Gesinnungen eingegeben, sitt lichen Wert? — Ein anderer, vielleicht ein Arzt, bemüht sich von früh bis abends, treibt indessen Armenpraxis, gibt alle übrigen Patienten auf und läßt sich von niemand etwas bezahlen und zu Hause darben Weib und Kind und er und die Seinen müssen von fremder Mildtätigkeit leben. Kann man das billigen? Ferner: Jemand leiht von einem anderen 1000 Taler, um Geschäfte zu machen, und verdient damit weitere 1000 Taler zu den 1000 Talern hinzu, die er sich geborgt hat. Anstatt nun zunächst das geborgte Geld an seinen Gläubiger zurückzuzahlen, geht er hin und trägt die ganzen 2000 Taler in eine milde Anstalt und
bringt so jenen aus lauter Brüderlichkeit um sein Geld. Sie sehen selbst, das geht wieder nicht. Darum erst die Pflicht der Selbstsorge für sich und die ©einigen erfüllt auf wirtschaftlichem Gebiet und den über
nommenen Verpflichtungen gegen seinen Mitbürger und den Staat, den bürgerlichen Gesetzen Genüge getan — dann erst, meine Herren, habe ich dann noch Kraft, Zeit und Mittel übrig und ich trete damit ein für eine humane Idee, zur Linderung von Not und Elend, dann beginnt die rechte Brüderlichkeit. Sie beginnt da, wo das Wirtschaften und der
Staat aufhört; nicht der Erwerb, nicht Recht und Pflicht sind ihr Reich,
Schulze-Delitzsch.
108
nicht der Zwang ist ihre Macht, sondern die freie Liebe. Wie gesagt, sie ist eine sittliche Eigenschaft und es heißt ihr Wesen verkehren und sie ihrer Würde entkleiden, wenn man sie anbefiehlt und sozusagen durchein Dekret als Grundlage für den menschlichen Verkehr zwangsweise einführen wollte.
Endlich, meine Herren, komme ich auf die Gleichheit, die auch in diesen Dingen eine Rolle spielt.
„Freiheit und Gleichheit", so hieß
die Losung in der großen politischen Bewegung, die einst von Frank
Aber, meine Herren, auch
reich aus durch den ganzen Weltteil ging. hier
sich
hüten Sie
Gleichheit,
die wir
Rechtsgleichheit, meine
vor
Herren,
die
Verwechselung
erstreben
der Begriffe.
müssen,
und
Gleichheit aller
die soziale
Gleichheit,
Es gibt eine
Sie insbesondere:
vor dem Gesetz.
die
Aber,
gesellschaftliche,
gleiche Stellung und Geltung der Menschen im
die
die
sozialen Leben, die ist
eine Unmöglichkeit, weil die Natur sie nicht gewollt hat.
Die Menschen
sind von Natur verschieden begabt; da ist nicht einer, der dem andern
gleich geschaffen wäre. dort den
Einfältigen
Hier haben Sie den Einsichtigen und Klugen, und Beschränkten; da
haben
Sie den
braven,
den charakterfesten, den zuverlässigen Menschen, dort den Leichtsinnigen, Schlechten, Wankelmütigen; da einen Starken, einen Geschickten, dort einen Schwachen und Ungeschickten usw.
Und eben weil die Begabung
der Menschen verschieden ist und wir dies nicht ändern können, deswegen auch ihre Geltung in der menschlichen Gesellschaft.
Wir können tun,
was wir wollen, wir können Gesetze machen, wie wir wollen: wir werden es nun und nimmermehr dahin bringen, daß der Schwache soviel gilt,
wir der Starke, der Einfältige soviel wie der Kluge, daß Fleiß, Mut, Tatkraft, Kenntnisse nicht mehr Ansehen geben, als Faulheit, Tatlosigkeit und Unwissenheit. nun
Von diesen Eigenschaften und Naturanlagen hängt
einmal der Erfolg im Leben ab, sie geben Macht, Besitz, große
Mittel und die Fähigkeit, sie anzuwenden, das ist nicht anders, das kann
nicht anders sein.
Ein Mann, der sich auf diese Art eine Stellung ge
schaffen hat, dessen Wirken vielen seiner Mitbürger, dem Gemeinwohl zu
statten kommt (der Staatsmann, der Gelehrte z. B.), oder um den sich
wichtige und zahlreiche Privatinteressen
gruppieren, an dessen Unter
nehmungen die Existenz vieler anderer geknüpft ist, — nehmen Sie z. B.
den großen Grundbesitzer und Fabrikanten — der hat naturgemäß viel
Einfluß, weil alle diejenigen hinter ihm stehen und ihn stützen, deren Wohl mit dem seinigen mehr oder weniger eng zusammenhängt.
Und
wollte denn das etwa jemand ändern, selbst wenn er es vermöchte?
Hat
nicht die Natur sehr weise daran getan, daß sie die Menschen nicht gleich
ausstattete, nicht einen wie den andern, daß sie dieselben verschiedm be
gabte?
Sie haben schon bei der Arbeitsteilung gesehen, wie wesent
lich das Wohlsein aller auf -er Verschiedenheit der Begabung der einzelnen
beruht, welche bewirkt, daß sich dieselben den mannigfaltigsten Zweigen
der Tätigkeit widmen und dadurch für die mannigfaltigsten Bedürfnisse sorgen.
Das geschähe nicht, wenn alle nur dasselbe könnten und wollten,
denn alsdann würden nicht alle diese Richtungen vertreten sein, und das
große und gewaltige Gesamtgetriebe der menschlichen Gesellschaft,
dieses wunderbare und kunstvolle und in seinem Prinzip doch so einfache
Jneinandergreifen der verschiedenen Einzeltätigkeiten, bei denen alle ihre Rechnung und jeder seine Verwendung findet und bei dem die Menschheit unaufhaltsam, allen künstlichen Hindernissen zum Trotz, auf den Bahnen
der Zivilisation vorwärts schreitet, wäre zerstört.
Die einzelnen müßten
dann eben, wenn alle alles leisten sollten, keine Menschen, sondern jeder
ein Gott sein.
Daher weg mit solcher unnützen Träumerei, und die
Dinge genommen, wie sie nun einmal liegen, da wir die Menschen doch nicht umschaffen können, und statt dieser unmöglichen
Gleichheit in
der gesellschaftlichen Stellung und Lage der Menschen, die Gleich
heit aller vor dem Gesetz, die rechtliche,., die politische
Gleichheit!
Denn das ist eine begründete Forderung, die wir gerade aus jener
natürlichen Ungleichheit ableiten: daß die letztere nicht noch künstlich durch schlechte, d. h. ungerechte Gesetze verstärkt werden darf. Wenn der Besitzlose, der minder Begabte, der weniger Gebildete schon ohnehin ungünstig stehen,
wenn andere, welche mit hinreichenden Mitteln, mit guten Anlagen und besserer Ausbildung versehen sind, schon ohnehin einen großen Borsprung vor ihnen
voraus haben, so sollen die staatlichen Einrichtungen die nachteiligere Stellung
jener nicht noch erschweren, oder wohl gar darauf Hinzielen, dieselben mög
lichst von dem Emporstreben zurückzuhalten, zu besseren Zuständen zu hemmen!
sie an dem Heraufarbeiten
Im Gegenteil haben sie das letztere
zu fördern und zwar nicht bloß int Interesse der minder gut gestellten
Bevölkerungsschichten, sondern im Interesse der Gesamtheit aller Staats bürger.
Denn das Gemeinwohl, das Wohlbefinden eines Gemeinwesens,
wächst, je besser es um alle einzelnen darin steht, je mehr seine Angehörigen durchweg int Wohlstände sind, das ist eine unbestreitbare Wahrheit. f) Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Standpunkt
der Arbeiterfrage.
Und hier kommen wir von selbst auf den Punkt, der den Abschluß
unserer heutigen Besprechung bildet.
Wir
haben die Staatshilfe und
110
Schulze-Delitzsch.
Staatseinmischung in die Existenzfrage abgelehnt und die einzelnen des halb auf den Gebrauch der eigenen Kraft verwiesen. Deshalb ist es am Orte, uns klar zu machen, was wir vernünftigerweise vom Staate zur
Förderung dieser Aufgabe zu erwarten haben, wie wir uns den Staat wohl wünschen und denken müssen von dem Standpunkte der Arbeiter interessen aus. Das, was wir für den einzelnen, behufs Durchführung der Selbstsorge für seinen Erwerb, in politischer Hinsicht forderten, Sie erinnern sich, meine Herren, war die Freiheit im Gebrauch seiner Kräfte. Aber eben weil wir diese Freiheit nicht für einen, sondern für alle, als ein allgemeines Recht forderten, ergab sich auch ihre Schranke, der natürliche Rechtskreis eines jeden: seine Kräfte nach freiem Ermessen und zu selbstgewählten Zwecken zu brauchen, dabei aber in die gleiche Befugnis der andern nicht störend einzugreifen, vielmehr ihren RechtSkreis ebenso zu respektieren, als man es für den feinigen verlangt. Kein Mensch darf sich gebaren, als sei er allein auf der Welt, er kann ohne die andern nicht existieren und muß sich mit ihnen vertragen. Erst die allgemeine Sicherheit ist die realisierte Freiheit aller, derjenige Zu stand, wo jeder den freien Gebrauch seines Willens und seiner Kraft hat, ohne störende Eingriffe anderer fürchten zu müssen, natürlich in der Voraussetzung, sich auch seinerseits keine solchen gegen Dritte zu erlauben. Und hier stehen wir vor dem Hauptzwecke des Staats, der die Gesell schaft, den menschlichen Verkehr, nicht etwa erst macht, sondern aus den Bedürfnissen derselben hervorgeht und uns die notwendigen äußer lichen Vorbedingungen für den Erfolg unserer humanen und wirtschaft lichen Ziele und Strebungen gewährt: Rechtsschutz, Sicherheit, Frieden. Gewiß ist der Staat, mit seiner öffentlichen Macht, gleichsam
als die Exekutivgewalt der Gesellschaft, zur Lösung der sozialen Aufgaben, besonders auch der Existenzfrage, unentbehrlich, weil ohne die genannten Vorbedingungen auch den tüchtigsten Bestrebungen die Garantie des Er folgs fehlt. Aber die Lösung der Aufgabe ist mit dieser bloßen äußeren
Möglichkeit nicht gegeben, vielmehr kommt es dabei auf andere Kräfte, auf die Privattätigkeit der einzelnen an für ihre Interessen, darauf: ob und tote jene Möglichkeit benutzt wird. So wertvoll also für uns die bürgerliche, die politische Freiheit ist, so wenig ich glaube, daß ohne dieselbe die Hebung des Arbeiterstandes jemals durchgeführt werden kann — gemacht ist die Sache damit noch nicht! Führen wir nicht alle wirt
schaftlichen Mächte für uns in den Kamps, bilden wir nicht die gewerb liche Tüchtigkeit in uns selbst aus, benutzen wir die Freiheit nicht, so wird sie allein uns zu nichts helfen. Die wirtfchastltche Besserung
der vorhandenen Zustände verlangt wirtschaftliche Mittel und das all gemeine Wahlrecht macht nicht satt. Ja, eS wird an der rechten und
fruchtbaren politischen Beteiligung der Arbeiter selbst so lange fehlen, als nicht Wohlstand und Bildung ein bescheidenes Maß unter ihnen erreicht haben und die Sorge um die tägliche Notdurft ihre ganze Zeit
und Kraft in Anspruch nimmt. Was also, meine Herrn, möchten die Arbeiter im allgemeinen für Forderungen an die Staatsverfassung von ihrem Standpunkte etwa zu
machen haben? Zunächst verlangen wir da, wir sagten es schon, die Gleichheit vor dem Gesetze. Kein einzelner, keine Klasse der Gesellschaft darf vor der andern begünstigt, mit Vorrechten und Privilegien ausgestattet werden, welche die übrigen, insbesondere die weniger Bemittelten hindern, sich emporzuarbeiten, etwas vor sich zu bringen, welche den Fähigen und Gescheiten von der ihm gebührenden Stellung ausschließen und Rang, Geburt und zufällige Glücksgüter an die Stelle des Talents und Ver dienstes setzen. Das ist die erste Forderung und hier mag das all gemeine gleiche Wahlrecht füglich als Folge dieser Forderung mit aufgestellt werden. Dann, meine Herren, verlangen wir weiter eine möglichst gleichmäßige, gerechte und möglichst wenig drückende Verteilung der Staatslasten. Ganz besonders der Arbeiter, dessen Erwerb nicht zu den glänzendsten gehört, der das Seine am meisten zu Rate halten muß, ist sehr interessiert dabei, daß die Staatsfinanzen
gut geordnet, zusammengehalten und nicht zu unnützen, zu unproduktiven Zwecken verwendet werden, damit man ihm nicht mehr, als sich gebührt, von seinem sauren Verdienste durch lästige Steuern abnehme. Damit im genauesten Zusammenhang steht die möglichste Schonung wirtschaftlichen, der Arbeitskräfte der Nation. Niemand Ihnen wird verkennen, daß wir alle nicht nur mit Geldmitteln, Übertragung der unumgänglichen Staatslasten, nein, auch mit Leib
der von zur und
Gliedern dem Staate zu dienen verpflichret sind, ja mit unserm Leben einstehen müssen, wenn es die Verteidigung des Vaterlandes, die Aufrecht erhaltung des Friedens gilt. Niemand, am wenigsten der kräftige
Arbeiter, wird diese Pflicht bestreiten, vielmehr wird er es für eine Ehre
halten, als Verteidiger des Vaterlandes seine Schuldigkeit zu tun. Aber das mag er billig verlangen, daß diese Verpflichtung auf das rechte Maß beschränkt werde, daß man ihm nicht zumute, von seinen wirtschaftlichen Kräften, von seiner Zeit, von seiner Freiheit, die er so nötig für seine
Existenz braucht, mehr dem Staat zu opfern, als wirklich zur Erreichung
112
Schulze-Delitzsch.
jenes Zweckes durchaus nötig ist. Endlich, wenn, außer diesen rein politischen Dingen, der Staat noch manches andere von allgemeinem Interesse in den Bereich seiner Tätigkeit zieht, namentlich das Schul wesen, so schließen wir noch als eine Hauptforderung hier an: die Hebung der Bolksschule, als der Hauptpflanzstätte der Bildung für den Arbeiter, ohne welche die nachhaltige Hebung des Standes selbst niemals mit Erfolg angestrebt werden wird. Fassen wir die Sache von der Kehrseite und sprechen aus, was wir im Staate nicht wollen, so würde sich das Programm in seinen Hauptzügen kurz dahin stellen: Wir wollen erstlich keinen bureaukratischen Staat, der die Staatsmittel übermäßig in Anspruch nimmt für ein unnützes Beamtenheer, das in der Vielregiererei und Hemmung der freien Bewegung der Bürger Beruf und Geltung sucht. Weiter wollen wir keinen Staat der Bevorrechteten, keinen Stände-Staat, der eine oder mehrere Klassen von Bürgern durch Standes- und andere Privilegien vor den andern bevorzugt, weil dies der Rechtsgleichheit widerstrebt, die wir für alle, auch für den Geringsten unter uns in Anspruch nehmen. Wir wollen keinerlei Privilegien, so wenig einen bevorzugten Geburtsadel, wie einen bevorzugten Stand unter den Arbeitern selbst, der, gleich den Zünftlern, auf Kosten der übrigen gewisse Vor rechte für sich ausschließlich in Anspruch nimmt. Denn wer einmal für sich dergleichen prätendiert, der kann sich auch den Anmaßungen von anderer Seite her nicht widersetzen und so sehen wir bei uns gegen wärtig die Zünftler und unsere Junker schönstens Hand in Hand
gehen, in einer Art heiliger Allianz, die gerade ebensosehr den Zeit forderungen in das Gesicht schlägt, als jene vielberufene andre, womit man die geschichtliche Bewegung in unserm Weltteile zum Stillstand zu bringen meinte. — Ferner wollen wir keinen Militärstaat, in dem das Soldaten halten aus dem Mittel zur Verteidigung des Vaterlandes zum eigentlichen Staatszweck wird. Denn wo die Soldaten nicht mehr um des Staates
willen, sondern der Staat um der Soldaten willen da ist, da werden Geld, Zeit und Kraft der Bürger in unglaublichem Maße verschleudert, und das Endresultat, das man obenein mit dem finanziellen Ruin er kauft, ist der Verlust der bürgerlichen Freiheit. — Endlich aber wollen wir keinen absoluten Staat, sondern einen Verfassungsstaat, wo
wir, wo sämtliche Bürger bei der Gesetzgebung und Besteuerung und
allen wichtigen Einrichtungen ihr Vollwort dazu zu geben haben, wo nicht ein einziger nach Willkür unbeschränkt gebietet. Denn nur durch unsre Mitwirkung in Ordnung aller dieser wichtigen Verhältnisse er-
halten wir die nötige Garantie, daß unsere Bedürfnisse gehörig dabei
berücksichtigt, unsere Interessen gehörig gewahrt werden und dies ist doch am Ende letzter Zweck des Staats.
„Die Völker sind ihrer selbst
willen da, nicht um für Sonderinteressen und Gelüste irgend
welcher Art ausgebeutet zu werden," dies der unumstößliche Satz,
den in unserer vorgeschrittenen Zeit zu verleugnen nur der Helle Blöd sinn oder die raffinierteste Heuchelei vermöchten. Dies in flüchtigen Umrissen, Staat zu fordern haben möchten.
was Sie, als Arbeiter,
etwa vom
Und meine Herren, erwägen Sie ein
mal näher: es ist nichts anderes, als was alle übrigen Klassen der Ge
sellschaft, alle, die sich nicht blind ausscheiden aus dem Leben der Zeit — was die ganze große liberale Partei in Preußen, in Deutschland, ja in Europa auch will und verlangt, so gut wie Sie.
Unterschied, kein Zwiespalt.
Da ist kein
Ihr Interesse, das Interesse der Arbeiter,
ist das Interesse der gesamten Gesellschaft und in Deutschland fast mehr, als anderswo, weil die Erhaltung und Kräftigung eines tüchtigen Mittel- und Arbeiterstandes, in dem wir von jeher einen Hauptträger
der Gesittung und Kultur unseres Volkes erblicken, geradezu als eine nationale Aufgabe erscheint.
Und, meine Herren, ich wüßte nichts Köst
licheres, nichts, was Ihnen mehr die freudige Gewißheit des Gelingens
Ihrer Bestrebungen zu geben vermöchte!
Erhalten Sie sich diese all
gemeinen Sympathien, die gute Meinung aller vernünftigen Menschen, aller wahren Baterlandsfreunde für Ihre Sache, indem Sie fortfahren,
dieselbe ebenso besonnen
und energisch, wie bisher, zu führen.
Treue
Hände sind Ihnen geboten und ich möchte die Macht sehen, die Sie auf
dem betretenen Wege mit dieser Bunvesgenossenschaft von Erreichung des ersehnten Zieles abzuhalten vermöchte! Und jetzt, meine Herren, schließe ich, indem ich vor unsern verehrten
Gästen aus Ihrer Seele, ja, ich glaube nicht zuviel zu sagen, aus der Seele aller deutschen Arbeiter, eine Überzeugung ausspreche, wie
sie sich in uns befestigt hat als Resultat unserer bisherigen Unterhaltungen.
Meine Herren, die deutschen Arbeiter hier und allerwärts, wo sich
das rechte Leben unter ihnen regt, sie weisen die Anmutung der Staats
garantie,
überhaupt eine Existenz durch andere als durch ihre eigene
Kraft, als ihrer nicht würdig von sich zurück.
Sie nehmen die volle
Verantwortlichkeit dafür in Anspruch, weil sie wissen, daß nur darin die Möglichkeit der Freiheit für sie liegt.
Wer die Freiheit im ge
werblichen und bürgerlichen Leben verlangt, der muß die bürgerliche und wirtschaftliche Verantwortlichkeit auf sich nehmen. Nur in der ÜberSchulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.
g
114
Schulze-Delitzsch.
nähme der Pflicht liegt die Garantie des Rechts und, meine Herren, auf die Freiheit sind Sie nicht geneigt zu verzichten, denn Sie verzichteten auf Ihr bestes Teil, auf die Möglichkeit jeder Entwicklung Was macht, frage ich, den Menschen erst zu dem, was er ist? Was weist ihm seine erhabene Stellung an auf unserer Erde? — Die edelsten Triebe der
menschlichen Natur sind der Trieb nach Wahrheit — das Erkenntnis vermögen — und der Trieb nach Freiheit — das Willensvermögen. Das ist die Marke alles menschenwürdigen Seins und Tuns: „dah der Mensch bestrebt ist, das Gute und Schöne, das Wahre und Rechte zu erkennen und das als solches Erkannte mit aller
Kraft seiner Seele, mit Zusammenfassung seines ganzen Wollens und Denkens, im praktischen Leben zu verwirklichen." Sie, meine Herren, wollen mitwirken an der großen Gesamtausgabe des Menschengeschlechts, als Mitträger der Zivilisation und dazu, das wissen Sie, ist die sittliche Weihe der Freiheit Ihnen unentbehrlich. O, Ihnen ist es bei Ihrer Bewegung nicht bloß um das materielle Sein zu tun, um des Leibes Nahrung und Notdurft! Das, was Sie oft mehr ge drückt hat, als jene materiellen Mißstände, das war, daß Sie zum Teil ausgeschlossen schienen von den hohen idealen Strebungen der Gegenwart, von der Betätigung der edleren, feineren Anlagen der menschlichen Natur. Sie wollen Ihr volles Menschentum in Anspruch nehmen — dies der Sinn der Bewegung, die sich jetzt über Ihre Reihen verbreitet. Und deswegen, meine Herren, sagen Sie — ich darf es in Ihrem Namen aussprechen — zur ganzen Gesellschaft: Hier sind wir! Die volle Ver antwortlichkeit für unsere Existenz, wir nehmen Sie auf uns! aber zugleich: gebt der Freiheit eine Gasse! und die Aufgabe soll uns nicht schrecken. Mit dieser Losung, meine Herren, trennen wir uns von unsern Gästen und ich glaube einem wahren Herzensbedürfnis von Ihnen zu genügen, wenn ich in Ihrer aller Namen die verehrten Männer vom volkswirtschaftlichen Kongreß bitte, daß sie in ihrer Heimat einen herz lichen Brudergruß an die dortigen Arbeiter mitbringen von den Arbeitern Berlins! (Donnernde, allseitige Zustimmung.)
V. Di« praktische« Mittel und Weg« gilt Hebung der arbettenden «»offen. (Fortsetzung.)
a) Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs. Wir fahren heute in Erörterung der praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klassen fort.
Nachdem wir
zuletzt über die Unmöglichkeit der Lösung der Ausgabe von außen her,
namentlich durch Dazwischenkunft des Staats, uns verständigt und
die sozialistischen Irrtümer in dieser Beziehung aufgedeckt
haben,
beschäftigen wir uns heute zunächst mit Abwegen von weniger radikaler Natur, wie sie heutzutage leider noch ziemlich im Gange sind.
Wenn
wir uns so nach allen Seiten hin klar gemacht haben, wie man die Sache nicht anzugreifen hat, werden wir am Ende von selbst auf den richtigen
Weg hingeleitet werden.
feindung der
freien
Diese Abwege laufen wiederum meist auf An
Konkurrenz
und
des Kapitals hinaus
und
wenn man auch nicht so weit darin geht, wie die Sozialisten, welche
beides durch die Staatsindustrie geradezu aufheben wollen, so gerät man doch auf mannigfache Versuche und Pläne, jene mächtigen Verkehrshebel
durch Beschränkungen und Maßregeleien der willkürlichsten Art zu hemmen und einzuschränken.
Und diese leider noch in vielen deutschen Staaten,
teilweise auch bei uns nicht ganz überwundene Richtung hat nur deshalb nicht ihren ganzen verderblichen Einfluß, durch Kreuzung der von uns
entwickelten großen wirtschaftlichen Naturgesetze, zu äußern vermocht, weil die Macht der Tatsachen die künstlichen Schranken überall durchlöchert
und das Interesse, wenn auch auf Umwegen und unter allerlei Hemmungen und Benachteiligungen, unablässig zu seinem Recht zu gelangen, bestrebt ist. In bezug auf die Beschränkung der freien Konkurrenz durch
irgendwelche gewerbepolizeiliche Anordnungen und Forderungen, wie wir
sie namentlich seitens der Zunftpartei auf dem Gebiete der Handwerks
industrie angestellt sehen, verweise ich auf das im dritten und vierten Vortrage von mir bereits Entwickelte.
Der ganze Menschenverkehr, die
Möglichkeit der Befriedigung unserer leiblichen und geistigen Bedürfnisse beruht auf Arbeitsteilung und Tausch, von denen das eine ohne das andere nicht denkbar ist.
Die freie Konkurrenz ist die Freiheit der
Arbeit und die Freiheit des Tausches unter einem. In der Freiheit aber, wie überall so auch auf gewerblichem Felde, ist einzig und allein die Möglichkeit der Entwicklung gegeben.
Einen Schutz gegen diese
Freiheit anrufen, heißt die eigene Entwicklungsfähigkeit aufgeben. Wer solchen Schutz in seinem Erwerb bedarf, weil er wirklich nicht anders bestehen kann, verdient nicht zu bestehen, denn es würde ihm dies nur
gewährt werden auf Unkosten aller übrigen, deren Freiheit und Ent wicklungsfähigkeit dann
seinetwegen angetastet werden müßte, wodurch
man sie auf einen gleich niedrigen Stand der Leistungsfähigkeit herunter
bringen würde, wie er selbst ihn einnimmt.
Dazu, zu einer Existenz
auf fremde Kosten, obenein zum Nachteil des Ganzen, hat aber niemand
Schulze-Delitzsch.
116
ein Recht und es widerstreitet dem Staatsinteresse, solchen Prätensionen nachzugeben.
Die Verringerung der gewerblichen Produktivität, der Er
giebigkeit der Gesamtarbeit unter Verteuerung der Arbeitsprodukte wäre die notwendige Folge.
Und welche großen Rechnungsfehler obenein dabei unterlaufen, ergibt
ein flüchtiger Blick. Man will die Produzenten schützen, indem man ihre Zahl beschränkt und meint, ihnen dadurch bessere Preise zu sichern. Ich
will zunächst von der Unmöglichkeit des Systems
gar nicht sprechen,
dessen Durchführung schon darin scheitert, daß gar nicht abzusehen ist, was mit der Menge von Arbeitern werden soll, welche man auf diese Weise in den einzelnen Gewerbsfächern ausschließt.
zwei unbestreitbare Sätze geltend.
Dagegen mache ich
Zunächst: Bedenkt denn niemand, daß
in dem Augenblicke, wo wir eine Menge Leute vom Gewerbebetriebe in
den einzelnen Zweigen ausschließen und so in ihrer wirtschaftlichen Lage
doch
jedenfalls
herunterbringen, wir
nicht bloß die Zahl
der Kon
kurrenten, sondern zugleich auch die Zahl und die Kauffähigkeit der
Kunden vermindern? Wir haben nun z. B. in einem bestimmten Bezirk
100 Produzenten weniger, aber zugleich auch 100 Kunden; wird weniger produziert, so wird auch soviel weniger konsumiert, gebraucht; wie kann sich denn da das Verhältnis für die Produzenten besser stellen? — Darin eben — und dies betonen wir hauptsächlich — liegt das Grundfalsche
dieser Auffassung: daß man die Menschen in zwei Klassen scheidet, in Produzenten
und Konsumenten
und
diese einander
entgegensetzt
mit der Vorstellung, als sorge die Gesetzgebung bloß für die eine oder
die andere,
als
opfere sie
eine der anderen.
Kein Mensch ist bloß
Produzent, ein jeder ist zugleich Konsument, und zwar ohne Aus nahme das letztere in weit höherem Grade, als das erstere.
Welches
Geschäft auch jemand treibt, immer ist er nur eines oder einige seiner Bedürfnisse
durch seine eigenen Arbeitsprodukte oder Dienste zu be
friedigen imstande. Der Tischler macht sich seine Möbel, der Schneider
seine Kleider, der Klempner, der Drechsler mancherlei Gerät, der Weber einzelne Kleidungsstoffe usw., aber wegen der tausend Dinge, welche alle diese Leute noch außerdem bedürfen, sind sie an die Produkte
anderer gewiesen, sind sie Konsumenten. Wozu also müßte eine solche künstliche Preissteigerung in allen Branchen führen, wenn sie überhaupt
durch Beschränkung der Konkurrenz zu erreichen wäre? — Dahin, daß ich zwar durch die höheren Preise meiner Ware eine größere Einnahme hätte, diese aber durch größere Ausgaben, welche mir durch die eben mäßig in die Höhe gegangenen Preise der Waren der anderen erwüchsen,
die ich zu meinem Bedarfs kaufen muß, ausgewogen würde.
Wenn ich
vorher in meinem Geschäft 300 Taler jährlich verdiente und mit diesem
Verdienst meinen und der Meinigen Unterhalt bestritt, nehme ich bei der selben Arbeit jetzt zwar 400 Taler ein, komme aber damit ebenfalls nicht weiter, als früher mit den 300 Talern, weil alles teurer geworden ist.
Davon hat also niemand den geringsten Vorteil, aber freilich denkt sich im Grunde jeder, der von solchen Dingen das Heil hofft, das so: daß
nur er allein in seinem Geschäftszweige vor der Konkurrenz geschützt und dadurch in den Stand gesetzt wird, die Preise seiner Ware hinauf
zutreiben — die übrigen, deren Kunde und Abnehmer er selbst ist, die sollen das beileibe nicht, von denen will er die Sachen so billig wie
früher. — Nun freilich, dann stimmte für ihn die Rechnung allerdings eher, aber wie für die anderen?
Werden diese nicht auch in ihrem
Geschäftszweige die Beschränkung mit demselben Recht fordern? Sie sehen,
das Monopol, das Vorrecht auf dem Gebiete der Arbeit ist nicht durch zuführen.
Von allen Ur- und Grundrechten der Menschheit ist die Frei
heit der Arbeit und des Tausches — das ist die freie Konkurrenz —
das erste und hauptsächlichste, weil es in unsere Existenzfrage eingreist und einem jeden im Bedürfnis und der Arbeitskraft angeboren ist. Ebenso verkehrt sind die Angriffe auf das Kapital, dessen Bedeutung
im Verkehr, dessen Unentbehrlichkeit und segenvolle Bestimmung für die Arbeit wir im zweiten Vortrage gezeigt haben. Die Frucht der Arbeit» strebt das Kapital mit innerer Notwendigkeit der Arbeit wieder zu, um sich in und mit ihr immer von neuem wieder zu erzeugen und zu ver
mehren.
Ohne Anlage in einem produktiven Unternehmen ist es tot,
verzehrt es sich im bloßen Konsum und jene Verbindung allein gibt ihm
seine fortzeugende Macht und gewährt seinem Inhaber eine Rente. Halte man nur das hierbei ein für allemal fest, was wir dort un
umstößlich nachgewiesen haben: a) daß wir durch das Kapital die ganz
unentbehrliche Naturhilfe bei der Arbeit heranziehen; b) daß, je mehr
und je reichlicher uns die Natur dürch ihre Stoffe und Kräfte bei der Arbeit unterstützt, diese letztere um so leichter und ergiebiger wird. Sicher
ist das Kapital eine gewaltige Macht, aber nicht gegen, sondern nur mit, nur bei und in der Arbeit, nur in den Händen des Produzenten,
das haben wir gesehen. lähmen,
Das Kapital in seiner Wirksamkeit hemmen und
heißt also die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit überhaupt
schwächen, heißt bewirken, daß die Arbeit mühevoller wird und weniger hervorbringt.
Daß dies der verkehrteste Weg ist, die Arbeiterfrage zu
lösen, sicht jeder.
Wenn alle mit allem besser und reichlicher versorgt
Schulze-Delitzsch.
118
werden sollen, so muß mehr oder leichter produziert werden als bisher;
das Gesamtarbeitserzeugnis muß ein größeres im ganzen werden, damit jeder davon einen größeren Anteil erhalten könne. Die angedeutete Maß
regel führt nun aber mit Notwendigkeit zum geraden Gegenteil, bewirkt,
daß die Gesamtproduktion sinkt, anstatt zu steigen, daß weniger geschafft wird, statt mehr, daß also die einzelnen nicht besser, sondern schlechter
versorgt werden, als bisher.
Wir verweisen hierbei besonders auf das,
was wir im vierten Vortrage über den sozialen Staat gesagt haben, wo es sich ebenfalls darum handelte, das Privatkapital durch ein großes Staatskapital aus der Industrie zu verdrängen und von den Folgen, die
dies haben müßte, wenn es überhaupt möglich wäre.
In der Tat ist
der Macht des Privatkapitals konsequent auch nur auf dem gedachten
Wege, d. h. dadurch, daß man die Privatindustrie aufhebt und in den
Staat verlegt, beizu kommen.
Zu dem obigen Nachteile, daß wir in der
Bekämpfung des Kapitals die Naturhilfe bei der Arbeit schwächen, tritt also noch der Übelstand, daß wir die Lust zum tüchtigen Schaffen und
Sparen in den einzelnen Arbeitern lähmen, wenn sie dadurch nicht mehr zu
Kapital und Vermögen kommen, und daß wir auf diese Weise der Bildung und dem Wachstum der Kapitalien überhaupt entgegenarbeiten.
Me
lächerliche Chimäre eines ungeheueren, die sämtlichen Privatkapitalien in
der Industrie ersetzenden Staatskapitals, von dem völlig unerfindlich ist,
wo
es
nach
Vertreibung
der
Privatkapitalien
Herkommen
haben wir ebenfalls bei jener Gelegenheit bereits nachgewiesen.
soll,
Nur
von einem großen Staatsdefizit, einem völligen wirtschaftlichen und
sittlichen Bankerott kann
Unfug die
sozialistischen
bei diesem ganzen
Rede sein.
Also der Krieg gegen das Privatkapital ist der Krieg gegen das Kapital überhaupt, und worauf läuft dies hinaus? weisung
der Naturhilfe
—
Empörung
auf
gegen
die
Auf Zurück
wohltätigsten
Naturgesetze — auf Verleugnung der höchsten Bestimmung des Menschen und seiner Arbeit:
zu
die Natur
beherrschen,
Herrn über das Stoffliche zu machen!
ganzen
Gesellschaft,
am meisten
aber den
den Geist zum
Ein Beginnen, welches der Arbeitern
zum Verderben
gereichen müßte, indem es das Erwerbsleben der Nation aller Hilfsmittel
der Zivilisation berauben und uns wieder in die alte Barbarei, bis zur Sklavenarbeit zurückversetzen würde. Etwas so ganz
Unsinniges will nun
bewußter Weise
kein Mensch, der sich die Sache irgend überlegt.
eigentlich
Geht man daher dm
Deklamationen gegen das Kapital auf den Grund, so entstehen sie in
der Regel durchaus nicht aus der Abneigung, mit Kapital zu arbeiten, wenn man solches nur irgend auftreiben könnte, als vielmehr aus dem
Entbehren desselben und aus dem Neide
gegen die, die es haben.
Man sieht den großen Nutzen, welchen es den letzteren gewährt, recht wohl ein, man fühlt deren Überlegenheit im Geschäftsbetriebe, die daraus
hervorgeht, und weil man verzweifelt, jemals selbst zu Kapital zu ge langen, fällt man darauf, es zu beschränken.
Als ob das möglich wäre!
Wir haben es ja in den früheren Borträgen gesehen: „Kapitalmacht
ist Naturmacht".
Niemand bricht sie, niemand vermag die Bedeutung
des Kapitals im Verkehr zu ändern, weil dieselbe auf das innigste mit dem Wesen des Menschen zusammenhängt, der Lage entspricht, in welche
die Natur den Menschen in die Welt gesetzt hat.
Wir sind nun einmal
abhängig von äußeren Einflüssen und Bedürfnissen mancher Art, von
Speise und Trank zum Behufe unseres leiblichen Lebens so gut wie
vom Kapital bei unserer Arbeit.
Man müßte den Menschen
erst um
schaffen, andere Triebe, andere Kräfte in ihn legen, als er von Natur
besitzt, wollte man dies ändern und der Vorschlag: zuschaffen,
damit der Arbeiter
nicht
das Kapital ab
dessen
Sklave
sei, ist
ebenso gescheit, ebenso möglich, als der: das Essen und Trinken ab
zuschaffen, damit der Mensch nicht Sklave seines Magens seil Daß es das Kapital ist, welches, gerade so wie der Magen im leiblichen Organismus, der Arbeit ihre
besten Lebenssäfte zuführt, das — denke
ich — ist jedem von Ihnen klar geworden.
Und zudem möchte ich ein
mal sehen, was aus solchen bedürfnislosen Wesen eigentlich werden
würde, wenn wir eine Partie von ihnen etwa auf
Insel der Südsee aussetzten.
einer abgelegenen
Recht schön, wenn der Mensch von der
Luft lebt, wenn er für Befriedigung seiner Bedürfnisse nichts zu
tun
braucht, — aber das ist ja eben die weise Einrichtung der Natur, daß das Bedürfnis uns nötigt, unsere Kräfte zu gebrauchen, daß wir uns dabei an die Anstrengung gewöhnen, uns aus jener Abhängigkeit möglichst
herauszuarbeiten, und daß unsere Kraft, unser Streben, einmal geweckt, durch die Übung wächst und bald von der Befriedigung der leiblichen Notdurft
zur Lösung der höchsten Kulturaufgaben vorschreitet.
Daran würden
jene bedürfnislosen Wesen, denen der Hauptanstoß zur Anstrengung fehlte,
gar nicht denken, indem es ihnen ja beschieden sein würde, mühelos, die
Hände in den Schoß legend, ihr Dasein zu verbringen.
„Im Schweiße
deines Angesichts sollst du dein Brot essen", dies der alte Spruch
an der Wiege des Menschengeschlechts, der ihm auf diese Weise, anstatt zum Fluche, zum Segen geworden ist.
120
Schulze-Delitzsch. Eine Reihe von Betrachtungen knüpft
sich unwillkürlich an diese
Verkehrtheiten.
Also mein Nebenmann besitzt Kapital und kann sich ein selbständiges
Geschäft mit Vorteil einrichten, ich nicht, daher: Nieder mit dem Kapital, der soll's auch nicht besser haben als ich! — Wird mir dadurch geholfen?
Bekomme ich es
Wenn nun niemand mehr da ist, der
nun besser?
Arbeiter beschäftigen und löhnen kann — wo in aller Welt suche ich
dann selbst mein Brot? — Freilich ist das Kapital, wie alles Vermögen, Das kann aber gar nicht anders sein,
ungleich in der Welt verteilt.
weil diejenigen Eigenschaften und Kräfte, von denen am letzten Ende der Erwerb und das Ansammeln abhängt, von der Natur ungleich unter
den Menschen
verteilt sind.
und Bemittelten
Reichen
Aber ist
denn
neben Armen
das Vorhandensein
und Unbemittelten
von
in einem
Gemeinwesen ein Unglück für die letzteren, namentlich für die Arbeiter? — Sicher sind doch die Reichen die stärksten Konsumenten, die das meiste in allen Artikeln kaufen und am besten zahlen, am meisten Arbeiter in
Nahrung setzen, und jeder Arbeiter wünscht sich Kunden. nicht.
daher möglichst reiche
Das Vorhandensein von Reichen schadet daher den Arbeitern
Am allerwenigsten aber Hilst es
ihnen etwas, wenn man den
Reichtum abschafft. Sogar wenn man die Reichen berauben wollte, wenn man denselben ihren Überfluß nähme, um ihn unter die Armen zu ver teilen — ein Gedanke, der in dem rechtlichen Sinne und der Ehren haftigkeit der deutschen Arbeiter gar keinen Boden hat —, so würde dies
bei Verbesserung der Lage der einzelnen nicht ins Gewicht fallen.
Denn
dadurch könnte man wohl die Reichen arm, aber niemals die Armen reich machen» so gering ist die Zahl der ersteren gegen die der letzteren. Eine
Anekdote
aus
den
Märztagen
von
1848
gibt
mindestens sinnreich.
treffende
eine
Illustration hierzu und wenn sie nicht wahr sein sollte,
so
ist sie
Eine etwas wüste Schar — so wird erzählt —
stößt in jenen Tagen auf den bekannten Rothschild, nimmt ihn in die Mitte und fordert, er solle seinen sprichwörtlich gewordenen Reichtum
zur Teilung
handeln.
herausgeben.
Da hilft kein
„O weh!" er muß unter
„Wie hoch taxieren Sie mich?" fragt er endlich in seiner
Bedrängnis,
und
die Antwort
Millionen Taler!"
lautet
zu
seinem Schrecken:
„Zehn
„Nun gut," ruft er, als man durchaus davon
nichts abläßt, „wenn geteilt werden soll, so können Sie allein doch nicht dabei konkurrieren wollen, dann gilt es für alle!"
ihm ein.
Das räumt man
„Gut denn" — antwortet er — „10 Millionen Taler
auf 40 Millionen Deutsche macht pro Kopf 7'/z Silbergroschen.
Hier ist Ihr Anteil, zehn Taler zusammen, verteilen Sie sie
unter sich."
Dahin geht er, die Leute lachen und die Summe wird
sofort gemeinschaftlich im Wirtshause flüssig gemacht. Aller dergleichen Unsinn, das mache man sich ein für allemal klar,
läuft stets auf den Fehlschluß hinaus: daß, wenn zwei rücksichtlich ihres
ungleicher Stufe stehen und eine Aus
Erwerbs und Haushalts auf
gleichung zwischen ihnen angestrebt wird, diese Ausgleichung in wünschens
werter Weise dergestalt erfolgen könne, daß der Höherstehende auf die niedrigere Stufe des anderen herabsteigen
solle
und nicht umgekehrt.
Ohne Umschweife ausgedrückt: einer hat es gut, der andere schlecht.
Der letztere möchte sich gerne ebenso befinden wie jener, gleichstehen dem ersteren.
Hilft es ihm aber etwa dazu, erreicht er diesen Zweck, wenn
man den ersteren dahin bringt, daß er es auch schlecht hat?
Der frühere
freilich weg, gleich stehen sich nun beide, aber
Unterschied fällt nun
nicht gleich gut, sondern gleich schlecht
und wem kann damit gedient
sein? — Daß diese Gleichheit kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt wäre, der in seiner Konsequenz die menschliche Gesellschaft zum all
gemeinen
Elend
müßte,
führen
fällt in
gehemmten Erwerbsquellen, bei aufsteigendem
die Augen.
Bei un
allgemeinem
Wohlstände
ist die Gleichheit der einzelnen im Vermögen nicht möglich.
Stellt man
sie heute mit Gewalt her, so würde sie schon morgen nicht mehr bestehen,
indem die einzelnen den allerverschiedensten Gebrauch von ihrem Anteil machen würden.
Der bekannte Zwiesprach der beiden Kommunisten
trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf, indem der eine dem anderen
aüf die Frage: „gesetzt, es wäre geteilt unbj wir hätten nun alle gleich
viel und ich spare meinen Anteil und du vertust den deinigen — was wird denn da?" antwortete: „dann teilen wir wieder!"
b) Der rechte Weg zum Ziele. Wenn wir uns auf diese Art, so eingehend, als es uns der Raum dieser Borträge erlaubte, mit den falschen Wegen beschäftigten, welche man
hier
und
da
betreten
kommen wir dem Kernpunkt
demnächst in
Betracht
zu
hat,
oder
den
Arbeitern
empfiehlt,
der Frage nunmehr näher und
ziehen:
welche
Bahnen
dann
bleiben, in welche die Arbeiter mit Aussicht auf Erfolg
noch
so
haben
offen
einzulenken
haben werden. Ich rekapituliere vor allem hier folgende Hauptsätze, die wir in
unseren gemeinsamen Erörterungen gewonnen haben, als leitend für die
weiter innezuhaltende Richtung.
122
Schulze-Delitzsch. 1. Zuvörderst steht es für uns fest: daß der Staat durch seine
Dazwischenkunft die Arbeiterfrage nicht zu lösen vermag, daß er uns
durch seine Einrichtungen nur die Lösung
erleichtern
oder erschweren
kann. Die Frage ist keine politische, sondern eine wirtschaftliche. Ein Übel auf wirtschaftlichem Gebiete muß man aber mit wirtschaftlichen
Mitteln bekämpfen, nicht mit politischen, und niemals wird man Miß stände heben, wenn man die Dinge ihren natürlichen Beziehungen und
ihrem Zusammenhangs entrückt.
Die Krankheit irgendeines Organismus,
hier also des wirtschaftlichen, kann niemals von außen durch irgendwelche
Wundermittel, sondern nur durch Belebung und Stärkung der inneren Kräfte des Organismus selbst, durch Herstellung des gestörten Gleich
gewichts
mittels der energischen Reaktion der
eigenen Natur,
geheilt
werden. 2. Nun sind aber die Träger dieses wirtschaftlichen Organismus, wie er sich in den tausendfach verschlungenen Verkehrsbeziehungen der
aufbaut,
die
menschlichen
Gesellschaft
Menschen.
Um sie und durch sie bewegt sich hier alles, wird der ganze
Apparat in Bewegung gesetzt.
die
einzelnen,
lebendigen
Die physische Lebensnotdurft, das
ist der Punkt, um den sich die Frage dreht, die leibliche Existenz, und
eine andere als die Einzelexistenz kennt die Natur in dieser Beziehung
nicht. Im einzelnen Menschen treten die Bedürfnisse auf, und zwar in jedem verschieden, verschieden in Richtung und Stärke, in Maß und
Ziel, wie es die Eigenart (Individualität) mit sich bringt, vermöge deren
sich jeder Mensch von dem anderen unterscheidet.
Und wie mit den Be
dürfnissen, verhält es sich auch mit den Kräften, aus deren Anstrengung
allein die Befriedigung der ersteren hervorgehen kann. Natur in die einzelnen gelegt, jeden
Auch sie hat die
besonders und verschieden von
anderen damit ausgestattet, sie höchst ungleich verteilt.
Niemals kann
man daher die Menschen zum Behuf der Versorgung mit ihrem Lebens
bedarf in eine unterschiedlose Masse zusammenwerfen und das, was jeder
in dieser Beziehung zu beanspruchen, sowie das, was er dafür zu leisten hat, nach einem allgemeinen Durchschnitt feststellen.
Wir sind keine
Dutzendwesen, keine bloßen Zahlenergebnisse, die man erst zu beliebigen
Summen
zusammenaddiert,
um
hernach durch
beliebige Division
be
liebige Größen daraus zu bilden. Die Natur hat nun einmal die beiden
Faktoren des Vorganges, Bedürfnisse und Kräfte, in das Einzelleben verlegt und somit den Wechsel unserer Existenz auf uns selbst gezogen, jeden damit auf sich selbst angewiesen und ihm überlassen, die Bilanz seines Daseins zu ziehen.
Das Verlegen dieser Ausgleichung aus dem
einzelnen heraus ist daher unmöglich, und jeder Versuch dazu ein An tasten der Individualität, der Grundform unseres Wesens, ein Lähmen der natürlichen Antriebe und Kräfte der einzelnen, außer welchen es doch nichts in der Welt gibt, womit man die Sache überhaupt anfassen könnte.
So bleibt denn nichts übrig,
als bei Lösung der Aufgabe mit den
Individuen, mit Entwicklung und Ausbildung alles dessen in den ein zelnen zu beginnen, wovon das Gelingen der wirtschaftlichen Bestrebungen,
der Erfolg im Bereiche des Erwerbs abhängt.
Das einzig richtige Ziel
dabei ist und bleibt, die Menschen zur Selbsthilfe zu erziehen.
Pflege der geistigen, sittlichen
Die
und körperlichen Anlagen, Beibringung
nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten, Gewöhnung an Sparsamkeit, Fleiß und tüchtige Lebenshaltung, darauf kommt es vor allen Dingen an. Sollen sich unsere Umstände, unsere Lage bessern, so müssen wir zu erst mit uns selbst beginnen.
haftes
in
unseren
Es gibt nicht leicht etwas Mangel
Zuständen, was sich nicht irgendwie
auf
Mängel
in uns selbst zurückführen ließe, und es wird nicht eher besser in der
Welt, als bis die Menschen besser geworden sind an Einsicht und Willens
kraft, an ernstem Streben und Sitte.
Das, meine Herren, wollen wir
vor allem uns tief ins Herz schreiben. 3. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen regeln sich eben so, wie alle anderen von der Natur gegebenen Verhältnisse, durch gewisie
in ihrem innersten Wesen begründete ewige Gesetze.
Davon, daß man
diese Naturnotwendigkeiten erkennt, sich ihnen in seinem Tun fügt und
sie für sich benutzt, hängt aller Erfolg, alles Gedeihen im Erwerbe und Haushalt ab.
Wie der Landmann den Wechsel der Jahreszeiten, den
Einfluß der Witterung, die Bedingungen des Pflanzenwachstums über haupt und der Feldfrüchte insbesondere, der Züchtung und Ernährung seines Viehes und dergleichen kennen muß, wenn er im Ackerbau und
der Landwirtschaft vorwärtskommen will, so der Industrielle, der Arbeiter
die Gesetze, wonach sich Produktion und Konsumtion, Tausch und Wert, Kapital und Kredit u. a. m. regeln.
Nach dieser Kenntnis seine Tätigkeit
regeln, die Mächte, von denen der Erfolg abhängt auf diesem Felde,
benutzen, nicht sie bekämpfen, nicht Kraft und Mittel in dem vergeblichen Ver suche zersplittern, jene Einflüsse außer Wirksamkeit zu setzen, die Natur der
Dinge zu ändern, darauf sind alle Bestrebungen zu richten, um die Erwerbs zustände, die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern. Von diesen allgemeinen Grundsätzen ausgehend, treten wir der Auf gabe in ihren Einzelheiten näher und gelangen dabei zu folgenden Haupt gesichtspunkten:
124
Schulze-Delitzsch.
Die erste Forderung, welche überhaupt bei einem wirklich praktischen Angriff der Sache gestellt werden muß, ist: die Vermehrung der Gesamtgütermasse, des Gesamt vermögens der Nation. Da wir, wie schon mehrfach angeführt wurde, bei der ganzen Angelegenheit davon ausgehen, daß ein großer Teil der Menschen nicht genügend mit den zum Leben erforderlichen Gegenständen versorgt ist, so muß man eben zunächst auf Vermehrung der Gesamt masse der den Gesamtbedarf deckenden Befriedigungsmittel wirken, weil es ohnedies nicht möglich ist, den einzelnen größere Anteile daran behufs
besserer Versorgung zu Gebote zu stellen. Diese Vermehrung der zur Befriedigung der Bedürfnisse aller bestimmten Arbeitsprodukte und
Leistungen hängt nun unbestritten von der Steigerung der Produktion ab, welche wiederum, wie wir zur Genüge nachgewiesen haben, bedingt ist: a) durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arbeit bei den einzelnen, b) durch das Wachstum der Privatkapitalien. Alles, was auf Förderung eines dieser Momente abzielt, trägt mittelbar zur Lösung der sozialen Frage bei. Große Erfindungen, neue Entdeckungen auf dem Felde der Industrie, welche die Arbeit leichter und ergiebiger, die Produktion wohlfeiler machen, schlagen zuletzt notwendig zum Vorteil aller aus, wenn auch eine Zeitlang der Erfinder allein sie für sich
ausbeutet. Ebenso die Ansammlung großer Kapitalien. Wie eigensüchtig auch in manchen Fällen die Inhaber derselben erscheinen, kommen sie doch mit Notwendigkeit dem industriellen Aufschwung zustatten, müssen sie in produktiven Unternehmungen ihre Anlage suchen, sollen sie nicht tot liegen, ihren Besitzern keine Rente gewähren. Wie wir daher jeden Forffchritt in dieser Hinsicht als segensreich für die Arbeiter mit allen Kräften zu unterstützen haben, so müssen wir uns allem Ankämpfen dagegen, jeder Hemmung des industriellen Fortschritts, wie sie namentlich mit Beschränkung der freien Bewegung in Arbeit und Erwerb zutage tritt, jeder Anfeindung des Kapitals, welche dessen An wachsen hemmt, als unheilvoll widersetzen, indem durch all dergleichen Maßregeleien und Eingriffe des Staates und bevorrechteter Klassen die Entwicklung von ihren natürlichen Bahnen verschlagen und ein Zustand
herbeigeführt wird, den niemand mehr zu beklagen haben würde, als die Arbeiter. Ist sonach in der Vermehrung der Befriedigungsmittel durch die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Arbeit die erste notwendige Vorbedingung der bessern Versorgung aller mit allem gegeben, ohne welche die letztere überhaupt nicht denkbar ist, so handelt es sich sodann wesentlich um die
Verteilung dieser Gütermasse, um die Frage: wie der dem seinem
Bedürfnis
entsprechenden Anteil
einzelne zu
gelangt.
Als
durchgreifend wird man hierbei, nach den von uns angenommenen Grund sätzen, eben nur die Regel hinstellen können: datz der Anteil des einzelnen
an dem Gesamtprodukt, das, was dem einzelnen an Befriedigungsmitteln, an Genüssen davon zur Verfügung gestellt wird, sich im allgemeinen richtet nach seinem Anteil an der Gesamtproduktion, nach dem, was er zur Erzeugung der fraglichen Gütermasse beiträgt, nach dem Wert,
zu welchem seine Tätigkeit dabei in Anschlag kommt. seinen Leistungen" lautet hier der Spruch.
„Jedem nach
Die Leistung, nicht das
Bedürfnis, greift hier durch, soll nicht die menschliche Gesellschaft in
kürzester Frist zahlungsunfähig, der
ganze wirtschaftliche Organismus
zerrüttet werden, die Ausgabe die Einnahme, die Ansprüche an die Be friedigung die Möglichkeit derselben übersteigen.
In der individuellen
Leistungsfähigkeit ist dem individuellen Bedürfnis die natürliche Schranke
gezogen und das ist die wirtschaftliche und sittliche Aufgabe jedes ver nünftigen Menschen, seine Bedürfnisse nicht über seine Kräfte hinaus wachsen zu lassen, vielmehr unablässig bestrebt zu sein, daß mit ihrer
Steigerung die Entwicklung seiner eignen Fähigkeiten und Fertigkeiten
Hand in Hand gehe.
Daß bei normal menschlicher Organisation die
Erhaltung eines solchen Gleichgewichts von Sollen und Können im all
gemeinen von der Natur vorgesehen ist, haben wir schon mehrfach aus geführt.
Wo aber in einzelnen Fällen ausnahmsweise einmal es an der
zur Selbsterhaltung nötigen Befähigung vorübergehend oder auf die Dauer fehlt, tritt die Übung jener Liebespflichten ein, von denen wir
im letzten Vortrage sprachen, die wir aber niemals als Grundlagen für das Erwerbsleben der Menschen anzuerkennen vermögen.
Hinsichtlich der Bemessung des Anteils der einzelnen nach deren Leistungsfähigkeit drängt sich uns nun die durchgreifende Wahrnehmung
auf, daß dabei vorwiegend
die
geistigen Faktoren der Arbeit Berück
sichtigung finden. Intellektuelle und sittliche Tüchtigkeit, insbesondere Bildung und Kenntnisse, Übersicht und Energie, Unternehmungsgeist und
Spekulationsgabe usw. verwerten sich weit höher, als bloß körperliche An lagen und Fertigkeiten.
Der Entwicklungsgang der neuern Industrie,
wir wiederholen es, ist einmal der Art, daß mittelst sinnreicher Ver
standeskombinationen mehr und mehr die bloße Muskelanstrengung er setzt wird, und wir haben bereits nachgewiesen, wie wohltättg im ganzen dieser Vergeistigungsprozeß der Arbeit auf die Arbeiterzustände
zurückwirkt.
Je mehr
sich daher jemand bei dem geistigen Teil der
Schulze-Delitzsch.
126
Arbeitsaufgaben beteiligt, je mehr Einsicht, Verstand und Kenntnisse er
bei seinen Funktionen aufwenden muß, im Gegensatz zu bloß körperlicher Anstrengung, desto höher ist im Durchschnitt sein Lohn, das können Sie überall wahrnehmen.
Die intellektuelle und sittliche Hebung eines
Menschen bewirkt daher in der Regel auch die wirtschaftliche.
Je
eifriger jemand für seine Bildung sorgt, je mehr Kenntnisse er sich ver
schafft, je unablässiger er an der Ausbildung seiner sittlichen Eigenschaften arbeitet, desto besser sorgt er für sein Fortkommen, seinen
Je
höher
Unterhalt.
also der Anteil ist, den sich ein Dkensch von dem großen
geistigen Gesamtkapital der Menschheit an Kenntnissen, Erfahrung und Sittigung erringt, von welchem wir beim Schlüsse des zweiten Vor
trages
sprachen,
auf einen
desto
größern
Anteil
am
sachlichen,
am
Geistiger Besitz
materiellen Kapital hat er für seine Person Aussicht.
verhilft zu materiellem Besitz, zu Vermögen, wenn er nur irgend ordent lich verwertet wird.
Die Bildungsstrebungen also sind es, mit denen wir vor allen Dingen anfangen müssen.
Hier ist der Punkt, wo noch vieles gar sehr
Mangelhafte in den Arbeiterzuständen auszugleichen ist.
selbst
dies
zum
großen Teile
Daß die Arbeiter
begriffen und werktätig bie Hand zur
Besserung hier angelegt haben, ist eines der erfreulichsten Zeichen
Zeit.
Aus ihm schöpfen die wahren Freunde der Arbeiter
der
stets
neuen Mut für das endliche Gelingen, allen den verkehrten und haltlosen Projekten gegenüber, mit denen man sich bemüht, die Arbeiter von dem
allein
richtigen Wege zu verlocken, um sie für persönlichen Ehrgeiz und
gewisse unlautere politische Bestrebungen auszubeuten,
welche nur dazu
führen, unsere gesamte Entwicklung auf humanem, staatlichem und wirt
schaftlichem Gebiet unausbleiblich der Reaktion in die Hande zu spielen. Aber dem beugen die Tausende von Arbeiterbildungs- und volks
wirtschaftlichen, von Handwerker und Gewerbevereinen vor, die
ihr Netz über das ganze deutsche Vaterland bis in die kleinsten Provinzial
städte hineingezogen haben.
Indem sie nützliche Kenntnisse und gesunde
Anschauungen in allen Schichten des Volkes verbreite«, befähigen sie mehr und mehr ihre Mitglieder zum
solchen
Angelegenheiten.
eignen Denken und Urteilen in
Wie erfreulich
ist
die außerordentliche Be
teiligung von Alt und Jung aus den Reihen der Arbeiter an diesen
Vereinen, mit welcher Aufmerksamkeit, mit welchem Ernst nehmen wackeren Leute in sich auf, was ihnen da geboten wird!
die
Ohne sich zu
bedenken, widmet man die wenigen Erholungsstunden einer neuen, oft
nicht minder schweren Arbeit, dem Lernen, und bringt
oft nicht un-
ansehnliche Opfer an Geld dazu, um sich die Fortbildung in manchen
Fächern des Wissens zu ermöglichen. In der Tat hat die Bildungs fähigkeit und der Bildungstrieb der deutschen Arbeiter in der
ganzen bisherigen Bewegung sich so glänzend bewährt, daß an der vollen humanen Ebenbürtigkeit derselben niemand mehr zu zweifeln berechtigt ist, daß ihnen die Sympathien aller vernünftigen Menschen gewiß sind. Indessen wieviel auch auf dem Bereinswege, aus der Mitte der Arbeiter selbst heraus, hier geleistet wird, so ist doch, sollen diese Be strebungen ihre volle Frucht tragen, noch eine Ergänzung nötig, die ihnen erst die rechte Grundlage gibt, von feiten der Volksschule nämlich. Und hier ist es, wie wir schon im letzten Vortrage andeuteten, die Ein wirkung des Staates, die wir beanspruchen müssen. Damit kommen wir keineswegs mit unserer Abwehr der Staatseinmischung in die Er werbsfrage in Widerspruch. Nicht bloß, weil tatsächlich der Staat die Volksschule bei uns besitzt, stellen wir die Forderung der Hebung der selben an ihn. Wie wir seine Einmischung in die Privatangelegenheiten selbständiger Menschen (und dazu gehört für uns die Erwerbsfrage), wie wir die Bevormundung Mündiger zurückweisen, so fordern wir sein Eintreten, seinen Schutz für die, welche nach dem Laufe der Natur noch nicht selbständig sind und sein können, besonders behufs der Er ziehung zur Selbständigkeit. Gewiß liegt auch hier die nächste Pflicht der Obsorge für die hilflose Kindheit und das jugendliche Alter den Eltern und Angehörigen ob. Aber wie der Staat die Sorge für Unter halt und Ernährung ihrer Kinder den Eltern als Zwangspflicht auf legt, damit die hilflosen Wesen nicht leiblich verkommen, so hat er diese Pflicht unbedingt auch auf die geistige und sittliche Entwicklung der Kinder auszudehnen, damit dieselben nicht der Verwahrlosung anheim fallen und dadurch zur Aufgabe der sozialen Selbstsorge, die der Staat von seinen Angehörigen verlangen muß, wenn er bestehen will, sowie zur Erfüllung aller übrigen Bürgerpflichten von Haus aus un tauglich werden. Das Recht auf Erziehung betrachten wir als das erste aller Grundrechte des Menschen, mit seinem Eintritt in die Welt
beginnend, welches in jedem zivilisierten Gemeinwesen geschützt werden muß. Deshalb verlangen wir den Schulzwang und die Obsorge des Staats für die Schule als ein politisches Recht und eine politische Pflicht. Zur Freiheit und Selbständigkeit — Sie wissen, daß man beides nicht trennen kann — muß der Mensch erzogen werden; jemandem im
hilflosen Alter diese Erziehung verkümmern, ist ein Attentat auf das Menschentum, dem der Staat entgegenzutreten hat, so gut wie einem Mord.
128
Schulze-Delitzsch.
Darum fordern wir, daß der Staat mehr tue für die Schule, als bisher,
besonders auch für die Lehrer, die würdigste und am schlechtesten belohnte
Arbeiterklasse in der Welt.
Keine Stätte der Umkehr der Wissen
schaft soll man aus ihr machen, sondern eine Stätte des Fortschritts,
wie ihn die Bildung der Zeit verlangt.
Die Leute können heutzutage
gar nicht zuviel lernen, selbst wenn man nur den nächsten Lebensberuf im Auge hat, dem sie zum Behufe ihres Unterbalts sich zuwenden.
Eben
in der Schule, in der ersten Jugendbildung empfängt der einzelne das
ihm als Mensch gebührende Erbe, den Anteil an jenem großen geistigen
Gesamtkapital, von dem wir sprachen, welcher bei rechtem Gebrauch, am sichersten
von allen Mitteln,
auch
weiter zu
materiellem Besitz
verhilft. Die Wahrheit, das Zutreffende dieser Sätze bewährt sich täglich im
wirklichen Leben vor unseren Augen.
Fortwährend sehen wir sowohl
Kleinmeister wie eigentliche Lohnarbeiter aus der beschränktesten Lage sich durch Tüchtigkeit und Beharrlichkeit heraufarbeiten zu den ersten Stellungen in
der
Herren
Industrie, zu
Leitern
der großartigsten
Unternehmungen,
zu
eines bedeutenden Vermögens, oder doch wenigstens zu einem
gesicherten Wohlstand.
Dagegen nehmen wir ebenso oft wahr, daß die
Söhne begüterter Familien, in die günstigste Lage beim Beginn ihrer Laufbahn versetzt, durch Untüchtigkeit, Schlaffheit, Verschwendung von ihrem Reichtum herabsinken und entweder ganz verkommen oder wieder von vorn anfangen müssen.
So entsteht ein fortwährender Wechsel, ein
Schwanken in der äußern Lage unter den auf die Industrie Angewiesenen,
vom großen Unternehmer bis zum schlichtesten Arbeiter, welches sich un
mittelbar aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur erklärt.
Gewiß
ist dieses Emporarbeiten zu einer höhern sozialen Stellung mit großen
Schwierigkeiten verbunden, darüber wird sich niemand täuschen.
Aber
gerade deshalb sehen wir die Aufgabe von denen, die sich ihr ernstlich
unterziehen, in so überraschender Weise gelöst.
Der Mensch ist nun ein
mal so geartet, daß sich einerseits seine ganze Leistungsfähigkeit nur da
vollständig entwickelt, wo man ihn einzig auf die eigene Kraft verweist
und diese in harten Proben stählt.
Andrerseits tritt, wo diese Nötigung
von Haus aus wegfällt, wo im Besitz ererbter Mittel der Genuß ohne Anstrengung zur Gewohnheit wird, nur gar zu leicht im Genügen des Erworbenen das Streben nach Erwerb zurück, die Genußsucht überwuchert
die tätige Kraft, und die Folge davon ist Erschlaffung und Demoralisation. Wer erkennt nicht eine gewisse gerechte Ausgleichung in dieser Einrichtung
unserer Natur zwischen den Höhen und Tiefen der Gesellschaft, welche
wir so
sich
einander berühren, ineinander übergehen
sehen
und wie
wohltätig wirkt dieselbe für den menschlichen Haushalt im allgemeinen!
Darnach hat das Vermögen, der Besitz, welcher nun einmal, als Aus stuß der freien Persönlichkeit, seine volle Wirksamkeit zum Besten der
Gesamtheit nur in den Händen der einzelnen äußern kann, ganz von selbst
die
Tendenz,
das
stetige Streben,
in
ungeschickten Händen zu
zerrinnen, sich ihnen zu entziehen, um in geschicktere überzugehen.
daß dem so sei und bleibe,
dabei
sind
wir alle
Besitz ist Macht, so gut wie Bildung,
Und
gar sehr interessiert.
und wir wünschen, daß die
Macht, die soziale wie die politische, sich bei denen befinde, welche sie
recht zu
benutzen wissen
und
sie
nicht mißbrauchen. —
Mit dieser
Folgerung sind zugleich alle Diaßregeln verurteilt, welche dies natürliche
Gesetz unwirksam zu machen sich bemühen, wie die neuerlich wieder auf gelebten Versuche der Feudalpartei, durch Fideikommisse und ähnliches
den großen Grundbesitz in den Händen ihrer Nachkommen, auch bei deren gänzlicher Unfähigkeit und Unwürdigkeit, zn erhalten — Bestrebungen,
welche ebensosehr dem öffentlichen Wohle widerstreben, als die Entartung derer, welche man durch Entziehung der freien Disposition gegen sich
selbst zu schützen unternimmt, nur befördern.
Haben wir im Vorstehenden auf den täglichen Vorgang des Empor steigens über und des Niedersinkens unter ein gewisses Niveau, einen
bestimmten Mitteldurchschnitt der
wirtschaftlichen Lage, die Blicke ge
richtet, so werden wir uns freilich dabei nicht verhehlen, daß es im Ver
hältnis zu der großen Zahl der Arbeiter immer nur wenige von der Natur und den Verhältnissen
besonders Begünstigte sind, die auf diese
Weise zum Ziele gelangen, daß also noch irgend etwas hinzutreten muß,
wenn wir die Hebung der arbeitenden Klassen im allgemeinen
erstreben.
Indessen zeigt uns der Vorgang doch, eben an der Weise, wie
die einzelnen emporgekommen sind, diejenigen Mittel und Kräfte, mittelst
deren man überhaupt emporkommen kann.
erfahren haben, die Bedingungen
Da nun, wie wir sattsam
des wirtschaftlichen Gedeihens
keine
willkürlich neu zu erfindenden sind, sondern mit innerer Notwendigkeit im Wesen des Menschen, in seiner Stellung in der Welt begründete, so müssen uns jene Beispiele als Muster für alle stets vor Augen schweben.
Die Aufgabe kann daher nur dahin gefaßt werden:
„eine Auskunft zu
finden, welche jene Bedingungen des Gelingens, wie sie nur selten bei
einzelnen Arbeitern zusammentreffen, möglichst verallgemeinert und das, was sonst nur besonders Begabten zu erreichen beschieden war, auch den mittelmäßig Begabten zugänglich zu machen." Schulze-Dclitzsch, Schriften und Reden. II.
9
Schulze-Delitzsch.
130
Die Auskunftsmittel aber haben wir in der freien Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaft, wie sich dieselbe seit länger als 30 Jahren
in den Ländern, wo die gewerbliche Arbeit am meisten vorgeschritten ist, Ausgehend von dem uralten Satz, dem wir schon so
ausgebildet hat.
Großes danken in der Geschichte, von der Vereinigung der Kräfte, hat sie bereits in den Anfangsstufen ihrer Entwicklung so bedeutendes geleistet,
daß man
in ihr jenes ausgleichende Moment zu suchen be
rechtigt ist, vermöge dessen
der allgemeine industrielle Fortschritt mit
seinen unleugbaren Segnungen für die Gesamtheit nicht um den Preis
des industriellen werden muß.
Wohlergehens zahlreicher
Bevölkerungsklassen erkauft
„Was du nicht allein vermagst,
dazu verbinde
dich mit andern, die das gleiche wollen", und: „mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine Großkraft"; dies die einfachen Wahr heiten, welche die Genossenschaft auf wirtschaftlichem Felde zu verwirk
lichen strebt.
Und in der Tat hat sie ihre Kraft bewiesen.
bestritten „Kapital"
und
Wenn un
„Intelligenz" die beiden Faktoren allen
Erwerbs sind; wenn beide in der neuern Industrie bei deren Zuge zu großartigen Etablissements in
immer größerem Maße zu einem
selb
ständigen Unternehmen erfordert werden: so hat sich gerade hier, in ihrer
Vermittlung für die Arbeiter, das genossenschaftliche Prinzip über Erwarten bewährt.
Zunächst kommt dabei schon das einfache Zusammen
schließen des Kleinbesitzes der einzelnen Genossen in Anschlag, indem die
Summe von Einsicht
und Erfahrung sowie von materiellen Mitteln,
welche alle zusammen besitzen, wodurch jeder
den andern
bei dem ge
meinsamen Unternehmen ergänzt, natürlich größer ausfällt, als die Einzel anteile, und dennoch jedem einzelnen in der Gesamtheit mit zustatten kommt.
Indessen fast noch wichtiger als diese Vereinigung des wirklich
bei den Genossen Vorhandenen an Intelligenz und Kapital ist das Herbei
ziehen, das Dienstbarmachen fremder Intelligenz und fremden Kapitals für die Genossenschaftszwecke. Indem in der Gesamthaft der Genossen, in dem gegenseitigen Übertragen des Ausfalles einzelner, eine Kredit-
basis gewonnen wird, welche fremdes Geld herbeilockt und ein gegebenes Darlehn als ein sicheres Geschäft erscheinen läßt, ist in diesem Gewinnen
ausreichender Mittel zugleich die Möglichkeit gegeben, auch dem unmittel baren Arbeiterkreise nicht angehörige Persönlichkeiten von vorzugsweiser Befähigung in den Verband
sichern.
hereinzuziehen
und sich ihre Dienste zu
Und indem die Genossenschaft einerseits dem in seinem Einzel
betrieb verharrenden Kleinmeister soviel als möglich
die Vorteile des
Großbetriebs zugänglich macht, andererseits den Lohnarbeitern durch
das Zusammentreten die gemeinsame Produktion im großen ermöglicht, bietet sie den einen zur Behauptung, den anderen zur Erreichung
der gewerblichen Selbständigkeit das einzig erprobte Mittel.
In
dem wir jedoch das Nähere hierüber, das Eingehen auf die Organisation
und die Wirkungen der Genossenschaft, auf ihre einzelnen Arten und Formen und die von denselben erreichten Resultate, dem nächsten Vor trage Vorbehalten, fügen wir hier nur noch einen flüchtigen geschichtlichen
Rückblick hinzu, auf den Gang, den die Dinge im allgemeinen auf diesem
Gebiete genommen haben. Und wer möchte da
leugnen und verkennen, daß mit der fort
schreitenden Kultur die Lage der Arbeiter sich im Laufe der Jahrhunderte fortwährend verbessert hat? durch
Vom Sklaventum, dem Jahrtausende hin
bis zum Mittelalter hin die gewerbliche Arbeit in West-
und
Mitteleuropa aufgebürdet war (wie sie es ja im Orient, in Teilen von Amerika usw. zum Teil noch ist), bis zur Leibeigenschaft und Hörigkeit, von der Geburtskaste bis zur Gebundenheit an die Scholle hat sich die Gewerbstätigkeit durch alle Grade der Unfreiheit durchringen müssen, bis
der Arbeiter endlich als freier Bürger des Staats bei uns anerkannt
worden ist.
Und wieviel auch jetzt noch an seiner sozialen Stellung auf-
zubessern bleibt, eins ist gewiß: der schroffe Gegensatz, die tiefe Kluft in bezug auf Bildung, Sitte und Lebenshaltung, die noch vor 50 Jahren
den größeren Teil der Arbeiter von den besitzenden Klassen in einer Weise schieden, daß es zwischen beiden geradezu an jedem geistigen Be
rührungspunkte gebrach, weichen mehr und mehr.
sich immer
bewußer
am geistigen Leben
Nationalliteratur sind ihnen nicht
Die Arbeiter beteiligen
der Zeit.
Die Schätze der
mehr verschlossen, feinere Genüsse,
edlere Vergnügungen in jenen volkstümlichen Sangvereinen und Lieder tafeln, jenen Turn- und Waldfahrten, führen sie mit den übrigen Gesellschaftsfchichten zusammen.
Woran noch vor 20 bis 30 Jahren nicht
zu denken war — man geht miteinander um, ein geselliger Verkehr ist ermöglicht.
einander
Mehr und mehr lernt man das Menschlich-Gemeinsame an
achten,
und
gegenseitige Beziehungen entwickeln sich daraus,
fruchtbar für alle Teile.
Und da wir erst am Anfänge aller dieser Be
strebungen stehen, die Zeit, seit welcher entschieden dahin eingelenkt ist,
kaum einige Jahrzehnte hinter uns liegt, so ist gar nicht abzusehen, wie
weit die so begonnene Ausgleichung noch führen wird. Fragen wir, was hauptsächlich der politischen Emanzipation des
Arbeiters, welche
der sozialen
notwendig vorhergehen mußte,
da die
Arbeiterfrage nur mit freien Arbeitern, niemals mit Sklaven oder Leib-
132
Schulze-Delitzsch.
eigenen gelöst werden kann, die Bahn gebrochen hat, so ist es wiederum die Genossenschaft.
Mittelst der Einigung in Zünfte hat ein Teil
der Arbeiter in den germanischen Kern- und Mischvölkern im Mittelalter sich aus der Hörigkeit zum freien Stadtbürgertum emporgeschwungen
und so den ersten Keim des modernen Staatsbürgertums gelegt. Überall begegnen wir diesem genossenschaftlichen Zug bei den Germanen, in den alten Kampfverbrüderungen wie in diesen politischen Einigungen
der Zünfte, die trotz aller Verbote in den Reichsgesetzen sich behaupteten, und ihren Genossen Rechtsschutz und die Mitregierung in der Stadt
gemeinde
verschafften, auch
Freilich war das
dafür
mit
gewaffneter
Hand
einstanden.
festeste Aneinanderschließen ihrer Mitglieder nötig,
wollten sie ihre politische Aufgabe in jenen unruhigen, kriegerischen Zeiten
durchsetzen, und dies machte sie natürlich exklusiv, sich abschließend nach außen.
Es war nun einmal der Staat der Vorrechte, der Stände
staat, in welchem das Recht nur in Form des Vorrechts, des Privi
legiums, zur Erscheinung kam, und niemand hatte auf Rechtsschutz An spruch, der eben nicht einer solchen privilegierten Körperschaft angehörte.
Daher wurde
jener Teil der Arbeiter, die Handwerker, selbst ein
Stand und mußte es werden, wollte er überhaupt zu seinem Rechte kommen. Daß diese Aufgabe der Zünfte in der Gegenwart erloschen ist, und daß es im Gegenteil heutzutage darauf ankommt, die letzten Über bleibsel von Privilegien zugunsten bevorrechteter Klassen aufzuheben und
den alten Ständestaat vollständig in den Rechtsstaat mit der Gleich
vor
heit aller
dem Gesetze aufzulösen, habe ich bereits früher gesagt.
Deshalb hat man die Einigung vom politischen auf das wirtschaft liche Gebiet überzutragen, wohin die Arbeiterfrage gegenwärtig gediehen
ist, und hier begrüßen wir sie in der Form der Arbeitergenossenschaft, welche den Zwang, die strenge Gebundenheit und Abgeschlossenheit, wie
sie der politische Charakter der alten Zunft, wie sie das Rechtsleben des
Mittelalters mit sich brachten, abgestreift und in der Freiheit, in der
Gruppierung je nach den wechselnden Interessen ihrer Teilnehmer, das
belebende Element gefunden
hat,
welches sie zu einem so wertvollen
Ihr gegenüber führt die
Gliede des wirtschaftlichen Organismus macht.
Zunft
nur
gestorbenen
schlägen,
noch
ein
klägliches
Einrichtungen stets
von
ihrem
Wie
Scheinleben.
eigentlichen Prinzip
gänzlich
wir bei ihr, anstatt der politischen Selbsthilfe, anstatt losigkeit,
der
Selbstbefreiung
gegenwärtig
weiter
es
solchen
ab
ergeht, daß sie in ihr Gegenteil Um
der
Arbeiter
nichts,
als
aus ein
abfallen, so der sie der
entsprang,
alten
Bekenntnis
sehen
der
Recht
Wirt-
schaftlichen Hilflosigkeit und Ohnmacht, ein fortwährendes Betteln um Staatsschutz. Weder die Zünftler im Bunde mit der feudalen Reaktion,
noch die Sozialisten, denen sich die Sympathien unserer sogenannten Konservativen ebenfalls in bemerkenswerter Weise zuwenden, sollen die deutschen Arbeiter jemals auf diesen unseligen Weg verlocken. Wer von einem andern, und sei es der Staat, Unterstützung anspricht, der räumt diesem die Obmacht, die Aufsicht über sich ein und verzichtet auf seine Selbständigkeit. Das wäre ein Aufgeben seiner selbst, ein Ver zweifeln an der eigenen Kraft, um so verkehrter, um so grundloser, als ja die Beweise in den Genossenschaften geführt sind, daß sich die Arbeiter recht wohl selbst zu helfen vermögen, wenn sie es nur recht angreifen, daß sie der fremden Unterstützung nicht bedürfen. Sie trauen sich etwas zu, meine Herren, Sie fühlen Ihre Kraft, Sie haben einzeln schon manches durchgesetzt, Sie wissen, daß Ihre Kraft in der Vereinigung wächst. Was die Alten vermochten in weit schwierigerer Lage, in Lösung des politischen Teils der Aufgabe, das können auch Sie. Der Geist der Selbsthilfe, dieser echt deutsche Geist, der die freie Arbeit eingeführt hat in die Geschichte, eine der größten, erlösendsten Taten, von denen ihre Bücher melden, er wird mächtig in Ihnen sein, daß Sie seine eigene Errungenschaft, das Erbe der Väter, niemals aufgeben. Es wäre ein Abfall vom Geiste der Vorfahren, ein Verrat an den Nach kommen, der verdiente Lohn würde nicht ausbleiben! Dafür, das mögen Sie mir glauben, würde die Reaktion bestens Sorge tragen.
VI. Die praktischen Mittel und Weg« zur Hebung der arbeitenden «lassen. (Schluß.)
a) Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschast. Meine Herren.
Wir sind in der Erwägung der praktischen Mittel
und Wege zur Abhilfe des Notstandes der arbeitenden Klassen
bis zur Genossenschaft (Assoziation) als demjenigen Auskunftsmittel gelangt, das schon eine ziemliche Praxis für sich hat, so daß man schon
durch die bisher erzielten Erfolge in den Stand gesetzt ist, ein Urteil zu fällen, was sich damit ausrichten läßt. Kapital, Intelligenz, sittliche Tüchtigkeit, das waren, wie wir bereits gesehen haben, die Mächte, die auf dem Gebiete des Erwerbs entscheiden, und sie uns zu Gebote zu stellen, sie in uns zu entwickeln, war die Aufgabe, auf die es zunächst ankam, und die lediglich durch
Schulze-Delitzsch.
134
Selbsthilfe zu einer wahren, nachhaltigen Lösung geführt werden kann.
Daß demnach jeder in und mit sich selbst mit der eignen Entwicklung zu diesem Zwecke beginnen muß, wenn etwas werden soll, und daß er recht
wohl vermag, mit Ernst und Ausdauer etwas zu erreichen, haben wir ebenfalls gezeigt.
Nur wo die Kräfte des einzelnen in bezug auf die Ungunst der äußern Lage nicht ausreichen, allein für sich zum Ziele zu kommen, da
tritt die freie Genossenschaft ergänzend ein, um durch die Vereinigung
Nicht die Persön
der Kräfte das der Einzelkraft Versagte zu erringen.
lichkeit der Genossen anzutasten, deren eigener Wahl und wechselnden
Interessen sie Zustandekommen und Dauer der Einigung überläßt, sondern derselben erst zu ihrer vollen Geltung im Leben zu verhelfen, ist ihr Zweck.
Aber eben deshalb, weil die einzelnen, als bewußte Träger und
Schöpfer der Gesamtheit, — nicht wie bei der sozialistischen Staats assoziation als deren Geschöpfe —
etwas
sind
und
bleiben
sollen,
nämlich Herren ihrer selbst und Konstituenten des Gesamtwillens: eben
deshalb
fordert sie von
ihnen auch das volle Einsetzen ihrer Kraft,
ernstes Streben nach persönlicher Tüchtigkeit,
schaftliche und
sittliche Lebenshaltung.
eine entsprechende, wirt
Niemals
dürfen
wir in den
Grundfehler der Sozialisten verfallen, die da meinen, man könne den
Leuten durch ihre
bloße Zusammenlegung in eine Gesamtheit helfen,
ohne daß dieselben selbst das Beste dabei tun müßten.
Durch eine An
zahl unfähiger einzelner wird nie eine fähige Gesamtheit gebildet.
Nur
die Beschaffung der äußerlichen Bedingungen des Erfolgs in Wirtschaft und Erwerb, wie z. B. Kapital, Kredit, Großbetrieb und dergleichen, ver mag uns die Einigung zu ermöglichen, niemals aber kann und soll sie
das Fehlen jener innern Eigenschaften, von welchen die gedeihliche
Inangriffnahme und Durchführung aller denkbaren Unternehmungen ab
hängt, bei den zusammentretenden Personen ersetzen.
Diese Eigenschaften
müssen die einzelnen in die Genossenschaft mitbringen, welche ohne einen solchen geistigen Fonds in ihren Mitgliedern die Aufgabe der Heranziehung
der materiellen Mittel zu den Genossenschaftszwecken nicht zu lösen ver mag.
Von dieser Forderung abstehen und sich einbilden, daß alsdann
mittels irgend einer Vergesellschaftung irgend etwas zu erreichen wäre, das ist gerade so, als wenn man sich einbildet, man könne durch Addieren
einer Anzahl von Nullen eine wirkliche Summe herausbringen. gehen wir zum einzelnen über.
Doch
Wie ich Ihnen schon sagte, meine Herren,
lassen sich Genossenschaften zu sehr verschiedenen Zwecken denken, und je nach diesen einzelnen Zwecken müssen sie sich verschieden organisieren, ob-
sie in
gleich
ihrem Grundprinzip
der Bildung einer Großkraft durch
Bereinigung von einer Anzahl kleiner Kräfte gleich bleiben. Zuvörderst haben wir hier der Genossenschaften zu Bildungs
zwecken zu gedenken, wie sie in so wirkungsvoller Weise in Berlin selbst existieren.
Da sind Handwerker-, Gewerbe-, volkswirtschaftliche
und Bildungsvereine, da ist Ihr eigner Arbeiterverein selbst. Solche
Vereine treten zusammen, um den Mitgliedern Bildungsmittel darzubieten, welche denselben in ihrer Vereinzelung nicht zugänglich sind. Man erörtert,
tauscht Meinungen aus, man bietet den Mitgliedern Lehrmittel, es werden
anregende Vorträge gehalten. So sucht man die Einsicht der einzelnen zu
steigern, indem man sie gegenseitig aneinander abmißt; man macht Mittel
flüssig, um Bücher und Zeitschriften anzuschaffen, um gemeinschaftlichen Unterricht und Fortbildungsschulen zu ermöglichen, und niemand wird ver
kennen, wie höchst Erfreuliches bereits auf diesem Felde geleistet worden ist. Indessen
kommt es uns bei unseren gegenwärtigen Erörterungen
wesentlich auf diejenige Klasse der Genossenschaften (Assoziationen) an,
welche die Förderung des Erwerbs und Haushalts ihrer Mit glieder, die materielle Seite der Frage unmittelbar zum Gegenstand haben.
Dieselben können wieder von sehr verschiedenen Seiten an die
Aufgabe herantreten.
Ein Teil von ihnen geht darauf aus,
den Mit
gliedern bei ihren kleinen Geschäften oder in ihrer Wirtschaft so viel wie
möglich die Vorteile des Grvßbezugs, des Großkapitals zu beschaffen.
Während sich alsoin ihnen die Mitglieder nur in den Vorbedingungen zu
einem lohnenden Gewerbebetrieb, zu einer gedeihlichen Wirtschaft assoziieren, nicht in Gewerbe und Wirtschaft selbst, welches beides sie vielmehr selb ständig wie bisher fortführen, einigt sich ein anderer Teil zum Geschäfts
betrieb für gemeinsame Rechnung und gibt die bisherige isolierte
Stellung dabei auf.
Zu der ersteren Art der Genossenschaften zählen
wir insbesondere:
1. Die Vorschuß-, Kredit-, Darlehnsvereine, Volksbanken
und dergleichen, welche den Bedarf ihrer Mitglieder an Barschaft und Kredit vermitteln;
2. die Rohstoffvereine, in denen Handwerker und Arbeiter der selben Branche zu gemeinschaftlichem Bezüge der Rohstoffe im großen,
wohl auch zu gemeinsamer Anschaffung von Maschinen und kostspieligen Arbeitsvorrichtungen zusammentreten; 3. die Konsumvereine, in denen man sich zum Ankauf nötiger Lebens- und Wirtschaftsbedürfniffe vereinigt, um sich ebenfalls die Vor
teile des Großbezugs zu sichern;
Schulze-Delitzsch.
136
4. die Krankenkassen endlich und Gesundheitspflegevereine, wo man sich durch die Vereine billigere Medikamente und ärztliche Be
handlung verschafft. Zu den Genossenschaften der zweiten Art gehören dagegen:
1. Die sogenannten Magazinvereine zum gemeinschaftlichen Handel mit den Arbeitserzeugnissen der Mitglieder, welche jedoch von diesen in
ihren eigenen Geschäften gefertigt und im Vereinsmagazine für ihre eigene Privatrechnung verkauft werden;
2. die eigentlichen Genossenschaften zum betriebe,
in
welchen
die Produktion
und
gemeinsamen Geschäfts
der
Verkauf der Arbeits
erzeugnisse auf Rechnung und Gefahr der Gesamtheit geschieht.
Daß die letztgenannte Form die höchste Stufe der Genossenschaft, der Schlußstein des Systems ist, welche das völlige Einlenken in den
Großbetrieb unmittelbar erzielt, und namentlich die Errichtung bedeutender,
fabrikmäßiger Etablissements seitens der bis dahin unselbständigen Arbeiter
ermöglicht, bedarf feiner Ausführung.
Allein eben deshalb kann
nur
allmählich und mit großer Vorsicht zu ihnen übergegangen werden, indem,
wo es an den nötigen Voraussetzungen dazu unter den Arbeitern ge bricht, das Mißlingen sicher zu erwarten ist.
Deshalb beschränken sich
diese Produktivassoziationen bisher meist auf England und eine kleine Anzahl in Paris, wo der genossenschaftliche Geist länger und
energischer als bei uns gepflegt und die erforderliche Geschäftsgewandtheit schon mehr ausgebildet ist.
In Deutschland treten sie noch sehr ver
einzelt auf, und wo man gleich im Anfänge unserer Genoffenschafts
bewegungen 1848 und 1849 unvermittelt damit begann, sind sie fast
ohne Ausnahme kläglich gescheitert.
Doch beginnt man sich gegenwärtig
auch hier zu regen, und schon stehen mehrere neuere glückliche Versuche
da, die aus kleinen Anfängen, wie sie die Mitglieder nach dem Stande
ihrer Mittel und Geschäftserfahrung zu übernehmen vermögen, sich ent
wickelnd einer gesicherten Existenz entgegengehen. Jedenfalls kommen wir später auf die einschlagenden Verhältnisse zurück.
Die
Hauptgrundsätze,
welche
sämtlichen
vorstehenden
Arten
der
Genossenschaft vermöge ihrer gemeinsamen Basis gemeinsam sind, fassen
sich etwa folgendergestalt zusammen: 1. Diejenigen, für welche die Genossenschaft in bezug auf irgendein
Bedürfnis in Wirtschaft und Erwerb zu sorgen übernimmt, müssen Mit glieder und Träger des ganzen Unternehmens sein, Gewinn und Verlust desselben tragen, weil sich eben nur auf diese Weise die soziale Selbst
hilfe in unseren Vereinen organisieren läßt;
2. Nicht nur bei dem Ausfälle, den materiellen Erfolgen des Vereins
geschäfts, sondern auch bei dessen Leitung und Verwaltung,
bei dem
geistigen Teil der Geschäftsaufgabe also, müssen sie sich persönlich be teiligen, durch Übernahme von speziellen Verwaltungsfunktionen sowohl,
wie durch Teilnahme an den Vereinsbeschlüssen, durch welche die oberste Entscheidung in den Vereinsangelegenheiten von der Gesamtheit der Mit glieder geübt wird;
3. Die Bildung des zum Vereinsgeschäst erforderlichen Fonds ge schieht durch bare Einlagen
der Mitglieder, welche durch fortlaufende
Beisteuern und Zuschreibungen der auf die einzelnen fallenden Gewinn anteile (Dividenden) allmählich zu Geschäftsanteilen von entsprechender
Höhe gebracht werden müssen, wie es Umfang und Risiko des Unter
nehmens, die Vermögensverhältnisse der Mitglieder bedingen; 4. Um für den außerdem jedenfalls erforderlichen Kredit einen soliden
Halt zu finden, übernehmen sämtliche Mitglieder für die Vereinsschulden die solidarische Gesamthaft; 5. Endlich wird grundsätzlich in den Genossenschaften die sonst im Geschäftsleben
herrschende Ausschließlichkeit abgestreift, indem
man
nicht die Vorteile des Unternehmens möglichst wenigen zu sichern sucht, sondern dasselbe im Gegenteil auf möglichst viele erstreckt, und die Bedingungen des Zutritts demgemäß so regelt und so allgemein hält,
daß sie von jedem ordentlichen, tüchtigen Arbeiter, der den ernsten Willen
hat, sich selbst zu helfen, erfüllt werden können, weil gerade bei einer zahlreichen Beteiligung am Verein dessen Zwecke am leichtesten und voll ständigsten für alle erreicht werden. Lassen Sie uns an einige dieser Punkte eine kurze Betrachtung
knüpfen. Daß unter den Aufgaben der Genossenschaft in ihren sämtlichen vor
bezeichneten Formen das Herbeiziehen fremder Mittel in Form von barem Anlehen oder Warenkredit, mit anderen Worten, die Dienstbarmachung
des Kapitals, zu den hauptsächlichsten gehört, wird man leicht einsehen.
Gerade hier, wo wir den Geldmarkt betreten, stehen wir auf dem aller
realsten Boden der Wirklichkeit, wo alle Einbildungen aufhören und die kalte Berechnung allein entscheidet.
Und gerade hier hat die Genossen
schaft in glänzender Weise die Probe bestanden, namentlich in den Bor schußvereinen, welche das Schaffen von Geldmitteln zur unmittelbaren Aufgabe haben.
Wirklich ist es der Mühe wert, die Art, wie in diesen
Vereinen eine Kreditbasis geschafft wird mittels der Gesamthaft, näher ins Auge zu fassen.
Daß sich den unbemittelten Arbeitern der Kredit
138
Schulze-Delitzsch.
im gewöhnlichen Leben meist entzieht, ist bekannt.
Die Arbeitskraft der
einzelnen hat zwar einen ökonomischen Wert, aber sie ist zu vielen Zu fälligkeiten ausgesetzt und gilt daher nicht als Sicherheit für die Kapital anlage.
Da können
Krankheiten,
unvorhergesehene
Unglücksfälle
da
zwischentreten oder sonst Arbeitslosigkeit; der bisher Tüchtige, Ordent
liche kann sich auf die lüderliche Seite werfen: wer mag das dem Gläu
biger garantieren?
Es fehlt daher an der nötigen Sicherheit, und wenn
der Kapitalinhaber den Leuten nicht gerade einmal eine Gunst erweisen und deshalb ein solches ungewöhnliches Risiko übernehmen will, wird er auf ein derartiges Anlehen, eine derartige Kreditbewilligung vom ge
schäftlichen Standpunkte aus — und jeden anderen weisen wir hier
grundsätzlich zurück — schwerlich eingehen.
Dieses Verhältnis ändert
sich nun sofort durch die Genossenschaft. Tritt hier eine größere An
zahl solcher in ihrer Vereinzelung nicht kreditfähiger Arbeiter zusammen,
von
denen jeder einen Wert repräsentiert
(seine Arbeitskraft),
dessen
Realisierung aber von einer Menge von Zufälligkeiten abhängig ist, die
weder er noch der Gläubiger in der Gewalt hat, so wird der gerügte Mangel durch die Gesamthaft sämtlicher Vereinsgenossen ergänzt. Denn
jene Zufälligkeiten, welche den einzelnen zahlungsunfähig machen können, werden sich ihrer Natur nach niemals zu gleicher Zeit auf Hunderte von Arbeitern erstrecken, und so wird der Ausfall bei dem einzelnen leicht
mittels des gegenseitigen Einstehens aller für einander von den übrigen
übertragen und gedeckt,
und
der Gläubiger erhält meist eine größere
Garantie als selbst bei einer guten Hypothek. Wirklich hat sich die auf dieser Grundlage beruhende Kreditfähigkeit unserer Genossenschaften in so überraschendem Maße bewährt, daß bisher meist das Angebot von Kapitalien
größer gewesen ist, als der Bedarf.
Natürlich darf aber
bemittelten
Arbeitern
neben
dieser
fremdes
wichtigen Aufgabe,
Kapital
zur
den
Verfügung
un
zu
stellen, die andere: die Bildung eines eigenen Kapitals bei ihnen auf
alle Weise zu fördern, nicht vernachlässigt werden. Sollen die Genossen
schaften eine irgend solide geschäftliche Unterlage erhalten, so muß mit der erleichterten und erweiterten Benutzung des Kredits die Sorge für die
Deckungsmittel Hand in Hand gehen und beides — das, was die Genossen selbst in dem Geschäfte einsetzen und das, was sie dazu von anderen borgen, — in ein richtiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Da nun der größere Teil der Mitglieder in der Regel nicht imstande sein wird,
solche Einlagen gleich beim Eintntt in den Verein in der erforderlichen Höhe zu machen, so wird überall deren allmähliche Erhöhung durch fort-
laufende Beisteuern von einem gewissen Mindestbetrage zugelassen.
Auf
diese Weise schreitet die Bildung von Geschäftsanteilen überall rüstig vorwärts, denen
man, bis sie die normalmäßige Höhe erreicht haben,
auch noch die Anteile am Geschäftsgewinn,
kommen, die Dividenden, zuschreibt.
Eben
welche auf die einzelnen
dadurch,
daß
man
diese
Dividende nach Höhe des auf die Geschäftsanteile Eingezahlten an die
Mitglieder verteilt, fördert man deren Anwachsen außerordentlich.
Bei
Leuten, von denen viele erst durch den Verein in die Lage kommen, ein kleines Kapital aufzusammeln, welches außerdem, daß es ihnen die Vor
teile des Vereinsgeschästs zugänglich macht, auch noch nebenbei eine Rente gewährt, entsteht dadurch ein solcher Reiz zum Sparen, daß sie jeden
mühsam abgedarbten Groschen in die Kasse tragen, nur um von der für
sie so lockenden Dividende ihr volles Teil zu erhalten. Wirklich liegen die Beispiele in Menge vor, daß Mitglieder, welche man fast aufzunehmen Bedenken fand, weil sie in Nahrung und Erwerb völlig herabgekommen schienen, weshalb ihnen auch vom Vereine selbst nicht kreditiert werden
konnte, durch ihre regelmäßigen Beisteuern und Gewinnanteile allmählich ein Kassenguthaben ansammelten, vermöge dessen ihnen, ohne Gefährdung
der Gesamtheit, die Vorteile des Vereinsgeschäfts vollständig zugute kamen. Indem die Vereine solchergestalt auch dem Ärmsten Gelegenheit bieten
und ihm Lust machen, sich kreditwürdig zu zeigen,
machen
sie ihn
kreditfähig und lösen so einen der wichtigsten Teile der sozialen Aufgabe. Denn was für ein Segen der Besitz eines kleinen Kapitals für den Arbeiter ist, welches ihm einen Halt in Erwerb und Wirtschaft bietet,
ihm die geschäftliche Selbständigkeit ermöglicht oder doch in Aussicht stellt, ist nicht zu sagen!
Je schwerer der erste Schritt hier den Beteiligten
fällt, desto sicherer zieht er weitere nach sich. Man hat einen greifbaren, einen bleibenden Vorteil vor sich und sieht, daß redliche Arbeit und
Sparen zu etwas helfen, daß man vorwärtskommt. Mut und Lust zum
Erwerb wachsen, und das Gefühl größerer Sicherheit gibt größere Kraft und Ausdauer. Indessen beruht die nicht hoch Einwirkung
genug anzuschlagende moralische
des Genossenschastslebens keineswegs bloß auf dieser Er
möglichung der eigenen Kapitalbildung und des Kredits für die Genossen. Das Gefühl, einer Verbindung anzugehören, welche Geltung und Bedentung im Verkehr hat, wirst ebenso wohltätig in dieser Beziehung auf die Mitglieder ein.
Wie kläglich ist oft die Rolle, welche der
kleine
Handwerker, der unbemittelte Arbeiter im Verkehr spielen, wenn sie z. B. bei Bezug ihrer Rohstoffe oder Lebensbedürfnisse, bei Aufnahme der be-
140
Schulze-Delitzsch.
nötigten Gelder die Zwischenhändler und Geldnegozianten mit den kleinsten Partien und Summen und auf langen Borg in Anspruch nehmen müssen!
Teuere Preise und schlechte Ware, hohe Zinsen und wucherische Be dingungen sind hier die Regel, da jene Geschäftsmänner auf Verluste ge faßt sein müssen, die bei dem Gewinn mit in Anschlag kommen. Und der Beteiligte darf sich kaum beklagen, muß sich diesen Nachteilen und Demütigungen aller Art fügen, um nur wiederkommen zu dürfen. Wie anders in der Genossenschaft! Hier ist er Mitinhaber des Geschäfts, welchem er seinen Bedarf entnimmt, steht auf eigenen Füßen und braucht sich bei niemandem zu bedanken. Rechte und Pflichten sind allen gleich zugemessen, die Bedingungen mäßig, wie sie sonst nur im Großverkehr vorkommen, und obenein fließt der Geschäftsgewinn in seine eigene Tasche. Das gibt Selbstgefühl. Man ist etwas durch eigene Kraft, man tritt den anderen ebenbürtig entgegen. Und daraus erwächst allmählich Selbst achtung. Man hält auf sich, man darf dem Vereine keine Schande machen, die Ausschließung wäre geradezu Entehrung. Natürlich wirkt dies auf die ganze Lebenshaltung der Leute zurück, auf ihr Wirtschaften und Haushalten, wie auf ihre gewerbliche Tüchtigkeit und Solidität. Und nach alledem glaube ich nicht zu viel zu behaupten, wenn ich es ausspreche: daß es kaum ein wirksameres Mittel zur sittlichen Hebung des Arbeiterstandes gibt, als unsere Genossenschaften. Weiter haben wir die ebenso wichtige Steigerung der geschäftlichen Erfahrung und Einsicht, welche den Mitgliedern durch die Vereins geschäfte erwächst, in Anschlag zu bringen. Der kleine Handwerker in seinem engbegrenzten, lokalen Verkehr mit dem kleinlichen Geschäfts zuschnitt, der Lohnarbeiter in fremden Etablissements — wie selten kommt es bei ihnen zum rechten Verständnis der weiteren Beziehungen, der inneren und äußeren Bedingungen ihrer Tätigkeit, von welchen doch zum
guten Teil der Erfolg abhängt! In mechanischen Verrichtungen, im drängenden Bedürfnis des Augenblicks geht ihre ganze Kraft und Sorge
auf und läßt sie an Vervollkommnung ihres Betriebes, an weiteren Auf schwung nicht denken. Erst in den Vereinen eröffnen sich ihnen weitere
Der Bezug und Absatz im großen nötigt sie, über bloß lokale Beziehungen hinwegzusehen, sich um kaufmännische Kenntnisse und Erfahrungen zu bemühen. Außer der mechanischen Arbeitstätigkeit, welche ihnen nach wie vor im Vereinsgeschäft oder in ihrem eigenen oder dem eines dritten ihren gewöhnlichen Verdienst gibt, geschäftliche Aussichten.
müssen sie sich an der Geschäftsleitung und Verwaltung (der geistigen Arbeitsaufgabe, wie wir schon sagten) beteiligen, die Verhältnisse des
Marktes im großen ins Auge fassen und sich Verrichtungen unterziehen, welche einen Grad von Intelligenz erfordern, dessen sie bis dahin nicht bedurften. Kann auch erst eine längere Übung und Erfahrung manche
Mängel hierbei beseitigen und werden Schäden und Nachteile hier und da unvermeidlich vorkommen, so kann diese Schule den Leuten doch nicht er spart werden, und die gemachten Versuche beweisen, wie bald und wie gut sich unsere Handwerker und Arbeiter in der neuen Geschäftsform zurechtfinden. Mag nun hier nach dieser flüchtigen Erörterung dessen, was das Genossenschaftswesen für die intellektuelle und sittliche Hebung des Arbeiterstandes zu leisten vermag, auch eine kurze statistische Mitteilung über seine Ausbreitung in unserem Vaterlande und die erreichten materiellen Resultate stattfinden. An Genossenschaften der von mir bezeichneten Art bestehen in
Deutschland bereits gegen 2000, wovon jedoch mindestens die Hälfte sich auf Bildungszwecke beschränkt, in Form von Handwerker-, Arbeiter-, Gewerbevereinen und dergleichen. Nahezu 1000 haben sich zu einem eigentlichen Geschäftsbetrieb vereinigt. Davon kommen ca. 500 bis 550 auf die Vorschuß- und Kreditvereine (Volksbanken), ca. 200 auf Rohstoffvereine, ca. 50 auf Vereine zugemeinsamer Magazinierung und Produktion, ca. 100 auf Konsum- und 100 auf Kranken pflegevereine. Ungefähr 700 von diesen Vereinen sind mir bereits namentlich bekannt, darunter 483 Vorschuß- und 150 Rohstoff-, Magazinund Produktivassoziationen. Um einen Begriff von Umsatz und Verkehr derselben zu geben, entnehme ich den von mir regelmäßig herausgegebenen Jahresberichten*) folgende Zahlen. Von den ca. 360 Vorschuß vereinen, welche im Jahre 1861 bereits tätig waren, hatten 188 ihren speziellen Jahresabschluß eingesandt. Obschon darunter 46 sich befanden, deren Abschluß ihr erstes Geschäftsjahr betraf, wo der Verkehr natürlich
noch ganz unentwickelt ist und sich in sehr kleinen Verhältnissen bewegt, so ergab sich doch an gewährten baren Vorschüssen, einschließlich der
Prolongationen, meist auf die Frist von drei, manchmal auch bis zu sechs Monaten, eine Gesamtsumme von 16876009 Taler. Dieser Um satz wurde mit einem Betriebsfonds bewirkt, welcher bei sämtlichen Ver
einen zusammen 5555691 Taler betrug, wovon 4637477 Taler anlehens weise von dritten ausgenommen waren, 906613 Taler aber den Vereinen *) Jahresbericht über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Er werbs- und Wirtschastsgenossenschaften des kleinen und mittleren Gewerbestandes von Schulze-Delitzsch. Leipzig, bei G. Mayer, pro 1859, desgleichen pro 1860, desgleichen pro 1861.
Schulze-Delitzsch.
142
und
deren Mitgliedern selbst oder
Geschäftsanteile
gehörten,
nämlich
799375 Taler
107238 Taler
Mitgliedervermögen,
als
als Ver
eins- oder Gesamtvermögen, welches vorzugsweise als Reserve zur
Hiernach betrug das eigene Vermögen
Deckung etwaiger Verluste dient.
co. 17 °/0 des Gesamtfonds Berücksichtigung der
und
ca. 20%
eigentümlichen
der fremden Gelder.
In
Aufgabe unserer Vereine, vermöge
deren sie der Mehrheit ihrer Mitglieder die Bildung von Kapitalien
erst ermöglichen
sollen, deren Vorhandensein von Haus aus also nicht
voraussetzen können, in Berücksichtigung ferner, daß von den aufgeführten
188 Vereinen mehr als 100 nicht über das dritte Jahr ihres Bestehens hinausreichen, die Kapitalbildung also noch in den ersten Anfängen be
griffen war, wird man dieses Verhältnis als ein sehr günstiges gelten lassen müssen und als einen Beweis, daß die Vereine die Bedingungen ihres Gedeihens aus solider Grundlage immer mehr einsehen und keine
Mühe scheuen, allen desfallsigen Anforderungen zu genügen. gliederzahl
belief
sich
bei
den
188
Vereinen
auf
Die Mit
48760,
der
Nettogeschäftsgewinn derselben pro 1861 zusammen auf 78055 Taler,
und Verluste von irgendwelchem Belang kamen so gut wie gar nicht vor, außer bei dem großen Dresdener Spar- und Vorschußverein, welcher
trotz wiederholter Warnungen die natürlichen Grenzen, welche dem ge nossenschaftlichen Geschäftsbetrieb gezogen sind, überschritten und mit Ver
nachlässigung der gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln den Großbankverkehr in
seinen Bereich gezogen hatte. — Rechnet man zu diesen Resultaten noch
die der ca. 140 bis 150 Vorschußvereine, welche keine Abschlüsse ein gesandt haben, obschon sie 1861 bereits in Tätigkeit waren, nach einem ungefähren Anschläge hinzu, so wird die Gesamtsumme des zinstragenden Umsatzes auf das bezeichnete Jahr nur bei dieser einen, allerdings am meisten
entwickelten Klasse der Genossenschaften auf mindestens 20000000 Taler, der eigene Fonds auf 1000000 bis 1200000 Taler, die fremden An
lehen auf 5500000 Taler geschätzt werden müssen.
Diese Beträge sind
nun aber-wieder im Jahre 1862 bei weitem überschritten, indem der Ver
kehr in den alten Vereinen sich außerordentlich gesteigert hat und über 100 neue hinzugetreten sind.
Bereits sind ca. 180 Rechnungsabschlüsse
eingelaufen, eine Menge steht noch in Aussicht, und es
läßt sich schon
gegenwärtig übersehen, daß der zinstragende Umsatz dieser unserer Bolks-
banken 1862 die Summe von 30000000 Talern überschritten und die eigenen Kapitalien der Vereine auf nahezu 1500000 bis 2000000 Taler
gestiegen sind, denen ca. 8000000 Taler fremde Gelder im Geschäfts fonds gegenüberstanden.
Es konnte nicht fehlen, daß die bedeutenden Resultate dieser Vereine die allgemeine Aufmerksamkeit dem Genossenschaftswesen überhaupt zuwendeten und namentlich bei den Kapitalisten die Überzeugung weckten, daß man
ungefährdet solchen Gesellschaften Geld anvertrauen und ein gutes und sicheres Geschäft mit ihnen machen könne. Überall kommt uns diese gute Meinung
im
Publikum
entgegen,
welche,
beiläufig
gesagt,
von
den
Genossenschaften noch nie getäuscht worden ist, und, wie schon bemerkt,
niemals hat es uns an dem zur Ausdehnung der geschäftlichen Operationen
erwünschten Kredit gefehlt.
Während die Genossenschaften sich gegenseitig
bereits selbst in vielen Fällen aushelfen, da nicht wenigen bei weitem mehr Geld zuströmt, als sie in ihrem eigenen Geschäftskreis verwerten können, sind seit einigen Jahren große Bankhäuser in mehreren Haupthandels
plätzen Deutschlands gewonnen, welche den Vereinen Konti von be stimmter Höhe und zu den liberalsten Bedingungen eröffnet haben, so daß
außer den lokalen Kreditquellen, auf welche die Genossenschaften in erster
Linie angewiesen sind, für außerordentliche Fälle, wo diese im Augen blick aussagen oder nicht zureichen,
wonnen
hat,
man einen wertvollen Rückhalt ge
solange man die gesunde geschäftliche Basis nicht verläßt.
Von Rohstoff- und Magazinvereinen konnte der Verfasser in seinem Jahresbericht pro 1861 nur 32 spezielle Rechnungsabschlüsse pro 1861 mitteilen, da es hier, wo man sich in einem Kreise engerer Berufs
genossen mehr abschließt, schwerer hält, zuverlässige Nachweise zu erhalten.
Diese meist erst seit 1 bis 2 Jahren bestehenden Vereine, welche zusammen 1527 Mitglieder zählten, hatten im genannten Jahre ein bares Betriebs
kapital von 61343 Talern, von welchem 19308 Taler ihnen eigentümlich (Geschäftsanteile und Reserve) gehören, der Nest anlehensweise von dritten
Personen ausgenommen ist.
kredits, dessen
Mit Zuhilfenahme des bedeutenden Waren
sie genießen, hatten sie, außer den Lagerbeständen des
Vorjahres, im Jahre 1861 für 198335 Taler Rohstoffe im großen ein gekauft, davon für 185434 Taler an die Mitglieder abgelassen (mit Zu
schlag von etwa 5 bis 7 Prozent über den Kostenpreis) und noch für 62892 Taler auf Lager behalten.
Der sehr nebensächliche Reingewinn
betrug nach Abzug aller Unkosten 5769 Taler, der Vorteil
aber an
billiger und besserer Beziehung der Rohstoffe 10 bis 20, ja in einzelnen
Geschäften und Fällen 30 Prozent und darüber. Auf dieser Grundlage wird der Gesamtverkehr der ca. 150 hierher gehörigen Genossenschaften, welche im Jahre 1861 ihr Geschäft eröffnet hatten, ungefähr auf 1000000 Taler mit 5 bis 6000 Mitgliedern anzuschlagen sein — Zahlen, welche im Jahre
1862 natürlich ebenfalls ansehnlich überschritten sind.
Schulze-Delitzsch.
144
Von Konsumvereinen, in deren Bildung unser Arbeiterstand erst neuerlich lebhafter eintritt, ist noch wenig zu melden, da die meisten erst
beginnen und in den Jahren 1861 und 1862
gewesen sein mögen.
kaum 50 bis 60 tätig
Die bedeutendsten waren noch immer die beiden
Gesellschaften zur Verteilung von Lebensbedürfnissen zu Ham
burg — die ältere seit 1852, die jüngere 1856 gegründet —, welche in vier resp, in sieben Läden in verschiedenen Stadtteilen Brot, Heizmaterial,
geräuchertes Fleisch, Hülsenfrüchte und Kolonialwaren an ihre Mitglieder
ablassen und bei einem Umsatz von 40 bis 50000 Talern jährlich gute Geschäfte machen.
Noch ausgebildeter ist der große Konsumverein zu
Zürich (politisch freilich nicht zu Deutschland gehörig), der 1861 bereits mehrere Grundstücke besaß, ein Magazin, eine Bäckerei, ein Speise- und Schanklokal, und in neun Verkaufsläden für 801883 Franks Waren verkaufte.
In der eigenen Bäckerei des Vereins wurden 10350 Zentner
Mehl verbacken und 1349150 Pfund Brot für 271432 Franks verkauft.
Sämtliche Geschäfte ergaben pro 1861 einen Reingewinn von 23567 Franks. Ich schließe hiermit diese Notizen, die in meinen erwähnten Schriften
genauer nachgesehen werden können, und verweise namentlich wegen der Einzelheiten der Organisation bei den verschiedenen Arten der Genossen
schaften auf die einschlagenden von mir veröffentlichten Bücher, welche bei der Einrichtung derselben überall als Ratgeber gedient haben.*) habe ich noch eines Instituts zu gedenken,
Nur
welches zur äußeren Ver
breitung und inneren Kräftigung der ganzen Bewegung wesentlich bei
getragen hat.
Durch den nach dem Verlangen einer Anzahl von Vor
schußvereinen zum erstenmal im Jahre 1859 zusammengetretenen Vereins tag deutscher Genossenschaften, welcher seitdem alljährlich zur Be ratung gemeinsamer Interessen, zum Austausch gemachter Erfahrungen
und Verständigung über wichtige Organisationsfragen stattfindet, wurde eine Zentralstelle für die ganze Bewegung gegründet, die Anwaltschaft
deutscher Genossenschaften und deren Verwaltung mir selbst bis auf
weiteres anvertraut. Meine Stellung als Gründer und Leiter der ersten derartigen Vereine in Delitzsch, mein Wirken dafür in der Presse, in Versammlungen
und
auf
Kongressen
hatten
mich
bereits
tatsächlich
zum Mittelpunkt der Bewegung gemacht, und dies wurde durch den Be
schluß der
Vereinsdeputierten
jetzt förmlich
sanktioniert.
Gegen eine
*) Besonders kommen hierbei in Anschlag: 1. Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter. Leipzig 1853, bei E. Keil. 2. Vor schuß- und Kreditvereine als Volksbanken. 3. Auflage. Leipzig 1862, bei E. Keil.
Tantieme von 2°/0 vom Nettogewinn der Bereinsgeschäfte zu meiner Besoldung und Übertragung der unvermeidlichen Bureaukosten ver
pflichtete ich mich, keine Stellung im öffentlichen und Privatdienste an
zunehmen und meine Zeit und Kraft möglichst ungeteilt den Genossen schaften
widmen.
und allen verwandten Bestrebungen auf sozialem Gebiete zu Schon sind 250 Vorschuß- und Kredit-, und 32 Rohstoff- und
Konsumvereine
der Anwaltschaft beigetreten, und täglich folgen ihnen
neue, so daß schon in den nächsten Jahren die Einnahmen eine Höhe er reichen werden, welche dem Anwalt, außer der Übertragung der Bureau kosten, eine angemessene Remuneration für seine Leistungen gewährt und die dauernde Erhaltung des Instituts in Aussicht stellt, indem es möglich
wird, die geeigneten Kräfte dazu heranzuziehen.
Wie notwendig und
förderlich dasselbe den Vereinen im einzelnen, wie der Gesamtvertretung und weiteren Ausbildung des Genossenschaftswesens im allgemeinen ist, hat sich vielfach bewährt, und ist namentlich die Sichtung und Geltend
machung des immer mehr sich anhäufenden Materials an Erfahrungen, die Anbahnung gegenseitiger Verkehrsbeziehungen unter den Vereinen,
das Eröffnen von Geld- und Kreditquellen, die Wirksamkeit in der Presse*)
und sonst im öffentlichen Leben von nicht geringem Einfluß gewesen.
b) Die Genossenschaft mit Staatshilfe. Habe ich Ihnen so eine Übersicht zu geben versucht, in welcher Weise
und nach welcher Richtung hin sich die freien Arbeitergenossenschaften in Deutschland entwickelt haben und was sich damit erreichen läßt,
so bleiben doch noch manche Punkte übrig, welche neben diesen allgemeinen Umrissen für Sie von Interesse sind. Da bietet mir nun eine neuerdings erschienene Broschüre von F. Lassalle, welche sich an das Zentral
komitee in Leipzig
zur Berufung
eines deutschen Arbeiter
kongresses adressiert, der darin enthaltenen Angriffe gegen diese auf
Selbsthilfe gegründeten Genossenschaften halber erwünschte Gelegenheit, manche einschlagenden Sätze den gegenteiligen Ausführungen gegenüber
näher ins Licht zu stellen.
Im allgemeinen sucht der Verfasser die ganze Arbeiterftage vom sozialen auf das politische Feld hinüberzuführen, indem er ihre Lösung
nur
unter
Mitwirkung
der Staatsgewalt für möglich
hält —
ein
*) Bereits hat das Genossenschaftswesen in der von der Anwaltschaft herausgegebenen Monatsschrift „Die Innung der Zukunft" ein eigenes Organ in der Tagespreffe, dessen Vertrieb die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig besorgt. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. IL
jq
146
Schulze-Delitzsch.
Standpunkt, den wir bereits hinlänglich erörtert haben. Mit den politischen
Ausfällen gegen die Fortschrittspartei, womit der Verfasser beginnt, habe ich mich nicht näher zu befassen.
Die Mitglieder dieser Partei im
Preußischen Abgeordnetenhause haben den unverzeihlichen Fehler
begangen, die Ratschläge des Herrn Lassalle nicht zu beachten, wonach
sie weiter nichts zu tun hatten, als gleich beim Beginn des Landtags wieder nach Hause zu gehen, bis die Regierung ihnen und dem Lande in den großen, bei uns schwebenden politischen Streitfragen den Willen getan.
Dabei richte ich nur einige Fragen an Sie zu meiner eigenen
Aufklärung. Wer hat Ihnen nur die Ratschläge erteilt, die Herr Lassalle erwähnt: „sich entweder gar nicht um Politik zu kümmern oder An hang der preußischen Fortschrittspartei zu werden"? — Ich denke,
wir haben uns über die Wichtigkeit der politischen Entwicklung für die Arbeiter frage und über die Forderungen, die wir deshalb an den Staat zu stellen haben,
verständigt. Alle diese Forderungen liefen aber schließlich auf die von der deutschen Fortschrittspartei (eine bloß preußische gibt es nicht) sowohl in Preußen, wie in ganz Deutschland gestellten hinaus, und
wir vermochten keinen Unterschied zu entdecken. glaubt, daß Sie
selbst
ein
Teil, ein großer
Nun habe ich stets ge wesentlicher Teil dieser
Fortschrittspartei sind — also keine Anhängsel —, daß Sie darin
Ihr Wort mitzusprechen und wirklich mitgesprochen haben. Wie ist denn das — haben Sie uns denn nicht mitgewählt, uns, die Abgeordneten
dieser Partei? Haben Sie, die Arbeiter Berlins, namentlich nicht mir in diesem industriereichsten Wahlbezirke der Hauptstadt Ihre Stimmen
gegeben? — Ei, da trifft ja aber das Schmähen der Fortschrittspartei Sie selbst mit, meine Herren — da hilft nichts, Sie sind alle mit uns
in der gleichen Verdammnis und mögen nun immerhin die schönen Sachen
mit auf sich beziehen, die Herr Lassalle zum besten gibt.
Machen Sie
es ein anderes Mal besser! Ein ähnliches Staunen flößt der weiter gegen die Behandlung der Fragen der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit auf den beabsichtigten
Kongressen gemachte Einwurf ein: „Mit diesen Verhandlungen kämen Sie mindestens um 50 Jahre zu spät!" Dergleichen auszusprechen in
einer Zeit, wo nicht nur ein ansehnlicher Teil der Arbeiter — die Zunft männer in den Handwerken — gegen diese Freiheiten selbst agitiert,
sondern wo sie nur in dem Reinsten Teile unseres Vaterlandes erst ein
geführt sind, wo in Preußen
wie anderwärts noch heftig gegen sie
von einflußreichen Kreisen angekämpft wird — das ist denn doch stark!
Weil im Kopfe des Herrn Lassalle die Sache fertig ist, ist sie es darum
147
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
auch in der Wirklichkeit? — Ich dächte, wir hätten die grellsten Beispiele
des Gegenteils alle Tage.
Nur wenn sich die Arbeiter selbst in festem
Zusammenschluß für das Durchsetzen dieser Forderungen organisieren, sie gemeinsam auf ihre Fahne schreiben, ist hier ein baldiger Erfolg zu hoffen, und es ist nicht abzusehen, wie Herr Lassalle diese Agitation hier
verwerfen und sie für das allgemeine gleiche Wahlrecht fordern kann,
das ja ebensogut im Prinzip von allen entschieden Freisinnigen als völlig berechtigt anerkannt wird, deshalb aber dennoch in der Praxis erst durch gesetzt werden muß.
Gleiches Schicksal trifft die weiter dem Kongreß vorbehaltene Be
ratung von Kranken-, Invaliden- und Altersversorgungskassen,
die Herr Lassalle lediglich den Lokalvereinen überlassen wissen will. Gerade bei der höchst schwierigen und die gründlichsten und genauesten
fordernden Einrichtung dieser Kassen, wo Leichtsinn und
Vorarbeiten
Unkenntnis schwere Nachteile über die Beteiligten
heraufführen
können,
und wo überdem nur eine sehr zahlreiche Beteiligung ein gesichertes Be stehen möglich macht, ist der allgemeine Angriff, die Bildung größerer
Bezirke notwendig, soll überhaupt etwas Lebensfähiges geschaffen werden. Das aber wird freilich kein Einsichtiger Herrn Lassalle bestreiten, daß überhaupt auf solchem Wege die Lösung der Arbeiterfrage nicht zu er reichen ist.
Vielmehr leiten jene Institute in gewisser Hinsicht davon ab.
Indem die von den Arbeitern einzuzahlenden Prämien jeden mühsam er sparten Groschen in Anspruch nehmen, rauben sie den Leuten die Aus
sicht, durch Ansammlung eines kleinen Kapitals jemals zu geschäftlicher
Selbständigkeit zu gelangen, und wird die Garantie, in alten und schwachen Tagen nicht der öffentlichen Mildtätigkeit anheimzufallen, nur durch das Opfer jener nachhalttgen Verbesserung der Lage, jedes Aufschwungs in der sozialen Stellung erkauft.
Ich habe mich darüber genauer in dem
Buche über die Begründung meines Genossenschastssystems ausgesprochen,
auf welches ich hier wegen des Näheren verweise.*) Daran knüpft sich die Auffassung der sozialen, der Arbeiter frage überhaupt, an welcheich von einem Standpunkte herantrete, der ihr sicher die volle Höhe und Bedeutung sichert, die sie verdient.
fällt nämlich
Für mich
diese Frage mit der Frage der geschichtlichen Ent
wicklung der Menschheit überhaupt zusammen, wie ich Ihnen schon in der Versammlung vom November vorigen Jahres sowie bei früheren
*) Die arbeitenden Klaffen und das Affoziationswesen in Deutschland. Leipzig 1858, bei G. Mayer. (Seite 215, 221 u. f. im Bd. I.)
148
Schulze-Delitzsch.
Gelegenheiten erklärt habe.*) Nur in der fortschreitenden Kultur, in der steigenden Bildung und ihrer immer weiteren Verbreitung auf alle Klassen
der Gesellschaft ist die Möglichkeit der endlichen Lösung der sozialen Frage gegeben, nur in ihnen der Fortschritt'in Intelligenz und Sittigung, in der Aufbesserung der wirtschaftlichen Zustände im großen und ganzen. Je mehr infolge dieses geschichtlichen Entwicklungsprozesses die Arbeits methoden sich vergeistigen und die Bildung Arbeitsmittel wird, je leichter und ergiebiger dadurch die Arbeit wird, je mehr die rohesten und
niedrigsten Arbeitsverrichtungen den Naturkräften überlassen werden, desto mehr Aussicht hat der Arbeiter, in sein volles menschliches Erbe ein zutreten. „Es ist nicht nötig, daß ein Teil der Menschen, ver dammt zur geistigen und leiblichen Verkümmerung, im niederen Dienst zur Anschaffung der materiellen Notdurft des Daseins geopfert werde, damit der andere Teil sich ungestört den höheren Kulturaufgaben widmen könne; Bildung und Gesittigung das Gemeingut aller! Für jedes menschenwürdige Streben die Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins!" So lautet der tröstliche Satz, die große menschenerlösende Errungenschaft der neueren Geschichte. Und daß wir ihn erkannt, daß wir die Wege, die allein zum Ziel führen können, danach bemessen haben, dafür geben unsere bisherigen
Erörterungen Zeugnis. Die Entwicklung und ihr Lebenselement, die Freiheit, dahin gingen unsere Forderungen. Und weil die Staats garantie mit der davon unzertrennlichen Staatseinmischung, ab gesehen von ihrer völligen Unausführbarkeit, die politische wie die Erwerbsfreiheit und in ihnen die Möglichkeit jeder Entwicklung ertötet, haben wir uns von der sozialistischen Heilslehre und damit auch von der des Herrn Lassalle, die nur ein wenig verhüllter etwas schwächlicher Ab klatsch davon ist, losgesagt. Die deutschen Arbeiter wissen es nie mandem Dank, der ihnen eine Garantie der Existenz von außen her entgegenbringt, weil er in der Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit und Selbsthilfe die Grundlage ihrer sittlichen Würde, ihrer bürgerlichen Gleich-
berechttgung wie ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit antastet, Dinge, ohne welche von einer wirklichen Hebung der arbeitenden Klassen doch wirllich nicht im Ernste die Rede sein kann. Dies vorausgeschickt, kommen wir zu den speziellen Angriffen gegen die von mir vertretenen, auf Selbsthilfe beruhenden Genossenschaften *) Arbeit und Bildung. Ein Vortrag im Berliner Handwerkerverein am 4. Februar 1861. Berlin 1861, bei Franz Duncker.
in der Lassalleschen Broschüre, und da handelt es sich um Berichtigung
wesentlicher Irrtümer, tatsächlicher Unwahrheiten und falscher Schlüsse in solcher Menge, daß es uns nur möglich ist, einzelnes davon hier heraus zugreifen, was gerade für unseren Zweck den geeignetsten Anhalt bietet. Zuerst sagt Herr Lassalle: „ich wolle bloß Rohstoff-, Konsum-, Kredit- und derarüge Vereine und nicht die Assoziationen zu gemeinsamer Produktion". Nur die letzteren erkennt er als zum
Ziele führend an, weil sie allein den Großbetrieb ermöglichen, zu welchem die neuere Industrie hindränge, während die ersteren nur das ohnehin nicht lebensfähige Handwerk kümmerlich fristeten.
Diese Behauptung enthält eine so dreiste Unwahrheit, daß sie für die ganze Schrift charakteristisch ist. Wer die Meinungen anderer be
kämpft, hat die Pflicht, wenn diese Meinungen und Ansichten vielfach öffentlich in Schrift und Wort niedergelegt sind, sich von denselben erst zu unterrichten. In dem oben angeführten, bereits im Jahre 1858 von mir veröffentlichten Buche, worin ich die Grundzüge des von mir ge pflegten Genosfenschaftswesens dargelegt habe, ist die ProduktivAssoziation ausdrücklich als „der Gipfelpunkt des ganzen Systems" anerkannt (siehe Seite 56 und folgende des Buches),*) welchen ich haupt sächlich bei Lösung der schwierigen Frage im Sinne gehabt, weil sie ihre Mitglieder unmittelbar in den Stand setze, ein Etablissement auf großem Fuß mit allen Vorteilen der neueren Betriebsweise einzurichten und sich so die gewerbliche Selbständigkeit zu sichern. Denn daß die industrielle Entlvicklung unserer Tage mehr und mehr zum Großbetrieb drängt, darüber sind alle Kundige einig, und ich habe dies mit allen daraus für die Arbeiterverhältnisse erwachsenden Folgen in dem erwähnten Buche speziell begründet und nachgewiesen (siehe Seite 4 und folgende).**)
Indessen habe ich mich bei dieser theoretischen Ansicht nicht beruhigt vielmehr habe ich die Förderung dieser wichtigen Form der Genossenschaft mit Rat und Tat in die Hand genommen und mehrere Vereine, die sich nach dieser Richtung hin bilden, mit Statuten und den erforderlichen An weisungen zu ihrer ersten Gründung und geschäftlichen Einrichtung ver
sehen. Bereits existieren mehrere davon hier in Berlin selbst — ich er wähne für jetzt nur zwei unter den Schalwebern — und andere sind unter meinem Beirate in der Bildung begriffen, denen ich auch bereits die sichere Aussicht auf ftemdes Kapital eröffnen konnte. Me Behauptung *) S. 235 u. f. des Bd. I. **) S. 195 u. f. des Bd. I.
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Schulze-Delitzsch.
des Herrn Lassalle hat daher unter den Beteiligten, als sie davon hörten,
große Heiterkeit erregt, und ich denke, daß dieselben im weitern Verfolg der Sache noch selbst Gelegenheit haben werden, unter Ihnen aufzutreten.
Begreiflicherweise würde ein vorzeitiges Bekanntwerden aller dieser Ver suche vor Eröffnung des Assoziationsgeschäfts den Mitgliedern in ihrer
gegenwärtigen Stellung
als Arbeiter in
fremden
Etablissements nur
schaden. Mcht in unserm Standpunkte in betreff der Produktivassoziation also,
sondern
schaftssystem
darin liegt der
und
dem
Unterschied zwischen
angeblichen
des
meinem Genossen
Herrn Lassalle, daß ich die
Selbsthilfe zugrunde gelegt wissen will, während er die Staatshilfe fordert.
Und durch diese Grundverschiedenheit in der Auffassung der
Aufgabe wird denn auch das völlige Auseinandergehen der Wege erklärt, welche beiderseits, angeraten werden, um zum Ziele zu gelangen. Da Herr Lassalle nur durch die Staatshilfe die Sache auszuführen
gedenkt, also gar nicht nötig hat, die Leute zur Selbsthilfe heran zubilden, so macht sich die Sache für ihn mit bewundernswerter Leichtigkeit
eigentlich von selbst, und man kann gleich mit dem Ende, mit der höchsten und schwierigsten Form der Genossenschaft, mit der gemeinschaftlichen Produktion, beginnen, natürlich wenn man erst politisch so weit ist,
den Staat in seiner Gewalt zu haben!
Und das ist eine Kleinigkeit,
dahin gelangen die Arbeiter sicher und bald durch die Agitation für das allgemeine gleiche Wahlrecht.
Auf diese Agitation haben sie
sich daher ganz allein zu beschränken, dazu ihre Sparpfennige herzugeben,
um Leute in die gesetzgebenden Körper zu wählen, welche sich verpflichten, ihre Forderungen durchzusetzen.
Fehlschlagen kann dies nicht, denn „die
notleidenden Klassen bilden 89 bis 96 */< Prozent" und ihnen gehört der Staat! — Daher allgemeines Wahlrecht als Losung der deutschen Arbeiter
bewegung und weiter nichts, denn alle anderen Bestrebungen führen nur
vom Ziele ab und hindern, daß man alle Mittel und Kraft in der politischen Tätigkeit konzentriert! In bezug auf die Ausführbarkeit der Staatshilfe in finanzieller und
politischer Hinsicht
haben
wir nun freilich schon bei Gelegenheit des
sozialen Staates allgemein unsere Bedenken beigebracht, und was es namentlich mit den 89 bis 96 Prozent der Bevölkerung, auf die Herr Lassalle
rechnet, für eine Bewandtnis hat, werden wir gleich sehen.
Aber das ist
wahr: daß der vorgeschlagene Weg überaus bequem ist, bequem für alle Teile, für die Arbeiter, wie für Herrn Lassalle selbst.
Da braucht
sich niemand weiter zu mühen, nicht zu sparen und zu lernen, nicht seine
gewerblichen Leistungen zu vervollkommnen, nicht durch Anstrengung und
Entbehrung mancher Art sich emporzuarbeiten.
Er wird Mitglied des
Wahlvereins, zahlt seinen Beitrag in die Kasse und gibt seine Stimme
für den Deputierten ab, der das weitere besorgt, um die Regierungsgewalt in die Hände der Arbeiter zu bringen und die Staatsmittel ihnen zur
Verfügung zu stellen.
Dann ist alles gemacht! — Nun, selbst wenn
das noch etwas lange dauern möchte — hübsch wäre es doch für die Leute, so billig dazuzukommen!
Ebenso braucht sich Herr Lassalle als Führer nicht
erst mit der Organisation seiner Assoziationen zu befassen, womit er sich viele
und, wie wir gern anerkennen, unnütze Mühe spart. Das alles bleibt natür lich aufgeschoben, bis erst der Staat in die richtige Verfassung dazu gebracht ist, sonst kann es ja doch nichts helfen. So leicht mache ich es nun freilich
den Leuten
Genossenschaften nicht und so leicht habe ich
mit meinen
es selbst dabei nicht gehabt.
Da haben wir erst tüchtig uns einarbeiten
müssen in die neue Geschästsform, Kenntnisse und Erfahrungen aller Art sammeln, ehe wir die Sache in Zug brachten und gute Erfolge erzielten. Indessen dürfte es doch
zweckmäßig
sein,
wenigstens
vorläufig,
bis
Herr Lassalle mit seinen Einrichtungen zustande gekommen sein wird, dabei zu verbleiben.
Was im besonderen die Produktiv assoziativ neu
und ihr Verhältnis zu den andern Arten der Genossenschaften anlangt, so
habe ich bisher
einen
Standpunkt eingenommen,
den ich bei der
Wichtigkeit der Sache hier etwas näher begründe. Zunächst
halte ich es für
durchaus falsch und
bedenklich,
un
vermittelt und ohne die Mitglieder vorher einer gewissen genossenschaft
lichen Schule unterworfen zu haben, dahin einzulenken.
Denn wo sollen
unsere Arbeiter die Fähigkeit, größere Geschäfte zu leiten, so ohne weiteres hernehmen,
wenn sie sich nicht allmählich
Kleinen heraus erst einarbeiten?
und aus dem Engen und
Kann man den Leuten, deren Tage
werk bis dahin auf einzelne technische Leistungen in den Werkstätten be schränkt war, ohne daß sie irgendeine Übersicht über das Ganze, einen Einblick in die Leitung und geschäftliche Beziehung des Unternehmens
jemals sich hätten verschaffen können, zumute», sich solchen Aufgaben ge
wachsen zu zeigen?
Müssen nicht die dazu nötigen Eigenschaften im
Menschen entwickelt, die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen durch Unter
richt und Praxis erworben werden?
Oder kann etwa der Staat, wenn
er den Arbeitern das Kapital garantiert, ihnen gleich nebenan durch ein
Dekret alle diese geistigen Eigenschaften, wie Unternehmungsgeist, Ge schäftsumsicht und Erfahrung, Kenntnis der Bezugs- und Absatzquellen usw.
beilegen oder sozusagen anoktroyieren?
Nein, nein, da sind denn doch
Schulze-Delitzsch.
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unsere Arbeiter zu vernünftig, um sich so dummes Zeug vorschwindeln
zu lassen, daß sie über Nacht, ohne irgend sich erst einzulernen und zu bemühen, von Obrigkeits wegen aus bloßen Arbeitern zu Leitern von
großen Etablissements umgestempelt werden könnten! Und ist schon in dieser Beziehung eine allmähliche Überleitung in den meisten Fällen unerläßlich, so tritt auch ein anderer wichtiger Um stand
hinzu,
der
dem
unvorbereiteten
Eintritt in
Produktiv-
die
assoziation ganz besonders in Deutschland entgegensteht, und den ich
auch
schon in meinem Buche hervorgehoben habe.
Noch ist der echte
genossenschaftliche Geist in der Mehrzahl der deutschen Arbeiter viel
zu wenig entwickelt, noch herrscht der Sondergeist viel zu sehr vor, noch erschweren Neid, Mißgunst und Mißtrauen der einzelnen gegeneinander
die
gemeinschaftlichen
Operationen.
Ganz
besonders
fällt
dies
bei
Produktivassoziationen in das Gewicht, die unumgängliche Einheit der Leitung als erste Bedingung des geschäftlichen Gelingens, eine Unterordnung der Genossen
gegen
die Vorstände,
ein
einzelnen im Ganzen erfordern, was unsern deutschen
ganz leicht wird.
Ich habe deshalb überall mit den
der Gesellschaft begonnen, die,
größere
Aufgehen
der
Arbeitern nicht leichtern Formen
wie gesagt, die Vorbedingungen eines
lohnenden Gewerbebetriebs oder bestimmte Vorteile im Haushalt der
weniger bemittelten Arbeiterklassen bezwecken.
Um überhaupt die Leute
zum ersten Eintreten in die Genossenschaftsbewegung zu bewegen, muß
man ihnen naheliegende, sogleich greifbare Vorteile bieten, sie nicht weit
aus an die Zukunft verweisen.
Haben sie sich dann in diesen Vereinen
von der Macht des genossenschaftlichen Zusammenwirkens erst überzeugt,
sich an Gemeinsamkeit in Beratung und Geschäftsleitung, an Unterordnung unter die Majorität gewöhnt; sind sie bekannt, vertraut miteinander ge
worden und zu der Einsicht gelangt, daß das Wohl der
einzelnen im
Wohl der Gesamtheit die beste Stütze finde; haben sie sich endlich in die
Geschästsleitung im kleinen, in die Buchführung und alles hier Ein
schlagende eingelernt: so kann man schon weitergehen, ja die Genossen werden ganz von selbst an die Ausdehnung ihrer Verbindung denken. Ganz vorzüglich geeignet für die Überführung zur gemeinschaftlichen Produktion im großen sind die Rohstoff- und Konsumvereine.
Hat
eine Klasse von Handwerkern erst begonnen ihre Rohstoffe gemeinsam zu beziehen und ihr Genossenschaftsgeschäft gehörig einrichten gelernt, so sammelt sich ein eignes Kapital allmählich in der gemeinschaftlichen Kasse,
das Selbstvertrauen, der Unternehmungsgeist hebt sich und man beginnt
einzelne größere Bestellungen zu übernehmen, größere Versendungen zu
wagen, was am Ende in der solidesten und sichersten Weise zur gemein
samen Produktion im großen Maßstabe mit Aufgeben der Einzelgeschäfte überführt.
So übernahm neuerlich eine bloße Rohstoffassoziation
von
Schuhmachern eine bedeutende Stiefellieferung für einen deutschen Truppen
körper und beschäftigte damit ihre Mitglieder; andere haben bedeutende Sendungen nach Amerika exportiert.
So geht die Roystoffassoziation
der Schneider in Potsdam damit um, sobald ihr eignes Kapital noch
um etwas gewachsen ist, ein Kleidermagazin für gemeinsame Kosten her zustellen, und die bloßen Rohstoff- und Magazinassoziationen der
Tischler an vielen Orten lassen bereits Stücke für das Magazin (in welches sonst die Mitglieder für ihre Privatrechnung ihre Waren stellen) für Gesamtrechnung arbeiten.
betrieb überzuleiten, eignen sich
ein
In den mehr fabrikmäßigen Groß
aber besonders die Konsumvereine.
Sobald hier die Mitgliederzahl bedeutend, der Verbrauch groß wird, stellt sich das Bedürfnis der eignen Produktion der Hauptkonsumgegenstände heraus, und man wird alsdann mit um so geringerer Gefahr an die Gründung eines solchen Produktivgeschäfts herantreten, als man in dem Mitgliederbestände des alten Konsumvereins gleich einen ausgebreiteten,
sichern Kundenkreis besitzt.
Von
besonderer Wichtigkeit in allen Fällen
ist bei einem so vermittelten Vorschreiten endlich, daß dadurch das Ein werfen eines entsprechenden eignen Kapitals der Genossen in höherem
Grade ermöglicht wird, als wenn man ohne weiteres beginnt.
Dies ver
leiht dann nicht bloß mehr Kredit, sondern schützt auch vor leichtsinnigen
Geschäftsoperationen, da man erfahrungsmäßig mit dem, was man sich selbst erst mühsam hat erwerben müssen, haushälterischer umgeht, als mit dem, was einem (wie der Lassallesche Staatskredit) so ohne sein Zutun
und Verdienst von Dritten gewährt wird.
Ich wenigstens widerrate
allen die Eröffnung eines solchen Geschäfts zu gemeinsamer Produktion,
wenn sie nicht vorher etwas gespart und mindestens ihre sittliche Be
fähigung dadurch bewiesen haben, daß sie sich einen augenblicklichen Ge
nuß zu versagen, ein Opfer in der Gegenwart aufzuerlegen vermochten, um sich eine sorgenfreie Zukunft zu sichern.
Mit diesen in der Natur der Sache selbst begründeten Sätzen stehen
nun die gemachten Erfahrungen sämtlich im Einllange.
Von den in
Deutschland in den Jahren 1848 und 1849 mehrfach begründeten
Produktivassoziationen — besonders der Schneider — besteht fast
keine mehr, und wie viele von der Anzahl der in jenen Tagen in Paris geschaffenen in kurzer Zeit wieder eingingen, trotzdem, daß die Dispositton
dazu dort viel größer war, als bei uns, ist bekannt.
Am lehrreichsten
154
Schulze-Delitzsch.
für uns sind aber die Vorgänge in England, der eigentlichen Wiege des Genossenschaftswesens. Als man dort mit den Genossenschaften etwa seit 1824 begann, wo Arbeiterverbindungen jeder Art durch die Gesetzgebung freigegeben wurden, dachte man an die Produktivassoziationen
noch gar nicht, von denen die ältesten kaum über 1848 hinausreichen. Vielmehr griff man die Sache dort anfänglich in den sogenannten Ge
werkschaftsvereinen (trade unions), die sich zur Durchfechtung von Streitigkeiten der Arbeiter mit den Arbeitgebern, besonders zur Organisation von Arbeitseinstellungen in Masse (strikes) behufs Erreichung höherer Löhne bildeten, auch mehr von der politischen als der wirtschaftlichen Seite an. Indes drängte das Mißglücken dieser Versuche allmählich auf den andern Weg, und hier sind es vor allem die Konsumvereine (storea), die ausgebildetste Art der Genossenschaft in England, denen wir begegnen und aus denen sich allmählich jene großartigen Etablisse ments zu gemeinsamer Produktion entwickelten, die sogenannten Volks mühlen, d. h. teils Mahlmühlen, teils durch Dampfmaschinenkraft be triebene Fabriken. Besonders gehört hierher die vielgedachte Genossenschaft der Pioniere von Rochdale, die mit einem kleinen Vereinsladen und 26 Pfund Sterling Kapital begann und jetzt, außer einer Dampf mahlmühle, Bäckerei, Schlächterei und dgl., mehrere förmliche Fabriken, namentlich eine Dampfspinnerei und Weberei besitzt und den Bau von Arbeiterwohnungen mit Erfolg in die Hand genommen hat. In Zahl der Unternehmungen und Teilnehmer treten hiergegen die übrigen Produktivassoziationen zurück, doch sollen immer schon über hundert existieren und sich eines güten Gedeihens erfreuen. Sie sind durchgängig jünger» Datums aus den 50er Jahren, und wenn in Eng land, wo die Zersetzung der ältern Betriebsformen sich in weit höherem Maße und weit früher vollzogen hat, als bei uns, eine mehr als 20 jährige Entwicklung dazu erfordert wurde, um lebensfähige Gestaltungen der fraglichen Art hervorzurufen, so haben wir, bei dem viel jüngeren Alter
der Bewegung bei uns und den in minderem Grade dazu drängenden industriellen Verhältnissen, sicher für das erste noch mit großer Vorsicht und Auswahl zu verfahren, wollen wir nicht durch das Mißlingen nicht
gehörig fundierter Versuche den Boden für die ganze Sache verderben. Von diesen Erwägungen ausgehend, habe ich bisher, wenn die Sache an mich herantrat, verfahren und in den letzten Jahren in der Tat wiederholt bei Gründung von Produktivassoziationen mitwirken können, über welche ich recht bald meine Berichte zu veröffentlichen denke. Immer
habe ich abgewartet, bis das Bedürfnis die Leute selbst trieb, die Dinge
in die Hand zu nehmen, und mich wohl gehütet, sie dazu zu drängen und zu unvorbereitetem übereiltem Vorgehen zu ermuntern. Und in diesem
Sinlie und
mit Vorbehalt der
reiflichsten Prüfung wegen des Vor
handenseins der unumgänglichen Erfordernisse, biete ich auch Ihnen, meine Herren, dazu die Hand.
Hiernach sind die bisher hauptsächlich bei uns gepflegten Arten der Genossenschaft schon als notwendiger Durchgangspunkt zu
erwünschten Gestaltungen von entschiedenster Bedeutung.
den weitern
Aber auch ab
gesehen hiervon, greifen sie schon an sich in jeder Hinsicht förderlich und
wohltätig in die Zustände unsrer Arbeiter und Handwerker ein.
Und
zwar ist dies durchaus nicht bloß bei den letzter» der Fall, vielmehr
bezeugt alles, was Herr Lassalle davon sagt, bloß seine völlige Unkenntnis
der praktischen Verhältnisse. Zuerst will ich nur der Volksbanken gedenken, die ja gerade für die Produküvassoziationen,
sobald dieselben
ganz unentbehrlich sein werden.
ihre Geschäfte
ausdehnen,
Arbeitet denn nicht auch die Groß
industrie mit den Bankiers, ist sie denn nicht eben auch fast noch mehr auf Kredit, auf fremdes Kapital angewiesen, als auf eignes? — Schon
strecken unsre Vorschußvereine den Rohstoffassoziationen, ja bereits mehr als einer Produktivgenossenschaft selbst Kapital vor, und dies wird sich in Zukunft, bei mehrerem Emporkommen der letztern, erst recht er
sprießlich entwickeln.
Freilich an solche Kleinigkeiten wie die Sicherung
eines ausreichenden Bankkredits braucht Herr Lassalle nicht zu denken, da tritt bei ihm der Staat ein.
Nun, bis dahin, daß dies geschieht, wollen
wir daran denken!
Ferner, wenn das Handwerk im allgemeinen von der Großindustrie
bedroht ist und seine Betriebsweise mehr den Anforderungen der neuen Gewerbsentwicklung gemäß einrichten muß, sofern es bestehen will, so vollzieht sich der angedeutete Übergang in der Wirklichkeit doch keineswegs
so plötzlich, daß zu jenem Einlenken nicht Zeit bliebe.
Noch sind ganze
Zweige des Handwerks nur wenig von der Fabrikindustrie berührt, und es treten uns zahlreiche Beispiele vor Augen, daß Handwerker nicht nur recht wohl bestehen, sondern sich geradezu zu Fabrikanten emporarbeiten.
Die Handwerker — und sie bilden noch gegenwärtig die größere Zahl der industriellen Arbeiter bei uns — werden sich daher bei Herrn Lassalle
für seine wohlmeinende Ansicht:
daß eine zur Erhaltung ihrer Selb
ständigkeit und zur Förderung ihres Aufschwungs abzielende Maßregel
„nur
eine nutzlose
Verlängerung
ihres
eine Vermehrung von dessen Qualen
Todeskampfes und
sei," zu bedanken haben!
156
Schulze-Delitzsch.
Doch sei dem wie ihm wolle, so liegt in jedem Falle in der Erhaltung der Selbständigkeit einer Anzahl von Kleinmeistern, ja in der Überführung derselben zum Großbetrieb, wie dies erwiesenermaßen die erwähnten Ge
nossenschaften wesentlich fördern, nicht nur für einen so beträchtlichen Teil der Arbeiter selbst eine Wohltat, sondern für alle Arbeiter, die
Fabrikarbeiter mit eingeschlossen. Auf diese Weise wird nämlich ver hindert, daß dasjenige eintritt, was wir schon im zweiten Vortrage als die möglichst ungünstige Chance bezeichneten, die es für den Lohnarbeiter,
für denjenigen, der seine Arbeitskraft einem andern, dem Unternehmer, zu Gebote stellt, überhaupt gibt: die übermäßige Zunahme von solchen Arbeitern einerseits, verbunden mit der Abnahme der Arbeitgeber andrer seits! Wie klein auch die Geschäfte jener Meister waren, sie vermehrten doch nicht das Angebot von Arbeitern in den Fabriken, vielmehr be schäftigten manche von ihnen immerhin Gesellen und Lehrlinge, und die jenigen, die sich zum Großbetrieb emporarbeiteten, machten ja, in der Nachfrage nach Arbeitern, den Fabrikanten geradezu Konkurrenz. Fällt diese Möglichkeit der Erhaltung und des Aufschwungs für die Handwerker aber fort, so müssen sie — wie Herr Lassalle selbst annimmt — in den Fabriken sich zur Arbeit melden und drücken, durch Verstärkung des An
gebots von Arbeitern, notwendig auf die Löhne. Und hier lassen Sie uns bei zwei groben Irrtümern der Lassalleschen Schrift einen Augenblick verweilen, bei seinem sogenannten Gesetz über die durchschnittliche Höhe des Arbeitslohnes und über den so
genannten Unternehmeranteil. Hiernach soll unter den heutigen Verhältnissen mit Notwendigkeit „der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert bleiben, der in einem Volke ge wohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort pflanzung erforderlich ist". Das völlig Unwahre dieses Satzes fühlen Sie selbst, als Leute, die mitten in diesen Verhältnissen darin stehen, sobald Sie sich in den eignen Reihen umblicken, und es gehört die ganze Dreisttgkeit, das ganze Halbwissen des Herrn Lassalle dazu, Ihnen etwas
Derarttges vorzureden und dabei zu behaupten, alle Autoritäten der nattonalökonomischen Wissenschaft stünden auf seiner Seite! Indem ich
wiederholt auf das verweise, was ich über das Steigen und Sinken des Arbeitslohnes im zweiten Vortrag im allgemeinen gesagt habe, bemerke ich hier nur: die Deckung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bildet nur die Untergrenze, keineswegs den Mittelpunkt, den durchschnittlichen Satz der Lohnhöhe, und Herr Lassalle führt selbst aus, daß im Augen-
blick, wo beim Sinken
der Löhne
jene Untergrenze überschritten wird,
sofort die entgegengesetzte Tendenz eintritt, indem durch Verminderung
vermindert und die
der Arbeiterzahl sich das Angebot von Arbeitern Löhne steigen.
Dieser Untergrenze steht als Höhepunkt, bis zu welchem
die Lohnsteigerung sich aufschwingen kann, derjenige Moment gegenüber,
wo die Löhne ein solches Maß
erreicht haben,
daß der Unternehmer
keinen seinem Msiko und seiner Mühewaltung und Leistungsfähigkeit ent
sprechenden Gewinn mehr machen kann und es vorzieht, sein Kapital aus dem Geschäft zu nehmen, um es anderwärts ohne Risiko anzulegen, und
seine Intelligenz und Tätigkeit ebenfalls anderwärts, vielleicht in einem
fremden
Unternehmen, zu verwerten.
In solchen Zeitpunkten werden
schon bestehende Geschäfte geschlossen oder verkleinert, Arbeiter entlassen, neue Geschäfte wenig oder nicht angelegt, die Nachfrage nach Arbeitern,
die Zahl der Unternehmer sinkt, das
Angebot, die Zahl nicht
schäftigter Arbeiter dagegen steigt, und die Löhne fallen.
be
Dies sind die
natürlichen Grenzen, innerhalb deren die Lohnbewegung stattfindet, das
begreift sich mit gesundem Menschenverstand von selbst, und jeder Schüler in der nationalökonomischen Wissenschaft weiß es.
Was aber die Zahl
der Unternehmer und die Nachfrage nach Arbeitern notwendig vermehrt und
somit
die Lage der Arbeiter
verbessert, ist das Wachstum
Kapitalien und der Aufschwung des Gewerbefleißes.
der
Je leichter und vor
teilhafter man arbeitet, je mehr Gewinn die Industrie abwirst, desto mehr gewerbliche Unternehmungen entstehen, welche allen Arbeitern Beschäfttgung geben.
Und je mehr Kapital da ist, desto mehr drängt es sich nach An
lage in solchen Unternehmungen, weil es ja sonst tot liegen, seinen In habern keinen Zins bringen würde, das haben wir alles schon gesehen.
Deshalb stehen die Löhne höher, haben es die Arbeiter besser in reichen, industriellen Ländern als in armen; in großen gewerbefleißigen Städten besser als auf dem Lande.
Und daß natürlich, eben infolge der durch
greifenden Einwirkung von Angebot und Nachfrage, noch ein andrer Umstand mit einwirft und die Lohnhöhe für die verschiedenen Arbeits verrichtungen innerhalb jener allgemeinen Grenzen verschieden abstust,
haben wir im fünften Vortrage ebenfalls schon angedeutet.
Je nach den
Anforderungen, die eine Beschäftigung an die Geschicklichkeit, Kenntnis
und Zuverlässigkeit der verschiedenen Arbeiter macht, ist ihr Lohn zu der selben Zeit ein verschiedener und steigt namentlich in dem Grade, als
geistige Eigenschaften dabei entscheidend sind.
Natürlich nimmt die Zahl
der so befähigten Arbeiter ab, je höher die Anforderungen an dieselben
in obiger Rücksicht steigen, wogegen sie um so mehr zunimmt, je geringer
158
Schulze-Delitzsch.
die geistige und körperliche Qualifikation zu den betreffenden Leistungen zu sein braucht.
Eben deshalb steht der Lohn der letzteren Arbeiterklasse,
z. B. der bloßen Tagelöhner, zu deren Verrichtungen weder besondere
Kunstfertigkeit noch ungewöhnliche Anstrengung gehören, im Verhältnis gegen den der ersteren Klasse zurück.
Hiermit ergibt sich zugleich die Verkehrtheit der'Folgerungen, welche
Herr Lassalle aus diesem angeblichen Gesetz von der Lohnhöhe auf die Wirkungslosigkeit der Konsumvereine mit ihrer billigern Versorgung
der Arbeiter zieht, von selbst.
Die größere Wohlfeilheit notwendiger
Lebensbedürfnisse soll schließlich ein Sinken der Löhne zur Folge haben!
Nun, seit nahezu 20 Jahren sind die Kornzölle in England aufgehoben
und dadurch die Brotpreise billiger geworden; seit nahezu 20 Jahren
arbeiten
die riesigen
Konsumvereine
(stores)
in
England
in
dieser
Richtung, und die Löhne haben, bei Abnahme der Arbeitszeit, eine stetige Steigerung erfahren!
Wagen
Sie es
daher nur darauf hin, meine
Herren, und schaffen Sie sich die Vorteile des Großbezugs durch solche
Vereine, Sie werden an Ihren Löhnen nichts verlieren, wohl aber in
Ihrem Haushalt gewinnen! Womöglich noch verkehrter und unwissenschaftlicher ist der gemachte
Gegensatz von Arbeitslohn und „Unternehmergewinn".
Ding kennt
die Wissenschaft nicht.
Unternehmer nach Bestreitung
unkosten
übrigbleibt, in
gewinn.
Ein solches
Vielmehr zerfällt das, was dem
der Arbeitslöhne
und aller Geschäfts
a) Unternehmerlohn,
b) Kapital
und
Daß die Gründung und Leitung eines Geschäfts, besonders
eines größern, welches fremde Arbeiter beschäftigt, ihre großen Schwierig keiten hat,
daß
sie einen
hohen Grad
von Einsicht, Erfahrung und
Kenntnissen, von Tatkraft und Willensstärke erfordert, kann niemand bestreiten.
Der Gründer und Leiter des Unternehmens ist daher un
bestritten derjenige Arbeiter, der das Meiste und Schwerste von allen
leisten muß, also auch Anspruch auf einen höhern Lohn hat.
Aber das
ist nur die eine Seite der Sache, und er hat außerdem auch das Risiko,
die Frucht ge
d. h. er muß das nötige Kapital zum Geschäftsbetriebe,
taner Arbeit, das Verdienst früherer Jahre, dransetzen fahr, dasselbe bei
ungünstigem Geschäftsgänge zu
und ist in Ge
verlieren.
Dieses
Risiko wird nach allgemeinem Geschäftsgebrauch nur durch den Ge
schäftsgewinn
ausgewogen,
welcher vom Geschäftsertrage übrigbleibt,
wenn man davon, außer den sonstigen Geschäftsunkosten, noch den ge
wöhnlichen Zins, den das Kapital bei jeder andern sichern Anlage ge tragen hätte, und den Lohn des Unternehmers abrechnet.
„Wer das
Risiko trägt, dem kommt der Gewinn zu!"
Dies die unbeugsame
Regel im Geschästsleben, gegen deren Gerechtigkeit sich von keiner Seite etwas
einwenden läßt, und deren Abänderung nur zum Ruin
der Industrie
und somit zum Schaden der Arbeiter selbst ausschlagen müßte.
Denn
wo sollten sich noch Leute finden, die geneigt wären, das Risiko eines
Geschäfts zu übernehmen, ihr Kapital dran zu wagen, wenn den
Gewinn
davon
Lassallesche Projekt!
ziehen
sollten? — Und
hieran
eben
sie nicht
rührt das
Gewiß ist es richtig, das haben wir schon erörtert;
daß die vollständigste Lösung der Arbeiterfrage in der erleichterten Möglichkeit für den Arbeiter liegt, selbst Unternehmer zu werden, und in welcher Weise dies von einzelnen, sowie von ganzen Arbeitergruppen im Wege
der Genossenschaft anzugreifen ist, haben wir gezeigt.
Dies bewirken
wir in den auf Selbsthilfe gegründeten Genossenschaften ganz natur gemäß, indem eben hier die Arbeiter, als Träger und Inhaber des Ge
schäfts, zu dem sie das Kapital teils selbst aufbringen, teils es unter ihrer Gesamthast kreditiert erhalten, das Risiko übernehmen und dafür mit vollstem Fug und Recht den Geschäftsgewinn wie den Unternehmer-
lohn unter sich teilen.
Bei den Assoziationen dagegen, wie sie im Kopfe
des Herrn Lassalle spuken, übernimmt der Staat die Garantie,
und das kann doch nichts anderes bedeuten, als das Risiko, und nicht die Arbeiter, und diese sollen
dennoch den Gewinn
erhalten.
Tat ein schönes Geschäft, wenn sich der Staat darauf einläßt!
In der
Wir,
meine Herren, denke ich, lassen uns nicht darauf ein und warten nicht darauf.
Wie wir nicht ausriefen: „Fort mit dem Kapital!" sondern:
„Her mit dem Kapital,
wir
haften
dafür!"
so
rufen wir jetzt
wiederum: „Her mit dem Geschäftsgewinn, wir übernehmen das
Geschäftsrisiko!"
In keinem Falle aber wenden wir uns an einen
Dritten, daß er das Risiko für uns trage und dann uns den Gewinn schenke.
Mit den Worten des Dichters, den Herr Lassalle zitiert, be
haupte ich den Arbeitern gegenüber immer und immer wieder: Und setzet Ihr nicht daS Leben ein, Nicht wird Euch daS Leben gewonnen sein!
Die Existenz eingesetzt, die volle Verantwortlichkeit übernommen — nur so wird die Selbständigkeit der Existenz auf dem Felde
des Erwerbs
gewonnen; nur so wird der Arbeiter sein eigener Arbeitgeber, Arbeiter
und Unternehmer in einer Person, ein Ziel, welches wir wohl als des
Strebens aller tüchtigm Arbeiter wert bezeichnen dürfen.
Denn gerade
das war es ja, die Vereinigung der geistigen und mechanischen Arbeits aufgabe in einer Hand, was den Handwerkerstand im ganzen so tüchüg
160
Schulze-Delitzsch.
gemacht hat. Indem die gewerbliche Unselbständigkeit, die Lohnarbeit, bloß ein Durchgangspunkt war, und der Lehrling und Geselle in der
Stellung des Meisters nur ein auch ihnen im gewöhnlichen Laufe der Dinge erreichbares Ziel erblickten, konnte nie eine so schroffe Kluft ent stehen, wie sie so häufig den Arbeitgeber von den Arbeitern in unsern
großen Fabriketablissements, gegen das wahre Interesse beider Teile, trennt. Von diesen Proben, wie Herr Lassalle die Dinge im allgemeinen auffaßt, kann man nun einen Schluß auf den Wert dessen ziehen, was
er sowohl für seine Projekte, wie gegen die von mir vertretene Richtung anführt. In erster Beziehung läßt er wohlweislich die Organisation seiner
Zukunftsassoziationen im Dunkeln.*) Er will die freie, individuelle Assoziation, gleich mir (natürlich immer die Staatshilfe abgerechnet), gleichwohl soll sich „die Assoziation im Laufe der Zeit über den ganzen Arbeiterstand erstrecken", und „er will im Laufe der Zeit so viel Assoziationsfabriken gründen, daß der ganze Arbeiterstand darin beschäftigt ist, weil es sich eben um den ganzen Stand, nicht um das Emporkommen einzelner handelt". Wie sich das letztere, das Zusammensassen des ganzen Arbeiter standes in den Assoziationen, mit der freien und individuellen Assoziation, die es doch dem einzelnen überlassen muß, ob und unter welchen Bedingungen er eintreten will, vereinigen läßt, ist mindestens zweifelhaft. Soviel aber ist sicher, daß, wenn sämtliche Arbeiter in den Assoziationsfabriken beschäftigt werden sollen, sämtliche bisherige Privat etablissements geschlossen werden müssen. Daß ein solches Ziel, da es mit Staatshilse erreicht werden soll, am Ende mit wenigen Modifikationen auf den sozialen Staat hinausläuft, von dem wir uns im vierten Vortrage unterhalten haben (Herr Lassalle bezeichnet den Staat als „die große Assoziation der arbeitenden Klassen"), werden wir so lange annehmen, bis er seinen Organisationsplan im Detail näher dar gelegt und uns dadurch eines andern belehrt hat. Geradezu lächerlich
erscheint uns dabei nur, daß die an die Spitze gestellte Staatshilfe *) Dasselbe tut Herr Rodbertus in seinem inzwischen erschienenen „Offenen Briefe" an das Leipziger Komitee, worin dieser Freund Lassalles merkwürdigerweise abmahnt, die Arbeiterbewegung aus das politische Gebiet zu drängen und daS allgemeine Wahlrecht als Losung aufzustellen. Er will die Ermittelung, wie den Arbeitern zu helfen sei, eben als Aufgabe des Arbeiter vereins betrachtet wissen und macht selbst darüber keinerlei Vorschläge.
oder Intervention die soziale Selbsthilfe nicht alterieren soll.
Eine
Hilfe durch andere, eine Hilfe für solche, welche sich nicht selber helfen können, ist doch alles eher als Selbsthilfe!
Davon kommt man nur
los, wenn man, wohin sich Herr Lassalle nach seiner Staatsdefinition
zu neigen scheint, annimmt:
die Arbeiter
allein, mit Ausschluß
aller übrigen Klassen, wären der Staat.
Staat hilft, dann helfen sie sich freilich selbst.
Wenn ihnen dann der Ich will Sie, meine
Herren, mit der Widerlegung dieser Voraussetzung, welche aller Wirklichkeit,
dem, was jeder mit seinen gesunden fünf Sinnen wahrnimmt, so grob ins Gesicht schlägt,
nicht
ich weise nur auf den Fehlschluß
behelligen,
hin, der daraus gezogen wird.
Wenn die Arbeiter nicht im Besitz der
Mittel sind, einzeln oder durch ihren Zusammenschluß sich emporzubringen, wie kann es denn ein Staat, der nur aus ihnen besteht, und dem sie noch überdem die Mittel zu den eigentlichen Staatszwecken in Form von Steuern gewähren müssen? — Und solchen Folgerungen begegnen wir
überall.
Wenn z. B.
daß
gesagt wird:
die Arbeiter
nichts
erreichen
würden, „wenn sie ausschließlich und lediglich und allein auf ihre
isolierten
Anstrengungen
als
Individuen
reduziert
blieben": so folgt daraus doch nur, daß man sich auf genossen schaftlichem Wege zu vereinigen hat, da dies ja eben der Weg ist,
um aus der atomistischen Isolierung herauszukommen, keineswegs aber
die Notwendigkeit der Staatshilfe.
Doch
gehen wir an das einzelne.
Die Möglichkeit der Assoziation, auch der Produktivgenossenschaft,
auf dem Wege der Selbsthilfe bestreitet Herr Lassalle also nicht, aber er hat bei ihrer Durchführung Bedenken.
in die Genossenschaften gezogen
Einmal will er alle Arbeiter
wissen, wie wir sahen,
und da scheint
ihm, wenn man die Sache den Leuten selbst überläßt, ein solcher all gemeiner Beitritt wohl zweifelhaft.
Nun,
unmöglich ist
derselbe auf
unserm Wege an sich nicht, vielmehr sind alle, welche überhaupt dazu geneigt sind, den Willen und die Kraft dazu in sich fühlen, jederzeit in
der Lage,
entweder den
oder neue zu gründen.
schon bestehenden Genossenschaften beizutreten
Sicher wird die wachsende Einsicht in das Wesen
und die Vorteile der Genossenschaft immer heranziehen.
größere Arbeiterkreise dazu
Aber daß sämtliche Arbeiter jemals, ohne Anwendung von
Zwang, sich so vereinigen werden, das halte ich für eine Schimäre.
wir uns nur das Sachverhältnis etwas näher an.
Sehen
Da finden wir zuerst
die ländlichen Arbeiter, die in der Landwirtschaft ihre Beschäftigung
finden, deren Zahl
durch die neueste Volkszählung in Preußen auf
3428457 selbsttätige Personen (Männer und Frauen) festgestellt ist, also Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.
H
162
Schulze-Delitzsch.
die der industriellen Arbeiter übersteigt, welche nur 3104092 beträgt.
Wie will man diese Leute in die allgemeine Arbeitergenossenschaft hinein ziehen, wenn man nicht den
jetzigen Grundeigentümern ihr Eigentum
nimmt, sie irgendwie expropriiert, da man ohne Grundbesitz doch nimmer mehr selbständig
als Unternehmer
Landwirtschaft treiben
kann.
Die
Kapitalgarantie des Staates hilft dazu gar nichts, da mühte der Staat zu Eingriffen der gewaltsamsten Art in da§ Eigentum schreiten, weshalb
wir von dieser
größeren Halbschied der Arbeiter bei
der Lassalleschen
Zukunftsassoziation gleich von Haus aus abzusehen haben. — Sodann haben wir die Handwerker, welche wiederum an Zahl — 1090714 —
den Fabrikarbeitern — 766180 — erheblich bei uns überlegen sind und
sicher nur zum Teil geneigt sein werden, ihre zäh und in vielen Fällen mit Glück behauptete Selbständigkeit aufzugeben, um sich der allgemeinen Assoziation anzuschließen. — Bleiben sonach noch die Fabrikarbeiter übrig, von denen wir indessen wiederum ca. 50000 an Direktions- und Aufsichtspersonal, und ca. 150000 Weiber in Abrechnung bringen müssen,
so daß sich ihre Zahl auf wenig über 560000 reduziert.
Nun sind
aber auch unter diesen sehr viele in ihren Lohnverhältnissen so gut ge
stellt, daß sie wahrhaftig nicht geneigt sein werden, ihr gutes Auskommen
aufzugeben und sich jenen Assoziationen anzuschließen, doch zum mindesten höchst zweifelhaft ist.*)
deren Gelingen
Wie lockend und zweckmäßig
nun auch gerade für solche, die etwas vor sich gebracht, etwas gespart haben, der Übergang zur gewerblichen Selbständigkeit ist, mancher wird
eine lohnende Beschäftigung ohne Risiko einem Geschäfte für eigne Rechnung vorziehen, das steht
bei der Verschiedenheit der Menschen fest.
Zwang möchte also die ganze Maßregel kaum durchzuführen sein,
Ohne
wenn
ihn auch Herr Lassalle nicht proklamiert, und zwar sowohl Zwang zum Beitritt gegen die einzelnen Arbeiter, wie Zwang zur Aufnahme
aller gegen die einzelnen Assoziationen.**)
Denn bei dem gewährten
Staatskredit kann man unmöglich gestatten, daß sich einige wenige, mit *) In den großen Maschinenbaufabriken in Berlin wechseln z. B. die Wochen löhne (bei Stückarbeit) durchschnittlich von 5 bis 12 Taler und darüber für den einzelnen, dem nicht selten auch noch erwachsene Familienglieder zur Seite stehen. Man vergleiche die treffliche inzwischen erschienene Schrift von W. Wackernagel: Offener Brief eines Urwählers III. Klaffe, der nicht Arbeiter, an F. Lassalle. Elberfeld, bei Bädeker. 1863. *♦) Schon die obigen Zahlen ergeben, welche Aussichten die zur allgemeinen Affoziation vereinigten Arbeiter haben würden, auf Herrn Laffalles Methode den Staat durch das allgemeine Wahlrecht in ihre Gewalt zu bekommen, wenn sie sich mit den übrigen Staatsangehörigen in Zwiespalt setzten. Sie bilden
Ausschließung aller anderen
in
gleicher Lage mit ihnen
desselben bedienen, um ein lukratives Geschäft zu machen.
Befindlichen,
Nicht einzelnen,
dem ganzen Stande soll geholfen werden, sagt Herr Lassalle. In der Tat gehört eine völlige Verkennung aller Verkehrsverhältnisse
dazu, wie sich dieselben aus der Natur des Menschen mit Notwendigkeit
von
selbst entwickeln,
genossenschaft
die
um sich einzubilden, daß
einzige Form
der
industriellen
jemals
die Arbeiter
Produktion
werden
könne, daß sie die ganze Einzelindustrie aufzusaugen bestimmt sei.
Stets
wird der einzelne, bei welchem Kapitalbesitz, Unternehmungsgeist und praktische Erfahrung Zusammentreffen, bei Gründung und Leitung eines Geschäfts gegen eine Genossenschaft in großem Vorteil stehen, schon wegen der so
nötigen
Einheit und Leichtigkeit in
den
Geschäftsoperattonen.
Aber dennoch wird das Zustandekommen und die glückliche Durchführung einzelner Produktivassoziationen in
den verschiedensten Industrie
zweigen nur segensreich auf die Hebung der arbeitenden Klaffen im all
gemeinen, auch
auf die nach wie vor in fremden Etablissements Be
schäftigten zurückwirken,
denn
da
auf
solche Weise ein größerer oder
geringerer Bruchteil der Arbeiter sein eigener Arbeitgeber geworden, die
Zahl der Unternehmungen also vermehrt und die der Arbeitsuchenden bei den bisherigen Etablissements vermindert ist, so wirkt dies schon an und
für sich günstig auf die Lohnhöhe der übrigen ein.
Ferner aber wird
durch ein solches Beispiel namentlich bei den tüchtigsten Elementen des
Standes die Lust zur Nachfolge rege und wollen die bisherigen Arbeit geber sie in ihren Geschäften zurückhalten, so werden sie sich zu möglichster Verbesserung ihrer Lage entschließen müssen.
Schon taucht wiederholt
in England der Versuch auf, den Arbeitern außer ihren gewöhnlichen,
meist nach Stückarbeit berechneten
Löhnen
noch einige Prozente
vom
Reingewinn kontraktlich zuzusichern, dessen Ausführung, wegen Bloßlegung der
Geschäftsbilanz,
wohl
manche
Schwierigkeiten
bietet,
welche
jedoch vor den dadurch erreichten großen Vorteilen nicht nur für die
Arbeiter, sondern auch für die Unternehmer selbst zurücktreten und über wunden werden müssen.
Denn indem auf diese Weise das Interesse des
Arbeiters so innig mit dem Gang der Geschäfte verknüpft wird und so zusagen jeder einzelne den Vorteil des Ganzen wie seinen eigenen be
trachtet, muß der Geschäftsertrag notwendig wachsen — ein Erfolg, der offenbar die Minorität unter den Arbeitern selbst, und da die Beamten, Lehrer, Kaufleute, Soldaten, das Gesinde usw. auch noch zusammen über eine Million selbständiger Personen zählen, haben sie so, auch wenn man die Frage bloß nach der Kopfzahl entscheidet, am wenigsten für ihre Pläne zu hoffen.
164
Schulze-Delitzsch.
schließlich der Gesamtproduktion und Konsumtion des Landes gleichmäßig zustatten kommt.
Ebenso leicht wie mit der Organisation, macht es sich Herr Lassalle mit der so überaus wichtigen finanziellen Seite der Frage: wie unter
Eintritt des Staats Kapital und Kredit für die Assoziationen beschafft werden soll?
Er
verschiebt
jede
„die Art
solche
der
Ausführung"
(Exekutionsmodus) betreffende Erörterung als völlig wirkungslos und
überflüssig, da sie einen praktischen Wert erst in der weiter unten zu bestimmenden Zeit
haben
werde,
wo an
die
Verwirklichung
seiner
Forderungen gedacht werden kann, d. h. wenn durch das allgemeine Wahl recht die Volksvertretungen — wie er meint — völlig auf seinem Stand
punkte stehen und alle die schönen Sachen dekretieren. sehr bequem für ihn, wie ich bereits
sagte.
Das ist freilich
Allein da von dieser Er
örterung der Nachweis der Ausführbarkeit des ganzen Projekts abhängt, so ist die Zumutung doch etwas stark, jahrelang Zeit, Kraft und Geld
mittel dafür aufzuwenden, lediglich aus das Wort des Herrn Lassalle. Indessen wenn der Urheber des Projekts den Nachweis der Möglichkeit
in solcher Weise zu führen verschmäht hat, meine Herren, vielleicht werden wir mit dem Nachweis der Unmöglichkeit seiner Pläne auch ohne seine
noch zu erwartenden Ausschlüsse fertig.
Da frage ich Sie einfach, meine Herren: wo der Staat die Tausende von Millionen hernehmen soll, um die sämtliche Industrie des Landes
in die Hände der Arbeiter zu bringen?
Welche ungeheuren Summen
sind nicht allein hier in Berlin in Fabriken und Werkstätten aller ?lrt
angelegt und
dabei sehen wir noch ganz
von dem jeder Berechnung
spottenden Werte der zu landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Ländereien nebst Inventarien ab, welche bei Hereinziehen der ländlichen Arbeiter in
die Assoziation mit akquiriert werden müßten.
Alle diese Kapitalien be
finden sich gegenwärtig in den Händen von Privatpersonen, und von
diesen allein kann sie der Staat vorgestreckt erhalten, bei ihnen allein hat er Kredit zu suchen.
Nun befindet sich aber auch die gesamte Industrie,
in welcher diese Kapitalien angelegt sind, in den Händen der Privaten,
und diese soll der Staat durch seine Dazwischenkunft, durch seine finanzielle Garantie, verdrängen helfen, um sämtliche Etablissements allmählich in die Hände der Arbeiter zu bringen. Werden denn nun die Kapitalisten, so frage ich weiter, durch Vorstreckung von Geld und Kredit zu diesem
gegen sie selbst gerichteten Angriffe mitwirken? Kann das jemand im Ernste glauben?
Ein Staat, der so etwas unternimmt, sein Geld und seinen
Kredit auf solche Pläne verwendet und damit das Privatkapital und die
Privatindustrie anfeindet und verscheucht, der bekommt einfach kein Kapital
und keinen Kredit, wird beides niemals bekommen und kann es also auch anderen nicht gewähren. Nun muß man aber durchaus Kapital und Kredit haben, um mit irgendeinem Unternehmen, besonders mit großen
Fabriketablissements, zu beginnen, man kann ja ohne dies gar nicht an fangen, und deshalb bleibt eben nur der Weg übrig, den die auf Selbst hilfe gegründeten Genossenschaften mit so gutem Erfolg beschritten haben: das Privatkapital anzulocken statt anzufeinden, ihm die nötigen geschäftlichen Garantien zu bieten, die im Wesen der Genossen schaft liegen, und es sich dadurch unter den marktgängigen Bedingungen dienstbar zu machen. Wirklich streifen die weiteren Räsonnements des Herrn Lassalle hierbei an das Lächerliche. Daß Kapital oder Kredit des Staats lediglich auf den Steuern und der Steuer kraft seiner Angehörigen beruhen und daß daher einer Klasse von Bürgern vom Staat nur auf Kosten der übrigen aufgeholfen werden kann, haben wir mehrfach festgestellt. Wenn nun 95 Prozent aller Staats bürger, nach Herrn Lassalle, diese Abhilfe, gleichviel ob durch Vor streckung von Geldmitteln oder Garantie für Kredit in Anspruch zu nehmen haben, wo in aller Welt bleiben dann diejenigen, in welchen der Staat den finanziellen Rückhalt zu suchen hat? Die noch übrigen 5 Prozent müßten wirklich von der Bürde, die doch zuletzt allein auf ihre Schultern fiele, erdrückt werden. Nein, meine Herren, wenn die Arbeiter selbst der Staat sind, so ist es doch der unnützeste Umweg, den ich mir denken kann, sie erst an den Staat zu verweisen.
Denn auf sie selbst fällt ja
eben alsdann die ganze Aufgabe zurück; die Staatshilfe ist ja dann,
wir wiederholen es, weiter nichts als die Selbsthilfe, aber mit Hinder nissen, wesentlich verteuert, erkauft um den Preis höherer Steuern, um ein unnützes Mehr von Beamten zu bezahlen, erkauft um den Preis der so wertvollen, zum gewerblichen Gedeihen ganz unentbehrlichen Selb ständigkeit. Denn Herr Lassalle stelle sich an, wie er wolle, er kommt bei der Staatsgarantie nicht über die Staatseinmischung und Staats aufsicht hinweg. Wie unreif seine Vorstellungen hierüber sind, geht
schon aus der Art hervor, wie er die Staatsgarantie, mittels deren die Assoziationen das nötige Kapital vorgestreckt erhalten sollen, auffaßt, indem er dabei an die Zinsgarantie bei Eisenbahnen denkt. Daß der Staat, um Kredit für die fraglichen Assoziationen zu erhalten, nicht mit einer Garantie für eine gewisse Zinshöhe wegkommt, sondern die den Assoziationen zu kreditierenden Kapitalien selbst garantieren, dafür
Schulze-Delitzsch.
166
Bürgschaft leisten muß, liegt auf der Hand, da bei Eisenbahnen der Fall
ein
ganz anderer ist.
Bei einer Eisenbahngesellschaft ist das Kapital
vorhanden und nicht erst zu beschaffen, die Aktionäre sind selbst Kapitalisten, besitzen das nötige Geld, dem die Bahn und deren Betriebsinventar einen
reellen Wert als sichere Unterlage bietet. Sie wollen nur einen Minimal-
Ertrag ihres Kapitals durch jene Garantie sich gesichert wissen, ohne welche sie sich zu der Anlage nicht entschließen.
Allein den fraglichen
Assoziationen soll das Kapital oder der Kredit durch die Staatsgarantie
überhaupt erst verschafft werden, und jedermann sieht ein, daß dieselbe auf das Kapital selbst, nicht bloß auf die Zinshöhe, erstreckt werden muß, wenn sich irgend jemand entschließen soll, daraufhin Geld oder Ware zu
kreditieren.
Der Staat tritt somit, wenn die Maßregel überhaupt Sinn
und Effekt haben soll, vollständig in das Risiko der Assoziationsgeschäfte ein, ohne am Gewinn teilzuhaben, und wie dies, selbst bei den aus
schweifendsten Vorstellungen von der Unermeßlichkeit der Staatsmittel,
durchgeführt werden kann, ohne daß der Staat diese Assoziationsgeschäfte,
für deren Solidität er aufkommen muß, auf das genaueste kontrolliert, ist völlig unerfindbar.
Diese Assoziationen stehen doch nicht außerhalb
der Chancen aller menschlichen Unternehmungen, sie sind doch mangel
hafter Leitung, ja selbst unverschuldeten Verlusten, den allgemeinen Kon
junkturen des Marktes ausgesetzt, der Möglichkeit des Mißlingens. Wenn
nun ein solches Geschäft zahlungsunfähig wird, das Anlagekapital verloren
geht, die Gläubiger aus der Staatskasse gedeckt werden müssen, was wird nun? — Bleiben die Mitglieder dem Staat verpflichtet, müssen sie ihm das für sie Gezahlte ersetzen? — Um hierzu imstande zu sein, müssen sie ein neues Geschäft anfangen, von dessen Ertrage sie leben und etwas
zur Tilgung jener Schuld übrigbehalten.
Dazu aber gehört wiederum
Staatsgarantie zur Beschaffung des Betriebskapitals.
Konto einer solchen verunglückten Assoziation gelöscht,
strichen werden, ohne Ersatzpflicht der Mitglieder?
Oder
soll das
die Schuld ge
Daß dies eine Er
munterung zu leichtsinnigen Spekulationen und sorgloser Verwaltung wäre, wenn sich die Genossen so leicht den Folgen des eigenen Tuns zu
entziehen vermöchten, und daß, wenn eine solche Ermunterung vom Staat
selbst ausginge, die Demoralisation der Arbeiter und das völlige Herunter kommen
der
Gesamtgüterproduktion und
des
Gesamtkapitals
in
er
schreckender Weise die Folge davon sein müßte, bedarf keines weiteren Be weises.
Und davon kommt Herr Lassalle mit seinem Vorschläge einer
gegenseitigen Assekuranz der Assoziationen gegen Geschäftsverluste nicht los. Man mag sich wohl gegen äußere unverschuldete Unglücksfälle
assekurieren und deren Übertragung dadurch auf viele verteilen, nicht aber
gegen ein solches Mißlingen, welches in den meisten Fällen in eigener Verschuldung beruht, oder wo Schuld und Unschuld sich in den wenigsten Fällen erkennen und scheiden lassen.
Die Folgen verkehrten Tuns soll
der tragen, der so handelt; eine Assekuranz gegen die Folgen jeder Art
von geschäftlicher Untüchtigkeit und Mißgriffen ist sittlich und wirtschaftlich
ebenso verwerflich als undurchführbar, weil ihr Zustandekommen schon an und für sich durch Beförderung jener Mängel und Lähmung der
Selbstsorge die Fälle, wo sie einzutreten hätte, vermehren würde*) Daß es daher ohne Staatskontrolle nicht abgeht, fühlt auch Herr Lassalle und seine Versicherung:
„der Staat würde keineswegs den
Diktator bei diesen Gesellschaften spielen", ist ein sehr schwacher
Trost, da er selbst ihm Statuten
und
„die Feststellung resp. Genehmigung der
eine zur
reichende Kontrolle bei
seiner
Interessen
aus
der Geschäftsleitung" zugesteht.
Nun
Sicherung
wahrhaftig, das ist gerade genug, um auch den Gedanken an eine geschäft liche Selbständigkeit zu beseitigen.
Geschäftskontrolle, soweit die Staats
interessen es erfordern, — ja, da der Staat das ganze Risiko des Ge schäfts hat, so fordert ja sein Interesse die allerspeziellste, die eingehendste
Kontrolle, damit keine verkehrten und leichtsinnigen Unternehmungen vor
kommen können, welche
jenes Risiko nahe rücken!
Also eine Prüfung
der Zweckmäßigkeit des Geschäftsverfahrens bis ins Detail, die Beurteilung
der einzelnen Abschlüsse und Spekulationen und noch dazu durch Beamte — denn ohne dies kann der Staat sein Interesse in Wirklichkeit nicht
wahren.
Hierzu nun auch die Prüfung und Genehmigung der
Statuten — wo da die freie Assoziation bleibt, das ist nicht ab zusehen.
Die mindeste praktische Erfahrung auf diesem Felde hätte Herrn
Lassalle eines Besseren belehren können. Welchen Wert legt jeder Geschäfts mann auf die Selbständigkeit und die Freiheit in seinen geschäftlichen
Maßnahmen und Entschließungen! Da sind die Mitglieder unserer kleinen Assoziaüonen durch ihre Erfahrungen schon weitergekommen.
Welchen
Kampf haben wir mit den Behörden in Preußen um unsere Freiheit ge•) Was würde man z. B. zu einer Vereinigung einer Anzahl Aspiranten im Staatsdienst sagen, deren Anstellung und Beförderung durch das Bestehen von Prü fungen bedingt ist, wenn dieselben sich gegen das Durchfallen im Examen aflekurierten, mit der Wirkung, daß jeder Durchgefallene eine Rente, die seinem mut maßlichen Gehalte gleichkäme, erhielte? Die Folg« wäre, daß künftig, anstatt wie ftüher etwa 10 Prozent, nunmehr 90 Prozent der assekurierten Kandidaten durch fielen, und der Bankerott einer solchen Kaffe wäre gewiß.
168 führt
Schulze-Delitzsch.
und jede Kontrolle,
auch nur unserer Statuten, selbst um den
Preis der Konzessionierung, selbst gegen die Androhung der Schließung, abgewehrt.
Als vor einiger Zeit der Schuhmacherassoziation zu
Delitzsch ihr ganzes Retriebskapital von der dasigen Kommunalsparkasse
zu 2 Prozent Zins angeboten wurde, wenn sie einem Magistratsdeputierten die Einsicht in ihre Geschäfte gestatte, wiesen die wackeren Männer dies ab, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, und meinten, daß sie lieber nach wie
vor 4 bis 5 Prozent zahlen und ihre eigenen Herren blieben. Und darauf
kommen wir immer wieder zurück: eben weil die Genossenschaften, wie der Erfolg überall zeigt, ohne diese ganz undurchführbare Staatsgarantie
Geld und Kredit in ausreichendem Maße erhalten, wenn sie es recht an greifen, ist es in keiner Weise zu rechtfertigen, durch Zuhilfenahme des Staates jene wichtige Bedingung alles gewerblichen Gedeihens, die ge
schäftliche Selbständigkeit ohne die dringendste Veranlassung zu opfern. Und eben damit, mit der praktisch nachgewiesenen Fähigkeit unserer Ge
nossenschaften, auf dem Wege des Kredits fremdes Kapital für ihre Ge schäfte heranzuziehen, ist das Falsche einer weiteren Deduktion der Lassalle
schen Schrift dargetan. Weil in der einen Assoziationsfabrik der Pioniere
zu Rochdale, welche 1600 Arbeitern als Aktionären gehört, nur 500 Arbeiter beschäftigt sind, so folgert er daraus: 1. daß die in einer Fabrik beschäftigte Arbeiterzahl nie das zum Betriebe gehörige Kapital unter sich aufbringen könne; müsse.
2. daß also zu diesem Zwecke Staatshilfe eintreten
Ja, das wäre freilich richtig, wenn ein gewerbliches Unternehmen
immer nur mit dem eigenen Fonds der Unternehmer betrieben, und nicht auch fremdes Kapital darin angelegt werden könnte.
Aber darin fanden
wir ja eben eine Hauptaufgabe der Genossenschaften, eine Kreditbasis zur Heranziehung fremden Kapitals zu bilden.
Und
da dies mit so
großem Erfolg gelungen ist, so fällt der Schluß des Herrn Lassalle, auch wenn man den Vordersatz zugibt, in sich zusammen.
Weil die Arbeiter
nicht das erforderliche Kapital aus eigenen Mitteln aufbringen können,
so brauchen sie Kredit, so müssen fremde Kapitalien ihnen dienstbar ge
macht werden, und die geschäftliche Basis hierzu gewährt ihnen die Ge nossenschaft auf dem Wege der Selbsthilfe, nicht der Staat, der dazu
gar nicht imstande ist, selbst wenn er wollte.
So liegt die Sache.
Und
wenn die Pioniere von Rochdale jenes Fabrikgeschäft (eine Spinnerei
und Weberei) noch nicht auf so großem Fuße eingerichtet haben, daß alle darin Arbeit finden, so haben sie sicher ihre guten Gründe dazu, unter denen wir namentlich erwähnen, daß sie nur zum Teil der in der Fabrik
beschäftigten Arbeiterbranche, zum Teil ganz anderen Beschäftigungen an-
gehören.
Daß sie ihrer Unternehmung aber jederzeit weitere Ausdehnung
geben und den nötigen Kredit dazu leicht erhalten können, sobald sie nur wollen, ist bei ihrer Geschäftskenntnis und Solidität gewiß. Jeden
falls ist für meine Andeutungen über die künftige Stellung der Pro duktivgenossenschaften neben den Privatetablissements der Um
stand sehr bemerkenswert: daß, wie wir bestimmt wissen, eine große Zahl
der Mitglieder jener Genossenschaft, obschon sie Mitinhaber ihrer groß artigen Etablissements und Teilnehmer an deren Geschäftsgewinn sind,
nach wie vor in ihrem Verhältnis als Lohnarbeiter in Privatfabriken verbleiben.
Und damit ist zugleich das entscheidende Moment in bezug
auf den Streit mit den in der Genossenschastsfabrik beschäftigten, nicht
zur Genossenschaft gehörigen Arbeitern gegeben, welche außer ihrem Lohn einen Teil am Gewinn beanspruchen.
Ein Recht darauf haben dieselben,
da sie beim Risiko des Geschäfts nicht beteiligt sind, so wenig, wie die Genossenschaftsmitglieder ein solches bei den Privatfabriken haben, in denen sie um Lohn arbeiten.
Die letzteren haben sich durch Ausdauer,
Fleiß und Entsagungen aller Art erst auf den Standpunkt gebracht, wo
sie sich befinden, und wollen die Früchte davon genießen.
Fühlen sich
jene jüngeren Arbeiter tüchtig dazu, so mögen sie es ihnen gleichtun und sich durch Bildung von Genossenschaften ebenfalls zur Selbständigkeit
emporschwingen.
Darin liegt das einzige Mittel, einer etwa hervor
tretenden allzu großen Ausschließlichkeit seitens der zeitigen Genossenschafts
mitglieder entgegenzutreten. Denn wenn dieselben dadurch ihre tüchtigsten Arbeiter zu verlieren und neue Konkurrenzgeschäfte neben dem ihrigen
hervorzurufen gewärtig sein müssen, werden sie sich gewiß geneigt zeigen,
entweder einen Gewinnanteil vertragsmäßig jenen Arbeitern zuzugestehen, oder noch besser, ihnen (wie mehrere Pariser Assoziationen mit ihren
Adhörents tun) durch allmähliches Einsteuern von Geschäftsanteilen die Erlangung der Mitgliedschaft selbst zu ermöglichen.
So sehr sich Herr Lassalle bemüht, für die Staatshilfe nach gelungenen Beispielen in der Praxis zu suchen, so wenig gelingt ihm dies.
Nur
in Frankreich ist bisher Staatssubvention unter den bekannten Ein
wirkungen der Februarrevolution von 1848 bei den Assoziationen durch
Bewilligung einer Summe von 3000000 Franks aus Staatsmitteln ver
sucht worden und muß als gescheitert betrachtet werden, da von den mit 2590000 Franks subventionierten 56 Assoziationen gegenwärtig kaum noch 10 existieren und die meisten und gelungensten von den 20 bis
30 Produktivassoziationen in Paris (sonst gibt es keine in Frankreich)
die Staatshilfe nicht genossen haben.
In England dagegen, wo diese
170
Schulze-Delitzsch.
Assoziationen und das ganze Genossenschaftswesen sich zu höchster Blüte entfaltet haben, hat eine Staatsunterstützung niemals stattgefunden. Die dagegen gemachte Bezugnahme auf die Ablösung der Sklaverei in den englischen Kolonien durch Aufwendung von 20000000 Pfund Sterling aus der Staatskasse kann nicht unglücklicher gewählt sein. Daß
Sklaven, so gut wie bei uns die Haustiere, dem Eigentumsrecht ihrer Herren unterworfen sind, und daß der Staat jeden entschädigen muß, dem er aus Rücksichten des öffentlichen Wohles das Eigentum irgend einer Sache entzieht, weiß jedermann.
Ebensowenig greift das Beispiel
von der Zinsgarantie bei Eisenbahnen Platz, deren Unterschied von der für die Assoziationen zu übernehmenden Kapitalsgarantie wir bereits klargemacht haben. Wenn der Staat den Bau von Eisenbahnen, Straßen, Kanälen und dergleichen durch jene Garantie befördert, so tut er dies doch wahrhaftig nicht um der Aktionäre, sondern um des großen Interesses des gesamten Publikums willen, indem sämtliche Staats angehörige gleichmäßig bei Herstellung leichter, billiger, zeitsparender Transportmittel interessiert sind. Auch hat er selbst eine unmittelbare politische Aufgabe dabei zu erfüllen, da einesteils die Expropriation der von jenen Verkehrslinien getroffenen Privateigentümer, andererseits die Rücksichten auf die Landesverteidigung seine Mitwirkung unerläßlich machen. Steht also die Sache hier, wie bei sämtlichen von Herrn Lassalle sonst noch angeführten Beispielen, auf einem ganz anderen Felde (die Landrentenbanken z. B. bewirken die Ablösung der ländlichen Grund
lasten lediglich aus den Mitteln der Grundbesitzer, nicht aus der Staats kasse), so billige ich meinerseits dennoch jene Zinsgarantie bei Eisenbahnen, überhaupt die ganze Eisenbahnpolittk unserer Regierung, wodurch dieselbe nach einiger Zeit das Eigentum aller Bahnen an sich zu bringen denkt, durchaus nicht, weil ich der Industrie für Staatsrechnung grundsätzlich entgegen bin, und was Herr Lassalle hier sagt, ist absolut unwahr.
Eisenbahnen sind und werden täglich bei uns und anderswo ohne Staatsgarantte gebaut und in den Ländern, welche die meisten besitzen, wie England und Amerika, denkt man gar nicht daran. Gerade die ersten großen Bahnen auch in Deutschland sind ohne diese Garantte erbaut, z. B. die Leipzig-Dresdener, Berlin-Potsdam-Magdeburger, MagdeburgHalle-Leipziger, Berlin-Anhalter, Köln-Minden-Magdeburger u. a. Erst die erwähnte Tendenz der Regierung, welche allerlei Hemmungen und Schwierigkeiten der Privatunternehmen nach sich zog, hat jenen Anspruch
mehr und mehr hervortreten lassen, den wir nur mit der Rückkehr zu dem
richtigen System ein für allemal beseitigen.
Haben wir sonach auch unbestreitbar Wissenschaft und Praxis, Lehre und Leben in bezug auf die Wirksamkeit und Durchführbarkeit der auf Selbsthilfe beruhenden freien Genossenschaft für uns, so sind dies freilich für Herrn Lassalle bloße Kleinigkeiten, über die er mit einem kühnen Anlaufe hinwegsetzt. „Da die Assoziationen — so sagt er uns — in
England und zum Teil in Paris ohne Staatshilfe schon so gut gediehen sind, wie müßten sie erst mit Staatshilfe gedeihen!" In der Tat die Krone seiner Schlüsse!
Die subventionierten sind meist
eingegangen und der kleine Rest durch die nichtsubventionierten bei weitem
überflügelt —
und nun
eine solche Folgerung!
Sie wissen,
meine
Herren, daß eben nur bei dem Verweisen auf die eigene Kraft die ganze
Leistungsfähigkeit der Menschen sich entwickelt, deshalb brauche ich jenem Fehlschluß
den
nur
einfachen
Satz
„Die
entgegenzustellen:
subventionierten Assoziationen sind gelungen,
sondern weil sie auf die eigene Kraft der Mitglieder, Selbsthilfe gegründet waren."
nicht
nicht trotzdem, auf die
Und eben weil Herr Lassalle dies
nicht einsieht, beweist er seine gänzliche Unfähigkeit, jemals auf diesem
Gebiete eine irgend lebensfähige Schöpfung hervorzurufen. Doch die Zeit ist vorgeschritten und drängt zum Schluß. Daß man auf dem von mir vertretenen Wege etwas erreichen kann, das wissen
wir, das ist erprobt und ebenso gewiß, daß man mit politischer Agitation
allein keine wirtschaftliche Aufgabe löst.
In den letzteren Bereich gehört
aber die Verbesserung der materiellen Zustände der arbeitenden Klassen unzweifelhaft.
Nur wenn uns diese Verbesserung des materiellen Loses
der Arbeiter gelungen ist, ermöglichen wir erst eine wahrhaft ftuchtbare Beteiligung derselben an der Politik.
Die soziale Frage steht über
der politischen, wie der Staatsinhalt über der Staatsform.
Aus der
Entwicklung der Staatsgesellschaft geht erst eine gesunde Entwicklung der Staatsform hervor.
Jene muß also der letzteren vorausgehen. Tüchtige
Bürger, eine tüchtige Arbeiterschaft machen erst einen tüchtigen Staat,
nicht umgekehrt.
Deshalb müssen sie mit sich selbst anfangen, die ein
zelnen dürfen keine Anstrengung scheuen, damit sie vorwärtskommen, wenn cs besser mit ihnen werden soll.
Wenn dem entgegen Herr Lassalle trotz
Mem, was die auf die eigene Kraft der Arbeiter gegründeten Genossen schaften bereits für die Bildung und den Wohlstand ihrer Mitglieder geleistet haben, Sie von der Beteiligung dabei abmahnt, so hat er fteilich in seiner Art recht. Ja wohl ziehen unsere Strebungen von der Lassalle
schen Heilslehre ab. Wer irgend aus den Reihen der Arbeiter in unseren
Bildungsvereinen
seine Einsicht und Kenntnis
vermehrt,
in unseren
172
Schulze-Delitzsch.
Assoziationen einen Grund zu einem bescheidenen Wohlstand, zu besserer Versorgung mit mancherlei notwendigen Bedürfnissen gelegt hat, der taugt
nicht für Herrn Lassalle. Es verträgt sich nicht mit den Weltverbesserungs plänen dieses Herrn, wenn die Leute etwas wissen und etwas haben,
es kommen
dann allerhand Bedenken dagegen bei ihnen auf, die der
blinden Hingebung, wie er sie von seinen Anhängern verlangt, ohne Wahl und ohne Prüfung, nicht günstig sind. Indessen, möchten doch unsere Gegner ebenso wie wir in der Sache
praktisch vorgehen, dann würden sie ja bald sehen, wie weit sie auf ihrem
Wege kämen. Nur stoße ich da auf ein großes Bedenken. Wir leben in einer
Zeit
wichtiger politischer Entscheidungen,
welche jene Arbeiter
bewegung kreuzt, und ich glaube, kein bewußtes Werkzeug der Reaktion
könnte ihr mehr dienen, als Herr Lassalle.
Wie war es 1848, haben
wir etwas seit jener Zeit gelernt? Ich denke doch, denn das Privilegium, nichts zu
lernen,
das überlassen
wir
unserer Junkerpartei
zu
den übrigen, die sie in Anspruch nimmt. Woher, so frage ich nun, kant die Spaltung in unserem Volke, welche die ganze große Erhebung jener Zeit der Reaktion in die Arme trieb, an deren Folgen wir noch leiden? war die Furcht vor dem roten
Gespenst,
vor
dem
Es
Umsturz aller
Eigentums- und Verkehrsverhältnisse, welche die gebildeten und besitzenden Klassen, mit oder ohne Grund, der Bewegung entfremdete und von den Machthabern für ihre eigensüchtigen Zwecke ausgenutzt wurden. Noch weit
schlimmer als bei uns, war es in Frankreich, wo der Zwiespalt zwischen
den Arbeitern und übrigen Bürgern zum offenen blutigen Kampfe führte
und die sozialistische Bewegung während der furchtbaren Junischlacht auf den Straßen von Paris in Strömen von Blut erstickt wurde.
Die
Gesellschaft, in ihren Grundvesten durch jene Irrlehren bedroht, warf sich
der bewaffneten Macht zur Rettung um jeden Preis in die Arme und die kaum erkämpfte Freiheit wurde infolge jenes traurigen Klassenkampfes
dem Moloch des Imperialismus, der kaiserlichen Militärallgewalt ge opfert, welche noch gegenwärtig nicht nur in Frankreich, sondern in
ganz Europa die friedliche Kulturentwicklung hemmt und wie ein Alp
auf dem Weltteil lastet. — Und kaum ist das Vertrauen bei uns wieder erwacht, kaum haben sich die Arbeiter und die übrigen Klassen der Ge
sellschaft einander genähert, sich gegenseitig kennen und achten gelernt, kaum beginnen die höheren Gesellschaftsschichten den Versuchen der Arbeiter, sich Bildung und Kapital in erhöhtem Maße zu verschaffen, mit all
gemeiner Teilnahme zu folgen und kommen ihnen von allen Seiten da bei entgegen — da wirft man wieder diesen unseligen Zwiespalt hinein
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
173
und sucht die Arbeiter gegen den Besitz zu Hetzen, sie mutwillig um jene Sympathien zu bringen! Indessen es wird nicht gelingen. Zu tief haben unsere Bildungsbestrebungen bereits unter den Arbeitern Wurzel ge schlagen, Einsicht und Besonnenheit haben die Oberhand und kein Markt schreier verlockt so leicht die Leute, trotz aller Aufschneidereien, seine
Wunderpillen zu kaufen. Und wenn Herrn Lassalle ja ein Teil der Arbeiter folgt, so ist es nicht derjenige, der schließlich die Entscheidung gibt, so sind es weniger die tüchtigen, die gesunden Elemente des Standes, als vielmehr die untüchtigen und verkommenen, und was von ersteren etwa sich fortreißen läßt, wird von dem Rausche bald ernüchtern. Hohle Deklamationen kommen auf die Länge niemals auf gegen praktische, ge lungene Versuche, wie wir sie bieten können. Mit mir arbeiten seit Jahren bereits Tausende von Vertrauensmännern, meist aus Ihren eigenen Reihen, meine Herren, an der Spitze der einzelnen Genossenschaften und der Mittel stand fängt an, sich zu beteiligen, und findet seine Rechnung dabei. Millionen fremden Kapitals sind bei uns angelegt und doch stehen wir erst in den Anfängen der ganzen Bewegung. Schon knüpfen wir Ver bindungen mit den Großbanken an, und in wenigen Jahren friedlichen Verkehrs sind wir eine Macht, die ein Wort mitzusprechen hat auf dem Geldmarkt. Was können wir erst leisten, wenn der Arbeiterstand im ganzen und großen sich uns zuwendet! Daher rede und schreibe Herr Lassalle soviel er will — ich denke, wir sind auch da auf diesem Felde,
wenn es gilt —, die Hauptsache ist, zu handeln, zu organisieren. Dort Redensarten, hier Kapital und Bildung — wir wollen sehen, wer das Feld behält! — Wohl, meine Herren, entscheiden Sie sich für meine Wege, so stehe ich weiter zu Diensten!
VI. Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herr« Lassalle. Ein neues Kapitel zum Deutschen Arbeiterkatechismus.
Berlin.
Verlag von Franz Duncker.
1866.
Inhalt. I. II. III. IV.
Vorwort. Einleitung. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Assekuranz gegen das Risiko. Die Abschaffung des Risikos. Nachtrag.
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
173
und sucht die Arbeiter gegen den Besitz zu Hetzen, sie mutwillig um jene Sympathien zu bringen! Indessen es wird nicht gelingen. Zu tief haben unsere Bildungsbestrebungen bereits unter den Arbeitern Wurzel ge schlagen, Einsicht und Besonnenheit haben die Oberhand und kein Markt schreier verlockt so leicht die Leute, trotz aller Aufschneidereien, seine
Wunderpillen zu kaufen. Und wenn Herrn Lassalle ja ein Teil der Arbeiter folgt, so ist es nicht derjenige, der schließlich die Entscheidung gibt, so sind es weniger die tüchtigen, die gesunden Elemente des Standes, als vielmehr die untüchtigen und verkommenen, und was von ersteren etwa sich fortreißen läßt, wird von dem Rausche bald ernüchtern. Hohle Deklamationen kommen auf die Länge niemals auf gegen praktische, ge lungene Versuche, wie wir sie bieten können. Mit mir arbeiten seit Jahren bereits Tausende von Vertrauensmännern, meist aus Ihren eigenen Reihen, meine Herren, an der Spitze der einzelnen Genossenschaften und der Mittel stand fängt an, sich zu beteiligen, und findet seine Rechnung dabei. Millionen fremden Kapitals sind bei uns angelegt und doch stehen wir erst in den Anfängen der ganzen Bewegung. Schon knüpfen wir Ver bindungen mit den Großbanken an, und in wenigen Jahren friedlichen Verkehrs sind wir eine Macht, die ein Wort mitzusprechen hat auf dem Geldmarkt. Was können wir erst leisten, wenn der Arbeiterstand im ganzen und großen sich uns zuwendet! Daher rede und schreibe Herr Lassalle soviel er will — ich denke, wir sind auch da auf diesem Felde,
wenn es gilt —, die Hauptsache ist, zu handeln, zu organisieren. Dort Redensarten, hier Kapital und Bildung — wir wollen sehen, wer das Feld behält! — Wohl, meine Herren, entscheiden Sie sich für meine Wege, so stehe ich weiter zu Diensten!
VI. Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herr« Lassalle. Ein neues Kapitel zum Deutschen Arbeiterkatechismus.
Berlin.
Verlag von Franz Duncker.
1866.
Inhalt. I. II. III. IV.
Vorwort. Einleitung. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Assekuranz gegen das Risiko. Die Abschaffung des Risikos. Nachtrag.
Schulze-Delitzsch.
174
Vorwort. Das von dem verstorbenen Lassalle infolge der Herausgabe meiner Berliner Vorträge über die Arbeiterfrage gegen mich kurz vor
seinem Tode veröffentlichte Pamphlet: „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch"
stellt sich durch Ton und Haltung auf eine Stufe, daß mir eine jede persönliche Entgegnung erspart bleibt.
Dagegen erscheint die sachliche
Beleuchtung einiger Hauptsätze des Buches, bei dem jetzigen Stande der
Es treten nämlich die
Arbeiterbewegung in Deutschland von Interesse.
Konsequenzen der sozialistischen Richtung des Verfassers in dieser Aus geburt leidenschaftlicher Gereiztheit so unverhüllt hervor, der Bruch mit
dem gesunden Menschenverstände
vollzieht sich bei den von ihm vor
geschlagenen Organisationen so offenkundig, daß selbst seinen gläubigsten
Anhängern die Augen aufgehen müssen.
Schon zeigt sich die Spaltung
in ihren Reihen, die zunächst durch die bedenkliche Annäherung bekannter
Führer an die Regierungspartei in Preußen veranlaßt wurde, und bei
dem Mangel jedes sittlichen und wirtschaftlichen Anhaltepunktes in ihren Strebungen von Tag zu Tag wachsen muß.
In jedem Falle hat die
Lassallesche Agitation genutzt, indem sie durch Schärfung der Gegensätze eine lebendigere Beteiligung der Arbeiter bei den wirtschaftlichen Fragen
hervorrief und die der entgegengesetzten Richtung angehörigen auch ihrer seits zu festem Zusammenschluß und energischem Auftreten veranlaßte. Besonders hat sich auch in den gebildeten Kreisen die Überzeugung
befestigt: daß die ausdauerndste Tätigkeit, die bereiteste Förderung des ehrenhaften Strebens unserer Arbeiter nach
Wohlstand
und Bildung
erforderlich seien, um uns vor Abwegen zu bewahren, welche die wirt schaftliche,
politische
und
humane
Zukunft
gleich schwer
der Nation
bedrohen und geeignet sind, uns in Zustände zurückzuführen, welche auf
den arbeitenden Klassen selbst am schwersten lasten würden.
Schließlich zum Titel des Lassalleschen Buchs ein Wort. Lassalle
hat mir die Ehre angetan, vor meinen Namen
des
den
großen
fran
zösischen Nationalökonomen Bastiat zu setzen, zu dessen Schule ich mich bekenne. Ich glaube nun ohne Überhebung annehmen zu dürfen, daß
der erstgenannte, der Wissenschaft zu früh entrissene Forscher ein ehrliches Streben, wie das meine, seine Lehren nicht bloß durch populäre Dar
stellung, sondern Volkes
durch praktische Organisation in das Leben unseres
einzuführen, nicht unwert erachten würde,
neben
den eigenen
Leistungen genannt zu werden. — In diesem Sinne akzeptiere ich unsere
Namensverbindung Bastiats,
durch Herrn Lassalle
daß ich unablässig
bestrebt
und
gelobe
sein werde,
mich
den Manen dieser Ehre
würdig zu machen.
Und hier bleibt vor allem nach wie vor meine
Aufgabe: die rücksichtslose Bekämpfung
des
sozialistischen Schwindels,
durch welchen die große und hoffnungsvolle Arbeiterbewegung unserer
Tage von ihrer zivilisatorischen Mission
dem Ehrgeiz
abgelenkt und
gewissenloser Menschen überliefert, aus einem Element des allgemeinen Fortschritts zur allbereiten Handhabe der Reaktion
erniedrigt werden
würde, um am Ende in wahnsinnigen Experimenten zu verpuffen.
Potsdam, im Oktober 1865.
Der Verfasser.
Einleitung. Um dem verstorbenen Lassalle bei seiner höchsten sozialen Leistung
„der Abschaffung des geschäftlichen Risikos für seine Zukunftsafsoziationen" zu folgen, wie dies die
Aufgabe des
gegenwärtigen Schriftchens ist,
müssen wir ihn auf den verschiedenen Entwicklungsstufen, mittels deren die Idee in dem von ihm zuletzt veröffentlichten Buche*) endlich zum
Durchbruch gelangt, begleiten.
Wir haben es daher zunächst mit seinem ersten Anlauf, welcher alles übrige schon im Keime enthält, mit der nomischen
Verantwortlichkeit"
zu
tun,
„Aufhebung der öko wodurch
er
für
seine
Organisationen auf diesem Felde gleich von Haus aus eine so vorteil
hafte Meinung
erweckt.
Hieran
knüpft
sich sodann der noch etwas
schwache Versuch zur Ergänzung des Systems durch die gegenseitige Assekuranz der Assoziationen gegen das Risiko, worauf wir erst zu der eigentlichen sozialen Tat, zur Abschaffung des Risikos selbst,
zur völligen
Beseitigung
dieses
fatalen
Moments im
Geschäftsleben,
welches sich seinen Plänen so hartnäckig entgegenstellte, gelangen. Bei dem bisher völlig Unerhörten einer solchen Lösung des Problems und weil sich die Ausführungen Lassalles meist als Widerlegungen auf
mein im Vorwort bezeichnetes Buch beziehen, welches das unbestreitbare
Verdienst hat, durch die Angriffe auf seine Lehre die ganze Offenbarung
aus Lassalle, wie den Funken aus dem Steine, gleichsam herausgeschlagen zu haben, werden wir mit wörtlichen Auszügen aus den beiderseitigen
Schriften nicht sparsam sein dürfen.
um zu glauben"
Man muß eben
„selbst
lesen,
— wenn auch nicht gerade, was L. behauptet, wohl
aber daß jemand überhaupt derlei Dinge behaupten kann!
Demnach zur Sache.
*) Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Juliano der Kapital und Arbeit. Berlin. Reinhold Schlingmann, 1864.
Schulze-Delitzsch.
176
I. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Ich bin in meinen Berliner Vorträgen über
denen ich den Weg der Selbsthilfe
die Arbeiterftage, in
als den einzigen,
welcher zur
Hebung der arbeitenden Klassen zu führen vermöge, bezeichnete, von
einigen
dem
schlichtesten
Begriffsvermögen
zugänglichen
Sätzen
aus
gegangen.*)
Der Mensch — so setzte ich meinen Zuhörern auseinander — bringt von Natur Bedürfnisse mit auf die Welt, an deren Befriedigung seine
Existenz geknüpft ist; aber zugleich hat ihn die Natur auch mit Kräften
ausgestattet, deren richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner Bedürf
nisse führt. Die geregelte Tätigkeit des Menschen zu letzterem Zwecke ist die
Arbeit. Aus dieser unserer natürlichen Beschaffenheit, vermöge deren das
Bedürfnis mit der Möglichkeit seiner Befriedigung durch eignes Tun in den
einzelnen Menschen zusammensällt,
beide in Wechselwirkung mit
einander stehen, folgt die Pflicht der Selb st sorge eines jeden für
seine Existenz, welche die Menschen
bei Beschaffung
Dasein auf die eigene Tätigkeit verweist. Schicksal selbst verantwortlich
der Mittel zum
Danach sind alle für ihr
und keiner hat ein Anrecht deshalb an
die andern, weil, vermöge derselben allen gemeinsamen Pflicht, jene andern für ihr Teil
ebensogut ein jeder
mit sich selbst zu schaffen, für sich
selbst zu sorgen haben, um zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu gelangen.
Aus diesen in Vernunft und Erfahrung begründeten, überall von der Wissenschaft anerkannten Sätzen, auf deren populäre Darstellung es an
kam, ziehe ich wörtlich nachstehende Folgerungen **), an welche der Gegner seine Angriffe knüpft: „Darauf, daß jeder die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage
und sie nicht andern aufbürde, auf der Selbstverantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit beruht die Möglichkeit alles gesellschaft lichen Zusammenlebens der Menschen, sowie des Staatsverbandes. unter Wesen,
welche wissen, was sie tun,
Nur
und alle dafür aufkommen
müssen, ist eine durch sittliche und politische Gesetze geregelte Gemeinschaft, eine Gegenseitigkeit der wirtschaftlichen und bürgerlichen Beziehungen zu aller Förderung überhaupt denkbar.
Diese Selbstverantwortlichkeit,
die
*) Vergleiche mein Merkchen: Kapitel zu einem deutschen ArbeiterKatechismuS. Sechs Borträge vor dem Berliner Arbeiter-Verein. Leipzig, 1863 bei E. Keil. Seite 30 f. d. B. **) Siehe Arbeiterkatechismus usw. Seite 32 f. und Seite 93 d. B.
soziale Selbsthilfe, gerade bei Beschaffung der materiellen Notdurft
des Daseins antasten, wo ohnehin das tierische in unserer Natur seine dunkle Grenzlinie hat, hieße auf dem Felde des Erwerbes den Krieg aller einführen, auf einem Felde, wo mehr als auf jedem anderen Frieden und Sicherheit die Bedingungen des Gedeihens sind." „Indessen setzt diese Selbstverantwortlichkeit als notwendige Ergänzung die Freiheit der Arbeit voraus, die Gestattung der ungehemmten Bewegung des Arbeiters im Gebrauch seiner Kräfte und Mittel zum Erwerbe seines Unterhalts usw. Eine Selbstverantwortlichkeit für seine Existenz jemandem aufbürden wollen, dem man nicht die Freiheit gewährt, sein Geschick selbsttätig in die Hand zu nehmen, ist ein Unding. Verantwortlichkeit und Freiheit — dies die sich gegen seitig bedingenden Grundsäulen der sittlichen, politischen und wirtschaftlichen Welt." Hiergegen tritt L. in der gegen mich gerichteten Schrift*) mit der Behauptung auf: „daß die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen nirgends anders,
als auf juristischem Gebiete gelte, auf dem ökonomischen nicht, weil nur auf ersterem die Handlungen Produkt der Willensfreiheit des einzelnen seien, auf letzterem dagegen erst durch die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die Konjunkturen und dergleichen mehr, ihre
Besttmmtheit empfingen." „Das ökonomische Gebiet" — so wörtlich — „unterscheide sich von
dem juristischen dadurch, daß während auf diesem, auf dem Rechtsgebiet, jeder verantwortlich sei für das, was er
getan hat, auf ökonomischem Gebiet umgekehrt heutzutage jeder verantwortlich sei für das, was er nicht getan hat. So verlören z. B. bei reichlichen Rosinen- oder Getreideernten in Korinth, Smyrna, im Mississippital, den Donau ländern u. a., die Korinthen- und Getreidehändler in Berlin und Köln, welche große Vorräte zu den frühern Preisen auf Lager haben, und umgekehrt; so kämen durch eine mißratene Ernte oder stockende Zufuhr der amerikanischen Baumwolle Arbeiter dieses Faches in Eng land, Frankreich und Deutschland massenhaft außer Brot usw."
Aus diesen von niemandem bestrittenen Vorgängen die Auf hebung der Verantwortlichkeit des Menschen auf dem *) Herr Bastiat-Schulze, S. 22 f., 25. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 1L
12
Schulze-Delitzsch.
178
Gebiete des Erwerbs abzuleiten, gehört in der Tat zu den groben Trug
schlüssen,
wie sie L. in seinen ökonomischen Offenbarungen schon öfters
Trotzdem daß er, nach seinem eignen Zeugnis,
von mir nachgewiesen sind. jede Zeile
bewaffnet
Jahrhunderts
mit der ganzen Bildung des
schreibt, wird
er auch
hier wieder vor der
Vernunft weniger einfacher Sätze zuschanden, welche das alltägliche Leben selbst
jedem
mit gesunden Sinnen
zur Anschauung
begabten
bringt.
Wer in aller Welt wird in Abrede stellen, daß bei der Erwerbstätigkeit
des Menschen außer seinem eignen Tun und Lassen auch noch andere
Faktoren in Anschlag kommen, welche auf den Erfolg von Einfluß sind! Aber das ist doch ein grober Fehlschuß:
daß
um deshalb,
weil
das
Wollen und Können des Menschen nicht ausschließlich und allein den Ausschlag gibt, weil noch andere Einflüsse daneben mit eingreisen
können, es nun gar nicht in Anschlag komme, der Mensch der Folgen seines Tuns und Lassens dabei gänzlich entrückt sein soll, jede Ver antwortlichkeit dafür bei ihm wegfällt.
Es käme wirklich nichts darauf
an — so fragen wir uns ganz erstaunt — wie ich selbst meine Arbeit, meine
Berufstätigkeit angreife,
auf welche
Weise ich mein Geschäft
betreibe, wie ich wirtschafte und haushalte, das alles soll ohne Einfluß
auf mein Geschick, ich der Verantwortlichkeit dafür völlig enthoben sein? Es sollte einerlei sein für die Gestaltung meines Loses, für den Erwerb meines Unterhalts, ob ich mein Fach verstehe, ob ich mir Einsicht und
Kenntnisse verschafft habe oder nicht; ob ich faul oder fleißig bin, ob ich
technische
besitze
Geschicklichkeit
oder
ein
Stümper
bin;
ob
ich mich im Verkehr als zuverlässig und redlich zeige, oder als un zuverlässig und ein Schwindler, ob ich spare oder verschwende? — Ei,
so gehe man doch hin unter die Menschen und sehe
zu, wie sich diese
Dinge machen, das alles kommt ja täglich vor in unserer nächsten Um gebung!
Da gibt
es
denen es rückwärtsgeht
Leute, —
die
vorwärtskommen,
und andere, mit
hängt das nicht mit den oben erwähnten
Eigenschaften, nicht mit ihrer Handlungsweise zusammen, ist das alles wirklich reiner Zufall, für den man die Leute garnicht verantwortlich machen kann? — Solchen Unsinn wird L. niemandem aufschwatzen!
Mache man sich doch ein für allemal, trotz aller gelehrten Brocken
L.s in schlichtem Deutsch klar, worauf es hierbei ankommt.
So ist der Mensch beschaffen und so
sind die Umstände, unter
denen er in die Welt gesetzt ist, daß von zwei Seiten her sein Dasein bestimmt wird.
Einmal durch ihn selbst, seine innern Eigenschaften,
die eignen Fähigkeiten und Kräfte, deren
Ausbildung und Gebrauch,
kurz sein Wollen und Können.
Sodann durch die Außenwelt, wie
sie einerseits als Naturmacht, andererseits als die Summe der gesellschaft lichen Einrichtungen und Zustände, sowie des Zivilisationsgrades der Zeiten und Kreise, in denen er sich bewegt, auf ihn einwirkt.
Beide
Faktoren stehen im umgekehrten Verhältnis zueinander, gleich den Schalen der Wage; je mehr die eine steigt, desto mehr sinkt die
andere.
Je weniger die innern Eigenschaften des Menschen entwickelt
sind, je weniger er selbst weiß und leistet, desto abhängiger ist er von
Im Gegenteil, je energischer, je umsichtiger sich sein
der Außenwelt.
Wollen und seine Kraft betätigen, je mehr seine Kenntnisse, seine Er fahrung sich erweitern, desto mehr macht er sich aus dieser Abhängigkeit los, desto mehr wird er Herr der Umstände.
selbst gewiesen hat, indem sie ihn läßt.
Aus der Abhängigkeit
dies ist der Weg, welchen dem Menschen die Natur
zur Freiheit,
die erstere oft so bitter empfinden
Und wie wir den einzelnen aus der hilflosen Kindheit sich all
mählich zur Selbständigkeit
durchringen sehen,
so die Menschheit im
ganzen und großen, indem sie in der aufsteigenden Kultur sich einerseits mehr
und
mehr
die Naturmächte
untertan
macht,
andrerseits ihrer
wachsenden Einsicht, ihren gesteigerten Bedürfnissen gemäß, die gesell
schaftlichen Einrichtungen stetig vervollkommnet.
Sich der Gesetze seines
Daseins und der umgebenden Natur, sowie seiner Kräfte vollkommen
bewußt, der letzteren in jeder Beziehung mächtig zu werden, dadurch sich zur Herrschaft über die Natur aufzuschwingen und das äußere Leben
den innern leitenden Gedanken immer gemäßer zu gestalten — dies der Kern
jedes tüchtigen Einzelstrebens,
dies
das Ziel
der geschichtlichen
Gesamtentwicklung unseres Geschlechts.
Die völlige Verkehrtheit der Lassalleschen Deduktion liegt also ein mal schon darin,
daß er den einen Faktor leugnet und den andern als
eine feste, unabänderliche Größe ausfaßt, während doch beide nur relative Größen sind, die einander bedingen,
indem das Wachsen der einen das
Abnehmen der andern notwendig zur Folge hat.
erscheint noch
größer, weil dem
Aber diese Verkehrtheit
von L. verleugneten Faktor —
dem
eignen Wollen und Können des Menschen — auf der gegenwärtigen
Stufe des Verkehrs gerade der Hauptanteil der Gesamtwirkung beigelegt werden muß.
Abgesehn davon, daß, wie wir sahen, der Kulturfortschritt
selbst die Tendenz hat, die Wage zugunsten dieses Faktors mehr und
mehr sinken zu machen, bleibt unser eignes Verhalten unter allen Um
ständen die erste und unerläßliche Bedingung des wirtschaftlichen Gedeihens,
des Aufkommens im Erwerb.
Denn wenn auch die andere Seite der
Schulze-Delitzsch.
180
Sache, mancherlei äußere, der Gewalt und Berechnung des Menschen sich bis zu einem gewissen Grad entziehende Umstände, mit eingreifen
mögen: ohne das Vorhandensein und die Anwendung jener Eigenschaften
und Kräfte, deren wir gedachten, würden die günstigen Konjunkturen von den einzelnen
gar
einmal
nicht
benutzt,
ebensowenig die
un
günstigen überstanden und der Schaden übertragen werden können. Man nehme nur: was nützen dem aller Einsicht, jedes Überblicks, der nötigsten
Arbeitsgeschicklichkeit
Entbehrenden,
dem
faulen,
dem
ver
schwenderischen Geschäftsmanne und Arbeiter die beste Gelegenheit zum
Verdienst, das Zutreffen der günstigsten Bedingungen für den Erfolg, selbst ausreichendes Vermögen?
Er bringt es doch zu nichts.
Tappt
es ihm einmal auf der einen Seite blind zu, so geht das im Augenblick
Gewonnene im andern Augenblick wieder verloren und das bestbegründete Geschäft,
das
genügendste Kapital
bestehen
nicht auf die Dauer bei
verkehrter Verwaltung, untüchtiger Arbeitsverrichtung, bei Faulheit und Verschwendung.
Der tüchtige und einsichtsvolle Arbeiter und Geschäfts
mann dagegen, der sparsame und sorgsame Wirt und Hausvater finden die Kraft in sich,
jene äußern Konjunkturen
bis
auf einen
gewissen
Punkt zu beherrschen, oder doch sich aus unvermeidlichen Unfällen wieder herauszuarbeiten.
Und im schlimmsten Falle, wenn ein Geschäft ganz
untergeht, der völlige Ruin
des
bisherigen Erwerbsstandes unrettbar
hereinbricht, ist doch gerade in der persönlichen Tüchtigkeit des Betroffenen am ersten die Möglichkeit gegeben, von neuem sich einen Nahrungszweig zu eröffnen, noch einmal von vorn zu beginnen.
Daß übrigens jene Konjunkturen nicht so unbedingt außer Berechnung kommende Elemente sind, als L. vorgibt, und daß die vernünftige aus
Sachkenntnis und sorgsame Information gegründete Spekulation dabei doch recht wesentliche Anhaltspunkte bietet, ergibt die tägliche Erfahrung,
und L.s genial sein sollende Behauptung, daß: „je richtiger, schärfer und genauer den ihm bekannten Umständen
angepaßt der Verstandeskalkül des Spekulanten
sei,
um desto
mehr habe er im allgemeinen die Wahrscheinlichkeit gegen sich"*),
wird höchstens die Heiterkeit aller Fachmänner hervorrufen. *) Bastiat-Schulze S. 28.
Die Begründung dieses Ausspruchs durch den
Satz:
„daß die Summe der nicht wißbaren Umstände bei der Spekulation jederzeit unendlich die der miß baren übersteige", gibt eine interessante Probe der Lassalleschen Logik. Nach diesem Vordersatze, auf dessen Unrichtigkeit es dabei nicht ankommt, nimmt L. selbst das Vorhanden-
Am besten schlagen ihn die von ihm selbst zum Erweis vorgebrachten Beispiele, namentlich die von reichlichen oder schlechten Ernten, von
Hemmungen der Zufuhr und des Absatzes durch politische oder sonstige Ereignisse in gewissen Artikeln oder im allgemeinen. Sicher läßt sich durch gehörige Einziehung von Nachrichten darüber manches erkunden und die neueste Zeit hat eben durch ihre gewaltigen Fortschritte in Benutzung der Naturkräfte Mittel der schnellsten Kommunikation den Geschäftsleuten zur Verfügung gestellt, an welche noch vor Jahrzehnten nicht zu denken war. So mag der elektrische Telegraph in der Erkundung der Umstände, die Eisenbahn und das Dampfschiff in augenblicklicher Beziehung oder Versendung es recht wohl ermöglichen, sich durch Ver stärkung oder Beschränkung seiner Produktion und Einkäufe, mit Zurück halten oder Losschlagen seiner Waren danach einzurichten. Aber auch abgesehen hiervon, bleibt doch immer die Hauptsache: „daß jemand sich auf Konjunkturen, die er nicht über sieht, nicht weiter einläßt, als sein Geschäftsbetrieb es notwendig macht und seine Kräfte es ihm gestatten." Wer sich z. B. in Produkten, deren Preise, je nach dem Ausfall der Ernten, bedeutenden Schwankungen unterworfen sind, nur nach reichlichen Ernten bei gedrückten Preisen in größere Einkäufe einläßt, nach schlechten Ernten aber mit hohen Preisen sich nur für den un erläßlichen Bedarf seines Kundenkreises bis zur neuen Ernte versorgt
und nicht auf ein noch weiteres Steigen der Preise durch eine Folge mehrerer schlechter Ernten spekuliert, dem wird vielleicht ein Spekulations
gewinn entgehn, wenn die letztere Chance wirklich eintritt, aber er wird mit seinem bescheidenen Geschäftsertrag durchkommen und größere Schäden vermeiden. Jeder solide Geschäftsmann hat das Risiko von solchen Konjunkturen in seinem Geschäftsetat mit in Anschlag zu bringen, muß darauf gefaßt sein und darf seine Unternehmungen nicht über seine Kräfte ausdehnen. Wer dagegen seinen Operationen einen Zuschnitt gibt, daß er sich nur beim Zutreffen der günstigsten Möglichkeiten halten sein wißbarer Umstände bei dem Kallül des Spekulanten an, räumt ihnen also selbst einen, wenn auch im Verhältnis zu den nicht wißbaren noch so kleinen Teil der Einwirkung ein. Der Schluß konnte daher nur auf die Gering fügigkeit der Mitwirkung dieses Faktors hinauslaufen; statt dessen obige Behauptung, wonach die im Vordersatz anerkannte Mitwirkung nicht bloß völlig annulliert, sondern in eine Gegenwirkung verwandelt wird! Durch das Hinzutreten der Beherrschung der wißbaren Umstände seitens deS Spekulanten, die doch immerhin eine, wenn auch noch so kleine Summe beim Ansatz des Exempels ausmachen, tritt kein Plus, sondern ein Minus ein!
Schulze-Delitzsch.
182 kann,
wer selbst
einer Karte setzt,
auf
solche Weise sein
auf
Los
den Wurf
der mag sich dann, wenn die Dinge anders gehen
und der unvermeidliche Ruin über ihn hereinbricht, nicht beklagen.
gute und schlimme Tage gefaßt sein, die guten richtig benutzen,
Auf
um die
schlimmen zu überdauern, und so nicht nur die Ausgleichung jener günstigen und ungünstigen Einflüsse herbeizuführen, sondern das Über
wiegen der ersteren, das wird dem tüchtigen und soliden Manne meist Der Bankrott bildet doch erfahrungsmäßig nicht die Regel in
gelingen.
unserem Geschäftsleben, sondern die Ausnahme und der Verkehr ist seinen
innern Bedingungen und Gesetzen nach kein Hazardspiel, der ihn frivolerweise dazu macht.
nur für den,
Dann
wer dies tut, auch die Wechselfälle hin, die ihn betreffen
dabei mitgewirkt, entschuldigt ihn nicht.
als
Früchte
daß der Zufall
Daß er sie nicht vorhergesehn,
seiner Handlungsweise.
er wird es aber nehme,
rechnet man
Nicht das
dem
Spieler zu, wenn man ihn für seinen Ruin verantwortlich macht, daß er
verliert, daß
voraussehen
konnte,
die
Chancen
gegen
des
ihn sind,
Spiels, sondern:
die
er allerdings nicht
daß
er überhaupt
spielt!
Und damit ist L. ein für allemal abgefertigt, wenn er*) das ganze Wirtschaftsleben unserer Zeit als reines Glücksspiel charakterisiert.
Wohl laufen Auswüchse und Mißbräuche dieser und anderer Art noch
häufig genug mit unter, indessen gelten sie auch dafür und rächen sich
durch ihre Folgen.
Aber
wenn
man
wie L. durch Wegleugnen der
ökonomischen Verantwortlichkeit selbst den Zufall als Regulator auf dem
Erwerbsgebiet hinstellt,
dann hat man zu jener Rüge gar
keine Be
rechtigung, denn dann würdigt man ja gerade den menschlichen Verkehr prinzipiell seinem innern Wesen nach erst zum reinen Glücksspiel herab
und es ist unerfindlich, wie man alsdann noch Erscheinungen anklagen
will, die man durch eine solche Lehre geradezu herausfordert. — Nein, wieviel auch hier bei uns noch zu wünschen und zu bessern bleibt, soviel ist gewiß:
daß
alle die
vorhandenen
Mängel nur im Erstreben des
immer wachsenden Einklangs zwischen der wirtschaftlichen und
sittlichen Welt ihre Ausgleichung finden, der nur bei voller Selbst-
verantwortlichkeit und Freiheit der einzelnen möglich ist.
Hiernach beantwortet sich die ganze Frage in folgenden Sätzen: a) der wirtschaftliche Erfolg,
das Aufkommen und Gedeihen der
Menschen in Nahrung und Erwerb hängt stets und mit Not
wendigkeit von
dem Vorhandensein und
*) Bastiat-Schulze S. 28, 29.
der
richtigen An-
Wendung
derjenigen
intellektuellen,
sittlichen
und
körperlichen
Eigenschaften und Fertigkeiten ab, welche in Beziehung zu dem
gewählten Geschäftszweig stehen; b) außerdem gibt es aber noch äußere,
mehr oder weniger der
Berechnung und der Macht der Menschen entrückte Umstände, welche möglicherweise auch mit darauf Einfluß üben können,
c) keiner dieser beiden Faktoren bildet eine feste Größe, vielmehr
bedingen sie sich gegenseitig und stehen im umgekehrten Verhältnis
zueinander.
Namentlich hat der Kulturfortschritt des Menschen
geschlechts im ganzen,
sowie die Zunahme
der Bildung und
geschäftlichen Tüchttgkeit bei den einzelnen die stetige Tendenz, die Abhängigkeit von der Außenwelt immer mehr zu vermindern.
Wir sehen hiernach: das erste in unserem eignen Tun und Wesen
begründete Element übt in allen Fällen seinen Einfluß auf die Gestaltung
unserer wirtschaftlichen
Existenz, das
kann nicht
anders
sein.
Das
andere dagegen, in äußerlichen Einwirkungen wurzelnde kann ihn üben und übt ihn wirklich in vielen Fällen, mehr oder weniger stark, in vielen aber auch nicht.
Dasselbe verhält sich daher zum ersten wie
die Möglichkeit zur Notwendigkeit und selbst da, wo es mit in Wirkung tritt, beherrscht es den Vorgang nicht, sondern modifiziert
ihn bloß, vermag ihn wohl zu kreuzen, aber nicht zu regeln.
Das
erste, das entschieden überwiegende Element, ist es aber eben, aus welchem die ökonomische Verantwortlichkeit der einzelnen abgeleitet wird,
und damit fällt die ganze Ausführung L.s in sich zusammen. Werfen wir noch einen Blick auf die Folgen, welche sich für das prattische Leben aus der Lehre L.s ergeben würden, so kann man sich
dieselben kaum toll genug denken.
Denn gingen die Dinge so, wozu
denn in aller Welt sich, um Kenntnisse und
Geschicklichkeit bemühen,
wozu die unbequemen wirtschaftlichen Pflichten sich auflegen?
Fleiß und
Faulheit, Solidität und Liederlichkeit, Tüchtigkeit und Ungeschicklichkeit,
Dummheit und Einsicht: das alles sind ja dann ganz gleichgültige Dinge,
auf die nichts ankommt, die den Leuten ebensowenig nützen wie schaden,
rote es die Lassalleschen Sendboten täglich predigen, indem sie über die Bildungsbestrebungen, über das Sparen der Arbeiter spotten.
Natürlich!
Keiner hat die Verantwortlichkeit für seinen Nahrungsstand, keiner also auch die Pflicht der Selbstsorge, dafür muß die Gesellschaft eintreten, d. h. alle andern zusammen.
Aber, mein Himmel, mit allen diesen
andern, welche die Gesellschaft ausmachen, steht es ja um kein Haar breit anders, die sind ja ebenfalls ihrerseits ein jeder dieser Selbstsorge
Schulze-Delitzsch.
184
und Verantwortlichkeit enthoben, auf wem bleibt denn nun schließlich
das Ganze sitzen, wer tritt denn nun eigentlich für den andern ein? — Das ist doch eine verrückte Wirtschaft uns da in Aussicht ständen!
sprüche eines
jeden
und reizende Zustände, welche
Da rufen wir ja die unsinnigsten An
an einen jeden hervor
Widerstand eines jeden gegen einen jeden. Aufhebung
wirtschaftlichen
der wir
zerstören
die
Grundlagen
nnd damit zugleich den Es kann nicht fehlen: Mit
Zurechnungsfähigkeit der
Gesellschaft und
und Selbstsorge alles friedlichen
Verkehrs, zerreißen alle Bande, welche die Menschen aneinander knüpfen, und erklären den Krieg aller gegen alle, wörtlich, nicht figürlich
genommen.
L. hätte sich daher seine gelehrte Auseinandersetzung über
den letzten bereits früher von mir getanen Ausspruch ersparen können,
du derselbe nur in dem Sinne, wie er sich seiner bedient, in der miß
bräuchlichen Anwendung auf die freie Konkurrenz, unter die Phrasen gehört. So bequem es daher auch den Anhängern L.s erscheinen mag, die Selbstverantwortlichkeit aufdas juristische,besonders das kriminelle
Gebiet zu beschränken, wir halten an ihr mit ihrer unzertrennbaren
Wechselbeziehung zur menschlichen Freiheit und Würde, nicht bloß
in der ökonomischen, sondern auch in allen andern Lebensbeziehungen fest, wo Menschen handelnd Kraft und Willen betätigen.
z. B. in das Bereich der Sittlichkeit.
Treffen
Blicken wir
nicht den
Scham-
und Ehrlosen, auch wenn er der Justiz nicht verfällt, in der allgemeinen Verachtung die Folgen seines Tuns und Lassens?
Richtet die Gesellschaft
nicht die Verletzung ihrer sittlichen Grundlagen ebenso wirksam, als es
das Strafurteil des Richters nur irgend
ihres Verächters,
den wir gleich
vermöchte, durch Ausstoßung
einem Verpesteten
gemieden
Und nicht anders ist es auf dem Felde der leiblichen
sehen?
und geistigen
Gesundheit, wo es dem Menschen auch zumeist geht, wie er es treibt.
Freilich können auch hier Zufälle eintreten, äußere Einflüsse sich geltend
machen, bei denen von einer Schuld des Betroffenen nicht die Rede ist.
Aber es würde dieselbe Verschrobenheit dazu gehören, wie zu dem Aus spruche L.s in bezug auf die wirtschaftliche Existenzfrage, allgemeinen die Verantwortlichkeit in solchen Dingen,
eignen Tuns und Lassens zu leugnen.
Genusses, hingibt,
deshalb im
den Einfluß des
Der Unmäßige in jeder Art des
wer sich groben Exzessen wider die
ersten Gesundheitsregeln
die hauptsächlichsten Lebensbedingungen verletzt,
wer sich mut
willig in Gefahren begibt, denen er nicht gewachsen ist — sie alle betrifft
in Siechtum und frühem Tod die Folge ihrer Handlungsweise.
II. Die Assekuranz gegen das Risiko. Aber es kommt noch besser.
Frage:
Die unangenehme, von mir aufgeworfene
„wer das Risiko bei den von ihm projektierten Produktiv-
Assoziationen der Arbeiter, in welche der ganze Gewerbebetrieb der
war mit Aufhebung der
Zukunft verlegt werden soll, zu tragen habe?"
Vielmehr verlangte dieselbe
ökonomischen Verantwortlichkeit nicht beseitigt.
um so mehr eine Beantwortung, als der Anspruch auf den Unternehmer gewinn,
welcher den Arbeitern in deren Produktivassoziationen, neben
ihrem Arbeitslohn zugewendet werden soll,
im engsten Zusammenhänge
Gegen die uralten, von mir hervorgehobenen Sätze: „Wer
damit steht.
das Risiko trägt, dem gebührt der
Gewinn;
wer Vermögen
und
Arbeit an ein Unternehmen setzt, mit Gefahr beides zu verlieren, wer die ungünstigen Chancen eines Geschäfts, die möglichen Verluste auf sich
nimmt, dem müssen auch die günstigen
jetzigen
Welt Geltung
haben.*)
Dies
der erzielte Gewinn
Chancen,
zugut kommen", mußte L. selbst zugestehen,
daß sie mindestens in der
greift denn auch bei den auf
Selbsthilfe gegründeten Assoziationen durch, wenn Risiko und Gewinn gleichmäßig bei den Arbeitern als Unternehmern für eigene Rechnung Allein bekanntlich soll für die Assoziationen L.s der
zusammentreffen.
Staat unter seiner Garantie die nötigen Kapitalien schaffen.**)
Während
also die Mitglieder den Gewinn ziehen, bleibt das Risiko dem Staate.
Aus
dieser Verlegenheit mußte L. einen Ausweg finden,
nun
einmal
noch
in
der
jetzigen, nicht in
da wir uns
seiner Zukunftswelt
befinden; sehen wir zu, wie er dies anfängt.
An wen hält sich der Staat — wenn
so lautet
solche Assoziationsgeschäfte zugrunde
also das Problem —
gehn,
wenn die in ihnen
angelegten Kapitalien verloren werden, und er den Gläubigern infolge der übernommenen muß?
—
Geschäfte waren,
eben
Garantie
aus öffentlichen Mitteln gerecht werden
Von den assoziierten Arbeitern, welche die Inhaber dieser kann er unmöglich etwas erstattet erhalten, da er ja
wegen deren
völligen Mittellosigkeit,
welche
ihnen die kleinsten
*) Bastiat-Schulze S. 218. Darin, daß nicht bloß das Kapital, sondern auch die Arbeit des Unternehmers verloren werden, wenn das Geschäft schlecht geht, folgt das Unrichtige der Bezeichnung des Geschäftsgewinns als bloßen Kapitalprofits, da derselbe vielmehr das Äquivalent für Kapital und Arbeit bildet, die der Unternehmer gleichmäßig dabei einsetzt. **) Dgl. Offenes Antwortschreiben an daS Zentralkomitee zur Berufung eines deutschen Arbeiterkongresses in Leipzig von F. Lassalle. Zürich bei Meyer und Zeller 1863. S. 23, 27—29. Note S. 36.
Schulze-Delitzsch.
186
eignen Ersparnisse unmöglich machte, die Garantie übernehmen mußte, ohne welche ihnen niemand etwas geborgt haben würde — so sagt man uns
wenigstens.
Im Gegenteil, da die Leute durch den Ruin ihres Geschäfts
brotlos geworden sind, muß ihnen der Staat noch dazu geben, anstatt
von ihnen zu bekommen.
Denn da das System L.s die Abschaffung
der Lohnarbeit durch Ermöglichung eigner Affoziationsetablissements zur
Staatsaufgabe macht, da ferner danach jede Gewerbsbranche an jedem Orte in eine einzige solche Assoziation zusammengelegt werden soll,*) so bleibt gar nichts übrig, als daß der Staat sofort die fallierte Assoziation
nochmals etabliert, den Mitgliedern derselben noch einmal unter seiner
Garantie Geld und Kredit schafft, um von vorn anzufangen, weil sie
ohnedem ja gar nicht wieder in Nahrungsstand kommen könnten.
Und
dies immer sofort, bis endlich alle Geschäfte in unerschütterlicher Blüte
stehen. Das Abenteuerliche dieses Planes wird nur von seiner ausnehmenden Lächerlichkeit übertroffen.
Dieser Staat — wir deuteten schon im vorigen
Abschnitt darauf hin — welcher an den „notleidenden Klassen", die sich ohne ihn nicht helfen können, solche finanzielle Wundertaten ver
richten und über so ungeheure Mittel zu diesem Behufe verfügen muß, besteht
nach
L. lediglich
aus
denselben
Personen, denen
er
beispringen soll, aus den „notleidenden Klassen!"**) — Ist dies, so
frage ich,
etwas anderes,
als
eine
neue
geistreiche
Version
der
berühmten Geschichte von dem Manne, welcher sich selbst an seinem eigenen Zopfe aus dem Sumpfe zieht? Indessen haben wir es hier mit dieser Seite der Sache nicht weiter zu tun und verweisen deshalb auf den Arbeiterkatechismus (Seite 160,
161), wo man das Nähere darüber nachlesen mag.
Aber soviel bleibt
doch auch im besten Falle gewiß, daß diese Assoziationen dasjenige mit
allen menschlichen Unternehmungen gemein haben, daß sie mißglücken, daß ihre Geschäfte durch Unglücksfälle oder Fehler der verschiedensten
Art zugrunde gerichtet werden können; daß also ein Risiko hinsichtlich der ihnen angelegten Kapitalien vorhanden ist, an dessen Übertragung
*) Vgl. Bastiat-Schulze S. 217. **) Vgl. Offenes Antwortschreiben usw. S. 30, 31, wonach die not leidenden Klassen 89—96*|i Prozent der Bevölkerung in Preußen ausmachen, und L. wörtlich sagt: „Ihnen, den notleidenden Klassen, gehört der Staat, denn a«S Jhnm defteht er! Was ist der Staat? Ihre, der ärmeren Klassen große Assoziation!" und Seite 36, wo die StaatShilfe deshalb als Selbsthilfe proklamiert wird.
irgendwie gedacht werden muß, um den Staat als Garanten doch einiger
maßen zu sichern. Das hatte denn auch der große Organisator selbst gefühlt, und so geriet er auf den Gedanken: daß ein Assekuranzverband die ver
schiedenen Vereine umfassen solle, welcher deren Geschäftsverluste durch ihre Verteilung unter alle bis zur Unmerklichkeit ausgleiche.*)
Lassalle kommt mehrmals auf diesen Vorschlag zurück,
er hat die
Unmöglichkeit einer solchen Assekuranz wirklich nicht begriffen, und doch stellt sich die Sache bei nur einigem Nachdenken so einfach dar!
Man
kann sich wohl gegen gewisse, vollkommen außer der eignen Verschuldung
liegende
Zufälle,
wie
Feuersgefahr, Hagelschlag,
Schiffbruch
u.
dgl.
assekurieren, niemals aber gegen alle möglichen Mißerfolge im Leben
und Geschäft im allgemeinen und ganzen. möglichen Geschäftsverluste,
Die Gesamtheit aller
gleichviel welchen Ursachen sie entspringen,
ist nun eben das Risiko
und sich dagegen versichern, heißt sich gegen
den Bankerott versichern.
Es geht dies aber einfach nur deshalb nicht,
weil unter den verschiedenen Einflüssen, welche hierzu mitwirken können, die eigene Handlungsweise, die eigenen intellektuellen, sittlichen und
wirtschaftlichen Fehler und Mängel des Betroffenen, wie wir im vorigen
Abschnitt zeigten, eine zu wichtige Rolle spielen.
Dieselben lassen sich
aber nur sehr schwer von den andern Ursachen scheiden und in Rechnung bringen, weil ihr Eingreifen in vielen Fällen mit dem, was der bloße
Zufall dabei verschuldet, zusammenwirkt und sich nicht leicht auf eine
meßbare Größe zurückführen läßt, so daß ein Urteil darüber, eine Fest setzung im Streitfälle meistens nicht wohl gefunden werden könnte.
Weil
daher die Assekuranz Lassalles die Folgen verkehrten Tuns, geschäftlicher
Untüchtigkeit und Unsolidität in ihrer Allgemeinheit mit umfaßt, so ist sie wegen Antastung der ökonomischen und
nicht bloß verwerflich,
sittlichen Verantwortlichkeit
sie ist auch finanziell
undurchführbar.
Jede Versicherungsanstalt, mag sie unmittelbar von den Beteiligten aus
gehen, oder ein Dritter — ein einzelner oder eine Gesellschaft — als
*) Offenes Antwortschreiben S. 28. Note. Bastiat-Schulze S.218. Jnteresiant ist, wie Lassalle an der letztern Stelle seine Affekuranz dadurch „praktischer" zu machen sucht, daß nur die zu demselben Gewerkszweig gehörigen Assoziationen im ganzen Lande in die gegenseitige Assekuranz treten sollen. Gerade die gleichartigen Geschäfte werden bei gewißen Kon junkturen — man nehme z. B. die Baumwollennot der letzten Jahre — auch gleichmäßig betroffen und werden nicht selten sämtlich und gleichzeittg Verluste erleiden und solche daher am wenigsten gegenseitig übertragen können.
Schulze-Delitzsch.
188
Vermittler dazwischen treten, beruht ihrem letzten Grunde nach immer
auf Gegenseitigkeit, auf Verteilung des den einzelnen
durch gewisse
Unglücksfälle erwachsenen Schadens unter viele davon nicht Betroffene
und zwar in einer Weise, daß der Anteil eines jeden ihn nicht irgend erheblich belastet.
Die Fälle, gegen die man sich versichert, müssen im
Verhältnis zur Menge der Versicherten selten, der dadurch verursachte
Schaden für die Gesamtheit gering erscheinen, durchführbar sein.
Daher muß die
Zahl
der
soll die Versicherung
Versicherten die der
Beschädigten, die Summe des versicherten Vermögens die des Schaden betrages bei den vorkommenden Unglücksfällen sehr bedeutend übersteigen,
wofür uns die üblichen Prämiensätze bei den einzelnen Versicherungs gesellschaften einen Maßstab an die Hand geben. Wie wir schon gezeigt haben, schließt nun die Übertragung sämtlicher Geschäftsverluste, welche
L.
durch
seinen Assekuranzvorschlag bezweckt,
Spekulationen,
verkehrte
technische
und
auch die
kaufmännische
durch
schwendung der Fonds, unsolide Bedienung der Kunden,
Kreditieren und dergleichen mit ein.
gewagte
Ver
Leitung,
leichtsinniges
Auf solche Weise, durch Beseitigung
der Gefahr einer solchen Geschäftsgebahrung durch den Ersatz der daher rührenden Verluste, würde sich aber die Zahl derselben in das
Unberechenbare steigern, ja man würde dieselben geradezu heraus fordern.
Bedenke man doch hier nur: die Gefahr, die jemand dadurch
läuft, daß ihn der Schaden seines verkehrten und unsoliden Treibens selbst trifft, bildet ja das notwendige Gegengewicht gegen Trägheit und
Bequemlichkeit, wie gegen die Lockung enormer Geschäftsgewinne.
Dieses
Gegengewicht, als den natürlichen Regulator des Verkehrs, welcher den Unternehmungsgeist in
den
richtigen Schranken hält, durch die
vor
geschlagene Assekurranz entfernen, wäre nichts anderes, als die Untüchtigkeit und den Schwindel assekurieren!
Jeder Sporn zur Vorsicht, zu gewissen
hafter Erkundung aller bei den Geschäftsoperationen in Betracht kommenden
Umstände, zu tüchtiger geschäftlicher Ausbildung fiele fort.
Die gewagtesten
Spekulationen, Anlocken der Kunden durch unbegrenzten Kredit u. a. m.
griffen unaufhaltsam um sich; recht viele Geschäfte machen, um recht große Gewinne zu ziehen, würde das einzige Streben der Geschäftswelt, da ja dabei schlimmstenfalles nichts verloren wird, denn man ist ver sichert!
Die Verluste müßten sich reißend vermehren; was bisher die
Ausnahme war, würde zur Regel, und die Prämien, die regelmäßigen Beiträge der Versicherten zur Deckung dieser ins Unendliche wachsenden Verlustsummen erreichten sehr bald selbst den Betrag erheblicher Verluste
auch für die wenigen, welche sich von dem schwindelhaften Wesen frei
hielten, und überstiegen endlich auch deren Kräfte. Eine köstliche Assekuranz, welche schließlich diejenigen, welche sich bei ihr gegen den Bankerutt ver
sichern, selbst bankerott macht!
Daß der ganze menschliche Verkehr durch eine solche Einrichtung, welche natürlich mit der Aufhebung der wirtschaftlichen Zurechnungs
fähigkeit Hand in Hand ginge, völlig zu demjenigen Hazardspiel herab
sinken würde, welches wir im vorigen Abschnitt beleuchteten, bedarf keiner
nochmaligen Ausführung.
Wenn aber dies auch vollkommen der Lehre
Lassalles entspricht, so ist doch die vorgeschlagene Assekuranz selbst von
diesem Standpunkte aus das Tollste,
was
Eine
sich denken läßt!
Assekuranz auf Gegenseitigkeit unter den Beteiligten bei einem
Spieler, von denen jeder nichts anderes weiß und denkt,
Glücksspiel!
als vom andern zu gewinnen, wo, wie L. dies selbst ausspricht, der Ge
winn des einen durch den Verlust des andern notwendig bedingt ist,
sollen gegenseitig die Unglücksfälle bei diesem Spiel untereinander über tragen, mit andern Worten, das ganze Spiel dadurch wieder auf heben!
Die Albernheit und Unausführbarkeit einer solchen Assekuranz
ist klar, indem dadurch
alle Voraussetzungen des Versicherungswesens
überhaupt über den Haufen gestoßen werden.
Denn anstatt die Unfälle,
gegen welche man sich schützen will, zu beschränken, vermehrt man sie ja;
man ruft eine Menge davon erst hervor, welche ohnedem nie eingetreten
wären, so daß von Verteilung eines verhältnismäßig geringen Schaden
betrags unter viele davon nicht Betroffene — worauf die Möglichkeit der Versicherung beruht — nicht mehr die Rede sein kann. verschiebt
man
die Verantwortlichkeit
der
Zugleich
Beteiligten in der tollsten
Weise und bürdet den tüchtigen und soliden Geschäftsleuten die Ver
luste auf, welche andere durch Mangel an Einsicht, durch Leichtsinn und Verkehrtheiten aller Art verschulden.
Man unterstützt also diese letztern
recht geflissentlich in einem solchen Gebühren auf Unkosten der ersteren
und erreicht so
den
beneidenswerten Zustand:
daß sich kbie Leute
um so besser befinden, je schlechter sie ihr Gewerbe verstehn
und betreiben!
Das wäre so ein Stück Weges zu der,vielgepriesenen
Gleichheit Lassalles, zu der Hilfe für alle ohne Ausnahme, für den ganzen Arbeiterstand, gleichviel wie sich die einzelnen selbst dabei ver
halten, wo sich niemand besonders anzustrengen oder zusammenzunehmen braucht: daß nämlich alle ohne Ausnahme im Nahrungs- und
Wohlstände
gleichmäßig
zurückkümen.
Denn
wenn
man
die
Tüchtigen und Untüchtigen, die Fleißigen und Faulen usw. in dem Lohn für ihre Leistungen, in dem was sie von ihrer Tätigkeit haben, auf eine
Schulze-Delitzsch.
190
gleiche Stufe setzt,
so bringt man sie sehr bald auch auf eine gleiche
Stufe in ihren Leistungen.*)
Dadurch aber käme das ganze Wirtschafts
leben der Nation zurück und die vorgeschlagene Assekuranz wäre daher nichts weiter als die Versicherung des öffentlichen Ruins. Das zutreffendste Beispiel, wie sich die Dinge dabei im einzelnen
gestalten müßten, bleibt wohl das von mir L. schon früher Vorgehaltene, auf welches er die Antwort weislich vermieden hat.**) junger Leute, die sich zum Staatsdienst vorbereiten
Eine Anzahl
und beim Eintritt
ein Examen zu bestehen haben, assekurieren sich gegenseitig für den Fall,
daß sie die Prüfung nicht bestehn und der Anstellung verlustig gehn, mit der Wirkung: daß der Durchgefallene von der Gesellschaft diejenige
Rente für seine Lebenszeit
gezahlt erhält,
welche
beim
gewöhnlichen
Avancement der durchschnittlichen Beamtenbesoldung gleichkäme.
Was
anderes würde dadurch bewirkt werden, als daß viele von den Ver
sicherten, der Sorge um die Existenz
gehörig nachgingen
ledig, ihren Studien
sicher nicht
und daß die Zahl der durch das Examen Durch
fallenden anstatt wie bisher etwa 5 bis 10 Prozent, künftig vielleicht 50 bis 60 Prozent betragen würde.
Die weitere Folge hiervon aber wäre der
Bankerott der Gesellschaft, da die immer mehr verminderte Zahl der in der Prüfung Bestandenen die immer wachsende der Durchfallenden
auf die
Länge unmöglich aus ihrem Einkommen übertragen könnte, ohne selbst völlig zugrunde zu gehn.
Es ist nur gut, daß sich aller solcher Unsinn wohl am Studiertisch aushecken, aber niemals in praktischen Gestaltungen verwirklichen läßt.
Die Teilnehmer der projektierten Versicherungsgesellschaft wären zu be
dauern.
III. Die Abschaffung des Risikos. Von dieser meiner Kritik seiner Assekuranz gegen
das Risiko
scheint Lassalle soviel profitiert zu haben, daß es gut sei, sich noch nach
einem andern Auskunstsmittel in dieser unangenehmen Frage umzusehen.
Und da gelangt er auf den im Eingänge angedeuteten Höhepunkt seiner Leistungen, indem er mit dem unbequemen Dinge, dem Risiko, das sich
seinen Weltverbesserungsplänen so wenig gefügig zeigt, kurzen Prozeß
macht und es ganz einfach abschafft, wodurch natürlich alle Schwierig keiten mit einem Male wegfallen.
Ja, höre und staune, o Welt: Das
Risiko, der Inbegriff aller Gefahren, welche gewerbliche Unternehniungen
*) Arbeiterkatechismus Seite 104. **) Arbeiterkatechismus Seite 167.
Note.
bedrohen, ist gänzlich und für immer beseitigt, wenn die Assoziationen Lassalles unter Staatsgarantie erst, wie sie dies ja nach seinem Plane sollen und werden, die herrschende Form in Produktion und Handel
bilden. Herrliche Aussichten! Alle ungünstigen Chancen im Geschäfts leben fallen fort, jedes gewerbliche Unternehmen muß gelingen, gleich viel, wie es begründet ist, gleichviel wie man es dabei anfängt! Man
braucht nur zu diesen Assoziationen zu schreiten und der Welt ist ge holfen, es gibt kein Risiko mehr! — Erst damit, erst durch einen solchen noch nie dagewesenen, im wahren Sinne schöpferischen Coup ist die notwendige Ergänzung der Lehre von dem Nichtvorhandensein der ökonomischen Zurechnungsfähigkeit gegeben. Denn wenn jeder Erfolg auf wirtschaftlichem Gebiete nach dieser Lehre einzig vom Zufall abhängt, das Wollen und Können des Menschen einen so untergeordneten Einfluß dabei hat, daß es gar nicht in Betracht kommt, so kann man die Dtöglichkeit des allgemeinen Ruins in einem solchen reinen Hazardspiele nur dadurch vermeiden, daß man das tut, was die Spieler von Prosession „corriger la fortune“ nennen. Man kommt dem blinden Glück zu Hilfe, schafft die ungünstigen Möglichkeiten und damit das Risiko ab, und behält bloß die günstigen bei, dann muß man ge winnen. Um wieviel durchgreifender ist dieses Hilfsmittel als die Assekuranz, wo man den ungünstigen Zufall nur durch Aufhebung des
günstigen, den Verlust nur durch Aufgabe des Gewinns ausglich, wo gegen hier das berühmte Problem des Spiels, wobei alle gewinnen und keiner verliert, gelöst wird. Und dies durch ein Mittel, so ein fach und geistreich, wie das Ei des Kolumbus, ja mehr als das — ich sagte es schon — schöpferisch in des Wortes verwegenster Bedeutung! Sehen wir uns die ganze Geschichte nur darauf an, zergliedern wir nur den wirt schaftlichen Vorgang, um den es sich handelt, und man wird mir Recht geben. Das Risiko, nach allgemeinem Sprachgebrauch: die Möglichkeit des Mißerfolgs im Erwerb, die Gefahr, Kapital und Arbeit, die man auf irgend ein geschäftliches Unternehmen verwendet, zu verlieren, ohne Frucht davon zu ziehen, wird man selbstverständlich mit denselben Be dingungen in Beziehung bringen müssen, von welchen der Erfolg auf diesem Felde abhängt. Wir haben uns damit bereits bei Besprechung der ökonomischen Zurechnungsfähigkeit im ersten Abschnitt beschäftigt
und weisen darauf zurück. Im wesentlichen teilten wir die hierbei wirkenden Ursachen in zwei Kategorien, indem wir fanden, daß das Auf kommen des Menschen im Erwerbsstande, das Gelingen wie das Miß lingen aller dahinzielenden Bestrebungen bedingt sei:
192
Schulze-Delitzsch.
a) einmal durch sein eigenes Wollen und Können, die Entwicklung
und den richtigen
Gebrauch seiner intelektuellen,
sittlichen und
körperlichen Kräfte und Geschicklichkeiten; b) durch äußere sich der Einwirkung und Berechnung des einzelnen
mehr oder weniger entziehende Umstände. Wir wiederholen hier nicht noch einmal das über das Verhältnis beider Faktoren und ihre Wechselwirkung aufeinander bereits an jener Stelle Gesagte, sondern heben nur hervor, wie somit die Bedingungen
unseres Erwerbslebens auch in dieser Hinsicht mit denen unserer Existenz überhaupt zusammenfallen und als unverrückbare Naturgesetze auftreten, indem sie sich sämtlich einmal auf das von der Natur gegebene Eigen
wesen des Menschen selbst und sodann auf seine ihm wiederum von
der Natur angewiesene Stellung zur Außenwelt zurückführen lassen. Diese Bedingungen des Erfolgs festgehalten, sind damit natürlich
zugleich die Bedingungen des Mißerfolgs, d. h. die verschiedenen Ur
sachen geschäftlicher Verluste, die im Risiko inbegriffen sind, angezeigt
und müssen denselben Hauptkategorien eingeordnet werden.
Einmal kann
das Mißlingen durch gewisse innere Mängel des Unternehmers in intellektueller, sittlicher oder technischer Hinsicht verursacht sein, durch Irr
tümer und Mißgriffe, durch Ungeschicklichkeit, durch Mangel an Kenntnissen und Erfahrung, an Fleiß und Energie, durch Verschwendung und schlechte Wirtschaft usw.
Das andremal können unvorhergesehene, unverschuldete
Ereignisse die geschäftlichen Operationen gekreuzt haben und häufig wirkt beides zusammen.
in Wesen
Diesen ganzen Vorgang abändern, die angegebenen
und Lage des Menschen
begründeten
Ursachen mit ihren
Folgen aufheben, — und das heißt eben das Risiko abschaffen — läuft also auf nichts mehr und nichts weniger hinaus, als: die natür lichen Daseinsbedingungen des Menschen zu verrücken.
Die höchst verschiedene Begabung und Ausbildung der einzelnen, Unvollkommenheit und Schwäche der menschlichen Natur überhaupt, die
Mängel des gegenwärtigen Kulturzustandes müßten beseitigt, die Schranken menschlicher
Einsicht
und
Kraft
durchbrochen,
die
Abhängigkeit
des
Menschen von der Außenwelt völlig aufgehoben werden — kurz es gälte
die Menschlichkeit abzustreifen, und man müßte ein Gott sein, um dies alles zu bewirken, Menschen und Welt geradezu umschaffen!
Man sieht,
wir haben nicht
zuviel gesagt von der
Wundertat
Lassalles und es ist nur schade, daß wir von diesem himmelstürmenden
Anlaufe, zu dem er uns mit fortzureißen Miene macht, augenblicklich äußerst ernüchtert abstehen, sobald wir uns nach dem Mittel umsehen,
mit dem diese fabelhaften Dinge in das Werk gesetzt werden sollen. Lassen
wir L. selbst reden. Nach der Ausführung, daß nur der Staatskredit das große
Kapital den Arbeiterassoziationen zuzuführen vermöge, fährt er wört lich folgendermaßen fort:*) „Dies leitet von selbst zu der Widerlegung jenes Einwandes, auf
den Sie das Hauptgewicht zu legen scheinen. Wie soll der Staat ein solches Risiko übernehmen, rufen Sie aus! Das Risiko ist eine Illusion, Herr Schulze!" „In der Tat, der Unternehmer Peter und der Unternehmer Paul laufen Gefahr, bei der Produktion ihr Kapital zu verlieren. Denn es ist möglich, daß die Unternehmer Christoph, Gottlieb und Johann ihren Absatz an sich reißen." „Wenn aber der einzelne Produzent diese Gefahr läuft, so läuft die Produktion doch durchaus keine solche Gefahr. Die Produktton ist von stetigem Gewinn und Wachstum begleitet. Lesen Sie nur das erste beste statisttsche Buch darüber nach, in welchem beständigen jähr lichen Zunehmen das in der Produktion angelegte Nattonalkapital be
griffen ist." „Es wird Ihnen nun einleuchten, daß, wenn der Staat zu einer solchen Befteiung der Arbeit im großen sich entschlösse, sich in jeder Stadt nicht einzelne Arbeiter, sondern alle Arbeiter des betreffenden Gewerkes, also das ganze Gewerk selbst, oder mindestens alle solche Arbeiter desselben, die sich überhaupt zu Produktivassoziattonen vereinigen wollen, zur Assoziierung melden würden." usw. usw. „Überdies würde der Staat diesem Triebe wachhelfen, indem er in jeder Stadt nur einer Assoziation in jedem bestimmten Gewerks zweig den Staatskredit zuteil werden ließe, allen Arbeitern dieses Ge werkes den Eintritt in dieselbe natürlich offen haltend." „Es würde dem Staat natürlich nicht in den Sinn kommen, inner halb der Arbeiterwelt dieselben Erscheinungen einzuführen, welche die Bourgeoisie charakterisieren, und auch die in kleinen Gesellschaften gruppierten Arbeiter in konkurrierende Bourgeois zu verwandeln. Das lohnte der Mühe! Kurz, wie auch in meinem Antwortschreiben durch den Kredit- und Assekuranzverband der Assoziationen hinreichend angedeutet war: die Produktivassoziationen, das ist die an jedem Ort in die verschiedenen Produktionszweige zerfallende Produktivassoziation! Es *) Bastiat-Schulze S. 215-218. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.
II.
13
194
Schulze-Delitzsch.
wäre also sehr bald an jedem Ort immer ein ganzer Produktions
zweig in eine einzige Assoziation konzentriert und jede Konkurrenz
zwischen Assoziaüonen einer Stadt von vornherein unmöglich, wodurch,
wie Sie sehen, für die Assoziation das Risiko, welches der
einzelne
Unternehmer für sein Kapital läuft, beseitigt ist und die Assoziation sich der
gesicherten,
immer
vorschreitenden
Blüte
bemächtigt,
welche
der
Produktion eigen ist." Da haben wir also die große Entdeckung: Lassalle will durch die projektierten Assoziationen die Konkurrenz aufheben und, wenn
dies geschehen ist, meint er, mit dem Risiko fertig zu sein! allerdings neu.
Das ist
Als ob in der Konkurrenz alles und jedes Risiko
eingeschlossen wäre, als ob die beiden dem Begriffe nach zusammenfielen!
Freilich kann
ein Geschäft, besonders ein nicht gut begründetes oder
schlecht geleitetes, durch eine ihm plötzlich mittels der Errichtung anderer
in der gleichen Branche gemachte Konkurrenz
an Absatz verlieren und
Schaden erleiden, sogar in seiner Existenz bedroht werden und deshalb
mag man in der Konkurrenz unter Umständen eine Gefahr erblicken. Allein ist denn damit die Summe der Gefahren, welche industrielle Unter
nehmungen bedrohen, erschöpft, gibt es keine Anlässe weiter, aus denen für dieselben Schaden erwächst?
Nur und allein durch die Konkurrenz
soll ihnen der Mißerfolg drohen, gerade durch dasjenige Element, welches sie die Probe ihrer Lebensfähigkeit bestehen, den Beweis führen läßt,
daß sie die Sache ebensogut anzugreifen wissen, wie jeder andere?
Das
ist ein schlechtes Kompliment, welches L. seinen Assoziationen macht, daß
er vor allem in dieser Probe die Hauptgefahr ihres Bestehens sieht.
Damit ist aber die Aufgabe wahrhaftig nicht gelöst.
Wir haben uns ja
mit den verschiedenen Ursachen des Mißerfolges, die hier mitwirken können,
beschäftigt;
mangelhafte Leitung, verkehrte
und unsolide Operationen,
schlechte Arbeitsverrichtung, Vergeudung des Geschäftskapitals, Versäum
nisse und Nachlässigkeit, — kurz alle die in der Untüchtigkeit der Unter
nehmer und Arbeiter liegenden Gefahren fallen doch wahrhaftig mit der Konkurrenz nicht fort!
Ebensowenig ungünstige Konjunkturen hinsichtlich
der Preise, der Bezugs- und Absatzquellen usw.
Und diese Abhängigkeit,
diese Möglichkeit des Mißlinges aus den verschiedensten Ursachen, das gemeinsame Schicksal aller
menschlichen Unternehmungen, welches un
mittelbar mit dem Wesen und der Stellung des Menschen in der Welt verknüpft ist, soll beseitigt sein, sobald: „in jeder Stadt immer ein
ganzer
Produktionszweig
in
konzentriert ist" — so sagt uns L.
einer
einzigen
Assoziation
Dann mögen es also die Ge-
schästsinhaber so toll und verkehrt anfangen, wie sie wollen, die Produktion
verteuern, die Ware verschlechtern, das Kapital vergeuden, das Geschäft
prosperiert doch, lediglich weil es keine Konkurrenz hat. Und solche Dinge will uns L. durch die Anführung glaublich machen, „nur die Einzelnproduzenten liefen überhaupt eine Gefahr, nicht die Produktion
im ganzen, sie sei im stetigen Wachstum und Gewinn, wie das be ständige Zunehmen des in der Produktion angelegten Nationalkapitals Sieht er denn nicht ein, wie er damit gegen sich selbst deduziert? Von seinen Assoziationen, in welche er an jedem Orte alle Arbeiter eines und desselben Fachs je zu einem Geschäft vereinigt, bleibt doch eine jede ein Einzelunternehmen für besondere Rechnung seiner Mitglieder, wenn auch nicht ein einzelner, sondern eine Kompanie Geschäftsinhaber ist, keineswegs kann also eine solche Assoziation als Gesamtproduktion der Nation gelten, von welcher er seine Gründe abnimmt. Jede der selben ist ein spezielles produktives Unternehmen und nicht die Produktion überhaupt. Er selbst will ja jede dieser Assoziationen selbständig gedacht, nicht als Staatsindustrie aufgefaßt wissen. Sie sollen „frei und individuell" sein, wie er sich ausdrückt. Die Arbeiter sollen sich „durch freiwillige Assoziationen als ihre eignen Unternehmer organisieren" und so den Unternehmergewinn außer ihrem Lohn sich aneignen; der Staat soll ihnen nur die Mittel und Möglichkeit zu ihrer Selbstassoziation bieten, durch Beschaffung des dazu nötigen Kapitals.*) Demnach unterliegen diese Assoziationen den selben Gesetzen, wie alle anderen menschlichen Unternehmungen, indem beweise!-
die Zahl der Teilhaber an dieser Qualität nichts ändert. Und was da bei von dem steten Zunehmen des in der Produktion überhaupt an gelegten Nationalkapitals von L. gesagt wird, das akzeptteren wir
bestens.
Diese stetige Zunahme ist unter der Herrschaft der bisherigen
Jndustrieform und zwar am raschesten überall da erfolgt, wo der Selbst verantwortlichkeit und Freiheit, also der Konkurrenz, der weiteste Spiel
raum gegeben wurde. Daß in dem auf das Gegenteil basierten System L.s an ein solches Wachstum nicht weiter zu denken wäre, ist ausgemacht. Aber noch mehr: Die Hauptvoraussetzung, aus welcher L. diese ganze fabelhafte Wirkung ableitet, trifft gar nicht einmal zu, die Konkurrenz wird auf dem Wege, den L. einschlägt, gar nicht einmal aufgehoben!
Wirklich, es ist eine Illusion, zu meinen, wenn ein Gewerbszweig in einem einzeln Orte, gleichviel ob in .den Händen einer Assoziation *) Offenes Antwortschreiben S. 22—24.
Schulze-Delitzsch.
196
oder eines Einzelunternehmers monopolisiert wird, daß nun die Konkurrenz für ein solches Geschäft aufhört.
Das hatte allenfalls im Mittelalter
einen Sinn bei dem schlechten Zustande, der Kostspieligkeit und Gefährlichkeit
der meisten Kommunikaüonswege und Transportmittel, wodurch das Be
dürfnis in vielen Dingen auf die örtliche Produktion beschränkt war. Aber jetzt, im Zeitalter des Dampfes und der Eisenbahnen, bei der Sicherheit und Bequemlichkeit unserer Straßen, bei der Leichtigkeit und
Billigkeit des Transports ist an so etwas nicht zu denken und die Idee,
etwa jeden Ort mittelst Zollschranken von dem andern abzusperren und
soviel Zollsysteme in einem Lande zu errichten, als Städte darin sind, ist zu lächerlich, als daß davon die Rede sein könnte.
Liefert daher eine
solche Assoziaüon schlechte Ware, befriedigt sie nicht
den Begehr, oder
steigert sie die Preise willkürlich, so versorgen sich die Ortsbewohner so
fort
durch die Assoziationen oder
Gegenden.
Einzelgeschäfte
anderer Orte
und
Die nur im Orte unterdrückte (lokale) Konkurrenz gestaltet
sich zu einer zwischen den Orten (einer interlokalen) und man kann sicher sein, daß das gegenseitige Interesse der Produzenten und Konsumenten
die geeigneten Verbindungen sich eröffnen und erhalten wird, um dem Bedürfnis Genüge zu tun.
Will daher L. auf seinem Wege die Konkurrenz
wirklich unterdrücken, so bleibt ihm nichts übrig, als dem Prodüktions-
monopol den Konsumtionszwang hinzuzufügen. Monopol einer jeden seiner Assoziationen, die
Das tatsächliche
in ihren Gewerbszweig
fallenden Artikel in ihrem Orte ausschließlich zu verfertigen, muß durch
die
entsprechende Zwangspflicht der Bezirksbewohner verstärkt werden,
ihre Bedürfnisse nirgends anders woher zu entnehmen, sonst hilft die erste
Maßregel zu nichts.
Und da langen wir denn glücklich wieder bei den
verrottetsten Einrichtungen früherer Jahrhunderte an, wie sie im Zeitalter der Bannrechte, der Zwangsmühlen und Zwangsbacköfen, des viel
berufenen Bierzwanges und bergt im Schwünge waren!
Es ist nicht anders, und dahin kommt jeder, der es, wie L., unter nimmt, mit derlei willkürlichen Eingriffen in die Staat und
Gesellschaft umzuformen.
natürliche Ordnung
Gesellschaftssysteme, welche der
menschlichen Natur widerstreben, den angeborenen Trieben und Anlagen
der Menschen widerstreiten, können nur mittelst des Zwanges durch
geführt werden, wie wir noch heute bei allen Einrichtungen sehen, welche
auf derlei Verkehrsbeschränkungen hinauslaufen. fällt, sinken sie in nichts zusammen.
Sobald der Zwang weg
Daher der gemeinsame Haß aller
solcher Gesellschastskünstler, der Zünftler so gut, wie der Sozialisten,
gegen die Konkurrenz, die Freiheit auf dem Erwerbsfelde, und mancher
stimmt in das Geschrei ein,
ohne zu bedenken, wie schwer man durch
Angriffe darauf das gesamte Wirtschaftsleben gefährdet.
Aller menschliche
Verkehr, die Möglichkeit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, beruht auf Arbeitsteilung und Tausch, darüber ist kein Streit.*)
Das un
gehemmte Stattfinden dieser beiden wirtschaftlichen Haupt- und Grund
vorgänge ist aber eben die freie Konkurrenz.
Wie sie einerseits die
Freiheit der Arbeit, die Gewerbefreiheit, das Recht eines jeden,
jeden beliebigen Berufszweig zu ergreifen, zu unternehmen und zu arbeiten,
was und wie er es für zuträglich erachtet, einschließt, sichert sie anderer seits die Freiheit des Tausches, die Handelsfreiheit, das Recht
eines jeden, seine Dienste und Arbeitserzeugnisse abzulassen an wen und
zu welchen Bedingungen er will, und
dagegen seinen Bedarf zu ent
nehmen, von wem er will, je nachdem es ihm am besten paßt und zu sagt.
Nun ist sowohl in dieser, wie in jeder andern Beziehung die
Freiheit, die Möglichkeit des ungehemmten Gebrauchs der Kräfte, einzig
das Element aller Entwicklung, und einen Schutz
gegen diese Frecheit
gewähren, weil irgend jemand dabei nicht bestehen zu können meint, heißt: zugunsten eines solchen, der die
eigne Entwicklung aufgibt, die Ent
wicklungsmöglichkeit für alle anderen beschränken.
Dies widerstreitet aber
dem allgemeinen Interesse, denn es bringt die Leistungsfähigkeit aller herunter, was auf die Ergiebigkeit der Gesamtarbeit in Herstellung des
Gesamtbedürfnisses nachteilig zurückwirken und die Verminderung, Ver schlechterung und Verteuerung der zur Versorgung aller erforderlichen
Arbeitsprodukte zur Folge haben müßte. Und diese Tendenz zu Zwangsmaßregeln, zur Aufhebung der Freiheit
und Selbstbestimmung der einzelnen zeigt sich bei L. überall, auch bei Einrichtung und Bildung seiner Assoziationen, die ebensowenig freie
wie individuelle sind, was er auch davon sagen mag. Ich habe bereits
früher ausgeführt,**) daß von geschäftlicher Selbständigkeit und Freiheit
der Bewegung denselben nicht viel übrigbleibt, wenn der Staat, wie L.
dies selbst nötig findet,***) „die Feststellung und Genehmigung ihrer Statuten und eine zur Sicherung seiner Interessen (als Garant des Geschäftskapitals) ausreichende Kontrolle bei der Geschäftsführung" übernimmt.
Und auch bei Bildung der Assoziationen tritt die freie Wahl
der einzelnen sehr zurück, indem L. nach obigem ja selbst hauptsächlich darauf rechnet, daß auch bei denjenigen Arbeitern, welche nicht Lust haben, *) Vgl. Arbeiterkatechismus S. 37 folgende und S. 68 folgende. **) Arbeiterkatechismus Seite 167. ♦**) Offenes Antwortschreiben Seite 28, Note.
Schulze-Delitzsch.
198
in die Assoziatton einzutreten, der Staat dem Assoziationstriebe nach helfen werde, indem er in jeder Stadt nur eine Assoziation in demselben
Gewerbszweige mit seinem Kredit unterstützen und dadurch jedes andere Etablissement von vornherein unmöglich machen würde. Also indirekter
Zwang statt des direkten, das ist die Freiheit Lassalles! Und was da
bei interessant ist, das von L. zur ^Beseitigung der Konkurrenz auf diese
Weise angewendete Mittel ist selbst wieder die Konkurrenz, das Erdrücken des Privatkredits durch den Staatskredit, des Privatkapitals durch das unter Staatsgarantte beschaffte.
Freilich bleibt das kleine Bedenken da
bei, daß das Geld zu der geforderten Staatsanleihe niemand anders her geben kann, als die Inhaber derselben Privatkapitalien, gegen welche es
als Kriegskasse zu dienen bestimmt ist. Weiter machen wir uns einmal zum Überfluß noch einen Teil der
Folgen klar, der Zustände, die eintreten müßten, wenn die beabsichttgte Aufhebung der Konkurrenz überhaupt möglich wäre und ins Werk gesetzt würde.
Was L. davon hofft, liegt auf der Hand:
die
Beschränkung der
Produktton auf ein einziges Geschäft in jedem Zweige derselben soll diesem die Preisbesttmmung, die sichere Abnahme seiner Waren in die
Hand geben, weil die Konsumenten nur bei diesem einen Geschäft sich
versorgen können und also kaufen müssen.
Deshalb kann denn ein
solches Unternehmen gar nicht mißglücken, mag es noch so verkehrt dabei zugehen, die Kunden sind ihm ja sicher, die müssen den Schaden zahlen
und noch so viel dazu, daß sich die Mitglieder der Assoziation sämtlich wohl befinden. Eine andere Wirkung kann diese Maßregel nicht im Auge
haben, sie wäre sonst geradezu sinnlos. Also: alles schlechter erhalten und teurer bezahlen müssen in diesen Assoziationswerkstätten ohne Kon
kurrenz — eine schöne Aussicht für die Konsumenten, und wer anders
sind diese, als die Arbeiter sämtlicher übrigen Gewerbsbranchen?
Dies die erste Errungenschaft der neuen Welt — das hätte man den Leuten Vorhersagen sollen!
Und dagegen läßt sich auf keine andere Art
aufkommen, bleibt gar nichts anderes übrig,
als daß es alle, die Mit
glieder jeder Assoziatton in deren spezieller Geschäftsbräuche, nun ebenso machen, möglichst geringe Arbeit zu möglichst teuerem Preise liefern, um
auf ihren Schaden zu kommen, die Kunden sind ihnen ja ebenfalls gewiß,
müssen ja ebenfalls bei ihnen kaufen, da ihnen das Monopol gleichmäßig zur Seite steht.
Die Konkurrenz, wie sie bisher unter den Geschäften
derselben Gattung bestand, als Wetteifer, es einander zuvorzutun an Güte und Mlligkeit der Produkte, den Sporn zur Einführung neuer zweck-
mäßiger Betriebsmethoden und Erfindungen zu diesem Zwecke, wäre man also auf solche Weise los, aber nur, um eine andere Konkurrenz, einen
anderen Wettstreit dafür einzutauschen: sich einander in den Arbeits leistungen zu unterbieten, in den Preisforderungen zu überbieten! Freilich nicht in einem und demselben Geschäftszweige, denn der gehört ja jedesmal einer einzigen Assoziation als ausschließliche Domäne, aber
in der Produktion im ganzen, indem vermöge der gedachten Einrichtung jedes dieser monopolisierten Geschäfte mit denen in allen übrigen Gewerbs branchen den Kampf aufnehmen und ein allgemeiner Wetteifer, durch möglichst geringe und möglichst teure Ware den möglichsten Gewinn für sich zu suchen, entstehen würde, ja entstehen müßte, um den anderen gegen
über zu bestehen! Und da kommen wir zum Kern des ganzen Schwindels. Es ist eine Illusion, auf diese Weise das Einkommen, die Lage der
Arbeiter zu verbessern! Ja, wenn einer einzigen Geschäftsbranche die Ausschließlichkeit ihres Etablissements zustände, den anderen nicht, diese
anderen müßten vielmehr nach wie vor durch gute und billige Bedienung ihrer Kunden sich den Konkurrenten in ihrem Fache gegenüber halten, dann möchte für die eine begünstigte Klasse die Sache allenfalls gehen. Diese könnte dann die Preise ihrer Produkte in die Höhe treiben und dadurch gewinnen, insofern alle übrigen Waren, die sie wiederum von den anderen kaufen muß, ungefähr in dem alten Werte verblieben, sie also teurer verkaufen und billig ein kaufen könnte. Allein davon ist ja überall nicht die Rede. Nicht den Arbeitern in einem einzelnen Gewerbs zweige, sondern allen Arbeitern in allen nur erdenklichen Arbeitsfächern soll auf die angedeutete Weise geholfen werden, für jede Branche wird an jedem Orte eine einzige Assoziation gebildet, jede hat also die anderen bei einer solchen Preissteigerung in den Händen, jede beutet die andere in der angedeuteten Weise aus, weil sie von ihnen ausgebeutet wird. — Was und wem soll dies etwas helfen? Man mache sich doch ein für
allemal klar: die gleichmäßige Steigerung der Preise aller Waren ist so gut wie keine Preissteigerung. Sie nutzt keiner Klasse von
Produzenten, weil die größere Einnahme beim Verkauf ihrer Produkte durch die größere Ausgabe beim Einkauf ihrer Bedürfnisse aufgewogea wird. Nehmen wir an, die Preise würden durchschnittlich um 25 Prozent erhöht, die Arbeiter in der Assoziationsfabrik, die zugleich Geschäftsinhaber
und daher wesentlich bei dev Preisen für die fabrizierten Waren beteiligt sind, erhielten zusammen nun 25 Prozent mehr — was nützt ihnen das,
wenn sie ebensoviel mehr zum Leben und in ihrer Wirtschaft brauchen? Jeder nimmt vielleicht statt 300 Taler jährlich 400 Taler ein, erhält
Schulze-Delitzsch.
200
aber für 400 Taler nicht das mindeste mehr bei Beschaffung seiner Be
dürfnisse, wie früher für 300 Taler.
Vorteile hat er von der ganzen
Einrichtung sicher nicht, im Gegenteil Schaden, denn die Ware ist mit der Preissteigerung, wie wir sahen, zugleich schlechter geworden.
Weiter fasse man einmal die Personenfrage rücksichtlich der Mit glieder dieser Assoziationen von einer anderen Seite ins Auge, als wir
dies beiläufig rücksichtlich der Freiheit des Eintritts schon im Vorstehenden getan haben.
Natürlich muß,
wenn an jedem Orte nur eine einzige
Assoziation in jedem Arbeitszweige ist und diese ihr Kapital durch Staats garantie erhält, jedem Arbeiter der Beitritt offen stehen und der Staat
selbst darauf halten, wie L. dies ja ausdrücklich fordert.
Jeder Arbeiter
eines jeden Faches wird aber durch seinen Eintritt in die Assoziation
zugleich Mitinhaber des Geschäfts, hat eine Stimme bei Ordnung der
Angelegenheiten
desselben,
ohne
daß
nach
Solidität, geschäftlichen und sittlichen Tüchtigkeit wird.
Natürlich
seiner
Geschicklichkeit,
im mindesten gefragt
werden sich die verkommensten Elemente
unter den
Arbeitern, die infolge ihres Treibens und ihrer Unfähigkeit sich unter der Herrschaft der Konkurrenz in der übelsten Lage befinden, am meisten
zudrängen, sie können ja gar nicht besser tun.
Was soll dies für eine
Rückwirkung auf die Geschäftseinrichtung und Verwaltung ausüben? — Bei der auf Selbsthilfe gegründeten Assoziation ist dies anders; da ist
man nicht gezwungen, Mitglieder aufzunehmen, welche nicht solche geschäft
lichen und sittlichen Garantien bieten, daß eine Verbindung mit ihnen, insbesondere ihr Eintritt in die Gesamthaft, das Einstehen aller für einen
und eines für alle in Assoziationssachen überhaupt geraten
erscheint.
Den Faulen und Ungeschickten, den Liederlichen und Verschwender hält man sich da einfach vom Halse.
Ohnehin können solche Subjekte schon
der Hauptbedingung, an welche die Mitgliedschaft mit Notwendigkeit ge
knüpft ist, nicht genügen: fortlaufend kleine Ersparnisse in die gemein schaftliche Kasse einzuwerfen. Und da überdem die Assoziation sich durch ihre Gesamthaltung wie durch die Haltung ihrer Mitglieder überhaupt
Kredit, d. h. Vertrauen erwerben, sich kreditwürdig zeigen muß, so bleibt ihr in der Tat nichts anderes übrig, als die strengsten Forderungen an sich selbst und an ihre Mitglieder in dieser Beziehung zu stellen.
Das haben die Mitglieder der vom Staat garantierten Assoziationen, denen der Kredit ohne ihr Zutun und ihre Würdigkeit gewährt wird, freilich nicht nötig.
Aber wie es mit Erfahrung, Kenntnissen, Geschicklich
keit, Zuverlässigkeit und allen solchen Dingen geht, daß sie eben erworben werden müssen, daß man sie sich nicht schenken lassen kann, so ist tausend
gegen eins zu wetten: daß solcher geschenkter Kredit, der einem zu--
fließt, man mag wirtschaften und seine Geschäfte treiben wie man will,
den Leuten nichts nützt, weil sie ihn höchstwahrscheinlich mißbrauchen werden.
Schieben sie sich obenein noch, wie es im Plane liegt, das
Risiko, das dem Staate als Garanten verbleibt, und damit das Gegen
gewicht gegen schwindelhafte und
leichtsinnige Geschäftsoperattonen und
Spekulattonen vom Halse, so verliert ein solches Unternehmen auch den letzten Halt und sieht dem unausbleiblichen Ruin entgegen.
Zum Schluß dieses Abschnittes noch einige Motte zur Enthüllung unseres Wundertäters,
dem übrigens jeder,
der mit den sozialisttschen
Systemen einigermaßen bekannt ist, leicht auf die Spur kommen wird. Das ganze Gemisch von Albernheit und Überklugheit, Hinwegsetzen
über alle Schranken des Möglichen und maßloser Überhebung, worauf
der angebliche Organisattonsplan L.s hinausläuft, der die Eigentümlichkeit
besitzt, daß niemals irgend jemand irgend etwas Lebensfähiges danach organisieren kann, ist einfach weiter nichts, als ein im Haschen nach Originalität gänzlich verfehlter Abklatsch des Systems von Louis Blanc,
wie dieser es in seinem bekannten Werke l’Organisation du travail zuerst aufstellte und später bei den Verhandlungen der von der provisottschen
Regierung 1848 gleich nach der Februarrevolutton in Frankreich zur Regulierung der Arbeiterfrage eingesetzten KommissiondesLuxembourg,
deren Präsident er war, weiter verfolgte.*)
Um den Kampf der Privatinteressen zu beseittgen, in welchem er
den
Grund
aller sozialen
Mißstände erblickt,
und um diese wider-
streitenden Privatinteressen in ein einziges Gesamtinteresse zu verschmelzen, will Louis Blanc die Konkurrenz, die er sehr ttchttg als die Privat industrie im allgemeinen auffaßt, aufgehoben wissen durch den Staat,
der alle industriellen Etablissements akquittert und sie an die von ihm
organisierten Arbeiterassoziationen mit gleichen Rechten der Mitglieder überläßt,
welche
er
überwacht
und
leitet.
Namentlich
besttmmt
der
Staat: *) Siehe Bastiat-Schulze Seite 232. Wenn ich im Arbeiterkatechismus Seite 97 als Versuche einer Staatsindustrie anfühtte: „Die Vorschläge von L. Blanc und die Nationalwerkstätten von 48 in Frankreich", so ist das voll kommen so gemeint, wie es dasteht, d. h. beide Dinge sind als zwei Beispiele nebeneinandergestellt und von Herrn Blanc eben nur Vorschläge, welche nie realisiert wurden (in der Kommission des Luxembourg), behauptet, keineswegs die wirklich exekutierten Nationalwerkstätten auf seine Rechnung gesetzt, da er nur als Mitglied der provisorischen Regierung für die letzteren eine allgemeine Mitverantwortlichkeit hat.
Schulze-Delitzsch.
202
1. Arbeitszeit und Arbeitslohn der Mitglieder;
2. den Preis der Waren und Produkte;
3. die Verteilung des Gewinns, indem davon: 1!i zur Amortisation des Ankaufspreises der Etablissements der Werkstätten, Maschinen und dergleichen,
V* für invalide und kranke Arbeiter,
1li zur Bildung einer Reserve und */4 als Dividende für die Arbeiter verwendet werden sollen; 4. endlich soll eine unbedingte Solidarität unter allen Industriezweigen
und
deren
Etablissements hergestellt
und
so die Existenz aller
Arbeiter garantiert werden.
Jedermann sieht auf den ersten Blick, daß dies etwas ganz anderes ist, als die Karrikatur, welche Lassalle daraus gemacht hat.
Freilich gilt
von der Auflösung sämtlicher industrieller Privatetablissements auf diesem Wege dasselbe, was wir von der Unmöglichkeit und Verwerflichkeit der
Staatsindustrie, mit ihrer Ertötung der wirksamsten Impulse der mensch lichen Natur zu Tüchtigkeit in Produktion und Haushalt, mit ihrer Ver
legung der wirtschaftlichen Initiative aus dem einzelnen in die Gesamt
heit, an geeigneter Stelle gesagt haben.*)
Allein Louis Blanc hat doch
die Voraussetzungen, unter welchen seine Pläne allein realisierbar sein
würden, erkannt und ausgesprochen und wenn wir auch diese Voraus setzungen selbst für unmöglich und verwerflich und somit das ganze System für ein Hirngespinst halten,
so
müssen
wir doch
die logische Folge
richtigkeit anerkennen, mit welcher er sämtliche Konsequenzen daraus ab leitet.
Daß er an der Spitze einer Regierung zur praktischen Ausführung
seiner Pläne mit berufen, mit der Macht, über die Staatsmittel zu diesem Zwecke zu verfügen, in eine Situation geriet, wo jedes solches Projekt
notwendig scheitern muß
das steht auf einem anderen Blatte.
Aber
davon abgesehen, wenn der Staat es wirklich ermöglichte, die ganze Privat industrie
zu
expropriieren
und
assoziationen zu übergeben, so
ihre
Etablissements
seinen
Arbeiter
möchte füglich von den weiteren Ein
richtungen die Rede sein, welche L. Blanc daran knüpft.
Denn da der
Staat selbst Herr der Etablissements wird, die Assoziationen gründet und leitet, da sich demnach die sämtlichen Jndustrieetablissements in seinen Händen zu einer einheitlichen Staatsindustrie konzentrieren, so wird im Staatsgebiete wenigstens die Konkurrenz unterdrückt und gegen das *) Arbeiterkatechismus Seite 97 folgende, Seite 173.
Ausland kann durch Schutz- oder Probihitivzölle das Geeignete festgestellt werden.
Selbst das Risiko fällt, allerdings nicht an sich, wohl aber
für die einzelnen insofern fort, als dieselben gar nicht als Unternehmer auftreten, als man die davon betroffenen Etablissements und die darin beschäftigten Arbeiter gegen die Folgen schlechter Geschäfte durch Über
tragung
der
Ausfälle
auf
sämtliche
industrielle Etablissements
aller
Gattungen im ganzen Lande schützt, den Verlust unter sämtliche Staats
angehörigen verteilt, das Risiko mit einem Worte von den Schultern der einzelnen auf die der Gesamtheit wälzt. Und das mit Fug und Recht, weil
diese Gesamtheit, der soziale Staat, eben die Rolle des allgemeinen Unternehmers übernommen, die ganze Industrie zu seiner Domäne gemacht hat und über den Gewinn im allgemeinen Interesse verfügt. Daß von allen diesen Folgen, von der Ertötung der Konkurrenz, der Übertragung
des Risiko — von dessen Aufhebung noch gar nicht zu reden —> bei den freien und individuellen Arbeiterassoziationen L.s nicht die Rede sein kann, haben wir bereits gesehen.
L. will*) keine Assoziation
der Arbeit durch den Staat, sondern nur dessen Kreditoperation, um
die
von
den
Arbeitern
möglich zu machen.
des Leiters und
ausgehenden
freiwilligen
Assoziationen
Er gesteht dem Staate daher keineswegs die Stellung
Unternehmers zu, sondern nur eine Kontrolle, und
gleichwohl legt er ihm durch das Ansinnen des unter seiner Garantie zu gewährenden Kredits das Risiko auf ohne jedes Äquivalent, da der Geschäftsgewinn
bleibt.
den
Mitgliedern
seiner
Assoziationen
zur Verfügung
Daß dies im sozialen Staate Louis Blancs, bei der Gegen
seitigkeit und
unbedingten
Solidarität
der in der Hand des
Staates vereinigten Industrie etwas ganz anderes ist, springt in die Augen.
Aber wie man die von den Arbeitern selbst gegründeten und
geleiteten Lassalleschen Assoziationen, welche nicht unter einer gemeinsamen Oberleitung stehen, in jene unbedingte Solidarität zusammenzwängen will, vermöge deren jede derselben für die Geschäftsoperationen der anderen
mithaftet, auf welche ihr nicht der geringste Einfluß zusteht, um verkehrtem Treiben entgegentreten zu können, und von denen sie nicht den geringsten Nutzen hat, bleibt unerfindlich. Ist sonach die Aufhebung der Kon kurrenz innerhalb des Staatsgebiets und die Übertragung des Risikos durch den Staat nur bei durchgeführter Erwerbsgemeinschaft mittels der Staatsindustrie nach L. Blancschem System denkbar — wo bleibt
L. nun gar mit der völligen Beseitigung des Risikos bei seinen freien
♦) Bastiat-Schulze S. 258. — Siehe ferner oben S. 185.
Schulze-Delitzsch.
204
und individuellen Assoziationen! An eine solche Albernheit hat L. Blanc
nie gedacht, vielmehr eben im Bewußtsein des auf den Schultern der Gesamtheit verbleibenden Risikos, Sorge für die Bildung einer Reserve getragen und zu diesem Zwecke von Staatswegen über einen Teil des
Gewinns verfügt,
ja
überdem noch
einen
anderen
Gewinnanteil zur
Amortisation des in den Assoziationen angelegten Staatskapitals bestimmt, um den Staat allmählich aus diesen Unternehmungen herauszuziehen. Was geschieht, wenn diese Amortisation vollendet ist, in welcher Weise die Assoziationen dann der freien Verfügung der Arbeiter anheimfallen
und inwieweit dies darauf hinausliefe, die Privatindustrie auf einem Umwege wieder einzuführen, haben wir hier nicht zu untersuchen.
Ich glaube, daß die Leser an diesen Proben von der Heilslehre
Lassalles genug haben und will sie nicht weiter damit ermüden.
Man
sagt wohl sonst von einem großen Geiste, der seinen Zeitgenossen weit
voran ist, daß sie seine Leistungen nicht zu würdigen wissen:
er sei zu früh in die Welt gekommen, die Zeit sei für seine Ideen noch nicht reif. Bei L. verhält es sich umgekehrt. Er ist zu spät in die Welt gekommen, viel zu spät, und nur diesem Geburtsfehler wird es zugeschrieben werden
müssen, wenn die Menschheit nie für seine Ideen reif wird.
Er hätte,
wie wir gezeigt haben, gleich bei der Schöpfung mit tätig sein müssen,
um Menschen und Welt für diese seine Ideen von Haus aus zuzustutzen. Das ist nicht geschehen und so ist die ganze Geschichte verpfuscht!
Die
projektierte Gesellschaft ohne wirtschaftliche Zurechnungsfähigkeit ihrer Glieder bleibt, wie die Welt nun einmal ist, eine Gesellschaft
ohne die Möglichkeit gesellschaftlicher Beziehungen, ein Unding.
Und wenn von Zeit zu Zeit einzelne bevorzugte Naturen, die mit der
Selbstverantwortlichkeit gebrochen haben und vollständig reif für die neue Weltordnung sind, die Sache in die Hand zu nehmen versuchen, so ge
raten sie regelmäßig mit der kleinlichen und philiströsen Anschauungsweise des Bürgertums in Konflikt, welches sich von der Grundlage unseres
gegenwärtigen Rechts- und Wirtschaftslebens, dem Privateigentum und der individuellen Freiheit nicht loszumachen vermag.
Das ist eben
die schreckliche Befangenheit dieser Bürger, daß sie durchaus nicht einsehen,
wie sie dazu kommen, die Kosten für die Lassalleschen Versuche aus den gemeinen Staatsmitteln übertragen zu lassen, und daß sie ebensowenig aus der Losung: „Nieder mit dem Kapital!",
Schriften und Versammlungen der
welche täglich
Anhänger Lassalles
erschallt,
aus ein
Moment entnehmen, welches ihnen besondere Lust zur Vorstreckung ihrer
Kapitalien an deren Assoziaüonen einflößte.
Nicht einmal die in Aus
sicht gestellte Staatsgarantie vermag sie dazu zu bewegen, weil sie in ihrem beschränkten Fanatismus für das Einmaleins einen Staat, der sich
zu derlei Operationen hergeben würde, von Haus aus für bankerott
halten.
VI. Nachtrag. Obschon das gegenwärtige Schriftchen seinem Zwecke nach mit den vorstehenden drei Abschnitten schließt, kann ich doch nicht umhin, nach träglich zweier Vorkommnisse zu gedenken, welche während der Abfassung desselben eintraten, und von denen das eine von praktischer, das andere von theoretischer Seite die Richtigkeit der darin vertretenen Grundsätze und Bestrebungen in schlagender Weise bestätigt. In ersterer Beziehung ist es der in meinem regelmäßig erscheinenden Jahresbericht für 1864*) statistisch nachgewiesene außerordentliche Fortschritt der auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Genossen schaften des kleinen und mittleren Gewerbestandes, namentlich der Hand werker und Arbeiter. Während in den Listen des Berichts bereits 890 Vorschuß- und Kreditvereine — Volksbanken, 183 Assoziationen in einzelnen Gewerken, darunter 28 Produktiv genossenschaften, 97 Konsumvereine
1170 Vereine im ganzen namentlich nachgewiesen werden konnten, beträgt ihre Zahl gegenwärtig sicher gegen 1300, die der Mitglieder ungefähr 300000. Der Gesamtverkehr an gemachten Geschäften derselben überstieg im Jahre 1864 sicher 60 Millionen Taler, während der Umsatz, d. h. die Summe der Einnahme und Ausgabe, weit über
das Doppelte hinausstteg. Der Gesamtfonds, womit sie diese Geschäfte machten, also ihr Betriebskapital, mußte im ganzen auf 20 bis 21 Millionen Taler geschätzt werden, wovon etwa 41/, Millionen ihnen, beziehentlich ihren Mitgliedern eigentümlich, durch Ansammeln von regelmäßigen geringen Monats- oder Wocheneinlagen und Gewinnzuschreibungen ge hörten, welche als Geschäftsanteile und Reserve gelten, während
etwa 16 Millionen Taler fremde Gelder, in Form von Darlehnen oder Spareinlagen ihnen anvertraut wurden. Für alle diese Summen ist der Anhalt in den im erwähnten Jahresbericht mitgeteilten speziellen Rechnungs abschlüssen von 518 Vereinen enthalten und ich führe daraus nur die *) Jahresbericht für 1864 über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften. Leipzig 1865 bei G. Mayer.
Schulze-Delitzsch.
206
Resultate eines Teiles der Vorschuß- und Kreditvereine — etwa der
Hälfte — in
dem
genannten
Jahre an,
wonach 455
derselben mit
135013 Mitgliedern Vorschüsse im Belauf von 48147495 Taler an ihre Mitglieder gegeben, 3252757 Taler eignes Kapital in Reserven und
Geschäftsanteilen
der Mitglieder angesammelt
fremde Gelder geliehen erhalten hatten.
und
12756582
Taler
Der Geschäftsgewinn betrug
bei denselben zusammen 256482 Taler, wovon 71471 Taler zu den Reserven geschlagen, 173350 Taler den Mitgliedern als Dividende auf
ihre Geschäftsanteile gewährt und meist den letzteren zugeschrieben wurden. Eine kurze vergleichende Übersicht, die der Jahresbericht enthält,
macht die Fortschritte in den letzten Jahren besonders bemerklich, weshalb wir sie hier beidrucken.
Freilich sind alle diese Resultate nur gering, wenn man sie mit dem
Gesamtbedürfnis, mit der Gesamtausgabe: der Hebung der Lage der arbeitenden Klassen im allgemeinen vergleicht.
Aber dafür ist die
Sache auch neu, die ganze Genossenschaftsbewegung noch sehr jung und
die Beteiligung der Handwerker und Arbeiter fängt erst neuerlich an, sich ihr energischer zuzuwenden. Soviel aber beweisen diese sehr beachtens
werten Anfänge, daß die Sache auf dem Wege der Selbsthilfe möglich
ist und daß die arbeitenden Klassen weder wirtschaftlich noch sittlich
soweit verkommen sind, daß sie sich nicht selbst helfen können, wie ihnen von L. nachgesagt wird.
Vielmehr ist mit unseren Handwerkern
und Arbeitern recht viel durchzusetzen, wenn man es nur richtig anfängt. Über 4 Millionen Kapital von einem verhältnismäßig kleinen Teil in
den ersten Anfängen,
die bekanntlich immer die schwersten sind, bereits
erspart und gewonnen, und ein barer Kredit (außer dem Warenkredit)
von 16 Millionen erworben — der beste Beweis, in welchem Grade sich
das Vertrauen des Publikums der Organisation der Selbsthilfe in unseren Vereinen zuwendet.
Das ist etwas!
Freilich gegen L.s Forderung, die
wir auf einige Tausend Millionen veranschlagen müssen — denn die würden kaum reichen, die Privatindustrie nur in Preußen in die
Hände seiner Assoziationen zu bringen, — noch herzlich wenig. Aber L.
will das alles erst und zwar von anderen unter Garantie des Staats erlangen — wir aber haben unsere Fonds bereits und vermehren sie
täglich durch uns selbst und verlassen uns dabei nicht auf fremden guten Willen.
Das ist ein gewaltiger Unterschied! Ich fühle wahrhaftig keinen
Beruf zu der Rolle eines Propheten und Wundermannes, ein Fach, welches
ich L. und seinen Nachfolgern überlasfe. Aber das ist gewiß: bis daß die
Anhänger L.s den Staat in die Gewalt bekommen und durch Staatskredit
207
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
7.
Auf Kredit entnommene Gelder
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208
Schulze-Delitzsch.
sich ihre Millionen verschaffen, möchte es etwas lange dauern.
Ja, ich be
haupte kühn: ehe sie eine einzige Million auf Staatsgarantie geliehen
erhalten, haben wir in unseren Assoziationen gut und gern 100 Millionen eigene Gelder angesammelt und einen Kredit von zehnfachem Betrage.
Ist uns doch schon jetzt durch das Netz von Vereinen, welches sich über das ganze deutsche Vaterland erstreckt eine Stellung auf dem Geldmärkte gesichert. Die Volksbanken insbesondere, welche als Geld-und Kredit institute in der Kapitalbeschaffung die unerläßliche Grundlage zur weiteren Entwicklung des gesamten Genossenschaftswesens legen, gehen hier allen voran. Hauptsächlich durch ihre Beteiligung war es möglich, einen organischen Verband der Vereine, dessen Geschäfte der Verfasser als Anwalt der deutschen Genossenschaften bisher geführt hat, und ein Zentralgeldinstitut, die Deutsche Genossenschaftsbank in Berlin*), ins Leben zu rufen, welch letztere insbesondere die Aufgabe verfolgt, unseren Vereinen die Vorteile und Verbindungen des Großbankverkehrs zu eröffnen.**) Schon macht sich das erwachte rege Leben auch auf den übrigen Gebieten des Genossenschaftswesens geltend. Außer den Rohstoff- und Magazinvereinen vermehren sich namentlich die Konsumvereine in
Städten und Distnkten von zahlreicher Arbeiterbevölkerung und gewinnen täglich an Bedeutung. Ja, auch die Produktivassoziationen, die Vereinigungen von Handwerkern und Arbeitern zum gemeinschaftlichen *) Man vergleiche Jahresbericht pro 1864, S. 2—4.
**) Bei dieser Gelegenheit erwähne ich die ergötzliche Geschichte, die L. in seinem Buche (Bastiat-Schulze S. 213) nach einer angeblichen Äußerung von mir
vorbringt: „ich selbst habe, um Produktivasioziationen zu gründen, 100000 Taler von den besitzenden Klassen aufgebracht, also mein Prinzip der Selbsthilfe selbst als unausführbar aufgegeben". An etwas Derartiges hat kein Mensch gedacht. Vielmehr handelte es sich um die Vorbereitung zur Gründung des eben gedachten Geldinstituts und ich konnte den Arbeitern schon damals mitteilen, daß die Genossenschastsbewegung ein solches Vertrauen genösse, daß die Kapitalisten selbst gern sich bei einer zur Förderung des Genossenschaftsverkehrs begründeten Bank beteiligen würden, weil sie es für ein gutes Geschäft hielten. Und so ist es gekommen. Während das Bankkapital an 270000 Taler zu 3/< von den Genossenschaften und deren Mit gliedern selbst aufgebracht wurde, war es leicht, weit mehr als das übrige auf dem Kapitalmarkt unterzubringen. Dies die Frucht des Vertrauens auf die in unseren Vereinen organisierte Selbsthilfe, welches sicher nicht getäuscht werden wird, so daß die Aktien der erwähnten Bank, deren Verzinsung und Dividende gesichert sind, als eine gute Geldanlage im geschäftlichen Sinne gelten und kein Mensch sie als eine Unterstützung betrachten wird.
Geschäftsbetrieb im großen, die schwerste und höchste Form der Genossen schaft, beginnen in hoffnungsvollen Anfängen aufzutreten und finden bei
unseren
Kreditinstituten,
Förderung.
soweit
irgend
tunlich,
jede
wünschenswerte
Gewiß greifen dieselben, indem sie die Arbeiter zugleich zu
ihren eigenen Arbeitgebern machen, am nächsten und unmittelbarsten bei Lösung der sozialen Frage ein und müssen daher als das letzte Ziel der Bewegung ins Auge gefaßt werden.
Daß und welche Vorbedingungen
zu ihrer Errichtung notwendig sind, um das Gelingen zu sichern, ist des halb unter Zugrundelegung aller Erfahrungen Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen*), und die besonnene Haltung unserer Arbeiterkreise
hat im ganzen die Richtung innegehalten, welche für die teils schon ins Leben gerufenen, teils in der Vorbereitung begriffenen Schöpfungen das beste hoffen läßt.
Dem Verfasser wurde die Freude, bei der Gründung
der meisten mit Rat und Tat zu helfen, und er lebt der Hoffnung, daß,
wo die von ihm empfohlenen Grundsätze dabei leitend gewesen sind, sich
diese Vereine schon in den nächsten Jahren erproben und ihre Mitglieder die Früchte der vielfachen Entbehrungen und Anstrengungen, welche mit
den Anfängen unausbleiblich verbunden sind, ernten werden.
Ist aber
erst mit einer Anzahl vollkommen durchgeführter und dauernd erprobter
Assoziationen dieser Art die Bahn gebrochen, so wird es an der Nachfolge nirgends fehlen und damit für die Produktion
überhaupt, insbesondere
aber für die Stellung der Arbeiter dabei eine neue Periode anbrechen.
Die theoretische Bestätigung der volkswirtschaftlichen Grundsätze
des Verfassers, deren gedacht wurde, ist in dem Werke des ersten der jetzt
lebenden Forscher, des berühmten Amerikaners Carey: „Die Grundlagen der Sozialwissenschaft" enthalten, welches 1860 vollendet, im vorigen Jahre durch die Über tragung des Dr. Adler, München 1863 bis 1864 (E. A. Fleischmannsche
Buchhandlung) dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wurde, auf welches wir nicht unterlassen mögen, bei dieser Gelegenheit als auf eine der bedeutendsten Erscheinungen dieses Gebietes aufmerksam zu machen. Das Falsche und Verwerfliche der Lehren der neueren englischen volks
wirtschaftlichen Schule, insbesondere der Theorien des Ricardo und Malthus, auf welche L. seine Hauptsätze stützt, ist hier schlagend nach gewiesen und es ist merkwürdig, daß der mit der ganzen Bildung des
Jahrhunderts bewaffnete L. die früheren Werke des Mannes, worin *) Arbeiterkatechismus S. 149,151 u. folgende, und mein Flugblatt: Die Borschußvereine und die Produktivgenoffenschasten. Berlin bei Franz Duncker. 1865. (8b. I S. 819 dsS. Sammelwerks.) Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II. 14
Schulze-Delitzsch.
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dessen wahrhaft epochemachenden Entdeckungen auf national-ökonomischem Gebiete seit länger als zwei Jahrzehnten gekannt hat.
einzeln auftreten, gar nicht
Das letzterschienene Careysche Werk faßt die Aufgabe in
einer Größe und Tiefe, an welche vor ihm nicht gedacht wurde.
Die
Nationalökonomie erscheint darin als Teil der Sozialwissenschaft, d. h. der Wissenschaft vom Menschen als Gesellschaftswesen
überhaupt,
welche es mit allen seinen von der letzteren Eigenschaft niemals trenn
baren Lebensbeziehungen zu tun hat,
und
daher alle anderen Wissen
schaften umfaßt, mittels deren der Mensch zum Bewußtsein der Gesetze seines eigenen Wesens und der ihn umgebenden Natur gelangt, namentlich
die letztere zu beherrschen und seinen Daseinszwecken dienstbar zu machen
in den Stand gesetzt wird.
Indem Carey davon ausgeht, die Identität,
das Zusammenfallen der physischen und sozialen Gesetze nachzuweisen, führt er die sozialen Erscheinungen überall auf die großen Naturgesetze
zurück, die in ihrer Einfachheit und Allgemeinheit die Bewegung des
Stoffes ebenso regeln, als wie den Kulturfortschritt der Menschheit.
Und
demgemäß zeigt er uns auch, daß, wie die Gesetzlichkeit der Natur in der
vollkommenen Harmonie der Weltordnung ihren Abschluß findet, die
Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse
unseres Geschlechts
dem
Ziele steter Vervollkommnung vermöge derselben ewigen Gesetze entgegen»
schreitet.
Als Mittel, diese Ziele zu erreichen, gelten ihm:
1. die höchste individuelle Ausbildung der einzelnen zugleich als Bedingung der höchsten gesellschaftlichen Entwicklung
und 2. als das notwendige Element hierzu die größte Freiheit, Hand
in Hand mit der größten Verantwortlichkeit für deren Gebrauch.
Von den Lehren des Ricardo und Malthus aber, welche die Natur bei Schaffung des Menschen und Regelung seiner Bedürfnisse als im
Widerspruch mit sich selbst darstellen und aller Vernunft und Erfahrung entgegen den Rückschritt der Zivilisation, die allmähliche Verschlechterung aller menschlichen Zustände in Aussicht stellen, weist er nach:*)
„daß sie die unvermeidliche Folge haben, den Arbeiter schließlich zum Sklaven zu machen!"
Und solche Lehren sind es, von denen Lassalle bei seinen Vorschlägen,
wie den Arbeitern geholfen werden soll, ausgeht. *) Carey Sozialwissenschaft Th. I, cap. 19, §§ 6, 7. Die einzige Ab weichung CareyS ist, daß er, mit besondrer Rücksicht auf die amerikanischen Verhältniffe, Schutzzölle zur Entwicklung der heimischen Industrie als Durchgangs punkt zum Freihandel für nötig hält.
Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.
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VII. Tischrede auf die Arbeiter bei dem Deutschen Abgeordueteu» tag (Fraukfurt