Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 2 [Reprint 2020 ed.] 9783112377260, 9783112377253


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German Pages 591 [620] Year 1910

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Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783112377260, 9783112377253

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Hermann Schulze-Delitzsch s

Schriften und Reden Lerausgegeben im Auftrage des

Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen

Erwerbs- und Wirtschaftsgmoffenschaften, e. V. von

F. Thorwart - Frankfurt a. M. unter Mitwirkung von

Dr. Hans Crüger-Charlottenburg, Professor Dr. G. Küntzel-Frankfurt a. M., Dr. E. Lennhoff-Frankfurt a. M., Dr. F. Schneider-Potsdam,

Professor Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M.

II. Band.

Berlin 1910. Z. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. L.

Vorbemerkung für Band II. Der vorliegende Band, welcher die Reden und Aufsätze SchulzeDelitzsch's zur Arbeiterbewegung und eine Auswahl seiner wirtschafts­ politischen Reden enthält, ist von Professor Dr. Stein bearbeitet.

Inhaltsangabe. I. Rede« und Aufsätze zur Arbeiterbewegung. Seit»

Aufruf zur Bildung volkswirtschaftlicher Vereine.

Arbeit und Bildung.

1857

...

1861.............................................................

1

4

Schreiben an die Wahlmänner des drittm Wahlbezirks in Berlin.

11

1861..................................................................................

Rede, gehalten in der Arbeiterversammlungzu Berlin.

1862.

.

15

1863 .... 26 Vorwort............................................................................... 26 Einleitung.......................................................................... 28

Kapitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus.

Inhaltsangabe.

IV

Seite

I.

Vortrag: Die Arbeit................................................................................30

a) b) c) d) II.

Wesen und Zweck der Arbeit; die soziale Selbsthilfe ... 30 Die Hilfsmittel der Arbeit.............................................................34 Form der Arbeit innerhalb der menschlichen Gesellschaft . . 37 Die Teilung der Arbeit im besonderen....................................... 41

Bortrag: Das Kapital und dessen Verhältnis zur Arbeit

.

.

45

a) Begriff und Verwendung des Kapitals. Die produktive Kon­ sumtion ............................................................................45 b) Entstehung des Kapitals..............................................................48 c) Übertragbarkeit des Kapitals........................................................ 50 d) Kredit und Kapitalrente............................................................. 51 e) Einfluß des Kapitals auf die Lage derArbeiter .... 56 f) Einfluß des Kapitals auf dieZivilisation.................................... 64 III.

Vortrag: Tausch, Wert und freie Konkurrenz..................................68

Das Eigeninteresse und seine Wirkungen im Haushalt der Gesellschaft....................................................................................... 69 b) Der Tausch..................................................................................... 72 c) Der Wert...........................................................................................78 d) Die Konkurrenz............................................................................... 85 a)

IV.

Vortrag:

Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der

arbeitenden Klassen

a) b) c) d) e) f)

V.

Bortrag: Fortsetzung.............................................................................. 114 a) b)

VI.

...... ................................................................... 89

Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klassen..................................................................................................90 Soziale Abwege............................................................................... 93 Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln... 94 Die Garantie der Existenz durch den Staat................................97 Einzelne soziale Formeln............................................................ 104 Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Stand­ punkte der Arbeiterftage......................................................... 109

Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs 114 Der rechte Weg zum Ziele........................................................... 121

Bortrag: Schluß.................................................................................. 133 a) Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschaft ... 133 b) Die Genossenschaft mit Staatshilfe.......................................... 145

Die Abschaffung des gefchästlichm Risikos durch Herrn Laffalle. 1866

173

Vorwort....................................................................................................... 174

Einleitung....................................................................................................... 175

Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiete.................................................................................................. 176

Inhaltsangabe.

V Seite

Die Assekuranz gegen dasRisiko........................................................... 185 Die Abschaffung des Risikos.................................................................... 190 Nachtrag....................................................................................................... 205 Reden zur Arbeiterfrage................................................................................ 211 Tischrede

1863

auf die Arbeiter bei dem Deutschen Abgeordnetentag.

..............................................................................................

Rede in der Arbeiterversammlung in Offenbach.

1863

Reden in Chemnitz.

Deutschlands Arbeiter.

1863

1865

212 213 215

1863

1865

221

............................................................................

235

Soziale Rechte und Pflichten. 1. 2.

.

................................................................

Die nationale Bedeutung der deutschen Genoffenschaften. Freie Arbeü.

211

.

.

........................................................ 243

1866

Der Mensch und die Gesellschaft...................................................... 244 Das soziale Übel und deffen Bekämpfung..................................... 250

Die sozialen Folgen der Arbettsteilnng.

1866 ....................................... 201

Die Wirkungen der Arbeitsteilung auf wirtschaftlichem Gebiete . 261 Die sozialen Übelstände der Arbeitsteilung....................................... 263 Geschichtliche Entwicklung......................................................................... 268

Praktische Folgerungen............................................................................... 273

Die soziale Frage.

1869 ............................................................................... 275

Wesen und Bedeutung der sozialen

Frage........................................... 276

Die Mittel zu ihrer Lösung.................................................................... 284 Die soziale Verantwortlichkeit.................................................................... 287 Die soziale Frage und die Kirche........................................................ 294 Reden zur Koalitionsfreiheit......................................................................... 299 Rede vom 11. Februar 1865

...........................................................

Schlußwort vom 15. Februar 1865 Rede zum Waldenburger Strike. Reden zum Waldenburger Strike.

............................. .....

Neujahrsansprache.

1870

... 333

17. Dezember 1869 17. Januar 1870 .

Brief an den Nürnberger Volkswirtschaftlichen Verein.

302

314

.

.

1869

.

335

. 349

................................................................. 352

Die Waldenburger und die Fortschrittspartei.

1870

.... 355

Der industrielle Großbesitz und die Arbeiterbewegung in Deutsch­ land.

1870

...................................................................................

361

Inhaltsangabe.

VI

Seite

Reden zur Frage des Bereinsrechts................................................ 374 Rede vom 19. Juni 1869

...................................................................

376

Rede vom 17. April 1872

...................................................................

386

Reden zur Gewerbefreiheit

393

An die preußischen Handwerker.

1861...............................................394

Der Sieg der Gewerbefreiheit im Preußischen Abgeordnetenhause. 1861

..................................................................................................

Reden zur gesetzlichen Regelung des fteien Hilfskassenwesens Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede

vom vom vom vom vom vom vom

409

. 433

.

18. März 1869 ................................................................... 1. Mai 1869 .......................................................................... 26. Mai 1869 ................................................................... 5. Mai 1873 ......................................................................... 22. April 1874 ...................................................... 5. November 1875 ............................................................. 3. Februar 1876 ...................................................................

435 443 453 456 462 465 478

Reden über die Haftpflicht bei von Eisenbahnen, Bergwerken und anderen Unternehmungen herbeigeführten Unfällen.................... 482 ...................................................................

482

Rede vom 8. Mai 1871 .........................................................................

491

Rede vom 28. April 1871

Rede zur Einführung von Fabrikinspektoren 1869............................ 497

Die Stellung der höheren Gesellschastsklaffen zur sozialen Frage. 1880 ......................................................................................... 501 Das sozial-politische Testament von Schulze-Delitzsch.

1883

.

. 508

II. Wirtschaftspolitische Reden. Rede über Staatsbahn oder Privatbahn.

1862

............................ 513

Rede zu dem Gesetzmtwurf betr. Erweiterung des Rotenprivllegs der Prmßischm Bank. 1865 ................................................. 523 Rede zvm Antrag Lasker betr. die Aufhebung vertragsmäßiger Zinsen. 1867 .............................................................................. 532

Rede zur Regierungsvorlage betr. Rotstandsnnterstützungen in den Reg.-Bez. Königsberg vnd Gumbinnen. 1868 ........................... 542 Rede zum Gesetzentwurf betr. Beschlagnahme des Arbeits- oder Dimstlohnes. 1868 ......................... 549

VII

Inhaltsangabe.

Seite

Reden zur Regelung des Hypothekenbmkwesms................................. 554 Rede vom 15. Dezember 1876 ..........................................................

554

Rede vom 29. März 1879

561

...............................................................

Reden zur Wucherfrage....................................................................... 564 Rede vom 28. April 1880

...............................................................

564

Rede vom 7. Mai 1880 .....................................................................

569

Rede über die Beschränkung des Rebverkehrs. Sachregister

1883

.

.

.

. 575

...................................................................................... 579

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung. I. Aufruf zur Bildung von volkswirtschaftlichen Vereinen. (Aus der „Gartenlaube", Jahrg. 1857 Nr. 47.) Eine große Anzahl deutscher Mitglieder des Wohltätigkeitskongresses*)

hat es für ihre Pflicht gehalten, über die internationalen Bestrebungen die Interessen ihres eignen Vaterlandes nicht zu vergessen.

Sie konnten

sich nicht verhehlen, daß der Zweck des Kongresses, die Entfernung und Linderung der Armut, am wirksamsten durch Beseitigung der Ursachen

derselben zu erreichen sei.

Die mächügste derselben ist die Unkenntnis

der Gesetze der Volkswirtschaft.

Es wurde daher in einer besonders

abgehaltenen Versammlung die Bildung von volkswirtschaftlichen Vereinen in größeren und kleineren Städten Deutschlands, selbständig

oder im

Anschluß an die bereits bestehenden gewerblichen und landwirtschaftlichen

Vereine, vorgeschlagen, welche bemüht sein sollen, zur Verbreitung richtiger volkswirtschaftlicher Begriffe und zur Anlegung besserer volkswirtschaft­ licher Einrichtungen beizutragen.

Damit erklärten sich die Anwesenden, namentlich die unterzeichneten

Mitglieder einverstanden. Es trat hierauf ein nach Bedürfnis zu verstärkender Redaktions­ ausschuß zusammen, welcher bis zur definitiven Organisation der Sache

durch einen künftigen Kongreß es sich zur Aufgabe machen wird, ein Zusammenwirken

der

in jener Richtung tätigen Kräfte

Dieser Ausschuß besteht vorläufig

anzubahnen.

aus den Herren Dr. Pickford in

Heidelberg, Max Wirth, Herausgeber des „Arbeitgebers" in Frankfurt, und Dr. B. Böhmert, Redakteur des „Bremer Handelsblattes" in Bremen. Zum provisorischen Vorort wurde Bremen gewählt, und zum Geschäfts­ führer des Redaktionsausschusses bis auf weiteres Dr. Böhmert ernannt.

Anfragen, Vorschläge, Anmeldungen gebildeter Vereine usw. sind an

den Geschäftsführer einzusenden. Frankfurt a. M., den 16. September 1857.

*) Über den Congrfes international de bienfaisance siehe näheres Bd. I S. 253. D. Hsgbr. Schrrlze-Delttzsch, Schriften und Reden. II.

j

2

Schulze-Delitzsch.

gez. Geheimrat Mittermaier aus Heidelberg, Präsident Dr. Lette aus Berlin,

Geheimrat Prof. Schubert aus Königsberg, Hofrat Welcker aus Heidel­ berg, Staatsrat Friedländer aus Heidelberg, Direktor Hoyer aus Vechta

in Oldenburg, Herm. Schulze aus Delitzsch, Prof. Dr. Makowizka aus Erlangen, Geheimrat Rau aus Heidelberg, Dr. Asher aus Hamburg, Direktor A. Varrentrapp aus Frankfurt, Regierungspräsident Francke

aus Koburg, Konsul Reinach aus Frankfurt, Dr. Pickford und Dr. C.

Dietzel aus Heidelberg, Dr. Böhmert aus Bremen, Dr. K. Birnbaum aus Gießen, Professor Stubenrauch aus Wien, Prof. Dr. A. Ahrens

aus Gratz, Dr. S. Neumann aus Berlin.

Kaum wird der vorstehende „Aufruf", für den schon die Namen der unterzeichneten wissenschaftlichen

Autoritäten sprechen,

und dessen

Verbreitung sich die gesamte deutsche Tagespresse zur Ehrenpflicht gemacht hat, einer besonderen Empfehlung bedürfen. Über die außerordentliche Wichtigkeit volkswirtschaftlicher Kenntnisse für das gesamte Staats- und

Erlverbsleben einerseits, und die unglaubliche Unwissenheit auf diesem Felde, selbst bei sonst gebildeten Leuten sind alle Kundigen einig.

Bei

dem augenfälligen Streben unseres Volkes, namentlich unserer Gewerbe­

treibenden und Arbeiter, nach einer besseren wissenschaftlichen Vorbildung für ihren Beruf, welches besonders die Naturwissenschaften neuerlich in seinen Kreis zieht, ist die Vernachlässigung der Volkswirtschaftslehre um

so auffälliger, als es dieselbe mit der brennendsten unserer Tagesfragen,

der sozialen, unmittelbar zu tun hat.

Da dem nun einmal so ist, so

werden einige Winke am Platze sein, in welcher Weise diese Gleichgültig­ keit des Publikums zu überwinden und die wünschenswerte allgemeine

Beteiligung am zweckmäßigsten zu erzielen sein wird. Nach den Erfahrungen des Unterzeichneten ist dies nur durch Heraus­

kehrung der praktischen Seite der Sache zu bewirken.

Nicht bloß volks­

wirtschaftliche Kenntnisse verbreiten, sondern auch zu praktischen Organi­

sationen und Unternehmungen auf diesem Felde anregen und die Hani> bieten wollen die

beabsichtigten Vereine, insbesondere sind es die auf

vernünftiger Selbsthilfe der arbeitenden Klassen beruhenden Assoziationen,

deren Förderung sie sich angelegen lassen sein werden, wie denn ein von dem Unterzeichneten in Frankfurt gehaltener Vortrag über Assoziationen zu dem Aufrufe und dem Beitritt der verzeichneten Kongreßmitglieder

Gelegenheit gab. deutet,

diese

Vereinigen sich nun namentlich, wie der Aufruf an­

volkswirtschaftlichen

mit

den

schon

vielfach

bestehenden

Gewerbevereinen, oder konstituiert sich der Verein, wo es an letzteren

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

3

bisher fehlte, zugleich als volkswirtschaftlicher und Gewerbeverein, was

sehr anzuraten ist, da ja die Aufgaben und Tendenzen beider sich gegen­

seitig ergänzen und fördern: so steht ein höchst folgenreiches Eingreifen in die lokalen gewerblichen Zustände in Aussicht.

Den belehrenden Vor­

trägen über Volkswirtschaft und Gewerbekunde usw. schließen sich Bücher,

Zeichnungen, Modelle, Zeitschriften an, welche zur Benutzung der Mit­

glieder gehalten werden.

Da kann, sobald die Teilnahme allgemeiner

wird, an die Fortbildung der jungen Gewerbetreibenden, an eine Sonntags­

schule gedacht werden, an Gründung von Vorschußbanken für die Mit­ glieder

und

dgl.

mehr.

Endlich

gehen

von

solchen

Vereinen, zur

Erweckung eines regeren Strebens der Gewerbetreibenden am Orte, sowie zur Bildung

des

Verkehrs,

wohl

auch

öffentliche

Ausstellungen

der

Gewerbeerzeugnisse der Mitglieder zu passenden Zeiten aus, wozu u. a. die bevorstehende Weihnachtszeit eine gute, allen willkommene Gelegenheit

bietet.

Eine solche Ausstellung wird namentlich von dem hier bereits

in der Bildung begriffenen „volkswirtschaftlichen und Gewerbeverein" in den letzten Wochen vor dem Fest beabsichtigt, und diese tatsächliche Kund­ gebung von der Wirksamkeit des Vereins hat eine außerordentliche Zahl

von Anmeldungen sofort, als sie zur Kenntnis des hiesigen Publikums gelangten, zuwege gebracht.

Um manchen dessallsigen Wünschen hinsichtlich der speziellen Ein­ richtung solcher Vereine entgegenzukommen, bemerke ich, daß wohl ein

ziemlich allgemein passendes Statut für die hiesigen „volkswirtschaftlichen

und Gewerbevereine" von mir ausgearbeitet, jedoch noch nicht definitiv festgestellt ist, dessen Übermittlung ich auf portofreie Anfragen gern über­ nehme.

Wegen der Kosten, welche die Mitgliedschaft verursacht, wird

aber deren Beschränkung auf ein möglichst geringes Maß wünschenswert

sein, damit die unbemittelten Gewerbetreibenden nichts vom Beitritt ab­ hält.

Ein vierteljährlicher Beitrag sämtlicher einzelner Mitglieder —

von 2 */2 bis 5 Neugroschen — wird zur Erreichung der Vereinszwecke hinlänglich sein, und denkt man auch hier bei der in Aussicht stehenden zahlreichen Beteiligung für Anschaffung der nötigen Zeitschriften, Bücher

und Utensilien für das erste damit zur Genüge auszureichen. Delitzsch, im Oktober 1857.

Schulze-Delitzsch.

Schulze-Delitzsch.

4

II. Arbeit und Bildung. Bortrag, gehalten im Berliner Handwerker-Verein am 4. Februar 1861. Den deutschen Handwerker-, Arbeiter-Bildungs- und Gewerbe-Vereinen.

Berlin, Verlag von Franz Duncker.

Was läge wohl dem,

1861.

der in Ihren Verein tritt, näher, um davon

zu Ihnen zu sprechen, als die beiden Mächte, deren Vermittelung sich

derselbe zur Aufgabe gesetzt hat: Arbeit und Bildung*) das A und O,

Anfang und Endziel aller menschlichen Kultur.

Beide in ihren inneren

Bedingungen auf das engste miteinander verbunden, in engster Wechsel­

beziehung zueinander, keine ohne die andere möglich — und doch in der Geschichte unseres Geschlechts, ja zum Teil auch in der Auffassung, in

den Zuständen unserer Tage vielfach im schroffen Gegensatz miteinander, gleichsam die beiden auseinandergerissenen Enden der Menschheit. Werfen wir einen Blick auf die Anfänge, die ersten rohesten Zu­

stände der menschlichen Gesellschaft, wie sie bei den wilden Völkerschaften

entfernter Kontinente noch jetzt beobachtet werden können. wir nichts von jenem Zwiespalt.

Da finden

Arbeit und Bildung, beide noch

völlig unentwickelt, Roheit und Unfertigkeit allgemein.

Die Schwierig­

keit, sich die zur leiblichen Notdurft unumgänglichen Bedürfnisse zu ver­ schaffen, welche in den höchst unvollkommenen Arbeitsmitteln ihren Grund

hat, nimmt die Kräfte aller dergestalt in Anspruch, daß ihnen zu eigent­ lichen Bildungsstrebungen nicht Zeit noch Lust bleibt.

zuerst die leibliche Existenz gesichert sein, ehe

Natürlich muß

man an etwas anderes

denken kann, und es währet lange Zeit, ehe man dahin gelangt, mehr als dem augenblicklichen Bedürfnis zu genügen und für die Zukunft

etwas zurückzulegen.

Indessen schärfen sich in diesem Kampfe um das

Leben Einsicht und Tatkraft des Menschen und allmählich lernt man immer leichter und vollkommener die nächsten und notwendigsten Auf­

gaben lösen, bis endlich Vorräte sich sammeln und das eigentliche Haus­ halten beginnt.

Nun erst tritt der Zeitpunkt ein, wo eine Generation

der anderen ein stets wachsendes Erbe von Gütern und Erfahrungen übermacht. An die Stelle des Mangels tritt allmählich der Überfluß,

an die Stelle einer unsicheren, kümmerlichen Existenz ein gesichertes, be­ hagliches Dasein, und die Menschen kommen dazu, die edleren Keime ihrer Natur zu entwickeln.

Der Hungernde und Frierende, der Obdach-

*) Daß hier von Arbeit im engeren Sinn, der Gewerbetätigkeit der Produktion der zum Leben erforderlichen materiellen Güter die Rede ist, brauchen wir zur Verhütung von Mißverständnissen wohl kaum zu bemerken.

lose und Nackte haben während

eines solchen Zustandes keinen Sinn

für das Schöne und Erhabene, können keinen großen Gedanken nach­

hängen, keiner Folge klarer Schlüsse sich hingeben.

Nicht einmal der,

welcher für den Augenblick zwar das dringendste Bedürfnis gefüllt hat, aber in steter Sorge für die nächste Stunde, der Ungunst jedes Zufalls

preisgegeben, dumpf in den Tag hineinlebt.

Ohne eine gewisse Sicherung

der äußeren Existenz sind dauernde Bildungsstrebungen weder bei dem

Daher bleibt die erste un­

einzelnen, noch bei einem Volke denkbar. erläßliche

Voraussetzung

dazu:

die gesteigerte Leistungsfähigkeit

der Arbeit in Beschaffung der zum Leben notwendigen und nützlichen Güter. Es muß ein Überschuß der Gesamtproduktion über das

Gesamtbedürfnis stattfinden, welcher es gestattet, daß ein Teil der vorhandenen Kräfte sich anderen Zwecken widmen könne.

Solange noch

alle Kräfte in der Aufgabe der Versorgung mit des Leibes Nahrung

und Notdurft gleichsam

gebunden sind, ist

von

Anbahnung

höherer

Geistesbildung nicht die Rede.

So ist denn die Arbeit, die Tätigkeit für die leiblichen Lebens­ bedürfnisse, in doppelter Rücksicht die Mutter aller Bildung.

Ein­

mal, weil sie allein die notwendige materielle Grundlage dazu beschafft, die Menschen erst in diejenige äußere Lage versetzt, welche dazu gehört,

jene höheren Aufgaben in den Kreis ihrer Bestrebungen zu ziehen.

So­

dann aber zweitens, weil sie, neben jener äußeren Möglichkeit, auch

Von Haus aus träge, wird

die innere Befähigung dazu vermittelt.

der rohe Naturmensch nur durch die Not,

physische Bedürfnis dazu getrieben,

sich

nur durch das

zwingende

anzustrengen, seine Kräfte zu

gebrauchen. Das ist im Anfänge ein mühseliges, lästiges Ding. In­ dessen machen Übung und Gewöhnung es allmählich leichter, die geregelte TäÜgkeit führt zu geregeltem Genuß, und die Lust am Tun wächst mit

den Früchten desselben.

Und einmal geweckt, bleibt dieser Drang in den

Menschen für immer rege und läßt sie nicht bei jenen ersten Aufgaben stehen

bleiben,

deren Lösung ihnen von Tag zu Tag leichter wird,

sondern auf weiteres denken.

So erstarkt die Menschheit in der Arbeit

um die materielle Existenz, als in einer notwendigen Vorschule für alle höheren Strebungen, und so durchgreifend ist dieser Satz, daß überall, wo die Arbeit sich nicht entwickelt, auch die Bildung niemals rechten Fuß

gefaßt hat. Blicken Sie auf die wilden Horden der Polar- und Tropen­ gegenden.

Wohnhaft in Ländern, wo die Natur entweder so feindlich

gegen den Menschen auftritt, daß selbst seine größten Anstrengungen ihr

nur das kümmerlichste Dasein abzuringen vermögen, oder wo sie mit

6

Schulze-Delitzsch.

verschwenderischer Hand selbst die Tafel für ihn deckt, ohne daß er viel mehr zu tun braucht, als eben zuzugreifen: ist die Trägheit, die Unlust zur Arbeit vorherrschend und die Menschen befinden sich in Zuständen von Rohheit noch jetzt, wie sie bei ihren Vorfahren am Anfänge aller Geschichte nicht viel ärger gewesen sein können. Trotz dieser innigen Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Bildung gingen indessen die Wege beider in der alten Zeit scheinbar weit aus­ einander. War man allmählich auch bei einzelnen Völkern zu dem von uns angedeuteten Punkte gelangt, wo das Gesamtarbeitsresultat einen Überschuß über das dringendste leibliche Bedürfnis aller lieferte, so war doch die Arbeit, bei der noch immer andauernden großen Unvollkommen­ heit der Arbeitswerkzeuge und Methoden, auch jetzt noch so hart und schwer, daß die ganze Kraft des Arbeiters dabei erschöpft wurde und er darüber sogar die Disposition zu weiteren Dingen verlor. Deshalb drängte der Gang der Dinge von selbst zu dem Ausweg: „daß man die beiden Hauptrichtungen menschlicher Bestrebungen, die beiden Hauptseiten menschlicher Entwicklung als unvereinbar unter verschiedene Personen teilte." So schied sich die Menschheit in zwei einander entgegengesetzte Hälften. Damit die eine — die günstiger gestellte — die Freien, die Vollbürger — der aufreibendsten Beschäftigung für das gemeine Be­ dürfnis überhoben, sich ganz den höheren geistigen Aufgaben im öffent­ lichen wie int Privatleben, der Wissenschaft, Kunst, Politik widmen könnten, wurde die andere — die Sklaven — rechtlos, der freien Persönlichkeit beraubt, wurde ihnen allein die ganze Last der niederen Erwerbstätigkeit aufgebürdet und so jene Kluft geschaffen, die so ver­ hängnisvoll und doch in den Zeitverhältnissen so tief begründet war. Denn das können wir uns nicht verhehlen, daß bei der niedrigen Stufe der Industrie — noch in der Blütezeit der Griechen und Römer wurde z. B. das Getreide von Sklaven auf Handmühlen vermahlen — der Fort­

schritt der Zivilisatton kaum um andern Preis zu erkaufen war. Damit die eine Halbscheid der Menschen ihre Bahnen betreten konnte, mußte die

andere auf jeden Anteil daran, ja auf die eigene Menschheit verzichten. Wirklich war das soziale Dogma des Altertums in dem Satze beschlossen: daß Bildung und Gesittung mit jedem höher« Streben und veredeltem Lebensgenuß, Vollgeltung in Staat und

Gesellschaft nur für einen Teil, nicht für die Gesamtheit der Menschen möglich sei, daß vielmehr der andere Teil geopfert, zum Dienste des Lasttiers erniedrigt werden

müsse, damit der erstere Zeit und Kraft frei behalte, den

höchsten Zielen unseres Geschlechts zuzustreben. Die Exklusivität, die Ausschließlichkeit war das Grundelement

Wie sich ein Volk dem

der antiken Gesellschaft.

andern

mit seinen

Nationalgöttern als bevorzugt entgegensetzte, die andern als Barbaren, Fremde, Philister sich gegenüber als preisgegeben betrachtete, so standen

wiederum innerhalb des Volks jene Hauptklassen sich einander entgegen, die Herren und Sklaven,

die Freien und die niedrigen Arbeiter.

Und so vollständig stimmte dies mit der damaligen industriellen und

humanen

Entwicklungsstufe,

so

vollständig

wurzelte

namentlich

die

Sklaverei in der Lebensanschauung und Lebenshaltung der Zeit, daß dieselbe allgemein als ein durch das allgemeine Bedürfnis wie durch die

allgemeine Sitte geheiligtes völkerrechtliches Institut aufgefaßt wurde. So erklärt es sich einesteils, daß wir selbst bei den erleuchtetsten Geistern

des Altertums niemals einem Bedenken gegen die humane Berechtigung der Sklaverei begegnen; andernteils, daß sich die davon so hart Be­ troffenen ihr mit einer uns unbegreiflichen Resignation fügten.

Die

Arten, wie jemand der Sklaverei verfiel, standen rechtlich ein für allemal

fest und wer in den Fall kam, sei es der Kriegsgefangene, der an fernen Küsten Schiffbrüchige, der zahlungsunfähige Schuldner, hatte es zu nehmen wie ein Götterverhängnis.

Sklaven

mußte man

nun

einmal haben,

darüber waren alle einig, mochte sich jeder hüten, wie er konnte, daß ihn

das Los nicht traf.

Wirklich verdanken wir diesem Gange der Dinge das ganze reiche Erbe, welches wir aus jenen frühen Zeiten überkommen haben, alle jene

unvergänglichen

Schätze

der

Wissenschaft

und Kunst,

an welche die

moderne Bildung erst wieder anknüpfen mußte, um sich aus der Ver­

sunkenheit des Mttelalters, aus dem Wust von Geistesdruck und Pfaffen­

blödsinn emporzuarbeiten. Aber eben darum sollten wir auch, so ost wir der großen Männer gedenken, welche jene unsterblichen Werke schufen,

uns zugleich dankbar der Unglücklichen, Verstoßenen erinnern, auf deren

Schultern jene erst zu den Höhen des Lebens emporgetragen wurden, wo allein die freie Schöpferkraft gedeiht. Wohl verzeichnet die Geschichte

viel glänzende Namen von Fürsten und Führern im Reiche des Geistes — aber die tausend und abertausend Seufzer jener Dulder, die, um das beste Teil ihres Selbst verkürzt, mit Schweiß und Blut die Fundamente

jener herrlichen Denkmale kitteten, davon schweigen ihre Blätter. Jahrtausende vergingen auf diese Weise, in denen sich das soziale

Lebensprinzip des Altertums in Kraft erhielt, bis

es im äußersten

Schulze-Delitzsch.

8 Materialismus erstarrte.

Indem die bevorzugten Klassen ihre Stellung

zur Fröhnung des raffiniertesten Sinnengenusses mißbrauchten, vergaßen

fie völlig aller höheren gemeinnützigen Bestrebungen, worin doch einzig

die Berechtigung dieser Stellung lag.

Da, während noch im Römerreich

der volle Glanz äußerer Macht die schon beginnende innere Fäulnis

bedeckte, brach sich das Christentum aus den Tiefen der gedrückten Menschheit Bahn, gleich einem Quell in der Wüste, eine neue Welt des

Geistes und Gemütes erschließend und mit den alten Göttern zugleich

stürzte jenes Dogma der sozialen Ausschließlichkeit.

In der allgemeinen

Gotteskindschaft aller Menschen, in der gleichmäßigen Berufung

aller Völker wurde der Fluch aufgehoben, der auf den verstoßenen

Klassen und Stämmen lastete, wurde die gleiche Bestimmung eines jeden anerkannt, die ganze volle Menschheit in sich zu hegen und zu entwickeln.

Bildung und Gesittung das Gemeingut aller!

Dies die große,

erschütternde Losung der Christuslehre, die ungeheure Umwälzung in den

Grundvorstellungen der Zeit, womit das Verdammungsurteil gesprochen war über die Sklaverei wie über die ganze antike Gesellschaft.

Aber lange und schwere

Jahrhunderte

vergingen, ehe

die

hohe,

welterlösende Idee sich auch nur in schwachen Anfängen zu verkörpern begann und wie weit wir noch jetzt vom Ziele sind, brauche ich nicht

zu

sagen.

Nur

der Gesellschaft.

sehr

vollzieht

langsam

sich

der

Läuterungsprozeß

Von der Sklaverei zur Leibeigenschaft, zu den

verschiedenen Graden der Gebundenheit an Scholle und Beschäftigung,

von der unbedingten Zwangsarbeit zum Frohndienst war ein weiter Weg und es kostete schwere Kämpfe, ehe die hörigen Leute, welchen die gewerbliche Arbeit meist zugewiesen war, zum freien Städtebürgertum

des Mittelalters sich emporrangen.

Und wird auch gegenwärtig in den

neuern Kulturstaaten die bürgerliche Freiheit,

die Gleichheit vor dem

Gesetze für alle Klassen festgestellt und somit der Bann des Gesetzes von den Arbeitern genommen: unsere Tage hinein.

tatsächlich klafft die Spalte noch bis in

Die Forderungen des materiellen Bedürfnisses sind

so gesteigert, es gehört soviel mehr dazu, sich durchzubringen, sich ein Wissen anzueignen, daß wir trotz der verbesserten Bolkserziehung noch immer keine kleine Zahl von Arbeitern in geistiger Verkümmerung, ja zum Teil in sittlicher Verwilderung von den Segnungen der Zivilisation

so gut wie ausgeschlossen sehen.

Ja, selbst nicht wenige bisher gesicherte

Existenzen, zum Beispiel in unserm Handwerkerstande, fühlen sich in ihrer Lage bedroht, durch die völlige Revolutton in den alten Produktions­ und Betriebsmethoden, durch welche sie von ihrer Selbständigkeit herab-

gedrückt und der Ausbeutung des Grotzkapitals überliefert zu werden fürchten;

ein Umstand, der sie mit Unmut und Mißtrauen gegen den Verlauf der Dinge erfüllt und sie den Ansprüchen der Gegenwart immer mehr zu entfremden droht.

Und doch ist gerade in diesem von manchem so verkannten und gefürchteten Entwicklungsgänge

der neuern

Industrie

erst die

entschiedene Wendung zum bessern enthalten, welche sich Bahn brechen wird, sind nur erst die Wehen der Übergangsperiode überwunden, wie sie von jeder

solchen Krisis

untrennbar sind.

Indem die neueren

Forschungen und Entdeckungen, besonders im Gebiet der Naturwissen­ schaften, mehr und mehr die Naturkräfte zu menschlichen Arbeits­ zwecken zu Gebot stellen, steigert sich einmal die Produktionsfähigkeit

Grade und wir gelangen zu immer

der Arbeit in außerordentlichem

leichterer und billigerer Befriedigung unserer Bedürfnisse.

Weiter aber —

und dies können wir nicht genug betonen — ersetzen jene Naturkräfte mehr und mehr die bloß mechanische Muskeltätigkeit des Arbeiters und so entstehen höhere Ansprüche an die Einsicht, an das geistige Verständnis

der Arbeiter, um die Arbeitsvorgänge zu leiten, die eingreifenden Kräfte zu beherrschen.

Das Handwerk geht mehr in Kopfwerk über, es

treten Verstandeskombinationen

ein,

wo bisher

nur körperliche Kraft

und Geschicklichkeit entschied, es wird eine andere, mehr wissenschaftliche Vorbildung nötig.

So vollzieht sich, unmerklich aber unablässig, und

ohne daß eine menschliche Gewalt es zu verhindern vermöchte, ein großer

weltgeschichtlicher Prozeß vor unseren Augen, von unberechenbaren Folgen für die Zukunft der arbeitenden Klassen.

Ich möchte ihn die Ver­

geistigung der Arbeit nennen, mittelst deren der Arbeiter seine höheren

Anlagen bei seiner unmittelbaren Berufstätigkeit immer mehr beteiligt

und die niedrigste und aufreibendste Art der Körperanstrengung mehr und mehr von ihm genommen und den Naturkrästen aufgebürdet wird.

Nur auf diesem Wege steht die wahre Emanzipation des Arbeiters zu hoffen, die Emanzipation nicht von äußerer Knechtung und fremder

Gewalt — die hat sich längst vollzogen — sondern von den eigenen, ihm selbst anklebenden Mängeln, von der Gebundenheit, dem Verkommen

seiner edelsten Kräfte.

Erst wenn Wissenschaft und Kunst als Gehilfen

in die Werkstätte treten, wird der Druck von seiner sozialen Stellung genommen,

und

die

nachhaltige

Versöhnung

zwischen

Arbeit

und

Bildung wird herbeigeführt, indem die Bildung als Arbeitsmittel, als das unentbehrliche Werkzeug des Arbeiters auftritt.

Freilich hat sich der Blick unserer arbeitenden Klassen noch nicht

überall so geklärt, um dieses erhabene Ziel mit vollem Bewußtsein in

10

Schulze-Delitzsch.

das Auge zu fassen. Indessen, wie sich auch ein Teil der älteren Hand­ werker gegen die Erkenntnis noch sträubt, er wird täglich kleiner, und die junge Heranwachsende Generation bezeugt durch ihre Haltung, daß

sie wohl begreift, um was es sich für sie handelt. Welche Rührigkeit, welches ernste Streben in den Hunderten von Handwerker-, Gewerbe-

und Bildungsvereinen, in den Fortbildungsschulen, wie wird da die Gelegenheit benutzt, zu lernen! Vor kurzem erst hatte ich Gelegenheit, dem Feste beizuwohnen, welches der Arbeiterbildungsverein in Hamburg, einer der ältesten und bestorganisierten in Deutschland,

beging, die von ihm erworbenen und neugebauten, großartigen Räume zu weihen, und war Zeuge des trefflichen Geistes, der die tausende seiner Mitglieder beseelte. Doch, was bedarf es weiteren Zeugnisses — stehe ich nicht vor dem Handwerker-Verein der Preußischen Hauptstadt, der während der kurzen Zeit seines Bestehens als Musteranstalt fördernd und anregend auf das ganze Land gewirkt hat? Eine Elite von Handwerkern und Arbeitern, von Lernenden auf der einen und eine Elite von Ordnern und Lehrenden auf der andern Seite, wie sie nur eine solche Stadt, ein solcher Mittelpunkt wissenschaftlichen und gewerblichen Lebens zu vereinigen vermag! — Aber wie auch die Vereine unserer Provinzial- und Landstädte gegen den Ihrigen zurück­ stehen müssen, so geht doch auch von ihnen viel des guten und löblichen aus. Und überall treten einem der Bildungsdrang und die Bildungsfähigkeit unserer Handwerker auf das Erfreulichste ent­ gegen und machen es selbst für die Gebildetsten zu einer wahren Lust, unter den frischen Männern und Jünglingen zu weilen und das ihrige zur Förderung der Vereinszwecke beizutragen. Es ist gar nicht leicht für die wackeren Leute, die Opfer an Zeit und Geld zu bringen, welche das Vereinsleben fordert; es gehört ein ernster und fester Wille dazu, die knappen Freistunden, besttmmt zur Ruhe und Erholung, einer andern,

oft nicht weniger anstrengenden Arbeit, dem Lernen zu widmen. Aber welche schöne, große Aussicht eröffnet sich auch beim beharrlichen Ver­ folgen des gesteckten Zieles: Die Forderung des ganzen vollen Menschentums für den Arbeiter! Weshalb wären denn — so dürfen wir dann ausrufen — Kraft und Trieb zu höherer Entfaltung gleichmäßig von der Natur in alle Menschen gelegt, wenn ein Teil von Haus aus dazu bestimmt sein sollte, sie geflissentlich zu ersticken? — Es ist nicht wahr, nicht jetzt, nicht für unsere Tage mehr wahr, daß die

einen geistig verkümmern müßten, damit die andern in den Stand gesetzt würden, großen Gedanken, erhabenen Gefühlen sich zu widmen. Die

Kulturaufgabe der Menschheit erfordert die Kräfte aller und die gemein­ same Arbeit gibt das gemeinsame Recht.

göttliche Funke eingeboren,

Ist doch uns allen derselbe

lebt doch uns allen derselbe ewige Drang

im Busen, und wenn so die Gottheit unserem Geschlecht selbst die Bahnen weist, die zu ihr führen, erhebt sie keine Menschenopfer als Wegsteuer! —

Es ist wunderbar, wie selbst in den finstersten Perioden die Ahnung

von einer solchen bessern Zeit die gedrückte Menschheit niemals verlassen hat. Nehmen Sie die alten ehrwürdigen Überlieferungen vom ver­ lorenen Paradies, vom goldenen Zeitalter unter dem Gott Saturn, dem zu Ehren die Römer alljährlich das bekannte Fest der

Saturnalien feierten, wo Herren und Sklaven die Rolle wechselten, wo die Sklaven zu Tisch saßen

daß

und ihre Herren sie bedienten.

Nur

nach besseren Zuständen sich in die Vergangenheit

die Sehnsucht

verirrte, weil das entmutigte Geschlecht daran verzweifelte, sie jemals zu

In gleichem Sinne ver­

schauen und sie als ewig verloren betrauerte.

weist unsere Kirche

die Gläubigen

Söhne unserer Tage goldenen Zeiten,

erheben

an

kühn

eine andere Welt.

Allein die

das Haupt und wissen,

von denen die Dichter singen,

daß jene

nicht hinter uns,

sondern vor uns liegen, daß sie nicht der Anfangspunkt der Mensch­

heit sein können,

Jahrtausende

sondern das

langsam

Endziel sind,

entgegenreifen.

dem wir im Laufe der

Auch läßt man sich nicht mehr

durch das Verweisen auf ein Jenseits abhalten, das erhabene Ziel schon hienieden

anzustreben.

Das ist ja das wahrhaft Menschenwürdige in

uns, daß wir mit allen Kräften darnach ringen, das Wahre und Rechte, das Schöne und

Gute zu erkennen, und das als solches Erkannte in

allen Verhältnissen des praktischen Lebens zu verwirklichen. ans Werk; der Arbeit mit der Bildung im

Drum rüstig

Vereine ist kein Ziel zu

hoch, keine Aufgabe zu schwer, daß sie davor zurückscheuten.

Nur so

wird es geschehen, daß die Menschheit dereinst ihre großen Saturnalien feiert, wo

die Arbeit in

Wissenschaft ihr dient. geweiht.

den Ehren

des

Festes Tafel hält, und die

Solchem Kultus sind die Stätten dieses Hauses

Möge ihnen die rechte Gemeinde niemals fehlen!

III. Schreiben a« die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin vom 28. Februar 1861. (Aus der „Volkszeitung" Jahrg. 1861.)

Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern

des

HL Berliner Wahlbezirks um Aufschluß

über die von mir an-

Kulturaufgabe der Menschheit erfordert die Kräfte aller und die gemein­ same Arbeit gibt das gemeinsame Recht.

göttliche Funke eingeboren,

Ist doch uns allen derselbe

lebt doch uns allen derselbe ewige Drang

im Busen, und wenn so die Gottheit unserem Geschlecht selbst die Bahnen weist, die zu ihr führen, erhebt sie keine Menschenopfer als Wegsteuer! —

Es ist wunderbar, wie selbst in den finstersten Perioden die Ahnung

von einer solchen bessern Zeit die gedrückte Menschheit niemals verlassen hat. Nehmen Sie die alten ehrwürdigen Überlieferungen vom ver­ lorenen Paradies, vom goldenen Zeitalter unter dem Gott Saturn, dem zu Ehren die Römer alljährlich das bekannte Fest der

Saturnalien feierten, wo Herren und Sklaven die Rolle wechselten, wo die Sklaven zu Tisch saßen

daß

und ihre Herren sie bedienten.

Nur

nach besseren Zuständen sich in die Vergangenheit

die Sehnsucht

verirrte, weil das entmutigte Geschlecht daran verzweifelte, sie jemals zu

In gleichem Sinne ver­

schauen und sie als ewig verloren betrauerte.

weist unsere Kirche

die Gläubigen

Söhne unserer Tage goldenen Zeiten,

erheben

an

kühn

eine andere Welt.

Allein die

das Haupt und wissen,

von denen die Dichter singen,

daß jene

nicht hinter uns,

sondern vor uns liegen, daß sie nicht der Anfangspunkt der Mensch­

heit sein können,

Jahrtausende

sondern das

langsam

Endziel sind,

entgegenreifen.

dem wir im Laufe der

Auch läßt man sich nicht mehr

durch das Verweisen auf ein Jenseits abhalten, das erhabene Ziel schon hienieden

anzustreben.

Das ist ja das wahrhaft Menschenwürdige in

uns, daß wir mit allen Kräften darnach ringen, das Wahre und Rechte, das Schöne und

Gute zu erkennen, und das als solches Erkannte in

allen Verhältnissen des praktischen Lebens zu verwirklichen. ans Werk; der Arbeit mit der Bildung im

Drum rüstig

Vereine ist kein Ziel zu

hoch, keine Aufgabe zu schwer, daß sie davor zurückscheuten.

Nur so

wird es geschehen, daß die Menschheit dereinst ihre großen Saturnalien feiert, wo

die Arbeit in

Wissenschaft ihr dient. geweiht.

den Ehren

des

Festes Tafel hält, und die

Solchem Kultus sind die Stätten dieses Hauses

Möge ihnen die rechte Gemeinde niemals fehlen!

III. Schreiben a« die Wahlmänner des III. Wahlbezirks in Berlin vom 28. Februar 1861. (Aus der „Volkszeitung" Jahrg. 1861.)

Dem an mich gestellten Verlangen einer Anzahl von Wahlmännern

des

HL Berliner Wahlbezirks um Aufschluß

über die von mir an-

12

Schulze-Delitzsch.

geregten Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter in Deutschland

zu genügen, gebe ich hier eine kurze Erörterung dieser Bestrebungen, indem ich wegen Organisation und Einrichtung der Vereine im einzelnen auf die von mir veröffentlichten Schriften: Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter und Vorschuß- und Kreditvereine verweise. Es ist bekannt, wie tief die Arbeiterfrage in die politischen Kämpfe der Gegenwart eingreist. In dem dunklen Gefühl, daß die wichtigsten poliüschen Rechte ihnen nichts nützen, solange nicht ihre materielle Lage verbessert sei, haben die beteiligten Klassen sich nicht selten zu den ver­ kehrtesten Forderungen und Bestrebungen in dieser Richtung hinreißen lassen. Namentlich ist seit dem berüchtigten „panem et circenses“ des römischen Proletariats der Versuch, die Garantie eines gesicherten Daseins vom Staate zu verlangen, wiederholentlich, wenn auch stets ohne Erfolg, auf­ getaucht. Ja, neuerdings hat man dies in den sozialistischen Schulen Frankreichs bis zu dem förmlichen System des sozialen Staates aus­ gebildet, wonach alle Initiative, Gewinn und Risiko im Erwerbe, dem einzelnen genommen und der Staatsgesellschaft aufgebürdet wird, welche als allgemeine gewerbliche Unternehmerin, jeder Konkurrenz entrückt, da­ steht und sämtliche Staatsangehörige nach Bedürfnis beschäftigt und lohnt. Ich werde mich nicht bei einer Kritik dieser ungeheuerlichen Aus­ geburt aufhalten, da wenige Sätze für meinen Zweck genügen. Es gibt nichts Verkehrteres und Gefährlicheres, als die Masse an die Vorstellung zu gewöhnen, als könnte nichts selbständig aus eigener Kraft bestehen. Denn notwendig beraubt man sie so jedes wirtschaftlichen und sittlichen Halts und lähmt die wirksamsten Impulse zu Fleiß, Tüchtigkeit und

„Die Natur hat dem Menschen Bedürfnisse ge­ geben, zugleich aber auch Kräfte, deren richtiger Gebrauch ihn zur Be­ friedigung seiner Bedürfnisse führt" — dies der Fundamentalsatz aller Sparsamkeit in ihnen.

Wirtschaft; seine Konsequenz: die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen

für seine Existenz. Diese Verantwortlichkeit einem Dritten, dem Staate (und das heißt doch nichts anderes als den übrigen Gesellschaftsklassen) aufbürden, den einzelnen entheben, die Folgen seines Tuns und Lassens zu tragen, heißt, seine Zurechnungsfähigkeit und in ihr jede Möglichkeit des geselligen Zusammenlebens der Menschen in Frage stellen. Nun ist zwar eben durch die Verkehrtheit solcher utopischer Versuche

schon von selbst dafür gesorgt, daß von ihrer Durchführung auf die Dauer niemals die Rede gewesen ist, noch die Rede sein kann, daß sie

nur für den Augenblick Verwirrung anrichten.

Allein, außerdem führen

sie noch das große Übel mit sich, daß sie jede geordnete Entwicklung der öffentlichen Zustände, jede noch so hoffnungsvoll begonnene Bewegung

sofort stören, sofort einen Rückschlag bewirken, sobald sie sich einmischen. So groß ist der instinktive Abscheu der besitzenden Klassen davor, daß sich

die Mehrheit derselben sofort zurückzieht und, um nur die bedrohte Ge­ sellschaft zu retten, lieber den politischen Fortschritt preisgibt und sich jeder noch so willkürlichen Gewalt in die Arme wirft, welche ihr Schutz

vor dem gefürchteten Umsturz verspricht.

Tritt ein solcher Bruch ein­ Ich kenne keine einzige

mal ein, so hat die Reaktton leichtes Spiel.

große polittsche Bewegung, die zur Feststellung dauernder gedeihlicher

Zustände geführt hätte, von welcher sich Intelligenz und Besitz zurück­

zogen. stände

Die Spaltung

insbesondere

zwischen

dem

gebildeten Mittel­

und den Arbeitern, zwischen Kopf und Arm der Nation, hat

jedesmal zum Siege der Reaktion

so wird es in Zukunft sein,

geführt.

So ist es immer gewesen,

und deshalb erscheint es selbst vom rein

politischen Standpunkte dringend

geboten,

jenem

an sich

berechttgten

Drange in unserer Arbeiterwelt nach Verbesserung ihrer Lage die rechten

Bahnen zu weisen.

Zeige

man

den wackeren Leuten, wie ihr wohl­

verstandenes Interesse nicht im vergeblichen Ankämpfen gegen die urewigen Mächte und Gesetze des Verkehrs, sondern darin besteht, daß sie mehr

und mehr lernen, sich derselben zum eigenen Vorteil

bedienen.

Dahin

eben zielen die von mir angeregten Organisationen, die Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter, durch Vereinigung vieler Keinen Kräfte eine Großkraft zu bilden und so dem einzelnen die notwendigsten Vor­

bedingungen lohnender gewerblicher Tätigkeit zu sichern.

Ich kann, wie

gesagt, hier nicht auf das Nähere eingehen, nur das allen gemeinsame Prinzip will ich kurz berühren: es ist die Selbsthilfe.

Da wird jede

Subvention von außen verworfen, da gewöhnt man vor allem die Ge­

nossen, auf eigenen Füßen zu stehen, um in sich selber die Eigenschaften

zu entwickeln, welche das Gelingen auf dem Felde des Erwerbes bedingen. Überall knüpfen wir an das Bestehende an und erkennen im Privat­ eigentum und der freien Konkurrenz die mächtigen Hebel der Zivilisation, im Kapital den besten Freund des Arbeiters, indem wir den künstlich

durch Unverstand und bösen Willen genährten Konflikt zwischen beiden dadurch ausgleichen, daß wir den beftuchtenden ©front des Kapitals so­

viel als möglich dem Geschäft des nnbemittelten Arbeiters zuführen. Es wäre im Angesicht einer

so umfassenden Aufgabe gewiß eine

lächerliche Vermessenheit, wollte ich das bisher Geleistete für mehr als einen Anfang ausgeben.

Indessen sind wir in den letzten Jahren so weit

14

Schulze-Delitzsch.

gediehen, daß die Möglichkeit, auf dem eingeschlagenen Wege praktisch etwas zu leisten, entschieden dargetan ist. In mehr als 300 deutschen Städten befinden sich in diesem Augen­ blick 400 bis 450 solcher Genossenschaften in Tätigkeit, mit einer Ge­ samtmitgliederzahl von 70000 bis 80000 Köpfen, größtenteils im nörd­

lichen Deutschland, indem der Süden bis jetzt noch sehr schwach vertreten ist, und die Aushilfe der arbeitenden Klassen dort — am meisten in

Bayern — mehr durch amtliche Institute unter Regierungssubvention vermittelt wird. Der Gesamtumsatz unserer Genossenschaften, von denen bereits jetzt eine große Anzahl Abschlüsse vorliegen, muß für das Jahr 1860 auf mindestens 14 bis 16 Millionen Taler geschätzt werden, ihr Gesamt­ fonds auf 3*/4 bis 4 Millionen Taler, wovon etwa 600000 bis

700000 Taler, aus vorläufigen geringen Beisteuern und zugeschriebener Dividende angesammelt, den Mitgliedern bereits gehören, das übrige durch Anleihen unter ihrer Solidarhaft zusammengebracht ist. Wegen der Resultate der früheren Jahre verweise ich auf meinen Jahresbericht für 1859 über die auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter (Leipzig 1860 bei G. Dkayer), indem der die speziellen Nachweise und statistischen Tabellen pro 1860 enthaltende Bericht nicht vor Mai ausgegeben werden kann, weil bis dahin noch eine große Anzahl von Rechnungsabschlüssen der einzelnen Vereine eingeht. Nun breiten sich unsere Vereine in neuester Zeit immer rascher aus und

werden immer populärer, so daß sich ihre Zahlen in wenigen Jahren friedlicher Entwicklung sicher verzehnfachen, wo dann eine schon sehr fühl­ bare Rückwirkung auf die Hebung der beteiligten Stände nicht ausbleiben kann. Und wie dies auch in die politische Entwicklung in doppelter Hin­ sicht förderlich eingreifen muß, springt in die Augen. Einmal schafft man so den niederen Volksschichten die Möglichkeit

für eine wirklich fruchtbare Beteiligung bei der Politik und gewinnt in ihren Sympathien für verfassungsmäßige Zustände die besten Hüter von Ordnung und Gesetz, was niemand gering anschlagen wird. Vor allem hat die Volkspartei die dringendste Ursache, der Sache die vollste Auf­ merksamkeit zu widmen. Will sie, daß ihr Programm: „die Beteiligung des ganzen Volkes an den Staatsangelegenheiten mittels des allgemeinen

Stimmrechts", zur Wahrheit werde, will sie ihren Namen wirklich durch Sorge für das Volkswohl verdienen, so muß sie hier beginnen, eine

wirklich nachhaltige Arbeit nicht scheuen, sonst wird sie niemals zum Ziele gelangen. Die zweite Frucht von nicht geringerem Belang ist eben die Aus-

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

15

gleichung des unheilvollen Bruches zwischen den liberalen Parteien, der, wie ich andeutete, hauptsächlich auf sozialem Felde anhub und allein der

Reaktion zugute kommt. Zeigen wir in der Arbeiterfrage das wahrhaft Konservative unserer Grundsätze, leiten wir immer mehr den «Strom der Arbeiterbewegung von jenen verderblichen sozialpolitischen Träumereien ab auf wahrhaft erprobte volkswirtschaftliche Bahnen und das Mißtrauen, die Furcht vor dem roten Gespenst, die so viele wackere Männer dem Fortschritt entfremdet haben, werden schwinden und wir werden manchen früheren Mitkämpfer wieder in unseren Reihen sehen, der sich bisher scheu davon zurückgezogen hat. Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be­ strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunst aller politischen

Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen Frage abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.

Delitzsch, am 28. Februar 1861.

IV. Rede, gehalten in der Arbeiterversammlung z« Berlin am 2. November 1862.*) (Aus der „Volkszeitung": Jahrg. 1862.)

Meine Herren, ich habe von verschiedenen der Herren Vorredner

gehört, wie sehr auch in der Arbeiterfrage, die Ihrer Ansicht nach eine nicht politische ist, die Politik immer wieder von dieser oder jener Seite

zur Sprache gebracht worden ist. Ich werde versuchen, diese Frage nach ihrer sozialen Tragweite und getrennt von der Politik zu behandeln. *) Zu der Londoner Industrieausstellung 1862 war auch auf Veranlassung liberaler Sozialpolitiker eine Reihe deutscher Arbeitervertreter entsandt worden. Schon bald nach ihrer Rückkehr tauchte in Berlin und Leipzig der Gedanke auf, einen deutschen Arbeiterkongreß zu veranstalten. In Berlin wie in Leipzig wurden Komitees zur Vorbereitung des Kongresses gewählt. Das Berliner Komitee ver-

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

15

gleichung des unheilvollen Bruches zwischen den liberalen Parteien, der, wie ich andeutete, hauptsächlich auf sozialem Felde anhub und allein der

Reaktion zugute kommt. Zeigen wir in der Arbeiterfrage das wahrhaft Konservative unserer Grundsätze, leiten wir immer mehr den «Strom der Arbeiterbewegung von jenen verderblichen sozialpolitischen Träumereien ab auf wahrhaft erprobte volkswirtschaftliche Bahnen und das Mißtrauen, die Furcht vor dem roten Gespenst, die so viele wackere Männer dem Fortschritt entfremdet haben, werden schwinden und wir werden manchen früheren Mitkämpfer wieder in unseren Reihen sehen, der sich bisher scheu davon zurückgezogen hat. Dies, was sich in Kürze über die Stellung jener sozialen Be­ strebungen zur Sache sagen ließe — für manche unserer Tagespolitiker vielleicht schon viel zu viel! Doch spreche ich diesen Herren gegenüber zum Schluß die feste Überzeugung aus, daß die Zukunst aller politischen

Parteien, welche Einfluß auf die Regierung gewinnen wollen, wesentlich von ihrem Verhalten zur sozialen Frage abhängen wird, welche in dem wachsenden Bewußtsein der Masse immer mächtiger und unabweislicher herandrängt. Nur durch Klarheit und Entschiedenheit in den wirtschaftlichen Fragen können wir zur gedeihlichen Lösung der politischen gelangen, und wie ideal man auch die politische Aufgabe anfasse, ohne solide materielle Grundlagen wird man nie einen Einfluß erzielen.

Delitzsch, am 28. Februar 1861.

IV. Rede, gehalten in der Arbeiterversammlung z« Berlin am 2. November 1862.*) (Aus der „Volkszeitung": Jahrg. 1862.)

Meine Herren, ich habe von verschiedenen der Herren Vorredner

gehört, wie sehr auch in der Arbeiterfrage, die Ihrer Ansicht nach eine nicht politische ist, die Politik immer wieder von dieser oder jener Seite

zur Sprache gebracht worden ist. Ich werde versuchen, diese Frage nach ihrer sozialen Tragweite und getrennt von der Politik zu behandeln. *) Zu der Londoner Industrieausstellung 1862 war auch auf Veranlassung liberaler Sozialpolitiker eine Reihe deutscher Arbeitervertreter entsandt worden. Schon bald nach ihrer Rückkehr tauchte in Berlin und Leipzig der Gedanke auf, einen deutschen Arbeiterkongreß zu veranstalten. In Berlin wie in Leipzig wurden Komitees zur Vorbereitung des Kongresses gewählt. Das Berliner Komitee ver-

16

Schulze-Delitzsch.

Sie haben gewünscht, eine Meinung auch von mir über Ihr Vor­ haben zu hören. Wenn dieser Wunsch auch vielleicht schon in der guten Meinung von meinen vielfachen Bestrebungen für den Arbeiterstand bei

Ihnen begründet war, so, glaube ich, hat doch auch der Umstand zu meiner Einladung beigetrageu, daß ich in diesem dritten Berliner Wahl­

kreise, wo Sie jetzt tagen, Deputierter bin zu unserem preußischen Ab­ geordnetenhause und daß mich ein persönliches Band gerade an die Arbeiter — denn der dritte Berliner Wahlbezirk ist der industriereichste im ganzen Staate — ganz besonders fesselt. Unter meinen Wahlmännern habe ich sehr viele Arbeiter, und hier erwähne ich eines Punktes, der von einem der Redner*) vor mir geltend gemacht wurde, indem er meinte, der Arbeiterstand habe gar nicht recht Zeit, sich um Politik zu kümmern. Meine Herren, wenn Sie die nicht gehabt hätten, dann stände ich wahr­ scheinlich nicht als Arbeiter vor Ihnen. Sie wollen einen Arbeiterkongreß veranstalten; das wollen wir ein­ mal nicht bloß an und für sich betrachten, sondern wir wollen es in

Zusammenhang bringen mit dem großen Zuge unserer Zeit. öffentlichte am 22. Oktober 1862 in der „Volkszeitung" die Einladung zu dem Kongreß, der für die Zeit vom 18. bis 25. November in Aussicht genommen war. In der gleichen Nummer wandte sich A. Streckfuß, ein bekannter Fort­ schrittler, gegen diese Idee; in dieser Zeit einer politischen Krise sei daraus eine Schwächung der liberalen Opposition zu befürchten. „Es kann für die im finstern arbeitenden Feinde der Freiheit keinen günstigeren Anhaltspunkt: geben, als die jetzige so unzeitgemäße Arbeiterbewegung." Er erwähnte den ^allerdings un­ begründeten Verdacht, die Sache geht von der Redattion aus". Die Versammlung vorn 2. November sollte nun die Entscheidung bringen; an ihr nahmen als Ver­ treter des Leipziger Komitees die späteren Anhänger Lassalles Fritzsche und Vahlteich teil. Von Führern der Fortschrittspartei waren neben S chulze Streckfuß und v. Unruh zugegen. Schulze nahm in seiner Rede Bezug auf das von dem Komitee aufgestellte Kongreßprogramm: 1. die Einführung der Gewerbefreihett und 2. der Freizügigkeit durch ganz Deutschland, 3. die Beratung und Fest­ stellung von Grundstatuten für Asioziattonen und für Jnvalidenkassen für alle Arbeiter, 4. die Arrangierung einer Welt-Industrieausstellung zu Berlin in den nächsten Jahren. Schulze fand nicht bloß den begeisterten Beifall, sondern auch Zusttmmung zu seinem Vorschlag einer Verlegung und zwar wurde Leipzig statt Berlin auf Vorschlag der Leipziger Vertreter in Aussicht genommen. Auf Anrufen des Leipziger Komitees verfaßte dann im Februar 1863 Laffalle sein „Offenes Antwortschreiben", das von der Berliner Versammlung und von Schulzes Rede ausgeht. Damit war der offene Krieg zwischen Lassalle und der Fort­ schrittspartei, insonderheit zwischen Lassalle und Schulze ausgebrochen. D. Hrsgb. *) Es war dies ein Arbeiter namens Lippke, der Streckfuß wegen seines Artikels in der „Volkszeitung" hefttg angriff. D. Hrsgb.

Unter manchem Drucke und mancher Ungunst der Verhältnisse hat mich in meinen Hoffnungen für eine Bessergestaltung unseres öffentlichen

Lebens immer das eine aufrechterhalten: daß das Volk in allen Schichten

sich mehr und mehr gewöhnt, sein eigenes Wohl und Wehe, die Ge­ staltung seiner Geschicke selber in die Hand zu nehmen. Nur diesem Grundzuge unserer Zeit dürfen Sie zuschreiben die

Unzahl von Kongressen, von Vereinen, die sich den verschiedensten Be­ strebungen widmen, den Juristentag, den Handelstag, den Handwerkertag, die Versammlungen der Land- und Forstwirte, den Nationalverein.

Jede

Vereinigung hat ihr besonderes Arbeitsfeld; der letztgenannte Verein z. B.

nimmt die Frage der poliüschen Fortgestaltung Deutschlands in die Hand. Wo Sie Hinblicken: alle Berufsstände scharen sich mehr und mehr zusammen,

suchen sich durch gemeinsame Beratungen aufzuklären, was ihnen frommt

und not tut, und formulieren ihre Forderungen an die Gesetzgebung der

Staaten, wie ihren Interessen wohl am besten gedient werden müßte.

Ich habe bei früheren Gelegenheiten diesen Grundzug unserer Zeit als das Prinzip der Volksinitiative bezeichnet, und ich habe von da an eine neue Ära — ich gebrauche das Wort nicht in dem Sinne, in

welchem es in der Politik in Mißkredit gekommen ist,*) sondern im wirk­ lichen Sinne des Wortes — ich habe von da an eine neue Ära im Volke bei mir selbst datiert, ich habe gemeint: das hat bei den Deutschen

gefehlt zu ihrer inneren Gediegenheit, zu ihrer humanen Bildung, daß

sie die Initiative bekommen und ihre eigenen Geschicke selbst in die Hand

nehmen.

Nun, meine Herren, wenn ich so den Zug der Zeit gekenn­

zeichnet habe, so werden Sie ganz allein schon meine Stellung zu Ihrem Kongresse wahrnehmen.

Ich billige Ihr Vorhaben als etwas Gutes,

Hoffnungsvolles nicht nur für Sie, die Sie

dem Arbeiterstande an­

gehören, sondern ich heiße es für Sie allgemein willkommen.

Die zweite Frage, meine Herren, die sich daran knüpft, ist die der Zeit, in welcher Sie Ihr Vorhaben, und zwar in Ihrem eigenen Interesse, am besten bewerkstelligen. Da ist schon von den geehrten Vorrednern**) mir vieles vorweggenommen worden.

Ich teile die Ansicht, daß Sie

nichts ausrichten, wenn Sie die Sache überellen, daß Sie zu keinem gedeihlichen Resultate gelangen, wenn Sie schon in den nächsten Tagen, namentlich in Berlin, unvorbereitet in Beziehung auf Ihre Beratungs*) Mit dem Worte „Neue Ara" wurde die von dem Prinzregenten int Jahre 1859 in Preußen eingeleitete Politik bezeichnet. D. Hrsgb. **) Auch die Leipziger Abgesandten waren für eine Verlegung des Kongresses bis zum Januar. D. Hrsgb. Sckulje-Delttzsch, Schriften und Reden.

II.

2

18

Schulze-Delitzsch.

Vorlagen, welche Sie in Ihr Programm inseriert haben, etwas keineswegs gehörig Vorbereitetes in Szene setzen wollen. Herr Streckfuß hat mit Recht vorgeführt, wie wenig das, was Sie in dem Kreise der Hauptstadt bei einer vorzüglich gebildeten Arbeiterbevölkerung bewegt, durch das ganze Land dringt. Sie wollen doch nicht allein gehen, die Arbeiter

von einigen bedeutenden Plätzen, wie Berlin, Leipzig, Nürnberg; Sie wollen doch etwas Nationales schaffen, Sie wollen einen deutschen Arbeitertag halten. Dazu reichen die drei Städte nicht aus; da muß die Idee bei weitem mehr in den Arbeiterstand hineingelangen und auch

in die Bevölkerung der übrigen deutschen Nachbarländer einschlagen. Das geht nicht, meine Herren, in ein paar Wochen, dazu brauchen Sie ein paar Monate. Und wollen Sie die Vorberatungen wirklich gut

fördern, so brauchen Sie wiederum dazu einige Zeit. Lassen Sie mich einmal kurz auf das Programm eingehen, da wollen wir uns bald verständigen. Sie haben z. B. hier, und gewiß recht zweckmäßig — ich billige das ganze Programm — die Arrangierung einer Weltausstellung zu Berlin nach dem Vortrage des Herrn Vahlteich daraus weggelassen. Das ist ja eine Aufgabe, deren Lösung durchaus nicht in Ihrer Macht oder in Ihrem besonderen Berufe und Interesse liegt. Das werden Sie der großen Industrie überlassen, die in Ver­ bindung mit den Staatsbehörden allein imstande ist, diese Dinge in einer gedeihlichen Weise auszuführen. Aber die Einführung der Ge­ werbefreiheit und Freizügigkeit durch ganz Deutschland, die Beratung und Feststellung von Grundstatuten für Assoziationen und Jnvalidenkassen für alte Arbeiter und endlich gewerbliche Mitteilungen der zum Besuch der Londoner Ausstellung gewesenen Arbeiter: das sind durchaus zweckmäßige

Dinge, mit denen ein Arbeiterkongreß sich füglich und gewiß mit Frucht beschäftigen kann. Nun, meine Herren, wenn aber ein solcher Kongreß, namentlich ein erster dieser Art, zusammentritt, so stellen Sie sich das Ding nicht so leicht vor! Sehen Sie, ich bin ein alter Kongreßmann, ich habe manches in dieser Beziehung durchgekämpft, mit veranstaltet, ich weiß einigen Be­

scheid. Da sind wir immer sehr vorsichtig gewesen; da haben wir durch bestimmte Fachmänner Vorarbeiten schaffen lassen, ein Beratungsmaterial, was dann für den einzelnen schon zurecht gemacht war. Den Stoff haben wir lange vorher zusammengetragen. Wenn nun ein paar hundert Arbeiter zusammenkommen und ohne Vorbereitung sich in so großen Fragen ergehen, das würde eine wunderliche Geschichte werden, die auf dem babylonischen Turmbau hinausliefe.

Sehen Sie doch einmal auf das Verfahren der ständischen Ver­ sammlungen!

Ja, die haben ihre Kommissionen für die Vorarbeiten,

die treten zusammen und liefern, ehe sie in volle Beratung gehen, sich ganz klare Berichte, zu denen der Stoff gehörig zusammengefaßt, gesichtet

Nun werden Sie mir zugeben,

und allen Mitgliedern mitgeteilt wird.

daß die Arbeiter — so hoch ich aus Erfahrung ihre Befähigung für solche Beratungen schätzen gelernt habe — wohl nicht fähiger, geübter und gewandter sein werden als die anderen, etwa die Juristen, Volks­

wirte, die oft jahrelang ihre Vorarbeiten machen.

Besonders auf eins

muß ich Sie aufmerksam machen, es ist vielleicht der wichtigste Punkt Ihres Programms, den Sie auf keinen Fall abändern mögen: die Be­

ratung und Feststellung von Grundstatuten für Assoziationen und Jnvalidenkassen für alte Arbeiter.

Sehen Sie, das ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. Sie wissen, daß außer Leipzig

auch Nürnberg mittels eines Komitees

sich an Ihrem gemeinsamen Vorhaben

beteiligt hat.

Die Herren aus

Nürnberg schickten mir eine Vorarbeit für eine solche Jnvalidenkasse und ersuchten mich,

sie zu begutackten.

Ja,

den

1. November wollten sie

schon tagen — so stand es in dem Schreiben; sie haben's auch auf­

geschoben — und ich bekam die Sache erst vom 26. zum 27. Oktober in die Hände. Ich habe es dennoch sofort vorgenommen und habe ihnen wenigstens

ein

allgemeines

Gutachten

gegeben.*)

Trauen

Sie

mir

Erfahrung

genug zu: wenn dieses Statut angenommen worden wäre, so wäre die

Kasse fünf Jahre, nachdem sie in Wirksamkeit trat, bankrott gewesen.

Das konnte ich nachrechnen

und das

Fehlern ihres Exempels nachgewiesen.

habe ich den Herren

mit den

Das ist keine Kleinigkeit; solche

Dinge sind sehr ernst, und wer sie in die Hand nimmt, hat eine un­ geheuere Verantwortlichkeit, falls etwas nichts taugt.

Nehmen Sie ein­

mal an: eine Jnvalidenkasse wird beschlossen; es heißt: ihr zahlt mit dem

und dem Lebensjahre so oder so viel und dafür habt ihr z. B- von eurem 60. Lebensjahre die Pension zu erwarten.

Es werden nun jahrelang

*) Schulze hatte sich schon seit Jahren mit dem Gedanken einer Alters-, Peafions- und Jnvalidenkasse für Arbeiter beschäftigt. Schon in der „Innung der Zukunft" von 1855 hatte er alles, was er an statistischen Vortagen hatte austreiben können, zusammengestellt. In seinem Gutachten für die Nürnberger Arbeiter hebt er die großen versicherungstechnischen Schwierigkeiten, die mangelnden Unterlagen einer Pensionsversicherung nachdrücklich hervor und rät zur Vorsicht, ebenso einige Tage später in einem Brief an den Direktor des Vorschußoereins zu Zwickau, der ihm den gleichen Gedanken unterbreitet hatte. D. Hrsgb.

Schulze-Delitzsch.

20

die Beiträge angesammelt; das dauert 20, 30 Jahre lang, ehe die Sache in Fluß kommt.

Es sammelt sich ein Kapital an.

Wie denn nun, wenn

der fleißige Arbeiter 25 oder 30 Jahre die Beiträge sich mühsam ab­ gedarbt und in die Kasse getragen hat, und nun kommt er in das Jahr der Berechtigung, wird Invalide, und die Kasse ist bankrott!

Das ist

bei allem in der Welt keine Kleinigkeit und ich würde mich vor einer solchen Verantwortlichkeit entsetzlich hüten. Darum, die Dinge wollen ernste Vorarbeit haben.

stehen Ihnen zu Gebote, die bereit sind,

Viele Kräfte

für Sie diese Vorarbeit zu

übernehmen, aber nicht in Wochen und einigen Monaten. Sie, meine Herren.

Der Beschluß

ist

Weder ich noch

der Ihrige.

meine Freunde können Ihnen etwas hineinreden.

Das erwägen

Ich will mich nur für

meine Freunde und mich erbieten, indem ich Ihnen anheimstelle, davon Gebrauch zu machen. Ihnen für Invaliden-

und ähnliche Kassen

Vorarbeiten zu machen. Es ist nun in betreff der Zeit vom Januar die Rede gewesen.

die Ob

der Kongreß dann schon möglich sein wird, darüber wage ich nicht ab­ zusprechen.

Aber ich möchte Ihnen einen Rat erteilen.

Sie haben Ihre

Kommission, oder setzen eine solche noch ein; da bestimmen Sie nicht gleich und nicht zu früh im voraus: es soll und muß im Januar ge­ schehen. Überlassen Sie es Ihren Vertrauensmännern im Komitee, den Kongreß seinerzeit, wenn die Sache reif ist, auszuschreiben.

Hören Sie noch ein paar Gründe gegen eine sobaldige Anberaumung

noch etwa im Januar, wo die Zustände von jetzt wahrscheinlich noch dauern. Aus den Äußerungen der Herren Vertreter des Leipziger Arbeitervereins, der so bereitwillig auf eine Vertagung der Sache ein­

gegangen ist, zeigt sich ebenfalls, wie ganz Deutschland

eine

große

Wichtigkeit der Entwicklung der Zustände in Preußen beilegt, indem gerade von dort die Mahnung ausging, nicht im Augenblick, wo das Interesse

des Publikums auf andere wichtige Dinge gerichtet sei, den Arbeiter­ kongreß zu berufen.

Ich will die politische Seite nicht hervorheben, ich

will ganz allein das vor Ihnen geltend machen, was lediglich in der

Arbeiter Interesse liegt.

Solange die Dinge so gespannt bei uns sind,

solange ist das allgemeine Interesse nun einmal diesen Dingen zugewandt,

es wird sich ganz gewiß nicht einer Arbeiterversammlung zukehren. könnten

andere Kongresse: Juristen-, Handelstage,

Wir

volkswirtschaftliche

Kongresse abhalten wollen: es würde uns ebenso gehen, wenn sie mitten

in die Dinge hineinfallen: es hängt zu viel Wohl und Wehe von der Entwicklung des öffentlichen Lebens ab, für alle Stände, für die anderen

Überlassen Sie also dem Komitee, welches Ihr

wie für den Ihrigen.

Vertrauen an die Spitze gestellt hat, mit dem Ausschreiben des Arbeiter­

kongresses vorzugehen, sobald nur irgend die Dinge dazu besser liegen.

Endlich, meine Herren, Sie sind prakttsche Männer; Ihr Wohl hängt ab von dem Gedeihen der Etablissements, bei denen Sie als Arbeiter oder als Unternehmer beteiligt sind.

Ich brauche vor Ihnen nicht weit aus­

zuholen, um Ihnen klar zu machen, daß unsere jetzige Zeitepoche für die ganze Industrie eine höchst krittsche ist.

Die eigentümlich schwankende

Lage aller europäischen Verhältnisse drückt auf den Geist und Entschluß

der großen Unternehmer.

Auch der furchtbare amerikanische Krieg ist

wichtig und unheilvoll für unsere Industrie.

Das können wir zwar

nicht ändern, wir wollen aber nicht in diese Dinge noch mehr hinein­

stöbern I

Wir können hier nur schaden, nämlich bewirken, daß zu dem

Druck von außen sich noch von unseren inneren Verhältnissen her ge­ wisser zu ängstlicher Menschen — die wir aber doch nehmen müssen, wie

sie sind! — eine Einschüchterung bemächtigt, welche die vorhandene Ge­

schäftslähmung noch steigert, namentlich das Kapital noch weiter von der Industrie sich zurückziehen läßt. Ich brauche Ihnen, meine Herren, nicht zu sagen, daß ich von dem völligen Ungrunde solcher Ängstlichkeit oder

solcher Besorgnis überzeugt bin, daß ich durch den vielfachen Verkehr mit Arbeitern viel zu sehr die wohlwollenden, rechtlichen vernünftigen Ab­

sichten derselben kennen gelernt habe, um jene an Ihr neues Unternehmen

sich knüpfende Furcht zu teilen.

Ich erwarte nur das Beste von ihm

für alle Teile: aber es gibt sehr ängstliche Leute, die wir jetzt zu ver­ mehren, glaube ich, im Interesse wohltun.

der Arbeiter und

der Industrie nicht

Weiter und tiefer bitte ich diese Andeutung nicht aufzufaffen.

Es tut aber, meine Herren, nicht bloß die sehr umfangreiche Arbeit der Vorbereitung der Beratungsvorlagen not, ehe Sie daran gehen können,

Beschlüsse zu fassen: nein, eine andere Klärung der Sache ist erforderlich. Ich denke mir, es wird von der wohltätigsten Wirkung für Sie alle und

den Erfolg Ihres Kongresses sein, wenn in den großen Städten, wüche Mittelpunkte der Bewegung sind, Berlin, Leipzig, Nürnberg, und die sich

etwa

noch

anschließen,

vorher

Vorträge

über

die

wichtigsten

Arbeiterfragen gehalten werden, an denen sich die Arbeiter zu be­

teiligen haben.

Da ist vor allem zu diskutieren das Verhältnis von

Arbeit und Lkapital.

Das ist vielleicht die Kernfrage, um die sich die

ganze Bewegung dreht.

Da tut Aufklärung not von vielen Seiten. Ich

versichere Sie, in dem sogenannten Mittelstände selbst existieren noch so

konfuse Ideen über dieses Verhältnis, daß es ein wahres Grauen erregt.

22

Schulze-Delitzsch.

Solche Ideen reichen noch höher hinauf.

In unserem Beamtenstande

möchte man oft das volkswirtschaftliche ABC geradezu von vorn an­

Der Arbeiter wird sich da also nicht zu schämen brauchen — und er hat Sinn für Bildung und die Bereitwilligkeit zu ihrer Empfängnis in Berlin so glänzend bewiesen — wenn befähigte Männer, die viel fangen!

Vertrauen genießen, Vorträge darüber halten: was er sich daraus nehmen will, muß dem einzelnen überlassen bleiben. Wenn aber eine Reihe ge­ halten ist — dazu finden sich in Großstädten leicht Kräfte — und Sie haben so gewissermaßen einen Vorbereitungskursus durchgemacht, dann werden Sie mit viel größerem Erfolg auch an Ihren Arbeiterkongreß gehen. Denn wenn auch einzelne von Ihnen über die Dinge klar denken und sehen, so werden sie doch aus Erfahrung sich bekennen, daß die große Menge einer solchen Aufllärung recht sehr bedarf. Ich selbst erbiete mich, hier in Berlin mit tätig zu sein, über Arbeit und Kapital und das wechselseittge Verhältnis beider Ihnen einen Vortrag zu halten. Gehen wir so von allen Seiten mit gutem Willen und rechtem Ernst an die Sache, dann kann Ihnen der Erfolg nicht fehlen. Alle

Vernünfügen werden sich Ihren Bestrebungen anschließen, auch wenn sie nicht zu Ihrem Stande gehören, dann wird der deutsche Arbeiterstand — denn Sie dürfen glauben, daß man Ihren Bewegungen große Auf­ merksamkeit im Lande zollt — im Gegensatz zu den westlichen Nachbarn — wo die ganze Staatsgesellschaft schon zag und bang wird, wenn Arbeiter so etwas unternehmen wollen, weil man ihre Intentionen nach Sozialismus und Kommunismus fürchtet — die Ehre unseres Volkes auch nach außen, ja vor aller Welt wahrnehmen und die beste Frucht wird ihm selber zufallen! Es ist da ein Wort gefallen, was mich veranlaßt, Ihnen einen

weiteren Gesichtskreis zu eröffnen. Politischer Fortschritt, sozialer, humaner Fortschritt — bringen wir sie doch einmal nicht zu unserer politischen Bewegung in Preußen, sondern zu der ganzen großen Be­ wegung des geschichtlichen Fortschritts, in welcher sich die Menschheit entwickelt in ihrer aufsteigenden Bildung von Jahrhundert zu Jahrhundert, in Bezug und Zusammenhang! In welcher kurzen Formel läßt sich die

Sache wohl begreifen? Wir sehen, wie die Dinge gehen in Hinsicht der Arbeiterfrage in den dunklen finstern Jahrhunderten weit hinter uns und

wie gestalten sich die Dinge jetzt und nach welcher ferneren Zukunft streben sie hin? — Die ganze menschliche Geschichte geht von einem be­

stimmten Zwiespalt aus und strebt nach Wiedervereinigung.

In den

dunklen, ungebildeten, rohen Zeiten, in den Anfängen der Geschichte, wo namentlich die gewerbliche Arbeit — mit ihrem Zweck zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Daseins — noch unentwickelt war, wo

man nur äußerst unvollkommene Werkzeuge hatte, wo man noch nicht verstand, sich der Naturkräfte zu den schwersten menschlichen Arbeits­

zwecken zu bedienen: da vermochte man menschliche Bildung, Entwicklung zu allem höheren Streben, die Entfaltung aller edleren geistigen Keime der Natur nur dadurch zu erreichen und

zu erkaufen,

daß

die

eine

Hälfte der Menschheit geopfert, zum Sklavendienst verurteilt wurde, damit

die andere Hälfte, von jenen Mühen um die Notdurft des Lebens gänzlich

befreit, sich den höheren Aufgaben und Zielen des menschlichen Geschlechts Das ist fortgegangen durch Jahrhunderte.

widmete.

Da, zum erstenmal,

aus den Tiefen der gedrückten Menschheit, deren eine Hälfte in der Ge­ stalt des Sklaventums einem menschenwürdigen Dasein ganz entzogen wurde,



Wüste jene

da trat wie

wunderbare,

ein große

zum Strom

wachsender Quell in der

heilvolle Lehre

des Christentums in

die Weltgeschichte, jene Lehre, die im vollständigen Gegensatz zu dem

barbarischen Eigennutz

rohen,

krassen,

zugten

Volksklassen,

der seinen Fuß

des Altertums

für die bevor­

auf den Nacken der zu Sklaven

entwürdigten Mitmenschen setzen konnte, den Satz predigte: alle Menschen

sind

als Kinder

Gottes

berufen zur

Entfaltung

der

ganzen vollen

Menschheit! Ach, meine Herren, es hat aber noch viele Jahrhunderte gekostet,

ehe jener Segensquell anfing, die Wüste wirklich zu befruchten! als heilvolle Lehre so ausgesprochen war, wurde

Was

deswegen noch nicht

Wahrheit in den praktischen Lebensverhältnissen, und es wird noch Jahr­ hunderte kosten, ehe sich der große Kampf, in dem sich die ganze Ge­

schichte manifestiert, durchdringen wird zum allgemeinen Heile.

Aber

dahin geht und strebt die Geschichte. Nun komme ich auf das zurück, was ich andeuten wollte: die Arbeiter­

frage ist tief in der ganzen geschichtlichen Entwicklung begründet.

Ob

es möglich ist, daß alle Menschen an den höheren Aufgaben unseres

Geschlechts, an der Entfaltung aller edlen, von der Natur in dasselbe gelegten geistigen Keime teilnehmen können, darum handelt es sich, das ist der geschichtliche Fortschritt und dieser, der ein tief humaner ist,

steht über allen politischen Parteien, wie sie sich auch nennen.

Wenn

eine politische Partei die Probe ihrer geschichtlichen Berechtigung machen will, dann soll sie sich gewissenhaft fragen: werden wir jenen großen

sittlichen und humanen Forderungen gerecht?

Schulze-Delitzsch.

24

Auf diesen Fortschritt verweise ich Sie als deutsche und preußische

Arbeiter, mit dem haben Sie es zu tun! Und wenn einige gesagt haben, wir fragen nicht nach einer politischen

Partei, wir gehören der an, die unsere Interessen wahrnimmt, so gebe ich Ihnen recht, wenn sie das Wort „Interesse" richtig verstehen.

Aber

Sie müssen darunter nicht verstehen die augenblickliche Konzession gegen

eine mißverstandene Forderung, nein, Sie müssen Ihr Interesse geltend

machen als das Interesse der allgemeinen menschlichen Entwicklung; Sie müssen zu der Partei gehören, welche Ihnen die Bahn

freier Ent­

wicklung erschließt, die den höheren humanen Fortschritt als höchstes Ziel aus ihre Fahne schreibt. Ich muß schließlich noch auf einen spezielleren Punkt kommen, den auch einer der Vorredner berührte.

Sie haben auch aus meinen Worten

wohl entnommen, daß die Frage der höchsten Entwicklung geknüpft ist an

die Frage des materiellen Bedürfnisses. recht, wenn er ungefähr sagte: unser Brot haben.

Ich gebe einem der Vorredner

zunächst kommt es darauf an, daß wir

Ja, meine Herren, ohne einen gewissen Grad von

behäbigem Dasein — wir wollen uns diesen Grad sehr bescheiden denken —

und ohne einen gewissen Grad von Bildung wird allerdings der Arbeiter­ stand nie fähig sein, sich fruchtbar Gegenwart zu beteiligen.

an den

politischen Aufgaben der

Was es auch für Parteien gibt, wenn es ihnen

Ernst ist, daß der Arbeiterstand an ihrem Streben sich beteilige, so müssen

sie sich kümmern, daß zu dem Glück eines mäßigen Wohlstandes eine wachsende geistige Bildung sich geselle.

der Erfolg politischen Strebens.

Auf diesem Grunde beruht auch

Wenn man von Demokratie spricht,

meine Herren, so erkläre ich sie solange für eine hohle Phrase, als sie nicht bei diesem Punkte angefaßt hat, als sie nicht den Erfolg ge­ winnt, daß die große Masse der arbeitenden Bevölkerung in die politische

Bewegung als Träger mit eintreten kann, weil die materiellen Grund­ lagen der Existenz besser als bisher gesichert sind.

Darum endige ich mit den Worten: wenn wir Männer, die von

Ihnen nicht

zu

Ihrem

Stande gerechnet

werden,

uns

darum be­

kümmern, daß die Aufgaben und Ziele, die Sie sich gestellt haben, er­

reicht werden, so geschieht das nicht bloß aus Teilnahme, aus Betätigung

unserer humanen Gesinnung, in welcher wir wünschen, auch anderen

möge es wohlergehen, wir tun es auch — es

klingt Ihnen vielleicht

sonderbar — aus Eigennutz: die ganze bürgerliche Gesellschaft ist aufs

wesentlichste dabei interessiert, einen solchen Arbeiterstand zu haben, wie

ich es angedeutet, und namentlich die bürgerliche Gesellschaft in Deutsch-

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

land.

25

Auf dem deutschen Mittelstände ruht die Entwicklung des wahren

deutschen Wesens; aus dem deutschen arbeitenden Mittelstände hat sich zuerst in der städtischen Freiheit der Keim des jetzigen Staatsbürgertums

geschichtlich

Unsere deutschen Arbeiter in den

wieder gebildet.

alten

Städten sind diejenigen, welche die Wurzel gelegt haben zu dem großen Baum bürgerlicher Freiheit, der, so Gott will, recht bald unser ganzes

Vaterland beschattet.

Weil wir einen Mittelstand in Deutschland haben

müssen, auf daß deutsches Wesen, deutsche Gesittung und deutsche Bildung immer mehr nach der ureigensten Anlage der deutschen Volksnatur sich

entfalten: deshalb

gefährdeten

brauchen wir einen in seiner Existenz nicht mehr

Arbeiterstand.

Wer

dafür

für die Arbeiter, sondern zugleich auch seines ganzen Volkes.

kämpft,

für die

kämpft

nicht

bloß

nationale Entwicklung

Das halten Sie fest und sagen Sie nicht — wie

einige tun —: wenn wir jetzt Konzessionen machen und uns fügen, so bringen wir ein Opfer!

Nein,

meine Herren, Sie dienen sich selbst am

besten, wenn Sie Ihre Stellung in der großen Gesamtentwicklung der

bürgerlichen

Gesellschaft

richtig

auffassen.

Wenn

Sie

sich

aber in

Konflikt und Gegensatz brächten zur Entwicklung der bürgerlichen Frei­

heit im Vaterlande, dann wäre der deutsche Arbeiterstand verloren; er

wäre abgefallen von dem, was ihn groß gemacht hat, von der bürger­ lichen Freiheit, von der inneren Entwicklung

nach allen

Seiten

hin,

der wir das danken, was wir jetzt sind. Können meine Freunde und ich Ihnen durch Vorträge dienen, so sind wir gern dazu bereit, und Ihr Komitee wird sich mit uns darüber

verständigen.

Hoffentlich sehen wir

uns

an dieser oder einer anderen

Stelle wieder, wo wir die großen Fragen, über die auf dem Kongresse

eine entscheidende Verständigung herbeigeführt werden soll, vorher unter

uns in ruhiger Gründlichkeit besprechen wollen, damit wir etwas zustande

bringen, was Deutschland Ehre macht.

Nehmen

Sie sich jetzt einmal

vor, ehe Sie so große Rechte ausüben, dazustehen als Männer, die frei

tagen über ihre eigenen Geschicke, nehmen Sie sich vor, um dieser großen Ehre wahrhaft würdig zu werden, daß Sie zuvor noch soviel als nur möglich lernen!

Schulze-Delitzsch.

26

V. Kapitel z« einem deutschen Arbeiterkatechismus.*) Sechs Vorträge vor dem Berliner Arbeiterverein von Schulze-Delitzsch. Leipzig, Verlag von Ernst Keil. 1863.

Vorwort. Schon der Titel gibt die Entstehungsart dieses Büchleins an. ist

gesprochen,

nicht

geschrieben, teils

Es

nach stenographischen Auf­

zeichnungen, teils nach den Notizen des Verfassers reproduziert.

Eine

strenge Planmäßigkeit darf man daher nicht erwarten, wenn man auch, wie er hofft, den leitenden Faden nicht verkennen wird.

Namentlich waren

Wiederholungen in den einzelnen Reden nicht zu vermeiden, der Wieder­

anknüpfung des Verständnisses halber nach wochenlanger Unterbrechung, noch dazu vor einem zum Teil wechselnden Publikum.

Daß der Versuch, auf solche Weise gewissermaßen einen volks­ wirtschaftlichen Kursus für Handwerker und Arbeiter zu geben,

der Kritik gegenüber gewagt ist, dessen ist sich der Verfasser vollkommen

bewußt.

Wäre die Frage nicht bei den jetzigen Bewegungen auf sozialem

und politischem Gebiete als eine drängende erschienen, so würde er gewiß eine ruhige Überarbeitung und spätere Publikation vorgezogen haben.

So aber steht er nicht an, den allseitigen Aufforderungen zu genügen und die Borträge, die nun einmal bei dem gegenwärtigen Streite mit

in den Vordergrund getreten sind, in einer Volksausgabe,

für deren

*) Schulze hielt die sechs Vorträge in Erfüllung seines Versprechens, das er in der Arbeiterversammlung vom 2. November 1862 gegeben hatte. Die Vor­ träge fanden vom Januar bis April 1863 statt. Anfang März, nach dem vierten Vortrag, veröffentlichte Lassalle sein „Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreffes zu Leipzig". Im sechsten Vortrag setzte Schulze sich kritisch mit den ökonomischen und genoffenschaftlichen Ideen des „Offenen Antwortschreibens" auseinander. Laffalle antwortete in der Streitschrift „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian oder Kapital und Arbeit", die zugleich das ökonomische Hauptwerk Laffalles ist. (Der Untertitel „Der ökonomische Julian" geht auf ein Pamphlet, betitelt „Herr Julian Schmidt, der Literarhistoriker", zurück, das Laffalle unter Mitarbeit Lothar Buchers im Frühjahr 1862 gegen den damals sehr angesehenen Kritiker und liberalen Schriftsteller Julian Schmidt veröffenllicht hatte.) Laffalles Buch erschien im Frühjahr 1864. Die Antwort Schulzes erfolgte im Oktober 1865 in seinem Büchlein „Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herrn Laffalle". I. B. v. Schweitzer, der Freund und spätere Nachfolger Laffalles im Präsidium des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, verteidigte Laffalle in einer Reihe von Aufsätzen in dem „Sozialdemokrat", dem Organ Schweitzers, unter dem Titel „Der tote Schulze gegen den lebenden Laffalle". D. Hrsgb.

würdige Ausstattung und Wohlfeilheit die Verlagshandlung in gewohnter

Weise sorgt, allgemein zugänglich zu machen. Vielleicht, daß die Mängel

der Improvisation durch die frische Anregung, welche dieser Form der Produktion eigen zu sein pflegt, in etwas ausgewogen werden. Daß es sich dabei nicht um Aufstellung neuer, sondern um die praktische An­

wendung längst bekannter volkswirtschaftlicher Sätze handelte, nicht um eine gelehrte Abhandlung, sondern um eine populäre Darstellung, ergibt der Zweck von selbst. Den richtigen Anknüpfungspunkt zu finden, von wo aus man des Interesses der Hörer und Leser sich gleich von Haus aus bemächtigt; für jede weitere Entwicklung sich möglichst auf einen Anhalt im eignen Ideen- und Lebenskreise seines Publikums zu stützen; die wirtschaftlichen Beziehungen des Verkehrs auf höhere allgemein menschliche Anschauungen zurückzuführen, das Materielle soviel als möglich zu ver­ geistigen: darauf ging der Verfasser aus. Daß es ihm nicht ganz miß­ lungen ist, dafür darf er vielleicht in dem Erfolg bei seinem unmittelbaren Hörerkreise ein Zeichen finden. So möge denn das Büchelchen als das, was es sein soll, vor die Öffentlichkeit treten: als Beitrag zu einem Werke, zu einer Tat der Zukunft. Der deutsche Arbeiterkatechismus, dem es in einigen Kapiteln vorarbeiten helfen will, er ist bereits in Angriff genommen, überall, wo sich der Geist regt in den arbeitenden Schichten unseres Volkes. Ihn schreibt kein einzelner, nicht ich, nicht ein anderer; er wird überhaupt nicht bloß geschrieben, er wird gedacht und empfunden in Kopf und Herz aller tüchtigen Elemente des Standes. Gemeinsam arbeitet man daran in der Unzahl von Vereinen, in jeder Schule und Werkstätte, wo Arbeiter bemüht sind, sich zu Bildung und Wohlstand

emporzuringen. Es ist eine große unsichtbare Gemeinschaft, doch schon fangen die Früchte ihres Strebens an, sichtbar zu werden, und ihre Organisationen treten eine nach der andern an das Licht. „Das ganze volle Menschentum für uns" — dies Losung und Zweck der Be­ wegung, die Forderung der Arbeiter an die Gesellschaft; — „Die Er­

weckung und Pflege der edleren Keime unserer Natur, geistiger und sittlicher Tüchtigkeit in den einzelnen" — dies das Mittel

zum Zwecke, die Forderung der Arbeiter an sich selbst. In diesem Sinne den Mitarbeitern an dem großen nationalen Werke, allen strebenden deutschen Arbeitern, mein treuer Bundesgruß! Berlin, im Mai 1863.

Der Verfasser.

Schulze-Delitzsch.

28

Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I.

Bortrag: Die Arbeit.

a) b) c) d)

Wesen und Zweck der Arbeit. Die soziale Selbsthilfe. Die Hilfsmittel der Arbeit. Form der Arbeit innerhalb der menscklichen Gesellschaft. Die Teilung der Arbeit im besonderen.

U. Bortrag: Das Kapital und deffen Verhältnis zur Arbeit.

a)

Begriff und Verwendung des Kapitals. sumtion. b) Entstehung des Kapitals. c) Übertragbarkeit des Kapitals. d) e) f)

III.

Das Eigeninteresse und seine Wirkungen im Haushalt der Gesellschaft. Der Tausch. Der Wert. Die Konkurrenz.

Bortrag: Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klassen.

a) b) c) d) e) f) V.

Kredit und Kapitalrente. Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter. Einfluß des Kapitals auf die Zivilisation.

Bortrag: Tausch, Wert und freie Konkurrenz.

a) b) c) d) IV.

Die produktive Kon­

Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klaffen. Soziale Abwege. Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln. Die Garantie der Existenz durch den Staat. Einzelne soziale Formeln. Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Standpunkte der Arbeiterfrage.

Bortrag: Die praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klaffe«

(Fortsetzung).

a) b) VI.

Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs. Der rechte Weg zum Ziele.

Bortrag: Die praktischen Mttel und Wege zur Hebung der arvettendeu Klaffe«

(Schluß).

a) b)

Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschaft. Die Genossenschaft mit Staatshilfe.

Einleitung. Die Borträge, zu denen ich mich gegen Sie, meine Herren, die

Arbeiter Berlins, anheischig gemacht habe, sollten den Verhandlungen des

Deutschen Arbeiterkongresses, der im Laufe dieses Jahres stattfinden

wird, gewissermaßen den Boden bereiten helfen. Der Kongreß verfolgt durchaus praktische Zwecke.

Er bestrebt

sich, gewisse gemeinsame Maßnahmen nach verschiedenen Seiten hin im

Interesse des deutschen Arbeiterstandes herbeizuführen. Die Hauptsache ist daher,

Interessen aufzuklären.

gesunde

Anschauungen

menschlichen

den Arbeiterstand über seine wahren

Und dazu gehört vor allen Dingen, daß man über

Tätigkeiten

die

natürlichen

Grundgesetze

und Zustände auf

aller

wirtschaftlichem

und Erwerbsgebiete verbreitet, weil ohnedies es an jedem begründeten

Urteile über die sozialen Schäden und Heilmittel gebricht, und die Mittel

zur Abhilfe beim besten Willen und trotz aller Verschleuderung von Kräften und Vermögen niemals zum Ziele führen. Über Wesen und

Zweck der Arbeit, über ihre Hilfsmittel und Resultate, ihre Beziehungen zu den wirtschaftlichen Bedürfnissen

des einzelnen Menschen

wie der

menschlichen Gesellschaft, ja zu den höheren Aufgaben der Kultur, muß

man einigermaßen im klaren,

über

den Entwicklungsgang dieser Ver­

hältnisse in der Geschichte einigermaßen unterrichtet sein, wenn man es mit Erfolg unternehmen will, auf diesem wichtigen und schwierigen Ge­

biete einzugreifen und zu bessern.

Da gilt es, sich die ersten Grund­

wahrheiten, sozusagen das ABC des menschlichen Verkehrs klar zu machen,

verderbliche Irrtümer zu bekämpfen und vor allen Dingen Natur und

Bestimmung der Menschen selbst überall im Auge zu behalten, um deren Tun und Zustände es sich handelt, ehe man die Sache tätig in die

Hand nimmt. Und so wollen wir denn auch mit dem nächsten beginnen

und uns heute über Wesen, Zweck und Form

der menschlichen Arbeit im

allgemeinen unterhallen. Das nächste Mal kommen wir sodann zum Kapital und dessen Verhältnis zur Arbeit, als einem der Kernpuntte der sozialen Frage, da man in der Un­ entbehrlichkeit

dieses

gewalttgen Hilfsmittels, vermöge

deren

es

den

Arbeitsmarkt gewissermaßen beherrscht, von mancher Seite her ein feind­

liches Element für den Arbeiter erblicken will, mit dessen Bekämpfung

man vor allen Dingen das Werk beginnen müsse. Haben wir uns dann noch über Tausch und Wert als Grundftagen

alles menschlichen Verkehrs verständigt, so gehen wir endlich in den letzten Borträgen ein auf

Schulze-Delitzsch.

30

die praktischen Mittel zur Verbesserung des Loses der

arbeitenden Klassen, wobei wir Gelegenheit erhalten, auf den bisherigen Gang der Dinge auf diesem Felde einige geschichtliche Rückblicke zu werfen, welche uns zugleich für die weitere Entwicklung in der Zukunft wertvolle Anhaltspunkte und

Garantien bieten.

I. Die Arbeit.

a) Wesen und Zweck der Arbeit. Die soziale Selbsthilfe. Wir beginnen die Besprechung dieses wichtigen Themas mit dem

nächsten und natürlichsten, was in uns allen und vor aller Augen vor sich geht, stündlich und täglich, zu dessen Verständnis eben nur gesunder Sinn und die Anregung zum Nachdenken, durchaus keine Gelehrsamkeit erforderlich ist. Blicke einmal ein jeder in sein Inneres, kehre er eine Minute bei sich selbst ein, beobachte er dann die andern um sich: was ist es denn eigentlich, was den Menschen den Anstoß zur Tätigkeit im Erwerb verleiht und ihnen einen Erfolg dabei, sagen wir zunächst die Erschwingung ihres Unterhalts, sichert? Was ist es, was in uns allen die treibende und wirkende Kraft dabei abgibt? Da nehmen wir ohne Ausnahme zwei Dinge wahr, die uns sämtlich, wie wir da sind, angeboren werden: Bedürfnisse und Fähigkeiten.

Mit beiden kommen wir auf die Welt, und was es mit unseren Be­ dürfnissen auf sich hat, das wissen wir nur zu gut, daran niahnt uns

Nun macht sich die Sache so. In jedem Bedürfnis liegt der Trieb nach Befriedigung von Haus aus eingeschlossen, denn nur an diesem schwächeren oder stärkeren Drange erkennen wir überhaupt das Vorhandensein eines Bedürfnisses. So erkennen wir das Bedürfnis nach Speise und Trank am Hunger und Durst, d. h. an dem Triebe, zu essen jede Stunde.

und zu trinken, das Bedürfnis nach Ruhe an der Müdigkeit, d. h. dem Triebe zu ruhen. Zur Befriedigung selbst gelangt man aber in der Regel nur durch eine Tätigkeit, ein Bemühen. Die gebratenen Vögel fliegen den Leuten nicht in den Mund; Brot, Nahrung, Kleidung und dergleichen findet man nicht auf der Straße, sie wollen verdient sein. Sobald nun der Trieb nach Bestiedigung eines Bedürfnisses stark genug

wird, um die natürliche Trägheit zu überwinden, die allen Menschen innewohnt, spornt er die vorhandenen Fähigkeiten an, sich zur Erreichung des Zieles in Bewegung zu setzen, und entwickelt dieselben durch Übung

und Gebrauch zu Kräften und Fertigkeiten. Es gibt keinen Pein­ licheren Zustand als den des unbefriedigten Bedürfnisses, und so stark

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

31

und nachhaltig ist daher jener Antrieb, daß er nur mit dem Leben selbst

in uns erlischt. Dieser einfache Vorgang: Bedürfnis — Anstrengung — Be­ friedigung — füllt den ganzen Inhalt des menschlichen Lebens, das

Bedürfnis, natürlich nicht so enge aufgefaßt, auf die bloß körperliche Notdurft

bezogen,

sondern

unter Berücksichtigung der ganzen

Mannigfaltigkeit der Triebe und Anlagen unserer Natur.

reichen

In dem Be­

dürfnis also, in dem Triebe nach Befriedigung desselben liegt die eigentliche Spannkraft, die verborgene Feder, welche den Menschen

nach den angedeuteten Zielen hin in Bewegung setzt und erhält, und um

so unwiderstehlicher wirkt, als wir ohne Befriedigung einer ganzen Menge dieser Bedürfnisse gar nicht bestehen können, er also mit dem Selbst­

erhaltungstriebe, dem stärksten bei allen lebendigen Geschöpfen, un­

mittelbar zusammenfällt.

Ihm gegenüber steht die Befriedigung als

Ziel- und Ruhepunkt, so jedoch, daß aus ihrem Schoße fortwährend neue

Bedürfnisse erwachsen, um im steten Kreislauf immer wieder darin be­ graben zu werden.

Ich verweise auf die schon früher gebrauchten Bei­

spiele von Hunger und Ruhe.

Beim letzten Bissen fängt schon die Ver­

dauung, bei den ersten Schritten und Hantierungen in der Frühe des Tages schon der Verbrauch von Kräften an — beides die Quellen

neuen Hungers, neuer Ermüdung.

Nun ist aber der Mensch ein mit Selbstbewußtsein und Selbst­ bestimmung, mit Verstand und Willen begabtes Wesen.

Daher ver­

mag er einerseits das Gesetz dieses Kreislaufs, die größere oder geringere Notwendigkeit der einzelnen Bedürfnisse, ihre regelmäßige Wiederkehr ein­ zusehen, andererseits kann es nicht fehlen, daß er bestrebt sein wird, sich

eine gesicherte Stellung, eine Einwirkung auf einen sein ganzes Dasein so wesentlich bedingenden Vorgang zu verschaffen, daß er dessen Regelung

und Beherrschung mit aller Macht anstrebt. Wir wissen, daß wir morgen und alle folgenden Tage essen müssen, Obdach und Kleidung brauchen, wir kennen den Wechsel der Jahreszeiten, den steigenden Bedarf unserer

wachsenden Familie, die Erfordernisse geschäftlicher Unternehmungen und

werden natürlich alles tun, daß das Nötige uns zu rechter Zeit zu Gebot

stehe.

Und hier, mit diesem bewußten Eingreifen des Menschen in

den von uns bezeichneten Kreislauf seines Daseins von Bedürfnis — Anstrengung —

Befriedigung —

stehen wir

vor

dem

großen

Faktor, vor der wirkenden Hauptmacht im Haushalt der Menschheit, mit der wir uns heute vorzugsweise beschäftigen, vor der Arbeit. Denn

Arbeit ist eben jede in Voraussicht künftiger Bedürfnisse auf deren Be-

Schulze-Delitzsch.

32

friedigung gerichtete planmäßige Tätigkeit des Menschen.

Arbeiten in

diesem Sinne kann nur der Mensch, weil die Voraussetzungen dazu nur

in den von der Natur ihm allein unter allen Wesen unseres Erdkörpers verliehenen Fähigkeiten —

Verstand und Willen — gegeben sind.

Wohl braucht auch das Tier seine Kräfte zur Befriedigung seiner Be­ dürfnisse und strengt sich zu diesem Behufe an, aber in der Regel nur

im Augenblick, wo es das Bedürfnis fühlt, und nie weiter, als dasselbe gerade reicht.

Dies heißt aber nicht arbeiten, so wenig, als wenn ein

Wanderer aus einem Quell am Wege Wasser schöpft oder eine Frucht vom Baum streift, seinen augenblicklichen Hunger oder Durst zu stillen. Erst wenn jemand Wasser in Gefäßen zusammenträgt zum Gebrauch in

der Wirtschaft, Beeren oder Früchte zum Vorrat sammelt, arbeitet er,

weil nur dann von einer Berechnung, einer Vorsorge für die Zukunft die Rede ist.

So ist denn der Zweck der Arbeit die Befriedigung mensch­ licher Bedürfnisse, und derselbe wird erreicht durch vernünftigen Gebrauch der von der Natur in den Menschen gelegten Kräfte.

Dadurch erhalten wir den ersten Hauptgrundsatz für die Stellung des

einzelnen zur menschlichen Gesellschaft hinsichtlich die Pflicht der Selbstsorge, selbst.

seiner Existenzfrage: eines jeden auf sich

„Du hast Bedürfnisse, an deren Befriedigung die Natur deine

geknüpft

Existenz Natur

die Verweisung

hat

hat"



lautet

dieser

Satz



„aber

dieselbe

dir auch Kräfte gegeben, die du nur richtig anzuwenden

brauchst, um deinen Bedarf zu decken. Deshalb liegt dein Schicksal zum guten Teil in deiner

Hand und

du

bist selbst dafür verantwortlich,

dir sowohl wie deinen Mitmenschen, denen du mit deinen Ansprüchen

nicht zur Last fallen darfst, da sie alle, so gut wie du, für sich sorgen müssen." Darauf, daß jeder die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage

und sie nicht andern aufbürde, auf der Selbstverantwortlichkeit und

Zurechnungsfähigkeit beruht die Möglichkeit alles

gesellschaftlichen

Zusammenlebens der Menschen, sowie des Staatsverbandes.

Nur unter

Wesen, die wissen, was sie tun, und alle dafür aufkommen müssen, ist eine durch sittliche und polittsche Gesetze geregelte Gemeinschaft,

eine

Gegenseitigkeit der wirtschaftlichen und bürgerlichen Beziehungen zu aller

Förderung überhaupt denkbar. Diese Selbstverantwortlichkeit, die soziale Selbsthilfe, gerade bei Beschaffung der materiellen Notdurft des Daseins antasten, wo ohnehin das Tierische in unserer Natur seine dunkle Grenz­ linie hat, hieße auf dem Felde des Erwerbs den Krieg aller einführen,

auf einem Felde, wo mehr als auf jedem anderen Frieden und Sicher­ heit die Bedingungen des Gedeihens sind.

Indessen setzt diese Selbstverantwortlichkeit als notwendige Er­

gänzung die Freiheit der Arbeit voraus, die Gestattung der un­

gehemmten Bewegung des Arbeiters im Gebrauch seiner Kräfte und Mittel zum Erwerb seines Unterhalts.

„Legt ihr uns die Verantwortlichkeit für unsere Existenz auf die eigenen Schultern, weil die Natur uns die Kräfte dazu gegeben: ei, so dürft ihr uns in deren freiem Gebrauche zu diesem Endzweck auch nicht

hemmen," so antworten die Arbeiter mit Recht auf die obige Forderung. „Wir bescheiden uns, daß wir den allgemeinen Staatsgesetzen so gut, wie

jeder andere Staatsbürger, Gehorsam schuldig sind, daß wir das Recht

respektieren müssen, das ja uns selbst schützen, für uns da sein soll, wie für jeden anderen.

Aber auf dem Boden des Erwerbs, in Gewerbe und

Arbeit muß Freiheit sein, da muß jeder sich rühren und seine Kräfte

gebrauchen können, wie er will und kann, um seinen und der ©einigen

Unterhalt zu erschwingen.

Greift ihr da willkürlich ein und

regelt und beschränkt und

ordnet an

und

maß­

verbietet und schützt und

schließt aus, führt ihr da Vorrechte und Begünstigungen ein für einzelne

Klassen — ei, so übernehmt ihr auch die Folgen. gehemmt und

Wenn wir dann,

beschränkt in freier Wahl und Ausübung unserer ge­

werblichen Tätigkeit,

nicht zu bestehen vermögen, so trifft

euch die

Verantwortung davon und ihr müßt die Sorge für unsere Subsistenz übernehmen."

Das aber ist mehr, als irgend eine Klasse der Gesellschaft, als der

Staat vermag, selbst wenn er den Willen dazu hätte.

Der Staat ist

ja nichts, was über und außer den Menschen in der Luft schwebt, er ist

die Gesamtheit der Staatsangehörigen, und der Staatssäckel besteht von dem, was aus den Privatsäckeln der Bürger in ihn hineinfließt.

Nun können wohl wenige von vielen oder auch ein vorübergehender Notstand vieler von allen übertragen werden. Aber die zahlreichste Klasse der Staatsbürger dauernd an eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln,

d. h. aus den Mitteln der übrigen Gesellschaftsklassen, also viele auf wenige, verweisen, wäre gleichbedeutend mit dem' öffentlichen Bankerott, denn die in solcher Weise bewirkte Mehrbelastung der Staatsfinanzen,

die außerordentliche Mehrausgabe geht ja dabei Hand in Hand mit einer ebenso großen Verringerung der Staatseinnahme.

Nicht nur

daß die unterstützte Klasse aus der Reihe der Steuerzahler ganz aus­ scheidet, deren Zahl sich also vermindert, schwächt man auch die nachhaltige Schulze-Delitzsch, Schriften und Redm.

II.

3

34

Schulze-Delitzsch.

Steuerkraft der noch übrigbleibenden Minderheit, indem man durch die

notwendige Erhöhung ihrer Steuersätze ihren Geschäftsfonds, das werbende Kapital des Landes, und mit ihm ihr Einkommen schmälert. Und wahr­ haftig, nicht bloß das Defizit der Staatsfinanzen, auch der sittliche und wirtschaftliche Ruin der Gesellschaft ginge notwendig aus solchem Gebühren hervor, vor allem des Arbeiterstandes selbst. In der Verweisung auf öffentliche Hilfe, in der Annahme, daß sich die Arbeiter aus eigener Kraft zu helfen nicht vermöchten, verlöre der Arbeiterstand die sittliche Würde, seine Mitglieder jeden Antrieb zur

Tüchtigkeit, Fleiß, Sparsamkeit. Das ganze Erwerbsleben der Nation käme dadurch zurück, und das Almosen verschlänge zuletzt das indu­ strielle Kapital des Landes, den Fonds, welcher bestimmt ist, die Löhne der Arbeiter zu zahlen. Daher Freiheit der Arbeit, Gewerbefreiheit und Frei­ zügigkeit, als eine der ersten Forderungen der Arbeiter und als not­ wendige Voraussetzung der sozialen Selbsthilfe. Eine Selbst­ verantwortlichkeit für seine Subsistenz jemandem aufbürden wollen, dem man nicht die Freiheit gewährt, sein Geschick selbsttätig in die Hand zu nehmen, ist ein Unding. Verantwortlichkeit und Freiheit — dies die sich gegenseitig bedingenden Grundsäulen der sittlichen, politischen und wirtschaftlichen Welt.

b) Die Hilfsmittel der Arbeit. Fragen wir weiter nach dem Verfahren, welches der Mensch eiu­ schlägt, um seiner Arbeit den Erfolg zu sichern, fo drängt sich uns zu­

nächst folgende wichtige Wahrnehmung auf. Welche Wirkungen wir auch nach dem Gesagten der Tätigkeit des Menschen beizulegen geneigt sind, und wenn auch ohne ihr Dazwischen­ treten von Befriedigung unserer Bedürfnisse niemals die Rede sein kann, so würde dieselbe doch niemals für sich allein zum Ziele gelangen, vielmehr bedarf sie dazu einer Ergänzung von anderer Seite, will sie über­ haupt den gewünschten Erfolg haben. Diese Aushilfe leistet ihr die Natur,

Die Arbeit des Menschen und die Macht der Natur sind die un­ entbehrlichsten Bundesgenossen bei jeder Produktion, bei der Hervor­

bringung aller zum Leben notwendigen, nützlichen und angenehmen Dinge, indem sie stets nebeneinander herlausen und auf die mannigfaltigste Art in­ einander übergreifen. Die Natur ganz allein stellt uns zunächst die Stoffe,

aus denen wir alles fertigen, als Gegenstände der Bearbeitung zu Ge­ bote, ohne welche die Arbeit überhaupt undenkbar wäre, da aus nichts

nichts gemacht werden kann. Sodann benutzen wir aber auch ihre Kräfte

als Hilfsmittel beim Arbeiten selbst. Und so sehr hängt die Arbeit auch

in letzterer Beziehung von der Naturhilfe ab, daß dieselbe nicht selten lediglich darin besteht, die Dinge — Werkzeuge und Stoffe — in die

rechte Lage zueinander zu bringen, damit die Naturkräfte in der vom

Arbeiter beabsichttgten Weise alsdann die Sache abmachen.

Man nehme

z. B. Mühlwerke von Wind oder Wasser getrieben, wie alle Maschinen, Aber auch wo das

bei denen die Natur die bewegenden Kräfte leiht.

letztere nicht der Fall ist, gibt es kaum einen Arbeitsakt, zu dem sich die Menschenhand nicht aus dem großen Zeughaus der Naturkräfte bewaffnete.

So sind z. B. alle Arbeitswerkzeuge vom einfachsten bis zu dem kunst­ voll Zusammengesetztesten nichts weiter, als Vorrichtungen, um die Natur­

kräfte den Zwecken der Arbeit dienstbar zu machen.

Im Messer, der

Axt, dem Pfluge, der Säge z. B. ist es die dem Eisen von der

Natur beigelegte Eigenschaft der Härte, vermöge deren es weichere Stoffe Im Hammer ist es wiederum die Schwere desselben Metalls,

zerteilt.

ebensogut wie es in dem Mühlwerk die Fallkraft des Wassers oder Treib­

kraft des Windes, in der Dampfmaschine endlich die Spannkraft der Wafferdämpfe ist, die wir bei unseren Arbeiten für uns benutzen —

alles Eigenschaften, welche diesen Dingen von der Natur beigegeben sind. Eine

Arbeitstätigkeit

ohne

diese Beihilfe der

Naturkräfte

ist

daher,

wenigstens in unseren vorgeschrittenen Zeilen, mit irgendeinem Erfolg

geradezu

unmöglich, und wir

können

uns

kaum vorstellen,

wie die

Menschen der frühesten Zeiten, ehe jene Werkzeuge erfunden waren, fast

nur auf ihre Muskeln und Glieder angewiesen, imstande gewesen sein

mögen, sich die Mittel auch nur zum allerkümmerlichsten Dasein zu ver­ schaffen.

Daher kann es denn gar nicht fehlen, daß die Menschen von

jeher bestrebt gewesen sind, ihre mühevollen Anstrengungen durch immer

erweiterte Heranziehung der Naturkräfte zu vermindern. Der Satz: „daß

menschliche Arbeit um so leichter und dabei auch um so ergiebiger

ist, je mehr die Naturhilfe sie unterstützt," müßte sich jedem von selbst aufdrängen, und von dem mächttgen Sporn des eigenen Interesses

getrieben, strengte sich der menschliche Geist unablässig an, tausend Mittel

und Wege zu dem lockenden Ziel zu finden,

und

eröffnete jene un­

absehbare Reihe von Entdeckungen und Erfindungen, welche alle darauf

hinauslaufen, setzen.

schritt von

großen

Naturkraft an die Stelle menschlicher

— Daß dies der jeher

Gang ist,

genommen,

Entdeckungen

in

den

Anstrengung

welchen aller industrielle

zu

Fort­

und den die neuere Industrie seit den Naturwissenschaften

entschiedener

und

36

Schulze-Delitzsch.

Lascher als je in unseren Tagen innehält, wird kaum der Erwähnung

bedürfen. Nach alledem ist die Vornahme jeder Arbeit an gewisse Vor­ bedingungen gebunden. Es ist nicht genug, daß die Natur Rohstoffe geschaffen und Kräfte in Eisen, Wasser, Dampf usw. gelegt hat. Ich

muß meinerseits Anstalten treffen, sie für mich benutzen zu können. Ich muß die Stoffe herbeischaffen in der rechten Menge und Beschaffenheit.

Um die Kräfte zu benutzen, bedarf es bestimmter Maschinen und Werk­ zeuge» sie sozusagen aus ihrer elementaren Freiheit einzufangen und mir dienstbar zu machen, denn sonst sind Stoffe und Kräfte freilich wohl im großen Haushalt der Natur, aber für mich so gut wie nicht vorhanden. Ehe man also mit irgend einer Beschäftigung, einer Arbeit zu Erwerbs­ zwecken beginnen kann, muß man einmal für Beschaffung der zu ver­ arbeitenden Rohstoffe, sodann der nötigen Arbeitswerkzeuge und endlich für seine und seiner Mitarbeiter Subsistenzmittel während der Dauer der Arbeit gesorgt haben. Allerdings handelt es sich in allen diesen Stücken um die Beihilfe der Natur, die wir unserem Arbeits­ unternehmen dadurch sichern wollen — aber auch diese Beihilfe gewährt die Natur nicht ohne eine vorherige Zutat von Arbeit, wie wir sehen, möge sie durch die Ansammlung und Herbeischaffung von Arbeitsstoffen und Subsistenzmitteln oder durch die Herstellung von Werkzeugen behufs Benutzung ihrer Kräfte veranlaßt werden. Diese notwendigen Voraus­ setzungen jeder auf Herstellung von Sachgütern gerichteten Arbeit können also ohne Ausnahme nur durch frühere, der jetzt beabsichtigten vorher­ gegangene Arbeiten der verschiedensten Art geschafft werden; wir begreifen dieselben unter dem Namen Kapital, d. h. die Summe

früherer Arbeitsresultate, deren jemand zum Beginn wie zur Fortsetzung einer bestimmten gewerblichen Beschäftigung not­ wendig bedarf. Wir haben es damit besonders im zweiten Vortrage

zu tun, weshalb wir hier nur im Vorübergehen die falsche Vorstellung berichtigen, als ob das Kapital in einer Geldsumme bestände. Allerdings kann eine solche als Kapital dienen, weil man sich für Geld alles an­

schaffen kann, was man gerade braucht, aber die Wirksamkeit des Geldes dabei ist eben deshalb nur eine vermittelnde.

Ob z. B. ein Sohn,

der von seinem Vater zu irgend einem Geschäft ausgestattet wird, oder ein Arbeiter, der sich seine Geschäftseinrichtung durch allmähliche Er­ sparnisse sammelt, die nötigen Rohstoffe, Werkzeuge und Vorräte zur Wirtschaft in Natur besitzt, oder das Geld dazu in den Händen hat, ist gleichgültig, da er im letzteren Falle sie für Geld sich sogleich

anschaffen kann.

Das Kapital besteht daher nicht in einer Geldsumme,

eine Geldsumme ist an sich kein Kapital.

Vielmehr kommt sie als

solches nur in Betracht, insoweit sie zu dem angedeuteten Zweck ver­ wendet oder bestimmt ist.

c) Form der Arbeit iuuerhal- der menschlichen Gesellschaft. Haben

wir Wesen

und Zweck der

Arbeit aus

der

Natur des

Menschen heraus entwickelt, die Hilfe, welche ihm die Natur dabei leistet, betrachtet, so müssen wir nun ein schon früher in anderer Beziehung erwähntes Element nochmals in den Kreis unserer Betrachtung ziehen,

durch welches die Arbeit in Form und Art ihrer Verrichtung wesentlich bestimmt wird: die menschliche Gesellschaft.

Der arbeitende Mensch

lebt nicht allein auf einer wüsten Insel, neben und um ihn leben viele andere Menschen mit gleichen Bedürfnissen und Trieben, zu deren Be­

friedigung sie gleichfalls auf eigene Tätigkeit angewiesen sind. statt dadurch in Beschaffung der Mittel zum Dasein

Und an­

beeinträchtigt, in

seinen Arbeitszwecken gehemmt zu werden, wird der einzelne im Gegenteil dadurch

gefördert, und alle fühlen

sich durch den ihnen von Natur

angeborenen Gesellschaftstrieb vielmehr zum regsten Verkehr, zum innigen

Anschluß

aneinander angewiesen.

Es ist kein Zweifel, der

Mensch ist für das gesellige Zusammenleben mit seinesgleichen von der

Natur geschaffen, denn alle seine Triebe und Fähigkeiten drängen ihn unwiderstehlich dazu hin, diese Gemeinschaft zu suchen und zu pflegen.

Er kann nicht, auch wenn er wollte, wie das Wild im Walde, wie das Raubtier in der Wüste, vereinzelt leben.

Er würde in der Einöde ver­

kümmern, seine Bestimmung verfehlen, seine natürliche Bestimmung versteht sich, denn mit der theologischen haben wir nichts zu tun.

Diese

natürliche Bestimmung des Menschen aber ist, wie die aller erschaffenen Wesen, die Entwicklung sämtlicher in ihnen enthaltenen Keime

und Anlagen. Zu einer solchen Entwicklung gelangt aber der Mensch

in völliger Abgeschlossenheit mit sich allein niemals, vielmehr bedarf es dazu notwendig des Zusammenlebens und dadurch ermöglichten Aus­

tausches gegenseitiger Hilfsleistungen mit Wesen seiner Art.

Ohne dies

würde dem einzelnen in den meisten Fällen kaum die kümmerliche leib­

liche Existenz möglich sein, und seine ganze Zeit und Kraft in den müh­ seligsten und rohesten Verrichtungen zur Beschaffung der allernotwendigsten

Subsistenzmittel völlig erschöpft werden, ohne daß ihm zur Ausbildung der höheren Anlagen des Geistes und Gemüts irgendwie Zeit und Ge­

legenheit würde.

Man lasse dabei nie außer Augen: das ärmlichste und

Schulze-Delitzsch.

38

niedrigste Los, welches jemandem unter uns nur immer beschieden sein

mag,

ist

einem

Dasein

außerhalb

menschlichen

der

Gesellschaft,

ab­

geschieden von aller Berührung mit anderen Menschen, vorzuziehen. Der

ärmste Tagarbeiter schläft doch auf Stroh, hat Kleidung und Obdach,

so schlecht sie sein mögen, sein Stück Brot für den Hunger und besitzt

irgend ein Gerät und Werkzeug zu Wirtschaft und Arbeit. Wie wäre es, stände er nackt und bloß allein für sich in der Öbe — hätte er da wohl

Aussicht, sich diese Gegenstände zu beschaffen?

Ja, selbst die Sprache

und mit ihr das Verfolgen jeder geordneten Gedankenreihe gingen ihm ab, und er fände sich geistig und leiblich auf einer Stufe, kaum unter­ schieden von dem Tier.

Indessen vermögen wir uns solche Zustände in

der Wirklichkeit, aus Erfahrung, gar nicht zu denken (es müßte denn von einem Schiffbrüchigen auf einer wüsten Insel die Rede sein), weil Menschen außerhalb der Gesellschaft überhaupt nicht existieren.

Denn solange und

wo immer es Menschen gibt, haben wir auch eine Gesellschaft, treten sie auch in Verkehr miteinander, eben weil sie gar nicht anders können, weil ihr Naturzustand der gesellige ist.

Prüfen wir nun, wie diese Beziehungen sich zu jenem Kreislauf, der,

wie wir sahen, das Leben des einzelnen ausfüllt, verhalten, und wie beide, die Forderungen des Einzellebens und die Bedingungen des geselligen

Verkehrs, sich in Einklang miteinander setzen. Bedürfnis — Anstrengung — Befriedigung, das waren die

drei Seiten, unter denen sich uns jener Kreislauf darstellt.

Fassen wir

dieselben einzeln ins Auge, so drängt sich uns bei genauerem Hinblicke

sofort ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen auf.

Im Bedürfnis

und der Befriedigung, den Anfangs- und Endpunkten des Ganzen, die fortwährend ineinander verlaufen, um

eins aus dem andern von

neuem hervorzugehen, haben wir etwas höchst Persönliches vor uns, in dem Sinne, daß ihre Überleitung ineinander immer nur in einer und

derselben bestimmten Person, ohne Teilnahme einer anderen,

gehen kann.

Es gibt kein Bedürfnis,

vor sich

dessen Befriedigung bei

einem

anderen, alL dem, der es empfindet, stattfinden kann, und umgekehrt. Weder meinen Hunger, noch meinen Durst, noch meine Müdigkeit kann ich

einem Gesättigten und Ausgeruhten mitteilen, noch werde ich dadurch satt oder gestärkt, daß ein anderer für mich ißt oder schläft.

Da hilft

nichts, ich muß selbst essen, trinken, schlafen, atmen usw., wenn ich das Bedürfnis dazu empfinde, sonst wird mir nicht geholfen, ein anderer kann

das nicht für mich abmachen.

Halten wir daher fest: es ist ein für

allemal unmöglich, daß jemand sein Bedürfnis auf einen anderen über-

trägt und

daß die

Beftiedigung

eines

Bedürfnisses, welches jemand

empfindet, sich in einem anderen als in ihm selbst vollziehen kann. Beide Vorgänge fallen unmittelbar und mit Notwendigkeit in einem und dem­ selben Menschen zusammen.

Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Mittelglied in der Kette, der Anstrengung, welche dazu dient, dem Bedürfnis zur Befriedigung zu verhelfen.

Sie kann von jedem beliebigen anderen ausgehen, als

von dem, der das Bedürfnis empfindet, und ihm doch zur Befriedigung

verhelfen.

„Die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit sind über­

tragbar", lautet das hier eingreifende volkswirtschaftliche Gesetz.

Wir

können nicht einer anstatt des anderen genießen, aber wir können einer für den anderen arbeiten, wir können uns einander gegen­

seitig Dienste leisten und mit dem, was jeder zum Leben braucht, ver­

sorgen. — Dies die große und weise Einrichtung der Natur, wodurch

die Gesellschaft, der gesellige Verkehr der Menschen überhaupt mög­

lich wird. Aber nicht genug, daß somit die Möglichkeit der Gesellschaft ge­

geben ist, so liegt in dieser natürlichen Organisation der Arbeit, welche wurzelt in der Organisation des Menschen selbst, wie wir

dies im allgemeinen Wir

schon erwähnten, zugleich ihre Notwendigkeit.

können nicht bloß einer für den anderen

arbeiten, einer dem

anderen unsere Arbeitserzeugnisse zu Gebote stellen, nein, wir müssen es, wenn

wir überhaupt zur völligen Befriedigung aller Bedürfnisse

mittelst unserer Arbeit gelangen wollen.

Denn dem schon

oben

von

uns aufgestellten Satze:

daß außerhalb der Gesellschaft die Bedürfnisse des ver­ einzelten Menschen

seine

Kräfte übersteigen

und Ver­

kümmerung sein gewisses Los ist, steht der andere ebenso unumstößlich gegenüber:

daß innerhalb der Gesellschaft, im Austausch der wechsel­ seitigen

Arbeitserzeugnisse und Leistungen, die Kräfte

des Menschen weit über seine Bedürfnisse hinausgehen.

Eine der Hauptursachen, weshalb die Menschen einzeln für sich nicht imstande sind, sich mit allen ihren Bedürfnissen zu versehen, liegt in der überaus verschiedenen Verteilung der Anlagen und Kräfte unter

ihnen, in ihrer verschiedenen Begabung, welche die einzelnen nur

zu dieser oder jener, keinen aber zu allen den vielen und mannigfaltigen

Arbeitsverrichtungen befähigt, welche zu diesem Behufe erforderlich sind So mußten dieselben, durch die eigne Natur getrieben, wohl ganz von

40

Schulze-Delitzsch.

selbst auf

den einzig möglichen Ausweg verfallen und diese Aufgaben

unter sich

verteilen.

Anstatt sämtliche zu

seiner Versorgung not­

wendigen Arbeiten zu übernehmen, widmet sich jeder nur einer oder der

andern davon.

Zwar gelangt er so durch seine unmittelbare Tätigkeit

nur zur Befriedigung eines und des andern seiner Bedürfnisse.

Allein

indem er seine ganze Zeit und Kraft darauf verwendet, gewisse Artikel

herzustellen oder gewisse Verrichtungen zu übernehmen, vermag er in einer solchen besondern Branche natürlich weit mehr zu leisten, als er zu seinem

eigenen Gebrauche bedarf und behält einen mehr oder minder bedeutenden Überschuß davon, welchen er anderen Personen zur Verfügung stellen kann.

Da nun diese ihrerseits wiederum

ebenso

verfahren

und

von

ihnen sich jeder eine besondere Arbeitsbranche aussucht, so ist, bei der

unendlichen Verschiedenheit der

Neigungen und Mhigkeiten

Menschen, mit Gewißheit darauf zu rechnen,

daß alle nur

unter den

denkbaren

Beschäfttgungsarten vertreten sein werden und der Gesamtbedarf in allen

möglichen Richtungen sein Genüge findet.

Auf diese Weise kann sich

jeder versichert halten, daß er für dasjenige, was er in seinem Geschäfts­

zweige über seinen Bedarf hinaus schafft, alles, was er sonst zu seinem Leben

braucht, von den andern tauschweise erhalten kann, unter der

Bedingung

nämlich, daß

sein

eigenes

jenen ebenfalls zur Befriedigung

genehm ist.

Arbeitsprodukt,

seine Leistung,

eines Bedürfnisses dient

Der eine z. B. fertigt Tuch, der

und ihnen

andere Kleider, jener

Schuhwerk, dieser Möbel, noch andere bauen Häuser, treiben Acker- und

Bergbau usw., und jeder gibt die gewonnenen Produkte, die er nicht selbst für sich gebraucht, im Austausch gegen die Produkte der anderen hin.

Auf solche Weise nötigt jeden das Interesse, das

er an seiner

eigenen möglichst vollkommenen Versorgung hat, seinen Gesichtskreis zu

erweitern und anstatt des geschlossenen Kreises der eigenen Bedürfnisse das Gesamtbedürfnis der Gesellschaft ins Auge zu fassen.

Vergleichen

wir nur einmal das, was wir selbst schaffen, mit dem, was wir alles brauchen, und wir können uns nicht verhehlen, daß, welchen Arbeitszweig einer auch erwählt hat,

jeder von uns doch

die Befriedigung seiner

Bedürfnisse weit mehr den Erzeugnissen fremder als eigner Arbeit ver­ dankt.

Der Schneider mag wohl seine Kleider, der Bäcker sein Brot,

der Tischler seine Möbel selbst fertigen; aber wer liefert ihm das Tuch,

das Mehl, das Holz dazu, wer ihre Werkzeuge? — und welche hundert Dinge bedürfen diese Leute nicht noch außerdem!

Aus dem allen folgt:

daß, je mehr und je besser jemand durch seine Arbeit für fremde Be­ dürfnisse sorgt, je geeigneter seine Produkte von den andern zu diesem

Zwecke befunden werden, desto sicherer und vollständiger er dadurch zu­

gleich selbst mit allem, was er seinerseits braucht,

versehen sein

wird,

weil er der bereitesten Abnahme versichert sein kann, und so in den Stand gesetzt wird, das

von ihm Gewünschte

leicht und sofort zu erhalten. ist dieser gesellschaftliche Zug Gesamtwirkungen

Rolle in dem

selbst

großen

da

ebenfalls im Austausch

Und so unverwüstlich und unwiderstehlich

unserer Natur,

eintreten,

wo

daß

seine

wohltätigen

die einzelnen, welche

Schauspiel abspielen,

gar

nichts

ihre

voneinander

wissen; daß die verschiedensten Personen an den verschiedensten Orten, ja selbst zu verschiedenen Zeiten, indem jede nur das allgemein mensch­

liche Bedürfnis int Auge hat, zu Dingen, von denen sie keine Ahnung haben, zusammenwirken, daß ihre Leistungen, nach mannigfachem Wandern von Hand zu Hand in gewisse schließliche Endresultate zur Befriedigung des Bedarfs von Leuten zusammenlaufen,

deren Dasein

ihnen

nicht

einmal bekannt war.

d) Die Teilung der Arbeit in verschiedene Geschästszweige im besonderen. Die Wirkungen dieser Teilung der Arbeit — der Scheidung der

menschlichen Arbeit in verschiedene Gruppen und Geschästszweige — hin­

sichtlich der Erleichterung sowie der Steigerung der Ergiebigkeit der Arbeit

sind unübersehbar und entziehen sich jeder Berechnung.

Und zwar äußern

sich dieselben in drei Hauptrücksichten.

Leistungsfähigkeit

der

Dieser Einfluß zeigt sich wiederum in mehreren Stücken.

Zu­

Zuerst Arbeit.

inbetreff

der

gesteigerten

nächst erhalten die einzelnen Gelegenheit, durch die Wahl verschiedener Beschäftigungen ihre besonderen Kräfte und Anlagen zu verwerten.

Die

natürliche Begabung der Menschen ist außerordentlich ungleich; Körper­ stärke, Mut, Einsicht, Phantasie, Spekulationsgabe sind höchst verschieden unter die einzelnen verteilt.

Indem jeder die Stelle einnehmen kann,

zu welcher er besonders geschickt ist, wird ungeheuer viel gewonnen.

Die

Verschiedenheit der Fähigkeiten, welche ohnedem das allgemeine Elend

begründen würde, gereicht nun der Gesamtheit zum großen Nutzen. Dank dieser Teilung der Gesamtausgabe in eine Menge verschiedener Branchen, kann nunmehr der Starke bis zu einem gewissen Punkte der höheren

Einsicht, der Kenntnisreiche, der Geistvolle der Körperkraft entbehren usw., während, wenn alle alles schaffen müßten, jeder den Mangel irgend einer zu dieser oder jener Leistung erforderlichen Eigenschaft zu bellagen haben würde.

Sodann hat die Beschränkung auf spezielle Geschästszweige not­

wendig eine größere Erfahrung in allem, was die Produktion fördert,

Schulze-Delitzsch.

42

sowie eine größere Geschicklichkeit in den vorkommenden Verrichtungen zur Folge, als bei der Zersplitterung der Tätigkeit in unzählige Zweige erreicht werden kann.

Die wachsende Vertrautheit mit dem gewählten

Arbeitsgebiet führt zu neuen Erfindungen, überhaupt zur größtmöglichen Vervollkommnung der Leistungen, welche aus Qualität und Quantität der

Produkte zurückwirkt.

Wenn man erwägt, wieviel Zeit dazu gehört, um

es nur in einem einzigen Berufszweige zu demjenigen Grade von Ge­

schicklichkeit und Erfahrung zu bringen, ohne welchen nichts mit einigem Erfolge geschafft werden kann, so würde die traurige Lage der Menschen

gar nicht abzusehen sein, wenn jeder alle die verschiedenen Verrichtungen, welche zur Beschaffung aller Subsistenzmittel notwendig sind, selbst über

sich nehmen müßte.

Das höchste Lebensalter reichte nicht im entferntesten

zu den Lehrjahren hin, und ehe es jemand nur zu den kümmerlichsten Anfängen brächte, wäre er tot.

Die ganze Industrie aber käme nie über

die erste Kindheit hinaus.

Weiter wirkt die Arbeitsteilung auf Verhütung der Kapitals­ vergeudung bei der Arbeit.

gewisse Materialien

Zeit.

Wie wir sahen, gehören zu jeder Arbeit

und Werkzeuge nebst Lebensunterhalt auf gewisfe

Man nehme nun den einzelnen, welcher alle die verschiedenen

Arbeiten zur Befriedigung seiner Bedürfnisse selbst verrichten soll.

Er

bedarf einer Schneider-, einer Schuhmacher-, Tischler-, Schmiede-, Weber-, Maurer-, Zimmer-, Fleischer-, Bäcker- usw. Werkstätte, mit Werkzeugen

und Materialien aller Art, er muß Ackergerät und Vieh anschaffen, eine Mühle anlegen, kurz, er muß tausend Dinge haben, ehe er die tausend

verschiedenen Verrichtungen nur beginnen kann.

Es ist klar, daß allein

die Anschaffung dieser Masse von Vorbedingungen der Arbeit alle seine Kräfte Zeit seines Lebens weit übersteigt.

Nur wenn sich eine Anzahl

Menschen gesellig vereinigt und die Beschäftigungen unter sich verteilt, wird eine eigentliche Arbeit überhaupt erst möglich.

Statt jener tausend­

fachen bedarf jeder nur einer auf ein einziges Gewerbe berechneten Ein­ richtung, welche zugleich allen übrigen im Kreise seiner Kundschaft mit

zustatten kommt. Endlich übt die Arbeitsteilung auf die Mitwirkung der Natur­

kräfte und Schätze bei jeder Produktion den erheblichsten Einfluß aus. Bekanntlich sind dieselben auf der Erdoberfläche in ungleichem Maße ver­ teilt.

Nun ist aber der Mensch, wie wir ebenfalls schon sahen, mit allem

um so besser versorgt, je mehr die Natur ihn bei Hervorbringung seines Bedarfs

unterstützt.

Dank der Macht der Arbeitsteilung und des da­

durch ermöglichten Tausches, schlägt diese ungleiche natürliche Beschaffen-

heit der verschiedenen Gegenden, ebenso wie die Ungleichheit der Begabung unter den Menschen selbst, zum Besten des Ganzen aus. nun an jedem Orte vorzugsweise das,

ausgestattet hat.

Man produziert

wozu ihn die Natur besonders

An jeder Stelle wird hauptsächlich diejenige Arbeit ge­

trieben, welche dort, der mitwirkenden lokalen Naturgeschenke halber, die

ergiebigste ist, was im ganzen den Ertrag aller Arbeit überhaupt steigert. Müßten die Menschen ihr Eisen unter dem Äquator, ihre Gewürze in den kalten Erdstrichen in Gewächshäusern produzieren, welche Mühe

und trotzdem welche kümmerlichen Resultate hätten sie davon!

So aber

werden die Ebenen der gemäßigten Klimate mit Getreide, die Berghänge wärmerer Länder mit Wein, die Niederungen der Tropenflüsse mit Reis,

Baumwolle usw. bebaut; an den Küsten wohnen Fischer, in den Wäldern Jäger, um die Minen siedeln sich Bergleute an, an fallenden Wassern erstehen Mühlenwerke, Dampfmaschinen und Schmelzwerke in den Kohlen­ distrikten. Überall sind verschiedene Arbeitszweige vorherrschend, in jedem

Lande die seiner Beschaffenheit gemäßen Produkte und Arten der Tätigkeit, bei welchen die Naturkraft die menschliche Anstrengung am besten unter­

Das Schlußresultat davon aber die möglichst beste und billigste

stützt.

Versorgung aller mit allem. Ein Beispiel der

Arbeit Raum

wunderbaren Wirkungen dieser

in Verknüpfung

an

einem

der

der fremdartigsten

Teilung

der

Tätigkeiten in Zeit und

alltäglichsten Verbrauchsgegenstände.

Betrachte

jemand einmal den Rock, den er trägt, und mache sich klar, was alles

dazu gehörte, ihn zustande zu bringen. Menschen

in

den

Zuerst mußten sich eine Anzahl

Gauen Deutschlands

oder Südrußlands oder

Australiens mit der Schafzucht beschäftigen, um die rohe Wolle zu

liefern.

Diese Wolle mußten Schiffer und Fuhrleute zu den Spinnereien

Englands, der Niederlande usw. transportieren, von denen Tuchmacher, vielleicht ganz anderer Länder, das Garn erhielten, um das Tuch zu

weben.

Auch der Tätigkeit des Färbers bedurfte es, ehe es der Schneider

zur Ferügung des Rockes erhielt, wobei

er selbst wieder des Knopf­

machers, des Nadel-, Zwirn-, Seiden- und Stahlwarenfabrikanten (wegen

der Scheren

usw.)

vorhergegangener

bedurfte,

deren Fabrikate wiederum ganze Reihen

Arbeit von Herstellung des Rohstoffes bis zu

schließlichen Gestaltung zu durchlaufen hatten.

ihrer

Die Seide wurde vielleicht

in Südfrankreich, der Lein oder Hanf in Schlesien oder Rußland, das Eisen in den schwedischen, belgischen oder westfälischen Gruben gewonnen und wieder an anderen Orten verarbeitet.

Und das ist noch nicht alles.

Sämtliche Arbeiter in den verschiedenen hier eingreifenden Beschäftigungen

44

Schulze-Delitzsch.

bedurften, um sich denselben unterziehen zu können, während deren Dauer

Wohnung, Kost, Kleidung und Werkzeuge aller Art.

So treten die Land­

wirte, Baugewerke und alle sonstigen Arbeiter, die ihnen jene notwendigen

Bedingungen verschaffen, in die unabsehbare Reihenfolge von Tätigkeiten mit ein, welche, ohne daß die einen um die andern wußten, in dem er­

wähnten

einfachen

Konsumtionsartikel

ihren

gemeinsamen

Endpunkt

fanden.

Und wie mit diesem geringfügigen Gegenstand, zu dessen Fertigung so unendlich verschiedene Arbeiten, oft in verschiedenen Weltteilen, ge­

hören, zwischen deren Verrichtung Jahre liegen, ebenso und nicht anders

verhält es sich mit der Versorgung der ganzen Gesellschaft, so daß keine noch so unscheinbare Einzeltätigkeit verloren geht, ohne zu dem großen

Gesamtergebnis mitzuwirken. Was wir aber schon am Schluffe unserer heutigen Betrachtung

wenigstens andeutungsweise hervorheben wollen, ist: daß diese auf den ersten Blick bloß materiellen, bloß auf die Ver­

sorgung mit den zum Leben notwendigen, nützlichen und angenehmen Dingen bezüglichen Vorgänge zugleich von höchster kulturgeschicht­ licher Bedeutung sind.

Nicht nur daß die Arbeit, durch Sicherung der leiblichen Existenz, uns die unerläßliche Voraussetzung jeder höhern Tätigkeit gewährt, stählt sie auch den Geist zum Ringen um die höchsten und schwierigsten Auf­

gaben.

Denn überall hat das Menschengeschlecht in der Kindheit seiner

Entwicklung, bei den rohesten, unausgebildetsten Arbeitsmethoden, seine Tätigkeit zuerst in der Beschaffung der äußersten Notdurft zum Leben erproben müssen und sie darin erschöpft.

Der harte Kampf um das

nackte Dasein, die Sorge für das nächste ließen es nicht dazu kommen,

an weitere Strebungen und Ziele zu denken.

Erst die allmähliche Ent­

deckung und Benutzung der Arbeitshilfsmittel, von denen wir sprachen,

und die dadurch gesteigerte Leistungsfähigkeit der Arbeit, welche einen Überschuß des Gesamtarbeitsprodukts über das Gesamtbedürfnis er­ möglichte, stellte der Menschheit das erforderliche Maß von Zeit und

Kräften zu Gebote, um sich höhern Aufgaben zu widmen und mehr und

mehr in die Bahnen der Zivilisation einzulenken.

Namentlich fällt der

in neuerer Zeit immer bewußter von der Arbeit eingeschlagene Weg der Dienstbarmachnng der Naturkräfte für die materielle Güter­ produktion mit jenen höchsten Zielen, mit der Herrschaft des Geistes über die Materie zusammen, wie denn auch von seiner beharrlichen Verfolgung

allein die wahre Emanzipation des Arbeiters, die Erlösung von

den rein mechanischen, rohsten und aufreibendsten Arbeitsverrichtungen endlich zu erwarten ist — ein Punkt, mit dem wir uns später eingehend

zu beschäftigen haben.

So erheben Sie sich, Sie, die Männer der Arbeit, an diesem Ein­

blick in das große Gesamtbetriebe des menschlichen Verkehrs, wie flüchtig ich Ihnen auch in dem kurzen Raum dieser Stunden denselben zu er­ öffnen vermochte.

Es tut not, daß der einzelne von Zeit zu Zeit aus

der Enge seines bürgerlichen Berufs ausschaue und

Brust

und

Blick

weite in dem Gefühl des Jneinandergreifens aller menschlichen Tätigkeiten

zu einem großen Ganzen, daß er sein Tun und Sein verkettet weiß mit Beziehungen und Kräften, die ihn oben

haltm, wenn das Bleigewicht

seines irdischen Looses ihn mit seiner ganzen Schwere niederzuziehen

Nichts ist so geeignet, die sittliche Würde im Arbeiter rege zu

droht.

halten, als wenn er seine Tätigkeit nicht bloß als Broterwerb für sich, sondern in ihrem ganzen Wert für die Gesellschaft begreift.

Wurzeln

doch in der Arbeit, wie in ihrem Mutterboden, die größten Errungen­

schaften, die segensreichsten Fortschritte der Menschheit.

Und was die

Arbeit der Gesellschaft gewesen ist, wie sie ihr die Kulturbahnen er­

öffnet hat — so beginnt mehr und mehr der Segen dieses Tuns auf sie selbst zurückzuströmen.

Schon zahlen Kunst und Wissenschaft ihr die

langversäumten Zinsen, und den Arbeitern, die diesen notwendigen Ent­

wicklungsgang klar zu erfassen und für sich zu benutzen wissen, wird ihr

volles Teil an dem

großen Erbe der Menschheit nicht vorenthalten

bleiben.

II. Das Kapital. Ich schließe meinen heutigen zweiten Vortrag, in welchem wir

uns mit dem Kapital und dessen Beziehungen zur Arbeit be­

schäftigen, an einige Haupffätze an, zu denen wir schon bei unserer ftühern Besprechung über die Arbeit gelangten.

a) Begriff und Verwendung des Kapitals.

Die produkttve Konsumtion.

Um eine gewerbliche Tätigkeit überhaupt beginnen und fortsetztzn zu

können, bedarf man unerläßlich dreierlei Dinge: a) Rohstoffe zur Verarbeitung; b) Werkzeuge zur Arbeit;

c) Subsistenzmittel während der Dauer der Arbeit, oder, was

für den, welcher andere Arbeiter beschäftigt, dasselbe ist: einen

Fonds zur Zahlung von Arbeitslöhnen. Diese als notwendige Vorbedingung zu jeder Arbeitstätigkeit erforderlichen

Schulze-Delitzsch.

46

Dasselbe kann

Gegenstände heißt man zusammengenommen Kapital. aus den

verschiedensten

Dingen

bestehen,

je

nach

den verschiedenen

Gewerbszweigen, zu welchen es dient, in einer Geldsumme eigentlich nie­ mals, indem Geld, als das allgemeine Tauschmittel, nur insoweit hier

in Betracht kommt, als man seinen Bedarf jederzeit dafür haben

kann,

während es selbst, als gemünztes Metall, weder als Rohstoff zur Ver­

arbeitung, noch als Arbeitswerkzeug, noch als Subsistenzmittel unmittelbar

gebraucht wird.

Hiernach bildet das Kapital denjenigen Teil des Vermögens eines Menschen, der nicht sofort verzehrt, nicht zur Befriedigung augenblicklicher

persönlicher Bedürfnisse

verwendet, sondern

entweder zum dauernden

Nutzen und Gebrauch für die Zukunft angesammelt und verwendet, oder bei einer künftigen Arbeit, bei Beginn oder Fortsetzung eines Geschäfts, gleichviel ob eines eigenen oder fremden, angelegt wird.

Auf den Zweck,

auf die Bestimmung also kommt es an, welche man den verschiedenen Teilen seines Vermögens, seines Einkommens gibt, um

zu entscheiden,

was davon als Kapital anzusehen ist, und nur das vom augenblicklichen Bedarf Erübrigte hat auf den Namen Anspruch. In dieser Rücksicht gelten z.B. Gebäude, Grund und Boden, Schiffe,

Maschinen und dergleichen immer als Kapital, denn sie gehen nicht im augenblicklichen Verzehr auf, sondern gewähren einen dauernden Nutzen, dienen zur Befriedigung von Bedürfnissen im Leben oder zum Geschäfts­

betrieb auf geraume Zeit.

Andre Dinge kommen teils als Kapital, teils

als bloße Verzehrgegenstände in Betracht, je nachdem man über sie ver­

fügt.

Ein Gutsbesitzer z. B. verwendet von seiner Weizenernte einen

Teil zur Aussaat, einen anderen zur Ernährung seiner Arbeiter, einen dritten verkauft er und bewirkt mit dem Erlös die Verbesserung seiner Grundstücke oder den Ankauf neuer Äcker: alles kapitalmäßige Anlagen, welche die Fortbestellung und Ausdehnung seiner Landwirtschaft, d. h. also

seines Gewerbs oder Geschäfts bezwecken und auf zukünftigen Erwerb abzielen.

Wenn er aber einen vierten Teil der Ernte im Kuchenbacken

aufgehn läßt, bei einem großen Feste, welches er seinen Bekannten und

Arbeitern ausrichtet, so ist das etwas anderes, und dieser Teil wird rein

verzehrt,

ohne als Kapital ihm für

die Zukunft zunutze zu kommen.

Ferner die Vorräte eines Kramladens.

Für den Kaufmann sind

sie Kapital, weil er aus ihrem Umsatz die Mittel zur Fortführung seines Geschäfts zieht.

In den Händen des Kunden aber, der einige Lot Kaffee

oder Gewürz, ein Pfund Reis oder Zucker von ihm zum augenblicklichen Bedarf entnimmt, können sie nur als Konsumartikel angesehen werden usw.

Von diesem überall durchgreifenden Gesichtspunkte aus wird man nicht blos wirklich greifbare Sachgüter, materielle, körperliche Dinge dem Kapital beizuzählen haben. Selbst Kenntnisse, Er­ fahrungen und Fertigkeiten, Willenskraft und Unternehmungs­ geist und andere geistige und körperliche Vorzüge und Anlagen, die jemand durch anhaltende Bemühung und Übung gewonnen oder in sich

ausgebildet hat, und nun für die Dauer in seinem Leben und Berufe nutzt, gehören in gewissem Sinne hierher, schon weil sie nicht im augen­ blicklichen Gebrauche aufgehn, sondern zur Befriedigung künftiger Be­ dürfnisse wesentlich mitwirken. Ebenso eine große Entdeckung und Er­ findung, das Resultat langer mühsamer Forschungen und Versuche, weil es weit in die Zukunft hinaus seine Wirkungen erstreckt und, ge­ hörig ausgebeutet, seinem Besitzer ein Einkommen gewährt' Dabei muß aber hinsichtlich der Verwendung des Kapitals auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam gemacht werden. Wenn wir das­ selbe als den der persönlichen und augenblicklichen Verzehrung des Eigners entzogenen Vermögensteil bezeichneten, so kann dies nicht so gemeint sein, als ob es überhaupt nicht zur Konsumtion bestimmt sei. Indem es viel­ mehr zu einer produktiven Anlage, zu einem Geschäft, einer Arbeit ver­ wendet wird, wird es früher oder später ebenfalls konsumiert, d. h. in seiner vorhandenen Gestalt vernichtet, nur daß diese Konsumtion eine produktive ist, d. h. daß sie in eine Produktion, in eine Schaffung werthabender Dinge ausläust. An die Stelle des durch die Arbeit vernichteten Kapitals treten neue Werte, mit einem Worte: das Kapital ersteht immer von neuem aus seiner Vernichtung, vorausgesetzt, daß diese ordnungsmäßig durch eine produktive, d. h. Güter schaffende Arbeit er­ folgt. Jede Zerstörung auf diesem Wege schließt zugleich eine Erzeugung neuer Güter in sich, während die als bloße Genußmittel dienenden Ver­ mögensteile rein zerstört werden, ohne eine solche Folge zurückzulassen. Beispiele aus dem täglichen Leben liegen uns tausendfältig vor. Wenn ein Arbeiter von dem erhaltenen Wochenlohn, oder ein Handwerker von dem Preise seiner verkauften Waren einen Teil zur Bezahlung einer ge­ machten Zeche int Wirtshaus, oder zu einem Theaterbillett oder sonst zu

augenblicklichem Bedarf an Nahrung und Heizung verwendet, so ist das so Verwendete konsumiert und für ihn nicht mehr da, ohne daß irgend ein fernerer Nutzen in Zukunft ihm daraus erwüchse. Ganz anders ver­ hält es sich aber mit demjenigen, was jemand zurücklegt, vielleicht in die Sparkasse trägt, oder in sein eignes oder ein fremdes Geschäft steckt. Der Talg und die Soda, die ein Seifensieder zu Seife verarbeitet, Leder unb

Schulze-Delitzsch.

48

und Tuch zu Stiefeln und Mützen, Holz zu Möbeln verschnitten usw. sind

durch die Verarbeitung auch konsumiert, können nicht wieder zu gleichem Zwecke

verbraucht werden.

Aber an ihre Stelle tritt eben das fertige Produkt,

das jene Stoffe nicht nur ersetzt, sondern sie an Wert weit übertrifft, und aus dessen Erlöse sie stets von neuem wieder angeschafft werden können.

So werden die Kohlen zur Heizung eines Dampfkessels oder

einer Schmiede sofort und völlig vernichtet, in den mittelst der dadurch ermöglichten Fabrikation erzeugten Waren aber, außer den Rohstoffen usw., reichlich ersetzt.

Wieder andere Teile des Betriebskapitals bei einem Ge­

schäft, z. B. Werkzeuge, bauliche Anlagen, Maschinen und bergt, dienen zu mehr als einem einzigen Produktionsakt, werden

durch die

Vornahme einer einzigen Arbeit noch nicht zerstört, sondern nur allmählich abgenutzt, so daß ihre endliche Vernichtung durch eine ganze mehr oder minder lange Reihe von Produkten, bei deren Erzeugung sie mitgewirkt

haben,

ersetzt wird.

Am schlagendsten

stellt sich die wiedererzeugende

Kraft des Kapitals in dem schon oben gebrachten Beispiele der Ernte dar, von der ein Teil zur Aussaat verwendet wird und sich durch die neue Ernte nicht nur ersetzt, sondern vervielfältigt.

So mag jede

ordentliche Kapitalverwendung einer Aussaat verglichen werden, welche

einer lohnenden Ernte entgegensieht, und vor allem hat man den Satz dabei festzuhalten:

daß sich das Kapital nicht sowohl durch Aufbewahrung zu erhalten, als vielmehr durch Wiedererzeugung zu ver­ vielfältigen strebt.

b) Entstehung des Kapitals. Fassen wir die Entstehung des Kapitals in das Auge, so haben

wir schon von dem Erübrigen und Aufsammeln desselben gesprochen, und so den Weg angedeutet, auf welchem es sich zunächst bildet. ist in allen Fällen

Kapital

das unmittelbare Ergebnis eines Sparens.

Es

entsteht nur, wenn jemand nicht seinen ganzen Arbeitsertrag,

sein ganzes Einkommen zu unproduktiven Ausgaben, zur Be­ friedigung

seiner

augenblicklichen

sondern einen Teil davon zurücklegt.

überhaupt nicht zustande kommen.

Bedürfnisse

verwendet,

Anders können Kapitalien

Indessen reicht das Sparen, das

Nichtverzehren einer Sache für sich allein nicht hin, Kapital zu schaffen.

Vielmehr muß demselben eine lohnbringende Tättgkeit, eine produktive Arbeit notwendig vorhergehen, wie sich von selbst versteht, weil ohne dem

die Gegenstände, an welchen gespart werden kann, fehlen würden.

Die

Sachgüter und Werte müssen erst geschaffen werden, welche man auf­

sammeln, von denen man etwas erübrigen will, das Gnkommen muß

erst verdient werden, ehe man davon etwas zurücklegen kann. gibt es aber nur ein Mittel: die Arbeit.

Hierzu

Sie allein stellt den Menschen

alle nützliche und notwendige Dinge in der Welt zur Verfügung, sie

allein schafft alle Werte, und so kommen wir wieder auf die Arbeit selbst zurück, als Urquell alles Vermögens, sowohl der Genußmittel,

der

zum

augenblicklichen

weitergehenden

zu

Zwecken

Konsum

des

bestimmten

Erwerbs,

zur

Gegenstände, Fürsorge

wie

für

des

unsere

künftige Existenz zurückgelegten Teils, den wir eben als Kapital be­ zeichnen.

Lediglich das Produkt der Arbeit, geht das Kapital, wie wir sahen,

wieder in Förderung der Arbeitszwecke auf, strömt befruchtend in den Schoß der Arbeit selbst zurück, um sich in stetigem Kreislauf in neuen Arbeitserzeugnissen wieder zu

erneuern.

Eine

wunderbare

Wechsel­

beziehung, die, wie nichts anderes in der Welt, die Interessen beider,

Und wie

des Kapitals wie der Arbeit, unlösbar miteinander verkettet!

sehr dabei die höheren Eigenschaften der menschlichen Natur tätig sind, wie die besten Kräfte des Menschen dabei geweckt und in Übung gehalten

werden, ergibt ein kurzer Hinblick.

Wurzeln nicht Fleiß, Arbeits­

tüchtigkeit, Sparen in den geistigen und sittlichen Eigenschaften unserer Natur?

Welche Einsicht, welche Kenntnisse und Erfahrungen gehören

nicht dazu, in irgendeinem Fache gut und mit Erfolg zu arbeiten, etwas

Und ferner zu dem rechten Haushalten mit dem

Tüchtiges zu leisten!

Ertrage seiner Arbeit muß jemand die Zukunft in das Auge fassen, die Einwirkung des zu ersparenden Kapitals auf Befriedigung künftiger Be­

dürfnisse in Geschäft und Wirtschaft berechnen und in Anschlag bringen, um sich zu entschließen, die Gegenwart der Zukunft zu opfern.

Da gilt

es, sich selbst und seine Neigungen zu beherrschen, dem augenblicklichen

Reize des Genusses zugunsten großer, dauernder Vorteile in der Zukunft

zu entsagen, Gelüsten aller Art zu widerstehen, sich in Mäßigkeit und Enthaltsamkeit zu üben.

Insbesondere treten hier die heiligsten Familien­

bande und Pflichten mit in das Spiel, da jemand von aufopfernder Liebe für die ©einigen durchdrungen fein muß, und

Entbehrungen

zurückznschrecken,

deren

um nicht vor Mühen

Früchte

nicht

selten

erst

Kinder und Enkel genießen. — Kurz, von welcher Seite wir auch die Sache fassen mögen, überall greifen die wirtschaftlichen Strebungen bei der Kapitalsbildung auf den edleren Teil der menschlichen Natur

zurück. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.

4

50

Schulze-Delitzsch.

c) Übertragbarkeit des Kapitals. Um den Grundsatz: „daß die Arbeit allein alle Werte, alles mensch­

liche Vermögen, also auch das Kapital schafft," nicht mißzuverstehen, unterscheide man jedoch die Übertragung eines schon bestehenden Ver­ mögens von dessen Erzeugung.

Wir sehen und begegnen in

unserm

Kreise täglich Menschen, welche im Besitze oft sehr großer Reichtümer, bedeutenden Kapitals sich befinden, ohne daß jemand behaupten kann,

daß dies das Ergebnis ihrer eigenen Tätigkeit sei, daß sie durch eigene Anstrengung und Sparsamkeit sich ihren Besitz verdient Hütten.

dies hebt obige Regel nicht auf.

Allein

Haben solche Leute ihr Vermögen nicht

selbst erworben, so haben es andere an ihrer Statt getan und es ihnen

übertragen.

Denn

irgend jemand muß die dazugehörigen Gegenstände

durch seine Tätigkeit erzeugt, durch seine Ansammlung zusammengebracht

haben, das ist doch nicht anders möglich.

„Die Früchte der mensch­

lichen Arbeit sind übertragbar" — dies die große Wahrheit, woraus

wir schon bei unserer vorigen Unterhaltung die Dköglichkeit der mensch­

lichen Gesellschaft herleiteten. Vielleicht haben Eltern und Freunde ihnen ihren Besitz vererbt oder geschenkt, vielleicht haben sie ihn in der Lotterie,

dem gewöhnlichen oder Börsenspiel erworben.

Ja selbst durch Betrug,

Raub, Mebstahl und wie alle die widerrechtlichen Aneignungen fremden

Gutes heißen, können Vermögensstücke an einen Inhaber kommen,

an ihrer Erzeugung keinen Teil hat.

der

Daß aber auf alle diese erlaubten

und unerlaubten Arten nur bereits geschaffenes Kapital aus einer Hand in die andere übergeht, niemals aber Kapital oder überhaupt Vermögen

erzeugt oder geschaffen wird, daß das letztere vielmehr ein für allemal nur durch Arbeiten und Sparen möglich ist, wird nach dem Gesagten

wohl jedem einleuchten.

Zugleich ergibt sich aus dieser Betrachtung das

Verwerfliche solcher Bestrebungen, die nur darauf hinauslaufen, sich des Vermögens anderer zu bemächtigen, um sich der Anstrengung zu über­

heben, selbst solches

zu

schaffen, wozrr besonders das Spiel in allen

seinen Formen und Arten gehört.

Wer darin seinen Erwerb sucht, wer

von dem großen Gesamtkapital, von der Gesamtgütermasse eines Volks, welche notwendig ist, um dem Gesamtbedarf Genüge zu tun, auf solche

Weise einen Teil an sich zu bringen sucht, ohne doch selbst zu dessen

Erhaltung und Vermehrung beizutragen, schwächt das allgemeine Ver­ mögen, und ein Gemeinwesen, welches viele solche Schmarotzer der Gesellschaft, deren Leistungen mit dem, was sie dafür in Anspruch

nehmen, nicht im Verhältnis stehn, zu erhalten hat, kommt notwendig in seiner wirtschaftlichen Entwicklung, in seinem Wohlstände zurück.

Dagegen werden wir sicher gegen solche Kapitalsübertragungen nichts

haben, welche freiwillig von dem, dessen Mühe das Ganze geschaffen hat, ausgehen, um Gefühlen der Neigung, um der Fürsorge für die Seinigen gerecht zu werden.

Wie oft habe ich gerade

von Männern,

die in

schwerer Arbeit und hartem Entbehren sich mühsam emporgebracht haben,

es als schönste Frucht ihres Tuns rühmen hören: daß es ihren Kindern leichter werden solle, als es ihnen selbst beschieden gewesen, daß sie ihnen eine sorgfältigere Erziehung, sowie die nötigen Mittel für den Anfang

hätten geben können.

d) Kredit und Kapitalrente. Wenn schon hiernach die Mißbräuche, welche dabei möglich sind, von den Wohltaten, welche die Übertragbarkeit menschlicher Arbeitserzeugnisse und

Dienstleistungen in ihrem Gefolge hat, ganz unermeßlich überwogen werden, so müssen wir noch einer anderen Seite der Sache von außerordentlicher Tragweite besonders gedenken. Es ist nämlich die Übertragung von Vermögen nicht so auf­ zufassen, daß darin stets und mit Notwendigkeit eine Enteignung, ein Lösen aller Beziehungen des bisherigen Eigners, ein völliges Aufhören seines Rechts daran für immer, enthalten sein müsse.

Vielmehr vollzieht sie

sich beim Kapital als demjenigen Vermögensteil, welcher, seiner Be­ stimmung zum Betrieb eines produktiven Geschäftes gemäß, durch seine Verwendung nicht zerstört sondern wiedererzeugt wird, ebensogut in der

Weise, daß jemand dasselbe dem andern nur auf Zeit zur Benutzung oder zum Verbrauche überläßt, mit der Bedingung der Wiedererstattung.

Es leuchtet auf den ersten Blick ein, tote ungeheuer wichtig diese Art der Kapitalsübertragung, die wir unter dem Namen Kredit begreifen, für das ganze Erwerbsleben der Völker, insbesondere für alle ist, die nicht selbst hinlänglich begütert sind, um ein Geschäft aus eigenen Mitteln zu

begründen.

In der Wirklichkeit gibt es nur sehr wenige, die gleich beim

Beginn ihrer Laufbahn

von Eltern, Verwandten, Freunden die volle

Ausstattung, namentlich zu bedeutenderen Unternehmungen, als Mitgift

erhalten, und die übergroße Mehrzahl

bleibt auf fremde Mittel, auf

Kredit angewiesen, um nur beginnen zu können.

Aber der findet sich

auch immer, sobald nur irgend in der Solidität des Kreditsuchenden die gewöhnlichen Garantien geboten sind.

Dazu treibt den Kapitalinhaber

schon das eigene Interesse, fein Kapital nicht müßig liegen zu lassen, sondern es, soweit er es im eignen Geschäft nicht bedarf, im fremden

anzulegen, damit es ihm eine Rente gewährt.

Und

hier kommen wir

Schulze-Delitzsch.

52

auf den Kapitalzins und dessen Berechtigung und Nutzen in der Ge­ schäftswelt.

Wie wir bereits ausführten, ersetzt sich das in einem ordentlich geleiteten Geschäft angelegte Kapital nicht bloß, sondern es verviel-

sältigt sich, wie die Aussaat

durch

Ernte.

die

Indem dasselbe die

Naturhilfe bei der Arbeit heranzieht, vertritt es gewissermaßen lebendige

Arbeiter im Geschäft, weil es die Leistungen der vorhandenen verstärkt, und wird auf diese Weise werbend, d. h. einen Ertrag gewährend. Man

nehme z. B. eine Werkstatt von sechs Arbeitern, die alle knapp und schlecht mit Rohstoff und Werkzeugen versehen sind,

und daneben eine

gleiche von vier Arbeitern, welchen der Rohstoff reichlich und in besserer Qualität sowie die passendsten und besten Werkzeuge zu Gebote stehen,

und jeder praktische Geschäftsmann wird mir zugeben, daß die vier mehr

leisten werden, als die sechs.

Wer daher die Mühe und Entsagung über

sich genommen hat, welche die Ansammlung eines Kapitals unleugbar

kostet, und dann dessen Nutzen einem Dritten überläßt, auch nur auf Zeit, hat den vollständigm Anspruch auf eine Entschädigung, auf eine Teilnahme an dem Gewinn, den er ihm allein möglich macht, an der

Ernte, zu welcher er die Aussaat lieferte.

Keineswegs ist er durch die

bloße Rückgewähr nach gemachtem Gebrauch abgefunden.

Gewinne ich

doch durch den überlassenen Gebrauch ein Mehr, welches mir auch nach

Rückgewähr des Geliehenen verbleibt, erwerbe ich mir doch durch die zeit­

weise Verfügung über fremdes Kapital eigenes.

Z. B. ich habe eine

vorteilhafte Bestellung, die mir lohnende Beschäftigung auf längere Zeit

verspricht, und bedarf Kapital, um dieselbe auszuführen.

Aber ich selbst

besitze keins, sondern will es mir durch die Ausführung erst ver­

dienen.

Gibt mir niemand Kredit, so kann ich die Arbeit gar nicht

übernehmen, und der in Aussicht stehende Erwerb ist verloren.

Welchen

großen Dienst leistet mir also der, welcher mein Kreditbedürfnis be­ friedigt, und wie gern werde ich ihm einige Prozente meines Gewinns als Entgeld dafür zukommen lassen!

Ja, den offenbaren Vorteilen des

Kreditnehmers steht obenein der klare Verlust des Kreditgebers gegenüber, der nur durch den Zins ausgewogen werden kann, indem der­

jenige, welcher Kapital vorstreckt, seinerseits auf die Nutzungen desselben bis zur Wiedererstattung verzichten muß. als den Kapitalzins.

Es gibt daher nichts Gerechteres,

Denn Kapitalzins ist weiter nichts, als der

Kaufpreis für die Nutzung oder den Gebrauch einer Sache während einer bestimmten Zeit.

Um dies in schlagenden Beispielen darzutun, muß immer wieder

darauf zurückgewiesen werden, daß man Kapital stets in seinem richtigen Sinne und nicht bloß als eine Summe Geld auffaßt. — Also der

Besitzer eines Ackers leiht oder verpachtet einem anderen diesen Acker mit der darauf stehenden Ernte (sein Kapital) auf ein Jahr mit der Bedingung, ihn das Jahr darauf, ebenfalls mit stehender Ernte, zurück­

zugewähren.

Jedermann sieht, daß diese Rückgewähr des Feldes mit der

Emte des nächsten Jahres kein Entgelt für den Feldbesitzer ist, daß er dafür mit gutem Fug noch einen Pachtzins fordern wird, da er ja

Diese dem Pächter überlassene Ernte

die Ernte des Pachtjahres verliert.

gewährt demselben ja nicht bloß den Samen, welchem die später zurück­

zugewährende Ernte entkeimt, und

etwa

noch den geringen Ackerlohn

sondern ein ansehnliches Mehr an Getreide, welches Mehr der Pächter

entweder im eigenen Konsum oder durch Verkauf verwerten kann. —

Weiter: ein Gewerbtreibender bedarf einer Werkstatt, eines Schuppens

und anderer baulicher Anlagen, deren Herstellung größere Mittel be­ anspruchen würden, als worüber er verfügt.

Wird derselbe dem, der

sie ihm auf eine Reihe von Jahren überläßt und so selbst auf ihren Gebrauch verzichtet, nicht gern einen Metzins zahlen, obschon er sie

während seiner Benutzung imstande erhalten und nach Ablauf der Zeit zurückgewähren muß? — Ein Tuchmacher bedarf einer Dampfmaschine,

und der Inhaber eines größeren Etablissements überläßt ihm die seine auf einen Tag in der Woche.

Welchen Dienst erweist er dem Manne,

welche Kosten erspart er ihm, und dieser zahlt wiederum einen ent­ sprechenden Mietzins mit Vergnügen und macht einen bedeutenden

Profit.

Ganz dasselbe findet statt bei Überlassung von Vorräten an

Rohstoffen

oder Waren zur Verarbeitung und zum Handel mit der

Bedingung der Wiedererstattung in

derselben Quantttät und Qualität

oder auch in Geld nach einer gewissen Zeit.

Wie gerne gibt hier der,

welcher sie notwendig im Geschäft braucht und nicht die Mittel hat, sie sofort zu bezahlen, sie gegen bar

zu

kaufen, einen Preisaufschlag für

den gewährten Kredit, weil er durch ihre Verarbeitung und Umsatz nicht nur die Mittel zur Wiedererstattung oder Zahlung nach verflossener Frist erwirbt, sondern noch einen Überschuß, den Preis seiner daraus verwendeten Arbeit, welche vorzunehmen ohne jene Stoffe er gar nicht

in der Lage gewesen wäre. In allen diesen Fällen erhält also der Kapitalist für die leihweise Überlassung seines Kapitals einen Zins, das

Kapital gewährt ihm eine Rente, ohne daß es von ihm geopfert würde, und, wie wir sahen, mit vollem Fug. — Daß sich dieses Verhältnis

natürlich nicht ändert, wenn der Gläubiger statt aller dieser Dinge dem

54

Schulze-Delitzsch.

Schuldner eine Summe Geld gibt, versteht sich von selbst, und jedermann weiß, welchen Nutzen man sich durch eine Summe Geld zu rechter Zeit im Geschäft

machen

kann.

Ob ich Rohstoffe

oder

Waren

zum

Handel auf Kredit gegen den gewöhnlichen Preisaufschlag nehme, oder

mir das Geld zu ihrer Bezahlung borge

keinen Unterschied.

und dieses verzinse, macht

Ob ich jemandem mein Landgut, meinen Obstgarten

verpachte, mein Haus

vermiete und Pacht-

oder Mietzins von ihm

nehme, oder ob ich ihm dieselben verkaufe, das Kaufgeld kreditiere und mir von diesem den Zins geben lasse, ist dem Prinzip nach völlig gleich. für geliehenes Geld hat denselben Charakter und

Der Zins

dieselbe

Berechtigung, wie jener Pacht-, Miet- oder Leihzins, als Entschädigung

des Kapitalisten für die entbehrte, einem anderen überlassene Benutzung seines Kapitals auf eine gewisse Zeit. Und diese Eigenschaft des Kapitals, daß es, auch ohne unmittel­

bare Tätigkeit des Eigners, sobald es irgendwie mit menschlicher Arbeit

in Verbindung gesetzt wird, als werbend auftritt, einen Ertrag, eine Rente gewährt, ist gleich wohltätig nach allen Seiten.

Wie würde sich

jemand entschließen, sein Kapital jemals einem anderen zu überlassen, mit dem ihn nicht etwa die oben erwähnten engeren Bande verknüpfen, wenn er nicht selbst mit an dem Vorteil teilnehme, die es dem Dritten gewährt?

Das Kapital ist die Frucht seiner Tätigkeit und Enthaltsam­

keit — wird nicht jeder den Preis seiner Mühe selbst genießen wollen?

Erst durch die Kapitalsrente, den Zins, wird der Kredit aus dem engen Bereich der Sympathie, gewisser bloß persönlicher Beziehungen — Verwandtschaft, Freundschaft und dergleichen — in den des allgemeinen

Interesses gerückt, die Ausnahme zur Regel erhoben und so erst jene breite Grundlage gewonnen, wie sie ein

so wichtiger Hebel des

menschlichen Verkehrs erfordert. Dazu kommt, wie wir bereits andeuteten, daß bei jedem Verleihen

von Kapital stets eine nähere oder entferntere Gefahr vorhanden ist, dasselbe zu verlieren.

Nur wenn

das Unternehmen, in welchem das

Kapital angelegt wird, gelingt, fließt dasselbe aus dem Ertrag wieder an

den Eigner zurück.

Wenn nun auch der Kapitalist sich meistens vorsehen

wird, an einen unsoliden Geschäftsmann oder zu einem der gewöhnlichen Garantien ermangelnden Unternehmen Geld herzugeben, so

daß jener

schlimme Fall gewiß nicht die Regel im Kapitalverkehr bildet, so kommt er doch vor.

Wenn also hiernach bei dem Verleihen zu dem Entbehren

des Kapitalgenusses gar noch die Gefahr des Verlustes kommt, so würde, träte nicht der Zins, die Kapitalsrente, hinzu, es an jedem

natürlichen Antrieb bei den Menschen fehlen, sich darauf überhaupt ein­ zulassen. Me Ansammlung wie die Übertragung der Kapitalien würden alsdann in ihren wesentlichen Beziehungen gelähmt, zum größten Nach­

teil unserer wirtschaftlichen Entwicklung, welche in so außerordentlichem Grade vom Wachstum und ungestörten Umlauf der Kapitalien abhängt. Und diese Rücksicht wird noch verstärkt, wenn man sich in die Lage

des weniger bemittelten Arbeiters denkt, mag er sich vom Betriebe eines eigenen kleinen Geschäfts nähren oder für seine Leistungen von

anderen gelohnt werden. zurückzieht,

Was würde aus ihm, wenn er sich im Alter

um von seinen mäßigen Ersparnissen zu leben, gewährten

diese nicht irgendwie einen Ertrag?

Welche enormen Summen müßten

die Menschen sammeln, um eine Versorgung im Alter zu haben, wenn dieses angesammelte Vermögen keine Rente abwürfe, nicht durch Zins

auf Zins im Laufe der Jahre anwüchse, sondern rein konsumiert würde! — Wie weit langte da der Arbeiter, der sogenannte kleine Mann mit dem mühsam Erübrigten?

Mag er dasselbe jetzt in ein gangbares Geschäft ge­

steckt haben, welches, einem anderen Arbeiter übergeben, ihn für den Rest seiner Tage noch mit ernähren soll, mag er es in eine jener Jnvalidenoder Altersversorgungskassen allmählich eingesteuert haben — ohne die Nutzbarkeit, die Rente, wodurch sich die in den einzelnen Jahren ein­

gelegten Steuern, so groß oder gering sie sind, im Laufe der Zeit von selbst verdoppeln, würde es niemals auch nur annähernd für die be­

scheidensten Ansprüche genügen.

Tausende würden erfordert, um, auf

eine Reihe von Lebensjahren verteilt, auch nur eine kümmerliche Existenz

zu decken, und kaum würde so viel damit erreicht, wie jetzt mit Hunderten. Gerade in der von so vielen Unverständigen so verschrieenen Kapitals­ rente, in dem Zins, den es trägt, liegt ein stetig fortzeugender Segen, der in seinen Endresultaten allen zustatten kommt, und dem kleinen Kapital

des Arbeiters

gerade am meisten not tut, soll es auch nur den be­

scheidensten Ansprüchen genügen.

Ja, Zins ist lästig!

Hebt den Zins auf, und der Kredit ist weg,

und wenn ihr ihn am nötigsten braucht, fehlt er euch! Was wir aber noch besonders hervorheben bei diesem Kreditieren, ist: daß es wiederum, gleich der Kapitalsrente selbst, in seiner Wurzel auf

sittliche Voraussetzungen, auf Vertrauen zu der Tüchttgkeit, der Rechtlichkeit

der Menschen gegründet ist. Und auf diese Weise erhalten wir auf dem Felde des Erwerbs, bei welchem Unkenntnis und vornehme Überhebung

so oft alle besseren Regungen ausgeschlossen meinen, den trösllichen und

erhebenden Satz:

56

Schulze-Delitzsch.

„Daß der weitaus größte Teil des wirtschaftlichen Verkehrs auf

der ganzen Erde auf Kredit, d. h. dem wirklichen Wortsinn nach auf Treu und Glauben beruht, und daß die Menschen bei immer weiterer Entwicklung dieser Grundlage in ihrem Erwerbsleben tüchtig vorwärts gekommen sind, sich also dabei nicht verrechnet haben können."

Nicht bloß den einzelnen, die gerade selbst im Falle eines Über­ schusses oder Bedürfnisses sind, überläßt man daher in unseren Tagen mehr diese so wichtige Kapitalversorgung nebenher, vielmehr ist die

Vermittlung des Kredits zu einem selbständigen Geschäft der wichtigsten Art geworden, dem Bankgeschäft. Viele Tausende von Privat- und öffentlichen Banken bilden ein Netz über alle zivilisierten Länder, und welche Bedeutung in neuester Zeit unsere Volks- und Handwerkerbanken, unsere Vorschuß- und Kreditvereine erlangt haben, die, recht eigentlich ein Institut des deutschen Handwerker- und Arbeiterstandes, darauf be­ rechnet sind, dem kleinen Mann Kapital zuzuführen und ihn hinsichtlich seines Kreditbedürfnisses unabhängig zu machen, darüber haben wir uns bei dem weiteren Borschreiten unserer Besprechungen noch besonders zu unterhalten.

e) Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter. Wenn wir weiter zu der wichtigen Frage über den Einfluß des Kapitals auf die Lage der Arbeiter übergehen, so heben wir zunächst

nach demjenigen, was wir über die Wirksamkeit desselben auf die produktive Arbeit im vorigen entwickelt haben, folgendes hervor: 1. Das Kapital ist ohne Verbindung mit der Arbeit, mit einem produktiven Unternehmen, tot; es trägt keine Rente, keinen Zins, sinkt zum bloßen Verzehrmittel herab, wird aufgezehrt, ohne sich wieder zu erzeugen; es hat danach das stete Bestreben nach Anlage

in irgendeinem Geschäft oder Erwerb; die Arbeit übt eine natür­ liche Anziehungskraft auf dasselbe aus.

2. Es vermittelt uns bei der Arbeit die Naturhilfe, Arbeitsstoffe, Werkzeuge und Subsistenzmittel; woraus es besteht, das sind ja eben die Punkte, wo wir auf das Dazwischentreten der Natur angewiesen sind, und jede Kapitalsanwendung läuft darauf hinaus, Naturerzeugnisse und Naturkräfte uns bei der Erwerbs­ tätigkeit zu Gebote zu stellen, sie zu unseren Arbeitszwecken heran­ zuziehen, wie wir dies ausführlich in unserem ersten Vortrage be­

sprochen haben.

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

57

Das Kapital ist daher einmal bei der Arbeit unerläßlich notwendig,

weil ohne dasselbe die Vornahme einer Arbeit geradezu unmöglich ist, und sodann nützt es im höchsten Grade dabei, indem es die Arbeit leichter und ergiebiger macht.

Der schon im ersten meiner Vorträge

entwickelte Satz:

„daß die Arbeit um so weniger Anstrengung kostet und doch um

so mehr leistet, je mehr die Natur sie unterstützt," ist so selbstverständlich, daß ich ihn nicht nochmals begründe.

Je reich­

licher und je besser in der Qualität mir die Stoffe zu Gebote stehen,

je vollendetere und passendere Werkzeuge und Arbxitsvorrichtungen ich habe, desto Vorzüglicheres kann ich liefern, desto schneller und leichter kann

ich arbeiten.

Jedes, auch das einfachste Werkzeug, davon sprachen wir

schon, setzt Naturkräfte für die Arbeiter in Tätigkeit, und was hier Maschinen leisten, ist allen bekannt. Hier nur ein paar Beispiele. Als die erste Papiermaschine in England (1806) hergestellt wurde, stieg die

Ergiebigkeit der Produktion — oder, was dasselbe ist, fielen die Produktions­

kosten — so, daß man das Papier um das Dreifache billiger geben konnte.

Die neuere verbesserte Maschine von Dickinsdn aber liefert jetzt

aus der nassen, gestampften Masse die Bogen vollkommen trocken und

fertig in drei Minuten, während man vorher drei Wochen zu allen dazu­ gehörigen Operationen bedurfte! — Sodann sehe man einmal in unseren

großen Walzwerken usw. einen Dampfhammer arbeiten, regiert durch den Fingerdruck eines Knaben, der durch sein ungeheures Fallgewicht mit einem Schlage mehr leistet, als zehn starke Männer durch stundenlanges Hämmern vermöchten.

wir unter Männern,

Und solche Beispiele gibt es zu Tausenden, die die dies meist aus praktischer Erfahrung kennen,

nicht weiter anzusühren brauchen. Ist nach alledem das Kapital das notwendige Erfordernis wie der treue Gehilfe des Menschen bei der Arbeit, so scheint es schon darum schwer begreiflich, wie es eine für die arbeitenden Klassen, deren Gedeihen

von dem Gedeihen der Arbeit im allgemeinen doch nicht wohl getrennt werden kann, feindliche Macht sein soll, was man von einigen Seiten

den Arbeitern einzureden sucht.

Wir werden uns mit diesem Punkt

etwas genauer zu beschäftigen haben, um manchen folgeschweren Irrtümern

zu begegnen. Zuerst kommt hierbei die unumstößliche Wahrheit in Betracht, daß wir im Kapital, als der Summe früherer Arbeitserzeugnisse, die wir für unser Geschäft brauchen, weiter nichts als Arbeit bezahlen. In der Tat

ist alles Kapital seinem letzten Zweck nach nichts weiter als Lohnfonds,

58

Schulze-Delitzsch.

und jede Kapitalanlage läuft schließlich unfehlbar auf Zahlung von Arbeitslöhnen hinaus. Nehmen wir einmal, um uns dieses wichtigen Satzes zu versickern,

sämtliche denkbare Mlle in dieser Beziehung vor. Also ich lege mein Kapital in meinem eigenen Geschäft an, was will das sagen? Zu­

erst, ich zahle davon Löhne an meine Arbeiter; ferner, ich brauche Werkzeuge und Rohstoffe — aber was heißt das anders, als ich zahle die Arbeitslöhne derer, welche jene Dinge fertigen, zubereiten, sammeln usw.

Endlich, ich verwende es zum Bau von Werkstätten, Lagerhäusern und dergleichen — wiederum nichts anderes, als ich bezahle die Bauarbeiten und die Arbeiten derjenigen, welche das Baumaterial, Steine, Hölzer, Kalk, herstellen und herbeischaffen.*) Ganz dasselbe geschieht, wenn ich mein Kapital nicht im eigenen Geschäft anlege, sondern verborge, d. h. zu einem fremden Unternehmen gegen Zins hergebe. Denn das Verleihen eines Kapitals kann nur zum Zweck irgendeiner gewerblichen Anlage gedacht werden, weil es, wenn es der Schuldner nicht selbst werbend benutzte, sondern bloß verzehren wollte, weder zurückerstattet noch verzinst werden könnte. So betreibt z. B. die Aktiengesellschaft, deren Obligationen ich nehme, Bergbau, eine Eisenbahn, ein Bankgeschäft, oder eine Spinnerei und dergleichen; der Grundbesitzer, dem ich mein Geld auf Hypothek gebe, beschäftigt sich entweder mit Landwirtschaft oder dem Bau und Vermieten von Häusern; der Kaufmann oder Handwerker, dem ich leihe, treibt vielleicht Warenhandel oder Möbel-, Schuh- und Kleider­ produktion. — Ja sogar im letztmöglichen Falle, wenn jemand sein Vermögen nicht in einem produktiven Unternehmen anlegt, sondern rein verzehrt, vielleicht zum Studieren oder Erlernen irgendeines Kunstzweiges verwendet, oder auch es im reinen Luxus vergeudet, selbst in diesem Falle ändert sich das Schlußergebnis nicht, selbst in diesem Falle zahlt er am Ende nichts weiter als Arbeitslöhne. Das Honorar der Lehrer, der Preis der Bücher, die Verwendung für Wohnung, Kleidung, Nahrung,

was sind sie anders als Löhne für die Arbeiten der bei diesen Leistungen irgendwie beteiligten Personen? Und wenn ich mir eine schöne Villa *) Daß natürlich unter allen diesen Arbeitern und den ihnen zukommenden Löhnen auch die Unternehmer und Leiter der Geschäfte, deren Tätigkeit in den meisten Fällen die weitaus wichtigste und schwierigste von allen ist, mit in Anschlag kommen und ihr Teil erhalten müssen, versteht sich von selbst, da mit dieser Stellung außer dem Hauptanteil der Arbeit auch noch daS Risiko des in das Geschäft gesteckten Kapitales, der Frucht früherer Arbeit verbunden ist, was wir hier ein für allemal bemerken.

baue, Delikatessen der teuersten Art, feine Weine, kostbare Mldwerke und Geräte anschaffe, in welche andere Hände gelangt das Geld, als in die Hände derer, welche zur Herstellung aller dieser Gegenstände mittelbar

oder unmittelbar Arbeiten verrichtet haben? — Kurz, wie wir schon

andeuteten: „Jede irgend denkbare Verwendung von Vermögen, die produktive

Kapitalanlage so gut, wie die bloß unproduktive Konsumtion, die reine Verzehrung,

hat stets den Zweck, menschliche Arbeits­

erzeugnisse und Leistungen sich zur

Verfügung zu

stellen

und

läuft schließlich unfehlbar auf Zahlung von Arbeitslöhnen hinaus."

Um diese Naturnotwendigkeit zu vermeiden, müßte jemand seine Mittel geradezu wegwerfen oder vergraben, d. h. sie ungenutzt oder un­

gebraucht liegen lassen, jeder Verfügung darüber, jeder Verwendung der­ selben entsagen. Hieraus folgt,

daß durch die Vermehrung, das Wachstum der

Kapitalien die vermehrte Beschäftigung und bessere Löhnung der Arbeiter

bedingt wird, und daß, wenn nicht etwa die Vermehrung der Arbeiter in noch größerer Progression stattfindet, als die des Kapitals, Lohn und

Beschäftigung dadurch steigen.

Wie der Preis aller Waren davon abhängt, einerseits in welcher Menge sie zu haben sind, andererseits wie stark der Begehr .danach ist — vom Verhältnis des Angebots zur Nachfrage also — so auch die

Höhe der Arbeitslöhne.

Je mehr Kapital in einem Lande vorhanden

ist, desto mehr industrielle Unternehmungen können nicht nur, sondern

werden ganz bestimmt entstehen, weil das Kapital ohnedies keine Anlage

fände und tot liegen bleiben müßte. Je größeren Umfang aber wiederum die Gewerbstätigkeit annimmt, desto mehr Arbeiter werden gesucht, desto mehr steigt die Nachfrage nach Arbeitern.

Geht sie über das Angebot,

über die Zahl der Beschäftigungsuchenden hinaus, d. h. sind weniger

Arbeiter vorhanden, als man haben möchte, oder gerade nur soviel, so

steigen die Löhne, die Arbeiter haben die Wahl unter den Arbeitgebern;

im umgekehrten Falle sinken sie, und die Arbeitgeber sind in der Lage, unter den Arbeitsuchenden zu wählen und ihre Bedingungen zu machen.

Unter allen Umständen ist also das Kapitalwachstum in einem Lande

den Arbeitern günstig.

Weiter

hat

aber auch

die durch

das

Kapital bewirfte größere

Leichtigkeit und Ergiebigkeit der Arbeit andere günstige Folgen, deren

Einfluß auf die arbeitenden Klassen nicht ausbleiben kann. Einmal wird die Billigkeit der meisten Produkte dadurch in hohem

60

Schulze-Delitzsch.

Maße gefördert, unter denen natürlich die verschiedenartigsten Konsumartikel,

deren gerade die arbeitende Klasse als die zahlreichste bedarf, eine hervor­ ragende Stelle einnehmen. Daß die dadurch herbeigeführte Verminderung

der Ausgaben ebenso wohltätig für den Haushalt einer Arbeiterfamllie wirkt, wie eine Vermehrung der Einnahmen, ist klar. Eine ganze Menge von Gegenständen, die vorher ausschließlich für den Verbrauch der mehr

bemittelten Stände dienten, sind dadurch weiteren Konsumtionskreisen zu­

gänglich geworden, und die ganze Lebenshaltung unserer Arbeiter hat sich auf eine Stufe gehoben, von der vor 40 bis 50 Jahren keine Rede

war.

Man vergleiche insbesondere Wohnung, Kleidung und häusliche

Einrichtung der Arbeiter in der Gegenwart mit den Zuständen des ge­

nannten Zeitabschnittes, und man wird den erheblichsten Fortschritt nicht

verkennen, wieviel auch in dieser wie in anderer Hinsicht noch zu wünschen übrigbleibt. Sodann aber kann es nicht fehlen, daß die erhöhte Leichtigkeit der Arbeitsmethoden, welche das Kapital so außerordentlich fördert, den Ar­

beitern gerade in den allerwichtigsten Beziehungen, in der Hebung des geistigen und sittlichen Elements, mehr und mehr zustatten kommen muß.

Denn wenn denselben dadurch die rohsten, auf bloß mechanischer An­ wendung der Muskelkraft beruhenden Verrichtungen erspart und den Natur-

kräften aufgebürdet werden, wird der einzige Weg der Erlösung für viele

von mühseligem, sie in leiblicher und geistiger Verkümmerung nieder­ haltendem Tagewerk beschritten.

Eine gewisse Summe solcher Dienst­

leistungen der niedrigsten Art ist nun einmal unentbehrlich, um die für die Gesamtheit notwendige Gütermasse herzustellen, davon kommt man

nicht los.

Aber das ist eben der Charakter des durch das Wachstum

des Kapitals, des geistigen wie des sachlichen, vermittelten Fortschritts in der Industrie, daß das Handwerk immer mehr Kopfwerk wird,

daß jene Verrichtungen, wie sie das Altertum den Sklaven zuwies, mehr und mehr den Naturkräften zufallen und wir in den Maschinen, deren Bann die Elementargeister zu unserem Dienst heranzwingt, eine

immer bereite, nie versagende Sklavenschar erhalten, deren eiserne Riesen­

arme uns jenen Ausfall hundertfältig ersetzen. Gerade in diesem Verlauf

der Dinge ist die Verheißung enthalten: daß auch die Arbeiter, wenn erst die ganze Entwicklung im vollen Flusse sein wird, wenn sie selbst

erst immer bewußter in dieselbe eingetreten sind, nicht mehr über ein Verfehlen ihrer menschlichen Bestimmung zu llagen irgend Grund haben

werden, daß ihnen vielmehr Zeit und Kraft gelassen wird, neben ihrem Broterwerb die edleren Anlagen und Keime ihrer Natur zu pflegen und

an dm höheren Interessen des öffentlichen und Privatlebens sich lebendiger, als ihnen bisher möglich war, zu beteiligen.

Nach alledem wird sich der grobe Fehlschluß ergeben, mittels dessen

man hier und da die Arbeiter, zu ihrem eigenen größten Schaden, gegen das Kapital einzunehmen gesucht hat. Eben weil mittels des Kapitales,

besonders durch die Maschinen, Arbeitskräfte gespart werden, so kämen dadurch Arbeiter außer Brot, so sagt man. — Dabei übersieht man

zunächst, daß, wenn wirklich einmal in einem Geschäft durch Maschinen

oder sonstige Verbesserung der Arbeitsmethoden Menschenkräfte erspart

werden, dies doch nur alsdann die Entlassung von Arbeitern zur Folge haben kann, wenn man sich darauf beschränkt, dieselbe Summe von Waren

zu produzieren wie vorher.

Das ist aber in der Praxis nie die Folge

einer solchen Verbesserung, vielmehr produziert man mit derselben Arbeiter­

menge eben mehr als vorher, erweitert sein Geschäft, welches ja bei der Ersparnis in den Betriebskosten rentabler wird, und durch die größere Billigkeit seiner Artikel größere Kundenkreise anlockt.

Niemand schränkt

sein Geschäft ein, wenn es mehr als bisher abzuwerfen anfängt, vielmehr

dehnt er es in solchem Falle aus. — Wenn aber wirklich einmal jemand bloß den früheren Geschäftsumfang beibehalten und eine Anzahl Arbeiter

entlassen sollte, nun, so bedenke man doch, daß alsdann ja auch ein Teil seines Betriebsfonds, weil nun weniger Löhne zu zahlen sind, nicht

mehr gebraucht und zu anderweiter Anlage ftei wird und, wie wir sahen, gar nicht anders als wiederum in Arbeitslöhnen seine Anwendung suchen kann. Man vernichtet doch diesen Überschuß nicht, man muß ihn ja doch

irgendwie verwenden; derselbe fließt daher anderen Geschäften zu, wo er

notwendig nach wie vor zur Löhnung von Arbeitern dient.

Eine solche

Verbesserung in den Arbeitswerkzeugen und Methoden hat daher niemals zur Folge: „daß weniger gearbeitet wird", sondern: „daß dasselbe

Maß von Arbeit mehr hervorbringt, als bisher"; das halte man

ein für allemal fest.

Werden daher an der einen Stelle Arbeiter aus

obigem Grunde überflüssig, so werden sie dafür an der anderen Stelle gebraucht.

Ja, es findet von ihnen, bei dem angedeuteten Gange der

Dinge, gegen früher nicht nur eine gleiche, sondern eine immer steigende Zahl

Beschäfügung.

Denn wenn die Arbeit im ganzen leichter und

lohnender wird, so lockt das notwendig an, und der Lohnfonds wird

nicht

bloß nicht vermindert,

sondern steigt

beträchtlich, weil die

Unternehmer mehr Gewinn als bisher ziehen und also mehr zu ihrem Kapital schlagen, welches wiederum in immer gesteigertem Maße seine Anlage entweder in Vergrößerung der bisherigen oder in neugegründete»

Schulze-Delitzsch.

62

Etablissements sucht. Ist doch z. B. in der Herstellung solcher verbesserten

Arbeitswerkzeuge und Vorrichtungen selbst, namentlich im Maschinen­

bau, ein ganz neuer, höchst wichtiger Arbeitszweig gegründet, der vielen Tausenden fleißiger Hände lohnende Beschäftigung gibt, wie die groß­

artigen Etablissements in Berlin selbst schlagend nachweisen. Das einzige, was daher von diesem Einwurf zugegeben werden kann, ist, daß allerdings vorübergehend für Arbeiter einzelner Etablissements, ja selbst ganzer Arbeitsbranchen, durch eine plötzliche Änderung in der Betriebsweise Verlegenheiten entstehen können, da das Unterkommen in anderen Geschäften, der Übergang zu anderen Beschäftigungsarten, sich

keineswegs so leicht und so bald bewerkstelligen läßt, und es mag wohl kommen, daß der Fortschritt für die Gesamtheit mit manchen Unzuiräglichkeiten, ja mit dem zeitweiligen Notstände einzelner erkauft werden muß.

Aber daß die arbeitenden Klassen im ganzen und allgemeinen durch das

Wachstum der Kapitalien

und

die dadurch bedingte Verbesserung der

Betriebsarten nicht beeinträchtigt, vielmehr in jeder Hinsicht nur gefördert werden, glauben wir dargetan zu haben, und daher müssen solche Über­

gänge zum Heil des Ganzen durchgemacht werden, indem man den augen­

blicklich Notleidendenden beispringt, so gut es geht. Wie stünde es sonst

mit dem Fortschritt!

Man nehme z. B. die zahlreichen Abschreiber von

Büchern, die einen sehr guten Verdienst hatten und bei Erfindung der Buchdruckerkunst in große Not kamen und ihr Brot verloren.

man deshalb sollen dre Buchdruckerkunst verbieten?

Bildungsstufe ständen

Hätte

Und auf welcher

wir jetzt, wenn man es getan hätte? —

damit stehen die gemachten Erfahrungen überall im Einklang.

Und

Betrachten

wir einmal die Baumwollwaren- und Eisenproduktion in England,

wo der Umschwung in der Fabrikationsweise seit Ende des vorigen Jahr­ hunderts so ungeheuer hervortritt.

Im Jahre 1785 stellte Watt die

erste Dampfmaschine in einer Baumwollenfabrik auf, und gleich darauf wurde der mechanische Webstuhl von Arkwright erfunden, jedoch erst seit Anfang dieses Jahrhunderts angewendet.

Während die in England

verarbeitete rohe Baumwolle im Jahre 1785 nur gegen 18000000 Pfund betrug, war sie 1849 auf 775000000 Pfund,

1856 bis

1857 auf

877000000, also nahezu auf das Fünfzigfache gestiegen und die Zahl

der Arbeiter in den

damit beschäftigten Fabriken trotz der Maschinen

unendlich vermehrt, so daß nach einer Schätzung im Jahre 1849 in Großbritannien 1300000 Menschen (einschließlich der Familienglieder

der Arbeiter, besonders der teilweise mitbeschäftigten Kinder) von diesem

Industriezweige lebten.

Und dabei war, was die Hauptsache ist, der

Arbeitslohn unausgesetzt gestiegen. Ein Baumwollspinner sGarn Nr. 300) bekam an Geld Wochenlohn: 1804:

32 Vs Schilling in 74 Arbeitsstunden,

1833:

42»/,



„ 69

1850:

40



„ 60



Um einen sicheren Maßstab für die Vergleichung hierbei zu finden, muß die Summe der Besriedigungsmittel, welche der Arbeiter zu verschiedenen

Zeiten für seinen Lohn haben konnte, berücksichtigt und dessen Steigen oder Sinken danach bemessen werden.

Die mit dieser Ermittelung im

Jahre 1833 betraute englische Parlamentskommission hat deshalb

die Löhne auf die Quantitäten Mehl und Fleisch reduziert, welche man durchschnittlich zu den verschiedenen Zeiten dafür haben konnte, als die Hauptnahrungsmittel der Arbeiter, mit deren Preisen die der übrigen

Bedürfnisse der Regel nach im Verhältnis stehen.

Danach ergab sich

die wöchentliche Lohnhöhe eines männlichen Baumwollarbeiters in

England im Durchschnitt auf: im Jahre:

an Weizenmehl:

oder an Fleisch:

1804

117 Pfd.

62'/, Pfd.

1814

175



67

1833

267



83

1850

320



85



wobei obenein die Arbeitszeit seit 1833 von 74 auf 60 Stunden wöchent­ lich gemindert war.

Wenn man hierzu das Sinken der Preise,vieler

anderer wichtiger Verbrauchsartikel rechnet (die gedruckten Kattune z. B. sind seit 1820 bis 1849 durchschnittlich von 12»/, Pence auf 4 Pence für die Elle, also mehr als das Dreifache, gesunken, die weißen Kalikos von 8 auf 2’/9 Pence), so dürfte, da die Löhne der Summe nach eher gestiegen als gefallen sind, und z. B. die am geringsten bezahlten Arbeiter,

wie Spinner, Weber, Bleicher, 1849 nicht unter 24 Pfd. Sterling jährlich (ca. 160 Taler preuß. Kurant) außer ihren Frauen und Kindern erhielten, die entschiedene Verbesserung des Loses der Arbeiter außer allem Zweifel sein.

Dieselbe Erfahrung bietet die Eisenproduktion.

Jahre 1740 in England und Wales nur

Während im

17000 t (ä 2000 Pfd.)

Roheisen gewonnen wurden, betrug jetzt das Erzeugnis, Schottland hinzu­

gerechnet, 1396000000 t! Der Gebrauch der Steinkohlen beim Schmelzen seit 1740 und die Anwendung erhitzter Gebläsluft seit 1827 bewirkten, daß

gegen die frühere Betriebsweise 50 Prozent mehr an Eisen gewonnen und 50 Prozent an Kosten erspart wurden.

Nur durch diese ungeheuere Stei­

gerung der Produktion und die dadurch bedingte Billigkeit ist der vorher nie

64

Schulze-Delitzsch.

geahnte Verbrauch dieses Metalls und mit ihm der materielle Aufschwung unserer Zeit mit ihren Maschinen, Eisenbahnen, Dampfschiffen und der­ gleichen erst ermöglicht und die Zahl sowie das Einkommen der dabei beschäftigten Arbeiter außerordentlich vermehrt. So stieg die Bevölkerung von Birmingham, dem Hauptsitz der Eisenwarenfabrikation in England, von 1801 bis 1841 von 73000 auf 181000 Seelen, und die Arbeiter, welche hier fast immer auf Stück arbeiten, gewannen besonders durch Anwendung der Dampfkraft, indem ihnen die Fabrikanten den Ge­ brauch der in besonderen Lokalen aufgestellten Maschinen in getrennten

Räumen mietweise überlassen. Ebenso ist in Sheffield, wo man plattierte Waren und schneidende Instrumente fabriziert, die Vermehrung des Wohl­ standes wie der Bevölkerung — letzterer von 1821 bis 1841 fast um das Doppelte, von 65000 zu 111000 — sichtbar, indem hier namentlich die Stahlproduktion einen hohen Aufschwung nahm und allein die Aus­ fuhr von Rohstahl, welche 1810 nur 917 t betrug, sich 1849 auf 8095 t belief. In gleicher Weise hat sich in den Fabrikdistrikten des preußischen Westfalen seit vermehrter Ausbeutung der Steinkohlen- und Eisengruben und Einführung verbesserter Betriebsmethoden, hauptsächlich Anwendung der Dampfkraft, die Zahl der arbeitenden Bevölkerung außerordentlich gehoben und zugleich damit die Höhe der Löhne, indem fortwährend Arbeiter aus anderen Gegenden herangezogen werden müssen und die heimischen, trotz der Fruchtbarkeit ihrer Familien, nirgends zureichen. Alles ist aber nur die Folge des Zuströmens und schnellen Wachstums der Kapitalien, welche, gelockt von dem günstigen mittels der verbesserten Betriebsmethoden erzielten Erfolge, in der dortigen großartigen Industrie ihre Anlage suchen, eine Erscheinung, welche naturgemäß und notwendig unter denselben Bedingungen überall dieselbe ist.

f) Einfluß des Kapitals auf die Zivilisatton. Habe ich so versucht, Ihnen die Bedeutung des Kapitals im Erwerbsleben, seine Beziehungen zur Arbeit, darzulegen, und manche irrige Vorstellung darüber zu berichtigen, so erübrigt noch eins. Was ich schon bei unserer ersten Unterhaltung flüchtig andeutete, das tiefe Eingreifen der auf Befriedigung unseres leiblichen Bedürfnisses gerichteten Arbeit in das höhere Kulturleben, das werden wir, nach dem

Borausgeschickten, vor allem auf die Bildung und das Wachstum der Kapitalien in der menschlichen Gesellschaft zurückzuführen und hier einen Augenblick zu verweilen haben.

Nur in der durch Entdeckung und Benutzung der von uns erwähnten Hilfsmittel gesteigerten Leistungs-

fähigkeit der menschlichen Arbeit, wodurch sie in immer reichlicherem

und vollkommenerem Maße die Versorgung aller mit allem bewirkt und einen Überschuß ihrer Gesamtproduküon über das Gesamtbedürfnis ergibt, fanden wir die Möglichkeit der aufsteigenden Zivilisation.

Nur

dadurch, daß ein immer größeres Maß von Kräften, die bis dahin in

der Sorge für des Leibes Nahrung und Notdurft gebunden waren, darin aufgingen, frei und in den Stand gesetzt wird,

sich höheren geistigen

Aufgaben zu widmen, kommt ein Volk, kommt die Menschheit im ganzen vorwärts. Dieser Überschuß der Produktion, diese von der augenblicklichen

Verzehrung erübrigte, der Zukunft, als unentbehrliche materielle Unterlage jener höheren Bestrebungen, vorbehaltene Gütermasse ist aber eben das Kapital.

Und nicht nur, daß es die Bedürfnisse der Zukunft deckt, wirkt

es wieder auf das stetige Wachstum der Leistungsfähigkeit der Arbeit zurück und multipliziert sich unaufhörlich selbst in unabsehbarer Steigerung.

Werfen wir daher zum Schluß, um uns das wohltätige Gesamt­

ergebnis dieses Ganges

der Dinge für alle klarzumachen, einen Blick

auf das, was auf solche Weise im Laufe der Jahrhunderte an Errungen­

schaften für die gesamte Menschheit gewonnen worden ist. wir, seitdem sich

unser Geschlecht

aus

Da sehen

mühsamen Anfängen

empor­

gearbeitet hat, Millionen fleißiger Hände neben- und nacheinander emsig

am Werke.

Da häuft man allmählich an Nahrung, Kleidung und Gerät

Vorrat auf, schafft Wohnungen und Werkzeuge zu

allerlei Gebrauch,

macht Land urbar, Ströme schiffbar, baut Kanäle, Straßen und Eisen­ bahnen usw.

Und

nicht bloß auf die Herstellung solcher körperlicher

Dinge und Werte, nicht bloß auf

die Ansammlung von Sachgütem

beschränkt sich diese Vorsorge, dieses weitaus in die Zukunft greifende Tun. Wie von diesem ein Überschuß zurückbleibt zu weiterer Verfügung, der von dem gegenwärtigen Geschlecht nicht konsumiert wird, so sammelt

sich auch ein Fonds von Gedanken und Erfahrungen, der nicht aufgeht

im Tagwerk, der vielmehr bleibt, obschon er dauernd dabei

genutzt und gerade dadurch immer erhöht wird.

Aus ihm aber entwickeln

sich allmählich die großen gemeingültigen Wahrheiten und Entdeckungen,

die Schätze der Wissenschaft, als Resultate der allgemeinen Einsicht und Erfahrung, ein geistiges Gesamtkapital zu dem materiellen, von

womöglich noch größerer Bedeutung als dieses.

So vermag der Mensch

sein ganzes Sein und Wirken in ein bleibendes Resultat zusammenzufassen,

Gedanken und Tat gegenständlich, greifbar zu fixieren, die Stoffe, die ihm die Natur gewährt, ja seine ganze Umgebung, seinen Zwecken gemäß um­

zugestalten und ihnen den Stempel seines Willens aufzudrücken. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.

5

Aus

66

Schulze-Delitzsch.

diese Weise gewinnt der einzelne eine Bedeutung über die Grenze seines physischen Lebens hinaus, eine Wirksamkeit für nachkommende Geschlechter. Vermöge des Charakters der Dauerbarkeit, der Übertragbarkeit,

welcher den Früchten seines Denkens und Tuns anklebt, wird stets ein großer Teil davon als Überschuß seines Schaffens über sein Verzehren Gemein­ gut der folgenden Generation und häuft sich von Jahrhundert zu Jahr­

hundert gleich

einem

großen

immer wachsenden

Erbe

des

ganzen

Menschengeschlechts, in welches die Nachkommen gleich von Geburt aus

Blicken wir um uns in unserer nächsten Umgebung, in dieser

eintreten.

großen Hauptstadt, was nehmen wir wahr? — Viele Tausende von

öffentlichen Gebäuden und Privatwohnungen, mit allem Gerät zum Ge­ brauch reich ausgestattet, deren sich mehrere Geschlechter teils schon bedient

haben, teils nach uns noch bedienen werden, ohne daß sie nötig hätten, für ihr Obdach und eine Masse von dringenden Bedürfnissen des öffent­

und Privatlebens, welchem diese Dinge dienen, eine Hand zu

lichen rühren.

Welche ungeheuere Kapitale sind hier und in allen zivilisierten

Ländern angelegt, in Straßen und Transportmitteln, in Landkulturen

und Pflanzungen, in

Werken

und

Werkzeugen

zu

friedlicher Arbeit

wie zur Verteidigung des Landes gegen den äußeren Feind,

weit

über

die Gegenwart,

über

die alle

augenblickliche Bedürfnis

das

ihrer

Gründer und Verfertiger hinausgehen und den Nachkommen die Mühe sparen, das alles erst von neuem zu schaffen!

Und jene Ansammlung

und Ausbildung vollends von Wissen und nützlichen Fertigkeiten, von

Entdeckungen und

Erfindungen, die Leben und Arbeit immer leichter

machen, das größte, welches das

reichste

und

unverwüstlichste Kapital

von

allen,

stets gesteigerte Wachsen der übrigen erst möglich macht!

Was ist da nicht alles von grauer Vorzeit her auf uns gekommen und

was denken wir nicht alles wieder für unsere Nachkommen hinzuzufügen! Welche

unabsehbare

Aussicht

für

die Menschheit!

So

werden

den

folgenden Geschlechtern alle die kümmerlichen Anfänge gespart, an welchen

die Vorfahren sich mühsam abarbeiteten in den verschiedenen Zweigen

menschlicher Tätigkeit und Kenntnis.

Indem die ersteren da beginnen,

wo die letzteren stehen blieben, müssen sie es notwendig weiter bringen, bis sie endlich auch ihrerseits, bei einem gewissen Endpunkte angelangt,

diesen einer späteren Generation wiederum als Anfangspunkt übermachen. — Welcher ungeheure Unterschied zwischen den Besten und Weisesten unter

den Völkern des Altertums in ihren rohen und verkehrten Vorstellungen von den gewöhnlichsten Vorgängen

der

uns umgebenden Natur und

einem unserer Schulknaben, dem die Gesetze des Sonnensystems, die Er-

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

67

klärung der wichtigsten Naturerscheinungen und Kräfte als etwas Gemein­ verständliches gleich von Haus aus mitgegeben werden!

Ferner welcher

mrgeheure Unterschied zwischen den Leistungen jener frühesten Menschen, welche (gleich den wilden Völkerschaften entfernter Kontinente noch heute)

mit höchst unvollkommenen Werkzeugen, zumeist auf ihre Muskelkraft angewiesen, mühsam ihres Lebens Notdurft gewannen, und dem Riesen­

fortschritt der heutigen Industrie, welche mit den kunstvollsten Maschinen und sinnreichsten Arbeitsmethoden alles hinter sich läßt, was man im

Altertum von den Wunderwerken der Zyklopen fabelte!

Und in alle

diese Errungenschaften tritt das gegenwärtige Geschlecht, wir alle, meine Herren, ohne Ausnahme ein, ohne sich dafür zu bemühen und ohne sich dafür zu bedanken, wie in eine ihm von Rechts wegen gebührende Mit­ gift. Weit entfernt, sich bei dem Überkommenen zu beruhigen, dasselbe müßig zu genießen,

findet es darin

nur einen Sporn, neue Schätze

seinerseits hinzuzufügen und es so bereichert und vermehrt wieder seinen

Nachkommen zu überlassen.

Alles dies, dieser großartige, wunderbare Vorgang, vollzieht sich tagtäglich vor aller Augen, obschon viele das geistige Band, welches die

Einzelerscheinungen verknüpft, nicht beachten und deshalb die Bedeutung Sie aber, die Sie mit mir den

des Ganzen mißkennen.

Gang der

Dinge aufmerksam ins Auge gefaßt haben, werden mich verstehen, wenn ich diesen Teil unserer Betrachtung dahin zusammenfasse:

„daß die Fähigkeit der Kapitalansammlung bei den Menschen

gleichbedeutend ist mit ihrer Kulturfähigkeit, indem vom Wachstum dieses geistigen und sachlichen Kapitals der Menschheit jeder Fort­

schritt in der Zivilisation, die allmähliche Vervollkommnung mensch­ licher

Zustände

in

intellektueller,

sittlicher

und

wirtschaftlicher

Hinsicht notwendig bedingt wird." Und Sie werden sich um so lieber, meine Herren, mit mir in dieser Anerkennung vereinigen, wenn sie bedenken:

„daß diese Wirkungen des Kapitals allen, dem Armen wie dem Reichen, zustatten kommen."

Mag man sich über die ungleiche Verteilung des Kapitals im ein­ zelnen, über das erfolglose Ankämpfen des kleinen gegen den großen

Besitz beklagen, über das ungerechte Maß, mit welchem die Früchte der Arbeit zwischen deren Teilnehmern und dem Kapitalisten bemessen werden — Punkte, welche uns beim nächsten Vortrag beschäftigen werden — jenes

große Gesamtkapital kommt allen zustatten.

ganzer Nationen, ja der

ganzen

Menschheit,

In dasselbe treten ein, wie in ein gemeinsames

68

Schulze-Delitzsch.

Erbe, alle Nachgeborenen, welchem Stande, welcher Gesellschaftsklasse sie auch angehören, und wenn man in Arbeiterkreisen hier und da auch

noch der Meinung sein mag, daß die Kapitalansammlung bei den einzelnen

den

nichts

übrigen

helfe — das Anwachsen jenes Gesamtkapitals

an

Bildung, Besitz und Gesittung, welches unsere ganze Zeit, alle Ver­

hältnisse im öffentlichen wie im Privatleben sozusagen als die geistige Lebenslust durchdringt und demselben seinen Stempel aufdrückt, ist ein Segen für alle.

wie

der

Wie sehr namentlich unsere Arbeiter daran teilnehmen,

ihnen so

regste Bildungstrieb gerade bei

kraftvoll Wurzel

ein lebendiges Zeugnis

geschlagen hat, davon, meine Herren, ist

die

heutige, wie so viele andere Versammlungen, in denen man es unter­ nehmen konnte, die Arbeiter der preußischen Hauptstadt mit so ernsten

und schwierigen Fragen zu beschäftigen.

Und es ist eine Freude für

jeden, für den gelehrtesten und gebildetsten, mit Ihnen in dieser Art zu

verkehren, das sage ich aus mehrfacher Erfahrung, und viele der so­ genannten höheren Kreise könnten sich ein Beispiel nehmen an dem Ernst und der Haltung, die solche Versammlungen beseelt.

Eben daraus schöpfe

ich auch die Hoffnung und den guten Mut für das Gelingen des Werks,

das wir alle, Sie und ich und viele Gleichgesinnte noch außer ihrem Stande, im Herzen tragen, für dessen geistige, sittliche und wirtschaftliche

Hebung.

Wie viel auch noch zu erstreben ist, eins ist erreicht, die Haupt­

bedingung zum Gelingen des übrigen.

Die Kluft von Bildung und

Unbildung klafft nicht mehr zwischen den Arbeitern und den

übrigen Ständen.

Wir verstehen uns, wir sind uns näher gekommen.

Sie, meine Herren, haben begonnen, wo man beginnen muß.

Sie sind

Lernende geworden und haben so die erste der Weihen empfangen, ohne welche man die Bahnen freier menschlicher Entwicklung niemals Endlich: Sie haben sich auf sich selbst gestellt in Ihrem

betreten kann.

Beginnen, auf die eigene Kraft — und, meine Herren, Bildung und

Tatkraft, daß sind die Bürgen Ihres endlichen Sieges!

III. Lausch, Wert und frei« Konkurrenz. Ich spreche heute zu Ihnen zunächst vom Tausch, der Grundform

des menschlichen Verkehrs, und sodann vom Wert, als Dingen, die in notwendiger

Wechselbeziehung

zueinander

nur

an einander erklären lassen.

das

wichtige

die ja

in

bekannt ist.

und

der

vielbestrittene

Arbeiterfrage eine

Dabei Kapitel

stehen,

und

kommen

der

die

wir

freien

sich

zugleich

beide

auf

Konkurrenz,

ziemliche Rolle spielt,

wie Ihnen

a) Das Eigenintereffe und seine Wirkungen im HanShalt der Gesellschaft. Wir hatten in den ersten Vorträgen gesehen, daß sich alle Arbeit auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bezieht und nur diese zum

Zwecke hat.

In dem Bedürfnis, welches mit dem Menschen auf die

Welt kommt, und in dem Drang nach Befriedigung, der unmittelbar in

das Bedürfnis eingeschlossen ist, sahen wir die treibende Kraft im Haus­ halt der Gesellschaft, die den einzelnen antreibt, sich anzustrengen, um

zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu

gelangen — eine gebieterisch

treibende Kraft, weil an die Befriedigung gewisser Bedürfnisse das leibliche Dasein des Menschen selbst geknüpft ist.

Weiter sahen wir, daß der Mensch als ein denkendes Wesen, als

ein Wesen mit Verstand und mit Willen begabt, natürlich auf diesen sich unaufhörlich wiederholenden Vorgang, auf diesen Kreislauf von Be­

dürfnis — Anstrengung — Befriedigung, wirkung zu erhalten bestrebt war.

eine

geregelte Ein­

Als die planmäßige Tätigkeit, welche

auf die Regelung zukünftiger Bedürfnisse sich richtete, erkannten wir eben die Arbeit.

Nun wissen Sie ebenfalls aus den früheren Vorträgen, daß

die Form, in welcher der Mensch innerhalb der menschlichen Gesellschaft

arbeitet, die Teilung der Arbeit, die Scheidung der Einzeltätigkeiten in gewisse Arbeitszweige ist, zu der die einzelnen durch die verschiedene Begabung ihrer Natur ganz von selbst hingedrängt werden,

und ohne

welche wir nie zur vollkommenen Befriedigung unserer Bedürfnisse zu

gelangen vermöchten.

Niemand sucht durch seine Anstrengung alle die

Mnge, die er gebraucht, unmittelbar selbst herzustellen

— das würde

ihm geradezu unmöglich sein — sondern ein jeder wählt eine bestimmte

Arbeitsbranche, eine besondere Beschäftigung, er stellt nur eine gewisse Klasse von Artikeln her, die er und seine Mitmenschen brauchen, und ist, da alle andern ebenso verfahren, sicher, daß er seinen Begehr in den

verschiedensten Dingen für das Mehr seiner eigenen Arbeitsprodukte, das er nicht selbst konsumiert, von ihnen erhalten kann.

So entwickelt sich

aus dieser Arbeitsteilung heraus von selbst der Tausch als die Grund­ form alles menschlichen Verkehrs.

Dabei stoßen wir auf einen Grundzug im Wesen des Menschm, welcher mit jener Nötigung zur Arbeit, deren wir gedachten, im uächsten Zusammenhänge steht, auf das mit Unrecht so verschrieene Eigeninteresse. Wir erkennen in ihm die wohltätige Ausgleichung

zwischen zwei ent­

gegengesetzten Strömungen unserer Natur, zwischen der allen Menschen

eingeborenen Trägheit und dem Bedürfnis.

Nur in dem Bedürfnis

liegt der Sporn, so fanden wir, die Trägheit zu überwinden und den

70

Schulze-Delitzsch.

Menschen zur Anstrengung zur vermögen.

Aber auch so

tut er nicht

gern mehr, als er muß, obschon er in Beziehung auf seine Bedürfnisse

den brennenden Wunsch hegt, sie so vollkommen als möglich zu befriedigen. Beide widerstreitende Antriebe vermittelt nun eben das Eigeninteresse, die berechtigte Selbstsorge, die Liebe, die ein jeder für sein eigenes Ich hat.

Es stellt sich uns dar, als das stetige Verlangen und Streben

jedes Menschen, seine Bedürfnisse in immer vollkommnerem

Grade und mit immer leichterer Mühe zu befriedigen.

Prüfe

sich nur jeder selbst, darauf läuft doch sein ganzes Trachten auf wirt­

schaftlichem Gebiete hinaus: soviel als möglich zu haben und so

wenig als möglich dafür zu tun. Und, meine Herren, es liegt ein großer, tiefer und weiser Sinn in dieser Veranstaltung der Natur.

Denn, sehen Sie, wäre dem nicht so,

wo bliebe da der gewerbliche Fortschritt?

Eben weil der Mensch so­

viel als möglich von seiner Arbeit haben will, weil er sich die Arbeit

so leicht als möglich machen will, eben deswegen, aus Scheu vor der

Anstrengung, wird er erfinderisch.

So fühlt er sich getrieben, unablässig

darauf zu denken und darüber zu sinnen: wie kannst du dies oder jenes

wohl besser anfangen?

Wie kannst du dir Mühe ersparen?

Wie kannst

du deine Arbeit ergiebiger machen und mehr Frucht davon ziehen?

Diesem

Zuge unserer Natur verdanken wir also die meisten großen Entdeckungen und Erfindungen auf gewerblichem Gebiet.

Das Eigeninteresse ist es,

das den Menschen sein ganzes Leben lang treibt, vorwärts zu kommen, es immer weiter zu bringen, und das ihn erst mit dem Tode verläßt.

Soll

es indessen seine wohltätige Macht bewähren, so sind dazu zwei Voraus­ setzungen nötig. Die erste ist die Freiheit. Um dem Antriebe seines Eigeninteresses

gemäß seine Kräfte schaffend walten zu lassen, bedarf

der einzelne un­

gehemmten Spielraum dazu, wie wir schon im ersten Vortrage sahen, indem sonst weder das Resultat der Selbstsorge, die Sicherung der leib­ lichen Existenz, erreicht, noch die Verantwortlichkeit dafür dem im Ge­ brauch seiner Kraft Behinderten aufgebürdet werden kann. Andrerseits bedarf es aber auch einer Schranke dieser Freiheit, damit das Eigeninteresse den

einzelnen nicht zu Ausschreitungen fort­

reiße, welche der Gesamtheit schaden.

Diese findet sich indessen in der

Natur des Verhältnisses selbst gegeben.

Ich verlange als einzelner für

mich, daß man der Gebahrung meiner Kräfte in Beschaffung meiner

Subsistenzmittel freien Spielraum gebe.

Ich bin aber nicht allein

ans der Welt, meine Herren, neben mir sind noch andere Menschen

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

71

da, Wesen, ausgestattet mit gleichen Bedürfnissen und gleichen Kräften, auf deren ungehemmten Gebrauch sie so gut, wie ich, zum Behuf der

Befriedigung ihrer Bedürfnisse angewiesen sind.

Ja noch mehr — nur

im Wechselverkehr, nur in gegenseitiger Aushilfe gelangen wir alle zu diesem erwünschen Resultat, wir bedürfen einer des andern, wir sind auf friedliche Gemeinschaft miteinander von der Natur angewiesen.

Deshalb

ist es im gemeinsamen Interesse aller geboten, daß jedem der ungehemmte

Gebrauch

seiner Kräfte,

das freie Spiel seines Willens gewährleistet

werden muß, jedoch mit der Bedingung, daß er in das gleiche Recht

des andern, der dieselbe Freiheit, denselben Spielraum für sich fordert,

nicht hemmend und störend eingreife.

Dies der bestimmte Rechts­

kreis, dessen Schutz Sache der Staatsgewalt ist, innerhalb dessen sich jeder bewegen mag, und den er um so lieber den andern zugestehen wird, als er nur dadurch ihn für sich selbst sichert.

Und hier stehen wir an

dem Punkte, in welchem sich die Sonderinteressen der einzelnen zum

Gesamtinteresse

zusammenschließen.

Sicherheit,

Rechtsschutz,

Friede — dies die Bedingungen des Gedeihens für alle, an denen allen

gleich sehr gelegen ist — wo sich das Eigeninteresse nicht bloß als Hebel der Einzeltätigkeit, sondern ebensosehr als Triebkraft für das gesellschaftliche

Zusammenleben bewährt.

Seinen Ausdruck findet diese Anerkennung des

Rechtes der andern im eignen Interesse, unter Bedingung der gleichmäßigen Respektierung

des

eignen Rechtes,

in

dem

Grundsatz

der

Gegen­

seitigkeit. Vermöge des Eigeninteresses will jeder, wie wir sahen, von seiner Tätigkeit soviel als möglich haben und so wenig als möglich dafür tun. Das wäre nun ein sehr eignes Ding, wenn bloß ein einzelner Mensch

mit diesem Eigeninteresse begabt wäre; es ist dies aber eine allgemeine Eigenschaft der menschlichen Natur.

Alle Menschen, die neben mir leben,

denken in dem Punkte ganz ebenso wie ich, und daraus, daß dieser Hang

nicht bloß einen treibt, sondern alle beseelt, aus dieser Allgemeinheit ent­ wickelt sich die natürliche Schranke, deren wir gedachten in der Gegen­ seitigkeit ganz von selbst, mit der für alle wirtschaftlichen Beziehungen

in der ganzen Welt gemeingültigen Formel: „Keine Leistung ohne Gegen­ leistung, nichts umsonst, nichts ohne Entgeld" — welche sich uns als das Eigeninteresse des einen, ausgewogen durch das aller andern,

ihrem letzten Grunde nach darstellt.

Während ich hiernach gesonnen bin,

für meine Leistungen, wenn ich einem

andern meine Produkte,

meine

Dienste anbiete, soviel als möglich zu erlangen, und ihm für feine Er­

zeugnisse und Leistungen so wenig als möglich zu geben, hegt der andere

Schulze-Delitzsch.

72

gerade dieselben Absichten, und Sie können es sich schon allein vorstellen,

daß in der Regel (wo nicht andere den geschäftlichen Beziehungen fremde Beweggründe eintreten) niemand dem andern etwas umsonst zu geben geneigt sein wird.

Niemand wird dem andern in seinem eignen wahl­

berechtigten Interesse die Resultate seiner Arbeit, seine Zeit, seine Dienst­

leistungen zu Gebote stellen, ohne daß der andre ihm etwas als Rekompens, als Belohnung, als Gegenleistung dafür gewährt.

b) Der Tausch. Die Regelung dieses Verhältnisses ist aber der Tausch, der Tausch im weitesten Sinne, nicht bloß als Umwechselung zweier Sachen (z. B.

eines Ochsen für 20 Stück Schafe u. dgl.), wie man ihn im gemeinen

Leben aufzufassen Pflegt.

Vielmehr begreifen wir darunter jedes Ge­

schäft, vermöge dessen jemand einem andern irgend etwas von Wert,

gleichviel ob Sachgüter oder Dienstleistungen, zur Verfügung stellt, und etwas anderes, seien es wiederum Sachgüter oder Dienstleistungen, oder auch Geld, als Gegenleistung, Entschädigung oder Lohn dafür empfängt.

Daß jeder dem andern etwas

gegeben oder getan

und etwas wieder

dafür empfangen hat, darin liegt das Wesen des Tausches.

Was zunächst seine Möglichkeit anlangt, so

haben wir dieselbe

bereits aus der Arbeitsteilung hergeleitet, welche wiederum auf der Übertragbarkeit der Erzeugnisse menschlicher Arbeit beruht, worüber

wir im ersten Vortrage ausführlich gesprochen haben.

Ohne Arbeits­

teilung wäre der Tausch unmöglich, und ohne Tausch die Arbeitsteilung nutzlos. Der erstere ist nichts, als die Ausführung der letzteren, die sonst ohne allen praktischen Wert bliebe.

Jede Hemmung des freien Aus­

tausches von Arbeitsprodukten und Dienstleistungen tastet

demnach den

großen Grundsatz der Arbeitsteilung an, der wir es, wie der erste Vor­ trag zeigte, allein danken: „daß die Kräfte des Menschen größer

sind, als seine Bedürfnisse."

Arbeitsteilung und Tausch sind beide

das Hauptbindemittel der menschlichen Gesellschaft, die Grundbedingung der aufsteigenden Kultur.

Seinem Motiv nach beruht der Tausch auf dem Eigeninteresse. Ich wünsche meine Bedürfnisse so vollkommen als möglich zu befriedigen. Das kann ich nicht, wenn ich mir die Dinge alle selbst machen soll. Vielmehr bin ich darauf hingewiesen,

mit anderen in Beziehung zu

treten, mit ihnen zu tauschen, ihnen meine Dienstleistungen oder die Früchte meiner Arbeit zu Gebote zu stellen, weil sie ohne dies mir ihrer­

seits die Produkte ihrer Arbeit nicht zur Verfügung stellen würdm,

um die es mir doch zu tun ist.

Deshalb stellt sich aber als notwendiges

Element, in welchem allein der Tausch sich entwickeln kann, soll er seinen Zweck nicht verfehlen, die Freiheit heraus, da sich ohne dies das Interesse

gar nicht dabei würde betätigen können.

Jede der tauschenden Parteien

sucht lediglich ihren Vorteil dabei und stellt eine Berechnung mit sich an, ob sie bei dem Tausch besser zur Befriedigung ihres Bedürfnisses gelangt, als auf andre Weise. Dies drängt mit Notwendigkeit darauf hin, daß alles der freien Übereinkunft der Tauschenden überlassen werden

muß.

Darüber, was ich bedarf und was ich an mein Begehren setzen

wU, vermag kein Dritter ein Urteil zu fällen, weil dies ausschließlich meinem eigensten, innersten Empfindungskreise angehört.

Ich muß da­

her tauschen können, mit wem ich will, und Bedingungen dabei eingehen,

wie sie mir passen und vorteilhaft erscheinen.

Niemandem kann das

Recht zugestanden werden, mich zum Tausche mit jemand zu nötigen oder davon abzuhalten, ebensowenig mir vorzuschreiben, mehr oder weniger als Gegenleistung zuzugestehen, als ich Lust

habe.

Denn mit jedem

solchen Eingriffe wird der Zweck des Tausches für mich verrückt,

sein

Resultat zu einem meinen Interessen widerstreitenden, und das ganze Geschäft der Sphäre alles Verkehrs, der freien Übereinkunft der Be­ teiligten entrückt, die allein zu beurteilen befugt sind, was ihnen zusagt

oder nicht.

Gehen wir auf die Formen des Tausches über, in denen er im Verkehr austritt, so begegnen wir zuerst der einfachen Umwechslung,

deren wir schon gedachten, als der ursprünglichsten, die in den kindlichen Zeiten des Menschengeschlechts, in den Uranfängen aller Geschichte, ge­

herrscht hat.

Zwei bestimmte Sachen, jede unmittelbar zur Befriedigung

eines Bedürfnisses dienend, werden für einander hingegeben, in Natur ausgewechselt.

Der eine

gibt Vieh und nimmt dafür Getreide, jener

bekommt Waffen und Gerät und liefert dafür Wein und Früchte usw. Allein so wird das heute nicht mehr gemacht, das wissen Sie aus Er­

fahrung.

Jener ursprüngliche Tausch hat dem Kauf im Verkehr Platz

gemacht.

Man wechselt jetzt nicht mehr unmittelbar Arbeitsprodukt gegen

Arbeitsprodukt um, sondern es gibt eine Zwischenware, das Geld, die allen Tausch vermittelt.

Das Bedürfnis einer solchen Zwischenware

stellte sich sehr bald heraus, als die Menschen in geordnetere, geregeltere

Zustände, in lebhaftere Beziehungen zueinander traten. Jene uranfängliche

Form des Tausches, der Naturaltausch (so wollen wir ihn nennen), hemmte den Verkehr zu sehr, machte ihn zu mühsam, zog ihm zu enge

Grenzen.

Da fiel man darauf, eine Zwischenware zu finden, die von

74

Schulze-Delitzsch.

allen und zu jeder Zeit begehrt werde, und welche den Tausch erleichtere. In den ältesten Zeilen haben namentlich Haustiere als solche gedient,

worauf z. B. der Name des Geldes bei den Römern (pecunia von pecus) hindeutet.

Dies bezeugen mehrfache urkundliche Nachrichten, ich erinnere

z. B. an eine Stelle in den berühmten Homerischen Gesängen aus der

alten Griechenzeit, wo Stiere als solche Zwischenware und damit zu­

gleich als Wertmesser zur Schätzung anderer Dinge aufgeführt sind. Zwei der kämpfenden Helden tauschen dort ihre Rüstungen, die eine ist von Gold und die andere von Erz, und da hat man gleich die Taxe

nach Stieren bemessen, wie bei uns nach Talern, und die eine wird

auf hundert Stiere, die andere auf neun Stiere taxiert. sich in alten Zeiten.

So half man

Indes, meine Herren, bei der unendlichen Ver­

schiedenheit des Wertes einzelner Stücke derselben Gattung unter den

Haustieren und ihren großen Preisschwankungen eignete sich dies Aus­

kunftsmittel nicht so recht, und es begannen bei gesteigertem Verkehr die

edlen Metalle mehr und mehr die früheren Tauschmittel zu verdrängen.

In neuerer Zeit hat man sie allgemein in der Form des Geldes als Zwischenware beim Tausch eingeführt, wobei es, wenn nicht für immer,

so doch sicher für lange Zeit verbleiben wird, denn in der Tat entspricht

dasselbe allen Anforderungen, die man zu diesem Zwecke machen kann. Die Unentbehrlichkeit und große Bedeutung einer solchen Zwischen­ ware wird jedermann einleuchten, wenn er bedenkt, daß der bloßen Um­

wechslung ihrer Natur nach ziemlich enge Grenzen gezogen sind, sowohl hinsichtlich der Gegenstände des Tausches, wie der dabei beteiligten Per­ sonen.

Wie will z. B. ein Baumeister ein Haus, die Frucht seiner

Tätigkeit innerhalb eines Jahres, gegen

die tausenderlei

wechseln, die er während dieser Zeit braucht?

Dinge um­

Er muß Kleidung, Möbel,

Fleisch, Brot, Bücher, Feuerung, Licht usw. haben, alles von verschiedenen Personen und zu den verschiedensten Zeiten, und kann doch nicht das Gebäude in tausend Stücke zerlegen und das eine davon heut, das andere

morgen, jedesmal für eins jener Bedürfnisse, umwechseln.

Wie soll ein

Arzt, ein Advokat es einrichten, daß er jedem, von welchem er für den Augenblick irgend eine Sache bedarf, Wissenschaft leistet?

Kreis der

gerade einen Dienst mit seiner

Ebenso geht die Umwechslung niemals über den

persönlichen Bekanntschaft hinaus.

Man muß voneinander

wissen, die gegenseitigen Bedürfnisse kennen, in persönliche Beziehungen

zu einander treten, wenn sie zustande kommen soll. Kurz, die Menschheit würde sehr bald am Ende des Tausches, der Arbeitsteilung mit ihren unermeßlichen Segnungen, d. h. am Ende des Fortschntts stehen, wenn

man nicht in jener Zwischenware das Mittel gefunden hätte, welches zwischen das Bedürfnis und dessen Befriedigung tritt, mit der Aufgabe:

den in seiner Unmittelbarkeit auf den engen Kreis bestimmter Persönlich­ keiten beschränkten Vorgang dergestalt zu verallgemeinern, daß nicht bloß jeder mit dem, der sein spezielles Bedürfnis zu befriedigen imstande ist,

sondern alle mit allen tauschen können.

Anstatt daß ich nämlich für

meine Sache oder Leistung von dem, welcher dieselbe entgegennimmt, un­ mittelbar meinen Bedarf erhalte, nehme ich die fragliche Zwischenware,

für welche ich dann, je nach Lust und Gelegenheit, das mir Wünschens­ werte von jedem beliebigen Dritten jederzeit eintauschen kann.

Selbstverständlich wird eine solche Zwischenware ihre ^Bestimmung

um so besser erfüllen, je sicherer und bequemer der Empfänger dafür sein eigenes Bedürfnis in den verschiedensten Arttkeln dafür einzutauschen

vermag.

Sie muß

daher

zunächst

der

Art sein, daß sie selbst ein

dauerndes, allen gemeinsames Bedürfnis befriedigt, daß sie möglichst all­

gemein begehrt wird.

Ferner muß sie leicht transportabel und auf­

zubewahren, dem Verderben und Wertschwankungen so wenig als mög­ lich ausgesetzt sein, sowie leicht abzuschätzen, leicht wäg- und teilbar sein. Allen diesen Anforderungen entsprechen unter allen bekannten Gegen­ ständen nun zumeist die edlen Metalle.

Unter Hinzutritt der öffent­

lichen Garantie, welche durch das Münzgepräge die einzelnen Metall­

stücke mit dem Stempel eines festen Gehalts in Quantität und Qualität

(Schrot und Korn) versieht und so ihre Abschätzung fixiert, ist daher gegenwärtig das Geld überall zu dieser wichtigen Rolle im Verkehr er­

hoben und die Macht geworden, welche in allen zivilisierten Gemein­ wesen den Tausch vermittelt.

Und so ist die Umwechslung fast überall

in unserm Verkehr in die kompliziertere Form des Tausches, in den

Kauf übergegangen, die zwar den wirtschaftlichen Charakter der erstern nicht ändert, sich jedoch insofern von ihr unterscheidet, als der Zweck des ganzen Vorgangs, die Befriedigung

Parteien, nun

nicht mehr

der Bedürfnisse

unmittelbar davon erreicht

der tauschenden wird.

Indem

mindestens der eine Teil, der Verkäufer, die Zwischenware, das Geld, erhält, wird dessen Stoff, das edle Metall, nur in den allerseltensten

Fällen sein Bedürfnis befriedigen, wie etwa beim Goldschmied, wenn et einen Dukaten einschmelzt, um das Gold zu verarbeiten. er für

das

Vielmehr muß

erhaltene Geld sich erst dasjenige, was er selbst braucht,

anderswo verschaffen.

Dabei geschieht, im Grunde

genommen, weiter

nichts, als daß anstatt einer einzigen einfachen Umwechslung zwei der­ gleichen

vorgenommen

werden,

wodurch

sich das

Geschäft als

Um-

Schulze-Delitzsch.

76

Wechslung in zwei Akten darstellt, als aus zwei Faktoren zusammen­ gesetzt, welche Kauf und Verkauf heißen.

Jeder behält so das Be­

dürfnis und dessen Befriedigung, den Genuß, für sich, während er die Frucht seiner Anstrengung, welche den letztern bedingt, auf einen andern

überträgt.

Der Tausch, Leistung für Leistung, erhält also sein Recht,

indem derjenige, der dem andern etwas zu dessen Bedarf gewährte, wieder

etwas zum Entgeld dafür bekommt, was, wenn es ihm auch den seiner­ seits gesuchten Genuß nicht unmittelbar gewährt, ihn doch in den Stand

setzt, denselben sich sofort anderweit zu verschaffen, ihn also mittelbar zum Ziele führt.

So verkauft er also erst seine Sache, seine Dienstleistung

für die Zwischenware, das Geld, um mit diesem alsdann eine andere Sache oder Dienstleistung, deren er benötigt ist, für sich zu erkaufen und

indem er nacheinander Verkäufer und Käufer geworden ist, hat er weiter nichts getan, als getauscht.

Um die ganze

unermeßliche Wichtigkeit dieser

Vermittlung

des

Tausches in der Form des Kaufes für den menschlichen Verkehr zu würdigen, mögen uns folgende einfache Erwägungen dienen.

Erstlich wird es allein auf solche Weise möglich, wie wir schon oben andeuteten, daß sich nicht immer erst zwei ängstlich aufsuchen müssen,

von denen grade jeder das besitzt, was der andre braucht, wenn ein Tausch zustande kommen soll.

Vielmehr fragt nunmehr jeder bloß nach einem

Abnehmer seines Produktes, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser Ab­ nehmer ihm gerade dasjenige dafür wiedergeben kann, was er selbst eben

braucht, weil das Geld, welches er für seine Sache erhält, ihn in den Stand setzt, seinen Bedarf sich jederzeit von jedem Dritten zu verschaffen. Ohne dies mußte z. B. A, der ein Sofa veräußern wollte und Getreide

dafür brauchte, lange suchen, bis er einen fand, der erstens ein Sofa

verlangte und zweitens gerade das gesuchte Getreide besaß, um dasselbe dafür geben zu können.

So aber schlägt er sein Sofa an jeden los, der

es verlangt, und kaust sich sein Getreide bei jedem andern, der solches besitzt, von dem Gelde, welches ihm der Abnehmer des Sofas bezahlte.

Der Verkäufer des Getreides, dem es seinerseits ebenfalls durchaus nicht

um das Metall an sich zu tun ist, sondern vielleicht um einen Anzug, verwendet das erhaltene Geld ebenfalls weiter zur Beschaffung seines

Bedarfs von einem Vierten,

und so wandert

dasselbe

als Vermittler

einer unabsehbaren Reihenfolge von Tauschgeschäften von Hand zu Hand,

mit der Wirkung der Befriedigung der Bedürfnisse aller Zwischenbesitzer

auf die für alle möglichst leichteste und bequemste Weise. Ferner

wird

nur durch

eine

solche

geeignete Zwischenware die

Teilbarkeit der zu vertauschenden Gegenstände ermöglicht, ohne welche

der Tausch in den

meisten Fällen sofort stocken würde.

Denn in der

Wirklichkeit stellt sich der Fall fast nie so, daß eine Leistung mit der Gegenleistung von völlig gleichem Werte wäre, und ohne weiteres mit

ihr umgewechselt werden könnte.

B z. B., der einen fertigen Rock um­

setzen will, bedarf nicht bloß Brot,

sondern auch Fleisch, Butter, ein

Paar Stiefel und etwas Feuerungsmaterial, welche Gegenstände in den von ihm gewünschten Quantitäten alle zusammen den Wert seines Rockes

nicht übersteigen.

Allein der Rock kann doch nicht zerschnitten, und seine

Stücke an verschiedene Personen überlassen werden, und doch sind die

dafür begehrten Gegenstände im Besitze verschiedener Personen.

Hier ist

die direkte Umwechslung eben so unmöglich, wie in dem oben angeführten Beispiele von dem Hause, und nur durch die vermittelnde Zwischenware

ist der Tausch und die daran geknüpfte Befriedigung der Bedürfnisse zu bewerkstelligen, indem diese Zwischenware teilbar ist, der Verkäufer des

Rockes oder Hauses also die erhaltene Summe teilen und so zur Be­ friedigung seiner verschiedenen Bedürfnisse einzeln verwenden kann.

Endlich wäre auch durch die bloße direkte Umwechslung Bedürfnissen, die jemand an einem ganz andern Orte und zu einer ganz andern Zeit

braucht und die er im Augenblicke noch nicht einmal speziell anzugeben

imstande ist, nie und nimmermehr abzuhelfen, während die Zwischenware beim Tausch dies alles leicht und auf stets zutreffende Weise erledigt. Man nehme an:

ein Arzt hat eine wissenschaftliche Reise in fremde

Länder vor, zu welcher er sich durch seine ärztliche Praxis die Mittel

verdienen muß.

Er bedarf voraussichtlich während dieser Reise Nahrung,

Kleidung, Transportmittel, Wohnung und Dienste mancher Art.

Un­

möglich kann er diese Dinge für seine gegenwärttgen ärztlichen Dienst­ leistungen einwechseln und auf die Reise mitnehmen, und er müßte die

Reise unterlassen, wäre nicht die Zwischenware, das Geld da, von dem er sich die nötige Summe an seinen ärztlichen Honoraren sparen und

dann gewiß sein kann, daß er dafür, vielleicht erst in Jahren, in ganz fernen Gegenden und von Menschen, denen er selbst nie einen Dienst geleistet, alles Benötigte ohne Schwierigkeit tauschweise zu erhalten ver­

mag.

Ferner ein Advokat in Berlin läßt seinen Sohn in Heidelberg

studieren und

braucht für

Unterhalt und Unterricht.

denselben während dieser

Universitätszeit

Wie wollte er es im Wege der einfachen Um­

wechslung anfangen, sich dies für seine Dienstleistungen von den Leuten

in Heidelberg zu verschaffen, von denen höchstwahrscheinlich niemand seiner Dienstleistungen bedarf?

So aber läßt er sich von seinen Klienten in

78

Schulze-Delitzsch.

Berlin Geld zahlen und ist nun imstande, mit diesem die seinem Sohne

von den

Professoren, Speisewirten, Schneidern, Hausbesitzern usw. in

Heidelberg geleisteten Dienste zu belohnen.

Aus alledem ergibt sich zur Genüge, welche wichtigen Dienste das

Geld der Menschheit von jeher erwiesen hat und noch leistet, indem es

die Entwicklung des Tausches bis in das Unendliche ermöglicht.

Jeder

stellt nun seine Dienste nicht mehr dieser oder jener Person, deren Be­

dürfnisse er, unter ängstlicher Rücksicht auf das eigne, erst mühsam er­ mitteln mußte, sondern der Gesellschaft gewissermaßen im

Gebot,

ohne

ganzen zu

sich darum zu kümmern, wer die dadurch bezweckte Be­

friedigung genießen wird

und

ob

Gegendienst zu leisten imstande ist.

gerade dieser ihm den gewünschten

Ebenso erhält er als Entgelt

nicht

unmittelbare Genußmittel, sondern Geld, mit dem er sich dieselben an­ schafft, wo und wann er will.

Auf solche Weise erhebt sich der Umsatz,

der Verkehr über den Kreis persönlicher Beziehungen, über Zeit und Raum. Meistenteils weiß niemand, durch wessen Anstrengungen seine Bedürfnisse

befriedigt werden und wessen Bedürfnissen seine eignen Anstrengungen zugut kommen, da der Tausch durch die Dazwischenkunft des Geldes in

unzählige Umwechslungen sich auflöst, bei denen die Beteiligten die un­

mittelbare Berührung miteinander verlieren.

c) Der Wert. Unmittelbar

an den Tausch

knüpft sich nun

der

Begriff

des

Wertes an.

Wie wir sahen, war das Eigeninteresse das Motiv zum Tausch, vermöge dessen wir, um an Mühe und Kosten bei Befriedigung unserer Bedürfnisse zu sparen, uns die Leistungen anderer, die Produkte fremden Fleißes, zu diesem Behufe gegen Hingabe unserer eignen zu verschaffen

suchen.

Notwendig tritt daher in jedem solchen Falle eine Berechnung

bei den tauschenden Parteien ein, eine Veranschlagung dessen, was von

ihnen gefordert wird, gegen das, was sie dafür erhalten, und nur dann werden sie sich zum Tausche entschließen, wenn jede von ihnen bei dieser

Vergleichung findet: daß das, was sie der andern geben oder leisten soll, ihr weniger Mühe und Kosten verursacht, als die Herstellung dessen, was sie dafür bekommt.

Das durch die zu solchem Zweck angestellte Ver­

gleichung gefundene Verhältnis der auszutauschenden Sachen oder Dienste

ist der Wert. Hiernach ist der Wert nicht etwas den Dingen oder Handlungen an sich Anklebendes, keine Eigenschaft, sondern nur eine Beziehung der-

selben zueinander, welche einzig und allein bei ihrem Austausche hervor­

„Ohne Tausch kein Wert", nur gegenseitige Leistungen sind

tritt.

es, die uns zum Begriff des Wertes verhelfen.

Dies vor allem haben

wir festzuhalten, um uns darüber klar zu werden, worin der Wert oder

genauer der Vergleichungspunkt der gegenseitigen Leistungen eigentlich liegt. Daß er nicht in der Stofflichkeit, der

Dauerbarkeit liegen

könne, worin ihn einige suchen wollen, ist demnach gewiß.

Schon der

eine Umstand muß dagegen erhebliche Bedenken erregen, daß alsdann nur Sachgüter Wert hätten, und daß eine Menge von Handlungen, welche

nicht in Produktion eines solchen ausliefen und oft die wichtigsten Dienste einschließen, welche Menschen einander leisten können, wertlos wären;

man nehme nur die Tätigkeit des Arztes, Lehrers, Schriftstellers, Ad­ vokaten, Beamten und anderer.

Freilich sind vielleicht in den meisten

Fällen Sachgüter die Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse. Dennoch

liegt auch in solchen Fällen nicht in dem Dinge an sich, sondern in deffen Lieferung an den Konsumenten der Wert.

Denn die Bedürfnisse

zu befriedigen, müssen die Dinge dem, der das Bedürfnis fühlt, int rechten

Augenblick zur Hand sein.

Nur der Umstand also, daß eine Ware dem

Begehrenden zur Verfügung gestellt wird werden

oder doch jederzeit

kann, gibt ihr Wert, den sie ohnedies und

an

sich,

gestellt wenn

sie sich an einem Orte befindet, wo sich niemand ihrer bedienen kann oder mag,

nicht besitzt,

wie z. B.

die kostbarsten

Erze in den un-

aufgeschlossenen Tiefen der Erde, die edelsten Früchte in den menschen­

leeren Einöden der Tropenwälder, und überhaupt alles, was sich nicht im menschlichen Verkehr befindet.

In allen Fällen ist also die Tätigkeit

eines Menschen im Spiele, durch welche dem Bedürfnisse eines anderen

abgeholfen, d. h. diesem ein Dienst geleistet wird, wenn von einem Werte die Rede sein soll, und sämtliche Sachgüter, die man uns zur Verfügung

stellt, lösen sich, genau besehen, stets in eine Reihe solcher Dienstleistungen

auf, sowie der dafür gezahlte Preis seinem letzten Grunde nach in Arbeits­

lohn.

Nehmen wir einen Gegenstand des allgemeinsten Bedarfs, ein

Dutzend Hemden.

einschlagen.

Um sie mir zu schaffen, kann ich einen doppelten Weg

Einmal kaufe ich mir den Flachs vom Ackerbauer und gebe

ihn an die Spinnerin, welche mir das Garn daraus liefert.

Dieses

schaffe ich wieder zum Leineweber und die gefertigte Leinewand auf die

Bleiche, worauf ich die Nähterin bestelle und nun erst die fertigen Hemden erhalte.

Alle diese Personen, die mir die erwähnten Dienste verrichten,

muß ich bezahlen.

Worin liegt nun der Wert der Hemden, des Schluß-

produkts aller ihrer Leistungen? Offenbar in der Gesamtheit der zu ihrer

Schulze-Delitzsch.

80

Herstellung und Lieferung an mich erforderlichen Leistungen, welche dos Maß

meiner

Gegenleistung

— den für

eine

jede von mir za ge­

währenden Lohn — bestimmen, und im Grunde habe ich nichts als Arbeitslöhne und keineswegs die Hemden bezahlt. Wie aber, wenn ich mir statt dessen die Hemden gleich fertig kaufe? Ändert dies das eigent­

liche Sachverhältnis, ist der Wert nun mit einem Male in die Hemden übergegangen, und wo soll der Unterschied liegen, der das Prinzip des Werts für jeden der beiden Fälle ändert?

Der Verkäufer der fertigen

Ware hat doch ebenfalls die erforderlichen Arbeiten bestellen und bezahlen müssen, und wenn derselbe noch etwas über seine Auslagen am Preise

aufschlägt, so ist dieses Mehr wiederum nur die Belohnung der Dienste, die er dem Käufer geleistet, indem letzterer die Mühe der Annahme und

Kontrollierung so vieler Arbeiter spart und sogleich zur Befriedigung seines Bedürfnisses gelangt, worauf er sonst noch lange hätte warten müssen.

Ebensowenig zutreffend ist die Ansicht derer, welche den Wert in die Nützlichkeit der Dinge setzen, d. h. in diejenige Eigenschaft derselben,

vermöge deren sie uns zur Befriedigung von Bedürfnissen dienen.

Hier

müssen wir uns vor allem auf das von uns früher Angeführte beziehen, wonach es zwei Faktoren gibt, welche alle erdenklichen Dinge und Leistungen

deren der Mensch bedarf, hervorbringen, Arbeit und Naturkraft. Daß das uns von der Natur Gebotene unmöglich einen Wert haben kann,

da es unentgeltlich ist, versteht sich von selbst, und so gelangen wir auch

von dieser Seite dahin, den Wert lediglich in die Arbeit zu verlegen.

So ist es z. B. ein allen Menschen gemeinsames höchst dringendes Be­

dürfnis, zu atmen.

Da aber die Natur selbst uns allen das Mittel zu

Gebote gestellt hat, dieses Bedürfnis zu befriedigen, ohne daß es dazu

menschlicher Arbeit bedarf, so hat dieses Naturgeschenk, die atmosphärische

Luft, trotz ihrer großen unleugbaren Nutzbarkeit, keinen Wert.

Dies

kann sich natürlich nicht ändern, wenn beide Faktoren bei der Nützlichkeit

eines Gegenstandes zusammenwirken, wenn also die Arbeit hinzutreten muß, um eine Naturgabe völlig für unser Bedürfnis zuzurichten. Stets

muß auch hier derjenige Teil der Nutzbarkeit, welchen die Natur gewährt, unentgeltlich, also wertlos sein, und nur die Mitwirkung menschlicher Arbeit kann verwertet werden.

machen.

Folgendes Beispiel wird dies anschaulich

Unter die nützlichsten und unentbehrlichsten Dinge, die es gibt,

gehört das Wasser, da es eines der dringendsten Bedürfnisse, den Durst, befriedigt und auch sonst zu einer Menge höchst notwendiger Verrichtungen gebraucht wird.

Dennoch hat es jeder in dem Quell an seiner Wohnung

umsonst und bezahlt an niemanden etwas, wenn er daraus schöpft. Nun

kann es aber in der Nähe meiner Wohnung daran fehlen, und der Quell, der mir meinen Bedarf liefert, eine Viertelstunde und weiter entfernt sein.

Da das Bedürfnis keinen Aufschub verträgt, muß ich jeden Morgen

den Weg machen, mich für den Tag zu versorgen. Das Wasser hat

seine Nutzbarkeit,

Wie steht es nun?

seine Eigenschaft,

den Durst zu

löschm usw., von der Natur erhalten und behält dieselbe gleichmäßig, der Quell mag nahe oder entfernt von menschlichen Wohnungen fließen.

Allein damit diese Eigenschaft in bezug auf bestimmte Personen An­ wendung finden könne, muß das Wasser im Augenblick des Bedürfnisses

zur Hand sein.

Zur Befriedigung des fraglichen Bedürfnisses gehören

also zwei Momente: 1. daß das Wasser trinkbar, und 2. daß es dem Durstenden zur Hand sei. Das erste Moment gewährt die Natur allein,

ohne menschliches Zutun, das zweite entweder die Natur (wenn ich den Quell in meiner Nähe habe) oder die Arbeit eines Menschen (wenn das Wasser geholt werden muß).

Nur im letzteren Falle kann von einem

Werte die Rede sein, und zwar sobald ich mir das tägliche Wasserholen

sparen will und es mir von einem anderen verrichten lasse, der nun einen Gegendienst, einen Lohn für sich fordert.

Also nicht im Wasser

und dessen Nützlichkeit, sondern in der auf dessen Herbeischaffung ge­ wendeten Arbeit steckt der Wert, wie man leicht daraus ersieht, daß

derselbe mit der größeren Entfernung des Wassers, d. h. mit der minderen oder mehreren Mühe seiner Herbeiholung wächst. Und so verhält es sich

mit allen nur denkbaren Gegenständen, auch den kostbarsten und seltensten. Denn Kostbarkeit und Seltenheit sind keine den Sachen an sich inne­ wohnende Eigenschaften (wie Schwere, Härte usw.), sondern drücken nur

gewisse Beziehungen zum Begehr und Verkehr aus,

und besagen im

Grunde nichts anderes, als daß dergleichen Dinge nur mit großer Mühe

herzustellen oder aufzufinden sind, und daß sie eben der darauf zu wendenden

größeren Arbeit halber auch einen größeren Wert haben.

Ein Diamant,

eine gediegene Silberstufe sind ihrer Seltenheit halber äußerst schwierig

aufzufinden, und weil das Nachsuchen danach viel Zeit, Mühe und Kosten verursacht, und nur deshalb, haben sie großen Wert. Allerdings wünscht man den Diamanten hauptsächlich seiner Härte, seiner Strahlenbrechung halber.

Allein diese Eigenschaften sind, weil sie ihm die Natur verleiht,

unentgeltlich, und fände man ihn, gleich dem Kiesel, in jedem Bache, so würde niemand etwas dafür bezahlen, obschon seine Eigenschaften dieselben

blieben.

So aber sichert ihm seine Seltenheit, die Schwierigkeit seiner

Herbeischaffung seinen Wert. Freilich hört man in der Sprache des ge­ meinen Lebens in allen solchen Fällen sagen: der Diamant, der Eimer Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.

g

82

Schulze-Delitzsch.

Wasser usw. kostet so und soviel, als ob der Wert im Stoffe läge. Ja, um sich aus

der Verlegenheit zu helfen, hat man sogar

zur Auf­

stellung zweier Arten von Wert, eines Tausch- und Nutzwertes, seine Zuflucht genommen, die unter sich verschieden sein sollen, womit man

eigentlich den in der ganzen Begriffsbestimmung liegenden Fehler zu­ gesteht.

Auch schon die tägliche Erfahrung von den Wertschwankungen der

meisten Gegenstände steht mit der von uns bekämpften Auffassung in

Widerspruch.

Denn stäke der Wert in den Dingen, in deren inneren

Eigenschaften und Nützlichkeit, so müßte er, bei der Beständigkeit dieser

Eigenschaften, auch seinerseits immer derselbe bleiben.

So aber steigt

und fällt er bei einer und derselben Sache zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen.

Man

nehme

z. B. eine gewöhnliche

Semmel, die in der Regel wenige Pfennige kostet, bei einer Hungersnot

aber, in einer belagerten Stadt, bisweilen mit Gold ausgewogen werden kann.

Aus dem Stoff des Gebäcks, aus seiner Nutzbarkeit kann dies

niemals erklärt werden, denn darin hat sich nichts geändert.

Die Be­

standteile der Semmel, ihre Nährkraft, vermöge deren sie den Hunger füllt, sind sich in beiden Fällen gleich geblieben, und doch ist der Wert ein ungeheuer verschiedener.

Die ganze Differenz, die wir ganz un­

gezwungen auf den minderen oder höheren Grad der Schwierigkeit zurück­ führen, das erwähnte Nahrungsmittel zu beschaffen, bleibt somit auf jenem

Wege ein ungelöstes Problem. In der Arbeit also,

der Anstrengung des Menschen, welche

er­

forderlich ist, um einen nutzbaren Gegenstand zu unserer Verfügung zu stellen, oder uns einen nützlichen Dienst zu erweisen, steckt einzig und

allein der Wert.

So viel dürfen wir durch die beigebrachten Beispiele

als ausgemacht ansehen, und wenn wir der Kosten dabei gedachten, so

gehören diese in allen Fällen selbst zur Arbeit.

Denn, wie wir früher

dargetan haben, ist das bei einer Arbeit zur Verwendung kommende Kapital stets die Frucht früherer Arbeit, und alle Auslagen lösen sich am

letzten Ende wiederum in Arbeitslöhne auf, so daß der aufgestellte Satz in seinem vollen Umfange zur Geltung kommt. Indessen ist hiermit die Frage noch nicht gelöst.

Denn bekanntlich

vereinigt der Tausch zwei Arbeitsakte, Leistung und Gegenleistung, deren

beide Träger, die Parteien im Geschäft, ein entgegengesetztes Interesse an der Schätzung haben.

Stets wird A für feine Sache ober feinen Dienst

so viel wie möglich haben und B so wenig als möglich dafür geben wollen, mit anderen Worten: Jeder wird die Arbeit des anderen in der

gegenseitigen Leistung so niedrig als möglich, die in der eigenen so hoch als möglich schätzen. Was entscheidet nun zwischen ihnen, worin liegt der schließliche Einigungspunkt? — Sind es die Anstrengung» der Auf­

wand, welche jede dieser Leistungen dem kostet, der sie gewährt? Kann z. B. A sagen: das, was ich dir gewähre, kostet mich drei Tage meiner Arbeit, und du mußt mir nun ebenfalls die Frucht von drei Tagen der

deinigen dafür geben? — Dem widerspricht schon der oben von uns auseinandergesetzte Zweck der Arbeit und des Tausches, die Befriedigung von Bedürfnissen. Natürlich kann es dabei nicht auf das mehrere oder mindere Beschäftigtsein eines Menschen ankommen, sondern auf das, was er dadurch schafft, nicht auf den Akt, sondern auf das Resultat der Arbeit, weil nicht die Bemühung des anderen, sondern deren Produkt übertragbar und geeignet ist, Bedürfnisse zu befriedigen. Wie sehr sich

z. B. auch der Bäcker plagt — wenn ihm sein Teig verunglückt, ehe das Brot daraus fertig wird, so wird niemand von seiner Arbeit satt und niemand wird ihm die gehabte Mühe bezahlen. Ferner kann ein un­ geschickter Arbeiter acht Tage zur Fertigung eines Stückes brauchen, welches ein geschickter in zwei Tagen vollendet, wird deshalb jemand geneigt sein, ihm dafür nun ebenfalls die Frucht von acht Tagen seiner eigenen Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen? — Gewiß nicht. Ferner: einige Arbeiten sind schwierig, andere leicht; zu einigen gehört die Anlage eines großen Kapitals (das Aufopfern der Früchte vieler früheren Arbeit), zu anderen nicht; bei einigen wird eine mühsame, kostspielige Vorbildung erfordert, eine ungewöhnliche natürliche Begabung, bei anderen nicht. Wird man z. B. dem Arzt, dem Staatsmann, dem Künstler zumuten, den Ertrag ihrer Arbeit in einer gewissen Zeitdauer für den des ge­ wöhnlichen Tagelöhners in gleicher Frist hinzugeben? Und doch müßte man dies, wenn in der Arbeit dessen, der den Dienst verrichtet, der Maß­ stab des Werts läge.

Der Schneider, der in drei Tagen für einen

berühmten Maler einen Anzug fertigt, der vielleicht mit 25 Talern be­ zahlt wird, könnte dann von diesem ebenfalls ein in drei Tagen gemaltes Porträt als Äquivalent fordern, wofür gut und gern 100 Luisdor bezahlt

werden.

Endlich kommen auch noch mancherlei Zufälligkeiten ins Spiel,

welche mit zu veranschlagen sind. Jemand findet zufällig einen Diamanten

und verfügt somit über einen großen Wert. Er fordert von einem Lieb­ haber für Überlassung des Steines einen Betrag, welcher dem Arbeits­ erträge desselben innerhalb eines Jahres gleichkommt. Kann nun der Käufer dagegen einwenden, daß der Finder ja kaum eine Minute Zeit nötig gehabt, um den Stein aufzuheben, und so gut wie gar keine Mühe

e*

84

Schulze-Delitzsch.

auf dessen Aquisition verwendet habe, und daß sie doch beide den Ertrag

gleicher Arbeit austauschen müßten, weshalb schon der tausendste Teil seiner Forderung zu hoch wäre? Sicher würde der Finder entgegnen:

daß, wenn der andere die Forderung zu hoch finde, er hingehen möge

und sich selbst einen gleichen Stein suchen.

Freilich könnte der Liebhaber

dann in den Fall kommen, leicht mehrere Jahre und gefährliche und kost­ spielige Reisen an dieses Suchen zu verwenden und am Ende gar nicht

einmal des Erfolges sicher sein.

Und hiermit ist denn auch der eigent­

liche Punkt, auf den es ankommt, getroffen.

Nicht in dem Funde des

Diamanten, sondern in dessen Überlassung an den Liebhaber liegt

der Dienst, welchen der Finder diesem leistet, und es kann dem Liebhaber völlig gleich und muß auf den Wert der Dienstleistung völlig einflußlos

sein, wie es jener seinerseits angefangen hat, um zu dem Stein zu ge­ langen. Der Wert, den die Überlassung des Steines für den Liebhaber hat, ist vielmehr gleich derjenigen Arbeit, welche dem Liebhaber dadurch erspart wird, d. h. demjenigen Aufwand an Mühe und Kosten, welche ihm das eigene Aufsuchen des Steines verursachen würde.

Denn

nur um an eigener Arbeit bei Befriedigung seiner Bedürfnisse zu sparen,

tauscht man überhaupt.

Der Vergleichungspunkt bei Abwägungen der

gegenseitigen Leistungen ist also keineswegs das, was jeder von beiden Teilen in jedem besonderen Falle an Mühe und Kosten bei seiner dem anderen dargebotenen Leistung aufgewendet hat, sondern lediglich: das­ jenige,was jeder durch die Leistung desanderen an eigenerMühe spart oder zu ersparen glaubt. Fordert der andere ein Äquivalent,

welches entweder diese Ersparnis übersteigt oder sie doch völlig aufwiegt,

so geht man eben nicht auf das Geschäft ein, sondern verrichtet sich den Dienst und schafft sich die Sache entweder selbst oder sucht sie von einem

dritten zu erhalten.

Daß natürlich die Schwierigkeit und Kostspieligkeit einer Leistung im allgemeinen, d. h. die Schwierigkeit und Kostspieligkeit, die es

sür einen jeden hat, dieselbe herzustellen, mit jener beim Tausch

gesuchten Ersparnis fast immer zusammenfällt und also auf den Wert von Einfluß ist, versteht sich von selbst.

Nur hüte man sich, dies zu

spezialisieren, so daß man z. B. einem bestimmten Produkt des A, je nach dem Maße von Arbeit, das gerade er dabei aufgewendet hat, einen Wert beimessen wollte, weil dies, wie wir vorstehend zeigten, den ge­ schickten und ungeschickten Arbeiter in eine Klasse werfen, Fleiß und

Faulheit, gute und schlechte Produkte gleich qualifizieren

hieße.

Das

Publikum fragt niemals: was ein Erzeugnis diesem oder jenem Pro-

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

85-

duzenten an Arbeit und Auslagen gekostet hat, sondern schätzt die Arbeit

nur danach: wie ihre Herstellung unter Benutzung aller Hilfsmittel der Produktion und des Verkehrs bei einsichtigem, tüchtigem Betriebe zu stehen kommt.

Und darin hat das Publikum ganz recht. Es bleibt Sache eines

jeden, sich die erforderliche Tüchtigkeit und Umsicht in seinem Erwerbs­

zweige anzueignen, und niemals kann den Konsumenten zugemutet werden,

für jeden Mißgriff, jedes Ungeschick, jeden Mangel in zweckmäßiger Be­ triebsweise,

welches

alles

die Produktion mühsamer und

kostspieliger

macht, zu bezahlen, indem dafür gerechterweise nur der zu büßen hat,

der sie verschuldet.

d) Die Konkurrenz. Außer der Möglichkeit,

sich

eine Sache selbst anzufertigen, einen

Dienst selbst zu leisten, wenn uns von jemandem mehr, als uns billig

dünkt, dafür abgefordert wird, deuteten wir im vorigen noch auf den Ausweg hin: das Gewünschte von einem Dritten zu erhalten, als ein Hauptschutzmittel gegen Überteuerung. In der Tat würde es ohne dies sehr übel um den menschlichen Verkehr stehen.

Denn hätten wir stets

nur die Wahl, eine jede Sache oder Leistung entweder von einer be­ stimmten Person zu entnehmen oder sie uns selbst herzustellen, so würden

wir meist die gestellte Forderung, wie hoch sie auch wäre, bewilligen oder auf die Sache gänzlich verzichten müssen,

weil wir beim

besten

Willen eine verhältnismäßig nur geringe Anzahl von Gegenständen oder Diensten selbst herzustellen oder zu leisten imstande sind.

Der Schlosser

braucht einen Anzug, der Holzhauer eine Säge, die Waschfrau einen Kessel, der Kaufmann ein Pianoforte usw., und keiner von ihnen allen

ist auch nur im entferntesten imstande eines dieser Dinge durch eigene

Tätigkeit herzustellen, und hat nur im Austausch mit andern die Möglich­ keit vor sich, je zu ihrem Besitz zu gelangen.

Wären sie nun bloß auf

eine Person angewiesen, so müßten sie zahlen, was diese verlangte, oder sie bekämen die Dinge gar nicht.

Allein so haben sie statt dieser Alternaüve

noch den Ausweg, wenn sie von dem einen überteuert werden, sich an

andere zu wenden, welche das Gesuchte ihnen ebenfalls zur Verfügung

zu stellen bereit und imstande sind. einen Hauptregulator des Wertes.

So erhalten wir in der Konkurrenz Schon früher

erkannten wir die

Freiheit als das Element der Arbeit wie des Tausches.

Die Befugnis

aller, alles mögliche vorzunehmen, sich mit allem zu beschäfttgen, wobei sie ihre Rechnung zu finden meinen, und die fernere Befugnis aller,

mit allen zu tauschen, ist nun eben die freie Konkurrenz, Gewerbe- und

Schulze-Delitzsch.

86

Handelsfreiheit unter einem, unter deren Herrschaft jeder gewiß sein darf, feine Bedürfnisse im Wege des Tausches auf die möglichst vollkommenste

und billigste Weise befriedigt zu erhalten.

Denn in demselben Grade, wie

die Konsumenten der Begehr des Erwerbs

gewisser Sachen, treibt die

Produzenten der Begehr des Absatzes derselben, weil dieser Absatz ihnen

allein die Mittel gibt, hinwiederum ihren eigenen Bedarf, ihre eigene Konsumtion in anderen Artikeln zu decken.

Und sorge nur niemand,

daß irgend ein Bedürfnis, irgend ein Wunsch

Konkurrenz unbefriedigt bleiben möchte. Eigeninteresse die Beobachtung der

auf diesem Markte der

Es ist wunderbar,

wie das

und Händler schärft

Produzenten

und sie auf das eigenste Begehren, die ganze so ungeheuer wechselnde

Zahl der verschiedensten Bedürfnisse und Liebhabereien aufmerken läßt. Da darf nur hier und da eine Anfrage, ein Begehr auftauchen,

so­

gleich finden sich Leute, die ihnen zu entsprechen bereit sind, sobald sich

Und hat sich ja einmal

nur Aussicht zeigt, ihre Tätigkeit zu verwerten.

ein einzelner eines neu aufkommenden Betriebszweiges, vielleicht mittels

einer eigenen Erfindung, für den Augenblick ausschließlich bemächttgt, sogleich suchen andere, die das höhere Verdienst des ersteren lockt, in

das Geheimnis einzudringen, das sie über kurz

oder lang

sicher ent­

decken, und zum Besten des gesamten Publikums gemeinnützig machen,

indem sie es der allgemeinen Konkurrenz übergeben.

Andererseits kommt

aber auch wieder die Konkurrenz den Produzenten und Verkäufern zu­ statten, ebensogut

wie

den Konsumenten,

da

auf

feiten

der letzteren

ein eben solches Drängen nach dem Erwerb guter und billiger Waren

stattfindet wie seitens der ersteren nach Absatz.

Nicht bloß von jeder­

mann zu kaufen macht sie den Konsumenten möglich, sondern auch

an jedermann zu verkaufen den Produzenten, so daß die letzteren,

so gut wie die ersteren, vor unbilligen Bedingungen bei dem gegen®

seitigen Austausch geschützt sind und nicht in den Fall kommen, ihre Ware um ein Spottgeld hinzugeben, so lange sie dieselbe bei anderen zu besseren Bedingungen anbringen können.

Das entgegengesetzte Interesse

beider Teile, dessen wir gedachten, vermöge dessen der eine so teuer als

möglich seine Arbeit abzusetzen, der andere so billig als möglich seinen Bedarf anzuschaffen wünscht, findet eben nur in dieser allseitigen Kon­ kurrenz seine Ausgleichung.

Denn während den Verkäufer das Interesse

antreibt, den möglichst hohen Preis zu fordern, nötigt ihn die Konkurrenz, sich vor Ausschreitungen zu hüten, damit nicht ein Mitproduzent ihn unterfordere und er mit seiner Ware sitzen bleibe.

Und indem hinwiederum

der Käufer in seinem Interesse stets den möglichst niedrigen Preis zu

bieten geneigt ist,

hindert ihn wiederum die Konkurrenz, zu weit zu

gehen, weil sonst ein anderer Liebhaber ihm die Sache vorweg kaust.

Nach alledem erscheint der Wert wesentlich als die Tauschfähig­ keit der Dinge und wird einerseits von dem Maße bestimmt, in welchem die gesuchten Sachen oder Dienste vorhanden oder zu haben sind — dem

Angebot derselben — andererseits von dem Grade, in welchem sie gesucht

werden, von der Zahl der darnach Begehr Tragenden — von der Nach­ frage — weil eben von dem Jneinandergreifen beider Momente größere oder geringere Schwierigkeit oder Leichtigkeit abhängt, sich die Dinge zu

verschaffen.

Aber nur mittels

der freien Konkurrenz, welche für

Angebot und Nachfrage den weitesten Spielraum läßt, vermag sich der

gerechte Wertmaßstab auf diese Weise im wahren Interesse der Gesamtheit herauszustellen.

Denn

nur durch eine solche Verallgemeinerung

des

Verkehrs, durch eine solche Zulassung aller werden Forderung und Gebot

der Willkür der einzelnen, dem Druck des Monopols entrückt und ge­ wissermaßen

auf eine Gesamtschätzung

des ganzen

Publikums,

des produzierenden wie des konsumierenden, zurückgeführt.

Dagegen betrachten Sie einmal die Kehrseite der freien Konkurrenz, die Arbeits- und Handelsbeschränkung zugunsten einzelner Per­ sonen oder Klassen, das Monopol.

Was, so frage ich, erreicht man

durch diesen sogenannten Gewerbeschutz, und wer braucht ihn? Der

tüchtige, der fleißige, der unternehmende Arbeiter wahrhaftig nicht, der hält es mit den andern schon aus, der kommt mit fort. Nur das kann man dadurch bewirken, daß auch die Faulheit und Unfertigkeit, die Dumm­ heit und der alte Schlendrian bestehen, weil man das Publikum zur

Kundschaft bei ihnen nötigt.

Daß durch ein solches Verfahren alle Ver­

vollkommnung in den Gewerben zum Schaden des Ganzen ausgeschlossen wird, nicht nur zum Schaden der Konsumenten, sondern der Produzenten

selbst, die durch diesen Polizeischutz von außen am Ende jeden Halt in

sich, wie ihn nur die eigene Tüchtigkeit gewährt, verlieren und in ihren Leistungen immer mehr zurückbleiben, lehrt die Erfahrung, und die Lage des Arbeiterstandes in den einzelnen Ländern ist im allgemeinen um so

eine

bessere, je mehr man sich der Gewerbefreiheit nähert, wovon

England, Frankreich, Nordamerika und die Schweiz Beispiele ab­ geben.

Das allerschlimmste bei diesem Schutz, der nur denen zu statten

kommt, die keinen Schutz verdienen, ist aber, daß wir übrigen, daß das

gesamte Publikum nicht nur dadurch im höchsten Grade benachteiligt wird, indem es seinen Bedarf schlechter und teuerer kauft, sondern daß

es

auch noch obenein den

kostspieligen Apparat von Behörden

und

88

Schulze-Delitzsch.

Maßregelten jeder Art aus seiner Tasche bezahlen muß, den das gemein­

schädliche System mit sich bringt. Weiter bedenkt man nicht, daß jedes Attentat gegen den gewerblichen

Fortschritt, wie es unleugbar in der Beschränkung der freien Konkurrenz liegt, ein Attentat gegen den Fortschritt überhaupt ist. der menschlichen

Die Gesamtheit

Tätigkeiten geht von einem und demselben

geistigen

Mittelpunkte unserer Natur aus, demselben Triebrad, das den Menschen überhaupt in Bewegung setzt.

Sie können kein Fach von den anderen

trennen; hemmen Sie in dem einen, so wirkt dies notwendig auf die

anderen zurück. Macht man die Fortentwicklung in den Gewerben stocken,

so greift man störend zugleich in die bürgerliche und humane Entwicklung ein.

Denn was ist der Fortschritt der Gewerbe am letzten Ende? Worauf

beruht er?

Auf den großen geistigen Errungenschaften der neueren Zeit,

besonders in den Naturwissenschaften, wodurch der Mensch immer mehr

und mehr in den Stand gesetzt wird, die Naturkräfte für seine Arbeits­ zwecke zu benutzen.

Gerade hierbei, auf diesem materiellen Gebiete, wird

das höchste Ziel, welches dem Menschengeschlecht vorgezeichnet ist, Natur zu beherrschen, verwirklicht.

die

Hier gilt es, den Naturkräften jene

rohesten und aufreibendsten Beschäftigungen auszubürden, die in alten

Zeiten den Sklaven zufielen, und so der Menschheit mehr und mehr

in allen ihren Schichten die Betätigung bei ihrer höheren Bestimmung zu ermöglichen.

Und was sollte denn aus der Wissenschaft selbst werden,

wenn man sie verhinderte, die Resultate ihrer Forschung in praktischen

Strebungen anzuwenden?

Ein totes Wissen, ein gelehrter Bücherkram,

abgeschlossen gegen das Leben der Zeit, dessen innige Durchdringung und Vergeistigung ihr höchster Beruf ist!

Doch damit lassen wir diesen Gegenstand und mit ihm überhaupt die Vorfragen, über welche eine Verständigung notwendig war, ehe wir dem

Endziel

unserer Unterhaltungen

näherrücken

konnten,

der

Be­

sprechung der praktischm Mittel und Wege zur Hebung des Loses der arbeitenden Klassen, womit wir das nächste Mal beginnen werden. —

Daß ich dabei immer auf Sie selbst, auf das eigene Handanlegen, Ihre

Strebsamkeit, Ihr Zusammennehmen der eigenen Kraft zurückkommen werde, weil das Heil für den Menschen, das rechte Leben und Gedeihen, immer

von ihm selbst ausgehen muß, ihm nicht von außen eingeflößt werden kann, haben Sie an dem bisher von mir Gehörten schon gemerkt.

Ich

bin kein Wunderdoktor, der Rezepte verschreibt, die allen für alles helfen, auch wenn sie es noch so verkehrt angreifen, auch wenn sie noch so un­

vernünftig gegen die eigene Gesundheit wüten.

Ich kann nur den Weg

zeigen, auf dem Sie sich selbst zu helfen vermögen, weil es eine andere Hilfe, als die Selbsthilfe, um seinen Zustand gründlich und auf die

Dauer zu bessern, nicht gibt.

Das alles geht freilich nicht mit einem

Male, das will Ausdauer und Arbeit. Aber erhalten Sie mir nur Ihre Aufmerksamkeit, wie bisher, so denke ich Ihnen doch manche Lehre, die sich praktisch bewähren wird, mit auf den Weg zu geben, der freilich nicht

ohne Mühe ist, aber dafür auch desto sicherer zum Ziele führt.

Darum

nicht gesäumt und frisch vorwärts! Wissenschaft und Praxis, Arbeit und

Bildung Hand in Hand — ich denke, die werden schon etwas vor sich bringen!

IV. Die praktischen Mittel und Weg« zur Heb««- der arbeitende« Klaffen. Bevor wir mit unserer heutigen Besprechung beginnen, stelle ich

Ihnen, meine Herren, eine Anzahl Männer aus verschiedenen deutschen Ländern vor, welche, gleich mir und anderen hiesigen Freunden, der

ständigen Deputation des Kongresses deutscher Volkswirte an­

gehören, die gegenwärtig hier tagt.*)

Dieselbe hat die Aufgabe, die zur

Abhaltung des alljährlich stattfindenden Kongresses nötigen Maßregeln

und Vorarbeiten wahrzunehmen. Dieser Volkswirtschaftliche Kongreß, von dem

Sie

gehört

haben,

Deutschland und hat sich zur

Wissenschaft



vereinigt namhafte

Aufgabe

gesetzt,

Männer aus ganz

die Hauptlehren

der

mit der auch wir es in unseren Vorträgen zu tun

haben — nicht bloß zu erörtern, sondern namentlich auch sie in das

praktische Leben überzuführen, weshalb er mit dem künftigen Arbeiter­ kongreß in engster Wechselbeziehung steht und dessen Zwecke nach Kräften

fördern wird.

Und dies ist bei dem Einfluß, den

sich der Volks­

wirtschaftliche Kongreß bereits erworben, bei den Erfolgen, die er schon z. B. für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit in mehreren deutschen

Ländern errungen hat, für die deutschen Arbeiter von Bedeutung, und ein solcher Bundesgenosse gewiß nicht zu verachten. *) Es hatten sich namentlich von Fremden zur Versammlung eingefunden: der Präsident der Nassauischen Zweiten Kammer Dr. Braun von Wiesbaden, Handelskammerpräsident Müller aus Stuttgart, Fabrikant Billing aus München, Finanzrat Hopf aus Gotha, N. D. Wichmann aus Hamburg, Staatsrat Dr. Francke aus Koburg, die Herren Max Wirth und Röhrich aus Frankfurt a. M., Redakteur Wolf und Maron aus Stettin u. a. Aus Berlin waren anwesend: Präsident Dr. Lette, die Herren Prince-Smith, Geheimrat Dr. Engel und viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Sämtliche Herren wurden mit lebhafter Akklamation begrüßt.

Schulze-Delitzsch.

90

Da haben nun diese Männer gewünscht, einmal einer solchen Ver­ sammlung bei uns beizuwohnen,

die Berliner Arbeiter kennen zu

lernen, Zeugen zu sein von dem Ernste und der Haltung, wie sie hier den Lehren ihrer Wissenschaft

entgegengetragen werden.

Es tut gut,

wenn Süd und Nord, Ost und West unseres Vaterlandes sich so berühren. In dem Bewußtsein gleicher Bestrebungen, der Anerkennung tüchtigen

Sinnes, denen man überall im großen Vaterlande begegnet, bildet sich

allmählich ein geistiges Band, ein Verständnis dessen, was uns allen gemeinsam nottut, die wohl dazu helfen können, daß es besser werde in Deutschland.

Denn, meine Herren, der Quell, woraus allein bei uns

das Heil kommen kann, in wirtschaftlicher und in politischer, in materieller und in geistiger Beziehung, das wissen Sie alle, das habe ich offen aus­ gesprochen hier und aller Orten, das ist der Volksgeist, das ureigne

Erfassen dieser Aufgaben durch Sie selbst, Ihre eigene Tat, die Selbst­

hilfe! a) Die wirtschaftlichen Mißstände in der Lage der arbeitenden Klaffen. Nach dieser

Vorausschickung gehen wir zum

Gegenstand unserer

heutigen Erörterung über, zur Vorführung und Prüfung derjenigen

Mittel und Wege,

die man zur Verbesserung des Loses der

arbeitenden Klassen entweder bereits versucht, oder doch wenig­ stens vorgeschlagen hat und uns empfiehlt.

Und um ein Urteil

über ihren Wert oder Unwert zu fällen, werden wir zunächst damit zu beginnen haben, die Übelstände selbst kurz zu charakterisieren, denen ab­

geholfen werden soll.

Wir werden hier, um nicht die Zeit mit Dingen

zu verlieren, über welche wir eigentlich alle einig sind, mit einigen flüchtigen

Andeutungen ausreichen.

Sie stehen ja selbst in den Verhältnissen, um

die es sich handelt, zum großen Teil mitten drin; und nicht sowohl um einen weitläufigen Beweis des Mangelhaften der betreffenden Zustände

ist es Ihnen zu tun, als vielmehr um die Mittel, dieselben zu-bessern. Die Hauptklage eines großen Teiles der Arbeiter, der wir hier be­

gegnen, ist das Ungenügende ihres Verdienstes, welches gar viele mit ihren Familien hart genug trifft. Wohnung, Nahrung und Kleidung sind vielen von Ihnen knapp, ja kärglich zugemessen und stehen nicht in dem rechten Verhältnis zu den Ansprüchen, die man an Ihre Arbeits­ leistungen, an Ihre Kraft und Gesundheit macht. Um das Notwendigste

zu erschwingen, müssen die Kräfte der einzelnen oft über das Maß an­

gestrengt werden.

Die Arbeitszeit muß, um durchzukommen, auf eine

Länge ausgedehnt werden, daß alsdann für die Erholung und für weitere

Bildungsbestrebungen keine oder nur eine sehr ungenügende Zeit bleibt. Das ist eine der Hauptklagen, meine Herren. Ein weiterer wichtiger

Punkt ist die Unsicherheit in dem Lose, in der Stellung der Arbeiter. Auch der, der viel verdient — und es gibt nicht wenige, die ein solches reichliches Verdienst haben, — ist plötzlichem Wechsel ausgesetzt und kann nicht mit Sicherheit auch nur auf die nächste Zukunft rechnen. Dabei müssen wir unter zwei Klassen von Arbeitern unterscheiden. Die Gründe

der Unsicherheit ihres Loses bei denjenigen Arbeitern, die ein Geschäft für eigene Rechnung treiben, also namentlich bei unseren Handwerkern und Kleinmeistern, liegen in der Überlegenheit der Fabrikindustrie, welche, mit allen Hilfsmitteln der neueren Technik, des Großkapitals und Groß­

betriebs ausgestattet, sie in ihren kleinen Geschäften und ihrer alt­ herkömmlichen Betriebsweise erdrückt, so daß sie, je länger, je weniger zu konkurrieren vermögen. Ein Gebiet nach dem anderen gewinnt ihnen diese überlegene Industrie ab, dringt in Fächer ein, die man bisher ganz sicher wähnte, von denen man kaum bis dahin geglaubt hätte, daß sie mit ihren Maschinen je da Platz greifen könnte. Bei den nicht­ selbständigen Arbeitern dagegen, die in fremden Etablissements gegen Lohn ihre Beschäftigung suchen, liegt die Unsicherheit ihrer Stellung zum Teil schon in der außerordentlichen Schwierigkeit, sich je zur gewerblichen Selbständigkeit emporzuarbeiten, welche ihre Abhängigkeit von bestimmten Arbeitgebern mehr oder weniger bedingt. So wird ihr Schicksal, sieht

man auch von möglicher Willkür dieser Arbeitgeber völlig ab, an das Bestehen der sie beschäftigenden Etablissements gebunden, welche nicht allein

durch Mißgriffe ihrer Leiter, sondern bei der jetzigen industriellen Ent­ wicklung fast noch mehr durch mancherlei Verkehrsschwankungen erheblichen Gefahren ausgesetzt sind. Ich mahne Sie z. B. an die großen Handels­ krisen und Kreditstockungen, die je zuweilen, infolge politischer Wirren und von Kriegen, sowie durch besondere Konjunkturen und allgemeine welche den Weltmarkt beeinflussen, ausbrechen. Da kommt es nicht selten vor, daß die Unternehmer ihre Etablissements schließen müssen, weil sie nicht mehr bestehen können, daß kommerzielle Verhältnisse bedingt,

sie mindestens zum Teil dies tun müssen, daß sie nicht mehr die bis­ herige Arbeiterzahl beschäftigen können, auch beim besten Willen nicht. Nehmen Sie einmal jetzt, meine Herren, die große Baumwollenkrise, die durch den amerikanischen Krieg entstanden ist. In den Weberdistnkten, welche Not mußte da eintreten! Eine große Zahl von Arbeitern

wurde brotlos und kein vernünftiger Mensch wird den Fabrikanten, den Arbeitgebern die Schuld daran beimessen. Man konnte den Rohstoff

92

Schulze-Delitzsch.

nicht mehr haben. Der Preis war fast um 300 Prozent gestiegen und erst

in neuerer Zeit ist ein Sinken durch anderweitige Zufuhren in der Ein­ leitung begriffen, wiewohl die regelmäßigen Verhältnisse auch jetzt noch nicht hergestellt sind. Daß die Stockung eines so großen Industriezweiges

auch in viele andere gewerbliche Kreise hineingreift, die mittelbar in Verbindung damit stehen, ist natürlich. Mir liegt ein interessanter Brief eines Wiener Arbeiters, eines Schlossers der Maschinenbauwerkstätten, vor. Darnach sind auch große Arbeitsstockungen bereits in Wien ein­ getreten, viel größere, wenn die Angaben richtig sind, als hier unter uns; Arbeitsstockungen, die nicht aus die Baumwollenweberei usw., sondern eben auch auf andere Branchen, wie Maschinenbau und dergleichen sich er­ strecken. Sie wissen, welche Ausdehnung die Not in England bereits angenommen hat. Und, wie jetzt, sind solche Notstände schon oft da­ gewesen, ja, es herrscht leider eine gewisse Regelmäßigkeit in ihrer Wieder­ kehr, daß sie als etwas in den industriellen Zuständen selbst Begründetes, nicht etwa rein Zufälliges aufgefaßt werden müssen. Drücken aber schon die erwähnten Mißstände oft hart genug auf den Arbeiter, was wird erst, wenn Krankheit und Schwäche, verschuldete und unverschuldete Unglücksfälle sich dazugesellen! Wenn es unter allen Ständen und Klassen der Gesellschaft Verlorene und Verwahrloste gibt, die durch Untüchtigkeit und schlechte Leidenschaften, durch Mangel an Energie und sittlichen Halt sinken und am Ende völlig herunterkommen — wieviel häufiger muß dies unter dem Arbeiterstande vorkommen, wo die Ungunst der Verhältnisse ohnehin der Ausbildung und Geltendmachung der geistigen und sittlichen Kräfte Schwierigkeiten mancher Art entgegen­ stellt! Schon von Kindheit an, wo gerade das meiste zur Pflege jener

edleren Anlagen geschehen sollte, sehen wir sie nicht selten der Ver­ nachlässigung, der äußersten Not preisgegeben, der Verführung, den bösesten

Beispielen ausgesetzt und dadurch im Keime verkümmert. Bleiben dann später die traurigen Früchte nicht aus, so sind in der Tat Schuld und Schicksal schwer zu scheiden und gewiß verdienen derartige Fälle ein viel milderes Urteil, als wenn sie in den höheren Schichten der Gesellschaft

vorkommen, wo ihnen jene traurige Entschuldigung nicht zur Seite steht. Ja, um gerecht zu sein, können wir uns nicht entbrechen, es auszusprechen:

daß die geistige und sittliche Tüchtigkeit der großen Mehrzahl des Standes, die sich unter ungünstigen Einflüssen mancher Art bewährt hat, ein Zeugnis von dem unverwüstlichen Fonds der menschlichen Natur im allgemeinen abgibt, wie es nicht ermutigender und hoffnungsreicher für die Lösung der uns vorliegenden schwierigen Aufgaben gedacht werden kann.

b) Die Mittel zur Abhilfe. Nach diesem flüchtigen Rückblick auf die Notstände, mit denen wir es zu tun haben, kommen wir nun zu den Mitteln der Abhilfe.

Zuerst begegnen wir hier verschiedenen Systemen, welche das gemein haben, daß sie die Abhilfe der arbeitenden Klassen von außen her, durch andere Mittel als die eigene Kraft derselben, zu bewirken unternehmen. Dieselben

beruhen

sämtlich bewußt oder unbewußt auf der

Voraus­

setzung:

daß die natürlichen Antriebe und die Kräfte in dem Menschen nicht ausreichen, um allen, namentlich den arbeitenden Klassen, eine

genügende Existenz zu sichern, daß daher irgendwie von einer anderen Seite her nachgeholfen werden müsse.

Daß ich diese Ansicht nicht teile, wissen Sie aus den früheren Vor­ trägen, indem ich gleich zum Anfänge von dem Satze ausging:

daß der Mensch von Natur Bedürfnisse, aber zugleich auch Kräfte erhalten habe, deren richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner

Bedürfnisse führt.

So gelangten wir dahin,

den Menschen für seine Existenz ver­

antwortlich zu machen, ihm die Pflicht der Selbstsorge aufzulegen

und nur die Freiheit für alle zu fordern, damit sie zum Gebrauch ihrer Kräfte ungehemmten Spielraum hätten.

Im Gegensatze hierzu führen

alle jene anderen Systeme, weil sie die Möglichkeit und Durchführbarkeit der Selbsthilfe und Selbstsorge leugnen, zur Abhängigkeit, ja, insoweit sie die dem Menschen eingeborenen Kräfte und natürlichen Antriebe für ungenügend zu dem angeführten Zweck halten, zum mehr oder weniger

verdeckten Zwange.

Sie alle stellen auf diese Weise der menschlichen

Natur gewissermaßen ein Armutszeugnis aus, mit anderen Worten ein

Mißtrauensvotum gegen den lieben

Gott,

der in der Begabling des

Menschen ein solches Mißverhältnis zwischen Sollen und Können sich

hat zu Schulden kommen lassen! Wir werden das Falsche und Verkehrte der hierauf fußenden Pläne am besten erkennen, indem wir näher darauf

eingehen und machen vorher nur ganz allgemein im voraus darauf auf­ merksam: daß, wenn die Menschen nicht die erforderlichen Antriebe und Kräfte in sich selbst haben, um die Existenzfrage für alle genügend lösen

zu können, wenn wirklich dazu noch eine andere Hilfe nötig wäre, es nicht wohl abzusehen ist, wer diese ihnen eigentlich leisten soll, da die Her­ stellung der zur genügenden Gesamtversorgung erforderlichen Güter und Menste anders als durch menschliche Arbeit nicht gedacht werden kann.

94

Schulze-Delitzsch.

c) Die Unterstützung aus öffentlichen und Privatmitteln. Die eine, bisher am meisten beliebte und hierher gehörige Art von Hilfe, die man dem Arbeiterstande von außerhalb zuzuführen sich berufen

fühlt, ist die Unterstützung im großen, die organisierte Subvention, im Gegensatz zu der Mildtätigkeit der einzelnen.

Dieselbe beläßt es

dem Prinzip nach bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Einrichtungen und der dadurch bedingten Stellung des Arbeiters und beschränkt sich

darauf, durch Zuschüsse an die Arbeiter aus fremden Mitteln in den

Fällen nachzuhelfen, wo ihr Verdienst sich dem Bedürfnis im ganzen oder im einzelnen nicht gewachsen zeigt.

Die Vermittlung der Hilfe

wird dabei entweder dem Staate zugemutet, oder durch besonders dazu ausgestattete Institute, milde Stiftungen, gemeinnützige Vereine, welche

von den reicheren Gesellschaftsklassen ausgehen, geübt, wie denn nicht selten auch die Kirche, ihres alten Liebesberufes als Hort der Armen Da werden Kranken- und

und Bedrängten eingedenk, sich einmischt.

Unterstützungskassen gegründet, Rettungshäuser und Spitäler, Schulen und Kosthäuser, Asyle für Alte

und Schwache angelegt, Lebensmittel

und Heizmaterial unter dem Preis abgelassen usw.

Wie löblich und

ehrenwert nun auch diese Maßregeln sein mögen, wenn es sich darum

handelt, der

vereinzelten

beizuspringen,

Hilflosigkeit

oder

selbst

allgemeineren, aber vorübergehenden Notständen abzuhelfen, so wenig

taugen sie dazu, die Quelle des Elends selbst zu verstopfen.

Die dauernde

Hebung großer, zahlreicher Bevölkerungsklassen bewirkt man nicht durch Almosen

und

niemals

kann

dasselbe

als

Mittel

bei

Lösung

der

sozialen Frage in Betracht kommen, indem es sich dabei viel mehr um Verhütung der Verarmung, um Sicherung vor Notständen, Erhaltung

der Arbeiter in wirtschaftlich gesunden Zuständen, als darum handelt,

einzelnen bereits verarmten, von der Not schon ergriffenen Angehörigen des Standes zu Hilse zu kommen.

Im Gegenteil, wo diese

humane

Fürsorge sich als Regel, als etwas geltend macht, was in den Zuständen der Arbeiter selbst begründet sei, wo man den Arbeitern die Aussicht,

der Wohltätigkeit anheimzufallen, als das natürliche Endziel ihrer Lauf­

bahn eröffnet: da stärkt, da fördert man die Leute wahrhaftig nicht, da begünstigt man bloß das gedankenlose in den Tag Hineinleben, da

demoralisiert man den ganzen Stand und das ist wahrlich das verkehrteste Mittel, ihn zu heben.

Wo man sich um die Leute nicht eher kümmert,

als bis sie siech und preßhaft sind, wo man die Krankheit sozusagen

auf Kosten der Gesundheit

hätschelt, da

werden

von

den

Gesunden

immer mehr zu den Kranken übergehen, weil sie es ja alsdann viel besser

haben und alles nur gehen zu lassen brauchen, wie es den Gönnern gefällt.

Daß dies auf die Dauer nicht durchgeführt werden kann, indem an

die Ansprüche

stetig

die Hilfszuschüsse

und

in

demselben

Maße

wachsen, als die Zahl derer, welche die Zuschüsse leisten können und

sollen, abnimmt, springt in die Augen.

Trotz der augenfälligen Gefahr

dieses Systems neigen indessen noch immer eine ganze Anzahl Groß­

besitzer unter unseren

Industriellen

und Feudalen, eine gewisse Klasse

von Staats- und Kirchenmännern mit Vorliebe sich ihm zu, denen es um alles eher, als um den wirklichen allgemeinen Fortschritt, um die

nachhaltige Hebung des Arbeiterstandes zu tun ist, indem sie die ganze

Frage nur in die Hand nehmen aus Furcht vor dem roten Gespenst. Da

versucht

man

es

mit

solchen

Ableitungsmitteln,

welche,

sobald

sich die Arbeiter darauf einlassen, besser als alles geeignet sind, sie in

der Abhängigkeit zu erhalten und nicht aufkommen zu lassen.

Denn

hat man dieselben erst dahin gebracht, daß sie sich selbst aufgeben, sich jeder Verantwortlichkeit für die Folgen des eigenen Tuns und Lassens

entschlagen, von der Aufhilfe durch eigene Kraft absehen; hat man sie zu Anwärtern auf das Almosen

heruntergesetzt:

dann ists mit ihrer

Bildungsfähigkeit, ihrer Sttebsamkeit und Tatkraft, ihrem sittlichen Halt

vorbei, dann schwindet die Selbstachtung und an eine wirkliche Hebung ihres Standes ist nicht mehr zu denken,

auf diese Weise

kommt,

bietet

Den besten Beleg, wohin man

uns Belgien, das

klassische Land der

Subvention, wo namentlich die Kirche auf diesem Gebiet großen Ein­

fluß übt.

Ungeheure Mittel

aus

milden Stiftungen und

Fonds werden hier fortlaufend aufgemendet, und die

öffentlichen

jährliche dazu

bestimmte Rente, welche dieselben gewähren, beträgt in dem kleinen Lande

14 Millionen Franks. Und mit diesem großartigen Apparat hat man es glücklich dahin gebracht, daß 25 Prozent der Bevölkerung, also je der vierte Kopf, Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln

beziehen!

Welcher

ungeheuere Kapitalstock — zirka 350 Millionen Franks — ist hier dem produktiven Betriebe, dem Fonds, aus welchem die Arbeitslöhne gezahlt

werden, entzogen und strömt, anstatt in die Werkstätten, in die Spitäler! Daß endlich auch hier eine Gegenströmung eintreten mußte,

da

das

Wachsen dieses toten Kapitals mit dem steigenden Defizit des Lohnfonds

Hand in Hand ging und in seinem weiteren Borschreiten den Ruin des Rationalwohlstandes in Aussicht stellte, ist bekannt, und die Krisis von

1857, welche damit zusammenhing und das klerikale Ministerium vom Ruder brachte, wird hoffentlich einen Halt auf der verhängnisvollen Bahn

zur Folge haben.

96

Schulze-Delitzsch.

Daß sich das Verhältnis nicht im mindesten ändert, wenn man an Stelle der Privaten den Staat eintreten und die Aushilfe aus öffent­

lichen Mitteln bestreiten läßt, ist klar; und es ist eine nahezu komische Vorstellung, als könne man dieselbe auf diese Art des Almosencharakters,

des lästigen für die Geber und erniedrigenden für die Empfänger ent­

kleiden.

Schon im ersten Vortrage haben wir gezeigt, daß der Staat

keine Klaffe seiner Angehörigen unterstützen kann, als auf Kosten der

übrigen, daß er niemandem etwas geben kann, ohne es dem andern zu nehmen, indem seine Einnahmequellen sich auf die Taschen seiner An­

gehörigen reduzieren und diese stärker in Anspruch genommen werden müssen, sobald das zur Übertragung der allgemeinen Staatslasten von ihnen Eingesteuerte ganz oder teilweise für andere Zwecke vorweg ge­

nommen

Die ganze Staatsmöglichkeit in

wird.

an die Staatskasse

selbst notwendig braucht,

seinem Einkommen

er also etwas mehr verdient, als er

daß

abgibt,

finanzieller Hinsicht

von

etwas

beruht darauf, daß jeder Staatsbürger

Dabei können wohl einzelne Ausfälle, das

Aussorgen einzelner Weniger von den übrigen Vielen übertragen werden.

des

wie es Voraussetzung

aber,

Wenn

ist,

Subventionssystems

die

zahlreichste Klasse der Bevölkerung im allgemeinen nicht so viel verdient, als sie braucht, also nicht nur nichts beitragen, sondern ebenem aus

Staatsmitteln Unterstützung haben soll, oder, was auf dasselbe hinaus­

läuft, wenn

Dazugehörigen zwar

die

auch eine geringe

Steuer

den Staatssäckel entrichten, dafür aber mehr aus demselben

bekommen, als sie hineinsteuern — und so wenn sie

dar,

doch

geradezu

auf den

öffentlichen

stellt sich die Maßregel

haben soll —:

überhaupt Sinn

Bankerott

in

heraus­

los

und

so geht man

die

Unmöglichkeit

einer solchen dauernden Unterstützung Bieler durch Wenige springt in die Augen.

Dergleichen weisen aber die deutschen Arbeiter ein für allemal von Endaussicht Tätigkeit vom

Preis

ihrer

Bestrebungen

im

nicht

soll

besten

Falle

der

sondern ein gesichertes, wenn auch bescheidenes, durch eigene

Spittel,

unter

nicht auf das Almosen gestellt werden, die

Ihre Sache soll

sich ab.

sie

Gefühl

einer

hängigkeit

Tüchtigkeit

und

dem

der

errungenes ist

kämpfen, eigenen

Kraft,

Unterstützung,

niederdrücken

lassen,

wichtigsten Existenzfrage auf Gnade stützt.

deren

sein.

Los

Das

werden

sie die

jeden

sich

sie

nicht

niemals

bedürfen,

trifft,

den guten Willen

der

anderer,

Banner,

Getragen

soziale Selbsthilfe.

die

in

um

den

die

Ab­

in

der

sich

auf

fremde

d) Die Garantie der Existenz durch de« Staat. Im Gefühl der Unzulänglichkeit und Unwürdigkeit dieses Unter­ stützungswesens gehen denn die eigentlichen Sozialisten einen Schritt weiter, indem sie ein ganz neues Verkehrssystem an die Stelle des

gegenwärtigen,

auf

dem

Eigeninteresse

und

der

Privattätigkeit

be­

ruhenden, setzen und die Staatsgarantie für die materielle Existenz aller Bürger, einschließlich der Arbeiter, als erste Forderung aufstellen.

Die Pläne, diese Forderung zu verwirklichen, sind sehr verschieden, und Sie haben wohl schon von den Lehren des Engländers Owen und der Franzosen St. Simon, Fourier, Cabet und Louis Blanc gehört, die im

einzelnen ihnen vorzuführen, mir Zeit und Zweck unserer Besprechungen

nicht gestatten.

In der Wirklichkeit sind sie alle kläglich gescheitert.

Ge­

meinsam ist ihnen, daß der Staat, außer seiner politischen Aufgabe, es

noch auf sich nimmt, das Erwerbsleben seiner Bürger zu regeln, was

freilich aus der Forderung der Gewährleistung von deren Existenz von selbst folgt.

Denn soll er eine solche Garantte übernehmen, so muß er

notwendig eine Kontrolle über Arbeit und Haushalt derer, für die er einstehen soll, ausüben, kann sie nicht in den Tag hinein wirtschaften

und faulenzen lassen und ihnen immer nur Zuschüsse geben; das hielten

keine Finanzen in der Welt aus.

Es bleibt daher nichts

übrig,

der

Staat muß nicht nur die Aufsicht über die einzelnen in ihrer Tätigkeit,

• sondern weiter auch die Anordnung und Regelung derselben übernehmen, er muß nicht nur sorgen, daß

sie arbeiten, sondern

arbeiten, wenn er für die Resultate verantwortlich sein,

einstehen soll.

auch, was sie für den Riß

Und so führt diese Garantieforderung mit Notwendigkeit

dahin: daß der Staat selbst Jndustrieanstalt, Arbeitgeber, ge­

werblicher Unternehmer wird, der die Arbeiter beschäftigt und lohnt, wie seine Beamten.

Denn in anderer Weise kann er in der Existenzfrage

für die Gesamtheit seiner Bürger nicht einstehen, abgesehen davon, daß bei

der allen zugesicherten Gewährleistung die wenigsten noch Lust behalten werden, das Risiko und die Mühe eines Geschäfts zu übernehmen. Um uns zu vergegenwärtigen, wohin man käme, wenn ein solcher sozialer Staat jemals durchgeführt werden könnte, wollen wir einmal nur

die mäßigsten

in dieser Beziehung gestellten Forderungen ins

Auge

fassen, und von den äußersten Verkehrtheiten, die mit unterlaufen, ganz

absehen.

Wir erinnern namentlich an die Vorschläge von Louis Blanc

und die Nationalwerkstätten von 1848 in Frankreich. Darnach soll der Staat, um die verderbliche Konkurrenz (!) und die schädliche Über­ macht des Privatkapitals (!) zu Schulze-Delitzsch, Schriften und Rede». II.

beseitigen, allmählich alle gewerblichen 7

98

Schulze-Delitzsch.

Unternehmungen an sich ziehen und für öffentliche Rechnung betreiben, um durch die Überlegenheit der öffentlichen Mittel jedes Aufkommen eines noch so gut ausgestatteten Privatgeschäfts im Keime zu unterdrücken, die ganze Privatindustrie sozusagen aufsaugen. Er beschäftigt sodann alle Arbeiter, gibt ihnen

dafür, was sie mit ihrer Familie brauchen,

d. h. er verteilt die produzierte Gütermasse unter sie nach Bedürfnis und sorgt so, daß alle genug bekommen, garantiert ihnen die Existenz. Ist das überhaupt möglich?

Und was käme dabei heraus, wenn

man es probierte? Das erste, was uns hier entgegentritt, ist die Kriegserklärung gegen das Privatkapital, welches an seiner Anlage in lohnenden ge­ werblichen Unternehmungen gehemmt und daraus verdrängt werden soll. Meint jemand, daß die Kapiialisten dazu still halten würden? Nein!

Wenn sie sonst gegen die Staatsgewalt nichts auszurichten vermöchten, so würden sie einfach entweder selbst auswandern, oder ihre Kapitalien

aus dem Lande ziehen. Und mit ihnen verließen uns Unternehmungs­ geist, industrielle Tüchtigkeit und Erfahrung, die Mächte, von welchen die Blüte der Industrie abhängt! O, das Kapital ist eben so empfindlich gegen alle Eingriffe und Maßregelei, als es sich leicht dagegen zu helfen weiß. Überall schafft es sich seine Stätte, überall nimmt man es mit Freuden auf, da braucht es nicht erst der Freizügigkeit, die wir für den Arbeiter erst mühsam erkämpfen müssen. Was nun aus einem solchen Gemeinwesen werden müßte, aus dem man die Privatkapitalien und die Privatindustrie vertrieben hätte, das mag sich jeder selbst aus­ malen und ich frage nur: wo der Staat alsdann die ungeheuern Kapitalien,

die er znr Einrichtung und zum Betriebe der ganzen Industrie des Landes gebrauchte, hernehmen wollte? Denn daß sie auch im besten Falle nicht von Haus aus gleich da sind, sondern erst allmählich ver­ dient und aufgesammelt werden müssen, ist gewiß. Die unbemittelten Arbeiter können ihm die nötigen Summen nicht vorstrecken und bei den

von ihm bekämpften und vertriebenen Kapitalisten hat ein solcher sozialer Staat weder guten Willen noch Kredit, um etwa eine Anleihe

zustande zu bringen. Doch sehen wir hiervon einmal ganz ab und nehmen an, Geld und Kredit in der erforderlichen ungeheuern Menge seien da — wir wissen zwar nicht, wo sie Herkommen sollen — und es könne wirklich begonnen werden mit dieser Staatsindustrie. Da stoßen wir sofort auf folgende Bedenken der erheblichsten Art.

Zu einer ausreichenden Versorgung aller mit allem gehört eine be­ stimmte Quantität von Sachgütern und Dienstleistungen der mannig­

faltigsten Art und diese Masse darf nicht geringer sein, als das gegen­ wärtig von der Privatindustrie erzeugte Gesamtprodukt, das sieht jeder.

Denn wenn dieses letztere für die vollkommene Befriedigung der Be­

dürfnisse aller, namentlich der Arbeiter, nicht hinreicht, — und davon

geht man doch aus — so darf, um die genügende Versorgung aller zu bewirken, nicht weniger, es muß im Gegenteil d. h. mehr gearbeitet werden, als bisher.

geradezu

und

denke es

mehr produziert,

Nun behaupte ich aber

mit schlagenden Gründen darzutun: daß die

Arbeitsleistungen in den beabsichtigten Staatswerkstätten hinter denen

der Privatindustrie notwendig zurückbleiben müssen, daß man also im sozialen Staate weniger und schlechter arbeiten würde.

Bedenken Sie

nur, meine Herren, gegenwärtig wird die ganze Aufgabe durch die Privat­ tätigkeit der einzelnen gelöst, von denen jeder durch sein eigenes Interesse getrieben, um der möglichst vollkommenen Befriedigung seiner eignen Be­

dürfnisse halber, eifrig für das Gesamtbedürfnis arbeitet.

früher gesehen, wie mächtig dieser Sporn

Wir haben

des Eigeninteresses

den

einzelnen auf dem Gebiete des Erwerbes zur Tätigkeit, Umsicht und Er­ findsamkeit antreibt und wie der Umstand: „daß, je besser und billiger

jemand durch seine Leistungen die Bedürfnisse anderer (seiner Kunden) befriedigt, desto besser

er selbst mit allem versorgt sein wird," dieses

Eigeninteresse in seinen Wirkungen ohne, ja oft wider den Willen der einzelnen zum Segen für die Gesamtheit macht.

Und diesen gewaltigen

Hebel, diesen angebornen unverwüstlichen Hang der menschlichen Natur,

in dem wir die bewegende Grundkraft im Haushalte der Gesellschaft er­

kannten, tastet man an und verlegt den Impuls, den ersten Anstoß zum Erwerb aus dem Willen, der freien Strebung der einzelnen in die Ge­

samtheit, aus dem Bereich der individuellen Tätigkeit in das Staats­ getriebe!

Als bestände diese Gesamtheit, der Staat, aus etwas anderem

als eben diesen einzelnen, als lähme man nicht jene wirkende Kraft in der Gesamtheit, wenn man sie in den einzelnen lähmt! — Was, so

fragen wir, wird die Folge sein von dieser Verletzung der menschlichen Eigenart (Individualität), der natürlichen Grundform unseres Wesens,

auf wirtschaftlichem

Gebiet, von

dieser Verschiebung der gewerblichen

Initiative aus der Privattätigkeit in den Staat?

Was wird die Folge

davon sein, wenn den einzelnen ihre Tüchtigkeit, ihr Fleiß nicht mehr

zustatten kommt, wenn ihnen Unfertigkeit und Faulheit nicht mehr

schaden, wenn keiner auf die Früchte seiner Arbeit mehr ausschließlich 7*

100

Schulze-Delitzsch.

Anspruch hat, wenn seine Subsistenz nicht mehr davon abhängt, wenn das Maß seiner Genüsse nicht mehr bedingt ist durch das Maß seiner Leistungen, wenn er nicht mehr für seinen Privat-, sondern für den

Staatsnutzen schafft und aus Staatsmitteln seinen Unterhalt empfängt? Was anders, als daß die zur Befriedigung aller erforderliche Masse von Gütern und Diensten in immer geringerer Quantität und Qualität, immer knapper und schlechter hergestellt wird, mit einem Worte: die immer schlechtere und kärglichere Ver­ sorgung aller mit allem! Weiter, wenn jemand nichts davon hat, ob er wenig oder viel, gut oder schlecht arbeitet, so kann es nicht fehlen, daß keiner mehr tut, als er muß. Der Staat wird also die äußerste Überwachung üben

und den Arbeitszwang eintreten lassen müssen, soll nicht die ganze Maschine in kürzester Zeit still stehen. Wie nun in dem konsequent durchgebildeten Polizeistaat eigentlich jedem Menschen ein anderer als Aufseher an der Seite stehen müßte, der ihn verhindert, seine Kräfte zu mißbrauchen, so bedarf es in diesem projektierten sozialen Staate für jeden eines Treibers, der ihn zwingt, seine Kräfte überhaupt erst zu gebrauchen! Ein ungeheuer kostspieliger Verwaltungsapparat, ein Heer von Beamten ist die nächste Folge davon, und das Gesamtresultat, das Quantum der zu schaffenden Güter, welches schon durch die Auf­ hebung der Privatindustrie und die geringere Ergiebigkeit der Staats­ arbeit merklichen Abbruch litt, schwindet noch mehr zusammen dadurch,

daß die Zahl der produktiven Arbeiter vermindert wird, indem jenes Beamtenheer für die Produktion verloren geht und obenein von den übrigen unterhalten werden muß. Aber damit nicht genug. Noch verwickelter und wirklich unlösbar wird die Aufgabe der Verteilung der allgemeinen Gütermasse durch den Staat unter die einzelnen nach deren Bedürfnis und Verdienst. Wer mag sich hier zum Richter aufwerfen, nur allein über das, was der einzelne bedarf? Ist das Bedürfnis nicht etwas höchst Verschiedenes, Wechselndes, rein Persönliches, je nach der verschiedenen Begabung und Organisation der Menschen? Welche Behörde kann mir zudiktieren, was

ich bedarf, über ein Moment urteilen, welches ich nur ganz allein in mir selbst empfinde? Und hat nicht gerade die Natur in ihrer Weisheit der

Verschiedenheit der Begabung unter den Menschen die Verschiedenheit der Bedürfnisse beigegeben, als mächtigen Sporn ihrer Bestrebungen? Wie kärglich der Lohn mancher Arbeiter ist, sie können doch darüber nach Gutdünken verfügen. Das aber müßte sofort aufhören, wenn die. Be-

Hörde jedem nach Bedürfnis zumißt, wenn der Staat bestimmt, wieviel

und wozu das, was die einzelnen erhalten, verwendet werden soll.

Es

ist ein Eingriff in die Persönlichkeit, in den innern Kern des mensch­

lichen Wesens, wie er nicht plumper und gehässiger gedacht werden kann,

eine Tyrannei, eine Einmischung der Behörde, einmal bis in die Schüssel auf meinem Tisch, bis zu dem Topf an meinem Herd und dann bis in mein innerstes Herz, meine eigensten Gefühle, vollkommen unerträglich,

.wenn man sie je hätte durchführen können!

Und nun zur Abmessung

des Bedürfnisses noch die Würdigung des Verdienstes.

Wo liegt

der Ausgleichungspunkt zwischen beiden und wem wird man dabei genug tun?

Den natürlichen Wertmesser hat man abgeschafft, nach welchem sich

der Wert eines Dienstes, eines Arbeitsstückes durch Angebot und Nach­ frage in freier Konkurrenz regulierte.

taxe.

Was bleibt dafür?

Die Staats­

Nun werden aber Verdienst und Bedürfnis häufig im Gegensatz

zueinander stehen; was soll da entscheiden?

Ist es zunächst darum zu

tun, das Bedürfnis zu decken — und das ist ja der erklärte Hauptzweck

des ganzen Systems —, so muß das Verdienst davor zurücktreten wir müssen alle Leistungen, gute wie schlechte, gleich berücksichtigen.

und Kurz,

Schwierigkeiten ohne Ende und wenn wir auch die Staatsbehörde mit ganz unerhörten Befugnissen bekleideten, so Hilfe das doch nichts, wenn

wir sie nicht zugleich mit übermenschlichen Fähigkeiten versehen könnten,

wie sie dazu gehören, solche Aufgaben zu lösen. Was also erreichen wir mit all dem Zwang, den man der mensch­ lichen Natur antut?

Arbeiten müssen wir doch alle nach wie vor, um

zu leben; warum nicht jeden zunächst an die Frucht seiner eignen Arbeit verweisen?

Der Staat ist die Summe seiner Bürger.

einzelnen die Existenz garantiert, heißt

Wenn er den

dies doch im Grunde nichts

anderes, als daß diese sie sich selbst untereinander garantieren.

Muß

daher jeder in irgend einer Weise für irgend eine Existenz einstehn, so fängt er doch am füglichsten bei sich selbst an und rettet so wenigstens seine

Selbständigkeit, denn daß diese mit der Verantwortlichkeit un­ widerruflich verloren geht, haben wir gezeigt.

Nun kann man sich doch

wirklich nichts Verkehrteres denken als: jemandem die Garantie fremder

Existenzen auflegen, um ihn der Sorge für die eigne zu überheben;

mit andern Worten: ihn für andre arbeiten lassen, damit er für sich selbst nicht zu arbeiten braucht!

Eine schöne Errungenschaft in dieser

Verkehrung der natürlichen Verhältnisse!

Und wie der einzelne dabei

notwendig zurückkommen und die Existenzfähigkeit am Ende wirklich ver­

lieren muß, wenn er sie mit der Tat zu bewähren verhindert wird, Jo

Schulze-Delitzsch.

102 der Staat selbst.

Bereits im ersten Bortrage stellten wir als erste

Forderung, auf welcher die Möglichkeit jeder rechtlichen, sittlichen und

wirtschaftlichen Gemeinschaft beruhe, die Verantwortlichkeit, die Zu­

rechnungsfähigkeit ihrer Glieder auf, vermöge deren jedes die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage.

Bei den finanziellen Bedürfnissen

des Staates, als einer solchen Gemeinschaft, stand also die Selbst­ verantwortlichkeit und Selbstsorge für die materielle Existenz seitens seiner Bürger im Vordergrund.

Ein existenzfähiger Staat setzt

vor allen Dingen existenzfähige Bürger als seine Träger voraus, die

schon da sein müssen, ehe er bestehen kann.

Statt dessen

soll dieser

soziale Staat sich solche Bürger erst schaffen und wir fragen, woher derselbe dann selbst seine Existenzfähigkeit und die Garantien hernimmt,

die er den Bürgern bieten soll, wenn diese sie ihm nicht vorher zubringen?

— In der Tat ein tolles Exempel, eine köstliche Rechnung!

Man

meint, daß die einzelnen aus eigner Kraft der Aufgabe ihrer Versorgung

nicht gewachsen sind, da wirft man sie in eine Masse zusammen, lähmt

ihnen dadurch ihre Leistungsfähigkeit und meint nun, diese Summe von

Subsistenzunfähigen würde der Aufgabe mehr gewachsen sein, als jeder einzelne darunter; als ob bei dieser Addition der sozialen Insolvenz mit den Aktiven nicht zugleich die Passiven, mit dem Haben nicht zugleich

das Soll wüchse!

In Zahlen: Eins kann Eins — d. h. sich selbst —

nicht ernähren; da addiert man 90 solcher Eins, entzieht jeder noch ein Bruchteil ihres Ernährungswertes, und nun sollen die 90 zusammen nicht

etwa bloß 90 — d. h. sich selbst — nein sogar 100 ernähren, nämlich sich und das unnütze Beamtenheer dazu, welches der soziale Staatsapparat

erfordert!*) Das fatale Einmaleins, daß es sich den schönen Weltverbesserungs­

phantasien so hartnäckig entgegensetzt — das muß noch einmal abgeschafft werden!

Stieße man nicht überall an diese verdrießliche Rechnungsbilanz,'

wie herrlich müßte es in dem sozialen Staate sich in den Tag hinein­

leben lassen!

Da braucht

niemand

mehr

sich zu mühen und sich zu

kümmern, der Staat leistet ihm ja für sein Auskommen Gewähr und

er hat sich nur blind dessen Anstoße und Leitung zu überlassen.

Ja

der einzelne darf nicht einmal eigne Pläne machen, an eigne Unter­ nehmungen denken,

denn das ist ausschließlich Staatsmonopol.

Der

Staat allein ist Arbeitgeber, das ganze Land ist eine große Arbeiter­ kaserne, wo

jeder

nach

*) 90 X — 1 = 100!

amtlichen Regulativen

sein Tagewerk

abtut

und

nach

amtlichen Regulativen

ohne Sorge also, das

am

Leben.

Denn

seinen Bedarf zugemessen erhält —

mag sein,

die

beste

aber freilich

Freude

des

auch ohne Freude

Menschen,

die

Freude

am eignen Tun, wo soll die Herkommen, wenn alle und jede Selbst­ bestimmung bei diesem Tun ausgeschlossen ist

und wenn niemand der

Früchte dieses Tuns froh wird? — Mit der freien Konkurrenz frei­

lich, mit der Privatindustrie wäre man fertig — aber zugleich hat

man das ganze große und reiche Lebensbild des menschlichen Verkehrs, die lausend mannigfaltigen Wechselbeziehungen zerstört, die Menschen an­

einander knüpfen, und Neigung, Interesse und Streben beseitigt, jedes Ziel, jede Aussicht abgeschnitten,

kurz alles fortgenommen, was dem

einzelnen seinen Beruf wert, seine Arbeit lieb macht, ihm die Mühe seines

Tagewerks versüßt! Messen

Da wird nicht mehr ge- und verkauft, da sind nicht

und Märkte — das ganze

Rührigkeit und Regsamkeit

ist

in

anstalt des Staates eingepfercht.

Erwerbsleben die große

mit seiner

bunten

allgemeine Arbeits­

Aller Schmuck des Daseins hört auf,

durch Dekrete der Behörde wird jedem sein Teil Unterhalt und Erholung zugemessen und Lust und Laune in der Zwangsjacke erstickt, mit der man

die menschliche Natur für

dies neue System

zurechtzuschulen versucht!

Wem mit der ganzen Einrichtung gedient ist, wem eine solche Staats­

garantie für seine Subsistenz zustatten kommt, wer sie allein wünschen muß, ergibt sich von selbst.

Nur derjenige, der für sich selbst zu sorgen

entweder außerstande ist — der Einfältige, Ungeschickte, Schwache — oder diese Sorge dem Staat zu überlassen bequemer findet — der Faule,

Lüderliche, Gedankenlose. Bisher waren Fälle der Verkommenheit einzelner aus den genannten Gründen Ausnahmen und wen es traf, der hatte

den Schaden — hier

setzt

man dergleichen Dispositionen als Regel

voraus und baut ein soziales System auf, welches darauf hinausläust, daß dergleichen Leute den Schaden nicht haben, daß

samtheit übertragen wird!

er von der Ge­

Also ein Paradies für Schwache und Tauge­

nichtse dieser soziale Staat, während Tüchtige und Geschickte, Menschen

mit Unternehmungsgeist und Tatkraft dadurch in ihrem Aufschwünge ge­

hemmt und gehindert werden, sich zu wirtschaftlichen Zuständen empor­ zuschwingen, wie sie ihren Leistungen und Bedürfnissen gemäß sind.

Eine

Begünstigung des Schlechten also auf Kosten des Guten, eine Pflege der

verkommenen, der kranken Elemente der Gesellschaft auf Kosten der ge­ sunden und strebsamen, ja auf Kosten aller menschlichen Tüchtigkeit, jedes

gewerblichen und humanen Fortschritts überhaupt!

Und was wäre denn

das für eine Art von äußerlicher Gleichheit, die man mit allen diesen

104

Schulze-Delitzsch.

Opfern zu erkaufen vermöchte? — Die Gleichheit des Elends!

Ge­

wiß würde eine Menge von Unterschieden wegfallen zwischen den Zuständen, welche jetzt die einzelnen scheiden, wenn eben keinem mehr die Möglichkeit

des Emporarbeitens gegeben wäre.

Aber das Niveau, die Ausgleichungs­

linie, worauf das Ganze hinausliefe, wäre kein aufsteigendes, sondern ein stetig sinkendes; das allgemeine Los, welches die Gesellschaft erwartete, wäre kein Vorwärts-, kein Empor-, sondern ein Herunterkommen.

Wer es unternimmt, Tüchtigkeit und Untüchtigkeit auf ein gleiches Maß

rücksichtlich ihres Lohnes zu setzen, der bringt sie endlich auch auf ein gleiches Maß rücksichtlich ihrer Leistungen, da hilft nichts, und dies

wäre der sicherste Weg, auf welchem die ganze menschliche Gesellschaft am Ende verlumpte.

e) Einzelne soziale Formeln. Haben wir so den Sozialismus ganz allgemein in einigen Haupt­

zügen charakterisiert, so werden wir nun auch imstande sein, einige Irr­ tümer oder Mißverständnisse, die gewissermaßen auf diesem Felde sprich­

wörtlich geworden sind, in das rechte Licht zu setzen.

Sie alle, meine

Herren, haben gehört von dem famosen „Recht auf Arbeit und auf

Lohn".

Das kommt nun freilich darauf an, wie man es versteht. Das

Recht auf Arbeit, das Recht, sich durch seine eigene Tätigkeit zu nähren, das nehmen wir wahrhaftig für uns alle in Anspruch und erblicken darin sogar eine Pflicht.

Aber in jener Formel ist das anders gemeint.

Da

meint man mit dem „Recht auf Arbeit" und dem „Recht auf Lohn" die Befugnis, daß jeder irgendeine Arbeit, die ihm gerade beliebt, unter­

nimmt und dann dafür, gleichviel, ob sie jemand begehrt, ob sie jemand

brauchen kann oder nicht, auch einen speziellen Lohn dafür in Anspruch

zu nehmen hat, der ausreichend ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen und ihn für Zeit, Mühe und Kosten zu entschädigen. Das ist aber eine Verkehrt­

heit.

Das Recht auf Arbeit, d. h. das Recht zu arbeiten, hat natürlich im

allgemeinen jeder und man soll auch niemandem wehren, zu arbeiten, was er will.

Mag jeder selbst zusehen, daß und wie er bei seiner Arbeit

bestehen kann.

Aber das ist eben der Punkt und da kommen wir zu

dem Recht auf Lohn.

Freilich

hat jede Leistung einen Anspruch auf

Gegenleistung, das haben wir im letzten Vortrag genau erörtert, aber doch nur alsdann, wenn die Leistung irgend jemandem genehm

ist, einem anderen zustatten kommt, von ihm genutzt wird, mit einem Worte, wenn sie jemand mag.

Denn was war überhaupt der

Zweck aller Arbeitstätigkeit des Menschen? Die Befriedigung mensch-

licher Bedürfnisse. Nur soweit eine Arbeit das Bedürfnis irgendeines Menschen befriedigt, hat sie einen Anspruch auf Lohn, auf eine Gegen­

leistung von dem, dessen Bedürfnis dadurch befriedigt worden ist, der sie

zu diesem Behufe benutzt, in Anspruch genommen hat.

Es hat daher

niemand das Recht, zu sagen: „Ich habe hier das und das gemacht, das

kostet mich so und so viel Arbeitszeit und Mühe und so viel Auslagen, deshalb mußt du mir so und so viel dafür geben."

Niemand kann den

anderen zwingen, seine Arbeit, seine Ware anzunehmen und ihm, was

er fordert, dafür zu geben, vielmehr kommt es darauf an,

ob

sie der

andere brauchen kann und ihm die Forderung zugestehen will — auf die freie Übereinkunft beider Teile. Nehmen wir einmal, um die

Folgerungen aus jenem Satze auf ihrem äußersten Punkte zu zeigen, folgendes Beispiel.

Jemand kauft sich ein Ries Papier und verschneidet

das Ganze mit Aufwendung der äußersten Mühe und Sorgfalt in lauter

ganz feine haardünne Streifen, wozu er mehrere Wochen Zeit verbraucht. Kann er nun hingehen und sagen:

Papierschnitzel haben, das habe ich

„Das und das muß ich für meine

an Kosten, Zeit und Mühe auf­

gewendet, denn ich habe ein Recht auf Arbeit und Lohn"? — Sicher

wird kein Mensch

ihm für das Zeug das mindeste zahlen wollen und

man wird ihm sagen: „Hole der Popanz deine dummen Dinger, die

mögen wir nicht haben; beschäftige dich künftig mit Dingen, welche jemand

brauchen kann!"

Und die Leute haben ganz recht.

Warum?

Weil die

fragliche Arbeitsleistung kein menschliches Bedürfnis befriedigt und weil

nur diejenige Arbeit Lohn verdient, welche zu diesem Zwecke dient. Des­ wegen muß jeder Arbeiter, ehe er etwas vornimmt, sich fragen und klar

machen: Befriedigst du mit deinem Tun ein Bedürfnis deiner Mitmenschen? Wollen die Leute das, was du machst, haben? Können sie es brauchen?

Werden sie es dir abnehmen? — Und er muß sich auf nichts einlassen, wo dies nicht zutrifft.

Das ist das erste.

Das zweite, was er zu be­

denken hat, sind die Bedingungen, wie er die Sache herstellen, die Arbeit

verrichten kann, insofern die Gegenleistung, der Lohn, den er fordert, bei welchem er zu bestehen denkt, davon abhängt.

Denn das Mehr,

welches ein Arbeiter an Zeit, Mühe und Kosten aufwendet, gegen das­

jenige, was bei geschickter und vernünftiger Betriebsweise — wie andere die Dinge liefern — dazu gehört haben würde,

ist für den eigentlichen

Zweck, die Herstellung der dem Bedürfnis der Kunden dienenden Sache, gerade ebenso verloren, wie bei den Papierschnitzeln das Ganze. Ich ver­

weise deshalb auf das, was ich im letzten Vortrage über den Wert an­

geführt habe, und wir sind wohl alle darüber einig, daß wir das Recht

106

Schulze-Delitzsch.

auf Lohn, auf das, was jemand für Befriedigung menschlicher Bedürf­ nisse wirklich geleistet hat, beschränken, weil es bei Belohnung der Arbeit

allein auf die erzielten Resultate, nicht darauf, daß und womit sich der einzelne beschäftigt und welche Mühe und Kosten er darauf ver­ wendet, ankommt.

Halten wir daher ein für allemal fest: Das wahre

Recht auf Arbeit ist die Freiheit der Arbeit und das wahre Recht

auf Lohn ist die Freiheit des Tausches, die freie Konkurrenz. Nur in diesen Dingen kommen jene Forderungen in vernünftiger und

allein ausführbarer Weise zur Geltung. Dann, meine Herren, die Brüderlichkeit! Nun, das ist ein schönes und großes Wort, das ist ein Wort, das — ich weiß es — in Ihrer aller Herzen zündet. Ja, meine Herren, aber als Wirtschaftsprinzip,

als Grundlage zur Ordnung und Regelung des Haushalts, des Erwerbs­

lebens der Menschen, da können wir die Brüderlichkeit unmöglich auf­

stellen.

Die Grundlage für diese Beziehungen, wie wir gesehen haben,

als wir über den Tausch und das berechtigte Eigeninteresse sprachen, ist die

Gegenseitigkeit.

„Nichts ohne Entgelt! Leistung für Leistung!"

so heißt der Spruch, nach welchem sich der wirtschaftliche Verkehr der Menschen regelt.

Ein anderes

Prinzip ist

hier nicht wohl denkbar,

namentlich würde die Brüderlichkeit uns zu den verkehrtesten Dingen

führen, denn was anderes könnte sie auf diesem Gebiete bedeuten, als das Hingeben seiner Arbeitserzeugnisse an die anderen, die ihrer be­ dürften, ohne Entgelt, ohne entsprechende Gegenleistung?

Nun

sind und bleiben wir aber doch einmal alle zum Behufe unserer Ver­

sorgung auf die Arbeit angewiesen, anders ist doch das einmal nicht zu beschaffen.

Daher haben wir das Verkehrte des Umweges: den einzelnen

statt auf seine eigene, auf fremde Arbeit anzuweisen, schon beim sozialen

Staate gezeigt. Wenn ich meinem Mitmenschen meine Arbeitserzeugnisse

zur Deckung seines Bedarfs umsonst hingebe, so komme ich ja notwendig in die Lage, die Leistungen der anderen, ihre Produkte, ihre Dienste wiederum meinerseits in Anspruch zu nehmen und auch nichts dafür zu

geben, denn wo sollte ich den Lohn für sie hernehmen, wenn man mich selbst nicht lohnt? — Was würde das für eine wunderliche Sache sein. Ich schenke anderen meine Sachen, dann aber fordere ich, daß mir die

anderen die ihrigen ebenfalls schenken, weil ich sonst leer ausginge und

meine Bedürfnisse doch auch befriedigt sein wollen.

Ein merkwürdiges

Geschenk, für das man wieder schenken muß, eine schöne Brüderlichkeit, die man zu fordern das Recht haben muß, die in demselben Augenblick, wo man die Gegenseitigkeit mit ihrem reinen Rechtskreise durch sie er-

setzen will, selbst in ein Rechtsverhältnis umschlägt! Das heißt den edlen und hohen Begriff zur Lächerlichkeit machen, weil man ihn auf ein Gebiet überträgt, wohin er nicht gehört. Und dasselbe, wie in wirtschaftlicher, ist in politischer Hinsicht der Fall, meine Herren.

Die Brüderlichkeit kann auch nicht Staatsprinzip sein. Man hat hier und da von einem solchen Staate, im Gegensatz des Rechtsstaates, gesprochen. Aber wie die Gegenseitigkeit das Prinzip für das Wirtschaftsleben ist, so ist für das politische Staatsleben die Gerechtigkeit die Grundlage. Zwangs­ rechte und Zwangspflichten festzustellen und zu ordnen, gilt es da und die Bürger durch die öffentliche Macht zu ihrer Erfüllung anzuhalten. Die Brüderlichkeit aber mit ihren Geboten, wie sie uns die innere Stimme in der eigenen Brust zuruft, gehört in den Bereich der freien Sittlichkeit. Den staatsbürgerlichen Pflichten kann und darf sich daher unter dem Vorwande der Brüderlichkeit niemand entziehen wollen, die müssen zuerst erfüllt werden, ehe jene an die Reihe kommt. Erst muß ich meine Schuldigkeit tun, ehe ich meinem Herzen genügen darf. Nehmen

Sie an, ein vom Staate besoldeter Professor oder Beamter verrichtet die Arbeit nicht, für die man ihn bezahlt, um allerlei Liebespflichten nach­ zugehen, vielleicht gemeinnützige Vereine zu leiten, bildende Vorträge zu halten usw. Was würden Sie dazu sagen, hätte eine solche Handlungs­ weise und wäre sie von den brüderlichsten Gesinnungen eingegeben, sitt­ lichen Wert? — Ein anderer, vielleicht ein Arzt, bemüht sich von früh bis abends, treibt indessen Armenpraxis, gibt alle übrigen Patienten auf und läßt sich von niemand etwas bezahlen und zu Hause darben Weib und Kind und er und die Seinen müssen von fremder Mildtätigkeit leben. Kann man das billigen? Ferner: Jemand leiht von einem anderen 1000 Taler, um Geschäfte zu machen, und verdient damit weitere 1000 Taler zu den 1000 Talern hinzu, die er sich geborgt hat. Anstatt nun zunächst das geborgte Geld an seinen Gläubiger zurückzuzahlen, geht er hin und trägt die ganzen 2000 Taler in eine milde Anstalt und

bringt so jenen aus lauter Brüderlichkeit um sein Geld. Sie sehen selbst, das geht wieder nicht. Darum erst die Pflicht der Selbstsorge für sich und die ©einigen erfüllt auf wirtschaftlichem Gebiet und den über­

nommenen Verpflichtungen gegen seinen Mitbürger und den Staat, den bürgerlichen Gesetzen Genüge getan — dann erst, meine Herren, habe ich dann noch Kraft, Zeit und Mittel übrig und ich trete damit ein für eine humane Idee, zur Linderung von Not und Elend, dann beginnt die rechte Brüderlichkeit. Sie beginnt da, wo das Wirtschaften und der

Staat aufhört; nicht der Erwerb, nicht Recht und Pflicht sind ihr Reich,

Schulze-Delitzsch.

108

nicht der Zwang ist ihre Macht, sondern die freie Liebe. Wie gesagt, sie ist eine sittliche Eigenschaft und es heißt ihr Wesen verkehren und sie ihrer Würde entkleiden, wenn man sie anbefiehlt und sozusagen durchein Dekret als Grundlage für den menschlichen Verkehr zwangsweise einführen wollte.

Endlich, meine Herren, komme ich auf die Gleichheit, die auch in diesen Dingen eine Rolle spielt.

„Freiheit und Gleichheit", so hieß

die Losung in der großen politischen Bewegung, die einst von Frank­

Aber, meine Herren, auch

reich aus durch den ganzen Weltteil ging. hier

sich

hüten Sie

Gleichheit,

die wir

Rechtsgleichheit, meine

vor

Herren,

die

Verwechselung

erstreben

der Begriffe.

müssen,

und

Gleichheit aller

die soziale

Gleichheit,

Es gibt eine

Sie insbesondere:

vor dem Gesetz.

die

Aber,

gesellschaftliche,

gleiche Stellung und Geltung der Menschen im

die

die

sozialen Leben, die ist

eine Unmöglichkeit, weil die Natur sie nicht gewollt hat.

Die Menschen

sind von Natur verschieden begabt; da ist nicht einer, der dem andern

gleich geschaffen wäre. dort den

Einfältigen

Hier haben Sie den Einsichtigen und Klugen, und Beschränkten; da

haben

Sie den

braven,

den charakterfesten, den zuverlässigen Menschen, dort den Leichtsinnigen, Schlechten, Wankelmütigen; da einen Starken, einen Geschickten, dort einen Schwachen und Ungeschickten usw.

Und eben weil die Begabung

der Menschen verschieden ist und wir dies nicht ändern können, deswegen auch ihre Geltung in der menschlichen Gesellschaft.

Wir können tun,

was wir wollen, wir können Gesetze machen, wie wir wollen: wir werden es nun und nimmermehr dahin bringen, daß der Schwache soviel gilt,

wir der Starke, der Einfältige soviel wie der Kluge, daß Fleiß, Mut, Tatkraft, Kenntnisse nicht mehr Ansehen geben, als Faulheit, Tatlosigkeit und Unwissenheit. nun

Von diesen Eigenschaften und Naturanlagen hängt

einmal der Erfolg im Leben ab, sie geben Macht, Besitz, große

Mittel und die Fähigkeit, sie anzuwenden, das ist nicht anders, das kann

nicht anders sein.

Ein Mann, der sich auf diese Art eine Stellung ge­

schaffen hat, dessen Wirken vielen seiner Mitbürger, dem Gemeinwohl zu­

statten kommt (der Staatsmann, der Gelehrte z. B.), oder um den sich

wichtige und zahlreiche Privatinteressen

gruppieren, an dessen Unter­

nehmungen die Existenz vieler anderer geknüpft ist, — nehmen Sie z. B.

den großen Grundbesitzer und Fabrikanten — der hat naturgemäß viel

Einfluß, weil alle diejenigen hinter ihm stehen und ihn stützen, deren Wohl mit dem seinigen mehr oder weniger eng zusammenhängt.

Und

wollte denn das etwa jemand ändern, selbst wenn er es vermöchte?

Hat

nicht die Natur sehr weise daran getan, daß sie die Menschen nicht gleich

ausstattete, nicht einen wie den andern, daß sie dieselben verschiedm be­

gabte?

Sie haben schon bei der Arbeitsteilung gesehen, wie wesent­

lich das Wohlsein aller auf -er Verschiedenheit der Begabung der einzelnen

beruht, welche bewirkt, daß sich dieselben den mannigfaltigsten Zweigen

der Tätigkeit widmen und dadurch für die mannigfaltigsten Bedürfnisse sorgen.

Das geschähe nicht, wenn alle nur dasselbe könnten und wollten,

denn alsdann würden nicht alle diese Richtungen vertreten sein, und das

große und gewaltige Gesamtgetriebe der menschlichen Gesellschaft,

dieses wunderbare und kunstvolle und in seinem Prinzip doch so einfache

Jneinandergreifen der verschiedenen Einzeltätigkeiten, bei denen alle ihre Rechnung und jeder seine Verwendung findet und bei dem die Menschheit unaufhaltsam, allen künstlichen Hindernissen zum Trotz, auf den Bahnen

der Zivilisation vorwärts schreitet, wäre zerstört.

Die einzelnen müßten

dann eben, wenn alle alles leisten sollten, keine Menschen, sondern jeder

ein Gott sein.

Daher weg mit solcher unnützen Träumerei, und die

Dinge genommen, wie sie nun einmal liegen, da wir die Menschen doch nicht umschaffen können, und statt dieser unmöglichen

Gleichheit in

der gesellschaftlichen Stellung und Lage der Menschen, die Gleich­

heit aller vor dem Gesetz, die rechtliche,., die politische

Gleichheit!

Denn das ist eine begründete Forderung, die wir gerade aus jener

natürlichen Ungleichheit ableiten: daß die letztere nicht noch künstlich durch schlechte, d. h. ungerechte Gesetze verstärkt werden darf. Wenn der Besitzlose, der minder Begabte, der weniger Gebildete schon ohnehin ungünstig stehen,

wenn andere, welche mit hinreichenden Mitteln, mit guten Anlagen und besserer Ausbildung versehen sind, schon ohnehin einen großen Borsprung vor ihnen

voraus haben, so sollen die staatlichen Einrichtungen die nachteiligere Stellung

jener nicht noch erschweren, oder wohl gar darauf Hinzielen, dieselben mög­

lichst von dem Emporstreben zurückzuhalten, zu besseren Zuständen zu hemmen!

sie an dem Heraufarbeiten

Im Gegenteil haben sie das letztere

zu fördern und zwar nicht bloß int Interesse der minder gut gestellten

Bevölkerungsschichten, sondern im Interesse der Gesamtheit aller Staats­ bürger.

Denn das Gemeinwohl, das Wohlbefinden eines Gemeinwesens,

wächst, je besser es um alle einzelnen darin steht, je mehr seine Angehörigen durchweg int Wohlstände sind, das ist eine unbestreitbare Wahrheit. f) Die vernünftigen Anforderungen an den Staat vom Standpunkt

der Arbeiterfrage.

Und hier kommen wir von selbst auf den Punkt, der den Abschluß

unserer heutigen Besprechung bildet.

Wir

haben die Staatshilfe und

110

Schulze-Delitzsch.

Staatseinmischung in die Existenzfrage abgelehnt und die einzelnen des­ halb auf den Gebrauch der eigenen Kraft verwiesen. Deshalb ist es am Orte, uns klar zu machen, was wir vernünftigerweise vom Staate zur

Förderung dieser Aufgabe zu erwarten haben, wie wir uns den Staat wohl wünschen und denken müssen von dem Standpunkte der Arbeiter­ interessen aus. Das, was wir für den einzelnen, behufs Durchführung der Selbstsorge für seinen Erwerb, in politischer Hinsicht forderten, Sie erinnern sich, meine Herren, war die Freiheit im Gebrauch seiner Kräfte. Aber eben weil wir diese Freiheit nicht für einen, sondern für alle, als ein allgemeines Recht forderten, ergab sich auch ihre Schranke, der natürliche Rechtskreis eines jeden: seine Kräfte nach freiem Ermessen und zu selbstgewählten Zwecken zu brauchen, dabei aber in die gleiche Befugnis der andern nicht störend einzugreifen, vielmehr ihren RechtSkreis ebenso zu respektieren, als man es für den feinigen verlangt. Kein Mensch darf sich gebaren, als sei er allein auf der Welt, er kann ohne die andern nicht existieren und muß sich mit ihnen vertragen. Erst die allgemeine Sicherheit ist die realisierte Freiheit aller, derjenige Zu­ stand, wo jeder den freien Gebrauch seines Willens und seiner Kraft hat, ohne störende Eingriffe anderer fürchten zu müssen, natürlich in der Voraussetzung, sich auch seinerseits keine solchen gegen Dritte zu erlauben. Und hier stehen wir vor dem Hauptzwecke des Staats, der die Gesell­ schaft, den menschlichen Verkehr, nicht etwa erst macht, sondern aus den Bedürfnissen derselben hervorgeht und uns die notwendigen äußer­ lichen Vorbedingungen für den Erfolg unserer humanen und wirtschaft­ lichen Ziele und Strebungen gewährt: Rechtsschutz, Sicherheit, Frieden. Gewiß ist der Staat, mit seiner öffentlichen Macht, gleichsam

als die Exekutivgewalt der Gesellschaft, zur Lösung der sozialen Aufgaben, besonders auch der Existenzfrage, unentbehrlich, weil ohne die genannten Vorbedingungen auch den tüchtigsten Bestrebungen die Garantie des Er­ folgs fehlt. Aber die Lösung der Aufgabe ist mit dieser bloßen äußeren

Möglichkeit nicht gegeben, vielmehr kommt es dabei auf andere Kräfte, auf die Privattätigkeit der einzelnen an für ihre Interessen, darauf: ob und tote jene Möglichkeit benutzt wird. So wertvoll also für uns die bürgerliche, die politische Freiheit ist, so wenig ich glaube, daß ohne dieselbe die Hebung des Arbeiterstandes jemals durchgeführt werden kann — gemacht ist die Sache damit noch nicht! Führen wir nicht alle wirt­

schaftlichen Mächte für uns in den Kamps, bilden wir nicht die gewerb­ liche Tüchtigkeit in uns selbst aus, benutzen wir die Freiheit nicht, so wird sie allein uns zu nichts helfen. Die wirtfchastltche Besserung

der vorhandenen Zustände verlangt wirtschaftliche Mittel und das all­ gemeine Wahlrecht macht nicht satt. Ja, eS wird an der rechten und

fruchtbaren politischen Beteiligung der Arbeiter selbst so lange fehlen, als nicht Wohlstand und Bildung ein bescheidenes Maß unter ihnen erreicht haben und die Sorge um die tägliche Notdurft ihre ganze Zeit

und Kraft in Anspruch nimmt. Was also, meine Herrn, möchten die Arbeiter im allgemeinen für Forderungen an die Staatsverfassung von ihrem Standpunkte etwa zu

machen haben? Zunächst verlangen wir da, wir sagten es schon, die Gleichheit vor dem Gesetze. Kein einzelner, keine Klasse der Gesellschaft darf vor der andern begünstigt, mit Vorrechten und Privilegien ausgestattet werden, welche die übrigen, insbesondere die weniger Bemittelten hindern, sich emporzuarbeiten, etwas vor sich zu bringen, welche den Fähigen und Gescheiten von der ihm gebührenden Stellung ausschließen und Rang, Geburt und zufällige Glücksgüter an die Stelle des Talents und Ver­ dienstes setzen. Das ist die erste Forderung und hier mag das all­ gemeine gleiche Wahlrecht füglich als Folge dieser Forderung mit aufgestellt werden. Dann, meine Herren, verlangen wir weiter eine möglichst gleichmäßige, gerechte und möglichst wenig drückende Verteilung der Staatslasten. Ganz besonders der Arbeiter, dessen Erwerb nicht zu den glänzendsten gehört, der das Seine am meisten zu Rate halten muß, ist sehr interessiert dabei, daß die Staatsfinanzen

gut geordnet, zusammengehalten und nicht zu unnützen, zu unproduktiven Zwecken verwendet werden, damit man ihm nicht mehr, als sich gebührt, von seinem sauren Verdienste durch lästige Steuern abnehme. Damit im genauesten Zusammenhang steht die möglichste Schonung wirtschaftlichen, der Arbeitskräfte der Nation. Niemand Ihnen wird verkennen, daß wir alle nicht nur mit Geldmitteln, Übertragung der unumgänglichen Staatslasten, nein, auch mit Leib

der von zur und

Gliedern dem Staate zu dienen verpflichret sind, ja mit unserm Leben einstehen müssen, wenn es die Verteidigung des Vaterlandes, die Aufrecht­ erhaltung des Friedens gilt. Niemand, am wenigsten der kräftige

Arbeiter, wird diese Pflicht bestreiten, vielmehr wird er es für eine Ehre

halten, als Verteidiger des Vaterlandes seine Schuldigkeit zu tun. Aber das mag er billig verlangen, daß diese Verpflichtung auf das rechte Maß beschränkt werde, daß man ihm nicht zumute, von seinen wirtschaftlichen Kräften, von seiner Zeit, von seiner Freiheit, die er so nötig für seine

Existenz braucht, mehr dem Staat zu opfern, als wirklich zur Erreichung

112

Schulze-Delitzsch.

jenes Zweckes durchaus nötig ist. Endlich, wenn, außer diesen rein politischen Dingen, der Staat noch manches andere von allgemeinem Interesse in den Bereich seiner Tätigkeit zieht, namentlich das Schul­ wesen, so schließen wir noch als eine Hauptforderung hier an: die Hebung der Bolksschule, als der Hauptpflanzstätte der Bildung für den Arbeiter, ohne welche die nachhaltige Hebung des Standes selbst niemals mit Erfolg angestrebt werden wird. Fassen wir die Sache von der Kehrseite und sprechen aus, was wir im Staate nicht wollen, so würde sich das Programm in seinen Hauptzügen kurz dahin stellen: Wir wollen erstlich keinen bureaukratischen Staat, der die Staatsmittel übermäßig in Anspruch nimmt für ein unnützes Beamtenheer, das in der Vielregiererei und Hemmung der freien Bewegung der Bürger Beruf und Geltung sucht. Weiter wollen wir keinen Staat der Bevorrechteten, keinen Stände-Staat, der eine oder mehrere Klassen von Bürgern durch Standes- und andere Privilegien vor den andern bevorzugt, weil dies der Rechtsgleichheit widerstrebt, die wir für alle, auch für den Geringsten unter uns in Anspruch nehmen. Wir wollen keinerlei Privilegien, so wenig einen bevorzugten Geburtsadel, wie einen bevorzugten Stand unter den Arbeitern selbst, der, gleich den Zünftlern, auf Kosten der übrigen gewisse Vor­ rechte für sich ausschließlich in Anspruch nimmt. Denn wer einmal für sich dergleichen prätendiert, der kann sich auch den Anmaßungen von anderer Seite her nicht widersetzen und so sehen wir bei uns gegen­ wärtig die Zünftler und unsere Junker schönstens Hand in Hand

gehen, in einer Art heiliger Allianz, die gerade ebensosehr den Zeit­ forderungen in das Gesicht schlägt, als jene vielberufene andre, womit man die geschichtliche Bewegung in unserm Weltteile zum Stillstand zu bringen meinte. — Ferner wollen wir keinen Militärstaat, in dem das Soldaten­ halten aus dem Mittel zur Verteidigung des Vaterlandes zum eigentlichen Staatszweck wird. Denn wo die Soldaten nicht mehr um des Staates

willen, sondern der Staat um der Soldaten willen da ist, da werden Geld, Zeit und Kraft der Bürger in unglaublichem Maße verschleudert, und das Endresultat, das man obenein mit dem finanziellen Ruin er­ kauft, ist der Verlust der bürgerlichen Freiheit. — Endlich aber wollen wir keinen absoluten Staat, sondern einen Verfassungsstaat, wo

wir, wo sämtliche Bürger bei der Gesetzgebung und Besteuerung und

allen wichtigen Einrichtungen ihr Vollwort dazu zu geben haben, wo nicht ein einziger nach Willkür unbeschränkt gebietet. Denn nur durch unsre Mitwirkung in Ordnung aller dieser wichtigen Verhältnisse er-

halten wir die nötige Garantie, daß unsere Bedürfnisse gehörig dabei

berücksichtigt, unsere Interessen gehörig gewahrt werden und dies ist doch am Ende letzter Zweck des Staats.

„Die Völker sind ihrer selbst

willen da, nicht um für Sonderinteressen und Gelüste irgend

welcher Art ausgebeutet zu werden," dies der unumstößliche Satz,

den in unserer vorgeschrittenen Zeit zu verleugnen nur der Helle Blöd­ sinn oder die raffinierteste Heuchelei vermöchten. Dies in flüchtigen Umrissen, Staat zu fordern haben möchten.

was Sie, als Arbeiter,

etwa vom

Und meine Herren, erwägen Sie ein­

mal näher: es ist nichts anderes, als was alle übrigen Klassen der Ge­

sellschaft, alle, die sich nicht blind ausscheiden aus dem Leben der Zeit — was die ganze große liberale Partei in Preußen, in Deutschland, ja in Europa auch will und verlangt, so gut wie Sie.

Unterschied, kein Zwiespalt.

Da ist kein

Ihr Interesse, das Interesse der Arbeiter,

ist das Interesse der gesamten Gesellschaft und in Deutschland fast mehr, als anderswo, weil die Erhaltung und Kräftigung eines tüchtigen Mittel- und Arbeiterstandes, in dem wir von jeher einen Hauptträger

der Gesittung und Kultur unseres Volkes erblicken, geradezu als eine nationale Aufgabe erscheint.

Und, meine Herren, ich wüßte nichts Köst­

licheres, nichts, was Ihnen mehr die freudige Gewißheit des Gelingens

Ihrer Bestrebungen zu geben vermöchte!

Erhalten Sie sich diese all­

gemeinen Sympathien, die gute Meinung aller vernünftigen Menschen, aller wahren Baterlandsfreunde für Ihre Sache, indem Sie fortfahren,

dieselbe ebenso besonnen

und energisch, wie bisher, zu führen.

Treue

Hände sind Ihnen geboten und ich möchte die Macht sehen, die Sie auf

dem betretenen Wege mit dieser Bunvesgenossenschaft von Erreichung des ersehnten Zieles abzuhalten vermöchte! Und jetzt, meine Herren, schließe ich, indem ich vor unsern verehrten

Gästen aus Ihrer Seele, ja, ich glaube nicht zuviel zu sagen, aus der Seele aller deutschen Arbeiter, eine Überzeugung ausspreche, wie

sie sich in uns befestigt hat als Resultat unserer bisherigen Unterhaltungen.

Meine Herren, die deutschen Arbeiter hier und allerwärts, wo sich

das rechte Leben unter ihnen regt, sie weisen die Anmutung der Staats­

garantie,

überhaupt eine Existenz durch andere als durch ihre eigene

Kraft, als ihrer nicht würdig von sich zurück.

Sie nehmen die volle

Verantwortlichkeit dafür in Anspruch, weil sie wissen, daß nur darin die Möglichkeit der Freiheit für sie liegt.

Wer die Freiheit im ge­

werblichen und bürgerlichen Leben verlangt, der muß die bürgerliche und wirtschaftliche Verantwortlichkeit auf sich nehmen. Nur in der ÜberSchulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.

g

114

Schulze-Delitzsch.

nähme der Pflicht liegt die Garantie des Rechts und, meine Herren, auf die Freiheit sind Sie nicht geneigt zu verzichten, denn Sie verzichteten auf Ihr bestes Teil, auf die Möglichkeit jeder Entwicklung Was macht, frage ich, den Menschen erst zu dem, was er ist? Was weist ihm seine erhabene Stellung an auf unserer Erde? — Die edelsten Triebe der

menschlichen Natur sind der Trieb nach Wahrheit — das Erkenntnis­ vermögen — und der Trieb nach Freiheit — das Willensvermögen. Das ist die Marke alles menschenwürdigen Seins und Tuns: „dah der Mensch bestrebt ist, das Gute und Schöne, das Wahre und Rechte zu erkennen und das als solches Erkannte mit aller

Kraft seiner Seele, mit Zusammenfassung seines ganzen Wollens und Denkens, im praktischen Leben zu verwirklichen." Sie, meine Herren, wollen mitwirken an der großen Gesamtausgabe des Menschengeschlechts, als Mitträger der Zivilisation und dazu, das wissen Sie, ist die sittliche Weihe der Freiheit Ihnen unentbehrlich. O, Ihnen ist es bei Ihrer Bewegung nicht bloß um das materielle Sein zu tun, um des Leibes Nahrung und Notdurft! Das, was Sie oft mehr ge­ drückt hat, als jene materiellen Mißstände, das war, daß Sie zum Teil ausgeschlossen schienen von den hohen idealen Strebungen der Gegenwart, von der Betätigung der edleren, feineren Anlagen der menschlichen Natur. Sie wollen Ihr volles Menschentum in Anspruch nehmen — dies der Sinn der Bewegung, die sich jetzt über Ihre Reihen verbreitet. Und deswegen, meine Herren, sagen Sie — ich darf es in Ihrem Namen aussprechen — zur ganzen Gesellschaft: Hier sind wir! Die volle Ver­ antwortlichkeit für unsere Existenz, wir nehmen Sie auf uns! aber zugleich: gebt der Freiheit eine Gasse! und die Aufgabe soll uns nicht schrecken. Mit dieser Losung, meine Herren, trennen wir uns von unsern Gästen und ich glaube einem wahren Herzensbedürfnis von Ihnen zu genügen, wenn ich in Ihrer aller Namen die verehrten Männer vom volkswirtschaftlichen Kongreß bitte, daß sie in ihrer Heimat einen herz­ lichen Brudergruß an die dortigen Arbeiter mitbringen von den Arbeitern Berlins! (Donnernde, allseitige Zustimmung.)

V. Di« praktische« Mittel und Weg« gilt Hebung der arbettenden «»offen. (Fortsetzung.)

a) Künstliche Eingriffe in die natürlichen Beziehungen des Verkehrs. Wir fahren heute in Erörterung der praktischen Mittel und Wege zur Hebung der arbeitenden Klassen fort.

Nachdem wir

zuletzt über die Unmöglichkeit der Lösung der Ausgabe von außen her,

namentlich durch Dazwischenkunft des Staats, uns verständigt und

die sozialistischen Irrtümer in dieser Beziehung aufgedeckt

haben,

beschäftigen wir uns heute zunächst mit Abwegen von weniger radikaler Natur, wie sie heutzutage leider noch ziemlich im Gange sind.

Wenn

wir uns so nach allen Seiten hin klar gemacht haben, wie man die Sache nicht anzugreifen hat, werden wir am Ende von selbst auf den richtigen

Weg hingeleitet werden.

feindung der

freien

Diese Abwege laufen wiederum meist auf An­

Konkurrenz

und

des Kapitals hinaus

und

wenn man auch nicht so weit darin geht, wie die Sozialisten, welche

beides durch die Staatsindustrie geradezu aufheben wollen, so gerät man doch auf mannigfache Versuche und Pläne, jene mächtigen Verkehrshebel

durch Beschränkungen und Maßregeleien der willkürlichsten Art zu hemmen und einzuschränken.

Und diese leider noch in vielen deutschen Staaten,

teilweise auch bei uns nicht ganz überwundene Richtung hat nur deshalb nicht ihren ganzen verderblichen Einfluß, durch Kreuzung der von uns

entwickelten großen wirtschaftlichen Naturgesetze, zu äußern vermocht, weil die Macht der Tatsachen die künstlichen Schranken überall durchlöchert

und das Interesse, wenn auch auf Umwegen und unter allerlei Hemmungen und Benachteiligungen, unablässig zu seinem Recht zu gelangen, bestrebt ist. In bezug auf die Beschränkung der freien Konkurrenz durch

irgendwelche gewerbepolizeiliche Anordnungen und Forderungen, wie wir

sie namentlich seitens der Zunftpartei auf dem Gebiete der Handwerks­

industrie angestellt sehen, verweise ich auf das im dritten und vierten Vortrage von mir bereits Entwickelte.

Der ganze Menschenverkehr, die

Möglichkeit der Befriedigung unserer leiblichen und geistigen Bedürfnisse beruht auf Arbeitsteilung und Tausch, von denen das eine ohne das andere nicht denkbar ist.

Die freie Konkurrenz ist die Freiheit der

Arbeit und die Freiheit des Tausches unter einem. In der Freiheit aber, wie überall so auch auf gewerblichem Felde, ist einzig und allein die Möglichkeit der Entwicklung gegeben.

Einen Schutz gegen diese

Freiheit anrufen, heißt die eigene Entwicklungsfähigkeit aufgeben. Wer solchen Schutz in seinem Erwerb bedarf, weil er wirklich nicht anders bestehen kann, verdient nicht zu bestehen, denn es würde ihm dies nur

gewährt werden auf Unkosten aller übrigen, deren Freiheit und Ent­ wicklungsfähigkeit dann

seinetwegen angetastet werden müßte, wodurch

man sie auf einen gleich niedrigen Stand der Leistungsfähigkeit herunter­

bringen würde, wie er selbst ihn einnimmt.

Dazu, zu einer Existenz

auf fremde Kosten, obenein zum Nachteil des Ganzen, hat aber niemand

Schulze-Delitzsch.

116

ein Recht und es widerstreitet dem Staatsinteresse, solchen Prätensionen nachzugeben.

Die Verringerung der gewerblichen Produktivität, der Er­

giebigkeit der Gesamtarbeit unter Verteuerung der Arbeitsprodukte wäre die notwendige Folge.

Und welche großen Rechnungsfehler obenein dabei unterlaufen, ergibt

ein flüchtiger Blick. Man will die Produzenten schützen, indem man ihre Zahl beschränkt und meint, ihnen dadurch bessere Preise zu sichern. Ich

will zunächst von der Unmöglichkeit des Systems

gar nicht sprechen,

dessen Durchführung schon darin scheitert, daß gar nicht abzusehen ist, was mit der Menge von Arbeitern werden soll, welche man auf diese Weise in den einzelnen Gewerbsfächern ausschließt.

zwei unbestreitbare Sätze geltend.

Dagegen mache ich

Zunächst: Bedenkt denn niemand, daß

in dem Augenblicke, wo wir eine Menge Leute vom Gewerbebetriebe in

den einzelnen Zweigen ausschließen und so in ihrer wirtschaftlichen Lage

doch

jedenfalls

herunterbringen, wir

nicht bloß die Zahl

der Kon­

kurrenten, sondern zugleich auch die Zahl und die Kauffähigkeit der

Kunden vermindern? Wir haben nun z. B. in einem bestimmten Bezirk

100 Produzenten weniger, aber zugleich auch 100 Kunden; wird weniger produziert, so wird auch soviel weniger konsumiert, gebraucht; wie kann sich denn da das Verhältnis für die Produzenten besser stellen? — Darin eben — und dies betonen wir hauptsächlich — liegt das Grundfalsche

dieser Auffassung: daß man die Menschen in zwei Klassen scheidet, in Produzenten

und Konsumenten

und

diese einander

entgegensetzt

mit der Vorstellung, als sorge die Gesetzgebung bloß für die eine oder

die andere,

als

opfere sie

eine der anderen.

Kein Mensch ist bloß

Produzent, ein jeder ist zugleich Konsument, und zwar ohne Aus­ nahme das letztere in weit höherem Grade, als das erstere.

Welches

Geschäft auch jemand treibt, immer ist er nur eines oder einige seiner Bedürfnisse

durch seine eigenen Arbeitsprodukte oder Dienste zu be­

friedigen imstande. Der Tischler macht sich seine Möbel, der Schneider

seine Kleider, der Klempner, der Drechsler mancherlei Gerät, der Weber einzelne Kleidungsstoffe usw., aber wegen der tausend Dinge, welche alle diese Leute noch außerdem bedürfen, sind sie an die Produkte

anderer gewiesen, sind sie Konsumenten. Wozu also müßte eine solche künstliche Preissteigerung in allen Branchen führen, wenn sie überhaupt

durch Beschränkung der Konkurrenz zu erreichen wäre? — Dahin, daß ich zwar durch die höheren Preise meiner Ware eine größere Einnahme hätte, diese aber durch größere Ausgaben, welche mir durch die eben­ mäßig in die Höhe gegangenen Preise der Waren der anderen erwüchsen,

die ich zu meinem Bedarfs kaufen muß, ausgewogen würde.

Wenn ich

vorher in meinem Geschäft 300 Taler jährlich verdiente und mit diesem

Verdienst meinen und der Meinigen Unterhalt bestritt, nehme ich bei der­ selben Arbeit jetzt zwar 400 Taler ein, komme aber damit ebenfalls nicht weiter, als früher mit den 300 Talern, weil alles teurer geworden ist.

Davon hat also niemand den geringsten Vorteil, aber freilich denkt sich im Grunde jeder, der von solchen Dingen das Heil hofft, das so: daß

nur er allein in seinem Geschäftszweige vor der Konkurrenz geschützt und dadurch in den Stand gesetzt wird, die Preise seiner Ware hinauf­

zutreiben — die übrigen, deren Kunde und Abnehmer er selbst ist, die sollen das beileibe nicht, von denen will er die Sachen so billig wie

früher. — Nun freilich, dann stimmte für ihn die Rechnung allerdings eher, aber wie für die anderen?

Werden diese nicht auch in ihrem

Geschäftszweige die Beschränkung mit demselben Recht fordern? Sie sehen,

das Monopol, das Vorrecht auf dem Gebiete der Arbeit ist nicht durch­ zuführen.

Von allen Ur- und Grundrechten der Menschheit ist die Frei­

heit der Arbeit und des Tausches — das ist die freie Konkurrenz —

das erste und hauptsächlichste, weil es in unsere Existenzfrage eingreist und einem jeden im Bedürfnis und der Arbeitskraft angeboren ist. Ebenso verkehrt sind die Angriffe auf das Kapital, dessen Bedeutung

im Verkehr, dessen Unentbehrlichkeit und segenvolle Bestimmung für die Arbeit wir im zweiten Vortrage gezeigt haben. Die Frucht der Arbeit» strebt das Kapital mit innerer Notwendigkeit der Arbeit wieder zu, um sich in und mit ihr immer von neuem wieder zu erzeugen und zu ver­

mehren.

Ohne Anlage in einem produktiven Unternehmen ist es tot,

verzehrt es sich im bloßen Konsum und jene Verbindung allein gibt ihm

seine fortzeugende Macht und gewährt seinem Inhaber eine Rente. Halte man nur das hierbei ein für allemal fest, was wir dort un­

umstößlich nachgewiesen haben: a) daß wir durch das Kapital die ganz

unentbehrliche Naturhilfe bei der Arbeit heranziehen; b) daß, je mehr

und je reichlicher uns die Natur dürch ihre Stoffe und Kräfte bei der Arbeit unterstützt, diese letztere um so leichter und ergiebiger wird. Sicher

ist das Kapital eine gewaltige Macht, aber nicht gegen, sondern nur mit, nur bei und in der Arbeit, nur in den Händen des Produzenten,

das haben wir gesehen. lähmen,

Das Kapital in seiner Wirksamkeit hemmen und

heißt also die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit überhaupt

schwächen, heißt bewirken, daß die Arbeit mühevoller wird und weniger hervorbringt.

Daß dies der verkehrteste Weg ist, die Arbeiterfrage zu

lösen, sicht jeder.

Wenn alle mit allem besser und reichlicher versorgt

Schulze-Delitzsch.

118

werden sollen, so muß mehr oder leichter produziert werden als bisher;

das Gesamtarbeitserzeugnis muß ein größeres im ganzen werden, damit jeder davon einen größeren Anteil erhalten könne. Die angedeutete Maß­

regel führt nun aber mit Notwendigkeit zum geraden Gegenteil, bewirkt,

daß die Gesamtproduktion sinkt, anstatt zu steigen, daß weniger geschafft wird, statt mehr, daß also die einzelnen nicht besser, sondern schlechter

versorgt werden, als bisher.

Wir verweisen hierbei besonders auf das,

was wir im vierten Vortrage über den sozialen Staat gesagt haben, wo es sich ebenfalls darum handelte, das Privatkapital durch ein großes Staatskapital aus der Industrie zu verdrängen und von den Folgen, die

dies haben müßte, wenn es überhaupt möglich wäre.

In der Tat ist

der Macht des Privatkapitals konsequent auch nur auf dem gedachten

Wege, d. h. dadurch, daß man die Privatindustrie aufhebt und in den

Staat verlegt, beizu kommen.

Zu dem obigen Nachteile, daß wir in der

Bekämpfung des Kapitals die Naturhilfe bei der Arbeit schwächen, tritt also noch der Übelstand, daß wir die Lust zum tüchtigen Schaffen und

Sparen in den einzelnen Arbeitern lähmen, wenn sie dadurch nicht mehr zu

Kapital und Vermögen kommen, und daß wir auf diese Weise der Bildung und dem Wachstum der Kapitalien überhaupt entgegenarbeiten.

Me

lächerliche Chimäre eines ungeheueren, die sämtlichen Privatkapitalien in

der Industrie ersetzenden Staatskapitals, von dem völlig unerfindlich ist,

wo

es

nach

Vertreibung

der

Privatkapitalien

Herkommen

haben wir ebenfalls bei jener Gelegenheit bereits nachgewiesen.

soll,

Nur

von einem großen Staatsdefizit, einem völligen wirtschaftlichen und

sittlichen Bankerott kann

Unfug die

sozialistischen

bei diesem ganzen

Rede sein.

Also der Krieg gegen das Privatkapital ist der Krieg gegen das Kapital überhaupt, und worauf läuft dies hinaus? weisung

der Naturhilfe



Empörung

auf

gegen

die

Auf Zurück­

wohltätigsten

Naturgesetze — auf Verleugnung der höchsten Bestimmung des Menschen und seiner Arbeit:

zu

die Natur

beherrschen,

Herrn über das Stoffliche zu machen!

ganzen

Gesellschaft,

am meisten

aber den

den Geist zum

Ein Beginnen, welches der Arbeitern

zum Verderben

gereichen müßte, indem es das Erwerbsleben der Nation aller Hilfsmittel

der Zivilisation berauben und uns wieder in die alte Barbarei, bis zur Sklavenarbeit zurückversetzen würde. Etwas so ganz

Unsinniges will nun

bewußter Weise

kein Mensch, der sich die Sache irgend überlegt.

eigentlich

Geht man daher dm

Deklamationen gegen das Kapital auf den Grund, so entstehen sie in

der Regel durchaus nicht aus der Abneigung, mit Kapital zu arbeiten, wenn man solches nur irgend auftreiben könnte, als vielmehr aus dem

Entbehren desselben und aus dem Neide

gegen die, die es haben.

Man sieht den großen Nutzen, welchen es den letzteren gewährt, recht wohl ein, man fühlt deren Überlegenheit im Geschäftsbetriebe, die daraus

hervorgeht, und weil man verzweifelt, jemals selbst zu Kapital zu ge­ langen, fällt man darauf, es zu beschränken.

Als ob das möglich wäre!

Wir haben es ja in den früheren Borträgen gesehen: „Kapitalmacht

ist Naturmacht".

Niemand bricht sie, niemand vermag die Bedeutung

des Kapitals im Verkehr zu ändern, weil dieselbe auf das innigste mit dem Wesen des Menschen zusammenhängt, der Lage entspricht, in welche

die Natur den Menschen in die Welt gesetzt hat.

Wir sind nun einmal

abhängig von äußeren Einflüssen und Bedürfnissen mancher Art, von

Speise und Trank zum Behufe unseres leiblichen Lebens so gut wie

vom Kapital bei unserer Arbeit.

Man müßte den Menschen

erst um­

schaffen, andere Triebe, andere Kräfte in ihn legen, als er von Natur

besitzt, wollte man dies ändern und der Vorschlag: zuschaffen,

damit der Arbeiter

nicht

das Kapital ab­

dessen

Sklave

sei, ist

ebenso gescheit, ebenso möglich, als der: das Essen und Trinken ab­

zuschaffen, damit der Mensch nicht Sklave seines Magens seil Daß es das Kapital ist, welches, gerade so wie der Magen im leiblichen Organismus, der Arbeit ihre

besten Lebenssäfte zuführt, das — denke

ich — ist jedem von Ihnen klar geworden.

Und zudem möchte ich ein­

mal sehen, was aus solchen bedürfnislosen Wesen eigentlich werden

würde, wenn wir eine Partie von ihnen etwa auf

Insel der Südsee aussetzten.

einer abgelegenen

Recht schön, wenn der Mensch von der

Luft lebt, wenn er für Befriedigung seiner Bedürfnisse nichts zu

tun

braucht, — aber das ist ja eben die weise Einrichtung der Natur, daß das Bedürfnis uns nötigt, unsere Kräfte zu gebrauchen, daß wir uns dabei an die Anstrengung gewöhnen, uns aus jener Abhängigkeit möglichst

herauszuarbeiten, und daß unsere Kraft, unser Streben, einmal geweckt, durch die Übung wächst und bald von der Befriedigung der leiblichen Notdurft

zur Lösung der höchsten Kulturaufgaben vorschreitet.

Daran würden

jene bedürfnislosen Wesen, denen der Hauptanstoß zur Anstrengung fehlte,

gar nicht denken, indem es ihnen ja beschieden sein würde, mühelos, die

Hände in den Schoß legend, ihr Dasein zu verbringen.

„Im Schweiße

deines Angesichts sollst du dein Brot essen", dies der alte Spruch

an der Wiege des Menschengeschlechts, der ihm auf diese Weise, anstatt zum Fluche, zum Segen geworden ist.

120

Schulze-Delitzsch. Eine Reihe von Betrachtungen knüpft

sich unwillkürlich an diese

Verkehrtheiten.

Also mein Nebenmann besitzt Kapital und kann sich ein selbständiges

Geschäft mit Vorteil einrichten, ich nicht, daher: Nieder mit dem Kapital, der soll's auch nicht besser haben als ich! — Wird mir dadurch geholfen?

Bekomme ich es

Wenn nun niemand mehr da ist, der

nun besser?

Arbeiter beschäftigen und löhnen kann — wo in aller Welt suche ich

dann selbst mein Brot? — Freilich ist das Kapital, wie alles Vermögen, Das kann aber gar nicht anders sein,

ungleich in der Welt verteilt.

weil diejenigen Eigenschaften und Kräfte, von denen am letzten Ende der Erwerb und das Ansammeln abhängt, von der Natur ungleich unter

den Menschen

verteilt sind.

und Bemittelten

Reichen

Aber ist

denn

neben Armen

das Vorhandensein

und Unbemittelten

von

in einem

Gemeinwesen ein Unglück für die letzteren, namentlich für die Arbeiter? — Sicher sind doch die Reichen die stärksten Konsumenten, die das meiste in allen Artikeln kaufen und am besten zahlen, am meisten Arbeiter in

Nahrung setzen, und jeder Arbeiter wünscht sich Kunden. nicht.

daher möglichst reiche

Das Vorhandensein von Reichen schadet daher den Arbeitern

Am allerwenigsten aber Hilst es

ihnen etwas, wenn man den

Reichtum abschafft. Sogar wenn man die Reichen berauben wollte, wenn man denselben ihren Überfluß nähme, um ihn unter die Armen zu ver­ teilen — ein Gedanke, der in dem rechtlichen Sinne und der Ehren­ haftigkeit der deutschen Arbeiter gar keinen Boden hat —, so würde dies

bei Verbesserung der Lage der einzelnen nicht ins Gewicht fallen.

Denn

dadurch könnte man wohl die Reichen arm, aber niemals die Armen reich machen» so gering ist die Zahl der ersteren gegen die der letzteren. Eine

Anekdote

aus

den

Märztagen

von

1848

gibt

mindestens sinnreich.

treffende

eine

Illustration hierzu und wenn sie nicht wahr sein sollte,

so

ist sie

Eine etwas wüste Schar — so wird erzählt —

stößt in jenen Tagen auf den bekannten Rothschild, nimmt ihn in die Mitte und fordert, er solle seinen sprichwörtlich gewordenen Reichtum

zur Teilung

handeln.

herausgeben.

Da hilft kein

„O weh!" er muß unter­

„Wie hoch taxieren Sie mich?" fragt er endlich in seiner

Bedrängnis,

und

die Antwort

Millionen Taler!"

lautet

zu

seinem Schrecken:

„Zehn

„Nun gut," ruft er, als man durchaus davon

nichts abläßt, „wenn geteilt werden soll, so können Sie allein doch nicht dabei konkurrieren wollen, dann gilt es für alle!"

ihm ein.

Das räumt man

„Gut denn" — antwortet er — „10 Millionen Taler

auf 40 Millionen Deutsche macht pro Kopf 7'/z Silbergroschen.

Hier ist Ihr Anteil, zehn Taler zusammen, verteilen Sie sie

unter sich."

Dahin geht er, die Leute lachen und die Summe wird

sofort gemeinschaftlich im Wirtshause flüssig gemacht. Aller dergleichen Unsinn, das mache man sich ein für allemal klar,

läuft stets auf den Fehlschluß hinaus: daß, wenn zwei rücksichtlich ihres

ungleicher Stufe stehen und eine Aus­

Erwerbs und Haushalts auf

gleichung zwischen ihnen angestrebt wird, diese Ausgleichung in wünschens­

werter Weise dergestalt erfolgen könne, daß der Höherstehende auf die niedrigere Stufe des anderen herabsteigen

solle

und nicht umgekehrt.

Ohne Umschweife ausgedrückt: einer hat es gut, der andere schlecht.

Der letztere möchte sich gerne ebenso befinden wie jener, gleichstehen dem ersteren.

Hilft es ihm aber etwa dazu, erreicht er diesen Zweck, wenn

man den ersteren dahin bringt, daß er es auch schlecht hat?

Der frühere

freilich weg, gleich stehen sich nun beide, aber

Unterschied fällt nun

nicht gleich gut, sondern gleich schlecht

und wem kann damit gedient

sein? — Daß diese Gleichheit kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt wäre, der in seiner Konsequenz die menschliche Gesellschaft zum all­

gemeinen

Elend

müßte,

führen

fällt in

gehemmten Erwerbsquellen, bei aufsteigendem

die Augen.

Bei un­

allgemeinem

Wohlstände

ist die Gleichheit der einzelnen im Vermögen nicht möglich.

Stellt man

sie heute mit Gewalt her, so würde sie schon morgen nicht mehr bestehen,

indem die einzelnen den allerverschiedensten Gebrauch von ihrem Anteil machen würden.

Der bekannte Zwiesprach der beiden Kommunisten

trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf, indem der eine dem anderen

aüf die Frage: „gesetzt, es wäre geteilt unbj wir hätten nun alle gleich­

viel und ich spare meinen Anteil und du vertust den deinigen — was wird denn da?" antwortete: „dann teilen wir wieder!"

b) Der rechte Weg zum Ziele. Wenn wir uns auf diese Art, so eingehend, als es uns der Raum dieser Borträge erlaubte, mit den falschen Wegen beschäftigten, welche man

hier

und

da

betreten

kommen wir dem Kernpunkt

demnächst in

Betracht

zu

hat,

oder

den

Arbeitern

empfiehlt,

der Frage nunmehr näher und

ziehen:

welche

Bahnen

dann

bleiben, in welche die Arbeiter mit Aussicht auf Erfolg

noch

so

haben

offen

einzulenken

haben werden. Ich rekapituliere vor allem hier folgende Hauptsätze, die wir in

unseren gemeinsamen Erörterungen gewonnen haben, als leitend für die

weiter innezuhaltende Richtung.

122

Schulze-Delitzsch. 1. Zuvörderst steht es für uns fest: daß der Staat durch seine

Dazwischenkunft die Arbeiterfrage nicht zu lösen vermag, daß er uns

durch seine Einrichtungen nur die Lösung

erleichtern

oder erschweren

kann. Die Frage ist keine politische, sondern eine wirtschaftliche. Ein Übel auf wirtschaftlichem Gebiete muß man aber mit wirtschaftlichen

Mitteln bekämpfen, nicht mit politischen, und niemals wird man Miß­ stände heben, wenn man die Dinge ihren natürlichen Beziehungen und

ihrem Zusammenhangs entrückt.

Die Krankheit irgendeines Organismus,

hier also des wirtschaftlichen, kann niemals von außen durch irgendwelche

Wundermittel, sondern nur durch Belebung und Stärkung der inneren Kräfte des Organismus selbst, durch Herstellung des gestörten Gleich­

gewichts

mittels der energischen Reaktion der

eigenen Natur,

geheilt

werden. 2. Nun sind aber die Träger dieses wirtschaftlichen Organismus, wie er sich in den tausendfach verschlungenen Verkehrsbeziehungen der

aufbaut,

die

menschlichen

Gesellschaft

Menschen.

Um sie und durch sie bewegt sich hier alles, wird der ganze

Apparat in Bewegung gesetzt.

die

einzelnen,

lebendigen

Die physische Lebensnotdurft, das

ist der Punkt, um den sich die Frage dreht, die leibliche Existenz, und

eine andere als die Einzelexistenz kennt die Natur in dieser Beziehung

nicht. Im einzelnen Menschen treten die Bedürfnisse auf, und zwar in jedem verschieden, verschieden in Richtung und Stärke, in Maß und

Ziel, wie es die Eigenart (Individualität) mit sich bringt, vermöge deren

sich jeder Mensch von dem anderen unterscheidet.

Und wie mit den Be­

dürfnissen, verhält es sich auch mit den Kräften, aus deren Anstrengung

allein die Befriedigung der ersteren hervorgehen kann. Natur in die einzelnen gelegt, jeden

Auch sie hat die

besonders und verschieden von

anderen damit ausgestattet, sie höchst ungleich verteilt.

Niemals kann

man daher die Menschen zum Behuf der Versorgung mit ihrem Lebens­

bedarf in eine unterschiedlose Masse zusammenwerfen und das, was jeder

in dieser Beziehung zu beanspruchen, sowie das, was er dafür zu leisten hat, nach einem allgemeinen Durchschnitt feststellen.

Wir sind keine

Dutzendwesen, keine bloßen Zahlenergebnisse, die man erst zu beliebigen

Summen

zusammenaddiert,

um

hernach durch

beliebige Division

be­

liebige Größen daraus zu bilden. Die Natur hat nun einmal die beiden

Faktoren des Vorganges, Bedürfnisse und Kräfte, in das Einzelleben verlegt und somit den Wechsel unserer Existenz auf uns selbst gezogen, jeden damit auf sich selbst angewiesen und ihm überlassen, die Bilanz seines Daseins zu ziehen.

Das Verlegen dieser Ausgleichung aus dem

einzelnen heraus ist daher unmöglich, und jeder Versuch dazu ein An­ tasten der Individualität, der Grundform unseres Wesens, ein Lähmen der natürlichen Antriebe und Kräfte der einzelnen, außer welchen es doch nichts in der Welt gibt, womit man die Sache überhaupt anfassen könnte.

So bleibt denn nichts übrig,

als bei Lösung der Aufgabe mit den

Individuen, mit Entwicklung und Ausbildung alles dessen in den ein­ zelnen zu beginnen, wovon das Gelingen der wirtschaftlichen Bestrebungen,

der Erfolg im Bereiche des Erwerbs abhängt.

Das einzig richtige Ziel

dabei ist und bleibt, die Menschen zur Selbsthilfe zu erziehen.

Pflege der geistigen, sittlichen

Die

und körperlichen Anlagen, Beibringung

nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten, Gewöhnung an Sparsamkeit, Fleiß und tüchtige Lebenshaltung, darauf kommt es vor allen Dingen an. Sollen sich unsere Umstände, unsere Lage bessern, so müssen wir zu­ erst mit uns selbst beginnen.

haftes

in

unseren

Es gibt nicht leicht etwas Mangel­

Zuständen, was sich nicht irgendwie

auf

Mängel

in uns selbst zurückführen ließe, und es wird nicht eher besser in der

Welt, als bis die Menschen besser geworden sind an Einsicht und Willens­

kraft, an ernstem Streben und Sitte.

Das, meine Herren, wollen wir

vor allem uns tief ins Herz schreiben. 3. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen regeln sich eben­ so, wie alle anderen von der Natur gegebenen Verhältnisse, durch gewisie

in ihrem innersten Wesen begründete ewige Gesetze.

Davon, daß man

diese Naturnotwendigkeiten erkennt, sich ihnen in seinem Tun fügt und

sie für sich benutzt, hängt aller Erfolg, alles Gedeihen im Erwerbe und Haushalt ab.

Wie der Landmann den Wechsel der Jahreszeiten, den

Einfluß der Witterung, die Bedingungen des Pflanzenwachstums über­ haupt und der Feldfrüchte insbesondere, der Züchtung und Ernährung seines Viehes und dergleichen kennen muß, wenn er im Ackerbau und

der Landwirtschaft vorwärtskommen will, so der Industrielle, der Arbeiter

die Gesetze, wonach sich Produktion und Konsumtion, Tausch und Wert, Kapital und Kredit u. a. m. regeln.

Nach dieser Kenntnis seine Tätigkeit

regeln, die Mächte, von denen der Erfolg abhängt auf diesem Felde,

benutzen, nicht sie bekämpfen, nicht Kraft und Mittel in dem vergeblichen Ver­ suche zersplittern, jene Einflüsse außer Wirksamkeit zu setzen, die Natur der

Dinge zu ändern, darauf sind alle Bestrebungen zu richten, um die Erwerbs­ zustände, die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern. Von diesen allgemeinen Grundsätzen ausgehend, treten wir der Auf­ gabe in ihren Einzelheiten näher und gelangen dabei zu folgenden Haupt­ gesichtspunkten:

124

Schulze-Delitzsch.

Die erste Forderung, welche überhaupt bei einem wirklich praktischen Angriff der Sache gestellt werden muß, ist: die Vermehrung der Gesamtgütermasse, des Gesamt­ vermögens der Nation. Da wir, wie schon mehrfach angeführt wurde, bei der ganzen Angelegenheit davon ausgehen, daß ein großer Teil der Menschen nicht genügend mit den zum Leben erforderlichen Gegenständen versorgt ist, so muß man eben zunächst auf Vermehrung der Gesamt­ masse der den Gesamtbedarf deckenden Befriedigungsmittel wirken, weil es ohnedies nicht möglich ist, den einzelnen größere Anteile daran behufs

besserer Versorgung zu Gebote zu stellen. Diese Vermehrung der zur Befriedigung der Bedürfnisse aller bestimmten Arbeitsprodukte und

Leistungen hängt nun unbestritten von der Steigerung der Produktion ab, welche wiederum, wie wir zur Genüge nachgewiesen haben, bedingt ist: a) durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arbeit bei den einzelnen, b) durch das Wachstum der Privatkapitalien. Alles, was auf Förderung eines dieser Momente abzielt, trägt mittelbar zur Lösung der sozialen Frage bei. Große Erfindungen, neue Entdeckungen auf dem Felde der Industrie, welche die Arbeit leichter und ergiebiger, die Produktion wohlfeiler machen, schlagen zuletzt notwendig zum Vorteil aller aus, wenn auch eine Zeitlang der Erfinder allein sie für sich

ausbeutet. Ebenso die Ansammlung großer Kapitalien. Wie eigensüchtig auch in manchen Fällen die Inhaber derselben erscheinen, kommen sie doch mit Notwendigkeit dem industriellen Aufschwung zustatten, müssen sie in produktiven Unternehmungen ihre Anlage suchen, sollen sie nicht tot liegen, ihren Besitzern keine Rente gewähren. Wie wir daher jeden Forffchritt in dieser Hinsicht als segensreich für die Arbeiter mit allen Kräften zu unterstützen haben, so müssen wir uns allem Ankämpfen dagegen, jeder Hemmung des industriellen Fortschritts, wie sie namentlich mit Beschränkung der freien Bewegung in Arbeit und Erwerb zutage tritt, jeder Anfeindung des Kapitals, welche dessen An­ wachsen hemmt, als unheilvoll widersetzen, indem durch all dergleichen Maßregeleien und Eingriffe des Staates und bevorrechteter Klassen die Entwicklung von ihren natürlichen Bahnen verschlagen und ein Zustand

herbeigeführt wird, den niemand mehr zu beklagen haben würde, als die Arbeiter. Ist sonach in der Vermehrung der Befriedigungsmittel durch die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Arbeit die erste notwendige Vorbedingung der bessern Versorgung aller mit allem gegeben, ohne welche die letztere überhaupt nicht denkbar ist, so handelt es sich sodann wesentlich um die

Verteilung dieser Gütermasse, um die Frage: wie der dem seinem

Bedürfnis

entsprechenden Anteil

einzelne zu

gelangt.

Als

durchgreifend wird man hierbei, nach den von uns angenommenen Grund­ sätzen, eben nur die Regel hinstellen können: datz der Anteil des einzelnen

an dem Gesamtprodukt, das, was dem einzelnen an Befriedigungsmitteln, an Genüssen davon zur Verfügung gestellt wird, sich im allgemeinen richtet nach seinem Anteil an der Gesamtproduktion, nach dem, was er zur Erzeugung der fraglichen Gütermasse beiträgt, nach dem Wert,

zu welchem seine Tätigkeit dabei in Anschlag kommt. seinen Leistungen" lautet hier der Spruch.

„Jedem nach

Die Leistung, nicht das

Bedürfnis, greift hier durch, soll nicht die menschliche Gesellschaft in

kürzester Frist zahlungsunfähig, der

ganze wirtschaftliche Organismus

zerrüttet werden, die Ausgabe die Einnahme, die Ansprüche an die Be­ friedigung die Möglichkeit derselben übersteigen.

In der individuellen

Leistungsfähigkeit ist dem individuellen Bedürfnis die natürliche Schranke

gezogen und das ist die wirtschaftliche und sittliche Aufgabe jedes ver­ nünftigen Menschen, seine Bedürfnisse nicht über seine Kräfte hinaus­ wachsen zu lassen, vielmehr unablässig bestrebt zu sein, daß mit ihrer

Steigerung die Entwicklung seiner eignen Fähigkeiten und Fertigkeiten

Hand in Hand gehe.

Daß bei normal menschlicher Organisation die

Erhaltung eines solchen Gleichgewichts von Sollen und Können im all­

gemeinen von der Natur vorgesehen ist, haben wir schon mehrfach aus­ geführt.

Wo aber in einzelnen Fällen ausnahmsweise einmal es an der

zur Selbsterhaltung nötigen Befähigung vorübergehend oder auf die Dauer fehlt, tritt die Übung jener Liebespflichten ein, von denen wir

im letzten Vortrage sprachen, die wir aber niemals als Grundlagen für das Erwerbsleben der Menschen anzuerkennen vermögen.

Hinsichtlich der Bemessung des Anteils der einzelnen nach deren Leistungsfähigkeit drängt sich uns nun die durchgreifende Wahrnehmung

auf, daß dabei vorwiegend

die

geistigen Faktoren der Arbeit Berück­

sichtigung finden. Intellektuelle und sittliche Tüchtigkeit, insbesondere Bildung und Kenntnisse, Übersicht und Energie, Unternehmungsgeist und

Spekulationsgabe usw. verwerten sich weit höher, als bloß körperliche An­ lagen und Fertigkeiten.

Der Entwicklungsgang der neuern Industrie,

wir wiederholen es, ist einmal der Art, daß mittelst sinnreicher Ver­

standeskombinationen mehr und mehr die bloße Muskelanstrengung er­ setzt wird, und wir haben bereits nachgewiesen, wie wohltättg im ganzen dieser Vergeistigungsprozeß der Arbeit auf die Arbeiterzustände

zurückwirkt.

Je mehr

sich daher jemand bei dem geistigen Teil der

Schulze-Delitzsch.

126

Arbeitsaufgaben beteiligt, je mehr Einsicht, Verstand und Kenntnisse er

bei seinen Funktionen aufwenden muß, im Gegensatz zu bloß körperlicher Anstrengung, desto höher ist im Durchschnitt sein Lohn, das können Sie überall wahrnehmen.

Die intellektuelle und sittliche Hebung eines

Menschen bewirkt daher in der Regel auch die wirtschaftliche.

Je

eifriger jemand für seine Bildung sorgt, je mehr Kenntnisse er sich ver­

schafft, je unablässiger er an der Ausbildung seiner sittlichen Eigenschaften arbeitet, desto besser sorgt er für sein Fortkommen, seinen

Je

höher

Unterhalt.

also der Anteil ist, den sich ein Dkensch von dem großen

geistigen Gesamtkapital der Menschheit an Kenntnissen, Erfahrung und Sittigung erringt, von welchem wir beim Schlüsse des zweiten Vor­

trages

sprachen,

auf einen

desto

größern

Anteil

am

sachlichen,

am

Geistiger Besitz

materiellen Kapital hat er für seine Person Aussicht.

verhilft zu materiellem Besitz, zu Vermögen, wenn er nur irgend ordent­ lich verwertet wird.

Die Bildungsstrebungen also sind es, mit denen wir vor allen Dingen anfangen müssen.

Hier ist der Punkt, wo noch vieles gar sehr

Mangelhafte in den Arbeiterzuständen auszugleichen ist.

selbst

dies

zum

großen Teile

Daß die Arbeiter

begriffen und werktätig bie Hand zur

Besserung hier angelegt haben, ist eines der erfreulichsten Zeichen

Zeit.

Aus ihm schöpfen die wahren Freunde der Arbeiter

der

stets

neuen Mut für das endliche Gelingen, allen den verkehrten und haltlosen Projekten gegenüber, mit denen man sich bemüht, die Arbeiter von dem

allein

richtigen Wege zu verlocken, um sie für persönlichen Ehrgeiz und

gewisse unlautere politische Bestrebungen auszubeuten,

welche nur dazu

führen, unsere gesamte Entwicklung auf humanem, staatlichem und wirt­

schaftlichem Gebiet unausbleiblich der Reaktion in die Hande zu spielen. Aber dem beugen die Tausende von Arbeiterbildungs- und volks­

wirtschaftlichen, von Handwerker und Gewerbevereinen vor, die

ihr Netz über das ganze deutsche Vaterland bis in die kleinsten Provinzial­

städte hineingezogen haben.

Indem sie nützliche Kenntnisse und gesunde

Anschauungen in allen Schichten des Volkes verbreite«, befähigen sie mehr und mehr ihre Mitglieder zum

solchen

Angelegenheiten.

eignen Denken und Urteilen in

Wie erfreulich

ist

die außerordentliche Be­

teiligung von Alt und Jung aus den Reihen der Arbeiter an diesen

Vereinen, mit welcher Aufmerksamkeit, mit welchem Ernst nehmen wackeren Leute in sich auf, was ihnen da geboten wird!

die

Ohne sich zu

bedenken, widmet man die wenigen Erholungsstunden einer neuen, oft

nicht minder schweren Arbeit, dem Lernen, und bringt

oft nicht un-

ansehnliche Opfer an Geld dazu, um sich die Fortbildung in manchen

Fächern des Wissens zu ermöglichen. In der Tat hat die Bildungs­ fähigkeit und der Bildungstrieb der deutschen Arbeiter in der

ganzen bisherigen Bewegung sich so glänzend bewährt, daß an der vollen humanen Ebenbürtigkeit derselben niemand mehr zu zweifeln berechtigt ist, daß ihnen die Sympathien aller vernünftigen Menschen gewiß sind. Indessen wieviel auch auf dem Bereinswege, aus der Mitte der Arbeiter selbst heraus, hier geleistet wird, so ist doch, sollen diese Be­ strebungen ihre volle Frucht tragen, noch eine Ergänzung nötig, die ihnen erst die rechte Grundlage gibt, von feiten der Volksschule nämlich. Und hier ist es, wie wir schon im letzten Vortrage andeuteten, die Ein­ wirkung des Staates, die wir beanspruchen müssen. Damit kommen wir keineswegs mit unserer Abwehr der Staatseinmischung in die Er­ werbsfrage in Widerspruch. Nicht bloß, weil tatsächlich der Staat die Volksschule bei uns besitzt, stellen wir die Forderung der Hebung der­ selben an ihn. Wie wir seine Einmischung in die Privatangelegenheiten selbständiger Menschen (und dazu gehört für uns die Erwerbsfrage), wie wir die Bevormundung Mündiger zurückweisen, so fordern wir sein Eintreten, seinen Schutz für die, welche nach dem Laufe der Natur noch nicht selbständig sind und sein können, besonders behufs der Er­ ziehung zur Selbständigkeit. Gewiß liegt auch hier die nächste Pflicht der Obsorge für die hilflose Kindheit und das jugendliche Alter den Eltern und Angehörigen ob. Aber wie der Staat die Sorge für Unter­ halt und Ernährung ihrer Kinder den Eltern als Zwangspflicht auf­ legt, damit die hilflosen Wesen nicht leiblich verkommen, so hat er diese Pflicht unbedingt auch auf die geistige und sittliche Entwicklung der Kinder auszudehnen, damit dieselben nicht der Verwahrlosung anheim­ fallen und dadurch zur Aufgabe der sozialen Selbstsorge, die der Staat von seinen Angehörigen verlangen muß, wenn er bestehen will, sowie zur Erfüllung aller übrigen Bürgerpflichten von Haus aus un­ tauglich werden. Das Recht auf Erziehung betrachten wir als das erste aller Grundrechte des Menschen, mit seinem Eintritt in die Welt

beginnend, welches in jedem zivilisierten Gemeinwesen geschützt werden muß. Deshalb verlangen wir den Schulzwang und die Obsorge des Staats für die Schule als ein politisches Recht und eine politische Pflicht. Zur Freiheit und Selbständigkeit — Sie wissen, daß man beides nicht trennen kann — muß der Mensch erzogen werden; jemandem im

hilflosen Alter diese Erziehung verkümmern, ist ein Attentat auf das Menschentum, dem der Staat entgegenzutreten hat, so gut wie einem Mord.

128

Schulze-Delitzsch.

Darum fordern wir, daß der Staat mehr tue für die Schule, als bisher,

besonders auch für die Lehrer, die würdigste und am schlechtesten belohnte

Arbeiterklasse in der Welt.

Keine Stätte der Umkehr der Wissen­

schaft soll man aus ihr machen, sondern eine Stätte des Fortschritts,

wie ihn die Bildung der Zeit verlangt.

Die Leute können heutzutage

gar nicht zuviel lernen, selbst wenn man nur den nächsten Lebensberuf im Auge hat, dem sie zum Behufe ihres Unterbalts sich zuwenden.

Eben

in der Schule, in der ersten Jugendbildung empfängt der einzelne das

ihm als Mensch gebührende Erbe, den Anteil an jenem großen geistigen

Gesamtkapital, von dem wir sprachen, welcher bei rechtem Gebrauch, am sichersten

von allen Mitteln,

auch

weiter zu

materiellem Besitz

verhilft. Die Wahrheit, das Zutreffende dieser Sätze bewährt sich täglich im

wirklichen Leben vor unseren Augen.

Fortwährend sehen wir sowohl

Kleinmeister wie eigentliche Lohnarbeiter aus der beschränktesten Lage sich durch Tüchtigkeit und Beharrlichkeit heraufarbeiten zu den ersten Stellungen in

der

Herren

Industrie, zu

Leitern

der großartigsten

Unternehmungen,

zu

eines bedeutenden Vermögens, oder doch wenigstens zu einem

gesicherten Wohlstand.

Dagegen nehmen wir ebenso oft wahr, daß die

Söhne begüterter Familien, in die günstigste Lage beim Beginn ihrer Laufbahn versetzt, durch Untüchtigkeit, Schlaffheit, Verschwendung von ihrem Reichtum herabsinken und entweder ganz verkommen oder wieder von vorn anfangen müssen.

So entsteht ein fortwährender Wechsel, ein

Schwanken in der äußern Lage unter den auf die Industrie Angewiesenen,

vom großen Unternehmer bis zum schlichtesten Arbeiter, welches sich un­

mittelbar aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur erklärt.

Gewiß

ist dieses Emporarbeiten zu einer höhern sozialen Stellung mit großen

Schwierigkeiten verbunden, darüber wird sich niemand täuschen.

Aber

gerade deshalb sehen wir die Aufgabe von denen, die sich ihr ernstlich

unterziehen, in so überraschender Weise gelöst.

Der Mensch ist nun ein­

mal so geartet, daß sich einerseits seine ganze Leistungsfähigkeit nur da

vollständig entwickelt, wo man ihn einzig auf die eigene Kraft verweist

und diese in harten Proben stählt.

Andrerseits tritt, wo diese Nötigung

von Haus aus wegfällt, wo im Besitz ererbter Mittel der Genuß ohne Anstrengung zur Gewohnheit wird, nur gar zu leicht im Genügen des Erworbenen das Streben nach Erwerb zurück, die Genußsucht überwuchert

die tätige Kraft, und die Folge davon ist Erschlaffung und Demoralisation. Wer erkennt nicht eine gewisse gerechte Ausgleichung in dieser Einrichtung

unserer Natur zwischen den Höhen und Tiefen der Gesellschaft, welche

wir so

sich

einander berühren, ineinander übergehen

sehen

und wie

wohltätig wirkt dieselbe für den menschlichen Haushalt im allgemeinen!

Darnach hat das Vermögen, der Besitz, welcher nun einmal, als Aus­ stuß der freien Persönlichkeit, seine volle Wirksamkeit zum Besten der

Gesamtheit nur in den Händen der einzelnen äußern kann, ganz von selbst

die

Tendenz,

das

stetige Streben,

in

ungeschickten Händen zu

zerrinnen, sich ihnen zu entziehen, um in geschicktere überzugehen.

daß dem so sei und bleibe,

dabei

sind

wir alle

Besitz ist Macht, so gut wie Bildung,

Und

gar sehr interessiert.

und wir wünschen, daß die

Macht, die soziale wie die politische, sich bei denen befinde, welche sie

recht zu

benutzen wissen

und

sie

nicht mißbrauchen. —

Mit dieser

Folgerung sind zugleich alle Diaßregeln verurteilt, welche dies natürliche

Gesetz unwirksam zu machen sich bemühen, wie die neuerlich wieder auf­ gelebten Versuche der Feudalpartei, durch Fideikommisse und ähnliches

den großen Grundbesitz in den Händen ihrer Nachkommen, auch bei deren gänzlicher Unfähigkeit und Unwürdigkeit, zn erhalten — Bestrebungen,

welche ebensosehr dem öffentlichen Wohle widerstreben, als die Entartung derer, welche man durch Entziehung der freien Disposition gegen sich

selbst zu schützen unternimmt, nur befördern.

Haben wir im Vorstehenden auf den täglichen Vorgang des Empor­ steigens über und des Niedersinkens unter ein gewisses Niveau, einen

bestimmten Mitteldurchschnitt der

wirtschaftlichen Lage, die Blicke ge­

richtet, so werden wir uns freilich dabei nicht verhehlen, daß es im Ver­

hältnis zu der großen Zahl der Arbeiter immer nur wenige von der Natur und den Verhältnissen

besonders Begünstigte sind, die auf diese

Weise zum Ziele gelangen, daß also noch irgend etwas hinzutreten muß,

wenn wir die Hebung der arbeitenden Klassen im allgemeinen

erstreben.

Indessen zeigt uns der Vorgang doch, eben an der Weise, wie

die einzelnen emporgekommen sind, diejenigen Mittel und Kräfte, mittelst

deren man überhaupt emporkommen kann.

erfahren haben, die Bedingungen

Da nun, wie wir sattsam

des wirtschaftlichen Gedeihens

keine

willkürlich neu zu erfindenden sind, sondern mit innerer Notwendigkeit im Wesen des Menschen, in seiner Stellung in der Welt begründete, so müssen uns jene Beispiele als Muster für alle stets vor Augen schweben.

Die Aufgabe kann daher nur dahin gefaßt werden:

„eine Auskunft zu

finden, welche jene Bedingungen des Gelingens, wie sie nur selten bei

einzelnen Arbeitern zusammentreffen, möglichst verallgemeinert und das, was sonst nur besonders Begabten zu erreichen beschieden war, auch den mittelmäßig Begabten zugänglich zu machen." Schulze-Dclitzsch, Schriften und Reden. II.

9

Schulze-Delitzsch.

130

Die Auskunftsmittel aber haben wir in der freien Erwerbs- und

Wirtschaftsgenossenschaft, wie sich dieselbe seit länger als 30 Jahren

in den Ländern, wo die gewerbliche Arbeit am meisten vorgeschritten ist, Ausgehend von dem uralten Satz, dem wir schon so

ausgebildet hat.

Großes danken in der Geschichte, von der Vereinigung der Kräfte, hat sie bereits in den Anfangsstufen ihrer Entwicklung so bedeutendes geleistet,

daß man

in ihr jenes ausgleichende Moment zu suchen be­

rechtigt ist, vermöge dessen

der allgemeine industrielle Fortschritt mit

seinen unleugbaren Segnungen für die Gesamtheit nicht um den Preis

des industriellen werden muß.

Wohlergehens zahlreicher

Bevölkerungsklassen erkauft

„Was du nicht allein vermagst,

dazu verbinde

dich mit andern, die das gleiche wollen", und: „mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine Großkraft"; dies die einfachen Wahr­ heiten, welche die Genossenschaft auf wirtschaftlichem Felde zu verwirk­

lichen strebt.

Und in der Tat hat sie ihre Kraft bewiesen.

bestritten „Kapital"

und

Wenn un­

„Intelligenz" die beiden Faktoren allen

Erwerbs sind; wenn beide in der neuern Industrie bei deren Zuge zu großartigen Etablissements in

immer größerem Maße zu einem

selb­

ständigen Unternehmen erfordert werden: so hat sich gerade hier, in ihrer

Vermittlung für die Arbeiter, das genossenschaftliche Prinzip über Erwarten bewährt.

Zunächst kommt dabei schon das einfache Zusammen­

schließen des Kleinbesitzes der einzelnen Genossen in Anschlag, indem die

Summe von Einsicht

und Erfahrung sowie von materiellen Mitteln,

welche alle zusammen besitzen, wodurch jeder

den andern

bei dem ge­

meinsamen Unternehmen ergänzt, natürlich größer ausfällt, als die Einzel­ anteile, und dennoch jedem einzelnen in der Gesamtheit mit zustatten kommt.

Indessen fast noch wichtiger als diese Vereinigung des wirklich

bei den Genossen Vorhandenen an Intelligenz und Kapital ist das Herbei­

ziehen, das Dienstbarmachen fremder Intelligenz und fremden Kapitals für die Genossenschaftszwecke. Indem in der Gesamthaft der Genossen, in dem gegenseitigen Übertragen des Ausfalles einzelner, eine Kredit-

basis gewonnen wird, welche fremdes Geld herbeilockt und ein gegebenes Darlehn als ein sicheres Geschäft erscheinen läßt, ist in diesem Gewinnen

ausreichender Mittel zugleich die Möglichkeit gegeben, auch dem unmittel­ baren Arbeiterkreise nicht angehörige Persönlichkeiten von vorzugsweiser Befähigung in den Verband

sichern.

hereinzuziehen

und sich ihre Dienste zu

Und indem die Genossenschaft einerseits dem in seinem Einzel­

betrieb verharrenden Kleinmeister soviel als möglich

die Vorteile des

Großbetriebs zugänglich macht, andererseits den Lohnarbeitern durch

das Zusammentreten die gemeinsame Produktion im großen ermöglicht, bietet sie den einen zur Behauptung, den anderen zur Erreichung

der gewerblichen Selbständigkeit das einzig erprobte Mittel.

In­

dem wir jedoch das Nähere hierüber, das Eingehen auf die Organisation

und die Wirkungen der Genossenschaft, auf ihre einzelnen Arten und Formen und die von denselben erreichten Resultate, dem nächsten Vor­ trage Vorbehalten, fügen wir hier nur noch einen flüchtigen geschichtlichen

Rückblick hinzu, auf den Gang, den die Dinge im allgemeinen auf diesem

Gebiete genommen haben. Und wer möchte da

leugnen und verkennen, daß mit der fort­

schreitenden Kultur die Lage der Arbeiter sich im Laufe der Jahrhunderte fortwährend verbessert hat? durch

Vom Sklaventum, dem Jahrtausende hin­

bis zum Mittelalter hin die gewerbliche Arbeit in West-

und

Mitteleuropa aufgebürdet war (wie sie es ja im Orient, in Teilen von Amerika usw. zum Teil noch ist), bis zur Leibeigenschaft und Hörigkeit, von der Geburtskaste bis zur Gebundenheit an die Scholle hat sich die Gewerbstätigkeit durch alle Grade der Unfreiheit durchringen müssen, bis

der Arbeiter endlich als freier Bürger des Staats bei uns anerkannt

worden ist.

Und wieviel auch jetzt noch an seiner sozialen Stellung auf-

zubessern bleibt, eins ist gewiß: der schroffe Gegensatz, die tiefe Kluft in bezug auf Bildung, Sitte und Lebenshaltung, die noch vor 50 Jahren

den größeren Teil der Arbeiter von den besitzenden Klassen in einer Weise schieden, daß es zwischen beiden geradezu an jedem geistigen Be­

rührungspunkte gebrach, weichen mehr und mehr.

sich immer

bewußer

am geistigen Leben

Nationalliteratur sind ihnen nicht

Die Arbeiter beteiligen

der Zeit.

Die Schätze der

mehr verschlossen, feinere Genüsse,

edlere Vergnügungen in jenen volkstümlichen Sangvereinen und Lieder­ tafeln, jenen Turn- und Waldfahrten, führen sie mit den übrigen Gesellschaftsfchichten zusammen.

Woran noch vor 20 bis 30 Jahren nicht

zu denken war — man geht miteinander um, ein geselliger Verkehr ist ermöglicht.

einander

Mehr und mehr lernt man das Menschlich-Gemeinsame an

achten,

und

gegenseitige Beziehungen entwickeln sich daraus,

fruchtbar für alle Teile.

Und da wir erst am Anfänge aller dieser Be­

strebungen stehen, die Zeit, seit welcher entschieden dahin eingelenkt ist,

kaum einige Jahrzehnte hinter uns liegt, so ist gar nicht abzusehen, wie

weit die so begonnene Ausgleichung noch führen wird. Fragen wir, was hauptsächlich der politischen Emanzipation des

Arbeiters, welche

der sozialen

notwendig vorhergehen mußte,

da die

Arbeiterfrage nur mit freien Arbeitern, niemals mit Sklaven oder Leib-

132

Schulze-Delitzsch.

eigenen gelöst werden kann, die Bahn gebrochen hat, so ist es wiederum die Genossenschaft.

Mittelst der Einigung in Zünfte hat ein Teil

der Arbeiter in den germanischen Kern- und Mischvölkern im Mittelalter sich aus der Hörigkeit zum freien Stadtbürgertum emporgeschwungen

und so den ersten Keim des modernen Staatsbürgertums gelegt. Überall begegnen wir diesem genossenschaftlichen Zug bei den Germanen, in den alten Kampfverbrüderungen wie in diesen politischen Einigungen

der Zünfte, die trotz aller Verbote in den Reichsgesetzen sich behaupteten, und ihren Genossen Rechtsschutz und die Mitregierung in der Stadt­

gemeinde

verschafften, auch

Freilich war das

dafür

mit

gewaffneter

Hand

einstanden.

festeste Aneinanderschließen ihrer Mitglieder nötig,

wollten sie ihre politische Aufgabe in jenen unruhigen, kriegerischen Zeiten

durchsetzen, und dies machte sie natürlich exklusiv, sich abschließend nach außen.

Es war nun einmal der Staat der Vorrechte, der Stände­

staat, in welchem das Recht nur in Form des Vorrechts, des Privi­

legiums, zur Erscheinung kam, und niemand hatte auf Rechtsschutz An­ spruch, der eben nicht einer solchen privilegierten Körperschaft angehörte.

Daher wurde

jener Teil der Arbeiter, die Handwerker, selbst ein

Stand und mußte es werden, wollte er überhaupt zu seinem Rechte kommen. Daß diese Aufgabe der Zünfte in der Gegenwart erloschen ist, und daß es im Gegenteil heutzutage darauf ankommt, die letzten Über­ bleibsel von Privilegien zugunsten bevorrechteter Klassen aufzuheben und

den alten Ständestaat vollständig in den Rechtsstaat mit der Gleich­

vor

heit aller

dem Gesetze aufzulösen, habe ich bereits früher gesagt.

Deshalb hat man die Einigung vom politischen auf das wirtschaft­ liche Gebiet überzutragen, wohin die Arbeiterfrage gegenwärtig gediehen

ist, und hier begrüßen wir sie in der Form der Arbeitergenossenschaft, welche den Zwang, die strenge Gebundenheit und Abgeschlossenheit, wie

sie der politische Charakter der alten Zunft, wie sie das Rechtsleben des

Mittelalters mit sich brachten, abgestreift und in der Freiheit, in der

Gruppierung je nach den wechselnden Interessen ihrer Teilnehmer, das

belebende Element gefunden

hat,

welches sie zu einem so wertvollen

Ihr gegenüber führt die

Gliede des wirtschaftlichen Organismus macht.

Zunft

nur

gestorbenen

schlägen,

noch

ein

klägliches

Einrichtungen stets

von

ihrem

Wie

Scheinleben.

eigentlichen Prinzip

gänzlich

wir bei ihr, anstatt der politischen Selbsthilfe, anstatt losigkeit,

der

Selbstbefreiung

gegenwärtig

weiter

es

solchen

ab­

ergeht, daß sie in ihr Gegenteil Um­

der

Arbeiter

nichts,

als

aus ein

abfallen, so der sie der

entsprang,

alten

Bekenntnis

sehen

der

Recht­

Wirt-

schaftlichen Hilflosigkeit und Ohnmacht, ein fortwährendes Betteln um Staatsschutz. Weder die Zünftler im Bunde mit der feudalen Reaktion,

noch die Sozialisten, denen sich die Sympathien unserer sogenannten Konservativen ebenfalls in bemerkenswerter Weise zuwenden, sollen die deutschen Arbeiter jemals auf diesen unseligen Weg verlocken. Wer von einem andern, und sei es der Staat, Unterstützung anspricht, der räumt diesem die Obmacht, die Aufsicht über sich ein und verzichtet auf seine Selbständigkeit. Das wäre ein Aufgeben seiner selbst, ein Ver­ zweifeln an der eigenen Kraft, um so verkehrter, um so grundloser, als ja die Beweise in den Genossenschaften geführt sind, daß sich die Arbeiter recht wohl selbst zu helfen vermögen, wenn sie es nur recht angreifen, daß sie der fremden Unterstützung nicht bedürfen. Sie trauen sich etwas zu, meine Herren, Sie fühlen Ihre Kraft, Sie haben einzeln schon manches durchgesetzt, Sie wissen, daß Ihre Kraft in der Vereinigung wächst. Was die Alten vermochten in weit schwierigerer Lage, in Lösung des politischen Teils der Aufgabe, das können auch Sie. Der Geist der Selbsthilfe, dieser echt deutsche Geist, der die freie Arbeit eingeführt hat in die Geschichte, eine der größten, erlösendsten Taten, von denen ihre Bücher melden, er wird mächtig in Ihnen sein, daß Sie seine eigene Errungenschaft, das Erbe der Väter, niemals aufgeben. Es wäre ein Abfall vom Geiste der Vorfahren, ein Verrat an den Nach­ kommen, der verdiente Lohn würde nicht ausbleiben! Dafür, das mögen Sie mir glauben, würde die Reaktion bestens Sorge tragen.

VI. Die praktischen Mittel und Weg« zur Hebung der arbeitenden «lassen. (Schluß.)

a) Die auf Selbsthilfe beruhende Arbeitergenoffenschast. Meine Herren.

Wir sind in der Erwägung der praktischen Mittel

und Wege zur Abhilfe des Notstandes der arbeitenden Klassen

bis zur Genossenschaft (Assoziation) als demjenigen Auskunftsmittel gelangt, das schon eine ziemliche Praxis für sich hat, so daß man schon

durch die bisher erzielten Erfolge in den Stand gesetzt ist, ein Urteil zu fällen, was sich damit ausrichten läßt. Kapital, Intelligenz, sittliche Tüchtigkeit, das waren, wie wir bereits gesehen haben, die Mächte, die auf dem Gebiete des Erwerbs entscheiden, und sie uns zu Gebote zu stellen, sie in uns zu entwickeln, war die Aufgabe, auf die es zunächst ankam, und die lediglich durch

Schulze-Delitzsch.

134

Selbsthilfe zu einer wahren, nachhaltigen Lösung geführt werden kann.

Daß demnach jeder in und mit sich selbst mit der eignen Entwicklung zu diesem Zwecke beginnen muß, wenn etwas werden soll, und daß er recht

wohl vermag, mit Ernst und Ausdauer etwas zu erreichen, haben wir ebenfalls gezeigt.

Nur wo die Kräfte des einzelnen in bezug auf die Ungunst der äußern Lage nicht ausreichen, allein für sich zum Ziele zu kommen, da

tritt die freie Genossenschaft ergänzend ein, um durch die Vereinigung

Nicht die Persön­

der Kräfte das der Einzelkraft Versagte zu erringen.

lichkeit der Genossen anzutasten, deren eigener Wahl und wechselnden

Interessen sie Zustandekommen und Dauer der Einigung überläßt, sondern derselben erst zu ihrer vollen Geltung im Leben zu verhelfen, ist ihr Zweck.

Aber eben deshalb, weil die einzelnen, als bewußte Träger und

Schöpfer der Gesamtheit, — nicht wie bei der sozialistischen Staats­ assoziation als deren Geschöpfe —

etwas

sind

und

bleiben

sollen,

nämlich Herren ihrer selbst und Konstituenten des Gesamtwillens: eben

deshalb

fordert sie von

ihnen auch das volle Einsetzen ihrer Kraft,

ernstes Streben nach persönlicher Tüchtigkeit,

schaftliche und

sittliche Lebenshaltung.

eine entsprechende, wirt­

Niemals

dürfen

wir in den

Grundfehler der Sozialisten verfallen, die da meinen, man könne den

Leuten durch ihre

bloße Zusammenlegung in eine Gesamtheit helfen,

ohne daß dieselben selbst das Beste dabei tun müßten.

Durch eine An­

zahl unfähiger einzelner wird nie eine fähige Gesamtheit gebildet.

Nur

die Beschaffung der äußerlichen Bedingungen des Erfolgs in Wirtschaft und Erwerb, wie z. B. Kapital, Kredit, Großbetrieb und dergleichen, ver­ mag uns die Einigung zu ermöglichen, niemals aber kann und soll sie

das Fehlen jener innern Eigenschaften, von welchen die gedeihliche

Inangriffnahme und Durchführung aller denkbaren Unternehmungen ab­

hängt, bei den zusammentretenden Personen ersetzen.

Diese Eigenschaften

müssen die einzelnen in die Genossenschaft mitbringen, welche ohne einen solchen geistigen Fonds in ihren Mitgliedern die Aufgabe der Heranziehung

der materiellen Mittel zu den Genossenschaftszwecken nicht zu lösen ver­ mag.

Von dieser Forderung abstehen und sich einbilden, daß alsdann

mittels irgend einer Vergesellschaftung irgend etwas zu erreichen wäre, das ist gerade so, als wenn man sich einbildet, man könne durch Addieren

einer Anzahl von Nullen eine wirkliche Summe herausbringen. gehen wir zum einzelnen über.

Doch

Wie ich Ihnen schon sagte, meine Herren,

lassen sich Genossenschaften zu sehr verschiedenen Zwecken denken, und je nach diesen einzelnen Zwecken müssen sie sich verschieden organisieren, ob-

sie in

gleich

ihrem Grundprinzip

der Bildung einer Großkraft durch

Bereinigung von einer Anzahl kleiner Kräfte gleich bleiben. Zuvörderst haben wir hier der Genossenschaften zu Bildungs­

zwecken zu gedenken, wie sie in so wirkungsvoller Weise in Berlin selbst existieren.

Da sind Handwerker-, Gewerbe-, volkswirtschaftliche

und Bildungsvereine, da ist Ihr eigner Arbeiterverein selbst. Solche

Vereine treten zusammen, um den Mitgliedern Bildungsmittel darzubieten, welche denselben in ihrer Vereinzelung nicht zugänglich sind. Man erörtert,

tauscht Meinungen aus, man bietet den Mitgliedern Lehrmittel, es werden

anregende Vorträge gehalten. So sucht man die Einsicht der einzelnen zu

steigern, indem man sie gegenseitig aneinander abmißt; man macht Mittel

flüssig, um Bücher und Zeitschriften anzuschaffen, um gemeinschaftlichen Unterricht und Fortbildungsschulen zu ermöglichen, und niemand wird ver­

kennen, wie höchst Erfreuliches bereits auf diesem Felde geleistet worden ist. Indessen

kommt es uns bei unseren gegenwärtigen Erörterungen

wesentlich auf diejenige Klasse der Genossenschaften (Assoziationen) an,

welche die Förderung des Erwerbs und Haushalts ihrer Mit­ glieder, die materielle Seite der Frage unmittelbar zum Gegenstand haben.

Dieselben können wieder von sehr verschiedenen Seiten an die

Aufgabe herantreten.

Ein Teil von ihnen geht darauf aus,

den Mit­

gliedern bei ihren kleinen Geschäften oder in ihrer Wirtschaft so viel wie

möglich die Vorteile des Grvßbezugs, des Großkapitals zu beschaffen.

Während sich alsoin ihnen die Mitglieder nur in den Vorbedingungen zu

einem lohnenden Gewerbebetrieb, zu einer gedeihlichen Wirtschaft assoziieren, nicht in Gewerbe und Wirtschaft selbst, welches beides sie vielmehr selb­ ständig wie bisher fortführen, einigt sich ein anderer Teil zum Geschäfts­

betrieb für gemeinsame Rechnung und gibt die bisherige isolierte

Stellung dabei auf.

Zu der ersteren Art der Genossenschaften zählen

wir insbesondere:

1. Die Vorschuß-, Kredit-, Darlehnsvereine, Volksbanken

und dergleichen, welche den Bedarf ihrer Mitglieder an Barschaft und Kredit vermitteln;

2. die Rohstoffvereine, in denen Handwerker und Arbeiter der­ selben Branche zu gemeinschaftlichem Bezüge der Rohstoffe im großen,

wohl auch zu gemeinsamer Anschaffung von Maschinen und kostspieligen Arbeitsvorrichtungen zusammentreten; 3. die Konsumvereine, in denen man sich zum Ankauf nötiger Lebens- und Wirtschaftsbedürfniffe vereinigt, um sich ebenfalls die Vor­

teile des Großbezugs zu sichern;

Schulze-Delitzsch.

136

4. die Krankenkassen endlich und Gesundheitspflegevereine, wo man sich durch die Vereine billigere Medikamente und ärztliche Be­

handlung verschafft. Zu den Genossenschaften der zweiten Art gehören dagegen:

1. Die sogenannten Magazinvereine zum gemeinschaftlichen Handel mit den Arbeitserzeugnissen der Mitglieder, welche jedoch von diesen in

ihren eigenen Geschäften gefertigt und im Vereinsmagazine für ihre eigene Privatrechnung verkauft werden;

2. die eigentlichen Genossenschaften zum betriebe,

in

welchen

die Produktion

und

gemeinsamen Geschäfts­

der

Verkauf der Arbeits­

erzeugnisse auf Rechnung und Gefahr der Gesamtheit geschieht.

Daß die letztgenannte Form die höchste Stufe der Genossenschaft, der Schlußstein des Systems ist, welche das völlige Einlenken in den

Großbetrieb unmittelbar erzielt, und namentlich die Errichtung bedeutender,

fabrikmäßiger Etablissements seitens der bis dahin unselbständigen Arbeiter

ermöglicht, bedarf feiner Ausführung.

Allein eben deshalb kann

nur

allmählich und mit großer Vorsicht zu ihnen übergegangen werden, indem,

wo es an den nötigen Voraussetzungen dazu unter den Arbeitern ge­ bricht, das Mißlingen sicher zu erwarten ist.

Deshalb beschränken sich

diese Produktivassoziationen bisher meist auf England und eine kleine Anzahl in Paris, wo der genossenschaftliche Geist länger und

energischer als bei uns gepflegt und die erforderliche Geschäftsgewandtheit schon mehr ausgebildet ist.

In Deutschland treten sie noch sehr ver­

einzelt auf, und wo man gleich im Anfänge unserer Genoffenschafts­

bewegungen 1848 und 1849 unvermittelt damit begann, sind sie fast

ohne Ausnahme kläglich gescheitert.

Doch beginnt man sich gegenwärtig

auch hier zu regen, und schon stehen mehrere neuere glückliche Versuche

da, die aus kleinen Anfängen, wie sie die Mitglieder nach dem Stande

ihrer Mittel und Geschäftserfahrung zu übernehmen vermögen, sich ent­

wickelnd einer gesicherten Existenz entgegengehen. Jedenfalls kommen wir später auf die einschlagenden Verhältnisse zurück.

Die

Hauptgrundsätze,

welche

sämtlichen

vorstehenden

Arten

der

Genossenschaft vermöge ihrer gemeinsamen Basis gemeinsam sind, fassen

sich etwa folgendergestalt zusammen: 1. Diejenigen, für welche die Genossenschaft in bezug auf irgendein

Bedürfnis in Wirtschaft und Erwerb zu sorgen übernimmt, müssen Mit­ glieder und Träger des ganzen Unternehmens sein, Gewinn und Verlust desselben tragen, weil sich eben nur auf diese Weise die soziale Selbst­

hilfe in unseren Vereinen organisieren läßt;

2. Nicht nur bei dem Ausfälle, den materiellen Erfolgen des Vereins­

geschäfts, sondern auch bei dessen Leitung und Verwaltung,

bei dem

geistigen Teil der Geschäftsaufgabe also, müssen sie sich persönlich be­ teiligen, durch Übernahme von speziellen Verwaltungsfunktionen sowohl,

wie durch Teilnahme an den Vereinsbeschlüssen, durch welche die oberste Entscheidung in den Vereinsangelegenheiten von der Gesamtheit der Mit­ glieder geübt wird;

3. Die Bildung des zum Vereinsgeschäst erforderlichen Fonds ge­ schieht durch bare Einlagen

der Mitglieder, welche durch fortlaufende

Beisteuern und Zuschreibungen der auf die einzelnen fallenden Gewinn­ anteile (Dividenden) allmählich zu Geschäftsanteilen von entsprechender

Höhe gebracht werden müssen, wie es Umfang und Risiko des Unter­

nehmens, die Vermögensverhältnisse der Mitglieder bedingen; 4. Um für den außerdem jedenfalls erforderlichen Kredit einen soliden

Halt zu finden, übernehmen sämtliche Mitglieder für die Vereinsschulden die solidarische Gesamthaft; 5. Endlich wird grundsätzlich in den Genossenschaften die sonst im Geschäftsleben

herrschende Ausschließlichkeit abgestreift, indem

man

nicht die Vorteile des Unternehmens möglichst wenigen zu sichern sucht, sondern dasselbe im Gegenteil auf möglichst viele erstreckt, und die Bedingungen des Zutritts demgemäß so regelt und so allgemein hält,

daß sie von jedem ordentlichen, tüchtigen Arbeiter, der den ernsten Willen

hat, sich selbst zu helfen, erfüllt werden können, weil gerade bei einer zahlreichen Beteiligung am Verein dessen Zwecke am leichtesten und voll­ ständigsten für alle erreicht werden. Lassen Sie uns an einige dieser Punkte eine kurze Betrachtung

knüpfen. Daß unter den Aufgaben der Genossenschaft in ihren sämtlichen vor­

bezeichneten Formen das Herbeiziehen fremder Mittel in Form von barem Anlehen oder Warenkredit, mit anderen Worten, die Dienstbarmachung

des Kapitals, zu den hauptsächlichsten gehört, wird man leicht einsehen.

Gerade hier, wo wir den Geldmarkt betreten, stehen wir auf dem aller­

realsten Boden der Wirklichkeit, wo alle Einbildungen aufhören und die kalte Berechnung allein entscheidet.

Und gerade hier hat die Genossen­

schaft in glänzender Weise die Probe bestanden, namentlich in den Bor­ schußvereinen, welche das Schaffen von Geldmitteln zur unmittelbaren Aufgabe haben.

Wirklich ist es der Mühe wert, die Art, wie in diesen

Vereinen eine Kreditbasis geschafft wird mittels der Gesamthaft, näher ins Auge zu fassen.

Daß sich den unbemittelten Arbeitern der Kredit

138

Schulze-Delitzsch.

im gewöhnlichen Leben meist entzieht, ist bekannt.

Die Arbeitskraft der

einzelnen hat zwar einen ökonomischen Wert, aber sie ist zu vielen Zu­ fälligkeiten ausgesetzt und gilt daher nicht als Sicherheit für die Kapital­ anlage.

Da können

Krankheiten,

unvorhergesehene

Unglücksfälle

da­

zwischentreten oder sonst Arbeitslosigkeit; der bisher Tüchtige, Ordent­

liche kann sich auf die lüderliche Seite werfen: wer mag das dem Gläu­

biger garantieren?

Es fehlt daher an der nötigen Sicherheit, und wenn

der Kapitalinhaber den Leuten nicht gerade einmal eine Gunst erweisen und deshalb ein solches ungewöhnliches Risiko übernehmen will, wird er auf ein derartiges Anlehen, eine derartige Kreditbewilligung vom ge­

schäftlichen Standpunkte aus — und jeden anderen weisen wir hier

grundsätzlich zurück — schwerlich eingehen.

Dieses Verhältnis ändert

sich nun sofort durch die Genossenschaft. Tritt hier eine größere An­

zahl solcher in ihrer Vereinzelung nicht kreditfähiger Arbeiter zusammen,

von

denen jeder einen Wert repräsentiert

(seine Arbeitskraft),

dessen

Realisierung aber von einer Menge von Zufälligkeiten abhängig ist, die

weder er noch der Gläubiger in der Gewalt hat, so wird der gerügte Mangel durch die Gesamthaft sämtlicher Vereinsgenossen ergänzt. Denn

jene Zufälligkeiten, welche den einzelnen zahlungsunfähig machen können, werden sich ihrer Natur nach niemals zu gleicher Zeit auf Hunderte von Arbeitern erstrecken, und so wird der Ausfall bei dem einzelnen leicht

mittels des gegenseitigen Einstehens aller für einander von den übrigen

übertragen und gedeckt,

und

der Gläubiger erhält meist eine größere

Garantie als selbst bei einer guten Hypothek. Wirklich hat sich die auf dieser Grundlage beruhende Kreditfähigkeit unserer Genossenschaften in so überraschendem Maße bewährt, daß bisher meist das Angebot von Kapitalien

größer gewesen ist, als der Bedarf.

Natürlich darf aber

bemittelten

Arbeitern

neben

dieser

fremdes

wichtigen Aufgabe,

Kapital

zur

den

Verfügung

un­

zu

stellen, die andere: die Bildung eines eigenen Kapitals bei ihnen auf

alle Weise zu fördern, nicht vernachlässigt werden. Sollen die Genossen­

schaften eine irgend solide geschäftliche Unterlage erhalten, so muß mit der erleichterten und erweiterten Benutzung des Kredits die Sorge für die

Deckungsmittel Hand in Hand gehen und beides — das, was die Genossen selbst in dem Geschäfte einsetzen und das, was sie dazu von anderen borgen, — in ein richtiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Da nun der größere Teil der Mitglieder in der Regel nicht imstande sein wird,

solche Einlagen gleich beim Eintntt in den Verein in der erforderlichen Höhe zu machen, so wird überall deren allmähliche Erhöhung durch fort-

laufende Beisteuern von einem gewissen Mindestbetrage zugelassen.

Auf

diese Weise schreitet die Bildung von Geschäftsanteilen überall rüstig vorwärts, denen

man, bis sie die normalmäßige Höhe erreicht haben,

auch noch die Anteile am Geschäftsgewinn,

kommen, die Dividenden, zuschreibt.

Eben

welche auf die einzelnen

dadurch,

daß

man

diese

Dividende nach Höhe des auf die Geschäftsanteile Eingezahlten an die

Mitglieder verteilt, fördert man deren Anwachsen außerordentlich.

Bei

Leuten, von denen viele erst durch den Verein in die Lage kommen, ein kleines Kapital aufzusammeln, welches außerdem, daß es ihnen die Vor­

teile des Vereinsgeschästs zugänglich macht, auch noch nebenbei eine Rente gewährt, entsteht dadurch ein solcher Reiz zum Sparen, daß sie jeden

mühsam abgedarbten Groschen in die Kasse tragen, nur um von der für

sie so lockenden Dividende ihr volles Teil zu erhalten. Wirklich liegen die Beispiele in Menge vor, daß Mitglieder, welche man fast aufzunehmen Bedenken fand, weil sie in Nahrung und Erwerb völlig herabgekommen schienen, weshalb ihnen auch vom Vereine selbst nicht kreditiert werden

konnte, durch ihre regelmäßigen Beisteuern und Gewinnanteile allmählich ein Kassenguthaben ansammelten, vermöge dessen ihnen, ohne Gefährdung

der Gesamtheit, die Vorteile des Vereinsgeschäfts vollständig zugute kamen. Indem die Vereine solchergestalt auch dem Ärmsten Gelegenheit bieten

und ihm Lust machen, sich kreditwürdig zu zeigen,

machen

sie ihn

kreditfähig und lösen so einen der wichtigsten Teile der sozialen Aufgabe. Denn was für ein Segen der Besitz eines kleinen Kapitals für den Arbeiter ist, welches ihm einen Halt in Erwerb und Wirtschaft bietet,

ihm die geschäftliche Selbständigkeit ermöglicht oder doch in Aussicht stellt, ist nicht zu sagen!

Je schwerer der erste Schritt hier den Beteiligten

fällt, desto sicherer zieht er weitere nach sich. Man hat einen greifbaren, einen bleibenden Vorteil vor sich und sieht, daß redliche Arbeit und

Sparen zu etwas helfen, daß man vorwärtskommt. Mut und Lust zum

Erwerb wachsen, und das Gefühl größerer Sicherheit gibt größere Kraft und Ausdauer. Indessen beruht die nicht hoch Einwirkung

genug anzuschlagende moralische

des Genossenschastslebens keineswegs bloß auf dieser Er­

möglichung der eigenen Kapitalbildung und des Kredits für die Genossen. Das Gefühl, einer Verbindung anzugehören, welche Geltung und Bedentung im Verkehr hat, wirst ebenso wohltätig in dieser Beziehung auf die Mitglieder ein.

Wie kläglich ist oft die Rolle, welche der

kleine

Handwerker, der unbemittelte Arbeiter im Verkehr spielen, wenn sie z. B. bei Bezug ihrer Rohstoffe oder Lebensbedürfnisse, bei Aufnahme der be-

140

Schulze-Delitzsch.

nötigten Gelder die Zwischenhändler und Geldnegozianten mit den kleinsten Partien und Summen und auf langen Borg in Anspruch nehmen müssen!

Teuere Preise und schlechte Ware, hohe Zinsen und wucherische Be­ dingungen sind hier die Regel, da jene Geschäftsmänner auf Verluste ge­ faßt sein müssen, die bei dem Gewinn mit in Anschlag kommen. Und der Beteiligte darf sich kaum beklagen, muß sich diesen Nachteilen und Demütigungen aller Art fügen, um nur wiederkommen zu dürfen. Wie anders in der Genossenschaft! Hier ist er Mitinhaber des Geschäfts, welchem er seinen Bedarf entnimmt, steht auf eigenen Füßen und braucht sich bei niemandem zu bedanken. Rechte und Pflichten sind allen gleich zugemessen, die Bedingungen mäßig, wie sie sonst nur im Großverkehr vorkommen, und obenein fließt der Geschäftsgewinn in seine eigene Tasche. Das gibt Selbstgefühl. Man ist etwas durch eigene Kraft, man tritt den anderen ebenbürtig entgegen. Und daraus erwächst allmählich Selbst­ achtung. Man hält auf sich, man darf dem Vereine keine Schande machen, die Ausschließung wäre geradezu Entehrung. Natürlich wirkt dies auf die ganze Lebenshaltung der Leute zurück, auf ihr Wirtschaften und Haushalten, wie auf ihre gewerbliche Tüchtigkeit und Solidität. Und nach alledem glaube ich nicht zu viel zu behaupten, wenn ich es ausspreche: daß es kaum ein wirksameres Mittel zur sittlichen Hebung des Arbeiterstandes gibt, als unsere Genossenschaften. Weiter haben wir die ebenso wichtige Steigerung der geschäftlichen Erfahrung und Einsicht, welche den Mitgliedern durch die Vereins­ geschäfte erwächst, in Anschlag zu bringen. Der kleine Handwerker in seinem engbegrenzten, lokalen Verkehr mit dem kleinlichen Geschäfts­ zuschnitt, der Lohnarbeiter in fremden Etablissements — wie selten kommt es bei ihnen zum rechten Verständnis der weiteren Beziehungen, der inneren und äußeren Bedingungen ihrer Tätigkeit, von welchen doch zum

guten Teil der Erfolg abhängt! In mechanischen Verrichtungen, im drängenden Bedürfnis des Augenblicks geht ihre ganze Kraft und Sorge

auf und läßt sie an Vervollkommnung ihres Betriebes, an weiteren Auf­ schwung nicht denken. Erst in den Vereinen eröffnen sich ihnen weitere

Der Bezug und Absatz im großen nötigt sie, über bloß lokale Beziehungen hinwegzusehen, sich um kaufmännische Kenntnisse und Erfahrungen zu bemühen. Außer der mechanischen Arbeitstätigkeit, welche ihnen nach wie vor im Vereinsgeschäft oder in ihrem eigenen oder dem eines dritten ihren gewöhnlichen Verdienst gibt, geschäftliche Aussichten.

müssen sie sich an der Geschäftsleitung und Verwaltung (der geistigen Arbeitsaufgabe, wie wir schon sagten) beteiligen, die Verhältnisse des

Marktes im großen ins Auge fassen und sich Verrichtungen unterziehen, welche einen Grad von Intelligenz erfordern, dessen sie bis dahin nicht bedurften. Kann auch erst eine längere Übung und Erfahrung manche

Mängel hierbei beseitigen und werden Schäden und Nachteile hier und da unvermeidlich vorkommen, so kann diese Schule den Leuten doch nicht er­ spart werden, und die gemachten Versuche beweisen, wie bald und wie gut sich unsere Handwerker und Arbeiter in der neuen Geschäftsform zurechtfinden. Mag nun hier nach dieser flüchtigen Erörterung dessen, was das Genossenschaftswesen für die intellektuelle und sittliche Hebung des Arbeiterstandes zu leisten vermag, auch eine kurze statistische Mitteilung über seine Ausbreitung in unserem Vaterlande und die erreichten materiellen Resultate stattfinden. An Genossenschaften der von mir bezeichneten Art bestehen in

Deutschland bereits gegen 2000, wovon jedoch mindestens die Hälfte sich auf Bildungszwecke beschränkt, in Form von Handwerker-, Arbeiter-, Gewerbevereinen und dergleichen. Nahezu 1000 haben sich zu einem eigentlichen Geschäftsbetrieb vereinigt. Davon kommen ca. 500 bis 550 auf die Vorschuß- und Kreditvereine (Volksbanken), ca. 200 auf Rohstoffvereine, ca. 50 auf Vereine zugemeinsamer Magazinierung und Produktion, ca. 100 auf Konsum- und 100 auf Kranken­ pflegevereine. Ungefähr 700 von diesen Vereinen sind mir bereits namentlich bekannt, darunter 483 Vorschuß- und 150 Rohstoff-, Magazinund Produktivassoziationen. Um einen Begriff von Umsatz und Verkehr derselben zu geben, entnehme ich den von mir regelmäßig herausgegebenen Jahresberichten*) folgende Zahlen. Von den ca. 360 Vorschuß­ vereinen, welche im Jahre 1861 bereits tätig waren, hatten 188 ihren speziellen Jahresabschluß eingesandt. Obschon darunter 46 sich befanden, deren Abschluß ihr erstes Geschäftsjahr betraf, wo der Verkehr natürlich

noch ganz unentwickelt ist und sich in sehr kleinen Verhältnissen bewegt, so ergab sich doch an gewährten baren Vorschüssen, einschließlich der

Prolongationen, meist auf die Frist von drei, manchmal auch bis zu sechs Monaten, eine Gesamtsumme von 16876009 Taler. Dieser Um­ satz wurde mit einem Betriebsfonds bewirkt, welcher bei sämtlichen Ver­

einen zusammen 5555691 Taler betrug, wovon 4637477 Taler anlehens­ weise von dritten ausgenommen waren, 906613 Taler aber den Vereinen *) Jahresbericht über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Er­ werbs- und Wirtschastsgenossenschaften des kleinen und mittleren Gewerbestandes von Schulze-Delitzsch. Leipzig, bei G. Mayer, pro 1859, desgleichen pro 1860, desgleichen pro 1861.

Schulze-Delitzsch.

142

und

deren Mitgliedern selbst oder

Geschäftsanteile

gehörten,

nämlich

799375 Taler

107238 Taler

Mitgliedervermögen,

als

als Ver­

eins- oder Gesamtvermögen, welches vorzugsweise als Reserve zur

Hiernach betrug das eigene Vermögen

Deckung etwaiger Verluste dient.

co. 17 °/0 des Gesamtfonds Berücksichtigung der

und

ca. 20%

eigentümlichen

der fremden Gelder.

In

Aufgabe unserer Vereine, vermöge

deren sie der Mehrheit ihrer Mitglieder die Bildung von Kapitalien

erst ermöglichen

sollen, deren Vorhandensein von Haus aus also nicht

voraussetzen können, in Berücksichtigung ferner, daß von den aufgeführten

188 Vereinen mehr als 100 nicht über das dritte Jahr ihres Bestehens hinausreichen, die Kapitalbildung also noch in den ersten Anfängen be­

griffen war, wird man dieses Verhältnis als ein sehr günstiges gelten lassen müssen und als einen Beweis, daß die Vereine die Bedingungen ihres Gedeihens aus solider Grundlage immer mehr einsehen und keine

Mühe scheuen, allen desfallsigen Anforderungen zu genügen. gliederzahl

belief

sich

bei

den

188

Vereinen

auf

Die Mit­

48760,

der

Nettogeschäftsgewinn derselben pro 1861 zusammen auf 78055 Taler,

und Verluste von irgendwelchem Belang kamen so gut wie gar nicht vor, außer bei dem großen Dresdener Spar- und Vorschußverein, welcher

trotz wiederholter Warnungen die natürlichen Grenzen, welche dem ge­ nossenschaftlichen Geschäftsbetrieb gezogen sind, überschritten und mit Ver­

nachlässigung der gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln den Großbankverkehr in

seinen Bereich gezogen hatte. — Rechnet man zu diesen Resultaten noch

die der ca. 140 bis 150 Vorschußvereine, welche keine Abschlüsse ein­ gesandt haben, obschon sie 1861 bereits in Tätigkeit waren, nach einem ungefähren Anschläge hinzu, so wird die Gesamtsumme des zinstragenden Umsatzes auf das bezeichnete Jahr nur bei dieser einen, allerdings am meisten

entwickelten Klasse der Genossenschaften auf mindestens 20000000 Taler, der eigene Fonds auf 1000000 bis 1200000 Taler, die fremden An­

lehen auf 5500000 Taler geschätzt werden müssen.

Diese Beträge sind

nun aber-wieder im Jahre 1862 bei weitem überschritten, indem der Ver­

kehr in den alten Vereinen sich außerordentlich gesteigert hat und über 100 neue hinzugetreten sind.

Bereits sind ca. 180 Rechnungsabschlüsse

eingelaufen, eine Menge steht noch in Aussicht, und es

läßt sich schon

gegenwärtig übersehen, daß der zinstragende Umsatz dieser unserer Bolks-

banken 1862 die Summe von 30000000 Talern überschritten und die eigenen Kapitalien der Vereine auf nahezu 1500000 bis 2000000 Taler

gestiegen sind, denen ca. 8000000 Taler fremde Gelder im Geschäfts­ fonds gegenüberstanden.

Es konnte nicht fehlen, daß die bedeutenden Resultate dieser Vereine die allgemeine Aufmerksamkeit dem Genossenschaftswesen überhaupt zuwendeten und namentlich bei den Kapitalisten die Überzeugung weckten, daß man

ungefährdet solchen Gesellschaften Geld anvertrauen und ein gutes und sicheres Geschäft mit ihnen machen könne. Überall kommt uns diese gute Meinung

im

Publikum

entgegen,

welche,

beiläufig

gesagt,

von

den

Genossenschaften noch nie getäuscht worden ist, und, wie schon bemerkt,

niemals hat es uns an dem zur Ausdehnung der geschäftlichen Operationen

erwünschten Kredit gefehlt.

Während die Genossenschaften sich gegenseitig

bereits selbst in vielen Fällen aushelfen, da nicht wenigen bei weitem mehr Geld zuströmt, als sie in ihrem eigenen Geschäftskreis verwerten können, sind seit einigen Jahren große Bankhäuser in mehreren Haupthandels­

plätzen Deutschlands gewonnen, welche den Vereinen Konti von be­ stimmter Höhe und zu den liberalsten Bedingungen eröffnet haben, so daß

außer den lokalen Kreditquellen, auf welche die Genossenschaften in erster

Linie angewiesen sind, für außerordentliche Fälle, wo diese im Augen­ blick aussagen oder nicht zureichen,

wonnen

hat,

man einen wertvollen Rückhalt ge­

solange man die gesunde geschäftliche Basis nicht verläßt.

Von Rohstoff- und Magazinvereinen konnte der Verfasser in seinem Jahresbericht pro 1861 nur 32 spezielle Rechnungsabschlüsse pro 1861 mitteilen, da es hier, wo man sich in einem Kreise engerer Berufs­

genossen mehr abschließt, schwerer hält, zuverlässige Nachweise zu erhalten.

Diese meist erst seit 1 bis 2 Jahren bestehenden Vereine, welche zusammen 1527 Mitglieder zählten, hatten im genannten Jahre ein bares Betriebs­

kapital von 61343 Talern, von welchem 19308 Taler ihnen eigentümlich (Geschäftsanteile und Reserve) gehören, der Nest anlehensweise von dritten

Personen ausgenommen ist.

kredits, dessen

Mit Zuhilfenahme des bedeutenden Waren­

sie genießen, hatten sie, außer den Lagerbeständen des

Vorjahres, im Jahre 1861 für 198335 Taler Rohstoffe im großen ein­ gekauft, davon für 185434 Taler an die Mitglieder abgelassen (mit Zu­

schlag von etwa 5 bis 7 Prozent über den Kostenpreis) und noch für 62892 Taler auf Lager behalten.

Der sehr nebensächliche Reingewinn

betrug nach Abzug aller Unkosten 5769 Taler, der Vorteil

aber an

billiger und besserer Beziehung der Rohstoffe 10 bis 20, ja in einzelnen

Geschäften und Fällen 30 Prozent und darüber. Auf dieser Grundlage wird der Gesamtverkehr der ca. 150 hierher gehörigen Genossenschaften, welche im Jahre 1861 ihr Geschäft eröffnet hatten, ungefähr auf 1000000 Taler mit 5 bis 6000 Mitgliedern anzuschlagen sein — Zahlen, welche im Jahre

1862 natürlich ebenfalls ansehnlich überschritten sind.

Schulze-Delitzsch.

144

Von Konsumvereinen, in deren Bildung unser Arbeiterstand erst neuerlich lebhafter eintritt, ist noch wenig zu melden, da die meisten erst

beginnen und in den Jahren 1861 und 1862

gewesen sein mögen.

kaum 50 bis 60 tätig

Die bedeutendsten waren noch immer die beiden

Gesellschaften zur Verteilung von Lebensbedürfnissen zu Ham­

burg — die ältere seit 1852, die jüngere 1856 gegründet —, welche in vier resp, in sieben Läden in verschiedenen Stadtteilen Brot, Heizmaterial,

geräuchertes Fleisch, Hülsenfrüchte und Kolonialwaren an ihre Mitglieder

ablassen und bei einem Umsatz von 40 bis 50000 Talern jährlich gute Geschäfte machen.

Noch ausgebildeter ist der große Konsumverein zu

Zürich (politisch freilich nicht zu Deutschland gehörig), der 1861 bereits mehrere Grundstücke besaß, ein Magazin, eine Bäckerei, ein Speise- und Schanklokal, und in neun Verkaufsläden für 801883 Franks Waren verkaufte.

In der eigenen Bäckerei des Vereins wurden 10350 Zentner

Mehl verbacken und 1349150 Pfund Brot für 271432 Franks verkauft.

Sämtliche Geschäfte ergaben pro 1861 einen Reingewinn von 23567 Franks. Ich schließe hiermit diese Notizen, die in meinen erwähnten Schriften

genauer nachgesehen werden können, und verweise namentlich wegen der Einzelheiten der Organisation bei den verschiedenen Arten der Genossen­

schaften auf die einschlagenden von mir veröffentlichten Bücher, welche bei der Einrichtung derselben überall als Ratgeber gedient haben.*) habe ich noch eines Instituts zu gedenken,

Nur

welches zur äußeren Ver­

breitung und inneren Kräftigung der ganzen Bewegung wesentlich bei­

getragen hat.

Durch den nach dem Verlangen einer Anzahl von Vor­

schußvereinen zum erstenmal im Jahre 1859 zusammengetretenen Vereins­ tag deutscher Genossenschaften, welcher seitdem alljährlich zur Be­ ratung gemeinsamer Interessen, zum Austausch gemachter Erfahrungen

und Verständigung über wichtige Organisationsfragen stattfindet, wurde eine Zentralstelle für die ganze Bewegung gegründet, die Anwaltschaft

deutscher Genossenschaften und deren Verwaltung mir selbst bis auf

weiteres anvertraut. Meine Stellung als Gründer und Leiter der ersten derartigen Vereine in Delitzsch, mein Wirken dafür in der Presse, in Versammlungen

und

auf

Kongressen

hatten

mich

bereits

tatsächlich

zum Mittelpunkt der Bewegung gemacht, und dies wurde durch den Be­

schluß der

Vereinsdeputierten

jetzt förmlich

sanktioniert.

Gegen eine

*) Besonders kommen hierbei in Anschlag: 1. Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter. Leipzig 1853, bei E. Keil. 2. Vor­ schuß- und Kreditvereine als Volksbanken. 3. Auflage. Leipzig 1862, bei E. Keil.

Tantieme von 2°/0 vom Nettogewinn der Bereinsgeschäfte zu meiner Besoldung und Übertragung der unvermeidlichen Bureaukosten ver­

pflichtete ich mich, keine Stellung im öffentlichen und Privatdienste an­

zunehmen und meine Zeit und Kraft möglichst ungeteilt den Genossen­ schaften

widmen.

und allen verwandten Bestrebungen auf sozialem Gebiete zu Schon sind 250 Vorschuß- und Kredit-, und 32 Rohstoff- und

Konsumvereine

der Anwaltschaft beigetreten, und täglich folgen ihnen

neue, so daß schon in den nächsten Jahren die Einnahmen eine Höhe er­ reichen werden, welche dem Anwalt, außer der Übertragung der Bureau­ kosten, eine angemessene Remuneration für seine Leistungen gewährt und die dauernde Erhaltung des Instituts in Aussicht stellt, indem es möglich

wird, die geeigneten Kräfte dazu heranzuziehen.

Wie notwendig und

förderlich dasselbe den Vereinen im einzelnen, wie der Gesamtvertretung und weiteren Ausbildung des Genossenschaftswesens im allgemeinen ist, hat sich vielfach bewährt, und ist namentlich die Sichtung und Geltend­

machung des immer mehr sich anhäufenden Materials an Erfahrungen, die Anbahnung gegenseitiger Verkehrsbeziehungen unter den Vereinen,

das Eröffnen von Geld- und Kreditquellen, die Wirksamkeit in der Presse*)

und sonst im öffentlichen Leben von nicht geringem Einfluß gewesen.

b) Die Genossenschaft mit Staatshilfe. Habe ich Ihnen so eine Übersicht zu geben versucht, in welcher Weise

und nach welcher Richtung hin sich die freien Arbeitergenossenschaften in Deutschland entwickelt haben und was sich damit erreichen läßt,

so bleiben doch noch manche Punkte übrig, welche neben diesen allgemeinen Umrissen für Sie von Interesse sind. Da bietet mir nun eine neuerdings erschienene Broschüre von F. Lassalle, welche sich an das Zentral­

komitee in Leipzig

zur Berufung

eines deutschen Arbeiter­

kongresses adressiert, der darin enthaltenen Angriffe gegen diese auf

Selbsthilfe gegründeten Genossenschaften halber erwünschte Gelegenheit, manche einschlagenden Sätze den gegenteiligen Ausführungen gegenüber

näher ins Licht zu stellen.

Im allgemeinen sucht der Verfasser die ganze Arbeiterftage vom sozialen auf das politische Feld hinüberzuführen, indem er ihre Lösung

nur

unter

Mitwirkung

der Staatsgewalt für möglich

hält —

ein

*) Bereits hat das Genossenschaftswesen in der von der Anwaltschaft herausgegebenen Monatsschrift „Die Innung der Zukunft" ein eigenes Organ in der Tagespreffe, dessen Vertrieb die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig besorgt. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. IL

jq

146

Schulze-Delitzsch.

Standpunkt, den wir bereits hinlänglich erörtert haben. Mit den politischen

Ausfällen gegen die Fortschrittspartei, womit der Verfasser beginnt, habe ich mich nicht näher zu befassen.

Die Mitglieder dieser Partei im

Preußischen Abgeordnetenhause haben den unverzeihlichen Fehler

begangen, die Ratschläge des Herrn Lassalle nicht zu beachten, wonach

sie weiter nichts zu tun hatten, als gleich beim Beginn des Landtags wieder nach Hause zu gehen, bis die Regierung ihnen und dem Lande in den großen, bei uns schwebenden politischen Streitfragen den Willen getan.

Dabei richte ich nur einige Fragen an Sie zu meiner eigenen

Aufklärung. Wer hat Ihnen nur die Ratschläge erteilt, die Herr Lassalle erwähnt: „sich entweder gar nicht um Politik zu kümmern oder An­ hang der preußischen Fortschrittspartei zu werden"? — Ich denke,

wir haben uns über die Wichtigkeit der politischen Entwicklung für die Arbeiter­ frage und über die Forderungen, die wir deshalb an den Staat zu stellen haben,

verständigt. Alle diese Forderungen liefen aber schließlich auf die von der deutschen Fortschrittspartei (eine bloß preußische gibt es nicht) sowohl in Preußen, wie in ganz Deutschland gestellten hinaus, und

wir vermochten keinen Unterschied zu entdecken. glaubt, daß Sie

selbst

ein

Teil, ein großer

Nun habe ich stets ge­ wesentlicher Teil dieser

Fortschrittspartei sind — also keine Anhängsel —, daß Sie darin

Ihr Wort mitzusprechen und wirklich mitgesprochen haben. Wie ist denn das — haben Sie uns denn nicht mitgewählt, uns, die Abgeordneten

dieser Partei? Haben Sie, die Arbeiter Berlins, namentlich nicht mir in diesem industriereichsten Wahlbezirke der Hauptstadt Ihre Stimmen

gegeben? — Ei, da trifft ja aber das Schmähen der Fortschrittspartei Sie selbst mit, meine Herren — da hilft nichts, Sie sind alle mit uns

in der gleichen Verdammnis und mögen nun immerhin die schönen Sachen

mit auf sich beziehen, die Herr Lassalle zum besten gibt.

Machen Sie

es ein anderes Mal besser! Ein ähnliches Staunen flößt der weiter gegen die Behandlung der Fragen der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit auf den beabsichtigten

Kongressen gemachte Einwurf ein: „Mit diesen Verhandlungen kämen Sie mindestens um 50 Jahre zu spät!" Dergleichen auszusprechen in

einer Zeit, wo nicht nur ein ansehnlicher Teil der Arbeiter — die Zunft­ männer in den Handwerken — gegen diese Freiheiten selbst agitiert,

sondern wo sie nur in dem Reinsten Teile unseres Vaterlandes erst ein­

geführt sind, wo in Preußen

wie anderwärts noch heftig gegen sie

von einflußreichen Kreisen angekämpft wird — das ist denn doch stark!

Weil im Kopfe des Herrn Lassalle die Sache fertig ist, ist sie es darum

147

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

auch in der Wirklichkeit? — Ich dächte, wir hätten die grellsten Beispiele

des Gegenteils alle Tage.

Nur wenn sich die Arbeiter selbst in festem

Zusammenschluß für das Durchsetzen dieser Forderungen organisieren, sie gemeinsam auf ihre Fahne schreiben, ist hier ein baldiger Erfolg zu hoffen, und es ist nicht abzusehen, wie Herr Lassalle diese Agitation hier

verwerfen und sie für das allgemeine gleiche Wahlrecht fordern kann,

das ja ebensogut im Prinzip von allen entschieden Freisinnigen als völlig berechtigt anerkannt wird, deshalb aber dennoch in der Praxis erst durch­ gesetzt werden muß.

Gleiches Schicksal trifft die weiter dem Kongreß vorbehaltene Be­

ratung von Kranken-, Invaliden- und Altersversorgungskassen,

die Herr Lassalle lediglich den Lokalvereinen überlassen wissen will. Gerade bei der höchst schwierigen und die gründlichsten und genauesten

fordernden Einrichtung dieser Kassen, wo Leichtsinn und

Vorarbeiten

Unkenntnis schwere Nachteile über die Beteiligten

heraufführen

können,

und wo überdem nur eine sehr zahlreiche Beteiligung ein gesichertes Be­ stehen möglich macht, ist der allgemeine Angriff, die Bildung größerer

Bezirke notwendig, soll überhaupt etwas Lebensfähiges geschaffen werden. Das aber wird freilich kein Einsichtiger Herrn Lassalle bestreiten, daß überhaupt auf solchem Wege die Lösung der Arbeiterfrage nicht zu er­ reichen ist.

Vielmehr leiten jene Institute in gewisser Hinsicht davon ab.

Indem die von den Arbeitern einzuzahlenden Prämien jeden mühsam er­ sparten Groschen in Anspruch nehmen, rauben sie den Leuten die Aus­

sicht, durch Ansammlung eines kleinen Kapitals jemals zu geschäftlicher

Selbständigkeit zu gelangen, und wird die Garantie, in alten und schwachen Tagen nicht der öffentlichen Mildtätigkeit anheimzufallen, nur durch das Opfer jener nachhalttgen Verbesserung der Lage, jedes Aufschwungs in der sozialen Stellung erkauft.

Ich habe mich darüber genauer in dem

Buche über die Begründung meines Genossenschastssystems ausgesprochen,

auf welches ich hier wegen des Näheren verweise.*) Daran knüpft sich die Auffassung der sozialen, der Arbeiter­ frage überhaupt, an welcheich von einem Standpunkte herantrete, der ihr sicher die volle Höhe und Bedeutung sichert, die sie verdient.

fällt nämlich

Für mich

diese Frage mit der Frage der geschichtlichen Ent­

wicklung der Menschheit überhaupt zusammen, wie ich Ihnen schon in der Versammlung vom November vorigen Jahres sowie bei früheren

*) Die arbeitenden Klaffen und das Affoziationswesen in Deutschland. Leipzig 1858, bei G. Mayer. (Seite 215, 221 u. f. im Bd. I.)

148

Schulze-Delitzsch.

Gelegenheiten erklärt habe.*) Nur in der fortschreitenden Kultur, in der steigenden Bildung und ihrer immer weiteren Verbreitung auf alle Klassen

der Gesellschaft ist die Möglichkeit der endlichen Lösung der sozialen Frage gegeben, nur in ihnen der Fortschritt'in Intelligenz und Sittigung, in der Aufbesserung der wirtschaftlichen Zustände im großen und ganzen. Je mehr infolge dieses geschichtlichen Entwicklungsprozesses die Arbeits­ methoden sich vergeistigen und die Bildung Arbeitsmittel wird, je leichter und ergiebiger dadurch die Arbeit wird, je mehr die rohesten und

niedrigsten Arbeitsverrichtungen den Naturkräften überlassen werden, desto mehr Aussicht hat der Arbeiter, in sein volles menschliches Erbe ein­ zutreten. „Es ist nicht nötig, daß ein Teil der Menschen, ver­ dammt zur geistigen und leiblichen Verkümmerung, im niederen Dienst zur Anschaffung der materiellen Notdurft des Daseins geopfert werde, damit der andere Teil sich ungestört den höheren Kulturaufgaben widmen könne; Bildung und Gesittigung das Gemeingut aller! Für jedes menschenwürdige Streben die Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins!" So lautet der tröstliche Satz, die große menschenerlösende Errungenschaft der neueren Geschichte. Und daß wir ihn erkannt, daß wir die Wege, die allein zum Ziel führen können, danach bemessen haben, dafür geben unsere bisherigen

Erörterungen Zeugnis. Die Entwicklung und ihr Lebenselement, die Freiheit, dahin gingen unsere Forderungen. Und weil die Staats­ garantie mit der davon unzertrennlichen Staatseinmischung, ab­ gesehen von ihrer völligen Unausführbarkeit, die politische wie die Erwerbsfreiheit und in ihnen die Möglichkeit jeder Entwicklung ertötet, haben wir uns von der sozialistischen Heilslehre und damit auch von der des Herrn Lassalle, die nur ein wenig verhüllter etwas schwächlicher Ab­ klatsch davon ist, losgesagt. Die deutschen Arbeiter wissen es nie­ mandem Dank, der ihnen eine Garantie der Existenz von außen her entgegenbringt, weil er in der Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit und Selbsthilfe die Grundlage ihrer sittlichen Würde, ihrer bürgerlichen Gleich-

berechttgung wie ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit antastet, Dinge, ohne welche von einer wirklichen Hebung der arbeitenden Klassen doch wirllich nicht im Ernste die Rede sein kann. Dies vorausgeschickt, kommen wir zu den speziellen Angriffen gegen die von mir vertretenen, auf Selbsthilfe beruhenden Genossenschaften *) Arbeit und Bildung. Ein Vortrag im Berliner Handwerkerverein am 4. Februar 1861. Berlin 1861, bei Franz Duncker.

in der Lassalleschen Broschüre, und da handelt es sich um Berichtigung

wesentlicher Irrtümer, tatsächlicher Unwahrheiten und falscher Schlüsse in solcher Menge, daß es uns nur möglich ist, einzelnes davon hier heraus­ zugreifen, was gerade für unseren Zweck den geeignetsten Anhalt bietet. Zuerst sagt Herr Lassalle: „ich wolle bloß Rohstoff-, Konsum-, Kredit- und derarüge Vereine und nicht die Assoziationen zu gemeinsamer Produktion". Nur die letzteren erkennt er als zum

Ziele führend an, weil sie allein den Großbetrieb ermöglichen, zu welchem die neuere Industrie hindränge, während die ersteren nur das ohnehin nicht lebensfähige Handwerk kümmerlich fristeten.

Diese Behauptung enthält eine so dreiste Unwahrheit, daß sie für die ganze Schrift charakteristisch ist. Wer die Meinungen anderer be­

kämpft, hat die Pflicht, wenn diese Meinungen und Ansichten vielfach öffentlich in Schrift und Wort niedergelegt sind, sich von denselben erst zu unterrichten. In dem oben angeführten, bereits im Jahre 1858 von mir veröffentlichten Buche, worin ich die Grundzüge des von mir ge­ pflegten Genosfenschaftswesens dargelegt habe, ist die ProduktivAssoziation ausdrücklich als „der Gipfelpunkt des ganzen Systems" anerkannt (siehe Seite 56 und folgende des Buches),*) welchen ich haupt­ sächlich bei Lösung der schwierigen Frage im Sinne gehabt, weil sie ihre Mitglieder unmittelbar in den Stand setze, ein Etablissement auf großem Fuß mit allen Vorteilen der neueren Betriebsweise einzurichten und sich so die gewerbliche Selbständigkeit zu sichern. Denn daß die industrielle Entlvicklung unserer Tage mehr und mehr zum Großbetrieb drängt, darüber sind alle Kundige einig, und ich habe dies mit allen daraus für die Arbeiterverhältnisse erwachsenden Folgen in dem erwähnten Buche speziell begründet und nachgewiesen (siehe Seite 4 und folgende).**)

Indessen habe ich mich bei dieser theoretischen Ansicht nicht beruhigt vielmehr habe ich die Förderung dieser wichtigen Form der Genossenschaft mit Rat und Tat in die Hand genommen und mehrere Vereine, die sich nach dieser Richtung hin bilden, mit Statuten und den erforderlichen An­ weisungen zu ihrer ersten Gründung und geschäftlichen Einrichtung ver­

sehen. Bereits existieren mehrere davon hier in Berlin selbst — ich er­ wähne für jetzt nur zwei unter den Schalwebern — und andere sind unter meinem Beirate in der Bildung begriffen, denen ich auch bereits die sichere Aussicht auf ftemdes Kapital eröffnen konnte. Me Behauptung *) S. 235 u. f. des Bd. I. **) S. 195 u. f. des Bd. I.

150

Schulze-Delitzsch.

des Herrn Lassalle hat daher unter den Beteiligten, als sie davon hörten,

große Heiterkeit erregt, und ich denke, daß dieselben im weitern Verfolg der Sache noch selbst Gelegenheit haben werden, unter Ihnen aufzutreten.

Begreiflicherweise würde ein vorzeitiges Bekanntwerden aller dieser Ver­ suche vor Eröffnung des Assoziationsgeschäfts den Mitgliedern in ihrer

gegenwärtigen Stellung

als Arbeiter in

fremden

Etablissements nur

schaden. Mcht in unserm Standpunkte in betreff der Produktivassoziation also,

sondern

schaftssystem

darin liegt der

und

dem

Unterschied zwischen

angeblichen

des

meinem Genossen­

Herrn Lassalle, daß ich die

Selbsthilfe zugrunde gelegt wissen will, während er die Staatshilfe fordert.

Und durch diese Grundverschiedenheit in der Auffassung der

Aufgabe wird denn auch das völlige Auseinandergehen der Wege erklärt, welche beiderseits, angeraten werden, um zum Ziele zu gelangen. Da Herr Lassalle nur durch die Staatshilfe die Sache auszuführen

gedenkt, also gar nicht nötig hat, die Leute zur Selbsthilfe heran­ zubilden, so macht sich die Sache für ihn mit bewundernswerter Leichtigkeit

eigentlich von selbst, und man kann gleich mit dem Ende, mit der höchsten und schwierigsten Form der Genossenschaft, mit der gemeinschaftlichen Produktion, beginnen, natürlich wenn man erst politisch so weit ist,

den Staat in seiner Gewalt zu haben!

Und das ist eine Kleinigkeit,

dahin gelangen die Arbeiter sicher und bald durch die Agitation für das allgemeine gleiche Wahlrecht.

Auf diese Agitation haben sie

sich daher ganz allein zu beschränken, dazu ihre Sparpfennige herzugeben,

um Leute in die gesetzgebenden Körper zu wählen, welche sich verpflichten, ihre Forderungen durchzusetzen.

Fehlschlagen kann dies nicht, denn „die

notleidenden Klassen bilden 89 bis 96 */< Prozent" und ihnen gehört der Staat! — Daher allgemeines Wahlrecht als Losung der deutschen Arbeiter­

bewegung und weiter nichts, denn alle anderen Bestrebungen führen nur

vom Ziele ab und hindern, daß man alle Mittel und Kraft in der politischen Tätigkeit konzentriert! In bezug auf die Ausführbarkeit der Staatshilfe in finanzieller und

politischer Hinsicht

haben

wir nun freilich schon bei Gelegenheit des

sozialen Staates allgemein unsere Bedenken beigebracht, und was es namentlich mit den 89 bis 96 Prozent der Bevölkerung, auf die Herr Lassalle

rechnet, für eine Bewandtnis hat, werden wir gleich sehen.

Aber das ist

wahr: daß der vorgeschlagene Weg überaus bequem ist, bequem für alle Teile, für die Arbeiter, wie für Herrn Lassalle selbst.

Da braucht

sich niemand weiter zu mühen, nicht zu sparen und zu lernen, nicht seine

gewerblichen Leistungen zu vervollkommnen, nicht durch Anstrengung und

Entbehrung mancher Art sich emporzuarbeiten.

Er wird Mitglied des

Wahlvereins, zahlt seinen Beitrag in die Kasse und gibt seine Stimme

für den Deputierten ab, der das weitere besorgt, um die Regierungsgewalt in die Hände der Arbeiter zu bringen und die Staatsmittel ihnen zur

Verfügung zu stellen.

Dann ist alles gemacht! — Nun, selbst wenn

das noch etwas lange dauern möchte — hübsch wäre es doch für die Leute, so billig dazuzukommen!

Ebenso braucht sich Herr Lassalle als Führer nicht

erst mit der Organisation seiner Assoziationen zu befassen, womit er sich viele

und, wie wir gern anerkennen, unnütze Mühe spart. Das alles bleibt natür­ lich aufgeschoben, bis erst der Staat in die richtige Verfassung dazu gebracht ist, sonst kann es ja doch nichts helfen. So leicht mache ich es nun freilich

den Leuten

Genossenschaften nicht und so leicht habe ich

mit meinen

es selbst dabei nicht gehabt.

Da haben wir erst tüchtig uns einarbeiten

müssen in die neue Geschästsform, Kenntnisse und Erfahrungen aller Art sammeln, ehe wir die Sache in Zug brachten und gute Erfolge erzielten. Indessen dürfte es doch

zweckmäßig

sein,

wenigstens

vorläufig,

bis

Herr Lassalle mit seinen Einrichtungen zustande gekommen sein wird, dabei zu verbleiben.

Was im besonderen die Produktiv assoziativ neu

und ihr Verhältnis zu den andern Arten der Genossenschaften anlangt, so

habe ich bisher

einen

Standpunkt eingenommen,

den ich bei der

Wichtigkeit der Sache hier etwas näher begründe. Zunächst

halte ich es für

durchaus falsch und

bedenklich,

un­

vermittelt und ohne die Mitglieder vorher einer gewissen genossenschaft­

lichen Schule unterworfen zu haben, dahin einzulenken.

Denn wo sollen

unsere Arbeiter die Fähigkeit, größere Geschäfte zu leiten, so ohne weiteres hernehmen,

wenn sie sich nicht allmählich

Kleinen heraus erst einarbeiten?

und aus dem Engen und

Kann man den Leuten, deren Tage­

werk bis dahin auf einzelne technische Leistungen in den Werkstätten be­ schränkt war, ohne daß sie irgendeine Übersicht über das Ganze, einen Einblick in die Leitung und geschäftliche Beziehung des Unternehmens

jemals sich hätten verschaffen können, zumute», sich solchen Aufgaben ge­

wachsen zu zeigen?

Müssen nicht die dazu nötigen Eigenschaften im

Menschen entwickelt, die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen durch Unter­

richt und Praxis erworben werden?

Oder kann etwa der Staat, wenn

er den Arbeitern das Kapital garantiert, ihnen gleich nebenan durch ein

Dekret alle diese geistigen Eigenschaften, wie Unternehmungsgeist, Ge­ schäftsumsicht und Erfahrung, Kenntnis der Bezugs- und Absatzquellen usw.

beilegen oder sozusagen anoktroyieren?

Nein, nein, da sind denn doch

Schulze-Delitzsch.

152

unsere Arbeiter zu vernünftig, um sich so dummes Zeug vorschwindeln

zu lassen, daß sie über Nacht, ohne irgend sich erst einzulernen und zu bemühen, von Obrigkeits wegen aus bloßen Arbeitern zu Leitern von

großen Etablissements umgestempelt werden könnten! Und ist schon in dieser Beziehung eine allmähliche Überleitung in den meisten Fällen unerläßlich, so tritt auch ein anderer wichtiger Um­ stand

hinzu,

der

dem

unvorbereiteten

Eintritt in

Produktiv-

die

assoziation ganz besonders in Deutschland entgegensteht, und den ich

auch

schon in meinem Buche hervorgehoben habe.

Noch ist der echte

genossenschaftliche Geist in der Mehrzahl der deutschen Arbeiter viel

zu wenig entwickelt, noch herrscht der Sondergeist viel zu sehr vor, noch erschweren Neid, Mißgunst und Mißtrauen der einzelnen gegeneinander

die

gemeinschaftlichen

Operationen.

Ganz

besonders

fällt

dies

bei

Produktivassoziationen in das Gewicht, die unumgängliche Einheit der Leitung als erste Bedingung des geschäftlichen Gelingens, eine Unterordnung der Genossen

gegen

die Vorstände,

ein

einzelnen im Ganzen erfordern, was unsern deutschen

ganz leicht wird.

Ich habe deshalb überall mit den

der Gesellschaft begonnen, die,

größere

Aufgehen

der

Arbeitern nicht leichtern Formen

wie gesagt, die Vorbedingungen eines

lohnenden Gewerbebetriebs oder bestimmte Vorteile im Haushalt der

weniger bemittelten Arbeiterklassen bezwecken.

Um überhaupt die Leute

zum ersten Eintreten in die Genossenschaftsbewegung zu bewegen, muß

man ihnen naheliegende, sogleich greifbare Vorteile bieten, sie nicht weit­

aus an die Zukunft verweisen.

Haben sie sich dann in diesen Vereinen

von der Macht des genossenschaftlichen Zusammenwirkens erst überzeugt,

sich an Gemeinsamkeit in Beratung und Geschäftsleitung, an Unterordnung unter die Majorität gewöhnt; sind sie bekannt, vertraut miteinander ge­

worden und zu der Einsicht gelangt, daß das Wohl der

einzelnen im

Wohl der Gesamtheit die beste Stütze finde; haben sie sich endlich in die

Geschästsleitung im kleinen, in die Buchführung und alles hier Ein­

schlagende eingelernt: so kann man schon weitergehen, ja die Genossen werden ganz von selbst an die Ausdehnung ihrer Verbindung denken. Ganz vorzüglich geeignet für die Überführung zur gemeinschaftlichen Produktion im großen sind die Rohstoff- und Konsumvereine.

Hat

eine Klasse von Handwerkern erst begonnen ihre Rohstoffe gemeinsam zu beziehen und ihr Genossenschaftsgeschäft gehörig einrichten gelernt, so sammelt sich ein eignes Kapital allmählich in der gemeinschaftlichen Kasse,

das Selbstvertrauen, der Unternehmungsgeist hebt sich und man beginnt

einzelne größere Bestellungen zu übernehmen, größere Versendungen zu

wagen, was am Ende in der solidesten und sichersten Weise zur gemein­

samen Produktion im großen Maßstabe mit Aufgeben der Einzelgeschäfte überführt.

So übernahm neuerlich eine bloße Rohstoffassoziation

von

Schuhmachern eine bedeutende Stiefellieferung für einen deutschen Truppen­

körper und beschäftigte damit ihre Mitglieder; andere haben bedeutende Sendungen nach Amerika exportiert.

So geht die Roystoffassoziation

der Schneider in Potsdam damit um, sobald ihr eignes Kapital noch

um etwas gewachsen ist, ein Kleidermagazin für gemeinsame Kosten her­ zustellen, und die bloßen Rohstoff- und Magazinassoziationen der

Tischler an vielen Orten lassen bereits Stücke für das Magazin (in welches sonst die Mitglieder für ihre Privatrechnung ihre Waren stellen) für Gesamtrechnung arbeiten.

betrieb überzuleiten, eignen sich

ein­

In den mehr fabrikmäßigen Groß­

aber besonders die Konsumvereine.

Sobald hier die Mitgliederzahl bedeutend, der Verbrauch groß wird, stellt sich das Bedürfnis der eignen Produktion der Hauptkonsumgegenstände heraus, und man wird alsdann mit um so geringerer Gefahr an die Gründung eines solchen Produktivgeschäfts herantreten, als man in dem Mitgliederbestände des alten Konsumvereins gleich einen ausgebreiteten,

sichern Kundenkreis besitzt.

Von

besonderer Wichtigkeit in allen Fällen

ist bei einem so vermittelten Vorschreiten endlich, daß dadurch das Ein­ werfen eines entsprechenden eignen Kapitals der Genossen in höherem

Grade ermöglicht wird, als wenn man ohne weiteres beginnt.

Dies ver­

leiht dann nicht bloß mehr Kredit, sondern schützt auch vor leichtsinnigen

Geschäftsoperationen, da man erfahrungsmäßig mit dem, was man sich selbst erst mühsam hat erwerben müssen, haushälterischer umgeht, als mit dem, was einem (wie der Lassallesche Staatskredit) so ohne sein Zutun

und Verdienst von Dritten gewährt wird.

Ich wenigstens widerrate

allen die Eröffnung eines solchen Geschäfts zu gemeinsamer Produktion,

wenn sie nicht vorher etwas gespart und mindestens ihre sittliche Be­

fähigung dadurch bewiesen haben, daß sie sich einen augenblicklichen Ge­

nuß zu versagen, ein Opfer in der Gegenwart aufzuerlegen vermochten, um sich eine sorgenfreie Zukunft zu sichern.

Mit diesen in der Natur der Sache selbst begründeten Sätzen stehen

nun die gemachten Erfahrungen sämtlich im Einllange.

Von den in

Deutschland in den Jahren 1848 und 1849 mehrfach begründeten

Produktivassoziationen — besonders der Schneider — besteht fast

keine mehr, und wie viele von der Anzahl der in jenen Tagen in Paris geschaffenen in kurzer Zeit wieder eingingen, trotzdem, daß die Dispositton

dazu dort viel größer war, als bei uns, ist bekannt.

Am lehrreichsten

154

Schulze-Delitzsch.

für uns sind aber die Vorgänge in England, der eigentlichen Wiege des Genossenschaftswesens. Als man dort mit den Genossenschaften etwa seit 1824 begann, wo Arbeiterverbindungen jeder Art durch die Gesetzgebung freigegeben wurden, dachte man an die Produktivassoziationen

noch gar nicht, von denen die ältesten kaum über 1848 hinausreichen. Vielmehr griff man die Sache dort anfänglich in den sogenannten Ge­

werkschaftsvereinen (trade unions), die sich zur Durchfechtung von Streitigkeiten der Arbeiter mit den Arbeitgebern, besonders zur Organisation von Arbeitseinstellungen in Masse (strikes) behufs Erreichung höherer Löhne bildeten, auch mehr von der politischen als der wirtschaftlichen Seite an. Indes drängte das Mißglücken dieser Versuche allmählich auf den andern Weg, und hier sind es vor allem die Konsumvereine (storea), die ausgebildetste Art der Genossenschaft in England, denen wir begegnen und aus denen sich allmählich jene großartigen Etablisse­ ments zu gemeinsamer Produktion entwickelten, die sogenannten Volks­ mühlen, d. h. teils Mahlmühlen, teils durch Dampfmaschinenkraft be­ triebene Fabriken. Besonders gehört hierher die vielgedachte Genossenschaft der Pioniere von Rochdale, die mit einem kleinen Vereinsladen und 26 Pfund Sterling Kapital begann und jetzt, außer einer Dampf­ mahlmühle, Bäckerei, Schlächterei und dgl., mehrere förmliche Fabriken, namentlich eine Dampfspinnerei und Weberei besitzt und den Bau von Arbeiterwohnungen mit Erfolg in die Hand genommen hat. In Zahl der Unternehmungen und Teilnehmer treten hiergegen die übrigen Produktivassoziationen zurück, doch sollen immer schon über hundert existieren und sich eines güten Gedeihens erfreuen. Sie sind durchgängig jünger» Datums aus den 50er Jahren, und wenn in Eng­ land, wo die Zersetzung der ältern Betriebsformen sich in weit höherem Maße und weit früher vollzogen hat, als bei uns, eine mehr als 20 jährige Entwicklung dazu erfordert wurde, um lebensfähige Gestaltungen der fraglichen Art hervorzurufen, so haben wir, bei dem viel jüngeren Alter

der Bewegung bei uns und den in minderem Grade dazu drängenden industriellen Verhältnissen, sicher für das erste noch mit großer Vorsicht und Auswahl zu verfahren, wollen wir nicht durch das Mißlingen nicht

gehörig fundierter Versuche den Boden für die ganze Sache verderben. Von diesen Erwägungen ausgehend, habe ich bisher, wenn die Sache an mich herantrat, verfahren und in den letzten Jahren in der Tat wiederholt bei Gründung von Produktivassoziationen mitwirken können, über welche ich recht bald meine Berichte zu veröffentlichen denke. Immer

habe ich abgewartet, bis das Bedürfnis die Leute selbst trieb, die Dinge

in die Hand zu nehmen, und mich wohl gehütet, sie dazu zu drängen und zu unvorbereitetem übereiltem Vorgehen zu ermuntern. Und in diesem

Sinlie und

mit Vorbehalt der

reiflichsten Prüfung wegen des Vor­

handenseins der unumgänglichen Erfordernisse, biete ich auch Ihnen, meine Herren, dazu die Hand.

Hiernach sind die bisher hauptsächlich bei uns gepflegten Arten der Genossenschaft schon als notwendiger Durchgangspunkt zu

erwünschten Gestaltungen von entschiedenster Bedeutung.

den weitern

Aber auch ab­

gesehen hiervon, greifen sie schon an sich in jeder Hinsicht förderlich und

wohltätig in die Zustände unsrer Arbeiter und Handwerker ein.

Und

zwar ist dies durchaus nicht bloß bei den letzter» der Fall, vielmehr

bezeugt alles, was Herr Lassalle davon sagt, bloß seine völlige Unkenntnis

der praktischen Verhältnisse. Zuerst will ich nur der Volksbanken gedenken, die ja gerade für die Produküvassoziationen,

sobald dieselben

ganz unentbehrlich sein werden.

ihre Geschäfte

ausdehnen,

Arbeitet denn nicht auch die Groß­

industrie mit den Bankiers, ist sie denn nicht eben auch fast noch mehr auf Kredit, auf fremdes Kapital angewiesen, als auf eignes? — Schon

strecken unsre Vorschußvereine den Rohstoffassoziationen, ja bereits mehr als einer Produktivgenossenschaft selbst Kapital vor, und dies wird sich in Zukunft, bei mehrerem Emporkommen der letztern, erst recht er­

sprießlich entwickeln.

Freilich an solche Kleinigkeiten wie die Sicherung

eines ausreichenden Bankkredits braucht Herr Lassalle nicht zu denken, da tritt bei ihm der Staat ein.

Nun, bis dahin, daß dies geschieht, wollen

wir daran denken!

Ferner, wenn das Handwerk im allgemeinen von der Großindustrie

bedroht ist und seine Betriebsweise mehr den Anforderungen der neuen Gewerbsentwicklung gemäß einrichten muß, sofern es bestehen will, so vollzieht sich der angedeutete Übergang in der Wirklichkeit doch keineswegs

so plötzlich, daß zu jenem Einlenken nicht Zeit bliebe.

Noch sind ganze

Zweige des Handwerks nur wenig von der Fabrikindustrie berührt, und es treten uns zahlreiche Beispiele vor Augen, daß Handwerker nicht nur recht wohl bestehen, sondern sich geradezu zu Fabrikanten emporarbeiten.

Die Handwerker — und sie bilden noch gegenwärtig die größere Zahl der industriellen Arbeiter bei uns — werden sich daher bei Herrn Lassalle

für seine wohlmeinende Ansicht:

daß eine zur Erhaltung ihrer Selb­

ständigkeit und zur Förderung ihres Aufschwungs abzielende Maßregel

„nur

eine nutzlose

Verlängerung

ihres

eine Vermehrung von dessen Qualen

Todeskampfes und

sei," zu bedanken haben!

156

Schulze-Delitzsch.

Doch sei dem wie ihm wolle, so liegt in jedem Falle in der Erhaltung der Selbständigkeit einer Anzahl von Kleinmeistern, ja in der Überführung derselben zum Großbetrieb, wie dies erwiesenermaßen die erwähnten Ge­

nossenschaften wesentlich fördern, nicht nur für einen so beträchtlichen Teil der Arbeiter selbst eine Wohltat, sondern für alle Arbeiter, die

Fabrikarbeiter mit eingeschlossen. Auf diese Weise wird nämlich ver­ hindert, daß dasjenige eintritt, was wir schon im zweiten Vortrage als die möglichst ungünstige Chance bezeichneten, die es für den Lohnarbeiter,

für denjenigen, der seine Arbeitskraft einem andern, dem Unternehmer, zu Gebote stellt, überhaupt gibt: die übermäßige Zunahme von solchen Arbeitern einerseits, verbunden mit der Abnahme der Arbeitgeber andrer­ seits! Wie klein auch die Geschäfte jener Meister waren, sie vermehrten doch nicht das Angebot von Arbeitern in den Fabriken, vielmehr be­ schäftigten manche von ihnen immerhin Gesellen und Lehrlinge, und die­ jenigen, die sich zum Großbetrieb emporarbeiteten, machten ja, in der Nachfrage nach Arbeitern, den Fabrikanten geradezu Konkurrenz. Fällt diese Möglichkeit der Erhaltung und des Aufschwungs für die Handwerker aber fort, so müssen sie — wie Herr Lassalle selbst annimmt — in den Fabriken sich zur Arbeit melden und drücken, durch Verstärkung des An­

gebots von Arbeitern, notwendig auf die Löhne. Und hier lassen Sie uns bei zwei groben Irrtümern der Lassalleschen Schrift einen Augenblick verweilen, bei seinem sogenannten Gesetz über die durchschnittliche Höhe des Arbeitslohnes und über den so­

genannten Unternehmeranteil. Hiernach soll unter den heutigen Verhältnissen mit Notwendigkeit „der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert bleiben, der in einem Volke ge­ wohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort­ pflanzung erforderlich ist". Das völlig Unwahre dieses Satzes fühlen Sie selbst, als Leute, die mitten in diesen Verhältnissen darin stehen, sobald Sie sich in den eignen Reihen umblicken, und es gehört die ganze Dreisttgkeit, das ganze Halbwissen des Herrn Lassalle dazu, Ihnen etwas

Derarttges vorzureden und dabei zu behaupten, alle Autoritäten der nattonalökonomischen Wissenschaft stünden auf seiner Seite! Indem ich

wiederholt auf das verweise, was ich über das Steigen und Sinken des Arbeitslohnes im zweiten Vortrag im allgemeinen gesagt habe, bemerke ich hier nur: die Deckung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bildet nur die Untergrenze, keineswegs den Mittelpunkt, den durchschnittlichen Satz der Lohnhöhe, und Herr Lassalle führt selbst aus, daß im Augen-

blick, wo beim Sinken

der Löhne

jene Untergrenze überschritten wird,

sofort die entgegengesetzte Tendenz eintritt, indem durch Verminderung

vermindert und die

der Arbeiterzahl sich das Angebot von Arbeitern Löhne steigen.

Dieser Untergrenze steht als Höhepunkt, bis zu welchem

die Lohnsteigerung sich aufschwingen kann, derjenige Moment gegenüber,

wo die Löhne ein solches Maß

erreicht haben,

daß der Unternehmer

keinen seinem Msiko und seiner Mühewaltung und Leistungsfähigkeit ent­

sprechenden Gewinn mehr machen kann und es vorzieht, sein Kapital aus dem Geschäft zu nehmen, um es anderwärts ohne Risiko anzulegen, und

seine Intelligenz und Tätigkeit ebenfalls anderwärts, vielleicht in einem

fremden

Unternehmen, zu verwerten.

In solchen Zeitpunkten werden

schon bestehende Geschäfte geschlossen oder verkleinert, Arbeiter entlassen, neue Geschäfte wenig oder nicht angelegt, die Nachfrage nach Arbeitern,

die Zahl der Unternehmer sinkt, das

Angebot, die Zahl nicht

schäftigter Arbeiter dagegen steigt, und die Löhne fallen.

be­

Dies sind die

natürlichen Grenzen, innerhalb deren die Lohnbewegung stattfindet, das

begreift sich mit gesundem Menschenverstand von selbst, und jeder Schüler in der nationalökonomischen Wissenschaft weiß es.

Was aber die Zahl

der Unternehmer und die Nachfrage nach Arbeitern notwendig vermehrt und

somit

die Lage der Arbeiter

verbessert, ist das Wachstum

Kapitalien und der Aufschwung des Gewerbefleißes.

der

Je leichter und vor­

teilhafter man arbeitet, je mehr Gewinn die Industrie abwirst, desto mehr gewerbliche Unternehmungen entstehen, welche allen Arbeitern Beschäfttgung geben.

Und je mehr Kapital da ist, desto mehr drängt es sich nach An­

lage in solchen Unternehmungen, weil es ja sonst tot liegen, seinen In­ habern keinen Zins bringen würde, das haben wir alles schon gesehen.

Deshalb stehen die Löhne höher, haben es die Arbeiter besser in reichen, industriellen Ländern als in armen; in großen gewerbefleißigen Städten besser als auf dem Lande.

Und daß natürlich, eben infolge der durch­

greifenden Einwirkung von Angebot und Nachfrage, noch ein andrer Umstand mit einwirft und die Lohnhöhe für die verschiedenen Arbeits­ verrichtungen innerhalb jener allgemeinen Grenzen verschieden abstust,

haben wir im fünften Vortrage ebenfalls schon angedeutet.

Je nach den

Anforderungen, die eine Beschäftigung an die Geschicklichkeit, Kenntnis

und Zuverlässigkeit der verschiedenen Arbeiter macht, ist ihr Lohn zu der­ selben Zeit ein verschiedener und steigt namentlich in dem Grade, als

geistige Eigenschaften dabei entscheidend sind.

Natürlich nimmt die Zahl

der so befähigten Arbeiter ab, je höher die Anforderungen an dieselben

in obiger Rücksicht steigen, wogegen sie um so mehr zunimmt, je geringer

158

Schulze-Delitzsch.

die geistige und körperliche Qualifikation zu den betreffenden Leistungen zu sein braucht.

Eben deshalb steht der Lohn der letzteren Arbeiterklasse,

z. B. der bloßen Tagelöhner, zu deren Verrichtungen weder besondere

Kunstfertigkeit noch ungewöhnliche Anstrengung gehören, im Verhältnis gegen den der ersteren Klasse zurück.

Hiermit ergibt sich zugleich die Verkehrtheit der'Folgerungen, welche

Herr Lassalle aus diesem angeblichen Gesetz von der Lohnhöhe auf die Wirkungslosigkeit der Konsumvereine mit ihrer billigern Versorgung

der Arbeiter zieht, von selbst.

Die größere Wohlfeilheit notwendiger

Lebensbedürfnisse soll schließlich ein Sinken der Löhne zur Folge haben!

Nun, seit nahezu 20 Jahren sind die Kornzölle in England aufgehoben

und dadurch die Brotpreise billiger geworden; seit nahezu 20 Jahren

arbeiten

die riesigen

Konsumvereine

(stores)

in

England

in

dieser

Richtung, und die Löhne haben, bei Abnahme der Arbeitszeit, eine stetige Steigerung erfahren!

Wagen

Sie es

daher nur darauf hin, meine

Herren, und schaffen Sie sich die Vorteile des Großbezugs durch solche

Vereine, Sie werden an Ihren Löhnen nichts verlieren, wohl aber in

Ihrem Haushalt gewinnen! Womöglich noch verkehrter und unwissenschaftlicher ist der gemachte

Gegensatz von Arbeitslohn und „Unternehmergewinn".

Ding kennt

die Wissenschaft nicht.

Unternehmer nach Bestreitung

unkosten

übrigbleibt, in

gewinn.

Ein solches

Vielmehr zerfällt das, was dem

der Arbeitslöhne

und aller Geschäfts­

a) Unternehmerlohn,

b) Kapital­

und

Daß die Gründung und Leitung eines Geschäfts, besonders

eines größern, welches fremde Arbeiter beschäftigt, ihre großen Schwierig­ keiten hat,

daß

sie einen

hohen Grad

von Einsicht, Erfahrung und

Kenntnissen, von Tatkraft und Willensstärke erfordert, kann niemand bestreiten.

Der Gründer und Leiter des Unternehmens ist daher un­

bestritten derjenige Arbeiter, der das Meiste und Schwerste von allen

leisten muß, also auch Anspruch auf einen höhern Lohn hat.

Aber das

ist nur die eine Seite der Sache, und er hat außerdem auch das Risiko,

die Frucht ge­

d. h. er muß das nötige Kapital zum Geschäftsbetriebe,

taner Arbeit, das Verdienst früherer Jahre, dransetzen fahr, dasselbe bei

ungünstigem Geschäftsgänge zu

und ist in Ge­

verlieren.

Dieses

Risiko wird nach allgemeinem Geschäftsgebrauch nur durch den Ge­

schäftsgewinn

ausgewogen,

welcher vom Geschäftsertrage übrigbleibt,

wenn man davon, außer den sonstigen Geschäftsunkosten, noch den ge­

wöhnlichen Zins, den das Kapital bei jeder andern sichern Anlage ge­ tragen hätte, und den Lohn des Unternehmers abrechnet.

„Wer das

Risiko trägt, dem kommt der Gewinn zu!"

Dies die unbeugsame

Regel im Geschästsleben, gegen deren Gerechtigkeit sich von keiner Seite etwas

einwenden läßt, und deren Abänderung nur zum Ruin

der Industrie

und somit zum Schaden der Arbeiter selbst ausschlagen müßte.

Denn

wo sollten sich noch Leute finden, die geneigt wären, das Risiko eines

Geschäfts zu übernehmen, ihr Kapital dran zu wagen, wenn den

Gewinn

davon

Lassallesche Projekt!

ziehen

sollten? — Und

hieran

eben

sie nicht

rührt das

Gewiß ist es richtig, das haben wir schon erörtert;

daß die vollständigste Lösung der Arbeiterfrage in der erleichterten Möglichkeit für den Arbeiter liegt, selbst Unternehmer zu werden, und in welcher Weise dies von einzelnen, sowie von ganzen Arbeitergruppen im Wege

der Genossenschaft anzugreifen ist, haben wir gezeigt.

Dies bewirken

wir in den auf Selbsthilfe gegründeten Genossenschaften ganz natur­ gemäß, indem eben hier die Arbeiter, als Träger und Inhaber des Ge­

schäfts, zu dem sie das Kapital teils selbst aufbringen, teils es unter ihrer Gesamthast kreditiert erhalten, das Risiko übernehmen und dafür mit vollstem Fug und Recht den Geschäftsgewinn wie den Unternehmer-

lohn unter sich teilen.

Bei den Assoziationen dagegen, wie sie im Kopfe

des Herrn Lassalle spuken, übernimmt der Staat die Garantie,

und das kann doch nichts anderes bedeuten, als das Risiko, und nicht die Arbeiter, und diese sollen

dennoch den Gewinn

erhalten.

Tat ein schönes Geschäft, wenn sich der Staat darauf einläßt!

In der

Wir,

meine Herren, denke ich, lassen uns nicht darauf ein und warten nicht darauf.

Wie wir nicht ausriefen: „Fort mit dem Kapital!" sondern:

„Her mit dem Kapital,

wir

haften

dafür!"

so

rufen wir jetzt

wiederum: „Her mit dem Geschäftsgewinn, wir übernehmen das

Geschäftsrisiko!"

In keinem Falle aber wenden wir uns an einen

Dritten, daß er das Risiko für uns trage und dann uns den Gewinn schenke.

Mit den Worten des Dichters, den Herr Lassalle zitiert, be­

haupte ich den Arbeitern gegenüber immer und immer wieder: Und setzet Ihr nicht daS Leben ein, Nicht wird Euch daS Leben gewonnen sein!

Die Existenz eingesetzt, die volle Verantwortlichkeit übernommen — nur so wird die Selbständigkeit der Existenz auf dem Felde

des Erwerbs

gewonnen; nur so wird der Arbeiter sein eigener Arbeitgeber, Arbeiter

und Unternehmer in einer Person, ein Ziel, welches wir wohl als des

Strebens aller tüchtigm Arbeiter wert bezeichnen dürfen.

Denn gerade

das war es ja, die Vereinigung der geistigen und mechanischen Arbeits­ aufgabe in einer Hand, was den Handwerkerstand im ganzen so tüchüg

160

Schulze-Delitzsch.

gemacht hat. Indem die gewerbliche Unselbständigkeit, die Lohnarbeit, bloß ein Durchgangspunkt war, und der Lehrling und Geselle in der

Stellung des Meisters nur ein auch ihnen im gewöhnlichen Laufe der Dinge erreichbares Ziel erblickten, konnte nie eine so schroffe Kluft ent­ stehen, wie sie so häufig den Arbeitgeber von den Arbeitern in unsern

großen Fabriketablissements, gegen das wahre Interesse beider Teile, trennt. Von diesen Proben, wie Herr Lassalle die Dinge im allgemeinen auffaßt, kann man nun einen Schluß auf den Wert dessen ziehen, was

er sowohl für seine Projekte, wie gegen die von mir vertretene Richtung anführt. In erster Beziehung läßt er wohlweislich die Organisation seiner

Zukunftsassoziationen im Dunkeln.*) Er will die freie, individuelle Assoziation, gleich mir (natürlich immer die Staatshilfe abgerechnet), gleichwohl soll sich „die Assoziation im Laufe der Zeit über den ganzen Arbeiterstand erstrecken", und „er will im Laufe der Zeit so viel Assoziationsfabriken gründen, daß der ganze Arbeiterstand darin beschäftigt ist, weil es sich eben um den ganzen Stand, nicht um das Emporkommen einzelner handelt". Wie sich das letztere, das Zusammensassen des ganzen Arbeiter­ standes in den Assoziationen, mit der freien und individuellen Assoziation, die es doch dem einzelnen überlassen muß, ob und unter welchen Bedingungen er eintreten will, vereinigen läßt, ist mindestens zweifelhaft. Soviel aber ist sicher, daß, wenn sämtliche Arbeiter in den Assoziationsfabriken beschäftigt werden sollen, sämtliche bisherige Privat­ etablissements geschlossen werden müssen. Daß ein solches Ziel, da es mit Staatshilse erreicht werden soll, am Ende mit wenigen Modifikationen auf den sozialen Staat hinausläuft, von dem wir uns im vierten Vortrage unterhalten haben (Herr Lassalle bezeichnet den Staat als „die große Assoziation der arbeitenden Klassen"), werden wir so lange annehmen, bis er seinen Organisationsplan im Detail näher dar­ gelegt und uns dadurch eines andern belehrt hat. Geradezu lächerlich

erscheint uns dabei nur, daß die an die Spitze gestellte Staatshilfe *) Dasselbe tut Herr Rodbertus in seinem inzwischen erschienenen „Offenen Briefe" an das Leipziger Komitee, worin dieser Freund Lassalles merkwürdigerweise abmahnt, die Arbeiterbewegung aus das politische Gebiet zu drängen und daS allgemeine Wahlrecht als Losung aufzustellen. Er will die Ermittelung, wie den Arbeitern zu helfen sei, eben als Aufgabe des Arbeiter­ vereins betrachtet wissen und macht selbst darüber keinerlei Vorschläge.

oder Intervention die soziale Selbsthilfe nicht alterieren soll.

Eine

Hilfe durch andere, eine Hilfe für solche, welche sich nicht selber helfen können, ist doch alles eher als Selbsthilfe!

Davon kommt man nur

los, wenn man, wohin sich Herr Lassalle nach seiner Staatsdefinition

zu neigen scheint, annimmt:

die Arbeiter

allein, mit Ausschluß

aller übrigen Klassen, wären der Staat.

Staat hilft, dann helfen sie sich freilich selbst.

Wenn ihnen dann der Ich will Sie, meine

Herren, mit der Widerlegung dieser Voraussetzung, welche aller Wirklichkeit,

dem, was jeder mit seinen gesunden fünf Sinnen wahrnimmt, so grob ins Gesicht schlägt,

nicht

ich weise nur auf den Fehlschluß

behelligen,

hin, der daraus gezogen wird.

Wenn die Arbeiter nicht im Besitz der

Mittel sind, einzeln oder durch ihren Zusammenschluß sich emporzubringen, wie kann es denn ein Staat, der nur aus ihnen besteht, und dem sie noch überdem die Mittel zu den eigentlichen Staatszwecken in Form von Steuern gewähren müssen? — Und solchen Folgerungen begegnen wir

überall.

Wenn z. B.

daß

gesagt wird:

die Arbeiter

nichts

erreichen

würden, „wenn sie ausschließlich und lediglich und allein auf ihre

isolierten

Anstrengungen

als

Individuen

reduziert

blieben": so folgt daraus doch nur, daß man sich auf genossen­ schaftlichem Wege zu vereinigen hat, da dies ja eben der Weg ist,

um aus der atomistischen Isolierung herauszukommen, keineswegs aber

die Notwendigkeit der Staatshilfe.

Doch

gehen wir an das einzelne.

Die Möglichkeit der Assoziation, auch der Produktivgenossenschaft,

auf dem Wege der Selbsthilfe bestreitet Herr Lassalle also nicht, aber er hat bei ihrer Durchführung Bedenken.

in die Genossenschaften gezogen

Einmal will er alle Arbeiter

wissen, wie wir sahen,

und da scheint

ihm, wenn man die Sache den Leuten selbst überläßt, ein solcher all­ gemeiner Beitritt wohl zweifelhaft.

Nun,

unmöglich ist

derselbe auf

unserm Wege an sich nicht, vielmehr sind alle, welche überhaupt dazu geneigt sind, den Willen und die Kraft dazu in sich fühlen, jederzeit in

der Lage,

entweder den

oder neue zu gründen.

schon bestehenden Genossenschaften beizutreten

Sicher wird die wachsende Einsicht in das Wesen

und die Vorteile der Genossenschaft immer heranziehen.

größere Arbeiterkreise dazu

Aber daß sämtliche Arbeiter jemals, ohne Anwendung von

Zwang, sich so vereinigen werden, das halte ich für eine Schimäre.

wir uns nur das Sachverhältnis etwas näher an.

Sehen

Da finden wir zuerst

die ländlichen Arbeiter, die in der Landwirtschaft ihre Beschäftigung

finden, deren Zahl

durch die neueste Volkszählung in Preußen auf

3428457 selbsttätige Personen (Männer und Frauen) festgestellt ist, also Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II.

H

162

Schulze-Delitzsch.

die der industriellen Arbeiter übersteigt, welche nur 3104092 beträgt.

Wie will man diese Leute in die allgemeine Arbeitergenossenschaft hinein­ ziehen, wenn man nicht den

jetzigen Grundeigentümern ihr Eigentum

nimmt, sie irgendwie expropriiert, da man ohne Grundbesitz doch nimmer­ mehr selbständig

als Unternehmer

Landwirtschaft treiben

kann.

Die

Kapitalgarantie des Staates hilft dazu gar nichts, da mühte der Staat zu Eingriffen der gewaltsamsten Art in da§ Eigentum schreiten, weshalb

wir von dieser

größeren Halbschied der Arbeiter bei

der Lassalleschen

Zukunftsassoziation gleich von Haus aus abzusehen haben. — Sodann haben wir die Handwerker, welche wiederum an Zahl — 1090714 —

den Fabrikarbeitern — 766180 — erheblich bei uns überlegen sind und

sicher nur zum Teil geneigt sein werden, ihre zäh und in vielen Fällen mit Glück behauptete Selbständigkeit aufzugeben, um sich der allgemeinen Assoziation anzuschließen. — Bleiben sonach noch die Fabrikarbeiter übrig, von denen wir indessen wiederum ca. 50000 an Direktions- und Aufsichtspersonal, und ca. 150000 Weiber in Abrechnung bringen müssen,

so daß sich ihre Zahl auf wenig über 560000 reduziert.

Nun sind

aber auch unter diesen sehr viele in ihren Lohnverhältnissen so gut ge­

stellt, daß sie wahrhaftig nicht geneigt sein werden, ihr gutes Auskommen

aufzugeben und sich jenen Assoziationen anzuschließen, doch zum mindesten höchst zweifelhaft ist.*)

deren Gelingen

Wie lockend und zweckmäßig

nun auch gerade für solche, die etwas vor sich gebracht, etwas gespart haben, der Übergang zur gewerblichen Selbständigkeit ist, mancher wird

eine lohnende Beschäftigung ohne Risiko einem Geschäfte für eigne Rechnung vorziehen, das steht

bei der Verschiedenheit der Menschen fest.

Zwang möchte also die ganze Maßregel kaum durchzuführen sein,

Ohne

wenn

ihn auch Herr Lassalle nicht proklamiert, und zwar sowohl Zwang zum Beitritt gegen die einzelnen Arbeiter, wie Zwang zur Aufnahme

aller gegen die einzelnen Assoziationen.**)

Denn bei dem gewährten

Staatskredit kann man unmöglich gestatten, daß sich einige wenige, mit *) In den großen Maschinenbaufabriken in Berlin wechseln z. B. die Wochen­ löhne (bei Stückarbeit) durchschnittlich von 5 bis 12 Taler und darüber für den einzelnen, dem nicht selten auch noch erwachsene Familienglieder zur Seite stehen. Man vergleiche die treffliche inzwischen erschienene Schrift von W. Wackernagel: Offener Brief eines Urwählers III. Klaffe, der nicht Arbeiter, an F. Lassalle. Elberfeld, bei Bädeker. 1863. *♦) Schon die obigen Zahlen ergeben, welche Aussichten die zur allgemeinen Affoziation vereinigten Arbeiter haben würden, auf Herrn Laffalles Methode den Staat durch das allgemeine Wahlrecht in ihre Gewalt zu bekommen, wenn sie sich mit den übrigen Staatsangehörigen in Zwiespalt setzten. Sie bilden

Ausschließung aller anderen

in

gleicher Lage mit ihnen

desselben bedienen, um ein lukratives Geschäft zu machen.

Befindlichen,

Nicht einzelnen,

dem ganzen Stande soll geholfen werden, sagt Herr Lassalle. In der Tat gehört eine völlige Verkennung aller Verkehrsverhältnisse

dazu, wie sich dieselben aus der Natur des Menschen mit Notwendigkeit

von

selbst entwickeln,

genossenschaft

die

um sich einzubilden, daß

einzige Form

der

industriellen

jemals

die Arbeiter­

Produktion

werden

könne, daß sie die ganze Einzelindustrie aufzusaugen bestimmt sei.

Stets

wird der einzelne, bei welchem Kapitalbesitz, Unternehmungsgeist und praktische Erfahrung Zusammentreffen, bei Gründung und Leitung eines Geschäfts gegen eine Genossenschaft in großem Vorteil stehen, schon wegen der so

nötigen

Einheit und Leichtigkeit in

den

Geschäftsoperattonen.

Aber dennoch wird das Zustandekommen und die glückliche Durchführung einzelner Produktivassoziationen in

den verschiedensten Industrie­

zweigen nur segensreich auf die Hebung der arbeitenden Klaffen im all­

gemeinen, auch

auf die nach wie vor in fremden Etablissements Be­

schäftigten zurückwirken,

denn

da

auf

solche Weise ein größerer oder

geringerer Bruchteil der Arbeiter sein eigener Arbeitgeber geworden, die

Zahl der Unternehmungen also vermehrt und die der Arbeitsuchenden bei den bisherigen Etablissements vermindert ist, so wirkt dies schon an und

für sich günstig auf die Lohnhöhe der übrigen ein.

Ferner aber wird

durch ein solches Beispiel namentlich bei den tüchtigsten Elementen des

Standes die Lust zur Nachfolge rege und wollen die bisherigen Arbeit­ geber sie in ihren Geschäften zurückhalten, so werden sie sich zu möglichster Verbesserung ihrer Lage entschließen müssen.

Schon taucht wiederholt

in England der Versuch auf, den Arbeitern außer ihren gewöhnlichen,

meist nach Stückarbeit berechneten

Löhnen

noch einige Prozente

vom

Reingewinn kontraktlich zuzusichern, dessen Ausführung, wegen Bloßlegung der

Geschäftsbilanz,

wohl

manche

Schwierigkeiten

bietet,

welche

jedoch vor den dadurch erreichten großen Vorteilen nicht nur für die

Arbeiter, sondern auch für die Unternehmer selbst zurücktreten und über­ wunden werden müssen.

Denn indem auf diese Weise das Interesse des

Arbeiters so innig mit dem Gang der Geschäfte verknüpft wird und so­ zusagen jeder einzelne den Vorteil des Ganzen wie seinen eigenen be­

trachtet, muß der Geschäftsertrag notwendig wachsen — ein Erfolg, der offenbar die Minorität unter den Arbeitern selbst, und da die Beamten, Lehrer, Kaufleute, Soldaten, das Gesinde usw. auch noch zusammen über eine Million selbständiger Personen zählen, haben sie so, auch wenn man die Frage bloß nach der Kopfzahl entscheidet, am wenigsten für ihre Pläne zu hoffen.

164

Schulze-Delitzsch.

schließlich der Gesamtproduktion und Konsumtion des Landes gleichmäßig zustatten kommt.

Ebenso leicht wie mit der Organisation, macht es sich Herr Lassalle mit der so überaus wichtigen finanziellen Seite der Frage: wie unter

Eintritt des Staats Kapital und Kredit für die Assoziationen beschafft werden soll?

Er

verschiebt

jede

„die Art

solche

der

Ausführung"

(Exekutionsmodus) betreffende Erörterung als völlig wirkungslos und

überflüssig, da sie einen praktischen Wert erst in der weiter unten zu bestimmenden Zeit

haben

werde,

wo an

die

Verwirklichung

seiner

Forderungen gedacht werden kann, d. h. wenn durch das allgemeine Wahl­ recht die Volksvertretungen — wie er meint — völlig auf seinem Stand­

punkte stehen und alle die schönen Sachen dekretieren. sehr bequem für ihn, wie ich bereits

sagte.

Das ist freilich

Allein da von dieser Er­

örterung der Nachweis der Ausführbarkeit des ganzen Projekts abhängt, so ist die Zumutung doch etwas stark, jahrelang Zeit, Kraft und Geld­

mittel dafür aufzuwenden, lediglich aus das Wort des Herrn Lassalle. Indessen wenn der Urheber des Projekts den Nachweis der Möglichkeit

in solcher Weise zu führen verschmäht hat, meine Herren, vielleicht werden wir mit dem Nachweis der Unmöglichkeit seiner Pläne auch ohne seine

noch zu erwartenden Ausschlüsse fertig.

Da frage ich Sie einfach, meine Herren: wo der Staat die Tausende von Millionen hernehmen soll, um die sämtliche Industrie des Landes

in die Hände der Arbeiter zu bringen?

Welche ungeheuren Summen

sind nicht allein hier in Berlin in Fabriken und Werkstätten aller ?lrt

angelegt und

dabei sehen wir noch ganz

von dem jeder Berechnung

spottenden Werte der zu landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Ländereien nebst Inventarien ab, welche bei Hereinziehen der ländlichen Arbeiter in

die Assoziation mit akquiriert werden müßten.

Alle diese Kapitalien be­

finden sich gegenwärtig in den Händen von Privatpersonen, und von

diesen allein kann sie der Staat vorgestreckt erhalten, bei ihnen allein hat er Kredit zu suchen.

Nun befindet sich aber auch die gesamte Industrie,

in welcher diese Kapitalien angelegt sind, in den Händen der Privaten,

und diese soll der Staat durch seine Dazwischenkunft, durch seine finanzielle Garantie, verdrängen helfen, um sämtliche Etablissements allmählich in die Hände der Arbeiter zu bringen. Werden denn nun die Kapitalisten, so frage ich weiter, durch Vorstreckung von Geld und Kredit zu diesem

gegen sie selbst gerichteten Angriffe mitwirken? Kann das jemand im Ernste glauben?

Ein Staat, der so etwas unternimmt, sein Geld und seinen

Kredit auf solche Pläne verwendet und damit das Privatkapital und die

Privatindustrie anfeindet und verscheucht, der bekommt einfach kein Kapital

und keinen Kredit, wird beides niemals bekommen und kann es also auch anderen nicht gewähren. Nun muß man aber durchaus Kapital und Kredit haben, um mit irgendeinem Unternehmen, besonders mit großen

Fabriketablissements, zu beginnen, man kann ja ohne dies gar nicht an­ fangen, und deshalb bleibt eben nur der Weg übrig, den die auf Selbst­ hilfe gegründeten Genossenschaften mit so gutem Erfolg beschritten haben: das Privatkapital anzulocken statt anzufeinden, ihm die nötigen geschäftlichen Garantien zu bieten, die im Wesen der Genossen­ schaft liegen, und es sich dadurch unter den marktgängigen Bedingungen dienstbar zu machen. Wirklich streifen die weiteren Räsonnements des Herrn Lassalle hierbei an das Lächerliche. Daß Kapital oder Kredit des Staats lediglich auf den Steuern und der Steuer­ kraft seiner Angehörigen beruhen und daß daher einer Klasse von Bürgern vom Staat nur auf Kosten der übrigen aufgeholfen werden kann, haben wir mehrfach festgestellt. Wenn nun 95 Prozent aller Staats­ bürger, nach Herrn Lassalle, diese Abhilfe, gleichviel ob durch Vor­ streckung von Geldmitteln oder Garantie für Kredit in Anspruch zu nehmen haben, wo in aller Welt bleiben dann diejenigen, in welchen der Staat den finanziellen Rückhalt zu suchen hat? Die noch übrigen 5 Prozent müßten wirklich von der Bürde, die doch zuletzt allein auf ihre Schultern fiele, erdrückt werden. Nein, meine Herren, wenn die Arbeiter selbst der Staat sind, so ist es doch der unnützeste Umweg, den ich mir denken kann, sie erst an den Staat zu verweisen.

Denn auf sie selbst fällt ja

eben alsdann die ganze Aufgabe zurück; die Staatshilfe ist ja dann,

wir wiederholen es, weiter nichts als die Selbsthilfe, aber mit Hinder­ nissen, wesentlich verteuert, erkauft um den Preis höherer Steuern, um ein unnützes Mehr von Beamten zu bezahlen, erkauft um den Preis der so wertvollen, zum gewerblichen Gedeihen ganz unentbehrlichen Selb­ ständigkeit. Denn Herr Lassalle stelle sich an, wie er wolle, er kommt bei der Staatsgarantie nicht über die Staatseinmischung und Staats­ aufsicht hinweg. Wie unreif seine Vorstellungen hierüber sind, geht

schon aus der Art hervor, wie er die Staatsgarantie, mittels deren die Assoziationen das nötige Kapital vorgestreckt erhalten sollen, auffaßt, indem er dabei an die Zinsgarantie bei Eisenbahnen denkt. Daß der Staat, um Kredit für die fraglichen Assoziationen zu erhalten, nicht mit einer Garantie für eine gewisse Zinshöhe wegkommt, sondern die den Assoziationen zu kreditierenden Kapitalien selbst garantieren, dafür

Schulze-Delitzsch.

166

Bürgschaft leisten muß, liegt auf der Hand, da bei Eisenbahnen der Fall

ein

ganz anderer ist.

Bei einer Eisenbahngesellschaft ist das Kapital

vorhanden und nicht erst zu beschaffen, die Aktionäre sind selbst Kapitalisten, besitzen das nötige Geld, dem die Bahn und deren Betriebsinventar einen

reellen Wert als sichere Unterlage bietet. Sie wollen nur einen Minimal-

Ertrag ihres Kapitals durch jene Garantie sich gesichert wissen, ohne welche sie sich zu der Anlage nicht entschließen.

Allein den fraglichen

Assoziationen soll das Kapital oder der Kredit durch die Staatsgarantie

überhaupt erst verschafft werden, und jedermann sieht ein, daß dieselbe auf das Kapital selbst, nicht bloß auf die Zinshöhe, erstreckt werden muß, wenn sich irgend jemand entschließen soll, daraufhin Geld oder Ware zu

kreditieren.

Der Staat tritt somit, wenn die Maßregel überhaupt Sinn

und Effekt haben soll, vollständig in das Risiko der Assoziationsgeschäfte ein, ohne am Gewinn teilzuhaben, und wie dies, selbst bei den aus­

schweifendsten Vorstellungen von der Unermeßlichkeit der Staatsmittel,

durchgeführt werden kann, ohne daß der Staat diese Assoziationsgeschäfte,

für deren Solidität er aufkommen muß, auf das genaueste kontrolliert, ist völlig unerfindbar.

Diese Assoziationen stehen doch nicht außerhalb

der Chancen aller menschlichen Unternehmungen, sie sind doch mangel­

hafter Leitung, ja selbst unverschuldeten Verlusten, den allgemeinen Kon­

junkturen des Marktes ausgesetzt, der Möglichkeit des Mißlingens. Wenn

nun ein solches Geschäft zahlungsunfähig wird, das Anlagekapital verloren

geht, die Gläubiger aus der Staatskasse gedeckt werden müssen, was wird nun? — Bleiben die Mitglieder dem Staat verpflichtet, müssen sie ihm das für sie Gezahlte ersetzen? — Um hierzu imstande zu sein, müssen sie ein neues Geschäft anfangen, von dessen Ertrage sie leben und etwas

zur Tilgung jener Schuld übrigbehalten.

Dazu aber gehört wiederum

Staatsgarantie zur Beschaffung des Betriebskapitals.

Konto einer solchen verunglückten Assoziation gelöscht,

strichen werden, ohne Ersatzpflicht der Mitglieder?

Oder

soll das

die Schuld ge­

Daß dies eine Er­

munterung zu leichtsinnigen Spekulationen und sorgloser Verwaltung wäre, wenn sich die Genossen so leicht den Folgen des eigenen Tuns zu

entziehen vermöchten, und daß, wenn eine solche Ermunterung vom Staat

selbst ausginge, die Demoralisation der Arbeiter und das völlige Herunter­ kommen

der

Gesamtgüterproduktion und

des

Gesamtkapitals

in

er­

schreckender Weise die Folge davon sein müßte, bedarf keines weiteren Be­ weises.

Und davon kommt Herr Lassalle mit seinem Vorschläge einer

gegenseitigen Assekuranz der Assoziationen gegen Geschäftsverluste nicht los. Man mag sich wohl gegen äußere unverschuldete Unglücksfälle

assekurieren und deren Übertragung dadurch auf viele verteilen, nicht aber

gegen ein solches Mißlingen, welches in den meisten Fällen in eigener Verschuldung beruht, oder wo Schuld und Unschuld sich in den wenigsten Fällen erkennen und scheiden lassen.

Die Folgen verkehrten Tuns soll

der tragen, der so handelt; eine Assekuranz gegen die Folgen jeder Art

von geschäftlicher Untüchtigkeit und Mißgriffen ist sittlich und wirtschaftlich

ebenso verwerflich als undurchführbar, weil ihr Zustandekommen schon an und für sich durch Beförderung jener Mängel und Lähmung der

Selbstsorge die Fälle, wo sie einzutreten hätte, vermehren würde*) Daß es daher ohne Staatskontrolle nicht abgeht, fühlt auch Herr Lassalle und seine Versicherung:

„der Staat würde keineswegs den

Diktator bei diesen Gesellschaften spielen", ist ein sehr schwacher

Trost, da er selbst ihm Statuten

und

„die Feststellung resp. Genehmigung der

eine zur

reichende Kontrolle bei

seiner

Interessen

aus­

der Geschäftsleitung" zugesteht.

Nun

Sicherung

wahrhaftig, das ist gerade genug, um auch den Gedanken an eine geschäft­ liche Selbständigkeit zu beseitigen.

Geschäftskontrolle, soweit die Staats­

interessen es erfordern, — ja, da der Staat das ganze Risiko des Ge­ schäfts hat, so fordert ja sein Interesse die allerspeziellste, die eingehendste

Kontrolle, damit keine verkehrten und leichtsinnigen Unternehmungen vor­

kommen können, welche

jenes Risiko nahe rücken!

Also eine Prüfung

der Zweckmäßigkeit des Geschäftsverfahrens bis ins Detail, die Beurteilung

der einzelnen Abschlüsse und Spekulationen und noch dazu durch Beamte — denn ohne dies kann der Staat sein Interesse in Wirklichkeit nicht

wahren.

Hierzu nun auch die Prüfung und Genehmigung der

Statuten — wo da die freie Assoziation bleibt, das ist nicht ab­ zusehen.

Die mindeste praktische Erfahrung auf diesem Felde hätte Herrn

Lassalle eines Besseren belehren können. Welchen Wert legt jeder Geschäfts­ mann auf die Selbständigkeit und die Freiheit in seinen geschäftlichen

Maßnahmen und Entschließungen! Da sind die Mitglieder unserer kleinen Assoziaüonen durch ihre Erfahrungen schon weitergekommen.

Welchen

Kampf haben wir mit den Behörden in Preußen um unsere Freiheit ge•) Was würde man z. B. zu einer Vereinigung einer Anzahl Aspiranten im Staatsdienst sagen, deren Anstellung und Beförderung durch das Bestehen von Prü­ fungen bedingt ist, wenn dieselben sich gegen das Durchfallen im Examen aflekurierten, mit der Wirkung, daß jeder Durchgefallene eine Rente, die seinem mut­ maßlichen Gehalte gleichkäme, erhielte? Die Folg« wäre, daß künftig, anstatt wie ftüher etwa 10 Prozent, nunmehr 90 Prozent der assekurierten Kandidaten durch­ fielen, und der Bankerott einer solchen Kaffe wäre gewiß.

168 führt

Schulze-Delitzsch.

und jede Kontrolle,

auch nur unserer Statuten, selbst um den

Preis der Konzessionierung, selbst gegen die Androhung der Schließung, abgewehrt.

Als vor einiger Zeit der Schuhmacherassoziation zu

Delitzsch ihr ganzes Retriebskapital von der dasigen Kommunalsparkasse

zu 2 Prozent Zins angeboten wurde, wenn sie einem Magistratsdeputierten die Einsicht in ihre Geschäfte gestatte, wiesen die wackeren Männer dies ab, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, und meinten, daß sie lieber nach wie

vor 4 bis 5 Prozent zahlen und ihre eigenen Herren blieben. Und darauf

kommen wir immer wieder zurück: eben weil die Genossenschaften, wie der Erfolg überall zeigt, ohne diese ganz undurchführbare Staatsgarantie

Geld und Kredit in ausreichendem Maße erhalten, wenn sie es recht an­ greifen, ist es in keiner Weise zu rechtfertigen, durch Zuhilfenahme des Staates jene wichtige Bedingung alles gewerblichen Gedeihens, die ge­

schäftliche Selbständigkeit ohne die dringendste Veranlassung zu opfern. Und eben damit, mit der praktisch nachgewiesenen Fähigkeit unserer Ge­

nossenschaften, auf dem Wege des Kredits fremdes Kapital für ihre Ge­ schäfte heranzuziehen, ist das Falsche einer weiteren Deduktion der Lassalle­

schen Schrift dargetan. Weil in der einen Assoziationsfabrik der Pioniere

zu Rochdale, welche 1600 Arbeitern als Aktionären gehört, nur 500 Arbeiter beschäftigt sind, so folgert er daraus: 1. daß die in einer Fabrik beschäftigte Arbeiterzahl nie das zum Betriebe gehörige Kapital unter sich aufbringen könne; müsse.

2. daß also zu diesem Zwecke Staatshilfe eintreten

Ja, das wäre freilich richtig, wenn ein gewerbliches Unternehmen

immer nur mit dem eigenen Fonds der Unternehmer betrieben, und nicht auch fremdes Kapital darin angelegt werden könnte.

Aber darin fanden

wir ja eben eine Hauptaufgabe der Genossenschaften, eine Kreditbasis zur Heranziehung fremden Kapitals zu bilden.

Und

da dies mit so

großem Erfolg gelungen ist, so fällt der Schluß des Herrn Lassalle, auch wenn man den Vordersatz zugibt, in sich zusammen.

Weil die Arbeiter

nicht das erforderliche Kapital aus eigenen Mitteln aufbringen können,

so brauchen sie Kredit, so müssen fremde Kapitalien ihnen dienstbar ge­

macht werden, und die geschäftliche Basis hierzu gewährt ihnen die Ge­ nossenschaft auf dem Wege der Selbsthilfe, nicht der Staat, der dazu

gar nicht imstande ist, selbst wenn er wollte.

So liegt die Sache.

Und

wenn die Pioniere von Rochdale jenes Fabrikgeschäft (eine Spinnerei

und Weberei) noch nicht auf so großem Fuße eingerichtet haben, daß alle darin Arbeit finden, so haben sie sicher ihre guten Gründe dazu, unter denen wir namentlich erwähnen, daß sie nur zum Teil der in der Fabrik

beschäftigten Arbeiterbranche, zum Teil ganz anderen Beschäftigungen an-

gehören.

Daß sie ihrer Unternehmung aber jederzeit weitere Ausdehnung

geben und den nötigen Kredit dazu leicht erhalten können, sobald sie nur wollen, ist bei ihrer Geschäftskenntnis und Solidität gewiß. Jeden­

falls ist für meine Andeutungen über die künftige Stellung der Pro­ duktivgenossenschaften neben den Privatetablissements der Um­

stand sehr bemerkenswert: daß, wie wir bestimmt wissen, eine große Zahl

der Mitglieder jener Genossenschaft, obschon sie Mitinhaber ihrer groß­ artigen Etablissements und Teilnehmer an deren Geschäftsgewinn sind,

nach wie vor in ihrem Verhältnis als Lohnarbeiter in Privatfabriken verbleiben.

Und damit ist zugleich das entscheidende Moment in bezug

auf den Streit mit den in der Genossenschastsfabrik beschäftigten, nicht

zur Genossenschaft gehörigen Arbeitern gegeben, welche außer ihrem Lohn einen Teil am Gewinn beanspruchen.

Ein Recht darauf haben dieselben,

da sie beim Risiko des Geschäfts nicht beteiligt sind, so wenig, wie die Genossenschaftsmitglieder ein solches bei den Privatfabriken haben, in denen sie um Lohn arbeiten.

Die letzteren haben sich durch Ausdauer,

Fleiß und Entsagungen aller Art erst auf den Standpunkt gebracht, wo

sie sich befinden, und wollen die Früchte davon genießen.

Fühlen sich

jene jüngeren Arbeiter tüchtig dazu, so mögen sie es ihnen gleichtun und sich durch Bildung von Genossenschaften ebenfalls zur Selbständigkeit

emporschwingen.

Darin liegt das einzige Mittel, einer etwa hervor­

tretenden allzu großen Ausschließlichkeit seitens der zeitigen Genossenschafts­

mitglieder entgegenzutreten. Denn wenn dieselben dadurch ihre tüchtigsten Arbeiter zu verlieren und neue Konkurrenzgeschäfte neben dem ihrigen

hervorzurufen gewärtig sein müssen, werden sie sich gewiß geneigt zeigen,

entweder einen Gewinnanteil vertragsmäßig jenen Arbeitern zuzugestehen, oder noch besser, ihnen (wie mehrere Pariser Assoziationen mit ihren

Adhörents tun) durch allmähliches Einsteuern von Geschäftsanteilen die Erlangung der Mitgliedschaft selbst zu ermöglichen.

So sehr sich Herr Lassalle bemüht, für die Staatshilfe nach gelungenen Beispielen in der Praxis zu suchen, so wenig gelingt ihm dies.

Nur

in Frankreich ist bisher Staatssubvention unter den bekannten Ein­

wirkungen der Februarrevolution von 1848 bei den Assoziationen durch

Bewilligung einer Summe von 3000000 Franks aus Staatsmitteln ver­

sucht worden und muß als gescheitert betrachtet werden, da von den mit 2590000 Franks subventionierten 56 Assoziationen gegenwärtig kaum noch 10 existieren und die meisten und gelungensten von den 20 bis

30 Produktivassoziationen in Paris (sonst gibt es keine in Frankreich)

die Staatshilfe nicht genossen haben.

In England dagegen, wo diese

170

Schulze-Delitzsch.

Assoziationen und das ganze Genossenschaftswesen sich zu höchster Blüte entfaltet haben, hat eine Staatsunterstützung niemals stattgefunden. Die dagegen gemachte Bezugnahme auf die Ablösung der Sklaverei in den englischen Kolonien durch Aufwendung von 20000000 Pfund Sterling aus der Staatskasse kann nicht unglücklicher gewählt sein. Daß

Sklaven, so gut wie bei uns die Haustiere, dem Eigentumsrecht ihrer Herren unterworfen sind, und daß der Staat jeden entschädigen muß, dem er aus Rücksichten des öffentlichen Wohles das Eigentum irgend­ einer Sache entzieht, weiß jedermann.

Ebensowenig greift das Beispiel

von der Zinsgarantie bei Eisenbahnen Platz, deren Unterschied von der für die Assoziationen zu übernehmenden Kapitalsgarantie wir bereits klargemacht haben. Wenn der Staat den Bau von Eisenbahnen, Straßen, Kanälen und dergleichen durch jene Garantie befördert, so tut er dies doch wahrhaftig nicht um der Aktionäre, sondern um des großen Interesses des gesamten Publikums willen, indem sämtliche Staats­ angehörige gleichmäßig bei Herstellung leichter, billiger, zeitsparender Transportmittel interessiert sind. Auch hat er selbst eine unmittelbare politische Aufgabe dabei zu erfüllen, da einesteils die Expropriation der von jenen Verkehrslinien getroffenen Privateigentümer, andererseits die Rücksichten auf die Landesverteidigung seine Mitwirkung unerläßlich machen. Steht also die Sache hier, wie bei sämtlichen von Herrn Lassalle sonst noch angeführten Beispielen, auf einem ganz anderen Felde (die Landrentenbanken z. B. bewirken die Ablösung der ländlichen Grund­

lasten lediglich aus den Mitteln der Grundbesitzer, nicht aus der Staats­ kasse), so billige ich meinerseits dennoch jene Zinsgarantie bei Eisenbahnen, überhaupt die ganze Eisenbahnpolittk unserer Regierung, wodurch dieselbe nach einiger Zeit das Eigentum aller Bahnen an sich zu bringen denkt, durchaus nicht, weil ich der Industrie für Staatsrechnung grundsätzlich entgegen bin, und was Herr Lassalle hier sagt, ist absolut unwahr.

Eisenbahnen sind und werden täglich bei uns und anderswo ohne Staatsgarantte gebaut und in den Ländern, welche die meisten besitzen, wie England und Amerika, denkt man gar nicht daran. Gerade die ersten großen Bahnen auch in Deutschland sind ohne diese Garantte erbaut, z. B. die Leipzig-Dresdener, Berlin-Potsdam-Magdeburger, MagdeburgHalle-Leipziger, Berlin-Anhalter, Köln-Minden-Magdeburger u. a. Erst die erwähnte Tendenz der Regierung, welche allerlei Hemmungen und Schwierigkeiten der Privatunternehmen nach sich zog, hat jenen Anspruch

mehr und mehr hervortreten lassen, den wir nur mit der Rückkehr zu dem

richtigen System ein für allemal beseitigen.

Haben wir sonach auch unbestreitbar Wissenschaft und Praxis, Lehre und Leben in bezug auf die Wirksamkeit und Durchführbarkeit der auf Selbsthilfe beruhenden freien Genossenschaft für uns, so sind dies freilich für Herrn Lassalle bloße Kleinigkeiten, über die er mit einem kühnen Anlaufe hinwegsetzt. „Da die Assoziationen — so sagt er uns — in

England und zum Teil in Paris ohne Staatshilfe schon so gut gediehen sind, wie müßten sie erst mit Staatshilfe gedeihen!" In der Tat die Krone seiner Schlüsse!

Die subventionierten sind meist

eingegangen und der kleine Rest durch die nichtsubventionierten bei weitem

überflügelt —

und nun

eine solche Folgerung!

Sie wissen,

meine

Herren, daß eben nur bei dem Verweisen auf die eigene Kraft die ganze

Leistungsfähigkeit der Menschen sich entwickelt, deshalb brauche ich jenem Fehlschluß

den

nur

einfachen

Satz

„Die

entgegenzustellen:

subventionierten Assoziationen sind gelungen,

sondern weil sie auf die eigene Kraft der Mitglieder, Selbsthilfe gegründet waren."

nicht­

nicht trotzdem, auf die

Und eben weil Herr Lassalle dies

nicht einsieht, beweist er seine gänzliche Unfähigkeit, jemals auf diesem

Gebiete eine irgend lebensfähige Schöpfung hervorzurufen. Doch die Zeit ist vorgeschritten und drängt zum Schluß. Daß man auf dem von mir vertretenen Wege etwas erreichen kann, das wissen

wir, das ist erprobt und ebenso gewiß, daß man mit politischer Agitation

allein keine wirtschaftliche Aufgabe löst.

In den letzteren Bereich gehört

aber die Verbesserung der materiellen Zustände der arbeitenden Klassen unzweifelhaft.

Nur wenn uns diese Verbesserung des materiellen Loses

der Arbeiter gelungen ist, ermöglichen wir erst eine wahrhaft ftuchtbare Beteiligung derselben an der Politik.

Die soziale Frage steht über

der politischen, wie der Staatsinhalt über der Staatsform.

Aus der

Entwicklung der Staatsgesellschaft geht erst eine gesunde Entwicklung der Staatsform hervor.

Jene muß also der letzteren vorausgehen. Tüchtige

Bürger, eine tüchtige Arbeiterschaft machen erst einen tüchtigen Staat,

nicht umgekehrt.

Deshalb müssen sie mit sich selbst anfangen, die ein­

zelnen dürfen keine Anstrengung scheuen, damit sie vorwärtskommen, wenn cs besser mit ihnen werden soll.

Wenn dem entgegen Herr Lassalle trotz

Mem, was die auf die eigene Kraft der Arbeiter gegründeten Genossen­ schaften bereits für die Bildung und den Wohlstand ihrer Mitglieder geleistet haben, Sie von der Beteiligung dabei abmahnt, so hat er fteilich in seiner Art recht. Ja wohl ziehen unsere Strebungen von der Lassalle­

schen Heilslehre ab. Wer irgend aus den Reihen der Arbeiter in unseren

Bildungsvereinen

seine Einsicht und Kenntnis

vermehrt,

in unseren

172

Schulze-Delitzsch.

Assoziationen einen Grund zu einem bescheidenen Wohlstand, zu besserer Versorgung mit mancherlei notwendigen Bedürfnissen gelegt hat, der taugt

nicht für Herrn Lassalle. Es verträgt sich nicht mit den Weltverbesserungs­ plänen dieses Herrn, wenn die Leute etwas wissen und etwas haben,

es kommen

dann allerhand Bedenken dagegen bei ihnen auf, die der

blinden Hingebung, wie er sie von seinen Anhängern verlangt, ohne Wahl und ohne Prüfung, nicht günstig sind. Indessen, möchten doch unsere Gegner ebenso wie wir in der Sache

praktisch vorgehen, dann würden sie ja bald sehen, wie weit sie auf ihrem

Wege kämen. Nur stoße ich da auf ein großes Bedenken. Wir leben in einer

Zeit

wichtiger politischer Entscheidungen,

welche jene Arbeiter­

bewegung kreuzt, und ich glaube, kein bewußtes Werkzeug der Reaktion

könnte ihr mehr dienen, als Herr Lassalle.

Wie war es 1848, haben

wir etwas seit jener Zeit gelernt? Ich denke doch, denn das Privilegium, nichts zu

lernen,

das überlassen

wir

unserer Junkerpartei

zu

den übrigen, die sie in Anspruch nimmt. Woher, so frage ich nun, kant die Spaltung in unserem Volke, welche die ganze große Erhebung jener Zeit der Reaktion in die Arme trieb, an deren Folgen wir noch leiden? war die Furcht vor dem roten

Gespenst,

vor

dem

Es

Umsturz aller

Eigentums- und Verkehrsverhältnisse, welche die gebildeten und besitzenden Klassen, mit oder ohne Grund, der Bewegung entfremdete und von den Machthabern für ihre eigensüchtigen Zwecke ausgenutzt wurden. Noch weit

schlimmer als bei uns, war es in Frankreich, wo der Zwiespalt zwischen

den Arbeitern und übrigen Bürgern zum offenen blutigen Kampfe führte

und die sozialistische Bewegung während der furchtbaren Junischlacht auf den Straßen von Paris in Strömen von Blut erstickt wurde.

Die

Gesellschaft, in ihren Grundvesten durch jene Irrlehren bedroht, warf sich

der bewaffneten Macht zur Rettung um jeden Preis in die Arme und die kaum erkämpfte Freiheit wurde infolge jenes traurigen Klassenkampfes

dem Moloch des Imperialismus, der kaiserlichen Militärallgewalt ge­ opfert, welche noch gegenwärtig nicht nur in Frankreich, sondern in

ganz Europa die friedliche Kulturentwicklung hemmt und wie ein Alp

auf dem Weltteil lastet. — Und kaum ist das Vertrauen bei uns wieder erwacht, kaum haben sich die Arbeiter und die übrigen Klassen der Ge­

sellschaft einander genähert, sich gegenseitig kennen und achten gelernt, kaum beginnen die höheren Gesellschaftsschichten den Versuchen der Arbeiter, sich Bildung und Kapital in erhöhtem Maße zu verschaffen, mit all­

gemeiner Teilnahme zu folgen und kommen ihnen von allen Seiten da­ bei entgegen — da wirft man wieder diesen unseligen Zwiespalt hinein

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

173

und sucht die Arbeiter gegen den Besitz zu Hetzen, sie mutwillig um jene Sympathien zu bringen! Indessen es wird nicht gelingen. Zu tief haben unsere Bildungsbestrebungen bereits unter den Arbeitern Wurzel ge­ schlagen, Einsicht und Besonnenheit haben die Oberhand und kein Markt­ schreier verlockt so leicht die Leute, trotz aller Aufschneidereien, seine

Wunderpillen zu kaufen. Und wenn Herrn Lassalle ja ein Teil der Arbeiter folgt, so ist es nicht derjenige, der schließlich die Entscheidung gibt, so sind es weniger die tüchtigen, die gesunden Elemente des Standes, als vielmehr die untüchtigen und verkommenen, und was von ersteren etwa sich fortreißen läßt, wird von dem Rausche bald ernüchtern. Hohle Deklamationen kommen auf die Länge niemals auf gegen praktische, ge­ lungene Versuche, wie wir sie bieten können. Mit mir arbeiten seit Jahren bereits Tausende von Vertrauensmännern, meist aus Ihren eigenen Reihen, meine Herren, an der Spitze der einzelnen Genossenschaften und der Mittel­ stand fängt an, sich zu beteiligen, und findet seine Rechnung dabei. Millionen fremden Kapitals sind bei uns angelegt und doch stehen wir erst in den Anfängen der ganzen Bewegung. Schon knüpfen wir Ver­ bindungen mit den Großbanken an, und in wenigen Jahren friedlichen Verkehrs sind wir eine Macht, die ein Wort mitzusprechen hat auf dem Geldmarkt. Was können wir erst leisten, wenn der Arbeiterstand im ganzen und großen sich uns zuwendet! Daher rede und schreibe Herr Lassalle soviel er will — ich denke, wir sind auch da auf diesem Felde,

wenn es gilt —, die Hauptsache ist, zu handeln, zu organisieren. Dort Redensarten, hier Kapital und Bildung — wir wollen sehen, wer das Feld behält! — Wohl, meine Herren, entscheiden Sie sich für meine Wege, so stehe ich weiter zu Diensten!

VI. Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herr« Lassalle. Ein neues Kapitel zum Deutschen Arbeiterkatechismus.

Berlin.

Verlag von Franz Duncker.

1866.

Inhalt. I. II. III. IV.

Vorwort. Einleitung. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Assekuranz gegen das Risiko. Die Abschaffung des Risikos. Nachtrag.

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

173

und sucht die Arbeiter gegen den Besitz zu Hetzen, sie mutwillig um jene Sympathien zu bringen! Indessen es wird nicht gelingen. Zu tief haben unsere Bildungsbestrebungen bereits unter den Arbeitern Wurzel ge­ schlagen, Einsicht und Besonnenheit haben die Oberhand und kein Markt­ schreier verlockt so leicht die Leute, trotz aller Aufschneidereien, seine

Wunderpillen zu kaufen. Und wenn Herrn Lassalle ja ein Teil der Arbeiter folgt, so ist es nicht derjenige, der schließlich die Entscheidung gibt, so sind es weniger die tüchtigen, die gesunden Elemente des Standes, als vielmehr die untüchtigen und verkommenen, und was von ersteren etwa sich fortreißen läßt, wird von dem Rausche bald ernüchtern. Hohle Deklamationen kommen auf die Länge niemals auf gegen praktische, ge­ lungene Versuche, wie wir sie bieten können. Mit mir arbeiten seit Jahren bereits Tausende von Vertrauensmännern, meist aus Ihren eigenen Reihen, meine Herren, an der Spitze der einzelnen Genossenschaften und der Mittel­ stand fängt an, sich zu beteiligen, und findet seine Rechnung dabei. Millionen fremden Kapitals sind bei uns angelegt und doch stehen wir erst in den Anfängen der ganzen Bewegung. Schon knüpfen wir Ver­ bindungen mit den Großbanken an, und in wenigen Jahren friedlichen Verkehrs sind wir eine Macht, die ein Wort mitzusprechen hat auf dem Geldmarkt. Was können wir erst leisten, wenn der Arbeiterstand im ganzen und großen sich uns zuwendet! Daher rede und schreibe Herr Lassalle soviel er will — ich denke, wir sind auch da auf diesem Felde,

wenn es gilt —, die Hauptsache ist, zu handeln, zu organisieren. Dort Redensarten, hier Kapital und Bildung — wir wollen sehen, wer das Feld behält! — Wohl, meine Herren, entscheiden Sie sich für meine Wege, so stehe ich weiter zu Diensten!

VI. Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herr« Lassalle. Ein neues Kapitel zum Deutschen Arbeiterkatechismus.

Berlin.

Verlag von Franz Duncker.

1866.

Inhalt. I. II. III. IV.

Vorwort. Einleitung. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Assekuranz gegen das Risiko. Die Abschaffung des Risikos. Nachtrag.

Schulze-Delitzsch.

174

Vorwort. Das von dem verstorbenen Lassalle infolge der Herausgabe meiner Berliner Vorträge über die Arbeiterfrage gegen mich kurz vor

seinem Tode veröffentlichte Pamphlet: „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch"

stellt sich durch Ton und Haltung auf eine Stufe, daß mir eine jede persönliche Entgegnung erspart bleibt.

Dagegen erscheint die sachliche

Beleuchtung einiger Hauptsätze des Buches, bei dem jetzigen Stande der

Es treten nämlich die

Arbeiterbewegung in Deutschland von Interesse.

Konsequenzen der sozialistischen Richtung des Verfassers in dieser Aus­ geburt leidenschaftlicher Gereiztheit so unverhüllt hervor, der Bruch mit

dem gesunden Menschenverstände

vollzieht sich bei den von ihm vor­

geschlagenen Organisationen so offenkundig, daß selbst seinen gläubigsten

Anhängern die Augen aufgehen müssen.

Schon zeigt sich die Spaltung

in ihren Reihen, die zunächst durch die bedenkliche Annäherung bekannter

Führer an die Regierungspartei in Preußen veranlaßt wurde, und bei

dem Mangel jedes sittlichen und wirtschaftlichen Anhaltepunktes in ihren Strebungen von Tag zu Tag wachsen muß.

In jedem Falle hat die

Lassallesche Agitation genutzt, indem sie durch Schärfung der Gegensätze eine lebendigere Beteiligung der Arbeiter bei den wirtschaftlichen Fragen

hervorrief und die der entgegengesetzten Richtung angehörigen auch ihrer­ seits zu festem Zusammenschluß und energischem Auftreten veranlaßte. Besonders hat sich auch in den gebildeten Kreisen die Überzeugung

befestigt: daß die ausdauerndste Tätigkeit, die bereiteste Förderung des ehrenhaften Strebens unserer Arbeiter nach

Wohlstand

und Bildung

erforderlich seien, um uns vor Abwegen zu bewahren, welche die wirt­ schaftliche,

politische

und

humane

Zukunft

gleich schwer

der Nation

bedrohen und geeignet sind, uns in Zustände zurückzuführen, welche auf

den arbeitenden Klassen selbst am schwersten lasten würden.

Schließlich zum Titel des Lassalleschen Buchs ein Wort. Lassalle

hat mir die Ehre angetan, vor meinen Namen

des

den

großen

fran­

zösischen Nationalökonomen Bastiat zu setzen, zu dessen Schule ich mich bekenne. Ich glaube nun ohne Überhebung annehmen zu dürfen, daß

der erstgenannte, der Wissenschaft zu früh entrissene Forscher ein ehrliches Streben, wie das meine, seine Lehren nicht bloß durch populäre Dar­

stellung, sondern Volkes

durch praktische Organisation in das Leben unseres

einzuführen, nicht unwert erachten würde,

neben

den eigenen

Leistungen genannt zu werden. — In diesem Sinne akzeptiere ich unsere

Namensverbindung Bastiats,

durch Herrn Lassalle

daß ich unablässig

bestrebt

und

gelobe

sein werde,

mich

den Manen dieser Ehre

würdig zu machen.

Und hier bleibt vor allem nach wie vor meine

Aufgabe: die rücksichtslose Bekämpfung

des

sozialistischen Schwindels,

durch welchen die große und hoffnungsvolle Arbeiterbewegung unserer

Tage von ihrer zivilisatorischen Mission

dem Ehrgeiz

abgelenkt und

gewissenloser Menschen überliefert, aus einem Element des allgemeinen Fortschritts zur allbereiten Handhabe der Reaktion

erniedrigt werden

würde, um am Ende in wahnsinnigen Experimenten zu verpuffen.

Potsdam, im Oktober 1865.

Der Verfasser.

Einleitung. Um dem verstorbenen Lassalle bei seiner höchsten sozialen Leistung

„der Abschaffung des geschäftlichen Risikos für seine Zukunftsafsoziationen" zu folgen, wie dies die

Aufgabe des

gegenwärtigen Schriftchens ist,

müssen wir ihn auf den verschiedenen Entwicklungsstufen, mittels deren die Idee in dem von ihm zuletzt veröffentlichten Buche*) endlich zum

Durchbruch gelangt, begleiten.

Wir haben es daher zunächst mit seinem ersten Anlauf, welcher alles übrige schon im Keime enthält, mit der nomischen

Verantwortlichkeit"

zu

tun,

„Aufhebung der öko­ wodurch

er

für

seine

Organisationen auf diesem Felde gleich von Haus aus eine so vorteil­

hafte Meinung

erweckt.

Hieran

knüpft

sich sodann der noch etwas

schwache Versuch zur Ergänzung des Systems durch die gegenseitige Assekuranz der Assoziationen gegen das Risiko, worauf wir erst zu der eigentlichen sozialen Tat, zur Abschaffung des Risikos selbst,

zur völligen

Beseitigung

dieses

fatalen

Moments im

Geschäftsleben,

welches sich seinen Plänen so hartnäckig entgegenstellte, gelangen. Bei dem bisher völlig Unerhörten einer solchen Lösung des Problems und weil sich die Ausführungen Lassalles meist als Widerlegungen auf

mein im Vorwort bezeichnetes Buch beziehen, welches das unbestreitbare

Verdienst hat, durch die Angriffe auf seine Lehre die ganze Offenbarung

aus Lassalle, wie den Funken aus dem Steine, gleichsam herausgeschlagen zu haben, werden wir mit wörtlichen Auszügen aus den beiderseitigen

Schriften nicht sparsam sein dürfen.

um zu glauben"

Man muß eben

„selbst

lesen,

— wenn auch nicht gerade, was L. behauptet, wohl

aber daß jemand überhaupt derlei Dinge behaupten kann!

Demnach zur Sache.

*) Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Juliano der Kapital und Arbeit. Berlin. Reinhold Schlingmann, 1864.

Schulze-Delitzsch.

176

I. Die Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Ich bin in meinen Berliner Vorträgen über

denen ich den Weg der Selbsthilfe

die Arbeiterftage, in

als den einzigen,

welcher zur

Hebung der arbeitenden Klassen zu führen vermöge, bezeichnete, von

einigen

dem

schlichtesten

Begriffsvermögen

zugänglichen

Sätzen

aus­

gegangen.*)

Der Mensch — so setzte ich meinen Zuhörern auseinander — bringt von Natur Bedürfnisse mit auf die Welt, an deren Befriedigung seine

Existenz geknüpft ist; aber zugleich hat ihn die Natur auch mit Kräften

ausgestattet, deren richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner Bedürf­

nisse führt. Die geregelte Tätigkeit des Menschen zu letzterem Zwecke ist die

Arbeit. Aus dieser unserer natürlichen Beschaffenheit, vermöge deren das

Bedürfnis mit der Möglichkeit seiner Befriedigung durch eignes Tun in den

einzelnen Menschen zusammensällt,

beide in Wechselwirkung mit­

einander stehen, folgt die Pflicht der Selb st sorge eines jeden für

seine Existenz, welche die Menschen

bei Beschaffung

Dasein auf die eigene Tätigkeit verweist. Schicksal selbst verantwortlich

der Mittel zum

Danach sind alle für ihr

und keiner hat ein Anrecht deshalb an

die andern, weil, vermöge derselben allen gemeinsamen Pflicht, jene andern für ihr Teil

ebensogut ein jeder

mit sich selbst zu schaffen, für sich

selbst zu sorgen haben, um zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu gelangen.

Aus diesen in Vernunft und Erfahrung begründeten, überall von der Wissenschaft anerkannten Sätzen, auf deren populäre Darstellung es an­

kam, ziehe ich wörtlich nachstehende Folgerungen **), an welche der Gegner seine Angriffe knüpft: „Darauf, daß jeder die Folgen seines Tuns und Lassens selbst trage

und sie nicht andern aufbürde, auf der Selbstverantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit beruht die Möglichkeit alles gesellschaft­ lichen Zusammenlebens der Menschen, sowie des Staatsverbandes. unter Wesen,

welche wissen, was sie tun,

Nur

und alle dafür aufkommen

müssen, ist eine durch sittliche und politische Gesetze geregelte Gemeinschaft, eine Gegenseitigkeit der wirtschaftlichen und bürgerlichen Beziehungen zu aller Förderung überhaupt denkbar.

Diese Selbstverantwortlichkeit,

die

*) Vergleiche mein Merkchen: Kapitel zu einem deutschen ArbeiterKatechismuS. Sechs Borträge vor dem Berliner Arbeiter-Verein. Leipzig, 1863 bei E. Keil. Seite 30 f. d. B. **) Siehe Arbeiterkatechismus usw. Seite 32 f. und Seite 93 d. B.

soziale Selbsthilfe, gerade bei Beschaffung der materiellen Notdurft

des Daseins antasten, wo ohnehin das tierische in unserer Natur seine dunkle Grenzlinie hat, hieße auf dem Felde des Erwerbes den Krieg aller einführen, auf einem Felde, wo mehr als auf jedem anderen Frieden und Sicherheit die Bedingungen des Gedeihens sind." „Indessen setzt diese Selbstverantwortlichkeit als notwendige Ergänzung die Freiheit der Arbeit voraus, die Gestattung der ungehemmten Bewegung des Arbeiters im Gebrauch seiner Kräfte und Mittel zum Erwerbe seines Unterhalts usw. Eine Selbstverantwortlichkeit für seine Existenz jemandem aufbürden wollen, dem man nicht die Freiheit gewährt, sein Geschick selbsttätig in die Hand zu nehmen, ist ein Unding. Verantwortlichkeit und Freiheit — dies die sich gegen­ seitig bedingenden Grundsäulen der sittlichen, politischen und wirtschaftlichen Welt." Hiergegen tritt L. in der gegen mich gerichteten Schrift*) mit der Behauptung auf: „daß die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen nirgends anders,

als auf juristischem Gebiete gelte, auf dem ökonomischen nicht, weil nur auf ersterem die Handlungen Produkt der Willensfreiheit des einzelnen seien, auf letzterem dagegen erst durch die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die Konjunkturen und dergleichen mehr, ihre

Besttmmtheit empfingen." „Das ökonomische Gebiet" — so wörtlich — „unterscheide sich von

dem juristischen dadurch, daß während auf diesem, auf dem Rechtsgebiet, jeder verantwortlich sei für das, was er

getan hat, auf ökonomischem Gebiet umgekehrt heutzutage jeder verantwortlich sei für das, was er nicht getan hat. So verlören z. B. bei reichlichen Rosinen- oder Getreideernten in Korinth, Smyrna, im Mississippital, den Donau­ ländern u. a., die Korinthen- und Getreidehändler in Berlin und Köln, welche große Vorräte zu den frühern Preisen auf Lager haben, und umgekehrt; so kämen durch eine mißratene Ernte oder stockende Zufuhr der amerikanischen Baumwolle Arbeiter dieses Faches in Eng­ land, Frankreich und Deutschland massenhaft außer Brot usw."

Aus diesen von niemandem bestrittenen Vorgängen die Auf­ hebung der Verantwortlichkeit des Menschen auf dem *) Herr Bastiat-Schulze, S. 22 f., 25. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. 1L

12

Schulze-Delitzsch.

178

Gebiete des Erwerbs abzuleiten, gehört in der Tat zu den groben Trug­

schlüssen,

wie sie L. in seinen ökonomischen Offenbarungen schon öfters

Trotzdem daß er, nach seinem eignen Zeugnis,

von mir nachgewiesen sind. jede Zeile

bewaffnet

Jahrhunderts

mit der ganzen Bildung des

schreibt, wird

er auch

hier wieder vor der

Vernunft weniger einfacher Sätze zuschanden, welche das alltägliche Leben selbst

jedem

mit gesunden Sinnen

zur Anschauung

begabten

bringt.

Wer in aller Welt wird in Abrede stellen, daß bei der Erwerbstätigkeit

des Menschen außer seinem eignen Tun und Lassen auch noch andere

Faktoren in Anschlag kommen, welche auf den Erfolg von Einfluß sind! Aber das ist doch ein grober Fehlschuß:

daß

um deshalb,

weil

das

Wollen und Können des Menschen nicht ausschließlich und allein den Ausschlag gibt, weil noch andere Einflüsse daneben mit eingreisen

können, es nun gar nicht in Anschlag komme, der Mensch der Folgen seines Tuns und Lassens dabei gänzlich entrückt sein soll, jede Ver­ antwortlichkeit dafür bei ihm wegfällt.

Es käme wirklich nichts darauf

an — so fragen wir uns ganz erstaunt — wie ich selbst meine Arbeit, meine

Berufstätigkeit angreife,

auf welche

Weise ich mein Geschäft

betreibe, wie ich wirtschafte und haushalte, das alles soll ohne Einfluß

auf mein Geschick, ich der Verantwortlichkeit dafür völlig enthoben sein? Es sollte einerlei sein für die Gestaltung meines Loses, für den Erwerb meines Unterhalts, ob ich mein Fach verstehe, ob ich mir Einsicht und

Kenntnisse verschafft habe oder nicht; ob ich faul oder fleißig bin, ob ich

technische

besitze

Geschicklichkeit

oder

ein

Stümper

bin;

ob

ich mich im Verkehr als zuverlässig und redlich zeige, oder als un­ zuverlässig und ein Schwindler, ob ich spare oder verschwende? — Ei,

so gehe man doch hin unter die Menschen und sehe

zu, wie sich diese

Dinge machen, das alles kommt ja täglich vor in unserer nächsten Um­ gebung!

Da gibt

es

denen es rückwärtsgeht

Leute, —

die

vorwärtskommen,

und andere, mit

hängt das nicht mit den oben erwähnten

Eigenschaften, nicht mit ihrer Handlungsweise zusammen, ist das alles wirklich reiner Zufall, für den man die Leute garnicht verantwortlich machen kann? — Solchen Unsinn wird L. niemandem aufschwatzen!

Mache man sich doch ein für allemal, trotz aller gelehrten Brocken

L.s in schlichtem Deutsch klar, worauf es hierbei ankommt.

So ist der Mensch beschaffen und so

sind die Umstände, unter

denen er in die Welt gesetzt ist, daß von zwei Seiten her sein Dasein bestimmt wird.

Einmal durch ihn selbst, seine innern Eigenschaften,

die eignen Fähigkeiten und Kräfte, deren

Ausbildung und Gebrauch,

kurz sein Wollen und Können.

Sodann durch die Außenwelt, wie

sie einerseits als Naturmacht, andererseits als die Summe der gesellschaft­ lichen Einrichtungen und Zustände, sowie des Zivilisationsgrades der Zeiten und Kreise, in denen er sich bewegt, auf ihn einwirkt.

Beide

Faktoren stehen im umgekehrten Verhältnis zueinander, gleich den Schalen der Wage; je mehr die eine steigt, desto mehr sinkt die

andere.

Je weniger die innern Eigenschaften des Menschen entwickelt

sind, je weniger er selbst weiß und leistet, desto abhängiger ist er von

Im Gegenteil, je energischer, je umsichtiger sich sein

der Außenwelt.

Wollen und seine Kraft betätigen, je mehr seine Kenntnisse, seine Er­ fahrung sich erweitern, desto mehr macht er sich aus dieser Abhängigkeit los, desto mehr wird er Herr der Umstände.

selbst gewiesen hat, indem sie ihn läßt.

Aus der Abhängigkeit

dies ist der Weg, welchen dem Menschen die Natur

zur Freiheit,

die erstere oft so bitter empfinden

Und wie wir den einzelnen aus der hilflosen Kindheit sich all­

mählich zur Selbständigkeit

durchringen sehen,

so die Menschheit im

ganzen und großen, indem sie in der aufsteigenden Kultur sich einerseits mehr

und

mehr

die Naturmächte

untertan

macht,

andrerseits ihrer

wachsenden Einsicht, ihren gesteigerten Bedürfnissen gemäß, die gesell­

schaftlichen Einrichtungen stetig vervollkommnet.

Sich der Gesetze seines

Daseins und der umgebenden Natur, sowie seiner Kräfte vollkommen

bewußt, der letzteren in jeder Beziehung mächtig zu werden, dadurch sich zur Herrschaft über die Natur aufzuschwingen und das äußere Leben

den innern leitenden Gedanken immer gemäßer zu gestalten — dies der Kern

jedes tüchtigen Einzelstrebens,

dies

das Ziel

der geschichtlichen

Gesamtentwicklung unseres Geschlechts.

Die völlige Verkehrtheit der Lassalleschen Deduktion liegt also ein­ mal schon darin,

daß er den einen Faktor leugnet und den andern als

eine feste, unabänderliche Größe ausfaßt, während doch beide nur relative Größen sind, die einander bedingen,

indem das Wachsen der einen das

Abnehmen der andern notwendig zur Folge hat.

erscheint noch

größer, weil dem

Aber diese Verkehrtheit

von L. verleugneten Faktor —

dem

eignen Wollen und Können des Menschen — auf der gegenwärtigen

Stufe des Verkehrs gerade der Hauptanteil der Gesamtwirkung beigelegt werden muß.

Abgesehn davon, daß, wie wir sahen, der Kulturfortschritt

selbst die Tendenz hat, die Wage zugunsten dieses Faktors mehr und

mehr sinken zu machen, bleibt unser eignes Verhalten unter allen Um­

ständen die erste und unerläßliche Bedingung des wirtschaftlichen Gedeihens,

des Aufkommens im Erwerb.

Denn wenn auch die andere Seite der

Schulze-Delitzsch.

180

Sache, mancherlei äußere, der Gewalt und Berechnung des Menschen sich bis zu einem gewissen Grad entziehende Umstände, mit eingreifen

mögen: ohne das Vorhandensein und die Anwendung jener Eigenschaften

und Kräfte, deren wir gedachten, würden die günstigen Konjunkturen von den einzelnen

gar

einmal

nicht

benutzt,

ebensowenig die

un­

günstigen überstanden und der Schaden übertragen werden können. Man nehme nur: was nützen dem aller Einsicht, jedes Überblicks, der nötigsten

Arbeitsgeschicklichkeit

Entbehrenden,

dem

faulen,

dem

ver­

schwenderischen Geschäftsmanne und Arbeiter die beste Gelegenheit zum

Verdienst, das Zutreffen der günstigsten Bedingungen für den Erfolg, selbst ausreichendes Vermögen?

Er bringt es doch zu nichts.

Tappt

es ihm einmal auf der einen Seite blind zu, so geht das im Augenblick

Gewonnene im andern Augenblick wieder verloren und das bestbegründete Geschäft,

das

genügendste Kapital

bestehen

nicht auf die Dauer bei

verkehrter Verwaltung, untüchtiger Arbeitsverrichtung, bei Faulheit und Verschwendung.

Der tüchtige und einsichtsvolle Arbeiter und Geschäfts­

mann dagegen, der sparsame und sorgsame Wirt und Hausvater finden die Kraft in sich,

jene äußern Konjunkturen

bis

auf einen

gewissen

Punkt zu beherrschen, oder doch sich aus unvermeidlichen Unfällen wieder herauszuarbeiten.

Und im schlimmsten Falle, wenn ein Geschäft ganz

untergeht, der völlige Ruin

des

bisherigen Erwerbsstandes unrettbar

hereinbricht, ist doch gerade in der persönlichen Tüchtigkeit des Betroffenen am ersten die Möglichkeit gegeben, von neuem sich einen Nahrungszweig zu eröffnen, noch einmal von vorn zu beginnen.

Daß übrigens jene Konjunkturen nicht so unbedingt außer Berechnung kommende Elemente sind, als L. vorgibt, und daß die vernünftige aus

Sachkenntnis und sorgsame Information gegründete Spekulation dabei doch recht wesentliche Anhaltspunkte bietet, ergibt die tägliche Erfahrung,

und L.s genial sein sollende Behauptung, daß: „je richtiger, schärfer und genauer den ihm bekannten Umständen

angepaßt der Verstandeskalkül des Spekulanten

sei,

um desto

mehr habe er im allgemeinen die Wahrscheinlichkeit gegen sich"*),

wird höchstens die Heiterkeit aller Fachmänner hervorrufen. *) Bastiat-Schulze S. 28.

Die Begründung dieses Ausspruchs durch den

Satz:

„daß die Summe der nicht wißbaren Umstände bei der Spekulation jederzeit unendlich die der miß baren übersteige", gibt eine interessante Probe der Lassalleschen Logik. Nach diesem Vordersatze, auf dessen Unrichtigkeit es dabei nicht ankommt, nimmt L. selbst das Vorhanden-

Am besten schlagen ihn die von ihm selbst zum Erweis vorgebrachten Beispiele, namentlich die von reichlichen oder schlechten Ernten, von

Hemmungen der Zufuhr und des Absatzes durch politische oder sonstige Ereignisse in gewissen Artikeln oder im allgemeinen. Sicher läßt sich durch gehörige Einziehung von Nachrichten darüber manches erkunden und die neueste Zeit hat eben durch ihre gewaltigen Fortschritte in Benutzung der Naturkräfte Mittel der schnellsten Kommunikation den Geschäftsleuten zur Verfügung gestellt, an welche noch vor Jahrzehnten nicht zu denken war. So mag der elektrische Telegraph in der Erkundung der Umstände, die Eisenbahn und das Dampfschiff in augenblicklicher Beziehung oder Versendung es recht wohl ermöglichen, sich durch Ver­ stärkung oder Beschränkung seiner Produktion und Einkäufe, mit Zurück­ halten oder Losschlagen seiner Waren danach einzurichten. Aber auch abgesehen hiervon, bleibt doch immer die Hauptsache: „daß jemand sich auf Konjunkturen, die er nicht über­ sieht, nicht weiter einläßt, als sein Geschäftsbetrieb es notwendig macht und seine Kräfte es ihm gestatten." Wer sich z. B. in Produkten, deren Preise, je nach dem Ausfall der Ernten, bedeutenden Schwankungen unterworfen sind, nur nach reichlichen Ernten bei gedrückten Preisen in größere Einkäufe einläßt, nach schlechten Ernten aber mit hohen Preisen sich nur für den un­ erläßlichen Bedarf seines Kundenkreises bis zur neuen Ernte versorgt

und nicht auf ein noch weiteres Steigen der Preise durch eine Folge mehrerer schlechter Ernten spekuliert, dem wird vielleicht ein Spekulations­

gewinn entgehn, wenn die letztere Chance wirklich eintritt, aber er wird mit seinem bescheidenen Geschäftsertrag durchkommen und größere Schäden vermeiden. Jeder solide Geschäftsmann hat das Risiko von solchen Konjunkturen in seinem Geschäftsetat mit in Anschlag zu bringen, muß darauf gefaßt sein und darf seine Unternehmungen nicht über seine Kräfte ausdehnen. Wer dagegen seinen Operationen einen Zuschnitt gibt, daß er sich nur beim Zutreffen der günstigsten Möglichkeiten halten sein wißbarer Umstände bei dem Kallül des Spekulanten an, räumt ihnen also selbst einen, wenn auch im Verhältnis zu den nicht wißbaren noch so kleinen Teil der Einwirkung ein. Der Schluß konnte daher nur auf die Gering­ fügigkeit der Mitwirkung dieses Faktors hinauslaufen; statt dessen obige Behauptung, wonach die im Vordersatz anerkannte Mitwirkung nicht bloß völlig annulliert, sondern in eine Gegenwirkung verwandelt wird! Durch das Hinzutreten der Beherrschung der wißbaren Umstände seitens deS Spekulanten, die doch immerhin eine, wenn auch noch so kleine Summe beim Ansatz des Exempels ausmachen, tritt kein Plus, sondern ein Minus ein!

Schulze-Delitzsch.

182 kann,

wer selbst

einer Karte setzt,

auf

solche Weise sein

auf

Los

den Wurf

der mag sich dann, wenn die Dinge anders gehen

und der unvermeidliche Ruin über ihn hereinbricht, nicht beklagen.

gute und schlimme Tage gefaßt sein, die guten richtig benutzen,

Auf

um die

schlimmen zu überdauern, und so nicht nur die Ausgleichung jener günstigen und ungünstigen Einflüsse herbeizuführen, sondern das Über­

wiegen der ersteren, das wird dem tüchtigen und soliden Manne meist Der Bankrott bildet doch erfahrungsmäßig nicht die Regel in

gelingen.

unserem Geschäftsleben, sondern die Ausnahme und der Verkehr ist seinen

innern Bedingungen und Gesetzen nach kein Hazardspiel, der ihn frivolerweise dazu macht.

nur für den,

Dann

wer dies tut, auch die Wechselfälle hin, die ihn betreffen

dabei mitgewirkt, entschuldigt ihn nicht.

als

Früchte

daß der Zufall

Daß er sie nicht vorhergesehn,

seiner Handlungsweise.

er wird es aber nehme,

rechnet man

Nicht das

dem

Spieler zu, wenn man ihn für seinen Ruin verantwortlich macht, daß er

verliert, daß

voraussehen

konnte,

die

Chancen

gegen

des

ihn sind,

Spiels, sondern:

die

er allerdings nicht

daß

er überhaupt

spielt!

Und damit ist L. ein für allemal abgefertigt, wenn er*) das ganze Wirtschaftsleben unserer Zeit als reines Glücksspiel charakterisiert.

Wohl laufen Auswüchse und Mißbräuche dieser und anderer Art noch

häufig genug mit unter, indessen gelten sie auch dafür und rächen sich

durch ihre Folgen.

Aber

wenn

man

wie L. durch Wegleugnen der

ökonomischen Verantwortlichkeit selbst den Zufall als Regulator auf dem

Erwerbsgebiet hinstellt,

dann hat man zu jener Rüge gar

keine Be­

rechtigung, denn dann würdigt man ja gerade den menschlichen Verkehr prinzipiell seinem innern Wesen nach erst zum reinen Glücksspiel herab

und es ist unerfindlich, wie man alsdann noch Erscheinungen anklagen

will, die man durch eine solche Lehre geradezu herausfordert. — Nein, wieviel auch hier bei uns noch zu wünschen und zu bessern bleibt, soviel ist gewiß:

daß

alle die

vorhandenen

Mängel nur im Erstreben des

immer wachsenden Einklangs zwischen der wirtschaftlichen und

sittlichen Welt ihre Ausgleichung finden, der nur bei voller Selbst-

verantwortlichkeit und Freiheit der einzelnen möglich ist.

Hiernach beantwortet sich die ganze Frage in folgenden Sätzen: a) der wirtschaftliche Erfolg,

das Aufkommen und Gedeihen der

Menschen in Nahrung und Erwerb hängt stets und mit Not­

wendigkeit von

dem Vorhandensein und

*) Bastiat-Schulze S. 28, 29.

der

richtigen An-

Wendung

derjenigen

intellektuellen,

sittlichen

und

körperlichen

Eigenschaften und Fertigkeiten ab, welche in Beziehung zu dem

gewählten Geschäftszweig stehen; b) außerdem gibt es aber noch äußere,

mehr oder weniger der

Berechnung und der Macht der Menschen entrückte Umstände, welche möglicherweise auch mit darauf Einfluß üben können,

c) keiner dieser beiden Faktoren bildet eine feste Größe, vielmehr

bedingen sie sich gegenseitig und stehen im umgekehrten Verhältnis

zueinander.

Namentlich hat der Kulturfortschritt des Menschen­

geschlechts im ganzen,

sowie die Zunahme

der Bildung und

geschäftlichen Tüchttgkeit bei den einzelnen die stetige Tendenz, die Abhängigkeit von der Außenwelt immer mehr zu vermindern.

Wir sehen hiernach: das erste in unserem eignen Tun und Wesen

begründete Element übt in allen Fällen seinen Einfluß auf die Gestaltung

unserer wirtschaftlichen

Existenz, das

kann nicht

anders

sein.

Das

andere dagegen, in äußerlichen Einwirkungen wurzelnde kann ihn üben und übt ihn wirklich in vielen Fällen, mehr oder weniger stark, in vielen aber auch nicht.

Dasselbe verhält sich daher zum ersten wie

die Möglichkeit zur Notwendigkeit und selbst da, wo es mit in Wirkung tritt, beherrscht es den Vorgang nicht, sondern modifiziert

ihn bloß, vermag ihn wohl zu kreuzen, aber nicht zu regeln.

Das

erste, das entschieden überwiegende Element, ist es aber eben, aus welchem die ökonomische Verantwortlichkeit der einzelnen abgeleitet wird,

und damit fällt die ganze Ausführung L.s in sich zusammen. Werfen wir noch einen Blick auf die Folgen, welche sich für das prattische Leben aus der Lehre L.s ergeben würden, so kann man sich

dieselben kaum toll genug denken.

Denn gingen die Dinge so, wozu

denn in aller Welt sich, um Kenntnisse und

Geschicklichkeit bemühen,

wozu die unbequemen wirtschaftlichen Pflichten sich auflegen?

Fleiß und

Faulheit, Solidität und Liederlichkeit, Tüchtigkeit und Ungeschicklichkeit,

Dummheit und Einsicht: das alles sind ja dann ganz gleichgültige Dinge,

auf die nichts ankommt, die den Leuten ebensowenig nützen wie schaden,

rote es die Lassalleschen Sendboten täglich predigen, indem sie über die Bildungsbestrebungen, über das Sparen der Arbeiter spotten.

Natürlich!

Keiner hat die Verantwortlichkeit für seinen Nahrungsstand, keiner also auch die Pflicht der Selbstsorge, dafür muß die Gesellschaft eintreten, d. h. alle andern zusammen.

Aber, mein Himmel, mit allen diesen

andern, welche die Gesellschaft ausmachen, steht es ja um kein Haar breit anders, die sind ja ebenfalls ihrerseits ein jeder dieser Selbstsorge

Schulze-Delitzsch.

184

und Verantwortlichkeit enthoben, auf wem bleibt denn nun schließlich

das Ganze sitzen, wer tritt denn nun eigentlich für den andern ein? — Das ist doch eine verrückte Wirtschaft uns da in Aussicht ständen!

sprüche eines

jeden

und reizende Zustände, welche

Da rufen wir ja die unsinnigsten An­

an einen jeden hervor

Widerstand eines jeden gegen einen jeden. Aufhebung

wirtschaftlichen

der wir

zerstören

die

Grundlagen

nnd damit zugleich den Es kann nicht fehlen: Mit

Zurechnungsfähigkeit der

Gesellschaft und

und Selbstsorge alles friedlichen

Verkehrs, zerreißen alle Bande, welche die Menschen aneinander knüpfen, und erklären den Krieg aller gegen alle, wörtlich, nicht figürlich

genommen.

L. hätte sich daher seine gelehrte Auseinandersetzung über

den letzten bereits früher von mir getanen Ausspruch ersparen können,

du derselbe nur in dem Sinne, wie er sich seiner bedient, in der miß­

bräuchlichen Anwendung auf die freie Konkurrenz, unter die Phrasen gehört. So bequem es daher auch den Anhängern L.s erscheinen mag, die Selbstverantwortlichkeit aufdas juristische,besonders das kriminelle

Gebiet zu beschränken, wir halten an ihr mit ihrer unzertrennbaren

Wechselbeziehung zur menschlichen Freiheit und Würde, nicht bloß

in der ökonomischen, sondern auch in allen andern Lebensbeziehungen fest, wo Menschen handelnd Kraft und Willen betätigen.

z. B. in das Bereich der Sittlichkeit.

Treffen

Blicken wir

nicht den

Scham-

und Ehrlosen, auch wenn er der Justiz nicht verfällt, in der allgemeinen Verachtung die Folgen seines Tuns und Lassens?

Richtet die Gesellschaft

nicht die Verletzung ihrer sittlichen Grundlagen ebenso wirksam, als es

das Strafurteil des Richters nur irgend

ihres Verächters,

den wir gleich

vermöchte, durch Ausstoßung

einem Verpesteten

gemieden

Und nicht anders ist es auf dem Felde der leiblichen

sehen?

und geistigen

Gesundheit, wo es dem Menschen auch zumeist geht, wie er es treibt.

Freilich können auch hier Zufälle eintreten, äußere Einflüsse sich geltend

machen, bei denen von einer Schuld des Betroffenen nicht die Rede ist.

Aber es würde dieselbe Verschrobenheit dazu gehören, wie zu dem Aus­ spruche L.s in bezug auf die wirtschaftliche Existenzfrage, allgemeinen die Verantwortlichkeit in solchen Dingen,

eignen Tuns und Lassens zu leugnen.

Genusses, hingibt,

deshalb im

den Einfluß des

Der Unmäßige in jeder Art des

wer sich groben Exzessen wider die

ersten Gesundheitsregeln

die hauptsächlichsten Lebensbedingungen verletzt,

wer sich mut­

willig in Gefahren begibt, denen er nicht gewachsen ist — sie alle betrifft

in Siechtum und frühem Tod die Folge ihrer Handlungsweise.

II. Die Assekuranz gegen das Risiko. Aber es kommt noch besser.

Frage:

Die unangenehme, von mir aufgeworfene

„wer das Risiko bei den von ihm projektierten Produktiv-

Assoziationen der Arbeiter, in welche der ganze Gewerbebetrieb der

war mit Aufhebung der

Zukunft verlegt werden soll, zu tragen habe?"

Vielmehr verlangte dieselbe

ökonomischen Verantwortlichkeit nicht beseitigt.

um so mehr eine Beantwortung, als der Anspruch auf den Unternehmer­ gewinn,

welcher den Arbeitern in deren Produktivassoziationen, neben

ihrem Arbeitslohn zugewendet werden soll,

im engsten Zusammenhänge

Gegen die uralten, von mir hervorgehobenen Sätze: „Wer

damit steht.

das Risiko trägt, dem gebührt der

Gewinn;

wer Vermögen

und

Arbeit an ein Unternehmen setzt, mit Gefahr beides zu verlieren, wer die ungünstigen Chancen eines Geschäfts, die möglichen Verluste auf sich

nimmt, dem müssen auch die günstigen

jetzigen

Welt Geltung

haben.*)

Dies

der erzielte Gewinn

Chancen,

zugut kommen", mußte L. selbst zugestehen,

daß sie mindestens in der

greift denn auch bei den auf

Selbsthilfe gegründeten Assoziationen durch, wenn Risiko und Gewinn gleichmäßig bei den Arbeitern als Unternehmern für eigene Rechnung Allein bekanntlich soll für die Assoziationen L.s der

zusammentreffen.

Staat unter seiner Garantie die nötigen Kapitalien schaffen.**)

Während

also die Mitglieder den Gewinn ziehen, bleibt das Risiko dem Staate.

Aus

dieser Verlegenheit mußte L. einen Ausweg finden,

nun

einmal

noch

in

der

jetzigen, nicht in

da wir uns

seiner Zukunftswelt

befinden; sehen wir zu, wie er dies anfängt.

An wen hält sich der Staat — wenn

so lautet

solche Assoziationsgeschäfte zugrunde

also das Problem —

gehn,

wenn die in ihnen

angelegten Kapitalien verloren werden, und er den Gläubigern infolge der übernommenen muß?



Geschäfte waren,

eben

Garantie

aus öffentlichen Mitteln gerecht werden

Von den assoziierten Arbeitern, welche die Inhaber dieser kann er unmöglich etwas erstattet erhalten, da er ja

wegen deren

völligen Mittellosigkeit,

welche

ihnen die kleinsten

*) Bastiat-Schulze S. 218. Darin, daß nicht bloß das Kapital, sondern auch die Arbeit des Unternehmers verloren werden, wenn das Geschäft schlecht geht, folgt das Unrichtige der Bezeichnung des Geschäftsgewinns als bloßen Kapitalprofits, da derselbe vielmehr das Äquivalent für Kapital und Arbeit bildet, die der Unternehmer gleichmäßig dabei einsetzt. **) Dgl. Offenes Antwortschreiben an daS Zentralkomitee zur Berufung eines deutschen Arbeiterkongresses in Leipzig von F. Lassalle. Zürich bei Meyer und Zeller 1863. S. 23, 27—29. Note S. 36.

Schulze-Delitzsch.

186

eignen Ersparnisse unmöglich machte, die Garantie übernehmen mußte, ohne welche ihnen niemand etwas geborgt haben würde — so sagt man uns

wenigstens.

Im Gegenteil, da die Leute durch den Ruin ihres Geschäfts

brotlos geworden sind, muß ihnen der Staat noch dazu geben, anstatt

von ihnen zu bekommen.

Denn da das System L.s die Abschaffung

der Lohnarbeit durch Ermöglichung eigner Affoziationsetablissements zur

Staatsaufgabe macht, da ferner danach jede Gewerbsbranche an jedem Orte in eine einzige solche Assoziation zusammengelegt werden soll,*) so bleibt gar nichts übrig, als daß der Staat sofort die fallierte Assoziation

nochmals etabliert, den Mitgliedern derselben noch einmal unter seiner

Garantie Geld und Kredit schafft, um von vorn anzufangen, weil sie

ohnedem ja gar nicht wieder in Nahrungsstand kommen könnten.

Und

dies immer sofort, bis endlich alle Geschäfte in unerschütterlicher Blüte

stehen. Das Abenteuerliche dieses Planes wird nur von seiner ausnehmenden Lächerlichkeit übertroffen.

Dieser Staat — wir deuteten schon im vorigen

Abschnitt darauf hin — welcher an den „notleidenden Klassen", die sich ohne ihn nicht helfen können, solche finanzielle Wundertaten ver­

richten und über so ungeheure Mittel zu diesem Behufe verfügen muß, besteht

nach

L. lediglich

aus

denselben

Personen, denen

er

beispringen soll, aus den „notleidenden Klassen!"**) — Ist dies, so

frage ich,

etwas anderes,

als

eine

neue

geistreiche

Version

der

berühmten Geschichte von dem Manne, welcher sich selbst an seinem eigenen Zopfe aus dem Sumpfe zieht? Indessen haben wir es hier mit dieser Seite der Sache nicht weiter zu tun und verweisen deshalb auf den Arbeiterkatechismus (Seite 160,

161), wo man das Nähere darüber nachlesen mag.

Aber soviel bleibt

doch auch im besten Falle gewiß, daß diese Assoziationen dasjenige mit

allen menschlichen Unternehmungen gemein haben, daß sie mißglücken, daß ihre Geschäfte durch Unglücksfälle oder Fehler der verschiedensten

Art zugrunde gerichtet werden können; daß also ein Risiko hinsichtlich der ihnen angelegten Kapitalien vorhanden ist, an dessen Übertragung

*) Vgl. Bastiat-Schulze S. 217. **) Vgl. Offenes Antwortschreiben usw. S. 30, 31, wonach die not­ leidenden Klassen 89—96*|i Prozent der Bevölkerung in Preußen ausmachen, und L. wörtlich sagt: „Ihnen, den notleidenden Klassen, gehört der Staat, denn a«S Jhnm defteht er! Was ist der Staat? Ihre, der ärmeren Klassen große Assoziation!" und Seite 36, wo die StaatShilfe deshalb als Selbsthilfe proklamiert wird.

irgendwie gedacht werden muß, um den Staat als Garanten doch einiger­

maßen zu sichern. Das hatte denn auch der große Organisator selbst gefühlt, und so geriet er auf den Gedanken: daß ein Assekuranzverband die ver­

schiedenen Vereine umfassen solle, welcher deren Geschäftsverluste durch ihre Verteilung unter alle bis zur Unmerklichkeit ausgleiche.*)

Lassalle kommt mehrmals auf diesen Vorschlag zurück,

er hat die

Unmöglichkeit einer solchen Assekuranz wirklich nicht begriffen, und doch stellt sich die Sache bei nur einigem Nachdenken so einfach dar!

Man

kann sich wohl gegen gewisse, vollkommen außer der eignen Verschuldung

liegende

Zufälle,

wie

Feuersgefahr, Hagelschlag,

Schiffbruch

u.

dgl.

assekurieren, niemals aber gegen alle möglichen Mißerfolge im Leben

und Geschäft im allgemeinen und ganzen. möglichen Geschäftsverluste,

Die Gesamtheit aller

gleichviel welchen Ursachen sie entspringen,

ist nun eben das Risiko

und sich dagegen versichern, heißt sich gegen

den Bankerott versichern.

Es geht dies aber einfach nur deshalb nicht,

weil unter den verschiedenen Einflüssen, welche hierzu mitwirken können, die eigene Handlungsweise, die eigenen intellektuellen, sittlichen und

wirtschaftlichen Fehler und Mängel des Betroffenen, wie wir im vorigen

Abschnitt zeigten, eine zu wichtige Rolle spielen.

Dieselben lassen sich

aber nur sehr schwer von den andern Ursachen scheiden und in Rechnung bringen, weil ihr Eingreifen in vielen Fällen mit dem, was der bloße

Zufall dabei verschuldet, zusammenwirkt und sich nicht leicht auf eine

meßbare Größe zurückführen läßt, so daß ein Urteil darüber, eine Fest­ setzung im Streitfälle meistens nicht wohl gefunden werden könnte.

Weil

daher die Assekuranz Lassalles die Folgen verkehrten Tuns, geschäftlicher

Untüchtigkeit und Unsolidität in ihrer Allgemeinheit mit umfaßt, so ist sie wegen Antastung der ökonomischen und

nicht bloß verwerflich,

sittlichen Verantwortlichkeit

sie ist auch finanziell

undurchführbar.

Jede Versicherungsanstalt, mag sie unmittelbar von den Beteiligten aus­

gehen, oder ein Dritter — ein einzelner oder eine Gesellschaft — als

*) Offenes Antwortschreiben S. 28. Note. Bastiat-Schulze S.218. Jnteresiant ist, wie Lassalle an der letztern Stelle seine Affekuranz dadurch „praktischer" zu machen sucht, daß nur die zu demselben Gewerkszweig gehörigen Assoziationen im ganzen Lande in die gegenseitige Assekuranz treten sollen. Gerade die gleichartigen Geschäfte werden bei gewißen Kon­ junkturen — man nehme z. B. die Baumwollennot der letzten Jahre — auch gleichmäßig betroffen und werden nicht selten sämtlich und gleichzeittg Verluste erleiden und solche daher am wenigsten gegenseitig übertragen können.

Schulze-Delitzsch.

188

Vermittler dazwischen treten, beruht ihrem letzten Grunde nach immer

auf Gegenseitigkeit, auf Verteilung des den einzelnen

durch gewisse

Unglücksfälle erwachsenen Schadens unter viele davon nicht Betroffene

und zwar in einer Weise, daß der Anteil eines jeden ihn nicht irgend erheblich belastet.

Die Fälle, gegen die man sich versichert, müssen im

Verhältnis zur Menge der Versicherten selten, der dadurch verursachte

Schaden für die Gesamtheit gering erscheinen, durchführbar sein.

Daher muß die

Zahl

der

soll die Versicherung

Versicherten die der

Beschädigten, die Summe des versicherten Vermögens die des Schaden­ betrages bei den vorkommenden Unglücksfällen sehr bedeutend übersteigen,

wofür uns die üblichen Prämiensätze bei den einzelnen Versicherungs­ gesellschaften einen Maßstab an die Hand geben. Wie wir schon gezeigt haben, schließt nun die Übertragung sämtlicher Geschäftsverluste, welche

L.

durch

seinen Assekuranzvorschlag bezweckt,

Spekulationen,

verkehrte

technische

und

auch die

kaufmännische

durch

schwendung der Fonds, unsolide Bedienung der Kunden,

Kreditieren und dergleichen mit ein.

gewagte

Ver­

Leitung,

leichtsinniges

Auf solche Weise, durch Beseitigung

der Gefahr einer solchen Geschäftsgebahrung durch den Ersatz der daher rührenden Verluste, würde sich aber die Zahl derselben in das

Unberechenbare steigern, ja man würde dieselben geradezu heraus­ fordern.

Bedenke man doch hier nur: die Gefahr, die jemand dadurch

läuft, daß ihn der Schaden seines verkehrten und unsoliden Treibens selbst trifft, bildet ja das notwendige Gegengewicht gegen Trägheit und

Bequemlichkeit, wie gegen die Lockung enormer Geschäftsgewinne.

Dieses

Gegengewicht, als den natürlichen Regulator des Verkehrs, welcher den Unternehmungsgeist in

den

richtigen Schranken hält, durch die

vor­

geschlagene Assekurranz entfernen, wäre nichts anderes, als die Untüchtigkeit und den Schwindel assekurieren!

Jeder Sporn zur Vorsicht, zu gewissen­

hafter Erkundung aller bei den Geschäftsoperationen in Betracht kommenden

Umstände, zu tüchtiger geschäftlicher Ausbildung fiele fort.

Die gewagtesten

Spekulationen, Anlocken der Kunden durch unbegrenzten Kredit u. a. m.

griffen unaufhaltsam um sich; recht viele Geschäfte machen, um recht große Gewinne zu ziehen, würde das einzige Streben der Geschäftswelt, da ja dabei schlimmstenfalles nichts verloren wird, denn man ist ver­ sichert!

Die Verluste müßten sich reißend vermehren; was bisher die

Ausnahme war, würde zur Regel, und die Prämien, die regelmäßigen Beiträge der Versicherten zur Deckung dieser ins Unendliche wachsenden Verlustsummen erreichten sehr bald selbst den Betrag erheblicher Verluste

auch für die wenigen, welche sich von dem schwindelhaften Wesen frei

hielten, und überstiegen endlich auch deren Kräfte. Eine köstliche Assekuranz, welche schließlich diejenigen, welche sich bei ihr gegen den Bankerutt ver­

sichern, selbst bankerott macht!

Daß der ganze menschliche Verkehr durch eine solche Einrichtung, welche natürlich mit der Aufhebung der wirtschaftlichen Zurechnungs­

fähigkeit Hand in Hand ginge, völlig zu demjenigen Hazardspiel herab­

sinken würde, welches wir im vorigen Abschnitt beleuchteten, bedarf keiner

nochmaligen Ausführung.

Wenn aber dies auch vollkommen der Lehre

Lassalles entspricht, so ist doch die vorgeschlagene Assekuranz selbst von

diesem Standpunkte aus das Tollste,

was

Eine

sich denken läßt!

Assekuranz auf Gegenseitigkeit unter den Beteiligten bei einem

Spieler, von denen jeder nichts anderes weiß und denkt,

Glücksspiel!

als vom andern zu gewinnen, wo, wie L. dies selbst ausspricht, der Ge­

winn des einen durch den Verlust des andern notwendig bedingt ist,

sollen gegenseitig die Unglücksfälle bei diesem Spiel untereinander über­ tragen, mit andern Worten, das ganze Spiel dadurch wieder auf­ heben!

Die Albernheit und Unausführbarkeit einer solchen Assekuranz

ist klar, indem dadurch

alle Voraussetzungen des Versicherungswesens

überhaupt über den Haufen gestoßen werden.

Denn anstatt die Unfälle,

gegen welche man sich schützen will, zu beschränken, vermehrt man sie ja;

man ruft eine Menge davon erst hervor, welche ohnedem nie eingetreten

wären, so daß von Verteilung eines verhältnismäßig geringen Schaden­

betrags unter viele davon nicht Betroffene — worauf die Möglichkeit der Versicherung beruht — nicht mehr die Rede sein kann. verschiebt

man

die Verantwortlichkeit

der

Zugleich

Beteiligten in der tollsten

Weise und bürdet den tüchtigen und soliden Geschäftsleuten die Ver­

luste auf, welche andere durch Mangel an Einsicht, durch Leichtsinn und Verkehrtheiten aller Art verschulden.

Man unterstützt also diese letztern

recht geflissentlich in einem solchen Gebühren auf Unkosten der ersteren

und erreicht so

den

beneidenswerten Zustand:

daß sich kbie Leute

um so besser befinden, je schlechter sie ihr Gewerbe verstehn

und betreiben!

Das wäre so ein Stück Weges zu der,vielgepriesenen

Gleichheit Lassalles, zu der Hilfe für alle ohne Ausnahme, für den ganzen Arbeiterstand, gleichviel wie sich die einzelnen selbst dabei ver­

halten, wo sich niemand besonders anzustrengen oder zusammenzunehmen braucht: daß nämlich alle ohne Ausnahme im Nahrungs- und

Wohlstände

gleichmäßig

zurückkümen.

Denn

wenn

man

die

Tüchtigen und Untüchtigen, die Fleißigen und Faulen usw. in dem Lohn für ihre Leistungen, in dem was sie von ihrer Tätigkeit haben, auf eine

Schulze-Delitzsch.

190

gleiche Stufe setzt,

so bringt man sie sehr bald auch auf eine gleiche

Stufe in ihren Leistungen.*)

Dadurch aber käme das ganze Wirtschafts­

leben der Nation zurück und die vorgeschlagene Assekuranz wäre daher nichts weiter als die Versicherung des öffentlichen Ruins. Das zutreffendste Beispiel, wie sich die Dinge dabei im einzelnen

gestalten müßten, bleibt wohl das von mir L. schon früher Vorgehaltene, auf welches er die Antwort weislich vermieden hat.**) junger Leute, die sich zum Staatsdienst vorbereiten

Eine Anzahl

und beim Eintritt

ein Examen zu bestehen haben, assekurieren sich gegenseitig für den Fall,

daß sie die Prüfung nicht bestehn und der Anstellung verlustig gehn, mit der Wirkung: daß der Durchgefallene von der Gesellschaft diejenige

Rente für seine Lebenszeit

gezahlt erhält,

welche

beim

gewöhnlichen

Avancement der durchschnittlichen Beamtenbesoldung gleichkäme.

Was

anderes würde dadurch bewirkt werden, als daß viele von den Ver­

sicherten, der Sorge um die Existenz

gehörig nachgingen

ledig, ihren Studien

sicher nicht

und daß die Zahl der durch das Examen Durch­

fallenden anstatt wie bisher etwa 5 bis 10 Prozent, künftig vielleicht 50 bis 60 Prozent betragen würde.

Die weitere Folge hiervon aber wäre der

Bankerott der Gesellschaft, da die immer mehr verminderte Zahl der in der Prüfung Bestandenen die immer wachsende der Durchfallenden

auf die

Länge unmöglich aus ihrem Einkommen übertragen könnte, ohne selbst völlig zugrunde zu gehn.

Es ist nur gut, daß sich aller solcher Unsinn wohl am Studiertisch aushecken, aber niemals in praktischen Gestaltungen verwirklichen läßt.

Die Teilnehmer der projektierten Versicherungsgesellschaft wären zu be­

dauern.

III. Die Abschaffung des Risikos. Von dieser meiner Kritik seiner Assekuranz gegen

das Risiko

scheint Lassalle soviel profitiert zu haben, daß es gut sei, sich noch nach

einem andern Auskunstsmittel in dieser unangenehmen Frage umzusehen.

Und da gelangt er auf den im Eingänge angedeuteten Höhepunkt seiner Leistungen, indem er mit dem unbequemen Dinge, dem Risiko, das sich

seinen Weltverbesserungsplänen so wenig gefügig zeigt, kurzen Prozeß

macht und es ganz einfach abschafft, wodurch natürlich alle Schwierig­ keiten mit einem Male wegfallen.

Ja, höre und staune, o Welt: Das

Risiko, der Inbegriff aller Gefahren, welche gewerbliche Unternehniungen

*) Arbeiterkatechismus Seite 104. **) Arbeiterkatechismus Seite 167.

Note.

bedrohen, ist gänzlich und für immer beseitigt, wenn die Assoziationen Lassalles unter Staatsgarantie erst, wie sie dies ja nach seinem Plane sollen und werden, die herrschende Form in Produktion und Handel

bilden. Herrliche Aussichten! Alle ungünstigen Chancen im Geschäfts­ leben fallen fort, jedes gewerbliche Unternehmen muß gelingen, gleich­ viel, wie es begründet ist, gleichviel wie man es dabei anfängt! Man

braucht nur zu diesen Assoziationen zu schreiten und der Welt ist ge­ holfen, es gibt kein Risiko mehr! — Erst damit, erst durch einen solchen noch nie dagewesenen, im wahren Sinne schöpferischen Coup ist die notwendige Ergänzung der Lehre von dem Nichtvorhandensein der ökonomischen Zurechnungsfähigkeit gegeben. Denn wenn jeder Erfolg auf wirtschaftlichem Gebiete nach dieser Lehre einzig vom Zufall abhängt, das Wollen und Können des Menschen einen so untergeordneten Einfluß dabei hat, daß es gar nicht in Betracht kommt, so kann man die Dtöglichkeit des allgemeinen Ruins in einem solchen reinen Hazardspiele nur dadurch vermeiden, daß man das tut, was die Spieler von Prosession „corriger la fortune“ nennen. Man kommt dem blinden Glück zu Hilfe, schafft die ungünstigen Möglichkeiten und damit das Risiko ab, und behält bloß die günstigen bei, dann muß man ge­ winnen. Um wieviel durchgreifender ist dieses Hilfsmittel als die Assekuranz, wo man den ungünstigen Zufall nur durch Aufhebung des

günstigen, den Verlust nur durch Aufgabe des Gewinns ausglich, wo­ gegen hier das berühmte Problem des Spiels, wobei alle gewinnen und keiner verliert, gelöst wird. Und dies durch ein Mittel, so ein­ fach und geistreich, wie das Ei des Kolumbus, ja mehr als das — ich sagte es schon — schöpferisch in des Wortes verwegenster Bedeutung! Sehen wir uns die ganze Geschichte nur darauf an, zergliedern wir nur den wirt­ schaftlichen Vorgang, um den es sich handelt, und man wird mir Recht geben. Das Risiko, nach allgemeinem Sprachgebrauch: die Möglichkeit des Mißerfolgs im Erwerb, die Gefahr, Kapital und Arbeit, die man auf irgend ein geschäftliches Unternehmen verwendet, zu verlieren, ohne Frucht davon zu ziehen, wird man selbstverständlich mit denselben Be­ dingungen in Beziehung bringen müssen, von welchen der Erfolg auf diesem Felde abhängt. Wir haben uns damit bereits bei Besprechung der ökonomischen Zurechnungsfähigkeit im ersten Abschnitt beschäftigt

und weisen darauf zurück. Im wesentlichen teilten wir die hierbei wirkenden Ursachen in zwei Kategorien, indem wir fanden, daß das Auf­ kommen des Menschen im Erwerbsstande, das Gelingen wie das Miß­ lingen aller dahinzielenden Bestrebungen bedingt sei:

192

Schulze-Delitzsch.

a) einmal durch sein eigenes Wollen und Können, die Entwicklung

und den richtigen

Gebrauch seiner intelektuellen,

sittlichen und

körperlichen Kräfte und Geschicklichkeiten; b) durch äußere sich der Einwirkung und Berechnung des einzelnen

mehr oder weniger entziehende Umstände. Wir wiederholen hier nicht noch einmal das über das Verhältnis beider Faktoren und ihre Wechselwirkung aufeinander bereits an jener Stelle Gesagte, sondern heben nur hervor, wie somit die Bedingungen

unseres Erwerbslebens auch in dieser Hinsicht mit denen unserer Existenz überhaupt zusammenfallen und als unverrückbare Naturgesetze auftreten, indem sie sich sämtlich einmal auf das von der Natur gegebene Eigen­

wesen des Menschen selbst und sodann auf seine ihm wiederum von

der Natur angewiesene Stellung zur Außenwelt zurückführen lassen. Diese Bedingungen des Erfolgs festgehalten, sind damit natürlich

zugleich die Bedingungen des Mißerfolgs, d. h. die verschiedenen Ur­

sachen geschäftlicher Verluste, die im Risiko inbegriffen sind, angezeigt

und müssen denselben Hauptkategorien eingeordnet werden.

Einmal kann

das Mißlingen durch gewisse innere Mängel des Unternehmers in intellektueller, sittlicher oder technischer Hinsicht verursacht sein, durch Irr­

tümer und Mißgriffe, durch Ungeschicklichkeit, durch Mangel an Kenntnissen und Erfahrung, an Fleiß und Energie, durch Verschwendung und schlechte Wirtschaft usw.

Das andremal können unvorhergesehene, unverschuldete

Ereignisse die geschäftlichen Operationen gekreuzt haben und häufig wirkt beides zusammen.

in Wesen

Diesen ganzen Vorgang abändern, die angegebenen

und Lage des Menschen

begründeten

Ursachen mit ihren

Folgen aufheben, — und das heißt eben das Risiko abschaffen — läuft also auf nichts mehr und nichts weniger hinaus, als: die natür­ lichen Daseinsbedingungen des Menschen zu verrücken.

Die höchst verschiedene Begabung und Ausbildung der einzelnen, Unvollkommenheit und Schwäche der menschlichen Natur überhaupt, die

Mängel des gegenwärtigen Kulturzustandes müßten beseitigt, die Schranken menschlicher

Einsicht

und

Kraft

durchbrochen,

die

Abhängigkeit

des

Menschen von der Außenwelt völlig aufgehoben werden — kurz es gälte

die Menschlichkeit abzustreifen, und man müßte ein Gott sein, um dies alles zu bewirken, Menschen und Welt geradezu umschaffen!

Man sieht,

wir haben nicht

zuviel gesagt von der

Wundertat

Lassalles und es ist nur schade, daß wir von diesem himmelstürmenden

Anlaufe, zu dem er uns mit fortzureißen Miene macht, augenblicklich äußerst ernüchtert abstehen, sobald wir uns nach dem Mittel umsehen,

mit dem diese fabelhaften Dinge in das Werk gesetzt werden sollen. Lassen

wir L. selbst reden. Nach der Ausführung, daß nur der Staatskredit das große

Kapital den Arbeiterassoziationen zuzuführen vermöge, fährt er wört­ lich folgendermaßen fort:*) „Dies leitet von selbst zu der Widerlegung jenes Einwandes, auf

den Sie das Hauptgewicht zu legen scheinen. Wie soll der Staat ein solches Risiko übernehmen, rufen Sie aus! Das Risiko ist eine Illusion, Herr Schulze!" „In der Tat, der Unternehmer Peter und der Unternehmer Paul laufen Gefahr, bei der Produktion ihr Kapital zu verlieren. Denn es ist möglich, daß die Unternehmer Christoph, Gottlieb und Johann ihren Absatz an sich reißen." „Wenn aber der einzelne Produzent diese Gefahr läuft, so läuft die Produktion doch durchaus keine solche Gefahr. Die Produktton ist von stetigem Gewinn und Wachstum begleitet. Lesen Sie nur das erste beste statisttsche Buch darüber nach, in welchem beständigen jähr­ lichen Zunehmen das in der Produktion angelegte Nattonalkapital be­

griffen ist." „Es wird Ihnen nun einleuchten, daß, wenn der Staat zu einer solchen Befteiung der Arbeit im großen sich entschlösse, sich in jeder Stadt nicht einzelne Arbeiter, sondern alle Arbeiter des betreffenden Gewerkes, also das ganze Gewerk selbst, oder mindestens alle solche Arbeiter desselben, die sich überhaupt zu Produktivassoziattonen vereinigen wollen, zur Assoziierung melden würden." usw. usw. „Überdies würde der Staat diesem Triebe wachhelfen, indem er in jeder Stadt nur einer Assoziation in jedem bestimmten Gewerks­ zweig den Staatskredit zuteil werden ließe, allen Arbeitern dieses Ge­ werkes den Eintritt in dieselbe natürlich offen haltend." „Es würde dem Staat natürlich nicht in den Sinn kommen, inner­ halb der Arbeiterwelt dieselben Erscheinungen einzuführen, welche die Bourgeoisie charakterisieren, und auch die in kleinen Gesellschaften gruppierten Arbeiter in konkurrierende Bourgeois zu verwandeln. Das lohnte der Mühe! Kurz, wie auch in meinem Antwortschreiben durch den Kredit- und Assekuranzverband der Assoziationen hinreichend angedeutet war: die Produktivassoziationen, das ist die an jedem Ort in die verschiedenen Produktionszweige zerfallende Produktivassoziation! Es *) Bastiat-Schulze S. 215-218. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

II.

13

194

Schulze-Delitzsch.

wäre also sehr bald an jedem Ort immer ein ganzer Produktions­

zweig in eine einzige Assoziation konzentriert und jede Konkurrenz

zwischen Assoziaüonen einer Stadt von vornherein unmöglich, wodurch,

wie Sie sehen, für die Assoziation das Risiko, welches der

einzelne

Unternehmer für sein Kapital läuft, beseitigt ist und die Assoziation sich der

gesicherten,

immer

vorschreitenden

Blüte

bemächtigt,

welche

der

Produktion eigen ist." Da haben wir also die große Entdeckung: Lassalle will durch die projektierten Assoziationen die Konkurrenz aufheben und, wenn

dies geschehen ist, meint er, mit dem Risiko fertig zu sein! allerdings neu.

Das ist

Als ob in der Konkurrenz alles und jedes Risiko

eingeschlossen wäre, als ob die beiden dem Begriffe nach zusammenfielen!

Freilich kann

ein Geschäft, besonders ein nicht gut begründetes oder

schlecht geleitetes, durch eine ihm plötzlich mittels der Errichtung anderer

in der gleichen Branche gemachte Konkurrenz

an Absatz verlieren und

Schaden erleiden, sogar in seiner Existenz bedroht werden und deshalb

mag man in der Konkurrenz unter Umständen eine Gefahr erblicken. Allein ist denn damit die Summe der Gefahren, welche industrielle Unter­

nehmungen bedrohen, erschöpft, gibt es keine Anlässe weiter, aus denen für dieselben Schaden erwächst?

Nur und allein durch die Konkurrenz

soll ihnen der Mißerfolg drohen, gerade durch dasjenige Element, welches sie die Probe ihrer Lebensfähigkeit bestehen, den Beweis führen läßt,

daß sie die Sache ebensogut anzugreifen wissen, wie jeder andere?

Das

ist ein schlechtes Kompliment, welches L. seinen Assoziationen macht, daß

er vor allem in dieser Probe die Hauptgefahr ihres Bestehens sieht.

Damit ist aber die Aufgabe wahrhaftig nicht gelöst.

Wir haben uns ja

mit den verschiedenen Ursachen des Mißerfolges, die hier mitwirken können,

beschäftigt;

mangelhafte Leitung, verkehrte

und unsolide Operationen,

schlechte Arbeitsverrichtung, Vergeudung des Geschäftskapitals, Versäum­

nisse und Nachlässigkeit, — kurz alle die in der Untüchtigkeit der Unter­

nehmer und Arbeiter liegenden Gefahren fallen doch wahrhaftig mit der Konkurrenz nicht fort!

Ebensowenig ungünstige Konjunkturen hinsichtlich

der Preise, der Bezugs- und Absatzquellen usw.

Und diese Abhängigkeit,

diese Möglichkeit des Mißlinges aus den verschiedensten Ursachen, das gemeinsame Schicksal aller

menschlichen Unternehmungen, welches un­

mittelbar mit dem Wesen und der Stellung des Menschen in der Welt verknüpft ist, soll beseitigt sein, sobald: „in jeder Stadt immer ein

ganzer

Produktionszweig

in

konzentriert ist" — so sagt uns L.

einer

einzigen

Assoziation

Dann mögen es also die Ge-

schästsinhaber so toll und verkehrt anfangen, wie sie wollen, die Produktion

verteuern, die Ware verschlechtern, das Kapital vergeuden, das Geschäft

prosperiert doch, lediglich weil es keine Konkurrenz hat. Und solche Dinge will uns L. durch die Anführung glaublich machen, „nur die Einzelnproduzenten liefen überhaupt eine Gefahr, nicht die Produktion

im ganzen, sie sei im stetigen Wachstum und Gewinn, wie das be­ ständige Zunehmen des in der Produktion angelegten Nationalkapitals Sieht er denn nicht ein, wie er damit gegen sich selbst deduziert? Von seinen Assoziationen, in welche er an jedem Orte alle Arbeiter eines und desselben Fachs je zu einem Geschäft vereinigt, bleibt doch eine jede ein Einzelunternehmen für besondere Rechnung seiner Mitglieder, wenn auch nicht ein einzelner, sondern eine Kompanie Geschäftsinhaber ist, keineswegs kann also eine solche Assoziation als Gesamtproduktion der Nation gelten, von welcher er seine Gründe abnimmt. Jede der­ selben ist ein spezielles produktives Unternehmen und nicht die Produktion überhaupt. Er selbst will ja jede dieser Assoziationen selbständig gedacht, nicht als Staatsindustrie aufgefaßt wissen. Sie sollen „frei und individuell" sein, wie er sich ausdrückt. Die Arbeiter sollen sich „durch freiwillige Assoziationen als ihre eignen Unternehmer organisieren" und so den Unternehmergewinn außer ihrem Lohn sich aneignen; der Staat soll ihnen nur die Mittel und Möglichkeit zu ihrer Selbstassoziation bieten, durch Beschaffung des dazu nötigen Kapitals.*) Demnach unterliegen diese Assoziationen den­ selben Gesetzen, wie alle anderen menschlichen Unternehmungen, indem beweise!-

die Zahl der Teilhaber an dieser Qualität nichts ändert. Und was da­ bei von dem steten Zunehmen des in der Produktion überhaupt an­ gelegten Nationalkapitals von L. gesagt wird, das akzeptteren wir

bestens.

Diese stetige Zunahme ist unter der Herrschaft der bisherigen

Jndustrieform und zwar am raschesten überall da erfolgt, wo der Selbst­ verantwortlichkeit und Freiheit, also der Konkurrenz, der weiteste Spiel­

raum gegeben wurde. Daß in dem auf das Gegenteil basierten System L.s an ein solches Wachstum nicht weiter zu denken wäre, ist ausgemacht. Aber noch mehr: Die Hauptvoraussetzung, aus welcher L. diese ganze fabelhafte Wirkung ableitet, trifft gar nicht einmal zu, die Konkurrenz wird auf dem Wege, den L. einschlägt, gar nicht einmal aufgehoben!

Wirklich, es ist eine Illusion, zu meinen, wenn ein Gewerbszweig in einem einzeln Orte, gleichviel ob in .den Händen einer Assoziation *) Offenes Antwortschreiben S. 22—24.

Schulze-Delitzsch.

196

oder eines Einzelunternehmers monopolisiert wird, daß nun die Konkurrenz für ein solches Geschäft aufhört.

Das hatte allenfalls im Mittelalter

einen Sinn bei dem schlechten Zustande, der Kostspieligkeit und Gefährlichkeit

der meisten Kommunikaüonswege und Transportmittel, wodurch das Be­

dürfnis in vielen Dingen auf die örtliche Produktion beschränkt war. Aber jetzt, im Zeitalter des Dampfes und der Eisenbahnen, bei der Sicherheit und Bequemlichkeit unserer Straßen, bei der Leichtigkeit und

Billigkeit des Transports ist an so etwas nicht zu denken und die Idee,

etwa jeden Ort mittelst Zollschranken von dem andern abzusperren und

soviel Zollsysteme in einem Lande zu errichten, als Städte darin sind, ist zu lächerlich, als daß davon die Rede sein könnte.

Liefert daher eine

solche Assoziaüon schlechte Ware, befriedigt sie nicht

den Begehr, oder

steigert sie die Preise willkürlich, so versorgen sich die Ortsbewohner so­

fort

durch die Assoziationen oder

Gegenden.

Einzelgeschäfte

anderer Orte

und

Die nur im Orte unterdrückte (lokale) Konkurrenz gestaltet

sich zu einer zwischen den Orten (einer interlokalen) und man kann sicher sein, daß das gegenseitige Interesse der Produzenten und Konsumenten

die geeigneten Verbindungen sich eröffnen und erhalten wird, um dem Bedürfnis Genüge zu tun.

Will daher L. auf seinem Wege die Konkurrenz

wirklich unterdrücken, so bleibt ihm nichts übrig, als dem Prodüktions-

monopol den Konsumtionszwang hinzuzufügen. Monopol einer jeden seiner Assoziationen, die

Das tatsächliche

in ihren Gewerbszweig

fallenden Artikel in ihrem Orte ausschließlich zu verfertigen, muß durch

die

entsprechende Zwangspflicht der Bezirksbewohner verstärkt werden,

ihre Bedürfnisse nirgends anders woher zu entnehmen, sonst hilft die erste

Maßregel zu nichts.

Und da langen wir denn glücklich wieder bei den

verrottetsten Einrichtungen früherer Jahrhunderte an, wie sie im Zeitalter der Bannrechte, der Zwangsmühlen und Zwangsbacköfen, des viel

berufenen Bierzwanges und bergt im Schwünge waren!

Es ist nicht anders, und dahin kommt jeder, der es, wie L., unter­ nimmt, mit derlei willkürlichen Eingriffen in die Staat und

Gesellschaft umzuformen.

natürliche Ordnung

Gesellschaftssysteme, welche der

menschlichen Natur widerstreben, den angeborenen Trieben und Anlagen

der Menschen widerstreiten, können nur mittelst des Zwanges durch­

geführt werden, wie wir noch heute bei allen Einrichtungen sehen, welche

auf derlei Verkehrsbeschränkungen hinauslaufen. fällt, sinken sie in nichts zusammen.

Sobald der Zwang weg­

Daher der gemeinsame Haß aller

solcher Gesellschastskünstler, der Zünftler so gut, wie der Sozialisten,

gegen die Konkurrenz, die Freiheit auf dem Erwerbsfelde, und mancher

stimmt in das Geschrei ein,

ohne zu bedenken, wie schwer man durch

Angriffe darauf das gesamte Wirtschaftsleben gefährdet.

Aller menschliche

Verkehr, die Möglichkeit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, beruht auf Arbeitsteilung und Tausch, darüber ist kein Streit.*)

Das un­

gehemmte Stattfinden dieser beiden wirtschaftlichen Haupt- und Grund­

vorgänge ist aber eben die freie Konkurrenz.

Wie sie einerseits die

Freiheit der Arbeit, die Gewerbefreiheit, das Recht eines jeden,

jeden beliebigen Berufszweig zu ergreifen, zu unternehmen und zu arbeiten,

was und wie er es für zuträglich erachtet, einschließt, sichert sie anderer­ seits die Freiheit des Tausches, die Handelsfreiheit, das Recht

eines jeden, seine Dienste und Arbeitserzeugnisse abzulassen an wen und

zu welchen Bedingungen er will, und

dagegen seinen Bedarf zu ent­

nehmen, von wem er will, je nachdem es ihm am besten paßt und zu­ sagt.

Nun ist sowohl in dieser, wie in jeder andern Beziehung die

Freiheit, die Möglichkeit des ungehemmten Gebrauchs der Kräfte, einzig

das Element aller Entwicklung, und einen Schutz

gegen diese Frecheit

gewähren, weil irgend jemand dabei nicht bestehen zu können meint, heißt: zugunsten eines solchen, der die

eigne Entwicklung aufgibt, die Ent­

wicklungsmöglichkeit für alle anderen beschränken.

Dies widerstreitet aber

dem allgemeinen Interesse, denn es bringt die Leistungsfähigkeit aller herunter, was auf die Ergiebigkeit der Gesamtarbeit in Herstellung des

Gesamtbedürfnisses nachteilig zurückwirken und die Verminderung, Ver­ schlechterung und Verteuerung der zur Versorgung aller erforderlichen

Arbeitsprodukte zur Folge haben müßte. Und diese Tendenz zu Zwangsmaßregeln, zur Aufhebung der Freiheit

und Selbstbestimmung der einzelnen zeigt sich bei L. überall, auch bei Einrichtung und Bildung seiner Assoziationen, die ebensowenig freie

wie individuelle sind, was er auch davon sagen mag. Ich habe bereits

früher ausgeführt,**) daß von geschäftlicher Selbständigkeit und Freiheit

der Bewegung denselben nicht viel übrigbleibt, wenn der Staat, wie L.

dies selbst nötig findet,***) „die Feststellung und Genehmigung ihrer Statuten und eine zur Sicherung seiner Interessen (als Garant des Geschäftskapitals) ausreichende Kontrolle bei der Geschäftsführung" übernimmt.

Und auch bei Bildung der Assoziationen tritt die freie Wahl

der einzelnen sehr zurück, indem L. nach obigem ja selbst hauptsächlich darauf rechnet, daß auch bei denjenigen Arbeitern, welche nicht Lust haben, *) Vgl. Arbeiterkatechismus S. 37 folgende und S. 68 folgende. **) Arbeiterkatechismus Seite 167. ♦**) Offenes Antwortschreiben Seite 28, Note.

Schulze-Delitzsch.

198

in die Assoziatton einzutreten, der Staat dem Assoziationstriebe nach­ helfen werde, indem er in jeder Stadt nur eine Assoziation in demselben

Gewerbszweige mit seinem Kredit unterstützen und dadurch jedes andere Etablissement von vornherein unmöglich machen würde. Also indirekter

Zwang statt des direkten, das ist die Freiheit Lassalles! Und was da­

bei interessant ist, das von L. zur ^Beseitigung der Konkurrenz auf diese

Weise angewendete Mittel ist selbst wieder die Konkurrenz, das Erdrücken des Privatkredits durch den Staatskredit, des Privatkapitals durch das unter Staatsgarantte beschaffte.

Freilich bleibt das kleine Bedenken da­

bei, daß das Geld zu der geforderten Staatsanleihe niemand anders her­ geben kann, als die Inhaber derselben Privatkapitalien, gegen welche es

als Kriegskasse zu dienen bestimmt ist. Weiter machen wir uns einmal zum Überfluß noch einen Teil der

Folgen klar, der Zustände, die eintreten müßten, wenn die beabsichttgte Aufhebung der Konkurrenz überhaupt möglich wäre und ins Werk gesetzt würde.

Was L. davon hofft, liegt auf der Hand:

die

Beschränkung der

Produktton auf ein einziges Geschäft in jedem Zweige derselben soll diesem die Preisbesttmmung, die sichere Abnahme seiner Waren in die

Hand geben, weil die Konsumenten nur bei diesem einen Geschäft sich

versorgen können und also kaufen müssen.

Deshalb kann denn ein

solches Unternehmen gar nicht mißglücken, mag es noch so verkehrt dabei zugehen, die Kunden sind ihm ja sicher, die müssen den Schaden zahlen

und noch so viel dazu, daß sich die Mitglieder der Assoziation sämtlich wohl befinden. Eine andere Wirkung kann diese Maßregel nicht im Auge

haben, sie wäre sonst geradezu sinnlos. Also: alles schlechter erhalten und teurer bezahlen müssen in diesen Assoziationswerkstätten ohne Kon­

kurrenz — eine schöne Aussicht für die Konsumenten, und wer anders

sind diese, als die Arbeiter sämtlicher übrigen Gewerbsbranchen?

Dies die erste Errungenschaft der neuen Welt — das hätte man den Leuten Vorhersagen sollen!

Und dagegen läßt sich auf keine andere Art

aufkommen, bleibt gar nichts anderes übrig,

als daß es alle, die Mit­

glieder jeder Assoziatton in deren spezieller Geschäftsbräuche, nun ebenso machen, möglichst geringe Arbeit zu möglichst teuerem Preise liefern, um

auf ihren Schaden zu kommen, die Kunden sind ihnen ja ebenfalls gewiß,

müssen ja ebenfalls bei ihnen kaufen, da ihnen das Monopol gleichmäßig zur Seite steht.

Die Konkurrenz, wie sie bisher unter den Geschäften

derselben Gattung bestand, als Wetteifer, es einander zuvorzutun an Güte und Mlligkeit der Produkte, den Sporn zur Einführung neuer zweck-

mäßiger Betriebsmethoden und Erfindungen zu diesem Zwecke, wäre man also auf solche Weise los, aber nur, um eine andere Konkurrenz, einen

anderen Wettstreit dafür einzutauschen: sich einander in den Arbeits­ leistungen zu unterbieten, in den Preisforderungen zu überbieten! Freilich nicht in einem und demselben Geschäftszweige, denn der gehört ja jedesmal einer einzigen Assoziation als ausschließliche Domäne, aber

in der Produktion im ganzen, indem vermöge der gedachten Einrichtung jedes dieser monopolisierten Geschäfte mit denen in allen übrigen Gewerbs­ branchen den Kampf aufnehmen und ein allgemeiner Wetteifer, durch möglichst geringe und möglichst teure Ware den möglichsten Gewinn für sich zu suchen, entstehen würde, ja entstehen müßte, um den anderen gegen­

über zu bestehen! Und da kommen wir zum Kern des ganzen Schwindels. Es ist eine Illusion, auf diese Weise das Einkommen, die Lage der

Arbeiter zu verbessern! Ja, wenn einer einzigen Geschäftsbranche die Ausschließlichkeit ihres Etablissements zustände, den anderen nicht, diese

anderen müßten vielmehr nach wie vor durch gute und billige Bedienung ihrer Kunden sich den Konkurrenten in ihrem Fache gegenüber halten, dann möchte für die eine begünstigte Klasse die Sache allenfalls gehen. Diese könnte dann die Preise ihrer Produkte in die Höhe treiben und dadurch gewinnen, insofern alle übrigen Waren, die sie wiederum von den anderen kaufen muß, ungefähr in dem alten Werte verblieben, sie also teurer verkaufen und billig ein kaufen könnte. Allein davon ist ja überall nicht die Rede. Nicht den Arbeitern in einem einzelnen Gewerbs­ zweige, sondern allen Arbeitern in allen nur erdenklichen Arbeitsfächern soll auf die angedeutete Weise geholfen werden, für jede Branche wird an jedem Orte eine einzige Assoziation gebildet, jede hat also die anderen bei einer solchen Preissteigerung in den Händen, jede beutet die andere in der angedeuteten Weise aus, weil sie von ihnen ausgebeutet wird. — Was und wem soll dies etwas helfen? Man mache sich doch ein für

allemal klar: die gleichmäßige Steigerung der Preise aller Waren ist so gut wie keine Preissteigerung. Sie nutzt keiner Klasse von

Produzenten, weil die größere Einnahme beim Verkauf ihrer Produkte durch die größere Ausgabe beim Einkauf ihrer Bedürfnisse aufgewogea wird. Nehmen wir an, die Preise würden durchschnittlich um 25 Prozent erhöht, die Arbeiter in der Assoziationsfabrik, die zugleich Geschäftsinhaber

und daher wesentlich bei dev Preisen für die fabrizierten Waren beteiligt sind, erhielten zusammen nun 25 Prozent mehr — was nützt ihnen das,

wenn sie ebensoviel mehr zum Leben und in ihrer Wirtschaft brauchen? Jeder nimmt vielleicht statt 300 Taler jährlich 400 Taler ein, erhält

Schulze-Delitzsch.

200

aber für 400 Taler nicht das mindeste mehr bei Beschaffung seiner Be­

dürfnisse, wie früher für 300 Taler.

Vorteile hat er von der ganzen

Einrichtung sicher nicht, im Gegenteil Schaden, denn die Ware ist mit der Preissteigerung, wie wir sahen, zugleich schlechter geworden.

Weiter fasse man einmal die Personenfrage rücksichtlich der Mit­ glieder dieser Assoziationen von einer anderen Seite ins Auge, als wir

dies beiläufig rücksichtlich der Freiheit des Eintritts schon im Vorstehenden getan haben.

Natürlich muß,

wenn an jedem Orte nur eine einzige

Assoziation in jedem Arbeitszweige ist und diese ihr Kapital durch Staats­ garantie erhält, jedem Arbeiter der Beitritt offen stehen und der Staat

selbst darauf halten, wie L. dies ja ausdrücklich fordert.

Jeder Arbeiter

eines jeden Faches wird aber durch seinen Eintritt in die Assoziation

zugleich Mitinhaber des Geschäfts, hat eine Stimme bei Ordnung der

Angelegenheiten

desselben,

ohne

daß

nach

Solidität, geschäftlichen und sittlichen Tüchtigkeit wird.

Natürlich

seiner

Geschicklichkeit,

im mindesten gefragt

werden sich die verkommensten Elemente

unter den

Arbeitern, die infolge ihres Treibens und ihrer Unfähigkeit sich unter der Herrschaft der Konkurrenz in der übelsten Lage befinden, am meisten

zudrängen, sie können ja gar nicht besser tun.

Was soll dies für eine

Rückwirkung auf die Geschäftseinrichtung und Verwaltung ausüben? — Bei der auf Selbsthilfe gegründeten Assoziation ist dies anders; da ist

man nicht gezwungen, Mitglieder aufzunehmen, welche nicht solche geschäft­

lichen und sittlichen Garantien bieten, daß eine Verbindung mit ihnen, insbesondere ihr Eintritt in die Gesamthaft, das Einstehen aller für einen

und eines für alle in Assoziationssachen überhaupt geraten

erscheint.

Den Faulen und Ungeschickten, den Liederlichen und Verschwender hält man sich da einfach vom Halse.

Ohnehin können solche Subjekte schon

der Hauptbedingung, an welche die Mitgliedschaft mit Notwendigkeit ge­

knüpft ist, nicht genügen: fortlaufend kleine Ersparnisse in die gemein­ schaftliche Kasse einzuwerfen. Und da überdem die Assoziation sich durch ihre Gesamthaltung wie durch die Haltung ihrer Mitglieder überhaupt

Kredit, d. h. Vertrauen erwerben, sich kreditwürdig zeigen muß, so bleibt ihr in der Tat nichts anderes übrig, als die strengsten Forderungen an sich selbst und an ihre Mitglieder in dieser Beziehung zu stellen.

Das haben die Mitglieder der vom Staat garantierten Assoziationen, denen der Kredit ohne ihr Zutun und ihre Würdigkeit gewährt wird, freilich nicht nötig.

Aber wie es mit Erfahrung, Kenntnissen, Geschicklich­

keit, Zuverlässigkeit und allen solchen Dingen geht, daß sie eben erworben werden müssen, daß man sie sich nicht schenken lassen kann, so ist tausend

gegen eins zu wetten: daß solcher geschenkter Kredit, der einem zu--

fließt, man mag wirtschaften und seine Geschäfte treiben wie man will,

den Leuten nichts nützt, weil sie ihn höchstwahrscheinlich mißbrauchen werden.

Schieben sie sich obenein noch, wie es im Plane liegt, das

Risiko, das dem Staate als Garanten verbleibt, und damit das Gegen­

gewicht gegen schwindelhafte und

leichtsinnige Geschäftsoperattonen und

Spekulattonen vom Halse, so verliert ein solches Unternehmen auch den letzten Halt und sieht dem unausbleiblichen Ruin entgegen.

Zum Schluß dieses Abschnittes noch einige Motte zur Enthüllung unseres Wundertäters,

dem übrigens jeder,

der mit den sozialisttschen

Systemen einigermaßen bekannt ist, leicht auf die Spur kommen wird. Das ganze Gemisch von Albernheit und Überklugheit, Hinwegsetzen

über alle Schranken des Möglichen und maßloser Überhebung, worauf

der angebliche Organisattonsplan L.s hinausläuft, der die Eigentümlichkeit

besitzt, daß niemals irgend jemand irgend etwas Lebensfähiges danach organisieren kann, ist einfach weiter nichts, als ein im Haschen nach Originalität gänzlich verfehlter Abklatsch des Systems von Louis Blanc,

wie dieser es in seinem bekannten Werke l’Organisation du travail zuerst aufstellte und später bei den Verhandlungen der von der provisottschen

Regierung 1848 gleich nach der Februarrevolutton in Frankreich zur Regulierung der Arbeiterfrage eingesetzten KommissiondesLuxembourg,

deren Präsident er war, weiter verfolgte.*)

Um den Kampf der Privatinteressen zu beseittgen, in welchem er

den

Grund

aller sozialen

Mißstände erblickt,

und um diese wider-

streitenden Privatinteressen in ein einziges Gesamtinteresse zu verschmelzen, will Louis Blanc die Konkurrenz, die er sehr ttchttg als die Privat­ industrie im allgemeinen auffaßt, aufgehoben wissen durch den Staat,

der alle industriellen Etablissements akquittert und sie an die von ihm

organisierten Arbeiterassoziationen mit gleichen Rechten der Mitglieder überläßt,

welche

er

überwacht

und

leitet.

Namentlich

besttmmt

der

Staat: *) Siehe Bastiat-Schulze Seite 232. Wenn ich im Arbeiterkatechismus Seite 97 als Versuche einer Staatsindustrie anfühtte: „Die Vorschläge von L. Blanc und die Nationalwerkstätten von 48 in Frankreich", so ist das voll­ kommen so gemeint, wie es dasteht, d. h. beide Dinge sind als zwei Beispiele nebeneinandergestellt und von Herrn Blanc eben nur Vorschläge, welche nie realisiert wurden (in der Kommission des Luxembourg), behauptet, keineswegs die wirklich exekutierten Nationalwerkstätten auf seine Rechnung gesetzt, da er nur als Mitglied der provisorischen Regierung für die letzteren eine allgemeine Mitverantwortlichkeit hat.

Schulze-Delitzsch.

202

1. Arbeitszeit und Arbeitslohn der Mitglieder;

2. den Preis der Waren und Produkte;

3. die Verteilung des Gewinns, indem davon: 1!i zur Amortisation des Ankaufspreises der Etablissements der Werkstätten, Maschinen und dergleichen,

V* für invalide und kranke Arbeiter,

1li zur Bildung einer Reserve und */4 als Dividende für die Arbeiter verwendet werden sollen; 4. endlich soll eine unbedingte Solidarität unter allen Industriezweigen

und

deren

Etablissements hergestellt

und

so die Existenz aller

Arbeiter garantiert werden.

Jedermann sieht auf den ersten Blick, daß dies etwas ganz anderes ist, als die Karrikatur, welche Lassalle daraus gemacht hat.

Freilich gilt

von der Auflösung sämtlicher industrieller Privatetablissements auf diesem Wege dasselbe, was wir von der Unmöglichkeit und Verwerflichkeit der

Staatsindustrie, mit ihrer Ertötung der wirksamsten Impulse der mensch­ lichen Natur zu Tüchtigkeit in Produktion und Haushalt, mit ihrer Ver­

legung der wirtschaftlichen Initiative aus dem einzelnen in die Gesamt­

heit, an geeigneter Stelle gesagt haben.*)

Allein Louis Blanc hat doch

die Voraussetzungen, unter welchen seine Pläne allein realisierbar sein

würden, erkannt und ausgesprochen und wenn wir auch diese Voraus­ setzungen selbst für unmöglich und verwerflich und somit das ganze System für ein Hirngespinst halten,

so

müssen

wir doch

die logische Folge­

richtigkeit anerkennen, mit welcher er sämtliche Konsequenzen daraus ab­ leitet.

Daß er an der Spitze einer Regierung zur praktischen Ausführung

seiner Pläne mit berufen, mit der Macht, über die Staatsmittel zu diesem Zwecke zu verfügen, in eine Situation geriet, wo jedes solches Projekt

notwendig scheitern muß

das steht auf einem anderen Blatte.

Aber

davon abgesehen, wenn der Staat es wirklich ermöglichte, die ganze Privat­ industrie

zu

expropriieren

und

assoziationen zu übergeben, so

ihre

Etablissements

seinen

Arbeiter­

möchte füglich von den weiteren Ein­

richtungen die Rede sein, welche L. Blanc daran knüpft.

Denn da der

Staat selbst Herr der Etablissements wird, die Assoziationen gründet und leitet, da sich demnach die sämtlichen Jndustrieetablissements in seinen Händen zu einer einheitlichen Staatsindustrie konzentrieren, so wird im Staatsgebiete wenigstens die Konkurrenz unterdrückt und gegen das *) Arbeiterkatechismus Seite 97 folgende, Seite 173.

Ausland kann durch Schutz- oder Probihitivzölle das Geeignete festgestellt werden.

Selbst das Risiko fällt, allerdings nicht an sich, wohl aber

für die einzelnen insofern fort, als dieselben gar nicht als Unternehmer auftreten, als man die davon betroffenen Etablissements und die darin beschäftigten Arbeiter gegen die Folgen schlechter Geschäfte durch Über­

tragung

der

Ausfälle

auf

sämtliche

industrielle Etablissements

aller

Gattungen im ganzen Lande schützt, den Verlust unter sämtliche Staats­

angehörigen verteilt, das Risiko mit einem Worte von den Schultern der einzelnen auf die der Gesamtheit wälzt. Und das mit Fug und Recht, weil

diese Gesamtheit, der soziale Staat, eben die Rolle des allgemeinen Unternehmers übernommen, die ganze Industrie zu seiner Domäne gemacht hat und über den Gewinn im allgemeinen Interesse verfügt. Daß von allen diesen Folgen, von der Ertötung der Konkurrenz, der Übertragung

des Risiko — von dessen Aufhebung noch gar nicht zu reden —> bei den freien und individuellen Arbeiterassoziationen L.s nicht die Rede sein kann, haben wir bereits gesehen.

L. will*) keine Assoziation

der Arbeit durch den Staat, sondern nur dessen Kreditoperation, um

die

von

den

Arbeitern

möglich zu machen.

des Leiters und

ausgehenden

freiwilligen

Assoziationen

Er gesteht dem Staate daher keineswegs die Stellung

Unternehmers zu, sondern nur eine Kontrolle, und

gleichwohl legt er ihm durch das Ansinnen des unter seiner Garantie zu gewährenden Kredits das Risiko auf ohne jedes Äquivalent, da der Geschäftsgewinn

bleibt.

den

Mitgliedern

seiner

Assoziationen

zur Verfügung

Daß dies im sozialen Staate Louis Blancs, bei der Gegen­

seitigkeit und

unbedingten

Solidarität

der in der Hand des

Staates vereinigten Industrie etwas ganz anderes ist, springt in die Augen.

Aber wie man die von den Arbeitern selbst gegründeten und

geleiteten Lassalleschen Assoziationen, welche nicht unter einer gemeinsamen Oberleitung stehen, in jene unbedingte Solidarität zusammenzwängen will, vermöge deren jede derselben für die Geschäftsoperationen der anderen

mithaftet, auf welche ihr nicht der geringste Einfluß zusteht, um verkehrtem Treiben entgegentreten zu können, und von denen sie nicht den geringsten Nutzen hat, bleibt unerfindlich. Ist sonach die Aufhebung der Kon­ kurrenz innerhalb des Staatsgebiets und die Übertragung des Risikos durch den Staat nur bei durchgeführter Erwerbsgemeinschaft mittels der Staatsindustrie nach L. Blancschem System denkbar — wo bleibt

L. nun gar mit der völligen Beseitigung des Risikos bei seinen freien

♦) Bastiat-Schulze S. 258. — Siehe ferner oben S. 185.

Schulze-Delitzsch.

204

und individuellen Assoziationen! An eine solche Albernheit hat L. Blanc

nie gedacht, vielmehr eben im Bewußtsein des auf den Schultern der Gesamtheit verbleibenden Risikos, Sorge für die Bildung einer Reserve getragen und zu diesem Zwecke von Staatswegen über einen Teil des

Gewinns verfügt,

ja

überdem noch

einen

anderen

Gewinnanteil zur

Amortisation des in den Assoziationen angelegten Staatskapitals bestimmt, um den Staat allmählich aus diesen Unternehmungen herauszuziehen. Was geschieht, wenn diese Amortisation vollendet ist, in welcher Weise die Assoziationen dann der freien Verfügung der Arbeiter anheimfallen

und inwieweit dies darauf hinausliefe, die Privatindustrie auf einem Umwege wieder einzuführen, haben wir hier nicht zu untersuchen.

Ich glaube, daß die Leser an diesen Proben von der Heilslehre

Lassalles genug haben und will sie nicht weiter damit ermüden.

Man

sagt wohl sonst von einem großen Geiste, der seinen Zeitgenossen weit

voran ist, daß sie seine Leistungen nicht zu würdigen wissen:

er sei zu früh in die Welt gekommen, die Zeit sei für seine Ideen noch nicht reif. Bei L. verhält es sich umgekehrt. Er ist zu spät in die Welt gekommen, viel zu spät, und nur diesem Geburtsfehler wird es zugeschrieben werden

müssen, wenn die Menschheit nie für seine Ideen reif wird.

Er hätte,

wie wir gezeigt haben, gleich bei der Schöpfung mit tätig sein müssen,

um Menschen und Welt für diese seine Ideen von Haus aus zuzustutzen. Das ist nicht geschehen und so ist die ganze Geschichte verpfuscht!

Die

projektierte Gesellschaft ohne wirtschaftliche Zurechnungsfähigkeit ihrer Glieder bleibt, wie die Welt nun einmal ist, eine Gesellschaft

ohne die Möglichkeit gesellschaftlicher Beziehungen, ein Unding.

Und wenn von Zeit zu Zeit einzelne bevorzugte Naturen, die mit der

Selbstverantwortlichkeit gebrochen haben und vollständig reif für die neue Weltordnung sind, die Sache in die Hand zu nehmen versuchen, so ge­

raten sie regelmäßig mit der kleinlichen und philiströsen Anschauungsweise des Bürgertums in Konflikt, welches sich von der Grundlage unseres

gegenwärtigen Rechts- und Wirtschaftslebens, dem Privateigentum und der individuellen Freiheit nicht loszumachen vermag.

Das ist eben

die schreckliche Befangenheit dieser Bürger, daß sie durchaus nicht einsehen,

wie sie dazu kommen, die Kosten für die Lassalleschen Versuche aus den gemeinen Staatsmitteln übertragen zu lassen, und daß sie ebensowenig aus der Losung: „Nieder mit dem Kapital!",

Schriften und Versammlungen der

welche täglich

Anhänger Lassalles

erschallt,

aus ein

Moment entnehmen, welches ihnen besondere Lust zur Vorstreckung ihrer

Kapitalien an deren Assoziaüonen einflößte.

Nicht einmal die in Aus­

sicht gestellte Staatsgarantie vermag sie dazu zu bewegen, weil sie in ihrem beschränkten Fanatismus für das Einmaleins einen Staat, der sich

zu derlei Operationen hergeben würde, von Haus aus für bankerott

halten.

VI. Nachtrag. Obschon das gegenwärtige Schriftchen seinem Zwecke nach mit den vorstehenden drei Abschnitten schließt, kann ich doch nicht umhin, nach­ träglich zweier Vorkommnisse zu gedenken, welche während der Abfassung desselben eintraten, und von denen das eine von praktischer, das andere von theoretischer Seite die Richtigkeit der darin vertretenen Grundsätze und Bestrebungen in schlagender Weise bestätigt. In ersterer Beziehung ist es der in meinem regelmäßig erscheinenden Jahresbericht für 1864*) statistisch nachgewiesene außerordentliche Fortschritt der auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Genossen­ schaften des kleinen und mittleren Gewerbestandes, namentlich der Hand­ werker und Arbeiter. Während in den Listen des Berichts bereits 890 Vorschuß- und Kreditvereine — Volksbanken, 183 Assoziationen in einzelnen Gewerken, darunter 28 Produktiv­ genossenschaften, 97 Konsumvereine

1170 Vereine im ganzen namentlich nachgewiesen werden konnten, beträgt ihre Zahl gegenwärtig sicher gegen 1300, die der Mitglieder ungefähr 300000. Der Gesamtverkehr an gemachten Geschäften derselben überstieg im Jahre 1864 sicher 60 Millionen Taler, während der Umsatz, d. h. die Summe der Einnahme und Ausgabe, weit über

das Doppelte hinausstteg. Der Gesamtfonds, womit sie diese Geschäfte machten, also ihr Betriebskapital, mußte im ganzen auf 20 bis 21 Millionen Taler geschätzt werden, wovon etwa 41/, Millionen ihnen, beziehentlich ihren Mitgliedern eigentümlich, durch Ansammeln von regelmäßigen geringen Monats- oder Wocheneinlagen und Gewinnzuschreibungen ge­ hörten, welche als Geschäftsanteile und Reserve gelten, während

etwa 16 Millionen Taler fremde Gelder, in Form von Darlehnen oder Spareinlagen ihnen anvertraut wurden. Für alle diese Summen ist der Anhalt in den im erwähnten Jahresbericht mitgeteilten speziellen Rechnungs­ abschlüssen von 518 Vereinen enthalten und ich führe daraus nur die *) Jahresbericht für 1864 über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften. Leipzig 1865 bei G. Mayer.

Schulze-Delitzsch.

206

Resultate eines Teiles der Vorschuß- und Kreditvereine — etwa der

Hälfte — in

dem

genannten

Jahre an,

wonach 455

derselben mit

135013 Mitgliedern Vorschüsse im Belauf von 48147495 Taler an ihre Mitglieder gegeben, 3252757 Taler eignes Kapital in Reserven und

Geschäftsanteilen

der Mitglieder angesammelt

fremde Gelder geliehen erhalten hatten.

und

12756582

Taler

Der Geschäftsgewinn betrug

bei denselben zusammen 256482 Taler, wovon 71471 Taler zu den Reserven geschlagen, 173350 Taler den Mitgliedern als Dividende auf

ihre Geschäftsanteile gewährt und meist den letzteren zugeschrieben wurden. Eine kurze vergleichende Übersicht, die der Jahresbericht enthält,

macht die Fortschritte in den letzten Jahren besonders bemerklich, weshalb wir sie hier beidrucken.

Freilich sind alle diese Resultate nur gering, wenn man sie mit dem

Gesamtbedürfnis, mit der Gesamtausgabe: der Hebung der Lage der arbeitenden Klassen im allgemeinen vergleicht.

Aber dafür ist die

Sache auch neu, die ganze Genossenschaftsbewegung noch sehr jung und

die Beteiligung der Handwerker und Arbeiter fängt erst neuerlich an, sich ihr energischer zuzuwenden. Soviel aber beweisen diese sehr beachtens­

werten Anfänge, daß die Sache auf dem Wege der Selbsthilfe möglich

ist und daß die arbeitenden Klassen weder wirtschaftlich noch sittlich

soweit verkommen sind, daß sie sich nicht selbst helfen können, wie ihnen von L. nachgesagt wird.

Vielmehr ist mit unseren Handwerkern

und Arbeitern recht viel durchzusetzen, wenn man es nur richtig anfängt. Über 4 Millionen Kapital von einem verhältnismäßig kleinen Teil in

den ersten Anfängen,

die bekanntlich immer die schwersten sind, bereits

erspart und gewonnen, und ein barer Kredit (außer dem Warenkredit)

von 16 Millionen erworben — der beste Beweis, in welchem Grade sich

das Vertrauen des Publikums der Organisation der Selbsthilfe in unseren Vereinen zuwendet.

Das ist etwas!

Freilich gegen L.s Forderung, die

wir auf einige Tausend Millionen veranschlagen müssen — denn die würden kaum reichen, die Privatindustrie nur in Preußen in die

Hände seiner Assoziationen zu bringen, — noch herzlich wenig. Aber L.

will das alles erst und zwar von anderen unter Garantie des Staats erlangen — wir aber haben unsere Fonds bereits und vermehren sie

täglich durch uns selbst und verlassen uns dabei nicht auf fremden guten Willen.

Das ist ein gewaltiger Unterschied! Ich fühle wahrhaftig keinen

Beruf zu der Rolle eines Propheten und Wundermannes, ein Fach, welches

ich L. und seinen Nachfolgern überlasfe. Aber das ist gewiß: bis daß die

Anhänger L.s den Staat in die Gewalt bekommen und durch Staatskredit

207

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

7.

Auf Kredit entnommene Gelder

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208

Schulze-Delitzsch.

sich ihre Millionen verschaffen, möchte es etwas lange dauern.

Ja, ich be­

haupte kühn: ehe sie eine einzige Million auf Staatsgarantie geliehen

erhalten, haben wir in unseren Assoziationen gut und gern 100 Millionen eigene Gelder angesammelt und einen Kredit von zehnfachem Betrage.

Ist uns doch schon jetzt durch das Netz von Vereinen, welches sich über das ganze deutsche Vaterland erstreckt eine Stellung auf dem Geldmärkte gesichert. Die Volksbanken insbesondere, welche als Geld-und Kredit­ institute in der Kapitalbeschaffung die unerläßliche Grundlage zur weiteren Entwicklung des gesamten Genossenschaftswesens legen, gehen hier allen voran. Hauptsächlich durch ihre Beteiligung war es möglich, einen organischen Verband der Vereine, dessen Geschäfte der Verfasser als Anwalt der deutschen Genossenschaften bisher geführt hat, und ein Zentralgeldinstitut, die Deutsche Genossenschaftsbank in Berlin*), ins Leben zu rufen, welch letztere insbesondere die Aufgabe verfolgt, unseren Vereinen die Vorteile und Verbindungen des Großbankverkehrs zu eröffnen.**) Schon macht sich das erwachte rege Leben auch auf den übrigen Gebieten des Genossenschaftswesens geltend. Außer den Rohstoff- und Magazinvereinen vermehren sich namentlich die Konsumvereine in

Städten und Distnkten von zahlreicher Arbeiterbevölkerung und gewinnen täglich an Bedeutung. Ja, auch die Produktivassoziationen, die Vereinigungen von Handwerkern und Arbeitern zum gemeinschaftlichen *) Man vergleiche Jahresbericht pro 1864, S. 2—4.

**) Bei dieser Gelegenheit erwähne ich die ergötzliche Geschichte, die L. in seinem Buche (Bastiat-Schulze S. 213) nach einer angeblichen Äußerung von mir

vorbringt: „ich selbst habe, um Produktivasioziationen zu gründen, 100000 Taler von den besitzenden Klassen aufgebracht, also mein Prinzip der Selbsthilfe selbst als unausführbar aufgegeben". An etwas Derartiges hat kein Mensch gedacht. Vielmehr handelte es sich um die Vorbereitung zur Gründung des eben gedachten Geldinstituts und ich konnte den Arbeitern schon damals mitteilen, daß die Genossenschastsbewegung ein solches Vertrauen genösse, daß die Kapitalisten selbst gern sich bei einer zur Förderung des Genossenschaftsverkehrs begründeten Bank beteiligen würden, weil sie es für ein gutes Geschäft hielten. Und so ist es gekommen. Während das Bankkapital an 270000 Taler zu 3/< von den Genossenschaften und deren Mit­ gliedern selbst aufgebracht wurde, war es leicht, weit mehr als das übrige auf dem Kapitalmarkt unterzubringen. Dies die Frucht des Vertrauens auf die in unseren Vereinen organisierte Selbsthilfe, welches sicher nicht getäuscht werden wird, so daß die Aktien der erwähnten Bank, deren Verzinsung und Dividende gesichert sind, als eine gute Geldanlage im geschäftlichen Sinne gelten und kein Mensch sie als eine Unterstützung betrachten wird.

Geschäftsbetrieb im großen, die schwerste und höchste Form der Genossen­ schaft, beginnen in hoffnungsvollen Anfängen aufzutreten und finden bei

unseren

Kreditinstituten,

Förderung.

soweit

irgend

tunlich,

jede

wünschenswerte

Gewiß greifen dieselben, indem sie die Arbeiter zugleich zu

ihren eigenen Arbeitgebern machen, am nächsten und unmittelbarsten bei Lösung der sozialen Frage ein und müssen daher als das letzte Ziel der Bewegung ins Auge gefaßt werden.

Daß und welche Vorbedingungen

zu ihrer Errichtung notwendig sind, um das Gelingen zu sichern, ist des­ halb unter Zugrundelegung aller Erfahrungen Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen*), und die besonnene Haltung unserer Arbeiterkreise

hat im ganzen die Richtung innegehalten, welche für die teils schon ins Leben gerufenen, teils in der Vorbereitung begriffenen Schöpfungen das beste hoffen läßt.

Dem Verfasser wurde die Freude, bei der Gründung

der meisten mit Rat und Tat zu helfen, und er lebt der Hoffnung, daß,

wo die von ihm empfohlenen Grundsätze dabei leitend gewesen sind, sich

diese Vereine schon in den nächsten Jahren erproben und ihre Mitglieder die Früchte der vielfachen Entbehrungen und Anstrengungen, welche mit

den Anfängen unausbleiblich verbunden sind, ernten werden.

Ist aber

erst mit einer Anzahl vollkommen durchgeführter und dauernd erprobter

Assoziationen dieser Art die Bahn gebrochen, so wird es an der Nachfolge nirgends fehlen und damit für die Produktion

überhaupt, insbesondere

aber für die Stellung der Arbeiter dabei eine neue Periode anbrechen.

Die theoretische Bestätigung der volkswirtschaftlichen Grundsätze

des Verfassers, deren gedacht wurde, ist in dem Werke des ersten der jetzt

lebenden Forscher, des berühmten Amerikaners Carey: „Die Grundlagen der Sozialwissenschaft" enthalten, welches 1860 vollendet, im vorigen Jahre durch die Über­ tragung des Dr. Adler, München 1863 bis 1864 (E. A. Fleischmannsche

Buchhandlung) dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wurde, auf welches wir nicht unterlassen mögen, bei dieser Gelegenheit als auf eine der bedeutendsten Erscheinungen dieses Gebietes aufmerksam zu machen. Das Falsche und Verwerfliche der Lehren der neueren englischen volks­

wirtschaftlichen Schule, insbesondere der Theorien des Ricardo und Malthus, auf welche L. seine Hauptsätze stützt, ist hier schlagend nach­ gewiesen und es ist merkwürdig, daß der mit der ganzen Bildung des

Jahrhunderts bewaffnete L. die früheren Werke des Mannes, worin *) Arbeiterkatechismus S. 149,151 u. folgende, und mein Flugblatt: Die Borschußvereine und die Produktivgenoffenschasten. Berlin bei Franz Duncker. 1865. (8b. I S. 819 dsS. Sammelwerks.) Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. II. 14

Schulze-Delitzsch.

210

dessen wahrhaft epochemachenden Entdeckungen auf national-ökonomischem Gebiete seit länger als zwei Jahrzehnten gekannt hat.

einzeln auftreten, gar nicht

Das letzterschienene Careysche Werk faßt die Aufgabe in

einer Größe und Tiefe, an welche vor ihm nicht gedacht wurde.

Die

Nationalökonomie erscheint darin als Teil der Sozialwissenschaft, d. h. der Wissenschaft vom Menschen als Gesellschaftswesen

überhaupt,

welche es mit allen seinen von der letzteren Eigenschaft niemals trenn­

baren Lebensbeziehungen zu tun hat,

und

daher alle anderen Wissen­

schaften umfaßt, mittels deren der Mensch zum Bewußtsein der Gesetze seines eigenen Wesens und der ihn umgebenden Natur gelangt, namentlich

die letztere zu beherrschen und seinen Daseinszwecken dienstbar zu machen

in den Stand gesetzt wird.

Indem Carey davon ausgeht, die Identität,

das Zusammenfallen der physischen und sozialen Gesetze nachzuweisen, führt er die sozialen Erscheinungen überall auf die großen Naturgesetze

zurück, die in ihrer Einfachheit und Allgemeinheit die Bewegung des

Stoffes ebenso regeln, als wie den Kulturfortschritt der Menschheit.

Und

demgemäß zeigt er uns auch, daß, wie die Gesetzlichkeit der Natur in der

vollkommenen Harmonie der Weltordnung ihren Abschluß findet, die

Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse

unseres Geschlechts

dem

Ziele steter Vervollkommnung vermöge derselben ewigen Gesetze entgegen»

schreitet.

Als Mittel, diese Ziele zu erreichen, gelten ihm:

1. die höchste individuelle Ausbildung der einzelnen zugleich als Bedingung der höchsten gesellschaftlichen Entwicklung

und 2. als das notwendige Element hierzu die größte Freiheit, Hand

in Hand mit der größten Verantwortlichkeit für deren Gebrauch.

Von den Lehren des Ricardo und Malthus aber, welche die Natur bei Schaffung des Menschen und Regelung seiner Bedürfnisse als im

Widerspruch mit sich selbst darstellen und aller Vernunft und Erfahrung entgegen den Rückschritt der Zivilisation, die allmähliche Verschlechterung aller menschlichen Zustände in Aussicht stellen, weist er nach:*)

„daß sie die unvermeidliche Folge haben, den Arbeiter schließlich zum Sklaven zu machen!"

Und solche Lehren sind es, von denen Lassalle bei seinen Vorschlägen,

wie den Arbeitern geholfen werden soll, ausgeht. *) Carey Sozialwissenschaft Th. I, cap. 19, §§ 6, 7. Die einzige Ab­ weichung CareyS ist, daß er, mit besondrer Rücksicht auf die amerikanischen Verhältniffe, Schutzzölle zur Entwicklung der heimischen Industrie als Durchgangs­ punkt zum Freihandel für nötig hält.

Reden und Aufsätze zur Arbeiterbewegung.

211

VII. Tischrede auf die Arbeiter bei dem Deutschen Abgeordueteu» tag (Fraukfurt