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German Pages 400 Year 1980
H E I N E S WERKE SÄKULARAUS GABE • B A N D 9
HEINRICH
HEINE SÄKULARAUSGABE
WERKE • BRIEFWECHSEL LEBENSZEUGNISSE
Herausgegeben von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifiqüe in Paris
HEINRICH
HEINE BAND 9
PROSA 1836—1840
Bearbeiter Fritz Mende
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN E D I T I O N S D U CNRS • PARIS 1
979
Die Ausgabe stützt sich auf die Bestände der B I B L I O T H È Q U E N A T I O N A L E • PARIS (Cabinet des Manuscrits), des HEINRICH-HEINE-INSTITUTS • DÜSSELDORF und der NATIONALEN FORSCHUNGS- UND GEDENKSTÄTTEN DER K L A S S I S C H E N D E U T S C H E N LITERATUR IN WEIMAR (Goethe- und Schiller-Archiv)
Redaktor dieses Bandes Christa Stöcker
Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - i 08 Berlin, Leipziger Str. 3 — 4 L e k t o r : Eberhard K e r k o w © A k a d e m i e - V e r l a g Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/164/79 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „ M a x i m G o r k i " , 74 Altenburg Bestellnummer: 753 2 8 6 4 (3057/9) • L S V 7100 Printed in G D R
INHALT
Florentinische Nächte Der Rabbi von Bacherach Elementargeister Einleitung zum „ D o n Quixote" Shakspeares Mädchen und Frauen Tragödien Cfessida - Cassandra - Helena - Virgilia - Portia - Cleopatra - Lavinia - Constanze - Lady Percy - Prinzessin Catharina - Johanna d'Arc - Margaretha Königin Margaretha - Lady Gray - Lady Anna - Königin Catharina - Anna Boleyn - Lady Macbeth - Ophelia - Cordelia - Julie - Desdemona - Jessika - Portia Comödien Miranda - Titania - Perdita - Imogen - Julie - Silvia - Hero - Beatrice - Helena - Celia - Rosalinde - Olivia - Viola - Maria - Isabella - Prinzessin von Frankreich - Die Äbtissin - Frau Page - Frau Ford - Anna Page - Catharina Ueber den Denunzianten Der Schwabenspiegel Heinrich Heine über Ludwig Börne Erstes Buch Zweites Buch Drittes Buch Viertes Buch Fünftes Buch
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ANHANG Frühe Versuche zur Auseinandersetzung mit Börne a b Aufsatzentwürfe Aufsatz gegen Gutzkow Vorrede zu einer Gesamtausgabe
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FLORENTINIS CHE NÄCHTE.
i. Im Vorzimmer fand Maximilian den Arzt, wie er eben seine schwarzen Handschuhe anzog. Ich bin sehr pressirt, rief ihm dieser hastig entgegen. Signora Maria hat den ganzen Tag nicht geschlafen, und nur in diesem Augenblick ist sie ein wenig eingeschlummert. Ich brauche Ihnen nicht zu empfehlen, sie durch kein Geräusch zu wecken; und wenn sie erwacht, darf sie bey Leibe nicht reden. Sie muß ruhig liegen, darf sich nicht rühren, nicht im mindesten regen, darf nicht reden, und nur geistige Bewegung ist ihr heilsam. Bitte, erzählen Sie ihr wieder allerley närrische Geschichten so daß sie ruhig zuhören muß. Seyen Sie unbesorgt, Doktor, erwiederte Maximilian mit einem wehmüthigen Lächeln. Ich habe mich schon ganz zum Schwätzer ausgebildet und lasse sie nicht zu Worte kommen. Und ich will ihr schon genug phantastisches Zeug erzählen, so viel Sie nur begehren . . . Aber wie lange wird sie noch leben können ? Ich bin sehr pressirt, antwortete der Arzt und entwischte. Die schwarze Debora, feinöhrig wie sie ist, hatte schon am Tritte den Ankommenden erkannt, und öffnete ihm leise die Thüre. Auf seinen Wink verließ sie eben so leise das Gemach, und Maximilian befand sich allein bey seiner Freundinn. Nur dämmernd war das Zimmer von einer einzigen Lampe erhellt. Diese warf, dann und wann, halb furchtsame halb neugierige Lichter über das Antlitz der kranken Frau, welche, ganz angekleidet, in weißem Musselin, auf einem grünseidnen Sopha hingestreckt lag und ruhig schlief. Schweigend, mit verschränkten Armen, stand Maximilian einige Zeit vor der Schlafenden und betrachtete die schönen Glieder, die das leichte Gewand mehr offenbarte als verhüllte, und jedesmal wenn die Lampe einen Lichtstreif über das blasse Antlitz warf, erbebte sein Herz. Um Gott! sprach er leise vor sich hin, was ist das? Welche Erinnerung wird in mir wach? Ja, jetzt weiß ichs. Dieses weiße Bild auf dem grünen Grunde, ja, j e t z t . . . In diesem Augenblick erwachte die Kranke, und wie aus der Tiefe eines Traumes hervorschauend, blickten auf den Freund die sanften, dunkelblauen
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Augen, fragend, bittend . . . An was dachten Sie eben, Maximilian? sprach sie mit jener schauerlich weichen Stimme, wie sie bey Lungenkranken gefunden wird, und worin wir zugleich das Lallen eines Kindes, das Zwitschern eines Vogels und das Geröchel eines Sterbenden zu vernehmen glauben. An was 5 dachten Sie eben, Maximilian? wiederholte sie nochmals und erhob sich so hastig in die Höhe, daß die langen Locken, wie aufgeschreckte Goldschlangen, ihr Haupt umringelten. Um Gott! rief Maximilian, indem er sie sanft wieder aufs Sopha niederdrückte, bleiben Sie ruhig liegen, sprechen Sie nicht; ich will Ihnen alles sagen, io alles was ich denke, was ich empfinde, ja was ich nicht einmal selber weiß! In der That, fuhr er fort, ich weiß nicht genau was ich eben dachte und fühlte. Bilder aus der Kindheit zogen mir dämmernd durch den Sinn, ich dachte an das Schloß meiner Mutter, an den wüsten Garten dort, an die schöne Marmorstatue, die im grünen Grase lag . . . Ich habe „das Schloß meiner 15 Mutter" gesagt, aber ich bitte Sie, bey Leibe, denken Sie sich darunter nichts Prächtiges und Herrliches! An diese Benennung habe ich mich nun einmal gewöhnt; mein Vater legte immer einen ganz besonderen Ausdruck auf die Worte „das Schloß!" und er lächelte dabey immer so eigenthümüch. Die Bedeutung dieses Lächelns begriff ich erst später, als ich, ein etwa zwölfzo jähriges Bübchen, mit meiner Mutter nach dem Schlosse reiste. Es war meine erste Reise. Wir fuhren den ganzen Tag durch einen dicken Wald, dessen dunkle Schauer mir immer unvergeßlich bleiben, und erst gegen Abend hielten wir still vor einer langen Querstange, die uns von einer großen Wiese trennte. Wir mußten fast eine halbe Stunde warten, ehe, aus der nahgelegenen 25 Lehmhütte, der Junge kam, der die Sperre wegschob und uns einließ. Ich sage „der Junge" weil die alte Marthe ihren vierzigjährigen Neffen noch immer den Jungen nannte; dieser hatte, um die gnädige Herrschaft würdig zu empfangen, das alte Livreekleid seines verstorbenen Oheims angezogen, und da er es vorher ein bischen ausstäuben mußte, ließ er uns so lange warten. Hätte man 30 ihm Zeit gelassen, würde er auch Strümpfe angezogen haben; die langen, nackten, rothen Beine stachen aber nicht sehr ab von dem grellen Scharlachrock. Ob er darunter eine Hose trug, weiß ich nicht mehr. Unser Bedienter, der Johann, der ebenfalls die Benennung Schloß oft vernommen, machte ein sehr verwundertes Gesicht, als der Junge uns zu dem kleinen gebrochenen 35 Gebäude führte, wo der selige Herr gewohnt. Er ward aber schier bestürzt, als meine Mutter ihm befahl die Betten hineinzubringen. Wie konnte er ahnden, daß auf dem „Schlosse" keine Betten befindlich! und die Ordre meiner Mutter, daß er Bettung für uns mitnehmen solle, hatte er entweder ganz überhört oder als überflüssige Mühe unbeachtet gelassen.
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Das kleine Haus, das, nur eine Etage hoch, in seinen besten Zeiten höchstens fünf bewohnbare Zimmer enthalten, war ein kummervolles Bild der Vergänglichkeit. Zerschlagene Möbel, zerfetzte Tapeten, keine einzige Fensterscheibe ganz verschont, hie und da der Fußboden aufgerissen, überall die häßlichen Spuren der übermüthigsten Soldatenwirthschaft. „Die Einquartierung hat sich 5 immer bey uns sehr amusirt" sagte der Junge mit einem blödsinnigen Lächeln. Die Mutter aber winkte, daß wir sie allein lassen möchten, und während der Junge mit Johann sich beschäftigte, ging ich den Garten besehen. Dieser bot ebenfalls den trostlosesten Anblick der Zerstörniß. Die großen Bäume waren zum Theil verstümmelt, zum Theil niedergebrochen, und höhnische Wucher- 10 pflanzen erhoben sich über die gefallenen Stämme. Hie und da, an den aufgeschossenen Taxusbüschen, konnte man die ehemaligen Wege erkennen. Hie und da standen auch Statuen, denen meistens die Köpfe, wenigstens die Nasen, fehlten. Ich erinnere mich einer Diana, deren untere Hälfte von dunklem Epheu aufs lächerlichste umwachsen war, so wie ich mich auch einer Göttinn 15 des Ueberflusses erinnere, aus deren Füllhorn lauter mißduftendes Unkraut hervorblühte. Nur eine Statue war, Gott weiß wie, von der Boßheit der Menschen und der Zeit verschont geblieben; von ihrem Postamente freylich hatte man sie herabgestürzt ins hohe Gras, aber da lag sie unverstümmelt, die marmorne Göttinn, mit den rein-schönen Gesichtszügen und mit dem straff- 20 getheilten, edlen Busen, der, wie eine griechische Offenbarung, aus dem hohen Grase hervorglänzte. Ich erschrack fast als ich sie sah; dieses Bild flößte mir eine sonderbar schwüle Scheu ein, und eine geheime Blödigkeit ließ mich nicht lange bey seinem holden Anblick verweilen. Als ich wieder zu meiner Mutter kam, stand sie am Fenster, verloren in 25 Gedanken, das Haupt gestützt auf ihrem rechten Arm, und die Thränen flössen ihr unaufhörlich über die Wangen. So hatte ich sie noch nie weinen sehen. Sie umarmte mich mit hastiger Zärtlichkeit und bat mich um Verzeihung, daß ich, durch Johannes Nachlässigkeit, kein ordentliches Bett bekommen werde. „Die alte Marte, sagte sie, ist schwer krank und kann dir, 30 liebes Kind, ihr Bett nicht abtreten. Johann soll dir aber die Kissen aus dem Wagen so zurecht legen, daß du darauf schlafen kannst, und er mag dir auch seinen Mantel zur Decke geben. Ich selber schlafe hier auf Stroh; es ist das Schlafzimmer meines seligen Vaters; es sah sonst hier viel besser aus. Laß mich allein!" Und die Thränen schössen ihr noch heftiger aus den Augen. 35 War es nun das ungewohnte Lager, oder das aufgeregte Herz, es ließ mich nicht schlafen. Der Mondschein drang so unmittelbar durch die gebrochenen Fensterscheiben, und es war mir als wolle er mich hinauslocken in die helle Sommernacht. Ich mochte mich rechts oder links wenden auf meinem Lager,
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ich mochte die Augen schließen oder wieder ungeduldig öffnen, immer mußte ich an die schöne Marmorstatue denken, die ich im Grase liegen sehen. Ich konnte mir die Blödigkeit nicht erklären, die mich bey ihrem Anblick erfaßt hatte, ich ward verdrießlich ob dieses kindischen Gefühls, und „morgen" sagte 5 ich leise zu mir selber: „morgen küssen wir dich, du schönes Marmorgesicht, wir küssen dich eben auf die schönen Mundwinkel, wo die Lippen in ein so holdseliges Grübchen zusammenschmelzen!" Eine Ungeduld, wie ich sie noch nie gefühlt, rieselte dabey durch alle meine Glieder, ich konnte dem wunderbaren Drange nicht länger gebieten, und endlich sprang ich auf mit keckem 10 Muthe und sprach: „was gilt's und ich küsse dich noch heute, du liebes Bildniß!" Leise, damit die Mutter meine Tritte nicht höre, verließ ich das Haus, was um so leichter, da das Portal zwar noch mit einem großen Wappenschild aber mit keinen Thüren mehr versehen war; und hastig arbeitete ich mich durch das Laubwerk des wüsten Gartens. Auch kein Laut regte sich, und 15 alles ruhte, stumm und ernst, im stillen Mondschein. Die Schatten der Bäume waren wie angenagelt auf der Erde. Im grünen Grase lag die schöne Göttinn ebenfalls regungslos, aber kein steinerner Tod, sondern nur ein stiller Schlaf schien ihre lieblichen Glieder gefesselt zu halten, und als ich ihr nahete, fürchtete ich schier, daß ich sie durch das geringste Geräusch aus ihrem 20 Schlummer erwecken könnte. Ich hielt den Athem zurück als ich mich über sie hinbeugte, um die schönen Gesichtszüge zu betrachten; eine schauerliche Beängstigung stieß mich von ihr ab, eine knabenhafte Lüsternheit zog mich wieder zu ihr hin, mein Herz pochte, als wollte ich eine Mordthat begehen, und endlich küßte ich die schöne Göttinn mit einer Inbrunst, mit einer Zärt25 lichkeit, mit einer Verzweiflung, wie ich nie mehr geküßt habe in diesem Leben. Auch nie habe ich diese grauenhaft süße Empfindung vergessen können, die meine Seele durchflutete, als die beseligende Kälte jener Marmorlippen meinen Mund berührte . . . Und sehen Sie, Maria, als ich eben vor Ihnen stand und ich Sie, in ihrem weißen Musselinkleide auf dem grünen Sopha 30 liegen sah, da mahnte mich Ihr Anblick an das weiße Marmorbild im grünen Grase. Hätten Sie länger geschlafen, meine Lippen würden nicht widerstanden haben. . . Max! Max! schrie das Weib aus der Tiefe ihrer Seele — Entsetzlich! Sie wissen, daß ein Kuß von Ihrem Munde . . . 35 O, schweigen Sie nur, ich weiß, das wäre für Sie etwas Entsetzliches! Sehen Sie mich nur nicht so flehend an. Ich mißdeute nicht Ihre Empfindungen, obgleich die letzten Gründe derselben mir verborgen bleiben. Ich habe nie meinen Mund auf ihre Lippen drücken dürfen . . . Aber Maria ließ ihn nicht ausreden, sie hatte seine Hand erfaßt, bedeckte
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diese Hand mit den heftigsten Küssen und sagte dann lächelnd: Bitte, bitte, erzählen Sie mir noch mehr von Ihren Liebschaften. Wie lange liebten Sie die marmorne Schöne, die Sie im Schloßgarten Ihrer Mutter geküßt? Wir reisten den andern Tag ab, antwortete Maximilian, und ich habe das holde Bildniß nie wiedergesehen. Aber fast vier Jahre beschäftigte es mein 5 Herz. Eine wunderbare Leidenschaft für marmorne Statuen hat sich seitdem in meiner Seele entwickelt und noch diesen Morgen empfand ich ihre hinreißende Gewalt. Ich kam aus der Laurenziana, der Bibliothek der Medizäer, und gerieth, ich weiß nicht mehr wie, in die Kapelle, wo jenes prachtvollste Geschlecht Italiens sich eine Schlafstelle von Edelsteinen gebaut hat und ruhig 10 schlummert. Eine ganze Stunde blieb ich dort versunken in dem Anblick eines marmornen Frauenbilds, dessen gewaltiger Leibesbau von der kühnen Kraft des Michel Angelo zeugt, während doch die ganze Gestalt von einer ätherischen Süßigkeit umflossen ist, die man bey jenem Meister eben nicht zu suchen pflegt. In diesen Marmor ist das ganze Traumreich gebannt mit allen 15 seinen stillen Seeligkeiten, eine zärtliche Ruhe wohnt in diesen schönen Gliedern, ein besänftigendes Mondlicht scheint durch ihre Adern zu rinnen . . . es ist die Nacht des Michel Angelo Buonarotti. O, wie gerne möchte ich schlafen des ewigen Schlafes in den Armen dieser Nacht. . . Gemalte Frauenbilder, fuhr Maximilian fort nach einer Pause, haben mich 20 immer minder heftig interessirt als Statuen. Nur einmal war ich in ein Gemälde verliebt. Es war eine wunderschöne Madonna, die ich in einer Kirche zu Cöln am Rhein kennen lernte. Ich wurde damals ein sehr eifriger Kirchengänger und mein Gemüth versenkte sich in die Mystik des Catholizismus. Ich hätte damals gern, wie ein spanischer Ritter, alle Tage auf Leben und Tod gekämpft 25 für die inmakulirte Empfängniß Mariae, der Königinn der Engel, der schönsten Dame des Himmels und der Erde! Für die ganze heilige Familie interessirte ich mich damals, und ganz besonders freundlich zog ich jedesmal den Hut ab, wenn ich einem Bilde des heiligen Josephs vorbey kam. Dieser Zustand dauerte jedoch nicht lange, und fast ohne Umstände verließ ich die Mutter- 30 gottes als ich in einer Antiquen-Gallerie mit einer griechischen Nymphe bekannt wurde, die mich lange Zeit in ihren Marmorfesseln gefangen hielt. Und Sie liebten immer nur gemeißelte oder gemalte Frauen? kicherte Maria. Nein, ich habe auch todte Frauen geliebt, antwortete Maximilian, über dessen Gesicht sich wieder ein großer Ernst verbreitete. Er bemerkte nicht, daß 35 bey diesen Worten Maria erschreckend zusammenfuhr, und ruhig sprach er weiter: Ja, es ist höchst sonderbar, daß ich mich einst in ein Mädchen verliebte, nachdem sie schon seit sieben Jahren verstorben war. Als ich die kleine Very
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kennen lernte, gefiel sie mir ganz außerordentlich gut. Drey Tage lang beschäftigte ich mich mit dieser jungen Person und fand das höchste Ergötzen an allem was sie that und sprach, an allen Aeußerungen ihres reitzend wunderlichen Wesens, jedoch ohne daß mein Gemüth dabey in überzärtliche Bewe5 gung gerieth. Auch wurde ich einige Monate drauf nicht allzu tief ergriffen, als ich die Nachricht empfing, daß sie, in Folge eines Nervenfiebers, plötzlich gestorben sey. Ich vergaß sie ganz gründlich, und ich bin überzeugt, daß ich jahrelang auch nicht ein einziges Mahl an sie gedacht habe. Ganze sieben Jahre waren seitdem verstrichen, und ich befand mich in Potsdam, um in io ungestörter Einsamkeit den schönen Sommer zu genießen. Ich kam dort mit keinem einzigen Menschen in Berührung, und mein ganzer Umgang beschränkte sich auf die Statuen, die sich im Garten von Sans-Souci befinden. Da geschah es eines Tages, daß mir Gesichtszüge und eine seltsam liebenswürdige Art des Sprechens und Bewegens ins Gedächtniß trat, ohne daß ich 15 mich dessen entsinnen konnte welcher Person dergleichen angehörten. Nichts ist quälender als solches Herumstöbern in alten Erinnerungen, und ich war deßhalb wie freudig überrascht, als ich nach einigen Tagen mich auf einmal der kleinen Very erinnerte und jetzt merkte, daß es ihr liebes, vergessenes Bild war, was mir so beunruhigend vorgeschwebt hatte. Ja, ich freute mich dieser 20 Entdeckung wie einer, der seinen intimsten Freund ganz unerwartet wieder gefunden; die verblichenen Farben belebten sich allmählig, und endlich stand die süße kleine Person wieder leibhaftig vor mir, lächelnd, schmollend, witzig, und schöner noch als jemals. Von nun an wollte mich dieses holde Bild nimmermehr verlassen, es füllte meine ganze Seele, wo ich ging und stand, 25 stand und ging es an meiner Seite, sprach mit mir, lachte mit mir, jedoch harmlos und ohne große Zärtlichkeit. Ich aber wurde täglich mehr und mehr bezaubert von diesem Bilde, das täglich mehr und mehr Realität für mich gewann. Es ist leicht Geister zu beschwören, doch ist es schwer sie wieder zurück zu schicken in ihr dunkles Nichts; sie sehen uns dann so flehend an, 30 unser eigenes Herz leiht ihnen so mächtige Fürbitte . . . Ich konnte mich nicht mehr losreißen, und ich verliebte mich in die kleine Very, nachdem sie schon seit sieben Jahren verstorben. So lebte ich sechs Monate in Potsdam, ganz versunken in dieser Liebe. Ich hütete mich noch sorgfältiger als vorher vor jeder Berührung mit der Außenwelt, und wenn irgend jemand auf der Straße 35 etwas nahe an mir vorbeystreifte, empfand ich die mißbehaglichste Beklemmung. Ich hegte vor allen Begegnissen eine tiefe Scheu, wie solche vielleicht die nachtwandelnden Geister der Todten empfinden; denn diese, wie man sagt, wenn sie einem lebenden Menschen begegnen, erschrecken sie eben so sehr wie der Lebende erschrickt, wenn er einem Gespenste begegnet. Zufällig
I kam damals ein Reisender durch Potsdam, dem ich nicht ausweichen konnte, nemlich mein Bruder. Bey seinem Anblick und bey seinen Erzählungen von den letzten Vorfällen der Tagesgeschichte, erwachte ich wie aus einem tiefen Traume, und zusammenschreckend fühlte ich plötzlich in welcher grauenhaften Einsamkeit ich so lange für mich hingelebt. Ich hatte in diesem Zustande 5 nicht einmal den Wechsel der Jahrzeiten gemerkt, und mit Verwunderung betrachtete ich jetzt die Bäume, die, längst entblättert, mit herbstlichem Reife bedeckt standen. Ich verließ alsbald Potsdam und die kleine Very, und in einer anderen Stadt, wo mich wichtige Geschäfte erwarteten, wurde ich, durch sehr eckige Verhältnisse und Beziehungen, sehr bald wieder in die rohe 10 Wirklichkeit hineingequält. Lieber Himmel! fuhr Maximilian fort, indem ein schmerzliches Lächeln um seine Oberlippe zuckte: lieber Himmel! die lebendigen Weiber mit denen ich damals in unabweisliche Berührungen kam, wie haben sie mich gequält, zärtlich gequält, mit ihrem Schmollen, Eifersüchteln, und beständigem in Athem 15 halten! Auf wie vielen Bällen mußte ich mit ihnen herumtraben, in wie viele Klatschereyen mußte ich mich mischen! Welche rastlose Eitelkeit, welche Freude an der Lüge, welche küssende Verrätherey, welche giftige Blumen! Jene Damen wußten mir alle Lust und Liebe zu verleiden und ich wurde auf einige Zeit ein Weiberfeind, der das ganze Geschlecht verdammte. Es erging 20 mir fast wie dem französischen Offiziere, der im russischen Feldzuge sich nur mit Mühe aus den Eisgruben der Beresina gerettet hatte, aber seitdem gegen alles Gefrorene eine solche Antipathie bekommen, daß er jetzt sogar die süßesten und angenehmsten Eissorten von Tortoni mit Abscheu von sich wieß. Ja, die Erinnerung an die Beresina der Liebe, die ich damals passirte, 25 verleidete mir einige Zeit sogar die köstlichsten Damen, Frauen wie Engel, Mädchen wie Vanillensorbet. Ich bitte Sie, rief Maria, schmähen Sie nicht die Weiber. Das sind abgedroschene Redensarten der Männer. Am Ende, um glücklich zu seyn, bedürft Ihr dennoch der Weiber. $0 O, seufzte Maximilian, das ist freylich wahr. Aber die Weiber haben leider nur eine einzige Art wie sie uns glücklich machen können, während sie uns auf dreißigtausend Arten unglücklich zu machen wissen. Theurer Freund, erwiederte Maria, indem sie ein leises Lächeln verbiß: ich spreche von dem Einklänge zweyer gleichgestimmten Seelen. Haben Sie dieses 35 Glück nie empfunden?.. Aber ich sehe eine ungewöhnte Rothe über Ihre Wangen ziehen . . . Sprechen Sie . . . Max? Es ist wahr, Maria, ich fühle mich fast knabenhaft befangen, da ich Ihnen die glückliche Liebe gestehen soll, die mich einst unendlich beseligt hat! Diese
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Erinnerung ist mir noch nicht verloren, und in ihren kühlen Schatten flüchtet sich noch oft meine Seele, wenn der brennende Staub und die Tageshitze des Lebens unerträglich wird. Ich bin aber nicht im Stande Ihnen von dieser Geliebten einen richtigen Begriff zu geben. Sie war so ätherischer Natur, daß 5 sie sich mir nur im Traume offenbaren konnte. Ich denke, Maria, Sie hegen kein banales Vorurtheil gegen Träume; diese nächtlichen Erscheinungen haben wahrlich eben so viel Realität, wie jene roheren Gebilde des Tages, die wir mit Händen antasten können und woran wir uns nicht selten beschmutzen. Ja, es war im Traume, wo ich sie sah, jenes holde Wesen, das mich am meisten xo auf dieser Welt beglückt hat. Ueber ihre Aeußerlichkeitweiß ich wenig zu sagen. Ich bin nicht im Stande die Form ihrer Gesichtszüge ganz genau anzugeben. Es war ein Gesicht, das ich nie vorher gesehen, und das ich nachher nie wieder im Leben erblickte. So viel erinnere ich mich, es war nicht weiß und rosig, sondern ganz einfarbig, ein sanft angeröthetes Blaßgelb und durchsichtig wie 15 Krystall. Die Reitze dieses Gesichtes bestanden weder im strengen Schönheitsmaß, noch in der interessanten Beweglichkeit; sein Charakter bestand vielmehr in einer bezaubernden, entzückenden, fast erschreckenden Wahrhaftigkeit. Es war ein Gesicht voll bewußter Liebe und graziöser Güte, es war mehr eine Seele als ein Gesicht, und deßhalb habe ich die äußere Form mir nie ganz ver20 gegenwärtigen können. Die Augen waren sanft wie Blumen. Die Lippen etwas bleich, aber anmuthig gewölbt. Sie trug ein seidnes Peignoir von kornblauer Farbe; aber hierin bestand auch ihre ganze Bekleidung; Hals und Füße waren nackt, und durch das weiche, dünne Gewand lauschte manchmal, wie verstohlen, die schlanke Zartheit der Glieder. Die Worte, die wir mit einander 25 gesprochen, kann ich mir ebenfalls nicht mehr verdeutlichen; soviel weiß ich, daß wir uns verlobten, und daß wir heiter und glücklich, offenherzig und traulich, wie Bräutgam und Braut, ja fast wie Bruder und Schwester, mit einander kosten. Manchmal aber sprachen wir gar nicht mehr und sahen uns einander an, Aug in Auge, und in diesem beseligenden Anschauen verharrten 30 wir ganze Ewigkeiten . . . Wodurch ich erwacht bin, kann ich ebenfalls nicht sagen, aber ich schwelgte noch lange Zeit in dem Nachgefühle dieses Liebeglücks. Ich war lange wie getränkt von unerhörten Wonnen, die schmachtende Tiefe meines Herzens war wie gefüllt mit Seligkeit, eine mir unbekannte Freude schien über alle meine Empfindungen ausgegossen, und ich blieb froh 35 und heiter, obgleich ich die Geliebte in meinen Träumen niemals wiedersah. Aber hatte ich nicht in ihrem Anblick ganze Ewigkeiten genossen? Auch kannte sie mich zu gut um nicht zu wissen, daß ich keine Wiederholungen liebe. Wahrhaftig, rief Maria, Sie sind ein homme ä bonne fortune . . . Aber sagen
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Sie mir, war Mademoiselle Laurence eine Marmorstatue oder ein Gemälde? eine Todte oder ein Traum? Vielleicht alles dieses zusammen, antwortete Maximilian sehr ernsthaft. Ich konnte mirs vorstellen, theurer Freund, daß diese Geliebte von sehr zweifelhaftem Fleische seyn mußte. Und wann werden Sie mir diese Geschichte 5 erzählen? Morgen. Sie ist lang und ich bin heute müde. Ich komme aus der Oper und habe noch zu viel Musik in den Ohren. Sie gehen jetzt oft in die Oper, und ich glaube, Max, Sie gehen dorthin mehr um zu sehen als um zu hören. 10 Sie irren sich nicht, Maria, ich gehe wirklich in die Oper, um die Gesichter der schönen Italienerinnen zu betrachten. Freylich, sie sind schon außerhalb dem Theater schön genug, und ein Geschichtsforscher konnte an der Idealität ihrer Züge sehr leicht den Einfluß der bildenden Künste auf die Leiblichkeit des italienischen Volkes nachweisen. Die Natur hat hier von den Künstlern das 15 Kapital zurückgenommen, das sie ihnen einst geliehen, und siehe! es hat sich aufs Entzückendste verzinst. Die Natur welche einst den Künstlern ihre Modelle lieferte, sie kopirt heute ihrer Seits die Meisterwerke die dadurch entstanden. Der Sinn für das Schöne hat das ganze Volk durchdrungen, und wie einst das Fleisch auf den Geist, so wirkt jetzt der Geist auf das Fleisch. Und 20 nicht fruchtlos ist die Andacht vor jenen schönen Madonnen, den lieblichen Altarbildern, die sich dem Gemüthe des Bräutigams einprägen, während die Braut einen schönen Heiligen im brünstigen Sinne trägt. Durch solche Wahlverwandtschaft ist hier ein Menschengeschlecht entstanden, das noch schöner ist als der holde Boden, worauf es blüht, und der sonnige Himmel, der es, wie 25 ein goldner Rahmen, umstrahlt. Die Männer interessiren mich nie viel, wenn sie nicht entweder gemalt oder gemeißelt sind, und Ihnen, Maria, überlasse allen möglichen Enthusiasmus in Betreff jener schönen, geschmeidigen Italiener, die so wildschwarze Backenbärte und so kühn edle Nasen und so sanft kluge Augen haben. Man sagt die Lombarden seyen die schönsten 30 Männer. Ich habe nie darüber Untersuchungen angestellt, nur über die Lombardinnen habe ich ernsthaft nachgedacht, und diese, das habe ich wohl gemerkt, sind wirklich so schön wie der Ruhm meldet. Aber auch schon im Mittelalter müssen sie ziemlich schön gewesen seyn. Sagt man doch von Franz I. daß das Gerücht von der Schönheit der Mayländerinnen ein heimlicher Antrieb 35 gewesen, der ihn zu seinem italienischen Feldzuge bewogen habe; der ritterliche König war gewiß neugierig, ob seine geistlichen Mühmchen, die Sippschaft seines Taufpathen, so hübsch seyen, wie er rühmen hörte . . . Armer Schelm! zu Pavia mußte er für diese Neugier sehr theuer büßen!
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Aber wie schön sind sie erst diese Italienerinnen, wenn die Musik ihre Gesichter beleuchtet. Ich sage beleuchtet, denn die Wirkung der Musik, die ich, in der Oper, auf den Gesichtern der schönen Frauen bemerke, gleicht ganz jenen Licht- und Schatteneffekten, die uns in Erstaunen setzen, wenn wir •) Statuen in der Nacht bey Fackelschein betrachten. Diese Marmorbilder offenbaren uns dann, mit erschreckender Wahrheit, ihren innewohnenden Geist und ihre schauerlich stummen Geheimnisse. In derselben Weise giebt sich uns auch das ganze Leben der schönen Italienerinnen kund, wenn wir sie in der Oper sehen; die wechselnden Melodien wecken alsdann in ihrer Seele io eine Reihe von Gefühlen, Erinnerungen, Wünschen und Aergernissen, die sich alle augenblicklich in den Bewegungen ihrer Züge, in ihrem Erröthen, in ihrem Erbleichen, und gar in ihren Augen aussprechen. Wer zu lesen versteht, kann alsdann auf ihren schönen Gesichtern sehr viel süße und intressante Dinge lesen, Geschichten die so merkwürdig wie die Novellen des Boccacio, 15 Gefühle die so zart wie die Sonette des Petrarcha, Launen die so abentheuerlich wie die Ottaverime des Ariosto, manchmal auch furchtbare Verrätherey und erhabene Bosheit, die so poetisch wie die Hölle des großen Dante. Da ist es der Mühe werth, hinaufzuschauen nach den Logen. Wenn nur die Männer unterdessen ihre Begeisterung nicht mit so fürchterlichem Lerm aussprächen! 20 Dieses allzutolle Geräusch in einem italienischen Theater wird mir manchmal lästig. Aber die Musik ist die Seele dieser Menschen, ihr Leben, ihre Nazionalsache. In anderen Ländern giebt es gewiß Musiker, die den größten italienischen Renommeen gleichstehen, aber es giebt dort kein musikalisches Volk. Die Musik wird hier in Italien nicht durch Individuen repräsentirt, sondern sie 25 offenbart sich in der ganzen Bevölkerung, die Musik ist Volk geworden. Bey Tins im Norden ist es ganz anders; da ist die Musik nur Mensch geworden und heißt Mozart oder Meyerbeer; und obendrein wenn man das Beste was solche nordische Musiker uns bieten genau untersucht, so findet sich darinn italienischer Sonnenschein und Orangenduft, und viel eher als unserem Deutschland 30 gehören sie dem schönen Italien, der Heimath der Musik. Ja, Italien wird immer die Heimath der Musik seyn, wenn auch seine großen Maestri frühe ins Grab steigen oder verstummen, wenn auch Bellini stirbt und Rossini schweigt. Wahrlich, bemerkte Maria, Rossini behauptet ein sehr strenges Still35 schweigen. Wenn ich nicht irre, schweigt er schon seit zehn Jahren. Das ist vielleicht ein Witz von ihm, antwortete Maximilian. Er hat zeigen wollen, daß der Name „Schwan von Pesaro" den man ihm ertheilt, ganz unpassend sey. Die Schwäne singen am Ende ihres Lebens, Rossini aber hat in der Mitte des Lebens zu singen aufgehört. Und ich glaube er hat wohl daran
/ gethan und eben dadurch gezeigt, daß er ein Genie ist. Ein Künstler, welcher nur Talent hat, behält bis an sein Lebensende den Trieb dieses Talent auszuüben, der Ehrgeitz stachelt ihn, er fühlt daß er sich beständig vervollkommnet, und es drängt ihn das Höchste zu erstreben. Der Genius aber hat das Höchste bereits geleistet, er ist zufrieden, er verachtet die Welt und den 5 kleinen Ehrgeitz, und geht nach Hause, nach Staffort am Avon, wie William Shakespeare, oder promenirt sich lachend und witzelnd auf dem Boulevard des Italiens zu Paris, wie Joachim Rossini. Hat der Genius keine ganz schlechte Leibeskonstituzion, so lebt er in solcher Weise noch eine gute Weile fort, nachdem er seine Meisterwerke geliefert, oder, wie man sich auszudrücken 10 pflegt, nachdem er seine Mission erfüllt hat. Es ist ein Vorurtheil, wenn man meint, das Genie müsse früh sterben; ich glaube man hat das dreyßigste bis zum vierunddreyßigsten Jahr als die gefährliche Zeit für die Genies bezeichnet. Wie oft habe ich den armen Bellini damit geneckt, und ihm aus Scherz prophezeyt, daß er, in seiner Eigenschaft als Genie, bald sterben müsse, indem er das 15 gefährliche Alter erreiche. Sonderbar ! Trotz des scherzenden Tones, ängstigte er sich doch ob dieser Prophezeyung, er nannte mich seinen Jettatore und machte immer das Jettatorezeichen... Er wollte so gern leben bleiben, er hatte eine fast leidenschaftliche Abneigung gegen den Tod, er wollte nichts vom Sterben hören, er fürchtete sich davor wie ein Kind, das sich fürchtet im 20 Dunkeln zu schlafen . . . Er war ein gutes, liebes Kind, manchmal etwas unartig, aber dann brauchte man ihn nur mit seinem baldigen Tode zu drohen, und er ward dann gleich kleinlaut und bittend und machte mit den zwey erhobenen Fingern das Jettatorezeichen . . . Armer Bellini! Sie haben ihn also persönlich gekannt? War er hübsch? 25 Er war nicht häßlich. Sie sehen, auch wir Männer können nicht bejahend antworten, wenn man uns über jemand von unserem Geschlechte eine solche Frage vorlegt. Es war eine hoch aufgeschossene, schlanke Gestalt, die sich zierlich, ich möchte sagen kokett bewegte; immer à quatre épingles; ein regelmäßiges Gesicht, länglich, blaß-rosig; hellblondes, fast goldiges Haar, in 50 dünnen Löckchen frisirt; hohe, sehr hohe, edle Stirne; grade Nase; bleiche, blaue Augen; schöngemessener Mund; rundes Kinn. Seine Züge hatten etwas vagues, charakterloses, etwas wie Milch, und in diesem Milchgesichte quirlte manchmal süßsäuerlich ein Ausdruck von Schmerz. Dieser Ausdruck von Schmerz ersetzte in Bellinis Gesichte den mangelnden Geist; aber es war ein 35 Schmerz ohne Tiefe; er flimmerte poesielos in den Augen, er zuckte leidenschaftslos um die Lippen des Mannes. Diesen flachen, matten Schmerz schien der junge Maestro in seiner ganzen Gestalt veranschaulichen zu wollen. So schwärmerisch wehmüthig waren seine Haare frisirt, die Kleider saßen ihm so 2
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schmachtend an dem zarten Leibe, er trug sein spanisches Röhrchen so idyllisch, daß er mich immer an die jungen Schäfer erinnerte, die wir in unseren Schäferspielen mit bebänderten Stäben, und hellfarbigen Jäckchen und Höschen minaudiren sehen. Und sein Gang war so jungfräulich, so elegisch, so 5 ätherisch. Der ganze Mensch sah aus wie ein Seufzer en escarpins. Er hat bey den Frauen vielen Beyfall gefunden, aber ich zweifle ob er irgendwo eine starke Leidenschaft geweckt hat. Für mich selber hatte seine Erscheinung immer etwas spaßhaft Ungenießbares, dessen Grund wohl zunächst in seinem Französischsprechen zu finden war. Obgleich Bellini schon mehre Jahre in io Frankreich gelebt, sprach er doch das Französische so schlecht, wie es vielleicht kaum in England gesprochen werden kann. Ich sollte dieses Sprechen nicht mit dem Beywort „schlecht" bezeichnen; schlecht ist hier viel zu gut. Man muß entsetzlich sagen, blutschänderisch, weltuntergangsmäßig. Ja, wenn man mit ihm in Gesellschaft war, und er die armen französischen Worte wie ein Henker 15 radebrach, und unerschütterlich seine kolossalen Coq-ä-l'äne auskramte, so meinte man manchmal die Welt müsse mit einem Donnergekrache untergehen . . . Eine Leichenstille herrschte dann im ganzen Saale; Todesschreck malte sich auf allen Gesichtern, mit Kreidefarbe oder mit Zinober; die Frauen wußten nicht ob sie in Ohnmacht fallen oder entfliehen sollten; die Männer 20 sahen bestürzt nach ihren Beinkleidern, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich dergleichen trugen; und was das Furchtbarste war, dieser Schreck erregte zu gleicher Zeit eine konvulsive Lachlust, die sich kaum verbeißen ließ. Wenn man daher mit Bellini in Gesellschaft war, mußte seine Nähe immer eine gewisse Angst einflößen, die, durch einen grauenhaften Reitz, zugleich ab25 stoßend und anziehend war. Manchmal waren seine unwillkürlichen Calembours bloß belustigender Art, und in ihrer possirlichen Abgeschmacktheit, erinnerten sie an das Schloß seines Landsmannes, des Prinzen von Pallagonien, welches Goethe, in seiner italienischen Reise, als ein Museum von barocken Verzerrtheiten und ungereimt zusammengekoppelten Mißgestalten schildert. 30 Da Bellini, bey solchen Gelegenheiten, immer etwas ganz Harmloses und ganz Ernsthaftes gesagt zu haben glaubte, so bildete sein Gesicht mit seinem Worte eben den allertollsten Contrast. Das was mir an seinem Gesichte mißfallen konnte, trat dann um so schneidender hervor. Das was mir da mißfiel, war aber nicht von der Art, daß es just als ein Mangel bezeichnet werden könnte, 55 und am wenigsten mag es wohl den Damen ebenfalls unerfreusam gewesen seyn. Bellinis Gesicht, wie seine ganze Erscheinung, hatte jene physische Frische, jene Fleischblüthe, jene Rosenfarbe, die auf mich einen unangenehmen Eindruck macht, auf mich, der ich vielmehr das Todtenhafte und das Marmorne liebe. Erst späterhin, als ich Bellini schon lange kannte, empfand ich
/ für ihn einige Neigung. Dieses entstand namentlich als ich bemerkte, daß sein Charakter durchaus edel und gut war. Seine Seele ist gewiß rein und unbefleckt geblieben von allen häßlichen Lebensberührungen. Auch fehlte ihm nicht die harmlose Gutmüthigkeit, das Kindliche, das wir bey genialen Menschen nie vermissen, wenn sie auch dergleichen nicht für jedermann 5 zur Schau tragen. Ja, ich erinnere mich — fuhr Maximilian fort, indem er sich auf den Sessel niederließ, an dessen Lehne er sich bis jetzt aufrecht gestützt hatte — ich erinnere mich eines Augenblicks, wo mir Bellini in einem so liebenswürdigen Lichte erschien, daß ich ihn mit Vergnügen betrachtete und mir vornahm ihn 10 näher kennen zu lernen. Aber es war leider der letzte Augenblick wo ich ihn in diesem Leben sehen sollte. Dieses war eines Abends, nachdem wir im Hause einer großen Dame, die den kleinsten Fuß in Paris hat, mit einander gespeißt und sehr heiter geworden, und am Fortepiano die süßesten Melodieen erklangen . . . Ich sehe ihn noch immer, den guten Bellini, wie er endlich erschöpft 15 von den vielen tollen Bellinismen die er geschwatzt, sich auf einen Sessel niederließ . . . Dieser Sessel war sehr niedrig, fast wie ein Bänkchen, so daß Bellini dadurch gleichsam zu den Füßen einer schönen Dame zu sitzen kam, die sich, ihm gegenüber, auf ein Sopha hingestreckt hatte und mit süßer Schadenfreude auf Bellini hinabsah, während dieser sich abarbeitete, sie mit einigen französi- 20 sehen Redensarten zu unterhalten, und er immer in die Nothwendigkeit gerieth, das was er eben gésagt hatte, in seinem sicilianischen Jargon zu kommentiren, um zu beweisen, daß es keine Sottise, sondern im Gegentheil die feinste Schmeicheley gewesen sey. Ich glaube, daß die schöne Dame auf Bellinis Redensarten gar nicht viel hinhörte; sie hatte ihm sein spanisches Röhrchen, 25 womit er seiner schwachen Rhetorik manchmal zu Hülfe kommen wollte, aus den Händen genommen, und bediente sich dessen um den zierlichen Lockenbau an den beiden Schläfen des jungen Maestro ganz ruhig zu zerstören. Diesem muthwilligen Geschäfte galt wohl jenes Lächeln, das ihrem Gesichte einen Ausdruck gab, wie ich ihn nie auf einem lebenden Menschen- 30 antlitz gesehen. Nie kommt mir dieses Gesicht aus dem Gedächtnisse! Es war eins jener Gesichter, die mehr dem Traumreich der Poesie als der rohen Wirklichkeit des Lebens zu gehören scheinen; Conturen die an Da Vinci erinnern, jenes edle Oval mit den naiven Wangengrübchen und dem sentimental spitzzulaufendem Kinn der lombardischen Schule. Die Färbung mehr römisch 35 sanft, matter Perlenglanz, vornehme Blässe, Morbidezza. Kurz es war ein Gesicht, wie es nur auf irgend einem altitalienischem Portraite gefunden wird, das etwa eine von jenen großen Damen vorstellt, worin die italienischen Künstler des sechszehnten Jahrhunderts verliebt waren, wenn sie ihre Meister2*
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werke schufen, woran die Dichter jener Zeit dachten, wenn sie sich unsterblich sangen, und wonach die deutschen und französischen Kriegshelden Verlangen trügen, wenn sie sich das Schwert umgürteten und thatensüchtig über die Alpen stürzten . . . Ja, ja, so ein Gesicht war es, worauf ein Lächeln der süße5 sten Schadenfreude und des vornehmsten Muthwillens spielte, während sie, die schöne Dame, mit der Spitze des spanischen Rohrs den blonden Lockenbau des guten Bellini zerstörte. In diesem Augenblick erschien mir Bellini wie berührt von einem Zauberstäbchen, wie umgewandelt zu einer durchaus befreundeten Erscheinung, und er wurde meinem Herzen auf einmal verwandt, io Sein Gesicht erglänzte im Wiederschein jenes Lächelns, es war vielleicht der blühendste Moment seines Lebens . . . Ich werde ihn nie vergessen . . . Vierzehn Tage nachher las ich in der Zeitung, daß Italien einen seiner rühmlichsten Söhne verloren! Sonderbar! Zu gleicher Zeit wurde auch der Tod Paganinis angezeigt. An 15 diesem Todesfall zweifelte ich keinen Augenblick, da der alte, fahle Paganini immer wie ein Sterbender aussah; doch der Tod des jungen, rosigen Bellini kam mir unglaublich vor. Und doch war die Nachricht vom Tode des ersteren nur ein Zeitungsirrthum, Paganini befindet sich frisch und gesund zu Genua und Bellini liegt im Grabe zu Paris! 20 Lieben Sie Paganini? frug Maria. Dieser Mann, antwortete Maximilian, ist eine Zierde seines Vaterlandes und verdient gewiß die ausgezeichnetste Erwähnung, wenn man von den musikalischen Notabilitäten Italiens sprechen will. Ich habe ihn nie gesehen, bemerkte Maria, aber dem Rufe nach, soll sein 25 Aeußeres den Schönheitssinn nicht vollkommen befriedigen. Ich habe Portraite von ihm gesehen . . . Die alle nicht ähnlich sind, fiel ihr Maximilian in die Rede; sie verhäßlichen oder verschönern ihn, nie geben sie seinen wirklichen Charakter. Ich glaube es ist nur einem einzigen Menschen gelungen, die wahre Physionomie Paga30 ninis aufs Papier zu bringen; es ist ein tauber Maler, Namens Lyser, der, in seiner geistreichen Tollheit, mit wenigen Kreidestrichen den Kopf Paganinis so gut getroffen hat, daß man ob der Wahrheit der Zeichnung zugleich lacht und erschrickt. „Der Teufel hat mir die Hand geführt" sagte mir der taube Maler, geheimnißvoll kichernd und gutmüthig ironisch mit dem Kopfe 35 nickend, wie er bey seinen genialen Eulenspiegeleyen zu thun pflegte. Dieser Maler war immer ein wunderlicher Kautz; trotz seiner Taubheit, liebte er enthusiastisch die Musik und er soll es verstanden haben, wenn er sich nahe genug am Orchester befand, den Musikern die Musik auf dem Gesichte zu lesen, und an ihren Fingerbewegungen die mehr oder minder gelungene Exe-
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kuzion zu beurtheilen; auch schrieb er die Operkritiken in einem schätzbaren Journale zu Hamburg. Was ist eigentlich da zu verwundern? In der sichtbaren Signatur des Spieles konnte der taube Maler die Töne sehen. Giebt es doch Menschen, denen die Töne selber nur unsichtbare Signaturen sind, worin sie Farben und Gestalten hören. 5 Ein solcher Mensch sind Sie! rief Maria. Es ist mir leid, daß ich die kleine Zeichnung von Lyser nicht mehr besitze; sie würde Ihnen vielleicht von Paganinis Aeußerem einen Begriff verleihen. Nur in grell schwarzen, flüchtigen Strichen konnten jene fabelhaften Züge erfaßt werden, die mehr dem schweflichten Schattenreich, als der sonnigen Lebenswelt zu gehören scheinen. „Wahrhaftig, der Teufel hat mir die Hand geführt" betheuerte mir der taube Maler, als wir zu Hamburg vor dem Alsterpavillion standen, an dem Tage wo Paganini dort sein erstes Conzert gab. „Ja, mein Freund, fuhr er fort, es ist wahr, was die ganze Welt behauptet, daß er sich dem Teufel verschrieben hat, Leib und Seele, um der beste Violinist zu 15 werden, um Millionen zu erfiedeln, und zunächst um von der verdammten Galeere loszukommen, wo er schon viele Jahre geschmachtet. Denn sehen Sie, Freund, als er zu Lukka Kapellenmeister war, verliebte er sich in eine Theaterprinzessinn, ward eifersüchtig auf irgend einen kleinen Abbate, ward vielleicht kokü, erstach auf gut italienisch seine ungetreue Amata, kam auf die Galeere 20 zu Genua, und wie gesagt, verschrieb sich endlich dem Teufel um loszukommen, um der beste Violinspieler zu werden, und um jedem von uns diesen Abend eine Brandschatzung von zwey Thalern auferlegen zu können . . . Aber, sehen Sie! Alle gute Geister loben Gott! sehen Sie, dort in der Allee kommt er selber mit seinem zweydeutigen Fámulo!" 25 In der That, es war Paganini selber, den ich alsbald zu Gesicht bekam. Er trug einen dunkelgrauen Oberrock, der ihm bis zu den Füßen reichte, wodurch seine Gestalt sehr hoch zu seyn schien. Das lange schwarze Haar fiel in verzerrten Locken auf seine Schulter herab und bildete wie einen dunklen Rahmen um das blasse, leichenartige Gesicht, worauf Kummer, Genie und 30 Hölle ihre unverwüstlichen Zeichen eingegraben hatten. Neben ihm tänzelte eine niedrige, behagliche Figur, putzig prosaisch: rosig verrunzeltes Gesicht, hellgraues Röckchen mit Stahlknöpfen, unausstehlich freundlich nach allen Seiten hingrüßend, mitunter aber, voll besorglicher Scheu, nach der düsteren Gestalt hinaufschielend, die ihm ernst und nachdenklich zur Seite wandelte. 35 Man glaubte das Bild von Retzsch zu sehen, wo Faust mit Wagener vor den Thoren von Leipzig spatzieren geht. Der taube Maler kommentirte mir aber die beiden Gestalten in seiner tollen Weise, und machte mich besonders aufmerksam auf den gemessenen breiten Gang des Paganini. „Ist es nicht, sagte
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er, als trüge er noch immer die eiserne Querstange zwischen den Beinen? Er hat sich nun einmal diesen Gang auf immer angewöhnt. Sehen Sie auch wie verächtlich ironisch er auf seinen Begleiter manchmal hinabschaut, wenn dieser ihm mit seinen prosaischen Fragen lästig wird; er kann ihn aber nicht ent5 behren, ein blutiger Contrakt bindet ihn an diesen Diener, der eben kein andrer ist als Satan. Das unwissende Volk meint freylich, dieser Begleiter sey der Commödien- und Anekdotenschreiber Harris aus Hannover, den Paganini auf Reisen mitgenommen habe, um die Geldgeschäfte bey seinen Conzerten zu verwalten. Das Volk weiß nicht, daß der Teufel dem Herrn Georg Harris io bloß seine Gestalt abgeborgt hat und daß die arme Seele dieses armen Menschen unterdessen, neben anderem Lumpenkram, in einem Kasten zu Hannover solange eingesperrt sitzt, bis der Teufel ihr wieder ihre Fleisch-Enveloppe zurückgiebt und er vielleicht seinen Meister Paganini in einer würdigeren Gestalt, nemlich als schwarzer Pudel, durch die Welt begleiten wird." 15 War mir aber Paganini, als ich ihn am hellen Mittage, unter den grünen Bäumen des hamburger Jungfernstiegs einherwandeln sah, schon hinlänglich fabelhaft und abentheuerlich erschienen: wie mußte mich erst des Abends im Conzerte seine schauerlich bizarre Erscheinung überraschen. Das hamburger Commödienhaus war der Schauplatz dieses Conzertes, und das kunst20 liebende Publikum hatte sich schon frühe und in solcher Anzahl eingefunden, daß ich kaum noch ein Plätzchen für mich am Orchester erkämpfte. Obgleich es Posttag war, erblickte ich doch, in den ersten Ranglogen, die ganze gebildete Handelswelt, einen ganzen Olymp von Banquiers und sonstigen Millionären, die Götter des Kaffees und des Zuckers, nebst deren dicken Ehegöttinnen, 25 Junonen vom Wantram und Aphroditen vom Dreckwall. Auch herrschte eine religiöse Stille im ganzen Saal. Jedes Auge war nach der Bühne gerichtet. Jedes Ohr rüstete sich zum Hören. Mein Nachbar, ein alter Pelz-Makler, nahm seine schmutzige Baumwolle aus den Ohren, um bald die kostbaren Töne, die zwey Thaler Entreegeld kosteten, besser einsaugen zu können. Endlich aber, 30 auf der Bühne, kam eine dunkle Gestalt zum Vorschein, die der Unterwelt entstiegen zu seyn schien. Das war Paganini in seiner schwarzen Galla. Der schwarze Frack und die schwarze Weste von einem entsetzlichen Zuschnitt, wie er vielleicht am Hofe Proserpinens von der höllischen Etikette vorgeschrieben ist. Die schwarzen Hosen ängstlich schlotternd um die dünnen Beine. Die 35 langen Arme schienen noch verlängert, indem er in der einen Hand die Violine und in der anderen den Bogen gesenkt hielt und damit fast die Erde berührte, als er vor dem Publikum seine unerhörten Verbeugungen auskramte. In den eckigen Krümmungen seines Leibes lag eine schauerliche Hölzernheit und zugleich etwas närrisch Thierisches, daß uns bey diesen Verbeugungen eine
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sonderbare Lachlust anwandeln mußte; aber sein Gesicht, das durch die grelle Orchesterbeleuchtung noch leichenartig weißer erschien, hatte alsdann so etwas Flehendes, so etwas blödsinnig Demüthiges, daß ein grauenhaftes Mitleid unsere Lachlust niederdrückte. Hat er diese Komplimente einem Automaten abgelernt oder einem Hunde? Ist dieser bittende Blick der eines Todt- 5 kranken, oder lauert dahinter der Spott eines schlauen Geitzhalses? Ist das ein Lebender der im Verscheiden begriffen ist und der das Publikum in der Kunstarena, wie ein sterbender Fechter, mit seinen Zuckungen ergötzen soll? Oder ist es ein Todter, der aus dem Grabe gestiegen, ein Vampir mit der Violine, der uns, wo nicht das Blut aus dem Herzen, doch auf jeden Fall das Geld 10 aus den Taschen saugt? Solche Fragen kreutzten sich in unserem Kopfe, während Paganini seine unaufhörlichen Complimente schnitt; aber alle dergleichen Gedanken mußten straks verstummen, als der wunderbare Meister seine Violine ans Kinn setzte und zu spielen begann. Was mich betrifft, so kennen Sie ja mein musikalisches i j zweites Gesicht, meine Begabniß, bey jedem Tone, den ich erklingen höre, auch die adäquate Klangfigur zu sehen; und so kam es, daß mir Paganini mit jedem Striche seines Bogens auch sichtbare Gestalten und Situazionen vor die Augen brachte, daß er mir in tönender Bilderschrift allerley grelle Geschichten erzählte, daß er vor mir gleichsam ein farbiges Schattenspiel hingaukeln ließ, 20 worin er selber immer mit seinem Violinspiel als die Hauptperson agirte. Schon bey seinem ersten Bogenstrich hatten sich die Kulissen um ihn her verändert; er stand mit seinem Musikpult plötzlich in einem heitern Zimmer, welches lustig unordentlich dekorirt, mit verschnörkelten Möbeln im Pompadurgeschmack: überall kleine Spiegel, vergoldete Amoretten, chinesisches Por- 25 zelan, ein allerliebstes Chaos von Bändern, Blumenguirlanden, weißen Handschuhen, zerrissenen Blonden, falschen Perlen, Diademen von Goldblech und sonstigem Götterflitterkram, wie man dergleichen im Studierzimmer einer Primadonna zu finden pflegt. Paganinis Aeußeres hatte sich ebenfalls, und zwar aufs allervortheilhafteste, verändert: er trug kurze Beinkleider von lilla- 30 farbigem Atlas, eine silbergestickte, weiße Weste, einen Rock von hellblauem Sammet mit goldumsponnenen Knöpfen; und die sorgsam in kleinen Löckchen frisirten Haare umspielten sein Gesicht, das ganz jung und rosig blühete, und von süßer Zärtlichkeit erglänzte, wenn er nach dem hübschen Dämchen hinäugelte, das neben ihm am Notenpult stand, während er Violine spielte. 35 In der That, an seiner Seite erblickte ich ein hübsches junges Geschöpf, altmodisch gekleidet, der weiße Atlas ausgebauscht unterhalb den Hüften, die Taille um so reitzender schmal, die gepuderten Haare hochauffrisirt, das hübsch runde Gesicht um so freyer hervorglänzend mit seinen blitzenden
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Augen, mit seinen geschminkten Wänglein, Schönpflästerchen und impertinent süßem Näschen. In der Hand trug sie eine weiße Papierrolle, und sowohl nach ihren Lippenbewegungen, als nach dem kokettirenden Hin- und Herwiegen ihres Oberleibchens zu schließen, schien sie zu singen; aber vernehm5 lieh ward mir kein einziger ihrer Triller, und nur aus dem Violinspiel, womit der junge Paganini das holde Kind begleitete, errieth ich was sie sang und was er selber während ihres Singens in der Seele fühlte. O, das waren Melodieen, wie die Nachtigall sie flötet, in der Abenddämmerung, wenn der Duft der Rose ihr das ahnende Frühlingsherz mit Sehnsucht berauscht! O, das war eine io schmelzende, wollüstig hinschmachtende Seligkeit! Das waren Töne die sich küßten, dann schmollend einander flohen, und endlich wieder lachend sich umschlangen, und eins wurden, und in trunkender Einheit dahinstarben. Ja, die Töne trieben ein heiteres Spiel, wie Schmetterlinge, wenn einer dem anderen neckend ausweicht, sich hinter eine Blume verbirgt, endlich erhascht 15 wird, und dann mit dem anderen, leichtsinnig beglückt, im goldnen Sonnenlichte hinaufflattert. Aber eine Spinne, eine Spinne kann solchen verliebten Schmetterlingen mahl plötzlich ein tragisches Schicksal bereiten. Ahnte dergleichen das junge Herz? Ein wehmüthig seufzender Ton, wie Vorgefühl eines heranschleichenden Unglücks, glitt leise durch die entzücktesten Melo20 dieen, die aus Paganinis Violine hervorstralten... Seine Augen werden feucht... Anbetend kniet er nieder vor seiner Amata . . . Aber ach! indem er sich beugt, um ihre Füße zu küssen, erblickt er unter dem Bette einen kleinen Abbate! Ich weiß nicht was er gegen den armen Menschen haben mochte, aber der Genueser wurde blaß wie der Tod, er erfaßt den Kleinen mit wüthenden 25 Händen, giebt ihm diverse Ohrfeigen, so wie auch eine beträchtliche Anzahl Fußtritte, schmeißt ihn gar zur Thür hinaus, zieht alsdann ein langes Stylet aus der Tasche und stößt es in die Brust der jungen Schöne . . . In diesem Augenblick aber erscholl von allen Seiten: Bravo! Bravo! Hamburgs begeisterte Männer und Frauen zollten ihren rauschendsten Beyfall dem 30 großen Künstler, welcher eben die erste Abtheilung seines Conzertes beendigt hatte und sich mit noch mehr Ecken und Krümmungen als vorher verbeugte. Auf seinem Gesichte, wollte mich bedünken, winselte ebenfalls eine noch flehsamere Demuth als vorher. In seinen Augen starrte eine grauenhafte Aengstlichkeit, wie die eines armen Sünders. 35 Göttlich! rief mein Nachbar, der Pelzmakler, indem er sich in den Ohren kratzte, dieses Stück war allein schon zwey Thaler werth. Als Paganini aufs neue zu spielen begann, ward es mir düster vor den Augen. Die Töne verwandelten sich nicht in helle Formen und Farben; die Gestalt des Meisters umhüllte sich vielmehr in finstere Schatten, aus deren
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Dunkel seine Musik mit den schneidendsten Jammertönen hervorklagte. Nur manchmal, wenn eine kleine Lampe, die über ihm hing, ihr kümmerliches Licht auf ihn warf, erblickte ich sein erbleichtes Antlitz, worauf aber die Jugend noch immer nicht erloschen war. Sonderbar war sein Anzug, gespaltet in zwey Farben, wovon die eine gelb und die andre roth. An den Füßen 5 lasteten ihm schwere Ketten. Hinter ihm bewegte sich ein Gesicht, dessen Physionomie auf eine lustige Bocksnatur hindeutete, und lange haarigte Hände, die, wie es schien, dazu gehörten, sah ich zuweilen hülfreich in die Saiten der Violine greifen, worauf Paganini spielte. Sie führten ihm auch manchmal die Hand womit er den Bogen hielt, und ein meckerndes Beyfall-Lachen 10 akkompagnirte dann die Töne, die immer schmerzlicher und blutender aus der Violine hervorquollen. Das waren Töne gleich dem Gesang der gefallenen Engel, die mit den Töchtern der Erde gebuhlt hatten, und, aus dem Reiche der Seligen verwiesen, mit schaamglühenden Gesichtern in die Unterwelt hinabstiegen. Das waren Töne in deren bodenloser Untiefe weder Trost noch 15 Hoffnung glimmte. Wenn die Heiligen im Himmel solche Töne hören, erstirbt das Lob Gottes auf ihren verbleichenden Lippen und sie verhüllen weinend ihre frommen Häupter! Zuweilen, wenn in die melodischen Qualnisse dieses Spiels das obligate Bockslachen hineinmeckerte, erblickte ich auch im Hintergrunde eine Menge kleiner Weibsbilder, die boshaft lustig mit den 20 häßlichen Köpfen nickten und mit den gekreuzten Fingern, in neckender Schadenfreude, ihre Rübchen schabten. Aus der Violine drangen alsdann Angstlaute und ein entsetzliches Seufzen und ein Schluchzen, wie man es noch nie gehört auf Erden, und wie man es vielleicht nie wieder auf Erden hören wird, es seye denn im Thale Josaphat, wenn die kolossalen Posaunen des 25 Gerichts erklingen und die nackten Leichen aus ihren Gräbern hervorkriechen und ihres Schicksals harren . . . Aber der gequälte Violinist that plötzlich einen Strich, einen so wahnsinnig verzweifelten Strich, daß seine Ketten rasselnd entzweysprangen und sein unheimlicher Gehülfe, mitsammt den verhöhnenden Unholden, verschwanden. 30 In diesem Augenblick sagte mein Nachbar, der Pelzmakler: Schade, Schade, eine Saite ist ihm gesprungen, das kommt von dem beständigen Pizzikati! War wirklich die Saite auf der Violine gesprungen? Ich weiß nicht. Ich bemerkte nur die Transfigurazion der Töne, und da schien mir Paganini und seine Umgebung plötzlich wieder ganz verändert. Jenen konnte ich kaum 35 wiedererkennen in der braunen Mönchstracht, die ihn mehr versteckte als bekleidete. Das verwilderte Antlitz halb verhüllt von der Kaputze, einen Strick um die Hüfte, baarfüßig, eine einsam trotzige Gestalt, stand Paganini auf einem felsigen Vorsprung am Meere und spielte Violine. Es war, wie mich
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dünkte, die Zeit der Dämmerung, das Abendroth überfloß die weiten Meeresfluten, die immer röther sich färbten und immer feyerlicher rauschten, im geheimnißvollsten Einklang mit den Tönen der Violine. Je röther aber das Meer wurde, desto fahler erbleichte der Himmel, und als endlich die wogenden Wasser wie lauter scharlachgrelles Blut aussahen, da ward droben der Himmel ganz gespenstischhell, ganz leichenweiß, und groß und drohend traten daraus hervor die Sterne . . . und diese Sterne waren schwarz, schwarz wie glänzende Steinkohlen. Aber die Töne der Violine wurden immer stürmischer und kecker, in den Augen des entsetzlichen Spielmanns funkelte eine so spöttische Zerstörungslust, und seine dünnen Lippen bewegten sich so grauenhaft hastig, daß es aussah als murmelte er uralt verruchte Zaubersprüche, womit man den Sturm beschwört und jene bösen Geister entfesselt, die in den Abgründen des Meeres gefangen liegen. Manchmal, wenn er, den nackten Arm aus dem weiten Mönchsärmel lang mager hervorstreckend, mit dem Fidelbogen in den Lüften fegte: dann erschien er erst recht wie ein Hexenmeister, der mit dem Zauberstab den Elementen gebietet, und es heulte dann wie wahnsinnig in der Meerestiefe und die entsetzten Blutwellen sprangen dann so gewaltig in die Höhe, daß sie fast die bleiche Himmelsdecke und die schwarzen Sterne dort mit ihrem rothen Schaume bespritzten. Das heulte, das kreischte, das krachte, als ob die Welt in Trümmer zusammenbrechen wollte, und der Mönch strich immer hartnäckiger seine Violine. Er wollte durch die Gewalt seines rasenden Willens die sieben Siegel brechen, womit Salomon die eisernen Töpfe versiegelt, nachdem er darin die überwundenen Dämonen verschlossen. Jene Töpfe hat der weise König ins Meer versenkt, und eben die Stimmen der darin verschlossenen Geister glaubte ich zu vernehmen, während Paganinis Violine ihre zornigsten Baßtöne grollte. Aber endlich glaubte ich gar wie Jubel der Befreyung zu vernehmen, und aus den rothen Blutwellen sah ich hervortauchen die Häupter der entfesselten Dämonen: Ungethüme von fabelhafter Häßlichkeit, Krokodylle mit Fledermausflügeln, Schlangen mit Hirschgeweihen, Affen bemützt mit Trichtermuscheln, Seehunde mit patriarchalisch langen Bärten, Weibergesichter mit Brüsten an die Stelle der Wangen, grüne Kameelsköpfe, Zwittergeschöpfe von unbegreiflicher Zusammensetzung, alle mit kalt klugen Augen hinglotzend und mit langen Floßtatzen hingreifend nach dem fiedelnden Mönche. . . Diesem aber, in dem rasenden Beschwörungseifer, fiel die Kaputze zurück, und die lockigen Haare, im Winde dahinflatternd, umringelten sein Haupt wie schwarze Schlangen. Diese Erscheinung war so sinneverwirrend, daß ich, um nicht wahnsinnig zu werden, die Ohren mir zuhielt und die Augen schloß. Da war nun der Spuk verschwunden, und als ich wieder aufblickte sah ich den armen Genueser in
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seiner gewöhnlichen Gestalt, seine gewöhnlichen Complimente schneiden, während das Publikum aufs entzückteste applaudirte. „Das ist also das berühmte Spiel auf der G-Saite, bemerkte mein Nachbar; ich spiele selber die Violine und weiß was es heißt dieses Instrument so zu bemeistern!" Zum Glück war die Pause nicht groß, sonst hätte mich der musi- 5 kaiische Pelzkenner gewiß in ein langes Kunstgespräch eingemufft. Paganini setzte wieder ruhig seine Violine ans Kinn und mit dem ersten Strich seines Bogens begann auch wieder die wunderbare Transfigurazion der Töne. Nur gestaltete sie sich nicht mehr so grellfarbig und leiblich bestimmt. Diese Töne entfalteten sich ruhig, majestätisch wogend und anschwellend, wie die eines 10 Orgelchorals in einem Dome; und alles umher hatte sich immer weiter und höher ausgedehnt zu einem kolossalen Räume, wie nicht das körperliche Auge, sondern nur das Auge des Geistes ihn fassen kann. In der Mitte dieses Raumes schwebte eine leuchtende Kugel, worauf riesengroß und stolzerhaben ein Mann stand, der die Violine spielte. Diese Kugel war sie die Sonne? Ich weiß 15 nicht. Aber in den Zügen des Mannes erkannte ich Paganini, nur idealisch verschönert, himmlisch verklärt, versöhnungsvoll lächelnd. Sein Leib blühte in kräftigster Männlichkeit, ein hellblaues Gewand umschloß die veredelten Glieder, um seine Schulter wallte, in glänzenden Locken, das schwarze Haar; und wie er da fest und sicher stand, ein erhabenes Götterbild, und die Violine 20 strich: da war es als ob die ganze Schöpfung seinen Tönen gehorchte. Er war der Mensch-Planet um den sich das Weltall bewegte, mit gemessener Feyerlichkeit und in seligen Rythmen erklingend. Diese großen Lichter, die, so ruhig glänzend um ihn her schwebten, waren es die Sterne des Himmels, und jene tönende Harmonie, die aus ihren Bewegungen entstand, war es der 25 Sphärengesang, wovon Poeten und Seher so viel Verzückendes berichtet haben? Zuweilen, wenn ich angestrengt weithinausschaute in die dämmernde Ferne, da glaubte ich lauter weiße wallende Gewänder zu sehen, worin kolossale Pilgrime vermummt einherwandelten, mit weißen Stäben in den Händen, und sonderbar! die goldnen Knöpfe jener Stäbe waren eben jene 30 großen Lichter, die ich für Sterne gehalten hatte. Diese Pilgrime zogen, in weiter Kreisbahn, um den großen Spielmann umher, von den Tönen seiner Violine erglänzten immer heller die goldnen Knöpfe ihrer Stäbe, und die Choräle, die von ihren Lippen erschollen und die ich für Sphärengesang halten konnte, waren eigentlich nur das verhallende Echo jener Violinentöne. Eine 35 unnennbare heilige Inbrunst wohnte in diesen Klängen, die manchmal kaum hörbar erzitterten, wie geheimnißvolles Flüstern auf dem Wasser, dann wieder süßschauerlich anschwollen, wie Waldhorntöne im Mondschein, und dann endlich mit ungezügeltem Jubel dahinbrausten, als griffen tausend Barden in
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Florentmische Nächte
die Saiten ihrer Harfen und erhüben ihre Stimmen zu einem Siegeslied. Das waren Klänge, die nie das Ohr hört, sondern nur das Herz träumen kann, wenn es des Nachts am Herzen der Geliebten ruht. Vielleicht auch begreift sie das Herz am hellen lichten Tage, wenn es sich jauchzend versenkt in die 5 Schönheitslinien und Ovalen eines griechischen Kunstwerks . . . „Oder wenn man eine Bouteille Champagner zuviel getrunken hat!" ließ sich plötzlich eine lachende Stimme vernehmen, die unseren Erzähler wie aus einem Traume weckte. Als er sich umdrehte, erblickte er den Doktor, der, in Begleitung der schwarzen Debora, ganz leise ins Zimmer getreten war, um sich 10 zu erkundigen, wie seine Medizin auf die Kranke gewirkt habe. Dieser Schlaf gefällt mir nicht, sprach der Doktor indem er nach dem Sopha zeigte. Maximilian, welcher, versunken in den Phantasmen seiner eignen Rede, gar nicht gemerkt hatte, daß Maria schon lange eingeschlafen war, biß sich ver15 drießlich in die Lippen. Dieser Schlaf, fuhr der Doktor fort, verleiht ihrem Antlitz schon ganz den Charakter des Todes. Sieht es nicht schon aus wie jene weißen Masken, jene Gipsabgüsse, worin wir die Züge der Verstorbenen zu bewahren suchen. Ich möchte wohl, flüsterte ihm Maximilian ins Ohr, von dem Gesichte 20 unserer Freundinn einen solchen Abguß aufbewahren. Sie wird auch als Leiche noch sehr schön seyn. Ich rathe Ihnen nicht dazu, entgegnete der Doktor. Solche Masken verleiden uns die Erinnerung an unsere Lieben. Wir glauben in diesem Gipse sey noch etwas von ihrem Leben enthalten, und was wir darin aufbewahrt 25 haben, ist doch ganz eigentlich der Tod selbst. Regelmäßig schöne Züge bekommen hier etwas grauenhaft Starres, Verhöhnendes, Fatales, wodurch sie uns mehr erschrecken als erfreuen. Wahre Karrikaturen aber sind die Gipsabgüsse von Gesichtern, deren Reitz mehr von geistiger Art war, deren Züge weniger regelmäßig als interessant gewesen; denn sobald die Grazien des 30 Lebens darin erloschen sind, werden die wirklichen Abweichungen von den idealen Schönheitslinien nicht mehr durch geistige Reitze ausgeglichen. Gemeinsam ist aber allen diesen Gipsgesichtern ein gewisser räthselhafter Zug, der uns, bey längerer Betrachtung, aufs unleidlichste die Seele durchfröstelt; sie sehen alle aus wie Menschen, die im Begriffe sind einen schweren Gang zu 35 gehen. Wohin? frug Maximilian, als der Doktor seinen Arm ergriff und ihn aus dem Zimmer fortführte.
ZWEITE NACHT.
Und warum wollen Sie mich noch mit dieser häßlichen Medicin quälen, da ich ja doch so bald sterbe! Es war Maria welche eben, als Maximilian ins Zimmer trat, diese Worte gesprochen. Vor ihr stand der Arzt, in der einen Hand eine Medizinflasche, in der 5 anderen einen kleinen Becher, worin ein bräunlicher Saft widerwärtig schäumte. Theuerster Freund, rief er indem er sich zu dem Eintretenden wandte. Ihre Anwesenheit ist mir jetzt sehr lieb. Suchen Sie doch Signora dahin zu bewegen, daß sie nur diese wenigen Tropfen einschlürft; ich habe Eile. Ich bitte Sie, Maria! flüsterte Maximilian mit jener weichen Stimme, die to man nicht sehr oft an ihm bemerkt hat, und die aus einem so wunden Herzen zu kommen schien, daß die Kranke, sonderbar gerührt, fast ihres eigenen Leides vergessend, den Becher in die Hand nahm; ehe sie ihn aber zum Munde führte, sprach sie lächelnd: Nicht wahr, zur Belohnung erzählen Sie mir dann auch die Geschichte von der Laurenzia? 15 Alles was Sie wünschen soll geschehen! nickte Maximilian. Die blasse Frau trank alsbald den Inhalt des Bechers, halb lächelnd, halb schaudernd. Ich habe Eile, sprach der Arzt, indem er seine schwarzen Handschuhe anzog. Legen Sie sich ruhig nieder, Signora, und bewegen Sie sich so wenig als 20 möglich. Ich habe Eile. Begleitet von der schwarzen Debora, die ihm leuchtete, verließ er das Gemach. — Als nun die beiden Freunde allein waren, sahen sie sich lange schweigend an. In beider Seele wurden Gedanken laut, die eins dem anderen zu verhehlen suchte. Das Weib aber ergriff plötzlich die Hand des Mannes und 25 bedeckte sie mit glühenden Küssen. Um Gotteswillen, sprach Maximilian, bewegen Sie sich nicht so gewaltsam und legen Sie sich wieder ruhig aufs Sopha. Als Maria diesen Wunsch erfüllte, bedeckte er ihre Füße sehr sorgsam mit dem Shawl, den er vorher mit seinen Lippen berührt hatte. Sie mochte es wohl 30 bemerkt haben, denn sie zwinkte vergnügt mit den Augen, wie ein glückliches Kind. War Mademoiselle Laurence sehr schön?
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Florentinische Nächte
Wenn Sie mich nie unterbrechen wollen, theure Freundinn, und mir angeloben, ganz schweigsam und ruhig zuzuhören, so will ich alles was Sie zu wissen begehren, umständlich berichten. Dem bejahenden Blicke Marias mit Freundlichkeit zulächelnd, setzte sich 5 Maximilian auf den Sessel, der vor dem Sopha stand, und begann folgendermaßen seine Erzählung: Es sind nun acht Jahre, daß ich nach London reiste, um die Sprache und das Volk dort kennen zu lernen. Hol der Teufel das Volk mitsammt seiner Sprache! Da nehmen sie ein Dutzend einsilbiger Worte ins Maul, kauen sie, knatschen io sie, spucken sie wieder aus, und das nennen sie Sprechen. Zum Glück sind sie ihrer Natur nach ziemlich schweigsam, und obgleich sie uns immer mit aufgesperrtem Maule ansehen, so verschonen sie uns jedoch mit langen Conversazionen. Aber wehe uns, wenn wir einem Sohne Albions in die Hände fallen, der die große Tour gemacht und auf dem Continente Französisch ge15 lernt hat. Dieser will dann die Gelegenheit benutzen, die erlangten Sprachkenntnisse zu üben und überschüttet uns mit Fragen über alle möglichen Gegenstände, und kaum hat man die eine Frage beantwortet, so kommt er mit einer neuen herangezogen, entweder über Alter oder Heimath oder Dauer unseres Aufenthalts und mit diesem unaufhörlichen Inquiriren glaubt er uns 20 aufs allerbeste zu unterhalten. Einer meiner Freunde in Paris hatte vielleicht Recht, als er behauptete: daß die Engländer ihre französische Conversazion auf dem Bureau des passeports erlernen. Am nützlichsten ist ihre Unterhaltung bey Tische, wenn sie ihre kolossalen Rostbeefe tranchiren und mit den ernsthaftesten Mienen uns abfragen: welch ein Stück wir verlangen? ob stark 25 oder schwach gebraten? ob aus der Mitte oder aus der braunen Rinde? ob fett oder mager? Diese Rostbeefe und ihre Hammelbraten sind aber auch alles was sie Gutes haben. Der Himmel bewahre jeden Christenmensch vor ihren Saucen, die aus 1 / 3 Mehl und 2/3 Butter, oder, je nachdem die Mischung eine Abwechselung bezweckt, aus 1 / s Butter und 2/3 Mehl bestehen. Der Himmel 30 bewahre auch jeden vor ihren naiven Gemüsen, die sie, in Wasser abgekocht, ganz wie Gott sie erschaffen hat, auf den Tisch bringen. Entsetzlicher noch als die Küche der Engländer sind ihre Toaste und ihre obligaten Standreden, wenn das Tischtuch aufgehoben wird und die Damen sich von der Tafel wegbegeben, und statt ihrer eben so viele Bouteillen Portwein aufgetragen 35 werden . . . denn durch letztere glauben sie die Abwesenheit des schönen Geschlechtes aufs beste zu ersetzen. Ich sage des schönen Geschlechtes, denn die Engländerinnen verdienen diesen Namen. Es sind schöne, weiße, schlanke Leiber. Nur der allzubreite Raum zwischen der Nase und dem Munde, der bey ihnen eben so häufig wie bey den englischen Männern gefunden wird,
Zweite Nacht hat mir oft in England die schönsten Gesichter verleidet. Diese Abweichung von dem Typus des Schönen, wirkt auf mich noch fataler, wenn ich die Engländer hier in Italien sehe, wo ihre kärglich gemessenen Nasen und die breite Fleischfläche, die sich darunter bis zum Maule erstreckt, einen desto schrofferen Contrast bildet mit den Gesichtern der Italiener, deren Züge mehr von 5 antiquer Regelmäßigkeit sind, und deren Nasen, entweder römisch gebogen oder griechisch gesenkt, nicht selten ins Allzulängliche ausarten. Sehr richtig ist die Bemerkung eines deutschen Reisenden, daß die Engländer, wenn sie hier unter den Italienern wandeln, alle wie Statuen aussehen, denen man die Nasenspitze abgeschlagen hat. 10 Ja, wenn man den Engländern in einem fremden Lande begegnet, kann man durch den Contrast, ihre Mängel erst recht grell hervortreten sehen. Es sind die Götter der Langeweile, die, in blanklakirten Wagen, mit Extrapost durch alle Länder jagen, und überall eine graue Staubwolke von Traurigkeit hinter sich lassen. Dazu kommt ihre Neugier ohne Interesse, ihre geputzte Plump- 15 heit, ihre freche Blödigkeit, ihr eckiger Egoismus, und ihre öde Freude an allen melancholischen Gegenständen. Schon seit drey Wochen sieht man hier auf der Piazza di Gran Duca alle Tage einen Engländer, welcher stundenlang mit offenem Maule jenem Charlatane zuschaut, der dort, zu Pferde sitzend, den Leuten die Zähne ausreißt. Dieses Schauspiel soll den edlen Sohn Albions 20 vielleicht schadlos halten für die Exekuzionen, die er in seinem theuern Vaterlande versäumt. . . Denn nächst Boxen und Hahnenkampf, giebt es für einen Britten keinen köstlicheren Anblick, als die Agonie eines armen Teufels, der ein Schaf gestohlen oder eine Handschrift nachgeahmt hat, und vor der Façade von Old-Baylie eine Stunde lang, mit einem Strick um den Hals, aus- 25 gestellt wird, ehe man ihn in die Ewigkeit schleudert. Es ist keine Uebertreibung, wenn ich sage, daß Schafdiebstahl und Fälschung in jenem häßlich grausamen Lande gleich den abscheulichsten Verbrechen, gleich Vatermord und Blutschande, bestraft werden. Ich selber, den ein trister Zufall vorbeyführte, ich sah in London einen Menschen hängen, weil er ein Schaf gestohlen und seit- 30 dem verlor ich alle Freude an Hammelbraten; das Fett erinnert mich immer an die weiße Mütze des armen Sünders. Neben ihm ward ein Irländer gehenkt, der die Handschrift eines reichen Banquiers nachgeahmt; noch immer sehe ich die naive Todesangst des armen Paddy, welcher vor den Assisen nicht begreifen konnte, daß man ihn einer nachgeahmten Handschrift wegen so hart 55 bestrafe, ihn, der doch jedem Menschenkind erlaube, seine eigne Handschrift nachzuahmen 1 Und dieses Volk spricht beständig von Christenthum, und versäumt des Sonntags keine Kirche, und überschwemmt die ganze Welt mit Bibeln.
Florentinische Nächte Ich will es Ihnen gestehen, Maria, wenn mir in England nichts munden wollte, weder Menschen noch Küche, so lag auch wohl zum Theil der Grund in mir selber. Ich hatte einen guten Vorrath von Mißlaune mit hinübergebracht aus der Heimath, und ich suchte Erheiterung bey einem Volke, das 5 selber nur im Strudel der politischen und merkantilischen Thätigkeit seine Langeweile zu tödten weiß. Die Vollkommenheit der Maschinen, die hier überall angewendet werden, und so viele menschliche Verrichtungen übernommen, hatte ebenfalls für mich etwas Unheimliches; dieses künstliche Getriebe von Rädern, Stangen, Cylindern und tausenderley kleinen Häkchen, io Stiftchen und Zähnchen, die sich fast leidenschaftlich bewegen, erfüllte mich mit Grauen. Das Bestimmte, das Genaue, das Ausgemessene und die Pünktlichkeit im Leben der Engländer beängstigte mich nicht minder; denn gleichwie die Maschinen in England uns wie Menschen vorkommen, so erscheinen uns dort die Menschen wie Maschinen. Ja, Holz, Eisen und Messing scheinen 15 dort den Geist des Menschen usurpirt zu haben und vor Geistesfülle fast wahnsinnig geworden zu seyn, während der entgeistete Mensch, als ein hohles Gespenst, ganz maschinenmäßig seine Gewohnheitsgeschäfte verrichtet, zur bestimmten Minute Beefstäke frißt, Parlamentsreden hält, seine Nägel bürstet, in die Stage-Coach steigt oder sich aufhängt. 20 Wie mein Mißbehagen in diesem Lande sich täglich steigerte, können Sie sich wohl vorstellen. Nichts aber gleicht der schwarzen Stimmung, die mich einst befiel, als ich, gegen Abendzeit, auf der Waterloo-Brücke stand und in die Wasser der Themse hineinblickte. Mir war als spiegelte sich darinn meine Seele, als schaute sie mir aus dem Wasser entgegen mit allen ihren Wunden25 malen. . . Dabey kamen mir die kummervollsten Geschichten ins Gedächtniß . . . Ich dachte an die Rose, die immer mit Essig begossen worden und dadurch ihre süßesten Düfte einbüßte und frühzeitig verwelkte . . . Ich dachte an den verirrten Schmetterling, den ein Naturforscher, der den Montblanc bestieg, dort ganz einsam zwischen den Eiswänden umherflattern sah. . . 30 Ich dachte an die zahme Aeffinn, die mit den Menschen so vertraut war, mit ihnen spielte, mit ihnen speiste, aber einst, bey Tische, in dem Braten, der in der Schüssel lag, ihr eignes junges Aeffchen erkannte, es hastig ergriff, damit in den Wald eilte, und sich nie mehr unter ihren Freunden, den Menschen, sehen ließ . . . Ach, mir ward so weh zu Muthe, daß mir gewaltsam die 35 heißen Tropfen aus den Augen stürzten. . . Sie fielen hinab in die Themse, und schwammen fort ins große Meer, das schon so manche Menschenthräne verschluckt hat, ohne es zu merken! In diesem Augenblick geschah es, daß eine sonderbare Musik mich aus meinen dunklen Träumen weckte, und als ich mich umsah, bemerkte ich am
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Ufer einen Haufen Menschen, die um irgend ein ergötzliches Schauspiel einen Kreis gebildet zu haben schienen. Ich trat näher und erblickte eine Künstlerfamilie, welche aus folgenden vier Personen bestand: Erstens, eine kleine untersetzte Frau, die ganz schwarz gekleidet war, einen sehr kleinen Kopf und einen mächtig dick hervortretenden Bauch hatte. Ueber 5 diesen Bauch hing ihr eine ungeheuer große Trommel, worauf sie ganz unbarmherzig lostrommelte. Zweitens, ein Zwerg, der wie ein altfranzösischer Marquis ein brodirtes Kleid trug, einen großen gepuderten Kopf, aber übrigens sehr dünne, winzige Gliedmaßen hatte und hin und hertänzelnd den Triangel schlug. 10 Drittens, ein etwa fünfzehnjähriges junges Mädchen, welches eine kurze, enganliegende Jacke von blaugestreifter Seide, und weite, ebenfalls blaugestreifte Pantalons trug. Es war eine luftiggebaute, anmuthige Gestalt. Das Gesicht griechisch schön. Edel grade Nase, lieblich geschürzte Lippen, träumerisch weich gerundetes Kinn, die Farbe sonnig gelb, die Haare glänzend 15 schwarz um die Schläfen gewunden: so stand sie, schlank und ernsthaft, ja mißlaunig, und schaute auf die vierte Person der Gesellschaft, welche eben ihre Kunststücke produzirte. Diese vierte Person war ein gelehrter Hund, ein sehr hoffnungsvoller Pudel, und er hatte eben, zur höchsten Freude des englischen Publikums, aus den zo Holzbuchstaben die man ihm vorgelegt, den Namen des Lord Wellington zusammengesetzt und ein sehr schmeichelhaftes Beywort, nemüch Heros, hinzugefügt. Da der Hund, was man schon seinem geistreichen Aeußern anmerken konnte, kein englisches Vieh war, sondern, nebst den anderen drey Personen, aus Frankreich hinübergekommen: so freuten sich Albions Söhne, daß ihr 25 großer Feldherr wenigstens bey französischen Hunden jene Anerkennung erlangt habe, die ihm von den übrigen Creaturen Frankreichs so schmählig versagt wird. In der That, diese Gesellschaft bestand aus Franzosen, und der Zwerg, welcher sich hiernächst als Monsieur Türlütü ankündigte, fing an in fran- 30 zösischer Sprache und mit so leidenschaftlichen Gesten zu bramarbasiren, daß die armen Engländer, noch weiter als gewöhnlich, ihre Mäuler und Nasen aufsperrten. Manchmal, nach einer langen Phrase, krähte er wie ein Hahn, und diese Kikerikis, so wie auch die Namen von vielen Kaisern, Königen und Fürsten, die er seiner Rede einmischte, waren wohl das Einzige was die armen 35 Zuschauer verstanden. Jene Kaiser, Könige und Fürsten rühmte er nemüch als seine Gönner und Freunde. Schon als Knabe von acht Jahren, wie er versicherte, hatte er eine lange Unterredung mit der höchstseligen Majestät Ludwig X V I , welcher auch späterhin, bey wichtigen Gelegenheiten, ihn 3
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immer um Rath fragte. Den Stürmen der Revolution war er, so wie viele andre, durch die Flucht entgangen, und erst unter dem Kaiserthum war er ins geliebte Vaterland zurückgekehrt, um Theil zu nehmen an dem Ruhm der großen Nazion. Napoleon, sagte er, habe ihn nie geliebt, dagegen von Sr. 5 Heiligkeit dem Pabste Pius VII. sey er fast vergöttert worden. Der Kaiser Alexander gab ihm Bonbons, und die Prinzessinn Wilhelm von Kiritz nahm ihn immer auf den Schooß. Ja, von Kindheit auf, sagte er, habe er unter lauter Souverainen gelebt, die jetzigen Monarchen Seyen gleichsam mit ihm aufgewachsen, und er betrachte sie wie Seinesgleichen, und er lege auch jedes10 mal Trauer an, wenn einer von ihnen das Zeitliche segne. Nach diesen gravitätischen Worten krähte er wie ein Hahn. Monsieur Türlütü war in der That einer der kuriosesten Zwerge, die ich je gesehen; sein verrunzelt altes Gesicht bildete einen so putzigen Contrast mit seinem kindisch schmalen Leibchen und seine ganze Person kontrastirte 15 wieder so putzig mit den Kunststücken die er produzirte. Er warf sich nemlich in die kecksten Posituren, und mit einem unmenschlich langen Rappiere durchstach er die Luft die Kreuz und die Quer, während er beständig bey seiner Ehre schwur, daß diese Quarte oder jene Terze von niemanden zu pariren sey, daß hingegen seine Parade von keinem sterblichen Menschen durchgeschlagen 20 werden könne, und daß er jeden im Publikum auffordere sich mit ihm in der edlen Fechtkunst zu messen. Nachdem der Zwerg dieses Spiel einige Zeit getrieben und niemanden gefunden hatte, der sich zu einem öffentlichen Zweykampfe mit ihm entschließen wollte, verbeugte er sich mit altfranzösischer Grazie, dankte für den Beyfall, den man ihm gespendet, und nahm sich 25 die Freyheit einem hochzuverehrenden Pubüko das außerordentlichste Schauspiel anzukündigen, das jemals auf englischem Boden bewundert worden. „Sehen Sie, diese Person" — rief er, nachdem er schmutzige Glacehandschuh angezogen und das junge Mädchen, das zur Gesellschaft gehörte, mit ehrfurchtsvoller Galanterie bis in die Mitte des Kreises geführt — „diese Person 30 ist Mademoiselle Laurence, die einzige Tochter der ehrbaren und christlichen Dame, die Sie dort mit der großen Trommel sehen und die jetzt noch Trauer trägt wegen des Verlustes ihres innigstgeliebten Gatten, des größten Bauchredners Europas! Mademoiselle Laurence wird jetzt tanzen! Bewundern Sie jetzt den Tanz von Mademoiselle Laurence!" Nach diesen Worten krähte er 35 wieder wie ein Hahn. Das junge Mädchen schien weder auf diese Reden, noch auf die Blicke der Zuschauer im mindesten zu achten; verdrießlich in sich selbst versunken harrte sie bis der Zwerg einen großen Teppich zu ihren Füßen ausgebreitet und wieder, in Begleitung der großen Trommel, seinen Triangel zu spielen begann. Es
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war eine sonderbare Musik, eine Mischung von täppischer Brummigkeit und wollüstigem Gekitzel, und ich vernahm eine pathetisch närrische, wehmüthig freche, bizarre Melodie, die dennoch von der sonderbarsten Einfachheit. Dieser Musik aber vergaß ich bald, als das junge Mädchen zu tanzen begann. Tanz und Tänzerinn nahmen fast gewaltsam meine ganze Aufmerksamkeit 5 in Anspruch. Das war nicht das klassische Tanzen, das wir noch in unseren großen Balleten finden, wo, eben so wie in der klassischen Tragödie, nur gespreitzte Einheiten und Künstlichkeiten herrschen; das waren nicht jene getanzten Alexandriner, jene deklamatorischen Sprünge, jene antithetischen Entrechats, jene edle Leidenschaft, die so wirbelnd auf einem Fuße herum- 10 pirouettirt, daß man nichts sieht als Himmel und Trikot, nichts als Idealität und Lüge! Es ist mir wahrlich nichts so sehr zuwider, wie das Ballet in der großen Oper zu Paris, wo sich die Tradizion jenes klassischen Tanzens am reinsten erhalten hat, während die Franzosen in den übrigen Künsten, in der Poesie, in der Musik, und in der Malerey, das klassische System umgestürzt 15 haben. Es wird ihnen aber schwer werden eine ähnliche Revoluzion in der Tanzkunst zu vollbringen; es sey denn, daß sie hier wieder, wie in ihrer politischen Revoluzion, zum Terrorismus ihre Zuflucht nehmen und den verstockten Tänzern und Tänzerinnen des alten Regimes die Beine guillotiniren. Mademoiselle Laurence war keine große Tänzerinn, ihre Fußspitzen 20 waren nicht sehr biegsam, ihre Beine waren nicht geübt zu allen möglichen Verrenkungen, sie verstand nichts von der Tanzkunst wie sie Vestris lehrt, aber sie tanzte wie die Natur den Menschen zu tanzen gebietet: ihr ganzes Wesen war im Einklang mit ihren Pas, nicht bloß ihre Füße, sondern ihr ganzer Leib tanzte, ihr Gesicht tanzte . . . sie wurde manchmal blaß, fast todtenblaß, 25 ihre Augen öffneten sich gespenstisch weit, um ihre Lippen zuckten Begier und Schmerz, und ihre schwarzen Haare, die in glatten Ovalen ihre Schläfen umschlossen, bewegten sich wie zwey flatternde Rabenflügel. Das war in der That kein klassischer Tanz, aber auch kein romantischer Tanz, in dem Sinne wie ein junger Franzose von der Eugene-Rendüelschen Schule sagen würde. 30 Dieser Tanz hatte weder etwas Mittelalterliches, noch etwas Venezianisches, noch etwas Bucklichtes, noch etwas Makabrisches, es war weder Mondschein darin noch Blutschande... Es war ein Tanz, welcher nicht durch äußere Bewegungsformen zu amüsiren strebte, sondern die äußeren Bewegungsformen schienen Worte einer besonderen Sprache, die etwas Besonderes sagen 35 wollte. Was aber sagte dieser Tanz? Ich konnte es nicht verstehen, so leidenschaftlich auch diese Sprache sich gebärdete. Ich ahnte nur manchmal, daß von etwas grauenhaft Schmerzlichem die Rede war. Ich der sonst die Signatur aller Erscheinungen so leicht begreift, ich konnte dennoch dieses getanzte 3*
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Räthsel nicht lösen, und daß ich immer vergeblich nach dem Sinn desselben tappte, daran war auch wohl die Musik Schuld, die mich gewiß absichtlich auf falsche Fährten leitete, mich listig zu verwirren suchte und mich immer störte. Monsieur Türlütüs Triangel kicherte manchmal so hämisch! Madame 5 Mutter aber schlug auf ihre große Trommel so zornig, daß ihr Gesicht, aus dem Gewölke der schwarzen Mütze, wie ein blutrothes Nordlicht hervorglühte. Als die Truppe sich wieder entfernt hatte, blieb ich noch lange auf demselben Platze stehen, und dachte drüber nach, was dieser Tanz bedeuten io mochte? War es ein südfranzösischer oder spanischer Nazionaltanz? An dergleichen mahnte wohl der Ungestüm, womit die Tänzerinn ihr Leibchen hin und her schleuderte, und die Wildheit womit sie manchmal ihr Haupt rückwärts warf, in der frevelhaft kühnen Weise jener Bachantinnen, die wir auf den Reliefs der antiquen Vasen mit Erstaunen betrachten. Ihr Tanz hatte dann 15 etwas trunken Willenloses, etwas finster Unabwendbares, etwas Fatalistisches, sie tanzte dann wie das Schicksal. Oder waren es Fragmente einer uralten verschollenen Pantomime? Oder war es getanzte Privatgeschichte? Manchmal beugte sich das Mädchen zur Erde, wie mit lauerndem Ohre, als hörte sie eine Stimme, die zu ihr heraufspräche . . . sie zitterte dann wie Espenlaub, bog 20 rasch nach einer anderen Seite, entlud sich dort ihrer tollsten, ausgelassendsten Sprünge, beugte dann wieder das Ohr zur Erde, horchte noch ängstlicher als zuvor, nickte mit dem Kopfe, ward roth, ward blaß, schauderte, blieb eine Weile kerzengrade stehen, wie erstarrt, und machte endlich eine Bewegung wie jemand der sich die Hände wäscht. War es Blut, was sie so sorgfältig 25 lange, so grauenhaft sorgfältig von ihren Händen abwusch? Sie warf dabey seitwärts einen Blick, der so bittend, so flehend, so seelenschmelzend . . . und dieser Blick fiel zufällig auf mich. Die ganze folgende Nacht dachte ich an diesen Blick, an diesen Tanz, an das abentheuerliche Accompagnement; und als ich des anderen Tages, wie 30 gewöhnlich, durch die Straßen von London schlenderte, empfand ich den sehnlichsten Wunsch der hübschen Tänzerinn wieder zu begegnen, und ich spitzte immer die Ohren, ob ich nicht irgend eine Trommel- und Triangelmusik hörte. Ich hatte endlich in London etwas gefunden, wofür ich mich interessirte, und ich wanderte nicht mehr zwecklos einher in seinen gähnenden 35 Straßen. Ich kam eben aus dem Tower und hatte mir dort die Axt, womit Anna Boleyn geköpft worden, genau betrachtet, so wie auch die Diamanten der englischen Krone und die Löwen, als ich auf dem Towerplatze, inmitten eines großen Menschenkreises, wieder Madame Mutter mit der großen Trommel
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erblickte und Monsieur Türlütü wie einen Hahn krähen hörte. Der gelehrte Hund scharrte wieder das Heldenthum des Lord Wellington zusammen, der Zwerg zeigte wieder seine unparirbaren Terzen und Quarten, und Mademoiselle Laurence begann wieder ihren wunderbaren Tanz. Es waren wieder dieselben räthselhaften Bewegungen, dieselbe Sprache die etwas sagte was ich 5 nicht verstand, dasselbe ungestüme Zurückwerfen des schönen Kopfes, dasselbe Lauschen nach der Erde, die Angst die sich durch immer tollere Sprünge beschwichtigen will, und wieder das Horchen mit nach dem Boden geneigtem Ohr, das Zittern, das Erblassen, das Erstarren, dann auch das furchtbar geheimnißvolle Händewaschen, und endlich der bittende, flehende Seitenblick, 10 der diesmal noch länger auf mich verweilte. Ja, die Weiber, die jungen Mädchen eben so gut wie die Frauen, merken es gleich, sobald sie die Aufmerksamkeit eines Mannes erregt. Obgleich Mademoiselle Laurence, wenn sie nicht tanzte, immer regungslos verdrießlich vor sich hinsah, und während sie tanzte manchmal nur einen einzigen Blick 15 auf das Publikum warf: so war es von jetzt an doch nie mehr bloßer Zufall, daß dieser Blick immer auf mich fiel, und je öfter ich sie tanzen sah, desto bedeutungsvoller stralte er, aber auch desto unbegreiflicher. Ich war wie verzaubert von diesem Blicke, und drey Wochen lang, von Morgen bis Abend, trieb ich mich umher in den Straßen von London, überall verweilend, wo 20 Mademoiselle Laurence tanzte. Trotz des größten Volksgeräusches, konnte ich schon in der weitesten Entfernung die Töne der Trommel und des Triangels vernehmen, und Monsieur Türlütü, sobald er mich heraneilen sah, erhub sein freundlichstes Krähen. Ohne daß ich mit ihm, noch mit Mademoiselle Laurence, noch mit Madame Mutter, noch mit dem gelehrten Hund, 25 jemals ein Wort sprach, so schien ich doch am Ende ganz zu ihrer Gesellschaft zu gehören. Wenn Monsieur Türlütü Geld einsammelte, betrug er sich immer mit dem feinsten Takt, sobald er mir nahete, und er schaute immer nach einer entgegengesetzten Seite, wenn ich in sein dreyeckiges Hütchen ein kleines Geldstück warf. Er besaß wirklich einen vornehmen Anstand, er erinnerte an 30 die guten Manieren der Vergangenheit, man konnte es dem kleinen Manne anmerken, daß er mit Monarchen aufgewachsen, und um so befremdlicher war es, wenn er zuweilen, ganz und gar seiner Würde vergessend, wie ein Hahn krähete. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie sehr ich verdrießlich wurde, als ich 35 einst drey Tage lang vergebens die kleine Gesellschaft in allen Straßen Londons gesucht, und endlich wohl merkte, daß sie die Stadt verlassen habe. Die lange Weile nahm mich wieder in ihre bleyernen Arme und preßte mir wieder das Herz zusammen. Ich konnte es endlich nicht länger aushalten,
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sagte ein Lebewohl dem Mob, den Blackguards, den Gentlemen und den Faschionables von England, den vier Ständen des Reichs, und reiste zurück nach dem civilisirten festen Lande, wo ich vor der weißen Schürze des ersten Kochs, dem ich dort begegnete, anbetend niederkniete. Hier konnte ich wieder 5 einmal wie ein vernünftiger Mensch zu Mittag essen und an der Gemüthlichkeit uneigennütziger Gesichter meine Seele erquicken. Aber Mademoiselle Laurence konnte ich nimmermehr vergessen, sie tanzte lange Zeit in meinem Gedächtnisse, in einsamen Stunden mußte ich noch oft nachdenken über die räthselhaften Pantomimen des schönen Kindes, besonders über das Lauschen 10 mit nach der Erde gebeugtem Ohre. Es dauerte auch eine gute Weile ehe die abentheuerlichen Triangel- und Trommelmelodien in meiner Erinnerung verhallten. Und das ist die ganze Geschichte? schrie auf einmal Maria, indem sie sich leidenschaftlich emporrichtete. 15 Maximilian aber drückte sie wieder sanft nieder, legte bedeutungsvoll den Zeigefinger auf seinen Mund und flüsterte: Still! still! nur kein Wort gesprochen, liegen Sie wieder hübsch ruhig, und ich werde Ihnen den Schwanz der Geschichte erzählen. Nur bey Leibe unterbrechen Sie mich nicht. Indem er sich noch etwas gemächlicher in seinem Sessel zurücklehnte, fuhr 20 Maximilian folgendermaßen fort in seiner Erzählung: Fünf Jahre nach diesem Begebniß kam ich zum erstenmale nach Paris, und zwar in einer sehr merkwürdigen Periode. Die Franzosen hatten so eben ihre Juliusrevoluzion aufgeführt, und die ganze Welt applaudirte. Dieses Stück war nicht so gräßlich wie die früheren Tragödien der Republik und des 25 Kaiserreichs. Nur einige tausend Leichen blieben auf dem Schauplatz. Auch waren die politischen Romantiker nicht sehr zufrieden und kündigten ein neues Stück an, worin mehr Blut fließen würde und wo der Henker mehr zu thun bekäme. Paris ergötzte mich sehr, durch die Heiterkeit, die sich in allen Erscheinun30 gen dort kund giebt und auch auf ganz verdüsterte Gemüther ihren Einfluß ausübt. Sonderbar! Paris ist der Schauplatz, wo die größten Tragödien der Weltgeschichte aufgeführt werden, Tragödien bey deren Erinnerung sogar in den entferntesten Ländern die Herzen zittern und die Augen naß werden; aber dem Zuschauer dieser großen Tragödien ergeht es hier in Paris, wie es mir 55 einst an der Porte-Saint-Martin erging, als ich die Tour-de-Nesle aufführen sah. Ich kam nemlich hinter eine Dame zu sitzen, die einen Hut von rosarother Gace trug, und dieser Hut war so breit, daß er mir die ganze Aussicht auf die Bühne versperrte, daß ich alles was dort tragirt wurde, nur durch die rothe Gace dieses Hutes sah, und daß mir also alle Greuel der Tour-de-Nesle im
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heitersten Rosenlichte erschienen. Ja, es giebt in Paris ein solches Rosenlicht, welches alle Tragödien für den nahen Zuschauer erheitert, damit ihm dort der Lebensgenuß nicht verleidet wird. Sogar die Schrecknisse, die man im eignen Herzen mitgebracht hat nach Paris, verlieren dort ihre beängstigende Schauer. Die Schmerzen werden sonderbar gesänftigt. In dieser Luft von Paris heilen alle Wunden viel schneller als irgendanderswo ; es ist in dieser Luft etwas so Großmüthiges, so Mildreiches, so Liebenswürdiges wie im Volke selbst. Was mir am besten an diesem pariser Volke gefiel, das war sein höfliches Wesen und sein vornehmes Ansehen. Süßer Ananasduft der Höflichkeit! wie wohlthätig erquicktest du meine kranke Seele, die in Deutschland so viel Tabacksqualm, Sauerkrautsgeruch und Grobheit eingeschluckt! Wie Rossinische Melodien erklangen in meinem Ohr die artigen Entschuldigungsreden eines Franzosen, der am Tage meiner Ankunft, mich auf der Straße nur leise gestoßen hatte. Ich erschrack fast vor solcher süßen Höflichkeit, ich, der ich an deutschflegelhaften Rippenstößen ohne Entschuldigung gewöhnt war. Während der ersten Woche meines Aufenthalts in Paris suchte ich vorsätzlich einigemal gestoßen zu werden, bloß um mich an dieser Musik der Entschuldigungsreden zu erfreuen. Aber nicht bloß wegen dieser Höflichkeit, sondern auch schon seiner Sprache wegen, hatte für mich das französische V o l k einen gewissen Anstrich von Vornehmheit. Denn wie Sie wissen, bey uns im Norden, gehört die französische Sprache zu den Attributen des hohen Adels, mit Französisch-Sprechen hatte ich von Kindheit an die Idee der Vornehmheit verbunden. Und so eine pariser Dame-de-la-halle sprach besser französisch als eine deutsche Stiftsdame von vier und sechzig Ahnen.
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Wegen dieser Sprache, die ihm ein vornehmes Ansehen verleiht, hatte das 25 französische Volk in meinen Augen etwas allerliebst Fabelhaftes. Dieses entsprang aus einer anderen Reminiszenz meiner Kindheit. Das erste Buch nemlich, worinn ich französisch Lesen lernte, waren die Fabeln von Lafontaine; die naiv vernünftigen Redensarten derselben hatten sich meinem Gedächtnisse am unauslöschlichsten eingeprägt, und als ich nun nach Paris 50 kam und überall Französisch sprechen hörte, erinnerte ich mich beständig der lafontaineschen Fabeln, ich glaubte immer die wohlbekannten Thierstimmen zu hören: jetzt sprach der Löwe, dann wieder sprach der Wolf, dann das Lamm, oder der Storch, oder die Taube, nicht selten vermeinte ich auch den Fuchs zu vernehmen, und in meiner Erinnerung erwachten manchmal die 35 Worte: He! bon jour, Monsieur le corbeau! Que vous êtes joli, que vous me semblez beau!
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Solche fabelhafte Reminiszenzen erwachten aber in meiner Seele noch viel öfter, wenn ich zu Paris in jene höhere Region gerieth, welche man die Welt nennt. Dieses war ja eben jene Welt, die dem seligen Lafontaine die Typen seiner Thierkaraktere geliefert hatte. Die Wintersaison begann bald nach 5 meiner Ankunft in Paris, und ich nahm Theil an dem Salonleben, worinn sich jene Welt mehr oder minder lustig herumtreibt. Als das Interessanteste dieser Welt frappirte mich nicht sowohl die Gleichheit der feinen Sitten, die dort herrscht, sondern vielmehr die Verschiedenheit ihrer Bestandtheile. Manchmal, wenn ich mir in einem großen Salon die Menschen betrachtete, die sich dort 10 friedlich versammelt, glaubte ich mich in jenen Raritätenboutiquen zu befinden, wo die Reliquien aller Zeiten kunterbunt neben einander ruhen: ein griechischer Apollo neben einer chinesischen Pagode, ein mexikanischer Vitzliputzli neben einem gothischen Ecce-homo, egyptische Götzen mit Hundköpfchen, heilige Fratzen von Holz, von Elfenbein, von Metall u. s. w. J5 Da sah ich alte Mousketairs, die einst mit Maria Antoinette getanzt, Republikaner von der gelinden Observanz, die in der Assemblee-Nationale vergöttert wurden, Montagnards ohne Barmherzigkeit und ohne Flecken, ehemalige Direktorialmänner, die im Luxemburg gethront, Großwürdenträger des Empires, vor denen ganz Europa gezittert, herrschende Jesuiten der 20 Restaurazion, kurz lauter abgefärbte, verstümmelte Gottheiten aus allen Zeitaltern, und woran niemand mehr glaubt. Die Namen heulen wenn sie sich berühren, aber die Menschen sieht man friedsam und freundlich neben einander stehen, wie die Antiquitäten in den erwähnten Boutiquen des Quai Voltaire. In germanischen Landen, wo die Leidenschaften weniger disciplinirbar sind, 25 wäre ein gesellschaftliches Zusammenleben so heterogener Personen etwas ganz Unmögliches. Auch ist bey uns, im kalten Norden, das Bedürfniß des Sprechens nicht so stark wie im wärmeren Frankreich, wo die größten Feinde, wenn sie sich in einem Salon begegnen, nicht lange ein finsteres Stillschweigen beobachten können. Auch ist in Frankreich die Gefallsucht so groß, daß man 30 eifrig dahin strebt nicht bloß den Freunden, sondern auch den Feinden zu gefallen. Da ist ein beständiges Drappiren und Minaudiren und die Weiber haben hier ihre liebe Mühe die Männer in der Coketterie zu übertreffen; aber es gelingt ihnen dennoch. Ich will mit dieser Bemerkung nichts Böses gemeint haben, bey Leibe nichts 35 Böses in Betreff der französischen Frauen, und am allerwenigsten in Betreff der Pariserinnen. Bin ich doch der größte Verehrer derselben, und ich verehre sie ihrer Fehler wegen noch weit mehr als wegen ihrer Tugenden. Ich kenne nichts Treffenderes als die Legende, daß die Pariserinnen mit allen möglichen Fehlern zur Welt kommen, daß aber eine holde Fee sich ihrer erbarmt und
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jedem ihrer Fehler einen Zauber verleiht, wodurch er sogar als ein neuer Liebreitz wirkt. Diese holde Fee ist die Grazie. Sind die Pariserinnen schön? Wer kann das wissen! Wer kann alle Intriguen der Toilette durchschauen, wer kann entziffern ob das acht ist, was der Tüll verräth, oder ob das falsch ist, was das bauschige Seidenzeug vorpralt! Und ist es dem Auge gelungen durch 5 die Schale zu dringen und sind wir eben im Begriff den Kern zu erforschen, dann hüllt er sich gleich in eine neue Schale, und nachher wieder in eine neue, und durch diesen unaufhörlichen Modewechsel spotten sie des männlichen Scharfblicks. Sind ihre Gesichter schön? Auch dieses wäre schwierig zu ermitteln. Denn alle ihre Gesichtszüge sind in beständiger Bewegung, jede 1° Pariserinn hat tausend Gesichter, eins lachender, geistreicher, holdseliger als das andere, und setzt denjenigen in Verlegenheit, der darunter das schönste Gesicht auswählen oder gar das wahre Gesicht errathen will. Sind ihre Augen groß? Was weiß ich! Wir untersuchen nicht lange das Caliber der Kanone, wenn ihre Kugel uns den Kopf entführt. Und wen sie nicht treffen, diese 15 Augen, den blenden sie wenigstens durch ihr Feuer, und er ist froh genug sich in sicherer Schußweite zu halten. Ist der Raum zwischen Nase und Mund bey ihnen breit oder schmal? Manchmal ist er breit, wenn sie die Nase rümpfen; manchmal ist er schmal, wenn ihre Oberlippe sich übermüthig bäumt. Ist ihr Mund groß oder klein? Wer kann wissen wo der Mund aufhört und das 2° Lächeln beginnt? Damit ein richtiges Urtheil gefällt werde, muß der Beurtheilende und der Gegenstand der Beurtheilung sich im Zustande der Ruhe befinden. Aber wer kann ruhig bey einer Pariserinn seyn und welche Pariserinn ist jemals ruhig ? Es giebt Leute, welche glauben, sie könnten den Schmetterling ganz genau betrachten, wenn sie ihn mit einer Nadel aufs Papier fest- 25 gestochen haben. Das ist eben so thörigt wie grausam. Der angeheftete, ruhige Schmetterling ist kein Schmetterling mehr. Den Schmetterling muß man betrachten wenn er um die Blumen gaukelt. . . und die Pariserinn muß man betrachten, nicht in ihrer Häuslichkeit, wo sie mit der Nadel in der Brust befestigt ist, sondern im Salon, bey Soireen und Bällen, wenn sie mit den 30 gestickten Gace- und Seidenflügeln dahinflattert, unter den blitzenden Krystallkronen der Freude! Dann offenbart sich bey ihnen eine hastige Lebenssucht, eine Begier nach süßer Betäubung, ein Lechzen nach Trunkenheit, wodurch sie fast grauenhaft verschönert werden und einen Reitz gewinnen, der unsere Seele zugleich entzückt und erschüttert. Dieser Durst das 35 Leben zu genießen, als wenn in der nächsten Stunde der Tod sie schon abriefe von der sprudelnden Quelle des Genusses, oder als wenn diese Quelle in der nächsten Stunde schon versiegt seyn würde, diese Hast, diese Wuth, dieser Wahnsinn der Pariserinnen, wie er sich besonders auf Bällen zeigt, mahnt
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mich immer an die Sage von den todten Tänzerinnen, die man bey uns die Willis nennt. Diese sind nämlich junge Bräute, die vor dem Hochzeittage gestorben sind, aber die unbefriedigte Tanzlust so gewaltig im Herzen bewahrt haben, daß sie nächtlich aus ihren Gräbern hervorsteigen, sich schaarenweis 5 an den Landstraßen versammeln, und sich dort, während der Mitternachtsstunde, den wildesten Tänzen überlassen. Geschmückt mit ihren Hochzeitkleidern, Blumenkränze auf den Häuptern, funkelnde Ringe an den bleichen Händen, schauerlich lachend, unwiderstehlich schön, tanzen die Willis im Mondschein, und sie tanzen immer um so tobsüchtiger und ungestümer, je xo mehr sie fühlen, daß die vergönnte Tanzstunde zu Ende rinnt, und sie wieder hinabsteigen müssen in die Eiskälte des Grabes. Es war auf einer Soiree in der Chaussee d'Antin, wo mir diese Betrachtung recht tief die Seele bewegte. Es war eine glänzende Soiree, und nichts fehlte an den herkömmlichen Ingredienzen des gesellschaftlichen Vergnügens: genug 15 Licht um beleuchtet zu werden, genug Spiegel um sich betrachten zu können, genug Menschen um sich heiß zu drängen, genug Zuckerwasser und Eis um sich abzukühlen. Man begann mit Musik. Franz Liszt hatte sich ans Fortepiano drängen lassen, strich seine Haare aufwärts über die geniale Stirne, und lieferte eine seiner brilliantesten Schlachten. Die Tasten schienen zu bluten. Wenn ich 20 nicht irre, spielte er eine Passage aus den Palingenesieen von Ballanche, dessen Ideen er in Musik übersetzte, was sehr nützlich für diejenigen, welche die Werke dieses berühmten Schriftstellers nicht im Originale lesen können. Nachher spielte er den Gang nach der Hinrichtung, la marche au supplice, von Berlioz, das treffliche Stück, welches dieser junge Musiker, wenn ich nicht 25 irre, am Morgen seines Hochzeitstages komponirt hat. Im ganzen Saale erblassende Gesichter, wogende Busen, leises Athmen während den Pausen, endlich tobender Beyfall. Die Weiber sind immer wie berauscht, wenn Liszt ihnen etwas vorgespielt hat. Mit tollerer Freude überließen sie sich jetzt dem Tanz, die Willis des Salon, und ich hatte Mühe mich aus dem Getümmel in 30 ein Nebenzimmer zu retten. Hier wurde gespielt und auf großen Sesseln ruheten einige Damen, die den Spielenden zuschauten, oder sich wenigstens das Ansehen gaben, als interessirten sie sich für das Spiel. Als ich einer dieser Damen vorbeystreifte und ihre Robe meinen Arm berührte, fühlte ich von der Hand bis hinauf zur Schulter ein leises Zucken, wie von einem sehr schwachen 35 elektrischen Schlage. Ein solcher Schlag durchfuhr aber mit der größten Stärke mein ganzes Herz, als ich das Antlitz der Dame betrachtete. Ist sie es oder ist sie es nicht? Es war dasselbe Gesicht, das an Form und sonniger Färbung einer Antique glich; nur war es nicht mehr so marmorrein und marmorglatt wie ehemals. Dem geschärften Blicke waren auf Stirn und Wange
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einige kleine Brüche, vielleicht Pockennarben, bemerkbar, die hier ganz an jene feinen Witterungsflecken mahnten, wie man sie auf dem Gesichte von Statuen, die einige Zeit dem Regen ausgesetzt standen, zu finden pflegt. Es waren auch dieselben schwarzen Haare, die in glatten Ovalen, wie Rabenflügel, die Schläfen bedeckten. Als aber ihr Auge dem meinigen begegnete, 5 und zwar mit jenem wohlbekannten Seitenblick, dessen rascher Blitz mir immer so räthselhaft durch die Seele schoß, da zweifelte ich nicht länger: es war Mademoiselle Laurence. Vornehm hingestreckt in ihrem Sessel, in der einen Hand einen Blumenstrauß, mit der anderen gestützt auf der Armlehne, saß Mademoiselle Laurence 10 unfern eines Spieltisches und schien dort dem Wurf der Karten ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Vornehm und zierlich war ihr Anzug, aber dennoch ganz einfach, von weißem Atlas. Außer Armbändern und Brustnadel von Perlen trug sie keinen Schmuck. Eine Fülle von Spitzen bedeckte den jugendlichen Busen, bedeckte ihn fast puritanisch bis am Halse, und in dieser 15 Einfachheit und Zucht der Bekleidung, bildete sie einen rührend lieblichen Contrast mit einigen älteren Damen, die, buntgeputzt und diamantenblitzend, neben ihr saßen und die Ruinen ihrer ehemaligen Herrlichkeit, die Stelle wo einst Troya stand, melancholisch nackt zur Schau trugen. Sie sah noch immer wunderschön und entzückend verdrießlich aus, und es zog mich un- 20 widerstehbar zu ihr hin, und endlich stand ich hinter ihrem Sessel, brennend vor Begier mit ihr zu sprechen, jedoch zurückgehalten von zagender Delikatesse. Ich mochte wohl schon einige Zeit schweigend hinter ihr gestanden haben, als sie plötzlich aus ihrem Bouquet eine Blume zog, und ohne sich nach mir 25 umzusehen, über ihre Schulter hinweg, mir diese Blume hinreichte. Sonderbar war der Duft dieser Blume und er übte auf mich eine eigenthümliche Verzauberung. Ich fühlte mich entrückt aller gesellschaftlichen Förmlichkeit, und mir war wie in einem Traume, wo man allerley thut und spricht, worüber man sich selber wundert und wo unsere Worte einen gar kindisch traulichen 30 und einfachen Charakter tragen. Ruhig gleichgültig, nachlässig, wie man es bey alten Freunden zu thun pflegt, beugte ich mich über die Lehne des Sessels, und flüsterte der jungen Dame in's Ohr: Mademoiselle Laurence, wo ist denn die Mutter mit der Trommel? „Sie ist todt," antwortete sie, in demselben Tone, eben so ruhig, gleich- 35 gültig, nachlässig. Nach einer kurzen Pause beugte ich mich wieder über die Lehne des Sessels und flüsterte der jungen Dame ins Ohr: Mademoiselle Laurence, wo ist denn der gelehrte Hund?
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„Er ist fortgelaufen in die weite Weltl" antwortete sie wieder in demselben ruhigen, gleichgültigen, nachlässigen Tone. Und wieder nach einer kurzen Pause, beugte ich mich über die Lehne des Sessels und flüsterte der jungen Dame ins Ohr: Mademoiselle Laurence, wo 5 ist denn Monsieur Türlütü, der Zwerg? „Er ist bey den Riesen auf dem Boulevard du Temple" antwortete sie. Sie hatte aber kaum diese Worte gesprochen, und zwar wieder in demselben ruhigen, gleichgültigen, nachlässigen Tone, als ein ernster alter Mann, von hoher militärischer Gestalt, zu ihr hintrat und ihr meldete, daß ihr Wagen 10 vorgefahren sey. Langsam von ihrem Sitze sich erhebend hing sie sich jenem an den Arm, und ohne auch nur einen Blick auf mich zurückzuwerfen, verließ sie mit ihm die Gesellschaft. Als ich die Dame des Hauses, die den ganzen Abend am Eingange des Hauptsaales stand und den Ankommenden und Fortgehenden ihr Lächeln 15 präsentirte, um den Namen der jungen Person befragte, die so eben mit dem alten Manne fortgegangen, lachte sie mir heiter ins Gesicht und rief: „Mein Gott! wer kann alle Menschen kennen! ich kenne ihn eben so wenig . . . " Sie stockte, denn sie wollte gewiß sagen, eben so wenig wie mich selber, den sie ebenfalls an jenem Abende zum erstenmale gesehen. Vielleicht, bemerkte ich 20 ihr, kann mir Ihr Herr Gemahl einige Auskunft geben; wo finde ich ihn? „Auf der Jagd bey Saint-Germain," antwortete die Dame mit noch stärkerem Lachen, „er ist heute in der Frühe abgereist und kehrt erst morgen Abend zurück . . . Aber warten Sie, ich kenne jemanden, der mit der Dame wonach Sie sich erkundigen viel gesprochen hat; ich weiß nicht seinen Namen, aber z; Sie können ihn leicht erfragen, wenn Sie sich nach dem jungen Menschen erkundigen, dem Herr Casimir Perrier einen Fußtritt gegeben hat, ich weiß nicht wo." So schwer es auch ist, einen Menschen daran zu erkennen, daß er vom Minister einen Fußtritt erhalten, so hatte ich doch meinen Mann bald aus. 50 findig gemacht, und ich verlangte von ihm nähere Aufklärung über das sonderbare Geschöpf, das mich so sehr interessirte und das ich ihm deutlich genug zu bezeichnen wußte. „Ja, sagte der junge Mensch, ich kenne sie ganz genau, ich habe auf mehren Soireen mit ihr gesprochen" — und er wiederholte mir eine Menge nichtssagender Dinge, womit er sie unterhalten. Was 35 ihm besonders aufgefallen, war ihr ernsthafter Blick, jedesmal wenn er ihr eine Artigkeit sagte. Auch wunderte er sich nicht wenig, daß sie seine Einladung zu einer Contredance immer abgelehnt, und zwar mit der Versicherung: sie verstünde nicht zu tanzen. Namen und Verhältnisse kannte er nicht. Und niemand, so viel ich mich auch erkundigte, wußte mir hierüber etwas Näheres
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mitzutheilen. Vergebens rann ich durch alle möglichen Soireen, nirgends konnte ich Mademoiselle Laurence wiederfinden. Und das ist die ganze Geschichte? — rief Maria, indem sie sich langsam umdrehte und schläfrig gähnte — das ist die ganze merkwürdige Geschichte? Und Sie haben weder Mademoiselle Laurence, noch die Mutter mit der 5 Trommel, noch den Zwerg Türlütü, und auch nicht den gelehrten Hund jemals wiedergesehn? Bleiben Sie ruhig liegen, versetzte Maximilian. Ich habe sie alle wiedergesehen, sogar den gelehrten Hund. Er befand sich freylich in einer sehr schlimmen Noth, der arme Schelm, als ich ihm zu Paris begegnete. Es war im 10 Quartier Latin. Ich kam eben der Sorbonne vorbey, und aus den Pforten derselben stürzte ein Hund, und hinter ihm drein, mit Stöcken, ein Dutzend Studenten, zu denen sich bald zwey Dutzend alte Weiber gesellen, die alle im Chorus schreyen: der Hund ist toll! Fast menschlich sah das unglückliche Thier aus in seiner Todesangst, wie Thränen floß das Wasser aus seinen 15 Augen, und als er keuchend an mir vorbey rann und sein feuchter Blick an mich hinstreifte, erkannte ich meinen alten Freund, den gelehrten Hund, den Lobredner von Lord Wellington, der einst das Volk von England mit Bewunderung erfüllt. War er vielleicht wirklich toll? War er vielleicht vor lauter Gelehrsamkeit übergeschnappt, als er im Quartier Latin seine Studien fort- 20 setzte? Oder hatte er vielleicht in der Sorbonne, durch leises Scharren oder Knurren, seine Mißbilligung zu erkennen gegeben, über die pausbäckigen Charlatanerien irgend eines Professors, der sich seines ungünstigen Zuhörers dadurch zu entledigen suchte, daß er ihn für toll erklärte? Und ach! die Jugend untersucht nicht lange, ob es verletzter Gelehrtendünkel oder gar Brodneid 25 war, welcher zuerst ausrief: der Hund ist toll! und sie schlägt zu mit ihren gedankenlosen Stöcken, und auch die alten Weiber sind dann bereit mit ihrem Geheule und sie überschreyen die Stimme der Unschuld und der Vernunft. Mein armer Freund mußte unterliegen, vor meinen Augen wurde er erbärmlich todtgeschlagen, verhöhnt, und endlich auf einen Misthaufen geworfen! 30 Armer Märtyrer der Gelehrsamkeit! Nicht viel heiterer war der Zustand des Zwergs, Monsieur Türlütü, als ich ihn auf dem Boulevard du Temple wiederfand. Mademoiselle Laurence hatte mir zwar gesagt, er habe sich dorthin begeben, aber sey es, daß ich nicht daran dachte ihn im Ernste dort zu suchen, oder daß das Menschengewühl mich dort 35 daran verhinderte, genug, erst spät bemerkte ich die Boutique, wo die Riesen zu sehen sind. Als ich hineintrat fand ich zwey lange Schlingel, die müßig auf der Pritsche lagen und rasch aufsprangen und sich in Riesenpositur vor mich hinstellten. Sie waren wahrhaftig nicht so groß, wie sie auf ihrem Aushänge-
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zettel prahlten. Es waren zwey lange Schlingel, welche in Rosatrikot gekleidet gingen, sehr schwarze, vielleicht falsche Backenbärte trugen und ausgehöhlte Holzkeulen über ihre Köpfe schwangen. Als ich sie nach dem Zwerg befragte, wovon ihr Aushängezettel ebenfalls Meldung thue, erwiederten sie, daß er seit vier Wochen, wegen seiner zunehmenden Unpäßlichkeit, nicht mehr gezeigt werde, daß ich ihn aber dennoch sehen könne, wenn ich das doppelte EntreeGeld bezahlen wolle. Wie gern bezahlt man, um einen Freund wieder zu sehen, das doppelte Entree-Geld! Und ach! es war ein Freund, den ich auf dem Sterbebette fand. Dieses Sterbebett war eigentlich eine Kinderwiege, und darin lag der arme Zwerg mit seinem gelb verschrumpften Greisengesicht. Ein etwa vierjähriges kleines Mädchen saß neben ihm und bewegte mit dem Fuße die Wiege und sang in lachend schäckerndem Tone: Schlaf, Türlütüchen, schlafe! Als der Kleine mich erblickte, öffnete er so weit als möglich seine gläsern blassen Augen und ein wehmüthiges Lächeln zuckte um seine weißen Lippen; er schien mich gleich wieder zu erkennen, reichte mir sein vertrocknetes Händchen und röchelte leise: alter Freund! Es war in der That ein betrübsamer Zustand worinn ich den Mann fand, der schon im achten Jahre mit Ludwig XVI. eine lange Unterredung gehalten, den der Zaar Alexander mit Bonbons gefüttert, den die Prinzessinn von Kiritz auf dem Schooße getragen, den der Pabst vergöttert und den Napoleon nie geliebt hatte! Dieser letztere Umstand bekümmerte den Unglücklichen noch auf seinem Todtbette, oder wie gesagt in seiner Todeswiege, und er weinte über das tragische Schicksal des großen Kaisers, der ihn nie geliebt, der aber in einem so kläglichen Zustande auf Sankt Helena geendet — „ganz wie ich jetzt endige, setzte er hinzu, einsam, verkannt, verlassen von allen Königen und Fürsten, ein Hohnbild ehemaliger Herrlichkeit!" Obgleich ich nicht recht begriff, wie ein Zwerg, der unter Riesen stirbt, sich mit dem Riesen, der unter Zwergen gestorben, vergleichen konnte, so rührten mich doch die Worte des armen Türlütü und gar sein verlassener Zustand in der Sterbestunde. Ich konnte nicht umhin meine Verwunderung zu bezeugen, daß Mademoiselle Laurence, die jetzt so vornehm geworden, sich nicht um ihn bekümmere. Kaum hatte ich aber diesen Namen genannt, so bekam der Zwerg in der Wiege die furchtbarsten Krämpfe und mit seinen weißen Lippen wimmerte er: „Undankbares Kind! das ich auferzogen, das ich zu meiner Gattin erheben wollte, dem ich gelehrt, wie man sich unter den Großen dieser Welt bewegen und gebährden muß, wie man lächelt, wie man sich bey Hof verbeugt, wie man repräsentirt... du hast meinen Unterricht gut benutzt, und bist jetzt eine große Dame, und hast jetzt eine Kutsche, und
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Lakayen, und viel Geld, und viel Stolz, und kein Herz. Du läßt mich hier sterben, einsam und elend sterben, wie Napoleon auf Sankt Helena! O Napoleon, du hast mich nie geliebt. . ." Was er hinzusetzte konnte ich nicht verstehen. Er hob sein Haupt, machte einige Bewegungen mit der Hand, als ob er gegen jemanden fechte, vielleicht gegen den Tod. Aber der Sense dieses 5 Gegners widersteht kein Mensch, weder ein Napoleon noch ein Türlütü. Hier hilft keine Parade. Matt, wie überwunden, ließ der Zwerg sein Haupt wieder sinken, sah mich lange an mit einem unbeschreibbar geisterhaften Blick, krähte plötzlich wie ein Hahn, und verschied. Dieser Todesfall betrübte mich um so mehr, da mir der Verstorbene keine 10 nähere Auskunft über Mademoiselle Laurence gegeben hatte. Wo sollte ich sie jetzt wiederfinden? Ich war weder verliebt in sie, noch fühlte ich sonstig große Zuneigung zu ihr, und doch stachelte mich eine geheimnißvolle Begier, sie überall zu suchen; wenn ich in irgend einen Salon getreten, und die Gesellschaft gemustert, und das wohlbekannte Gesicht nicht fand, dann verlor ich 15 bald alle Ruhe und es trieb mich wieder von hinnen. Ueber dieses Gefühl nachdenkend stand ich einst, um Mitternacht, an einem entlegenen Eingang der großen Oper, auf einen Wagen wartend, und sehr verdrießlich wartend, da es eben stark regnete. Aber es kam kein Wagen, oder vielmehr es kamen nur Wagen, welche anderen Leuten gehörten, die sich vergnügt hineinsetzten, und 20 es wurde allmählig sehr einsam um mich her. „So müssen Sie denn mit mir fahren" sprach endlich eine Dame, die, tief verhüllt in ihrer schwarzen Mantille, ebenfalls harrend einige Zeit neben mir gestanden, und jetzt im Begriffe war, in einen Wagen zu steigen. Die Stimme zuckte mir durchs Herz, der wohlbekannte Seitenblick übte wieder seinen Zauber, und ich war wieder wie 25 im Traume, als ich mich neben Mademoiselle Laurence in einem weichen warmen Wagen befand. Wir sprachen kein Wort, hätten auch einander nicht verstehen können, da der Wagen mit dröhnendem Geräusche durch die Straßen von Paris dahinrasselte, sehr lange, bis er endlich vor einem großen Thorweg stille hielt. 30 Bediente in brillianter Livree leuchteten uns die Treppe hinauf und durch eine Reihe Gemächer. Eine Kammerfrau, die mit schläfrigem Gesichte uns entgegen kam, stotterte unter vielen Entschuldigungen, daß nur im rothen Zimmer eingeheitzt sey. Indem sie der Frau einen Wink gab, sich zu entfernen, sprach Laurence mit Lachen: „der Zufall führt Sie heute weit, nur in meinem 35 Schlafzimmer ist eingeheitzt. . ." In diesem Schlafzimmer, worin wir uns bald allein befanden, loderte ein sehr gutes Kaminfeuer, welches um so ersprießlicher, da das Zimmer ungeheur groß und hoch war. Dieses große Schlafzimmer, dem vielmehr der Name Schlafsaal
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gebührte, hatte auch etwas sonderbar Oedes. Möbel und Dekorazion, alles trug dort das Gepräge einer Zeit, deren Glanz uns jetzt so bestäubt und deren Erhabenheit uns jetzt so nüchtern erscheint, daß ihre Reliquien bey uns ein gewisses Unbehagen, wo nicht gar ein geheimes Lächeln erregen. Ich spreche 5 nemlich von der Zeit des Empires, von der Zeit der goldnen Adler, der hochfliegenden Federbüsche, der griechischen Coeffüren, der Gloire, der militärischen Messen, der offiziellen Unsterblichkeit, die der Moniteur dekretirte, des Kontinentalkaffees, welchen man aus Cigorien verfertigte, und des schlechten Zuckers, den man aus Runkelrüben fabrizirte und der Prinzen und io Herzöge, die man aus gar nichts machte. Sie hatte aber immer ihren Reitz, diese Zeit des pathetischen Materialismus . . . Talma deklamirte, Gros malte, die Bigotini tanzte, Maury predigte, Rovigo hatte die Polizey, der Kaiser las den Ossian, Pauline Borgese ließ sich mouliren als Venus, und zwar ganz nackt, denn das Zimmer war gut geheitzt, wie das Schlafzimmer worin ich mich mit 15 Mademoiselle Laurence befand. Wir saßen am Kamin, vertraulich schwatzend, und seufzend erzählte sie mir, daß sie verheurathet sey, an einen bonapartistischen Helden, der sie alle Abende, vor dem Zubettegehn, mit der Schilderung einer seiner Schlachten erquicke; er habe ihr vor einigen Tagen, ehe er abgereist, die Schlacht bey 20 Jena geliefert; er sey sehr kränklich und werde schwerlich den russischen Feldzug überleben. Als ich sie frug, wie lange ihr Vater todt sey? lachte sie und gestand, daß sie nie einen Vater gekannt habe, und daß ihre sogenannte Mutter niemals verheurathet gewesen sey. Nicht verheurathet, rief ich, ich habe sie ja selber zu London, wegen den 25 Tod ihres Mannes, in tiefster Trauer gesehen? „O, erwiederte Laurence, sie hat während zwölf Jahren sich immer schwarz gekleidet, um bey den Leuten Mitleid zu erregen, als unglückliche Wittwe, nebenbey auch um irgend einen heurathslustigen Gimpel anzulocken, und sie hoffte unter schwarzer Flagge desto schneller in den Hafen der Ehe zu gelangen. 30 Aber nur der Tod erbarmte sich ihrer, und sie starb an einem Blutsturz. Ich habe sie nie geliebt, denn sie hat mir immer viel Schläge und wenig zu essen gegeben. Ich wäre verhungert, wenn mir nicht manchmal Monsieur Türlütü ein Stückchen Brod ins Geheim zusteckte; aber der Zwerg verlangte dafür, daß ich ihn heurathe, und als seine Hoffnungen scheiterten, verband er sich 35 mit meiner Mutter, ich sage Mutter aus Gewohnheit, und beide quälten mich gemeinschaftlich. Da sagten sie immer, ich sey ein überflüssiges Geschöpf, der gelehrte Hund sey tausendmal mehr werth als ich mit meinem schlechten Tanzen. Und sie lobten dann den Hund auf meine Kosten, rühmten ihn bis in den Himmel, streichelten ihn, fütterten ihn mit Kuchen, und warfen mir die
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Krumen zu. Der Hund, sagten sie, sey ihre beste Stütze, er entzücke das Publikum, das sich für mich nicht im mindesten interessire, der Hund müsse mich ernähren mit seiner Arbeit, ich fräße das Gnadenbrod des Hundes. Der verdammte Hund!" O , verwünschen Sie ihn nicht mehr, unterbrach ich die Zürnende, er ist 5 jetzt todt, ich habe ihn sterben sehen . . . „Ist die Bestie verreckt?" rief Laurence indem sie aufsprang, erröthende Freude im ganzen Gesichte. Und auch der Zwerg ist todt, setzte ich hinzu. „Monsieur Türlütü?" rief Laurence, ebenfalls mit Freude. Aber diese Freude 10 schwand allmählig aus ihrem Gesichte, und mit einem milderen, fast wehmüthigen Tone, sprach sie endlich: „Armer Türlütü!" Als ich ihr nicht verhehlte, daß sich der Zwerg in seiner Sterbestunde sehr bitter über sie beklagt, gerieth sie in die leidenschaftlichste Bewegung, und versicherte mir unter vielen Betheurungen, daß sie die Absicht hatte den Zwerg 15 aufs Beste zu versorgen, daß sie ihm ein Jahrgehalt angeboten, wenn er still und bescheiden irgendwo in der Provinz leben wolle. „Aber ehrgeitzig wie er ist, fuhr Laurence fort, verlangte er in Paris zu bleiben und sogar in meinem Hotel zu wohnen; er könne alsdann, meinte er, durch meine Vermittlung, seine ehemaligen Verbindungen im Faubourg Saint-Germain wieder an- 20 knüpfen, und seine frühere glänzende Stellung in der Gesellschaft wieder einnehmen. Als ich ihm dieses rund abschlug, ließ er mir sagen, ich sey ein verfluchtes Gespenst, ein Vampir, ein Todtenkind . . . " Laurence hielt plötzlich inne, schauderte heftig zusammen und seufzte endlich aus tiefster Brust: „Ach, ich wollte sie hätten mich bey meiner Mutter im 25 Grabe gelassen!" Als ich in sie drang, mir diese geheimnißvollen Worte zu erklären, ergoß sich ein Strom von Thränen aus ihren Augen, und zitternd und schluchzend gestand sie mir, daß die schwarze Trommelfrau, die sich für ihre Mutter ausgegeben, ihr einst selbst erklärt habe, das Gerücht, womit man sich über ihre Geburt herumtrage, sey kein bloßes Mährchen. „In der Stadt 30 nemlich w o wir wohnten" fuhr Laurence fort „hieß man mich immer: das Todtenkind! Die alten Spinnweiber behaupteten, ich sey eigentlich die Tochter eines dortigen Grafen, der seine Frau beständig mißhandelte und als sie starb sehr prachtvoll begraben ließ; sie sey aber hochschwanger und nur scheintodt gewesen, und als einige Kirchhofsdiebe, um die reichgeschmückte Leiche zu 35 bestehlen, ihr Grab öffneten, hätten sie die Gräfinn ganz lebendig und in Kindesnöthen gefunden; und als sie nach der Entbindung gleich verschied, hätten die Diebe sie wieder ruhig ins Grab gelegt und das Kind mitgenommen und ihrer Hehlerinn, der Geliebten des großen Bauchredners, zur Erziehung 4
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Florentinische Nächte übergeben. Dieses arme Kind, das begraben gewesen noch ehe es geboren worden, nannte man nun überall: das Todtenkind . . . Ach! Sie begreifen nicht, wie viel Kummer ich schon als kleines Mädchen empfand, wenn man mich bey diesem Namen nannte. Als der große Bauchredner noch lebte und nicht selten 5 mit mir unzufrieden war, rief er immer: verwünschtes Todtenkind, ich wollt' ich hätte dich nie aus dem Grabe geholt! Ein geschickter Bauchredner wie er war, konnte er seine Stimme so moduliren, daß man glauben mußte sie käme aus der Erde hervor, und er machte mir dann weiß, das sey die Stimme meiner verstorbenen Mutter, die mir ihre Schicksale erzähle. Er konnte sie wohl io kennen, diese furchtbaren Schicksale, denn er war einst Kammerdiener des Grafen. Sein grausames Vergnügen war es, wenn ich armes kleines Mädchen über die Worte die aus der Erde hervorzusteigen schienen, das furchtbarste Entsetzen empfand. Diese Worte, die aus der Erde hervorzusteigen schienen, meldeten gar schreckliche Geschichten, Geschichten, die ich in ihrem Zu15 sammenhang nie begriff, die ich auch späterhin allmählig vergaß, die mir aber wenn ich tanzte recht lebendig wieder in den Sinn kamen. Ja, wenn ich tanzte, ergriff mich immer eine sonderbare Erinnerung, ich vergaß meiner selbst und kam mir vor als sey ich eine ganz andere Person, und als quälten mich alle Qualen und Geheimnisse dieser Person . . . und sobald ich aufhörte zu tanzen, 20 erlosch wieder alles in meinem Gedächtniß." Während Laurence dieses sprach, langsam und wie fragend, stand sie vor mir am Kamine, worinn das Feuer immer angenehmer loderte, und ich saß in dem Lehnsessel, welcher wahrscheinlich der Sitz ihres Gatten, wenn er des Abends vor Schlafengehn seine Schlachten erzählte. Laurence sah mich an 25 mit ihren großen Augen, als früge sie mich um Rath; sie wiegte ihren Kopf so wehmüthig sinnend; sie flößte mir ein so edles, süßes Mitleid ein; sie war so schlank, so jung, so schön, diese Lilje die aus dem Grabe gewachsen, diese Tochter des Todes, dieses Gespenst mit dem Gesichte eines Engels und dem Leib einer Bajadere! Ich weiß nicht wie es kam, es war vielleicht die Influenz 30 des Sessels worauf ich saß, aber mir ward plötzlich zu Sinne, als sey ich der alte General, der gestern auf dieser Stelle die Schlacht bey Jena geschildert, als müsse ich fortfahren in meiner Erzählung, und ich sprach: Nach der Schlacht bey Jena ergaben sich binnen wenigen Wochen, fast ohne Schwertstreich, alle preußischen Festungen. Zuerst ergab sich Magdeburg; es war die stärkste 35 Festung und sie hatte dreyhundert Kanonen. Ist das nicht schmählig? Mademoiselle Laurence ließ mich aber nicht weiter reden, alle trübe Stimmung war von ihrem schönen Antlitz verflogen, sie lachte wie ein Kind und rief: „Ja, das ist schmählig, mehr als schmähligI Wenn ich eine Festung wäre und dreyhundert Kanonen hätte, würde ich mich nimmermehr ergeben!"
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Da nun Mademoiselle Laurence keine Festung war und keine dreyhundert Kanonen hatte . . . Bey diesen Worten hielt Maximilian plötzlich ein in seiner Erzählung, und nach einer kurzen Pause frug er leise: Schlafen Sie, Maria? Ich schlafe, antwortete Maria. 5 Desto besser, sprach Maximilian mit einem feinen Lächeln, ich brauche also nicht zu fürchten, daß ich Sie langweile, wenn ich die Möbel des Zimmers worin ich mich befand, wie heutige Novellisten pflegen, etwas ausführlich beschreibe. Vergessen Sie nur nicht das Bett, theurer Freund! 10 Es war in der That, erwiederte Maximilian, ein sehr prachtvolles Bett. Die Füße, wie bey allen Betten des Empires, bestanden aus Karyatiden und Sphinxen, und der Himmel stralte von reichen Vergoldungen, namentlich von goldnen Adlern, die sich wie Turteltauben schnäbelten, vielleicht ein Sinnbild der Liebe unter dem Empire. Die Vorhänge des Bettes waren von rother 15 Seide, und da die Flammen des Kamines sehr stark hindurchschienen, so befand ich mich mit Laurence in einer ganz feuerrothen Beleuchtung, und ich kam mir vor wie der Gott Pluto, der, von Höllengluten umlodert, die schlafende Proserpine in seinen Armen hält. Sie schlief, und ich betrachtete in diesem Zustand ihr holdes Gesicht und suchte in ihren Zügen ein Verständniß jener 20 Sympathie, die meine Seele für sie empfand. Was bedeutet dieses Weib? Welcher Sinn lauert unter der Symbolik dieser schönen Formen? Aber ist es nicht Thorheit, den inneren Sinn einer fremden Erscheinung ergründen zu wollen, während wir nicht einmal das Räthsel unserer eigenen Seele zu lösen vermögen! Wissen wir doch nicht einmal genau, ob die fremden 25 Erscheinungen wirklich existiren! Können wir doch manchmal die Realität nicht von bloßen Traumgesichten unterscheiden! War es ein Gebilde meiner Phantasie, oder war es entsetzliche Wirklichkeit, was ich in jener Nacht hörte und sah? Ich weiß es nicht. Ich erinnnere mich nur, daß, während die wildesten Gedanken durch mein Herz fluteten, ein seltsames Geräusch mir ans Ohr 30 drang. Es war eine verrückte Melodie, sonderbar leise. Sie kam mir ganz bekannt vor, und endlich unterschied ich die Töne eines Triangels und einer Trommel. Diese Musik, schwirrend und summend, schien aus weiter Ferne zu erklingen, und dennoch, als ich aufblickte, sah ich nahe vor mir, mitten im Zimmer, ein wohlbekanntes Schauspiel: Es war Monsieur Türlütü der Zwerg, 35 welcher den Triangel spielte, und Madame Mutter, welche die große Trommel schlug, während der gelehrte Hund am Boden herumscharrte, als suche er wieder seine hölzernen Buchstaben zusammen. Der Hund schien nur mühsam sich zu bewegen und sein Fell war von Blut befleckt. Madame Mutter trug 4*
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noch immer ihre schwarze Trauerkleidung, aber ihr Bauch war nicht mehr so spaßhaft hervortretend, sondern vielmehr widerwärtig herabhängend; auch ihr kleines Gesicht war nicht mehr roth, sondern blaß. Der Zwerg, welcher noch immer die brodirte Kleidung eines altfranzösischen Marquis und ein 5 gepudertes Touppee trug, schien etwas gewachsen zu seyn, vielleicht weil er so gräßlich abgemagert war. Er zeigte wieder seine Fechterkünste und schien auch seine alten Prahlereien wieder abzuhaspeln; er sprach jedoch so leise, daß ich kein Wort verstand, und nur an seiner Lippenbewegung konnte ich manchmal merken, daß er wieder wie ein Hahn krähte. 10 Während diese lächerlich grauenhaften Zerrbilder, wie ein Schattenspiel, mit unheimlicher Hast, sich vor meinen Augen bewegten, fühlte ich, wie Mademoiselle Laurence immer unruhiger athmete. Ein kalter Schauer überfröstelte ihren ganzen Leib, und wie von unerträglichen Schmerzen zuckten ihre holden Glieder. Endlich aber, geschmeidig wie ein Aal, glitt sie aus 15 meinen Armen, stand plötzlich mitten im Zimmer und begann zu tanzen, während die Mutter mit der Trommel und der Zwerg mit dem Triangel ihre gedämpfte leise Musik ertönen ließen. Sie tanzte ganz wie ehemals an der Waterloo-Brücke und auf den Carrefours von London. Es waren dieselben geheimnißvollen Pantomimen, dieselben Ausbrüche der leidenschaftlichsten 20 Sprünge, dasselbe bachantische Zurückwerfen des Hauptes, manchmal auch dasselbe Hinbeugen nach der Erde, als wolle sie horchen was man unten spräche, dann auch das Zittern, das Erbleichen, das Erstarren, und wieder aufs Neue das Horchen mit nach dem Boden gebeugtem Ohr. Auch rieb sie wieder ihre Hände, als ob sie sich wüsche. Endlich schien sie auch wieder 25 ihren tiefen, schmerzlichen, bittenden Blick auf mich zu werfen . . . aber nur in den Zügen ihres todtblassen Antlitzes erkannte ich diesen Blick, nicht in ihren Augen, denn diese waren geschlossen. In immer leiseren Klängen verhallte die Musik; die Trommelmutter und der Zwerg, allmählig verbleichend und wie Nebel zerquirlend, verschwanden endlich ganz; aber Mademoiselle 30 Laurence stand noch immer und tanzte mit verschlossenen Augen. Dieses Tanzen mit verschlossenen Augen im nächtlich stillen Zimmer gab diesem holden Wesen ein so gespenstisches Aussehen, daß mir sehr unheimlich zu Muthe wurde, daß ich manchmal schauderte, und ich war herzlich froh als sie ihren Tanz beendigt hatte. 35 Wahrhaftig, der Anblick dieser Scene hatte für mich nichts Angenehmes. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles. Und es ist sogar möglich, daß das Unheimliche diesem Weibe einen noch besonderen Reitz verlieh, daß sich meinen Empfindungen eine schauerliche Zärtlichkeit beymischte . . . genug, nach einigen Wochen wunderte ich mich nicht mehr im mindesten, wenn des
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Nachts die leisen Klänge von Trommel und Triangel ertönten, und meine theure Laurence plötzlich aufstand und mit verschlossenen Augen ein Solo tanzte. Ihr Gemahl, der alte Bonapartist, kommandirte in der Gegend von Paris und seine Dienstpflicht erlaubte ihm nicht die Tage in der Stadt zuzubringen. Wie sich von selbst versteht, er wurde mein intimster Freund, und er 5 weinte helle Tropfen, als er späterhin für lange Zeit von mir Abschied nahm. Er reiste nemlich mit seiner Gemahlinn nach Sicilien, .und beide habe ich seitdem nicht wiedergesehn. Als Maximilian diese Erzählung vollendet, erfaßte er rasch seinen Hut und schlüpfte aus dem Zimmer. 10
DER RABBI VON BACHERACH. (Ein Fragment.)
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Seinem geliebten Freunde, Heinrich Laube, widmet die Legende des Rabbi v o n Bacherach, heiter grüßend, der Verfasser.
ERSTES CAPITEL. Unterhalb des Rheingaus, wo die Ufer des Stromes ihre lachende Miene verlieren, Berg und Felsen, mit ihren abentheuerlichen Burgruinen, sich 15 trotziger gebährden, und eine wildere, ernstere Herrlichkeit emporsteigt, dort liegt, wie eine schaurige Sage der Vorzeit, die finstre, uralte Stadt Bacherach. Nicht immer waren so morsch und verfallen diese Mauern mit ihren zahnlosen Zinnen und blinden Warththürmchen, in deren Lucken der Wind pfeift und die Spatzen nisten; in diesen armseelig häßlichen Lehmgassen, die man durch 20 das zerrissene Thor erblickt, herrschte nicht immer jene öde Stille, die nur dann und wann unterbrochen wird von schreyenden Kindern, keifenden Weibern und brüllenden Kühen. Diese Mauern waren einst stolz und stark, und in diesen Gassen bewegte sich frisches, freyes Leben, Macht und Pracht, Lust und Leid, viel Liebe und viel Haß. Bacherach gehörte einst zu jenen Munizipien, 25 welche von den Römern während ihrer Herrschaft am Rhein gegründet worden, und die Einwohner, obgleich die folgenden Zeiten sehr stürmisch und obgleich sie späterhin unter hohenstaufischer, und zuletzt unter wittelsbacher Oberherrschaft geriethen, wußten dennoch, nach dem Beyspiel andrer rheinischen Städte, ein ziemlich freyes Gemeinwesen zu erhalten. Dieses
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bestand aus einer Verbindung einzelner Körperschaften, wovon die der patrizischen Altbürger und die der Zünfte, welche sich wieder nach ihren verschiedenen Gewerken unterabtheilten, beyderseitig nach der Alleinmacht rangen: so daß sie sämmtlich nach außen, zu Schutz und Trutz gegen den nachbarlichen Raubadel, fest verbunden standen, nach innen aber, wegen streitender Interessen, in beständiger Spaltung verharrten; und daher unter ihnen wenig Zusammenleben, viel Mißtrauen, oft sogar thätliche Ausbrüche der Leidenschaft. Der herrschaftliche Vogt saß auf der hohen Burg Sareck, und wie sein Falke schoß er herab wenn man ihn rief und auch manchmal ungerufen. Die Geistlichkeit herrschte im Dunkeln durch die Verdunkelung des Geistes. Eine am meisten vereinzelte, ohnmächtige und vom Bürgerrechte allmählig verdrängte Körperschaft war die kleine Judengemeinde, die schon zur Römerzeit in Bacherach sich niedergelassen und späterhin, während der großen Judenverfolgung, ganze Schaaren flüchtiger Glaubensbrüder in sich aufgenommen hatte. Die große Judenverfolgung begann mit den Kreuzzügen und wüthete am grimmigsten um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, am Ende der großen Pest, die, wie jedes andre öffentliche Unglück, durch die Juden entstanden seyn sollte, indem man behauptete, sie hätten den Zorn Gottes herabgeflucht und mit Hülfe der Aussätzigen die Brunnen vergiftet. Der gereizte Pöbel, besonders die Horden der Flagellanten, halbnackte Männer und Weiber, die zur Buße sich selbst geißelnd und ein tolles Marienlied singend, die Rheingegend und das übrige Süddeutschland durchzogen, ermordeten damals viele tausend Juden, oder marterten sie, oder tauften sie gewaltsam. Eine andere Beschuldigung, die ihnen schon in früherer Zeit, das ganze Mittelalter hindurch bis Anfang des vorigen Jahrhunderts, viel Blut und Angst kostete, das war das läppische, in Chroniken und Legenden bis zum Ekel oft wiederholte Mährchen: daß die Juden geweihte Hostien stählen, die sie mit Messern durchstächen bis das Blut herausfließe, und daß sie an ihrem Paschafeste Christenkinder schlachteten, um das Blut derselben bey ihrem nächtlichen Gottesdienste zu gebrauchen. Die Juden, hinlänglich verhaßt wegen ihres Glaubens, ihres Reichthums, und ihrer Schuldbücher, waren an jenem Festtage ganz in den Händen ihrer Feinde, die ihr Verderben nur gar zu leicht bewirken konnten, wenn sie das Gerücht eines solchen Kindermords verbreiteten, vielleicht gar einen blutigen Kinderleichnam in das verfehmte Haus eines Juden heimlich hineinschwärzten, und dort nächtlich die betende Judenfamilie überfielen; wo alsdann gemordet, geplündert und getauft wurde, und große Wunder geschahen durch das vorgefundene todte Kind, welches die Kirche am Ende gar kanonisirte. Sankt-Werner ist ein solcher Heiliger, und ihm zu
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Ehren ward zu Oberwesel jene prächtige Abtey gestiftet, die jetzt am Rhein eine der schönsten Ruinen bildet, und mit der gothischen Herrlichkeit ihrer langen spitzbögigen Fenster, stolz emporschießender Pfeiler und Steinschnitzeleyen uns so sehr entzückt, wenn wir an einem heitergrünen Sommer5 tage vorbeifahren und ihren Ursprung nicht kennen. Zu Ehren dieses Heiligen wurden am Rhein noch drey andre große Kirchen errichtet, und unzählige Juden getödtet oder mißhandelt. Dies geschah im Jahre 1287, und auch zu Bacherach, wo eine von diesen Sankt-Wernerskirchen gebaut wurde, erging damals über die Juden viel Drangsal und Elend. Doch zwey Jahrhunderte 10 seitdem blieben sie verschont von solchen Anfällen der Volkswuth, obgleich sie noch immer hinlänglich angefeindet und bedroht wurden. Je mehr aber der Haß sie von außen bedrängte, desto inniger und traulicher wurde das häusliche Zusammenleben, desto tiefer wurzelte die Frömmigkeit und Gottesfurcht der Juden von Bacherach. Ein Muster gottgefälligen Wan15 dels war der dortige Rabiner, genannt Rabbi Abraham, ein noch jugendlicher Mann, der aber weit und breit wegen seiner Gelahrtheit berühmt war. Er war geboren in dieser Stadt, und sein Vater, der dort ebenfalls Rabiner gewesen, hatte ihm in seinem letzten Willen befohlen, sich demselben Amt zu widmen und Bacherach nie zu verlassen, es seye denn wegen Lebensgefahr. Dieser 20 Befehl und ein Schrank mit seltenen Büchern war alles was sein Vater, der bloß in Armuth und Schriftgelahrtheit lebte, ihm hinterließ. Dennoch war Rabbi Abraham ein sehr reicher Mann; verheurathet mit der einzigen Tochter seines verstorbenen Vaterbruders, welcher den Juvelenhandel getrieben, erbte er dessen große Reichthümer. Einige Fuchsbärte in der Gemeinde deuteten 25 darauf hin, als wenn der Rabbi eben des Geldes wegen seine Frau geheurathet habe. Aber sämmtliche Weiber widersprachen und wußten alte Geschichten zu erzählen: wie der Rabbi, schon vor seiner Reise nach Spanien, verliebt gewesen in Sara — man hieß sie eigentlich die schöne Sara — und wie Sara sieben Jahre warten mußte, bis der Rabbi aus Spanien zurückkehrte, indem er 30 sie gegen den Willen ihres Vaters und selbst gegen ihre eigne Zustimmung durch den Trau-Ring geheurathet hatte. Jedweder Jude nemlich kann ein jüdisches Mädchen zu seinem rechtmäßigen Eheweibe machen, wenn es ihm gelang ihr einen Ring an den Finger zu stecken und dabey die Worte zu sprechen: „ich nehme dich zu meinem Weibe nach den Sitten von Moses und 35 Israel!" Bey der Erwähnung Spaniens pflegten die Fuchsbärte auf eine ganz eigne Weise zu lächeln; und das geschah wohl wegen eines dunkeln Gerüchts, daß Rabbi Abraham auf der hohen Schule zu Toledo zwar emsig genug das Studium des göttlichen Gesetzes getrieben, aber auch christliche Gebräuche nachgeahmt und freygeistige Denkungsart eingesogen habe, gleich jenen
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spanischen Juden, die damals auf einer außerordentlichen Höhe der Bildung standen. Im Innern ihrer Seele aber glaubten jene Fuchsbärte sehr wenig an die Wahrheit des angedeuteten Gerüchts. Denn überaus rein, fromm und ernst war seit seiner Rückkehr aus Spanien die Lebensweise des Rabbi, die kleinlichsten Glaubensgebräuche übte er mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit, alle Montag und Donnerstag pflegte er zu fasten, nur am Sabath oder anderen Feyertagen genoß er Fleisch und Wein, sein Tag verfloß in Gebeth und Studium, des Tages erklärte er das göttliche Gesetz im Kreise der Schüler, die der Ruhm seines Namens nach Bacherach gezogen, und des Nachts betrachtete er die Sterne des Himmels oder die Augen der schönen Sara. Kinderlos war die Ehe des Rabbi; dennoch fehlte es nicht um ihn her an Leben und Bewegung. Der große Saal seines Hauses, welches neben der Synagoge lag, stand offen zum Gebrauche der ganzen Gemeinde: hier ging man aus und ein ohne Umstände, verrichtete schleunige Gebethe, oder holte Neuigkeiten, oder hielt Berathung in allgemeiner Noth; hier spielten die Kinder am Sabathmorgen während in der Synagoge der wöchentliche Abschnitt verlesen wurde; hier versammelte man sich bey Hochzeit- und Leichenzügen, und zankte sich und versöhnte sich; hier fand der Frierende einen warmen Ofen und der Hungrige einen gedeckten Tisch. Außerdem bewegten sich um den Rabbi noch eine Menge Verwandte, Brüder und Schwestern, mit ihren Weibern und Kindern, so wie auch seine und seiner Frau gemeinschaftliche Öhme und Muhmen, eine weitläuftige Sippschaft, die alle den Rabbi als Familienhaupt betrachteten, im Hause desselben früh und spät verkehrten, und an hohen Festtagen sämmtlich dort zu speisen pflegten. Solche gemeinschaftliche Familienmahle im Rabinerhause fanden ganz besonders statt bey der jährlichen Feyer des Pascha, eines uralten, wunderbaren Festes, das noch jetzt die Juden in der ganzen Welt, am Vorabend des vierzehnten Tages im Monat Nissen, zum ewigen Gedächtnisse ihrer Befreyung aus egyptischer Knechtschaft, folgendermaßen begehen: Sobald es Nacht ist, zündet die Hausfrau die Lichter an, spreitet das Tafeltuch über den Tisch, legt in die Mitte desselben drey von den platten ungesäuerten Brodten, verdeckt sie mit einer Serviette und stellt auf diesen erhöhten Platz sechs kleine Schüsseln, worin symbolische Speisen enthalten, nemlich ein Ey, Lattig, Mayrettigwurzel, ein Lammknochen, und eine braune Mischung von Rosinen, Zimmet und Nüssen. An diesen Tisch setzt sich der Hausvater mit allen Verwandten und Genossen und liest ihnen vor aus einem abentheuerlichen Buche, das die Agade heißt, und dessen Inhalt eine seltsame Mischung ist von Sagen der Vorfahren, Wundergeschichten aus Egypten, kuriosen Erzählungen, Streitfragen, Gebethen und Festliedern. Eine große
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Abendmahlzeit wird in die Mitte dieser Feyer eingeschoben, und sogar während des Vorlesens wird zu bestimmten Zeiten etwas von den symbolischen Gerichten gekostet, so wie alsdann auch Stückchen von dem ungesäuerten Brodte gegessen und vier Becher rothen Weines getrunken werden. Wehmüthig heiter, ernsthaft spielend und mährchenhaft geheimnißvoll ist der Charakter dieser Abendfeyer, und der herkömmlich singende Ton, womit die Agade von dem Hausvater vorgelesen und zuweilen chorartig von den Zuhörern nachgesprochen wird, klingt so schauervoll innig, so mütterlich einlullend, und zugleich so hastig aufweckend, daß selbst diejenigen Juden, die längst von dem Glauben ihrer Väter abgefallen und fremden Freuden und Ehren nachgejagt sind, im tiefsten Herzen erschüttert werden, wenn ihnen die alten, wohlbekannten Paschaklänge zufällig ins Ohr dringen. Im großen Saale seines Hauses saß einst Rabbi Abraham, und mit seinen Anverwandten, Schülern und übrigen Gästen beging er die Abendfeyer des Paschafestes. Im Saale war alles mehr als gewöhnlich blank; über den Tisch zog sich die buntgestickte Seidendecke, deren Goldfranzen bis auf die Erde hingen; traulich schimmerten die Tellerchen mit den symbolischen Speisen, so wie auch die hohen weingefüllten Becher, woran als Zierrath lauter heilige Geschichten von getriebener Arbeit; die Männer saßen in ihren Schwarzmänteln und schwarzen Platthüten und weißen Halsbergen; die Frauen, in ihren wunderlich glitzernden Kleidern von lombardischen Stoffen, trugen um Haupt und Hals ihr Gold- und Perlengeschmeide; und die silberne Sabathlampe goß ihr festlichstes Licht über die andächtig vergnügten Gesichter der Alten und Jungen. Auf den purpurnen Sammetkissen eines mehr als die übrigen erhabenen Sessels und angelehnt, wie es der Gebrauch heischt, saß Rabbi Abraham und las und sang die Agade, und der bunte Chor stimmte ein oder antwortete bey den vorgeschriebenen Stellen. Der Rabbi trug ebenfalls sein schwarzes Festkleid, seine edelgeformten, etwas strengen Züge waren milder denn gewöhnlich, die Lippen lächelten hervor aus dem braunen Barte, als wenn sie viel Holdes erzählen wollten, und in seinen Augen schwamm es wie seelige Erinnerung und Ahnung. Die schöne Sara, die auf einem ebenfalls erhabenen Sammetsessel an seiner Seite saß, trug als Wirthin nichts von ihrem Geschmeide, nur weißes Linnen umschloß ihren schlanken Leib und ihr frommes Antlitz. Dieses Antlitz war rührend schön, wie denn überhaupt die Schönheit der Jüdinnen von eigenthümlich rührender Art ist; das Bewußtseyn des tiefen Elends, der bittern Schmach und der schlimmen Fahrnisse, worinnen ihre Verwandte und Freunde leben, verbreitet über ihre holden Gesichtszüge eine gewisse leidende Innigkeit und beobachtende Liebesangst, die unsere Herzen sonderbar bezaubern. So saß heute die schöne Sara und sah
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beständig nach den Augen ihres Mannes; dann und wann schaute sie auch nach der vor ihr liegenden Agade, dem hübschen, in Gold und Sammt gebundenen Pergamentbuche, einem alten Erbstück mit verjährten Weinflecken aus den Zeiten ihres Großvaters, und worinn so viele keck und bunt gemalten Bilder, die sie schon als kleines Mädchen, am Pascha-Abend, so gerne betrachtete, und die allerley biblische Geschichten darstellten, als da sind: wie Abraham die steinernen Götzen seines Vaters mit dem Hammer entzwey klopft, wie die Engel zu ihm kommen, wie Moses den Mitzri todtschlägt, wie Pharao prächtig auf dem Throne sitzt, wie ihm die Frösche sogar bei Tische keine Ruhe lassen, wie er Gott sey Dank versäuft, wie die Kinder Israel vorsichtig durch das rothe Meer gehen, wie sie offnen Maules, mit ihren Schafen, Kühen und Ochsen vor dem Berge Sinai stehen, dann auch wie der fromme König David die Harfe spielt, und endlich wie Jerusalem mit den Thürmen und Zinnen seines Tempels bestralt wird vom Glänze der Sonne! Der zweite Becher war schon eingeschenkt, die Gesichter und Stimmen wurden immer heller, und der Rabbi, indem er eins der ungesäuerten Osterbrödte ergriff und heiter grüßend empor hielt, las er folgende Worte aus der Agade: „Siehe! das ist die Kost, die unsere Väter in Egypten genossen! Jeglicher, den es hungert, er komme und genieße! Jeglicher, der da traurig, er komme und theile unsere Paschafreude! Gegenwärtigen Jahres feyern wir hier das Fest, aber zum kommenden Jahre im Lande Israels! Gegenwärtigen Jahres feyern wir es noch als Knechte, aber zum kommenden Jahre als Söhne der Freyheit!" Da öffnete sich die Saalthüre, und hereintraten zwey große blasse Männer, in sehr weite Mäntel gehüllt, und der Eine sprach: „Friede sey mit Euch, wir sind reisende Glaubensgenossen und wünschen das Paschafest mit Euch zu feyern." Und der Rabbi antwortete rasch und freundlich: „Mit Euch sey Frieden, setzt Euch nieder in meiner Nähe." Die beiden Fremdlinge setzten sich alsbald zu Tische und der Rabbi fuhr fort im Vorlesen. Manchmal, während die übrigen noch im Zuge des Nachsprechens waren, warf er kosende Worte nach seinem Weibe, und anspielend auf den alten Scherz, daß ein jüdischer Hausvater sich an diesem Abend für einen König hält, sagte er zu ihr: „Freue dich, meine Königinn!" Sie aber antwortete, wehmüthig lächelnd „es fehlt uns ja der Prinz!" und damit meinte sie den Sohn des Hauses, der, wie eine Stelle in der Agade es verlangt, mit vorgeschriebenen Worten seinen Vater um die Bedeutung des Festes befragen soll. Der Rabbi erwiderte nichts und zeigte bloß mit dem Finger nach einem eben aufgeschlagenen Bilde in der Agade, wo überaus anmuthig zu schauen war: wie die drey Engel zu Abraham kommen, um ihm zu verkünden, daß ihm ein Sohn geboren werde von seiner
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Gattinn Sara, welche unterdessen, weiblich pfiffig hinter der Zeltthüre steht um die Unterredung zu belauschen. Dieser leise Wink goß dreifaches Roth über die Wangen der schönen Frau, sie schlug die Augen nieder, und sah dann wieder freundlich empor nach ihrem Manne, der singend fortfuhr im Vor5 lesen der wunderbaren Geschichte: wie Rabbi Jesua, Rabbi Elieser, Rabbi Asaria, Rabbi Akiba, und Rabbi Tarphen in Bona-Brak angelehnt saßen und sich die ganze Nacht vom Auszuge der Kinder Israel aus Egypten unterhielten, bis ihre Schüler kamen und ihnen zuriefen, es sey Tag und in der Synagoge verlese man schon das große Morgengebet, io Derweilen nun die schöne Sara andächtig zuhörte, und ihren Mann beständig ansah, bemerkte sie, wie plötzlich sein Antlitz in grausiger Verzerrung erstarrte, das Blut aus seinen Wangen und Lippen verschwand, und seine Augen wie Eiszapfen hervorglotzten; — aber fast im selben Augenblicke sah sie, wie seine Züge wieder die vorige Ruhe und Heiterkeit annahmen, wie seine 15 Lippen und Wangen sich wieder rötheten, seine Augen munter umher kreisten, ja, wie sogar eine ihm sonst ganz fremde tolle Laune sein ganzes Wesen ergriff. Die schöne Sara erschrak wie sie noch nie in ihrem Leben erschrocken war, und ein inneres Grauen stieg kältend in ihr auf, weniger wegen der Zeichen von starrem Entsetzen, die sie einen Momentlang im Gesichte ihres Mannes 20 erblickt hatte, als wegen seiner jetzigen Fröhlichkeit, die allmählig in jauchzende Ausgelassenheit überging. Der Rabbi schob sein Barett spielend von einem Ohre nach dem andern, zupfte und kräuselte possirlich seine Bartlocken, sang den Agadetext nach der Weise eines Gassenhauers, und bei der Aufzählung der egyptischen Plagen, wo man mehrmals den Zeigefinger in den 25 vollen Becher eintunkt und den anhängenden Weintropfen zur Erde wirft, bespritzte der Rabbi die jüngern Mädchen mit Rothwein, und es gab großes Klagen über verdorbene Halskrausen, und schallendes Gelächter. Immer unheimlicher ward es der schönen Sara bey dieser krampfhaft sprudelnden Lustigkeit ihres Mannes, und beklommen von namenloser Bangigkeit, schaute 30 sie in das summende Gewimmel der buntbeleuchteten Menschen, die sich behaglich breit hin und her schaukelten, an den dünnen Paschabrödten knoperten, oder Wein schlürften, oder mit einander schwatzten, oder laut sangen, überaus vergnügt. Da kam die Zeit wo die Abendmahlzeit gehalten wird, alle standen auf um 35 sich zu waschen, und die schöne Sara holte das große, silberne, mit getriebenen Goldfiguren reichverzierte Waschbecken, das sie jedem der Gäste vorhielt, während ihm Wasser über die Hände gegossen wurde. Als sie auch dem Rabbi diesen Dienst erwies, blinzelte ihr dieser bedeutsam mit den Augen, und schlich zur Thüre hinaus. Die schöne Sara folgte ihm auf dem Fuße; hastig ergriff
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der Rabbi die Hand seines Weibes, eilig zog er sie fort, durch die dunkelen Gassen Bacherachs, eilig zum Thor hinaus, auf die Landstraße, die den Rhein entlang, nach Bingen führt. Es war eine jener Frühlingsnächte, die zwar lau genug und hellgestirnt sind, aber doch die Seele mit seltsamen Schauern erfüllen. Leichenhaft dufteten 5 die Blumen; schadenfroh und zugleich selbstbeängstigt zwitscherten die Vögel; der Mond warf heimtückisch gelbe Streiflichter über den dunkel hinmurmelnden Strom; die hohen Felsenmassen des Ufers schienen bedrohlich wackelnde Riesenhäupter; der Thurmwächter auf Burg-Strahleck blies eine melancholische Weise; und dazwischen läutete, eifrig gellend, das Sterbeglöckchen der 10 Sankt-Wernerskirche. Die schöne Sara trug in der rechten Hand das silberne Waschbecken, ihre linke hielt der Rabbi noch immer gefaßt, und sie fühlte wie seine Finger eiskalt waren und wie sein Arm zitterte; aber sie folgte schweigend, vielleicht weil sie von jeher gewohnt, ihrem Manne blindlings und fragenlos zu gehorchen, vielleicht auch weil ihre Lippen vor innerer 15 Angst verschlossen waren. Unterhalb der Burg Sonneck, Lorch gegenüber, ungefähr wo jetzt das Dörfchen Niederheimbach liegt, erhebt sich eine Felsenplatte, die bogenartig über das Rheinufer hinaushängt. Diese erstieg Rabbi Abraham mit seinem Weibe, schaute sich um nach allen Seiten, und starrte hinauf nach den Sternen. 20 Zitternd, und von Todesängsten durchfröstelt stand neben ihm die schöne Sara, und betrachtete sein blasses Gesicht, das der Mond gespenstisch beleuchtete, und worauf es hin und her zuckte, wie Schmerz, Furcht, Andacht und Wuth. Als aber der Rabbi plötzlich das silberne Waschbecken ihr aus der Hand riß und es schollernd hinabwarf in den Rhein: da konnte sie das grausen- 25 hafte Angstgefühl nicht länger ertragen, und mit dem Ausrufe „Schadai voller Genade!" stürzte sie zu den Füßen des Mannes und beschwor ihn das dunkle Räthsel endlich zu enthüllen. Der Rabbi, des Sprechens ohnmächtig, bewegte mehrmals lautlos die Lippen, und endlich rief er: „Siehst du den Engel des Todes? Dort unten 30 schwebt er über Bacherach! Wir aber sind seinem Schwerdte entronnen. Gelobt sey der Herr!" Und mit einer Stimme, die noch vor innerem Entsetzen bebte, erzählte er: wie er wohlgemuth die Agade hinsingend und angelehnt saß, und zufällig unter den Tisch schaute, habe er dort, zu seinen Füßen, den blutigen Leichnahm eines Kindes erblickt. „Da merkte ich" — setzte der Rabbi 35 hinzu — „daß unsre zwey späte Gäste nicht von der Gemeinde Israels waren, sondern von der Versammlung der Gottlosen, die sich berathen hatten jenen Leichnahm heimlich in unser Haus zu schaffen, um uns des Kindermordes zu beschuldigen und das Volk aufzureizen uns zu plündern und zu ermorden.
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Ich durfte nicht merken lassen, daß ich das Werk der Finsterniß durchschaut; ich hätte dadurch nur mein Verderben beschleunigt, und nur die List hat uns beide gerettet. Gelobt sey der Herr! Ängstige dich nicht, schöne Sara; auch unsre Freunde und Verwandte werden gerettet seyn. Nur nach meinem Blute lechzten die Ruchlosen; ich bin ihnen entronnen und sie begnügen sich mit meinem Silber und Golde. Komm mit mir, schöne Sara, nach einem anderen Lande, wir wollen das Unglück hinter uns lassen, und damit uns das Unglück nicht verfolge, habe ich ihm das Letzte meiner Habe, das silberne Becken, zur Versöhnung hingeworfen. Der Gott unserer Väter wird uns nicht verlassen. — Komm herab, du bist müde; dort unten steht bei seinem Kahne der stille Wilhelm; er fährt uns den Rhein hinauf." Lautlos und wie mit gebrochenen Gliedern war die schöne Sara in die Arme des Rabbi hingesunken, und langsam trug er sie hinab nach dem Ufer. Hier stand der stille Wilhelm, ein taubstummer aber bildschöner Knabe, der zum Unterhalt seiner alten Pflegemutter, einer Nachbarinn des Rabbi, den Fischfang trieb und hier seinen Kahn angelegt hatte. Es war aber als erriethe er schon gleich die Absicht des Rabbi, ja es schien als habe er eben auf ihn gewartet, um seine geschlossenen Lippen zog sich das lieblichste Mitleid, bedeutungstief ruhten seine großen blauen Augen auf der schönen Sara, und sorgsam trug er sie in den Kahn. Der Blick des stummen Knaben weckte die schöne Sara aus ihrer Betäubung, sie fühlte auf einmahl, daß Alles was ihr Mann ihr erzählt, kein bloßer Traum sey, und Ströme bitterer Thränen ergossen sich über ihre Wangen, die jetzt so weiß wie ihr Gewand. Da saß sie nun in der Mitte des Kahns, ein weinendes Marmorbild; neben ihr saßen ihr Mann und der stille Wilhelm, welche emsig ruderten. Sey es nun durch den einförmigen Ruderschlag, oder durch das Schaukeln des Fahrzeugs, oder durch den Duft jener Bergesufer, worauf die Freude wächst, immer geschieht es, daß auch der Betrübteste seltsam beruhigt wird, wenn er in der Frühlingsnacht, in einem leichten Kahne, leicht dahin fährt auf dem lieben, klaren Rheinstrom. Wahrlich, der alte, gutherzige Vater Rhein kann's nicht leiden, wenn seine Kinder weinen; thränenstillend wiegt er sie auf seinen treuen Armen, und erzählt ihnen seine schönsten Mährchen und verspricht ihnen seine goldigsten Schätze, vielleicht gar den uralt versunkenen Niblungshort. Auch die Thränen der schönen Sara flössen immer milder und milder, ihre gewaltigsten Schmerzen wurden fortgespielt von den flüsternden Wellen, die Nacht verlor ihr finstres Grauen, und die heimathlichen Berge grüßten wie zum zärtlichsten Lebewohl. Vor allen aber grüßte traulich ihr Lieblingsberg, der Kedrich, und in seiner seltsamen Mondbeleuchtung schien
Erstes Capitel
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es, als stände wieder oben ein Fräulein mit ängstlich ausgestreckten Armen, als kröchen die flinken Zwerglein wimmelnd aus ihren Felsenspalten, und als käme ein Reuter den Berg hinaufgesprengt in vollem Gallop; und der schönen Sara war zu Muthe, als sey sie wieder ein kleines Mädchen und säße wieder auf dem Schooße ihrer Muhme aus Lorch, und diese erzähle ihr die hübsche 5 Geschichte von dem kecken Reuter, der das arme, von den Zwergen geraubte Fräulein befreite, und noch andre wahre Geschichten, vom wunderlichen Wisperthale drüben, wo die Vögel ganz vernünftig sprechen, und vom Pfefferkuchenland, wohin die folgsamen Kinder kommen, und von verwünschten Prinzessinnen, singenden Bäumen, gläsernen Schlössern, goldenen Brücken, 10 lachenden Nixen . . . Aber zwischen all diesen hübschen Mährchen, die klingend und leuchtend zu leben begannen, hörte die schöne Sara die Stimme ihres Vaters, der ärgerlich die arme Muhme ausschalt, daß sie dem Kinde so viel Thorheiten in den Kopf schwatze! Alsbald kams ihr vor, als setzte man sie auf das kleine Bänkchen, vor dem Sammetsessel ihres Vaters, der mit weicher 15 Hand ihr langes Haar streichelte, gar vergnügt mit den Augen lachte, und sich behaglich hin und her wiegte in seinem weiten, blauseidenen Sabbathschlafrock . . . Es mußte wohl Sabbath seyn, denn die geblümte Decke war über den Tisch gespreitet, alle Geräthe im Zimmer leuchteten, spiegelblank gescheuert, der weißbärtige Gemeindediener saß an der Seite des Vaters und 20 kaute Rosinen und sprach Hebräisch, auch der kleine Abraham kam herein mit einem allmächtig großen Buche, und bat bescheidentlich seinen Oheim um die Erlaubniß einen Abschnitt der heiligen Schrift erklären zu dürfen, damit der Oheim sich selber überzeuge, daß er in der verflossenen Woche viel gelernt habe und viel Lob und Kuchen verdiene . . . Nun legte der kleine 25 Bursche das Buch auf die breite Armlehne des Sessels, und erklärte die Geschichte von Jakob und Rahel, wie Jakob seine Stimme erhoben und laut geweint, als er sein Mühmchen Rahel zuerst erblickte, wie er so traulich am Brunnen mit ihr gesprochen, wie er sieben Jahr um Rahel dienen mußte, und wie sie ihm so schnell verflossen, und wie er die Rahel geheurathet und immer 30 und immer geliebt hat. . . Auf einmahl erinnerte sich auch die schöne Sara, daß ihr Vater damals mit lustigem Tone ausrief: „willst du nicht eben so dein Mühmchen Sara heurathen?" worauf der kleine Abraham ernsthaft antwortete: „das will ich, und sie soll sieben Jahr warten." Dämmernd zogen diese Bilder durch die Seele der schönen Frau, sie sah, wie sie und ihr kleiner Vetter, der 35 jetzt so groß und ihr Mann geworden, kindisch mit einander in der Lauberhütte spielten, wie sie sich dort ergötzten an den bunten Tapeten, Blumen, Spiegeln und vergoldeten Aepfeln, wie der kleine Abraham immer zärtlich mit ihr koste, bis er allmählig größer und mürrisch wurde, und endlich ganz
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groß und ganz mürrisch . . . Und endlich sitzt sie zu Hause allein in ihrer Kammer eines Samstags Abend, der Mond scheint hell durch's Fenster, und die Thür fliegt auf, und hastig stürmt herein ihr Vetter Abraham, in Reisekleidern und blaß wie der Tod, und er greift ihre Hand, steckt einen goldnen Ring an ihren Finger und spricht feyerlich: „ich nehme Dich hiermit zu meinem Weibe, nach den Gesetzen von Moses und Israel!" „Jetzt aber" — setzt er bebend hinzu — „jetzt muß ich fort nach Spanien. Lebewohl, sieben Jahre sollst Du auf mich warten!" Und er stürzt fort, und weinend erzählt die schöne Sara das alles ihrem Vater. . . Der tobt und wüthet „schneid ab dein Haar, denn du bist ein verheurathetes Weib!" — und er will dem Abraham nachreuten um einen Scheidebrief von ihm zu erzwingen; — aber der ist schon über alle Berge, der Vater kehrt schweigend nach Haus zurück, und wie die schöne Sara ihm die Reitstiefel ausziehen hilft und besänftigend äußert, daß der Abraham nach sieben Jahren zurückkehre, da flucht der Vater: „sieben Jahr sollt ihr betteln gehn!" und bald stirbt er. So zogen der schönen Sara die alten Geschichten durch den Sinn, wie ein hastiges Schattenspiel; die Bilder vermischten sich auch wunderlich, und zwischendurch schauten halb bekannte, halb fremde bärtige Gesichter und große Blumen mit fabelhaft breitem Blattwerk. Es war auch als murmelte der Rhein die Melodien der Agade, und die Bilder derselben stiegen daraus hervor, lebensgroß und verzerrt, tolle Bilder: der Erzvater Abraham zerschlägt ängstlich die Götzengestalten, die sich immer hastig wieder von selbst zusammensetzen; der Mitzri wehrt sich furchtbar gegen den ergrimmten Moses; der Berg Sinai blitzt und flammt; der König Pharao schwimmt im rothen Meere, mit den Zähnen im Maule die zackige Goldkrone festhaltend; Frösche mit Menschenantlitz schwimmen hintendrein, und die Wellen schäumen und brausen, und eine dunkle Riesenhand taucht drohend daraus hervor. Das war Hattos Mäusethurm und der Kahn schoß eben durch den Binger Strudel. Die schöne Sara ward dadurch etwas aus ihren Träumereyen gerüttelt, und schaute nach den Bergen des Ufers, auf deren Spitzen die Schloßlichter flimmerten, und an deren Fuß die mondbeleuchteten Nachtnebel sich hinzogen. Plötzlich aber glaubte sie dort ihre Freunde und Verwandte zu sehen, wie sie mit Leichengesichtern und in weißwallenden Todtenhemden schreckenhastig vorüberliefen, den Rhein entlang . . . es ward ihr schwarz vor den Augen, ein Eisstrom ergoß sich in ihre Seele, und wie im Schlafe hörte sie nur noch, daß ihr der Rabbi das Nachtgebeth vorbetete, langsam ängstlich, wie es bei todtkranken Leuten geschieht, und träumerisch stammelte sie nach die Worte: „Zehntausend zur Rechten, zehntausend zur Linken; den König zu schützen vor nächtlichem Grauen . . . "
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Da verzog sich plötzlich all das eindringende Dunkel und Grausen, der düstre Vorhang ward vom Himmel fortgerissen, es zeigte sich oben die heilige Stadt Jerusalem, mit ihren Thürmen und Thoren; in goldner Pracht leuchtete der Tempel; auf dem Vorhofe desselben erblickte die schöne Sara ihren Vater, in seinem gelben Sabbathschlafrock und vergnügt mit den Augen lachend; j aus den runden Tempelfenstern grüßten fröhlich alle ihre Freunde und Verwandte; im Allerheiligsten kniete der fromme König David, mit Purpurmantel und funklender Krone, und lieblich ertönte sein Gesang und Saitenspiel, — und selig lächelnd entschlief die schöne Sara.
ZWEITES CAPITEL. Als die schöne Sara die Augen aufschlug, ward sie fast geblendet von den Stralen der Sonne. Die hohen Thürme einer großen Stadt erhoben sich, und der stumme Wilhelm stand mit der Hakenstange aufrecht im Kahne und leitete denselben durch das lustige Gewühl vieler buntbewimpelten Schiffe, deren Mannschaft entweder müßig hinabschaute auf die Vorbeyfahrenden, 15 oder vielhändig beschäftigt war mit dem Ausladen von Kisten, Ballen und Fässern, die auf kleineren Fahrzeugen ans Land gebracht wurden; wobei ein betäubender Lärm, das beständige Hallorufen der Barkenführer, das Geschrey der Kaufleute vom Ufer her, und das Keifen der Zöllner, die, in ihren rothen Röcken, mit weißen Stäbchen und weißen Gesichtern, von Schiff zu Schiff 20 hüpften. „Ja, schöne Sara" — sagte der Rabbi zu seiner Frau, heiter lächelnd — „das ist hier die weltberühmte freye Reichs- und Handelsstadt Frankfurt am Mayn, und das ist eben der Maynfluß worauf wir jetzt fahren. Da drüben die lachenden Häuser, umgeben von grünen Hügeln, das ist das Sachsenhausen, 25 woher uns der lahme Gumpertz, zur Zeit des Lauberhüttenfestes, die schönen Myrrhen holt. Hier siehst du auch die starke Maynbrücke mit ihren dreyzehn Bögen, und gar viel Volk, Wagen und Pferde, geht sicher darüberhin, und in der Mitte steht das Häuschen, wovon die Mühmeie Täubchen erzählt hat, daß ein getaufter Jude darin wohnt, der jedem, der ihm eine todte Ratte bringt, 30 sechs Heller auszahlt für Rechnung der jüdischen Gemeinde, die dem Stadtrathe jährlich fünftausend Rattenschwänze abliefern soll!" Ueber diesen Krieg, den die frankfurter Juden mit den Ratten zu führen 5
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haben, mußte die schöne Sara laut lachen; das klare Sonnenlicht und die neue bunte Welt, die vor ihr auftauchte, hatte alles Grauen und Entsetzen der vorigen Nacht aus ihrer Seele verscheucht, und als sie, aus dem landenden Kahne, von ihrem Manne und dem stummen Wilhelm aufs Ufer gehoben 5 worden, fühlte sie sich wie durchdrungen von freudiger Sicherheit. Der stumme Wilhelm aber, mit seinen schönen, tiefblauen Augen, sah ihr lange ins Gesicht, halb schmerzlich, halb heiter, dann warf er noch einen bedeutenden Blick nach dem Rabbi, sprang zurück in seinen Kahn, und bald war er damit verschwunden. i o „Der stumme Wilhelm hat doch viele Aehnlichkeit mit meinem verstorbenen Bruder" — bemerkte die schöne Sara. „Die Engel sehen sich alle ähnlich" — erwiederte leichthin der Rabbi, und sein Weib bey der Hand ergreifend, führte er sie durch das Menschengewimmel des Ufers, wo jetzt, weil es die Zeit der Ostermesse, eine Menge hölzerner Krambuden aufgebaut standen. Als sie, 15 durch das dunkle Maynthor, in die Stadt gelangten, fanden sie nicht minder lermigen Verkehr. Hier, in einer engen Straße, erhob sich ein Kaufmannsladen neben dem andern, und die Häuser, wie überall in Frankfurt waren ganz besonders zum Handel eingerichtet: im Erdgeschosse keine Fenster, sondern lauter offne Bogenthüren, so daß man tief hineinschauen und jeder Vorüber20 gehende die ausgestellten Waaren deutlich betrachten konnte. Wie staunte die schöne Sara ob der Masse kostbarer Sachen und ihrer niegesehenen Pracht! Da standen Venezianer, die allen Luxus des Morgenlands und Italiens feil boten, und die schöne Sara war wie festgebannt beim Anblick der aufgeschichteten Putzsachen und Kleinodien, der bunten Mützen und Mieder, der güldnen 25 Armspangen und Halsbänder, des ganzen Flitterkrams, das die Frauen sehr gern bewundern und womit sie sich noch lieber schmücken. Die reichgestickten Sammt- und Seidenstoffe schienen mit der schönen Sara sprechen und ihr allerley Wunderliches ins Gedächtniß zurückfunkeln zu wollen, und es war ihr wirklich zu Muthe, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen und Mühmeie 30 Täubchen habe ihr Versprechen erfüllt, und sie nach der frankfurter Messe geführt, und jetzt eben stehe sie vor den hübschen Kleidern, wovon ihr so viel erzählt worden. Mit heimlicher Freude überlegte sie schon was sie nach Bacherach mitbringen wolle, welchem von ihren beiden Bäschen, dem kleinen Blümchen oder dem kleinen Vögelchen, der blauseidne Gürtel am besten 35 gefallen würde, ob auch die grünen Höschen dem kleinen Gottschalk passen mögen, — doch plötzlich sagte sie zu sich selber: ach Gott! die sind ja unterdessen großgewachsen und gestern umgebracht worden! Sie schrak heftig zusammen und die Bilder der Nacht wollten schon mit all ihrem Entsetzen wieder in ihr aufsteigen; doch die goldgestickten Kleider blinzelten nach ihr
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wie mit tausend Schelmenaugen, und redeten ihr alles dunkle aus dem Sinn, und wie sie hinaufsah nach dem Antlitz ihres Mannes, so war dieses unumwölkt, und trug seine gewöhnliche ernste Milde. „Mach die Augen zu, schöne Sara" — sagte der Rabbi, und führte seine Frau weiter durch das Menschengedränge. 5 Welch ein buntes Treiben 1 Zumeist waren es Handelsleute, die laut mit einander feilschten, oder auch mit sich selber sprechend an den Fingern rechneten, oder auch von einigen hochbepackten Markthelfern, die im kurzen Hundetrapp hinter ihnen herliefen, ihre Einkäufe nach der Herberge schleppen ließen. Andere Gesichter ließen merken, daß blos die Neugier sie herbey- 10 gezogen. Am rothen Mantel und der goldenen Halskette erkannte man den breiten Rathsherrn. Das schwarze, wohlhabend bauschichte Wams verrieth den ehrsamen stolzen Altbürger. Die eiserne Pickelhaube, das gelblederne Wams und die klirrenden Pfundsporen verkündigten den schweren Reutersknecht. Unterm schwarzen Sammethäubchen, das in einer Spitze auf der Stirne 15 zusammenlief, barg sich ein rosiges Mädchengesicht, und die jungen Gesellen, die gleich witternden Jagdhunden hinterdrein sprangen, zeigten sich als vollkommene Stutzer durch ihre keckbefiederten Barette, ihre klingelnden Schnabelschuhe und ihre seidnen Kleider von getheilter Farbe, wo die rechte Seite grün, die linke Seite roth, oder die eine regenbogenartig gestreift, die 20 andre buntscheckig gewürfelt war, so daß die närrischen Burschen aussahen, als wären sie in der Mitte gespalten. Von der Menschenströmung fortgezogen, gelangte der Rabbi mit seinem Weibe nach dem Römer. Dieses ist der große mit hohen Giebelhäusern umgebene Marktplatz der Stadt, seinen Namen führend von einem ungeheuren Hause das Zum-Römer hieß und vom Magis- 25 träte angekauft und zu einem Rathhause geweiht wurde. In diesem Gebäude wählte man Deutschlands Kaiser und vor demselben wurden oft edle Ritterspiele gehalten. Der König Maximilian, der dergleichen leidenschaftlich liebte, war damals in Frankfurt anwesend, und Tags zuvor hatte man ihm zu Ehren, vor dem Römer, ein großes Stechen veranstaltet. An den hölzer- 30 nen Schranken, die jetzt von den Zimmerleuten abgebrochen wurden, standen noch viele Müßiggänger und erzählten sich, wie gestern der Herzog von Braunschweig und der Markgraf von Brandenburg unter Pauken- und Trompetenschall gegen einander gerannt, wie Herr Walter der Lump den Bärenritter so gewaltig aus dem Sattel gestoßen, daß die Lanzensplitter in 35 die Luft flogen, und wie der lange blonde König Max, im Kreise seines Hofgesindes, auf dem Balkone stand und sich vor Freude die Hände rieb. Die Decken von goldnen Stoffen lagen noch auf der Lehne des Balkons und der spitzbögigen Rathhausfenster. Auch die übrigen Häuser des Markt5*
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platzes waren noch festlich geschmückt und mit Wappenschilden verziert, besonders das Haus Limburg, auf dessen Banner eine Jungfrau gemalt war, die einen Sperber auf der Hand trägt, während ihr ein Affe einen Spiegel vorhält. Auf dem Balkone dieses Hauses standen viele Ritter und 5 Damen, in lächelnder Unterhaltung hinabblickend auf das Volk, das unten in tollen Gruppen und Aufzügen hin- und herwogte. Welche Menge Müßiggänger von jedem Stande und Alter drängte sich hier, um ihre Schaulust zu befriedigen! Hier wurde gelacht, gegreint, gestolen, in die Lenden gekniffen, gejubelt, und zwischendrein schmetterte gellend die Trompete des Arztes, der io im rothen Mantel, mit seinem Hanswurst und Affen, auf einem hohen Gerüste stand, seine eigne Kunstfertigkeit recht eigentlich ausposaunte, seine Tinkturen und Wundersalben anpries, oder ernsthaft das Uringlas betrachtete, das ihm irgend ein altes Weib vorhielt, oder sich anschickte einem armen Bauer den Backzahn auszureißen. Zwey Fechtmeister, in bunten Bändern eini 5 herflatternd, ihre Rappiere schwingend, begegneten sich hier wie zufällig und stießen mit Scheinzorn auf einander; nach langem Gefechte erklärten sie sich wechselseitig für unüberwindlich und sammelten einige Pfenninge. Mit Trommler und Pfeifer marschierte jetzt vorbey die neu errichtete Schützengilde. Hierauf folgte, angeführt von dem Stöcker, der eine rothe Fahne trug, 20 ein Rudel fahrender Fräulein, die aus dem Frauenhause „zum Esel" von Würzburg herkamen und nach dem Rosenthale hinzogen, wo die hochlöbliche Obrigkeit ihnen für die Meßzeit ihr Quartier angewiesen. „Mach die Augen zu, schöne Sara!" — sagte der Rabbi. Denn jene phantastisch und allzu knapp bekleideten Weibsbilder, worunter einige sehr hübsche, gebehrdeten sich auf 2j die unzüchtigste Weise, entblößten ihren weißen, frechen Busen, neckten die Vorübergehenden mit schamlosen Worten, schwangen ihre langen Wanderstöcke, und indem sie auf letzteren, wie auf Steckenpferden, die SanktKatharinen-Pforte hinabritten, sangen sie mit gellender Stimme das Hexenlied: 3o
„Wo ist der Bock, das Höllenthier? Wo ist der Bock? Und fehlt der Bock, So reiten wir, so reiten wir, So reiten wir auf dem Stock I"
Dieser Singsang, den man noch in der Ferne hören konnte, verlor sich am 55 Ende in den kirchlich langgezogenen Tönen einer herannahenden Prozession. Das war ein trauriger Zug von kahlköpfigen und baarfüßigen Mönchen, welche brennende Wachslichter oder Fahnen mit Heilgenbildern, oder auch große silberne Kruzifixe trugen. An ihrer Spitze gingen roth- und weiß-
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geröckte Knaben mit dampfenden Weihrauchkesseln. In der Mitte des Zuges unter einem prächtigen Baldachin, sah man Geistliche in weißen Chorhemden von kostbaren Spitzen oder in buntseidenen Stolen, und einer derselben trug in der Hand ein sonnenartig goldnes Gefäß, das er, bey einer Heiligennische der Marktecke anlangend, hoch empor hob, während er lateinische Worte 5 halb rief, halb sang. . . Zugleich erklingelte ein kleines Glöckchen und alles Volk ringsum verstummte, fiel auf die Knie und bekreuzte sich. Der Rabbi aber sprach zu seinem Weibe: „mach die Augen zu, schöne Sarai" — und hastig zog er sie von hinnen, nach einem schmalen Nebengäßchen, durch ein Labyrinth von engen und krummen Straßen, und endlich über den unbe- 10 wohnten, wüsten Platz, der das neue Judenquartier von der übrigen Stadt trennte. Vor jener Zeit wohnten die Juden zwischen dem Dom und dem Maynufer, nemlich von der Brücke bis zum Lumpenbrunnen und von der Mehlwage bis zu Sankt Bartholomäi. Aber die katholischen Priester erlangten eine päbst- 15 liehe Bulle, die den Juden verwehrte in solcher Nähe der Hauptkirche zu wohnen, und der Magistrat gab ihnen einen Platz auf dem Wollgraben, wo sie das heutige Judenquartier erbauten. Dieses war mit starken Mauern versehen, auch mit eisernen Ketten vor den Thoren, um sie gegen Pöbelandrang zu sperren. Denn hier lebten die Juden ebenfalls in Druck und Angst, und 20 mehr als heut zu Tage in der Erinnerung früherer Nöthen. Im Jahr 1240 hatte das entzügelte Volk ein großes Blutbad unter ihnen angerichtet, welches man die erste Judenschlacht nannte, und im Jahr 1349, als die Geißler, bei ihrem Durchzuge die Stadt anzündeten und die Juden des Brandstiftens anklagten, wurden diese von dem aufgereizten Volke zum größten Theil ermordet oder 25 sie fanden den Tod in den Flammen ihrer eignen Häuser, welches man die zweite Judenschlacht nannte. Später bedrohte man die Juden noch oft mit dergleichen Schlachten, und bey innern Unruhen Frankfurt's, besonders bey einem Streite des Rathes mit den Zünften, stand der Christenpöbel oft im Begriff das Judenquartier zu stürmen. Letzteres hatte zwey Thore, die an 30 katholischen Feyertagen von außen, an jüdischen Feyertagen von innen geschlossen wurden, und vor jedem Thor befand sich ein Wachthaus mit Stadtsoldaten. Als der Rabbi mit seinem Weibe an das Thor des Judenquartiers gelangte, lagen die Landsknechte, wie man durch die offnen Fenster sehen konnte, 35 auf der Pritsche ihrer Wachtstube, und draußen, vor der Thüre, im vollen Sonnenschein, saß der Trommelschläger und phantasirte auf seiner großen Trommel. Das war eine schwere dicke Gestalt; Wams und Hosen von feuergelbem Tuch, an Armen und Lenden weit aufgepufft, und als wenn unzählige
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Menschenzungen daraus hervorleckten, von oben bis unten besät mit kleinen eingenähten rothen Wülstchen; Brust und Rücken gepanzert mit schwarzen Tuchpolstern, woran die Trommel hing; auf dem Kopfe eine platte runde schwarze Kappe; das Gesicht eben so platt und rund, auch orangengelb und 5 mit rothen Schwärchen gespickt, und verzogen zu einem gähnenden Lächeln. So saß der Kerl und trommelte die Melodie des Liedes, das einst die Geißler bei der Judenschlacht gesungen, und mit seinem rauhen Biertone gurgelte er die Worte: 10
„Unsre liebe Fraue, Die ging im Morgenthaue, Kyrie Eleison I"
„Hans, das ist eine schlechte Melodie" — rief eine Stimme hinter dem verschlossenen Thore des Judenquartiers — „Hans, auch ein schlecht Lied, paßt nicht für die Trommel, paßt gar nicht, und bey Leibe nicht in der Messe und 15 am Ostermorgen, schlecht Lied, gefährlich Lied, Hans, Hänschen, klein Trommelhänschen, ich bin ein einzelner Mensch, und wenn du mich lieb hast, wenn du den Stern lieb hast, den langen Stern, den langen Nasenstern, so hör auf I" Diese Worte wurden von dem ungesehenen Sprecher, theils angstvoll hastig, 20 theils aufseufzend langsam hervorgestoßen, in einem Tone worin das ziehend Weiche und das heiser Harte schroff abwechselte, wie man ihn bey Schwindsüchtigen findet. Der Trommelschläger blieb unbewegt, und in der vorigen Melodie forttrommelnd sang er weiter:
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„ D a kam ein kleiner Junge, Sein Bart war ihm entsprungen, Haleluja!"
„Hans" — rief wieder die Stimme des obenerwähnten Sprechers — „Hans, ich bin ein einzelner Mensch, und es ist ein gefährlich Lied, und ich hör es nicht gern, und ich hab meine Gründe, und wenn du mich lieb hast, singst du 30 was anders, und morgen trinken wir . . . " Bey dem Wort „Trinken" hielt der Hans inne mit seinem Trommeln und Singen, und biedern Tones sprach er: „Der Teufel hole die Juden, aber du, lieber Nasenstern bist mein Freund, ich beschütze dich, und wenn wir noch oft zusammen trinken, werde ich dich auch bekehren. Ich will dein Pathe seyn, 35 wenn du getauft wirst, wirst du selig, und wenn du Genie hast und fleißig bey mir lernst, kannst du sogar noch Trommelschläger werden. Ja, Nasenstern, du kannst es noch weit bringen, ich will dir den ganzen Katechismus
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vortrommeln, wenn wir morgen zusammen trinken — aber jetzt mach' mal das Thor auf, da stehen zwey Fremde und begehren Einlaß." „Das Thor auf?" — schrie der Nasenstern und die Stimme versagte ihm fast. „Das geht nicht so schnell, lieber Hans, man kann nicht wissen, man kann gar nicht wissen, und ich bin ein einzelner Mensch. Der Veitel Rinds- 5 köpf hat den Schlüssel und steht jetzt still in der Ecke und brümmelt sein Achtzehn-Gebeth; da darf man sich nicht unterbrechen lassen. Jäkel der Narr ist auch hier, aber er schlägt jetzt sein Wasser ab. Ich bin ein einzelner Mensch!" „Der Teufel hole die Juden!" — rief der Trommelhans, und über diesen eignen Witz laut lachend, trollte er sich nach der Wachtstube und legte sich 10 ebenfalls auf die Pritsche. Während nun der Rabbi mit seinem Weibe jetzt ganz allein vor dem großen verschlossenen Thore stand, erhub sich hinter demselben eine schnarrende, näselnde, etwas spöttisch gezogene Stimme: „Sternchen, dröhnle nicht so lange, nimm die Schlüssel aus Rindsköpfchen's Rocktasche, oder nimm deine 15 Nase, und schließe damit das Thor auf. Die Leute stehen schon lange und warten." „Die Leute?" — schrie ängstlich die Stimme des Mannes, den man den Nasenstern nannte — „ich glaubte es wäre nur Einer, und ich bitte dich, Narr, lieber Jäkel Narr, guck mal heraus wer da ist?" 20 Da öffnete sich im Thore ein kleines, wohlvergittertes Fensterlein, und zum Vorschein kam eine gelbe, zweyhörnige Mütze und darunter das drollig verschnörkelte Lustigmachergesicht Jäkels des Narren. In demselben Augenblicke schloß sich wieder die Fensterlucke und ärgerlich schnarrte es: „Mach auf, mach auf, draußen ist nur ein Mann und ein Weib." 25 „Ein Mann und ein Weib!" — ächzte der Nasenstern. — „Und wenn das Thor aufgemacht wird, wirft das Weib den Rock ab und es ist auch ein Mann, und es sind dann zwey Männer, und wir sind nur unserer Drey!" „Sey kein Hase" — erwiederte Jäkel der Narr — „und sey herzhaft und zeige Courage!" 30 „Courage!" — rief der Nasenstern und lachte mit verdrießlicher Bitterkeit — „Hase! Hase ist ein schlechter Vergleich, Hase ist ein unreines Thier. Courage! Man hat mich nicht der Courage wegen hierhergestellt, sondern der Vorsicht halber. Wenn zu viele kommen soll ich schreien. Aber ich selbst kann sie nicht zurückhalten. Mein Arm ist schwach, ich trage eine Fontenelle 35 und ich bin ein einzelner Mensch. Wenn man auf mich schießt bin ich todt. Dann sitzt der reiche Mendel Reiß am Sabbath bey Tische, und wischt sich vom Maul die Rosinensauce, und streichelt sich den Bauch, und sagt vielleicht: das lange Nasensternchen war doch ein braves Kerlchen, wäre Es nicht ge-
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wesen, so hätten sie das Thor gesprengt, Es hat sich doch für uns todtschießen lassen, Es war ein braves Kerlchen, Schade daß es todt ist —" Die Stimme wurde hier allmählig weich und weinerlich, aber plötzlich schlug sie über in einen hastigen, fast erbitterten Ton: „Courage! Und damit der 5 reiche Mendel Reiß sich die Rosinensauce vom Maul abwischen, und sich den Bauch streicheln, und mich braves Kerlchen nennen möge, soll ich mich todtschießen lassen? CourageI Herzhaft 1 Der kleine Strauß war herzhaftig, und hat gestern auf dem Römer dem Stechen zugesehen, und hat geglaubt man kenne ihn nicht, weil er einen violetten Rock trug, von Sammt, drey Gulden io die Elle, mit Fuchsschwänzchen, ganz goldgestickt, ganz prächtig — und sie haben ihm den violetten Rock so lange geklopft bis er abfärbte und auch sein Rücken violett geworden ist und nicht mehr menschenähnlich sieht. Courage! Der krumme Leser war herzhaftig, nannte unseren lumpigen Schultheiß einen Lump, und sie haben ihn an den Füßen aufgehängt, zwischen zwey Hunden, 15 und der Trommelhans trommelte. Courage 1 Sey kein Hase I Unter den vielen Hunden ist der Hase verloren, ich bin ein einzelner Mensch, und ich habe wirklich Furcht!" „Schwör' mal!" — rief Jäkel der Narr. „Ich habe wirklich Furcht!" — wiederholte seufzend der Nasenstern — 20 „ich weiß die Furcht liegt im Geblüth und ich habe es von meiner seligen Mutter —" „Ja, ja!" — unterbrach ihn Jäkel der Narr — „und deine Mutter hatte es von ihrem Vater, und der hatte es wieder von dem seinigen, und so hatten es deine Vorältern einer vom andern, bis auf deinen Stammvater, welcher unter 25 König Saul gegen die Philister zu Felde zog und der erste war welcher Reißaus nahm. — Aber sieh mal, Rindsköpfchen ist gleich fertig, er hat sich bereits zum viertenmal gebückt, schon hüpft er wie ein Floh bey dem dreymaligen Worte Heilig, und jetzt greift er vorsichtig in die Tasche . . ." In der That, die Schlüssel rasselten, knarrend öffnete sich ein Flügel des 30 Thores, und der Rabbi und sein Weib traten in die ganz menschenleere Judengasse. Der Auf schließer aber, ein kleiner Mann mit gutmüthig sauerm Gesicht, nickte träumerisch wie einer, der in seinen Gedanken nicht gern gestört seyn möchte, und nachdem er das Thor wieder sorgsam verschlossen, schlappte er, ohne ein Wort zu reden, nach einem Winkel hinter dem Thore, beständig 35 Gebethe vor sich hinmurmelnd. Minder schweigsam war Jäkel der Narr, ein untersetzter, etwas krummbeinigter Gesell, mit einem lachend vollrothen Antlitz und einer unmenschlich großen Fleischhand, die er, aus den weiten Aermeln seiner buntschäckigen Jacke, zum Willkomm hervorstreckte. Hinter ihm zeigte oder vielmehr barg sich eine lange, magere Gestalt, der schmale
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Hals weiß befiedert von einer feinen batistnen Krause, und das dünne, blasse Gesicht gar wundersam geziert mit einer fast unglaublich langen Nase, die sich neugierig angstvoll hin und her bewegte. „Gott willkommen! zum guten Festtag 1" — rief Jäkel der Narr — „wundert Euch nicht, daß jetzt die Gasse so leer und still ist. Alle unsere Leute sind 5 jetzt in der Synagoge und ihr kommt eben zur rechten Zeit um dort die Geschichte von der Opferung Isaaks vorlesen zu hören. Ich kenne sie, es ist eine interessante Geschichte, und wenn ich sie nicht schon drey und dreyßig mal angehört hätte, so würde ich sie gern dies Jahr noch einmal hören. Und es ist eine wichtige Geschichte, denn wenn Abraham den Isaak wirklich geschlachtet 10 hätte, und nicht den Ziegenbock, so wären jetzt mehr Ziegenböcke und weniger Juden auf der Welt." — Und mit wahnsinnig lustiger Grimasse fing der Jäkel an folgendes Lied aus der Agade zu singen: „Ein Böcklein, ein Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein! ein Böcklein! 15 Es kam ein Kätzlein, und aß das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Hündlein, und biß das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Stöcklein und schlug das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, 20 das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Feuerlein und verbrannte das Stöcklein, das geschlagen das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! 25 Es kam ein Wässerlein und löschte das Feuerlein, das verbrannt das Stöcklein, das geschlagen das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Oechslein und soff das Wässerlein, das gelöscht das Feuerlein, 30 das verbrannt das Stöcklein, das geschlagen das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Schlächterlein und schlachtete das Oechslein, das gesoffen das Wässerlein, das gelöscht das Feuerlein, das verbrannt das Stöcklein, das 35 geschlagen das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein! Es kam ein Todesenglein und schlachtete das Schlächterlein, das geschlach-
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tet das Oechslein, das gesoffen das Wässerlein, das gelöscht das Feuerlein, das verbrannt das Stöcklein, das geschlagen das Hündlein, das gebissen das Kätzlein, das gefressen das Böcklein, das gekauft Väterlein, er gab dafür zwey Suslein; ein Böcklein, ein Böcklein!" 5 „Ja, schöne Frau" — fügte der Sänger hinzu — „einst kommt der Tag, wo der Engel des Todes den Schlächter schlachten wird, und all unser Blut kommt über Edom; denn Gott ist ein rächender Gott " Aber plötzlich den Ernst, der ihn unwillkührlich beschlichen, gewaltsam abstreifend, stürzte sich Jäkel der Narr wieder in seine Possenreißereien und fuhr io fort mit schnarrendem Lustigmachertone: „Fürchtet Euch nicht, schöne Frau, der Nasenstern thut Euch nichts zu Leid. Nur für die alte Schnapper-Elle ist er gefährlich. Sie hat sich in seine Nase verliebt, aber die verdient es auch. Sie ist schön wie der Thurm, der gen Damaskus schaut und erhaben wie die Ceder des Libanons. Auswendig glänzt sie wie Gimmgold und Syrob, und 15 inwendig ist lauter Musik und Lieblichkeit. Im Sommer blüht sie, im Winter ist sie zugefroren, und Sommer und Winter wird sie gehätschelt von SchnapperElles weißen Händen. Ja, die Schnapper-Elle ist verliebt in ihn, ganz vernarrt. Sie pflegt ihn, sie füttert ihn, und sobald er fett genug ist, wird sie ihn heurathen, und für ihr Alter ist sie noch jung genug, und wer mal nach drey20 hundert Jahren hierher nach Frankfurt kömmt, wird den Himmel nicht sehen können vor lauter Nasensternen!" „Ihr seyd Jäkel der Narr" — rief lachend der Rabbi — „ich merk es an Euren Worten. Ich habe oft von Euch sprechen gehört." „Ja, ja" — erwiederte jener mit drolliger Bescheidenheit — „ja, ja, das 25 macht der Ruhm. Man ist oft weit und breit für einen größern Narren bekannt als man selbst weiß. Doch ich gebe mir viele Mühe ein Narr zu seyn, und springe und schüttle mich, damit die Schellen klingeln. Andre habens leichter . . . Aber sagt mir, Rabbi, warum reiset Ihr am Feyertage?" „Meine Rechtfertigung" — versetzte der Befragte — „steht im Talmud, 30 und es heißt: Gefahr vertreibt den Sabbath." „Gefahr!" — schrie plötzlich der lange Nasenstern und gebährdete sich wie in Todesangst — „Gefahr! Gefahr! Trommelhans trommel', trommle, Gefahr! Gefahr! Trommelhans . . ." Draußen aber rief der Trommelhans mit seiner dicken Bierstimme: „Tausend 35 Donner Sakrament! Der Teufel hole die Juden! Das ist schon das drittemal, daß du mich heute aus dem Schlafe weckst, Nasenstern! Mach mich nicht rasend! Wenn ich rase, werde ich wie der leibhaftige Satanas, und dann, so wahr ich ein Christ bin, dann schieße ich mit der Büchse durch die Gitterluke des Thores, und dann hüte jeder seine Nase!"
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„Schieß nicht! schieß nicht! ich bin ein einzelner Mensch" — wimmerte angstvoll der Nasenstern und drückte sein Gesicht fest an die nächste Mauer, und in dieser Stellung verharrte er zitternd und leise betend. „Sagt, sagt, was ist passirt?" — rief jetzt auch Jäkel der Narr, mit all jener hastigen Neugier, die schon damals den Frankfurter Juden eigentümlich war. Der Rabbi aber riß sich von ihm los und ging mit seinem Weibe weiter die Judengasse hinauf. „Sieh, schöne Sara" — sprach er seufzend — „wie schlecht geschützt ist Israel! Falsche Freunde hüten seine Thore von außen, und drinnen sind seine Hüter Narrheit und Furcht!" Langsam wanderten die Beiden durch die lange, leere Straße, wo nur hie und da ein blühender Mädchenkopf zum Fenster hinausguckte, während sich die Sonne in den blanken Scheiben festlich heiter bespiegelte. Damals nemlich waren die Häuser des Judenviertels noch neu und nett, auch niedriger wie jetzt, indem erst späterhin die Juden, als sie in Frankfurt sich sehr vermehrten und doch ihr Quartier nicht erweitern durften, dort immer ein Stockwerk über das andere bauten, sardellenartig zusammenrückten und dadurch an Leib und Seele verkrüppelten. Der Theil des Judenquartiers, der nach dem großen Brande stehen geblieben und den man die alte Gasse nennt, jene hohen schwarzen Häuser, wo ein grinsendes, feuchtes Volk umherschachert, ist ein schauderhaftes Denkmal des Mittelalters. Die ältere Synagoge existirt nicht mehr; sie war minder geräumig als die jetzige, die später erbaut wurde, nachdem die Nüremberger Vertriebenen in die Gemeinde aufgenommen worden. Sie lag nördlicher. Der Rabbi brauchte ihre Lage nicht erst zu erfragen. Schon aus der Ferne vernahm er die vielen, verworrenen und überaus lauten Stimmen. Im Hofe des Gotteshauses trennte er sich von seinem Weibe. Nachdem er an dem Brunnen, der dort steht, seine Hände gewaschen, trat er in jenen untern Theil der Synagoge, wo die Männer beten; die schöne Sara hingegen erstieg eine Treppe und gelangte oben nach der Abtheilung der Weiber. Diese obere Abtheilung war eine Art Gallerie mit drey Reihen hölzerner, braunroth angestrichener Sitze, deren Lehne oben mit einem hängenden Brette versehen war, das, um das Gebetbuch darauf zu legen, sehr bequem aufgeklappt werden konnte. Die Frauen saßen hier schwatzend neben einander, oder standen aufrecht, inbrünstig betend; manchmal auch traten sie neugierig an das große Gitter, das sich längs der Morgenseite hinzog und durch dessen dünne grüne Latten man hinabschauen konnte in die untere Abtheilung der Synagoge. Dort, hinter hohen Betpulten, standen die Männer in ihren schwarzen Mänteln, die spitzen Bärte herabschießend über die weißen Halskrausen, und die plattbedeckten Köpfe mehr oder minder verhüllt von einem viereckigen, mit den gesetzlichen Schaufäden versehenen Tuche, das aus weißer
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Wolle oder Seide bestand, mitunter auch mit goldnen Tressen geschmückt war. Die Wände der Synagoge waren ganz einförmig geweißt, und man sah dort keine andere Zierrath als etwa das vergüldete Eisengitter um die viereckige Bühne, wo die Gesetzabschnitte verlesen werden, und die heilige Lade, ein 5 kostbar gearbeiteter Kasten, scheinbar getragen von marmornen Säulen mit üppigen Capitälern, deren Blumen- und Laubwerk gar lieblich emporrankte, und bedeckt mit einem Vorhang von kornblauem Sammet, worauf mit Goldflittern, Perlen und bunten Steinen eine fromme Inschrift gestickt war. Hier hing die silberne Gedächtniß-Ampel und erhob sich ebenfalls eine vergitterte io Bühne, auf deren Geländer sich allerley heilige Geräthe befanden, unter andern der siebenarmige Tempel-Leuchter, und vor demselben, das Antlitz gegen die Lade, stand der Vorsänger, dessen Gesang instrumentenartig begleitet wurde von den Stimmen seiner beiden Gehülfen, des Bassisten und des Diskantsingers. Die Juden haben nemlich alle wirkliche Instrumentalmusik aus ihrer 15 Kirche verbannt, wähnend, daß der Lobgesang Gottes erbaulicher aufsteige aus der warmen Menschenbrust als aus kalten Orgelpfeifen. Recht kindlich freute sich die schöne Sara, als jetzt der Vorsänger, ein trefflicher Tenor, seine Stimme erhob und die uralten, ernsten Melodien, die sie so gut kannte, in noch nie geahneter junger Lieblichkeit aufblüheten, während der Bassist, zum 20 Gegensatze, die tiefen, dunkeln Töne hineinbrummte, und in den Zwischenpausen der Diskantsänger fein und süß trillerte. Solchen Gesang hatte die schöne Sara in der Synagoge von Bacherach niemals gehört, denn der Gemeindevorsteher, David Levi, machte dort den Vorsänger, und wenn dieser schon bejahrte zitternde Mann, mit seiner zerbröckelten, meckernden Stimme 25 wie ein junges Mädchen trillern wollte, und in solch gewaltsamer Anstrengung seinen schlaff herabhängenden Arm fieberhaft schüttelte, so reitzte dergleichen wohl mehr zum Lachen als zur Andacht. Ein frommes Behagen, gemischt mit weiblicher Neugier, zog die schöne Sara ans Gitter, wo sie hinabschauen konnte in die untere Abtheilung, die 30 sogenannte Männerschule. Sie hatte noch nie eine so große Anzahl Glaubensgenossen gesehen, wie sie da unten erblickte, und es ward ihr noch heimlich wohler ums Herz in der Mitte so vieler Menschen, die ihr so nahe verwandt, durch gemeinschaftliche Abstammung, Denkweise und Leiden. Aber noch viel bewegter wurde die Seele des Weibes, als drey alte Männer ehrfurchtsvoll 35 vor die heilige Lade traten, den glänzenden Vorhang an die Seite schoben, den Kasten aufschlössen und sorgsam jenes Buch herausnahmen, das Gott mit heilig eigner Hand geschrieben und für dessen Erhaltung die Juden so viel erduldet, so viel Elend und Haß, Schmach und Tod, ein tausendjähriges Martyrthum. Dieses Buch, eine große Pergamentrolle, war wie ein fürstliches
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Kind in einem buntgestickten Mäntelchen von rothem Sammet gehüllt; oben, auf den beiden Rollhölzern steckten zwey silberne Gehäuschen, worin allerley Granaten und Glöckchen sich zierlich bewegten und klingelten, und vorn, an silbernen Kettchen, hingen goldne Schilde mit bunten Edelsteinen. Der Vorsänger nahm das Buch, und als sey es ein wirkliches Kind, ein Kind um 5 dessentwillen man große Schmerzen erlitten und das man nur desto mehr liebt, wiegte er es in seinen Armen, tänzelte damit hin und her, drückte es an seine Brust, und durchschauert von solcher Berührung, erhub er seine Stimme zu einem so jauchzend frommen Danküede, daß es der schönen Sara bedünkte, als ob die Säulen der heiligen Lade zu blühen begönnen, und die wunderbaren 10 Blumen und Blätter der Kapitaler immer höher hinaufwüchsen, und die Töne des Diskanten sich in lauter Nachtigallen verwandelten, und die Wölbung der Synagoge gesprengt würde von den gewaltigen Tönen des Bassisten, und die Freudigkeit Gottes herabströmte aus dem blauen Himmel. Das war ein schöner Psalm. Die Gemeinde wiederholte chorartig die Schlußverse und nach der 15 erhöhten Bühne in der Mitte der Synagoge schritt langsam der Vorsänger mit dem heiligen Buche, während Männer und Knaben sich hastig hinzudrängten um die Sammethülle desselben zu küssen oder auch nur zu berühren. Auf der erwähnten Bühne zog man von dem heiligen Buche das sammtne Mäntelchen, so wie auch die mit bunten Buchstaben beschriebenen Windeln, womit es 20 umwickelt war, und aus der geöffneten Pergamentrolle, in jenem singenden Tone, der am Paschafest noch gar besonders modulirt wird, las der Vorsänger die erbauliche Geschichte von der Versuchung Abrahams. Die schöne Sara war bescheiden vom Gitter zurückgewichen, und eine breite, putzbeladene Frau von mittlerem Alter und gar gespreizt wohlwollen- 25 dem Wesen, hatte ihr, mit stummen Nicken, die Miteinsicht in ihrem Gebetbuche vergönnt. Diese Frau mochte wohl keine große Schriftgelehrtinn seyn; denn als sie dieGebethe murmelnd vor sich hinlas, wie die Weiber, da sie nicht laut mitsingen dürfen, zu thun pflegen, so bemerkte die schöne Sara, daß sie viele Worte allzusehr nach Gutdünken aussprach und manche gute Zeile ganz 30 überschlupperte. Nach einer Weile aber hoben sich schmachtend langsam die wasserklaren Augen der guten Frau, ein flaches Lächeln glitt über das porzelanhaft roth und weiße Gesicht, und mit einem Tone, der so vornehm als möglich hinschmelzen wollte, sprach sie zur schönen Sara: „ E r singt sehr gut. Aber ich habe doch in Holland noch viel besser singen hören. Sie sind fremd und 35 wissen vielleicht nicht, daß es der Vorsänger aus Worms ist, und daß man ihn hier behalten will wenn er mit jährlichen vierhundert Gulden zufrieden. Es ist ein lieber Mann und seine Hände sind wie Alabaster. Ich halte viel von einer schönen Hand. Eine schöne Hand ziert den ganzen Menschen!" — Dabey
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legte die gute Frau selbstgefällig ihre Hand, die wirklich noch schön war, auf die Lehne des Betpultes, und mit einer graziösen Beugung des Hauptes andeutend, daß sie sich im Sprechen nicht gern unterbrechen lasse, setzte sie hinzu: „Das Singerchen ist noch ein Kind und sieht sehr abgezehrt aus. Der 5 Baß ist gar zu häßlich und unser Stern hat mal sehr witzig gesagt: der Baß ist ein größerer Narr als man von einem Baß zu verlangen braucht 1 Alle drey speisen in meiner Garküche, und Sie wissen vielleicht nicht, daß ich Elle Schnapper bin." Die schöne Sara dankte für diese Mittheilung, wogegen wieder die Schnapio per-Elle ihr ausführlich erzählte, wie sie einst in Amsterdam gewesen, dort wegen ihrer Schönheit gar vielen Nachstellungen unterworfen war, und wie sie drey Tage vor Pfingsten nach Frankfurt gekommen und den Schnapper geheurathet, wie dieser am Ende gestorben, wie er auf dem Todtbette die rührendsten Dinge gesprochen, und wie es schwer sey als Vorsteherinn einer 15 Garküche die Hände zu konserviren. Manchmal sah sie nach der Seite, mit wegwerfendem Blicke, der wahrscheinlich einigen spöttischen jungen Weibern galt, die ihren Anzug musterten. Merkwürdig genug war diese Kleidung: ein weit ausgebauschter Rock von weißem Atlas, worin alle Thierarten der Arche Noä grellfarbig gestickt, ein Wams von Goldstoff wie ein Küraß, die Ärmel 20 von rothem Sammt, gelb geschlitzt, auf dem Haupte eine unmenschlich hohe Mütze, um den Hals eine allmächtige Krause von weißem Steiflinnen, so wie auch eine silberne Kette, woran allerley Schaupfennige, Camäen und Raritäten, unter andern ein großes Bild der Stadt Amsterdam, bis über den Busen herabhingen. Aber die Kleidung der übrigen Frauen war nicht minder merkwürdig 25 und bestand wohl aus einem Gemische von Moden verschiedener Zeiten, und manches Weiblein, bedeckt mit Gold und Diamanten, glich einem wandelnden Juwelierladen. Es war freylich den Frankfurter Juden damals eine bestimmte Kleidung gesetzlich vorgeschrieben, und zur Unterscheidung von den Christen, sollten die Männer an ihren Mänteln gelbe Ringe und die Weiber an 30 ihren Mützen hochaufstehende blaugestreifte Schleyer tragen. Jedoch im Judenquartier wurde diese obrigkeitliche Verordnung wenig beachtet, und dort, besonders an Festtagen, und zumal in der Synagoge, suchten die Weiber so viel Kleiderpracht als möglich gegen einander auszukramen, theils um sich beneiden zu lassen, theils auch um den Wohlstand und die Creditfähigkeit ihrer 35 Eheherrn darzuthun. Während nun unten in der Synagoge die Gesetzabschnitte aus den Büchern Mosis vorgelesen werden, pflegt dort die Andacht etwas nachzulassen. Mancher macht es sich bequem und setzt sich nieder, flüstert auch wohl mit einem Nachbar über weltliche Angelegenheiten, oder geht hinaus auf den Hof,
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um frische Luft zu schöpfen. Kleine Knaben nehmen sich unterdessen die Freyheit ihre Mütter in der Weiberabtheilung zu besuchen, und hier hat alsdann die Andacht wohl noch größere Rückschritte gemacht: hier wird geplaudert, geruddelt, gelacht, und, wie es überall geschieht, die jüngeren Frauen scherzen über die alten, und diese klagen wieder über Leichtfertigkeit 5 der Jugend und Verschlechterung der Zeiten. Gleichwie es aber unten in der Synagoge zu Frankfurt einen Vorsänger gab, so gab es in der obern Abtheilung eine Vorklatscherinn. Das war Hündchen Reiß, eine platte grünliche Frau, die jedes Unglück witterte und immer eine scandalose Geschichte auf der Zunge trug. Die gewöhnliche Zielscheibe ihrer Spitzreden war die arme 10 Schnapper-Elle, sie wußte gar drollig die erzwungen vornehmen Gebehrden derselben nachzuäffen, so wie auch den schmachtenden Anstand womit sie die schalkhaften Huldigungen der Jugend entgegen nimmt. „Wißt Ihr wohl, — rief jetzt Hündchen Reiß — die Schnapper-Elle hat gestern gesagt: wenn ich nicht schön und klug und geliebt wäre, so möchte 15 ich nicht auf der Welt seyn!" Da wurde etwas laut gekichert, und die nahstehende Schnapper-Elle, merkend daß es auf ihre Kosten geschah, hob verachtungsvoll ihr Auge empor, und wie ein stolzes Prachtschiff segelte sie nach einem entfernteren Platze. Die Vögele Ochs, eine runde, etwas täppische Frau, bemerkte mit- 20 leidig: die Schnapper-Elle sey zwar eitel und beschränkt, aber sehr bravmüthig, und sie thue sehr viel Gutes an Leute, die es nöthig hätten. „Besonders an den Nasenstern" — zischte Hündchen Reiß. Und alle die das zarte Verhältniß kannten, lachten um so lauter. „Wißt ihr wohl" — setzte Hündchen hämisch hinzu — „der Nasenstern 25 schläft jetzt auch im Hause der Schnapper-Elle . . . Aber seht mal dort unten die Süschen Flörsheim trägt die Halskette, die Daniel Fläsch bey ihrem Manne versetzt hat. Die Fläsch ärgert sich . . . Jetzt spricht sie mit der Flörsheim . . . Wie sie sich so freundlich die Hand drücken! Und hassen sich doch wie Midian und Moab! Wie sie sich so liebevoll anlächeln! Freßt Euch nur nicht 30 vor lauter Zärtlichkeit! Ich will mir das Gespräch anhören." Und nun, gleich einem lauernden Thiere, schlich Hündchen Reiß hinzu und hörte, daß die beiden Frauen theilnehmend einander klagten, wie sehr sie sich verflossene Woche abgearbeitet, um in ihren Häusern aufzuräumen und das Küchengeschirr zu schäuern, was vor dem Paschafeste geschehen muß, damit 35 kein einziges Brosämchen der gesäuerten Brödte daran kleben bleibe. Auch von der Mühseligkeit beim Backen der ungesäuerten Brödte sprachen die beiden Frauen. Die Fläsch hatte noch besondere Beklagnisse: im Backhause der Gemeinde mußte sie viel Aerger erleiden, nach der Entscheidung des
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Looses konnte sie dort erst in den letzten Tagen, am Vorabend des Festes, und erst spät Nachmittags zum Backen gelangen, die alte Hanne hatte den Teig schlecht geknetet, die Mägde rollten mit ihren Wergelhölzern den Teig viel zu dünn, die Hälfte der Brödte verbrannte im Ofen, und außerdem regnete es so stark, daß es durch das bretterne Dach des Backhauses beständig tröpfelte, und sie mußten sich dort, naß und müde, bis tief in die Nacht abarbeiten. „Und daran, liebe Flörsheim" — setzte die Fläsch hinzu mit einer schonenden Freundlichkeit, die keineswegs ächt war — „daran waren Sie auch ein bischen Schuld, weil Sie mir nicht Ihre Leute zur Hülfleistung beim Backen geschickt haben." „Ach Verzeihung" — erwiederte die Andre — „meine Leute waren zu sehr beschäftigt, die Meßwaaren müssen verpackt werden, wir haben jetzt so viel zu thun, mein Mann . . ." „Ich weiß" — fiel ihr die Fläsch mit schneidend hastigem Tone in die Rede — „ich weiß, Ihr habt viel zu thun, viel Pfänder und gute Geschäfte, und Halsketten . . Eben wollte ein giftiges Wort den Lippen der Sprecherinn entgleiten und die Flörsheim ward schon roth wie ein Krebs, als plötzlich Hündchen Reiß laut aufkreischte: „Um Gottes Willen, die fremde Frau Hegt und stirbt. . . Wasser! Wasser!" Die schöne Sara lag in Ohnmacht, blaß wie der Tod, und um sie herum drängte sich ein Schwärm von Weibern, geschäftig und jammernd. Die Eine hielt ihr den Kopf, eine zweyte hielt ihr den Arm; einige alte Frauen bespritzten sie mit den Wassergläschen, die hinter ihren Betpulten hängen, zum Behufe des Händewaschens, im Fall sie zufällig ihren eignen Leib berührten; andre hielten unter die Nase der Ohnmächtigen eine alte Zitrone, die mit Gewürznägelchen durchstochen, noch vom letzten Fasttage herrührte, wo sie zum nervenstärkenden Anriechen diente. Ermattet und tief seufzend schlug endlich die schöne Sara die Augen auf, und mit stummen Blicken dankte sie für die gütige Sorgfalt. Doch jetzt ward unten das Achtzehn-Gebet, welches niemand versäumen darf, feyerlich angestimmt, und die geschäftigen Weiber eilten zurück nach ihren Plätzen, und verrichteten jenes Gebet, wie es geschehen muß, stehend und das Gesicht gewendet gegen Morgen, welches die Himmelsgegend wo Jerusalem liegt. Vögele Ochs, Schnapper-Elle und Hündchen Reiß verweilten am längsten bey der schönen Sara; die beiden ersteren indem sie ihr eifrigst ihre Dienste anboten, die letztere, nachdem sie sich nochmals bey ihr erkundigte: weshalb sie so plötzlich ohnmächtig geworden? Die Ohnmacht der schönen Sara hatte aber eine ganz besondere Ursache. Es
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ist nemlich Gebrauch in der Synagoge, daß jemand, welcher einer großen Gefahr entronnen, nach der Verlesung der Gesetzabschnitte, öffentlich hervortritt und der göttlichen Vorsicht für seine Rettung dankt. Als nun Rabbi Abraham zu solcher Danksagung unten in der Synagoge sich erhob, und die schöne Sara die Stimme ihres Mannes erkannte, merkte sie wie der Ton der- 5 selben allmählig in das trübe Gemurmel des Todtengebetes überging, sie hörte die Namen ihrer Lieben und Verwandten, und zwar begleitet von jenem segnenden Beywort, das man den Verstorbenen ertheilt: und die letzte Hoffnung schwand aus der Seele der schönen Sara, und ihre Seele ward zerrissen von der Gewißheit, daß ihre Lieben und Verwandte wirklich ermordet 10 worden, daß ihre kleine Nichte todt sey, daß auch ihre Bäschen, Blümchen und Vögelchen, todt seyen, auch der kleine Gottschalk todt sey, alle ermordet und todtl Von dem Schmerze dieses Bewußtseyns wäre sie schier selber gestorben, hätte sich nicht eine wohlthätige Ohnmacht über ihre Sinne ergossen.
DRITTES CAPITEL. Als die schöne Sara, nach beendigtem Gottesdienste, in den Hof der Synagoge hinabstieg, stand dort der Rabbi harrend seines Weibes. Er nickte ihr mit heiterem Antlitz und geleitete sie hinaus auf die Straße, wo die frühere Stille ganz verschwunden und ein lermiges Menschengewimmel zu schauen war. Bärtige Schwarzröcke, wie Ameisenhaufen; Weiber, glanzreich hinflatternd, 20 wie Goldkäfer; neugekleidete Knaben, die den Alten die Gebetbücher nachtrugen; junge Mädchen, die, weil sie nicht in die Synagoge gehen dürfen, jetzt aus den Häusern ihren Eltern entgegen hüpfen, vor ihnen die Lockenköpfchen beugen, um den Seegen zu empfangen: Alle heiter und freudig, und die Gasse auf und ab spatzierend, im seeligen Vorgefühl eines guten Mittag- 25 mahls, dessen lieblicher Duft schon mundwässernd hervorstieg, aus den schwarzen, mit Kreide bezeichneten Töpfen, die eben von den lachenden Mägden aus dem großen Gemeinde-Ofen geholt worden. In diesem Gewirre war besonders bemerkbar die Gestalt eines spanischen R tters, auf dessen jugendlichen Gesichtszügen jene reitzende Blässe lag, 30 w'elche die Frauen gewöhnlich einer unglücklichen Liebe, die Männer hingegen einer glücklichen zuschreiben. Sein Gang, obschon gleichgültig hinschlendernd, hatte dennoch eine etwas gesuchte Zierlichkeit; die Federn seines 6
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Barettes bewegten sich mehr durch das vornehme Wiegen des Hauptes, als durch das Wehen des Windes; mehr als eben nothwendig klirrten seine goldenen Sporen und das Wehrgehänge seines Schwertes, welches er im Arme zu tragen schien, und dessen Griff kostbar hervor blitzte aus dem weißen Reuter5 mantel, der seine schlanken Glieder scheinbar nachläßig umhüllte und dennoch den sorgfältigsten Faltenwurf verrieth. Hin und wieder, theils mit Neugier, theils mit Kennermienen nahte er sich den vorüberwandelnden Frauenzimmern, sah ihnen seelenruhig fest ins Antlitz, verweilte bey solchem Anschaun, wenn die Gesichter der Mühe lohnten, sagte auch manchem liebenswürdigen Kinde jo einige rasche Schmeichelworte, und schritt sorglos weiter ohne die Wirkung zu erwarten. Die schöne Sara hatte er schon mehrmals umkreist, jedesmal wieder zurückgescheucht von dem gebietenden Blick derselben oder auch von der räthselhaft lächelnden Miene ihres Mannes, aber endlich, in stolzem Abstreifen aller scheuen Befangenheit, trat er Beiden keck in den Weg, und mit 15 stutzerhafter Sicherheit und süßlich galantem Tone hielt er folgende Anrede: „Sennora, ich schwöreI Hört, Sennora, ich schwöre! Bey den Rosen beider Castillien, bey den arragonesischen Hiazynthen und andalusischen Granatblüthenl Bey der Sonne, die ganz Spanien mit all seinen Blumen, Zwiebeln, Erbsensuppen, Wäldern, Bergen, Mauleseln, Ziegenböcken und Alt-Christen 20 beleuchtet! Bei der Himmelsdecke, woran diese Sonne nur ein goldner Quast ist! Und bey dem Gott, der auf der Himmelsdecke sitzt, und Tag und Nacht über neue Bildungen holdseliger Frauengestalten nachsinnt. . . Ich schwöre, Sennora, Ihr seyd das schönste Weib, das ich in deutschen Landen gesehen habe, und so Ihr gewillet seyd meine Dienste anzunehmen, so bitte ich Euch 25 um die Gunst, Huld und Erlaubniß mich Euren Ritter nennen zu dürfen, und in Schimpf und Ernst Eure Farben zu tragen!" Ein erröthender Schmerz glitt über das Antlitz der schönen Sara, und mit einem Blicke, der um so schneidender wirkt, je sanfter die Augen sind, die ihn versenden, und mit einem Tone, der um so vernichtender je bebend weicher 30 die Stimme, antwortete die tief gekränkte Frau: „Edler Herr! Wenn Ihr mein Ritter seyn wollt, so müßt Ihr gegen ganze Völker kämpfen, und in diesem Kampfe giebt es wenig Dank und noch weniger Ehre zu gewinnen! Und wenn Ihr gar meine Farben tragen wollt, so müßt Ihr gelbe Ringe auf Euren Mantel nähen oder eine blaugestreifte 35 Schärpe umbinden: denn dieses sind meine Farben, die Farben meines Hauses, des Hauses, welches Israel heißt, und sehr elend ist, und auf den Gassen verspottet wird von den Söhnen des Glücks!" Plötzliche Purpurröthe bedeckte die Wangen des Spaniers, eine unendliche Verlegenheit arbeitete in allen seinen Zügen und fast stotternd sprach er:
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„Sennora . . . Ihr habt mich mißverstanden . . . unschuldiger Scherz . . . aber, bey Gott, kein Spott, kein Spott über Israel. . . ich stamme selber aus dem Hause Israel. . . mein Großvater war ein Jude, vielleicht sogar mein Vater..." „Und ganz sicher, Sennor, ist Eur Oheim ein Jude" — fiel ihm der Rabbi, 5 der dieser Scene ruhig zugesehen, plötzlich in die Rede, und mit einem fröhlich neckenden Blicke setzte er hinzu: — „und ich will mich selbst dafür verbürgen, daß Don Isaak Abarbanel, Neffe des großen Rabbi, dem besten Blute Israels entsprossen ist, wo nicht gar dem königlichen Geschlechte Davids 1" Da klirrte das Schwertgehänge unter dem Mantel des Spaniers, seine Wangen 10 erblichen wieder bis zur fahlsten Blässe, auf seiner Oberlippe zuckte es wie Hohn, der mit dem Schmerze ringt, aus seinen Augen grinste der zornigste Tod, und in einem ganz verwandelten, eiskalten, scharfgehackten Tone, sprach er: „Sennor Rabbi! Ihr kennt mich. Nun wohlan, so wißt Ihr auch, wer ich bin. 15 Und weiß der Fuchs, daß ich der Brut des Löwen angehöre, so wird er sich hüten, und seinen Fuchsbart nicht in Lebensgefahr bringen und meinen Zorn nicht reitzen! Wie will der Fuchs den Löwen richten? Nur wer wie der Löwe fühlt, kann seine Schwächen begreifen . . ." „O, ich begreife es wohl" — antwortete der Rabbi und wehmüthiger Ernst 20 zog über seine Stirne — „ich begreife es wohl, wie der stolze Leu aus Stolz seinen fürstlichen Pelz abwirft und sich in den bunten Schuppenpanzer des Krokodils verkappt, weil es Mode ist ein greinendes, schlaues, gefräßiges Krokodil zu seynl Was sollen erst die geringeren Thiere beginnen, wenn sich der Löwe verläugnet? Aber hüte dich, Don Isaak, du bist nicht geschaffen für 25 das Element des Krokodils. Das Wasser — (du weißt wohl wovon ich rede) — ist dein Unglück, und du wirst untergehen. Nicht im Wasser ist dein Reich; die schwächste Forelle kann besser darin gedeihen als der König des Waldes. Weißt du noch, wie dich die Strudel des Tago verschlingen wollten . . ." In ein lautes Gelächter ausbrechend, fiel Don Isaak plötzlich dem Rabbi um 30 den Hals, verschloß seinen Mund mit Küssen, sprang sporenklirrend vor Freude in die Höhe, daß die vorbeigehenden Juden zurückschraken, und in seinem natürlich herzlich heiteren Tone rief er: „Wahrhaftig, du bist Abraham von Bacherach! Und es war ein guter Witz und obendrein ein Freundschaftsstück, als du zu Toledo von der Alkantara- 35 Brücke ins Wasser sprangest und deinen Freund, der besser trinken als schwimmen konnte, beim Schopf faßtest und aufs Trockene zogest! Ich war nahe dran, recht gründliche Untersuchungen anzustellen: ob auf dem Grunde des Tago wirklich Goldkörner zu finden, und ob ihn mit Recht die Römer den 6*
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goldnen Fluß genannt haben? Ich sage dir, ich erkälte mich noch heute durch die bloße Erinnerung an jene Wasserparthie." Bey diesen Worten gebehrdete sich der Spanier, als wollte er anhängende Wassertropfen von sich abschütteln. Das Antlitz des Rabbi aber war gänzlich 5 aufgeheitert. Er drückte seinem Freunde wiederholentlich die Hand und jedesmal sagte er: „Ich freue mich!" „Und ich freue mich ebenfalls" — sprach der Andere — „wir haben uns seit sieben Jahren nicht gesehen; bey unserem Abschied war ich noch ein ganz junger Gelbschnabel, und du, du warst schon so gesetzt und ernsthaft. . . io Was ward aber aus der schönen Donna, die dir damals so viele Seufzer kostete, wohlgereimte Seufzer, die du mit Lautenklang begleitet hast. . . " „Still, still! die Donna hört uns, sie ist mein Weib, und du selbst hast ihr heute eine Probe deines Geschmackes und Dichtertalentes dargebracht." Nicht ohne Nachwirkung der früheren Verlegenheit, begrüßte der Spanier 15 die schöne Frau, welche mit anmuthiger Güte jetzt bedauerte, daß sie durch Aeußerungen des Unmuths einen Freund ihres Mannes betrübt habe. „Ach, Sennora" — antwortete Don Isaak — „wer mit täppischer Hand nach einer Rose griff, darf sich nicht beklagen, daß ihn die Dornen verletzten! Wenn der Abendstern sich im blauen Strohme goldfunkelnd abspiegelt. . ." 20 „Ich bitte dich um Gotteswillen" — unterbrach ihn der Rabbi — „hör auf . . . Wenn wir so lange warten sollen bis der Abendstern sich im blauen Strohme goldfunkelnd abspiegelt, so verhungert meine Frau; sie hat seit gestern nichts gegessen und seitdem viel Ungemach und Mühsal erlitten." „Nun so will ich Euch nach der besten Garküche Israels führen" — rief 25 Don Isaak — „nach dem Hause meiner Freundin Schnapper-Elle, das hier in der Nähe. Schon rieche ich ihren holden Duft, nemlich der Garküche. O wüßtest du, Abraham, wie dieser Duft mich anspricht! Er ist es, der mich, seit ich in dieser Stadt verweile, so oft hinlockt nach den Zelten Jakobs. Der Verkehr mit dem Volke Gottes ist sonst nicht meine Liebhaberei, und 30 wahrlich nicht um hier zu beten, sondern um zu essen besuche ich die Judengasse . . ." „Du hast uns nie geliebt, Don Isaak . . . " „ J a " — fuhr der Spanier fort — „ich liebe Eure Küche weit mehr als Euren Glauben; es fehlt ihm die rechte Sau5e. Euch selber habe ich nie ordentlich 35 verdauen können. Selbst in Euren besten Zeiten, selbst unter der Regierung meines Ahnherrn Davids, welcher König war über Juda und Israel, hätte ich es nicht unter Euch aushalten können, und ich wäre gewiß eines frühen Morgens aus der Burg Sion entsprungen und nach Phönizien emigrirt, oder nach Babilon, wo die Lebenslust schäumte im Tempel der Götter . . . "
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„Du lästerst, Isaak, den einzigen Gott" — murmelte finster der Rabbi — „du bist weit schlimmer als ein Christ, du bist ein Heide, ein Götzendiener . . ." „Ja, ich bin ein Heide, und eben so zuwider wie die dürren, freudlosen Hebräer sind mir die trüben, qualsüchtigen Nazarener. Unsre liebe Frau von Sidon, die heilige Astarte, mag es mir verzeihen, daß ich vor der schmerzen- 5 reichen Mutter des Gekreuzigten niederknie und bete . . . Nur mein Knie und meine Zunge huldigt dem Tode, mein Herz blieb treu dem Leben! . . . " „Aber schau nicht so sauer" — fuhr der Spanier fort in seiner Rede, als er sah wie wenig dieselbe den Rabbi zu erbauen schien — „schau mich nicht an mit Abscheu. Meine Nase ist nicht abtrünnig geworden. Als mich einst der Zufall, 10 um Mittagszeit in diese Straße führte, und aus den Küchen der Juden mir die wohlbekannten Düfte in die Nase stiegen: da erfaßte mich jene Sehnsucht, die unsere Väter empfanden, als sie zurückdachten an die Fleischtöpfe Egyptens; wohlschmeckende Jugenderinnerungen stiegen in mir auf; ich sah wieder im Geiste die Karpfen mit brauner Rosinensauge, die meine Tante für den 15 Freitagabend so erbaulich zu bereiten wußte; ich sah wieder das gedämpfte Hammelfleisch mit Knoblauch und Mayrettig, womit man die Todten erwecken kann, und die Suppe mit schwärmerisch schwimmenden Klöschen . . . und meine Seele schmolz, wie die Töne einer verliebten Nachtigall, und seitdem esse ich in der Garküche meiner Freundin Donna Schnapper-Elle!" 20 Diese Garküche hatte man unterdessen erreicht; Schnapper-Elle selbst stand an der Thüre ihres Hauses, die Meßfremden, die sich hungrig hineindrängten, freundlich begrüßend. Hinter ihr, den Kopf über ihre Schulter hinaus lehnend, stand der lange Nasenstern und musterte neugierig ängstlich die Ankömmlinge. Mit übertriebener Grandezza nahte sich Don Isaak unserer 25 Gastwirthin, die seine schalkhaft tiefen Verbeugungen mit unendlichen Knixen erwiederte; drauf zog er den Handschuh ab von seiner rechten Hand, umwickelte sie mit dem Zipfel seines Mantels, ergriff damit die Hand der Schnapper-Elle, strich sie langsam über die Haare seines Stutzbartes und sprach: 30 „Sennora! Eure Augen wetteifern mit denGluthen der Sonne! Aber obgleich die Eyer, je länger sie gekocht werden, sich desto mehr verhärten, so wird dennoch mein Herz nur um so weicher je länger es von den Flammenstrahlen Eurer Augen gekocht wird! Aus der Dotter meines Herzens flattert hervor der geflügelte Gott Amur und sucht ein trauliches Nestchen in Eurem Busen . . . 35 Diesen Busen, Sennora, womit soll ich ihn vergleichen? Es giebt in der weiten Schöpfung keine Blume, keine Frucht, die ihm ähnlich wäre! Dieses Gewächs ist einzig in seiner Art. Obgleich der Sturm die zartesten Röslein entblättert, so ist doch Eur Busen eine Winterrose, die allen Winden trotzt! Obgleich die
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saure Zitrone, je mehr sie altert, nur desto gelber und runzlichter wird, so wetteifert dennoch Eur Busen mit der Farbe und Zartheit der süßesten Annanas 1 O Sennora, ist auch die Stadt Amsterdam so schön, wie Ihr mir gestern und vorgestern und alle Tage erzählt habt, so ist doch der Boden 5 worauf sie ruht noch tausendmal schöner . . . " Der Ritter sprach diese letztern Worte mit erheuchelter Befangenheit und schielte schmachtend nach dem großen Bilde, das an Schnapper-Elles Halse hing; der Nasenstern schaute von oben herab mit suchenden Augen, und der belobte Busen setzte sich in eine so wogende Bewegung, daß die Stadt Amsterio dam hin und her wackelte. „Ach!" — seufzte die Schnapper-Elle — „Tugend ist mehr werth als Schönheit. Was nützt mir die Schönheit? Meine Jugend geht vorüber, und seit Schnapper todt ist — er hat wenigstens schöne Hände gehabt — was hilft mir da die Schönheit?" 15 Und dabey seufzte sie wieder, und wie ein Echo, fast unhörbar, seufzte hinter ihr der Nasenstern. „Was Euch die Schönheit nützt" — rief Don Isaak — „O, Donna SchnapperElle, versündigt Euch nicht an der Güte der schaffenden Natur! Schmäht nicht ihre holdesten Gaben! Sie würde sich furchtbar rächen. Diese beseligen20 den Augen würden blöde verglasen, diese anmuthigen Lippen würden sich bis ins Abgeschmackte verplatten, dieser keusche, liebesuchende Leib würde sich in eine schwerfällige Talgtonne verwandeln, die Stadt Amsterdam würde auf einen muffigen Morast zu ruhen kommen —" Und so schilderte er Stück vor Stück das jetzige Aussehn der Schnapper25 Elle, so daß der armen Frau sonderbar beängstigend zu Muthe ward, und sie den unheimlichen Reden des Ritters zu entrinnen suchte. In diesem Augenblicke war sie doppelt froh als sie der schönen Sara ansichtig ward und sich angelegentlichst erkundigen konnte, ob sie ganz von ihrer Ohnmacht genesen. Sie stürzte sich dabei in ein lebhaftes Gespräch, worin sie alle ihre falsche 30 Vornehmthuerey und ächte Herzensgüte entwickelte, und mit mehr Weitläufigkeit als Klugheit die fatale Geschichte erzählte, wie sie selbst vor Schrecken fast in Ohnmacht gefallen wäre, als sie wildfremd mit der Trekschuite zu Amsterdam ankam, und der spitzbübische Träger ihres Koffers sie nicht in ein ehrbares Wirthshaus, sondern in ein freches Frauenhaus brachte, 35 was sie bald gemerkt an dem vielen Branteweingesöffe und den unsittlichen Zumuthungen. . . und sie wäre, wie gesagt, wirklich in Ohnmacht gefallen, wenn sie es, während den sechs Wochen, die sie in jenem verfänglichen Hause zubrachte, nur einen Augenblick wagen durfte die Augen zu schließen . . . „Meiner Tugend wegen" — setzte sie hinzu — „durfte ich es nicht wagen.
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Und das alles passirte mir wegen meiner Schönheit I Aber Schönheit vergeht und Tugend besteht." Don Isaak war schon im Begriff die Einzelheiten dieser Geschichte kritisch zu beleuchten, als glücklicherweise der scheele Aaron Hirschkuh, von Homburg an der Lahn, mit der weißen Serviette im Maule, aus dem Hause hervor- 5 kam, und ärgerlich klagte, daß schon längst die Suppe aufgetragen sey und die Gäste zu Tische säßen und die Wirthin fehle. (Der Schluß und die folgenden Kapitel sind, ohne Verschulden des Autors, verloren gegangen.)
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— — — Wie man behauptet, giebt es greise Menschen in Westphalen, die noch immer wissen wo die alten Götterbilder verborgen liegen; auf ihrem Sterbebette sagen sie es dem jüngsten Enkel, und der trägt dann das theure 5 Geheimniß in dem verschwiegenen Sachsenherzen. In Westphalen, dem ehemaligen Sachsen, ist nicht alles todt was begraben ist. Wenn man dort durch die alten Eichenhaine wandelt, hört man noch die Stimmen der Vorzeit, da hört man noch den Nachhall jener tiefsinnigen Zaubersprüche, worin mehr Lebensfülle quillt, als in der ganzen Literatur der Mark Brandenburg. Eine io geheimniß volle Ehrfurcht durchschauerte meine Seele, als ich einst, diese Waldungen durchwandernd, bey der uralten Siegburg vorbey kam. „Hier," sagte mein Wegweiser, „hier wohnte einst König Wittekind" und er seufzte tief. Es war ein schlichter Holzhauer und er trug ein großes Beil. Ich bin überzeugt, dieser Mann, wenn es drauf ankömmt, schlägt er sich 15 noch heute für König Wittekind; und wehe dem Schädel, worauf sein Beil fällt! Das war ein schwarzer Tag für Sachsenland als Wittekind, sein tapferer Herzog, von Kaiser Karl geschlagen wurde, bey Engter. „Als er flüchtend gen Ellerbruch zog, und nun alles, mit Weib und Kind, an den Furth kam und 20 sich drängte, mochte eine alte Frau nicht weiter gehen. Weil sie aber dem Feinde nicht lebendig in die Hände fallen sollte, so wurde sie von den Sachsen lebendig in einen Sandhügel bey Bellmans-Kamp begraben; dabey sprachen sie: krup under, krup under, de Welt is di gram, du kannst dem Gerappel nich mer folgen." 25 Man sagt, daß die alte Frau noch lebt. Nicht alles ist todt in Westphalen, was begraben ist. Die Gebrüder Grimm erzählen diese Geschichte in ihren deutschen Sagen; die gewissenhaften fleißigen Nachforschungen dieser wackeren Gelehrten, werde ich in den folgenden Blättern zuweilen benutzen. Unschätzbar ist das 30 Verdienst dieser Männer um germanische Alterthumskunde. Der einzige Jakob Grimm hat für Sprachwissenschaft mehr geleistet, als Eure ganze französische Akademie seit Richelieu. Seine deutsche Grammatik ist ein kolossales Werk, ein gothischer Dom, worin alle germanischen Völker ihre
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Stimmen erheben, wie Riesenchöre, jedes in seinem Dialekte. Jakob Grimm hat vielleicht dem Teufel seine Seele verschrieben, damit er ihm die Materialien lieferte und ihm als Handlanger diente, bey diesem ungeheuren Sprachbauwerk. In der That, um diese Quadern von Gelehrsamkeit herbeyzuschleppen, um aus diesen hunderttausend Citaten einen Mörtel zu stampfen, dazu gehört mehr als ein Menschenleben und mehr als Menschengeduld. Eine Hauptquelle für Erforschung des altgermanischen Volksglaubens ist Parazelsus. Ich habe seiner schon mehrmals erwähnt. Seine Werke sind ins Lateinische übersetzt, nicht schlecht aber lückenhaft. In der deutschen Urschrift ist er schwer zu lesen; abstruser Stil, aber hie und da treten die großen Gedanken hervor mit großem Wort. Er ist ein Naturphilosoph in der heutigsten Bedeutung des Ausdrucks. Man muß seine Terminologie nicht immer in ihrem tradizionellen Sinne verstehen. In seiner Lehre von den Elementargeistern gebraucht er die Namen Nymphen, Undinen, Silvanen, Salamander, aber nur deßhalb weil diese Namen dem Publikum schon geläufig sind, nicht weil sie ganz dasjenige bezeichnen, wovon er reden will. Anstatt neue Worte willkürlich zu schaffen, hat er es vorgezogen für seine Ideen alte Ausdrücke zu suchen, die bisher etwas Aehnliches bezeichneten. Daher ist er vielfach mißverstanden worden, und manche haben ihn der Spötterey, manche sogar des Unglaubens bezüchtigt. Die Einen meinten er beabsichtige alte Kindermährchen aus Scherz in ein System zu bringen, die Anderen tadelten, daß er, abweichend von der christlichen Ansicht, jene Elementargeister nicht für lauter Teufel erklären wollte. Wir haben keine Gründe anzunehmen, sagt er irgendwo, daß diese Wesen dem Teufel gehören; und was der Teufel selbst ist, das wissen wir auch noch nicht. Er behauptet, die Elementargeister wären, eben so gut wie wir, wirkliche Geschöpfe Gottes, die aber nicht wie Unseresgleichen aus Adams Geschlechte seyen und denen Gott zum Wohnsitz die vier Elemente angewiesen habe. Ihre Leibesorganisazion sey diesen Elementen gemäß. Nach den vier Elementen ordnet nun Parazelsus die verschiedenen Geister und hier giebt er uns ein bestimmtes System. Den Volksglauben selbst in ein System bringen, wie Manche beabsichtigen, ist aber eben so unthunlich, als wollte man die vorüberziehenden Wolken in Rahmen fassen. Höchstens kann man unter bestimmten Rubriken das Aehnliche zusammentragen. Dieses wollen wir auch in Betreff der Elementargeister versuchen. Von den Kobolden haben wir bereits gesprochen. Sie sind Gespenster, ein Gemisch von verstorbenen Menschen und Teufeln; man muß sie von den eigentlichen Erdgeistern genau unterscheiden. Diese wohnen meistens in den Bergen und man nennt sie Wichtelmänner, Gnomen, Metallarii, kleines Volk,
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Zwerge. Die Sage von diesen Zwergen ist analog mit der Sage von den Riesen, und sie deutet auf die Anwesenheit zweyer verschiedener Stämme, die einst mehr oder minder friedlich das Land bewohnt, aber seitdem verschollen sind. Die Riesen sind auf immer verschwunden aus Deutschland. Die Zwerge aber trifft man mitunter noch in den Bergschachten, wo sie, gekleidet wie kleine Bergleute, die kostbaren Metalle und Edelsteine ausgraben. Von jeher haben die Zwerge immer vollauf Gold, Silber und Diamanten besessen; denn sie konnten überall unsichtbar herumkriechen, und kein Loch war ihnen zu klein um durchzuschlüpfen, führte es nur endlich zu den Stollen des Reichthums, Die Riesen aber blieben immer arm und wenn man ihnen etwas geborgt hätte, würden sie Riesenschulden hinterlassen haben. Von der Kunstfertigkeit der Zwerge ist in den alten Liedern viel rühmlich die Rede. Sie schmiedeten die besten Schwerter, aber nur die Riesen wußten mit diesen Schwertern dreinzuschlagen. Waren diese Riesen wirklich von so hoher Statur? Die Furcht hat vielleicht ihrem Maaße manche Elle hinzugefügt. Dergleichen hat sich oft schon ereignet. Nicetas, ein Bizantiner, der die Einnahme von Constantinopel durch die Kreuzfahrer berichtet, gesteht ganz ernsthaft, daß einer dieser eisernen Ritter des Nordens, der alles vor sich her zu Paaren trieb, ihnen, in diesem schrecklichen Augenblick, fünfzig Fuß groß zu seyn schien. Die Wohnungen der Zwerge waren, wie schon erwähnt, die Berge. Die kleinen Oeffnungen die man in den Felsen findet, nennt das Volk noch heut zu Tag Zwerglöcher. Im Harz, namentlich im Bodenthale, habe ich dergleichen viele gesehen. Manche Tropfsteinbildungen, die man in den Gebirgshöhlen trifft, so wie auch manche bizarre Felsenspitzen nennt das Volk die Zwergenhochzeit. Es sind Zwerge die ein böser Zauberer in Steine verwandelt, als sie eben von einer Trauung aus ihrem kleinen Kirchlein nach Hause trippelten, oder auch beim Hochzeitmahl sich gütlich thaten. Die Sagen von solchen Versteinerungen sind im Norden eben so heimisch wie im Morgenlande, wo der bornirte Moslem die Statuen und Kariatyden, die er in den Ruinen alter Griechentempel findet, für lauter versteinerte Menschen hält. Wie im Harze so auch in der Bretagne, sah ich allerley wundersam gruppirte Steine, die von den Bauern Zwergenhochzeiten genannt wurden; die Steine bey Loc Maria Ker sind die Häuser der Torriganen, der Kurilen, wie man dort das kleine Volk benamset. Die Zwerge tragen kleine Mützchen wodurch sie sich unsichtbar machen können; man nennt sie Tarnkappen oder auch Nebelkäppchen. Ein Bauer hatte einst, beim Dreschen, mit dem Dreschflegel die Tarnkappe eines Zwerges herabgeschlagen; dieser wurde sichtbar und schlüpfte schnell in eine Erdspalte. Die Zwerge zeigten sich auch manchmal freywillig den Menschen,
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hatten gern mit uns Umgang, und waren zufrieden genug, wenn wir ihnen nur kein Leids zufügten. Wir aber, boßhaft wie wir noch sind, wir spielten ihnen manchen Schabernak. In Wyß Volkssagen lies't man folgende Geschichte: „Des Sommers kam die Schaar der Zwerge häufig aus den Flühen herab ins 5 Thal, und gesellte sich entweder hülfreich oder doch zuschauend zu den arbeitenden Menschen, namentlich zu den Mähdern in der Heuärndte. Da setzten sie sich denn wohl vergnügt auf den langen und dicken Ast eines Ahorns ins schattige Laub. Einmal aber kamen boshafte Leute und sägten bey Nacht den Ast durch, so daß er bloß noch schwach am Stamme hielt, und als die arglosen 10 Geschöpfe sich am Morgen darauf niederließen, krachte der Ast vollends entzwey, die Zwerge stürzten auf den Grund, wurden ausgelacht, erzürnten sich heftig und jammerten: „O wie ist der Himmel so hoch Und die Untreu so groß! Heut hierher und nimmermehr!" Sie sollen seit der Zeit das Land verlassen haben. Es giebt indessen noch zwey andere Tradizionen, die ebenfalls den Abzug der Zwerge unserer Necksucht und Bosheit zuschreiben. Die eine wird in den erwähnten Volkssagen folgendermaßen erzählt: „Die Zwerge welche in Höhlen und Klüften rings um die Menschen herumwohnten, waren gegen diese immer freundlich und gut gesinnt, und des Nachts, wenn die Menschen schliefen, verrichteten sie deren schwere Arbeit. Wenn dann das Landvolk frühmorgens mit Wagen und Geräthe herbeyzog und erstaunte, daß alles gethan war, steckten die Zwerge im Gesträuch und lachten hell auf. Oftmals zürnten die Bauern, wenn sie ihr noch nicht ganz zeitiges Getreide auf dem Acker niedergeschnitten fanden, aber als bald Hagel und Gewitter hereinbrach und sie wohl sahen, daß vielleicht kein Hälmchen dem Verderben entronnen seyn würde, da dankten sie innig dem voraussichtigen Zwergvolk. Endlich aber verscherzten die Menschen durch ihren Frevel die Huld und Gunst der Zwerge, sie entflohen, und seitdem hat sie kein Auge wieder erblickt. Die Ursache war diese. Ein Hirt hatte oben am Berg einen trefflichen Kirschbaum stehen. Als die Früchte eines Sommers reiften, begab es sich daß dreymal hinter einander Nachts der Baum geleert wurde und alles Obst auf die Bänke und Hürden getragen war, wo der Hirt sonst die Kirschen aufzubewahren pflegte. Die Leute im Dorfe sprachen: „das thut niemand anders, als die redlichen Zwerge, die kommen bey Nacht in langen Mänteln mit bedeckten Füßen herangetrippelt, leise wie Vögel, und
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schaffen den Menschen emsig ihr Tagwerk; schon einmal hat man sie heimlich belauscht, allein man stört sie nicht, sondern läßt sie kommen und gehn." Durch diese Rede wurde der Hirt neugierig und hätte gern gewußt, warum die Zwerge so sorgfältig ihre Füße bärgen und ob diese anders gestaltet wären, 5 als Menschenfüße. Da nun das nächste Jahr wieder der Sommer und die Zeit kam, daß die Zwerge heimlich die Kirschen abbrachen und in den Speicher trugen, nahm der Hirt einen Sack voll Asche und streute die rings um den Berg herum aus. Den anderen Morgen, mit Tagesanbruch, eilte er zur Stelle hin, der Baum war richtig leer gepflückt, und er sah unten in der Asche die io Spuren von vielen Gänsefüßen eingedrückt. Da lachte der Hirt und spottete, daß der Zwerge Geheimniß verrathen war. Bald aber zerbrachen und verwüsteten diese ihre Wohnungen und flohen tiefer in den Berg hinab, grollen dem Menschengeschlecht und versagen ihm ihre Hülfe. Jener Hirt, der sie verrathen hatte, wurde siech und blödsinnig fortan bis an sein Lebensende." 15 Die andere Tradizion, die in Otmars Volkssagen mitgetheilt wird, ist von viel betrübsam härterem Charakter: „Zwischen Walkenried und Neuhof in der Grafschaft Hohenstein hatten einst die Zwerge zwey Königreiche. Ein Bewohner jener Gegend merkte einmal, daß seine Feldfrüchte alle Nächte beraubt wurden, ohne daß er den 20 Thäter entdecken konnte. Endlich ging er auf den Rath einer weisen Frau bey einbrechender Nacht an seinem Erbsenfelde auf und ab, und schlug mit einem dünnen Stabe über dasselbe in die bloße Luft hinein. Es dauerte nicht lange, so standen einige Zwerge leibhaftig vor ihm. Er hatte ihnen die unsichtbar machenden Nebelkappen abgeschlagen. Zitternd fielen die Zwerge vor ihm 25 nieder und bekannten: daß ihr Volk es sey, welches die Felder der Landesbewohner beraubte, wozu aber die äußerste Noth sie zwänge. Die Nachricht von den eingefangenen Zwergen brachte die ganze Gegend in Bewegung. Das Zwergvolk sandte endlich Abgeordnete, und bot Lösung für sich und die gefangenen Brüder, und wollte dann auf immer das Land verlassen. Doch die 30 Art des Abzugs erregte neuen Streit. Die Landeseinwohner wollten die Zwerge nicht mit ihren gesammelten und versteckten Schätzen abziehen lassen und das Zwergvolk wollte bey seinem Abzüge nicht gesehen seyn. Endlich kam man dahin überein, daß die Zwerge über eine schmale Brücke bey Neuhof ziehen, und daß jeder von ihnen in ein dorthin gestelltes Gefäß einen bestimmten 35 Theil seines Vermögens, als Abzugszoll, werfen sollte, ohne daß einer der Landesbewohner zugegen wäre. Dies geschah. Doch einige Neugierige hatten sich unter die Brücke versteckt, um den Zug der Zwerge wenigstens zu hören. Und so hörten sie denn viele Stunden lang das Gerappel der kleinen Menschen; es war ihnen als ob eine sehr große Heerde Schafe über die Brücke ging."
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Nach einer Variante sollte jeder abziehende Zwerg nur ein einziges Geldstück in das Faß werfen, welches man vor der Brücke hingestellt; und den anderen Morgen fand man das Faß ganz gefüllt mit alten Goldmünzen. Auch soll vorher der Zwergenkönig selber, in seinem rothen Mäntelchen, zu den Landeseinwohnern gekommen seyn um sie zu bitten ihn und sein Volk nicht 5 fort zu jagen. Flehendlich erhob er seine Aermchen gen Himmel und weinte die rührendsten Thränen, wie einst Don Isaak Abarbanel vor Ferdinand von Arragonien. Von den Zwergen, den Erdgeistern, sind genau zu unterscheiden die Elfen, die Luftgeister, die auch in Frankreich mehr bekannt sind und die besonders 10 in englischen Gedichten so anmuthig gefeyert werden. Wenn die Elfen nicht ihrer Natur nach unsterblich wären, so würden sie es schon allein durch Shakespeare geworden seyn. Sie leben ewig im Sommernachtstraum der Poesie. Der Glaube an Elfen ist nach meinem Bedünken viel mehr celtischen als 15 scandinavischen Ursprungs. Daher mehr Elfensagen im westlichen Norden als im östlichen. In Deutschland weiß man wenig von Elfen und alles ist da nur matter Nachklang von bretanischen Sagen, wie z. B. Wielands Oberon. Was das Volk in Deutschland Elfen oder Elben nennt, sind die unheimlichen Geburten der Hexen, die mit dem Bösen gebuhlt. Die eigentlichen Elfensagen 20 sind heimisch in Irland und Nordfrankreich; indem sie von hier hinabklingen bis zur Provence, vermischen sie sich mit dem Feenglauben des Morgenlands. Aus solcher Vermischung erblühen nun die vortrefflichen Lais vom Grafen Lanval, dem die schöne Fee ihre Gunst schenkt unter dem Beding, daß er sein Glück verschweige. Als aber König Arthus, bey einem Festgelage 25 zu Karduel, seine Königinn Genevra für die schönste Frau der Welt erklärte, da konnte Graf Lanval nicht länger schweigen; er sprach, und sein Glück war, wenigstens auf Erden, zu Ende. Nicht viel besser ergeht es dem Ritter Grüeland; auch er kann sein Liebesglück nicht verschweigen, die geliebte Fee verschwindet, und auf seinem Roß Gedefer reitet er lange vergebens, um sie zu 30 suchen. Aber in dem Feenland Avalun finden die unglücklichen Ritter ihre Geliebten wieder. Hier können Graf Lanval und Herr Grüeland so viel schwatzen, als nur ihr Herz gelüstet. Hier kann auch Ogier der Däne von seinen Heldenfahrten ausruhen in den Armen seiner Morgane. Ihr Franzosen kennt sie alle, diese Geschichten. Ihr kennt Avalun, aber der Perser kennt es 35 auch, und er nennt es Ginnistan. Es ist das Land der Poesie. Das Aeußere der Elfen und ihr Weben und Treiben ist Euch ebenfalls ziemlich bekannt. Spenzers Elfenköniginn ist längst zu Euch herübergeflogen aus England. Wer kennt nicht Titania? Wessen Hirn ist so dick, daß es nicht
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manchmal das heitre Geklinge ihres Luftzugs vernimmt? Ist es aber wahr, daß es ein Vorzeichen des Todes, wenn man diese Elfenköniginn mit leiblichen Augen erblickt und gar einen freundlichen Gruß von ihr empfängt? Ich möchte dieses gern genau wissen, denn: 5
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In dem Wald, im Mondenscheine, Sah ich jüngst die Elfen reuten; Ihre Hörner hört' ich klingen, Ihre Glöckchen hört' ich läuten. Ihre weißen Rößlein trugen Güldnes Hirschgeweih und flogen Rasch dahin, wie Schwanenzüge Kam es durch die Luft gezogen. Lächelnd nickte mir die Kön'ginn, Lächelnd, im Vorüberreuten. Galt das meiner neuen Liebe, Oder soll es Tod bedeuten?
In den dänischen Volksliedern giebt es zwey Elfensagen, die den Charakter dieser Luftgeister am treuesten zur Anschauung bringen. Das eine Lied erzählt von dem Traumgesichte eines jungen Fants, der sich auf Elvershöh nieder20 gelegt hatte und allmählig eingeschlummert war. Er träumt, er stände auf seinem Schwerte gestützt, während die Elfen im Kreise um ihn her tanzen und durch Liebkosen und Versprechung ihn verlocken wollen, an ihrem Reigen Theil zu nehmen. Eine von den Elfen kömmt an ihn heran und streichelt ihm die Wange und flüstert: tanze mit uns, schöner Knabe, und das Süßeste was 25 nur immer dein Herz gelüstet wollen wir dir singen. Und da beginnt auch ein Gesang von so bezwingender Liebeslust, daß der reißende Strom, dessen Wasser sonst wildbrausend dahin fließt, plötzlich still steht und in der ruhigen Fluth die Fischlein hervortauchen und vergnügt mit ihren Schwänzlein spielen. Eine andere Elfe flüstert: tanze mit uns, schöner Knabe, und wir wollen 30 dir Runensprüche lehren, womit du den Bär und den wilden Eber besiegen kannst, so wie auch den Drachen, der das Gold hütet; sein Gold soll dir anheimfallen. Der junge Fant widersteht jedoch allen diesen Lockungen, und die erzürnten Jungfrauen drohen endlich ihm den kalten Tod ins Herz zu bohren. Schon zücken sie ihre scharfen Messer, da, zum Glücke, kräht der 35 Hahn, und der Träumer erwacht mit heiler Haut. Das andere Gedicht ist minder luftig gehalten, die Erscheinung der Elfen findet nicht im Traume, sondern in der Wirklichkeit statt, und ihr schauerlich
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anmuthiges Wesen tritt uns desto schärfer entgegen. Es ist das Lied von dem Herrn Oluf, der Abends spät ausreutet, um seine Hochzeitgäste zu entbieten. Der Refrain ist immer: Aber das Tanzen geht so schnell durch den Wald. Man glaubt unheimlich lüsterne Melodieen zu hören und zwischendrein ein Kichern und Wispern, wie von muthwilligen Mädchen. Herr Oluf sieht endlieh wie vier, fünf, ja noch mehre Jungfrauen hervortanzen und Erlkönigstochter die Hand nach ihm ausstreckt. Sie bittet ihn zärtlichst in den Kreis einzutreten und mit ihr zu tanzen. Der Ritter aber will nicht tanzen und sagt zu seiner Entschuldigung: morgen ist mein Hochzeitstag. Da werden ihm nun gar verführerische Geschenke angeboten; jedoch, weder die WidderhautsStiefel, die so gut am Beine sitzen würden, noch die güldenen Sporen, die man so hübsch daran schnallen kann, noch das weißseidne Hemd, das die Elfenköniginn selber mit Mondschein gebleicht hat, nicht mal die silberne Schärpe, die man ihm ebenfalls so kostbar anrühmt, nichts kann ihn bestimmen, in den Elfenreigen einzutreten und mitzutanzen. Seine beständige Entschuldigung ist: morgen ist mein Hochzeitstag. Da, freylich, verlieren die Elfen endlich die Geduld, sie geben ihm einen Schlag aufs Herz, wie er ihn noch nie empfunden, und heben den zu Boden gesunkenen Ritter wieder auf sein Roß, und sagen spöttisch: so reite denn heim zu deiner Braut. Achl als er auf seine Burg zurückkehrte, da waren seine Wangen sehr blaß und sein Leib sehr krank, und als am Morgen früh die Braut ankam mit der Hochzeitschaar, mit Sang und Klang, da war Herr Oluf ein stiller Mann; denn er lag todt unter dem rothen Bahrtuch.
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„Aber das Tanzen geht hin so schnell durch den Wald." Der Tanz ist charakteristisch bey den Luftgeistern; sie sind zu ätherischer 25 Natur, als daß sie prosaisch gewöhnlichen Ganges, wie wir, über diese Erde wandeln sollten. Indessen, so zart sie auch sind, so lassen doch ihre Füßchen einige Spuren zurück auf den Rasenplätzen, wo sie ihre nächtlichen Reigen gehalten. Es sind eingedrückte Kreise, denen das Volk den Namen Elfenringe gegeben. 30 In einem Theile Oestreichs giebt es eine Sage, die mit den vorhergehenden eine gewisse Aehnlichkeit bietet, obgleich sie ursprünglich slavisch ist. Es ist die Sage von den gespenstischen Tänzerinnen, die dort unter dem Namen „die Willis" bekannt sind. Die Willis sind Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind. Die armen jungen Geschöpfe können nicht im Grabe ruhig liegen, 35 in ihren todten Herzen, in ihren todten Füßen, blieb noch jene Tanzlust, die sie im Leben nicht befriedigen konnten, und um Mitternacht steigen sie hervor, versammeln sich truppenweis an den Heerstraßen, und Wehe dem jungen
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Menschen, der ihnen da begegnet! Er muß mit ihnen tanzen, sie umschlingen ihn mit ungezügelter Tobsucht, und er tanzt mit ihnen, ohne Ruh und Rast, bis er todt niederfällt. Geschmückt mit ihren Hochzeitkleidern, Blumenkronen und flatternde Bänder auf den Häuptern, funkelnde Ringe an den Fingern, tanzen 5 die Willis im Mondglanz, eben so wie die Elfen.- Ihr Antlitz, obgleich schneeweiß, ist jugendlich schön, sie lachen so schauerlich heiter, so frevelhaft liebenswürdig, sie nicken so geheimnißvoll lüstern, so verheißend; diese todten Bachantinnen sind unwiderstehlich. Das Volk, wenn es blühende Bräute sterben sah, konnte sich nie überreden, 10 daß Jugend und Schönheit so jähling gänzlich der schwarzen Vernichtung anheimfallen, und leicht entstand der Glaube, daß die Braut noch nach dem Tode die entbehrten Freuden sucht. Dieses erinnert uns an eins der schönsten Gedichte Goethes, die Braut von Korinth, womit das französische Publikum, durch Frau von Stael, schon 15 längst Bekanntschaft gemacht hat. Das Thema dieses Gedichtes ist uralt und verliert sich hoch hinauf in die Schauernisse der thessaüschen Mährchen. Aeüan erzählt davon und Aehnliches berichtet Philostrates im Leben des Apollonius von Thiane. Es ist die fatale Hochzeitgeschichte, wo die Braut eine Lamia ist. 20 Es ist den Volkssagen eigentümlich, daß ihre furchtbarsten Katastrophen gewöhnlich bey Hochzeitfesten ausbrechen. Das plötzlich eintretende Schreckniß kontrastirt dann desto grausig schroffer mit der heiteren Umgebung, mit der Vorbereitung zur Freude, mit der lustigen Musik. So lange der Rand des Bechers noch nicht die Lippen berührt, kann der kostbare Trank noch 25 immer verschüttet werden. Ein düsterer Hochzeitgast kann eintreten, den niemand gebeten hat, und den doch keiner den Muth hat fortzuweisen. Er sagt der Braut ein Wort ins Ohr und sie erbleicht. Er giebt dem Bräutigam einen leisen Wink, und dieser folgt ihm aus dem Saale, wandelt mit ihm weit hinaus in die wehende Nacht, und kehrt nimmermehr heim. Gewöhnlich ist es ein 30 früheres Liebes versprechen, weßhalb plötzlich eine kalte Geisterhand die Braut und den Bräutigam trennt. Als Herr Peter von Staufenberg beim Hochzeitmahle saß, und zufällig aufwärts schaute, erblickte er einen kleinen weißen Fuß, der durch die Saalesdecke hervortrat. Er erkannte den Fuß jener Nixe, womit er früher im zärtlichsten Liebesbündnisse gestanden, und an diesem 35 Wahrzeichen merkte er wohl, daß er durch seine Treulosigkeit das Leben verwirkt. Er schickt zum Beichtiger, läßt sich das Abendmahl reichen und bereitet sich zum Tode. Von dieser Geschichte wird in deutschen Landen noch viel gesagt und gesungen. Es heißt auch, die beleidigte Nixe habe den ungetreuen Ritter unsichtbar umarmt und in dieser Umarmung gewürgt. Tief
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gerührt werden die Frauen bey dieser tragischen Erzählung. Aber unsere jungen Freygeister lächeln darüber spöttisch und wollen nimmermehr glauben, daß die Nixen so gefährlich sind. Sie werden späterhin ihre Ungläubigkeit bitter bereuen. Die Nixen haben die größte Aehnlichkeit mit den Elfen. Sie sind beide ver- 5 lockend, anreitzend und lieben den Tanz. Die Elfen tanzen auf Moorgründen, grünen Wiesen, freyen Waldplätzen und am liebsten unter alten Eichen. Die Nixen tanzen bey Teichen und Flüssen; man sah sie auch wohl auf dem Wasser tanzen, den Vorabend wenn jemand dort ertrank. Auch kommen sie oft zu den Tanzplätzen der Menschen und tanzen mit ihnen ganz wie unser eins. Die 10 weiblichen Nixen erkennt man an dem Saum ihrer weißen Kleider, der immer feucht ist. Auch wohl an dem feinen Gespinnste ihrer Schleyer und an der vornehmen Zierlichkeit ihres geheimnißvollen Wesens. Den männlichen Nix erkennt man daran, daß er grüne Zähne hat, die fast wie Fischgräten gebildet sind. Auch empfindet man einen inneren Schauer, wenn man seine außer- 15 ordentlich weiche, eiskalte Hand berührt. Gewöhnlich trägt er einen grünen Hut. Wehe dem Mädchen, das, ohne ihn zu kennen, gar zu sorglos mit ihm tanzt. Er zieht sie hinab in sein feuchtes Reich. Marsk Stig, der Königsmörder, hatte zwey schöne Töchter, wovon die jüngste in des Wassermanns Gewalt gerieth, sogar während sie in der Kirche war. Der Nix erschien als ein statt- 20 licher Ritter; seine Mutter hatte ihm ein Roß von klarem Wasser und Sattel und Zaum von dem weißesten Sande gemacht, und die arglose Schöne reichte ihm freudig ihre Hand. Wird sie ihm da unten im Meere die versprochene Treue halten? Ich weiß nicht; aber ich kenne eine Sage von einem anderen Wassermann, der sich ebenfalls eine Frau vom festen Lande geholt hat und 25 aufs listigste von ihr betrogen ward. Es ist die Sage von Roßmer, dem Wassermann, der, ohne es zu wissen, seine eigne Frau in einer Kiste auf den Rücken nahm und sie ihrer Mutter zurückbrachte. Er vergoß darüber nachher die bitterlichsten Thränen. Die Nixen haben ebenfalls oft dafür zu büßen, daß sie an dem Umgang der 3a Menschen Gefallen fanden. Auch hierüber weiß ich eine Geschichte, die von deutschen Dichtern vielfach besungen worden. Aber am rührendsten klingt sie in folgenden schlichten Worten, wie sie die Gebrüder Grimm, in ihren Sagen, mittheilen: „Zu Epfenbach bey Sinzheim traten seit der Leute Gedenken jeden Abend 35 drey wunderschöne, weißgekleidete Jungfrauen in die Spinnstube des Dorfs. Sie brachten immer neue Lieder und Weisen mit, wußten hübsche Mährchen und Spiele, auch ihre Rocken und Spindeln hatten etwas Eigenes und keine Spinnerinn konnte so fein und behend den Faden drehen. Aber mit dem Schlag 7
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elf standen sie auf, packten ihre Rocken zusammen und ließen sich durch keine Bitte einen Augenblick länger halten. Man wußte nicht woher sie kamen, noch wohin sie gingen; man nannte sie nur: die Jungfern aus dem See, oder die Schwestern aus dem See. Die Burschen sahen sie gern und verliebten sich 5 in sie, zu allermeist des Schulmeisters Sohn. Der konnte nicht satt werden sie zu hören und mit ihnen zu sprechen, und nichts that ihm leider, als daß sie jeden Abend schon so früh aufbrachen. Da verfiel er einmal auf den Gedanken und stellte die Dorfuhr eine Stunde zurück, und Abends im steten Gespräch und Scherz merkte kein Mensch den Verzug der Stunde. Und als die Glocke io elf schlug, es aber schon eigentlich zwölf war, standen die drey Jungfrauen auf, legten ihre Rocken zusammen und gingen fort. Den folgenden Morgen kamen etliche Leute am See vorbey; da hörten sie wimmern und sahen drey blutige Stellen oben auf der Fläche. Seit der Zeit kamen die Schwestern nimmermehr zur Stube. Des Schulmeisters Sohn zehrte ab und starb kurz darnach." 15 Es liegt etwas so Geheimnißvolles in dem Treiben der Nixen. Der Mensch kann sich unter dieser Wasserdecke so viel Süßes und zugleich so viel Entsetzliches denken. Die Fische, die allein etwas davon wissen können, sind stumm. Oder schweigen sie etwa aus Klugheit? Fürchten sie grausame Ahndung, wenn sie die Heimlichkeiten des stillen Wasserreichs verriethen? So ein 20 Wasserreich mit seinen wollüstigen Heimlichkeiten und verborgenen Schrecknissen mahnt an Venedig. Oder war Venedig selbst ein solches Reich, das zufällig, aus der Tiefe des adriatischen Meers, zur Oberwelt heraufgetaucht mit seinen Marmorpalästen, mit seinen delphinäugigen Curtisanen, mit seinen Glasperlen- und Corallenfabriken, mit seinen Staatsinquisitoren, mit seinen 25 geheimen Ersäufungsanstalten, mit seinem bunten Maskengelächter? Wenn einst Venedig wieder in die Lagunen hinabgesunken seyn mag, dann wird seine Geschichte wie ein Nixenmährchen klingen, und die Amme wird den Kindern von dem großen Wasservolk erzählen, das, durch Beharrlichkeit und List, sogar über das feste Land geherrscht, aber endlich von einem zweyköpfigen 30 Adler todtgebissen worden. Das Geheimnißvolle ist der Charakter der Nixen, wie das träumerisch Luftige der Charakter der Elfen. Beide sind vielleicht in der ursprünglichen Sage selbst nicht sehr unterschieden, und erst spätere Zeiten haben hier eine Sonderung vorgenommen. Die Namen selbst geben keine sichere Auskunft. 35 In Scandinavien heißen alle Geister Elfen, Alf, und man unterscheidet sie in weiße und schwarze Alfen; letztere sind eigentliche Kobolde. Den Namen Nix giebt man in Dänemark ebenfalls den Hauskobolden, die man dort, wie ich schon früher gemeldet, Nissen nennt. Dann giebt es auch Abnormitäten, Nixen, welche nur bis zur Hüfte mensch-
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liehe Bildung tragen, unten aber in einem Fischschweif endigen, oder mit der Oberhälfte ihres Leibes als eine wunderschöne Frau und mit der Unterhälfte als eine schuppige Schlange erscheinen, wie Eure Melusine, die Geliebte des Grafen Raimund von Poitiers. Glücklicher Raimund, dessen Geliebte nur zur Hälfte eine Schlange war! Auch kommt es oft vor, daß die Nixen, wenn sie sich mit Menschen in ein Liebesbündniß einlassen, nicht bloß Verschwiegenheit verlangen, sondern auch bitten, man möge sie nie befragen nach ihrer Herkunft, nach Heimath und Sippschaft. Auch sagen sie nicht ihren rechten Namen, sondern sie geben sich unter den Menschen so zu sagen einen nom de guerre. Der Gatte der klevschen Prinzessinn nannte sich Helias. War er ein Nix oder ein Elfe? Wie oft, wenn ich den Rhein hinabfuhr, und dem Schwanenthurm von Kleve vorüberkam, dachte ich an den geheimnißvollen Ritter, der so wehmüthig streng sein Inkognito bewahrte, und den die bloße Frage nach seiner Herkunft aus den Armen der Liebe vertreiben konnte. Als die Prinzessinn ihre Neugier nicht bemeistern konnte, und einst in der Nacht zu ihrem Gemahle die Worte sprach: Herr, solltet Ihr nicht unserer Kinder wegen sagen, wer Ihr seyd? da stieg er seufzend aus dem Bette, setzte sich wieder auf sein Schwanenschiff, fuhr den Rhein hinab, und kam nimmermehr zurück. Aber es ist auch wirklich verdrießlich, wenn die Weiber zu viel fragen. Braucht Eure Lippen zum Küssen, nicht zum Fragen, Ihr Schönen. Schweigen ist die wesentlichste Bedingung des Glückes. Wenn der Mann die Gunstbezeugungen seines Glückes ausplaudert, oder wenn das Weib nach den Geheimnissen ihres Glückes neugierig forscht, dann gehen sie beide ihres Glückes verlustig. Elfen und Nixen können zaubern, können sich in jede beliebige Gestalt verwandeln; indessen manchmal sind auch sie selber von mächtigeren Geistern und Nekromanten in allerley häßliche Mißgebilde verwünscht worden. Sie werden aber erlöst durch Liebe, wie im Mährchen Zemire und Azor; das krötige Ungeheuer muß dreymal geküßt werden und es verwandelt sich in einen schönen Prinzen. Sobald du deinen Widerwillen gegen das Häßliche überwindest und das Häßliche sogar lieb gewinnst, so verwandelt es sich in etwas Schönes. Keine Verwünschung widersteht der Liebe. Liebe ist ja selber der stärkste Zauber, jede andere Verzauberung muß ihr weichen. Nur gegen eine Gewalt ist sie ohnmächtig. Welche ist das ? Es ist nicht das Feuer, nicht das Wasser, nicht die Luft, nicht die Erde mit allen ihren Metallen; es ist die Zeit. Die seltsamsten Sagen in Betreff der Elementargeister findet man bey dem alten guten Johannes Prätorius, dessen „Anthropodemus plutonicus, oder neue Weltbeschreibung von allerley wunderbaren Menschen," im Jahr 1666 1*
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zu Magdeburg erschienen ist. Schon die Jahrzahl ist merkwürdig; es ist das Jahr dem der jüngste Tag prophezeyt worden. Der Inhalt des Buches ist ein Wust von Unsinn, aufgegabeltem Aberglauben, maulhängkolischen und affentheuerlichen Historien und gelehrten Citaten, Kraut und Rüben. Die zu 5 behandelnden Gegenstände sind geordnet nach den Anfangsbuchstaben ihres Namens, die ebenfalls höchst willkürlich gewählt sind. Auch die Eintheilungen sind ergötzlich, z. B. wenn der Verfasser von Gespenstern handeln will, so handelt er i° von wirklichen Gespenstern, z° von erdichteten Gespenstern, d. h. von Betrügern, die sich als Gespenster vermummen. Aber er ist voll 10 Belehrung, und in diesem Buche, so wie auch in seinen anderen Werken, haben sich Tradizionen erhalten, die theils sehr wichtig für das Studium der germanischen Religionsalterthümer, theils auch als bloße Curiositäten sehr interessant sind. Ich bin überzeugt, Ihr alle wißt nicht, daß es Meerbischöfe giebt? Ich zweifle sogar, ob die Gazette de France es weiß. Und doch wäre es 15 wichtig für manche Leute zu wissen, daß das Christenthum sogar im Ocean seine Anhänger hat und gewiß in großer Anzahl. Vielleicht die Majorität der Meergeschöpfe sind Christen, wenigstens eben so gute Christen wie die Majorität der Franzosen. Ich möchte dieses gern verschweigen, um der katholischen Parthey in Frankreich durch diese Mittheilung keine Freude zu machen, 20 aber da ich hier von Nixen, von Wassermenschen, zu sprechen habe, verlangt es die deutsch-gewissenhafte Gründlichkeit, daß ich der Seebischöfe erwähne. Prätorius erzählt nemlich folgendes: „In den holländischen Chroniken lies't man, Cornelius von Amsterdam habe an einen Medikus Namens Gelbert nach Rom geschrieben: daß im Jahr 25 15 31 in dem nordischen Meere, nahe bey Elpach, ein Meermann sey gefangen worden, der wie ein Bischof von der römischen Kirche ausgesehen habe. Den habe man dem König von Polen zugeschickt. Weil er aber ganz im geringsten nichts essen wollte von allem was man ihm dargereicht, sey er am dritten Tage gestorben, habe nichts geredet, sondern nur große Seufzer geholet." 30 Eine Seite weiter hat Prätorius ein anderes Beyspiel mitgetheilt: „Im Jahr 1433 hat man in dem baltischen Meere, gegen Polen, einen Meermann gefunden, welcher einem Bischof ganz ähnlich gewesen. Er hatte einen Bischofshut auf dem Haupte, seinen Bischofstab in der Hand, und ein Meßgewand an. Er ließ sich berühren, sonderlich von den Bischöfen des Ortes, 35 und erwies ihnen Ehre, jedoch ohne Rede. Der König wolle ihn in einem Thurm verwahren lassen, darwidersetzte er sich mit Gebährden, und baten die Bischöfe, daß man ihn wieder in sein Element lassen wollte, welches auch geschehen, und wurde er von zweyen Bischöfen dahin begleitet und erwieß sich freudig. Sobald er in das Wasser kam machte er ein Kreuz, und tauchte
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sich hinunter, wurde auch künftig nicht mehr gesehen. Dieses ist zu lesen in Flandr. Chronic, in Hist. Ecclesiast. Spondani, wie auch in den Memorabiübus Wolfii." Ich habe beide Geschichten wörtlich mitgetheilt und meine Quelle genau angegeben, damit man nicht etwa glaube, ich hätte die Meerbischöfe erfunden. Ich werde mich wohl hüten noch mehr Bischöfe zu erfinden. An den vorhandenen habe ich schon genug. Einigen Engländern, mit denen ich mich gestern über die Reform der anglikanisch episkopalen Kirche unterhielt, habe ich den Rath gegeben, aus ihren Landbischöfen lauter Meerbischöfe zu machen. Zur Ergänzung der Sagen von Nixen und Elfen habe ich noch der Schwanenjungfrauen zu erwähnen. Die Sage ist hier sehr unbestimmt und mit einem allzugeheimnißvollen Dunkel umwoben. Sind sie Wassergeister? Sind sie Luftgeister? Sind sie Zauberinnen? Manchmal kommen sie aus den Lüften als Schwäne herabgeflogen, legen ihre weiße Federhülle von sich, wie ein Gewand, sind dann schöne Jungfrauen, und baden sich in stillen Gewässern. Ueberrascht sie dort irgend ein neugieriger Bursche, dann springen sie rasch aus dem Wasser, hüllen sich geschwind in ihre Federhaut, und schwingen sich dann als Schwäne wieder empor in die Lüfte. Der vortreffliche Musäus erzählt in seinen Volksmährchen die schöne Geschichte von einem jungen Ritter, dem es gelang eins von jenen Federgewänden zu stehlen; als die Jungfrauen aus dem Bade stiegen, sich schnell in ihre Federkleider hüllten und davon flogen, blieb eine zurück, die vergebens ihr Federkleid suchte. Sie kann nicht fortfliegen, weint beträchtlich, ist wunderschön, und der schlaue Ritter heurathet sie. Sieben Jahre leben sie glücklich; aber einst, in der Abwesenheit des Gemahls, kramt die Frau in verborgenen Schränken und Truhen, und findet dort ihr altes Federgewand; geschwind schlüpft sie hinein und fliegt davon. In den altdänischen Liedern ist von einem solchen Federgewand sehr oft die Rede; aber dunkel und in höchst befremdlicher Art. Hier finden wir Spuren von dem ältesten Zauberwesen. Hier sind Töne von nordischem Heidenthum, die, wie halbvergessene Träume, in unserem Gedächtnisse einen wunderbaren Anklang finden. Ich kann nicht umhin ein altes Lied mitzutheilen, worin nicht bloß von der Federhaut gesprochen wird, sondern auch von den Nachtraben, die ein Seitenstück zu den Schwanenjungfrauen bilden. Dieses Lied ist so schauerlich, so grauenhaft, so düster, wie eine scandinavische Nacht, und doch glüht darin eine Liebe, die an wilder Süße und brennender Innigkeit nicht ihres Gleichen hat, eine Liebe, die, immer gewaltiger entlodernd, endlich wie ein Nordlicht emporschießt und mit ihren leidenschaftlichen Stralen den ganzen Himmel überflammt. Indem ich hier dieses ungeheure Liebesgedicht
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mittheile, muß ich vorausbemerken, daß ich mir dabey nur metrische Veränderungen erlaubte, daß ich nur am Aeußerlichen, an dem Gewände, hie und da ein Bischen geschneidert. Der Refrain nach jeder Strophe ist immer: „So fliegt er über das Meer!" 5
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Sie schifften wohl über das salzige Meer, Der König und die Königinn beide; Daß die Königinn nicht geblieben daheim, Das ward zu großem Leide. Das Schiff das stand auf einmal still, Sie konnten's nicht weiter lenken; Ein wilder Nachtrabe geflogen kam, Er wollt's in den Grund versenken. „Ist jemand unter den Wellen versteckt, Und hält das Schiff befestigt? Ich gebe ihm beides Silber und Gold, Er lasse uns unbelästigt. So du es bist, Nachtrabe wild, So senk' uns nicht zu Grunde, Ich gebe dir beides Silber und Gold, Wohl fünfzehn gewogene Pfunde." „„Dein Gold und Silber verlang ich nicht, Ich verlange bessere Gaben, Was du trägst unter dem Leibgurt dein, Das will ich von dir haben." "
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„Was ich trage unter dem Leibgurt mein, Das will ich dir gerne geben; Das sind ja meine Schlüssel klein, Nimm hin, und lass' mir mein Leben." Sie zog heraus die Schlüssel klein, Sie warf sie ihm über Bordte. Der wilde Rabe von dannen flog, Er hielt sie freudig beim Worte. Und als die Kön'ginn nach Hause kam, Sie ging am Strande spatzieren, Da merkt' sie wie German, der fröhliche Held, Sich unter dem Leibgurt thät rühren.
Elementargeister Und als fünf Monde verflossen dahin, Die Königinn eilt in die Kammer, Eines schönen Sohnes sie genas, Das ward zu großem Jammer. Er ward geboren in der Nacht, Und getauft sogleich den Morgen, Sie nannten ihn German den fröhlichen Held, Sie glaubten ihn schon geborgen. Der Knabe wuchs, er wußte sich gut Im Reiten und Fechten zu üben, So oft seine liebe Mutter ihn sah Thät sich ihr Herz betrüben. „O Mutter, liebe Mutter mein, Wenn ich Euch vorübergehe Warum so traurig werdet Ihr, Daß ich Euch weinen sehe?" „So wisse, German, du fröhlicher Held, Dein Leben ist bald geendet, Denn als ich dich unter dem Leibgurt trug, Hab' ich dich dem Raben verpfändet." „O Mutter, liebe Mutter mein, O laßt Eur Leid nur fahren, Was mir mein Schicksal bescheeren will, Davor kann mich niemand bewahren." Das war eines Donnerstags, im Herbst, Als kaum der Morgen graute, Die Frauenstube offen stand, Da kamen krächzende Laute. Der häßliche Rabe kam herein, Setzt sich zu der Königinn dorten: „Frau Königinn, gebt mir Eur Kind, Ihr habt's mir versprochen mit Worten." Sie aber hat beim höchsten Gott, Bey allen Heil'gen geschworen, Sie wüßte weder von Tochter noch Sohn, Die sie auf Erden geboren.
Elementargeister Der häßliche Rabe flog zornig davon, Und zornig schrie er im Fluge: „Wo find' ich German den fröhlichen Held, Er gehört mir mit gutem Fuge." Und German war alt schon fünfzehn Jahr, Und ein Mädchen zu freyen gedacht' er; Er schickte Boten nach Engeland, Er warb um des Königs Tochter. Des Königs Tochter ward ihm verlobt, und nach England zu reisen beschloß er: Wie komm' ich schnell zu meiner Braut, Rings um die Insel ist Wasser? Und das war German, der fröhliche Held, In Scharlach sich kleiden that er, In seinem scharlachrothen Kleid Vor seine Mutter trat er. „O Mutter, liebe Mutter mein, Erfüllet mein Begehre, Und leiht mir Euer Federgewand, Daß ich fliegen kann über dem Meere." „ „Mein Federgewand in dem Winkel dort hängt, Die Federn die fallen zur Erde; Ich denke daß ich zur Frühjahrzeit Das Gefieder ausbesseren werde. Auch sind die Fittige viel zu breit, Die Wolken drücken sie nieder — Und ziehst du fort in ein fremdes Land Ich schaue dich niemals wieder."" Er setzte sich in das Federgewand, Flog fort wohl über das Wasser; Da traf er den wilden Nachtraben an, Auf der Klippe im Meere saß er. Wohl über das Wasser flog er fort, Inmitten des Sundes kam er; Da hört' er einen erschrecklichen Laut, Eine häßliche Stimme vernahm er:
Elementargeister „Willkommen, German, du fröhlicher Held, So lange erwartet ich deiner; Als deine Mutter dich mir versprach, Da warst du viel zarter und kleiner." „„O lass' mich fliegen zu meiner Braut, Ich treffe (bey meinem Worte!), Sobald ich sie gesprochen hab', Dich hier auf demselben Orte."" „So will ich dich zeichnen, daß immerdar Ich dich wiedererkenne im Leben, Und dieses Zeichen erinnere dich An das Wort, das du mir gegeben." Er hackte ihm aus sein rechtes Aug', Trank halb ihm das Blut aus dem Herzen. Der Ritter kam zu seiner Braut, Mit großen Liebesschmerzen. Er setzte sich in der Jungfraun Saal, Er war so blutig, so bleiche; Die kosenden Jungfrau'n in dem Saal, Sie verstummten alle sogleiche. Die Jungfraun ließen Freud' und Scherz, Sie saßen still so sehre; Aber die stolze Jungfrau Adelutz Warf von sich Nadel und Scheere. Die Jungfraun saßen still so sehr, Sie ließen Scherz und Freude; Aber die stolze Jungfrau Adelutz Schlug zusammen die Hände beide. „Willkommen, German, der fröhliche Held, Wo habt Ihr gespielet so muthig? Warum sind Eure Wangen so bleich Und Eure Kleider so blutig?" „Ade, stolze Jungfrau Adelutz, Muß wieder zurück zu dem Raben, Der mein Aug' ausriß und mein Herzblut trank, Auch meinen Leib will er haben."
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Einen goldnen Kamm zieht sie heraus, Selbst kämmt sie ihm seine Haare; Bey jedem Haare das sie kämmt, Vergießt sie Thränen viel klare. Bey jeder Locke, die sie ihm schlingt, Vergießt sie Thränen viel klare; Sie verwünscht seine Mutter, durch deren Schuld, Er so viel Unglück erfahre. Die stolze Jungfrau Adelutz Zog ihn in ihre Arme beide; „Deine böse Mutter sey verwünscht, Sie bracht' uns zu solchem Leide." „„Hört, stolze Jungfrau Adelutz, Meine Mutter verwünschet nimmer, Sie konnte nicht wie sie gewollt, Seinem Schicksal erliegt man immer."" Er setzte sich in sein Federgewand, Flog wieder fort so schnelle. Sie setzt sich in ein andres Federgewand Und folgt ihm auf der Stelle. Er flog wohl auf, er flog wohl ab, In der weiten Wolkenhöhe; Sie flog beständig hinter ihm drein, Blieb immer in seiner Nähe. „Kehrt um, stolze Jungfrau Adelutz, Müßt wieder nach Hause fliegen; Eure Saalthür ließet Ihr offen stehn, Eure Schlüssel zur Erde liegen." ,,„Lass' meine Saalthür offen stehn, Meine Schlüssel liegen zur Erde; Wo Ihr empfangen habt Eur Leid, Dahin ich Euch folgen werde."" Er flog wohl ab, er flog wohl auf, Die Wolken hingen so dichte, Es brach herein die Dämmerung, Sie verlor ihn aus dem Gesichte.
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Alle die Vögel die sie im Fluge traf, Die schnitt sie da in Stücken; Nur dem wilden häßlichen Raben zu nahn, Das wollt' ihr nicht gelücken. Die stolze Jungfrau Adelutz, Herunter flog zum Strand sie; Sie fand nicht German den fröhlichen Held, Seine rechte Hand nur fand sie. Da schwang sie sich wieder erzürnt empor, Zu treffen den wilden Raben, Sie flog gen Westen, gen Osten sie flog, Von ihr selbst den Tod sollt' er haben. Alle die Vögel, die kamen vor ihre Scheer', Hat sie in Stücken zerschnitten; Und als sie den wilden Nachtraben traf, Sie schnitt ihn entzwey in der Mitten. Sie schnitt ihn und zerrt ihn, so lang bis sie selbst Des müden Todes gestorben. Sie hat um German, den fröhlichen Held, So viel Kummer und Noth erworben. Höchst bedeutungsvoll ist in diesem Liede nicht bloß die Erwähnung des Federgewandes, sondern das Fliegen selbst. Zur Zeit des Heidenthums waren es Königinnen und edle Frauen von welchen man sagte, daß sie in den Lüften zu fliegen verstünden, und diese Zauberkunst, die damals für etwas Ehrenwerthes galt, wurde später, in christlicher Zeit, als eine Abscheulichkeit des Hexenwesens dargestellt. Der Volksglaube von den Luftfahrten der Hexen ist eine Travestie alter germanischer Tradizionen und verdankt seine Entstehung keineswegs dem Christenthum, wie man aus einer Bibelstelle, wo Satan unseren Heiland durch die Lüfte führt, irrthümlich vermuthet hat. Jene Bibelstelle könnte allenfalls zur Justifikazion des Volksglaubens dienen, indem dadurch bewiesen ward, daß der Teufel wirklich im Stande sey die Menschen durch die Luft zu tragen. Die Schwanenjungfraun, von welchen ich geredet, halten Manche für die Valkyren der Skandinavier. Auch von diesen haben sich bedeutsame Spuren im Volksglauben erhalten. Die Hexen, die Shakespeare in seinem Makbeth auftreten läßt, werden in der alten Sage, die der Dichter fast umständlich benutzt hat, weit edler geschildert. Nach dieser Sage sind dem Helden im
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Walde, kurz vor der Schlacht, drey räthselhafte Jungfrauen begegnet, die ihm sein Schicksal voraussagten und spurlos verschwanden. Es waren Valkyren, oder gar dieNornen, die Parzen des Nordens. An diese mahnen auch die drey wunderlichen Spinnerinnen, die uns aus alten Ammenmährchen bekannt sind; 5 die eine hat einen Plattfuß, die andre einen breiten Daumen und die dritte eine Hängelippe. Hieran erkennt man sie immer, sie mögen sich verjüngt oder verältert präsentiren. Ich kann nicht umhin hier eines Mährchens zu erwähnen, als dessen Schauplatz mir die rheinische Heimath wieder recht blühend und lachend in's Ge10 dächtniß tritt. Auch hier erscheinen drey Frauen, von welchen ich nicht bestimmen kann, ob sie Elementargeister sind oder Zauberinnen, nemlich Zauberinnen von der altheidnischen Observanz, die sich von der späteren Hexenschwesterschaft, durch poetischen Anstand, so sehr unterscheiden. Ganz genau habe ich die Geschichte nicht im Kopfe; wenn ich nicht irre wird 15 sie in Schreibers rheinischen Sagen aufs umständlichste erzählt. Es ist die Sage vom Wisperthale, welches unweit Lorch am Rheine gelegen ist. Dieses Thal führt seinen Namen von den wispernden Stimmen, die einem dort ans Ohr vorbeypfeifen und an ein gewisses heimliches Pist! Pist! erinnern, das man zur Abendzeit in gewissen Seitengäßchen einer Hauptstadt zu vernehmen pflegt. 20 Durch dieses Wisperthal wanderten eines Tages drey junge Gesellen, sehr frohgelaunt und höchst neugierig, was doch das beständige Pist! Pist! bedeuten möge. Der ältere und gescheuteste von ihnen, ein Schwertfeger seines Handwerks, rief endlich ganz laut: das sind Stimmen von Weibern, die gewiß so häßlich sind, daß sie sich nicht zeigen dürfen! Er hatte kaum die heraus25 fordernd schlauen Worte gesprochen, da standen plötzlich drey wunderschöne Jungfrauen vor ihm, die ihn und seine zwey Gefährten mit anmuthiger Gebärde einluden, sich in ihrem Schlosse von den Mühseligkeiten der Reise zu erholen und sonstig zu erlustigen. Dieses Schloß, welches sich ganz in ihrer Nähe befand, hatten die jungen Gesellen vorher gar nicht bemerkt, vielleicht weil 30 es nicht frey aufgebaut, sondern in einem Felsen ausgehauen war, so daß nur die kleinen Spitzbögenfenster und ein großer Thorweg von außen sichtbar. Als sie hineintraten in das Schloß, wunderten sie sich nicht wenig über die Pracht, die ihnen von allen Seiten entgegenglänzte. Die drey Jungfrauen, welche es ganz allein zu bewohnen schienen, gaben ihnen dort ein köstliches Gastmahl, 35 wobey sie ihnen selber den Weinbecher kredenzten. Die jungen Gesellen, denen das Herz in der Brust immer freudiger lachte, hatten nie so schöne, blühende und liebreitzende Weibsbilder gesehen und sie verlobten sich denselben mit vielen brennenden Küssen. Am dritten Tage sprachen die Jungfrauen: wenn Ihr immer mit uns leben wollt, Ihr holden Bräutigame, so müßt Ihr vorher
Elementargeister noch einmal in den Wald gehen und Euch erkundigen was die Vögel dort singen und sagen; sobald Ihr dem Sperling, der Elster und der Eule ihre Sprüche abgelauscht und sie wohlverstanden habt, dann kommt wieder zurück in unsere Arme. Die drey Gesellen begaben sich hierauf in den Wald, und nachdem sie sich 5 durch Gestripp und Krüppelholz den Weg gebahnt, an manchem Dorn sich geritzt, auch über manche Wurzel gestolpert, kamen sie zu dem Baume worauf ein Sperling saß, welcher folgenden Spruch zwitscherte: Es sind mal drey dumme Hänse In's Schlaraffenland gezogen; Da kamen die gebratenen Gänse Ihnen just vors Maul geflogen. Sie aber sprachen: die armen Schlaraffen, Sie wissen doch nichts Gescheutes zu schaffen, Die Gänse müßten viel kleiner seyn, Sie gehn uns ja nicht ins Maul hinein.
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Ja, ja, rief der Schwertfeger, das ist eine ganz richtige Bemerkung! Ja, ja, wenn der lieben Dummheit die gebratenen Gänse sogar vor's Maul geflogen kommen, so fruchtet es ihr doch nichts! Ihr Maul ist zu klein und die Gänse sind zu groß, und sie weiß sich nicht zu helfen! 20 Nachdem die drey Gesellen weiter gewandert, sich durch Gestripp und Krüppelholz den Weg gebahnt, an manchem Dorn sich geritzt, über manche Wurzel gestolpert, kamen sie zu einem Baume auf dessen Zweigen eine Elster hin und her sprang und folgenden Spruch plapperte: Meine Mutter war eine Elster, meine Großmutter war ebenfalls eine Elster, meine Urgroßmutter war 25 wieder eine Elster, auch meine Ur-Urgroßmutter war eine Elster, und wenn meine Ur-Urgroßmutter nicht gestorben wär', so lebte sie noch. Ja, ja, rief der Schwertfeger, das verstehe ich! das ist ja die allgemeine Weltgeschichte. Das ist am Ende der Inbegriff aller unserer Forschungen und viel mehr werden die Menschen auf dieser Welt nimmermehr erfahren. 30 Nachdem die drey Gesellen wieder weiter gewandert, durch Gestripp und Krüppelholz sich den Weg gebahnt, an manchem Dorn sich geritzt, über manche Wurzel gestolpert, kamen sie zu einem Baume, in dessen Höhlung eine Eule saß, die folgenden Spruch vor sich hin murrte: Wer mit einem Weibe spricht, der wird von einem Weibe betrogen, wer mit zwey Weibern spricht, 35 der wird von zwey betrogen, und wer mit drey Weibern spricht, der wird von drey betrogen. Holla! rief zornig der Schwertfeger, du häßlicher, armseliger Vogel mit
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deiner häßlichen armseligen Weisheit, die man von jedem bucklichten Bettler für einen Pfennig kaufen könnte! Das ist alter, abgestandener Leumund. Du würdest die Weiber weit besser beurtheilen, wenn du hübsch und lustig wärest wie wir, oder wenn du gar unsere Bräute kenntest, die so schön sind wie die 5 Sonne und so treu wie Gold! Hierauf machten sich die drey Gesellen auf den Rückweg, und nachdem sie, lustig pfeifend und trillernd, einige Zeit lang gewandert, befanden sie sich wieder Angesichts des Felsenschlosses, und mit ausgelassener Fröhlichkeit sangen sie das Schelmenlied: 10
Riegel auf, Riegel zu, Feins Liebchen, was machst du? Schläfst du oder wachst du ? Weinst du oder lachst du?
Während nun die jungen Gesellen solchermaßen jubilirend vor dem Schloß15 thore standen, öffneten sich über demselben drey Fensterchen, und aus jedem guckte ein altes Mütterchen heraus; alle drey langnasig und triefäugig, wackelten sie vergnügt mit ihren greisen Köpfen, und sie öffneten ihre zahnlosen Mäuler und sie kreischten: Da unten sind ja unsere holden Bräutigame! Wartet nur, Ihr holden Bräutigame, wir werden Euch gleich das Thor öffnen 20 und Euch mit Küssen bewillkommen, und Ihr sollt jetzt das Lebensglück genießen in den Armen der Liebe! Die jungen Gesellen, zu Tode bestürzt, warteten nicht so lange bis die Pforten des Schlosses und die Arme ihrer Bräutchen, und das Lebensglück, das sie darin genießen sollten, sich ihnen öffneten; sie nahmen auf der Stelle 25 Reißaus, liefen über Hals und über Kopf, und machten so lange Beine, daß sie noch desselben Tags in der Stadt Lorch anlangten. Als sie hier des Abends in der Schenke beim Weine saßen, mußten sie manchen Schoppen leeren, ehe sie sich von ihrem Schrecken ganz erholt. Der Schwertfeger aber fluchte hoch und theuer, daß die Eule der klügste Vogel der Welt sey und mit Recht für ein 30 Sinnbild der Weisheit gelte. Ich habe in diesen Blättern immer nur flüchtig ein Thema berührt, welches zu den interessantesten Betrachtungen einen bändereichen Stoff bieten könnte: nemlich die Art und Weise wie das Christenthum die altgermanische Religion entweder zu vertilgen oder in sich aufzunehmen suchte und wie 35 sich die Spuren derselben im Volksglauben erhalten haben. Wie jener Vertilgungskrieg geführt wurde ist bekannt. Wenn das Volk, gewohnt an den ehemaligen Naturdienst, auch nach der Bekehrung für gewisse Orte eine verjährte Ehrfurcht bewahrte, so suchte man solche Sympathie ent-
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weder für den neuen Glauben 2u benutzen, oder als Antriebe des bösen Feindes zu verschreyen. Bey jenen Quellen, die das Heidenthum als göttlich verehrte, baute der christliche Priester sein kluges Kirchlein, und er selber segnete jetzt das Wasser und exploitirte dessen Wunderkraft. Es sind noch immer die alten lieben Brünnlein der Vorzeit, wohin das Volk wallfahrtet, und wo es gläubig seine Gesundheit schöpft, bis auf heutigen Tag. Die heiligen Eichen, die den frommen Aexten widerstanden, wurden verleumdet ; unter diesen Bäumen, hieß es jetzt, trieben die Teufel ihren nächtlichen Spuk und die Hexen ihre höllische Unzucht. Aber die Eiche blieb dennoch der Lieblingsbaum des deutschen Volkes, die Eiche ist noch heut zu Tage das Symbol der deutschen Nazionalität selber: es ist der größte und stärkste Baum des Waldes; seine Wurzel dringt bis in die Grundtiefe der Erde; sein Wipfel, wie ein grünes Banner flattert stolz in den Lüften; die Elfen der Poesie wohnen in seinem Stamme; die Mistel der heiligsten Weisheit rankt an seinen Aesten; nur seine Früchte sind kleinlich und ungenießbar für Menschen. In den altdeutschen Gesetzen giebts jedoch noch viele Verbote: daß man bey den Flüssen, den Bäumen und Steinen nicht seine Andacht verrichten solle, in ketzerischem Irrwahn, daß eine Gottheit darinn wohne. Karl der Große mußte, in seinen Capitularien, ausdrücklich befehlen: man solle nicht opfern bey Steinen, Bäumen, Flüssen; auch solle man dort keine geweihte Kerzen anzünden. Diese drey, Steine, Bäume und Flüsse, erscheinen als Hauptmomente des germanischen Cultus, und damit korrespondirt der Glaube an Wesen die in den Steinen wohnen, nemlich Zwerge, an Wesen die in den Bäumen wohnen, nemlich Elfen, und Wesen die im Wasser wohnen, nemlich Nixen. Will man einmal systematisiren, so ist diese Art weit zweckmäßiger, als das Systematisiren nach den verschiedenen Elementen, wo man noch für das Feuer eine vierte Klasse Elementargeister, nemlich die Salamander annimmt. Das Volk aber, welches immer systemlos, hat nie etwas von dergleichen gewußt. Es giebt unter dem Volke eigentlich nur die Sage von einem Thiere, welches im Feuer leben könne und Salamander heiße. Alle Knaben sind eifrige Naturforscher, und als kleiner Junge habe ich es mir mal sehr angelegen seyn lassen, zu untersuchen, ob die Salamander wirklich im Feuer leben können. Als es einst meinen Schulkameraden gelungen, ein solches Thier zu fangen, hatte ich nichts Eiligeres zu thun, als dasselbe in den Ofen zu werfen, wo es erst einen weißen Schleim in die Flammen spritzte, immer leiser zischte und endlich den Geist aufgab. Dieses Thier sieht aus wie eine Eydechse, ist aber safrangelb, etwas schwarz gesprenkelt, und der weiße Saft, den es im Feuer von sich giebt und
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womit es vielleicht manchmal die Flamme löscht, mag den Glauben veranlaßt haben, daß es in den Flammen leben könne. Die feurigen Männer, die des Nachts umherwandeln, sind keine Elementargeister, sondern Gespenster von verstorbenen Menschen, todten Wucherern, 5 unbarmherzigen Amtmännern und Bösewichtern, die einen Grenzstein verrückt haben. Die Irrwische sind auch keine Geister. Man weiß nicht genau was sie sind; sie verlocken den Wandrer in Moorgrund und Sümpfe. Wie gesagt, eine ganze Classe Feuergeister, wie Parazelsus sie beschreibt, kennt das Volk nicht. Es spricht höchstens nur von einem einzigen Feuergeist und das ist 10 kein anderer als Luzifer, Satan, der Teufel. In alten Balladen erscheint er unter dem Namen der Feuerkönig, und im Theater, wenn er auftritt oder abgeht, fehlen nie die obligaten Flammen. Da er also der einzige Feuergeist ist und uns für eine ganze Classe solcher Geister schadlos halten muß, wollen wir ihn näher besprechen. 15 In der That, wenn der Teufel kein Feuergeist wäre, wie könnte er es denn in der Hölle aushalten? Er ist ein Wesen von so kalter Natur, daß er sogar nirgends anders als im Feuer sich behaglich fühlen kann. Ueber diese kalte Natur des Teufels haben sich alle die armen Frauen beklagt, die mit ihm in nähere Berührung gekommen. Merkwürdig übereinstimmend sind in dieser 20 Hinsicht die Aussagen der Hexen, wie wir sie in den Hexenprozessen aller Lande finden können. Diese Damen, die ihre fleischlichen Verbindungen mit dem Teufel eingestanden, sogar auf der Folter, erzählen immer von der Kälte seiner Umarmungen; eiskalt, klagten sie, waren die Ergüsse dieser teuflischen Zärtlichkeit. 25 Der Teufel ist kalt, selbst als Liebhaber. Aber häßlich ist er nicht; denn er kann ja jede Gestalt annehmen. Nicht selten hat er sich ja auch mit weiblichem Liebreitz bekleidet, um irgend einen frommen Klosterbruder von seinen Bußübungen abzuhalten oder gar zur sinnlichen Freude zu verlocken. Bey anderen, die er nur schrecken wollte, erschien er in Thiergestalt, er und seine höllischen 30 Gesellen. Besonders wenn er vergnügt ist und viel geschlämmt und gebechert hat, zeigt er sich gern als ein Vieh. Da war ein Edelmann in Sachsen, der hatte seine Freunde eingeladen zu einem Gastmahl. Als nun der Tisch gedeckt und die Stunde der Mahlzeit gekommen und alles zugerichtet war, fehlten ihm seine Gäste, die sich einer nach dem anderen entschuldigen ließen. Darob 35 zornig, entfuhren ihm die Worte: „wenn kein Mensch kommen will, so mag der Teufel bey mir essen mit der ganzen Hölle!" und er verließ das Haus um seinen Unmuth zu verschmerzen. Mittlerweile kommen in den Hof hereingeritten große und schwarze Reuter, und hießen des Edelmanns Knecht seinen Herrn suchen, um ihm anzuzeigen, daß die zuletzt geladenen Gäste angelangt
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seyen. Der Knecht, nach langem Suchen, findet endlich seinen Herrn, kehrt mit diesem zurück, haben aber beide nicht den Muth ins Haus hineinzugehen. Denn sie hören wie drinnen das Schlemmen, Schreyen und Singen immer toller wird, und endlich sehen sie wie die besoffenen Teufel, in der Gestalt von Bären, Katzen, Böcken, Wölfen und Füchsen, ans offene Fenster traten, 5 in den Pfoten die vollen Becher oder die dampfenden Teller, und mit glänzenden Schnautzen und lachenden Zähnen heruntergrüßend. Daß der Teufel in Gestalt eines schwarzen Bockes dem Convente der Hexen präsidirt, ist allgemein bekannt. Welche Rolle er in dieser Gestalt zu 6pielen pflegte, werde ich später berichten, wenn ich von Hexen und Zauberey zu 10 reden habe. In dem merkwürdigen Buche, worinn der hochgelahrte Georgius Godelmanus über dieses letztere Thema einen wahrhaften und folgebegründeten Bericht abstattet, finde ich auch, daß der Teufel nicht selten in der Gestalt eines Mönchs erscheint. Er erzählt folgendes Beispiel: „Als ich in der berühmten hohen Schule zu Wittemberg die Rechte studirte, 15 gedenkt mir noch wohl, etlichemal von meinen Lehrmeistern daselbst gehört zu haben, daß vor Luthers Thür gekommen sey ein Münch, welcher heftig an der Thüre geklopft, und wie ihm der Diener aufthat und fragte was er wollte, da fraget der Münch: ob der Luther daheim wäre? Als Lutherus die Sache erfuhr, ließ er ihn herein gehen, weil er nun eine gute Weile keinen 20 Münch gesehen hatte. Da dieser hineinkam sprach er, er habe etliche Papistische Irrthümer, derwegen er sich gern mit ihm besprechen wollte, und er legte ihm einige Syllogismos und Schulreden für, und da sie Luther ohne Mühe auflöste, brachte er andere, die nicht so leicht aufzulösen waren, daher Lutherus, etwas bewegt, diese Worte entfahren ließ: du machst mir viel zu schaffen, 25 da ich doch anderes zu thun hätte! und stund sobald auf und zeigte ihm in der Bibel die Erklärung der Frage so der Münch vorbrachte. Und als er in demselbigen Gespräche vermerkte, daß des Münchs Hände nicht ungleich wären Vogelsklauen, sprach er: Bist du nicht Der? Halt, höre zu, dieses Urtheil ist wider dich gefällt! und zeigte ihm sobald den Spruch in Genesi, dem ersten 30 Buche Mosis: des Weibes Saamen wird der Schlange den Kopf zertreten. Da der Teufel mit diesem Spruch überwunden, ward er zornig und ging murrend davon, warf das Schreibzeug hinter den Ofen, und verbreitete einen Duft, dessen die Stube noch etliche Tage übel roch." In der vorstehenden Erzählung bemerkt man eine Eigentümlichkeit des 35 Teufels, die sich schon frühe kund gab und bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Es ist nemlich seine Disputirsucht, seine Sophistik, seine „Syllogismen". Der Teufel versteht sich auf Logik, und schon vor achthundert Jahren hat der Pabst Silvester, der berühmte Gerbert, solches zu seinem Schaden er8
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fahren. Dieser hatte nemlich, als er zu Cordova studirte, mit Satan einen Bund geschlossen und durch seine höllische Hülfe lernte er Geometrie, Algebra, Astronomie, Pflanzenkunde, allerley nützliche Kunststücke, unter anderen die Kunst Pabst zu werden. In Jerusalem sollte vertragsmäßig sein Leben 5 enden. Er hütete sich wohl hinzugehen. Als er aber einst in einer Kapelle zu Rom Messe las, kam der Teufel um ihn abzuholen, und indem der Pabst sich dagegen sträubt, beweist ihm jener, daß die Kapelle worinn sie sich befänden, den Namen Jerusalem führe, daß die Bedingungen des alten Bündnisses erfüllt seyen, und daß er ihm nun zur Hölle folgen müsse. Und der Teufel holt den io Pabst, indem er ihm lachend ins Ohr flüstert: Tu non pensavi qu'io loico fossi! (Dante Inferno c. 28). „Du dachtest nicht daran, daß ich ein Logiker bin!" Der Teufel versteht Logik, er ist Meister in der Metaphysik, und mit seinen 15 Spitzfindigkeiten und Ausdeuteleyen überlistet er alle seine Verbündeten. Wenn sie nicht genau aufpaßten und den Contrakt später nachlasen, fanden sie zu ihrem Erschrecken, daß der Teufel anstatt Jahre nur Monate, oder Wochen, oder gar Tage geschrieben, und er kommt ihnen plötzlich über den Hals und beweist ihnen, daß die Frist abgelaufen. In einem der älteren Puppenspiele, 20 welche das Satansbündniß, Schandleben und erbärmliche Ende des Doktor Faustus vorstellen, findet sich ein ähnlicher Zug. Faust, welcher vom Teufel die Befriedigung aller irdischen Genüsse begehrte, hat ihm dafür seine Seele verschrieben und sich anheischig gemacht, zur Hölle zu fahren, sobald er die dritte Mordthat begangen habe. Er hat schon zwey Menschen getödtet und 25 glaubt ehe er zum drittenmahle jemanden umbringe, sey er dem Teufel noch nicht verfallen. Dieser aber beweist ihm, daß eben sein Teufelsbündniß, sein Seelentodschlag, als dritte Mordthat zähle, und mit dieser verdammten Logik führt er ihn zur Hölle. Wie weit Goethe in seinem Mephisto jenen Charakterzug der Sophistik exploitirt hat, kann jeder selbst beurtheilen. Nichts 30 ist ergötzlicher als die Lektüre von Teufelskontrakten, die sich aus der Zeit der Hexenprozesse erhalten haben, und worinn der Contrahent sich vorsichtig gegen alle Chikanen verklausulirt und alle Stipulazionen aufs ängstlichste paraphrasirt. Der Teufel ist ein Logiker. Er ist nicht bloß der Repräsentant der weltlichen 35 Herrlichkeit, der Sinnenfreude, des Fleisches, er ist auch Repräsentant der menschlichen Vernunft, eben weil diese alle Rechte der Materie vindizirt; und er bildet somit den Gegensatz zu Christus, der nicht bloß den Geist, die ascetische Entsinnlichung, das himmlische Heil, sondern auch den Glauben repräsentirt. Der Teufel glaubt nicht, er stützt sich nicht blindlings auf fremde
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Autoritäten, er will vielmehr dem eignen Denken vertrauen, er macht Gebrauch von der Vernunft! Dieses ist nun freylich etwas Entsetzliches, und mit Recht hat die römisch-katholisch-apostolische Kirche das Selbstdenken als Teufeley verdammt und den Teufel, den Repräsentanten der Vernunft, für den Vater der Lüge erklärt. 5 Ueber die Gestalt des Teufels läßt sich in der That nichts genaues angeben. Die Einen behaupten, wie ich schon erwähnt, er habe gar keine bestimmte Gestalt und könne sich in jeder beliebigen Form produziren. Dieses ist wahrscheinlich. Finde ich doch in der Dämonomagie von Horst, daß der Teufel sich sogar zu Salat machen könne. Eine sonst ehrbare Nonne, die aber ihre 10 Ordensregeln nicht genau befolgte und sich nicht oft genug mit dem heiligen Kreuze bezeichnete, aß einmal Salat. Kaum hatte sie ihn gegessen als sie Regungen empfand, die ihr sonst fremd waren und sich keineswegs mit ihrem Stande vertrugen. Es wurde ihr jetzt gar sonderbar zu Muthe des Abends, im Mondschein, wenn die Blumen so stark dufteten und die Nachtigallen so 15 schmelzend und schluchzend sangen. Bald darauf machte ein angenehmer Junggeselle mit ihr Bekanntschaft. Nachdem beide mit einander vertrauter geworden, fragte sie der schöne Jüngling einmal: „weißt du denn auch wer ich bin?" Nein, sagte die Nonne mit einiger Bestürzung. „Ich bin der Teufel, erwiederte jener. Erinnerst du dich nicht jenes Salates ? Der Salat das war 20 ich!" Manche behaupten, der Teufel sehe immer wie ein Thier aus, und es sey nur eitel Täuschung, wenn wir ihn in einer anderen Gestalt erblicken. Etwas Cynisches hat der Teufel freylich, und diesen Charakterzug hat niemand besser beleuchtet wie unser Dichter Wolfgang Goethe. Ein anderer deutscher Schrift- 25 steller, der in seinen Mängeln eben so großartig ist wie in seinen Vorzügen, jedenfalls aber zu den Dichtern ersten Ranges gezählt werden muß, Herr Grabbe, hat den Teufel in jener Beziehung ebenfalls vortrefflich gezeichnet. Auch die Kälte in der Natur des Teufels hat er ganz richtig begriffen. In einem Drama dieses genialen Schriftstellers erscheint der Teufel auf Erden, weil 30 seine Mutter in der Hölle schruppt; letzteres ist eine bey uns gebräuchliche Art die Zimmer zu reinigen, wobey das Estricht mit heißem Wasser übergössen und mit einem groben Tuche gerieben wird, so daß ein quikender Mißton und lauwarmer Dampf entsteht, der es einem vernünftigen Wesen unmöglich macht unterdessen zu Hause zu bleiben. Der Teufel muß deßhalb aus der 35 wohlgeheitzten Hölle sich in die kalte Oberwelt hinaufflüchten, und hier, obgleich es ein heißer Juliustag ist, empfindet der arme Teufel dennoch einen so großen Frost, daß er fast erfriert und nur mit ärztlicher Hülfe aus dieser Erstarrung gerettet wird. 8*
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Wir sahen eben, daß der Teufel eine Mutter hat; viele behaupten, er habe eigentlich nur eine Großmutter. Auch diese kommt zuweilen zur Oberwelt, und auf sie bezieht sich vielleicht das Sprüchwort: wo der Teufel selbst nichts ausrichten kann, da schickt er ein altes Weib. Gewöhnlich aber ist sie in der 5 Hölle mit der Küche beschäftigt, oder sitzt in ihrem rothen Lehnsessel, und wenn der Teufel des Abends, müde von den Tagesgeschäften, nach Hause kommt, frißt er in schlingender Hast was ihm die Mutter gekocht hat, und dann legt er seinen Kopf in ihren Schooß und läßt sich von ihr lausen und schläft ein. Die Alte pflegt ihm auch wohl dabey ein Lied vorzuschnurren, 10 welches mit folgenden Worten beginnt: Im Thume, im Thume, Da steht eine Rosenblume, Rose roth wie Blut.
Es ist eine eigne Sache um die Schriftstellerey. Der Eine hat Glück in der 15 Ausübung derselben, der Andre hat Unglück. Das schlimmste Mißgeschick trifft vielleicht meinen armen Freund Heinrich Kitzler, Magister Artium zu Göttingen. Keiner dort ist so gelehrt, keiner so ideenreich, keiner so fleißig wie dieser Freund, und dennoch ist bis auf dieser Stunde noch kein Buch von ihm auf der Leipziger Messe zum Vorschein gekommen. Der alte Stiefel auf 20 der Bibliothek lächelte immer, wenn Heinrich Kitzler ihn um ein Buch bat, dessen er sehr bedürftig sey für ein Werk, welches er eben unter der Feder habe. Es wird noch lange unter der Feder bleiben I murmelte dann der alte Stiefel während er die Bücherleiter hinaufstieg. Sogar die Köchinnen lächelten, wenn sie auf der Bibliothek die Bücher abholten: „für den Kitzler." Der Mann galt 25 allgemein für einen Esel, und im Grunde war er nur ein ehrlicher Mann. Keiner kannte die wahre Ursache warum nie ein Buch von ihm herauskam, und nur durch Zufall entdeckte ich sie, als ich ihn einst um Mitternacht besuchte, um mein Licht bey ihm anzuzünden; denn er war mein Stubennachbar. Er hatte eben sein großes Werk über die Vortrefflichkeit des Christenthums 30 vollendet; aber er schien sich darob keineswegs zu freuen und betrachtete mit Wehmuth sein Manuscript. Nun wird dein Name doch endlich, sprach ich zu ihm, im Leipziger Meßkatalog unter den fertig gewordenen Büchern prangen! Ach nein, seufzte er aus tiefster Brust, auch dieses Werk werde ich ins Feuer
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werfen müssen, wie die vorigen . . . Und nun vertraute er mir sein schreckliches Geheimniß. Den armen Magister traf wirklich das schlimmste Mißgeschick, jedesmal wenn er ein Buch schrieb. Nachdem er nemlich für das Thema, das er beweisen wollte, alle seine Gründe entwickelt, glaubte er sich verpflichtet die Einwürfe, die etwa ein Gegner anführen könnte, ebenfalls mitzutheilen; er ergrübelte alsdann vom entgegengesetzten Standpunkte aus die scharfsinnigsten Argumente, und indem diese unbewußt in seinem Gemüthe Wurzel faßten, geschah es immer, daß, wenn das Buch fertig war, die Meinungen des armen Verfassers sich allmählig umgewandelt hatten, und eine dem Buche ganz entgegengesetzte Ueberzeugung in seinem Geiste erwachte. Er war alsdann auch ehrlich genug (wie ein französischer Schriftsteller ebenfalls handeln würde) den Lorbeer des literarischen Ruhmes auf dem Altare der Wahrheit zu opfern, d. h. sein Manuscript ins Feuer zu werfen. Darum seufzte er aus so tiefster Brust, als er die Vortrefflichkeit des Christenthums bewiesen hatte. Da habe ich nun, sprach er traurig, zwanzig Körbe Kirchenväter exzerpirt; da habe ich nun ganze Nächte am Studiertische gehockt und Akta Sanktorum gelesen, während auf deiner Stube Punsch getrunken und der Landesvater gesungen wurde; da habe ich nun für theologische Novitäten, deren ich zu meinem Werke bedurfte, 38 sauer erworbene Thaler an Vandenhoek et Rupprecht bezahlt, statt mir für das Geld einen Pfeifenkopf zu kaufen; da habe ich nun gearbeitet wie ein Hund seit zwey Jahren, zwey kostbaren Lebensjahren . . . und alles um mich lächerlich zu machen, um wie ein ertappter Prahler die Augen niederzuschlagen, wenn die Frau Kirchenräthinn Plank mich fragt: wann wird Ihre Vortrefflichkeit des Christenthums herauskommen? Ach! das Buch ist fertig, fuhr der arme Mann fort, und würde auch dem Publikum gefallen; denn ich habe den Sieg des Christenthums über das Heidenthum darinn verherrlicht und ich habe bewiesen, daß dadurch auch die Wahrheit und die Vernunft über Heucheley und Wahnsinn gesiegt. Aber, ich Unglückseligster, in tiefster Brust fühle ich daß — Sprich nicht weiter! rief ich mit gerechter Entrüstung, wage nicht, Verblendeter, das Erhabene zu schwärzen und das Glänzende in den Staub zu ziehn! Wenn du auch die Wunder des Evangeliums läugnen möchtest, so kannst du doch nicht läugnen, daß der Sieg des Evangeliums selber ein Wunder war. Eine kleine Schaar wehrloser Menschen drang in die große Römerwelt, trotzte ihren Schergen und Weisen, und triumphirte durch das bloße Wort. Aber welch ein Wort! Das morsche Heidenthum erbebte und krachte bey dem Worte dieser fremden Männer und Frauen, die ein neues Himmelreich ankündigten und nichts fürchteten auf der alten Erde, nicht die Tatzen der wilden Thiere, nicht den Grimm der noch wilderen Menschen,
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nicht das Schwert, nicht die Flamme . . . denn sie selber waren Schwert und Flamme, Flamme und Schwert Gottes! Dieses Schwert hat das welke Laub und dürre Reisig abgeschlagen von dem Baume des Lebens und dadurch geheilt von der einfressenden Fäulniß; diese Flamme hat den erstarrten Stamm wieder von innen erwärmt, daß frisches Laub und duftige Blüthen hervorsproßten . . . es ist die schauerlich erhabenste Erscheinung der Weltgeschichte dieses erste Auftreten des Christenthums, sein Kampf und sein vollkommener Sieg. Ich sprach diese Worte mit desto würdigerem Ausdruck, da ich an jenem Abend sehr viel eimbecker Bier zu mir genommen hatte, und meine Stimme desto volltönender erscholl. Heinrich Kitzler ließ sich aber dadurch keineswegs verblüffen, und mit einem ironisch schmerzlichen Lächeln sprach er: Bruderherz! gieb dir keine überflüssige Mühe. Alles was du jetzt sagst, habe ich selber, in diesem Manuscripte, weit besser und weit gründlicher aus einandergesetzt. Hier habe ich den verworfenen Weltzustand zur Zeit des Heidenthums aufs grellste ausgemalt, und ich darf mir schmeicheln, daß meine kühnen Pinselstriche an die Werke der besten Kirchenväter erinnern. Ich habe gezeigt, wie lasterhaft die Griechen und Römer geworden, durch das böse Beyspiel jener Götter, welche, nach den Schandthaten die man ihnen nachsagte, kaum würdig gewesen wären für Menschen zu gelten. Ich habe unumwunden ausgesprochen, daß sogar Jupiter, der oberste der Götter, nach dem königl. hannövrischen Criminalrechte, hundertmal das Zuchthaus, wo nicht gar den Galgen, verdient hätte. Dagegen habe ich die Moralsprüche, die im Evangelium vorkommen, gehörig paraphrasirt und gezeigt, wie, nach dem Muster ihres göttlichen Vorbilds, die ersten Christen, trotz der Verachtung und Verfolgung, welche sie dafür erduldeten, nur die schönste Sittenreinheit gelehrt und ausgeübt haben. Das ist die schönste Parthie meines Werks, wo ich begeisterungsvoll schildere, wie das junge Christenthum, der kleine David, mit dem alten Heidenthum in die Schranken tritt und diesen großen Goliath tödtet. Aber ach! dieser ZweyAch! alle kampf erscheint mir seitdem in einem sonderbaren Lichte Lust und Liebe für meine Apologie versiegte mir in der Brust, als ich mir lebhaft ausdachte, wie etwa ein Gegner den Triumph des Evangeliums schildern könnte. Zu meinem Unglück fielen mir einige neuere Schriftsteller, z. B. Edward Gibbon, in die Hände, die sich eben nicht besonders günstig über jenen Sieg aussprachen und nicht sehr davon erbaut schienen, daß die Christen, wo das geistige Schwert und die geistige Flamme nicht hinreichten, zu dem weltlichen Schwert und der weltlichen Flamme ihre Zuflucht nahmen. Ja, ich muß gestehen, daß mich endlich für die Reste des Heidenthums, jene
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schönen Tempel und Statuen, ein schauerliches Mitleid anwandelte; denn sie gehörten nicht mehr der Religion, die schon lange, lange vor Christi Geburt, todt war, sondern sie gehörten der Kunst, die da ewig lebt. Es trat mir einst feucht in die Augen, als ich zufällig auf der Bibliothek „die Schutzrede für die Tempel" las, worinn der alte Grieche Libanius die frommen Barbaren aufs Schmerzlichste beschwor, jene theuren Meisterwerke zu schonen, womit der bildende Geist der Helenen die Welt verziert hatte. Aber vergebens! Jene Denkmäler einer Frühlingsperiode der Menschheit, die nie wiederkehren wird und die nur einmal hervorblühen konnte, gingen unwiederbringlich zu Grunde, durch den schwarzen Zerstörungseifer der Christen Nein, fuhr der Magister fort in seiner Rede, ich will nicht nachträglich, durch Herausgabe dieses Buches, Theil nehmen an solchem Frevel, nein, das will ich nimmermehr . . . Und Euch, Ihr zerschlagenen Statuen der Schönheit, Euch Ihr Mahnen der todten Götter, Euch die Ihr nur noch liebliche Traumbilder seyd im Schattenreiche der Poesie, Euch opfere ich dieses Buch! Bey diesen Worten warf Heinrich Kitzler sein Manuscript in die Flammen des Kamines, und von der Vortrefflichkeit des Christenthums blieb nichts übrig als graue Asche. — Dieses geschah zu Göttingen im Winter 1820, einige Tage vor jener verhängnißvollen Neujahrsnacht, wo der Pedell Doris die fürchterlichsten Prügel bekommen und zwischen der Burschenschaft und den Landsmannschaften fünf und achtzig Duelle kontrahirt wurden. Es waren fürchterliche Prügel, die damals, wie ein hölzerner Platzregen, auf den breiten Rücken des armen Pedells herabfielen. Aber als guter Christ tröstete ersichmitderUeberzeugung, daß wir dort oben im Himmel einst entschädigt werden für die Schmerzen, die wir unverdienterweise hienieden erduldet haben. Das ist nun lange her. Der alte Doris hat längst ausgeduldet und schlummert in seiner friedlichen Ruhestätte vor dem Weender Thore. Die zwey großen Partheyen, die einst die Wahlplätze von Bovden, Ritschenkrug und Rasenmühle mit dem Schwertergeklirr ihrer Polemik erfüllten, haben längst, im Gefühl ihrer gemeinschaftliehen Nichtigkeit, aufs zärtlichste Brüderschaft getrunken; und auf den Schreiber dieser Blätter hat ebenfalls das Gesetz der Zeit seinen mächtigen Einfluß geübt. In meinem Hirne gaukeln minder heitere Farben als damals, und mein Herz ist schwerer geworden; wo ich einst lachte, weine ich jetzt, und ich verbrenne mit Unmuth die Altarbilder meiner ehemaligen Andacht. Es gab eine Zeit, wo ich jedem Kapuziner, dem ich auf der Straße begegnete, gläubig die Hand küßte. Ich war ein Kind, und mein Vater ließ mich ruhig gewähren, wohl wissend, daß meine Lippen sich nicht immer mit Kapuzinerfleisch begnügen würden. Und in der That, ich wurde größer und küßte
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schöne Frauen . . . Aber sie sahen mich manchmal an mit so bleichem Schmerze, und ich erschrak in den Armen der F r e u d e . . . Hier war ein Unglück verborgen, das niemand sah und woran jeder litt; und ich dachte drüber nach. Ich habe auch drüber nachgedacht; ob Entbehrung und Entsagung wirklich 5 allen Genüssen dieser Erde vorzuziehen sey, und ob diejenigen, die hienieden sich mit Disteln begnügt haben, dort oben desto reichlicher mit Ananassen gespeist werden? Nein, wer Disteln gegessen, war ein Esel; und wer die Prügel bekommen hat, der behält sie. Armer Doris 1 Doch es ist mir nicht erlaubt mit bestimmten Worten hier von allen den 10 Dingen zu reden, worüber ich nachgedacht, und noch weniger ist es mir erlaubt die Resultate meines Nachdenkens mitzutheilen. Werde ich mit verschlossenen Lippen ins Grab hinabsteigen müssen, wie so manche andere? Nur einige banale Thatsachen sind mir vielleicht vergönnt hier anzuführen, um den Fabeleyen, die ich kompilire, einige Vernünftigkeit oder wenigstens 15 den Schein derselben einzuweben. Jene Thatsachen beziehen sich nemlich auf den Sieg des Christenthums über das Heidenthum. Ich bin gar nicht der Meinung meines Freundes Kitzler, daß die Bilderstürmerey der ersten Christen so bitter zu tadeln sey; sie konnten und durften die alten Tempel und Statuen nicht schonen, denn in diesen lebte noch jene alte griechische Heiterkeit, jene 20 Lebenslust, die dem Christen als Teufelthum erschien. In diesen Statuen und Tempeln sah der Christ nicht bloß die Gegenstände eines fremden Cultus, eines nichtigen Irrglaubens, dem alle Realität fehle: sondern diese Tempel hielt er für die Burgen wirklicher Dämonen, und den Göttern, die diese Statuen darstellten, verlieh er eine unbestrittene Existenz; sie waren nemlich 25 lauter Teufel. Wenn die ersten Christen sich weigerten vor den Bildsäulen der Götter zu knien und zu opfern, und deßhalb angeklagt und vor Gericht geschleppt wurden, antworteten sie immer: sie dürften keine Dämonen anbeten! Sie erduldeten lieber das Martyrthum, als daß sie vor dem Teufel Jupiter, oder vor der Teufelinn Diana, oder gar vor der Erzteufelinn Venus 30 irgend einen Akt der Verehrung vollzogen. Arme, griechische Philosophen! Sie konnten diesen Widerspruch niemals begreifen, wie sie auch späterhin niemals begriffen, daß sie in ihrer Polemik mit den Christen keineswegs die alte erstorbene Glaubenslehre, sondern weit lebendigere Dinge zu vertheidigen hatten. Es galt nemlich nicht die tiefere 35 Bedeutung der Mythologie durch neoplatonische Spitzfindigkeiten zu beweisen, den erstorbenen Göttern ein neues symbolisches Lebensblut zu infusiren und sich mit den plumpen, materiellen Einwürfen der ersten Kirchenväter, die besonders über den moralischen Charakter der Götter fast voltairisch spotteten, tagtäglich abzuquälen: es galt vielmehr den Helenismus
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selbst, griechische Gefühls- und Denkweise, zu vertheidigen und der Ausbreitung des Judaismus, der judäischen Gefühls- und Denkweise, entgegenzuwirken. Die Frage war: ob der trübsinnige, magere, sinnenfeindliche, übergeistige Judaismus der Nazarener, oder ob helenische Heiterkeit, Schönheitsliebe und blühende Lebenslust in der Welt herrschen solle? Jene schönen 5 Götter waren nicht die Hauptsache; niemand glaubte mehr an die ambrosiaduftenden Bewohner des Olymps, aber man amüsirte sich göttlich in ihren Tempeln, bey ihren Festspielen, Mysterien; da schmückte man das Haupt mit Blumen, da gab es feyerlich holde Tänze, da lagerte man sich zu freudigen Mahlen . . . wo nicht gar zu noch süßeren Genüssen. 10 All diese Lust, all dieses frohe Gelächter ist längst verschollen, und in den Ruinen der alten Tempel wohnen, nach der Meinung des Volkes noch immer die altgriechischen Gottheiten, aber sie haben durch den Sieg Christi all ihre Macht verloren, sie sind arge Teufel, die sich am Tage, unter Eulen und Kröten, in den dunkeln Trümmern ihrer ehemaligen Herrlichkeit versteckt 15 halten, des Nachts aber in liebreizender Gestalt emporsteigen, um irgend einen arglosen Wandrer oder verwegenen Gesellen zu bethören und zu verlocken. Auf diesen Volksglauben beziehen sich nun die wunderbarsten Sagen, und neuere Poeten schöpften hier die Motive ihrer schönsten Dichtungen. Der 20 Schauplatz ist gewöhnlich Italien und der Held derselben irgend ein deutscher Ritter, der wegen seiner jungen Unerfahrenheit, oder auch seiner schlanken Gestalt wegen, von den schönen Unholden mit besonders lieblichen Listen umgarnt wird. Da geht er nun, an schönen Herbsttagen, mit seinen einsamen Träumen spatzieren, denkt vielleicht an die heimischen Eichenwälder und an 25 das blonde Mädchen, das er dort gelassen, der leichte Fant! Aber plötzlich steht er vor einer marmornen Bildsäule, bey deren Anblick er fast betroffen stehen bleibt. Es ist vielleicht die Göttinn der Schönheit, und er steht ihr Angesicht zu Angesicht gegenüber, und das Herz des jungen Barbaren wird heimlich ergriffen von dem alten Zauber. Was ist das ? So schlanke Glieder hat 30 er noch nie gesehen, und in diesem Marmor ahndet er ein lebendigeres Leben, als er jemals in den rothen Wangen und Lippen, in der ganzen Fleischlichkeit seiner Landsmänninnen gefunden hat. Diese weißen Augen sehen ihn so wollüstig an, und doch zugleich so schauerlich schmerzvoll, daß seine Brust erfüllt wird von Liebe und Mitleid, Mitleid und Liebe. Er geht nun öfter 35 spatzieren unter den alten Ruinen, und die Landsmannschaft ist verwundert, daß man ihn fast gar nicht mehr sieht bey Trinkgelagen und Waffenspielen. Es gehen kuriose Gerüchte über sein Treiben unter den Trümmern des Heidenthums. Aber eines Morgens stürzt er, mit bleichem verzerrten Antlitz,
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in die Herberge, berichtet die Zehrung, schnürt seinen Ranzen, und eilt zurück über die Alpen. Was ist ihm begegnet? Es heißt, daß er eines Tages später als gewöhnlich, als schon die Sonne unterging, nach seinen geliebten Ruinen wanderte, aber, ob der einbrechenden 5 Finsterniß, jenen Ort nicht finden konnte, wo er die Bildsäule der schönen Göttinn stundenlang zu betrachten pflegte. Nach langem Umherirren, als es schon Mitternacht seyn mochte, befand er sich plötzlich vor einer Villa, die er in dortiger Gegend früherhin nie gesehen hatte, und er war nicht wenig verwundert, als Bediente mit Fackeln heraustraten, und ihn im Namen ihrer io Gebieterinn einluden, dort zu übernachten. Wie groß aber war sein Erstaunen, als er in einen weiten, erleuchteten Saal tretend eine Dame erblickte, die dort ganz allein auf und nieder wandelte und an Gestalt und Gesichtszügen mit der schönen Statue seiner Liebe die auffallendste Aehnlichkeit hatte. Ja, sie glich jenem Marmorbild um so mehr, da sie ganz in blendend weißem Mußlin 15 gekleidet ging und ihr Antlitz außerordentlich bleich war. Als der Ritter, mit sittigem Verneigen, ihr entgegentrat, betrachtete sie ihn lange ernst und schweigend, und fragte ihn endlich lächelnd: ob er hungrig sey? Obgleich nun dem Ritter das Herz in der Brust bebte, so hatte er doch einen deutschen Magen, in Folge des stundenlangen Umherirrens sehnte er sich wirklich nach 20 einer Atzung, und er ließ sich gern von der schönen Dame nach dem Speisesaal führen. Sie nahm ihn freundlich bey der Hand und er folgte ihr durch hohe, hallende Gemächer, die, trotz aller Pracht, eine unheimliche Oede verriethen. Die Girandolen warfen ein so gespenstisch fahles Licht auf die Wände, deren bunte Fresken allerley heidnische Liebesgeschichten, z. B. Paris und 25 Helena, Diana und Endymion, Calypso und Ulysses, darstellten. Die großen, abentheuerlichen Blumen, die in Marmorvasen längs den Fenstergeländern standen, waren von so beängstigend üppigen Bildungen, und dufteten so leichenhaft, so betäubend. Dabey seufzte der Wind in den Kaminen wie ein leidender Mensch. Im Speisesaale setzte sich endlich die schöne Dame dem 30 Ritter gegenüber, kredenzte ihm den Wein und reichte ihm lächelnd die besten Bissen. Mancherley, bey diesem Abendmahle, mochte dem Ritter wohl befremdlich dünken. Als er um Salz bat, dessen auf dem Tische fehlte, zuckte ein fast häßlicher Unmuth über das weiße Angesicht der schönen Frau, und erst nach wiederholtem Verlangen, ließ sie endlich mit sichtbarer Verdrießlich35 keit, von den Dienern das Salzfaß herbeyholen. Diese stellten es mit zitternden Händen auf den Tisch und verschütteten schier die Hälfte des Inhalts. Doch der gute Wein, der wie Feuer in die Kehle des Ritters hinabglühte, beschwichtigte das geheime Grauen, das ihn manchmal anwandelte; ja, er wurde allmählich zutraulich und lüsternen Muthes, und als ihn die schöne Dame frug: ob er
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wisse was Liebe sey? da antwortete er ihr mit flammenden Küssen. Trunken von Liebe, vielleicht auch von süßem Wein, entschlief er bald an der Brust seiner zärtlichen Wirthinn. Doch wüste Träume schwirrten ihm durch den Sinn; grelle Nachtgesichte, wie sie uns im wahnwitzigen Halbschlafe eines Nervenfiebers zu beschleichen pflegen. Manchmal glaubte er seine alte Großmutter zu sehen, die daheim auf dem rothen Lehnsessel saß und mit hastigbewegten Lippen betete. Manchmal hörte er ein höhnisches Kichern, und das kam von den großen Fledermäusen, die, mit Fackeln in den Krallen, um ihn her flatterten; als er sie genauer betrachtete, wollte es ihm jedoch dünken, es seyen die Bedienten, die ihm bey Tische aufgewartet hatten. Zuletzt träumte ihm, seine schöne Wirthinn habe sich plötzlich in ein häßliches Ungethüm verwandelt, und er selber, in rascher Todesangst, habe zu seinem Schwerte gegriffen und ihr damit das Haupt vom Rumpfe abgeschlagen. — Erst spät morgens, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, erwachte der Ritter aus seinem Schlafe. Aber statt in der prächtigen Villa, worinn er übernachtet zu haben vermeinte, befand er sich inmitten der wohlbekannten Ruinen, und mit Entsetzen sah er, daß die schöne Bildsäule, die er so sehr liebte, von ihrem Postamente heruntergefallen war, und ihr abgebrochenes Haupt zu seinen Füßen lag. Einen ähnlichen Charakter trägt die Sage von dem jungen Ritter, der, als er einst, in einer Villa bey Rom, mit einigen Freunden Ball schlug, seinen Ring, der ihm bey diesem Spiele hinderlich wurde, von seiner Hand abzog, und damit er nicht verloren gehe, an den Finger eines Marmorbildes steckte. Als aber der Ritter, nachdem das Spiel beendigt war, zu der Statue, die eine heidnische Göttinn vorstellte, zurückkehrte, sah er mit Schrecken, daß das marmorne Weib den Finger, woran er seinen Ring gesteckt hatte, nicht mehr grade wie vorher, sondern ganz eingebogen hielt, so daß es ihm unmöglich war, den Ring wieder von ihrem Finger abzuziehen, ohne ihr die Hand zu zerbrechen; welches ihm doch ein seltsames Mitgefühl nicht erlaubte. Er ging zu seinen Spielgenossen, um ihnen dieses Wunder zu berichten, und lud sie ein, sich mit eignen Augen davon zu überzeugen. Doch als er mit seinen Freunden zurückkehrte, hielt das Marmorbild den Finger wieder grade ausgestreckt wie gewöhnlich, und der Ring war verschwunden. Einige Zeit nach jenem Ereigniß beschloß der Ritter in den heiligen Ehestand zu treten und er feyerte seine Hochzeit. Doch in der Brautnacht, als er eben zu Bette gehen wollte, trat zu ihm ein Weibsbild, welches der oberwähnten Statue ganz ähnlich war an Gestalt und Antlitz, und sie behauptete: dadurch daß er seinen Ring an ihren Finger gesteckt, habe er sich ihr anverlobt und er gehöre ihr als rechtmäßiger Gemahl. Vergebens sträubte sich der Ritter gegen diesen Einspruch; jedesmal
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wenn er sich seiner Anvermählten nahen wollte, trat das heidnische Weibsbild zwischen ihm und ihr, so daß er in jener Nacht auf alle Bräutigamsfreuden verzichten mußte. Dasselbe geschah in der zweiten Nacht, so wie auch in der dritten, und der Ritter ward sehr trübsinnig gestimmt. Keiner wußte ihm zu 5 helfen und selbst die frömmsten Leute zuckten die Achsel. Endlich aber hörte er von einem Priester Namens Palumnus, der sich gegen heidnischen Satansspuk schon öfter sehr hülfsam erwiesen. Dieser ließ sich lange erbitten, ehe er dem Ritter seinen Beystand versprach; er müsse dadurch, behauptete er, sich selber den größten Gefahren aussetzen. Der Priester Palumnus schrieb alsdann io einige sonderbare Charaktere auf ein kleines Stück Pergament und gab dem Ritter folgende Weisung: er solle sich um Mitternacht in der Gegend von Rom an einen gewissen Kreuzweg stellen; dort würden ihm allerley wunderbare Erscheinungen vorüberziehen; doch möge er sich von allem was er höre und sähe nicht im mindesten verschüchtern lassen, er müsse ruhig verharren; 15 nur wenn er das Weibsbild erblicke, an deren Finger er seinen Ring gesteckt, solle er hinzutreten und ihr das beschriebene Stück Pergament überreichen. Dieser Vorschrift unterzog sich der Ritter; aber nicht ohne Herzklopfen stand er um Mitternacht am bezeichneten Kreuzwege, wo er den seltsamen Zug vorüberziehen sah. Es waren blasse Männer und Frauen, prächtig gekleidet 20 in Festgewanden aus der Heidenzeit; einige trugen goldene Kronen, andere trugen Lorbeerkränze auf den Häuptern, die sie aber kummervoll senkten; auch allerley silberne Gefäße, Trinkgeschirre und Geräthschaften, die zum alten Tempeldienste gehörten, wurden vorübergetragen, mit ängstlicher Eile; im Gewühle zeigten sich auch große Stiere mit vergoldeten Hörnern und 25 behängt mit Blumenguirlanden; endlich, auf einem erhabenen Triumphwagen, strahlend in Purpur, und mit Rosen bekränzt, erschien ein hohes, wunderschönes Götterweib. Zu dieser trat nun der Ritter heran und überreichte ihr das Pergamentblatt des Priesters Palumnus; denn in ihr erkannte er das Marmorbild, das seinen Ring besaß. Als die Schöne die Zeichen erblickte, womit jenes 30 Pergament beschrieben war, hub sie jammernd die Hände gen Himmel, Thränen stürzten aus ihren Augen, und mit verzweiflungsvoller Gebährde rief sie: „grausamer Priester Palumnus! du bist noch immer nicht zufrieden mit dem Leid das du uns zugefügt hast! Doch deinen Verfolgungen wird bald ein Ziel gesetzt, grausamer Priester Palumnus!" Nach diesen Worten reichte sie 35 dem Ritter seinen Ring und dieser fand in der folgenden Nacht kein Hinderniß mehr seine Ehe zu vollziehen. Der Priester Palumnus aber starb den dritten Tag nach jenem Ereigniß. Diese Geschichte las ich zuerst in dem Möns Veneris von Kornmann. Unlängst fand ich sie auch angeführt in dem absurden Buche über Zauberey
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von Del-Rio, welcher sie aus dem Werke eines Spaniers mittheilt; sie ist wahrscheinlich spanischen Ursprungs. Der Freyherr von Eichendorf, ein neuerer deutscher Schriftsteller, hat sie zu einer schönen Erzählung aufs anmuthigste benutzt. Die vorletzte Geschichte hat ebenfalls ein deutscher Schriftsteller, Herr Willibald Alexis, zu einer Novelle bearbeitet, die zu seinen poetisch 5 geistreichsten Produkten gehört. Das oben erwähnte Werk von Kornmann, Möns Veneris, oder der VenusBerg, ist die wichtigste Quelle für das ganze Thema, welches ich hier behandle. Es ist schon lange her, daß es mir mal zu Augen gekommen, und nur aus früherer Erinnerung kann ich darüber berichten. Aber es schwebt mir noch 10 immer im Gedächtniß, das kleine etwa dritthalbhundert Seiten enthaltende Büchlein, mit seinen lieblichen alten Lettern; es mag wohl um die Mitte des i7ten Jahrhunderts gedruckt seyn. Die Lehre von den Elementargeistern ist darinn aufs bündigste abgehandelt, und daran schließt der Verfasser seine wunderbaren Mittheilungen über den Venus-Berg. Eben nach dem Beyspiele 15 Kornmanns, habe auch ich bey Gelegenheit der Elementargeister von der Transformazion der altheidnischen Götter sprechen müssen. Diese sind keine Gespenster, denn, wie ich mehrmals angeführt, sie sind nicht todt; sie sind urerschaffene, unsterbliche Wesen, die nach dem Siege Christi, sich zurückziehen mußten in die unterirdische Verborgenheit, wo sie mit den übrigen 20 Elementargeistern zusammenhausend, ihre dämonische Wirthschaft treiben. Am eigenthümlichsten, romantisch wunderbar, klingt im deutschen Volke die Sage von der Göttinn Venus, die, als ihre Tempel gebrochen wurden, sich in einen geheimen Berg flüchtete, wo sie mit dem heitersten Luftgesindel, mit schönen Wald- und Wassernymphen, auch manchen berühmten Helden, die 25 plötzlich aus der Welt verschwunden, das abentheuerlichste Freudenleben führt. Schon von weitem, wenn du dem Berge nahest, hörst du das vergnügte Lachen und die süßen Cytherklänge, die sich wie eine unsichtbare Kette um dein Herz schlingen, und dich hineinziehen in den Berg. Zum Glück, unfern des Eingangs, hält Wache ein alter Ritter, geheißen der getreue Eckhart; er 30 steht gestützt auf seinem großen Schlachtschwert, wie eine Bildsäule, aber sein ehrliches eisgraues Haupt wackelt beständig und er warnt dich betrübsam vor den zärtlichen Gefahren die deiner im Berge harren. Mancher ließ sich noch bey Zeiten zurückschrecken, Mancher hingegen überhörte die meckernde Stimme des alten Warners, und stürzte blindlings in den Abgrund der ver- 35 dämmten Lust. Eine Weile lang gehts gut. Aber der Mensch ist nicht immer aufgelegt zum Lachen, er wird manchmal still und ernst, und denkt zurück in die Vergangenheit; denn die Vergangenheit ist die eigentliche Heimath seiner Seele, und es erfaßt ihn ein Heimweh nach den Gefühlen die er einst empfun-
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den hat, und seyen es auch Gefühle des Schmerzes. So erging es namentlich dem Tannhäuser, nach dem Berichte eines Liedes, das zu den merkwürdigsten Sprachdenkmalen gehört, die sich im Munde des deutschen Volkes erhalten. Ich las das Lied zuerst in dem erwähnten Werke von Kornmann. Diesem hat 5 es Prätorius fast wörtlich entlehnt, aus dem „Blocksberg" von Prätorius haben es die Sammler des „Wunderhorns" abgedruckt, und erst nach einer vielleicht fehlerhaften Abschrift aus letzterem Buche muß ich das Lied hier mittheilen:
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Nun will ich aber heben an, Vom Tannhäuser wollen wir singen, Und was er Wunders hat gethan, Mit Frau Venussinnen. Der Tannhäuser war ein Ritter gut, Er wollt' groß Wunder schauen; Da zog er in Frau Venus Berg, Zu andern schönen Frauen. „Herr Tannhäuser, Ihr seyd mir lieb, Daran sollt Ihr gedenken, Ihr habt mir einen Eid geschworen, Ihr wollt nicht von mir wanken."
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„„Frau Venus, ich hab' es nicht gethan, Ich will dem widersprechen, Denn niemand spricht das mehr als Ihr, Gott helf mir zu den Rechten."" „Herr Tannhäuser, wie saget Ihr mir! Ihr sollet bey uns bleiben, Ich geb Euch meiner Gespielen ein, Zu einem ehelichen Weibe." „„Nehme ich dann ein ander Weib, Als ich hab' in meinem Sinne, So muß ich in der Höllengluth, Da ewiglich verbrennen."" „Du sagst mir viel von der Höllengluth, Du hast es doch nicht befunden; Gedenk' an meinen rothen Mund, Der lacht zu allen Stunden."
Elementargeister „„Was hilft mir Euer rother Mund, Er ist mir gar unmehre, Nun gieb mir Urlaub, Frau Venus zart, Durch aller Frauen Ehre."" „Herr Tannhäuser wollt Ihr Urlaub han, Ich will Euch keinen geben; Nun bleibet edler Tannhäuser zart, Und frischet Euer Leben." „„Mein Leben ist schon worden krank, Ich kann nicht länger bleiben, Gebt mir Urlaub, Fraue zart, Von Eurem stolzen Leibe."" „Herr Tannhäuser nicht sprecht also, Ihr seyd nicht wohl bey Sinnen, Nun laßt uns in die Kammer gehn, Und spielen der heimlichen Minnen." „„Eure Minne ist mir worden leid; Ich hab' in meinem Sinne, O Venus, edle Jungfrau zart, Ihr seyd eine Teufelinne." " „Tannhäuser, ach, wie sprecht Ihr so, Bestehet Ihr mich zu schelten? Sollt' Ihr noch länger bey uns seyn, Des Worts müßt Ihr entgelten. Tannhäuser wollt Ihr Urlaub han, Nehmt Urlaub von den Greisen, Und wo Ihr in dem Land umfahren, Mein Lob das sollt Ihr preisen." Der Tannhäuser zog wieder aus dem Berg, In Jammer und in Reuen: Ich will gen Rom in die fromme Stadt, All auf den Pabst vertrauen. Nun fahr' ich fröhlich auf die Bahn, Gott muß es immer walten, Zu einem Pabst, der heißt Urban, Ob er mich wolle behalten.
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„Herr Pabst, Ihr geistlicher Vater mein, Ich klag' Euch meine Sünde, Die ich mein Tag begangen hab', Als ich Euch will verkünden; Ich bin gewesen ein ganzes Jahr, Bey Venus einer Frauen, Nun will ich Beicht' und Büß empfahn, Ob ich möcht' Gott anschauen." Der Pabst hat einen Stecken weiß, Der war von dürrem Zweige: „ „Wann dieser Stecken Blätter trägt, Sind dir deine Sünden verziehen."" „Sollt ich leben nicht mehr denn ein Jahr, Ein Jahr auf dieser Erden, So wollt ich Reu' und Büß empfahn, Und Gottes Gnad' erwerben." Da zog er wieder aus der Stadt, In Jammer und in Leiden: Maria Mutter, reine Magd, Muß ich mich von dir scheiden, So zieh' ich wieder in den Berg, Ewiglich und ohne Ende, Zu Venus meiner Frauen zart, Wohin mich Gott will senden. „Seyd willkommen, Tannhäuser gut, Ich hab' Euch lang entbehret, Willkommen seyd, mein liebster Herr, Du Held mir treu bekehret." Darnach wohl auf den dritten Tag, Der Stecken hub an zu grünen, Da sandt' man Boten in alle Land, Wohin der Tannhäuser kommen. Da war er wieder in dem Berg, Darinnen sollt er nun bleiben, So lang bis an den jüngsten Tag, Wo ihn Gott will hinweisen.
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Das soll nimmer kein Priester thun, Dem Menschen Mißtrost geben, Will er denn Büß' und Reu empfahn, Die Sünde sey ihm vergeben. Ich erinnere mich, als ich zuerst dieses Lied las, in dem erwähnten Buche 5 von Kornmann, überraschte mich zunächst der Contrast seiner Sprache mit der pedantisch verlateinisirten, unerquicklichen Schreibart des xyten Jahrhunderts, worin das Buch abgefaßt. Es war mir als hätte ich in einem dumpfen Bergschacht plötzlich eine große Goldader entdeckt, und die stolzeinfachen, urkräftigen Worte strahlten mir so blank entgegen, daß mein Herz fast 10 geblendet wurde von dem unerwarteten Glanz. Ich ahnte gleich, aus diesem Liede sprach zu mir eine wohlbekannte Freudenstimme; ich vernahm darinn die Töne jener verketzerten Nachtigallen, die, während der Passionszeit des Mittelalters, mit gar schweigsamen Schnäblein sich versteckt halten mußten, und nur zuweilen, wo man sie am wenigsten vermuthete, etwa gar hinter einem ij Klostergitter, einige jauchzende Laute hervorflattern ließen. Kennst du die Briefe von Heloise an Abelard? Nächst dem hohen Liede des großen Königs (ich spreche nicht von König Ludwig, sondern im Gegentheil von König Salomo) kenne ich keinen flammenderen Gesang der Zärtlichkeit, als das Zweygespräch zwischen Frau Venus und dem Tannhäuser. Dieses Lied ist wie 20 eine Schlacht der Liebe und es fließt darinn das rotheste Herzblut. Das eigentliche Alter des Tannhäuserlieds wäre schwer zu bestimmen. Es existirt schon in fliegenden Blättern vom ältesten Druck. Ein junger deutscher Dichter, Herr Bechstein, welcher sich freundlichst in Deutschland daran erinnerte, daß, als ich ihn in Paris bey meinem Freunde Wolf sah, jene alten 25 fliegenden Blätter das Thema unserer Unterhaltung bildeten, hat mir dieser Tage eins derselben, betitelt „das Lied von dem Danheüser" zugeschickt. Nur die größere Alterthümüchkeit der Sprache hielt mich davon ab, an der Stelle der obigen jüngeren Version, diese ältere mitzutheilen. Die ältere enthält viele Abweichungen und trägt, nach meinem Bedünken, einen weit poetischeren 30 Charakter. Durch Zufall erhielt ich ebenfalls unlängst eine Bearbeitung desselben Liedes, wo kaum der äußere Rahmen der älteren Versionen beybehalten worden, die inneren Motive jedoch aufs sonderbarste verändert sind. In seiner älteren Gestalt ist das Gedicht unstreitig viel schöner, einfacher und großartiger. Nur 3J eine gewisse Wahrheit des Gefühls hat die erwähnte jüngere Version mit demselben gemein und da ich gewiß das einzige Exemplar besitze, das davon existirt, so will ich auch diese hier mittheilen: 9
Heine, Bd.[ 9
Elementargeister Ihr guten Christen laßt Euch nicht Von Satans List umgarnen! Ich sing' Euch das Tannhäuserlied Um Eure Seelen zu warnen. Der edle Tannhäuser, ein Ritter gut, Wollt' Lieb' und Lust gewinnen, Da zog er in den Venusberg, Blieb sieben Jahre drinnen. „Frau Venus, meine schöne Frau, Leb wohl, mein holdes Leben! Ich will nicht länger bleiben bey dir, Du sollst mir Urlaub geben." „ „Tannhäuser, edler Ritter mein, Hast heut mich nicht geküsset; Küss' mich geschwind, und sage mir: Was du bey mir vermisset? Hab' ich nicht den allersüßesten Wein Tagtäglich dir kredenzet? Und hab' ich nicht mit Rosen dir Tagtäglich das Haupt bekränzet?"" „Frau Venus, meine schöne Frau, Von süßem Wein und Küssen Ist meine Seele worden krank; Ich schmachte nach Bitternissen. Wir haben zuviel gescherzt und gelacht, Ich sehne mich nach Thränen, Und statt mit Rosen möcht' ich mein Haupt Mit spitzigen Dornen krönen." „„Tannhäuser, edler Ritter mein, Du willst dich mit mir zanken; Du hast geschworen viel tausendmal, Niemals von mir zu wanken. Komm laß uns in die Kammer gehn, Zu spielen der heimlichen Minne; Mein schöner liljenweißer Leib Erheitert deine Sinne.""
Elementargeister „Frau Venus, meine schöne Frau, Dein Reiz wird ewig blühen; Wie viele einst für dich geglüht, So werden noch viele glühen. Doch denk' ich der Götter und Helden die einst Sich zärtlich daran geweidet, Dein schöner liljenweißer Leib, Er wird mir schier verleidet. Dein schöner liljenweißer Leib Erfüllt mich fast mit Entsetzen, Gedenk' ich, wie viele werden sich Noch späterhin dran ergetzen!" „„Tannhäuser, edler Ritter mein, Das sollst du mir nicht sagen, Ich wollte lieber du schlügest mich, Wie du mich oft geschlagen. Ich wollte lieber du schlügest mich, Als daß du Beleidigung sprächest; Und mir, undankbar kalter Christ, Den Stolz im Herzen brächest. Weil ich dich geliebet gar zu sehr, Nun hör' ich solche Worte — Leb wohl, ich gebe Urlaub dir, Ich öffne dir selber die Pforte.""
Zu Rom, zu Rom, in der heiligen Stadt, Da singt es und klingelt und läutet; Da zieht einher die Prozession, Der Pabst in der Mitte schreitet. Das ist der fromme Pabst Urban, Er trägt die dreyfache Krone, Er trägt ein rothes Purpurgewand, Die Schleppe tragen Barone.
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heiiger Vater, Pabst Urban, laß dich nicht von der Stelle, hörst zuvor mir Beichte an, rettest mich von der Hölle!"
Das Volk es weicht im Kreise zurück, Es schweigen die geistlichen Lieder: Wer ist der Pilger bleich und wüst, Vor dem Pabste kniet er nieder? „O heiiger Vater, Pabst Urban, Du kannst ja binden und lösen, Errette mich von der Höllenqual Und von der Macht des Bösen. Ich bin der edle Tannhäuser genannt, Wollt Lieb und Lust gewinnen, Da zog ich in den Venusberg, Blieb sieben Jahre drinnen. Frau Venus ist eine schöne Frau, Liebreizend und anmuthreiche; Die Stimme ist wie Blumenduft, Wie Blumenduft so weiche. Wie der Schmetterling flattert um eine Blum', Den zarten Duft zu nippen, So flatterte meine Seele stets Um ihre Rosenlippen.
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Ihr edles Gesicht umringein wild Die blühend schwarzen Locken; Schau'n dich die großen Augen an, Wird dir der Athem stocken. Schau'n dich die großen Augen an, So bist du wie angekettet; Ich habe nur mit großer Noth Mich aus dem Berg gerettet. Ich hab' mich gerettet aus dem Berg, Doch stets verfolgen die Blicke Der schönen Frau mich überall, Sie winken: komm' zurücke 1
Elementargeister Ein armes Gespenst bin ich am Tag, Des Nachts mein Leben erwachet, Dann träum' ich von meiner schönen Frau, Sie sitzt bey mir und lachet. Sie lacht so gesund, so glücklich, so toll, Und mit so weißen Zähnen! Wenn ich an dieses Lachen denk', So weine ich plötzliche Thränen. Ich liebe sie mit Allgewalt, Nichts kann die Liebe hemmen! Das ist wie ein wilder Wasserfall; Du kannst seine Fluten nicht dämmen; Er springt von Klippe zu Klippe herab, Mit lautem Tosen und Schäumen, Und bräch' er tausendmal den Hals, Er wird im Laufe nicht säumen. Wenn ich den ganzen Himmel besaß', Frau Venus schenkt' ich ihn gerne; Ich gäb' ihr die Sonne, ich gäb' ihr den Mond, Ich gäbe ihr sämmtliche Sterne. Ich liebe sie mit Allgewalt, Mit wildentzügelten Flammen — Ist das der Hölle Feuer schon, Und wird mich Gott verdammen? O, heiiger Vater, Pabst Urban, Du kannst ja binden und lösen! Errette mich von der Höllenqual Und von der Macht des Bösen." Der Pabst hub jammernd die Händ' empor, Hub jammernd an zu sprechen: „Tannhäuser, unglückseiger Mann, Der Zauber ist nicht zu brechen. Der Teufel, den man Venus nennt, Er ist der schlimmste von allen, Erretten kann ich dich nimmermehr Aus seinen schönen Krallen.
Elementargeister Mit deiner Seele mußt du jetzt Des Fleisches Lust bezahlen, D u bist verworfen, du bist verdammt Z u ewigen Höllenqualen."
Der Ritter Tannhäuser er wandelt so rasch, Die Füße die wurden ihm wunde. E r kam zurück in den Venusberg Wohl um die Mitternachtstunde. Frau Venus erwachte aus dem Schlaf, Ist schnell aus dem Bette gesprungen; Sie hat mit ihrem weißen Arm Den geliebten Mann umschlungen. Aus ihrer Nase rann das Blut, Den Augen die Thränen entflossen; Sie hat mit Thränen und Blut das Gesicht Des geliebten Mannes begossen. Der Ritter legte sich in's Bett, Er hat kein Wort gesprochen. Frau Venus in die Küche ging, Um ihm eine Suppe zu kochen. Sie gab ihm Suppe, sie gab ihm Brod, Sie wusch seine wunden Füße, Sie kämmte ihm das struppige Haar, Und lachte dabey so süße. Tannhäuser, edler Ritter mein, Bist lange ausgeblieben, Sag an, in welchen Landen du dich So lange herumgetrieben? „Frau Venus, meine schöne Frau, Ich hab' in Welschland verweilet; Ich hatte Geschäfte in Rom, und bin Schnell wieder hierher geeilet.
Elementargeister Auf sieben Hügeln ist Rom gebaut, Die Tiber thut dorten fließen; Auch hab' ich in Rom den Pabst gesehn, Der Pabst er läßt dich grüßen. Auf meinem Rückweg sah ich Florenz, Bin auch durch Mayland gekommen, Und bin alsdann mit raschem Muth Die Alpen hinaufgeklommen. Und als ich auf dem Sanct-Gotthardt stand, Da hört' ich Deutschland schnarchen, Es schlief da unten in sanfter Huth Von sechs und dreyßig Monarchen. In Schwaben besah ich die Dichterschul', Doch thut's der Mühe nicht lohnen; Hast du den größten von ihnen besucht, Gern wirst du die kleinen verschonen. Zu Frankfurt kam ich am Schabbes an, Und aß dort Schalet und Klose; Ihr habt die beste Religion, Auch lieb' ich das Gänsegekröse. In Dresden sah ich einen Hund, Der einst sehr scharf gebissen, Doch fallen ihm jetzt die Zähne aus, Er kann nur bellen und pissen. Zu Weimar, dem Musenwittwensitz, Da hört' ich viel Klagen erheben, Man weinte und jammerte: Goethe sey todt Und Eckermann sey noch am Leben! Zu Potsdam vernahm ich ein lautes Geschrey Was giebt es ? rief ich verwundert. „ „Das ist der Gans in Berlin, der liest Dort über das letzte Jahrhundert."" Zu Göttingen blüht die Wissenschaft, Doch bringt sie keine Früchte. Ich kam dort durch in stockfinstrer Nacht, Sah nirgendswo ein Lichte.
Elementargeister Zu Celle im Zuchthaus sah ich nur Hannoveraner — O Deutsche! Uns fehlt ein Nationalzuchthaus Und eine gemeinsame Peitsche! Zu Hamburg frug ich: warum so sehr Die Straßen stinken thäten? Doch Juden und Christen versicherten Das käme von den Fleeten. Zu Hamburg, in der guten Stadt, Wohnt mancher schlechte Geselle; Und als ich auf die Börse kam, Ich glaubte ich wär' noch in Celle. Zu Hamburg, in der guten Stadt, Soll keiner mich wiederschauen! Ich bleibe jetzt im Venusberg, Bey meiner schönen Frauen."
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Der sinnreiche Junker Don Quixote von La Mancha. Von Miguel Cervantes de Saavedra.
Leben und Thaten des scharfsinnigen Junkers Don Quixote von der 5 Mancha, beschrieben von Miguel Cervantes de Saavedra, war das erste Buch, das ich gelesen habe, nachdem ich schon in ein verständiges Kindesalter getreten und des Buchstabenwesens einigermaßen kundig war. Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens von Hause wegstahl und nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den 10 Don Quixote zu lesen. Es war ein schöner Maitag, lauschend im stillen Morgenlichte lag der blühende Frühling und ließ sich loben von der Nachtigall, seiner süßen Schmeichlerin, und diese sang ihr Loblied so caressirend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschämtesten Knospen aufsprangen, und die lüsternen Gräser und die duftigen Sonnenstrahlen sich 15 hastiger küßten, und Bäume und Blumen schauerten vor eitel Entzücken. Ich aber setzte mich auf eine alte moosige Steinbank in der sogenannten Seufzerallee, unfern des Wasserfalls, und ergötzte mein kleines Herz an den großen Abenteuern des kühnen Ritters. In meiner kindischen Ehrlichkeit nahm ich Alles für baaren Ernst; so lächerlich auch dem armen Helden von 20 dem Geschicke mitgespielt wurde, so meinte ich doch, das müsse so seyn, das gehöre nun 'mal zum Heldenthum, das Ausgelachtwerden eben so gut wie die Wunden des Leibes, und jenes verdroß mich eben so sehr, wie ich diese in meiner Seele mitfühlte. — Ich war ein Kind und kannte nicht die Ironie, die Gott in die Welt hineingeschaffen, und die der große Dichter in seiner ge- 25 druckten Kleinwelt nachgeahmt hatte, und ich konnte die bittersten Thränen vergießen, wenn der edle Ritter für all seinen Edelmuth nur Undank und Prügel genoß. Da ich, noch ungeübt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so konnten Vögel und Bäume, Bach und Blume Alles mit anhören, und da solche unschuldige Naturwesen, eben so wie die Kinder, von der Weltironie nichts 30 wissen, so hielten sie gleichfalls Alles für baaren Ernst und weinten mit mir über die Leiden des armen Ritters; sogar eine alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schüttelte heftiger seinen weißen Bart und schien zu schelten auf die Schlechtigkeit der Welt. Wir fühlten, daß der Heldensinn des Ritters darum nicht mindere Bewunderung verdient, wenn ihm der Löwe 35 ohne Kampflust den Rücken kehrte, und daß seine Thaten um so preisens-
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Einleitung %um „Don Quixote"
werther, je schwächer und ausgedörrter sein Leib, je morscher die Rüstung, die ihn schützte, und je armseliger der Klepper, der ihn trug. Wir verachteten den niedrigen Pöbel, der, geschmückt mit buntseidenen Mänteln, vornehmen Redensarten und Herzogstiteln, einen Mann verhöhnte, der ihm an Geistes5 kraft und Edelsinn so weit überlegen war. Dulcinea's Ritter stieg immer höher in meiner Achtung und gewann immer mehr meine Liebe, je länger ich in dem wundersamen Buche las, was in demselben Garten täglich geschah, so daß ich schon im Herbste das Ende der Geschichte erreichte, — und nie werde ich den Tag vergessen, wo ich von dem kummervollen Zweikampfe 10 las, worin der Ritter so schmählich unterliegen mußte! Es war ein trüber Tag, häßliche Nebelwolken zogen den grauen Himmel entlang, die gelben Blätter fielen schmerzlich von den Bäumen, schwere Thränentropfen hingen an den letzten Blumen, die gar traurig welk die sterbenden Köpfchen senkten, die Nachtigallen waren längst verschollen, von 15 allen Seiten starrte mich an das Bild der Vergänglichkeit, — und mein Herz wollte schier brechen, als ich las, wie der edle Ritter betäubt und zermalmt am Boden lag und, ohne das Visir zu heben, als wenn er aus dem Grabe gesprochen hätte, mit schwacher, kranker Stimme zu dem Sieger hinaufrief: Dulcinea ist das schönste Weib der Welt, und ich der unglücklichste Ritter 20 auf Erden, aber es ziemt sich nicht, daß meine Schwäche diese Wahrheit verleugne, — stoßt zu mit der Lanze, Ritter! Ach, dieser leuchtende Ritter vom silbernen Monde, der den muthigsten und edelsten Mann der Welt besiegte, war ein verkappter Barbier! Es sind nun acht Jahre, daß ich, für den vierten Theil der Reisebilder, diese 25 Zeilen geschrieben, worin ich den Eindruck schilderte, den die Lecture des Don Quixote vor weit längerer Zeit in meinem Geiste hervorbrachte. Lieber Himmel, wie doch die Jahre schnell dahinschwinden! Es ist mir, als habe ich erst gestern in der Seufzerallee des Düsseldorfer Hofgartens das Buch zu Ende gelesen, und mein Herz sey noch erschüttert von Bewunderung für die Thaten 30 und Leiden des großen Ritters. Ist mein Herz die ganze Zeit über stabil geblieben, oder ist es, nach einem wunderbaren Kreislauf, zu den Gefühlen der Kindheit zurückgekehrt? Das Letztere mag wohl der Fall seyn: denn ich erinnere mich, daß ich in jedem Lustrum meines Lebens den Don Quixote mit abwechselnd verschiedenartigen Empfindungen gelesen habe. Als ich in's 35 Jünglingsalter emporblühete und mit unerfahrenen Händen in die Rosenbüsche des Lebens hineingriff und auf die höchsten Felsen klomm, um der Sonne näher zu seyn, und des Nachts von nichts träumte als von Adlern und reinen Jungfrauen: da war mir der Don Quixote ein sehr unerquickliches Buch, und lag es in meinem Wege, so schob ich es unwillig zur Seite. Später-
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hin, als ich zum Manne heranreifte, versöhnte ich mich schon einigermaßen mit Dulcinea's unglücklichem Kämpen, und ich fing schon an über ihn zu lachen. Der Kerl ist ein Narr, sagte ich. Doch, sonderbarer Weise, auf allen meinen Lebensfahrten verfolgten mich die Schattenbilder des dürren Ritters und seines fetten Knappen, namentlich wenn ich an einen bedenklichen 5 Scheideweg gelangte. So erinnere ich mich, als ich nach Frankreich reiste und eines Morgens im Wagen aus einem fieberhaften Halbschlummer erwachte, sah ich im Frühnebel zwei wohlbekannte Gestalten neben mir einher reiten, und die eine, an meiner rechten Seite, war Don Quixote von der Mancha auf seiner abstracten Rozinante, und die andere, zu meiner Linken, 10 war Sancho Pansa auf seinem positiven Grauchen. Wir hatten eben die französische Grenze erreicht. Der edle Manchaner beugte ehrfurchtsvoll das Haupt vor der dreifarbigen Fahne, die uns vom hohen Grenzpfahl entgegen flatterte, der gute Sancho grüßte mit etwas kühlerem Kopfnicken die ersten französischen Gensdarmen, die unfern zum Vorschein kamen; endlich aber 15 jagten beide Freunde mir voran, ich verlor sie aus dem Gesichte, und nur noch zuweilen hörte ich Rozinante's begeistertes Gewieher und die bejahenden Töne des Esels. Ich war damals der Meinung, die Lächerlichkeit des Donquixotismus bestehe darin, daß der edle Ritter eine längst abgelebte Vergangenheit in's Leben 20 zurückrufen wollte, und seine armen Glieder, namentlich sein Rücken, mit den Thatsachen der Gegenwart in schmerzliche Reibungen geriethen. Ach, ich habe seitdem erfahren, daß es eine eben so undankbare Tollheit ist, wenn man die Zukunft allzu frühzeitig in die Gegenwart einführen will und bei solchem Ankampf gegen die schweren Interessen des Tages nur einen sehr 25 mageren Klepper, eine sehr morsche Rüstung und einen eben so gebrechlichen Körper besitzt! Wie über jenen, so auch über diesen Donquixotismus schüttelt der Weise sein vernünftiges Haupt. — Aber Dulcinea von Toboso ist dennoch das schönste Weib der Welt; obgleich ich elend zu Boden liege, nehme ich dennoch diese Behauptung nimmermehr zurück, ich kann nicht 30 anders, — stoßt zu mit Euren Lanzen, Ihr silberne Mondritter, Ihr verkappte Barbiergesellen! Welcher Grundgedanke leitete den großen Cervantes, als er sein großes Buch schrieb ? Beabsichtigte er nur den Ruin der Ritterromane, deren Lecture zu seiner Zeit in Spanien so stark grassirte, daß geistliche und weltliche Ver- 35 Ordnungen dagegen unmächtig waren? oder wollte er alle Erscheinungen der menschlichen Begeisterung überhaupt und zunächst das Heldenthum der Schwertführer in's Lächerliche ziehen? Offenbar bezweckte er nur eine Satire gegen die erwähnten Romane, die er, durch Beleuchtung ihrer Absurditäten,
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dem allgemeinen Gespötte und also dem Untergange überliefern wollte. Dieses gelang ihm auch auf's glänzendste: denn was weder die Ermahnungen der Kanzel, noch die Drohungen der Kanzelei bewerkstelligen konnten, das erwirkte ein armer Schriftsteller mit seiner Feder: er richtete die Ritterromane 5 so gründlich zu Grunde, daß bald nach dem Erscheinen des Don Quixote der Geschmack für jene Bücher in ganz Spanien erlosch, und auch keins derselben mehr gedruckt ward. Aber die Feder des Genius ist immer größer als er selber, sie reicht immer weit hinaus über seine zeitlichen Absichten, und ohne daß er sich dessen klar bewußt wurde, schrieb Cervantes die größte 10 Satire gegen die menschliche Begeisterung. Nimmermehr ahnte er dieses, er selber, der Held, welcher den größten Theil seines Lebens in ritterlichen Kämpfen zugebracht hatte und im späten Alter sich noch oft darüber freute, daß er in der Schlacht bei Lepanto mitgefochten, obgleich er diesen Ruhm mit dem Verluste seiner linken Hand bezahlt hatte. 15 Ueber Person und Lebensverhältnisse des Dichters, der den Don Quixote geschrieben, weiß der Biograph nur Weniges zu melden. Wir verlieren nicht viel durch solchen Mangel an Notizen, die gewöhnlich bei den Frau Basen der Nachbarschaft aufgegabelt werden. Diese sehen ja nur die Hülle; wir aber sehen den Mann selbst, seine wahre, treue, unverleumdete Gestalt. 20 Er war ein schöner, kräftiger Mann, Don Miguel Cervantes de Saavedra. Seine Stirn war hoch und sein Herz war weit. Wundersam war die Zauberkraft seines Auges. Wie es Leute gibt, welche durch die Erde schauen und die darin begrabenen Schätze oder Leichen sehen können, so drang das Auge des großen Dichters durch die Brust der Menschen, und er sah deutlich, 25 was dort vergraben. Den Guten war sein Bück ein Sonnenstrahl, der ihr Inneres freudig erhellte; den Bösen war sein Blick ein Schwert, das ihre Gefühle grausam zerschnitt. Sein Blick drang forschend in die Seele eines Menschen und sprach mit ihr, und wenn sie nicht antworten wollte, folterte er sie, und die Seele lag blutend auf der Folter, während vielleicht ihre leibliche 30 Hülle sich herablassend vornehm geberdete. Was Wunder, daß ihm dadurch sehr viele Leute abhold wurden, und ihn auf seiner irdischen Laufbahn nur saumselig beförderten! Auch gelangte er niemals zu Rang und Wohlstand, und von all seinen mühseligen Pilgerfahrten brachte er keine Perlen, sondern nur leere Muscheln nach Hause. Man sagt, er habe den Werth des Geldes nicht 35 zu schätzen gewußt; aber ich versichere euch, er wußte den Werth des Geldes sehr zu schätzen, sobald er keins mehr hatte. Nie aber schätzte er es so hoch, wie seine Ehre. Er hatte Schulden, und in einer von ihm verfaßten Charte, die Apollo den Dichtern octroyirt, bestimmt der erste Paragraph, wenn ein Dichter versichert, kein Geld zu haben, so solle man ihm auf's Wort glauben und
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keinen Eid von ihm verlangen. Er liebte Musik, Blumen und Weiber. Doch auch in der Liebe für Letztere ging es ihm manchmal herzlich schlecht, namentlich als er noch jung war. Konnte das Bewußtseyn künftiger Größe ihn genugsam trösten in seiner Jugend, wenn schnippische Rosen ihn mit ihren Dornen verletzten? — Einst an einem hellen Sommernachmittag ging 5 er, ein junger Fant, am Tajo spazieren mit einer sechzehnjährigen Schönen, die sich beständig über seine Zärtlichkeit moquirte. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sie glühte noch in ihrer goldigsten Pracht; aber oben am Himmel stand schon der Mond, winzig und blaß, wie ein weißes Wölkchen. „Siehst du," sprach der junge Dichter zu seiner Geliebten, „siehst du dort oben 10 jene kleine bleiche Scheibe? der Fluß hier neben uns, worin sie sich abspiegelt, scheint nur aus Mitleiden ihr ärmliches Abbild auf seinen stolzen Fluten zu tragen, und die gekräuselten Wellen werfen es zuweilen spottend an's Ufer. Aber laß nur den alten Tag verdämmern! Sobald die Dunkelheit anbricht, erglüht droben jene blasse Scheibe immer herrlicher und herrlicher, der ganze 15 Fluß wird überstrahlt von ihrem Lichte, und die Wellen, die vorhin so wegwerfend übermüthig, erschauern jetzt bei dem Anblick dieses glänzenden Gestirns und schwellen ihm entgegen mit Wollust." In den Werken der Dichter muß man ihre Geschichte suchen, und hier findet man ihre geheimsten Bekenntnisse. Ueberall, mehr noch in seinen Dramen als 20 im Don Quixote, sehen wir, was ich bereits erwähnt habe, daß Cervantes lange Zeit Soldat war. In der That, das römische Wort: Leben heißt Krieg führen! findet auf ihn seine doppelte Anwendung. Als gemeiner Soldat kämpfte er in den meisten jener wilden Waffenspiele, die König Philipp II. zur Ehre Gottes und seiner eigenen Lust in allen Landen aufführte. Dieser Um- 25 stand, daß Cervantes dem größten Kämpen des Katholicismus seine ganze Jugend gewidmet, daß er für die katholischen Interessen persönlich gekämpft, läßt vermuthen, daß diese Interessen ihm auch theuer am Herzen lagen, und widerlegt wird dadurch jene viel verbreitete Meinung, daß nur die Furcht vor der Inquisition ihn abgehalten habe, die protestantischen Zeitgedanken 30 im Don Quixote zu besprechen. Nein, Cervantes war ein getreuer Sohn der römischen Kirche, und nicht bloß blutete sein Leib im ritterlichen Kampfe für ihre gebenedeite Fahne, sondern er litt für sie auch mit seiner ganzen Seele das peinlichste Märtyrthum während seiner langjährigen Gefangenschaft unter den Ungläubigen. 35 Dem Zufall verdanken wir mehr Details über das Treiben des Cervantes zu Algier, und hier erkennen wir in dem großen Dichter einen eben so großen Helden. Die Gefangenschaftsgeschichte widerspricht auf's glänzendste der melodischen Lüge jenes glatten Lebemannes, der dem Augustus und allen
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deutschen Schulfüchsen weiß gemacht hat, er sey ein Dichter, und Dichter seyen feige. Nein, der wahre Dichter ist auch ein wahrer Held, und in seiner Brust wohnt die Geduld, die, wie der Spanier sagt, ein zweiter Muth ist. Es gibt kein erhabeneres Schauspiel, als den Anblick jenes edeln Castilianers, der 5 dem Dey zu Algier als Sklave dient, beständig auf Befreiung sinnt, seine kühnen Plane unermüdlich vorbereitet, allen Gefahren ruhig entgegen blickt und, wenn das Unternehmen scheitert, lieber Tod und Folter ertrüge, als daß er nur mit einer Sylbe die Mitschuldigen verriethe. Der blutgierige Herr seines Leibes wird entwaffnet von so viel Großmuth und Tugend, der Tiger schont io den gefesselten Löwen und zittert vor dem schrecklichen Einarm, den er doch mit einem Wort in den Tod schicken könnte. Unter dem Namen „der Einarm" ist Cervantes in ganz Algier bekannt, und der Dey gesteht, daß er ruhig schlafen könne und der Ruhe seiner Stadt, seiner Armee und seiner Sklaven versichert sey, wenn er nur den einhändigen Spanier in festem Ge15 wahrsam wisse. Ich habe erwähnt, daß Cervantes beständig gemeiner Soldat war; aber da er sogar in so untergeordneter Stellung sich auszeichnen und namentlich seinem großen Feldherrn, Don Juan d'Austria, bemerkbar machen konnte, so erhielt er, als er aus Italien nach Spanien zurückkehren wollte, die rühm20 lichsten Zeugnißbriefe für den König, dem seine Beförderung darin nachdrücklich empfohlen ward. Als nun die algierischen Corsaren, die ihn auf dem mittelländischen Meere gefangen nahmen, diese Briefe sahen, hielten sie ihn für eine Person von äußerst bedeutendem Stande und forderten deßhalb ein so erhöhetes Lösegeld, daß seine Familie, trotz aller Mühen und Opfer, ihn 2; nicht loszukaufen vermochte, und der arme Dichter dadurch desto länger und qualsamer in der Gefangenschaft gehalten wurde. So ward sogar die Anerkennung seiner Vortrefflichkeit für ihn nur eine neue Quelle des Unglücks, und so, bis an's Ende seiner Tage, spottete seiner jenes grausame Weib, die Göttin Fortuna, die es dem Genius nie verzeiht, daß er auch ohne ihre Gönner30 schaft zu Ruhm und Ehre gelangen kann. Aber ist das Unglück des Genius immer nur das Werk eines blinden Zufalls, oder entspringt es als Nothwendigkeit aus seiner innern Natur und der Natur seiner Umgebung? Tritt seine Seele in Kampf mit der Wirklichkeit, oder beginnt die rohe Wirklichkeit einen ungleichen Kampf mit seiner edeln Seele? 35 Die Gesellschaft ist eine Republik. Wenn der Einzelne empor strebt, drängt ihn die Gesammtheit zurück durch Ridicule und Verlästerung. Keiner soll tugendhafter und geistreicher seyn, als die Uebrigen. Wer aber durch die unbeugsame Gewalt des Genius hinausragt über das banale Gemeindemaß, diesen trifft der Ostracismus der Gesellschaft, sie verfolgt ihn mit so gnadenloser
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Verspottung und Verleumdung, daß er sich endlich zurückziehen muß in die Einsamkeit seiner Gedanken. Ja, die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach republikanisch. Jede Fürstlichkeit ist ihr verhaßt, die geistige eben so sehr wie die materielle. Letztere stützt nicht selten auch die Erstere mehr als man gewöhnlich ahnt. Gelangten wir doch 5 selber zu dieser Einsicht bald nach der Juliusrevolution, als der Geist des Republikanismus in allen gesellschaftlichen Verhältnissen sich kund gab. Der Lorbeer eines großen Dichters war unsern Republikanern eben so verhaßt, wie der Purpur eines großen Königs. Auch die geistigen Unterschiede der Menschen wollten sie vertilgen, und indem sie alle Gedanken, die auf dem Terri- 10 torium des Staates entsprossen, als bürgerliches Gemeingut betrachteten, blieb ihnen nichts mehr übrig, als auch die Gleichheit des Styls zu decretiren. Und in der That, ein guter Styl wurde als etwas Aristokratisches verschrien, und vielfach hörten wir die Behauptung: Der echte Demokrat schreibt, wie das Volk, herzlich schlicht und schlecht. Den meisten Männern der Bewegung 15 gelang dieses sehr leicht; aber nicht Jedem ist es gegeben, schlecht zu schreiben, zumal wenn man sich zuvor das Schönschreiben angewöhnt hatte, und da hieß es gleich: Das ist ein Aristokrat, ein Liebhaber der Form, ein Freund der Kunst, ein Feind des Volks. Sie meinten es gewiß ehrlich, wie der heilige Hieronymus, der seinen guten Styl für eine Sünde hielt und sich weidlich 20 dafür geißelte. Eben so wenig wie antikatholische, finden wir auch antiabsolutistische Klänge im Don Quixote. Kritiker, welche dergleichen darin wittern, sind offenbar im Irrthum. Cervantes war der Sohn einer Schule, welche den unbedingten Gehorsam für den Oberherrn sogar poetisch idealisirt hatte. Und 25 dieser Oberherr war König von Spanien zu einer Zeit, wo die Majestät desselben die ganze Welt überstrahlte. Der gemeine Soldat fühlte sich im Lichtstrahl jener Majestät und opferte gern seine individuelle Freiheit für solche Befriedigung des castilianischen Nationalstolzes. Die politische Größe Spaniens zu jener Zeit mochte nicht wenig das Ge- 30 müth seiner Schriftsteller erhöhen und erweitern. Auch im Geiste eines spanischen Dichters ging die Sonne nicht unter, wie im Reiche Karls V. Die wilden Kämpfe mit den Morisken waren beendigt, und wie nach einem Gewitter die Blumen am stärksten duften, so erblüht die Poesie immer am herrlichsten nach einem Bürgerkrieg. Dieselbe Erscheinung sehen wir in Eng- 35 land zur Zeit der Elisabeth, und gleichzeitig mit Spanien entsprang dort eine Dichterschule, die zu merkwürdigen Vergleichungen auffordert. Dort sehen wir Shakespeare, hier Cervantes als die Blüthe der Schule. Wie die spanischen Dichter unter den drei Philippen, so haben auch die
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englischen unter der Elisabeth eine gewisse Familienähnlichkeit, und weder Shakespeare noch Cervantes können auf Originalität in unserem Sinne Anspruch machen. Sie unterscheiden sich von ihren Zeitgenossen keineswegs durch besonderes Fühlen und Denken oder besondere Darstellungsart, son5 dem nur durch bedeutendere Tiefe, Innigkeit, Zärte und Kraft; ihre Dichtungen sind mehr durchdrungen und umflossen vom Aether der Poesie. Aber beide Dichter sind nicht bloß die Blüthe ihrer Zeit, sondern sie waren auch die Wurzel der Zukunft. Wie Shakespeare durch den Einfluß seiner Werke, namentlich auf Deutschland und das heutige Frankreich, als der Stifter 10 der späteren dramatischen Kunst zu betrachten ist, so müssen wir im Cervantes den Stifter des modernen Romans verehren. Hierüber erlaube ich mir einige flüchtige Bemerkungen. Der ältere Roman, der sogenannte Ritterroman, entsprang aus der Poesie des Mittelalters; er war zuerst eine prosaische Bearbeitung jener epischen 15 Gedichte, deren Helden zum Sagenkreise Karls des Großen und des heiligen Graals gehörten; immer bestand der Stoff aus ritterlichen Abenteuern. Es war der Roman des Adels, und die Personen, die darin agirten, waren entweder fabelhafte Phantasiegebilde, oder Reiter mit goldenen Sporen; nirgends eine Spur von Volk. Diese Ritterromane, die in der absurdesten Weise aus20 arteten, stürzte Cervantes durch seinen Don Quixote. Aber, indem er eine Satire schrieb, die den älteren Roman zu Grunde richtete, lieferte er selber wieder das Vorbild zu einer neuen Dichtungsart, die wir den modernen Roman nennen. So pflegen immer große Poeten zu verfahren: sie begründen zugleich etwas Neues, indem sie das Alte zerstören; sie negiren nie, ohne etwas 25 zu bejahen. Cervantes stiftete den modernen Roman, indem er in den RitterRoman die getreue Schilderung der niederen Klassen einführte, indem er ihm das Volksleben beimischte. Die Neigung, das Treiben des gemeinsten Pöbels, des verworfensten Lumpenpacks zu beschreiben, gehört nicht bloß dem Cervantes, sondern der ganzen literarischen Zeitgenossenschaft, und sie findet 30 sich wie bei den Poeten so auch bei den Malern des damaligen Spanien; ein Morillo, der dem Himmel die heiligsten Farben stahl, womit er seine schönen Madonnen malte, conterfeite mit derselben Liebe auch die schmutzigsten Erscheinungen dieser Erde. Es war vielleicht die Begeisterung für die Kunst selber, wenn diese edeln Spanier manchmal an der treuen Abbildung eines 35 Betteljungen, der sich laust, dasselbe Vergnügen empfanden, wie an der Darstellung der hochgebenedeiten Jungfrau. Oder es war der Reiz des Contrastes, welcher eben die vornehmsten Edelleute, einen geschniegelten Hofmann wie Quevedo oder einen mächtigen Minister wie Mendoza, antrieb, ihre zerlumpten Bettler- und Gauner-Romane zu schreiben; sie wollten sich
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vielleicht aus der Eintönigkeit ihrer Standesumgebung durch die Phantasie in eine entgegengesetzte Lebenssphäre versetzen, wie wir dasselbe Bedürfniß bei manchen deutschen Schriftstellern finden, die ihre Romane nur mit Schilderungen der vornehmen Welt füllen und ihre Helden immer zu Grafen und Baronen machen. Bei Cervantes finden wir noch nicht diese einseitige 5 Richtung, das Unedle ganz abgesondert darzustellen; er vermischt nur das Ideale mit dem Gemeinen, das Eine dient dem Andern zur Abschattung oder zur Beleuchtung, und das adelthümliche Element ist darin noch eben so mächtig wie das volksthümliche. Dieses adelthümliche, chevalereske, aristokratische Element verschwindet aber ganz in dem Roman der Engländer, die 10 den Cervantes zuerst nachgeahmt und ihn bis auf den heutigen Tag immer als Vorbild vor Augen haben. Es sind prosaische Naturen, diese englischen Romandichter seit Richardsons Regierung, der prüde Geist ihrer Zeit widerstrebt sogar aller kernigen Schilderung des gemeinen Volkslebens, und wir sehen jenseits des Canals jene bürgerlichen Romane entstehen, worin das 15 nüchterne Kleinleben der Bourgeoisie sich abspiegelt. Diese klägliche Lecture überwässerte das englische Publicum bis auf die letzte Zeit, wo der große Schotte auftrat, der im Roman eine Revolution oder eigentlich eine Restauration bewirkte. Wie nämlich Cervantes das demokratische Element in den Roman hineinbrachte, als darin nur das einseitig ritterthümliche herrschend 20 war: so brachte Walter Scott in den Roman wieder das aristokratische Element zurück, als dieses gänzlich darin erloschen war, und nur prosaische Spießbürgerlichkeit dort ihr Wesen trieb. Durch ein entgegengesetztes Verfahren hat Walter Scott dem Roman jenes schöne Ebenmaß wieder gegeben, welches wir im Don Quixote des Cervantes bewundern. 25 Ich glaube, in dieser Beziehung ist das Verdienst des zweiten großen Dichters Englands noch nie anerkannt worden. Seine tory'schen Neigungen, seine Vorliebe für die Vergangenheit waren heilsam für die Literatur, für jene Meisterwerke seines Genius, die überall sowohl Anklang als Nachahmung fanden und die aschgrauen Schemen des bürgerlichen Romans in die dunk- 30 leren Winkel der Leihbibliotheken verdrängten. Es ist ein Irrthum, wenn man Walter Scott nicht als den wahren Begründer des sogenannten historischen Romans ansehen will und Letztern von deutschen Anregungen herleitet. Man verkennt, daß das Charakteristische der historischen Romane eben in der Harmonie des aristokratischen und demokratischen Elements besteht; daß 35 Walter Scott diese Harmonie, welche während der Alleinherrschaft des demokratischen Elements gestört war, durch die Wiedereinsetzung des aristokratischen Elements auf's schönste herstellte, statt daß unsere deutschen Romantiker das demokratische Element in ihren Romanen gänzlich verleug10 Herne, Bd. 9
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neten und wieder in das aberwitzige Gleise des Ritterromans, der vor Cervantes blühte, zurückkehrten. Unser de la Motte Fouque ist nichts als ein Nachzügler jener Dichter, die den Amadis von Gallien und ähnliche Abenteuerlichkeiten zur Welt gebracht, und ich bewundere nicht bloß das 5 Talent, sondern auch den Muth, womit der edle Freiherr zweihundert Jahre nach dem Erscheinen des Don Quixote seine Ritterbücher geschrieben hat. Es war eine sonderbare Periode in Deutschland, als letztere erschienen, und das Publicum daran Gefallen fand. Was bedeutete in der Literatur diese Vorliebe für das Ritterthum und die Bilder der alten Feudalzeit? Ich glaube, das 10 deutsche Volk wollte auf immer Abschied nehmen von dem Mittelalter; aber gerührt, wie wir es leicht sind, nahmen wir Abschied mit einem Kusse. Wir drückten zum letzten Male unsere Lippen auf die alten Leichensteine. Mancher von uns freilich geberdete sich dabei höchst närrisch. Ludwig Tieck, der kleine Junge der Schule, grub die todten Voreltern aus dem Grabe heraus, 15 schaukelte ihren Sarg, als wär' es eine Wiege, und mit aberwitzig kindischem Lallen sang er dabei: Schlaf', Großväterchen, schlafe! Ich habe Walter Scott den zweiten großen Dichter Englands und seine Romane Meisterwerke genannt. Aber nur seinem Genius wollte ich das höchste Lob ertheilen. Seine Romane selbst kann ich dem großen Roman des Cer20 vantes keineswegs gleichstellen. Dieser übertrifft ihn an epischem Geist. Cervantes war, wie ich schon erwähnt habe, ein katholischer Dichter, und dieser Eigenschaft verdankt er vielleicht jene große epische Seelenruhe, die, wie ein Krystallhimmel, seine bunten Dichtungen überwölbt: nirgends eine Spalte des Zweifels. Dazu kömmt noch die Ruhe des spanischen National25 Charakters. Walter Scott aber gehört einer Kirche, welche selbst die göttlichen Dinge einer scharfen Discussion unterwirft; als Advocat und Schotte ist er gewöhnt an Handlung und Discussion, und, wie in seinem Geiste und Leben, so ist auch in seinen Romanen das Dramatische vorherrschend. Seine Werke können daher nimmermehr als reine Muster jener Dichtungsart, die 30 wir Roman nennen, betrachtet werden. Den Spaniern gebührt der Ruhm, den besten Roman hervorgebracht zu haben, wie man den Engländern den Ruhm zusprechen muß, daß sie im Drama das Höchste geleistet. Und den Deutschen, welche Palme bleibt ihnen übrig? Nun, wir sind die besten Liederdichter dieser Erde. Kein Volk besitzt so schöne Lieder, wie die 35 Deutschen. Jetzt haben die Völker allzuviele politische Geschäfte; wenn aber diese einmal abgethan sind, wollen wir Deutsche, Britten, Spanier, Franzosen, Italiener, wir wollen Alle hinausgehen in den grünen Wald und singen, und die Nachtigall soll Schiedsrichterin seyn. Ich bin überzeugt, bei diesem Wettgesange wird das Lied von Wolfgang Göthe den Preis gewinnen.
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Cervantes, Shakespeare und Göthe bilden das Dichter-Triumvirat, das in den drei Gattungen poetischer Darstellung, im Epischen, Dramatischen und Lyrischen, das Höchste hervorgebracht. Vielleicht ist der Schreiber dieser Blätter besonders befugt, unsern großen Landsmann als den vollendetsten Liederdichter zu preisen. Göthe steht in der Mitte zwischen den beiden Ausartungen des Liedes, jenen zwei Schulen, wovon die eine leider mit meinem eigenen Namen, die andere mit dem Namen Schwabens bezeichnet wird. Beide freilich haben ihre Verdienste: sie förderten indirecter Weise das Gedeihen der deutschen Poesie. Die erstere bewirkte eine heilsame Reaction gegen den einseitigen Idealismus im deutschen Liede, sie führte den Geist zurück zur starken Realität und entwurzelte jenen sentimentalen Petrarchismus, der uns immer als eine lyrische Donquixoterie erschienen ist. Die schwäbische Schule wirkte ebenfalls indirect zum Heile der deutschen Poesie. Wenn in Norddeutschland kräftig gesunde Dichtungen zum Vorschein kommen konnten, so verdankt man dieses vielleicht der schwäbischen Schule, die alle kränkliche, bleichsüchtige, fromm gemüthliche Feuchtigkeiten der deutschen Muse an sich zog. Stuttgart war gleichsam die Fontanelle der deutschen Muse. Indem ich die höchsten Leistungen im Drama, im Roman und im Liede dem erwähnten großen Triumvirate zuschreibe, bin ich weit davon entfernt, an dem poetischen Werthe anderer großen Dichter zu mäkeln. Nichts ist thörichter, als die Frage: welcher Dichter größer sey, als der andere. Flamme ist Flamme, und ihr Gewicht läßt sich nicht bestimmen nach Pfund und Unze. Nur platter Krämersinn kommt mit seiner schäbigen Käsewage und will den Genius wiegen. Nicht bloß die Alten, sondern auch manche Neuere haben Dichtungen geliefert, worin die Flamme der Poesie eben so prachtvoll lodert, wie in den Meisterwerken von Shakespeare, Cervantes und Göthe. Jedoch diese Namen halten zusammen, wie durch ein geheimes Band. Es strahlt ein verwandter Geist aus ihren Schöpfungen; es weht darin eine ewige Milde, wie der Athem Gottes; es blüht darin die Bescheidenheit der Natur. Wie an Shakespeare, erinnert Göthe auch beständig an Cervantes, und diesem ähnelt er bis in die Einzelnheiten des Styls, in jener behaglichen Prosa, die von der süßesten und harmlosesten Ironie gefärbt ist. Cervantes und Göthe gleichen sich sogar in ihren Untugenden: in der Weitschweifigkeit der Rede, in jenen langen Perioden, die wir zuweilen bei ihnen finden, und die einem Aufzug königlicher Equipagen vergleichbar. Nicht selten sitzt nur ein einziger Gedanke in so einer breitausgedehnten Periode, die wie eine große vergoldete Hofkutsche mit sechs panaschirten Pferden gravitätisch dahinfährt. Aber dieser einzige Gedanke ist immer etwas Hohes, wo nicht gar der Souverain. 10*
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Ueber den Geist des Cervantes und den Einfluß seines Buches habe ich nur mit wenigen Andeutungen reden können. Ueber den eigentlichen Kunstwerth seines Romans kann ich mich hier noch weniger verbreiten, indem Erörterungen zur Sprache kämen, die allzuweit in's Gebiet der Aesthetik hinab5 führen würden. Ich darf hier auf die Form seines Romans und die zwei Figuren, die den Mittelpunkt desselben bilden, nur im Allgemeinen aufmerksam machen. Die Form ist nämlich die der Reisebeschreibung, wie solches von jeher die natürlichste Form für diese Dichtungsart. Ich erinnere hier nur an den goldenen Esel des Apulejus, den ersten Roman des Alterthums. Der 10 Einförmigkeit dieser Form haben die späteren Dichter durch das, was wir heute die Fabel des Romans nennen, abzuhelfen gesucht. Aber wegen Armuth an Erfindung haben jetzt die meisten Romanschreiber ihre Fabeln von einander geborgt, wenigstens haben die einen mit wenig Modificationen immer die Fabeln der andern benutzt, und durch die dadurch entstehende Wiederkehr 15 derselben Charaktere, Situationen und Verwicklungen ward dem Publicum am Ende die Romanlecture einigermaßen verleidet. Um sich vor der Langweiligkeit abgedroschener Romanfabeln zu retten, flüchtete man sich für einige Zeit in die uralte, ursprüngliche Form der Reisebeschreibung. Diese wird aber wieder ganz verdrängt, sobald ein Originaldichter mit neuen, frischen 20 Romanfabeln auftritt. In der Literatur, wie in der Politik, bewegt sich Alles nach dem Gesetz der Action und Reaction. Was nun jene zwei Gestalten betrifft, die sich Don Quixote und Sancho Pansa nennen, sich beständig parodiren und doch so wunderbar ergänzen, daß sie den eigentlichen Helden des Romans bilden, so zeugen sie im gleichen 25 Maße von dem Kunstsinn, wie von der Geistestiefe des Dichters. Wenn andere Schriftsteller, in deren Roman der Held nur als einzelne Person durch die Welt zieht, zu Monologen, Briefen oder Tagebüchern ihre Zuflucht nehmen müssen, um die Gedanken und Empfindungen des Helden kund zu geben, so kann Cervantes überall einen natürlichen Dialog hervortreten lassen; und indem 30 die eine Figur immer die Rede der andern parodirt, tritt die Intention des Dichters um so sichtbarer hervor. Vielfach nachgeahmt ward seitdem die Doppelfigur, die dem Roman des Cervantes eine so kunstvolle Natürlichkeit verleiht, und aus deren Charakter, wie aus einem einzigen Kern, der ganze Roman mit all seinem wilden Laubwerk, seinen duftigen Blüthen, strahlenden 35 Früchten und Affen und Wundervögeln, die sich auf den Zweigen wiegen, gleich einem indischen Riesenbaum sich entfaltet. Aber es wäre ungerecht, hier Alles auf Rechnung sklavischer Nachahmung zu setzen; sie lag so nahe, die Einführung solcher zwei Figuren, wie Don Quixote und Sancho Pansa, wovon die eine, die poetische, auf Abenteuer
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zieht, und die andere, halb aus Anhänglichkeit, halb aus Eigennutz hinterdrein läuft durch Sonnenschein und Regen, wie wir selber sie oft im Leben begegnet haben. Um dieses Paar, unter den verschiedenartigsten Vermummungen, überall wieder zu erkennen, in der Kunst wie im Leben, muß man freilich nur das Wesentliche, die geistige Signatur, nicht das Zufällige ihrer äußern Erscheinung in's Auge fassen. Der Beispiele könnte ich unzählige anführen. Finden wir Don Quixote und Sancho Pansa nicht eben so gut in den Gestalten Don Juan's und Leporello's wie etwa in der Person Lord Byron's und seines Bedienten Fletscher? Erkennen wir dieselben zwei Typen und ihr Wechselverhältniß nicht in der Gestalt des Ritters von Waldsee und seines Kaspar Larifari eben so gut, wie in der Gestalt von so manchem Schriftsteller und seinem Buchhändler, welcher Letztere die Narrheiten seines Autors wohl einsieht, aber dennoch, um reellen Vortheil daraus zuziehen, ihn getreusam auf allen seinen idealen Irrfahrten begleitet. Und der Herr Verleger Sancho, wenn er auch manchmal nur Püffe bei diesem Geschäfte gewinnt, bleibt doch immer fett, während der edle Ritter täglich immer mehr und mehr abmagert. Aber nicht bloß unter Männern, sondern auch unter Frauenzimmern habe ich öfters die Typen Don Quixote's und seines Schildknappen wiedergefunden. Namentlich erinnere ich mich einer schönen Engländerin, einer schwärmerischen Blondine, die mit ihrer Freundin aus einer Londoner Mädchenpension entsprungen war und die ganze Welt durchziehen wollte, um ein so edles Männerherz zu suchen, wie sie es in sanften Mondscheinnächten geträumt hatte. Die Freundin, eine untersetzte Brünette, hoffte bei dieser Gelegenheit, wenn auch nicht etwas ganz apartes Ideale, doch wenigstens einen Mann von gutem Aussehen zu erbeuten. Ich sehe sie noch, mit ihren liebesüchtigen blauen Augen, die schlanke Gestalt, wie sie am Strande von Brighton, weit über das flutende Meer, nach der französischen Küste hinüber schmachtete ... Ihre Freundin knackte unterdessen Haselnüsse, freute sich des süßen Kerns und warf die Schalen in's Wasser. Jedoch weder in den Meisterwerken anderer Künstler, noch in der Natur selber finden wir die erwähnten beiden Typen in ihrem Wechselverhältnisse so genau ausgeführt, wie bei Cervantes. Jeder Zug im Charakter und der Erscheinung des Einen entspricht hier einem entgegengesetzten und doch verwandten Zuge bei dem Andern. Hier hat jede Einzelnheit eine parodistisehe Bedeutung. Ja sogar zwischen Rozinanten und Sancho's Grauchen herrscht derselbe ironische Parallelismus, wie zwischen dem Knappen und seinem Ritter, und auch die beiden Thiere sind gewissermaßen die symbolischen Träger derselben Ideen. Wie in ihrer Denkungsart, so offenbaren Herr
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und Diener auch in ihrer Sprache die merkwürdigsten Gegensätze, und hier kann ich nicht umhin, der Schwierigkeiten zu erwähnen, welche der Uebersetzer zu überwinden hatte,' der die hausbackene, knorrige, niedrige Sprechart des guten Sancho in's Deutsche übertrug. Durch seine gehackte, nicht 5 selten unsaubere Sprichwörtlichkeit mahnt der gute Sancho ganz an den Narren des Königs Salomon, an Marculf, der ebenfalls einem pathetischen Idealismus gegenüber das Erfahrungswissen des gemeinen Volkes in kurzen Sprüchen vorträgt. Don Quixote hingegen redet die Sprache der Bildung, des höheren Standes, und auch in der Grandezza des wohlgeründeten Periodenio baues repräsentirt er den vornehmen Hidalgo. Zuweilen ist dieser Periodenbau allzuweit ausgesponnen, und die Sprache des Ritters gleicht einer stolzen Hofdame in aufgebauschtem Seidenkleid, mit langer rauschender Schleppe. Aber die Grazien, als Pagen verkleidet, tragen lächelnd einen Zipfel dieser Schleppe: die langen Perioden schließen mit den anmuthigsten Wendungen. 15 Den Charakter der Sprache Don Quixote's und Sancho Pansa's resumiren wir in den Worten: der Erstere, wenn er redet, scheint immer auf seinem hohen Pferde zu sitzen, der Andere spricht, als säße er auf seinem niedrigen Esel. Mir bliebe noch übrig, von den Illustrationen zu sprechen, womit die Ver20 lagshandlung diese neue Uebersetzung des Don Quixote, die ich hier bevorworte, ausgeschmückt hat. Diese Ausgabe ist das erste der schönen Literatur angehörige Buch, das in Deutschland auf diese Weise verziert an's Licht tritt. In England und namentlich in Frankreich sind dergleichen Illustrationen an der Tagesordnung und finden einen fast enthusiastischen Beifall. Deutsche 25 Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit wird aber gewiß die Frage aufwerfen: Sind den Interessen wahrer Kunst dergleichen Illustrationen förderlich? Ich glaube nicht. Zwar zeigen sie, wie die geistreich und leicht schaffende Hand eines Malers die Gestalten des Dichters auffaßt und wiedergibt; sie bieten auch für die etwaige Ermüdung durch die Lecture eine angenehme Unterbrechung; 30 aber sie sind ein Zeichen mehr, wie die Kunst, herabgezerrt von dem Piedestale ihrer Selbstständigkeit, zur Dienerin des Luxus entwürdigt wird. Und dann ist hier für den Künstler nicht bloß die Gelegenheit und Verführung, sondern sogar die Verpflichtung, seinen Gegenstand nur flüchtig zu berühren, ihn bei Leibe nicht zu erschöpfen. Die Holzschnitte in alten Büchern dienten 35 anderen Zwecken und können mit diesen Illustrationen nicht verglichen werden. Die Illustrationen der vorliegenden Ausgabe sind, nach Zeichnungen von Tony Johannot, von den ersten Holzschneidern Englands und Frankreichs geschnitten. Sie sind, wie es schon Tony Johannots Name verbürgt, eben
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so elegant als charakteristisch aufgefaßt und gezeichnet; trotz der Flüchtigkeit der Behandlung sieht man, wie der Künstler in den Geist des Dichters eingedrungen ist. Sehr geistreich und phantastisch sind die Initialen und Culsde-Lampe erfunden, und gewiß mit tiefsinnig poetischer Intention hat der Künstler zu den Verzierungen meistens moreske Dessins gewählt. Sehen wir 5 ja doch die Erinnerung an die heitere Maurenzeit wie einen schönen fernen Hintergrund überall im Don Quixote hervorschimmern. — Tony Johannot, einer der vortrefflichsten und bedeutendsten Künstler in Paris, ist ein Deutscher von Geburt. Auffallend ist es, daß ein Buch, welches so reich an pittoreskem Stoff, wie 10 der Don Quixote, noch keinen Maler gefunden hat, der daraus Sujets zu einer Reihe selbstständiger Kunstwerke entnommen hätte. Ist der Geist des Buches etwa zu leicht und phantastisch, als daß nicht unter der Hand des Künstlers der bunte Farbenstaub entflöhe? Ich glaube nicht. Denn der Don Quixote, so leicht und phantastisch er ist, fußt auf derber, irdischer Wirk- 15 lichkeit, wie das ja seyn mußte, um ihn zu einem Volksbuche zu machen. Ist es etwa, weil hinter den Gestalten, die uns der Dichter vorführt, tiefere Ideen liegen, die der bildende Künstler nicht wiedergeben kann, so daß er nur die äußere Erscheinung, wie saillant sie auch vielleicht sey, nicht aber den tieferen Sinn festhalten und reproduciren könnte? Das ist wahrscheinlich der Grund. — 20 Versucht haben sich übrigens viele Künstler an Zeichnungen zum Don Quixote. Was ich von englischen, spanischen und früheren französischen Arbeiten dieser Art gesehen habe, war abscheulich. Was deutsche Künstler betrifft, so muß ich hier an unseren großen Daniel Chodowiecki erinnern. Er hat eine Reihe Darstellungen zum Don Quixote gezeichnet, die, von 25 Berger in Chodowiecki's Sinn radirt, die Bertuch'sche Uebersetzung begleiteten. Es sind vortreffliche Sachen darunter. Der falsche theatralischconventionelle Begriff, den der Künstler, wie seine übrigen Zeitgenossen, vom spanischen Costume hatte, hat ihm sehr geschadet. Man sieht aber überall, daß Chodowiecki den Don Quixote vollkommen verstanden hat. 30 Das hat mich grade bei diesem Künstler gefreut und war mir um seinetwillen wie des Cervantes wegen lieb. Denn es ist mir immer angenehm, wenn zwei meiner Freunde sich lieben, wie es mich auch stets freut, wenn zwei meiner Feinde auf einander losschlagen. Chodowiecki's Zeit, als Periode einer sich erst bildenden Literatur, die der Begeisterung noch bedurfte und Satire ab- 35 lehnen mußte, war dem Verständniß des Don Quixote eben nicht günstig, und da zeugt es denn für Cervantes, daß seine Gestalten damals dennoch verstanden wurden und Anklang fanden, wie es für Chodowiecki zeugt, daß er Gestalten wie Don Quixote und Sancho Pansa begriff, er, welcher mehr
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als vielleicht je ein anderer Künstler das Kind seiner Zeit war, in ihr wurzelte, nur ihr angehörte, von ihr getragen, verstanden und anerkannt wurde. Von neuesten Darstellungen zum Don Quixote erwähne ich mit Vergnügen einige Skizzen von Decamps, dem originellsten aller lebenden 5 französischen Maler. — Aber nur ein Deutscher kann den Don Quixote ganz verstehen, und das fühlte ich dieser Tage in erfreutester Seele, als ich an den Fenstern eines Bilderladens auf dem Boulevard Montmartre ein Blatt sah, welches den edeln Manchaner in seinem Studierzimmer darstellt und nach Adolf Schröter einem großen Meister, gezeichnet ist. io
Geschrieben zu Paris im Carneval 1837. H e i n r i c h Heine.
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Ich kenne einen guten Hamburger Christen, der sich nie darüber zufrieden geben konnte, daß unser Herr und Heiland von Geburt ein Jude war. Ein tiefer Unmuth ergriff ihn jedesmal, wenn er sich eingestehen mußte, daß der Mann, der, ein Muster der Vollkommenheit, die höchste Verehrung verdient, dennoch zur Sippschaft jener ungeschnäutzten Langnasen gehörte, die er auf der Straße als Trödler herumhausiren sieht, die er so gründlich verachtet, und die ihm noch fataler sind, wenn sie gar, wie er selber, sich dem Großhandel mit Gewürzen und Farbestoffen zuwenden, und seine eigenen Interessen beeinträchtigen. Wie es diesem vortrefflichen Sohne Hammonias mit Jesus Christus geht, so geht es mir mit William Shakspear. Es wird mir flau zu Muthe, wenn ich bedenke, daß er am Ende doch ein Engländer ist, und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorne erschaffen hat. Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch! Ein Land, welches längst der Ocean verschluckt hätte, wenn er nicht befürchtete, daß es ihm Uebelkeiten im Magen verursachen möchte . . . Ein Volk, ein graues, gähnendes Ungeheuer, dessen Athem nichts als Stickluft und tödtliche Langeweile, und das sich gewiß mit einem kolossalen Schiffstau am Ende selbst aufhängt. . . Und in einem solchen Lande, und unter einem solchen Volke, hat William Shakspear im April 15 64 das Licht der Welt erblickt. Aber das England jener Tage, wo in dem nordischen Bethlehem, welches S t a f f o r t upon A v o n geheißen, der Mann geboren ward, dem wir das weltliche Evangelium, wie man die Shakspear'schen Dramen nennen möchte, verdanken, das England jener Tage war gewiß von dem heutigen sehr verschieden; auch nannte man es m e r r y E n g l a n d , und es blühete in Farbenglanz, Maskenscherz, tiefsinniger Narrethei, sprudlender Thatenlust, überschwenglicher Leidenschaft. . . Das Leben war dort noch ein buntes Turnier, wo freilich die edelbürtigen Ritter im Schimpf und Ernst die Hauptrolle spielten, aber der helle Trompetenton auch die bürgerlichen Herzen erschütterte . . . Und statt des dicken Biers trank man den leichtsinnigen Wein, das demo-
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kratische Getränk, welches im Rausche die Menschen gleich macht, die sich eben noch auf den nüchternen Schauplätzen der Wirklichkeit nach Rang und Geburt unterschieden . . . All diese farbenreiche Lust ist seitdem erblichen, verschollen sind die 5 freudigen Trompetenklänge, erloschen ist der schöne Rausch . . . Und das Buch, welches dramatische Werke von William Shakspear heißt, ist als Trost für schlechte Zeiten, und als Beweis, daß jenes merry England wirklich existirt habe, in den Händen des Volkes zurückgeblieben. Es ist ein Glück, daß Shakspear eben noch zur rechten Zeit kam, daß er ein 10 Zeitgenosse Elisabeths und Jakobs war, als freilich der Protestantismus sich bereits in der ungezügelten Denkfreiheit, aber keineswegs in der Lebensart und Gefühlsweise äußerte, und das Königthum, beleuchtet von den letzten Strahlen des untergehenden Ritterwesens, noch in aller Glorie der Poesie blühte und glänzte. Ja, der Volksglaube des Mittelalters, der Katholicismus, 15 war erst in der Theorie zerstört; aber er lebte noch mit seinem vollen Zauber im Gemüthe der Menschen, und erhielt sich noch in ihren Sitten, Gebräuchen und Anschauungen. Erst später, Blume nach Blume, gelang es den Puritanern, die Religion der Vergangenheit gründlich zu entwurzeln, und über das ganze Land, wie eine graue Nebeldecke, jenen öden Trübsinn auszubreiten, der 20 seitdem, entgeistet und entkräftet, zu einem lauwarmen, greinenden, dünnschläfrigen Pietismus sich verwässerte. Wie die Religion, so hatte auch das Königthum in England zu Shakspear's Zeit noch nicht jene matte Umwandlung erlitten, die sich dort heutigen Tags unter dem Namen constitutioneller Regierungsform, wenn auch zum Besten der europäischen Freiheit, doch 25 keineswegs zum Heile der Kunst geltend macht. Mit dem Blute Karls des Ersten, des großen, wahren, letzten Königs, floß auch älle Poesie aus den Adern Englands; und dreimal glücklich war der Dichter, der dieses kummervolle Ereigniß, das er vielleicht im Geiste ahnete, nimmermehr als Zeitgenosse erlebt hat. Shakspear ward in unsren Tagen sehr oft ein Aristo30 krat genannt. Ich möchte dieser Anklage keineswegs widersprechen, und seine politischen Neigungen vielmehr entschuldigen, wenn ich bedenke, daß sein Zukunft-schauendes Dichterauge, aus bedeutenden Wahrzeichen, schon jene nivellirende Puritanerzeit voraussah, die mit dem Königthum, so auch aller Lebenslust, aller Poesie und aller heitern Kunst ein Ende machen 35 würde. Ja, während der Herrschaft der Puritaner ward die Kunst in England geächtet; namentlich wüthete der evangelische Eifer gegen das Theater, und sogar der Name Shakspear erlosch für lange Jahre im Andenken des Volks. Es erregt Erstaunen, wenn man jetzt in den Flugschriften damaliger Zeit,
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z. B. in dem „Histrio-Mastix" des famosen Prynn, die Ausbrüche des Zornes liest, womit über die arme Schauspielkunst das Anathema ausgekrächzt wurde. Sollen wir den Puritanern ob solchem Zelotismus allzu ernsthaft zürnen? Wahrlich nein; in der Geschichte hat jeder Recht, der seinem inwohnenden Principe getreu bleibt, und die düstern Stutzköpfe folgten nur den Conse- $ quenzen jenes kunstfeindlichen Geistes, der sich schon während der ersten Jahrhunderte der Kirche kund gab, und sich mehr oder minder bilderstürmend bis auf heutigen Tag geltend machte. Diese alte, unversöhnliche Abneigung gegen das Theater ist nichts als eine Seite jener Feindschaft, die seit achtzehn Jahrhunderten zwischen zwei ganz heterogenen Weltanschauungen waltet, io und wovon die eine dem dürren Boden Judäas, die andere dem blühenden Griechenland entsprossen ist. Ja, schon seit achtzehn Jahrhunderten dauert der Groll zwischen Jerusalem und Athen, zwischen dem heiligen Grab und der Wiege der Kunst, zwischen dem Leben im Geiste und dem Geist im Leben; und die Reibungen, öffentliche und heimliche Befehdungen, die dadurch 15 entstanden, offenbaren sich dem esoterischen Leser in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir in der heutigen Zeitung finden, daß der Erzbischof von Paris einem armen todten Schauspieler die gebräuchlichen Begräbnißehren verweigert, so liegt solchem Verfahren keine besondere Priesterlaune zum Grunde, und nur der Kurzsichtige erblickt darin eine engsinnige Bös- 20 Willigkeit. Es waltet hier vielmehr der Eifer eines alten Streites, eines Todeskampfs gegen die Kunst, welche von dem hellenischen Geist oft als Tribüne benutzt wurde, um von da herab das Leben zu predigen gegen den abtödtenden Judaismus: die Kirche verfolgte in den Schauspielern die Organe des Griechenthums, und diese Verfolgung traf nicht selten auch die Dichter, die ihre 25 Begeisterung nur von Apollo herleiteten, und den proscribirten Heidengöttern eine Zuflucht sicherten im Lande der Poesie. Oder ist gar etwa Ranküne im Spiel? Die unleidlichsten Feinde der gedrückten Kirche, während der zwei ersten Jahrhunderte, waren die Schauspieler, und die „Acta Sanctorum" erzählen oft, wie diese verruchten Histrionen auf den Theatern in Rom sich 30 dazu hergaben, zur Lust des heidnischen Pöbels, die Lebensart und Mysterien der Nazarener zu parodiren. Oder war es gegenseitige Eifersucht, was Zwischen den Dienern des geistlichen und des weltlichen Wortes so bittern Zwiespalt erzeugte? Nächst dem ascetischen Glaubenseifer, war es der republikanische Fana- 35 tismus, welcher die Puritaner beseelte in ihrem Haß gegen die alt-englische Bühne, wo nicht bloß das Heidenthum und die heidnische Gesinnung, sondern auch der Royalismus und die adligen Geschlechter verherrlicht wurden. Ich habe an einem andern Orte gezeigt, wie viele Aehnlichkeit in dieser Beziehung
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zwischen den ehemaligen Puritanern und den heutigen Republikanern waltet. Mögen Apollo und die ewigen Musen uns vor der Herrschaft dieser letztern bewahren! Im Strudel der angedeuteten kirchlichen und politischen Umwälzungen verlor sich auf lange Zeit der Name Skakspear's, und es dauerte fast ein ganzes Jahrhundert, ehe er wieder zu Ruhm und Ehre gelangte. Seitdem aber stieg sein Ansehen von Tag zu Tag, und gleichsam eine geistige Sonne ward er für jenes Land, welches der wirklichen Sonne fast während zwölf Monate im Jahre entbehrt, für jene Insel der Verdammniß, jenes Botanibay ohne südliches Clima, jenes steinkohlenqualmige, maschinenschnurrende, kirchengängerische und schlecht besoffene England! Die gütige Natur enterbt nie gänzlich ihre Geschöpfe, und indem sie den Engländern alles was schön und lieblich ist versagte, und ihnen weder Stimme zum Gesang, noch Sinne zum Genuß verliehen, und sie vielleicht nur mit ledernen Porterschläuchen, statt mit menschlichen Seelen begabt hat, ertheilte sie ihnen zum Ersatz ein groß Stück bürgerlicher Freiheit, das Talent sich häuslich bequem einzurichten, und den William Shakspear. Ja, dieser ist die geistige Sonne, die jenes Land verherrlicht mit ihrem holdesten Lichte, mit ihren gnadenreichen Strahlen. Alles mahnt uns dort an Shakspear, und wie verklärt erscheinen uns dadurch die gewöhnlichsten Gegenstände. Ueberall umrauscht uns dort der Fittig seines Genius, aus jeder bedeutenden Erscheinung grüßt uns sein klares Auge, und bei großartigen Vorfällen glauben wir ihn manchmal nicken zu sehen, leise nicken, leise und lächelnd. Diese unaufhörliche Erinnerung an Shakspear und durch Shakspear, ward mir recht deutlich während meines Aufenthalts in London, während ich, ein neugieriger Reisender, dort von Morgens bis in die späte Nacht nach den sogenannten Merkwürdigkeiten herumlief. Jeder l y o n mahnte an den größern l y o n , an Shakspear. Alle jene Orte, die ich besuchte, leben in seinen histotischen Dramen ihr unsterbliches Leben, und waren mir eben dadurch von frühester Jugend bekannt. Diese Dramen kennt aber dort zu Lande nicht bloß der Gebildete, sondern auch jeder im Volke, und sogar der dicke B e e f e a t e r , der mit seinem rothen Rock und rothen Gesicht im Tower als Wegweiser dient, und dir hinter dem Mittelthor das Verließ zeigt, wo Richard seine Neffen, die jungen Prinzen, ermorden lassen, verweist dich an Shakspear, welcher die nähern Umstände dieser grausamen Geschichte beschrieben habe. Auch der Küster, der dich in der Westminsterabtey herumführt, spricht immer von Shakspear, in dessen Tragödien jene todten Könige und Königinnen, die hier, in steinernem Conterfey, auf ihren Sarkophagen ausgestreckt liegen, und
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für einen Schilling sechs Pence gezeigt werden, eine so wilde oder klägliche Rolle spielen. Er selber, die Bildsäule des großen Dichters, steht dort in Lebensgröße, eine erhabene Gestalt mit sinnigem Haupt, in den Händen eine Pergamentrolle . . . Es stehen vielleicht Zauberworte darauf, und wenn er um Mitternacht die weißen Lippen bewegt und die Todten beschwört, die dort 5 in den Grabmälern ruhen: so steigen sie hervor, mit ihren verrosteten Harnischen und verschollenen Hofgewanden, die Ritter der weißen und der rothen Rose, und auch die Damen heben sich seufzend aus ihren Ruhestätten, und ein Schwertergeklirr, und ein Lachen und Fluchen erschallt. . . Ganz wie zu Drurilane, wo ich die Shakspear'schen Geschichtsdramen so oft tragiren 10 sah, und wo Kean mir so gewaltig die Seele bewegte, wenn er verzweifelnd über die Bühne rann: „ A horse, a horse, my kingdoom for a horse!" Ich müßte den ganzen G u i d e of L o n d o n abschreiben, wenn ich die Orte anführen wollte, wo mir dort Shakspear in Erinnerung gebracht wurde. Am 15 bedeutungsvollsten geschah dieses im Parlamente, nicht sowohl deßhalb, weil das Local desselben jenes Westminster-Hal ist, wovon in den Shakspear'schen Dramen so oft die Rede, sondern weil, während ich den dortigen Debatten beiwohnte, einige mal von Shakspear selber gesprochen wurde, und zwar wurden seine Verse, nicht ihrer poetischen, sondern ihrer historischen Bedeu- 20 tung wegen, citirt. Zu meiner Verwunderung merkte ich, daß Shakspear in England nicht bloß als Dichter gefeiert, sondern auch als Geschichtschreiber von den höchsten Staatsbehörden, von dem Parlamente, anerkannt wird. Dieß führt mich auf die Bemerkung, daß es ungerecht sey, wenn man bei den geschichtlichen Dramen Shakspear's die Ansprüche machen will, die nur 25 ein Dramatiker, dem bloß die Poesie und ihre künstlerische Einkleidung der höchste Zweck ist, befriedigen kann. Die Aufgabe Shakspears war nicht bloß die Poesie, sondern auch die Geschichte; er konnte die gegebenen Stoffe nicht willkürlich modeln, er konnte nicht die Ereignisse und Charaktere nach Laune gestalten; und eben so wenig, wie Einheit der Zeit und des Ortes, 30 konnte er Einheit des Interesse für eine einzige Person oder für eine einzige Thatsache beobachten. Dennoch in diesen Geschichtsdramen strömt die Poesie reichlicher und gewaltiger und süßer als in den Tragödien jener Dichter, die ihre Fabeln entweder selbst erfinden oder nach Gutdünken umarbeiten, das strengste Ebenmaß der Form erzielen, und in der eigentlichen Kunst, 35 namentlich aber in dem enchaînement des scènes, den armen Shakspear übertreffen. Ja, das ist es, der große Britte ist nicht bloß Dichter, sondern auch Histo-
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riker; er handhabt nicht bloß Melpomenes Dolch, sondern auch Clios noch schärferen Griffel. In dieser Beziehung gleicht er den frühesten Geschichtschreibern, die ebenfalls keinen Unterschied wußten zwischen Poesie und Historie, und nicht bloß eine Nomenklatur des Geschehenen, ein stäubiges 5 Herbarium der Ereignisse, lieferten, sondern die Wahrheit verklärten durch Gesang, und im Gesänge nur die Stimme der Wahrheit tönen ließen. Die sogenannte Objectivität, wovon heut so viel die Rede, ist nichts als eine trockene Lüge; es ist nicht möglich, die Vergangenheit zu schildern, ohne ihr die Färbung unserer eigenen Gefühle zu verleihen. Ja, da der sogenannte io objective Geschichtschreiber doch immer sein Wort an die Gegenwart richtet, so schreibt er unwillkührlich im Geiste seiner eigenen Zeit, und dieser Zeitgeist wird in seinen Schriften sichtbar seyn, wie sich in Briefen nicht bloß der Charakter des Schreibers, sondern auch des Empfängers offenbart. Jene sogenannte Objectivität, die, mit ihrer Leblosigkeit sich brüstend, auf der 15 Schädelstätte der Thatsachen thront, ist schon deßhalb als unwahr verwerflich, weil zur geschichtlichen Wahrheit nicht bloß die genauen Angaben des Faktums, sondern auch gewisse Mittheilungen über den Eindruck, den jenes Faktum auf seine Zeitgenossen hervorgebracht hat, nothwendig sind. Diese Mittheilungen sind aber die schwierigste Aufgabe; denn es gehört dazu nicht 20 bloß eine gewöhnliche Notizenkunde, sondern auch das Anschauungsvermögen des Dichters, dem, wie Shakspear sagt, „das Wesen und der Körper verschollener Zeiten" sichtbar geworden. Und ihm waren sie sichtbar, nicht bloß die Erscheinungen seiner eigenen Landesgeschichte, sondern auch die, wovon die Annalen des Alterthums uns 25 Kunde hinterlassen haben, wie wir es mit Erstaunen bemerken in den Dramen, wo er das untergegangene Römerthum mit den wahrsten Farben schildert. Wie den Rittergestalten des Mittelalters, hat er auch den Helden der antiken Welt in die Nieren gesehen, und ihnen befohlen, das tiefste Wort ihrer Seele auszusprechen. Und immer wußte er die Wahrheit zur Poesie zu erheben, und 30 sogar die gemüthlosen Römer, das harte nüchterne Volk der Prosa, diese Mischlinge von roher Raubsucht und feinem Advokatensinn, diese kasuistische Soldateske, wußte er poetisch zu verklären. Aber auch in Beziehung auf seine römischen Dramen muß Shakspear wieder den Vorwurf der Formlosigkeit anhören, und sogar ein höchst begabter 35 Schriftsteller, Didrich Grabbe, nannte sie „poetisch verzierte Chroniken", wo aller Mittelpunkt fehle, wo man nicht wisse, wer Hauptperson, wer Nebenperson, lind wo, wenn man auch auf Einheit des Orts und der Zeit verzichtet, doch nicht einmal Einheit des Interesse zu finden sey. Sonderbarer Irrthum der schärfsten Kritiker! Nicht sowohl die letztgenannte Einheit, sondern auch die
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Einheiten von Ort und Zeit mangeln keineswegs unserm großen Dichter. Nur sind bei ihm die Begriffe etwas ausgedehnter als bei uns: Der Schauplatz seiner Dramen ist dieser Erdball, und das ist seine Einheit des Ortes; die Ewigkeit ist die Periode, während welcher seine Stücke spielen, und das ist seine Einheit der Zeit; und beiden angemäß ist der Held seiner Dramen, der dort als Mittelpunkt strahlt, und die Einheit des Interesse repräsentiert. . . Die Menschheit ist jener Held, jener Held, welcher beständig stirbt und beständig aufersteht — beständig liebt, beständig haßt, doch noch mehr liebt als haßt — sich heute wie ein Wurm krümmt, morgen als ein Adler zur Sonne fliegt — heute eine Narrenkappe, morgen einen Lorber verdient, noch öfter beides zu gleicher Zeit — der große Zwerg, der kleine Riese, der homöopatisch zubereitete Gott, in welchem die Göttlichkeit zwar sehr verdünnt, aber doch immer existirt — ach! laßt uns von dem Heldenthum dieses Helden nicht zu viel reden, aus Bescheidenheit und Scham! Dieselbe Treue und Wahrheit, welche Shakspear in Betreff der Geschichte beurkundet, finden wir bei ihm in Betreff der Natur. Man pflegt zu sagen, daß er der Natur den Spiegel vorhalte. Dieser Ausdruck ist tadelhaft, da er über das Verhältniß des Dichters zur Natur irre leitet. In dem Dichtergeiste spiegelt sich nicht die Natur, sondern ein Bild derselben, das dem getreuesten Spiegelbilde ähnlich, ist dem Geiste des Dichters eingeboren; er bringt gleichsam die Welt mit zur Welt, und wenn er, aus dem träumenden Kindesalter erwachend, zum Bewußtseyn seiner selbst gelangt, ist ihm jeder Theil der äußern Erscheinungswelt gleich in seinem ganzen Zusammenhang begreifbar: denn er trägt ja ein Gleichbild des Ganzen in seinem Geiste, er kennt die letzten Gründe aller Phänomene, die dem gewöhnlichen Geiste räthselhaft dünken, und auf dem Wege der gewöhnlichen Forschung nur mühsam, oder auch gar nicht, begriffen werden . . . Und wie der Mathematiker, wenn man ihm nur das kleinste Fragment eines Kreises gibt, unverzüglich den ganzen Kreis und den Mittelpunkt desselben angeben kann: so auch der Dichter, wenn seiner Anschauung nur das kleinste Bruchstück der Erscheinungswelt von außen geboten wird, offenbart sich ihm gleich der ganze universelle Zusammenhang dieses Bruchstücks; er kennt gleichsam Circulatur und Centrum aller Dinge; er begreift die Dinge in ihrem weitesten Umfang und tiefsten Mittelpunkt. Aber ein Bruchstück der Erscheinungswelt muß dem Dichter immer von außen geboten werden, ehe jener wunderbare Prozeß der Weltergänzung in ihm statt finden kann; dieses Wahrnehmen eines Stücks der Erscheinungswelt geschieht durch die Sinne, und ist gleichsam das äußere Ereigniß, wovon die innern Offenbarungen bedingt sind, denen wir die Kunstwerke des Dichters
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verdanken. Je größer diese letztern, desto neugieriger sind wir jene äußeren Ereignisse zu kennen, welche dazu die erste Veranlassung gaben. Wir forschen gern nach Notizen über die wirklichen Lebensbeziehungen des Dichters. Diese Neugier ist um so thörichter, da, wie aus Obengesagtem schon hervorgeht, 5 die Größe der äußeren Ereignisse in keinem Verhältnisse steht zu der Größe der Schöpfungen, die dadurch hervorgerufen wurden. Jene Ereignisse können sehr klein und scheinlos seyn, und sind es gewöhnlich, wie das äußere Leben der Dichter überhaupt gewöhnlich sehr klein und scheinlos ist. Ich sage scheinlos und klein, denn ich will mich keiner betrübsameren Worte bedienen. 10 Die Dichter präsentiren sich der Welt im Glänze ihrer Werke, und besonders wenn man sie aus der Ferne sieht, wird man von den Strahlen geblendet. O laßt uns nie in der Nähe ihren Wandel beobachten! Sie sind wie jene holden Lichter, die, am Sommerabend, aus Rasen und Lauben so prächtig hervorglänzen, daß man glauben sollte, sie seyen die Sterne der Erde . . . daß man 15 glauben sollte, sie seyen Diamanten und Smaragde, kostbares Geschmeide, welches die Königskinder, die im Garten spielten, an den Büschen aufgehängt und dort vergaßen. . . daß man glauben sollte, sie seyen glühende Sonnentropfen, welche sich im hohen Grase verloren haben, und jetzt in der kühlen Nacht sich erquicken und freudeblitzen, bis der Morgen kommt und das 20 rothe Flammengestirn sie wieder zu sich heraufsaugt. . . Ach! suche nicht am Tage die Spur jener Sterne, Edelsteine und Sonnentropfen! Statt ihrer siehst du ein armes, mißfarbiges Würmchen, das am Wege kläglich dahinkriecht, dessen Anblick dich anwidert, und das dein Fuß dennoch nicht zertreten will, aus sonderbarem Mitleid! 25 Was war das Privatleben von Shakspear? Trotz aller Forschungen hat man fast gar nichts davon ermitteln können, und das ist ein Glück. Nur allerlei unbewiesene läppische Sagen haben sich über die Jugend und das Leben des Dichters fortgepflanzt. Da soll er bei seinem Vater, welcher Metzger gewesen, selber die Ochsen abgeschlachtet haben . . . Diese letztern waren vielleicht die 30 Ahnen jener englischen Commentatoren, die wahrscheinlich aus Nachgroll ihm überall Unwissenheit und Kunstfehler nachwiesen. Dann soll er Wollhändler geworden seyn und schlechte Geschäfte gemacht haben. . . Armer Schelm! er meinte, wenn er Wollhändler würde, könne er endlich in der Wolle sitzen. Ich glaube nichts von der ganzen Geschichte; viel Geschrei und wenig Wolle. 35 Geneigter bin ich zu glauben, daß unser Dichter wirklich Wilddieb geworden, und wegen eines Hirschkalbs in gerichtliche Bedrängniß gerieth; weßhalb ich ihn aber dennoch nicht ganz verdamme. „Auch Ehrlich hat einmal ein Kalb gestohlen," sagt ein deutsches Sprichwort. Hierauf soll er nach London entflohen seyn und dort, für ein Trinkgeld, die Pferde der großen Herrn vor der
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Thüre des Theaters beaufsichtigt haben . . . So ungefähr lauten die Fabeln, die in der Literaturgeschichte ein altes Weib dem andern nachklatscht. Authentische Urkunden über die Lebensverhältnisse Shakspear's sind seine Sonette, die ich jedoch nicht besprechen möchte, und die eben, ob der tiefen menschlichen Misere, die sich darin offenbart, zu obigen Betrachtungen über das Privatleben der Poeten mich verleiteten. Der Mangel an bestimmteren Nachrichten über Shakspear's Leben ist leicht erklärbar, wenn man die politischen und religiösen Stürme bedenkt, die bald nach seinem Tode ausbrachen, für einige Zeit eine völlige Puritanerherrschaft hervorriefen, auch später noch unerquiklich nachwirkten, und die goldene Elisabethperiode der englischen Literatur nicht bloß vernichteten, sondern auch in gänzliche Vergessenheit brachten. Als man zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Werke von Shakspear wieder ans große Tageslicht zog, fehlten alle jene Tradizionen, welche zur Auslegung des Textes fördersam gewesen wären, und die Commentatoren mußten zu einer Kritik ihre Zuflucht nehmen, die in einem flachen Empirismus, und noch kläglicheren Materialismus, ihre letzten Gründe schöpfte. Nur mit Ausnahme von William Hazlitt hat England keinen einzigen bedeutenden Commentator Shakspear's hervorgebracht; überall Kleinigkeitskrämerei, selbstbespiegelnde Seichtigkeit, enthusiastisch thuender Dünkel, gelehrte Aufgeblasenheit, die vor Wonne fast zu platzen droht, wenn sie dem armen Dichter irgend einen antiquarischen, geographischen oder chronologischen Schnitzer nachweisen und dabei bedauern kann, daß er leider die Alten nicht in der Ursprache studirt, und auch sonst wenige Schulkenntnisse besessen habe. Er läßt ja die Römer Hüte tragen, läßt Schiffe landen in Böhmen, und zur Zeit Troyas läßt er den Aristoteles citiren! Das war mehr als ein englischer Gelehrter, der in Oxfort zum Magister Artium graduirt worden, vertragen konnte I Der einzige Commentator Shakspear's, den ich als Ausnahme bezeichnet, und der auch in jeder Hinsicht einzig zu nennen ist, war der selige Hazlitt, ein Geist eben so glänzend wie tief, eine Mischung von Diderot und Börne, flammende Begeisterung für die Revolution neben dem glühendsten Kunstsinn, immer sprudelnd von V e r v e und E s p r i t . Besser als die Engländer haben die Deutschen den Shakspear begriffen. Und hier muß wieder zuerst jener theure Name genannt werden, den wir überall antreffen, wo es bei uns eine große Initiative galt. Gotthold Ephraim Lessing war der erste, welcher in Deutschland seine Stimme für Shakspear erhob. Er trug den schwersten Baustein herbei zu einem Tempel für den größten aller Dichter, und, was noch preisenswerther, er gab sich die Mühe, den Boden, worauf dieser Tempel erbaut werden sollte, von dem alten Schutte zu reinigen. 11 Heine, Bd. 9
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Die leichten französischen Schaubuden, die sich breit machten auf jenem Boden, riß er unbarmherzig nieder in seinem freudigen Baueifer. Gottsched schüttelte so verzweiflungsvoll die Locken seiner Perrücke, daß ganz Leipzig erbebte, und die Wangen seiner Gattinn vor Angst, oder auch von Puderstaub, 5 erbleichten. Man könnte behaupten, die ganze Lessing'sche Dramaturgie sey im Interesse Shakspear's geschrieben. Nach Lessing ist Wieland zu nennen. Durch seine Uebersetzung des großen Poeten vermittelte er noch wirksamer die Anerkennung desselben in Deutschland. Sonderbar, der Dichter des Agathon und der Musarion, der tändlende io Cavalière-Servente der Grazien, der Anhänger und Nachahmer der Franzosen: er war es, den auf einmal der brittische Ernst so gewaltig erfaßte, daß er selber den Helden auf's Schild hob, der seiner eigenen Herrschaft ein Ende machen sollte. Die dritte große Stimme, die für Shakspear in Deutschland erklang, gehörte 15 unserem lieben theuern Herder, der sich mit unbedingter Begeisterung für ihn erklärte. Auch Göthe huldigte ihm mit großem Trompetentusch; kurz, es war eine glänzende Reihe von Königen, welche, einer nach dem andern, ihre Stimme in die Urne warfen, und den William Shakspear zum Kaiser der Literatur erwählten. 20 Dieser Kaiser saß schon fest auf seinem Throne, als auch der Ritter August Wilhelm von Schlegel und sein Schildknappe, der Hofrath Ludwig Tieck, zum Handkusse gelangten, und aller Welt versicherten, jetzt erst sey das Reich auf immer gesichert, das tausendjährige Reich des großen Williams. Es wäre Ungerechtigkeit, wenn ich Herrn A. W. Schlegel die Verdienste 25 absprechen wollte, die er durch seine Uebersetzung der Shakspear'schen Dramen und durch seine Vorlesungen über dieselben erworben hat. Aber ehrlich gestanden, diesen letzteren fehlt allzu sehr der philosophische Boden; sie schweifen allzu oberflächlich in einem frivolen Dilettantismus umher, und einige häßliche Hintergedanken treten all zu sichtbar hervor, als daß ich 30 darüber ein unbedingtes Lob aussprechen dürfte. Des Herrn A. W. Schlegel's Begeisterung ist immer ein künstliches, ein absichtliches Hineinlügen in einen Rausch ohne Trunkenheit, und bei ihm, wie bei der übrigen romantischen Schule, sollte die Apotheose Shakspear's indirekt zur Herabwürdigung Schiller's dienen. Die Schlegel'sche Uebersetzung ist gewiß bis jetzt die ge35 lungenste, und entspricht den Anforderungen, die man an einer metrischen Uebertragung machen kann. Die weibliche Natur seines Talents kommt hier dem Uebersetzer gar vortrefflich zu statten, und in seiner charakterlosen Kunstfertigkeit kann er sich dem fremden Geiste ganz liebevoll und treu anschmiegen.
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Indessen, ich gestehe es, trotz dieser Tugenden, möchte ich zuweilen der alten Eschenburg'schen Uebersetzung, die ganz in Prosa abgefaßt ist, vor der Schlegel'schen den Vorzug ertheilen, und zwar aus folgenden Gründen: Die Sprache des Shakspear ist nicht demselben eigenthümlich, sondern sie ist ihm von seinen Vorgängern und Zeitgenossen überliefert; sie ist die her- 5 kömmliche Theatersprache, deren sich damals der dramatische Dichter bedienen mußte, er mochte sie nun seinem Genius passend finden oder nicht. Man braucht nur flüchtig in Dodsleys „Collection of old plays" zu blättern, und man bemerkt, daß in allen Tragödien und Lustspielen damaliger Zeit dieselbe Sprechart herrscht, derselbe Euphuismus, dieselbe Uebertreibung der 10 Zierlichkeit, geschraubte Wortbildung, dieselben Conzetti, Witzspiele, Geistesschnörkeleien, die wir ebenfalls bei Shakspear finden, und die von beschränkten Köpfen blindlings bewundert, aber von dem einsichtsvollen Leser, wo nicht getadelt, doch gewiß nur als eine Aeußerlichkeit, als eine Zeitbedingung, die nothwendiger Weise zu erfüllen war, entschuldigt werden. 15 Nur in den Stellen, wo der ganze Genius von Shakspear hervortritt, wo seine höchsten Offenbarungen laut werden, da streift er auch jene tradizionelle Theatersprache von sich ab, und zeigt sich in einer erhaben schönen Nacktheit, in einer Einfachheit, die mit der ungeschminkten Natur wetteifert und uns mit den süßesten Schauern erfüllt. Ja, wo solche Stellen, da bekundet 20 Shakspear auch in der Sprache eine bestimmte Eigenthümlichkeit, die aber der metrische Uebersetzer, der mit gebundenen Wortfüßen dem Gedanken nachhinkt, nimmermehr getreu abspiegeln kann. Bei dem metrischen Uebersetzer verlieren sich diese außerordentlichen Stellen in dem gewöhnlichen Gleise der Theatersprache, und auch Herr Schlegel kann diesem Schicksal 25 nicht entgehen. Wozu aber die Mühe des metrischen Uebersetzens, wenn eben das Beste des Dichters dadurch verloren geht, und nur das Tadelhafte wiedergegeben wird? Eine Uebersetzung in Prosa, welche die prunklose, schlichte, naturähnliche Keuschheit gewisser Stellen leichter reproduzirt, verdient daher gewiß den Vorzug vor der metrischen. 30 In unmittelbarer Nachfolge Schlegel's hat sich Herr L. Tieck als Erläuterer Shakspear's einiges Verdienst erworben. Dieses geschah namentlich durch seine dramaturgischen Blätter, welche vor vierzehn Jahren in der Abendzeitung erschienen sind, und unter Theaterliebhabern und Schauspielern das größte Aufsehen erregten. Es herrscht leider in jenen Blättern ein breit- 35 beschaulicher, langwürdiger Belehrungston, dessen sich der liebenswürdige Taugenichts, wie ihn Gutzkow nennt, mit einer gewissen geheimen Schalkheit beflissen hat. Was ihm an Kenntniß der klassischen Sprachen, oder gar an Philosophie, abging, ersetzte er durch Anstand und Spaßlosigkeit, und man 11*
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glaubt Sir John auf dem Sessel zu sehen, wie er dem Prinzen eine Standrede hält. Aber trotz der weitbauschigen, doktrinellen Gravität, worunter der kleine Ludwig seine philologische und philosophische Unwissenheit, seine Ignorantia, zu verbergen sucht, befinden sich in den erwähnten Blättern die 5 scharfsinnigsten Bemerkungen über die Charaktere der Shakspear'schen Helden, und hie und da begegnen wir sogar jener poetischen Anschauungsfähigkeit, die wir in den frühern Schriften des Herrn Tieck immer bewundert und mit Freude anerkannt haben. Ach, dieser Tieck, welcher einst ein Dichter war, und, wo nicht zu den io Höchsten, doch wenigstens zu den Hochstrebenden gezählt wurde, wie ist er seitdem herunter gekommen! Wie kläglich ist das abgehaspelte Pensum, das er uns jetzt jährlich bietet, im Vergleiche mit den freien Erzeugnissen seiner Muse aus der frühern mondbeglänzten Mährchenweitzeit! Eben so lieb wie er uns einst war, eben so widerwärtig ist er uns jetzt, der ohnmächtige Neidhart, 15 der die begeisterten Schmerzen deutscher Jugend in seinen Klatschnovellen verläumdet! Auf ihn passen so ziemlich die Worte Shakspear's: „Nichts schmeckt so ekelhaft wie Süßes, das in Verdorbenheit überging; nichts riecht so schnöde wie eine verfaulte Lilie!" Unter den deutschen Commentatoren des großen Dichters kann man den 20 seligen Franz Horn nicht unerwähnt lassen. Seine Erläuterungen Shakspear's sind jedenfalls die vollständigsten, und betragen fünf Bände. Es ist Geist darin, aber ein so verwaschener und verdünnter Geist, daß er uns noch unerquicklicher erscheint als die geistloseste Beschränktheit. Sonderbar, dieser Mann, der sich aus Liebe für Shakspear sein ganzes Leben hindurch mit dem 25 Studium desselben beschäftigte und zu seinen eifrigsten Anbetern gehört, war ein schwachmatischer Pietist. Aber vielleicht eben das Gefühl seiner eigenen Seelenmattigkeit erregte bei ihm ein beständiges Bewundern Shakspear'scher Kraft, und wenn gar manchmal der brittische Titane in seinen leidenschaftlichen Scenen den Pelion auf den Ossa schleudert und bis zur Himmelsburg 30 hinanstürmt: dann fällt dem armen Erläuterer vor Erstaunen die Feder aus der Hand, und er seufzt und flennt gelinde. Als Pietist müßte er eigentlich, seinem frömmelnden Wesen nach, jenen Dichter hassen, dessen Geist, ganz getränkt von blühender Götterlust, in jedem Worte das freudigste Heidenthum athmet; er müßte ihn hassen, jenen Bekenner des Lebens, der, dem 35 Glauben des Todes heimlich abhold, und in den süßesten Schauern alter Heldenkraft schwelgend, von den traurigen Seligkeiten der Demuth und der Entsagung und der Kopfhängerei nichts wissen will! Aber er liebt ihn dennoch, und in seiner unermüdlichen Liebe möchte er den Shakspear nachträglich zur wahren Kirche bekehren; er commentirt eine christliche Gesinnung in ihn
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hinein: sey es frommer Betrug oder Selbsttäuschung, diese christliche Gesinnung entdeckt er überall in den Shakspear'schen Dramen, und das fromme Wasser seiner Erläuterungen ist gleichsam ein Taufbad von fünf Bänden, welches er dem großen Heiden auf den Kopf gießt. Aber, ich wiederhole es, diese Erläuterungen sind nicht ganz ohne Geist. Manchmal bringt Franz Horn einen guten Einfall zur Welt; dann schneidet er allerlei langweilig süß-säuerliche Grimassen, und greint, und dreht sich und windet sich auf dem Gebärstuhl des Gedankens; und wenn er endlich mit dem guten Einfall niedergekommen, dann betrachtet er gerührt die Nabelschnur, und lächelt erschöpft, wie eine Wöchnerinn. Es ist in der That eine eben so verdrießliche wie kurzweilige Erscheinung, daß grade unser schwächlicher pietistischer Franz den Shakspear commentirt hat. In einem Lustspiel von Grabbe ist die Sache aufs ergötzlichste umgekehrt: Shakspear, welcher nach dem Tode in die Hölle gekommen, muß dort Erläuterungen zu Franz Horn's Werken schreiben. Wirksamer als die Glossen und die Erklärerei und das mühsame Lobhudeln der Commentatoren, war für die Popularisirung Shakspear's die begeisterte Liebe, womit talentvolle Schauspieler seine Dramen aufführten, und somit dem Urtheil des gesammten Publikums zugänglich machten. Lichtenberg, in seinen Briefen aus England, giebt uns einige bedeutsame Nachrichten über die Meisterschaft, womit, in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, auf der Londoner Bühne die Shakspear'schen Charaktere dargestellt wurden. Ich sage Charaktere, nicht die Werke in ihrer Ganzheit; denn bis auf heutiger Stunde haben die brittischen Schauspieler im Shakspear nur die Charakteristik begriffen, keineswegs die Poesie, und noch weniger die Kunst. Solche Einseitigkeit der Auffassung findet sich aber jedenfalls in weit bornirterem Grade bei den Commentatoren, die durch die bestäubte Brille der Gelehrsamkeit nimmermehr im Stande waren, das Allereinfachste, das Zunächstliegende, die Natur, in Shakspear's Dramen zu sehen. Garrik sah klarer den Shakspear'schen Gedanken als Dr. Johnson, der John Bull der Gelehrsamkeit, auf dessen Nase die Königin Mab gewiß die drolligsten Sprünge machte, während er über den Sommernachtstraum schrieb; er wußte gewiß nicht, warum er bei Shakspear mehr Nasenkitzel und Lust zum Niesen empfand als bei den übrigen Dichtern, die er kritisirte. Während Dr. Johnsohn die Shakspear'schen Charaktere als todte Leichen sezirte, und dabei seine dicksten Dummheiten in ciceronianischem Englisch auskramte, und sich mit plumper Selbstgefälligkeit auf den Antithesen seines lateinischen Periodenbaues schaukelte: stand Garrik auf der Bühne und erschütterte das ganze Volk von England, indem er mit schauerlicher Beschwö-
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Shakspeares Mädchen und Frauen rung jene Todten ins Leben rief, daß sie vor aller Augen ihre grauenhaften, blutigen oder lächerlichen Geschäfte verrichteten. Dieser Garrik aber liebte den großen Dichter, und, zum Lohne für solche Liebe, liegt er begraben in Westminster, neben dem Piedestal der Shakspear'schen Statue, wie ein treuer 5 Hund zu den Füßen seines Herrn. Eine Uebersiedelung des Garrik'schen Spiels nach Deutschland verdanken wir dem berühmten Schröder, welcher auch einige der besten Dramen Shakspear's für die deutsche Bühne zuerst bearbeitete. Wie Garrik, so hat auch Schröder weder die Poesie noch die Kunst begriffen, die sich in jenen Dramen io offenbart, sondern er that nur einen verständigen Blick in die Natur, die sich darin zunächst ausspricht; und weniger suchte er die holdselige Harmonie und die innere Vollendung eines Stücks, als vielmehr die einzelnen Charaktere darin mit der einseitigsten Naturtreue zu reproduziren. Zu diesem Urtheil berechtigen mich sowohl die Tradizionen seines Spieles, wie sie sich bis 15 heutigen Tag auf der Hamburger Bühne erhielten als auch seine Bearbeitungen der Shakspear'schen Stücke selbst, worin alle Poesie und Kunst verwischt ist, und nur durch Zusammenfassung der schärfsten Züge eine feste Zeichnung der Hauptcharaktere, eine gewisse allgemein zugängliche Natürlichkeit, hervortritt. 20 Aus diesem Systeme der Natürlichkeit entwickelte sich auch das Spiel des großen Devrient, den ich einst zu Berlin gleichzeitig mit dem großen Wolf spielen sah, welcher letztere in seinem Spiele vielmehr dem Systeme der Kunst huldigte. Obgleich, von den verschiedensten Richtungen ausgehend, jener die Natur, dieser die Kunst als das Höchste erstrebte, begegneten sie sich doch 25 beide in der Poesie, und durch ganz entgegengesetzte Mittel erschütterten und entzückten sie die Herzen der Zuschauer. Weniger als man erwarten durfte, haben die Musen der Musik und der Malerei zur Verherrlichung Shakspear's beigetragen. Waren sie neidisch auf ihre Schwestern Melpomene und Thalia, die durch den großen Britten ihre 30 unsterblichsten Kränze ersiegt? Außer Romeo und Julia, und Othello, hat kein Shakspear'sches Stück irgend einen bedeutenden Componisten zu großen Schöpfungen begeistert. Den Werth jener tönenden Blumen, die dem jauchzenden Nachtigallherzen Zingarelli's entsprossen, brauche ich eben so wenig zu loben wie jene süßesten Klänge, womit der Schwan von Pesaro die ver35 blutende Zärtlichkeit Desdemona's und die schwarzen Flammen ihres Geliebten besungen hat! Die Malerei, wie überhaupt die zeichnenden Künste, haben den Ruhm unseres Dichters noch kärglicher unterstützt. Die sogenannte Shakspear-Gallerie in Pall-Mall zeugt zwar von dem guten Willen, aber zugleich von der kühlen Ohnmacht der brittischen Maler. Es sind nüchterne
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Darstellungen, ganz im Geiste der ältern Franzosen, ohne den Geschmack, der sich bei diesen nie ganz verläugnet. Es gibt etwas, worin die Engländer eben so lächerliche Pfuscher sind, wie in der Musik, das ist nämlich die Malerei. Nur im Fache des Portraits haben sie Ausgezeichnetes geleistet, und gar wenn sie das Portrait mit dem Grabstichel, also nicht mit Farben, behandein können, übertreffen sie die Künstler des übrigen Europa. Was ist der Grund jenes Phenomens, daß die Engländer, denen der Farbensinn so kümmerlich versagt ist, dennoch die außerordentlichsten Zeichner sind, und Meisterstücke des Kupfer- und Stahlstichs zu liefern vermögen? Daß letzteres der Fall ist, bezeugen die nach Shakspear'schen Dramen gezeichneten Portraite von Frauen und Mädchen, die ich hier mittheile, und deren Vortrefflichkeit wohl keines Commentars bedarf. Von Commentar ist hier überhaupt am allerwenigsten die Rede. Die vorstehenden Blätter sollten nur dem lieblichen Werke als flüchtige Einleitung, als Vorgruß, dienen, wie es Brauch und üblich ist. Ich bin der Pförtner, der Euch diese Gallerie aufschließt, und was Ihr bis jetzt gehört, war nur eitel Schlüsselgerassel. Indem ich Euch umherführe, werde ich manchmal ein kurzes Wort in Eure Betrachtungen hineinschwatzen; ich werde manchmal jene Cicerone nachahmen, die nie erlauben, daß man sich in der Betrachtung irgend eines Bildes allzu begeisterungsvoll versenkt; mit irgend einer banalen Bemerkung wissen sie Euch bald aus der beschaulichen Entzückung zu wecken. Jedenfalls glaube ich mit dieser Publication den heimischen Freunden eine Freude zu machen. Der Anblick dieser schönen Frauengesichter möge ihnen die Betrübniß, wozu sie jetzt so sehr berechtigt sind, von der Stirne verscheuchen. Ach! daß ich Euch nichts Reelleres zu bieten vermag, als diese Schattenbilder der Schönheit! Daß ich Euch die rosige Wirklichkeit nicht erschließen kann! Ich wollte einst die Hellebarden brechen, womit man Euch die Gärten des Genusses versperrt. . . Aber die Hand war schwach, und die Hellebardiere lachten und stießen mich mit ihren Stangen gegen die Brust, und das vorlaut großmüthige Herz verstummte, aus Schaam, wo nicht gar aus Furcht. Ihr seufzet?
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Es ist die ehrenfeste Tochter des Priesters Calchas, welche ich hier dem ver5 ehrungswürdigen Publiko zuerst vorführe. Pandarus war ihr Oheim: ein wackerer Kuppler; seine vermittelnde Thätigkeit wäre jedoch schier entbehrlich gewesen. Troilus, ein Sohn des vielzeugenden Priamus, war ihr erster Liebhaber; sie erfüllte alle Formalitäten, sie schwur ihm ewige Treue, brach sie mit gehörigem Anstand, und hielt einen seufzenden Monolog über die io Schwäche des weiblichen Herzens, ehe sie sich dem Diomedes ergab. Der Horcher Thersites, welcher ungalanter Weise immer den rechten Namen ausspricht, nennt sie eine Metze. Aber er wird wohl einst seine Ausdrücke mäßigen müssen; denn es kann sich wohl ereignen, daß die Schöne, von einem Helden zum andern, und immer zum geringeren, hinabsinkend, endlich ihm 15 selber als süße Buhle anheimfällt. Nicht ohne mancherlei Gründe habe ich an der Pforte dieser Gallerie das Bildniß der Cressida aufgestellt. Wahrlich nicht ihrer Tugend wegen, nicht weil sie ein Typus des gewöhnlichen Weiberkarakters, gestattete ich ihr den Vorrang vor so manchen herrlichen Idealgestalten Shakspear'scher Schöpfung; 2.0 nein, ich eröffnete die Reihe mit dem Bilde jener zweideutigen Dame, weil ich, wenn ich unseres Dichters sämmtliche Werke herausgeben sollte, ebenfalls das Stück, welches den Namen „Troilus und Cressida" führt, allen andern voranstellen würde. Steevens, in seiner Prachtausgabe Shakspear's, thut dasselbe, ich weiß nicht warum; doch zweifle ich, ob dieselben Gründe, die ich jetzt 25 andeuten will, auch jenen englischen Herausgeber bestimmten. Troilus und Cressida ist das einzige Drama von Shakspear, worin er die nämlichen Heroen tragiren läßt, welche auch die griechischen Dichter zum Gegenstand ihrer dramatischen Spiele wählten; so daß sich uns, durch Vergleichung mit der Art und Weise, wie die ältern Poeten dieselben Stoffe 30 behandelten, das Verfahren Shakspear's recht klar offenbart. Während die klassischen Dichter der Griechen nach erhabenster Verklärung der Wirklichkeit streben, und sich zur Idealität emporschwingen, dringt unser moderner
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Tragiker mehr in die Tiefe der Dinge; er gräbt mit scharfgewetzter Geistesschaufel in den stillen Boden der Erscheinungen, und entblößt vor unseren Augen ihre verborgenen Wurzeln. Im Gegensatz zu den antiken Tragikern, die, wie die antiken Bildhauer, nur nach Schönheit und Adel rangen, und auf Kosten des Gehaltes die Form verherrlichten, richtete Shakspear sein Augenmerk zunächst auf Wahrheit und Inhalt; daher seine Meisterschaft der Charakteristik, womit er nicht selten, an die verdrießlichste Karikatur streifend, die Helden ihrer glänzenden Harnische entkleidet und in dem lächerlichsten Schlafrock erscheinen läßt. Die Kritiker, welche Troilus und Cressida nach den Prinzipien beurtheilten, die Aristoteles aus den besten griechischen Dramen abstrahirt hat, mußten daher in die größten Verlegenheiten, wo nicht gar in die possirlichsten Irrthümer, gerathen. Als Tragödie war ihnen das Stück nicht ernsthaft und pathetisch genug; denn alles darin ging so natürlich von statten, fast wie bei uns; und die Helden handelten eben so dumm, wo nicht gar gemein, wie bei uns; und der Hauptheld ist ein Laps und die Heldin eine gewöhnliche Schürze, wie wir deren genug unter unseren nächsten Bekannten wahrnehmen... und gar die gefeiertesten Namenträger, Renomeen der heroischen Vorzeit, z. B. der große Pelide Achilles, der tapfere Sohn der Thetis, wie miserabel erscheinen sie hier! Auf der andern Seite konnte auch das Stück nicht für eine Komödie erklärt werden; denn vollströmig floß darin das Blut, und erhaben genug klangen darin die längsten Reden der Weisheit, wie z. B. die Betrachtungen, welche Ulysses über die Nothwendigkeit der Auctoritas anstellt, und die bis auf heutige Stunde die größte Beherzigung verdienten. Nein, ein Stück, worin solche Reden gewechselt werden, das kann keine Komödie seyn, sagten die Kritiker, und noch weniger durften sie annehmen, daß ein armer Schelm, welcher, wie der Turnlehrer Maßmann, blutwenig Latein und gar kein Griechisch verstand, so verwegen seyn sollte, die berühmten klassischen Helden zu einem Lustspiele zu gebrauchen! Nein, Troilus und Cressida ist weder Lustspiel noch Trauerspiel im gewöhnlichen Sinne; dieses Stück gehört nicht zu einer bestimmten Dichtungsart, und noch weniger kann man es mit den vorhandenen Maasstaben messen: es ist Shakspear's eigentümlichste Schöpfung. Wir können ihre hohe Vortrefflichkeit nur im Allgemeinen anerkennen; zu einer besonderen Beurtheilung bedürften wir jener neuen Aesthetik, die noch nicht geschrieben ist. Wenn ich nun dieses Drama unter der Rubrik „Tragödien" einregistrire, so will ich dadurch von vorn herein zeigen, wie streng ich es mit solchen Ueberschriften nehme. Mein alter Lehrer der Poetik, im Gymnasium zu Düsseldorf, bemerkte einst sehr scharfsinnig: „Diejenigen Stücke, worin nicht der heitere Geist Thalias, sondern die Schwermuth Melpomenes athmet, gehören in's
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Gebiet der Tragödie." Vielleicht trug ich jene umfassende Definizion im Sinne, als ich auf den Gedanken gerieth, Troilus und Cressida unter die Tragödien zu stecken. Und in der That, es herrscht darin eine jauchzende Bitterkeit, eine weltverhöhnende Ironie, wie sie uns nie in den Spielen der 5 komischen Muse begegnete. Es ist weit eher die tragische Göttin, welche überall in diesem Stücke sichtbar wird, nur daß sie hier einmal lustig thun und Spaß machen möchte . . . Und es ist, als sähen wir Melpomene auf einem Grisettenball den Chahut tanzen, freches Gelächter auf den bleichen Lippen, und den Tod im Herzen.
CASSANDRA. (Troilus und Cressida.)
10 Es ist die wahrsagende Tochter des Priamus, welche wir hier im Bildnisse vorführen. Sie trägt im Herzen das schauerliche Yorwissen der Zukunft; sie verkündet den Untergang Ilions, und jetzt, wo Hektor sich waffnet, um mit dem schrecklichen Peliden zu kämpfen, fleht sie und jammert sie . . . Sie sieht im Geiste schon den geliebten Bruder aus offenen Todeswunden verbluten . . . 15 Sie fleht und jammert. Vergebens! niemand hört auf ihren Rath, und eben so rettungslos wie das ganze verblendete Volk, sinkt sie in den Abgrund eines dunkeln Schicksals. Kärgliche und eben nicht sehr bedeutungsvolle Worte widmet Shakspear der schönen Seherin; sie ist bei ihm nur eine gewöhnliche Unglücksprophetin, 20 die mit Wehegeschrei in der verfehmten Stadt umherläuft: Ihr Auge rollt irre, Ihr Haar flattert wirre, wie Figura zeigt. Liebreicher hat sie unser großer Schiller in einem seiner schönsten Gedichte 25 gefeiert. Hier klagt sie dem pythischen Gotte mit den schneidensten Jammertönen das Unglück, das er über seine Priesterin verhängt. . . Ich selber hatte einmal in öffentlicher Schulprüfung jenes Gedicht zu deklamiren, und stecken blieb ich bei den Worten: 30
Frommt's den Schleier aufzuheben Wo das nahe Schreckniß droht? Nur der Irrthum ist das Leben, Und das Wissen ist der Tod.
Tragödien — Helena HELENA. (Troilus und Cressida.)
Diese ist die schöne Helena, deren Geschichte ich Euch nicht ganz erzählen und erklären kann; ich müßte denn wirklich mit dem E y der Leda beginnen. Ihr Titularvater hieß Tyndarus, aber ihr wirklich geheimer Erzeuger war ein Gott, der in der Gestalt eines Vogels ihre gebenedeiete Mutter befruchtet hatte, wie dergleichen im Alterthum oft geschah. Früh verheirathet ward sie nach Sparta; doch bei ihrer außerordentlichen Schönheit ist es leicht begreiflich, daß sie dort bald verführt wurde, und ihren Gemahl, den König Menelaus, zum Hahnerei machte. Meine Damen, wer von Euch sich ganz rein fühlt, werfe den ersten Stein auf die arme Schwester. Ich will damit nicht sagen, daß es keine ganz treuen Frauen geben könne. War doch schon das erste Weib, die berühmte Eva, ein Muster ehelicher Treue. Ohne den leisesten Ehebruchsgedanken, wandelte sie an der Seite ihres Gemahls, des berühmten Adams, der damals der einzige Mann in der Welt war, und ein Schurzfell von Feigenblättern trug. Nur mit der Schlange konversirte sie gern, aber bloß wegen der schönen französischen Sprache, die sie sich dadurch aneignete, wie sie denn überhaupt nach Bildung strebte. O ihr Evastöchter, ein schönes Beispiel hat Euch Eure Stammmutter hinterlassen! . . . Frau Venus, die unsterbliche Göttin aller Wonne, verschaffte dem Prinzen Paris die Gunst der schönen Helena; er verletzte die heilige Sitte des Gastrechts, und entfloh mit seiner holden Beute nach Troja, der sichern Burg . . . was wir alle ebenfalls unter solchen Umständen gethan hätten. Wir alle, und darunter verstehe ich ganz besonders uns Deutsche, die wir gelehrter sind als andere Völker, und uns von Jugend auf mit den Gesängen des Homers beschäftigen. Die schöne Helena ist unser frühester Liebling, und schon im Knabenalter, wenn wir auf den Schulbänken sitzen, und der Magister uns die schönen griechischen Verse explicirt, wo die trojanischen Greise beim Anblick der Helena in Entzückung gerathen. . . dann pochen schon die süßesten Gefühle in unserer jungen unerfahrnen Brust. . . Mit erröthenden Wangen und unsicherer Zunge antworten wir auf die grammatischen Fragen des Magisters . . . Späterhin, wenn wir älter und ganz gelehrt, und sogar Hexenmeister geworden sind, und den Teufel selbst beschwören können, dann begehren wir von dem dienenden Geiste, daß er uns die schöne Helena von Sparta verschaffe. Ich habe es schon einmal gesagt, der Johannes Faustus ist der wahre Repräsentant der Deutschen, des Volkes, das im Wissen seine Lust
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befriedigt, nicht im Leben. Obgleich dieser berühmte Doktor, der NormalDeutsche, endlich nach Sinnengenuß lechzt und schmachtet, sucht er den Gegenstand der Befriedigung keineswegs auf den blühenden Fluren der Wirklichkeit, sondern im gelehrten Moder der Bücherwelt; und, während ein 5 französischer oder italienischer Nekromant von dem Mephistopheles das schönste Weib der Gegenwart gefordert hätte, begehrt der deutsche Faust ein Weib, welches bereits vor Jahrtausenden gestorben ist, und ihm nur noch als schöner Schatten aus altgriechischen Pergamenten entgegenlächelt, die Helena von Sparta! Wie bedeutsam charakterisirt dieses Verlangen das innerste Wesen 10 des deutschen Volkes! Eben so kärglich wie die Cassandra, hat Shakspear im vorliegenden Stücke, in Troilus und Cressida, die schöne Helena behandelt. Wir sehen sie nebst Paris auftreten, und mit dem greisen Kuppler Pandarus einige heiter neckende Gespräche wechseln. Sie foppt ihn, und endlich begehrt sie, daß er mit seiner 15 alten meckernden Stimme ein Liebeslied singe. Aber schmerzliche Schatten der Ahnung, die Vorgefühle eines entsetzlichen Ausgangs, beschleichen manchmal ihr leichtfertiges Herz; aus den rosigsten Scherzen recken die Schlangen ihre schwarzen Köpfchen hervor, und sie verräth ihren Gemüthszustand in den Worten: 20 „Laß uns ein Lied der Liebe hören . . . diese Liebe wird uns alle zu Grunde richten. O Kupido! Kupido! Kupido!"
VIRGILIA. (Coriolan.)
Sie ist das Weib des Coriolan, eine schüchterne Taube, die nicht einmal zu 25 girren wagt in Gegenwart des überstolzen Gatten. Wenn dieser aus dem Felde siegreich zurückkehrt, und alles ihm entgegenjubelt, senkt sie demüthig ihr Antlitz, und der lächelnde Held nennt sie sehr sinnig: „mein holdes Stillschweigen!" In diesem Stillschweigen liegt ihr ganzer Charakter; sie schweigt wie die erröthende Rose, wie die keusche Perle, wie der sehnsüchtige Abend30 stern, wie das entzückte Menschenherz . . . es ist ein volles, kostbares, glühendes Schweigen, das mehr sagt als alle Beredsamkeit, als jeder rhetorische Wortschwall. Sie ist ein verschämt sanftes Weib, und in ihrer zarten Holdseligkeit bildet sie den reinsten Gegensatz zu ihrer Schwieger, der römischen Wölfin Volumnia, die den Wolf Cajus Marcius einst gesäugt mit ihrer eisernen Milch. Ja, letztere ist die wahre Matrone, und aus ihren patrizischen Zitzen
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sog die junge Brut nichts als wilden Muth, ungestümen Trotz und Verachtung des Volkes. Wie ein Held durch solche früh eingesogenen Tugenden und Untugenden die Lorberkrone des Ruhmes erwirbt, dagegen aber die bessere Krone, den bürgerlichen Eichenkranz, einbüßt, und endlich bis zum entsetzlichsten Verbrechen, bis zum Verrath an dem Vaterland, herabsinkend, ganz schmähüg untergeht: das zeigt uns Shakspear in dem tragischen Drama, welches „Coriolan" betitelt ist. Nach Troilus und Cressida, worin unser Dichter seinen Stoff der altgriechischen Heroenzeit entnommen, wende ich mich zu dem Coriolan, weil wir hier sehen, wie er römische Zustände zu behandeln verstand. In diesem Drama schildert er nämlich den Partheikampf der Patrizier und Plebejer im alten Rom. Ich will nicht geradezu behaupten, daß diese Schilderung in allen Einzelheiten mit den Annalen der römischen Geschichte übereinstimme; aber das Wesen jener Kämpfe hat unser Dichter aufs tiefste begriffen und dargestellt. Wir können solches um so richtiger beurtheilen, da unsere Gegenwart manche Erscheinungen aufweist, die dem betrübsamen Zwiespalte gleichen, welcher einst im alten Rom zwischen den bevorrechteten Patriziern und den herabgewürdigten Plebejern herrschte. Man sollte manchmal glauben, Shakspear sey ein heutiger Dichter, der im heutigen London lebe und unter römischen Masken die jetzigen Tories und Radikalen schildern wolle. Was uns in solcher Meinung noch bestärken könnte, ist die große Aehnlichkeit, die sich überhaupt zwischen den alten Römern und heutigen Engländern, und den Staatsmännern beider Völker, vorfindet. In der That, eine gewisse poesielose Härte, Habsucht, Blutgier, Unermüdlichkeit, Charakterfestigkeit, ist den heutigen Engländern eben so eigen wie den alten Römern, nur daß diese weit mehr Landratten als Wasserratten waren; in der Unliebenswürdigkeit, worin sie beide den höchsten Gipfel erreicht haben, sind sie sich gleich. Die auffallendste Wahlverwandtschaft bemerkt man bei dem Adel beider Völker. Der englische wie der ehemalige römische Edelmann, ist patriotisch: die Vaterlandsliebe hält ihn, trotz aller politischen Rechtsverschiedenheit, mit den Plebejern aufs innigste verbunden, und dieses sympathetische Band bewirkt, daß die englischen Aristokraten und Demokraten, wie einst die römischen, ein ganzes, ein einiges Volk bilden. In andern Ländern, wo der Adel weniger an den Boden, sondern mehr an die Person des Fürsten gefesselt ist, oder gar sich ganz den partikulären Interessen seines Standes hingibt, ist dieses nicht der Fall. Dann finden wir bei dem englischen, wie einst bei dem römischen Adel, das Streben nach Auktoritas, als das Höchste, Ruhmwürdigste, und mittelbar auch Einträglichste; ich sage das mittelbar Einträglichste, da, wie einst in Rom, so
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jetzt auch in England, die Verwaltung der höchsten Staatsämter nur durch mißbrauchten Einfluß und herkömmliche Erpressungen, also mittelbar, bezahlt wird. Jene Aemter sind Zweck der Jugenderziehung in den hohen Familien bei den Engländern, ganz wie einst bei den Römern; und, wie bei diesen, so auch bei jenen, gilt Kriegskunst und Beredsamkeit als die besten Hülfsmittel künftiger Auktoritas. Wie bei den Römern, so auch bei den Engländern, ist die Tradizion des Regierens und des Administrirens das Erbtheil der edlen Geschlechter; und dadurch werden die englischen Tories vielleicht eben so lange unentbehrlich seyn, ja sich eben so lange in Macht erhalten, wie die senatorischen Familien des alten Roms. Nichts aber ist dem heutigen Zustand in England so ähnlich, wie jene Stimmenbewerbung, die wir im Coriolan geschildert sehen. Mit welchem verbissenen Grimm, mit welcher höhnischen Ironie bettelt der römische Torie um die Wahlstimmen der guten Bürger, die er in der Seele so tief verachtet, deren Zustimmung ihm aber so unentbehrlich ist, um Consul zu werden! Nur daß die meisten englischen Lords, die, statt in Schlachten, nur in Fuchsjagden ihre Wunden erworben haben, und sich von ihren Müttern in der Verstellungskunst besser unterrichten lassen, bei den heutigen Parlamentswahlen ihren Grimm und Hohn nicht so zur Schau tragen, wie der starre Coriolan. Wie immer, hat Shakspear auch in dem vorliegenden Drama die höchste Unpartheilichkeit ausgeübt. Der Aristokrat hat hier Recht, wenn er seine plebejischen Stimmherrn verachtet; denn er fühlt, daß er selber tapferer im Kriege war, was bei den Römern als höchste Tugend galt. Die armen Stimmherrn, das Volk, haben indessen ebenfalls Recht, sich ihm, trotz dieser Tugend, zu widersetzen; denn er hat nicht undeutlich geäußert, daß er, als Consul, die Brodvertheilungen abschaffen wolle. „Das Brod ist aber das erste Recht des Volks." PORTIA. (Julius Cäsar.)
30 Der Hauptgrund von Cäsar's Popularität war die Großmuth, womit er das Volk behandelte, und seine Freigebigkeit. Das Volk ahnete in ihm den Begründer jener bessern Tage, die es unter seinen Nachkommen, den Kaisern, erleben sollte; denn diese gewährten dem Volke sein erstes Recht: sie gaben ihm sein tägliches Brod. Gern verzeihen wir den Kaisern die blutigste Willkühr, womit 35 sie einige hundert patrizische Familien behandelten und die Privilegien derselben verspotteten; wir erkennen in ihnen, und mit Dank, die Zerstörer jener
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Adelsherrschaft, welche dem Volk für die härtesten Dienste nur kärglichen Lohn bewilligte; wir preisen sie als weltliche Heilande, die, erniedrigend die Hohen und erhöhend die Niedrigen, eine bürgerliche Gleichheit einführten. Mag immerhin der Advokat der Vergangenheit, der Patrizier Tacitus, die Privatlaster und Tollheiten der Cäsaren mit dem poetischsten Gifte beschreiben, wir wissen doch von ihnen das Bessere: sie fütterten das Volk. Cäsar ist es, welcher die römische Aristokratie ihrem Untergang zuführt und den Sieg der Demokratie vorbereitet. Indessen, manche alte Patrizier hegen im Herzen noch den Geist des Republikanismus; sie können die Oberherrschaft eines Einzigen noch nicht vertragen; sie können nicht leben, wo ein Einziger das Haupt über das ihre erhebt, und sey es auch das herrliche Haupt eines Julius Cäsar; und sie wetzen ihre Dolche und tödten ihn. Demokratie und Königthum stehen sich nicht feindlich gegenüber, wie man fälschlich in unsern Tagen behauptet hat. Die beste Demokratie wird immer diejenige seyn, wo ein Einziger als Inkarnazion des Volkswillens an der Spitze des Staates steht, wie Gott an der Spitze der Weltregierung; unter jenem, dem inkarnirten Volkswillen, wie unter der Majestät Gottes, blüht die sicherste Menschengleichheit, die ächteste Demokratie. Aristokratismus und Republikanismus stehen einander ebenfalls nicht feindlich gegenüber, und das sehen wir am klarsten im vorliegenden Drama, wo sich eben in den hochmüthigsten Aristokraten der Geist des Republikanismus mit seinen schärfsten Charakterzügen ausspricht. Bei Cassius noch weit mehr als bei Brutus, treten uns diese Charakterzüge entgegen. Wir haben nämlich schon längst die Bemerkung gemacht, daß der Geist des Republikanismus in einer gewissen engbrüstigen Eifersucht besteht, die nichts über sich dulden will; in einem gewissen Zwergneid, der allem Emporragenden abhold ist, der nicht einmal die Tugend durch einen Menschen repräsentirt sehen möchte, fürchtend, daß solcher Tugendrepräsentant seine höhere Persönlichkeit geltend machen könne. Die Republikaner sind daher heut zu Tage bescheidenheitsüchtige Deisten, und sähen gern in den Menschen nur kümmerliche Lehmfiguren, die, gleichgeknetet aus den Händen eines Schöpfers hervorgegangen, sich aller hochmüthigen Auszeichnungslust und ehrgeizigen Prunksucht enthalten sollten. Die englischen Republikaner huldigten einst einem ähnlichen Prinzipe, dem Puritanismus, und dasselbe gilt von den altrömischen Republikanern: sie waren nämlich Stoiker. Wenn man dieses bedenkt, muß man erstaunen, mit welchem Scharfsinn Shakspear den Cassius geschildert hat, namentlich in seinem Gespräche mit Brutus, wenn er hört, wie das Volk den Cäsar, den es zum König erheben möchte, mit Jubelgeschrei begrüßt:
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Sbakspeares Mädchen und Frauen Ich weiß es nicht, wie ihr und andre Menschen Von diesem Leben denkt; mir, für mich selbst, War' es so lieb, nicht da seyn, als zu leben In Furcht vor einem Wesen wie ich selbst. Ich kam wie Cäsar frei zur Welt, so ihr; Wir nährten uns so gut, wir können Beide, So gut wie er, des Winters Frost ertragen: Denn einst, an einem rauhen, stürm'schen Tage, Als wild die Tiber an ihr Ufer tobte, Sprach Cäsar zu mir: Wagst du, Cassius, nun Mit mir zu springen in die zorn'ge Flut, Und bis dorthin zu schwimmen? — Auf dies Wort, Bekleidet, wie ich war, stürzt' ich hinein, Und hieß ihn folgen; wirklich that er's auch. Der Strom brüllt' auf uns ein, wir schlugen ihn Mit wackern Sehnen, warfen ihn bei Seit', Und hemmten ihn mit einer Brust des Trotzes; Doch eh' wir das erwählte Ziel erreicht, Rief Cäsar: Hilf mir, Cassius 1 ich sinke. Ich, wie Aeneas, unser großer Ahn, Aus Trojas Flammen einst auf seinen Schultern Den alten Vater trug, so aus den Wellen Zog ich den müden Cäsar. — Und der Mann Ist nun zum Gott erhöht, und Cassius ist Ein arm Geschöpf, und muß den Rücken beugen, Nickt Cäsar nur nachlässig gegen ihn. Als er in Spanien war, hatt' er ein Fieber, Und wenn der Schau'r ihn ankam, merkt' ich wohl Sein Beben: ja, er bebte, dieser Gott! Das feige Blut der Lippen nahm die Flucht. Sein Auge, dessen Blick die Welt bedräut, Verlor den Glanz, und ächzen hört' ich ihn. Ja, dieser Mund, der horchen hieß die Römer, Und in ihr Buch einzeichnen seine Reden, Ach, rief: Titinius! gieb mir zu trinken! Wie'n krankes Mädchen. Götter! ich erstaune, Wie nur ein Mann so schwächlicher Natur Der stolzen Welt den Vorsprung abgewann, Und nahm die Palm' allein.
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Cäsar selber kennt seinen Mann sehr gut, und in einem Gespräche mit Antonius entfallen ihm die tiefsinnigen Worte: Laßt wohlbeleibte Männer um mich seyn, Mit glatten Köpfen, und die Nachts gut schlafen: Der Cassius dort hat einen hohlen Blick; Er denkt zu viel; die Leute sind gefährlich. Wär' er nur fetter! — Zwar ich fürcht' ihn nicht; Doch wäre Furcht nicht meinem Namen fremd, Ich kenne Niemand, den ich eher miede, Als diesen hagern Cassius. Er liest viel; Er ist ein großer Prüfer, und durchschaut Das Thun der Menschen ganz; er liebt kein Spiel, Wie du, Antonius; hört nicht Musik; Er lächelt selten, und auf solche Weise, Als spott er sein, verachte seinen Geist, Den irgend was zum Lächeln bringen konnte. Und solche Männer haben nimmer Ruh' So lang sie jemand größer sehn als sich; Das ist es, was sie so gefährlich macht.
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Cassius ist Republikaner, und wie wir es oft bei solchen Menschen finden, er hat mehr Sinn für edle Männerfreundschaft als für zarte Frauenliebe. Brutus hingegen opfert sich für die Republik, nicht weil er seiner Natur nach Republikaner, sondern weil er ein Tugendheld ist, und in jener Aufopferung eine höchste Aufgabe der Pflicht sieht. Er ist empfänglich für alle sanften Gefühle, 25 und mit weicher Seele hängt er an seiner Gattin Portia. Portia, eine Tochter des Cato, ganz Römerin, ist dennoch liebenswürdig, und selbst in den höchsten Aufflügen ihres Heroismus offenbart sie den weiblichsten Sinn und die sinnigste Weiblichkeit. Mit ängstlichen Liebesaugen lauert sie auf jeden Schatten, der über die Stirne ihres Gemahls dahin zieht 30 und seine bekümmerten Gedanken verräth. Sie will wissen was ihn quält, sie will die Last des Geheimnisses, das seine Seele drückt, mit ihm theilen. . . Und als sie es endlich weiß, ist sie dennoch ein Weib, unterliegt fast den furchtbaren Besorgnissen, kann sie nicht verbergen und gesteht selber: Ich habe Mannessinn, doch Weiberohnmacht. Wie fällt doch ein Geheimniß Weibern schwer 1
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Ja, dieses ist die berühmte Königin von Aegypten, welche den Antonius zu Grunde gerichtet hat. 5 Er wußte es ganz bestimmt, daß er durch dieses Weib seinem Verderben entgegenging, er will sich ihren Zauberfesseln entreißen . . . Schnell muß ich fort von hier. Er flieht. . . doch nur um desto eher zurückzukehren zu den Fleischtöpfen Aegyptens, zu seiner alten Nilschlange, wie er sie nennt. . . bald wühlt er sich 10 wieder mit ihr im prächtigen Schlamme zu Alexandrien, und dort, erzählt Octavius:
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Dort auf dem Markt auf silberner Tribüne, Auf goldnen Stühlen, thront er öffentlich Mit der Cleopatra. Cäsarion saß Zu ihren Füßen, den man für den Sohn Von meinem Vater hält; und alle die Unächten Kinder, die seit jener Zeit Erzeugte ihre Wollust. Ihr verlieh Aegypten er zum Eigenthum, und machte Von Niedersyrien, Cyprus, Lydien sie Zur unumschränkten Königin. An dem Ort, Wo man die öffentlichen Spiele giebt, Da kündet er als Könige der Kön'ge Die Söhne; gab Großmedien, Parthien, Armenien dem Alexander, wies Dem Ptolomäus Syrien, Cilicien Und auch Phönizien an. Sie selbst erschien Im Schmuck der Göttin Isis diesen Tag, Und wie man sagt, ertheilte sie vorher Auf diese Weise oftmals schon Gehör.
Die ägyptische Zauberin hält nicht bloß sein Herz, sondern auch sein Hirn gefangen, und verwirrt sogar sein Feldherrntalent. Statt auf dem festen Lande, 35 wo er geübt im Siegen, liefert er die Schlacht auf der unsichern See, wo seine
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Tapferkeit sich weniger geltend machen kann; — und dort, wohin das launenhafte Weib ihm durchaus folgen wollte, ergreift sie plötzlich die Flucht nebst allen ihren Schiffen, eben im entscheidenden Momente des Kampfes; — und Antonius, „gleich einem brünst'gen Entrich," mit ausgespannten Segelflügeln, flieht ihr nach, und läßt Ehre und Glück im Stich. Aber nicht bloß 5 durch die weiblichen Launen Cleopatras erleidet der unglückselige Held die schmählichste Niederlage; späterhin übt sie gegen ihn sogar den schwärzesten Verrath, und läßt, im geheimen Einverständniß mit Octavius, ihre Flotte zum Feinde übergehen. . . Sie betrügt ihn aufs niederträchtigste, um im Schiffbruche seines Glücks ihre eigenen Güter zu retten, oder gar noch einige 10 größere Vortheile zu erfischen... Sie treibt ihn in Verzweiflung und Tod durch Arglist und Lüge . . . Und dennoch bis zum letzten Augenblicke liebt er sie mit ganzem Herzen; ja, nach jedem Verrath, den sie an ihm übte, entlodert seine Liebe um so flammender. Er flucht freilich über ihre jedesmalige Tücke, er kennt alle ihre Gebrechen, und in den rohesten Schimpfreden ent- 15 ladet sich seine bessere Einsicht, und er sagt ihr die bittersten Wahrheiten: Ehe ich dich kannte, warst du halb verwelkt! Ha! ließ ich deßhalb ungedrückt in Rom Mein Kissen; gab darum die Zeugung auf Rechtmäß'ger Kinder und von einem Kleinod Der Frauen, um von der getäuscht zu seyn Die gern sieht, daß sie Andre unterhalten? Du warst von jeher eine Heuchlerin. Doch werden wir in Missethaten hart, Dann, — o des Unglücks! — schließen weise Götter Die Augen uns; in unsern eigenen Koth Versenken sie das klare Urtheil; machen, Daß wir anbeten unsern Wahn und lachen, Wenn wir hinstolpern ins Verderben. Als kalten Bissen auf Des todten Casars Schüssel fand ich dich; Du warst ein Ueberbleibsel schon des Cnejus Pompejus; andrer heißer Stunden nicht Zu denken, die vom allgemeinen Ruf Nicht aufgezeichnet, du wollüstig dir Erhaschtest. 12*
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Aber wie jener Speer des Achilles, welcher die Wunden, die er schlug, wieder heilen konnte, so kann der Mund des Liebenden mit seinen Küssen auch die tödtlichsten Stiche wieder heilen, womit sein scharfes Wort das Gemüth des Geliebten verletzt hat. . . Und nach jeder Schändlichkeit, welche 5 die alte Nilschlange gegen den römischen Wolf ausübte, und nach jeder Schimpfrede, die dieser darüber losheulte, züngeln sie beide mit einander um so zärtlicher; noch im Sterben drückt er auf ihre Lippen von so vielen Küssen noch den letzten Kuß . . . Aber auch sie, die ägyptische Schlange, wie liebt sie ihren römischen Wolf! 10 Ihre Verräthereien sind nur äußerliche Windungen der bösen Wurmnatur, sie übt dergleichen mehr mechanisch aus angeborner oder angewöhnter Unart. . . aber in der Tiefe ihrer Seele wohnt die unwandelbarste Liebe für Antonius, sie weiß es selbst nicht, daß diese Liebe so stark ist, sie glaubt manchmal diese Liebe überwinden oder gar mit ihr spielen zu können, und sie irrt sich, und 15 dieser Irrthum wird ihr erst recht klar in dem Augenblick, wo sie den geliebten Mann auf immer verliert, und ihr Schmerz in die erhabenen Worte ausbricht: Ich träumt: es gab einst einen Feldherrn Mark Anton! — O einen zweiten, gleichen Schlaf, Um noch einmal solch einen Mann zu sehn! Sein Gesicht War wie des Himmels Antlitz. D'rinnen stand Die Sonn' und auch ein Mond und liefen um, Und leuchteten der Erde kleinem O • 25
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Seine Füße Beschritten Oceane; sein emporGestreckter Arm umsauste eine Welt; Der Harmonie der Sphären glich die Stimme, Wenn sie den Freunden tönte; wenn er meint' Den Erdkreis zu bezähmen, zu erschüttern, Wie Donner rasselnd. Seine Güte kannte Den Winter nie; sie war ein Herbst, der stets Durch Ernten reicher ward. Delphinen gleich War sein Ergötzen, die den Rücken ob Dem Elemente zeigen, das sie hegt. Es wandelten in seiner Liverei Der Königs- und der Fürstenkronen viel.
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Und Königreich und Inseln fielen ihm Wie Münzen aus der Tasche. Diese Cleopatra ist ein Weib. Sie liebt und verräth zu gleicher Zeit. Es ist ein Irrthum zu glauben, daß die Weiber, wenn sie uns verrathen, auch aufgehört haben uns zu lieben. Sie folgen nur ihrer angebornen Natur; und wenn sie auch nicht den verbotenen Kelch leeren wollen, so möchten sie doch manchmal ein bischen nippen, an dem Rande lecken, um wenigstens zu kosten, wie Gift schmeckt. Nächst Shakspear, in vorliegender Tragödie, hat dieses Phänomen niemand so gut geschildert wie unser alter Abbe Prevost in seinem Romane „Manon de Lescot". Die Intuizion des größten Dichters stimmt hier überein mit der nüchternen Beobachtung des kühlsten Prosaikers. Ja, diese Cleopatra ist ein Weib, in der holdseligsten und vermaledeitesten Bedeutung des Wortes! Sie erinnert mich an jenen Ausspruch Lessing's: als Gott das Weib schuf, nahm er den Ton zu fein. Die Ueberzartheit seines Stoffes verträgt sich nun selten mit den Ansprüchen des Lebens. Dieses Geschöpf ist zu gut und zu schlecht für diese Welt. Die lieblichsten Vorzüge werden hier die Ursache der verdrießlichsten Gebrechen. Mit entzückender Wahrheit schildert Shakspear schon gleich beim Auftreten der Cleopatra den bunten flatterhaften Launengeist, der im Kopfe der schönen Königin beständig rumort, nicht selten in den bedenklichsten Fragen und Gelüsten übersprudelt, und vielleicht eben als der letzte Grund von all' ihrem Thun und Lassen zu betrachten ist. Nichts ist charakteristischer als die fünfte Scene des ersten Akts, wo sie von ihrer Kammerjungfer verlangt, daß sie ihr Mandragora zu trinken gebe, damit dieser Schlaftrunk ihr die Zeit ausfülle, während Antonius entfernt. Dann plagt sie der Teufel ihren Kastraten Mardian zu rufen. Er frägt unterthänig, was seine Gebieterin begehre. Singen will ich dich nicht hören, antwortet sie, denn nichts gefällt mir jetzt was Eunuchen eigen ist — aber sage mir: fühlst du denn Leidenschaft?
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Denn nichts vermag ich, als was in der Wahrheit Mit Anstand kann geschehn, und doch empfind'
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Shakspeares Mädchen und Frauen Ich heft'ge Triebe, denk' auch oft an das, Was Mars mit Venus that. CLEOPATRA.
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O Charmian! Wo glaubst du, ist er jetzt? Steht oder sitzt er? Geht er umher? besteigt er jetzt sein Roß? Beglücktes Roß, das seine Last erträgt! Sei tapfer, Roß! denn, weißt du, wen du trägst? Der Erde halben Atlas! Ihn, den Arm, Den Helm der Menschen! Sprechen wird er oder Wird murmeln jetzt: Wo ist nun meine Schlange Des alten Nils ? — Denn also nennt er mich.
Soll ich, ohne Furcht vor diffamatorischem Mißlächeln, meinen ganzen Gedanken aussprechen, so muß ich ehrlich bekennen: dieses ordnungslose 15 Fühlen und Denken der Cleopatra, welches eine Folge des ordnungslosen, müßigen ünd beunruhigten Lebenswandels, erinnert mich an eine gewisse Classe verschwenderischer Frauen, deren kostspieliger Haushalt von einer außerehlichen Freigebigkeit bestritten wird, und die ihre Titulargatten sehr oft mit Liebe und Treue, nicht selten auch mit bloßer Liebe, aber immer mit 20 tollen Launen plagen und beglücken. Und war sie denn im Grunde etwas anders, diese Cleopatra, die wahrlich mit ägyptischen Kroneinkünften nimmermehr ihren unerhörten Luxus bezahlen konnte, und von dem Antonius, ihrem römischen Entreteneur, die erpreßten Schätze ganzer Provinzen als Geschenke empfing, und im eigentlichen Sinne des Wortes eine unterhaltene Königin war! 25 In dem aufgeregten, unstäten, aus lauter Extremen zusammengewürfelten, drückend schwülen Gbiste der Cleopatra, wetterleuchtet ein sinnlich wilder, schwefelgelber Witz, der uns mehr erschreckt als ergötzt. Plutarch giebt uns einen Begriff von diesem Witze, der sich mehr in Handlungen als in Worten ausspricht, und schon in der Schule lachte ich mit ganzer Seele über den 30 mystifizirten Antonius, der mit seiner königlichen Geliebten auf den Fischfang ausfuhr, aber an seiner Schnur lauter eingesalzene Fische heraufzog; denn die schlaue Aegypterin hatte heimlich eine Menge Taucher bestellt, welche unter dem Wasser an dem Angelhaken des verliebten Römers jedesmal einen eingesalzenen Fisch zu befestigen wußten. Freilich, unser Lehrer machte bei dieser 35 Anekdote ein sehr ernsthaftes Gesicht, und tadelte nicht wenig den frevelhaften Uebermuth, womit die Königin das Leben ihrer Unterthanen, jener armen Taucher, aufs Spiel setzte, um den besagten Spaß auszuführen; unser Lehrer war überhaupt kein Freund der Cleopatra, und er machte uns sehr
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nachdrücklich darauf aufmerksam, wie sich der Antonius durch dieses Weib seine ganze Staats-Carri6re verdarb, in häusliche Unannehmlichkeiten verwickelte, und endlich ins Unglück stürzte. Ja, mein alter Lehrer hatte Recht, es ist äußerst gefährlich, sich mit einer Person, wie die Cleopatra, in ein näheres Verhältniß einzulassen. Ein Held kann dadurch zu Grunde gehen, aber auch nur ein Held. Der lieben Mittelmäßigkeit droht hier, wie überall, keine Gefahr. Wie der Charakter der Cleopatra, so ist auch ihre Stellung eine äußerst witzige. Dieses launische, lustsüchtige, wetterwendische, fieberhaft kokette Weib, diese antike Pariserin, diese Göttin des Lebens, gaukelt und herrscht über Aegypten, dem schweigsam starren Todtenland . . . Ihr kennt es wohl, jenes Aegypten, jenes geheimnißvolle Mizraim, jenes enge Nilthal, das wie ein Sarg aussieht. . . Im hohen Schilfe greint das Krokodill oder das ausgesetzte Kind der Offenbarung . . . Felsentempel mit kolossalen Pfeilern, woran heilige Thierfratzen lehnen, häßlich bunt bemalt. . . An der Pforte nickt der Hierogliphen-mützige I s i s m ö n c h . . . In üppigen Villas halten die Mumien ihre Siesta, und die vergoldete Larve schützt sie vor den Fliegenschwärmen der Verwesung . . . Wie stumme Gedanken stehen dort die schlanken Obelisken und die plumpen Pyramiden . . . Im Hintergrund grüßen die Mondberge Aethiopiens, welche die Quellen des Nils verhüllen... Ueberall Tod, Stein und Geheimniß . . . Und über dieses Land herrschte als Königin die schöne Cleopatra. Wie witzig ist Gott!
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In „Julius Cäsar" sehen wir die letzten Zuckungen des republikanischen Geistes, der dem Aufkommen der Monarchie vergebens entgegenkämpft; die Republik hat sich überlebt, und Brutus und Cassius können nur den Mann ermorden, der zuerst nach der königlichen Krone greift, keineswegs aber vermögen sie das Königthum zu tödten, das in den Bedürfnissen der Zeit schon 30 tief wurzelt. In Antonius und Cleopatra sehen wir, wie, statt des einen gefallenen Cäsars, drei andre Cäsaren nach der Weltherrschaft die kühnen Hände strecken; die Principienfrage ist gelöst und der Kampf, der zwischen diesen Triumviren ausbricht, ist nur eine Personenfrage: wer soll Imperator seyn, Herr über alle Menschen und Lande? Die Tragödie, betittelt „Titus Androni- 35
Shakspeares Mädchen und Frauen kus", zeigt uns, daß auch diese unbeschränkte Alleinherrschaft im römischen Reiche dem Gesetze aller irdischen Erscheinungen folgt, nämlich in Verwesung übergehen mußte, und nichts gewährt einen so widerwärtigen Anblick, wie jene spätem Cäsaren, die dem Wahnsinn und dem Verbrechen der 5 Neronen und Caligulen, noch die windigste Schwächlichkeit hinzufügten. Diesen, den Neronen und Caligulen, schwindelte auf der Höhe ihrer Allmacht; sich erhaben dünkend über alle Menschlichkeit, wurden sie Unmenschen; sich selber für Götter haltend, wurden sie gottlos; ob ihrer Ungeheuerlichkeit aber können wir vor Erstaunen sie kaum mehr nach vernünftigen Maasstaben 10 beurtheilen. Die späteren Cäsaren hingegen sind weit mehr Gegenstände unseres Mitleids, unseres Unwillens, unseres Ekels; es fehlt ihnen die heidnische Selbstvergötterung, der Rausch ihrer alleinigen Majestät, ihrer schauerlichen Unverantwortlichkeit. . . Sie sind christlich zerknirscht, und der schwarze Beichtiger hat ihnen ins Gewissen geredet, und sie ahnen jetzt, daß sie nur 15 armselige Würmer sind, daß sie von der Gnade einer höhern Gottheit abhängen, und daß sie einst für ihre irdischen Sünden in der Hölle gesotten und gebraten werden. Obgleich in Titus Andronikus noch das äußere Gepränge des Heidenthums waltet, so offenbart sich doch in diesem Stück schon der Charakter der spätem 20 christlichen Zeit, und die moralische Verkehrtheit in allen sittlichen und bürgerlichen Dingen ist schon ganz byzantinisch. Dieses Stück gehört sicher zu Shakspear's frühesten Erzeugnissen, obgleich manche Kritiker ihm die Autorschaft streitig machen; es herrscht darin eine Unbarmherzigkeit, eine schneidende Vorliebe für das Häßliche, ein titanisches Hadern mit den gött25 liehen Mächten, wie wir dergleichen in den Erstlingswerken der größten Dichter zu finden pflegen. Der Held, im Gegensatz zu seiner ganzen demoralisirten Umgebung, ist ein ächter Römer, ein Ueberbleibsel aus der alten starren Periode. Ob dergleichen Menschen damals noch existirten? Es ist möglich; denn die Natur liebt es von allen Creaturen, deren Gattung untergeht oder sich 33 transformirt, noch irgend ein Exemplar aufzubewahren, und sei es auch als Versteinerung, wie wir dergleichen auf Bergeshöhen zu finden pflegen. Titus Andronikus ist ein solcher versteinerter Römer, und seine fossile Tugend ist eine wahre Curiosität zur Zeit der spätesten Cäsaren. Die Schändung und Verstümmelung seiner Tochter Lavinia gehört zu den 35 entsetzlichsten Scenen, die sich bei irgend einem Autor finden. Die Geschichte der Philomele in den Verwandlungen des Ovidius ist lange nicht so schauderhaft; denn der unglücklichen Römerin werden sogar die Hände abgehackt, damit sie nicht die Urheber des grausamsten Bubenstücks verrathen könne. Wie der Vater durch seine starre Männlichkeit, so mahnt die Tochter durch
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ihre hohe Weibeswürde an die sittlichere Vergangenheit; sie scheut nicht den Tod, sondern die Entehrung, und rührend sind die keuschen Worte, womit sie ihre Feindin, die Kaiserin Tamora, um Schonung anfleht, wenn die Söhne derselben ihren Leib beflecken wollen. Nur schnellen Tod erfleh' ich! — und noch eins, Was Weiblichkeit zu nennen mir verweigert: Entzieh' mich ihrer Wollust, schrecklicher Als Mord für mich, und wälze meine Leiche In eine garst'ge Grube, wo kein Auge Des Mannes jemals meinen Körper sieht. O, dies erfüll', und sei erbarmensvoll Als Mörderin! In dieser jungfräulichen Reinheit bildet Lavinia den vollendeten Gegensatz zu der erwähnten Kaiserin Tamora; hier, wie in den meisten seiner Dramen, stellt Shakspear zwei ganz gemüthsverschiedene weibliche Gestalten neben einander, und veranschaulicht uns ihren Charakter durch den Contrast. Dieses sahen wir schon im Antonius und Cleopatra, wo neben der weißen, kalten, sittlichen, erzprosaischen und häuslichen Octavia unsere gelbe, ungezügelte, eitle und inbrünstige Aegypterin desto plastischer hervortritt. Aber auch jene Tamora ist eine schöne Figur, und es dünkt mir eine Ungerechtigkeit, daß der englische Grabstichel in gegenwärtiger Gallerie Shakspearscher Frauen ihr Bildniß nicht eingezeichnet hat. Sie ist ein schönes majestätisches Weib, eine bezaubernd imperatorische Gestalt, auf der Stirne das Zeichen der gefallenen Göttlichkeit, in den Augen eine weltverzehrende Wollust, prachtvoll lasterhaft, lechzend nach rothem Blut. Weitblickend milde, wie unser Dichter sich immer zeigt, hat er schon in der ersten Scene, wo Tamora erscheint, alle die Greul, die sie später gegen Titus Andronikus ausübt, im Voraus justifizirt. Denn dieser starre Römer, ungerührt von ihren schmerzlichsten Mutterbitten, läßt ihren geliebten Sohn gleichsam vor ihren Augen hinrichten; sobald sie nun, in der werbenden Gunst des jungen Kaisers, die Hoffnungsstrahlen einer künftigen Rache erblickt, entringein sich ihren Lippen die jauchzend finstern Worte: Ich will es ihnen zeigen, was es heißt, Wenn eine Königin auf den Straßen knieet, Und Gnad umsonst erfleht. Wie ihre Grausamkeit entschuldigt wird durch das erduldete Uebermaas von Qualen, so erscheint die metzenhafte Lüderlichkeit, womit sie sich sogar
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einem scheußlichen Mohren hingiebt, gewissermaßen veredelt durch die romantische Poesie die sich darin ausspricht. Ja, zu den schauerlich süßesten Zaubergemälden der romantischen Poesie, gehört jene Scene, wo während der Jagd die Kaiserin Tamora ihr Gefolge verlassen hat, und ganz allein im Walde 5 mit dem geliebten Mohren zusammentrifft.
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Warum so traurig, holder Aaron? Da doch umher so heiter alles scheint. Die Vögel singen überall im Busch, Die Schlange liegt im Sonnenstrahl gerollt, Das grüne Laub bebt von dem kühlen Hauch, Und bildet bunte Schatten auf dem Boden. Im süßen Schatten, Aaron, laß uns sitzen, Indeß die Echo schwatzhaft Hunde äfft, Und wiederhallt der Hörner hellen Klang, Als sei die Jagd verdoppelt; — laß uns sitzen, Und horchen auf das gellende Getöse. Nach solchem Zweikampf, wie der war, den Dido — Erzählt man — mit Aeneas einst genoß, Als glücklich sie ein Sturmwind überfiel, Und die verschwiegne Grotte sie verbarg, Laß uns verschlungen beide, Arm in Arm, Wenn wir die Lust genossen, goldnem Schlaf Uns überlassen; während Hund und Horn Und Vögel, mit der süßen Melodie Uns das sind, was der Amme Lied ist, die Damit das Kindlein lullt und wiegt zum Schlaf.
Während aber Wollustgluthen aus den Augen der schönen Kaiserin hervorlodern und über die schwarze Gestalt des Mohren wie lockende Lichter, wie züngelnde Flammen, ihr Spiel treiben, denkt dieser an weit wichtigere 30 Dinge, an die Ausführung der schändlichsten Intriguen, und seine Antwort bildet den schroffsten Gegensatz zu der brünstigen Anrede Tamoras.
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Es war am 29'°" August des Jahrs 1827 nach Christi Geburt, als ich im Theater zu Berlin, bei der ersten Vorstellung einer neuen Tragödie vom Herrn E. Raupach, allmählig einschlief. Für das gebildete Publikum, das nicht ins Theater geht und nur die eigentliche Literatur keimt, muß ich hier bemerken, daß benannter Herr Raupach ein sehr nützlicher Mann ist, ein Tragödien- und Komödien-Liferant, welcher die Berliner Bühne jeden Monat mit einem neuen Meisterwerke versieht. Die Berliner Bühne ist eine vortreffliche Anstalt und besonders nützlich für hegelsehe Philosophen, welche des Abends von dem harten Tagwerk des Denkens ausruhen wollen. Der Geist erholt sich dort noch weit natürlicher als bei Wisotzki. Man geht ins Theater, streckt sich nachlässig hin auf die samtnen Bänke, lorgnirt die Augen seiner Nachbarinnen, oder die Beine der eben auftretenden Mimin, und wenn die Kerls von Komödianten nicht gar zu laut schreien, schläft man ruhig ein, wie ich es wirklich gethan, am 29ten August des Jahres 1827 nach Christi Geburt. Als ich erwachte, war alles dunkel rund um mich her, und bei dem Scheine einer mattflimmernden Lampe erkannte ich, daß ich mich ganz allein im leeren Schauspielhause befand. Ich beschloß den übrigen Theil der Nacht dort zu verbringen, suchte wieder gelinde einzuschlafen, welches mir aber nicht mehr so gut gelang wie einige Stunden vorher, als der Mohnduft der Raupach'schen Verse mir in die Nase stieg; auch störte mich allzusehr das Knispern und Gepiepse der Mäuse. Unfern vom Orchester raschelte eine ganze Mäusecolonie, und da ich nicht bloß Raupach'sche Verse, sondern auch die Sprache aller übrigen Thiere verstehe, so erlauschte ich ganz unwillkührlich die Gespräche jener Mäuse. Sie sprachen über Gegenstände, die ein denkendes Geschöpf am meisten interessiren müssen: über die letzten Gründe aller Erscheinungen, über das Wesen der Dinge an und für sich, über Schicksal und Freiheit des Willens, über die große Raupach'sche Tragödie, die sich kurz vorher mit allen möglichen Schrecknissen vor ihren eignen Augen entfaltet, entwickelt und geendigt hatte. Ihr jungen Leute, sprach langsam ein alter Mauserich, Ihr habt nur ein einziges Stück oder nur wenige solcher Stücke gesehen, ich aber bin ein Greis, und habe deren schon sehr viele erlebt und sie alle mit Aufmerksamkeit betrachtet. Da habe ich nun gefunden, daß sie sich im Wesen alle ähnlich, daß sie fast nur Variazionen desselben Themas sind, daß manchmal ganz dieselben
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Expositionen, Verwicklungen und Catastrophen vorkommen. Es sind immer dieselben Menschen und dieselben Leidenschaften, welche nur Costume und Redefiguren wechseln. Da sind immer dieselben Beweggründe des Handelns, Liebe oder Haß, oder Ehrgeitz, oder Eifersucht, der Held mag nun eine rö5 mische Toga oder einen altdeutschen Harnisch, einen Turban oder einen Filz tragen, sich antik oder romantisch gebährden, einfach oder geblümt, in schlechten Jamben oder in noch schlechtem Trochäen sprechen. Die ganze Geschichte der Menschheit, die man gern in verschiedene Stücke, Akte und Auftritte eintheilen möchte, ist doch immer eine und dieselbe Geschichte; es io ist eine nur maskirte Wiederkehr derselben Naturen und Ereignisse, ein organischer Kreislauf, der immer von vorne wieder anfängt; und wenn man das einmal gemerkt hat, so ärgert man sich nicht mehr über das Böse, man freut sich auch nicht mehr allzustark über das Gute, man lächelt über die Narrheit jener Heroen, die sich aufopfern für die Veredlung und Beglückung des 15 Menschengeschlechts; man amüsirt sich mit weiser Gelassenheit. Ein kicherendes Stimmchen, welches einem kleinen Spitzmäuschen zu gehören schien, bemerkte dagegen mit großer Hast: Auch ich habe Beobachtungen angestellt, und nicht bloß von einem einzigen Standpunkte aus, ich habe mir keine springende Mühe verdrießen lassen, ich verließ das Parterre 20 und betrachtete mir die Dinge hinter den Culissen, und da habe ich gar befremdliche Entdeckungen gemacht. Dieser Held, den Ihr eben bewundert, der ist gar kein Held; denn ich sah, wie ein junger Bursch ihn einen besoffenen Schlingel nannte, und ihm diverse Fußtritte gab, die er ruhig einsteckte. Jene tugendhafte Prinzessin, die sich für ihre Tugend aufzuopfern schien, ist weder 25 eine Prinzessin noch tugendhaft; ich habe gesehen, wie sie aus einem Porzellantöpfchen rothe Farbe genommen, ihre Wangen damit angestrichen, und dieses galt nachher für Schamröthe; am Ende sogar warf sie sich gähnend in die Arme eines Gardeleutnants, der ihr auf Ehre versicherte, daß sie auf seiner Stube einen juten Häringsalat nebst einem Glase Punsch finden würde. Was 30 Ihr für Donner und Blitz gehalten habt, das ist nur das Rollen einiger Blechwalzen und das Verbrennen einiger Loth gestoßenen Colophoniums. Aber gar jener dicke ehrliche Bürger, der lauter Uneigennützigkeit und Großmuth zu seyn schien, der zankte sich sehr geldgierig mit einem dünnen Menschen, den er Herr Generalintendant titulirte, und von dem er einige Thaler Zulage 35 verlangte. Ja, ich habe alles mit eigenen Augen gesehen, und mit eigenen Ohren gehört; all das Große und Edle, das uns hier voragirt wurde, ist Lug und Trug; Eigennutz und Selbstsucht sind die geheimen Triebfedern aller Handlungen, und ein vernünftiges Wesen läßt sich nicht täuschen durch den Schein.
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Hiergegen aber erhob sich eine seufzende, weinerliche Stimme, die mir schier bekannt dünkte, obgleich ich dennoch nicht wußte, ob sie einer männlichen oder weiblichen Maus gehörte. Sie begann mit einer Klage über die Frivolität des Zeitalters, jammerte über Unglauben und Zweifelsucht, und betheuerte viel von ihrer Liebe im Allgemeinen. Ich liebe Euch, seufzte sie, 5 und ich sage Euch die Wahrheit. Die Wahrheit aber offenbarte sich mir durch die Gnade in einer geweiheten Stunde. Ich schlich ebenfalls umher, die letzten Gründe der bunten Begebenheiten, die auf dieser Bühne vorüberzogen, zu enträthseln und zu gleicher Zeit auch wohl ein Brodkrümchen zu finden, um meinen leiblichen Hunger zu stillen; denn ich liebe Euch. Da entdeckte ich 10 plötzlich ein ziemlich geräumiges Loch oder vielmehr einen Kasten, worin zusammengekauert ein dünnes, graues Männchen saß, welches eine Rolle Papier in der Hand hielt, und mit monotoner leiser Stimme alle die Reden ruhig vor sich hin sprach, welche oben auf der Bühne so laut und leidenschaftlich deklamirt wurden. Ein mystischer Schauer zog über mein Fell, trotz 15 meiner Unwürdigkeit war ich doch begnadigt worden, das Allerheiligste zu erschauen, ich befand mich in der seligen Nähe des geheimnißvollen Urwesens, des reinen Geistes, welcher mit seinem Willen die Körperwelt regiert, mit seinem Wort sie schafft, mit dem Worte sie belebt, mit dem Worte sie vernichtet; denn die Helden auf der Bühne, die ich noch kurz vorher so stark 20 bewundert, ich sah, daß sie nur dann mit Sicherheit redeten, wenn sie Sein Wort ganz gläubig nachsprachen, daß sie hingegen ängstlich stammelten und stotterten, wenn sie sich stolz von Ihm entfernt, und Seine Stimme nicht vernommen hatten: Alles, sah ich, war nur abhängige Creatur von Ihm, Er war der Alleinselbstständige in Seinem allerheiligsten Kasten. An jeder Seite 25 seines Kastens erglühten die geheimnißvollen Lampen, erklangen die Violinen und tönten die Flöten, um Ihn her war Licht und Musik, Er schwamm in harmonischen Strahlen und strahlenden Harmonien . . . Doch diese Rede ward am Ende so näselnd und weinerlich wispernd, daß ich wenig mehr davon verstehen konnte; nur mitunter hörte ich die Worte: 30 Hüte mich vor Katzen und Mausefallen, — gieb mir mein täglich Brosämchen, — ich liebe Euch — In Ewigkeit Amen. — Durch Mittheilung dieses Traums möchte ich meine Ansicht über die verschiedenen philosophischen Standpunkte von woaus man die Weltgeschichte zu beurtheilen pflegt, meine Gedanken verrathen, zugleich andeutend, warum 35 ich diese leichten Blätter mit keiner eigentlichen Philosophie der englischen Geschichte befrachte. Ich will ja überhaupt die dramatischen Gedichte, worin Shakspear die großen Begebenheiten der englischen Historie verherrlicht hat, nicht dogma-
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Shakspeares Mädchen und Frauen
tisch erläutern, sondern nur die Bildnisse der Frauen, die aus jenen Dichtungen hervorblühen, mit einigen Wortarabesken verzieren. Da in diesen englischen Geschichtsdramen die Frauen nichts weniger als die Hauptrollen spielen, und der Dichter sie nie auftreten läßt, um, wie in andern Stücken, weibliche 5 Gestalten und Charaktere zu schildern, sondern vielmehr, weil die darzustellende Historie ihre Einmischung erforderte : so werde ich auch desto kärglicher von ihnen reden. Constanze beginnt den Reihen, und zwar mit schmerzlichen Geberden. Wie die Mater dolorosa trägt sie ihr Kind auf dem Arme . . . 10
Das arme Kind, durch welches alles gebüßt wird Was die Seinigen verschuldet.
Auf der Berliner Bühne sah ich einst diese trauernde Königin ganz vortrefflich dargestellt von der ehemaligen Madame Stich. Minder brilliant war die gute Maria Luise, welche zur Zeit der Invasion auf dem französischen Hof15 theater die Königin Constanze spielte. Indessen kläglich über alle Maaßen zeigte sich in dieser Rolle eine gewisse Madame Caroline, welche sich vor einigen Jahren in der Provinz, besonders in der Vendée, herumtrieb ; es fehlte ihr nicht an Talent und Passion, aber sie hatte einen zu dicken Bauch, was einer Schauspielerin immer schadet, wenn sie heroische Königswittwen 20 tragiren soll. —
L A D Y PERCY. (Heinrich IV.)
Ich träumte mir ihr Gesicht und überhaupt ihre Gestalt minder vollfleischig als sie hier konterfeyt ist. Vielleicht aber kontrastiren die scharfen Züge und 25 die schlanke Taille, die man in ihren Worten wahrnimmt, und welche ihre geistige Physionomie offenbaren, desto interessanter mit ihrer wohlgeründeten äußern Bildung. Sie ist heiter, herzlich und gesund an Leib und Seele. Prinz Heinrich möchte uns gern diese liebliche Gestalt verleiden, und parodirt sie und ihren Percy: 30
„Ich bin noch nicht in Percys Stimmung, dem Heißsporn des Nordens, der euch sechs bis sieben Dutzend Schotten zum Frühstück umbringt, sich die Hände wäscht und zu seiner Frau sagt : „Pfui, über dieß stille Leben! Ich muß zu thun haben." — „ O mein Herzens-Heinrich," sagt sie, „wie viele hast du heute umgebracht?" — „Gebt meinem Schecken zu
Tragödien — Lady Percy
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saufen," sagt er, und eine Stunde drauf antwortet er: „Ein Stücker vierzehn; Bagatell! Bagatell!'" Wie kurz, so entzückend ist die Scene, wo wir den wirklichen Haushalt des Percy und seiner Frau sehen, wo diese den brausenden Helden mit den kecksten Liebesworten zügelt: Komm, komm, du Papagei! antworte mir Gerade zu auf das, was ich dich frage. Ich breche dir den kleinen Finger, Heinrich, Willst du mir nicht die ganze Wahrheit sagen. PERCY.
Fort! fort! Du Tändlerini — Lieben? — ich lieb dich nicht, Ich frage nicht nach dir. Ist dieß 'ne Welt Zum Puppenspielen, und mit Lippen fechten? Nein, jetzo muß es blut'ge Nasen geben, Zerbrochne Kronen, die wir doch im Handel Für voll anbringen. — Alle Welt, mein Pferd! Was sagst du, Käthchen? wolltest du mir was? L A D Y PERCY.
Ihr liebt mich nicht? ihr liebt mich wirklich nicht? Gut, laßt es nur; denn, weil ihr mich nicht liebt, Lieb' ich mich selbst nicht mehr. Ihr liebt mich nicht? Nein, sagt mir, ob das Scherz ist oder Ernst? PERCY.
Komm, willst mich reiten sehn? Wenn ich zu Pferde bin, so will ich schwören, Ich liebe dich unendlich. Doch höre, Käthchen: Du mußt mich ferner nicht mit Fragen quälen, Wohin ich geh', noch rathen, was es soll. Wohin ich muß, muß ich: und kurz zu seyn, Heut' Abend muß ich von dir, liebes Käthchen. Ich kenne dich als weise, doch nicht weiser, Als Heinrich Percy's Frau; standhaft bist du, Jedoch ein Weib, und an Verschwiegenheit Ist keine besser: denn ich glaube sicher, Du wirst nicht sagen, was du selbst nicht weißt, Und so weit, liebes Käthchen, trau ich dir.
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Shakspeares Mädchen und Frauen PRINZESSIN CATHARINA. (Heinrich V.)
Hat Shakspear wirklich die Scene geschrieben, wo die Prinzessin Catharina Unterricht in der englischen Sprache nimmt, und sind überhaupt von ihm alle 5 jene französischen Redensarten, womit sie John Bull ergötzt? Ich zweifle. Unser Dichter hätte dieselben komischen Effekte mittelst eines englischen Jargons hervorbringen können, um so mehr da die englische Sprache die Eigenschaft besitzt, daß sie, ohne von den Regeln der Grammatik abzuweichen, durch bloße Anwendung romanischer Worte und Constructionen, eine gewisse io französische Geistesrichtung hervortreten lassen kann. In ähnlicher Weise könnte ein englischer Schauspieldichter eine gewisse germanische Sinnesart andeuten, wenn er sich nur altsächsischer Ausdrücke und Wendungen bedienen wollte. Denn die englische Sprache besteht aus zwei heterogenen Elementen, dem romanischen und dem germanischen Element, die, nur zusammen15 gedrückt, nicht zu einem organischen Ganzen vermischt sind; und sie fallen leicht auseinander, und alsdann weiß man doch nicht genau zu bestimmen, auf welcher Seite sich das legitime Englisch befindet. Man vergleiche nur die Sprache des Doctor Johnson oder Adisson's mit der Sprache Byron's oder Cobbet's. Shakspear hätte wahrlich nicht nöthig gehabt die Prinzessin Catha20 rina französisch sprechen zu lassen. Dieses führt mich zu einer Bemerkung, die ich schon an einem andern Orte aussprach. Es ist nämlich ein Mangel in den geschichtlichen Dramen von Shakspear, daß er den normannisch französischen Geist des hohen Adels nicht mit dem sächsisch brittischen Geist des Volks, durch eigenthümlichere Sprach25 formen contrastiren läßt. Walter Scott that dieses in seinen Romanen, und erreichte dadurch seine farbigsten Effekte. — Der Künstler der uns zu dieser Gallerie das Conterfey der französischen Prinzessin geliefert, hat ihr, wahrscheinlich aus englischer Malije, weniger schöne als drollige Züge geliehen. Sie hat hier ein wahres Vogelgesicht, und 30 die Augen sehen aus wie geborgt. Sind es etwa Papageienfedern, die sie auf dem Haupte trägt, und soll damit ihre nachplappernde Gelehrigkeit angedeutet werden? Sie hat kleine, weiße, neugierige Hände. Eitel Putzliebe und Gefallsucht ist ihr ganzes Wesen, und sie weiß mit dem Fächer allerliebst zu spielen. Ich wette ihre Füßchen kokettiren mit dem Boden worauf sie wandeln.
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J O H A N N A D'ARC. (Heinrich V I , erster Theil.)
Heil Dir großer deutscher Schiller, der Du das hohe Standbild wieder glorreich gesäubert hast von dem schmutzigen Witze Voltaires, und den schwarzen Flecken, die ihm sogar Shakspear angedichtet... Ja, war es brittischer Nazionalhaß oder mittelalterlicher Aberglaube, was seinen Geist umnebelte, unser Dichter hat das heldenmüthige Mädchen als eine Hexe dargestellt, die mit den dunkeln Mächten der Hölle verbündet ist. Er läßt die Dämonen der Unterwelt von ihr beschwören, und gerechtfertigt wird durch solche Annahme ihre grausame Hinrichtung. — Ein tiefer Unmuth erfaßt mich jedesmal, wenn ich zu Rouen über den kleinen Marktplatz wandle, wo man die Jungfrau verbrannte und eine schlechte Statue diese schlechte That verewigt. Qualvoll tödten! das war also schon damals Eure Handlungsweise gegen überwundene Feinde 1 Nächst dem Felsen von St. Helena, giebt der erwähnte Marktplatz von Rouen, das empörendste Zeugniß von der Großmuth der Engländer. Ja, auch Shakspear hat sich an der Pücelle versündigt, und wo nicht mit entschiedener Feindschaft, behandelt er sie doch unfreundlich und lieblos, die edle Jungfrau, die ihr Vaterland befreite! Und hätte sie es auch mit der Hülfe der Hölle gethan, sie verdiente dennoch Ehrfurcht und Bewunderung! Oder haben die Kritiker Recht, welche dem Stücke, worin die Pücelle auftritt, wie auch dem zweiten und dritten Theile Heinrichs VI, die Autorschaft des großen Dichters absprechen? Sie behaupten, diese Trilogie gehöre zu den ältern Dramen, die er nur bearbeitet habe. Ich möchte gern, der Jungfrau von Orleans wegen, einer solchen Annahme beipflichten. Aber die vorgebrachten Argumente sind nicht haltbar. Diese bestrittenen Dramen tragen in manchen Stellen allzu sehr das Vollgepräge des Shakspear'schen Geistes.
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MARGARETHA. (König Heinrich VI, erster Theil.)
Hier sehen wir die schöne Tochter des Grafen Reignier noch als Mädchen. Suffolk tritt auf und führt sie vor als Gefangene, doch ehe er sich dessen 30 versieht, hat sie ihn selber gefesselt. Er mahnt uns ganz an den Rekruten, der, von einem Wachtposten aus, seinem Hauptmann entgegenschrie: „Ich habe 13 Heine, Bd. 9
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einen Gefangenen gemacht." — „So bringt ihn zu mir her," antwortete der Hauptmann. „Ich kann nicht", erwiederte der arme Rekrut, „denn mein Gefangener läßt mich nicht mehr los." Suffolk spricht: Sei nicht beleidigt, Wunder der Natur! Von mir gefangen werden ist dein Loos. So schützt der Schwan die flaumbedeckten Schwänlein, Mit seinen Flügeln sie gefangen haltend: Allein, sobald dich kränkt die Sklaverei, So geh', und sei als Suffolk's Freundin frei. (Sie wendet sich weg, als wollte sie gehn.)
O bleib! Mir fehlt die Kraft sie zu entlassen, Befrei'n will sie die Hand, das Herz sagt Nein. Wie auf krystall'nem Strom die Sonne spielt, Und blinkt mit zweitem nachgeahmten Strahl, So scheint die lichte Schönheit meinen Augen; Ich würbe gern, doch wag' ich nicht zu reden; Ich fodre Dint' und Feder, ihr zu schreiben. Pfui, De la Poole! entherze dich nicht selbst. Hast keine Zung'P ist sie nicht dort? Verzagst du vor dem Anblick eines Weibs? Ach ja! der Schönheit hohe Majestät Verwirrt die Zung', und macht die Sinne wüst. MARGARETHA.
Sag', Graf von Suffolk (wenn du so dich nennst), Was gilt's zur Lösung eh' du mich entlassest? Denn wie ich seh', bin ich bei dir Gefangne. S U F F O L K (beiseit).
Wie weißt du, ob sie deine Bitte weigert, Eh' du um ihre Liebe dich versucht? MARGARETHA.
Du sprichst nicht? was für Lösung muß ich zahlen? SUFFOLK (beiseit).
Ja, sie ist schön, drum muß man um sie werben; Sie ist ein Weib, drum kann man sie gewinnen. Er findet endlich das beste Mittel die Gefangene zu behalten, indem er sie
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seinem Könige anvermählt, und zugleich ihr öffentlicher Unterthan und ihr heimlicher Liebhaber wird. Ist dieses Verhältniß zwischen Margarethen und Suffolk in der Geschichte begründet? Ich weiß nicht. Aber Shakspear's divinatorisches Auge sieht oft Dinge, wovon die Chronik nichts meldet, und die dennoch wahr sind. E r 5 kennt sogar jene flüchtigen Träume der Vergangenheit, die Clio aufzuzeichnen vergaß. Bleiben vielleicht auf dem Schauplatz der Begebenheiten allerlei bunte Abbilder derselben zurück, die nicht wie gewöhnliche Schatten mit den wirklichen Erscheinungen verschwinden, sondern gespenstisch haften bleiben am Boden, unbemerkt von den gewöhnlichen Werkeltagsmenschen, die ahnunglos 10 darüber hin ihre Geschäfte treiben, aber manchmal ganz Farben- und Formenbestimmt sichtbar werdend, für das sehende Auge jener Sontagskinder, die wir Dichter nennen?
KOENIGIN MARGARETHA. (Heinrich V I , zweiter und dritter Theil.)
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In diesem Bildniß sehen wir dieselbe Margaretha als Königin, als Gemahlin des sechsten Heinrichs. Die Knospe hat sich entfaltet, sie ist jetzt eine vollblühende Rose; aber ein widerlicher Wurm liegt darin verborgen. Sie ist ein hartes, frevelhaftes Weib geworden. Beispiellos grausam in der wirklichen wie in der gedichteten Welt ist die Scene, wo sie dem weinenden York das gräß- 20 liehe, in dem Blute seines Sohnes getauchte Tuch überreicht, und ihn verhöhnt, daß er seine Thränen damit trocknen möge. Entsetzlich sind ihre Worte: Sieh', York! dies Tuch befleckt' ich mit dem Blut, Das mit geschärftem Stahl der tapfre Clifford Hervor ließ strömen aus des Knaben Busen; Und kann dein Aug' um seinen Tod sich feuchten, So geb' ich dir's, die Wangen abzutrocknen. Ach, armer York! haßt' ich nicht tödlich dich, So würd' ich deinen Jammerstand beklagen. So gräm' dich doch, mich zu belust'gen, York! Wie? dörrte so das feur'ge Herz dein Inn'res, Daß keine Thräne fällt um Rutlands Tod? Warum geduldig, Mann? Du solltest rasen; Ich höhne dich, um rasend dich zu machen. Stampf', tob' und knirsch', damit ich sing' und tanze! 13*
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Hätte der Künstler, welcher die schöne Margaretha für diese Gallerie zeichnete, ihr Bildniß mit noch weiter geöffneten Lippen dargestellt, so würden wir bemerken, daß sie spitzige Zähne hat, wie ein Raubthier. In einem folgenden Drama, in Richard III, erscheint sie auch physisch 5 scheußlich, denn die Zeit hat ihr alsdann die spitzigen Zähne ausgebrochen, sie kann nicht mehr beißen, sondern nur noch fluchen, und als ein gespenstisch altes Weib wandelt sie durch die Königsgemächer, und das zahnlose böse Maul murmelt Unheilreden und Verwünschungen. Durch ihre Liebe für Suffolk, den wilden Suffolk, weiß uns Shakspear sogar 10 für dieses Unweib einige Rührung abzugewinnen. Wie verbrecherisch auch diese Liebe ist, so dürfen wir derselben dennoch weder Wahrheit noch Innigkeit absprechen. Wie entzückend schön ist das Abschiedsgespräch der beiden Liebenden! Welche Zärtlichkeit in den Worten Margarethens:
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Ach! rede nicht mit mir! gleich eile fort! O, geh noch nicht! So herzen sich und küssen Verdammte Freund', und scheiden tausendmal, Vor Trennung hundertmal so bang als Tod. Doch nun fahr' wohl! fahr' wohl mit dir mein Leben! Hierauf antwortet Suffolk:
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Mich kümmert nicht das Land, wärst du von hinnen; Volkreich genug ist eine Wüsteney, Hat Suffolk deine himmlische Gesellschaft: Denn wo du bist, da ist die Welt ja selbst, Mit all' und jeden Freuden in der Welt; Und wo du nicht bist, Oede nur und Trauer.
Wenn späterhin Margaretha, das blutige Haupt des Geliebten in der Hand tragend, ihre wildeste Verzweiflung ausjammert, mahnt sie uns an die furchtbare Chrimhilde des Nibelungenlieds. Welche gepanzerte Schmerzen, woran alle Trostworte ohnmächtig abgleiten! 30 Ich habe bereits im Eingange angedeutet, daß ich in Beziehung auf Shakspears Dramen aus der englischen Geschichte mich aller historischen und philosophischen Betrachtungen enthalten werde. Das Thema jener Dramen ist noch immer nicht ganz abgehandelt, so lange der Kampf der modernen Industrie-Bedürfnisse mit den Resten des mittelalterlichen Feudalwesens unter 35 allerlei Transformazionen fortdauert. Hier ist es nicht so leicht, wie bei den römischen Dramen, ein entschiedenes Urtheil auszusprechen, und jede starke
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Freimüthigkeit könnte einer mißlichen Aufnahme begegnen. Nur eine Bemerkung kann ich hier nicht zurückweisen. Es ist mir nemlich unbegreiflich, wie einige deutsche Commentatoren ganz bestimmt für die Engländer Parthei nehmen, wenn sie von jenen französischen Kriegen reden, die in den historischen Dramen des Shakspears dargestellt werden. Wahrlich, in jenen Kriegen war weder das Recht, noch die Poesie auf Seiten der Engländer, die eines Theils unter nichtigen Successionsvorwänden die roheste Plünderungslust verbargen, anderen Theils nur im Solde gemeiner Krämerinteresse sich herumschlugen . . . ganz wie zu unserer eignen Zeit, nur daß es sich im neunzehnten Jahrhundert mehr um Caffe und Zucker, hingegen im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert mehr um Schafswolle handelte. Michelet, in seiner französischen Geschichte, dem genialen Buche, bemerkt ganz richtig: „Das Geheimniß der Schlachten von Crecy, von Poitiers u. s. w. befindet sich im Comptoir der Kaufleute von London, von Bourdeaux, von Bruges. — — — — Wolle und Fleisch begründeten das ursprüngliche England und die englische Rage. Bevor England für die ganze Welt eine große Baumwollespinnerei und Eisenmanufaktur wurde, war es eine Fleischfabrik. Von jeher trieb dieses Volk vorzugsweise Viehzucht und nährte sich von Fleischspeisen. Daher diese Frische des Teints, diese Kraft, diese (kurznasige und hinterkopflose) Schönheit. — Man erlaube mir bei dieser Gelegenheit eines persönlichen Eindrucks zu erwähnen: Ich hatte London und einen großen Theil Englands und Schottlands gesehen; ich hatte mehr angestaunt als begriffen. Erst auf meiner Rückreise, als ich von York nach Manchester ging, die Insel in ihrer Breite durchschneidend, empfing ich eine wahrhafte Anschauung Englands. Es war eines Morgens, bei feuchtem Nebel; das Land erschien mir nicht bloß umgeben, sondern überschwemmt vom Ocean. Eine bleiche Sonne färbte kaum die Hälfte der Landschaft. Die neuen ziegelrothen Häuser hätten allzu schroff gegen die saftig grünen Rasen abgestochen, wären diese schreienden Farben nicht von den flatternden Seenebeln gedämpft worden. Fette Weidenplätze, bedeckt mit Schafen, und überragt von den flammenden Schornsteinen der Fabriköfen. Viehzucht, Ackerbau, Industrie, alles war in diesem kleinen Räume zusammengedrängt, eins über das andre, eins das andre ernährend; das Gras lebte vom Nebel, das Schaf vom Grase, der Mensch von Blut. Der Mensch, in diesem verzehrenden Clima, wo er immer von Hunger geplagt ist, kann nur durch Arbeit sein Leben fristen. Die Natur zwingt ihn dazu. Aber er weiß sich an ihr zu rächen; er läßt sie selber arbeiten; er unter-
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jocht sie durch Eisen und Feuer. Ganz England keucht von diesem Kampfe. Der Mensch ist dort wie erzürnt, wie außer sich. Seht dieses rothe Gesicht, dieses irrglänzende Auge . . . Man könnte leicht glauben, er sei trunken. Aber sein Kopf und seine Hand sind fest und sicher. Er ist nur trunken von Blut 5 und Kraft. Er behandelt sich selbst wie eine Dampfmaschiene, welche er bis zum Uebermaß mit Nahrung vollstopft, um so viel Thätigkeit und Schnelligkeit als nur irgend möglich daraus zu gewinnen. Im Mittelalter war der Engländer ungefähr was er jetzt ist: zu stark genährt, angetrieben zum Handeln, und kriegerisch in Ermanglung einer industriellen 10 Beschäftigung. England, obgleich Ackerbau und Viehzucht treibend, fabrizirte noch nicht. Die Engländer lieferten den rohen Stoff; Andere wußten ihn zu bearbeiten. Die Wolle war auf der einen Seite des Kanals, der Arbeiter war auf der andern Seite. Während die Fürsten stritten und haderten, lebten doch die englischen 15 Viehhändler und die flämischen Tuchfabrikanten in bester Einigkeit, im unzerstörbarsten Bündniß. Die Franzosen, welche dieses Bündniß brechen wollten, mußten dieses Beginnen mit einem hundertjährigen Kriege büßen. Die englischen Könige wollten zwar die Eroberung Frankreichs, aber das Volk verlangte nur Freiheit des Handels, freie Einfuhrplätze, freien Markt für 20 die englische Wolle. Versammelt um einen großen Wollsack, hielten die Communen Rath über die Forderungen des Königs, und bewilligten ihm gern hinlängliche Hülfsgelder und Armeen. Eine solche Mischung von Industrie und Chevallerie verleiht dieser ganzen Geschichte ein wunderliches Ansehen. Jener Eduard, welcher auf der Tafel25 runde einen stolzen Eid geschworen hat, Frankreich zu erobern, jene gravitätisch närrischen Ritter, welche in Folge ihres Gelübdes ein Auge mit rothem Tuch bedeckt tragen, sie sind doch keine so großen Narren, als daß sie auf eigne Kosten ins Feld zögen. Die fromme Einfalt der Kreuzfahrten ist nicht mehr an der Zeit. Diese Ritter sind im Grunde doch nichts anders als käufliche 30 Söldner, als bezahlte Handelsagenten, als bewaffnete Commis-Voyageurs der Londoner und Ganter Kaufleute. Eduard selbst muß sich sehr verbürgern, muß allen Stolz ablegen, muß den Beifall der Tuchhändler- und Webergilde erschmeichlen, muß seinem Gevatter, dem Bierbrauer Artevelde, die Hand reichen, muß auf den Schreibtisch eines Viehhändlers steigen, um das Volk 35 anzureden. Die englischen Tragödien des vierzehnten Jahrhunderts haben sehr komische Parthien. In den nobelsten Rittern steckte immer etwas Falstaff. In Frankreich, in Italien, in Spanien, in den schönen Ländern des Südens, zeigen sich die Engländer eben so gefräßig wie tapfer. Das ist Herkules der Ochsenverschlin-
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ger. Sie kommen, im wahren Sinne des Wortes, um das Land aufzufressen. Aber das Land übt Wiedervergeltung, und besiegt sie durch seine Früchte und Weine. Ihre Fürsten und Armeen übernehmen sich in Speis und Trank, und sterben an Indigestionen und Dyssentrie." Mit diesen gedungenen Fraßhelden vergleiche man die Franzosen, das 5 mäßigste Volk, das weniger durch seine Weine berauscht wird, als vielmehr durch seinen angebornen Enthusiasmus. Letzterer war immer die Ursache ihrer Mißgeschicke, und so sehen wir schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, wie sie im Kampfe mit den Engländern eben durch ihr Uebermaß von Ritterlichkeit unterliegen mußten. Das war bei Crecy, wo die Franzosen 10 schöner erscheinen durch ihre Niederlage, als die Engländer durch ihren Sieg, den sie in unritterlicher Weise, durch Fußvolk erfochten. . . Bisher war der Krieg nur ein großes Turnier von ebenbürtigen Reutern; aber bei Crecy wird diese romantische Cavalerie, diese Poesie, schmählig niedergeschossen von der modernen Infanterie, von der Prosa in strengstiüsirter Schlachtordnung, ja, 15 hier kommen sogar die Kanonen zum Vorschein . . . Der greise Böhmenkönig, welcher, blind und alt, als ein Vasall Frankreichs dieser Schlacht beiwohnte, merkte wohl, daß eine neue Zeit beginne, daß es mit dem Ritterthum zu Ende sei, dai^ künftig der Mann zu Roß von dem Mann zu Fuß überwältigt werde, und er sprach zu seinen Rittern: „Ich bitte euch angelegentlichst, führt mich 20 so weit ins Treffen hinein, daß ich noch einmal mit einem guten Schwertstreich dreinschlagen kann!" Sie gehorchten ihm, banden ihre Pferde an das seinige, jagten mit ihm in das wildeste Getümmel, und des andern Morgens fand man sie alle todt auf den Rücken ihrer todten Pferde, welche noch immer zusammen gebunden waren. Wie dieser Böhmenkönig und seine Ritter, so 25 fielen die Franzosen bei Crecy, bei Poitiers; sie starben, aber zu Pferde. Für England war der Sieg, für Frankreich war der Ruhm. Ja, sogar durch ihre Niederlagen wissen die Franzosen ihre Gegner in den Schatten zu stellen. Die Triumpfe der Engländer sind immer eine Schande der Menschheit, seit den Tagen von Crecy und Poitiers, bis auf Waterloo. Clio ist immer ein Weib, 30 trotz ihrer partheilosen Kälte, ist sie empfindlich für Ritterlichkeit und Heldensinn; und ich bin überzeugt, nur mit knirschendem Herzen verzeichnet sie in ihre Denktafeln die Siege der Engländer.
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Shakspeares Mädchen und Frauen LADY GRAY. (Heinrich VI.)
Sie war eine arme Wittwe, welche zitternd vor König Eduard trat und ihn anflehte, ihren Kindern das Gütchen zurückzugeben, das nach dem Tode 5 ihres Gemahls den Feinden anheim gefallen war. Der wollüstige König, welcher ihre Keuschheit nicht zu kirren vermag, wird so sehr von ihren schönen Thränen bezaubert, daß er ihr die Krone aufs Haupt setzt. Wie viel Kümmernisse für beide dadurch entstanden, meldet die Weltgeschichte. Hat Shakspear wirklich den Charakter des erwähnten Königs ganz treu 10 nach der Historie geschildert? Ich muß wieder auf die Bemerkung zurückkommen, daß er verstand, die Lakunen der Historie zu füllen. Seine Königscharaktere sind immer so wahr gezeichnet, daß man, wie ein englischer Schriftsteller bemerkt, manchmal meynen sollte, er sei während seines ganzen Lebens der Kanzler des Königs gewesen, den er in irgend einem Drama IJ agiren läßt. Für die Wahrheit seiner Schilderungen bürgt, nach meinem Bedünken, auch die frappante Aehnlichkeit, welche sich zwischen seinen alten Königen und jenen Königen der Jetztzeit kund giebt, die wir als Zeitgenossen am besten zu beurtheilen vermögen. Was Friedrich Schlegel von dem Geschichtschreiber sagt, gilt ganz eigent20 üch von unserem Dichter: Er ist ein in die Vergangenheit schauender Prophet. Wäre es mir erlaubt, einem der berühmtesten unserer gekrönten Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten, so würde jeder einsehen, daß ihm Shakspear schon vor zwei Jahrhunderten seinen Steckbrief ausgefertigt hat. In der That, beim Anblick dieses großen, vortrefflichen und gewiß auch gloreichen Monarchen 25 überschleicht uns ein gewisses Schauergefühl, das wir zuweilen empfinden, wenn wir im wachen Tageslichte einer Gestalt begegnen, die wir schon in nächtlichen Träumen erblickt haben. Als wir ihn vor acht Jahren durch die Straßen der Hauptstadt reiten sahen, „baarhäuptig und demüthig nach allen Seiten grüßend", dachten wir immer an die Worte, womit York des Boling30 broke's Einzug in London schildert. Sein Vetter, der neuere Richard II. kannte ihn sehr gut, durchschaute ihn immer und äußerte einst ganz richtig:
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Wir selbst und Bushy, Bagot hier und Green, Sahn sein Bewerben beim geringen Volk, Wie er sich wollt' in ihre Herzen tauchen Mit traulicher, demüth'ger Höflichkeit; Was für Verehrung er an Knechte wegwarf,
Tragödien — Lady Gray Handwerker mit des Lächelns Kunst gewinnend, Und ruhigem Ertragen seines Looses, Als wollt' er ihre Neigung mit verbannen. Vor einem Austerweib zieht er die Mütze, Ein Paar Karrnzieher grüßten: „Gott geleit' euch!" Und ihnen ward des schmeid'gen Knie's Tribut, Nebst: „Dank, Landsleute! meine güt'gen Freunde!"
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Ja, die Aehnlichkeit ist erschreckend. Ganz wie der ältere, entfaltete sich vor unsern Augen der heutige Bolingbroke, der, nach dem Sturze seines königlichen Vetters, den Thron bestieg, sich allmählig darauf befestigte: ein schlauer 10 Held, ein kriechender Riese, ein Titan der Verstellung, entsetzlich, ja empörend ruhig, die Tatze in einem sammtnen Handschuh, und damit die öffentliche Meinung streichelnd, den Raub schon in weiter Ferne erspähend, und nie darauf losspringend bis er in sicherster Nähe . . . Möge er immer seine schnaubenden Feinde besiegen, und dem Reiche den Frieden erhalten, bis zu seiner 15 Todesstunde, wo er zu seinem Sohn jene Worte sprechen wird, die Shakspear schon längst für ihn aufgeschrieben: Komm her, mein Sohn, und setz' dich an mein Bett, Und hör' den letzten Rathschlag, wie ich glaube, Den ich je athmen mag. Gott weiß, mein Sohn, Durch welche Nebenschlich' und krumme Wege Ich diese Krön' erlangt; ich selbst weiß wohl, Wie lästig sie auf meinem Haupte saß. Dir fällt sie heim nunmehr mit beß'rer Ruh', Mit beß'rer Meinung, besserer Bestät'gung; Denn jeder Flecken der Erlangung geht Mit mir in's Grab. An mir erschien sie nur Wie eine Ehr', erhascht mit heft'ger Hand; Und viele lebten noch, mir vorzurücken, Daß ich durch ihren Beistand sie gewonnen, Was täglich Zwist und Blutvergießen schuf, Dem vorgegeb'nen Frieden Wunden schlagend. Alle diese dreisten Schrecken, wie du siehst, Hab' ich bestanden mit Gefahr des Lebens: Denn all' mein Regiment war nur ein Auftritt, Der diesen Inhalt spielte; nun verändert Mein Tod die Weise; denn was ich erjagt, Das fällt dir nun mit schönerm Anspruch heim,
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Shakspeares Mädchen und Frauen Da du durch Erblichkeit die Krone trägst. Und, stehst du sich'rer schon als ich es konnte, Du bist nicht fest genug, so lang die Klagen So frisch noch sind; und allen meinen Freunden, Die du zu deinen Freunden machen mußt, Sind Zähn' und Stachel kürzlich nur entnommen, Die durch gewaltsam Thun mich erst befördert, Und deren Macht wohl Furcht erregen konnte Vor neuer Absetzung; was zu vermeiden Ich sie verdarb, und nun des Sinnes war, Zum heil'gen Lande Viele fortzuführen, Daß Ruh' und Stilleliegen nicht zu nah' Mein Reich sie prüfen ließ. Drumm, mein Sohn, Beschäft'ge stets die schwindlichten Gemüther Mit fremden Zwist, daß wirken in der Fern Das Angedenken vor'ger Tage banne. Mehr wollt ich, doch die Lung ist so erschöpft, Daß kräft'ge Rede gänzlich mir versagt ist. Wie ich zur Krone kam, o Gott vergebe! Daß sie bei dir in wahrem Frieden lebe!
L A D Y ANNA. (König Richard III.)
Die Gunst der Frauen, wie das Glück überhaupt, ist ein freies Geschenk, man empfängt es, ohne zu wissen wie, ohne zu wissen warum. Aber es giebt 25 Menschen, die es mit eisernem Willen vom Schicksal zu ertrotzen verstehen, und diese gelangen zum Ziele, entweder durch Schmeichelei, oder indem sie den Weibern Schrecken einflößen, oder indem sie ihr Mitleiden anregen, oder indem sie ihnen Gelegenheit geben sich aufzuopfern . . . Letzteres, nämlich das Geopfert-seyn, ist die Lieblingsrolle der Weiber, und kleidet sie so schön 30 vor den Leuten, und gewährt ihnen auch in der Einsamkeit so viel thränenreiche Wemuthsgenüsse. Lady Anna wird durch alles dieses zu gleicher Zeit bezwungen. Wie Honigseim gleiten die Schmeichelworte von den furchtbaren Lippen. . . Richard schmeichelt ihr, der selbe Richard, welcher ihr alle Schrecken der Hölle einflößt, welcher ihren geliebten Gemahl und den väterlichen Freund getödtet,
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den sie eben zu Grabe bestattet... Er befiehlt den Leichenträgern mit herrischer Stimme den Sarg nieder zu setzen, und in diesem Momente richtet er seine Liebeswerbung an die schöne Leidtragende . . . Das Lamm sieht schon mit Entsetzen das Zähnefletschen des Wolfes, aber dieser spitzt plötzlich die Schnautze zu den süßesten Schmeicheltönen . . . Die Schmeichelei des Wolfes 5 wirkt so erschütternd, so berauschend auf das arme Lammgemüth, daß alle Gefühle darin eine plötzliche Umwandlung erleiden. . . Und König Richard spricht von seinem Kummer, von seinem Gram, so daß Anna ihm ihr Mittleid nicht versagen kann, um so mehr, da dieser wilde Mensch nicht sehr klagesüchtig von Natur ist. . . Und dieser unglückliche Mörder hat Gewissensbisse, 10 spricht von Reue, und eine gute Frau könnte ihn vielleicht auf den besseren Weg leiten, wenn sie sich für ihn aufopfern wollte . . . Und Anna entschließt sich Königin von England zu werden.
K O E N I G I N CATHARINA. (Heinrich VIII.)
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Ich hege ein unüberwindliches Vorurtheil gegen diese Fürstin, welcher ich dennoch die höchsten Tugenden zugestehen muß. Als Ehefrau war sie ein Muster häuslicher Treue. Als Königin betrug sie sich mit höchster Würde und Majestät. Als Christin war sie die Frömmigkeit selbst. Aber den Doktor Samuel Johnson hat sie zum überschwenglichsten Lobe begeistert, sie ist unter 20 allen Shakspear'schen Frauen sein auserlesener Liebling, er spricht von ihr mit Zärtlichkeit und Rührung . . . Das ist nicht zu ertragen. Shakspear hat alle Macht seines Genius aufgeboten, die gute Frau zu verherrlichen, doch diese Bemühung wird vereitelt, wenn man sieht, daß Dr. Johnson, der große Porterkrug, bei ihrem Anblick in süßes Entzücken geräth und von Lobes- 25 erhebungen überschäumt. Wär' sie meine Frau, ich könnte mich von ihr scheiden lassen ob solcher Lobeserhebungen. Vielleicht war es nicht der Liebreitz von Anna Boleyn, was den armen König Heinrich von ihr losriß, sondern der Enthusiasmus, womit sich irgend ein damaliger Dr. Johnson über die treue, würdevolle und fromme Catharina aussprach. Hat vielleicht 3° Thomas Morus, der bei all' seiner Vortrefflichkeit etwas pedantisch und ledern und unverdaulich wie Dr. Johnson war, zu sehr die Königin in den Himmel erhoben? Dem wackern Kanzler freilich kam sein Enthusiasmus etwas theuer zu stehen; der König erhob ihn deshalb selbst in den Himmel. Ich weiß nicht, was ich am meisten bewundern soll: daß Catharina ihren 35
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Gemahl ganze fünfzehn Jahre lang ertrug, oder daß Heinrich seine Gattin während so langer Zeit ertragen hat? Der König war nicht bloß sehr launenhaft, gähzornig und in beständigem Widerspruch mit allen Neigungen seiner Frau — das findet sich in vielen Ehen, die sich trotz dem, bis der Tod allem Zank ein Ende macht, aufs Beste erhalten — aber der König war auch Musiker und Theolog, und beides in vollendeter Miserabilität. Ich habe unlängst als ergötzliche Kuriosität einen Choral von ihm gehört, der eben so schlecht war wie sein Traktat „de septem sacramentis". Er hat gewiß mit seinen musikalischen Compositionen und seiner theologischen Schriftstellerei die arme Frau sehr belästigt. Das Beste an Heinrich war sein Sinn für plastische Kunst, und aus Vorliebe für das Schöne, entstanden vielleicht seine schlimmsten Sympathien und Antipathien. Catharina von Arragonien war nämlich noch hübsch in ihrem vier und zwanzigsten Jahre, als Heinrich achtzehn Jahr alt war und sie heirathete, obgleich sie die Wittwe seines Bruders gewesen. Aber ihre Schönheit hat wahrscheinlich mit den Jahren nicht zugenommen, um so mehr da sie, aus Frömmigkeit, mit Geißelung, Fasten, Nachtwachen und Betübungen, ihr Fleisch beständig kasteite. Ueber diese ascetischen Uebungen beklagte sich ihr Gemahl oft genug, und auch uns wären dergleichen an einer Frau sehr fatal gewesen. Aber es giebt noch einen andern Umstand, der mich in meinem Vorurtheil gegen diese Königin bestärkt: Sie war die Tochter der Isabella von Castilien und die Mutter der blutigen Maria. Was soll ich von dem Baume denken, der solcher bösen Saat entsprossen, und solche böse Frucht gebar?
Wenn sich auch in der Geschichte keine Spuren ihrer Grausamkeit vor25 finden, so tritt dennoch der wilde Stolz ihrer Race bei jeder Gelegenheit hervor, wo sie ihren Rang vertreten oder geltend machen will. Trotz ihrer wohleingeübten christlichen Demuth, gerieth sie doch jedesmal in einen fast heidnischen Zorn, wenn man einen Verstoß gegen die herkömmliche Etikette machte oder gar ihr den königlichen Titel verweigerte. Bis in den Tod be50 wahrte sie diesen unauslöschbaren Hochmuth, und auch bei Shakspear sind ihre letzten Worte:
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Ihr sollt mich balsamiren, dann zur Schau Ausstellen, zwar entkönigt, doch begrabt mich Als Königin und eines Königs Tochter. Ich kann nicht mehr.
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ANNA BOLEYN. (Heinrich VIII.)
Die gewöhnliche Meinung geht dahin, daß König Heinrichs Gewissensbisse ob seiner Ehe mit Catharinen durch die Reize der schönen Anna entstanden seyen. Sogar Shakspear verräth diese Meinung, und wenn in dem Krönungszug 5 die neue Königin auftritt, legt er einem jungen Edelmann folgende Worte in den Mund: Gott sei mit dir! Solch süß Gesicht, als dein's, erblickt' ich nie! Bei meinem Leben, Herr, sie ist ein Engel, Der König hält ganz Indien in den Armen, Und viel, viel mehr, wenn er dies Weib umfängt: Ich tadle sein Gewissen nicht.
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Von der Schönheit der Anna Boleyn giebt uns der Dichter auch in der folgenden Scene einen Begriff, wo er den Enthusiasmus schildert, den ihr 15 Anblick bei der Krönung hervorbrachte. Wie sehr Shakspear seine Gebieterin, die hohe Elisabeth, liebte, zeigt sich vielleicht am schönsten in der Umständlichkeit, womit er die Krönungsfeier ihrer Mutter darstellt. Alle diese Details sankzioniren das Thronrecht der Tochter, und ein Dichter wußte die bestrittene Legitimität seiner Königin dem 20 ganzen Publikum zu veranschaulichen. Aber diese Königin verdiente solchen Liebeseifer! Sie glaubte ihrer Königswürde nichts zu vergeben, wenn sie dem Dichter gestattete, alle ihre Vorfahren, und sogar ihren eigenen Vater, mit entsetzlicher Unparteilichkeit auf der Bühne darzustellen! Und nicht bloß als Königin, sondern auch als Weib wollte sie nie die Rechte der Poesie 25 beeinträchtigen; wie sie unserem Dichter in politischer Hinsicht die höchste Redefreiheit gewährte, so erlaubte sie ihm auch die kecksten Worte in geschlechtlicher Beziehung, sie nahm keinen Anstoß an den ausgelassensten Witzen einer gesunden Sinnlichkeit, und sie, t h e m a i d e n q u e e n , die königliche Jungfrau, verlangte sogar, daß Sir John Falstaff sich einmal als Liebhaber 30 zeige. Ihrem lächelnden Wink verdanken wir die lustigen Weiber von Windsor. Shakspear konnte seine englischen Geschichtsdramen nicht besser schließen, als indem er am Ende von Heinrich VIII die neugeborne Elisabeth, gleichsam die bessere Zukunft in Windeln, über die Bühne tragen läßt. Hat aber Shakspear wirklich den Charakter Heinrichs VIII, des Vaters seiner 35 Königin, ganz geschichtstreu geschildert? Ja, obgleich er die Wahrheit nicht
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in so grellen Lauten wie in seinen übrigen Dramen verkündete, so hat er sie doch jedenfalls ausgesprochen, und der leisere Ton macht jeden Vorwurf desto eindringlicher. Dieser Heinrich VIII war der Schlimmste aller Könige, denn während alle andere böse Fürsten nur gegen ihre Feinde wütheten, raste 5 jener gegen seine Freunde, und seine Liebe war immer weit gefährlicher als sein Haß. Die Ehestandsgeschichten dieses königlichen Blaubarts sind entsetzlich. In alle Schrecknisse derselben mischte er obendrein eine gewisse blödsinnig grauenhafte Galanterie. Als er Anna Boleyn hinzurichten befahl, ließ er ihr vorher sagen, daß er für sie den geschicktesten Scharfrichter von io ganz England bestellt habe. Die Königin dankte ihm gehorsamst für solche zarte Aufmerksamkeit, und in ihrer leichtsinnig heitern Weise, umspannte sie mit beiden weißen Händen ihren Hals und rief: ich bin sehr leicht zu köpfen, ich hab' nur ein kleines schmales Hälschen. Auch ist das Beil, womit man ihr das Haupt abschlug, nicht sehr groß. Man 15 zeigte es mir in der Rüstkammer des Towers zu London, und während ich es in Händen hielt, beschlichen mich sehr sonderbare Gedanken. Wenn ich Königin von England wäre, ich ließe jenes Beil in die Tiefe des Oceans versenken.
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(Macbeth.)
Von den eigentlich historischen Dramen wende ich mich zu jenen Tragödien, deren Fabel entweder rein ersonnen oder aus alten Sagen und Novellen geschöpft ist. Macbeth bildet einen Uebergang zu diesen Dichtungen, worin der Genius des großen Shakspear am freiesten und kecksten seine Flügel entfaltet. 25 Der Stoff ist einer alten Legende entlehnt, er gehört nicht zur Historie, und dennoch macht dieses Stück einige Ansprüche an geschichtlichen Glauben, da der Ahnherr des königlichen Hauses von England darin eine Rolle spielte. Macbeth ward nämlich unter Jacob I aufgeführt, welcher bekanntlich von dem schottischen Banko abstammen sollte. In dieser Beziehung hat der 30 Dichter auch einige Prophezeiungen zur Ehre der regierenden Dynastie seinem Drama eingewebt. Macbeth ist ein Liebling der Kritiker, die hier Gelegenheit finden, ihre Ansichten über die antike Schicksalstragödie, in Vergleichung mit der Auffassung des Fatums bei modernen Tragikern, des Breitesten auseinander zu 35 setzen. Ich erlaube mir über diesen Gegenstand nur eine flüchtige Bemerkung.
Tragödien — Lady Macbeth Die Schicksalsidee des Shakspear ist von der Idee des Schicksals bei den Alten in gleicher Weise verschieden, wie die wahrsagenden Frauen, die kronenverheißend in der alten nordischen Legende dem Macbeth begegnen, von jener Hexenschwesterschaft verschieden sind, die man in der Shakspear'schen Tragödie auftreten sieht. Jene wundersamen Frauen in der alten nor- 5 dischen Legende sind offenbar Walkyren, schauerliche Luftgöttinnen, die über den Schlachtfeldern einherschwebend, Sieg oder Niederlage entscheiden, und als die eigentlichen Lenkerinnen des Menschenschicksals zu betrachten sind, da letzteres im kriegerischen Norden zunächst vom Ausgang der Schwertkämpfe abhängig war. Shakspear verwandelte sie in unheilstiftende Hexen, 10 entkleidete sie aller furchtbaren Grazie des nordischen Zauberthums, er machte sie zu zwitterhaften Mißweibern, die ungeheuerlichen Spuk zu treiben wissen, und Verderben brauen, aus hämischer Schadenfreude oder auf Geheiß der Hölle: sie sind die Dienerinnen des Bösen, und wer sich von ihren Sprüchen bethören läßt, geht mit Leib und Seele zu Grunde. Shakspear hat also die 15 altheidnischen Schicksalsgöttinnen und ihren ehrwürdigen Zaubersegen ins Christliche übersetzt, und der Untergang seines Helden ist daher nicht etwas voraus bestimmt Nothwendiges, etwas starr Unabwendbares wie das alte Fatum, sondern er ist nur die Folge jener Lockungen der Hölle, die das Menschenherz mit den feinsten Netzen zu umschlingen weiß: Macbeth unterliegt 20 der Macht Satans, dem Urbösen. Interessant ist es, wenn man die Shakspear'schen Hexen mit den Hexen anderer englischen Dichter vergleicht. Man bemerkt, daß Shakspear sich dennoch von der altheidnischen Anschauungsweise nicht ganz losreißen konnte, und seine Zauberschwestern sind daher auffallend grandioser und 25 respectabler als die Hexen von Middleton, die weit mehr eine böse Vettelnatur bekunden, auch weit kleinlichere Tücken ausüben, nur den Leib beschädigen, über den Geist wenig vermögen, und höchstens mit Eifersucht, Mißgunst, Lüsternheit und ähnlichem Gefühlsaussatz unsere Herzen zu überkrusten wissen. 30 Die Renommee der Lady Macbeth, die man während zwei Jahrhunderten für eine sehr böse Person hielt, hat sich vor etwa zwölf Jahren in Deutschland sehr zu ihrem Vortheil verbessert. Der fromme Franz Horn machte nämlich im Brokhausischen Conversazions-Blatt die Bemerkung, daß die arme Lady bisher ganz verkannt worden, daß sie ihren Mann sehr liebte, und überhaupt 35 ein liebevolles Gemüth besäße. Diese Meinung suchte bald darauf Herr Ludwig Tieck mit all seiner Wissenschaft, Gelahrtheit und philosophischen Tiefe zu unterstützen, und es dauerte nicht lange, so sahen wir Madame Stich auf der königlichen Hofbühne in der Rolle der Lady Macbeth so gefühlvoll
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girren und turteltäubeln, daß kein Herz in Berlin vor solchen Zärtlichkeitstönen ungerührt blieb, und manches schöne Auge von Thränen überfloß beim Anblick der juten Macbeth. — Das geschah, wie gesagt, vor etwa zwölf Jahren, in jener sanften Restaurazionszeit, wo wir so viel Liebe im Leibe hatten. 5 Seitdem ist ein großer Bankrot ausgebrochen, und wenn wir jetzt mancher gekrönten Person nicht die überschwengliche Liebe widmen, die sie verdient, so sind Leute daran Schuld, die, wie die Königin von Schottland, während der Restaurazions-Periode unsre Herzen ganz ausgebeutelt haben. Ob man in Deutschland die Liebenswürdigkeit der besagten Lady noch io immer verficht, weiß ich nicht. Seit der Juliusrevoluzion haben sich jedoch die Ansichten in vielen Dingen geändert, und man hat vielleicht sogar in Berlin einsehen lernen, daß die jute Macbeth eine sehr bese Bestie sint.
OPHELIA. (Hamlet.)
15 Das ist die arme Ophelia, die Hamlet der Däne geliebt hat. Es war ein blondes schönes Mädchen, und besonders in ihrer Sprache lag ein Zauber, der mir schon damals das Herz rührte, als ich nach Wittenberg reisen wollte und zu ihrem Vater ging, um ihm Lebewohl zu sagen. Der alte Herr war so gütig mir alle jene guten Lehren, wovon er selber so wenig Gebrauch machte, auf 20 den Weg mitzugeben, und zulezt rief er Ophelien, daß sie uns Wein bringe zum Abschiedstrunk. Als das liebe Kind, sittsam und anmuthig, mit dem Kredenzteller zu mir herantrat und das strahlend große Auge gegen mich aufhob, griff ich in der Zerstreuung zu einem leeren, statt zu einem gefüllten Becher. Sie lächelte über meinen Mißgriff. Ihr Lächeln war schon damals so 25 wundersam glänzend, es zog sich über ihre Lippen schon jener berauschende Schmelz, der wahrscheinlich von den Kuß-Elfen herrührte, die in den Mundwinkeln lauschten. Als ich von Wittenberg heimkehrte und das Lächeln Ophelias mir wieder entgegenleuchtete, vergaß ich darüber alle Spitzfündigkeiten der Scholastik, 30 und mein Nachgrübeln betraf nur die holden Fragen: Was bedeutet jenes Lächeln? Was bedeutet jene Stimme, jener geheimnißvoll schmachtende Flötenton? Woher empfangen jene Augen ihre seligen Strahlen? Ist es ein Abglanz des Himmels, oder erglänzt der Himmel nur von dem Wiederschein dieser Augen? Steht jenes Lächeln im Zusammenhang mit der stummen Musik 35 des Sphärentanzes, oder ist es nur die irdische Signatur der übersinnlichsten
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Harmonien? Eines Tages, als wir im Schloßgarten zu Helsingör uns ergingen, zärtlich scherzend und kosend, die Herzen in voller Sehnsuchtsblüthe... es bleibt mir unvergeßlich, wie bettelhaft der Gesang der Nachtigallen abstach gegen die himmelhauchende Stimme Ophelias, und wie armselig blöde die Blumen aussahen mit ihren bunten Gesichtern ohne Lächeln, wenn ich sie zufällig verglich mit dem holdseligen Munde Ophelias 1 Die schlanke Gestalt, wie wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben mir einher. Ach! das ist der Fluch schwacher Menschen, daß sie jedesmal, wenn ihnen eine große Unbill wiederfährt, zunächst an dem Besten und Liebsten was sie besitzen, ihren Unmuth auslassen. Und der arme Hamlet zerstörte zunächst seine Vernunft, das herrliche Kleinod, stürzte sich durch verstellte Geistesverwirrung in den entsetzlichen Abgrund der wirklichen Tollheit, und quälte sein armes Mädchen, mit höhnischen Stachelreden. . . Das arme Ding 1 das fehlte noch, daß der Geliebte ihren Vater für eine Ratte hielt und ihn todtstach. . . Da mußte sie ebenfalls von Sinnen kommen! Aber ihr Wahnsinn ist nicht so schwarz und brütend düster wie der Hamletische, sondern er gaukelt, gleichsam besänftigend, mit süßen Liedern, um ihr krankes Haupt. . . Ihre sanfte Stimme schmilzt ganz in Gesang, und Blumen und wieder Blumen winden sich durch all ihr Denken. Sie singt und flechtet Kränze und schmückt damit ihre Stirn, und lächelt mit ihrem strahlenden Lächeln, armes Kind! . . . Es neigt ein Weidenbaum sich über'n Bach, Und zeigt im klaren Strom sein grünes Laub, Mit welchem sie phantastisch Kränze wand Von Hahnfuß, Nesseln, Maaßlieb, Kukuksblumen. Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde A n den gesenkten Aesten aufzuhängen, Zerbrach ein falscher Zweig, und niederfielen Die rankenden Trophäen und sie selbst Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider Verbreiteten sich weit, und trugen sie Sirenengleich ein Weilchen noch empor, Indeß sie Stellen alter Weisen sang, Als ob sie nicht die eigne Noth begriffe, Wie ein Geschöpf, geboren und begabt Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, Das arme Kind von ihren Melodien Hinuntergezogen in den schlamm'gen Tod. 14 Heine, Bd. 9
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Doch was erzähl ich Euch diese kummervolle Geschichte. Ihr kennt sie alle von frühester Jugend, und ihr habt oft genug geweint über die alte Tragödie von Hamlet dem Dänen, welcher die arme Ophelia liebte, weit mehr liebte als tausend Brüder mit ihrer Gesammtliebe sie zu lieben vermochten, und 5 welcher verrückt wurde, weil ihm der Geist seines Vaters erschien, und weil die Welt aus ihren Angeln gerissen war und er sich zu schwach fühlte, um sie wieder einzufügen, und weil er im deutschen Wittenberg vor lauter Denken das Handeln verlernt hatte, und weil ihm die Wahl stand, entweder wahnsinnig zu werden oder eine rasche That zu begehn, und weil er als Mensch überhaupt io große Anlagen zur Tollheit in sich trug. Wir kennen diesen Hamlet wie wir unser eignes Gesicht kennen, das wir so oft im Spiegel erblicken, und das uns dennoch weniger bekannt ist, als man glauben sollte; denn begegnete uns jemand auf der Straße, der ganz so aussähe wie wir selber, so würden wir das befremdlich wohlbekannte Antlitz nur 15 instinktmäßig und mit geheimen Schreck anglotzen, ohne jedoch zu merken, daß es unsere eignen Gesichtszüge sind, die wir eben erblickten.
CORDELIA. (König Lear.)
In diesem Stücke liegen Fußangel und Selbstschüsse für den Leser, sagt ein 20 englischer Schriftsteller. Ein anderer bemerkt, diese Tragödie sei ein Labyrinth, worin sich der Commentator verirren, und am Ende Gefahr laufen könne, von dem Minotaur, der dort haust, erwürgt zu werden; er möge hier das kritische Messer nur zur Selbstvertheidigung gebrauchen. Und in der That, ist es jedenfalls eine mißliche Sache, den Shakspear zu kritisiren, ihn, aus des25 sen Worten uns beständig die schärfste Kritik unserer eignen Gedanken und Handlungen entgegen lacht: so ist es fast unmöglich, ihn in dieser Tragödie zu beurtheilen, wo sein Genius bis zur schwindlichsten Höhe sich emporschwang. Ich wage mich nur bis an die Pforte dieses Wunderbaus, nur bis zur Exposizion, die schon gleich unser Erstaunen erregt. Die Expositionen sind über30 haupt in Shakspear's Tragödien bewunderungswürdig. Durch diese ersten Eingangs-Scenen werden wir schon gleich aus unseren Werkeltagsgefühlen und Zunftgedanken herausgerissen, und in die Mitte jener ungeheuern Begebenheiten versetzt, womit der Dichter unsere Seelen erschüttern und reinigen will. So eröffnet sich die Tragödie des Macbeth mit der Begegnung 35 der Hexen, und der weissagende Spruch derselben unterjocht nicht bloß das
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Herz des schottischen Feldherrn, den wir siegestrunken auftreten sehen, sondern auch unser eignes Zuschauerherz, das jetzt nicht mehr loskann, bis alles erfüllt und beendigt ist. Wie ein Macbeth das wüste, sinnebetäubende Grauen der blutigen Zauberwelt schon im Beginn uns erfaßt, so überfröstelt uns der Schauer des bleichen Geisterreichs bereits in den ersten Scenen des Hamlet, und wir können uns hier nicht loswinden von den gespenstischen Nachtgefühlen, von dem Alpdrücken der unheimlichsten Aengste, bis alles vollbracht, bis Dänemarks Luft, die von Menschenfäulniß geschwängert war, wieder ganz gereinigt ist. In den ersten Scenen des Lear werden wir auf gleicher Weise unmittelbar hineingezogen in die fremden Schicksale, die sich vor unseren Augen ankündigen, entfalten und abschließen. Der Dichter gewährt uns hier ein Schauspiel, das noch entsetzlicher ist als alle Schrecknisse der Zauberwelt und des Geisterreichs: er zeigt uns nämlich die menschliche Leidenschaft, die alle Vernunftdämme durchbricht, und in der furchtbaren Majestät eines königliehen Wahnsinns hinaustobt, wetteifernd mit der empörten Natur in ihrem wildesten Aufruhr. Aber ich glaube, hier endet die außerordentliche Obmacht, die spielende Willkühr, womit Shakspear seinen Stoff immer bewältigen konnte; hier beherrscht ihn sein Genius weit mehr als in den erwähnten Tragödien, in Macbeth und Hamlet, wo er, mit künstlerischer Gelassenheit, neben den dunkelsten Schatten der Gemüthsnacht, die rosigsten Lichter des Witzes, neben den wildesten Handlungen, das heiterste Stillleben, hinmalen konnte. Ja, in der Tragödie Macbeth lächelt uns eine sanfte befriedete Natur entgegen: an den Fensterfliesen des Schlosses, wo die blutigste Unthat verübt wird, kleben stille Schwalbennester; ein freundlicher schottischer Sommer, nicht zu warm, nicht zu kühl, weht durch das ganze Stück; überall schöne Bäume und grünes Laubwerk, und am Ende gar kommt ein ganzer Wald einhermarschiert, Birnam-Wald kommt nach Dunsinane. Auch in Hamlet kontrastirt die liebliche Natur mit der Schwüle der Handlung; bleibt es auch Nacht in der Brust des Helden, so geht doch die Sonne darum nicht minder morgenröthlich auf, und Polonius ist ein amüsanter Narr, und es wird ruhig Komödie gespielt, und unter grünen Bäumen sitzt die arme Ophelia, und mit bunten, blühenden Blumen windet sie ihre Kränze. Aber in Lear herrschen keine solche Contraste zwischen der Handlung und der Natur, und die entzügelten Elemente heulen und stürmen um die Wette mit dem wahnsinnigen König. Wirkt ein sittliches Ereigniß ganz außerordentlicher Art auch auf die sogenannte leblose Natur? Befindet sich zwischen dieser und dem Menschengemüth ein äußerlich sichtbares Wahlverhältniß? Hat unser Dichter dergleichen erkannt und darstellen wollen? 14*
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Mit der ersten Scene dieser Tragödie werden wir, wie gesagt, schon in die Mitte der Ereignisse geführt, und wie klar auch der Himmel ist, ein scharfes Auge kann das künftige Gewitter schon voraussehen. Da ist ein Wölkchen im Verstände Lears, welches sich später zur schwärzesten Geistesnacht verdichten 5 wird. Wer in dieser Weise alles verschenkt, der ist schon verrückt. Wie das Gemüth des Helden, so lernen wir auch den Charakter der Töchter schon in der Exposizionsscene kennen, und namentlich rührt uns schon gleich die schweigsame Zärtlichkeit Cordelias, der modernen Antigone, die an Innigkeit die antike Schwester noch übertrifft. Ja, sie ist ein reiner Geist, wie es der io König erst im Wahnsinn einsieht. Ganz rein? Ich glaube, sie ist ein bischen eigensinnig, und dieses Fleckchen ist ein Vatermal. Aber wahre Liebe ist sehr verschämt und haßt allen Wortkram; sie kann nur weinen und verbluten. Die wehmüthige Bitterkeit, womit Cordelia auf die Heuchelei der Schwestern anspielt, ist von der zartesten Art, und trägt ganz den Charakter jener Ironie, 15 deren sich der Meister aller Liebe, der Held des Evangeliums, zuweilen bediente. Ihre Seele entladet sich des gerechtesten Unwillens und offenbart zugleich ihren ganzen Adel in den Worten: Fürwahr, nie heurath' ich, wie meine Schwestern, um bloß meinen Vater zu lieben.
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JULIE. (Romeo und Julie.)
In der That, jedes Shakspear'sche Stück hat sein besonderes Clima, seine bestimmte Jahrszeit und seine lokalen Eigenthümlichkeiten. Wie die Personen in jedem dieser Dramen, so hat auch der Boden und der Himmel, der darin 25 sichtbar wird, eine besondere Physionomie. Hier, in Romeo und Julie, sind wir über die Alpen gestiegen und befinden uns plötzlich in dem schönen Garten, welcher Italien heißt. . . Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn? — 30
Es ist das sonnige Verona, welches Shakspear zum Schauplatze gewählt hat für die Großthaten der Liebe, die er in Romeo und Julie verherrlichen wollte. Ja, nicht das benannte Menschenpaar, sondern die Liebe selbst ist der Held in diesem Drama. Wir sehen hier die Liebe jugendlich übermüthig auftreten, allen feindlichen Verhältnissen Trotz bietend, und Alles besiegend . . . Denn
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sie fürchtet sich nicht, in dem großen Kampfe zu dem schrecklichsten aber sichersten Bundesgenossen, dem Tode, ihre Zuflucht zu nehmen. Liebe im Bündnisse mit dem Tode ist unüberwindlich. Liebe! Sie ist die höchste und siegreichste aller Leidenschaften. Ihre weltbezwingende Stärke besteht aber in ihrer schrankenlosen Großmuth, in ihrer fast übersinnlichen Uneigen- 5 nützigkeit, in ihrer aufopferungssüchtigen Lebensverachtung. Für sie giebt es kein Gestern und sie denkt an kein Morgen . . . Sie begehrt nur des heutigen Tages, aber diesen verlangt sie ganz, unverkürzt, unverkümmert. . . Sie will nichts davon aufsparen für die Zukunft und verschmäht die aufgewärmten Reste der Vergangenheit. . . „Vor mir Nacht, hinter mir Nacht" . . . Sie ist 10 eine wandelnde Flammezwischen zwei Finsternissen... Woher entsteht sie? . . . Aus unbegreiflich winzigen Fünkchen! . . . Wie endet sie? . . . Sie erlöscht spurlos, eben so unbegreiflich... Je wilder sie brennt, desto früher erlöscht sie . . . Aber das hindert sie nicht, sich ihren lodernden Trieben ganz hinzugeben, als dauerte ewig dieses Feuer . . . 15 Ach, wenn man zum zweitenmal im Leben von der großen Glut erfaßt wird, so fehlt leider dieser Glaube an ihrer Unsterblichkeit, und die schmerzlichste Erinnerung sagt uns, daß sie sich am Ende selber aufzehrt. . . Daher die Verschiedenheit der Melancholie bei der ersten Liebe und bei der zweiten. . . Bei der ersten denken wir, daß unsere Leidenschaft nur mit tragischem Tode 20 endigen müsse, und in der That, wenn nicht anders die entgegendrohenden Schwierigkeiten zu überwinden sind, entschließen wir uns leicht mit der Geliebten ins Grab zu steigen. . . Hingegen bei der zweiten Liebe liegt uns der Gedanke im Sinne, daß unsere wildesten und herrlichsten Gefühle sich mit der Zeit in eine zahme Lauheit verwandeln, daß wir die Augen, die Lippen, 25 die Hüften, die uns jetzt so schauerlich begeistern, einst mit Gleichgültigkeit betrachten werden. . . Ach! dieser Gedanke ist melancholischer als jede Todesahnung! . . . Das ist ein trostloses Gefühl, wenn wir im heißesten Rausche an künftige Nüchternheit und Kühle denken, und aus Erfahrung wissen, daß die hochpoetischen heroischen Leidenschaften ein so kläglich prosaisches 30 Ende nehmen! . . . Diese hochpoetischen heroischen Leidenschaften! Wie die Theaterprinzessinnen gebehrden sie sich, und sind hochroth geschminkt, prachtvoll kostumirt, mit funkelndem Geschmeide beladen, und wandeln stolz einher und deklamiren in gemessenen Jamben . . . Wenn aber der Vorhang fällt, 35 zieht die arme Prinzessin ihre Werkeltagskleider wieder an, wischt sich die Schminke von den Wangen, sie muß den Schmuck dem Garderobemeister überliefern, und schlotternd hängt sie sich an den Arm des ersten besten Stadtgerichtsreferendarii, spricht schlechtes Berliner Deutsch, steigt mit ihm
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in eine Mansarde, und gähnt und legt sich schnarchend aufs Ohr, und hört nicht mehr die süßen Betheurungen: „Sie spielten jettlich, auf Ehre" . . . Ich wage es nicht Shakspear im mindesten zu tadeln, und nur meine Verwunderung möchte ich darüber aussprechen, daß er den Romeo erst eine Leidenschaft für Rosalinde empfinden läßt, ehe er ihn Julien zuführt. Trotz dem, daß er sich der zweiten Liebe ganz hingiebt, nistet doch in seiner Seele eine gewisse Skepsis, die sich in ironischen Redensarten kundgiebt, und nicht selten an Hamlet erinnert. Oder ist die zweite Liebe bei dem Manne die stärkere, eben weil sie alsdann mit klarem Selbstbewußtseyn gepaart ist? Bei dem Weibe giebt es keine zweite Liebe, seine Natur ist zu zart, als daß sie zweimal das furchtbarste Erdbeben des Gemüthes überstehen könnte. Betrachtet Julie. Wäre sie im Stande zum zweiten Male die überschwenglichen Seligkeiten und Schrecknisse zu ertragen, zum zweiten Male aller Angst trotzbietend, den schauderhaften Kelch zu leeren? Ich glaube, sie hat genug am ersten Male, diese arme Glückliche, dieses reine Opfer der großen Passion. Julie liebt zum ersten Male, und liebt mit voller Gesundheit des Leibes und der Seele. Sie ist vierzehn Jahre alt, was in Italien so viel gilt, wie siebzehn Jahre nordischer Währung. Sie ist eine Rosenknospe, die eben, vor unseren Augen, von Romeos Lippen aufgeküßt ward, und sich in jugendlicher Pracht entfaltet. Sie hat weder aus weltlichen noch aus geistlichen Büchern gelernt was Liebe ist; die Sonne hat es ihr gesagt und der Mond hat es ihr wiederholt, und wie ein Echo hat es ihr Herz nachgesprochen, als sie sich nächtlich unbelauscht glaubte. Aber Romeo stand unter dem Balkone und hat ihre Reden gehört, und nimmt sie beim Wort. Der Charakter ihrer Liebe ist Wahrheit und Gesundheit. Das Mädchen athmet Gesundheit und Wahrheit, und es ist rührend anzuhören, wenn sie sagt: Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht, Sonst färbte Mädchenröthe meine Wangen Um das, was du vorhin mich sagen hörtest. Gern hielt' ich streng auf Sitte, möchte gern Verläugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit! Sag', liebst du mich? Ich weiß, du wirst's bejahn, Und will dem Worte trau'n; doch wenn du schwörst, So kannst du treulos werden; wie sie sagen, Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten. O holder Romeo! wenn du mich liebst: Sag's ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sei
Tragödien — Desdemona Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken, Will widerspänstig seyn, und Nein dir sagen, So du dann werben willst: sonst nicht um Alles. Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich; Du könntest denken, ich sei leichten Sinns. Doch glaube, Mann, ich werde treuer seyn Als sie, die fremd zu thun geschickter sind. Auch ich, bekenn' ich, hätte fremd gethan, War' ich von dir, eh' ich's gewahrte, nicht Belauscht in Liebesklagen. Drum vergieb! Schilt diese Hingebung nicht Flatterliebe, Die so die stille Nacht verrathen hat.
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Ich habe oben beiläufig angedeutet, daß der Charakter des Romeo etwas 15 Hamletisches enthalte. In der That, ein nordischer Ernst wirft seine Streifschatten über dieses glühende Gemüth. Vergleicht man Julie mit Desdemona, so wird ebenfalls in jener ein nordisches Element bemerkbar; bei aller Gewalt ihrer Leidenschaft, bleibt sie doch immer ihrer selbst-bewußt und im klarsten Selbstbewußtseyn Herrin ihrer That. Julie liebt und denkt und handelt. 20 Desdemona liebt und fühlt und gehorcht, nicht dem eignen Willen, sondern dem stärkern Antrieb. Ihre Vortrefflichkeit besteht darin, daß das Schlechte auf ihre edle Natur keine solche Zwangsmacht ausüben kann wie das Gute. Sie wäre gewiß immer im Palazzo ihres Vaters geblieben, ein schüchternes Kind, den häuslichen Geschäften obliegend; aber die Stimme des Mohren drang in 25 ihr Ohr, und obgleich sie die Augen niederschlug, sah sie doch sein Antlitz in seinen Worten, in seinen Erzählungen, oder wie sie sagt: „in seiner Seele" . . . und dieses leidende, großmüthige, schöne, weiße Seelenantlitz übte auf ihr Herz den unwiderstehlich hinreißenden Zauber. Ja, er hat Recht, ihr Vater, Seine Wohlweisheit der Herr Senator Brabanzio, eine mächtige Magie war 30 Schuld daran, daß sich das bange zarte Kind zu dem Mohren hingezogen fühlte und jene häßlich schwarze Larve nicht fürchtete, welche der große Haufe für das wirkliche Gesicht Othellos hielt. . . Julias Liebe ist thätig, Desdemonas Liebe ist leidend. Sie ist die Sonnenblume, die selber nicht weiß, daß sie immer dem hohen Tagesgestirn ihr Haupt 35
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zuwendet. Sie ist die wahre Tochter des Südens, zart, empfindsam, geduldig, wie jene schlanken, großäugigen Frauenlichter, die aus sanskrittischen Dichtungen so lieblich, so sanft, so träumerisch hervorstrahlen. Sie mahnt mich immer an die Sakontala des Kalidasa, des indischen Shakspears. 5 Der englische Kupferstecher, dem wir das vorstehende Bildniß der Desdemona verdanken, hat ihren großen Augen vielleicht einen zu starken Ausdruck von Leidenschaft verliehen. Aber, ich glaube bereits angedeutet zu haben, daß der Contrast des Gesichtes und des Charakters immer einen interessanten Reiz ausübt. Jedenfalls aber ist dieses Gesicht sehr schön, und namentlich dem io Schreiber dieser Blätter muß es sehr gefallen, da es ihn an jene hohe Schöne erinnert, die Gottlob an seinem eignen Antlitz nie sonderlich gemäkelt hat und dasselbe bis jetzt nur in seiner Seele sah . . . !5
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Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein. Er fragte die Geschichte meines Lebens Von Jahr zu Jahr; Belagerungen, Schlachten Und jedes Schicksal, das ich überstand. Ich lief sie durch, von meinem Knabenalter Bis zu dem Augenblick, wo er gebot, Sie zu erzählen. Sprechen mußt' ich da Von höchst unglücklichen Ereignissen, Von rührendem Geschick zu See und Land, Wie in der Bresche ich gewissem Tod' Kaum um die Breite eines Haars entwischte; Wie mich ein trotz'ger Feind gefangen nahm, Der Sklaverei verkaufte; wie ich mich Draus gelöst, und die Geschichte dessen, Wie ich auf meinen Reisen mich benahm. Von öden Höhlen, unfruchtbaren Wüsten, Von rauhen Gruben, Felsen, Hügeln, die Mit ihren Häuptern an den Himmel rühren, Hat' ich sodann zu sprechen Anlaß, auch Von Cannibalen, die einander fressen, Anthropophagen, und dem Volke, dem Die Köpfe wachsen unter ihren Schultern. Von solchen Dingen zu vernehmen, zeigte Bei Desdemona sich sehr große Neigung; Doch riefen Hausgeschäfte stets sie ab, Die sie beseitigte mit schnellster Hast;
Tragödien — Desdemona Kam sie zurück, mit gier'gem Ohr verschlang sie Was ich erzählte. Dies bemerkend, nahm Ich eine weiche Stunde wahr, und fand Gelegne Mittel, ihr aus ernster Brust Die Bitte zu entwinden: Daß ausführlich Ich schild're ihr die ganze Pilgerschaft, Von der sie stückweis' etwas wohl gehört, Doch nicht zusammenhängend. Ich gewährt' es, Und oft hab' ich um Thränen sie gebracht, Wenn ich von harten, traur'gen Schlägen sprach, Die meine Jugend trafen! Auserzählt, Lohnt eine Welt voll Seufzer meine Müh'. Sie schwor: In Wahrheit! seltsam, mehr als seltsam! Und kläglich sei es, kläglich wundersam! Sie wünschte, daß sie nichts davon gehört, Und wünschte doch, daß sie der Himmel auch Zu solchem Mann gemacht. Sie dankte mir, Und bat, wofern ein Freund von mir sie liebe, Ihn nur zu lehren, wie er die Geschichte Von meinem Leben müss' erzählen. Dann werb' er sie. Ich sprach auf diesen Wink: Sie liebe mich, weil ich Gefahr bestand, Und weil sie mich bedaure, lieb' ich sie.
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Dieses Trauerspiel soll eine der letzten Arbeiten Shakspear's gewesen seyn, wie Titus Andronikus für sein Erstlingswerk erklärt wird. Dort wie hier ist 25 die Leidenschaft einer schönen Frau zu einem häßlichen Mohren mit Vorliebe behandelt. Der reife Mann kehrte wieder zurück zu einem Problem, das einst seine Jugend beschäftigte. Hat er jetzt wirklich die Lösung gefunden? Ist diese Lösung eben so wahr als schön? Eine düstre Trauer erfaßt mich manchmal, wenn ich dem Gedanken Raum gebe, daß vielleicht der ehrliche Jago, 30 mit seinen bösen Glossen über die Liebe Desdemonas zu dem Mohren, nicht ganz Unrecht haben mag. Am allerwiderwärtigsten aber berühren mich Othello's Bemerkungen über die feuchten Hände seiner Gattin. Ein eben so abentheuerliches und bedeutsames Beispiel der Liebe zu einem Mohren, wie wir in Titus Andronikus und Othello sehen, findet man in 55 Tausend und eine Nacht, wo eine schöne Fürstin, die zugleich eine Zauberin ist, ihren Gemahl in einer statuenähnlichen Starrheit gefesselt hält, und ihn täglich mit Ruthen schlägt, weil er ihren Geliebten, einen häßlichen Neger,
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getödtet hat. Herzzerreißend sind die Klagetöne der Fürstin am Lager der schwarzen Leiche, die sie durch ihre Zauberkunst in einer Art von Scheinleben zu erhalten weiß, und mit verzweiflungsvollen Küssen bedeckt, und durch einen noch größern Zauber, durch die Liebe, aus dem dämmernden Halbtode 5 zu voller Lebenswahrheit erwecken möchte. Schon als Knabe frappirte mich in den arabischen Mährchen dieses Bild leidenschaftlicher und unbegreiflicher Liebe.
JESSIKA. (Kaufmann v o n Venedig.)
10 Als ich dieses Stück in Drurilane aufführen sah, stand hinter mir, in der Loge, eine schöne blasse Brittin, welche am Ende des vierten Aktes heftig weinte und mehrmals ausrief: t h e p o o r m a n i s w r o n g e d ! (dem armen Mann geschieht Unrecht.) Es war ein Gesicht vom edelsten griechischen Schnitt, und die Augen waren groß und schwarz. Ich habe sie nie vergessen können, diese 15 großen und schwarzen Augen, welche um Shylok geweint haben! Wenn ich aber an jene Thränen denke, so muß ich den Kaufmann von Venedig zu den Tragödien rechnen, obgleich der Rahmen des Stückes von den heitersten Masken, Satyrbildern und Amoretten verziert ist, und auch der Dichter eigentlich ein Lustspiel geben wollte. Shakspear hegte vielleicht die 20 Absicht, zur Ergötzung des großen Haufens einen gedrillten Währwolf darzustellen, ein verhaßtes Fabelgeschöpf, das nach Blut lechzt, und dabei seine Tochter und seine Dukaten einbüßt und obendrein verspottet wird. Aber der Genius des Dichters, der Weltgeist, der in ihm waltet, steht immer höher als sein Privatwille, und so geschah es, daß er in Shylok, trotz der grellen Fratzen25 haftigkeit, die Justifikazion einer unglücklichen Sekte aussprach, welche von der Vorsehung, aus geheimnißvollen Gründen, mit dem Haß des niedern und vornehmen Pöbels belastet worden, und diesen Haß nicht immer mit Liebe vergelten wollte. Aber was sag' ich? der Genius des Shakspear erhebt sich noch über den 30 Kleinhader zweier Glaubenspartheien, und sein Drama zeigt uns eigentlich weder Juden noch Christen, sondern Unterdrücker und Unterdrückte, und das wahnsinnig schmerzliche Aufjauchzen dieser letztern, wenn sie ihren übermüthigen Quälern die zugefügten Kränkungen mit Zinsen zurückzahlen können. Von Religionsverschiedenheit ist in diesem Stücke nicht die geringste 35 Spur, und Shakspear zeigt in Shylok nur einen Menschen, dem die Natur gebietet seinen Feind zu hassen, wie er in Antonio und dessen Freunden
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keineswegs die Jünger jener göttlichen Lehre schildert, die uns befiehlt unsere Feinde zu lieben. Wenn Shylok dem Manne, der von ihm Geld borgen will, folgende Worte sagt: Signor Antonio, viel und oftermals Habt ihr auf dem Rialto mich geschmäht Um meine Gelder, und um meine Zinsen; Stets trug ich's mitgeduld'gem Achselzucken, Denn dulden ist das Erbtheil unsers Stamms. Ihr scheltet mich abtrünnig, einen Bluthund, Und speit auf meinen jüdischen Rocklor, Und alles, weil ich nutz', was mir gehört. Gut denn, nun zeigt sich's, ihr braucht meine Hülfe: Ei freilich ja, ihr kommt zu mir, ihr sprecht: „Shylock, wir wünschten Gelder." So sprecht Ihr, Der mir den Auswurf auf den Bart geleert, Und mich getreten, wie ihr von der Schwelle Den fremden Hund stoßt; Geld ist eu'r Begehren. Wie sollt' ich sprechen nun? Sollt' ich nicht sprechen: „Hat ein Hund Geld? Ist's möglich, daß ein Spitz Dreitausend Dukaten leih'n kann?" Oder soll ich Mich bücken, und in eines Schuldners Ton, Demüthig wispern, mit verhaltnem Odem, So sprechen: „Schöner Herr, am letzten Mittwoch Spiet ihr mich an; ihr tratet mich den Tag; Ein andermal hießt ihr mich einen Hund: Für diese Höflichkeiten will ich euch Die und die Gelder leih'n"
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Da antwortet Antonio: Ich könnte leichtlich wieder dich so nennen, Dich wieder anspei'n, ja mit Füßen treten. —
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Wo steckt da die christliche Liebe! Wahrlich, Shakspear würde eine Satyre auf das Christenthum gemacht haben, wenn er es von jenen Personen repräsentiren ließe, die dem Shylok feindlich gegenüber stehen, aber dennoch kaum werth sind, demselben die Schuhriemen zu lösen. Der bankrotte Antonio ist ein weichliches Gemüth ohne Energie, ohne Stärke des Hasses und also auch 35 ohne Stärke der Liebe, ein trübes Wurmherz, dessen Fleisch wirklich zu nichts besserm taugt, als „Fische damit zu angeln." Die abgeborgten dreitausend
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Dukaten stattet er übrigens dem geprellten Juden keineswegs zurück. Auch Bassanio giebt ihm das Geld nicht wieder, und dieser ist ein ächter f o r t u n e hunter, nach dem Ausdruck eines englischen Kritikers; er borgt Geld, um sich etwas prächtig herauszustaffiren und eine reiche Heirath, einen fetten 5 Brautschatz, zu erbeuten; denn, sagt er zu seinem Freunde:
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Euch ist nicht unbekannt, Antonio, Wie sehr ich meinen Glücksstand hab' erschöpft, Indem ich glänzender mich eingerichtet, Als meine schwachen Mittel tragen konnten. Auch jammer' ich jetzt nicht, daß die große Art Mir untersagt ist; meine Sorg' ist bloß, Mit Ehren von den Schulden loszukommen, Worin mein Leben, etwas zu verschwendrisch, Mich hat verstrickt. — —
15 Was gar den Lorenzo betrifft, so ist er der Mittschuldige eines der infamsten Hausdiebstale, und nach dem preußischen Landrecht würde er zu fünfzehn Jahre Zuchthaus verurtheilt und gebrandmarkt und an den Pranger gestellt werden; obgleich er nicht bloß für gestohlene Dukaten und Juwelen, sondern auch für Naturschönheiten, Landschaften im Mondlicht und für Musik, sehr 20 empfänglich ist. Was die andern edlen Venezianer betrifft, die wir als Gefährten des Antonio auftreten sehen, so scheinen sie ebenfalls das Geld nicht sehr zu hassen, und für ihren armen Freund, wenn er ins Unglück gerathen, haben sie nichts als Worte, gemünzte Luft. Unser guter Pietist Franz Horn macht hierüber folgende sehr wäßrige, aber ganz richtige Bemerkung: „Hier ist nun 25 billig die Frage aufzuwerfen: wie war es möglich, daß es mit Antonio's Unglück so weit kam? Ganz Venedig kannte und schätzte ihn, seine guten Bekannten wußten genau um die furchtbare Verschreibung, und daß der Jude auch nicht einen Punkt derselben würde auslöschen lassen. Dennoch lassen sie einen Tag nach dem andern verstreichen, bis endlich die drei Monate vorüber 30 sind, und mit denselben jede Hoffnung auf Rettung. Es würde jenen guten Freunden, deren der königliche Kaufmann ja ganze Schaaren um sich zu haben scheint, doch wohl ziemlich leicht geworden seyn, die Summe von dreitausend Dukaten zusammen zu bringen, um ein Menschenleben — und welch' eines — zu retten; aber dergleichen ist denn doch immer ein wenig 35 unbequem, und so thun die lieben guten Freunde, eben weil es nur sogenannte Freunde oder, wenn man will, halbe oder dreiviertel Freunde sind, — nichts und wieder nichts und gar nichts. Sie bedauern den vortrefflichen Kaufmann, der ihnen früher so schöne Feste veranstaltet hat, ungemein, aber mit gehöriger
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Bequemlichkeit, schelten, was nur das Herz und die Zunge vermag, auf Shylok, was gleichfalls ohne alle Gefahr geschehen kann, und meynen dann vermuthlich alle, ihre Freundschaftspflicht erfüllt zu haben. So sehr wir Shylok hassen müssen, so würden wir doch selbst ihm nicht verdenken können, wenn er diese Leute ein wenig verachtete, was er denn auch wohl thun mag. 5 Ja er scheint zuletzt auch den Graziano, den Abwesenheit entschuldiget, mit jenen zu verwechseln und in Eine Classe zu werfen, wenn er die frühere Thatlosigkeit und jetzige Wortfülle mit der schneidenden Antwort abfertigt: Bis du von meinem Schein das Siegel wegschiltst, Thust du mit Schrei'n nur deiner Lunge weh. Stell deinen Witz her, guter junger Mensch, Sonst fällt er rettungslos in Trümmern dir. Ich stehe hier um Recht.
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Oder sollte etwa gar Lanzelot Gobbo als Repräsentant des Christenthums gelten? Sonderbar genug, hat sich Shakspear über letzteres nirgends so be- 15 stimmt geäußert wie in einem Gespräche, das dieser Schalk mit seiner Gebieterin führt. Auf Jessikas Aeußerung: „Ich werde durch meinen Mann selig werden, er hat mich zu einer Christin gemacht" antwortet Lanzelot Gobbo: „Wahrhaftig, da ist er sehr zu tadeln. Es gab unser vorher schon Christen genug, grade so viele als neben einander gut bestehen konnten. Dies Christenmachen wird den Preis der Schweine steigern; wenn wir alle Schweinefleisch-Esser werden, so ist in Kurzem kein Schnittchen Speck in der Pfanne für Geld mehr zu haben."
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Wahrlich, mit Ausnahme Portia's, ist Shylok die respektabelste Person im ganzen Stück. Er liebt das Geld, er verschweigt nicht diese Liebe, er schreit sie aus, auf öffentlichem Markte. . . Aber es giebt etwas, was er dennoch höher schätzt als Geld, nämlich die Genugthuung für sein beleidigtes Herz, die gerechte Wiedervergeltung unsäglicher Schmähungen: und obgleich man 30 ihm die erborgte Summe zehnfach anbietet, er schlägt sie aus, und die dreitausend, die zehnmal dreitausend Dukaten, gereuen ihn nicht, wenn er ein Pfund Herzfleisch seines Feindes damit erkaufen kann. „Was willst du mit diesem Fleische," fragt ihn Salario. Und er antwortet: „Fisch' mit zu angeln. Sättigt es sonst niemanden, so sättigt es doch meine Rache. Er hat mich beschimpft, mir eine halbe Million gehindert;
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meinen Verlust belacht, meinen Gewinn bespottet, mein Volk geschmäht, meinen Handel gekreuzt, meine Freunde verleitet, meine Feinde gehetzt. Und was hat er für Grund? Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer, als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir's euch auch darin gleich thun. Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demuth? Rache. Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muß seine Geduld seyn nach christlichem Vorbild? Nu, Rache. Die Bosheit, die ihr mich lehrt, die will ich ausüben, und es muß schlimm hergehn, oder ich will es meinen Meistern zuvorthun."
Nein, Shylok liebt zwar das Geld, aber es giebt Dinge, die er noch weit mehr liebt, unter andern auch seine Tochter, „Jessika, mein Kind." Obgleich er in der höchsten Leidenschaft des Zorns sie verwünscht und todt zu seinen 20 Füßen liegen sehen möchte, mit den Juwelen in den Ohren, mit den Dukaten im Sarg: so liebt er sie doch mehr als alle Dukaten und Juwelen. Aus dem öffentlichen Leben, aus der christlichen Societät, zurückgedrängt in die enge Umfriedung häuslichen Glückes, blieben ja dem armen Juden nur die Familiengefühle, und diese treten bei ihm hervor mit der rührendsten Innigkeit. Den 25 Türkis, den Ring, den ihm einst seine Gattin, seine Lea, geschenkt, er hätte ihn nicht „für einen Wald von Affen" hingegeben. Wenn in der Gerichtsscene Bassanio folgende Worte zum Antonio spricht:
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Ich hab' ein Weib zur Ehe, und sie ist So lieb mir als mein Leben selbst, doch gilt Sie höher als dein Leben nicht bei mir. Ich gäbe alles hin, ja opfert' alles, Das Leben selbst, mein Weib und alle Welt, Dem Teufel da, um dich nur zu befrein. Wenn Graziano ebenfalls hinzusetzt:
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Ich hab' ein Weib, die ich, auf Ehre, liebe; Doch wünscht' ich sie im Himmel, könnt' sie Mächte Dort flehn, den hünd'schen Juden zu erweichen.
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Dann regt sich in Shylok die Angst ob dem Schicksal seiner Tochter, die unter Menschen, welche ihre Weiber aufopfern könnten für ihre Freunde, sich verheurathet hat, und nicht laut, sondern „bei Seite" sagt er zu sich selber: So sind die Christenmänner: ich hab' 'ne Tochter, War' irgend wer vom Stamm des Barnabas Ihr Mann geworden, lieber als ein Christ! — Diese Stelle, dieses leise Wort, begründet das Verdammungsurtheil, welches wir über die schöne Jessika aussprechen müssen. Es war kein liebloser Vater, den sie verließ, den sie beraubte, den sie verrieth. . . Schändlicher Verrath! Sie macht sogar gemeinschaftliche Sache mit den Feinden Shylok's, und wenn diese zu Belmontet allerlei Mißreden über ihn führen, schlägt Jessika nicht die Augen nieder, erbleichen nicht die Lippen Jessika's, sondern Jessika spricht von ihrem Vater das Schlimmste . . . Entsetzlicher Frevel! Sie hat kein Gemüth, sondern abentheuerlichen Sinn. Sie langweilte sich in dem streng verschlossenen, „ehrbaren" Hause des bittermüthigen Juden, das ihr endlich eine Hölle dünkte. Das leichtfertige Herz ward allzusehr angezogen von den heiteren Tönen der Trommel und der quergehalsten Pfeife. Hat Shakspear hier eine Jüdin schildern wollen? Wahrlich nein; er schildert nur eine Tochter Evas, einen jener schönen Vögel, die, wenn sie flügge geworden, aus dem väterlichen Neste fortflattern zu den geliebten Männchen. So folgte Desdemona dem Mohren, so Imogen dem Postumus. Das ist weibliche Sitte. Bei Jessika ist besonders bemerkbar eine gewisse zagende Schaam, die sie nicht überwinden kann, wenn sie Knabentracht anlegen soll. Vielleicht in diesem Zuge möchte man jene sonderbare Keuschheit erkennen, die ihrem Stamme eigen ist, und den Töchtern desselben einen so wunderbaren Liebreiz verleiht. Die Keuschheit der Juden ist vielleicht die Folge einer Opposizion, die sie von jeher gegen jenen orientalischen Sinnen- und Sinnlichkeitsdienst bildeten, der einst bei ihren Nachbaren, den Aegyptern, Phöniziern, Assyrern und Babyloniern in üppigster Blüthe stand, und sich, in beständiger Transformazion, bis auf heutigen Tag erhalten hat. Die Juden sind ein keusches, enthaltsames, ich möchte fast sagen, abstraktes Volk, und in der Sittenreinheit stehen sie am nächsten den germanischen Stämmen. Die Züchtigkeit der Frauen bei Juden und Germanen ist vielleicht von keinem absoluten Werthe, aber in ihrer Erscheinung macht sie den lieblichsten, anmuthigsten und rührendsten Eindruck. Rührend bis zum Weinen ist es, wenn z. B. nach der Niederlage der Cimbern und Teutonen, die Frauen derselben den Marius anflehen, sie nicht seinen Soldaten, sondern den Priesterinnen der Vesta als Sklavinnen zu übergeben. Es ist in der That auffallend, welche innige Wahlverwandschaft zwischen
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den beiden Völkern der Sittlichkeit, den Juden und Germanen, herrscht. Diese Wahlverwandschaft entstand nicht auf historischem Wege, weil etwa die große Familien-Chronik der Juden, die Bibel, der ganzen germanischen Welt als Erziehungsbuch diente, auch nicht weil Juden und Germanen von früh an die 5 unerbittlichsten Feinde der Römer, und also natürliche Bundesgenossen waren: sie hat einen tiefern Grund, und beide Völker sind sich ursprünglich so ähnlich, daß man das ehemalige Palestina für ein orientalisches Deutschland ansehen könnte, wie man das heutige Deutschland für die Heimath des heiligen Wortes, für den Mutterboden des Prophetenthums, für die Burg der io reinen Geistheit halten sollte. Aber nicht bloß Deutschland trägt die Physiognomie Palestina's, sondern auch das übrige Europa erhebt sich zu den Juden. Ich sage erhebt sich, denn die Juden trugen schon im Beginne das moderne Princip in sich, welches sich heute erst bei den europäischen Völkern sichtbar entfaltet. 15 Griechen und Römer hingen begeistert an dem Boden, an dem Vaterlande. Die spätem nordischen Einwanderer in die Römer- und Griechenwelt hingen an der Person ihrer Häuptlinge, und an die Stelle des antiken Patriotismus trat im Mittelalter die Vasallentreue, die Anhänglichkeit an die Fürsten. Die Juden aber, von jeher, hingen nur an dem Gesetz, an dem abstrakten Gedanken, wie 20 unsere neueren kosmopolitischen Republikaner, die weder das Geburtsland noch die Person der Fürsten, sondern die Gesetze als das Höchste achten. Ja, der Kosmopolitismus ist ganz eigentlich dem Boden Judäas entsprossen, und Christus, der, trotz dem Mißmuthe des früher erwähnten Hamburger Spezereihändlers, ein wirklicher Jude war, hat ganz eigentlich eine Propaganda des 25 Weltbürgerthums gestiftet. Was den Republikanismus der Juden betrifft, so erinnere ich mich im Josephus gelesen zu haben, daß es zu Jerusalem Republikaner gab, die sich den königlichgesinnten Herodianern entgegensetzten, am muthigsten fochten, niemanden den Namen „Herr" gaben, und den römischen Absolutismus aufs ingrimmigste haßten; Freiheit und Gleichheit 30 war ihre Religion. Welcher Wahn! Was ist aber der letzte Grund jenes Hasses, den wir in Europa zwischen den Anhängern der mosaischen Gesetze und der Lehre Christi bis auf heutigen Tag gewahren, und wovon uns der Dichter, indem er das Allgemeine im Besondern veranschaulichte, im Kaufmann von Venedig ein schauerliches Bild 35 geliefert hat? Ist es der ursprüngliche Bruderhaß, den wir schon gleich nach Erschaffung der Welt, ob der Verschiedenheit des Gottesdienstes, zwischen Kain und Abel entlodern sehen? Oder ist die Religion überhaupt nur Vorwand, und die Menschen hassen sich, um sich zu hassen, wie sie sich lieben, um sich zu lieben? Auf welcher Seite ist die Schuld bei diesem Groll? Ich kann
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nicht umhin zur Beantwortung dieser Frage eine Stelle aus einem Privatbriefe mitzutheilen, die auch die Gegner Shylok's justifizirt: „Ich verdamme nicht den Haß, womit das gemeine Volk die Juden verfolgt; ich verdamme nur die unglückseligen Irrthümer, die jenen Haß erzeugten. Das Volk hat immer Recht in der Sache, seinem Hasse wie seiner Liebe liegt 5 immer ein ganz richtiger Instinkt zu Grunde, nur weiß es nicht, seine Empfindungen richtig zu formuliren, und statt der Sache, trifft sein Groll gewöhnlich die Person, den unschuldigen Sündenbock zeitlicher oder örtlicher Mißverhältnisse. Das Volk leidet Mangel, es fehlen ihm die Mittel zum Lebensgenuß, und obgleich ihm die Priester der Staatsreligion versichern, „daß man 10 auf Erden sei, um zu entbehren und trotz Hunger und Durst der Obrigkeit zu gehorchen" — so hat doch das Volk eine geheime Sehnsucht nach den Mitteln des Genusses, und es haßt diejenigen, in deren Kisten und Kasten dergleichen aufgespeichert liegt; es haßt die Reichen und ist froh wenn ihm die Religion erlaubt, sich diesem Hasse mit vollem Gemüthe hinzugeben. Das 15 gemeine Volk haßte in den Juden immer nur die Geldbesitzer, es war immer das aufgehäufte Metall, welches die Blitze seines Zornes auf die Juden herabzog. Der jedesweilige Zeitgeist lieh nun immer jenem Hasse seine Parole. Im Mittelalter trug diese Parole die düstre Farbe der katholischen Kirche, und man schlug die Juden todt und plünderte ihre Häuser: „weil sie Christus 20 gekreuzigt" — ganz mit derselben Logik, wie auf St. Domingo einige schwarze Christen, zur Zeit der Massacre, mit einem Bilde des gekreuzigten Heilands herumliefen und fanatisch schrieen: les blancs l ' o n t tué, tuons tous les blancs. Mein Freund, Sie lachen über die armen Neger; ich versichere Sie, die 25 westindischen Pflanzer lachten damals nicht, und wurden niedergemetzelt, zur Sühne Christi, wie einige Jahrhunderte früher die europäischen Juden. Aber die schwarzen Christen auf St. Domingo hatten in der Sache ebenfalls Recht 1 die Weißen lebten müßig in der Fülle aller Genüsse, während der Neger im Schweiße seines schwarzen Angesichts für sie arbeiten mußte, und zum Lohne 30 nur ein Bischen Reismehl und sehr viele Peitschenhiebe erhielt; die Schwarzen waren das gemeine Volk. — Wir leben nicht mehr im Mittelalter, auch das gemeine Volk wird aufgeklärter, schlägt die Juden nicht mehr auf einmal todt, und beschönigt seinen Haß nicht mehr mit der Religion; unsere Zeit ist nicht mehr so naiv 35 glaubensheiß, der tradizionelle Groll kleidet sich in modernen Redensarten, und der Pöbel in den Bierstuben wie in den Deputirtenkammern deklamirt wider die Juden mit merkantilischen, industriellen, wissenschaftlichen oder gar philosophischen Argumenten. Nur abgefeimte Heuchler geben noch heute 15
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ihrem Haß eine religiöse Färbung und verfolgen die Juden um Christi Willen; die große Menge gesteht offenherzig, daß hier materielle Interessen zu Grunde liegen, und sie will den Juden durch alle möglichen Mittel die Ausübung ihrer industriellen Fähigkeiten erschweren. Hier in Frankfurt z. B. dürfen 5 jährlich nur vier und zwanzig Bekenner des mosaischen Glaubens heurathen, damit ihre Populazion nicht zunimmt und für die christlichen Handelsleute keine allzustarke Konkurenz erzeugt wird. Hier tritt der wirkliche Grund des Judenhasses mit seinem wahren Gesichte hervor, und dieses Gesicht trägt keine düster fanatische Mönchsmiene, sondern die schlaffen aufgeklärten Züge eines io Krämers, der sich ängstigt im Handel und Wandel von dem israelitischen Geschäftsgeist überflügelt zu werden. Aber ist es die Schuld der Juden, daß sich dieser Geschäftsgeist bei ihnen so bedrohlich entwickelt hat? Die Schuld liegt ganz an jenem Wahnsinn, womit man im Mittelalter die Bedeutung der Industrie verkannte, den Handel 15 als etwas Unedles und gar die Geldgeschäfte als etwas Schimpfliches betrachtete, und deshalb den einträglichsten Theil solcher Industriezweige, namentlich die Geldgeschäfte, in die Hände der Juden gab; so daß diese, ausgeschlossen von allen anderen Gewerben, nothwendigerweise die raffinirtesten Kaufelsleute und Banquiers werden mußten. Man zwang sie reich zu werden und haßte 20 sie dann wegen ihres Reichthums; und obgleich jetzt die Christenheit ihre Vorurtheile gegen die Industrie aufgegeben hat, und die Christen in Handel und Gewerb eben so große Spitzbuben und eben so reich wie die Juden geworden sind: so ist dennoch an diesen letztern der tradizionelle Volkshaß haften geblieben, das Volk sieht in ihnen noch immer die Repräsentanten des 25 Geldbesitzes und haßt sie. Sehen Sie, in der Weltgeschichte hat jeder Recht, sowohl der Hammer als der Amboß."
PORTI A. (Kaufmann von Venedig.)
„Wahrscheinlich wurden alle Kunstrichter von Shylok's erstaunlichem 30 Charakter so geblendet und befangen, daß sie ihrerseits Portia ihr Recht nicht widerfahren ließen, da doch ausgemacht Shylok's Charakter in seiner Art nicht kunstreicher, noch vollendeter ist als Portia's in der ihrigen. Die zwei glänzenden Figuren sind beide ihrer werth: werth zusammen in dem reichen Bau bezaubernder Dichtung und prachtvoller anmuthiger Formen zu stehen. 35 Neben dem schrecklichen, unerbittlichen Juden, gegen seine gewaltigen
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Schatten durch ihre Glanzlichter abstechend, hängt sie wie ein prächtiger Schönheit-athmender Tizian neben einem herrlichen Rembrandt. Portia hat ihr gehöriges Theil von den angenehmen Eigenschaften, die Shakspear über viele seiner weiblichen Charaktere ausgegossen; neben der Würde aber, der Süßigkeit und Zärtlichkeit, welche ihr Geschlecht überhaupt auszeichnen, auch noch ganz eigenthümüche, besondere Gaben: hohe geistige Kraft, begeisterte Stimmung, entschiedene Festigkeit und allem obschwebende Munterkeit. Diese sind angeboren; sie hat aber noch andere ausgezeichnete äußerlichere Eigenschaften, die aus ihrer Stellung und ihren Bezügen hervorgehen. So ist sie Erbin eines fürstlichen Namens und unberechenbaren Reichthums; ein Gefolg dienstwilliger Lustbarkeiten hat sie stets umgeben; von Kindheit an hat sie eine mit Wohlgerüchen und Schmeicheldüften durchwürzte Luft geathmet. Daher eine gebieterische Anmuth, eine vornehme hehre Zierlichkeit, ein Geist der Pracht in allem was sie thut und sagt, als die von Geburt an mit dem Glänze vertraute. Sie wandelt einher, wie in Marmorpalästen, unter goldverzierten Decken, auf Fußböden von Ceder und Mosaiken von Jaspis und Porphyr, in Gärten mit Ständbildern, Blumen und Quellen und geisterartig flüsternder Musik. Sie ist voll eindringender Weisheit, unverfälschter Zärtlichkeit und lebhaften Witzes. Da sie aber nie Mangel, Gram, Furcht oder Mißerfolg gekannt, so hat ihre Weisheit keinen Zug von Düsterheit oder Trübheit; all' ihre Regungen sind mit Glauben, Hoffnung, Freude versetzt; und ihr Witz ist nicht im mindesten böswillig oder beißend." Obige Worte entlehne ich einem Werke der Frau Jameson, welches „Moralische, poetische und historische Frauen-Charaktere" betitelt. Es ist in diesem Buche nur von Shakspear'schen Weibern die Rede, und die angeführte Stelle zeugt von dem Geiste der Verfasserin, die wahrscheinlich von Geburt eine Schottin ist. Was sie über Portia im Gegensatz zu Shylok sagt, ist nicht bloß schön sondern auch wahr. Wollen wir letzteren, in üblicher Auffassung, als den Repräsentanten des starren, ernsten, kunstfeindlichen Judäas betrachten, so erscheint uns dagegen Portia als die Repräsentantin jener Nachblüthe des griechischen Geistes, welche von Italien aus, im sechszehnten Jahrhundert, ihren holden Duft über die Welt verbreitete und welche wir noch heute unter dem Namen „die Renaissanje" lieben und schätzen. Portia ist zugleich die Repräsentantin des heitern Glükes im Gegensatze zu den düstern Mißgeschick, welches Shylok repräsentirt. Wie blühend, wie rosig, wie reinklingend ist all ihr Denken und Sprechen, wie freudewarm sind ihre Worte, wie schön alle ihre Bilder, die meistens der Mythologie entlehnt sindl Wie trübe, kneifend und häßlich sind dagegen die Gedanken und Reden des Shylok, der im Gegentheil nur alttestamentalische Gleichnisse gebraucht! Sein Witz ist 15*
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krampfhaft und ätzend, seine Metaphern sucht er unter den widerwärtigsten Gegenständen, und sogar seine Worte sind zusammengequetschte Mißlaute, schrill, zischend und quirrend. Wie die Personen so ihre Wohnungen. Wenn wir sehen, wie der Diener Jehovas, der weder ein Abbild Gottes noch des 5 Menschen, des erschaffenen Konterfey Gottes, in seinem „ehrbaren Hause" duldet, und sogar die Ohren desselben, die Fenster, verstopft, damit die Töne des heidnischen Mummenschanz nicht hineindringen in sein „ehrbares Haus" . . . so sehen wir im Gegentheil das kostbarste und geschmackvollste Villeggiatura-Leben in dem schönen Palazzo zuBelmontet, wo lauter Licht und io Musik, wo unter Gemälden, marmornen Statuen und hohen Lorbeerbäumen die geschmückten Freier lustwandeln und über Liebesräthsel sinnen, und inmitten aller Herrlichkeit Signora Portia, gleich einer Göttin, hervorglänzt, Das sonnige Haar die Schläf' umwallend. Durch solchen Kontrast werden die beiden Hauptpersonen des Dramas so 15 individuaüsirt, daß man darauf schwören möchte, es seien nicht Phantasiebilder eines Dichters, sondern wirkliche, weibgeborene Menschen. Ja, sie erscheinen uns noch lebendiger als die gewöhnlichen Naturgeschöpfe, da weder Zeit noch Tod ihnen etwas anhaben kann, und in ihren Adern das unsterblichste Blut, die ewige Poesie, pulsirt. Wenn du nach Venedig kommst 20 und den Dogenpalast durchwandelst, so weißt du sehr gut, daß du weder im Saal der Senatoren noch auf der Riesentreppe dem Marino Falieri begegnen wirst; — an den alten Dandalo wirst du im Arsenale zwar errinnert, aber auf keiner der goldenen Galeren wirst du den blinden Helden suchen; — siehst du an einer Ecke der Straße Santa eine Schlange in Stein gehauen, und an der 25 andern Ecke den geflügelten Löwen, welcher das Haupt der Schlange in der Tatze hält, so kömmt dir vielleicht der stolze Carmagnole in den Sinn, doch nur auf einen Augenblick: — Aber weit mehr als an alle solche historische Personen denkst du zu Venedig an Shakspear's Shylok, der immer noch lebt, während jene im Grabe längst vermodert sind, — und wenn du über den 30 Rialto steigst, so sucht ihn dein Auge überall, und du meinst er müsse dort hinter irgend einem Pfeiler zu finden seyn, mit seinem jüdischen Rokolor, mit seinem mißtrauisch berechnenden Gesicht, und du glaubst manchmal sogar seine kreischende Stimme zu hören: „dreitausend Dukaten — gut." Ich wenigstens, wandelnder Traumjäger, wie ich bin, ich sah mich auf dem 35 Rialto überall um, ob ich ihn irgend fände, den Shylok. Ich hätte ihm etwas mitzutheilen gehabt,. was ihm Vergnügen machen konnte, daß z. B. sein Vetter, Herr von Shylok zu Paris, der mächtigste Baron der Christenheit geworden, und von Ihrer Katolischen Majestät jenen Isabellenorden erhalten
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hat, welcher einst gestiftet ward, um die Vertreibung der Juden und Mauren aus Spanien zu verherrlichen. Aber ich bemerkte ihn nirgends auf dem Rialto, und ich entschloß mich daher den alten Bekannten in der Synagoge zu suchen. Die Juden feierten hier eben ihren heiligen Versöhnungstag und standen eingewickelt in ihren weißen Schaufäden-Talaren, mit unheimlichen Kopfbewegungen, fast aussehend wie eine Versammlung von Gespenstern. Die armen Juden, sie standen dort, fastend und betend, von frühestem Morgen, hatten seit dem Vorabend weder Speise noch Trank zu sich genommen, und hatten auch vorher alle ihre Bekannten um Verzeihung gebeten für etwanige Beleidigungen, die sie ihnen im Laufe des Jahres zugefügt, damit ihnen Gott ebenfals ihre Sünden verzeihe, — ein schöner Gebrauch, welcher sich sonderbarer Weise bei diesen Leuten findet, denen doch die Lehre Christi ganz fremd geblieben ist! Indem ich, nach dem alten Shylok umherspähend, all die blassen, leidenden Judengesichter aufmerksam musterte, machte ich eine Entdeckung, die ich leider nicht verschweigen kann. Ich hatte nemlich denselben Tag das Irrenhaus San Carlo besucht, und jetzt, in der Synagoge, fiel es mir auf, daß in dem Blick der Juden derselbe fatale, halb stiere halb unstäte, halb pfiffige halb blöde Glanz flimmerte, welchen ich kurz vorher in den Augen der Wahnsinnigen zu San Carlo bemerkt hatte. Dieser unbeschreibliche, räthselhafte Blick zeugte nicht eigentlich von Geistesabwesenheit, als vielmehr von der Oberherrschaft einer fixen Idee. Ist etwa der Glaube an jenen außerweltlichen Donnergott, den Moses aussprach, zur fixen Idee eines ganzen Volks geworden, das, trotz dem, daß man es seit zwei Jahrtausenden in die Zwangsjacke steckte und ihm die Dusche gab, dennoch nicht davon ablassen will — gleich jenem verrückten Advokaten, den ich in San Carlo sah, und der sich ebenfalls nicht ausreden ließ, daß die Sonne ein englischer Käse sei, daß die Strahlen derselben aus lauter rothen Würmern bestünden, und daß ihm ein solcher herabgeschossener Wurmstrahl das Hirn zerfresse? Ich will hiermit keineswegs den Werth jener fixen Idee bestreiten, sondern ich will nur sagen, daß die Träger derselben zu schwach sind, um sie zu beherrschen, und davon niedergedrückt und inkurabel werden. Welches Martyrthum haben sie schon um dieser Idee Willen erduldet! welches größere Martyrthum steht ihnen noch bevor! Ich schaudre bei diesem Gedanken, und ein unendliches Mitleid rieselt mir durch's Herz. Während des ganzen Mittelalters bis zum heutigen Tag stand die herrschende Weltanschauung nicht in direktem Widerspruch mit jener Idee, die Moses den Juden aufgebürdet, ihnen mit heiligen Riemen angeschnallt, ihnen ins Fleisch eingeschnitten hatte; ja, von Christen und Mahometanern unterschieden sie sich nicht wesentlich,
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unterschieden sie sich nicht durch eine entgegengesetzte Synthese, sondern nur durch Auslegung und Shiboleth. Aber siegt einst Satan, der sündhafte Pantheismus, vor welchem uns sowohl alle Heiligen des alten und des neuen Testaments als auch des Corans bewahren mögen, so zieht sich über die Häupter der armen Juden ein Verfolgungsgewitter, das ihre früheren Erduldungen noch weit überbieten wird . . . Trotz dem daß ich in der Synagoge von Venedig nach allen Seiten umherspähete, konnte ich das Antlitz des Shylok's nirgens erblicken. Und doch war es mir, als halte er sich dort verborgen, unter irgend einem jener weißen Talare, inbrünstiger betend als seine übrigen Glaubensgenossen, mit stürmischer Wildheit, ja mit Raserei hinaufbetend zum Throne Jehovas, des harten Gottkönigs! Ich sah ihn nicht. Aber gegen Abend, wo, nach dem Glauben der Juden, die Pforten des Himmels geschlossen werden und kein Gebet mehr Einlaß erhält, hörte ich eine Stimme, worin Thränen rieselten, wie sie nie mit den Augen geweint werden . . . Es war ein Schluchzen, das einen Stein in Mitleid zu rühren vermochte . . . Es waren Schmerzlaute, wie sie nur aus einer Brust kommen konnten, die all das Martyrthum, welches ein ganzes gequältes Volk seit achtzen Jahrhunderten ertragen hat, in sich verschlossen h i e l t . . . Es war das Röcheln einer Seele, welche todtmüde niedersinkt vor den Himmelspforten . . . Und diese Stimme schien mir wohlbekannt, und mir war, als hätte ich sie einst gehört, wie sie eben so verzweiflungsvoll jammerte: „Jessika, mein Kind!"
COMOEDIEN.
MIRANDA.
FERDINAND.
Warum weint Ihr? MIRANDA.
Um meinen Unwerth; daß ich nicht darf bieten, Was ich zu geben wünsche; noch viel minder, Wonach ich todt mich sehnen werde, nehmen. Doch das heißt tändeln, und je mehr es sucht, Sich zu verbergen, um so mehr erscheint's In seiner ganzen Macht. Fort, blöde Schlauheit! Führ du das Wort mir, schlichte, heil'ge Unschuld 1 Ich bin Eu'r Weib, wenn Ihr mich haben wollt, Sonst sterb' ich Eure Magd; Ihr könnt mir's weigern, Gefährtin Euch zu seyn, doch Dienerin Will ich Euch seyn, Ihr wollet oder nicht. FERDINAND.
Geliebte, Herrin, und auf immer ich So unterthänig. MIRANDA.
Mein Gatte denn? FERDINAND.
Ja, mit so wilPgem Herzen, Als Dienstbarkeit sich je zur Freiheit wandte. Hier habt ihr meine Hand. Der Sturm. Act III, Scene I.
Shakspeares Mädchen und Frauen TITANIA. (Titania kommt mit ihrem Gefolge.) TITANIA.
Kommt 1 einen Ringel-, einen Feensang! Dann auf das Drittel 'ner Minute fortl Ihr, tödtet Raupen in den Rosenknospen! Ihr Andern führt mit Fledermäusen Krieg, Bringt ihrer Flügel Balg als Beute heim, Den kleinen Elfen Röcke d'raus zu machen! Ihr endlich, sollt den Kauz, der nächtlich kreischt Und über unsre schmucken Geister staunt, Von uns verscheuchen! Singt mich nun in Schlaf; An eure Dienste dann und laßt mich ruh'n! Ein Sommernachtstraum. Act II, Scene II.
PERDITA. PERDITA.
— —.Nehmt die Blumen! Mich dünkt, ich spiel' ein Spiel, wie ich's um Pfingsten Von Hirten sah; fürwahr, dies Prachtgewand Verwandelt meine Stimmung. FLORIZEL.
Was Ihr thut, Veredelt all Eu'r Thun. Sprecht Ihr, so wünsch' ich, Ihr sprächet immer; singt Ihr, möcht' ich, daß Ihr So singend kauftet und verkauftet, und Almosen gäbt und betetet, und Alles So thätet, was Ihr thut; und wenn Ihr tanzet, Wollt' ich Ihr wäret Welle, stets zu tanzen, Euch stets nur so, nicht anders zu bewegen, Als Ihr Euch regt; denn jedes Euer Thun Ist so in allen Theilen einzig, daß,
Comödien Was Ihr auch thut, jedwede Handlung sich Als Königin bewährt. Wintermärchen. Act IV, Scene III.
IMOGEN.
IMOGEN.
Ihr Götter! In euren Schutz empfehl' ich mich! Beschützt Vor Feen mich und nächtlichen Versuchern! (Sie schläft ein, Jachimo steigt aus der Kiste.) JACHIMO.
Die Grille singt, des Menschen müde Sinne Erholen sich im Schlaf. So drückt Tarquin Die Binsen sanft, eh' er die Keuschheit weckte, Die er verletzte! — Cytherea! wie Du hold dein Lager schmückst. Du frische Lilie! Und weißer als dein Bettgewand! O könnt' Ich dich berühren, küssen, einmal küssen! Rubinen sonder Gleichen, o wie hold Muß euer Kuß seyn! Ist's ihr Athem doch, Der dieses Zimmer so erfüllt mit Duft. Des Lichtes Flamme neigt sich gegen sie, Und guckte gern ihr unter's Augenlied, Das dort verschloß'ne Licht zu schau'n — — Cymbeline. Act II, Scene II.
JULIE.
JULIE.
Ob viele Frau'n wohl brächten solche Botschaft? Ach, armer Proteus! einen Fuchs hast du
Shakspeares Mädchen und Frauen Zum Hirten deiner Lämmer angenommen. Ach! arme Thörin! Du bedauerst ihn, Der so von ganzem Herzen dich verachtet! Weil er sie liebt, so schätzt er mich gering; Weil ich ihn liebe, muß ich ihn bedauern. Bei unserm Abschied gab ich ihm den Ring, Zu fesseln die Erinn'rung meiner Liebe. Nun werd' ich — Unglücksbote! — hingesandt, Das zu erfleh'n, was ich nicht wünschen kann; Zu fordern, was ich gern verweigert sähe; Die Treu' zu preisen, die ich tadeln muß! Ich bin die treue Liebe meines Herrn, Doch kann ich treu nicht dienen meinem Herrn! Will ich mir selber kein Verräther seyn. Zwar will ich für ihn werben, doch so kalt, Als, weiß es Gott, es hätte keine Eil'. Die beiden Veroneser. Act IV, Scefle II.
SILVIA.
SILVIA.
Jüngling! da du so Dein Fräulein liebst, verehr' ich dir dies Geld. Gehab dich wohl. (Sie geht ab.) JULIE.
Wenn du sie je erkennst, sagt sie dir Dank. Ein tugendhaftes Mädchen, mild und schön. Ich hoffe, kalt empfängt sie meinen Herrn, Da meines Fräuleins Liebe sie so ehrt. Wie Liebe mit sich selber tändelt! — Ach! Hier ist ihr Bild. Ich will doch seh'n. Mich dünkt, Mein Antlitz wäre, — hätt' ich solchen Schmuck, — Gewiß so reizend, als ihr Angesicht. Und doch der Maler schmeichelt ihr ein wenig, Wenn ich mir selbst zu viel nicht schmeicheln mag:
Comödien Ihr Haar ist braun, mein Haar vollkommen gelb. Ist dieses seines Leichtsinns einz'ger Grund, So schmück' ich mich mit falschem braunem Haar. Ihr Aug ist grau wie Glas; so ist auch meins. Ja! doch die Stirn ist niedrig; meine hoch. Was kann's nur seyn, was er an ihr so schätzt, An mir ich ihn nicht schätzend machen kann? Die beiden Veroneser. Act IV, Scene II.
HERO. MOENCH.
Herrin, wer ist's, mit dem man Euch beschuldigt? HERO.
Die mich beschuld'gen, wissen's — ich weiß nichts, Denn weiß ich mehr von irgend einem Mann Als Keuschheit reiner Jungfrau es gestattet, So fehl' all' meinen Sünden Gnade. Vater! Beweis't sich's, daß zu unanständ'gen Stunden Mit mir ein Mann sprach, oder daß ich gestern Zu Nacht mit irgend Einem Wort gewechselt, So haßt — verstoßt mich — martert mich zu Tode. Viel Lärm um nichts. Act IV, Scene I.
BEATRICE. HERO.
Doch schuf Natur noch nie ein weiblich Herz Von spröderm Stoff, als das der Beatrice. Hohn und Verachtung sprüht ihr funkelnd Auge Und schmäht, worauf sie blickt; so hoch im Preise Stellt sie den eignen Witz, daß alles andre
Shakspeares Mädchen und Frauen Ihr nur gering erscheint; sie kann nicht lieben, Noch Liebe fassen und in sich entwerfen, So eigenliebig ist sie. URSULA.
Gewiß, solch Mäkeln ist nicht zu empfehlen. HERO.
O nein, so schroff, so außer aller Form Wie Beatrice, ist nicht lobenswerth. Wer aber darf's ihr sagen? Wollt' ich reden, Zerstäubte sie mit Spott mich, lachte mich Aus mir heraus, erdrückte mich mit Witz. Mag Benedict drum, wie verdecktes Feuer, Zergehn in Seufzern, innerlich hinschmelzen, Ein beßrer Tod wär's immer, als an Spott, Was eben ist wie todt gekitzelt werden. Viel Lärm u m nichts. A c t III, Scene I.
HELENA.
HELENA.
So bekenn' ich Hier auf den Knien vor Euch und Gott dem Herrn, Daß ich vor Euch und nächst dem Herrn des Himmels Lieb' Euren Sohn. Mein Stamm war arm, doch ehrsam; so mein Lieben. Zürnt nicht darüber! thut's ihm doch kein Leid, Daß er von mir geliebt wird. Ich verfolg' ihn Mit keinem Zeichen dringlicher Bewerbung; Noch möcht' ich ihn, bis ich mir ihn verdient; Weiß aber nicht, wie mir das werden sollte. Ich weiß, ich lieb' umsonst und wider Hoffnung; Und doch in dies unhaltbar weite Sieb Gieß' ich beständig meiner Liebe Fluth, Die nimmer doch erschöpft wird; gleich dem Inder, Wahngläubig fromm, andächtig bet' ich an
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Die Sonne, die da schauet auf den Beter, Doch mehr von ihm nicht weiß. O theure Herrin, Laßt Euren Haß nicht meine Liebe treffen, Weil sie dasselbe liebt, wie Ihr! — Ende gut, Alles gut. A c t I, Scene III.
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CELIA. ROSALINDE.
Das will ich von nun an, Mühmchen, und auf Spaße denken. Laß sehen, was hältst du vom Verlieben? CELIA.
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Ei ja, thu's, um Spaß damit zu treiben. Aber liebe keinen Mann in wahrem Ernst, auch zum Spaß nicht weiter, als daß du mit einem unschuldigen Erröthen in Ehren wieder davon kommen kannst. ROSALINDE.
Was wollen wir denn für Spaß haben?
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CELIA.
Laß uns sitzen und die ehrliche Hausmutter Fortuna von ihrem Rade weglästern, damit ihre Gaben künftig gleicher ausgetheilt werden mögen. ROSALINDE.
Ich wollte, wir könnten das: denn ihre Wohlthaten sind oft gewaltig übel 20 angebracht, und am meisten versieht sich die freigebige blinde Frau mit ihren Geschenken an Frauen. CELIA.
Das ist wahr; denn die, welche sie schön macht, macht sie selten ehrbar, und die, welche sie ehrbar macht, macht sie sehr häßlich. 25 So wie es euch gefällt. A c t I, Scene II.
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Shakspeares Mädchen und Frauen ROSALINDE. CELIA.
Hast du diese Verse gehört? ROSALINDE.
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O ja, ich hörte sie alle und noch was drüber: denn einige hatten mehr Füße als die Verse tragen konnten. CELIA.
Das thut nichts, die Füße konnten die Verse tragen. ROSALINDE.
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Ja, aber die Füße waren lahm und konnten sich nicht außerhalb des Verses bewegen, und darum standen sie so lahm im Verse. CELIA.
Aber hast du gehört, ohne dich zu wundern, daß dein Name an den Bäumen hängt und eingeschnitten ist? 15
ROSALINDE.
Ich war schon sieben Tage in der Woche über alles Wundern hinaus, ehe du kamst: denn sieh nur, was ich an einem Palmbaum fand. Ich bin nicht so bereimt worden seit Pythagoras Zeiten, wo ich eine Ratte war, die sie mit schlechten Versen vergifteten, dessen ich mich kaum noch erinnern kann. 20
So wie es euch gefällt. A c t III, Scene II.
OLIVIA. VIOLA.
Liebes Fräulein, laßt mich euer Gesicht sehn. OLIVIA.
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Habt ihr irgend einen Auftrag von eurem Herrn mit meinem Gesicht zu verhandeln? Jetzt seid ihr aus eurem Text gekommen. Doch will ich den Vorhang wegziehn, und Euch das Gemälde weisen. (Sie entschleiert sich.) Seht, Herr, so sah ich in diesem Augenblick aus. Ist die Arbeit nicht gut?
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VIOLA.
Vortrefflich, wenn sie Gott allein gemacht hat. OLIVIA.
Es ist ächte Farbe, Herr; es hält Wind und Wetter aus. VIOLA.
'S ist reine Schönheit, deren Roth und Weiß Natur mit zarter, schlauer Hand verschmelzte. Fräulein, ihr seid die Grausamste die lebt Wenn ihr zum Grabe diese Reize tragt, Und laßt der Welt kein Abbild. Heilige-drei-Königs-Abend. Act I, Scene V.
VIOLA.
VIOLA.
Mein Vater hatt' eine Tochter, welche liebte, Wie ich vielleicht, wär' ich ein Weib, mein Fürst, Euch lieben würde. HERZOG.
Was war ihr Lebenslauf? VIOLA.
Ein leeres Blatt, Mein Fürst. Sie sagte ihre Liebe nie, Und ließ Verheimlichung, wie in der Knospe Den Wurm, an ihrer Purpurwange nagen. Sich härmend, und in bleicher, welker Schwermuth, Saß sie wie die Geduld auf einer Gruft, Dem Grame lächelnd. Sagt, war das nicht Liebe? Wir Männer mögen leicht mehr sprechen, schwören, Doch der Verheißung steht der Wille nach. Wir sind in Schwüren stark, doch in der Liebe schwach. HERZOG.
Starb deine Schwester denn an ihrer Liebe?
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Shakspeares Mädchen und Frauen VIOLA.
Ich bin, was aus des Vaters Haus von Töchtern Und auch von Brüdern blieb; Heilige-drei-Königs-Abend. Act II, Scene II.
MARIA. JUNKER ANDREAS.
Schönes Frauenzimmer, denkt ihr, ihr hättet Narren am Seile ? MARIA.
Nein, ich habe euch nicht am Seile. JUNKER ANDREAS.
Ihr sollt mich aber am Seile haben: hier ist meine Hand. MARIA.
Nun, Herr, Gedanken sind zollfrei; aber mich däucht, ihr könntet sie immer ein bischen in den Keller tragen, und ihr zu trinken geben. JUNKER ANDREAS.
Wozu, mein Engelchen? Was soll die verblümte Redensart? MARIA.
Sie ist trocken, Herr. Heilige-drei-Königs-Abend. Act II, Scene IV.
ISABELLA.
ANGELO.
Nehmt an, kein Mittel war', ihn zu befrei'n — (Zwar gelten laß' ich's nicht, noch eines sonst, Doch so zum Beispiel nur,) daß ihr, die Schwester, Geliebt Euch fändet von solch' einem Mann, Deß hoher Rang, deß Einfluß auf den Richter
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Euch wohl den Bruder könnt' entfesseln vom Allbindenden Gesetz, und übrig wär' Ihm gar kein Rettungsmittel, als entweder Ihr übergäb't das Kleinod Eures Leib's Dem Mann da, oder ließt den Bruder leiden; Was thätet Ihr? ISABELLA.
Das für den armen Bruder, was für mich. Das heißt: war' über mich erkannt der Tod; Der Geißel Striemen trüg' ich als Rubinen, Enthüllte mich zum Tode, wie zum Bett, Deß ich verlang't in Sehnsucht, eh' ich gäbe Den Leib der Schmach. Maas für Maas. Act III, Scene II.
PRINZESSIN VON FRANKREICH. SCHAEDEL.
Gottes schönster Gruß Euch! Sagt, wer ist die Hauptdame? PRINZESSIN.
Du wirst sie erkennen, Freund, an den übrigen, die ohne Haupt sind. SCHAEDEL.
Wer ist die größte Dame, die höchste? PRINZESSIN.
Die dickste und die längste. SCHAEDEL.
Die dickst' und die längsteI So ist's; wahr ist wahr. Wär' Euch schmächtig der Leib, wie der Witz mir, o Frau, Ein Gürtel der Jungfern da paßt' Euch genau. Seid Ihr nicht die Hauptfrau? die dickste seid Ihr. Der Liebe Mühe umsonst. Act III, Scene I.
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Heine, Bd. 9
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Shakspeares Mädchen und Frauen D I E AEBTISSIN. AEBTISSIN.
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Daher kam's eben, daß er rasend ward. Der gift'ge Lärm der eifersüchtigen Frau Vergiftet mehr als toller Hunde Zahn. Du hindertest durch Schelten seinen Schlaf, Und davon hat sich sein Gehirn entzündet. Mit deinem Tadel würztest du sein Mahl; Gestörte Mahlzeit hindert das Verdau'n, Und daher rührt des Fiebers Raserei. Denn, was ist Fieber, als ein Wahnsinns-Hauch? Du störtest stets mit Schelten sein Ergötzen; Erholung, die so süße! was wird d'raus, Versperrt man ihr die Thür? Melancholie, Die Blutsfreundin untröstlicher Verzweiflung, Und hinter ihr ein ungeheures Heer Von bleichen Kränklichkeiten, Lebensfeinden! Bei'm Mahl, im Scherz, bei lebensnähr'nder Ruh' Gestört stets, muß Mensch und Thier verrücken, Und daraus folgt: vor deiner Eifersucht, Ergriff der Witz des Gatten hier die Flucht. Die Irrungen. Act V , Scene I.
FRAU PAGE. JUNGFER QUICKLY.
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Nun, das wäre wahrhaftig ein schöner Spaß! Für so einfältig halt' ich sie nicht. Das wäre ein Streich! Meiner Seele! Frau Page aber läßt Euch um aller Liebe willen bitten, ihr euren kleinen Jungen zu schicken, ihr Mann hat eine unbeschreibliche Zuneigung zu dem kleinen Jungen; und Herr Page ist wahrhaftig ein sehr rechtschaffener Mann. Kein Weib in ganz Windsor führt ein 30 besseres Leben als sie. Sie thut, was sie will; sie sagt, was sie will; sie nimmt Alles, bezahlt Alles; geht zu Bette, wenn sie Lust hat, steht auf, wenn sie Lust
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hat, und Alles wie sie will. Und sie verdient es, wahrhaftig! denn wenn es in Windsor nur irgend eine gutmüthige Frau giebt, so ist sie's. Es hilft nichts, Ihr müßt ihr Euren Knaben schicken. Die lustigen Weiber von Windsor. Act II, Scene II.
F R A U FORD.
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FALSTAFF.
Jetzt keine Possen, Pistol! Freilich geht mein Wanst zwei Ellen hinaus; aber jezt will ich nicht auf unnützen Aufwand, sondern auf gute Wirthschaft hinaus. Kurz, ich beabsichtige einen Liebeshandel mit Ford's Frau. Ich spüre Unterhaltung bei ihr. Sie schwatzt, sie schneidet vor, und ihre Blicke sind ein- 10 ladend. Ich kann mir den Inhalt ihrer vertraulichen Gespräche erklären, und der ungünstigste Ausdruck ihres Betragens ist in deutlichen Worten: Ich bin Sir John Falstaff's. Die lustigen Weiber von Windsor. Act I, Scene II.
A N N A PAGE.
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ANNA.
Nun? Ist's Euch nicht auch gefällig hereinzukommen, hochgeehrter Herr? SLENDER.
Nein! Ich danke Euch! Wahrhaftig! Von ganzem Herzen! Ich befinde mich hier recht wohl. 20 ANNA.
Man wartet mit dem Essen auf Euch, lieber Herr! SLENDER.
Ich bin gar nicht so hungrig! Ich danke Euch, wahrhaftig! (zu Simpel) Geh', Bursche! und wenn du gleich mein Diener bist, so warte dennoch meinem 25 Herrn Vetter Shallow auf. Ein Friedensrichter kann manchmal seinem Freunde 16*
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Sbakspeares Mädchen und Frauen
um eines Dieners willen verpflichtet werden. Bis zum Tode meiner Mutter halte ich mir nur noch drei Leute und einen Burschen. Wenn das aber auch ist, so leb' ich doch immer noch so gut, als ein armer Junker. ANNA.
Ohne Euer Gestrengen darf ich nicht hineinkommen. Man wird sich nicht eher setzen, als bis Ihr kommt. Die lustigen Weiber von Windsor. Act I, Scene I.
CATHARINA. PETRUCCIO.
Nimm an, sie schmählt; nun, ruhig sag' ich ihr, Sie singe lieblich wie die Nachtigall. Nimm an, sie mault; ich sag', ihr Blick sei klar Wie Morgenrosen, frisch getränkt vom Thau. Nimm an, sie muckt und redet nicht ein Wort; Dann preis' ich ihre Zungenfertigkeit, Und ihres Vortrags zaubrische Gewalt. Ruft sie mir: Pakt euch fort! ich sag' ihr Dank, Als ob sie sagte: Bleib' die Woche hier! Schlägt sie die Heirath ab; „wann," frag' ich, „soll Das Aufgebot seyn, wann der Hochzeittag?" — Doch seht, sie kommt; nun sprich, Petruccio. Guten Morgen, Käth'; ich hör', Eu'r Nam' ist das. CATHARINA.
Ihr hörtet recht, obgleich halbtaubes Ohr's, Man sagt Kath'rina, redet man von mir. PETRUCCIO.
Ihr lügt fürwahr; bloß Käthe nennt man Euch, Und rasche Käth', auch wohl erzböse Käth'. Die gezämte Keiferin. Act II, Scene I.
In den einleitenden Blättern dieses Bildersaals habe ich berichtet, auf welchen Wegen sich die Popularität Shakspears in England und Deutschland verbreitete, und wie hier und dort ein Verständniß seiner Werke befördert ward. Leider konnte ich in Bezug auf romanische Länder keine so erfreuliche Nachrichten mittheilen: in Spanien ist der Name unseres Dichters bis auf heutigen Tag ganz unbekannt geblieben; Italien ignorirt ihn vielleicht absichtlich, um den Ruhm seiner großen Poeten vor transalpinischer Nebenbuhlerschaft zu beschützen; und Frankreich, die Heimath des herkömmlichen Geschmacks und des gebildeten Tons, glaubte lange Zeit den großen Britten hinlänglich zu ehren, wenn es ihn einen genialen Barbaren nannte, und über seine Rohheit so wenig als möglich spöttelte. Indessen die politische Revoluzion, welche dieses Land erlebte, hat auch eine literarische hervorgebracht, die vielleicht an Terrorismus die erstere überbietet, und Shakspear ward bei dieser Gelegenheit aufs Schild gehoben. Freilich, wie in ihren politischen Umwälzungsversuchen, sind die Franzosen selten ganz ehrlich in ihren literarischen Revoluzionen; wie dort, so auch hier, preisen und feiern sie irgend einen Helden, nicht ob seinem wahren inwohnenden Werthe, sondern wegen des momentanen Vortheils den ihre Sache durch solche Anpreisung und Feyer gewinnen kann; und so geschieht es, daß sie heute emporrühmen, was sie morgen wieder herabwürdigen müssen, und umgekehrt. Shakspear ist seit zehn Jahren in Frankreich, für die Parthei welche die literarische Revoluzion durchkämpft, ein Gegenstand der blindesten Anbetung. Aber, ob er bei diesen Männern der Bewegung eine wirkliche gewissenhafte Anerkennung, oder gar ein richtiges Verständniß gefunden hat, ist die große Frage. Die Franzosen sind zu sehr die Kinder ihrer Mütter, sie haben zu sehr die gesellschaftliche Lüge mit der Ammenmilch eingesogen, als daß sie dem Dichter, der die Wahrheit der Natur in jedem Worte athmet, sehr viel Geschmak abgewinnen oder gar ihn verstehen könnten. Es herrscht freilich bei ihren Schriftstellern seit einiger Zeit ein unbändiges Streben nach solcher Natürlichkeit; sie reißen sich gleichsam verzweiflungsvoll die konvenzionellen Gewänder vom Leibe, und zeigen sich in der schrecklichsten Nacktheit... Aber irgend ein modischer Fetzen, welcher ihnen dennoch immer anhängen bleibt, giebt Kunde von der
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überlieferten Unnatur und entlockt dem deutschen Zuschauer ein ironisches Lächeln. Diese Schriftsteller mahnen mich immer an die Kupferstiche gewisser Romane, wo die unsittlichen Liebschaften des achtzehnten Jahrhunderts abkonterfeit sind, und, trotz dem paradisischen Naturkostume der Herren und Damen, jene ihre Zopfperücken, diese ihre Thurmfrisuren und ihre Schuhe mit hohen Absätzen beibehalten haben. Nicht durch direkte Kritik, sondern indirekt, durch dramatische Schöpfungen, die dem Shakspear mehr oder minder nachgebildet sind, gelangen die Franzosen zu einigem Verständniß des großen Dichters. Als ein Vermittler in dieser Weise, ist Victor Hugo ganz besonders zu rühmen. Ich will ihn hiermit keineswegs als bloßen Nachahmer des Britten im gewöhnlichen Sinne betrachtet wissen. Victor Hugo ist ein Genius von erster Größe und bewunderungswürdig ist sein Flug und seine Schöpferkraft; er hat das Bild und hat das Wort; er ist der größte Dichter Frankreichs; aber sein Pegasus hegt eine krankhafte Scheu vor den brausenden Strömen der Gegenwart und geht nicht gern zur Tränke, wo das Tageslicht in den frischen Fluten sich abspiegelt . . . vielmehr unter den Ruinen der Vergangenheit sucht er, zu seiner Erlabung, jene verschollenen Quellen, wo einst das hohe Flügelroß des Shakspear seinen unsterblichen Durst gelöscht hat. Ist es nun weil jene alten Quellen, halbverschüttet und übermoort, keinen reinen Trunk mehr bieten: genug, Victor Hugos dramatische Gedichte enthalten mehr den trüben Moder als den belebenden Geist der altenglischen Hippokrene, es fehlt ihnen die heitere Klarheit und die harmonische Gesundheit. . . und ich muß gestehen, zuweilen erfaßt mich der schauerliche Gedanke, dieser Victor Hugo sei das Gespenst eines englischen Poeten, aus der Blüthezeit der Elisabeth, ein todter Dichter der verdrießlich dem Grabe entstiegen, um in einem anderen Lande und in einer anderen Periode, wo er vor der Conkurenz des großen Williams gesichert, einige posthume Werke zu schreiben. In der That, Victor Hugo mahnt mich an Leute wie Marlow, Decker, Heiwood u. s. w., die in Sprache und Manier ihrem großen Zeitgenossen so ähnlich waren, und nur seinen Tiefblick und Schönheitssinn, seine furchtbare und lächelnde Grazie, seine offenbarende Natursendung, entbehrten . . . Und ach! zu den Mängeln eines Marlows, Deckefs und Heiwoods, gesellt sich bei Victor Hugo noch das schlimmste Entbehrniß: es fehlt ihm das Leben. Jene litten an kochender Ueberfülle, an wildester Vollblüthigkeit, und ihr poetisches Schaffen war geschriebenes Athmen, Jauchzen und Schluchzen; aber Victor Hugo, bei aller Verehrung, die ich ihm zolle, ich muß es gestehen, hat etwas Verstorbenes, Unheimliches, Spukhaftes, etwas grabentstiegen Vampyrisches . . . E r weckt nicht die Begeisterung in unsern Herzen, sondern er saugt sie heraus . . . E r versöhnt
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nicht unsere Gefühle durch poetische Verklärung, sondern er erschreckt sie durch widerwärtiges Zerrbild . . . Er leidet an Tod und Häßlichkeit. Eine junge Dame, die mir sehr nahe steht, äußerte sich jüngst über diese Häßlichkeits-Sucht der Hugo'schen Muse mit sehr treffenden Worten. Sie 5 sagte nemlich: Die Muse des Victor Hugo mahnt mich an das Mährchen von der wunderlichen Prinzessin, die nur den häßlichsten Mann heurathen wollte, und in dieser Absicht im ganzen Lande das Aufgeboth ergehen ließ, daß sich alle Junggesellen von ausgezeichneter Mißbildung an einem gewissen Tage vor ihrem Schlosse, als Ehekandidaten, versammeln sollten . . . Da gab's nun 10 freilich eine gute Auswahl von Krüppeln und Fratzen, und man glaubte das Personal eines Hugo'schen Werkes vor sich zu sehen . . . Aber Quasimodo führte die Braut nach Hause. Nach Victor Hugo muß ich wieder des Alexander Dümas erwähnen; auch dieser hat dem Verständniß des Shakspear in Frankreich mittelbar vor15 gearbeitet. Wenn jener durch Extravaganz im Häßlichen die Franzosen daran gewöhnte, im Drama nicht bloß die schöne Drappirung der Leidenschaft zu suchen, so bewirkte Dümas, daß seine Landsleute an dem natürlichen Ausdruck der Leidenschaft großes Gefallen gewannen. Aber ihm galt die Leidenschaft als das Höchste, und in seinen Dichtungen usurpirte sie den Platz der Poesie. 20 Dadurch freilich wirkte er desto mehr auf der Bühne. E r gewöhnte das Publikum in dieser Sphäre, in der Darstellung der Leidenschaften, an die größten Kühnheiten des Shakspear; und wer einmal an Heinrich III und Richard Darlington Gefallen fand, klagte nicht mehr über Geschmacklosigkeit im Othello und Richard III. Der Vorwurf des Plagiats, den man ihm einst an25 heften wollte, war eben so thöricht wie ungerecht. Dümas hat freilich in seinen leidenschaftlichen Scenen hie und da etwas dem Shakspear entlehnt, aber unser Schiller that dieses mit noch weit kühnerem Zugriff, ohne dadurch irgend einem Tadel zu verfallen. Und gar Shakspear selber, wie viel entlehnte er nicht seinen Vorgängern! Auch diesem Dichter begegnete es, daß ein sauertöpfiger 30 Pamphletist mit der Behauptung gegen ihn auftrat: „Das Beste seiner Dramen sei den ältern Schriftstellern entwendet." Shakspear wird bei dieser lächerlichen Gelegenheit ein Rabe genannt, welcher sich mit dem fremden Gefieder des Pfauen geschmückt habe. Der Schwan von A v o n schwieg und dachte vielleicht in seinem göttlichen Sinn: „ich bin weder Rabe noch P f a u ! " und 35 wiegte sich sorglos auf den blauen Fluthen der Poesie, manchmal hinauflächelnd zu den Sternen, den goldenen Gedanken des Himmels. Des Grafen Alfred de Vigny muß hier ebenfalls Erwähnung geschehen. Dieser Schriftsteller, des englischen Idioms kundig, beschäftigte sich am gründlichsten mit den Werken des Shakspear, übersetzte einige derselben mit
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großem Geschick, und dieses Studium übte auch auf seine Originalarbeiten den günstigsten Einfluß. Bei dem feinhörigen und scharfäugigen Kunstsinn, den man dem Grafen de Vigny zuerkennen muß, darf man annehmen, daß er den Geist Shakspears tiefer behorcht und beobachtet habe, als die meisten 5 seiner Landsleute. Aber das Talent dieses Mannes, wie auch seine Denk- und Gefühlart, ist auf das Zierliche und Miniaturmäßige gerichtet, und seine Werke sind besonders kostbar durch ihre ausgearbeitete Feinheit. Ich kann mir's daher wohl denken, daß er manchmal wie verblüfft stehen blieb vor jenen ungeheuren Schönheiten, die Shakspear gleichsam aus den gewaltigsten 10 Granitblöcken der Poesie ausgehauen h a t . . . Er betrachtete sie gewiß mit ängstlicher Bewunderung, gleich einem Goldschmied, der in Florenz jene kolossalen Pforten des Baptisterii anstarrt, die, einem einzigen Metalguß entsprungen, dennoch zierlich und lieblich, wie ciselirt, ja wie die feinste Bijouterie-Arbeit aussehen. 15 Wird es den Franzosen schon schwer genug, die Tragödien Shakspears zu verstehen, so ist ihnen das Verständniß seiner Comödien fast ganz versagt. Die Poesie der Leidenschaft ist ihnen zugänglich; auch die Wahrheit der Charakteristik können sie bis auf einen gewissen Grad begreifen: denn ihre Herzen haben brennen gelernt, das Passionirte ist so recht ihr Fach, und mit ihrem 20 analitischen Verstände wissen sie jeden gegebenen Charakter in seine feinsten Bestandtheile zu zerlegen, und die Phasen zu berechnen, worin er jedesmal gerathen wird, wenn er mit bestimmten Weltrealitäten zusammenstößt. Aber im Zaubergarten der Shakspear'schen Comödie ist ihnen all dieses ErfahrungsWissen von wenig Hülfe. Schon an der Pforte bleibt ihnen der Verstand 25 stehen, und ihr Herz weiß kein Bescheid, und es fehlt ihnen die geheimnißvolle Wünschelruthe, deren bloße Berührung das Schloß sprengt. Da schauen sie mit verwunderten Augen durch das goldene Gitter, und sehen wie Ritter und Edelfrauen, Schäfer und Schäferinnen, Narren und Weise, unter den hohen Bäumen einherwandeln; wie der Liebende und seine Geliebte im kühlen 30 Schatten lagern und zärtliche Reden tauschen; wie dann und wann ein Fabelthier, etwa ein Hirsch mit silbernem Geweih, vorüberjagt, oder gar ein keusches Einhorn aus dem Busche springt und der schönen Jungfrau sein Haupt in den Schooß legt. . . Und sie sehen, wie aus den Bächen die Wasserfrauen, mit grünem Haar und glänzenden Schleiern, hervortauchen, und wie 35 plötzlich der Mond aufgeht. . . Und sie hören dann wie die Nachtigall schlägt. . . Und sie schütteln ihre klugen Köpflein über all das unbegreiflich närrische Zeugl Ja, die Sonne können die Franzosen allenfalls begreifen, aber nicht den Mond, und am allerwenigsten das selige Schluchsen und melancholisch entzückte Trillern der Nachtigallen . . .
Shakspeares Mädchen und Frauen Ja, weder ihre empirische Bekanntschaft mit den menschlichen Passionen, noch ihre positive Weltkenntniß, ist den Franzosen von einigem Nutzen, wenn sie die Erscheinungen und Töne enträthseln wollen, die ihnen aus dem Zaubergarten der Shakspear'schen Comödie entgegen glänzen und klingen . . . Sie glauben manchmal ein Menschengesicht zu sehen, und bei näherem Hinblick ist es eine Landschaft, und was sie für Augebraunen hielten war ein Haselbusch, und die Nase war ein Felsen und der Mund eine kleine Quelle, wie wir dergleichen auf den bekannten Vexirbildern schauen . . . Und umgekehrt, was die armen Franzosen für einen bizarrgewachsenen Baum oder wunderlichen Stein ansahen, das präsentirt sich bei genauerer Betrachtung als ein wirkliches Menschengesicht von ungeheuerem Ausdruck. Gelingt es ihnen etwa mit höchster Anstrengung des Ohres irgend ein Wechselgespräch der Liebenden, die im Schatten der Bäume lagern, zu belauschen, so gerathen sie in noch größere Verlegenheit. . . Sie hören bekannte Worte, aber diese haben einen ganz anderen Sinn; und sie behaupten dann diese Leute verstünden nichts von der flammenden Leidenschaft, von der großen Passion, das sei witziges Eis was sie einander zur Erfrischung böten, nicht lodernder Liebestrunk . . . Und sie merkten nicht, daß diese Leute nur verkleidete Vögel sind, und in einer Coteriesprache konversiren, die man nur im Traume oder in der frühesten Kindheit erlernen kann . . . Aber am schlimmsten geht es den Franzosen, da draußen an den Gitterpforten der Shakspear'schen Comödie, wenn manchmal ein heiterer Westwind über ein Blumenbeet jenes Zaubergartens dahin streicht, und ihnen die unerhörtesten Wohlgerüche in die Nase w e h t . . . „Was ist das?" Die Gerechtigkeit verlangt, daß ich hier eines französischen Schriftstellers erwähne, welcher mit einigem Geschick die Shakspear'schen Comödien nachahmte, und schon durch die Wahl seiner Muster eine seltene Empfänglichkeit für wahre Dichtkunst beurkundete. Dieser ist Herr Alfred de Müsset. E r hat vor etwa fünf Jahren einige kleine Dramen geschrieben, die, was den Bau und die Weise betrifft, ganz den Comödien des Shakspear nachgebildet sind. Besonders hat er sich die Caprize (nicht den Humor), der in denselben herrscht, mit französischer Leichtigkeit zu eigen gemacht. Auch an einiger, zwar sehr dünndrähtiger, aber doch probehaltiger Poesie fehlte es nicht in diesen hübschen Kleinigkeiten. Nur war zu bedauern, daß der damals jugendliche Verfasser, außer der französischen Uebersetzung des Shakspear, auch die des Byron gelesen hatte, und dadurch verleitet ward, im Kostüme des spleenigen Lords, jene Uebersättigung und Lebenssattheit zu affektiren, die in jener Periode unter den jungen Leuten zu Paris Mode war. Die rosigsten Knäbchen, die gesundesten Gelbschnäbel, behaupteten damals ihre Genußfähigkeit sei
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Shakspeares Mädchen und Frauen erschöpft, sie erheuchelten eine greisenhafte Erkältung des Gemüthes, und gaben sich ein zerstörtes und gähnendes Aussehen. Seitdem freilich ist unser armer Monsieur Müsset von seinem Irrthume zurückgekommen, und er spielt nicht mehr den Blasé in seinen Dichtungen, — 5 aber ach! seine Dichtungen enthalten jetzt, statt der simulirten Zerstörniß, die weit trostloseren Spuren eines wirklichen Verfalls seiner Leibes- und Seelenkräfte . . . Ach ! dieser Schriftsteller erinnert mich an jene künstlichen Ruinen, die man in den Schloßgärten des achtzehnten Jahrhunderts zu erbauen pflegte, an jene Spielereien einer kindischen Laune, die aber im Laufe der Zeit unser io wehmüthigstes Mitleid in Anspruch nehmen, wenn sie in allem Ernste verwittern und vermodern und in wahrhafte Ruinen sich verwandeln. Die Franzosen sind, wie gesagt, wenig geeignet, den Geist der Shakspear'schen Comödien aufzufassen, und unter ihren Critikern habe ich, mit Ausnahme eines einzigen, niemand gefunden, der auch nur eine Ahnung von 15 diesem seltsamen Geiste besäße. Wer ist das? Wer ist jene Ausnahme? Gutzkow sagt, der Eléphant sei der Doktrinär unter den Thieren. Und ein solcher verständiger und sehr schwerfälliger Eléphant, hat das Wesen der Shakspear'schen Comödie am scharfsinnigsten aufgefaßt. Ja, man sollte es kaum glauben, es ist Herr Guizot, welcher über jene graziösen und muthwilligsten Luftgebilde 20 der modernen Muse das Beste geschrieben hat, und zu Verwunderung und Belehrung des Lesers, übersetze ich hier eine Stelle aus einer Schrift, die im Jahr 1822 bei Ladvokat in Paris erschienen, und „De Shakspeare et de la Poésie dramatique, par F. Guizot" betittelt ist. „Jene Shakspear'schen Comödien gleichen weder der Comödie des Molière 25 noch des Aristophanes oder der Römer. Bei den Griechen, und in der neuern Zeit bei den Franzosen, entstand die Comödie durch eine zwar freie aber aufmerksame Beobachtung des wirklichen Weltlebens, und die Darstellung desselben auf der Bühne war ihre Aufgabe. Die Unterscheidung einer komischen und einer tragischen Gattung findet man schon im Beginn der Kunst, 30 und mit der Ausbildung derselben hat sich die Trennung beider Gattungen immer bestimmter ausgesprochen. Sie trägt ihren Grund in den Dingen selbst. Die Bestimmung wie die Natur des Menschen, seine Leidenschaften und seine Geschäfte, der Charakter und die Ereignisse, alles in uns und um uns, hat sowohl seine ernsthafte wie spaßhafte Seite, und kann sowohl unter dem 35 einen wie dem andern Gesichtspunkte betrachtet und dargestellt werden. Diese Zweiseitigkeit des Menschen und der Welt, hat der dramatischen Poesie zwei natürlichermaßen verschiedene Bahnen angewiesen; aber während sie die eine oder die andere zu ihrem Tummelplatz erwählte, hat die Kunst sich dennoch nie von der Beobachtung und Darstellung der Wirklichkeit ab-
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gewendet. Mag Aristophanes mit unumschränkter Phantasie-Freiheit die • Laster und Thorheiten der Athener geißeln; mag Molière die Gebrechen der Leichtgläubigkeit, des Geizes, der Eifersucht, der Pedanterei, der adlichen Hoffart, der bürgerlichen Eitelkeit und der Tugend selbst durchhecheln; — was liegt daran, daß beide Dichter ganz verschiedene Gegenstände behandeln; 5 — daß der eine das ganze Leben und das ganze Volk, der andere hingegen die Vorfälle des Privatlebens, das Innere der Familien, und die Lächerlichkeiten des Individuums auf die Bühne gebracht hat : diese Verschiedenheit der komischen Stoffe ist eine Folge der Verschiedenheit der Zeit, des Ortes und der Civilisazion . . . Aber dem Aristophanes wie dem Molière dient die 10 Realität, die wirkliche Welt, immer als Boden ihrer Darstellungen. Es sind die Sitten und die Ideen ihres Jahrhunderts, die Laster und Thorheiten ihrer Mitbürger, überhaupt es ist die Natur und das Leben der Menschen, was ihre poetische Laune entzündet und erhält. Die Comödie entspringt daher aus der Welt, welche den Poeten umgiebt, und sie schmiegt sich, noch viel enger als 15 die Tragödie, an die äußeren Thatsachen der Wirklichkeit. . . Nicht so bei Shakspear. Zu seiner Zeit hatte in England der Stoff der dramatischen Kunst, Natur und Menschengeschick, noch nicht von den Händen der Kunst jene Unterscheidung und Classifikazion empfangen. Wenn der Dichter diesen Stoff für die Bühne bearbeiten wollte, so nahm er ihn in 20 seiner Ganzheit, mit allen seinen Beimischungen, mit allen Contrasten die sich darin begegneten, und der Geschmack des Publikums gerieth keineswegs in Versuchung sich über solches Verfahren zu beklagen. Das Komische, dieser Theil der menschlichen Wirklichkeit, durfte sich überall hinstellen, wo die Wahrheit seine Gegenwart verlangte oder duldete; und es war ganz im 25 Charakter jener englischen Civilisazion, daß die Tragödie, indem man ihr solchermaßen das Komische beigesellte, keineswegs ihre Wahrheitswürde einbüßte. Bei solchem Zustand der Bühne und solcher Neigung des Publikums, was konnte sich da als die eigentliche Comödie darbieten? Wie konnte letztere als besondere Gattung gelten und ihren bestimmten Namen Comödie führen? 30 Es gelang ihr, indem sie sich von jenen Realitäten lossagte, w o ja doch die Grenzen ihres natürlichen Gebiethes weder geschützt noch anerkannt wurden. Diese Comödie beschränkte sich nicht mehr auf die Darstellung bestimmter Sitten und durchgeführter Charaktere; sie suchte nicht mehr die Dinge und die Menschen unter einer zwar lächerlichen aber wahren Gestalt zu schildern: 35 sondern sie ward ein phantastisches und romantisches Geisteswerk, ein Zufluchtsort für alle jene ergötzlichen Unwahrscheinlichkeiten, welche die Phantasie, aus Trägheit oder Laune, nur an einem dünnen Faden zusammenreiht, um daraus allerlei bunte Verknüpfungen zu bilden, die uns erheitern und
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interessiren, ohne eben dem Urtheil der Vernunft Stand zu halten. Anmuthige Gemälde, Ueberraschungen, heitere Intriguen, gereitzte Neugier, getäuschte Erwartungen, Verwechslungen, witzige Aufgaben welche Verkleidungen herbeiführen, das ward der Stoff jener harmlosen, leicht zusammengewürften 5 Spiele. Die Contextur der spanischen Stücke, woran man in England Geschmack zu finden begann, lieferte diesen Spielen allerlei verschiedene Rahmen und Muster, die sich auch sehr gut anpassen ließen auf jene Chroniken und Balladen, auf jene französischen und italienischen Novellen, welche, nebst den Ritterromanen, eine Lieblingslektüre des Publikums waren. Es ist begreiflich, 10 wie diese reiche Fundgrube und diese leichte Gattung die Aufmerksamkeit Shakspear's schon frühe auf sich zog! Man darf sich nicht wundern, daß seine junge und glänzende Einbildungskraft sich gern in jenen Stoffen wiegte, wo sie des strengen Vernunftjoches baar, auf Kosten der Wahrscheinlichkeit alle möglichen ernste und starke Effekte bereiten konnte! Dieser Dichter, dessen 15 Geist und Hand mit gleicher Rastlosigkeit sich bewegten, dessen Manuskripte fast keine Spur von Verbesserungen enthielten, er mußte sich gewiß mit besonderer Lust jenen ungezügelten und abentheurüchen Spielen hingeben, worin er ohne Anstrengung alle seine verschiedenartigen Fähigkeiten entfalten durfte. Er konnte alles in seine Comödien hineinschütten, und in der 20 That! er goß alles hinein, ausgenommen was mit einem solchem Systeme ganz unverträglich war, nämlich jene logische Verknüpfung, welche jeden Theil des Stückes dem Zwecke des Ganzen unterordnet, und in jeder Einzelheit die Tiefe, Größe und Einheit des Werks bekundet. In den Tragödien des Shakspear findet man schwerlich irgend eine Conzepzion, eine Situazion, einen Akt der 25 Leidenschaft, einen Grad des Lasters oder der Tugend, welchen man nicht ebenfalls in einer seiner Comödien wiederfände; aber was sich dort in die abgründlichste Tiefe erstreckt, was sich fruchtbar an erschütternden Folgerungen erweist, was sich streng in eine Reihe von Ursachen und Wirkungen einfügt: das ist hier kaum angedeutet, nur für einen Augenblick hingeworfen, 30 um einen flüchtigen Effekt zu erzielen und sich eben so schnell in einer neuen Verknüpfung zu verlieren." In der That, der Elephant hat Recht: Das Wesen der Shakspear'schen Comödie besteht in der bunten Schmetterlingslaune, womit sie von Blume zu Blume dahingaukelt, selten den Boden der Wirklichkeit berührend. Nur im 35 Gegensatz zu der realistischen Comödie der Alten und der Franzosen läßt sich von der Shakspearschen Comödie etwas Bestimmtes aussagen. Ich habe vorige Nacht lange darüber nachgegrübelt, ob ich nicht dennoch von dieser unendlichen und unbegrenzten Gattung, von der Comödie des Shakspear, eine positive Erklärung geben könnte. Nach langem Hin- und
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Hersinnen schlief ich endlich ein, und mir träumte: es sei sternhelle Nacht und ich schwämme in einem kleinen Kahn, auf einem weiten, weiten See, wo allerlei Barken, angefüllt mit Masken, Musikanten und Fackeln, tönend und glänzend, manchmal nah, manchmal ferne, an mir vorbeifuhren. Das waren Kostüme aus allen Zeiten und Landen: altgriechische Tuniken, mittelalterliche Rittermäntel, orientalische Turbane, Schäferhüte mit flatternden Bändern, wilde und zahme Thierlarven... Zuweilen nickte mir eine wohlbekannte Gestalt. . . Zuweilen grüßten vertraute Weisen. . . Aber das zog immer schnell vorüber, und lauschte ich eben den Tönen der freudigen Melodie, die mir aus einer dahingleitenden Barke entgegenjubelten, so verhallten sie bald, und anstatt der lustigen Fidein erseufzten neben mir die melancholischen Waldhörner einer anderen Barke . . . Manchmal trug der Nachtwind beides zu gleicher Zeit an mein Ohr, und da bildeten diese gemischten Töne eine selige Harmonie . . . Die Wasser erklangen von unerhörtem Wohllaut, und brannten im magischen Widerschein der Fackeln, und die buntbewimpelten Lustschiffe, mit ihrer abentheuerlichen Maskenwelt, schwammen in Licht und Musik . . . Eine anmuthige Frauengestalt, die am Steuer einer jener Barken stand, rief mir im Vorbeifahren: Nicht wahr, mein Freund, du hättest gern eine Definizion von der Shakspear'schen Comödie? Ich weiß nicht ob ich es bejahte, aber das schöne Weib hatte zu gleicher Zeit ihre Hand ins Wasser getaucht und mir die klingenden Funken in's Gesicht gespritzt, so daß ein allgemeines Gelächter erscholl und ich davon erwachte. Wer war jene anmuthige Frauengestalt, die mich solchermaßen im Traume neckte? Auf ihrem idealisch schönen Haupte saß eine buntscheckige gehörnte Schellenkappe, ein weißes Atlaskleid mit flatternden Bändern umschloß die fast allzu schlanken Glieder, und vor der Brust trug sie eine rothblühende Distel. Es war vielleicht die Göttin der Caprize, jene sonderbare Muse, die bei der Geburt Rosalindens, Beatrices, Titanias, Violas, und wie sie sonst heißen, die lieblichen Kinder der Shakspear'schen Comödie, zugegen war und ihnen die Stirne küßte. Sie hat wohl alle ihre Launen und Grillen und Schrullen in die jungen Köpfchen hineingeküßt, und das wirkte auch auf die Herzen. Wie bei den Männern, so auch bei den Weibern in der Shakspear'schen Comödie, ist die Leidenschaft ganz ohne jenen furchtbaren Ernst, ganz ohne jene fatalistische Nothwendigkeit, womit sie sich in den Tragödien offenbart. Amor trägt dort zwar ebenfalls eine Binde und einen Köcher mit Pfeilen. Aber diese Pfeile sind dort weniger tödtlich zugespitzt als buntbefiedert, und der kleine Gott schielt manchmal schalkhaft über die Binde hinweg. Auch die Flammen brennen dort weniger als sie leuchten, aber Flammen sind es immer, und wie in den Tragödien des Shakspear, so auch in seinen Comödien trägt
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die Liebe ganz den Charakter der Wahrheit. Ja, Wahrheit ist immer das Kennzeichen Shakspear'scher Liebe, gleichviel in welcher Gestalt sie erscheint, sie mag sich Miranda nennen oder Julia oder gar Cleopatra. Indem ich diese Namen eher zufällig als absichtlich zusammen erwähne, 5 bietet sich mir die Bemerkung, daß sie auch die drei bedeutungsvollsten Typen der Liebe bezeichnen. Miranda ist die Repräsentantin einer Liebe, welche, ohne historische Einflüsse, als Blume eines unbefleckten Bodens, den nur Geisterfüße betreten durften, ihre höchste Idealität entfalten konnte. Ariels Melodien haben ihr Herz gebildet, und die Sinnlichkeit erschien ihr nie anders als in der 10 abschreckend häßlichen Gestalt eines Kaliban. Die Liebe welche Ferdinand in ihr erregt, ist daher nicht eigentlich naiv, sondern von seliger Treuherzigkeit, von urweltlicher, fast schauerlicher Reinheit. Julias Liebe trägt, wie ihre Zeit und Umgebung, einen mehr romantisch mittelalterlichen, schon der Renaissan9e entgegenblühenden Charakter; sie ist farbenglänzend wie der Hof der 15 Scaliere, und zugleich stark wie jene edlen Geschlechter der Lombardei, die mit germanischem Blute verjüngt worden, und eben so kräftig liebten, wie sie haßten. Julia repräsentirt die Liebe einer jugendlichen, noch etwas rohen aber unverdorbenen, gesunden Periode. Sie ist ganz durchdrungen von der Sinnenglut und von der Glaubensstärke einer solchen Zeit, und selbst der kalte Moder 20 der Todtengruft kann weder ihr Vertrauen erschüttern, noch ihre Flamme dämpfen. Unsere Kleopatra, ach! sie repräsentirt die Liebe einer schon erkrankten Civiüsazion, einer Zeit, deren Schönheit schon abwelkt, deren Locken zwar mit allen Künsten gekräuselt, mit allen Wohldüften gesalbt, aber auch mit manchem grauen Haar durchflochten sind, einer Zeit, die den Kelch 25 der zur Neige geht, um so hastiger leeren will. Diese Liebe ist ohne Glaube und ohne Treue, aber darum nicht minder wild und glühend. Im ärgerlichen Bewußtseyn, daß diese Gluth nicht zu dämpfen ist, gießt das ungeduldige Weib noch Oel hinein, und stürzt sich bachantisch in die lodernden Flammen. Sie ist feige und dennoch getrieben von eigner Zerstörungslust. Die Liebe ist 30 immer eine Art Wahnsinn, mehr oder minder schön; aber bei dieser ägyptischen Königin steigert sie sich zur gräulichsten Tollheit. . . Diese Liebe ist ein rasender Comet, der mit seinem Flammenschweif, in den unerhörtesten Kreisläufen, am Himmel dahinstürmt, alle Sterne auf seinem Wege erschreckt, wo nicht gar beschädigt, und endlich, kläglich zusammenkrachend, wie eine 35 Rakete, in tausend Funken zerstiebt. Ja, du glichest einem furchtbaren Comete, schöne Cleopatra, und du glühtest nicht bloß zu deinem eignen Verderben, sondern du bedeutetest auch Unglück für deine Zeitgenossen . . . Mit Antonius nimmt auch das alte heroische Römerthum ein jämmerliches Ende.
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Womit soll ich aber euch vergleichen, Julia und Miranda? Ich schaue wieder nach dem Himmel und suche dort euer Ebenbild. Es befindet sich vielleicht hinter den Sternen, wo mein Blick nicht hindringt. Vielleicht, wenn die glühende Sonne auch die Milde des Mondes besäße, ich könnte dich mit ihr vergleichen, Julia! Wäre der milde Mond zugleich begabt mit der Glut der 5 Sonne, ich würde dich damit vergleichen, Miranda!
UEBER DEN DENUNZIANTEN. Eine Vorrede zum dritten Theile des Salons
VORWORT. 5 Ich habe diesem Buche einige sehr unerfreuliche Bemerkungen voranzuschicken, und vielmehr über das was es nicht enthält, als über den Inhalt selbst mich auszusprechen. Was letzteren betrifft, so steht zu berichten, daß ich von den „florentinischen Nächten" die Fortsetzung, worin mancherley Tagesinteressen ihr Echo fanden, nicht mittheilen konnte. Die „Elementarlo geister" sind nur die deutsche Bearbeitung eines Kapitels aus meinem Buche „ D e PAllemagne;" alles was ins Gebieth der Politik und der Staatsreligion hinüberspielte, ward gewissenhaft ausgemerzt, und nichts blieb übrig als eine Reihe harmloser Mährchen, die, gleich den Novellen des Dekamerone, dazu dienen könnten, jene pestilenzielle Wirklichkeit, die uns dermalen umgiebt, 15 für einige Stunden zu vergessen. Das Gedicht, welches am Schlüsse des Buches, habe ich selber verfaßt, und ich denke, es wird meinen Feinden viel Vergnügen machen; ich habe kein besseres geben können. Die Zeit der Gedichte ist überhaupt bei mir zu Ende, ich kann wahrhaftig kein gutes Gedicht mehr zu Tage fördern, und die Kleindichter in Schwaben, statt mir 20 zu grollen, sollten sie mich vielmehr brüderlichst in ihre Schule aufnehmen . . . Das wird auch wohl das Ende des Spaßes seyn, daß ich in der schwäbischen Dichterschule, mit Fallhütchen auf dem Kopf, neben den Andern auf das kleine Bänkchen zu sitzen komme, und das schöne Wetter besinge, die Frühlingssonne, die Mayenwonne, die Gelbveiglein, und die Quetschenbäume. Ich 25 hatte längst eingesehen, daß es mit den Versen nicht mehr recht vorwärts ging und deßhalb verlegte ich mich auf gute Prosa. Da man aber in der Prosa nicht ausreicht mit dem schönen Wetter, Frühlingssonne, Mayenwonne, Gelbveiglein und Quetschenbäumen, so mußte ich auch für die neue Form einen neuen Stoff suchen; dadurch gerieth ich auf die unglückliche Idee mich 30 mit Ideen zu beschäftigen, und ich dachte nach über die innere Bedeutung der Erscheinungen, über die letzten Gründe der Dinge, über die Bestimmung des Menschengeschlechts, über die Mittel wie man die Leute besser und glücklicher machen kann, u. s. w. Die Begeisterung, die ich von Natur für diese Stoffe empfand, erleichterte mir ihre Behandlung, und ich konnte bald in
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einer äußerst schönen, vortrefflichen Prosa meine Gedanken darstellen . . . Aber achl als ich es endlich im Schreiben so weit gebracht hatte, da ward mir das Schreiben selber verboten. Ihr kennt den Bundestagsbeschluß vom Dezember 1835, wodurch meine ganze Schriftstellerey mit dem Interdikte belegt ward. Ich weinte wie ein Kind! Ich hatte mir so viel Mühe gegeben mit der deutschen Sprache, mit dem Akusativ und Dativ, ich wußte die Worte so schön aneinander zu reihen, wie Perl an Perl, ich fand schon Vergnügen an dieser Beschäftigung, sie verkürzte mir die langen Winterabende des Exils, ja, wenn ich deutsch schrieb, so konnte ich mir einbilden, ich sey in der Heimath, bey der Mutter . . . Und nun ward mir das Schreiben verboten! Ich war sehr weich gestimmt, als ich an den Bundestag jene Bittschrift schrieb, die Ihr ebenfalls kennt, und die von manchem unter Euch als gar zu unterthänig getadelt worden. Meine Consulenten, deren Responsa ich bey diesem Ereignisse einholte, waren alle der Meynung, ich müsse ein groß Spektakel erheben, große Memoiren anfertigen, darin beweisen: „daß hier ein Eingriff in Eigenthumsrechte statt fände, daß man mir nur durch richterlichen Urtheilsspruch die Ausbeutung meiner Besitzthümer, meiner schriftstellerischen Fähigkeiten, untersagen könne, daß der Bundestag kein Gerichtshof und zu richterlichen Erkenntnissen nicht befugt sey, daß ich protestiren, künftigen Schadenersatz verlangen, kurz Spektakel machen müsse." Z u dergleichen fühlte ich mich aber keineswegs aufgelegt, ich hege die größte Abneigung gegen alle deklamatorische Rechthaberey, und ich kannte zu gut den Grund der Dinge, um durch die Dinge selbst aufgebracht zu seyn. Ich wußte im Herzen, daß es durchaus nicht darauf abgesehen war, durch jenes Interdikt mich persönlich zu kränken; ich wußte, daß der Bundestag, nur die Beruhigung Deutschlands beabsichtigend, aus bester Vorsorge für das Gesammtwohl, gegen den Einzelnen mit Härte verfuhr; ich wußte, daß es der schnödesten Angeberey gelungen war, einige Mitglieder der erlauchten Versammlung, handlende Staatsmänner, die sich mit der Lektüre meiner neueren Schriften gewiß wenig beschäftigen konnten, über den Inhalt derselben irre zu leiten und ihnen glauben zu machen, ich sey das Haupt einer Schule, welche sich zum Sturze aller bürgerlichen und moralischen Instituzionen verschworen habe. . . Und in diesem Bewußtseyn schrieb ich, nicht eine Protestazion, sondern eine Bittschrift an den Bundestag, worin ich, weit entfernt seine oberrichtlichen Befugnisse in Abrede zu stellen, den betrübsamen Beschluß als ein Contumazialurtheil betrachtete, und, auf alten Prägedenzien fußend, demüthigst bat, mich gegen die im Beschlüsse angeführten Beschuldigungen vor den Schranken der erlauchten Versammlung vertheidigen zu dürfen. Von der Gefährdung meiner pekuniären Interessen that ich keine Erwähnung. Eine gewisse Schaam hielt mich davon ab. Nichts17
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destoweniger haben viele edle Menschen in Deutschland, wie ich aus manchen erröthenden Stellen ihrer Trostbriefe ersah, aufs tiefste gefühlt, was ich verschwieg. Und in der That, wenn es schon hinlänglich betrübsam ist, daß ich, ein Dichter Deutschlands, fern vom Vaterlande, im Exile leben muß: so wird 5 es gewiß jeden fühlenden Menschen doppelt schmerzen, daß ich jetzt noch obendrein meines literarischen Vermögens beraubt werde, meines geringen Poetenvermögens, das mich in der Fremde wenigstens gegen physisches Elend schützen konnte. Ich sage dieses mit Kummer, aber nicht mit Unmuth. Denn wen sollte ich 10 anklagen? Nicht die Fürsten; denn, ein Anhänger des monarchischen Prinzips, ein Bekenner der Heiligkeit des Königthums, wie ich mich seit der JuliusRevoluzion, trotz dem bedenklichsten Gebrülle meiner Umgebung, gezeigt habe, möchte ich wahrlich nicht mit meinen besonderen Beklagnissen dem verwerflichen Jakobinismus einigen Vorschub leisten. Auch nicht die Räthe der 15 Fürsten kann ich anklagen; denn, wie ich aus den sichersten Quellen erfahren, haben viele der höchsten Staatsmänner den excepzionellen Zustand, worin man mich versetzt, mit würdiger Theilnahme bedauert und baldigste Abhülfe versprochen; ja, ich weiß es, nur wegen der Langsamkeit des Geschäftgangs ist diese Abhülfe noch nicht gesetzlich an den Tag getreten und vielleicht 20 während ich diese Zeilen schreibe, wird dergleichen in Deutschland zu meinen Gunsten promulgirt. Selbst entschiedenste Gegner unter den deutschen Staatsmännern haben mir wissen lassen, daß die Strenge des erwähnten Bundestagsbeschlusses nicht den ganzen Schriftsteller treffen sollte, sondern nur den politischen und religiösen Theil desselben, der poetische Theil desselben 25 dürfe sich unverhindert aussprechen, in Gedichten, Dramen, Novellen, in jenen schönen Spielen der Phantasie, für welche ich so viel Genie besitze . . . Ich könnte fast auf den Gedanken gerathen, man wolle mir einen Dienst leisten und mich zwingen, meine Talente nicht für undankbare Themata zu vergeuden... In der That, sie waren sehr undankbar, haben mir nichts als 30 Verdruß und Verfolgung zugezogen . . . Gott lob! ich werde mit Gensd'armen auf den besseren Weg geleitet, und bald werde ich bey Euch seyn, Ihr Kinder der schwäbischen Schule, und wenn ich nicht auf der Reise den Schnupfen bekomme, so sollt Ihr Euch freuen, wie fein meine Stimme, wenn ich mit Euch das schöne Wetter besinge, die Frühlingssonne, die Mayenwonne, die Gelb35 veiglein, die Quetschenbäume. Dieses Buch diene schon als Beweis meines Fortschreitens nach hinten. Auch hoffe ich, die Herausgabe desselben wird weder oben noch unten zu meinem Nachtheile mißdeutet werden. Das Manuskript war zum größten Theile schon seit einem Jahre in den Händen meines Buchhändlers, ich hatte
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schon seit anderthalb Jahr mit demselben über die Herausgabe stipulirt, und es war mir nicht möglich, diese zu unterlassen. Ich werde zu einer andern Zeit mich ausführlicher über diesen Umstand aussprechen; er steht nemlich in einiger Verbindung mit jenen Gegenständen, die meine Feder nicht berühren soll. Dieselbe Rücksicht verhindert mich, mit 5 klaren Worten das Gespinste von Verläumdungen zu beleuchten, womit es einer in den Annalen deutscher Literatur unerhörten Angeberey gelungen ist, meine Meinungen als staatsgefährlich zu denunziren und das erwähnte Interdikt gegen mich zu veranlassen. Wie und in welcher Weise dieses geschehen, ist notorisch, auch ist der Denunziant, der literarische Mouchard, schon längst 10 der öffentlichen Verachtung verfallen; es ist purer Luxus, wenn, nach so vielen edlen Stimmen des Unwillens, auch ich noch hinzutrete, um über das klägliche Haupt des Herrn Wolfgang Menzel in Stuttgardt die Ehrlosigkeit, die Infamia, auszusprechen. Nie hat deutsche Jugend einen ärmeren Sünder mit witzigeren Ruthen gestrichen und mit glühenderem Hohne gebrandmarkt 1 Er 15 dauert mich wahrlich, der Unglückliche, dem die Natur ein kleines Talent und Cotta ein großes Blatt anvertraut hatten, und der beides so schmutzig, so miserabel mißbrauchte! Ich lasse es dahingestellt seyn, ob es das Talent oder das Blatt war, wodurch die Stimme des Herrn Menzel so weitreichend gewesen, daß seine Denun- 20 ziazion so betrübsam wirken konnte, daß beschäftigte Staatsmänner, die eher Literaturblätter als Bücher lesen, ihm auf's Wort glaubten. So viel weiß ich, sein Wort mußte um so lauter erschallen, je ängstlichere Stille damals in Deutschland herrschte . . . Die Stimmführer der Bewegungsparthey hielten sich in einem klugen Schweigen versteckt, oder saßen in wohlvergittertem 25 Gewahrsam und harrten ihres Urtheils, vielleicht des Todesurtheils... Höchstens hörte man manchmal das Schluchzen einer Mutter, deren Kind in Frankfurt die Constablerwache mit dem Bajonnette eingenommen hatte und nicht mehr hinauskonnte, ein Staatsverbrechen, welches gewiß eben so unbesonnen wie strafwürdig war und den feinöhrigsten Argwohn der Regierun- 30 gen überall rechtfertigte. . . Herr Menzel hatte sehr gut seine Zeit gewählt zur Denunziazion jener großen Verschwörung, die, unter dem Namen „das junge Deutschland," gegen Thron und Altar gerichtet ist und in dem Schreiber dieser Blätter ihr gefährlichstes Oberhaupt verehrt. Sonderbar! Und immer ist es die Religion, und immer die Moral, und immer 35 der Patriotismus, womit alle schlechten Subjecte ihre Angriffe beschönigen! Sie greifen uns an, nicht aus schäbbigen Privatinteressen, nicht aus Schriftstellerneid, nicht aus angebornem Knechtsinn, sondern um den lieben Gott, um die guten Sitten und das Vaterland zu retten. Herr Menzel, welcher jahren17«
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lang, während er mit Herrn Gutzkow befreundet war, mit kummervollem Stillschweigen zugesehen, wie die Religion in Lebensgefahr schwebte, gelangt plötzlich zur Erkenntniß, daß das Christenthum rettungslos verloren sey, wenn er nicht schleunigst das Schwert ergreift und dem Gutzkow von hinten ins 5 Herz stößt. Um das Christenthum selber zu retten, muß er freilich ein bischen unkristüch handeln; doch die Engel im Himmel und die Frommen auf der Erde werden ihm die kleinen Verläumdungen und sonstigen Hausmittelchen, die der Zweck heiligt, gern zu Gute halten. Wenn einst das Christenthum wirklich zu Grunde ginge (vor welchem io Unglück uns die ewigen Götter bewahren wollen!), so würden es wahrlich nicht seine Gegner seyn, denen man die Schuld davon zuschreiben müßte. Auf jeden Fall hat sich unser Herr und Heiland, Jesus Christus, nicht bey Herrn Menzel und dessen bayrischen Kreuzbrüdern zu bedanken, wenn seine Kirche auf ihrem Felsen stehen bleibt! Und ist Herr Menzel wirklich ein guter Christ, 15 ein besserer Christ als Gutzkow und das sonstige junge Deutschland? Glaubt er alles was in der Bibel steht? Hat er immer die Lehren des Bergpredigers strenge befolgt? Hat er immer seinen Feinden verziehen, nämlich allen denen, die in der Literatur eine glänzendere Rolle spielten, als er? Hat Herr Menzel seine linke Wange sanftmüthig hingehalten, als ihm der Buchhändler Frankh 20 auf die rechte Wange eine Ohrfeige, oder, schwäbisch zu sprechen, eine Maulschelle gegeben? Hat Herr Menzel Witwen und Waisen immer gut rezensirt? War er jemals ehrlich, war sein Wort immer Ja oder Nein? wahrlich nein, nächst einer geladenen Pistole hat Herr Menzel nie etwas mehr gescheut als die Ehrlichkeit der Rede, er war immer ein zweideutiger Duckmäuser, halb Hase 25 halb Wetterfahne, grob und windig zu gleicher Zeit, wie ein Policeydiener. Hätte er in jenen ersten Jahrhunderten gelebt, wo ein Christ mit seinem Blute Zeugniß geben mußte für die Wahrheit des Evangeliums, da wäre er wahrlich nicht als Vertheidiger desselben aufgetreten, sondern vielmehr als der Ankläger derer, die sich zum Christenthume bekannten, und die man damals des 30 Atheismus und der Immoralität beschuldigte. Wohnte Herr Menzel in Peking statt in Stuttgardt, so schriebe er jetzt vielleicht lange delatorische Artikel gegen „das junge China," welches, wie aus den jüngsten Dekreten der chinesischen Regierung hervorgeht, eine Rotte von Bösewichtern zu seyn scheint, die durch Schrift und Wort das Christenthum verbreiten, und deßhalb von den 35 Mandarinen des himmlischen Reiches für die gefährlichsten Feinde der bürgerlichen Ordnung und der Moral erklärt werden. Ja, nächst der Religion ist es die Moral, für deren Untergang Herr Menzel zittert. Ist er vielleicht wirklich so tugendhaft, der unerbittliche Sittenwart von Stuttgardt? Eine gewisse physische Moralität will ich Herrn Menzel keines-
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weges absprechen. Es ist schwer in Stuttgardt nicht moralisch zu seyn. In Paris ist es schon leichter, das weiß Gott! Es ist eine eigne Sache mit dem Laster. Die Tugend kann jeder allein üben, er hat niemand dazu nöthig als sich selber; zu dem Laster aber gehören immer zwei. Auch wird Herr Menzel von seinem Aeußern aufs glänzendste unterstützt, wenn er das Laster fliehen will. Ich habe eine zu vorteilhafte Meinung von dem guten Geschmacke des Lasters, als daß ich glauben dürfte, es würde jemals einem Menzel nachlaufen. Der arme Goethe war nicht so glücklich begabt und es war ihm nicht vergönnt, immer tugendhaft zu bleiben. Die schwäbische Schule sollte ihrem nächsten Musenalmanach das Bildniß des Herrn Menzel voransetzen; es wäre sehr beiehrsam. Das Publikum würde gleich bemerken: er sieht gar nicht aus wie Goethe. Und mit noch größerer Verwunderung würde man bemerken: dieser Held des Deutschthums, dieser Vorkämpe des Germanismus, sieht gar nicht aus wie ein Deutscher, sondern wie ein Mongole . . . jeder Backenknochen ein Kalmuck! Dieses ist nun freylich verdrießlich für einen Mann, der beständig auf Nazionalität pocht, gegen alles Fremdländische unaufhörlich loszieht, und unter lauter Teutomanen lebt, die ihn nur als einen nützlichen Verbündeten, jedoch keineswegs als einen reinen Stammgenossen betrachten. Wir aber sind keine altdeutsche Ragenmäkler, wir betrachten die ganze Menschheit als eine große Familie, deren Mitglieder ihren Werth nicht durch Hautfarbe und Knochenbau, sondern durch die Triebe ihrer Seele, durch ihre Handlungen offenbaren. Ich würde gern, wenn es Herrn Menzel Vergnügen machte, ihm zugestehen, daß er ein makelloser Abkömmling Teuts, wo nicht gar ein legitimer Enkel Hermans und Thusneldens sey, wenn nur sein Inneres, sein Charakter, seine Handlungen eine solche Annahme rechtfertigen könnten; aber diese widersprechen seinem Germanenthume noch weit bedenklicher als sein Gesicht. Die erste Tugend der Germanen ist eine gewisse Treue, eine gewisse schwerfällige, aber rührend großmüthige Treue. Der Deutsche schlägt sich selbst für die schlechteste Sache, wenn er einmal Handgeld empfangen, oder auch nur im Rausche seinen Beystand versprochen; er schlägt sich alsdann mit seufzendem Herzen, aber er schlägt sich; wie auch die bessere Ueberzeugung in seiner Brust murre, er kann sich doch nicht entschließen die Fahne zu verlassen, und er verläßt sie am allerwenigsten, wenn seine Parthey in Gefahr oder vielleicht gar von feindlicher Uebermacht umzingelt i s t . . . Daß er alsdann zu den Gegnern überliefe, ist weder dem deutschen Charakter angemessen, noch dem Charakter irgend eines anderen Volkes . . ..Aber in diesem Falle noch gar als Denunziant zu agiren, das kann nur ein Schurke.
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Und auch eine gewisse Schaam liegt im Wesen der Germanen; gegen den Schwächeren oder Wehrlosen wird er nimmermehr das Schwert ziehen, und den Feind, der gebunden und geknebelt zu Boden liegt, wird er nicht antasten, bis derselbe seiner Bande entledigt und wieder auf freyen Füßen steht. Herr 5 Menzel aber schwang seinen Flammberg am liebsten gegen Weiber, er hat sie zu Dutzenden niedergesäbelt, die deutschen Schriftstellerinnen, arme Wesen, die, um Brod für ihre Kinder zu erwerben, zur Feder gegriffen und der rohen öffentlichen Verspottung nichts als heimliche Thränen entgegensetzen konnten! Er hat gewiß uns Männern einen wichtigen Dienst geleistet, indem er uns io von der Concurrenz der weiblichen Schriftsteller befreyte, er hat vielleicht auch der Literatur dadurch genützt, aber ich möchte in einem solchen Feldzuge meine Sporen nimmermehr erworben haben. Auch gegen Herrn Gutzkow, und wäre Gutzkow ein Vatermörder gewesen, hätte ich nicht meine Philippika donnern mögen, während er im Kerker lag oder gar vor Gericht stand. Und 15 ich bin weit davon entfernt, auf alle germanische Tugenden Anspruch zu machen, vielleicht am wenigsten auf eine gewisse Ehrlichkeit, die ebenfalls als ein besonderes Kennzeichen des Germanenthums zu betrachten ist. Ich habe manchem Thoren ins Gesicht gesagt er sey ein Weiser, aber ich that es aus Höflichkeit. Ich habe manchen Verständigen einen Esel gescholten, aber ich 20 that es aus Haß. Niemals habe ich mich der Zweideutigkeit beflissen, ängstlich die Ereignisse abwartend, in der Politik wie im Privatleben, und gar niemals lag meinen Worten ein erbärmlicher Eigennutz zum Grunde. Von der Menzelschen Politik in der Politik darf ich hier nicht reden, wegen der Politik. Uebrigens ist das öffentliche Leben des Herrn Menzel sattsam bekannt und 25 jeder weiß, daß sein Betragen als würtembergischer Deputirter eben so heuchlerisch wie lächerlich. Ueber sein Privatschelmenleben kann ich, schon wegen Mangel an Raum, ebenfalls nicht reden. Auch seiner literarischen Gaunerstreiche will ich hier nicht erwähnen; es wäre zu langweilig, wenn ich ausführlich zeigen müßte, wie Herr Menzel, der ehrliche Mann, von 30 den Autoren die er kritisirt, ganz andere Dinge zitirt, als in ihren Büchern stehn, wie er statt der Originalworte lauter sinnverfälschende Synonime liefert u. s. w. Nur die kleine, humoristische Anekdote, wie nemlich Herr Menzel dem alten Baron Cotta seine „deutsche Literatur" zum Verlag anbot, kann ich, des Spaßes wegen, nicht unerwähnt lassen. Das Manuskript dieses 35 Buches enthielt am Schlüsse die großartigsten Lobsprüche auf Cotta, die jedoch keineswegs denselben verleiteten, das geforderte Honorar dafür zu bewilligen. Es schmeichelte aber immerhin den seeligen Baron sich mahl recht tüchtig gelobt zu sehen, und als bald darauf das Buch bey Gebrüder Frankh herauskam, sprach er freudig zu seinem Sohne: Georg, lies das Buch,
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darin wird mein Verdienst anerkannt, darin werde ich mahl nach Gebühr gelobt! Georg aber fand, daß in dem Buche alle Lobsprüche ausgestrichen und im Gegentheil die derbsten Seitenhiebe auf seinen Vater eingeschaltet worden. Der Alte wr zum Küssen liebenswürdig, wenn er diese Anekdote erzählte. 5 Und noch eine Tugend giebt es bey den Germanen, die wir bey Herrn Menzel vermißen: die Tapferkeit. Herr Menzel ist feige. Ich sage dieses bey Leibe nicht, um ihn als Mensch herabzuwürdigen: man kann ein guter Bürger seyn, und doch den Tabacksrauch mehr lieben als den Pulverdampf und gegen bleyerne Kugeln eine grössere Abneigung empfinden als gegen schwäbische 10 Mehlklöse; denn letztere können zwar schwer im Magen lasten, sind aber lange nicht so unverdaulich. Auch ist Morden eine Sünde, und gar das Duell! wird es nicht aufs Bestimmteste verboten durch die Religion, durch die Moral und durch die Philosophie? Aber will man beständig mit deutscher Nazionalität bramarbasiren, will man für einen Helden des Deutschthums gelten, so 15 muß man tapfer seyn, so muß man sich schlagen sobald ein beleidigter Ehrenmann Genugthuung fordert, so muß man mit dem Leben einstehen für das Wort, das man gesprochen. Das tapferste Volk sind die Deutschen. Auch andere Völker schlagen sich gut, aber ihre Schlachtlust wird immer unterstützt durch allerley Nebengründe. Der Franzose schlägt sich gut wenn sehr 20 viele Zuschauer dabey sind, oder irgend eine seiner Lieblingsmarotten, z. B. Freiheit und Gleichheit, Ruhm und dgl. m. auf dem Spiele steht. Die Russen haben sich gegen die Franzosen sehr gut geschlagen, weil ihre Generäle ihnen versicherten, das diejenigen unter ihnen, welche auf deutschem oder französischem Boden fielen, unverzüglich hinten in Rußland wieder auferstünden; 25 und um nur geschwind wieder nach Hause zu kommen, nach Juchtenheim, stürzten sie sich muthig in die französischen Bajonette; es ist nicht wahr, daß damals bloß der Stock und der Branntewein sie begeistert habe. Die Deutschen aber sind tapfer ohne Nebengedanken, sie schlagen sich um sich zu schlagen, wie sie trinken um zu trinken. Der deutsche Soldat wird weder durch Eitelkeit, 30 noch durch Ruhmsucht, noch durch Unkenntniß der Gefahr, in die Schlacht getrieben, er stellt sich ruhig in Reih' und Glied und thut seine Pflicht; kalt, unerschrocken, zuverlässig. Ich spreche hier von der rohen Masse, nicht von der Elite der Nazion, die auf den Universitäten, jenen hohen Schulen der Ehre, wenn auch selten in der Wissenschaft, doch desto öfter in den Gefühlen der 35 Manneswürde die feinste Ausbildung erlangt hat. Ich habe fast sieben Jahre, studirenshalber, auf deutschen Universitäten zugebracht, und deutsche Schlaglust wurde für mich ein so gewöhnliches Schauspiel, daß ich an Feigheit kaum mehr glaubte. Diese Schlaglust fand ich besonders bey meinen speziellen
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Landsleuten, den Westfalen, die, von Herzen die gutmüthigsten Kinder, aber bey vorfallenden Mißverständnissen den langen Wortwechsel nicht liebend, gewöhnlich geneigt sind den Streit auf einem natürlichen, so zu sagen freundschaftlichen Wege, nemlich durch die Entscheidung des Schwerdtes, schleunigst 5 zu beendigen. Deßhalb haben die Westfalen auf den Universitäten immer die meisten Duelle. Herr Menzel aber ist kein Westfale, ist kein Deutscher, Herr Menzel ist eine Memme. Als er mit den frechsten Worten die bürgerliche Ehre des Herrn Gutzkow angetastet, die persönlichsten Verläumdungen gegen denselben losgegeifert, und der Beleidigte, nach Sitte und Brauch deutscher xo Jugend, die geziemende Genugthuung forderte: da griff der germanische Held zu der kläglichen Ausflucht, daß dem Herrn Gutzkow ja die Feder zu Gebote stünde, daß er ja ebenfalls gegen ihn drucken lassen könne was ihm beliebe, daß er ihm nicht im stillen Wald mit materiellen Waffen, sondern öffentlich, auf dem Streitplatze der Journalistik, mit geistigen Waffen, die 15 geforderte Genugthuung geben werde . . . Und der germanische Held zog es vor, in seinem Klatschblatte, wie ein altes Weib zu keifen, statt auf der Wahlstätte der Ehre wie ein Mann sich zu schlagen. Es ist betrübsam, es ist jammervoll, aber dennoch wahr, Herr Menzel ist feige. Ich sage es mit Wehmuth, aber es ist für höhere Interessen nothwendig, 20 daß ich es öffentlich ausspreche: Herr Menzel ist feige. Ich bin davon überzeugt. Will Herr Menzel mich vom Gegentheile überzeugen, so will ich ihm gerne auf halbem Wege entgegenkommen. Oder wird er auch mir anbieten, mittelst der Druckerpresse, durch Journale und Broschüren, mich gegen die Insinuazionen zu vertheidigen, die er seiner ersten Denunziazion zum Grunde 25 gelegt, die er seitdem noch fortgesetzt und die er jetzt gewiß noch verdoppeln wird? Diese Ausflucht konnte damals gegen Herrn Gutzkow angewendet werden; denn damals war das bekannte Dekret des Bundestags noch nicht erschienen und Herr Gutzkow ward auch seitdem von der Schwere desselben nicht so sehr niedergehalten wie ich. Auch waren in der Polemik desselben, da 30 er Privatverläumdungen, Angriffe auf die Person, abzuwehren hatte, die Persönlichkeiten vorherrschend. Ich aber hätte mehr die Verläumdung meines Geistes, meiner Gefühl- und Denkweise zu besprechen, und ich könnte mich nicht vertheidigen, ohne meine Ansichten von Religion und Moral unumwunden darzustellen; nur durch positive Bekenntnisse kann ich mich von den 35 angeschuldigten Negazionen, Atheismus und Immoraütät, vollständigst reinigen. Und Ihr wißt, wie beschränkt das Feld ist, das jetzt meine Feder beackern darf. Wie gesagt, Herr Menzel hat mich nicht persönlich angegriffen und ich habe wahrlich gegen ihn keinen persönlichen Groll. Wir waren sogar ehemals
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gute Freunde und er hat mich oft genug wissen lassen, wie sehr er mich liebe. Er hat mir nie vorgeworfen, daß ich ein schlechter Dichter sey und auch ich habe ihn gelobt. Ich hatte meine Freude an ihm, und ich lobte ihn in einem Journale welches dieses Lob nicht lange überlebte. Ich war damals ein kleiner Junge und mein größter Spaß bestand darin, daß ich Flöhe unter ein Mikroskop setzte und die Größe derselben den Leuten demonstrirte. Herr Menzel hingegen setzte damals den Goethe unter ein Verkleinerungsglas und das machte mir ebenfalls ein kindisches Vergnügen. Die Späße des Herrn Menzel mißfielen mir nicht; er war damals witzig, und ohne just einen Hauptgedanken zu haben, eine Synthese, konnte er seine Einfälle sehr pfiffig kombiniren und gruppiren, daß es manchmal aussah, als habe er keine losen Streckverse, sondern ein Buch geschrieben. Er hatte auch einige wirkliche Verdienste um die deutsche Literatur; er stand vom Morgen bis Abend im Kothe, mit dem Besen in der Hand, und fegte den Unrath, der sich in der deutschen Literatur angesammelt hatte. Durch dieses unreinliche Tagwerk aber ist er selber so schmierig und anrüchig geworden, daß man am Ende seine Nähe nicht mehr ertragen konnte; wie man den Latrinenfeger zur Thüre hinausweist, wenn sein Geschäft vollbracht, so wird Herr Menzel jetzt selber zur Literatur hinausgewiesen. Zum Unglück für ihn hat das mistduftige Geschäft so völlig seine Zeit verschlungen, daß er unterdessen gar nichts Neues gelernt hat. Was soll er jetzt beginnen? Sein früheres Wissen war kaum hinreichend für den literarischen Hausbedarf; seine Unwissenheit war immer eine Zielscheibe der Mockerie für seine näheren Bekannten; nur seine Frau hatte eine große Meinung von seiner Gelehrsamkeit. Auch imponirte er ihr nicht wenig! Der Mangel an Kenntnissen und das Bedürfniß diesen Mangel zu verbergen, hat vielleicht die meisten Irthümer oder Schelmereyen des Herrn Menzel hervorgebracht. Hätte er Griechisch verstanden, so würde es ihm nie in den Sinn gekommen seyn, gegen Goethe aufzutreten. Zum Unglück war auch das Lateinische nicht seine Sache, und er mußte sich mehr ans Germanische halten, und täglich stieg seine Neigung für die Dichter des deutschen Mittelalters, für die edle Turnkunst und für Jacob Böhm, dessen deutscher Styl sehr schwer zu verstehen ist, und den er auch in wissenschaftlicher Form herausgeben wollte. Ich sage dieses nur, um die Keime und Ursprünge seiner Teutomanie nachzuweisen, nicht um ihn zu kränken; wie ich denn überhaupt, was ich wiederholen muß, nicht aus Groll oder Böswilligkeit ihn bespreche. Sind meine Worte hart, so ist es nicht meine Schuld. Es gilt dem Publikum zu zeigen, welche Bewandniß es hat mit jenem bramarbasirenden Helden der Nazionalität, jenem Wächter des Deutschthums, der beständig auf die Franzosen
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schimpft und uns arme Schriftsteller des jungen Deutschlands für lauter Franzosen und Juden erklärt hat. Für Juden, das hätte nichts zu bedeuten; wir suchen nicht die Allianz des gemeinen Pöbels und der Höhergebildete weiß wohl, daß Leute, die man als Gegner des Deismus anklagte, keine Sympathie 5 für die Synagoge hegen konnten; man wendet sich nicht an die überwelken Reitze der Mutter, wenn einem die alternde Tochter nicht mehr behagt. Daß man uns aber als die Feinde Deutschlands, die das Vaterland an Frankreich verriethen, darstellen wollte, das war wieder ein eben so feiges wie hinterlistiges Bubenstück. io Es sind vielleicht einige ehrliche Franzosenhasser unter dieser Meute, die uns ob unserer Sympathie für Frankreich so erbärmlich verkennen und so aberwitzig anklagen. Andere sind alte Rüden, die noch immer bellen wie Anno 1813 und deren Gekläffe eben von unserem Fortschritte zeugt. „Der Hund bellt, die Caravane marschirt," sagt der Beduine. Sie bellen weniger aus 15 Bosheit denn aus Gewohnheit, wie der alte räudige Hofhund, der ebenfalls jeden Fremden wüthend anbelfert, gleichviel ob dieser Böses oder Gutes im Sinne führt. Die arme Bestie benutzt vielleicht diese Gelegenheit, um an ihrer Kette zu zerren und damit bedrohlich zu klirren, ohne daß es ihr der Hausherr übel nehmen darf. Die meisten aber unter jenen Franzosenhassern 20 sind Schelme, die sich diesen Haß absichtlich angelogen, ungetreue, schamlose, unehrliche, feige Schelme, die, entblößt von allen Tugenden des deutschen Volkes, sich mit den Fehlern desselben bekleiden, um sich den Anschein des Patriotismus zu geben, und in diesem Gewände die wahren Freunde des Vaterlandes gefahrlos schmähen zu dürfen. Es ist ein doppelt falsches Spiel. 25 Die Erinnerungen der napoleonischen Kaiserzeit sind noch nicht ganz erloschen in unserer Heimath, man hat es dort noch nicht ganz vergessen, wie derb unsere Männer und wie zärtlich unsere Weiber von den Franzosen behandelt worden, und bey der großen Menge ist der Franzosenhaß noch immer gleichbedeutend mit Vaterlandsliebe: durch ein geschicktes Ausbeuten 30 dieses Hasses hat man also wenigstens den Pöbel auf seiner Seite, wenn man gegen junge Schriftsteller zu Felde zieht, die eine Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland zu vermitteln suchen. Freylich, dieser Haß war einst staatsnützlich, als es galt, die Fremdherrschaft zurückzudrängen; jetzt aber ist die Gefahr nicht im Westen, Frankreich bedroht nicht mehr unsere 35 Selbstständigkeit, die Franzosen von heute sind nicht mehr die Franzosen von gestern, sogar ihr Charakter ist verändert, an die Stelle der leichtsinnigen Eroberungslust trat ein schwermüthiger, beynah deutscher Ernst, sie verbrüdern sich mit uns im Reiche des Geistes, während im Reiche der Materie ihre Interessen mit den unsrigen sich täglich inniger verzweigen: Frankreich
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ist jetzt unser natürlicher Bundesgenosse. Wer dieses nicht einsieht, ist ein Dummkopf, wer dieses einsieht und dagegen handelt, ist ein Verräther. Aber was hatte ein Herr Menzel zu verlieren bey dem Untergange Deutschlands? Ein geliebtes Vaterland? Wo ein Stock ist, da ist des Sklaven Vaterland. Seinen unsterblichen Ruhm? Dieser erlischt in derselben Stunde, wo der 5 Contract abläuft, der ihm die Redakzion des stuttgardter Literaturblattes zusichert. Ja, will der Baron Cotta eine kleine Geldsumme als stipulirte Entschädigung springen lassen, so hat die Menzelsche Unsterblichkeit schon heute ein Ende. Oder hätte er etwas für seine Person zu fürchten? Lieber Himmel! wenn die mongolischen Horden nach Stuttgardt kommen, läßt Herr Menzel 10 sich aus der Theatergarderobe ein Amorcostum holen, bewaffnet sich mit Pfeil und Bogen, und die Baschkiren, sobald sie nur sein Gesicht sehen, rufen freudig: das ist unser geliebter Bruder! Ich habe gesagt, daß bey unseren Teutomanen der affischirte Franzosenhaß ein doppelt falsches Spiel ist. Sie bezwecken dadurch zunächst eine Popularität, 15 die sehr wohlfeil zu erwerben ist, da man dabey weder Verlust des Amtes noch der Freiheit zu befürchten hat. Das Losdonnern gegen heimische Gewalten ist schon weit bedenklicher. Aber um für Volkstribunen zu gelten, müssen unsere Teutomanen manchmal ein freyheitliches Wort gegen die deutschen Regierungen riskiren, und in der frechen Zagheit ihres Herzens bilden sie sich 20 ein, die Regierungen würden ihnen gern gelegentlich ein bischen Demagogismus verzeihen, wenn sie dafür desto unablässiger den Franzosenhaß predigten. Sie ahnen nicht, daß unsere Fürsten jetzt Frankreich nicht mehr fürchten, des Nazionalhasses nicht mehr als Vertheidigungsmittel bedürfen, und den König der Franzosen als die sicherste Stütze des monarchischen Princips be- 25 trachten. Wer je seine Tage im Exil verbracht hat, die feuchtkalten Tage und schwarzen langen Nächte, wer die harten Treppen der Fremde jemals auf- und abgestiegen, der wird begreifen weßhalb ich die Verdächtigung in Betreff des Patriotismus mit wortreicherem Unwillen von mir abweise als alle andern Ver- 30 läumdungen, die seit vielen Jahren in so reichlicher Fülle gegen mich zum Vorschein gekommen und die ich mit Geduld und Stolz ertrage. Ich sage mit Stolz: denn ich konnte dadurch auf den hochmüthigen Gedanken gerathen, daß ich zu der Schaar jener Auserwählten des Ruhmes gehörte, deren Andenken im Menschengeschlechte fortlebt, und die überall neben den geheilig- 35 ten Lichtspuren ihrer Fußstapfen, auch die langen, kothigen Schatten der Verläumdung auf Erden zurücklassen. Auch gegen die Beschuldigung des Atheismus und der Immoralität möchte ich, nicht mich, sondern meine Schriften vertheidigen. Aber dieses ist nicht
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ausführbar, ohne daß es mir gestattet wäre, von der Höhe einer Synthese meine Ansichten über Religion und Moral zu entwickeln. Hoffentlich wird mir dieses, wie ich bereits erwähnt habe, bald gestattet seyn. Bis dahin erlaube ich mir nur eine Bemerkung zu meinen Gunsten. Die zwei Bücher, die eigent5 lieh als Corpora Delicti wider mich zeugen sollten, und worin man die strafbaren Tendenzen finden will, deren man mich bezüchtigt, sind nicht gedruckt, wie ich sie geschrieben habe, und sind von fremder Hand so verstümmelt worden, daß ich zu einer andern Zeit, wo keine Mißdeutung zu befürchten gewesen wäre, ihre Autorschaft abgelehnt hätte. Ich spreche nämlich vom 10 zweiten Theile des „Salon" und von der „romantischen Schule." Durch die großen, unzähligen Ausscheidungen, die darin stattfanden, ist die ursprüngliche Tendenz beider Bücher ganz verloren gegangen, und eine ganz verschiedene Tendenz ließ sich später hineinlegen. Worin jene ursprüngliche Tendenz bestand, sage ich nicht; aber so viel darf ich behaupten, daß es keine 15 unpatriotische war. Namentlich im zweiten Theile des Salon enthielten die ausgeschiedenen Stellen eine glänzendere Anerkennung deutscher Volksgröße, als jemals der forcirte Patriotismus unserer Teutomanen zu Markte gebracht hat; in der französischen Ausgabe, im Buche „De l'Allemagne" findet jeder die Bestätigung des Gesagten. Die französische Ausgabe der inkulpirten Bücher 20 wird auch jeden überzeugen, daß die Tendenzen derselben nicht im Gebiete der Religion und der Moral lagen. Ja, manche Zungen beschuldigen mich der Indifferenz in Betreff aller Religion- und Moralsysteme, und glauben, daß mir jede Doctrin willkommen sey, wenn sie sich nur geeignet zeige, das Völkerglück Europas zu befördern, oder wenigstens bey der Erkämpfung desselben 25 als Waffe zu dienen. Man thut mir aber Unrecht. Ich würde nie mit der Lüge für die Wahrheit kämpfen. Was ist Wahrheit? Holt mir das Waschbecken, würde Pontius Pilatus sagen. Ich habe diese Vorblätter in einer sonderbaren Stimmung geschrieben. Ich dachte während dem Schreiben mehr an Deutschland, als an das deutsche 30 Publicum, meine Gedanken schwebten um liebere Gegenstände als die sind, womit sich meine Feder so eben beschäftigte . . . ja, ich verlor am Ende ganz und gar die Schreiblust, trat ans Fenster, und betrachtete die weißen Wolken, die eben, wie ein Leichenzug, am nächtlichen Himmel dahinziehen. Eine dieser melancholischen Wolken scheint mir so bekannt, und reitzt mich unaufhörlich 35 zum Nachsinnen: wann und wo ich dergleichen Luftbildung schon früher einmal gesehen? Ich glaube endlich es war in Norddeutschland, vor sechs Jahren kurz nach der Juliusrevoluzion, an jenem schmerzlichen Abend wo ich auf immer Abschied nahm von dem treuesten Waffenbruder, von dem uneigennützigsten Freunde der Menschheit. Wohl kannte er das trübe Verhäng-
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niß, dem jeder von uns entgegenging. Als er mir zum letzten mahle die Hand drückte, hub er die Augen gen Himmel, betrachtete lange jene Wolke, deren kummervolles Ebenbild mich jetzt so trübe stimmt, und wehmüthigen Tones sprach er: „Nur die schlechten und die ordinairen Naturen finden ihren Gewinn bey einer Revoluzion. Schlimmsten Falles, wenn sie etwa mißglückt, 5 wissen sie doch immer noch zeitig den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Aber möge die Revoluzion gelingen oder scheitern, Männer von großem Herzen werden immer ihre Opfer seyn." Denen, die da leiden im Vaterlande, meinen Gruß. Geschrieben zu P a r i s , den 24. Januar 1837.
10 H e i n r i c h Heine.
DER SCHWABENSPIEGEL.
VORBEMERKUNG. Die hier mitgetheilten Blätter wurden im Beginn des Frühlings, als Nachrede zum 2ten Theil des Buchs der Lieder, und mit der Bitte um schleunigsten 5 Abdruck, nach Deutschland gesendet. Ich dachte nun, das Buch sei dort längst erschienen, als mir vor ein paar Wochen mein Verleger meldete: in einem süddeutschen Staate, wo er das Manuscript zur Censur gegeben, habe man ihn während der ganzen Zeit mit dem Imprimatur hingehalten, und er schlüge mir vor, die Nachrede als besonderen Artikel in einer periodischen io Publikazion vorweg abdrucken zu lassen. Indem ich sie also in solcher Weise dem verehrungswürdigen Leser mittheile, glaube ich, daß er, ohne große Anstrengung seines Scharfsinns, errathen wird, warum ich seit zwei und ein halb Jahren so vielen Schlichen und Ränken begegne, wenn ich jene Denunziatoren besprechen will, die ihrerseits, ganz ohne alle Censur- und Redakzions15 beschränkung, den größten Theil der deutschen Pressen mißbrauchen dürfen. — P a r i s , im Spätherbst 1838.
Nach Brauch und Sitte deutscher Dichterschaft sollte ich meiner Gedichtsammlung, die den Titel „Buch der Lieder" führt und jüngst in erneutem Abdruck erschienen ist, auch die nachfolgenden Blätter einverleiben. Aber 20 es wollte mich bedünken, als klänge in dem Buch der Lieder ein Grundton, der durch Beimischung späterer Erzeugnisse seine schöne Reinheit einbüßen möchte. Diese späteren Produkzionen übergebe ich daher dem Publikum als besonderen Nachtrag, und indem ich bescheidentlich fühle, daß an dem Grundton dieser zweiten Sammlung wenig zu stören ist, füge ich ein drama25 tisches Gedicht hinzu, welches, in einer frühesten Periode entstanden, zu einer Reihe von Dichtungen gehört, die seitdem, durch betrübsames Mißgeschick, unwiederbringlich verloren gegangen sind. Dieses dramatische Gedicht
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(Ratcliff) kann vielleicht in der Sammlung meiner poetischen Werke eine Lakune füllen und Zeugniß geben von Gefühlen, die in jenen verlorenen Dichtungen flammten oder wenigstens knisterten. Etwas Aehnliches möchte ich in Beziehung auf „das Lied vom Tannhäuser" andeuten. Es gehört einer Periode meines Lebens, wovon ich ebenfalls wenige 5 schriftliche Urkunden dem Publikum mittheilen kann, oder vielmehr mittheilen darf. Der Einfall, dieses Buch mit einem Conterfey meines Antlitzes zu schmücken, ist nicht von mir ausgegangen. Das Portrait des Verfassers vor den Büchern erinnert mich unwillkührlich an Genua, wo vor dem Narrenhospital die Bild- 10 säule des Stifters aufgestellt ist. Es war mein Verleger, welcher auf die Idee gerathen ist, dem Nachtrag zum „Buch der Lieder," diesem gedruckten Narrenhause, worin meine verrückten Gedanken eingesperrt sind, mein Bildniß voranzukleben. Mein Freund Julius Campe ist ein Schalk, und wollte gewiß den lieben Kleinen von der schwäbischen Dichterschule, die sich gegen 15 mein Gesicht verschworen haben, einen Schabernack spielen. . . Wenn sie jetzt an meinen Liedern klauben und knuspern, und die Thränen zählen, die darin vorkommen, so können sie nicht umhin, manchmal meine Züge zu betrachten. Aber warum grollt Ihr mir so unversöhnbar, Ihr guten Leutchen? Warum zieht Ihr gegen mich los in weitschweifigen Artikeln, woran ich mich 20 zu Tode langweilen könnte? Was habt Ihr gegen mein Gesicht? Beiläufig will ich hier bemerken, daß das Portrait im Musenalmanach gar nicht getroffen ist. Das Bild, welches Ihr heute schaut, ist weit besser, besonders der Obertheil des Gesichtes; der untere Theil ist viel zu schmächtig. Ich bin nämlich seit einiger Zeit sehr dick und wohlbeleibt geworden, und ich fürchte, ich werde 25 bald wie ein Bürgermeister aussehn; — ach, die schwäbische Schule macht mir so viel Kummer! Ich sehe, wie der geneigte Leser mit verwunderten Augen um Erklärung bittet: was ich unter dem Namen „schwäbische Schule" eigentlich verstehe? Was ist das, die schwäbische Schule? Es ist noch nicht lange her, daß ich 30 selber an mehre reisende Schwaben diese Frage richtete, und um Auskunft bat. Sie wollten lange nicht mit der Sprache heraus und lächelten sehr sonderbar, etwa wie die Apotheker lächeln, wenn frühmorgens am ersten April eine leichtgläubige Magd zu ihnen in den Laden kömmt und für zwei Kreuzer Mückenhonig verlangt. In meiner Einfalt glaubte ich anfangs, unter dem 35 Namen schwäbische Schule verstünde man jenen blühenden Wald großer Männer, der dem Boden Schwabens entsprossen, jene Rieseneichen, die bis in den Mittelpunkt der Erde wurzeln und deren Wipfel hinaufragt bis an die Sterne . . . Und ich frug: nicht wahr, Schiller gehört dazu, der wilde Schöpfer,
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der die Räuber schuf? . . . Nein, lautete die Antwort, mit dem haben wir nichts zu schaffen, solche Räuberdichter gehören nicht zur schwäbischen Schule; bei uns geht's hübsch ordentlich zu, und der Schiller hat auch früh aus dem Land hinaus müssen. Gehört denn Schelling zur schwäbischen 5 Schule, Schelling, der irrende Weltweise, der König Arthus der Philosophie, welcher vergeblich das absolute Montsalvatsch aufsucht und verschmachten muß in der mystischen Wildniß? Wir verstehen das nicht, antwortete man mir, aber soviel können wir Ihnen versichern, der Schelling gehört nicht zur schwäbischen Schule. Gehört Hegel dazu, der Geistesweltumsegler, der un10 erschrocken vorgedrungen bis zum Nordpol des Gedankens, wo einem das Gehirn einfriert im abstrakten Eis ? . . . Den kennen wir gar nicht. Gehört denn David Strauß dazu, der David mit dem tödtlichen Schleuder? . . . Gott bewahre uns vor dem, den haben wir sogar exkommunizirt, und wollte der sich in die schwäbische Schule aufnehmen lassen, so bekäme er gewiß lauter 15 schwarze Kugeln. Aber um des Himmels willen — rief ich aus, nachdem ich fast alle große Namen Schwabens aufgezählt hatte, und bis auf alte Zeiten zurückgegangen war, bis auf Keppler, den großen Stern, der den ganzen Himmel verstanden, ja, bis auf die Hohenstaufen, die so herrlich auf Erden leuchteten, irdische Sonnen 20 im deutschen Kaisermantel — wer gehört denn eigentlich zur schwäbischen Schule? Wohlan, antwortete man mir, wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen: die Renommeen, die Sie eben aufgezählt, sind viel mehr europäisch als schwäbisch, sie sind gleichsam ausgewandert und haben sich dem Auslande aufgedrungen, 25 statt daß die Renommeen der schwäbischen Schule jenen Cosmopolitismus verachten und hübsch patriotisch und gemüthlich zu Hause bleiben bei den Gelbveiglein und Metzelsuppen des theuren Schwabenlandes. — Und nun kam ich endlich dahinter, von welcher bescheidenen Größe jene Berühmtheiten sind, die sich seitdem als schwäbische Schule aufgethan, in demselben 30 Gedankenkreise umherhüpfen, sich mit denselben Gefühlen schmücken und auch Pfeifenquäste von derselben Farbe tragen. Der bedeutendste von ihnen ist der evangelische Pastor Gustav Schwab. Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz. Er hat einige schöne Lieder gedichtet, auch 35 etwelche hübsche Balladen; freilich mit einem Schiller, mit einem großen Wallfisch, muß man ihn nicht vergleichen. Nach ihm kommt der Doktor Justinus Kerner, welcher Geister und vergiftete Blutwürste sieht, und einmal dem Publikum auf's ernsthafteste erzählt hat, daß ein paar Schuhe, ganz allein, ohne menschliche Hülfe, langsam durch das Zimmer gegangen sind, bis zum
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Bette der Seherin von Prevorst. Das fehlt noch, daß man seine Stiefel des Abends festbinden muß, damit sie einem nicht des Nachts trapp! trapp! vor's Bett kommen und mit lederner Gespensterstimme die Gedichte des Herrn Justinus Kerner vordeklamiren! Letztere sind nicht ganz und gar schlecht, der Mann ist überhaupt nicht ohne Verdienst, und von ihm möchte ich dasselbe sagen, was Napoleon von Murat gesagt hat, nämlich: „er ist ein großer Narr, aber der beste General der Cavallerie." Ich sehe schon, wie sämmtliche Insassen von Weinsberg über dieses Urtheil den Kopf schütteln und mit Befremden mir entgegnen: unser theurer Landsmann, Herr Justinus, ist freilich ein großer Narr, aber keineswegs der beste General der Cavallerie! Nun, wie Ihr wollt, ich will Euch gern einräumen, daß er kein vorzüglicher Cavalleriegeneral ist. Herr Carl Mayer, welcher auf Latein Carolus Magnus heißt, ist ein anderer Dichter der schwäbischen Schule und man versichert, daß er den Geist und den Charakter derselben am treuesten offenbare; er ist eine matte Fliege und besingt Maikäfer. Er soll sehr berühmt sein in der ganzen Umgegend von Waiblingen, vor dessen Thoren man ihm eine Statue setzen will, und zwar eine Statue von Holz und in Lebensgröße. Dieses hölzerne Ebenbild des Sängers soll alle Jahr mit Oelfarbe neu angestrichen werden, alle Jahr, im Frühling, wenn die Gelbveiglein düften und die Maikäfer summen. Auf dem Piedestal wird die Inschrift zu lesen sein: dieser Ort darf nicht verunreinigt werden! Ein ganz ausgezeichneter Dichter der schwäbischen Schule, versichert man mir, ist Herr *** — er sei erst kürzlich zum Bewußtsein, aber noch nicht zur Erscheinung gekommen; er habe nämlich seine Gedichte noch nicht drucken lassen. Man sagt mir, er besinge nicht bloß Maikäfer, sondern sogar Lerchen und Wachteln, was gewiß sehr löblich ist. Lerchen und Wachteln sind wahrhaftig werth, daß man sie besinge, nämlich wenn sie gebraten sind. Ueber den Charakter und respectiven Werth der ***schen Dichtungen kann ich, so lange sie noch nicht zur äußeren Erscheinung gekommen sind, gar kein Urtheil fällen, eben so wenig wie über die Meisterwerke so vieler anderen großen Unbekannten der schwäbischen Schule. Die schwäbische Schule hat wohl gefühlt, daß es ihrem Ansehen nicht schaden würde, wenn sie neben ihren großen Unbekannten, die uns nur vermittels eines Hydro-Gasmikroskops sichtbar werden, auch einige kleine Bekannte, einige Renommeen, die nicht blos in der umfriedeten Heimlichkeit schwäbischer Gauen, sondern auch im übrigen Deutschland einige Geltung erworben, zu den ihrigen zählen könnte. Sie schrieben daher an den König Ludwig von Baiern, den gekrönten Sänger, welcher aber absagen ließ. Uebrigens 18
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ließ er sie freundlich grüßen und schickte ihnen ein Prachtexemplar seiner Poesien mit Goldschnitt und Einband von rothem Maroquin-Papier. Hierauf wandten sich die Schwaben an den Hofrath Winkler, welcher unter dem Namen Theodor Hell seinen Dichterruhm verbreitet hat; dieser aber ant5 wortete, seine Stellung als Herausgeber der Abendzeitung erlaube ihm nicht, sich in die schwäbische Schule aufnehmen zu lassen, dazu komme, daß er selber eine sächsische Schule stiften wolle, wozu er bereits eine bedeutende Anzahl poetischer Landsleute engagirt habe. In ähnlicher Weise haben auch einige berühmte Oberlausitzer und Hinterpommern die Anträge der schwäio bischen Schule abgewiesen. In dieser Noth begingen die Schwaben einen wahren Schwabenstreich, sie nahmen nämlich zu Mitgliedern ihrer schwäbischen Schule einen Ungar und einen Kaschuben. Ersterer, der Ungar, nennt sich Nicolaus Lenau, und ist, seit der Juliusrevolution, durch seine liberalen Bestrebungen, auch durch den 15 anpreisenden Eifer meines Freundes Laube, zu einer Renommée gekommen, die er bis zu einem gewissen Grade verdient. Die Ungarn haben jedenfalls viel dadurch verloren, daß ihr Landsmann Lenau unter die Schwaben gegangen ist; indessen, so lange sie ihren Tokayer behalten, können sie sich über diesen Verlust trösten. 20 Die andere Acquisition der schwäbischen Schule ist minder brillant; sie besteht nämlich in der Person des gefeierten Wolfgang Menzel, welcher Unter den Kaschuben das Licht erblickt, an den Marken Polens und Deutschlands, an jener Grenze, wo der germanische Flegel den slavischen Flegel versteht, wie der alte Voß sagen würde, der alte Johann Heinrich Voß, der ungeschlachte 25 aber ehrliche sächsische Bauer, der, wie in seiner Gesichtsbildung so auch in seinem Gemüthe, die Merkmale des Deutschthums trug. Daß dieses bei Herrn Wolfgang Menzel nicht der Fall ist, daß er weder dem Aeußeren noch dem Inneren nach ein Deutscher ist, habe ich in der kleinen allerliebsten Schrift „Ueber den Denunzianten" gehörig bewiesen. Ich hätte, beiläufig gestanden, 30 diese kleine Schrift nicht herausgegeben, wenn mir die Abhandlungen über denselben Gegenstand, die großen Bomben von Ludwig Börne und David Strauß, vorher zu Gesicht gekommen wären. Aber dieser kleinen Schrift, welche die Vorrede zum dritten Theile des Salons bilden sollte, ward von dem Censor dieses Buches das Imprimatur verweigert — „aus Pietät gegen Wolf35 gang Menzel" — und das arme Ding, obgleich in politischer und religiöser Beziehung zahm genug abgefaßt, mußte während sieben Monaten von einem Censor zum andern wandern, bis es endlich nothdürftig unter die Haube kam. Wenn du, geneigter Leser, das Büchlein in der Buchhandlung von Hoffmann und Campe zu Hamburg selber holst, so wird dir dort mein Freund Julius
Der Schwabenspiegel Campe bereitwillig erzählen, wie schwer es war, den Denunzianten in die Presse zu bringen, wie das Ansehen desselben durch gewisse Autoritäten geschützt werden sollte, und wie endlich durch unableugbare Urkunden, durch ein Autograph des Denunzianten, das sich in den Händen von Theodor Mündt befindet, der Titel meiner Schrift auf's glänzendste gerechtfertigt wird. 5 Was der Gefeierte dagegen vorgebracht hat, ist Dir vielleicht bekannt, mein theurer Leser. Als ich ihm, Stück vor Stück, die Fetzen des falschen Patriotismus und der erlogenen Moral vom Leibe riß, — da erhub er wieder ein ungeheures Geschrei: die Religion sei in Gefahr, die Pfeiler der Kirche brächen zusammen, Heinrich Heine richte das Christenthum zu Grunde I Ich habe 10 herzlich lachen müssen, denn dieses Zetergeschrei erinnerte mich an einen andern armen Sünder, der auf dem Marktplatz zu Lübek mit Staupenschlag und Brandmark abgestraft wurde, und plötzlich, als das rothe Eisen seinen Rücken berührte, ein entsetzliches Mordio erhob und beständig schrie: „FeuerI Feuer! es brennt, es brennt, die Kirche steht in Flammen!" Die alten 15 Weiber erschraken auch diesmal über solchen Feuerlärm, vernünftige Leute aber lachten und sprachen: der arme Schelm! nur sein eigner Rücken ist entzündet, die Kirche steht sicher auf ihrem alten Platze, auch hat dort die Polizei, aus Furcht vor Brandstiftung, noch einige Spritzen aufgestellt, und aus frommer Vorsorge darf jetzt in der Nähe der Religion nicht einmal eine Zigarre 20 geraucht werden! Wahrlich, das Christenthum ward nie ängstlicher geschützt als eben jetzt. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, dem Gerüchte zu widersprechen, als habe Herr Wolfgang Menzel, auf Andrang seiner Collegen, sich endlich entschlossen, jene Großmuth zu benutzen, womit ich ihm gestattete, 25 sich wenigstens von dem Vorwurf der persönlichen Feigheit zu reinigen. Ehrlich gestanden, ich war immer darauf gefaßt, daß mir Ort und Zeit anberaumt würde, wo der Ritter der Vaterlandsliebe, des Glaubens und der Tugend sich bewähren wolle in all seiner Mannhaftigkeit. Aber leider bis auf diese Stunde wartete ich vergebens, und die Witzlinge in deutschen Blättern 30 moquirten sich obendrein über meine Leichtgläubigkeit. Spottvögel haben sich sogar den Spaß erlaubt, mir im Namen der unglücklichen Gattin des Denunzianten einen Brief zu schreiben, worin die arme Frau sich über die häuslichen Nöthen, die sie seit dem Erscheinen meiner kleinen Schrift zu erdulden habe, schmerzlich beklagt. Jetzt sei gar kein Auskommen mehr mit ihrem Manne, 35 der zu Hause zeigen wolle, daß er ein Held sei. Die geringste Anspielung auf Feigheit brächte ihn zur Wuth. Eines Abends habe er das kleine Kind geprügelt, weil es „Häschen an der Wand" spielte. Jüngst sei er wie rasend aus der Ständekammer gekommen und habe wie ein Ajax getobt, weil dort alle Blicke 18*
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auf ihn gerichtet gewesen, als die Gesetzfrage „ob man jemanden ungestraft dem öffentlichen Gelächter preisgeben dürfe?" diskutirt wurde. Ein andermal habe er bitterlich geweint, als einer von den undankbaren Juden, die er emanzipiren wolle, ihm ins Gesicht gemauschelt: Sie sind doch kein Patriot, Sie 5 thun nichts fürs Volk, Sie sind nicht der Aette sondern die Memme des Vaterlandes. Aber gar des Nachts beginne der rechte Jammer und dann seufze er und wimmere und stöhne, daß sich ein Stein drob erbarmen könnte. Das sei nicht länger zum Aushalten, schloß der angebliche Brief der armen Frau, sie wolle lieber sterben, als diesen Zustand länger ertragen, und um der Sache 10 ein Ende zu machen, sei sie erbötig, statt ihres furchtsamen Gemahls, sich selber mit mir zu schlagen. Gehorsame Dienerin. Als ich diesen Brief las, und in meiner Einfalt die offenbare Mystifikation nicht gleich merkte, rief ich mit Begeisterung: edles Weib! würdige Schwäbin! würdig deiner Mütter, die einst zu Weinsberg ihre Männer huckepak trugen! 15 Die Weiber im Schwabenlande scheinen überhaupt mehr Energie zu besitzen als ihre Männer, die nicht selten nur auf Geheiß ihrer Ehehälften zum Schwerte greifen. Weiß ich doch eine schöne Schwäbin, die mir seit Jahren wüthender als zwanzig Teufel den Krieg macht, und mich mit unversöhnlicher Feindschaft verfolgt. 20 Ein Naturforscher hat ganz richtig die Bemerkung gemacht, daß im Sommer, besonders in den Hundstagen, weit mehr gegen mich geschrieben wird, als im Winter. Daß es nicht die altpoetische Vornehmigkeit ist, welche mich davon abhält, dergleichen Angriffe zu besprechen, habe ich bereits an einem anderen Orte 25 erwähnt. Eines Theils liegt mir ein gewisser Knebel im Munde sobald ich mich gegen Anschuldigung von Immoralität, oder irreligiöser Frivolität oder gar politischer Inkonsequenz, durch Erörterung der letzten Gründe von all meinem Tichten und Trachten, vertheidigen wollte. Anderen Theils befinde ich mich meinen Widersachern gegenüber in derselben Lage, die Freund 30 Semilasso irgendwo in seiner afrikanischen Reisebeschreibung mit der richtigen Empfindung erwähnt. Er erzählt uns nämlich, daß als er in einem Beduinenlager übernachtete, rings um sein Zelt eine große Menge Hunde unaufhörlich bellten und heulten und winselten, was ihn aber am Schlafen gar nicht gehindert habe; „wär es nur ein einziger Kläffer gewesen," setzt er 35 hinzu „so hätte ich die ganze Nacht kein Auge zuthun können." Das ist es: weil der Kläffer so viele sind, und weil der Mops den Spitz, dieser wieder den gemüthlichen Dachs, letzterer das edle Windspiel oder die fromme Dogge überbellt, und die schnöden Laute der verschiedenen Bestien im Gesammtgeheul verloren gehen, kann mir ein ganzer Hundelärm wenig anhaben.
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Nein, Herr Gustav Pfizer eben so wenig wie die anderen hat mir jemals den Schlaf gekostet, und man darf es mir aufs Wort glauben, daß bei Erwähnung dieses Dichterlings auch nicht die mindeste Bitterkeit in meiner Seele waltet. Aber ich kann ihn, der Vollständigkeit wegen, nicht unerwähnt lassen; die schwäbische Schule zählt ihn nämlich zu den ihrigen, was mir sonderbar genug dünkt, da er, im Gegensatze zu dieser Genossenschaft, mehr als reflektirende Fledermaus, denn als gemüthlicher Maykäfer umherflattert, und vielmehr nach der schillerschen Todtengruft als nach Gelbveiglein riecht. Mir wurden mahl seine Gedichte aus Stuttgart zugeschickt, und die freundlichen Begleitungszeilen veranlaßten mich einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen; ich fand sie herzlich schlecht. Dasselbe kann ich auch von seiner Prosa sagen; sie ist herzlich schlecht. Ich gestehe freilich, daß ich nichts anderes von ihm gelesen habe, als eine Abhandlung, die er gegen mich geschrieben. Sie ist geistlos und unbeholfen und miserabel styüsirt; letzteres ist um so unverzeihlicher, da die ganze Schule die Materialien dazu kotisirt. Das Beste in der ganzen Abhandlung, ist der wohlbekannte Kniff, womit man verstümmelte Sätze aus den heterogensten Schriften eines Autors zusammenstellt um demselben jede beliebige Gesinnung oder Gesinnungslosigkeit aufzubürden. Freilich der Kniff ist nicht neu, doch bleibt er immer probat, da von Seiten des angefochtenen Autors keine Widerlegung möglich ist, wenn er nicht etwa ganze Folianten schreiben wollte, um zu beweisen: daß der eine von den angeführten Sätzen humoristisch gemeint, der andere zwar ernst gemeint sei, aber sich auf einen Vordersatz beziehe, der ihm eben seine richtige Bedeutung verleiht; daß ferner die aneinander gereihten Sätze, nicht blos aus ihrem logischen, sondern auch aus ihrem chronologischen Zusammenhang gerissen worden, um einige scheinbare Widersprüche hervorzuklauben; daß aber eben diese Widersprüche von der höchsten Consequenz zeugen würden, wenn man Zeitfolge, Zeitumstände, Zeitbedingungen bedächte — achl wenn man bedächte, wie die Strategie eines Autors, der für die Sache der europäischen Freiheit kämpft, wunderlich verwickelt ist, wie seine Taktik allen möglichen Veränderungen unterworfen, wie er heute etwas als äußerst wichtig verfechten muß, was ihm morgen ganz gleichgültig sein kann, wie er heute diesen Punkt, morgen einen andern zu beschützen oder anzugreifen hat, je nachdem es die Stellung der Gegenparthei, die wechselnden Allianzen, die Siege oder die Niederlagen des Tages erfordern! Das einzige Neue und Eigenthümliche, was ich in der oben erwähnten Abhandlung des Herrn Gustav Pfizer gefunden habe, war hie und da nicht bloß eine listige Verkehrung des Wortsinnes meiner Schriften, sondern sogar die Fälschung meiner Worte selbst — dieses ist neu, ist eigentümlich, wenig-
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stens bis jetzt hat man in Deutschland noch nicht einen Autor mit verfälschten Worten citirt. Doch Herr Gustav Pfizer scheint noch ein junger Anfänger zu sein, es juckt ihm zwar die Begabniß des Fälschens in den Fingern, doch merkt man an ihm noch eine gewisse Befangenheit in der Ausübung, und wenn 5 er z. B. „Hostien" citirt statt der gewöhnlichen „Oblaten" des Originaltextes oder mehrmals „göttlich" citirt statt des ursprünglichen „vortrefflich" — so weiß er doch noch nicht recht welchen Gebrauch er von solcher Fälschung machen kann. Er ist ein junger Anfänger. Aber sein Talent ist unläugbar, er hat es hinlänglich offenbart, die geziemendste Anerkennung darf ihm nicht io verweigert werden, er verdient, daß ihm Wolfgang Menzel, mit der tapferen Hand, seinen schäbigsten Lorbeerkranz aufs Haupt drückt. Indessen, ehrlich gestanden, ich rathe ihm sein Talent nicht bedeutender auszubilden. Es könnte ihn einst das Gelüste anwandeln jenes edle Talent auch auf außerliterärische Gegenstände anzuwenden. Es giebt Länder wo 15 dergleichen mit einem Halsband von Hanf belohnt wird. Ich sah zu Old-Baily in London Jemanden hängen, der ein falsches Citat unter einen Wechsel geschrieben hatte — und der arme Schelm mochte es wohl aus Hunger gethan haben, nicht aus Büberei oder aus eitel Neid oder gar um eine kleine Lobspende im Stuttgarter Litteraturblatt, ein literarisches Trinkgeld, zu verdienen. Ich 20 hatte deßhalb Mitleid mit dem armen Schelm, bei dessen Exekution sehr viele Zögerungen vorfielen. Es ist ein Irrthum, wenn man glaubt, daß das Hängen in England so schnell von Statten gehe. Die Zubereitungen dauerten fast eine Viertelstunde. Ich ärgere mich noch heute, wenn ich daran denke mit welcher Langsamkeit dem armen Menschen die Schlinge um den Hals gelegt und die 25 weiße Nachtmütze über die Augen gezogen wurde. Neben ihm standen seine Freunde, vielleicht die Genossen der Schule, wozu er gehörte, und harrten des Augenblicks, wo sie ihm den Liebesdienst erweisen konnten; dieser Liebesdienst besteht darin, daß sie den gehenkten Freund, um seine zuckende Todesqual abzukürzen, so stark als möglich an den Beinen ziehen. 30 Ich habe von Herrn Gustav Pfizer geredet, weil ich ihn, bei Besprechung der schwäbischen Schule, nicht füglich übergehen konnte. So viel darf ich versichern, daß ich in der Heiterkeit meines Herzens, nicht den mindesten Unmuth wider Herrn Pfizer empfinde. Im Gegentheil, sollte ich je im Stande sein ihm einen Liebesdienst zu erweisen, so werde ich ihn gewiß nicht lange 35 zappeln lassen. Und nun laßt uns ernsthaft reden, lieber Leser; was ich dir jetzt noch zu sagen habe, verträgt sich nicht mit dem scherzenden Tone, mit der leichtsinnig guten Laune, die mich beseelte, während ich diese Blätter schrieb. Es liegt mir drückend etwas im Sinne, was ich nicht mit ganz freier Zunge zu erörtern
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vermag, und worüber dennoch das unzweideutigste Geständniß nöthig wäre. Ich hege nämlich eine wahre Scheu, bei Gelegenheit — der schwäbischen Schule, auch von Ludwig Uhland zu sprechen, von dem großen Dichter, den ich schier zu beleidigen fürchte, wenn ich seiner in so kläglicher Gesellschaft gedenke. Und dennoch, da die erwähnten Dichterlinge den Ludwig Uhland zu den ihrigen zählen oder gar für ein Haupt ihrer Genossen ausgeben, so könnte man hier jedes Verschweigen seines Namens als eine Unredlichkeit betrachten. Weit entfernt an seinem Werthe zu mäkeln, möchte ich vielmehr die Verehrung, die ich seinen Dichtungen zolle, mit den volltönendsten Worten an den Tag geben. Es wird sich mir bald dazu eine passendere Gelegenheit bieten. Ich werde alsdann zur Genüge zeigen, daß sich in meiner früheren Beurtheilung des treflichen Sängers zwar einige grämliche Töne, einige zeitliche Verstimmungen einschleichen konnten, daß ich aber nie die Absicht hegte, an seinem inneren Werthe, an seinem Talente selbst, eine Ungerechtigkeit zu begehen. Nur über die literarhistorischen Beziehungen, über die äußeren Verhältnisse seiner Muse, habe ich unumwunden eine Ansicht, die vielleicht seinen Freunden mißfällig, aber darum dennoch nicht minder wahr ist, aussprechen müssen. Als ich nämlich Ludwig Uhland im Zusammenhang mit der „Romantischen Schule" in dem Buche welches eben diesen Namen führt, flüchtig beurtheilte, habe ich deutlich genug nachgewiesen: daß der vortreffliche Sänger nicht eine neue, eigenthümliche Sangesart aufgebracht hat, sondern nur die Töne der romantischen Schule gelehrig nachsprach; daß seitdem die Lieder seiner Schulgenossen verschollen sind, Uhlands Gedichtesammlung als das einzig überlebende lyrische Denkmal jener Töne der romantischen Schule zu betrachten ist; daß aber der Dichter selbst, eben so gut wie die ganze Schule, längst todt ist. Eben so gut wie Schlegel, Tieck, wie Fouque, ist auch Uhland längst verstorben, und hat vor jenen edlen Leichen nur das größere Verdienst, daß er seinen Tod wohl begriffen und seit zwanzig Jahren nichts mehr geschrieben hat. Es ist wahrlich ein eben so widerwärtiges wie lächerliches Schauspiel, wenn jetzt meine schwäbischen Dichterlinge den Uhland zu den ihrigen zählen, wenn sie den großen Todten aus seinem Grabmal hervorholen, ihm ein Fallhütchen aufs Haupt stülpen und ihn in ihr niedriges Schulstübchen hereinzerren, — oder wenn sie gar den erblichenen Helden, wohlgeharnischt, aufs hohe Pferd packen, wie einst die Spanier ihren Cid, und solchermaßen gegen die Ungläubigen, gegen die Verächter der schwäbischen Schule, losrennen lassen! Das fehlt mir noch, daß ich auch im Gebiete der Kunst mit Todten zu kämpfen hätte I Leider muß ich es oft genug in anderen Gebieten, und ich versichere euch, bei allen Schmerzen meiner Seele! solcher Kampf ist der
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fatalste und verdrießlichste. Da ist keine glühende Ungeduld, die da hetzt Hieb auf Hieb, bis die Kämpfer wie trunken hinsinken und verbluten. Ach, die Todten ermüden uns mehr als sie uns verwunden und der Streit verwandelt sich am Ende in eine fechtende Langeweile. Kennst du die Geschichte von dem 5 jungen Ritter, der in den Zauberwald zog? Sein Haar war goldig, auf seinem Helm wehten die kecken Federn, unter dem Gitter des Visirs glühten die rothen Wangen, und unter dem blanken Harnisch pochte der frischeste Muth. In dem Walde aber flisterten die Winde sehr sonderbar. Gar unheimlich schüttelten sich die Bäume, die manchmal häßlich verwachsen, an menschliche io Mißbildungen erinnerten. Aus dem Laubwerk guckte hie und da ein gespenstisch weißer Vogel, der fast verhöhnend kicherte und lachte. Allerlei Fabeigethier huschte schattenhaft durch die Büsche. Mitunter freilich zwitscherte auch mancher harmlose Zeisig und nickte aus den breitblättrigen Schlingpflanzen manch stille schöne Blume. Der junge Fant aber, immer weiter vordringend, 15 rief endlich mitUebertrotz: wann erscheint denn der Kämpe, der mich besiegen kann? Da kam, nicht eben rüstig, aber doch nicht allzuschlotterig, herangezogen ein langer, magerer Ritter mit geschlossenem Visir, und stellte sich zum Kampfe. Sein Helmbusch war geknickt, sein Harnisch war eher verwittert als schlecht, sein Schwert war schartig, aber vom besten Stahl, und sein 20 Arm war stark. Ich weiß nicht, wie lange die beiden miteinander fochten, doch es mag wohl geraume Zeit gedauert haben, denn die Blätter fielen unterdessen von den Bäumen, und diese standen lange kahl und frierend, und dann knospeten sie wieder aufs neue und grünten im Sonnenschein, und so wechselten die Jahrzeiten — ohne, daß sie es merkten, die beiden Kämpfer, die beständig 25 auf einander loshieben, anfangs unbarmherzig wild, später minder heftig, dann sogar etwas phlegmatisch, bis sie endlich ganz und gar die Schwerter sinken ließen, und erschöpft ihre Helmgitter aufschlössen — das gewährte einen betrübenden Anblick! Der eine Ritter, der herausgeforderte Kämpe, war ein Todter, und aus dem geöffneten Visir grinste ein fleischloser Schädel. 30 Der andere Ritter, der als junger Fant in den Wald gezogen, trug jetzt ein verfallen fahles Greisenantlitz und sein Haar war schneeweis. — Von den hohen Bäumen herab, wie verhöhnend, kicherte und lachte das gespenstisch weiße Gevögel. Geschrieben zu Paris im Wonnemond 1838.
HEINRICH H E I N E ÜBER LUDWIG BÖRNE.*
ERSTES BUCH. Es war im Jahr 1815, nach Christi Geburt, daß mir der Name Börne zuerst an's Ohr klang. Ich befand mich mit meinem seligen Vater auf der Frankfurter Messe, wohin er mich mitgenommen, damit ich mich in der Welt einmal umsehe; das sei bildend. Da bot sich mir ein großes Schauspiel. In den sogenannten Hütten, oberhalb der Zeil, sah ich die Wachsfiguren, wilde Thiere, außerordentliche Kunst- und Naturwerke. Auch zeigte mir mein Vater die großen, sowohl christlichen als jüdischen Magazine, worin man die Waaren 10 Procent unter den Fabrikpreis einkauft, und man doch immer betrogen wird. Auch das Rathhaus, den Römer, ließ er mich sehen, w o die deutschen Kaiser gekauft wurden, 10 Procent unter den Fabrikpreis. Der Artikel ist am Ende ganz ausgegangen. Einst führte mich mein Vater ins Lesekabinet einer der A oder J[ Logen, w o er oft soupirte, Kaffee trank, Karten spielte und sonstige Freimaurer-Arbeiten verrichtete. Während ich im Zeitungslesen vertieft lag, flüsterte mir ein junger Mensch, der neben mir saß, leise ins Ohr: „Das ist der Doctor Börne, welcher gegen die Commödianten schreibt!" Als ich aufblickte, sah ich einen Mann, der, nach einem Journale suchend, mehrmals im Zimmer sich hin- und herbewegte und bald wieder zur Thür hinausging. So kurz auch sein Verweilen, so blieb mir doch das ganze Wesen des Mannes im Gedächtnisse, und noch heute könnte ich ihn mit diplomatischer Treue abkonterfeyen. Er trug einen schwarzen Leibrock, der noch ganz neu glänzte, und blendend weiße Wäsche; aber er trug dergleichen nicht wie ein Stutzer, sondern mit einer wohlhabenden Nachlässigkeit, w o nicht gar mit einer verdrießlichen Indifferenz, die hinlänglich bekundete, daß er sich mit dem Knoten der weißen Kravatte nicht lange vor dem Spiegel beschäftigt, und daß er den Rock gleich angezogen, sobald ihn der Schneider gebracht, ohne lange zu prüfen, ob er zu eng oder zu weit. * Von Campe gewählter Titel. Der von Heine geforderte Titel lautete:
Ludwig Börne. Eine Denkschrift von H. Heine.
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Heinrich Heine über Ludwig Börne
Er schien weder groß noch klein von Gestalt, weder mager noch dick, sein Gesicht war weder roth noch blaß, sondern von einer angerötheten Blässe oder verblaßten Rothe, und was sich darin zunächst aussprach, war eine gewisse ablehnende Vornehmheit, ein gewisses Dedain, wie man es bei Menschen 5 findet, die sich besser als ihre Stellung fühlen, aber an der Leute Anerkenntniß zweifeln. Es war nicht jene geheime Majestät, die man auf dem Antlitz eines Königs oder eines Genies, die sich incognito unter der Menge verborgen halten, entdecken kann; es war vielmehr jener revolutionäre, mehr oder minder titanenhafte Mißmuth, den man auf den Gesichtern der Prätendenten jeder Art 10 bemerkt. Sein Auftreten, seine Bewegung, sein Gang, hatten etwas Sicheres, Bestimmtes, Charaktervolles. Sind außerordentliche Menschen heimlich umflossen von dem Ausstrahlen ihres Geistes? Ahnet unser Gemüth dergleichen Glorie, die wir mit den Augen des Leibes nicht sehen können? Das moralische Gewitter in einem solchen außerordentlichen Menschen wirkt vielleicht elektrisch 15 auf junge noch nicht abgestumpfte Gemüther, die ihm nahen, wie das materielle Gewitter auf Katzen wirkt? Ein Funken aus dem Auge des Mannes berührte mich, ich weiß nicht wie, aber ich vergaß nicht diese Berührung und vergaß nie den Doctor Börne, welcher gegen die Commödianten schrieb. Ja, er war damals Theaterkritiker und übte sich an den Helden der Bretter20 weit. Wie mein Universitäts-Freund Dieffenbach, als wir in Bonn studirten, überall wo er einen Hund oder eine Katze erwischte, ihnen gleich die Schwänze abschnitt, aus purer Schneidelust, was wir ihm damals, als die armen Bestien gar entsetzlich heulten, so sehr verargten, später aber ihm gern verziehen, da ihn diese Schneidelust zu dem größten Operateur Deutschlands machte: so 25 hat sich auch Börne zuerst an Commödianten versucht, und manchen jugendlichen Uebermuth, den er damals beging an den Heigeln, Weidnern, Ursprüngen und dergleichen unschuldigen Thieren, die seitdem ohne Schwänze herumlaufen, muß man ihm zu Gute halten für die besseren Dienste, die er später als großer politischer Operateur mit seiner gewetzten Kritik zu leisten verstand. 30 Es war Varnhagen von Ense, welcher etwa zehn Jahre nach dem erwähnten Begegnisse den Namen Börne wieder in meiner Erinnerung heraufrief, und mir Aufsätze des Mannes, namentlich in der „Wage" und in den „Zeitschwingen" zu lesen gab. Der Ton, womit er mir diese Leetüre empfahl, war bedeutsam dringend, und das Lächeln, welches um die Lippen der anwesenden 35 Rahel schwebte, jenes wohlbekannte, räthselhaft wehmüthige, vernunftvoll mystische Lächeln, gab der Empfehlung ein noch größeres Gewicht. Rahel schien nicht bloß auf literarischem Wege über Börne unterrichtet zu seyn, und wie ich mich erinnere, versicherte sie bei dieser Gelegenheit: es existirten Briefe, die Börne einst an eine geliebte Person gerichtet habe, und worin sein
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leidenschaftlicher hoher Geist sich noch glänzender als in seinen gedruckten Aufsätzen ausspräche. Auch über seinen Styl äußerte sich Rahel, und zwar mit Worten, die jeder, der mit ihrer Sprache nicht vertraut ist, sehr mißverstehen möchte; sie sagte: Börne kann nicht schreiben, eben so wenig wie ich oder Jean Paul. Unter Schreiben verstand sie nämlich die ruhige Anordnung, so zu 5 sagen die Redakzion der Gedanken, die logische Zusammensetzung der Redetheile, kurz jene Kunst des Periodenbaues, den sie sowohl bei Goethe, wie bei ihrem Gemahl so enthusiastisch bewunderte, und worüber wir damals fast täglich die fruchtbarsten Debatten führten. Die heutige Prosa, was ich hier beiläufig bemerken will, ist nicht ohne viel Versuch, Berathung, Widerspruch 10 und Mühe geschaffen worden. Rahel liebte vielleicht Börne um so mehr, da sie ebenfalls zu jenen Autoren gehörte, die, wenn sie gut schreiben sollen, sich immer in einer leidenschaftlichen Anregung, in einem gewissen Geistesrausch befinden müssen: Bachanten des Gedankens, die dem Gotte mit heiliger Trunkenheit nachtaumeln. Aber bei ihrer Vorliebe für wahlverwandte 15 Naturen, hegte sie dennoch die größte Bewunderung für jene besonnenen Bildner des Wortes, die all' ihr Denken, Fühlen und Anschauen, abgelöst von der gebährenden Seele, wie einen gegebenen Stoff zu handhaben und gleichsam plastisch darzustellen wissen. Ungleich jener großen Frau, hegte Börne den engsten Widerwillen gegen dergleichen Darstellungsart; in seiner sub- 20 jektiven Befangenheit begriff er nicht die objektive Freyheit, die göthische Weise, und die künstlerische Form hielt er für Gemüthlosigkeit: er glich dem Kinde, welches, ohne den glühenden Sinn einer griechischen Statue zu ahnen, nur die marmornen Formen betastet und über Kälte klagt. Indem ich hier antizipirend von dem Widerwillen rede, welchen die göthische 25 Darstellungsart in Börne aufregte, lasse ich zugleich errathen, daß die Schreibart des letztern schon damals kein unbedingtes Wohlgefallen bei mir hervorrief. Es ist nicht meines Amtes, die Mängel dieser Schreibweise aufzudecken, auch würde jede Andeutung über das, was mir an diesem Style am meisten mißfiel, nur von den wenigsten verstanden werden. Nur so viel will ich 30 bemerken, daß, um vollendete Prosa zu schreiben, unter andern auch eine große Meisterschaft in metrischen Formen erforderlich ist. Ohne solche Meisterschaft fehlt dem Prosaiker ein gewisser Takt, es entschlüpfen ihm Wortfügungen, Ausdrücke, Cäsuren und Wendungen, die nur in gebundener Rede statthaft sind, und es entsteht ein geheimer Mißlaut, der nur wenige, 35 aber sehr feine Ohren verletzt. Wie sehr ich aber auch geneigt war, an der Außenschale, an dem Style Börne's zu mäkeln, und namentlich wo er nicht beschreibt, sondern räsonnirt, die kurzen Sätze seiner Prosa als eine kindische Unbeholfenheit zu betrachten:
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Heinrich Heine über Ludwig Börne
so ließ ich doch dem Inhalt, dem Kern seiner Schriften, die reichlichste Gerechtigkeit wiederfahren, ich verehrte die Originalität, die Wahrheitsliebe, überhaupt den edlen Charakter, der sich durchgängig darin aussprach, und seitdem verlor ich den Verfasser nicht mehr aus dem Gedächtniß. Man hatte 5 mir gesagt, daß er noch immer zu Frankfurt lebe, und als ich mehre Jahre später, Anno 1827, durch diese Stadt reisen mußte, um mich nach München zu begeben, hatte ich mir bestimmt vorgenommen, dem Doctor Börne in seiner Behausung meinen Besuch abzustatten. Dieses gelang mir, aber nicht ohne vieles Umherfragen und Fehlsuchen; überall wo ich mich nach ihm 10 erkundigte, sah man mich ganz befremdlich an, und man schien in seinem Wohnorte ihn entweder wenig zu kennen, oder sich noch weniger um ihn zu bekümmern. Sonderbar! Hören wir in der Ferne von einer Stadt, wo dieser oder jener große Mann lebt, unwillkührlich denken wir uns ihn als den Mittelpunkt der Stadt, deren Dächer sogar von seinem Ruhme bestrahlt würden. 15 Wie wundern wir uns nun, wenn wir in der Stadt selbst anlangen und den großen Mann wirklich darin aufsuchen wollen und ihn erst lange erfragen müssen, bis wir ihn unter der großen Menge herausfinden! So sieht der Reisende schon in weitester Ferne den hohen Dom einer Stadt; gelangt er aber in ihr Weichbild selbst, so verschwindet derselbe wieder seinen Blicken, 20 und erst hin- und herwandernd, durch viele krumme und enge Sträßchen kommt der große Thurmbau wieder zum Vorschein, in der Nähe von gewöhnlichen Häusern und Boutiken, die ihn schier verborgen halten. Als ich bei einem kleinen Brillenhändler nach Börne frug, antwortete er mir mit pfiffig wiegendem Köpfchen: wo der Doctor Börne wohnt, weiß ich 25 nicht, aber Madame Wohl wohnt auf dem Wollgraben. Eine alte rothhaarige Magd, die ich ebenfalls ansprach, gab mir endlich die erwünschte Auskunft, indem sie vergnügt lachend hinzusetzte: ich diene ja bei der Mutter von Madame Wohl. Ich hatte Mühe, den Mann wieder zu erkennen, dessen früheres Aussehen 30 mir noch lebhaft im Gedächtnisse schwebte. Keine Spur mehr von vornehmer Unzufriedenheit und stolzer Verdüsterung. Ich sah jetzt ein zufriedenes Männchen, sehr schmächtig, aber nicht krank, ein kleines Köpfchen mit schwarzen glatten Härchen, auf den Wangen sogar ein Stück Rothe, die lichtbraunen Augen sehr munter, Gemüthlichkeit in jedem Blick, in jeder Bewe35 gung, auch im Tone. Dabei trug er ein gestricktes Kamisölchen von grauer Wolle, welches eng anliegend wie ein Ringenpanzer, ihm ein drollig mährchenhaftes Ansehen gab. Er empfing mich mit Herzlichkeit und Liebe; es vergingen keine drei Minuten und wir geriethen ins vertraulichste Gespräch. Wovon wir zuerst redeten? Wenn Köchinnen zusammen kommen, sprechen
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sie von ihrer Herrschaft, und wenn deutsche Schriftsteller zusammen kommen, sprechen sie von ihren Verlegern. Unsere Conversation begann daher mit Cotta und Campe, und als ich, nach einigen gebräuchlichen Klagen, die guten Eigenschaften des letzteren eingestand, vertraute mir Börne, daß er mit einer Herausgabe seiner sämmtlichen Schriften schwanger gehe, und für dieses 5 Unternehmen sich den Campe merken wolle. Ich konnte nämlich von Julius Campe versichern, daß er kein gewöhnlicher Buchhändler sey, der mit dem Edlen, Schönen, Großen nur Geschäfte machen und eine gute Conjunktur benutzen will, sondern daß er manchmal das Große, Schöne, Edle unter sehr ungünstigen Conjunkturen druckt und wirklich sehr schlechte Geschäfte 10 damit macht. Auf solche Worte horchte Börne mit beiden Ohren, und sie haben ihn späterhin veranlaßt, nach Hamburg zu reisen und sich mit dem Verleger der Reisebilder über eine Herausgabe seiner sämmtlichen Schriften zu verständigen. Sobald die Verleger abgethan sind, beginnen die wechselseitigen Compli- 15 mente, zwischen zwei Schriftstellern, die sich zum ersten Male sprechen. Ich übergehe, was Börne über meine Vorzüglichkeit äußerte, und erwähne nur den leisen Tadel, den er bisweilen in den schäumenden Kelch des Lobes eintröpfeln ließ. Er hatte nämlich kurzvorher den zweiten Theil der Reisebilder gelesen, und vermeinte, daß ich von Gott, welcher doch Himmel und 20 Erde erschaffen und so weise die Welt regiere, mit zu wenig Reverenz, hingegen von dem Napoleon, welcher doch nur ein sterblicher Despot gewesen, mit übertriebener Ehrfurcht gesprochen habe. Der Deist und Liberale trat mir also schon merkbar entgegen. Er schien den Napoleon wenig zu lieben, obgleich er doch unbewußt den größten Respekt vor ihm in der Seele trug. 25 Es verdroß ihn, daß die Fürsten sein Standbild von der Vendomesäule so ungroßmüthig herabgerissen. „Ach! rief er, mit einem bittern Seufzer: Ihr konntet dort seine Statue getrost stehen lassen; Ihr brauchtet nur ein Plakat mit der Inschrift „i8ter Brümaire" daran zu befestigen, und die Vendomesäule wäre seine verdiente 30 Schandsäule geworden! Wie liebte ich diesen Mann bis zum 18ten Brümaire, noch bis zum Frieden von Campo Formio bin ich ihm zugethan, als er aber die Stufen des Thrones erstieg, sank er immer tiefer im Werthe; man konnte von ihm sagen: er ist die rothe Treppe hinaufgefallen!" „Ich habe noch diesen Morgen, setzte Börne hinzu, ihn bewundert, als ich 35 in diesem Buche, das hier auf meinem Tische liegt — er zeigte auf Thiers Revolutionsgeschichte, — die vortreffliche Anekdote las, wie Napoleon zu Udine eine Entrevue mit Kobentzel hat, und im Eifer des Gesprächs das Porzelan zerschlägt, das Kobentzel einst von der Kaiserin Catharina erhalten,
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und gewiß sehr liebte. Dieses zerschlagene Porzelan hat vielleicht den Frieden von Campo Formio herbeigeführt. Der Kobentzel dachte gewiß: mein Kaiser hat soviel Porzelan, und das giebt ein Unglück, wenn der Kerl nach Wien käme und gar zu feurig in Eifer geriethe: das beste ist, wir machen mit ihm 5 Friede. Wahrscheinlich in jener Stunde, als zu Udine das Porzelanservice von Kobentzel zu Boden purzelte und in lauter Scherben zerbrach, zitterte zu Wien alles Porzelan, und nicht bloß die Kaffekannen und Tassen, sondern auch die chinesischen Pagoden, sie nickten mit den Köpfen vielleicht hastiger als je, und der Friede wurde ratifizirt. In Bilderläden sieht man den Napoleon io gewöhnlich, wie er auf bäumendem Roß den Simplon besteigt, wie er mit hochgeschwungener Fahne über die Brücke von Lodi stürmt u. s. w. Wenn ich aber ein Maler wäre, so würde ich ihn darstellen, wie er das Service von Kobentzel zerschlägt. Das war seine erfolgreichste That. Jeder König fürchtete seitdem für sein Porzelan, und gar besondere Angst überkam die Berliner wegen 15 ihrer großen Porzelanfabrik. Sie haben keinen Begriff davon, liebster Heine, wie man durch den Besitz von schönem Porzelan im Zaum gehalten wird. Sehen Sie z. B. mich, der ich einst so wild war, als ich wenig Gepäck hatte und gar kein Porzelan. Mit dem Besitzthum, und gar mit gebrechlichen Besitzthum kommt die Furcht und die Knechtschaft. Ich habe mir leider vor 20 kurzem ein schönes Theeservice angeschafft — die Kanne war so lockend prächtig vergoldet — auf der Zuckerdose war das eheliche Glück abgemalt, zwei Liebende, die sich schnäbeln — auf der einen Tasse der Katharinenthurm, auf einer andern die Konstablerwache, lauter vaterländische Gegenden auf den übrigen Tassen. — Ich habe wahrhaftig jetzt meine liebe Sorge, daß ich 25 in meiner Dummheit nicht zu frei schreibe und plötzlich flüchten müßte. Wie könnte ich in der Geschwindigkeit all' diese Tassen und gar die große Kanne einpacken? In der Eile könnten sie zerbrochen werden, und zurücklassen möchte ich sie in keinem Falle. J a wir Menschen sind sonderbare Käutze! Derselbe Mensch, der vielleicht Ruhe und Freude seines Lebens, ja das jo Leben selbst aufs Spiel setzen würde, um seine Meinungsfreiheit zu behaupten, der will doch nicht gern ein paar Tassen verlieren, und wird ein schweigender Sklave, um seine Theekanne zu conserviren. Wahrhaftig, ich fühle, wie das verdammte Porzelan mich im Schreiben hemmt, ich werde so milde, so vorsichtig, so ängstlich . . . Am Ende glaub' ich gar, der Porzelanhändler war ein 35 östreichischer Polizeiagent und Metternich hat mir das Porzelan auf den Hals geladen, um mich zu zähmen. Ja, ja, deßhalb war es so wohlfeil und der Mann war so beredsam. Ach! die Zuckerdose mit dem ehelichen Glück war eine so süße Lockspeise! Ja, je mehr ich mein Porzelan betrachte, desto wahrscheinlicher wird mir der Gedanke, daß es von Metternich herrührt. Ich ver-
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denke es ihm nicht im Mindesten, daß man mir auf solche Weise beizukommen sucht. Wenn man kluge Mittel gegen mich anwendet, werde ich nie unwirsch; nur die Plumpheit und die Dummheit ist mir unausstehlich. Da ist aber unser frankfurter Senat " Ich habe meine Gründe, den Mann nicht weiter sprechen zu lassen, und bemerke nur, daß er am Ende seiner Rede mit gutmüthigem Lachen ausrief: „Aber noch bin ich stark genug, meine Porzelanfesseln zu brechen, und macht man mir den Kopf warm, wahrhaftig, die schöne vergoldete Theekanne fliegt zum Fenster hinaus mitsammt der Zuckerdose und dem ehelichen Glück und dem Katharinenthurm und der Konstablerwache und den vaterländischen Gegenden, und ich bin dann wieder ein freier Mann, nach wie vor I" Börne's Humor, wovon ich eben ein sprechendes Beispiel gegeben, unterschied sich von dem Humor Jean Paul's dadurch, daß letzterer gern die entferntesten Dinge ineinanderrührte, während jener, wie ein lustiges Kind, nur nach dem Nahliegenden griff, und während die Phantasie des konfusen Polyhistors von Bayreuth in der Rumpelkammer aller Zeiten herumkramte und mit Siebenmeilenstiefeln alle Weltgegenden durchschweifte, hatte Börne nur den gegenwärtigen Tag im Auge und die Gegenstände, die ihn beschäftigten, lagen alle in seinem räumlichen Gesichtskreis. Er besprach das Buch, das er eben gelesen, das Ereigniß, das eben vorfiel, den Stein, an den er sich eben gestoßen, Rothschild, an dessen Haus er täglich vorbeiging, den Bundestag, der auf der Zeil residirt, und den er ebenfalls an Ort und Stelle hassen konnte, endlich alle Gedankenwege führten ihn zu Metternich. Sein Groll gegen Goethe hatte vielleicht ebenfalls örtliche Anfänge; ich sage Anfänge, nicht Ursachen; denn wenn auch der Umstand, daß Frankfurt ihre gemeinschaftliche Vaterstadt war, Börne's Aufmerksamkeit zunächst auf Goethe lenkte, so war doch der Haß, der gegen diesen Mann in ihm brannte und immer leidenschaftlicher entloderte, nur die nothwendige Folge einer tiefen in der Natur beider Männer begründeten Differenz. Hier wirkte keine kleinliche Schelsucht, sondern ein uneigennütziger Widerwille, der angebornen Trieben gehorcht, ein Hader, welcher, alt wie die Welt, sich in allen Geschichten des Menschengeschlechts kund giebt, und am grellsten hervortrat in dem Zweikampfe, welchen der judäische Spiritualismus gegen hellenische Lebensherrlichkeit führte, ein Zweikampf, der noch immer nicht entschieden ist und vielleicht nie ausgekämpft wird: der kleine Nazarener haßte den großen Griechen, der noch dazu ein griechischer Gott war. Das Werk von Wolfgang Menzel war eben erschienen, und Börne freute sich kindisch, daß jemand gekommen sey, der den Muth zeige so rücksichtslos gegen Goethe aufzutreten.
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„Der Respekt" setzte er naiv hinzu, „hat mich immer davon abgehalten, dergleichen öffentlich auszusprechen. Der Menzel, der hat Muth, der ist ein ehrlicher Mann, und ein Gelehrter; den müssen sie kennen lernen, an dem werden wir noch viele Freude erleben; der hat viel Courage, der ist ein grund5 ehrlicher Mann, und ein großer Gelehrter! An dem Goethe ist gar nichts, er ist eine Memme, ein serviler Schmeichler und ein Dilettant." Auf dieses Thema kam er oft zurück; ich mußte ihm versprechen, in Stuttgart den Menzel zu besuchen, und er schrieb mir gleich zu diesem Behufe eine Empfehlungskarte, und ich höre ihn noch eifrig hinzusetzen: der hat Muth, io außerordentlich viel Courage, der ist ein braver, grundehrlicher Mann und ein großer Gelehrter! Wie in seinen Aeußerungen über Goethe, so auch in seiner Beurtheilung anderer Schriftsteller, verrieth Börne seine nazarenische Beschränktheit. Ich sage nazarenisch, um mich weder des Ausdrucks „jüdisch" noch „christlich" 15 zu bedienen, obgleich beide Ausdrücke für mich synonym sind und von mir nicht gebraucht werden, um einen Glauben, sondern um ein Naturell zu bezeichnen. „Juden" und „Christen" sind für mich ganz sinnverwandte Worte im Gegensatz zu „Hellenen," mit welchem Namen ich ebenfalls kein bestimmtes Volk, sondern eine sowohl angeborne als angebildete Geistesrichtung und 20 Anschauungsweise bezeichne. In dieser Beziehung möchte ich sagen: alle Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit ascetischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben, oder Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen. So gab es Hellenen in deutschen Prädigerfamilien, und Juden, die in Athen geboren und vielleicht 25 von Theseus abstammen. Der Bart macht nicht den Juden, oder der Zopf macht nicht den Christen, kann man hier mit Recht sagen. Börne war ganz Nazarener, seine Antipathie gegen Goethe ging unmittelbar hervor aus seinem nazarenischen Gemüthe, seine spätere politische Exaltazion war begründet in jenem schroffen Ascetismus, jenem Durst nach Märtyrthum, der überhaupt 30 bei den Republikanern gefunden wird, den sie republikanische Tugend nennen und der von der Passionssucht der früheren Christen so wenig verschieden ist. In seiner spätem Zeit wendete sich Börne sogar zum historischen Christenthum, er sank fast in den Katholizismus, er fraternisirte mit dem Pfaffen Lamenais und verfiel in den widerwärtigsten Kapuzinerton, als er sich 35 einst über einen Nachfolger Goethe's, einen Pantheisten von der heitern Observanz, öffentlich aussprach. — Psychologisch merkwürdig ist die Untersuchung, wie in Börne's Seele allmählig das eingeborene Christenthum emporstieg, nachdem es lange niedergehalten worden von seinem scharfen Verstand und seiner Lustigkeit. Ich sage Lustigkeit, gaite, nicht Freude, joie;
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die Nazarener haben zuweilen eine gewisse springende gute Laune, eine witzige eichkätzchenhafte Munterkeit, gar lieblich kapriziös, gar süß, auch glänzend, worauf aber bald eine starre Gemüthsvertrübung folgt: es fehlt ihnen die Majestät der Genußseligkeit, die nur bei bewußten Göttern gefunden wird. 5 Ist aber in unserem Sinne kein großer Unterschied zwischen Juden und Christen, so existirt dergleichen desto herber in der Weltbetrachtung frankfurter Philister; über die Mißstände, die sich daraus ergeben, sprach Börne sehr viel und sehr oft während den drei Tagen, die ich ihm zu Liebe in der freien Reichs- und Handelsstadt Frankfurt am Mayn verweilte. 10 Ja, mit drolliger Güte drang er mir das Versprechen ab, ihm drei Tage meines Lebens zu schenken, er ließ mich nicht mehr von sich, und ich mußte mit ihm in der Stadt herumlaufen, allerlei Freunde besuchen, auch Freundinnen, z. B. Madame Wohl auf dem Wollgraben. Diese Madame Wohl auf dem Wollgraben ist die bekannte Freiheitsgöttin, an welche späterhin die 15 Briefe aus Paris adressirt wurden. Ich sah eine magere Person, deren gelblich weißes, pockennarbiges Gesicht einem alten Matzekuchen glich. Trotz ihrem Aeußern und obgleich ihre Stimme kreischend war, wie eine Thüre, die sich auf rostigen Angeln bewegt, so gefiel mir doch alles, was die Person sagte; sie sprach nämlich mit großem Enthusiasmus von meinen Werken. Ich er- 20 innere mich, daß sie ihren Freund in große Verlegenheit setzte, als sie ausplaudern wollte, was er ihr bei unserm Eintritt ins Ohr geflüstert; Börne ward roth wie ein Mädchen, als sie, trotz seiner Bitten, mir verrieth, er habe sich geäußert: mein Besuch sey für ihn eine größere Ehre, als wenn ihn Goethe besucht hätte. Wenn ich jetzt bedenke, wie schlecht er schon damals von 25 Goethe dachte, so darf ich mir jene Äußerung nicht als ein allzugroßes Compüment anrechnen. Uber das Verhältniß Börne's zu der erwähnten Dame erfuhr ich damals eben so wenig Bestimmtes, wie andere Leute. Auch war es mir gleichgültig, ob jenes Verhältniß warm oder kühl, feucht oder trocken war. Die böse Welt 30 behauptete, Herr Börne säße bei Madame Wohl auf dem Wollgraben so recht in der Wolle; die ganz böse Welt zischelte: es herrsche zwischen beiden nur eine abstrakte Seelen-Verbindung, ihre Liebe sey platonisch. Was mich betrifft, so interessirt mich bei ausgezeichneten Leuten der Gegenstand ihrer Liebesgefühle immer weniger, als das Gefühl der Liebe selbst. 35 Letzteres aber — das weiß ich — muß bei Börne sehr stark gewesen seyn. Wie später bei der Lektüre seiner gesammelten Schriften, so schon in Frankfurt durch manche hingeworfene Äußerung, merkte ich, daß Börne zu verschiedenen Jahrzeiten seines Lebens von den Tücken des kleinen Gottes weidlich 19
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geplagt worden. Namentlich von den Qualen der Eifersucht weiß er viel zu sagen, wie denn überhaupt die Eifersucht in seinem Charakter lag, und ihn, im Leben wie in der Politik, alle Erscheinungen durch die gelbe Lupe des Mißtrauens betrachten ließ. Ich erwähnte, daß Börne zu verschiedenen Zeiten 5 seines Lebens von Liebesleiden heimgesucht worden. — „Ach," seufzte er einmal wie aus der Tiefe schmerzlicher Erinnerungen, „in spätem Jahren ist diese Leidenschaft noch weit gefährlicher als in der Jugend. Man sollte es kaum glauben, da sich doch mit dem Alter auch unsere Vernunft entwickelt hat, und diese uns unterstützen könnte im Kampfe mit 10 der Leidenschaft. Saubere Unterstützung! Merken Sie sich das: die Vernunft hilft uns nur, jene kleinen Kaprizen zu bekämpfen, die wir auch ohne ihre Intervenzion bald überwinden würden. Aber sobald sich eine große wahre Leidenschaft unseres Herzens bemächtigt hat, und unterdrückt werden soll, wegen des positiven Schadens, der uns dadurch bedroht, alsdann gewährt uns 15 die Vernunft wenig Hülfe, ja, die Canaille, sie wird alsdann sogar eine Bundesgenossin des Feindes, und anstatt unsere materiellen oder moralischen Interessen zu vertreten, leiht sie dem Feinde, der Leidenschaft, alle ihre Logik, alle ihre Sillogismen, alle ihre Sophismen, und dem stummen Wahnsinn liefert sie die Waffe des Wortes. Vernünftig, wie sie ist, schlägt sich die Vernunft immer 20 zur Parthei des Stärkern, zur Parthei der Leidenschaft, und verläßt sie wieder, sobald die Force derselben durch die Gewalt der Zeit oder durch das Gesetz der Reakzion gebrochen wird. Wie verhöhnt sie alsdann die Gefühle, die sie kurz vorher so eifrig rechtfertigte! Mißtrauen Sie, lieber Freund, in der Leidenschaft immer der Sprache der Vernunft, und ist die Leidenschaft erloschen, 25 so mißtrauen Sie ihr ebenfalls, und seyen Sie nicht ungerecht gegen ihr Herz!" Nachdem Börne mir Madame Wohl auf dem Wollgraben gezeigt, wollte er mich auch die übrigen Merkwürdigkeiten Frankfurts sehen lassen, und vergnügt, im gemüthlichsten Hundetrapp, lief er mir zur Seite, als wir durch die 30 Straßen wanderten. Ein wunderliches Ansehen gab ihm sein kurzes Mäntelchen und sein weißes Hütchen, welches zur Hälfte mit einem schwarzen Flor umwickelt war. Der schwarze Flor bedeutete den Tod seines Vaters, welcher ihn bei Lebzeiten sehr knapp gehalten, ihm jetzt aber auf einmal viel Geld hinterließ. Börne schien damals die angenehmen Empfindungen solcher Glücks35 Veränderungen noch in sich zu tragen, und überhaupt im Zenith des Wohlbehagens zu stehen. Er klagte sogar über seine Gesundheit, d. h. er klagte, er werde täglich gesünder und mit der zunehmenden Gesundheit schwänden seine geistigen Fähigkeiten. „Ich bin zu gesund und kann nichts mehr schreiben, klagte er im Scherz, vielleicht auch im Ernst, denn bei solchen Naturen
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ist das Talent abhängig von gewissen krankhaften Zuständen, von einer gewissen Reizbarkeit, die ihre Empfindungs- und Ausdrucksweise steigert, und die mit der eintretenden Gesundheit wieder verschwindet. „ E r hat mich bis zur Dummheit kurirt," sagte Börne von seinem Arzte, zu welchem er mich führte, und in dessen Haus ich auch mit ihm speiste. Die Gegenstände, womit Börne in zufällige Berührung kam, gaben seinem Geiste nicht bloß die nächste Beschäftigung, sondern wirkten auch unmittelbar auf die Stimmung seines Geistes, und mit ihrem Wechsel stand seine gute oder böse Laune in unmittelbarer Verbindung. Wie das Meer von den vorüberziehenden Wolken, so empfing Börne's Seele die jedesmalige Färbung von den Gegenständen, denen er auf seinem Weg begegnete. Der Anblick schöner Gartenanlagen oder einer Gruppe schäckernder Mägde, die uns entgegenlachte, warfen gleichsam Rosenlichter über Börne's Seele, und der Wiederschein derselben gab sich kund in sprühenden Witzen. Als wir aber durch das Judenquartier gingen, schienen die schwarzen Häuser ihre finstern Schatten in sein Gemüth zu gießen. „Betrachten Sie diese Gasse," sprach er seufzend, „und rühmen Sie mir alsdann das Mittelalter! Die Menschen sind todt, die hier gelebt und geweint haben, und können nicht widersprechen, wenn unsere verrückten Poeten und noch verrücktern Historiker, wenn Narren und Schälke von der alten Herrlichkeit ihre Entzückungen drucken lassen; aber wo die todten Menschen schweigen, da sprechen desto lauter die lebendigen Steine." In der That, die Häuser jener Straße sahen mich an, als wollten sie mir betrübsame Geschichten erzählen, Geschichten, die man wohl weiß, aber nicht wissen will, oder lieber vergäße, als daß man sie ins Gedächtniß zurückriefe. So erinnere ich mich noch eines giebelhohen Hauses, dessen Kohlenschwärze um so greller hervorstach, da unter den Fenstern eine Reihe kreideweißer Talglichter hingen; der Eingang, zur Hälfte mit rostigen Eisenstangen vergittert, führte in eine dunkle Höhle, wo die Feuchtigkeit von den Wänden herabzurieseln schien, und aus dem Innern tönte ein höchst sonderbarer, näselnder Gesang. Die gebrochene Stimme schien die eines alten Mannes, und die Melodie wiegte sich in den sanftesten Klagelauten, die allmählig bis zum entsetzlichsten Zorne anschwollen. Was ist das für ein Lied? frug ich meinen Begleiter. „ E s ist ein gutes Lied," antwortete dieser mit einem mürrischen Lachen, „ein lyrisches Meisterstück, das im diesjährigen Musenalmanach schwerlich seines Gleichen f i n d e t . . . Sie kennen es vielleicht in der deutschen Übersetzung: wir saßen an den Flüssen Babels, unsere Harfen hingen an den Trauerweiden u. s. w. Ein Prachtgedicht! und der alte Rabbi Chayim singt es sehr gut mit seiner zitt'rigen, abgemergelten Stimme; die Sonntag sänge es 19*
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Heinrich Heine über Ludwig Börne vielleicht mit größerem Wohllaut, aber nicht mit so viel Ausdruck, mit so viel Gefühl. . . Denn der alte Mann haßt noch immer die Babilonier und weint noch täglich über den Untergang Jerusalems durch Nebukatnezar . . . Dieses Unglück kann er gar nicht vergessen, obgleich so viel Neues seitdem passirt 5 ist, und noch jüngst der zweite Tempel durch Titus, den Bösewicht, zerstört worden. Ich muß Ihnen nemlich bemerken, der alte Rabbi Chayim betrachtet den Titus keineswegs als ein delicium generis humani, er hält ihn für einen Bösewicht, den auch die Rache Gottes erreicht h a t . . . Es ist ihm nemlich eine kleine Mücke in die Nase geflogen, die, allmählig wachsend, mit ihren Klauen 10 in seinem Gehirn herumwühlte und ihm so grenzenlose Schmerzen verursachte, daß er nur dann einige Erholung empfand, wenn in seiner Nähe einige hundert Schmiede auf ihre Ambosse loshämmerten. Das ist sehr merkwürdig, daß alle Feinde der Kinder Israel ein so schlechtes Ende nehmen. Wie es dem Nebukatnezar gegangen ist, wissen Sie, er ist in seinen alten Tagen ein Ochs 15 geworden und hat Gras essen müssen. Sehen Sie den persischen Staatsminister Haman, ward er nicht am Ende gehenkt zu Susa, in der Hauptstadt? Und Antiochus, der König von Syrien, ist er nicht bei lebendigem Leibe verfault, durch die Läusesucht? Die spätem Bösewichter, die Judenfeinde, sollten sich in Acht nehmen . . . Aber was hilft's, es schreckt sie nicht ab, das 20 furchtbare Beispiel, und dieser Tage habe ich wieder eine Broschüre gegen die Juden gelesen, von einem Professor der Philosophie, der sich Magis amica nennt. Er wird einst Gras essen, ein Ochs ist er schon von Natur, vielleicht gar wird er mal gehenkt, wenn er die Sultanin Favorite des Königs von Flachsenfingen beleidigt, und Läuse hat er gewiß auch schon wie der Antio25 chus. Am liebsten war' mir's, er ginge zur See und machte Schiffbruch an der nordafrikanischen Küste. Ich habe nemlich jüngst gelesen, daß die Mahometaner, die dort wohnen, sich durch ihre Religion berechtigt glauben, alle Christen, die bei ihnen Schiffbruch leiden und in ihre Hände fallen, als Sklaven zu behandeln. Sie vertheilen unter sich diese Unglücklichen und benutzen 30 jeden derselben nach seinen Fähigkeiten. So hat nun jüngst ein Engländer, der jene Küsten bereiste, dort einen deutschen Gelehrten gefunden, der Schiffbruch gelitten und Sklave geworden, aber zu gar nichts anderem zu gebrauchen war, als daß man ihm Eier zum Ausbrüten unterlegte; er gehörte nemlich zur theologischen Fakultät. Ich wünsche nun, der Doctor Magis amica käme in 35 eine solche Lage; wenn er auf seinen Eiern drei Wochen unaufstehlich sitzen müßte (sind es Enteneier sogar vier Wochen) so kämen ihm gewiß allerlei Gedanken in den Sinn, die ihm bisher nie eingefallen, und ich wette, er verwünscht den Glaubensfanatismus, der in Europa die Juden und in Afrika die Christen herabwürdigt, und sogar einen Doctor der Theologie bis zur Brut-
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henne entmenscht. . . Die Hühner, die er ausgebrütet, werden sehr tolerant schmecken, besonders wenn man sie mit einer Sauce ä la Marengo verzehrt." Aus leicht begreiflichen Gründen übergehe ich die Bemerkungen, die mein Begleiter in bitterster Fülle loslies, als wir auf unserer Wanderung im Weichbilde Frankfurts dem Hause vorübergingen, wo der Bundestag seine Sitzungen 5 hält. Die Schildwache hielt ihr Mittagsschläfchen in aufrechter Stellung, und die Schwalben, die an den Fliesen der Fenster ihre friedlichen Nester gebaut, flogen seelenruhig auf und nieder. Schwalben bedeuten Glück, behauptete meine Großmutter; sie war sehr abergläubisch. Von der Ecke der Schnur-Gasse bis zur Börse mußten wir uns durch- 10 drängen; hier fließt die goldene Ader der Stadt, hier versammelt sich der edle Handelsstand und schachert und mauschelt. . . Was wir nemlich in Norddeutschland Mauscheln nennen, ist nichts anders als die eigentliche frankfurter Landessprache, und sie wird von der unbeschnittenen Populazion eben so vortrefflich gesprochen, wie von der beschnittenen. Börne sprach diesen 15 Jargon sehr schlecht, obgleich er, eben so wie Goethe, den heimathlichen Dialekt nie ganz verläugnen konnte. Ich habe bemerkt, daß Frankfurter, die sich von allen Handelsinteressen entfernt hielten, am Ende jene frankfurter Aussprache, die wir, wie gesagt, in Norddeutschland Mauscheln nennen, ganz verlernten. 20 Eine Strecke weiter, am Ausgange der Saalgasse, erfreuten wir uns einer viel angenehmeren Begegnung. Wir sahen nemlich einen Rudel Knaben, welche aus der Schule kamen, hübsche Jungen mit rosigen Gesichtchen, einen Pack Bücher unterm Arm. „Weit mehr Respekt," — rief Börne, — „weit mehr Respekt habe ich für 25 diese Buben, als für ihre erwachsenen Väter. Jener Kleine mit der hohen Stirn denkt vielleicht jetzt an den zweiten punischen Krieg, und er ist begeistert für Hannibal, und als man ihm heute erzählte, wie der große Karthager schon als Knabe den Römern Rache schwur . . . ich wette, da hat sein kleines Herz mitgeschworen . . . Haß und Untergang dem bösen Rom! Halte Deinen Eid, 30 mein kleiner Waffenbruder. Ich möchte ihn küssen, den vortrefflichen Jungen! Der andere Kleine, der so pfiffig hübsch aussieht, denkt vielleicht an den Mithridates und möchte ihn einst nachahmen . . . Das ist auch gut, ganz gut, und du bist mir willkommen. Aber, Bursche, wirst du auch Gift schlucken können, wie der alte König des Pontus? Übe Dich frühzeitig. Wer mit Rom 3$ Krieg führen will, muß alle möglichen Gifte vertragen können, nicht bloß plumpen Arsenik, sondern auch einschläferndes phantastisches Opium, und gar das schleichende Aquatofana der Verläumdung! Wie gefällt Ihnen der Knabe, der so lange Beine hat und ein so unzufrieden aufgestülptes Näschen?
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Den jückt es vielleicht, ein Catilina zu werden, er hat auch lange Finger und er wird einmal den Ciceros unserer Republik, den gepuderten Vätern des Vaterlandes, eine Gelegenheit geben, sich mit langen schlechten Reden zu blamiren. Der dort, der arme kränkliche Bub, möchte gewiß weit lieber die Rolle des Brutus spielen . . . Armer Junge, Du wirst keinen Cäsar finden, und mußt Dich begnügen, einige alte Perücken mit Worten zu erstechen, und wirst Dich endlich, nicht in Dein Schwert, sondern in die Schelling'sche Philosophie stürzen und verrückt werden! Ich habe Respekt für diese Kleinen, die sich den ganzen Tag für die hochherzigsten Geschichten der Menschheit interessiren, während ihre Väter nur für das Steigen oder Fallen der Staatspapiere Interesse fühlen, und an Caffebohnen und Cochenille und Manufakturwaaren denken! Ich hätte nicht übel Lust, dem kleinen Brutus dort eine Tüte mit Zuckerkringeln zu kaufen . . . Nein, ich will ihm lieber Brantewein zu trinken geben, damit er klein bleibe . . . Nur so lange wir klein sind, sind wir ganz uneigennützig, ganz heldenmüthig, ganz heroisch. . . Mit dem wachsenden Leib schrumpft die Seele immer mehr ein . . . Ich fühle es an mir selber.. . Ach, ich bin ein großer Mann gewesen, als ich noch ein kleiner Junge war!" Als wir über den Römerberg kamen, wollte Börne mich in die alte Kaiserburg hinaufführen, um dort die goldene Bulle zu betrachten. „Ich habe sie noch nie gesehen," seufzte er, „und seit meiner Kindheit hegte ich immer eine geheime Sehnsucht nach dieser goldnen Bulle. Als Knabe machte ich mir die wunderlichste Vorstellung davon und ich hielt sie für eine Kuh mit goldnen Hörnern; später bildete ich mir ein, es sey ein Kalb, und erst als ich ein großer Junge ward, erfuhr ich die Wahrheit, daß sie nemlich nur eine alte Haut sey, ein nichtsnützig Stück Pergament, worauf geschrieben steht, wie Kaiser und Reich sich einander wechselseitig verkauften. Nein, laßt uns diesen miserabelen Contrakt, wodurch Deutschland zu Grunde ging, nicht betrachten; ich will sterben, ohne die goldne Bulle gesehen zu haben." Ich übergehe hier ebenfalls die bitteren Nachbemerkungen. Es gab ein Thema, das man nur zu berühren brauchte, um die wildesten und schmerzlichsten Gedanken, die in Börne's Seele lauerten, hervorzurufen; dieses Thema war Deutschland und der politische Zustand des deutschen Volkes. Börne war Patriot vom Wirbel bis zur Zehe und das Vaterland war seine ganze Liebe. Als wir denselben Abend wieder durch die Judengasse gingen, und das Gespräch über die Insassen derselben wieder anknüpften, sprudelte die Quelle des Börne'schen Geistes um so heiterer, da auch jene Straße, die am Tage einen düsteren Anblick gewährte, jetzt aufs Fröhlichste illuminirt war, und die Kinder Israel an jenem Abend, wie mir mein Cicerone erklärte, ihr lustiges Lampenfest feierten. Dieses ist einst gestiftet worden zum ewigen Andenken
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an den Sieg, den die Makabäer über den König von Syrien so heldenmüthig erfochten haben. „Sehen Sie," sagte Börne, „das ist der i8te October der Juden, nur daß dieser makabäische i8te October mehr als zwei Jahrtausende alt ist, und noch immer gefeiert wird, statt daß der leipziger i8te October noch nicht das fünfzehnte Jahr erreicht hat, und bereits in Vergessenheit gerathen. Die Deutschen sollten bei der alten Madame Rothschild in die Schule gehen, um Patriotismus zu lernen. Sehen Sie hier, in diesem kleinen Hause wohnt die alte Frau, die Latizia, die so viele Finanzbonaparten geboren hat, die große Mutter aller Anleihen, die aber trotz der Weltherrschaft ihrer königlichen Söhne noch immer ihr kleines Stammschlößchen in der Judengasse nicht verlassen will, und heute wegen des großen Freudenfestes ihre Fenster mit weißen Vorhängen geziert hat. Wie vergnügt funkeln die Lämpchen, die sie mit eigenen Händen anzündete, um jenen Siegestag zu feiern, wo Judas Makabäus und seine Brüder eben so tapfer und heldenmüthig das Vaterland befreiten, wie in unsern Tagen Friedrich Wilhelm, Alexander und Franz II. Wenn die gute Frau diese Lämpchen betrachtet, treten ihr die Thränen in die alten Augen, und sie erinnert sich mit wehmüthiger Wonne jener jüngeren Zeit, wo der selige Meyer Amschel Rothschild, ihr theurer Gatte, das Lampenfest mit ihr feierte, und ihre Söhne noch kleine Bübchen waren und kleine Lichtchen auf den Boden pflanzten, und in kindischer Lust darüber hin- und hersprangen, wie es Brauch und Sitte ist in Israel!" „Der alte Rothschild," fuhr Börne fort, „der Stammvater der regierenden Dynastie, war ein braver Mann, die Frömmigkeit und Gutherzigkeit selbst. Es war ein mildthätiges Gesicht mit einem spitzigen Bärtchen, auf dem Kopf ein dreieckig gehörnter Hut, und die Kleidung mehr als bescheiden, fast ärmlich. So ging er in Frankfurt herum, und beständig umgab ihn, wie ein Hofstaat, ein Haufen armer Leute, denen er Allmosen ertheilte oder mit gutem Rath zusprach; wenn man auf der Straße eine Reihe von Bettlern antraf mit getrösteten und vergnügten Mienen, so wußte man, daß hier eben der alte Rothschild seinen Durchzug gehalten. Als ich noch ein kleines Bübchen war, und eines Freitags Abends mit meinem Vater durch die Judengasse ging, begegneten wir dem alten Rothschild, welcher eben aus der Synagoge kam; ich erinnere mich, daß er, nachdem er mit meinem Vater gesprochen, auch mir einige liebreiche Worte sagte, und daß er endlich die Hand auf meinen Kopf legte, um mich zu segnen. Ich bin fest überzeugt, diesem Rothschild'schen Segen verdanke ich es, daß späterhin, obgleich ich ein deutscher Schriftsteller wurde, doch niemals das baare Geld in meiner Tasche ganz ausging."
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Ich kann nicht umhin, hier die Zwischenbemerkung einzuschalten, daß Börne immer im behaglichen Wohlstande lebte, und sein späterer Ultraliberalismus keineswegs, wie bei vielen Patrioten, dem verbissenen Ingrimm der eigenen Armuth beizumessen war. Obgleich er selber reich war, ich sage 5 reich, nach dem Maaßstabe seiner Bedürfnisse, so hegte er doch einen unergründlichen Groll gegen die Reichen. Obgleich der Segen des Vaters auf seinem Haupte ruhte, so haßte er doch die Söhne, Meyer Amschel Rothschild's Söhne. Wie weit die persönlichen Eigenschaften dieser Männer zu jenem Hasse 10 berechtigten, will ich hier nicht untersuchen; es wird an einem anderen Orte ausführlich geschehen. Hier möchte ich nur der Bemerkung Raum geben, daß unsere deutschen Freiheitsprediger eben so ungerecht wie thöricht handeln, wenn sie das Haus Rothschild wegen seiner politischen Bedeutung, wegen seiner Einwirkung auf die Interessen der Revoluzion, kurz wegen seines 15 öffentlichen Charakters, mit so viel Grimm und Blutgier anfeinden. Es giebt keine stärkere Beförderer der Revoluzion als eben die Rothschilde . . . und was noch befremdlicher klingen mag: diese Rothschilde, die Banquiers der Könige, diese fürstlichen Seckelmeister, deren Existenz durch einen Umsturz des europäischen Staatensystems in die ernsthaftesten Gefahren gerathen 20 dürfte, sie tragen dennoch im Gemüthe das Bewußtseyn ihrer revoluzionären Sendung. Namentlich ist dieses der Fall bei dem Manne, der unter dem scheinlosen Namen Baron James bekannt ist, und in welchem sich jetzt, nach dem Tode seines erlauchten Bruders von England, die ganze politische Bedeutung des Hauses Rothschild resumirt. Dieser Nero der Finanz, der sich 25 in der Rue-Laffitte seinen goldenen Palast erbauet hat, und von dort aus als unumschränkter Imperator die Börsen beherrscht, er ist, wie weiland sein Vorgänger, der römische Nero, am Ende ein gewaltsamer Zerstörer des bevorrechteten Patrizierthums und Begründer der neuen Demokrazie. Einst, vor mehren Jahren, als er in guter Laune war und wir Arm in Arm, ganz famillionär 30 wie Hirsch Hyazynth sagen würde, in den Straßen von Paris umherflannirten, setzte mir Baron James ziemlich klar auseinander: wie eben er selber, durch sein Staatspapierensystem, für den gesellschaftlichen Fortschritt in Europa überall die ersten Bedingnisse erfüllt, gleichsam Bahn gebrochen habe. „Zu jeder Begründung einer neuen Ordnung von Dingen" — sagte er mir — 35 „gehört ein Zusammenfluß von bedeutenden Menschen, die sich mit diesen Dingen gemeinsam zu beschäftigen haben. Dergleichen Menschen lebten ehemals vom Ertrag ihrer Güter oder ihres Amtes, und waren deshalb nie ganz frei, sondern immer an einen entfernten Grundbesitz oder an irgend eine örtliche Amtsverwaltung gefesselt; jetzt aber gewährt das Staatspapieren-
Erstes Buch system diesen Menschen die Freiheit, jeden beliebigen Aufenthalt zu wählen, überall können sie von den Zinsen ihrer Staatspapiere, ihres portativen Vermögens geschäftlos leben, und sie ziehen sich zusammen und bilden die eigentliche Macht der Hauptstädte. Von welcher Wichtigkeit aber eine solche Residenz der verschiedenartigsten Kräfte, eine solche Centralisazion der 5 Intelligenzen und socialen Autoritäten, das ist hinlänglich bekannt. Ohne Paris hätte Frankreich nie seine Revoluzion gemacht; hier hatten so viele ausgezeichnete Geister Weg und Mittel gefunden, eine mehr oder minder sorglose Existenz zu führen, mit einander zu verkehren und so weiter. Jahrhunderte haben in Paris einen solchen günstigen Zustand allmählig herbeigeführt. Durch 10 das Rentensystem wäre Paris weit schneller Paris geworden, und die Deutschen, die gern eine ähnliche Hauptstadt hätten, sollten nicht über das Rentensystem klagen: es centralisirt, es macht vielen Leuten möglich, an einem selbstgewählten Orte zu leben, und von dort aus der Menschheit jeden nützlichen Impuls zu geben . . . " 15 Von diesem Standpunkte aus betrachtet Rothschild die Resultate seines Schaffens und Treibens. Ich bin mit dieser Ansicht ganz einverstanden, ja ich gehe noch weiter, und ich sehe in Rothschild einen der größten Revolutionäre, welche die moderne Demokrazie begründeten. Richelieu, Robespierre und Rothschild sind für mich drei terroristische Namen, und sie bedeuten die 20 graduelle Vernichtung der alten Aristokrazie. Richelieu, Robespierre und Rothschild sind die drei furchtbarsten Nivelleurs Europa's. Richelieu zerstörte die Souverainität des Feudaladels und beugte ihn unter jene königliche Willkühr, die ihn entweder durch Hofdienst herabwürdigte, oder durch krautjunkerliche Unthätigkeit in der Provinz vermodern ließ. Robespierre schlug 25 diesem unterwürfigen und faulen Adel endlich das Haupt ab. Aber der Boden blieb, und der neue Herr desselben, der neue Gutsbesitzer, ward ganz wieder ein Aristokrat, wie seine Vorgänger, deren Prätenzionen er unter anderem Namen fortsetzte. Da kam Rothschild, und zerstörte die Oberherrschaft des Bodens, indem er das Staatspapierensystem zur höchsten Macht emporhob, 30 dadurch die großen Besitzthümer und Einkünfte mobilisirte, und gleichsam das Geld mit den ehemaligen Vorrechten des Bodens belehnte. Er stiftete freilich dadurch eine neue Aristokrazie, aber diese, beruhend auf dem unzuverlässigsten Elemente, auf dem Gelde, kann nimmermehr so nachhaltig mißwirken, wie die ehemalige Aristokrazie, die im Boden, in der Erde selber, 35 wurzelte. Geld ist flüssiger als Wasser, windiger als Luft, und dem jetzigen Geldadel verzeiht man gern seine Impertinenzen, wenn man seine Vergänglichkeit bedenkt... er zerrint und verdunstet, ehe man sich dessen versieht. Indem ich oben die Namen Richelieu, Robespierre und Rothschild zu-
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sammenstellte, drängte sich mir die Bemerkung auf, daß diese drei größten Terroristen noch mancherlei andere Aehnüchkeiten bieten. Sie haben z. B. mit einander gemein eine gewisse unnatürliche Liebe zur Poesie: Richelieu schrieb schlechte Tragödien, Robespierre machte erbärmliche Madrigale, und James 5 Rothschild, wenn er lustig wird, fängt er an zu reimen . . . Doch das gehört nicht hierher, diese Blätter haben sich zunächst mit einem kleineren Revoluzionär, mit Ludwig Börne zu beschäftigen. Dieser hegte, wie wir mit Bedauern bemerken, den höchsten Haß gegen die Rothschilde, und in seinem Gespräche, als wir zu Frankfurt dem Stammhause derselben vorüber10 gingen, äußerte sich jener Haß bereits eben so grell und giftig, wie in seinen späteren pariser Briefen. Nichtsdestoweniger ließ er doch den persönlichen Eigenschaften dieser Leute manche Gerechtigkeit wiederfahren, und er gestand mir ganz naiv: daß er sie nur hassen könne, daß es ihm aber trotz aller Mühe nicht möglich sey, sie verächtlich oder gar lächerlich zu finden. 15 „Denn sehen Sie," — sprach er — „die Rothschilde haben so viel Geld, eine solche Unmasse von Geld, daß sie uns einen fast grauenhaften Respekt einflößen; sie identifizirten sich so zu sagen mit dem Begriff des Geldes überhaupt, und Geld kann man nicht verachten. Auch haben diese Leute das sicherste Mittel angewendet, um jenem Ridikül zu entgehen, dem so manche andere 20 baronisirte Milüonären-Familien des alten Testaments verfallen sind: sie enthalten sich des christlichen Weihwassers. Die Taufe ist jetzt bei den reichen Juden an der Tagesordnung, und das Evangelium, das den Armen Judäas vergebens gepredigt worden, ist jetzt in Floribus bei den Reichen. Aber da die Annahme desselben nur Selbstbetrug, wo nicht gar Lüge ist, und das an25 geheuchelte Christenthum mit dem alten Adam bisweilen recht grell kontrastirt, so geben diese Leute dem Witze und dem Spotte die bedenklichsten Blößen. Oder glauben Sie, daß durch die Taufe die innere Natur ganz verändert worden? Glauben Sie, daß man Läuse in Flöhe verwandeln kann, wenn man sie mit Wasser begießt?" 30 Ich glaube nicht. „Ich glaub's auch nicht, und ein eben so melancholischer wie lächerlicher Anblick ist es für mich, wenn die alten Läuse, die noch aus Egypten stammen, aus der Zeit der pharaonischen Plage, sich plötzlich einbilden, sie wären Flöhe, und christlich zu hüpfen beginnen. In Berlin habe ich auf der Straße 35 alte Töchter Israels gesehen, die am Halse lange Kreuze trugen, Kreuze, die noch länger als ihre Nasen und bis an den Nabel reichten; in den Händen hielten sie ein evangelisches Gesangbuch, und sie sprachen von der prächtigen Predigt, die sie eben in der Dreifaltigkeitskirche gehört. Die eine frug die andere: bei wem sie das heilige Abendmahl genommen? und beide rochen
Erstes Buch dabei aus dem Halse. Widerwärtiger war mir noch der Anblick von schmutzigen Bartjuden, die aus ihren polnischen Kloaken kamen, von der Bekehrungsgesellschaft in Berlin für den Himmel angeworben wurden, und in ihrem mundfaulen Dialekte das Christenthum predigten und so entsetzlich dabei stanken. Es wäre jedenfalls wünschenswerth, wenn man dergleichen pol- 5 nisches Läusevolk nicht mit gewöhnlichem Wasser, sondern mit Eau-deCologne taufen ließe." Im Hause des Gehängten, unterbrach ich diese Rede, muß man nicht von Stricken sprechen, lieber Doktor, sagen Sie mir vielmehr: wo sind jetzt die großen Ochsen, die, wie mein Vater mir einst erzählte, auf dem jüdischen 10 Kirchhofe hier zu Frankfurt herumliefen und in der Nacht so entsetzlich brüllten, daß die Ruhe der Nachbaren dadurch gestört wurde? „Ihr Herr Vater" rief Börne lachend, „hat Ihnen in der That keine Unwahrheit gesagt. Es existirte früherhin der Gebrauch, daß die jüdischen Viehhändler die männliche Erstgeburt ihrer Kühe nach biblischer Vorschrift dem lieben 15 Gotte widmeten, und in dieser Absicht, aus allen Gegenden Deutschlands, hierher nach Frankfurt brachten, wo man jenen Ochsen Gottes den jüdischen Kirchhof zum Grasen anwies, und wo sie bis an ihr seliges Ende sich herumtrieben und wirklich oft entsetzlich brüllten. Aber die alten Ochsen sind jetzt todt, und das heutige Rindvieh hat nicht mehr den rechten Glauben, und ihre 20 Erstgeburten bleiben ruhig daheim, wenn sie nicht gar zum Christenthume übergehen. Die alten Ochsen sind todt." Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß mich Börne während meines Aufenthalts in Frankfurt einlud, bei einem seiner Freunde zu Mittag zu speisen, und zwar weil derselbe, in getreuer Beharrniß an jüdischen 25 Gebräuchen, mir die berühmte Schaletspeise vorsetzen werde; und in der That, ich erfreute mich dort jenes Gerichtes, das vielleicht noch egyptischen Ursprungs und alt wie die Pyramiden ist. Ich wundre mich, daß Börne späterhin, als er scheinbar in humoristischer Laune, in der That aber aus plebejischer Absicht, durch mancherlei Erfindungen und Insinuazionen, wie gegen 30 Kronenträger überhaupt, so auch gegen ein gekröntes Dichterhaupt den Pöbel verhetzte. . . ich wundre mich, daß er in seinen Schriften nie erzählt hat, mit welchem Appetit, mit welchem Enthusiasmus, mit welcher Andacht, mit welcher Überzeugung ich einst beim Doctor St das altjüdische Schaletessen verzehrt habe! Dieses Gericht ist aber auch ganz vortrefflich, und 35 es ist schmerzlichst zu bedauern, daß die christliche Kirche, die dem alten Judenthume so viel Gutes entlehnte, nicht auch den Schalet adoptirt hat. Vielleicht hat sie sich dieses für die Zukunft noch vorbehalten, und wenn es ihr mal ganz schlecht geht, wenn ihre heiligsten Symbole, sogar das Kreuz,
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seine Kraft verloren, greift die christliche Kirche zum Schaletessen, und die entwischten Völker werden sich wieder mit neuem Appetit in ihren Schooß hineindrängen. Die Juden wenigstens werden sich alsdann auch mit Überzeugung dem Christenthume anschließen . . . denn, wie ich klar einsehe, es ist 5 nur der Schalet, der sie zusammenhält in ihrem alten Bunde. Börne versicherte mir sogar, daß die Abtrünnigen, welche zum neuen Bunde übergegangen, nur den Schalet zu riechen brauchen, um ein gewisses Heimweh nach der Synagoge zu empfinden, daß der Schalet so zu sagen der Kuhreigen der Juden sey." Auch nach Bornheim sind wir mit einander hinausgefahren, am Sabbath, 10 um dort Kaffe zu trinken und die Töchter Israels zu betrachten . . . Es waren schöne Mädchen und rochen nach Schalet, allerliebst. Börne zwinkerte mit den Augen. In diesem geheimnißvollen Zwinkern, in diesem unsicher lüsternen Zwinkern, das sich vor der innern Stimme fürchtet, lag die ganze Verschiedenheit unserer Gefühlsweise. Börne nemlich war, wenn auch nicht in seinen 15 Gedanken, doch desto mehr in seinen Gefühlen, ein Sklave der nazarenischen Abstinenz; und wie es allen Leuten seines Gleichen geht, die zwar die sinnliche Enthaltsamkeit als höchste Tugend anerkennen, aber nicht vollständig ausüben können, so wagte er es nur im Verborgenen, zitternd und erröthend, wie ein genäschiger Knabe, von Evas verbotenen Äpfeln zu kosten. Ich weiß nicht, 20 ob bei diesen Leuten der Genuß intensiver ist, als bei uns, die wir dabei den Reiz des geheimen Unterschleifs, der moralischen Contrebande, entbehren; behauptet man doch, daß Mahomet seinen Türken den Wein verboten habe, damit er ihnen desto süßer schmecke. In großer Gesellschaft war Börne wortkarg und einsylbig, und dem Fluß 25 der Rede überließ er sich nur im Zwiegespräch, wenn er glaubte, sich neben einem gleichgesinnten Menschen zu befinden. Daß Börne mich für einen solchen ansah, war ein Irrthum, der späterhin für mich sehr viele Verdrießlichkeiten zur Folge hatte. Schon damals in Frankfurt harmonirten wir nur im Gebiete der Politik, keineswegs in den Gebieten der Philosophie, oder der Kunst, oder 30 der Natur — die ihm sämmtlich verschlossen waren. Vielleicht entfallen mir späterhin in dieser Beziehung einige charakteristische Züge. Wir waren überhaupt von entgegengesetztem Wesen, und diese Verschiedenheit wurzelte am Ende vielleicht nicht bloß in unserer moralischen, sondern auch physischen Natur. 35 Es giebt im Grunde nur zwei Menschensorten, die mageren und die fetten, oder vielmehr Menschen, die immer dünner werden, und solche, die aus schmächtigen Anfängen allmählig zur ründüchsten Corpulenz übergehen. Die ersteren sind eben die gefährliche Sorte, die Cäsar so sehr fürchtete — ich wollte, er wäre fetter, sagt er von Cassius. Brutus war von einer ganz anderen
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Sorte, und ich bin überzeugt, wenn er nicht die Schlacht bei Phiüppi verloren, und sich bei dieser Gelegenheit erstochen hätte, wäre er eben so dick geworden, wie der Schreiber dieser Blätter — „Und Brutus war ein braver Mann." Da ich hier an Shakespeare erinnert werde, so ergreife ich die Gelegenheit, mich für eine alte Lesart zu erklären, die den Hamlet „fett" nennt. — Be- 5 dauernswürdiger Prinz von Dännemark! die Natur hatte Dich dazu bestimmt, in glücklichster Wohlbeleibtheit Deine Tage zu verschlendern, und da fällt auf einmal die Welt aus ihren Angeln, und Du sollst sie wieder einrahmen! Armer dicker Dänenprinz 1 Die drei Tage, welche ich in Frankfurt in Börne's Gesellschaft zubrachte, 10 verflossen in fast idyllischer Friedsamkeit. E r bestrebte sich angelegentlichst, mir zu gefallen. E r ließ die Raqueten seines Witzes so heiter als möglich aufleuchten, und wie bei chinesischen Feuerwerken am Ende der Feuerwerker selbst unter sprühendem Flammengeprassel in die Luft steigt: so schlössen die humoristischen Reden des Mannes immer mit einem tollen Brillantfeuer, worin i j er sich selbst aufs keckste preis gab. E r war harmlos wie ein Kind. Bis zum letzten Augenblick meines Aufenthalts in Frankfurt, lief er gemüthlich neben mir einher, mir an den Augen ablauschend, ob er mir vielleicht noch irgend eine Liebe erweisen könne. E r wußte, daß ich auf Veranlassung des alten Baron Cotta nach München reiste, um dort die Redakzion der politischen 20 Annalen zu übernehmen, und auch einigen projektiven literarischen Instituten meine Thätigkeit zu widmen. Es galt damals, für die liberale Presse jene Organe zu schaffen, die späterhin so heilsamen Einfluß üben könnten; es galt, die Zukunft zu säen, eine Aussaat, für welche in der Gegenwart nur die Feinde Augen hatten, so daß der arme Sämann schon gleich nur Aerger und Schmähung 25 einerndtete. Männiglich bekannt sind die giftigen Jämmerlichkeiten, welche die ultramontane aristokratische Propaganda in München gegen mich und meine Freunde ausübte. „Hüten Sie sich, in München mit den Pfaffen zu kollidiren," waren die letzten Worte, welche mir Börne beim Abschied ins Ohr flüsterte. Als ich 30 schon im Coupe des Postwagens saß, blickte er mir noch lange nach, wehmüthig, wie ein alter Seemann, der sich aufs feste Land zurückgezogen hat, und sich von Mitleid bewegt fühlt, wenn er einen jungen Fant sieht, der sich zum ersten Male aufs Meer begiebt. . . Der Alte glaubte damals, dem tückischen Elemente auf ewig Valet gesagt zu haben, und den Rest seiner Tage 35 im sichern Hafen beschließen zu können. Armer Mann! Die Götter wollten ihm diese Ruhe nicht gönnen! E r mußte bald wieder hinaus auf die hohe See, und dort begegneten sich unsere Schiffe, während jener furchtbare Sturm wüthete, worin er zu Grunde ging. Wie das heulte! wie das krachte! Beim
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mußte ich demselben öffentlich aus seinen eignen Briefen beweisen, daß er zu solchem Dementi nichts weniger als berechtigt war und daß er dritten Personen als blindes Werkzeug diente. Im andern Falle bin ich heute mit Herrn G.
Vorrede
einer Gesamtausgahe
Eines Morgens, als ich über die großen Bedürfnisse der Mschheit stärker als gewöhnlich nachdachte, kam ich auf einmahl auf die erhabene Idee, eine verbesserte, vermehrte und wohlgeordnete Gesammtausgabe meiner Werke zu veranstalten. Man kann sich das Entzücken meines Buchhändlers kaum vorstellen, als ich ihm diese Idee mittheilte; um sie zu verwirklichen, haben wir 10 unseren Verstand gemeinschaftlich angestrengt, und da konnte es nicht fehlen, daß wir uns bald über die Ausführung des Unternehmens aufs tiefsinnigste verständigten. Zuerst ward bestimmt, daß ich für das mühsame Geschäft einer Zusamenstellung meiner verschiedenen und in verschiedenen Büchern zerstreuten Schriften, mit einem neuen Honorare beehrt würde; — dieses 15 ist unstreitig ein guter Gedanken, u ist vielleicht noch bedeutsamer als die Idee der Gesammtausgabe selbst, wenigstens mir gefällt er noch viel besser. Zweitens sollten der Gesammtausgabe meiner Werke, eine gute Vorrede vorangeschickt werden; das ist nun eben die Vorrede, die ich jetzt schreibe, die aber vielleicht gar nicht gut wird, denn mein Papagei schreit heute so fürchterlich, 20 daß mir der Kopf davon betäubt wird. Drittens sollen meine Schriften in dieser Ausgabe aufs allersorgfältigste korrigirt und purifizirt werden, ein bewunderungswürdiger Anstand soll darin zum Vorschein kommen, die allzumännlichen Gedanken darin sollen gewissenhaft kastrirt, die allzu verfänglichen Anspielungen auf Geschlechtsliebe und Despotismus sollen ausgemerzt 25 werden, so daß jetzt sogar unschuldige Mädchen von drey Jahren und siebenzigjährige Diplomaten meine Werke ohne Erröthen lesen können. Drittens soll das große Schiff, welches meine Geisteserzeugnisse über das Meer der Vergessenheit tragen soll, mit einigem neuen Ballast versehen werden, nur weiß ich noch nicht genau, was für poetische oder prosaische 30 Edelsteine ich zu diesem Behufe einladen lasse. Doch die Wahl ist nicht groß, da durch ein häusliches Unglück der größte Theil meiner literarischen Habe unwiederbringlich verloren gegangen.
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