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German Pages 2333 [2334] Year 2014
PIR MIN STEK ELER
Hegels Phänomenologie des Geistes Ein dialogischer Kommentar
Band 1 Gewissheit und Vernunft
FELIX MEINER VERL AG HA MBURG
PHILOSOPHISCHE BIBL IOT HEK BA ND 660 a
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abruf bar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-2471-2
Band 2: Geist und Religion (ISBN 978-3-7873-2472-9) eBook (Band 1 und 2): ISBN 978-3-7873-2477-4 Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2014. Alle Rechte vorbe halten. Dies bet rifft auch die Vervielfältigung und Übert rag ung ein zelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Spei c he r ung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Tanovski Publishung Services, Leipzig. Druck und Bindung: C. H. Beck, Nördlingen. Dünndruckpapier: alter ungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de ©
Inhalt
Vorwort ........................................................................................ 13 TEIL 1: EINFÜHRUNGEN ..................................................... 25
1. Phänomenologie und Dialektik ........................................... 29 1.1 Philosophie und Wissenschaft 33 1.2 Normen und Regeln im Sprechhandeln 53 1.3 Objektiver und absoluter Geist 56 1.4 Philosophie als Meta-Physik 60 1.5 Dialektik und die Auf hebung von Widersprüchen 69 1.6 Das Programm einer Verweltlichung des Geistes 85 1.7 Wissen und Begriff 93 2. Die Kunst der relevanten (Nicht-)Unterscheidung .............. 95 2.1 Die Logik der Identität und der Gleichgültigkeiten des A n-sich-Seins 95 2.2 Fürsichsein und An-und-für-sich-sein 106
3. Entwicklung des Begriffs des (Selbst-)Bewusstseins ............. 110 3.1 Phänomenologie des bewussten Welt-Bezugs 110 3.2 Dialektik des Selbstbewusstseins 120 3.3 Dialektik der Vernunft 131 3.4 Dialektik des Geistes 136 3.5 Dialektik der Religion 139 4. Das absolute Wissen ............................................................. 142 hegels vorrede
......................................................................... 145
5. Das Werk in Nuce ................................................................. 146 5.1 Resultate in Entwicklungen von Wissen und Begriff 146 5.2 Wahrheit als Substanz und als Subjekt 156 5.3 Bildungsstufen des Geistes 165 5.4 Das Wahre und das Falsche 179
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Inhalt
5.5 e idos, nous, und ousia im normalen und im spekulativen Satz 184
6. Laufender Kommentar zu Hegels Vorrede .......................... 188 hegels einleitung
.................................................................. 335
7. Kritik an jeder Erkenntnistheorie ........................................ 335 7.1 Der Kollaps der Erkenntniskritiken Humes und Kants im Subjektivismus 335 7.2 Zweifel am Zweifel und Einsicht in die Endlichkeit des Wissens 353 7.3 Perspektivität der Erkenntnis und Allgemeinheit des Begriffs 355
8. Laufender Kommentar zu Hegels Einleitung ..................... 369
TEIL 2: SINNLICHES UND DENKENDES (SELBST-)BEWUSSTSEIN ................................................... 405 (A.) Bewusstsein ........................................................................ 405 Kapitel I: Die sinnliche Gewissheit, das Diese und das Meinen 415 9. Das Evasive der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit ....... 416 10. Umschlag der Suche nach Gewissheit in verzweifelte Skepsis .................................................................................. 432 11. D er Kollaps der unmittelbaren Meinung über die Substanz der Dinge .............................................................. 438 12. Laufender Kommentar zum I. Kapitel (Sinnliche Gewissheit).......................................................... 445 12.1 Das Diese 445 12.2 Das Meinen 458 12.3 Von der sensuellen Gewissheit zur Wahrnehmung von Dingen 465
Inhalt
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Kapitel II: Die Wahrnehmung; oder das Ding und die Täuschung .............................................................................. 478 13. Wahrnehmung vs. unmittelbare Gewissheit ...................... 478 14. Das Ding als Objekt der Wahrnehmung ........................... 483 15. D er Realismus objektiver Dinge als Möglichkeit des Irrtums .......................................................................... 492 16. Laufender Kommentar zum II. Kapitel (Wahrnehmung, Täuschung)............................................. 496 16.1 Einzelnes und Allgemeines in der Wahrnehmung 496 16.2 Einheiten in sortalen Gegenstandbereichen 508 16.3 Sich-Zeigen des Wesens in sinnesvermittelter Erscheinung 519
Kapitel III: Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt ....................................................................... 536 er modale Begriff der Kraft in kausalen Erklärungen 17. D von Bewegungen ................................................................. 536 18. L aufender Kommentar zum III. Kapitel (Kraft und Verstand)........................................................... 546 18.1 Vom Ding verursachte Wahrnehmungseindrücke 546 18.2 Das Wirkende und Bewirkte einer kausalen Wirkung 555 18.3 Ursache, Wirkung und Kraft als generische Verstandes begriffe 565 18.4 Das Reich der von uns gesetzten Normen oder Gesetze 586 18.5 Innere Widersprüche und ihre Auf hebung im Urteil 614
(B.) Selbstbewusstsein .............................................................. 633 Kapitel IV: Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst ................ 635 ollzugsweisen des Lebens und der unmittelbare 19. V Selbstbezug im Begehren .................................................... 635 19.1 Leben als Identitätsstiftung 641 19.2 Vom selbstgewissen Umgang mit Dingen zum selbst bewussten Ich und Wir 653
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Inhalt
A. Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbst bewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft ...................... 663 20. Laufender Kommentar zur Bewegung des Anerkennens ... 663 21. Wer ist der Herr, wer ist der Knecht?.................................. 694 22. Kampf um Anerkennung von Normen oder von Personen?. 711 B. F reiheit des Selbstbewusstseins; Stoizismus, Skeptizismus und das unglückliche Bewusstsein .............. 720 23. Stoizismus ........................................................................... 722 24. Skeptizismus ....................................................................... 737 25. D ie Verlagerung des Guten, Schönen und Wahren in ein Jenseits ...................................................................... 747 TEIL 3: VERNUNFTAPPELL UND VERNUNFTKRITIK 775
(C.) = (AA) Vernunft .................................................................. 775 Kapitel V: Gewissheit und Wahrheit der Vernunft ..................... 775 26. Vernunft als Einsicht in die Freiheit des Urteilens ............ 775 27. Die Kategorie ...................................................................... 791 A. Beobachtende Vernunft ........................................................ 811 28. Leibbezug als Dingbezug .................................................... 811 a. Beobachtung der Natur ......................................................... 821 29. Das Leben ............................................................................ 821 29.1 Gegenstandsbereiche und generische Geltung 831 29.2 Selbstbezugnahmen des Lebendigen im Selbsterhalt 850 29.3 Die Freiheit lebendiger Subjektivität und das Innere als Person 905 29.4 Gesetze für das Nichtlebendige vs. Aktualisierung von Formen 915
Inhalt
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b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheitund seiner Beziehung auf äußere Wirklichkeit; logische und psychologische Gesetze ............................... 941 30. Behaviorale Erklärungsformen .......................................... 941 31. Deskriptive Psychologie ...................................................... 949 c. B eobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre .......................................................................... 961 32. Schädelmessung und Gehirnforschung ............................. 961 33. Gehirn und Geist ............................................................... 972 34. Geistige Formen im Vollzug und als Gegenstände reflektierender Rede ............................................................ 1034 B. Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst .................................................................. 1048 elbstbildung durch Verleiblichung dispositioneller 35. S Formen ............................................................................... 1048 36. Zum Verlust instinkthafter Intuition ................................ 1061 a. Die Lust und die Notwendigkeit ......................................... 1066 elbststeuerung durch Gefühle und der Einfluss 37. S von Normen ........................................................................ 1066 b. Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels ........................................................................ 1082 38. Probleme des autonomistischen Intuitionismus ............... 1082 39. Die Selbstgerechtigkeit der Gesinnungsethik ..................... 1095 c. Die Tugend und der Weltlauf .............................................. 1107 40. Der moralische Einzelne und das unmoralische Ganze ................................................................................. 1107
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Inhalt
41. Moderne Subjektivität und antike Tugend ....................... 1121 C. Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist .................................................................................. 1125 42. Zur Absolutheit des eigenen Lebens .................................. 1125 a. Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst .................................................................... 1132 43. Die personale Kompetenz des zweckbezogenen Handelns . 1132 44. Zufällige, vermeintliche und wirkliche Erfüllungen im Handeln ........................................................................ 1149 45. Der Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit: der homo sentimentalis ...................................................... 1160 46. Re-Animalisierung auf hohem Niveau: Der homo rationalis ........................................................... 1171 b. Die gesetzgebende Vernunft .............................................. 1179 47. Von einem Gesetz in uns zu gemeinsamen Normen ........ 1179 c. Gesetzprüfende Vernunft .................................................... 1196 48. Teilnahme an der Entwicklung eines gemeinsamen Ethos . 1196 Literatur .................................................................................... 1217 Personenregister ...................................................................... 1231 Sachregister .............................................................................. 1237
Wenn man zu schnell oder zu langsam liest, versteht man nichts. Blaise Pascal
Vorwort
Habent sua fata libelli. Nicht nur kleine, auch ausgewachsene Bücher haben, wie Menschen, ihre unvorhersehbaren Schicksale. Mich jedenfalls begleitet das Buch, dem Hegel am Ende den Titel einer Phänomenologie des Geistes gegeben hat, seit einer wunderbaren studentischen Zeltreise durch Italien im Sommer 1971 mit einem Schweizer Freund, Guido Hischier, der mich schon damals über Theodor Adorno und Georg Lukács zu Hegel geführt hat. Das ist inzwischen über 40 Jahre her. Das Buch begleitet mich aber nicht etwa wie ein Freund. Es ist dazu viel zu spröde und verschlossen. Freunde sind und waren andere Bücher und das seit längerer Zeit. Dass ich mich dennoch entschlossen habe, diesen Kommentar zu schreiben, verdankt sich zwei Personen, Robert Brandom, der mir 1990, während der Fertigstellung der Arbeit an meinem Buch zu Hegels Logik, durch seine Arbeiten den Weg zurück zur Phänomenologie wies, und Horst Brandt, Lektor beim Verlag Felix Meiner, der mir immer wieder Mut machte und ohne den das Buch nie geschrieben worden wäre.1 Spröde und verschlossen sind Hegels Texte übrigens an sich und das heißt, wie Hegel selbst diese zentrale Ausdrucksweise erläutert, ganz allgemein, also für uns (alle). Das ist eine der Ursachen für die höchst problematische Rezeption Hegels. Diese beginnt mit dem bis heute prägenden Bild von einem konservativen preußischen Philosophen, der angeblich dem Staat den Vorrang vor dem personalen Subjekt gibt. Dieses Bild übersieht völlig, dass Hegel der Philosoph des personalen Subjekts und der Freiheit, der Logiker der Subjektivität und damit der Moderne ist. Eine andere Vorstellung möchte in Hegel einen Theologen im Gewand des Philosophen seZu danken ist noch vielen, besonders aber Katharina Krause und Andrea Busch für die gemeinsame Arbeit bei der Texterstellung. 1
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Vorwort
hen. Unter dem Namen seines Weltgeistes soll er angeblich Gott wiederauferstehen lassen. Hier wird verkannt, dass Hegel radikaler als alle Mystiker und Romantiker die traditionellen Reden von Gott als Momente eigener Selbstvergewisserung auslegt. Dann gibt es noch das bildzeitungsartige Gerede, Hegel predige den Glauben an einen Fortschritt, dem angeblich alles Wirkliche als vernünftig gilt und alles Vernünftige als schon verwirklicht. Wenn dann doch etwas nicht klappt, halte Hegel an diesem Glauben gegen alle Realität fest und zwar gemäß der völlig unverantwortlichen Maxime »um so schlimmer für die Wirklichkeit«. Man bemerkt hier nicht, dass Hegel die Rede von Wirklichkeit generell im Kontrast zu einer empirischen Realität bloß subjektiv perzipierter Phänomene begreift. Wenn wir sagen, etwas sei wirklich so . . . und nicht so . . . zu verstehen, sagen wir, es sei vernünftigerweise so . . . zu sehen. Wir stellen in beiden Ausdrucksformen entweder eine bessere theoretische Erklärung oder eine bessere Haltung zu den Dingen gegen einen schlechteren Anschein. Diese Übereinstimmung seines Gebrauchs mit dem des Wortes »vernünftig« gehört zur allgemeinen Logik des Wortes »wirklich«. Das Wirkliche ist sogar in einem gewissen Sinn als eine theoretisch artikulierte Möglichkeit zu begreifen, mit welcher wir vernünftigerweise zu rechnen haben, eben weil sie eine Wirklichkeit und kein bloße Möglichkeit ist, wie wir tautologischerweise zu sagen geneigt sind, und zwar im Unterschied zu unwirklichen Fiktionen oder reinen Theorien. Die durchaus auch in ihrer leisen Ironie selbständig auszudeutenden Formeln Hegels zu Vernunft und Wirklichkeit leugnen also nicht die Tatsachen, sondern besagen, dass theoretische Erklärungen oder Gesetze geändert werden müssen, wenn sie nicht auf die Realität der Erscheinungen passen oder für unser Interesse an einer Darstellung von Welt allgemein als dysfunktional erkannt sind. Was wir also im Kontrast zu den realen Erscheinungen der unmittelbaren Perzeptionen und der lokal beschränkten Wahrnehmungen als Wirklichkeit anerkennen, ist, wie Hegel besonders im dritten Kapitel der Phänomenologie systematisch zeigt, theo-
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rieförmig. Die Rolle des Verstandes besteht im Gebrauch des Theorieförmigen, des Begri=s. Vernunft stellt sich am Ende als Bewertung des schematischen Verstandes in der Urteilskraft und als bewertete Entwicklung des Begri=es im Rahmen einer als vernünftig beurteilten, also nicht zufälligen, Theorienentwicklung dar. Auch im Alltag brauchen wir Verstand und Vernunft, schon wo wir Sinneswahrnehmungen als Gründe für Urteile und Folgerungen im Reden und Handeln anerkennen. Sogar der scheinbar einfache Begri= der Dinge enthält schon allgemeine Formen theoretischer Erklärung ihrer Wirkungen sowohl auf unsere Sinne als auch auf andere Dinge. Die moderne Rede von der Theorieabhängigkeit der Erfahrung (etwa bei W. V. Quine) und der begri=lichen Verfassung menschlicher Wahrnehmung (etwa bei John McDowell) greifen diese Einsicht wieder auf; wobei McDowell immerhin schon um ihre genealogische Herkunft weiß. Sowohl der Neukantianismus als auch der Amerikanische Pragmatismus und damit beide Vorläufer der Analytischen Philosophie weisen hier nämlich auf Hegel zurück. Im Übrigen widersprechen sich viele Hegelkritiker und viele Interpreten selbst. Hegel soll z. B. gleichzeitig einen Panlogizismus und einen Panhistorismus vertreten, von denen aber niemand genauer sagen kann, was sie sind oder waren, so wenig wie von der angeblich heute nicht mehr haltbaren Geistmetaphysik. Schon die Unklarheiten und Widersprüche in derartigen Zuschreibungen zeigen: Das ist alles eher Geschwätztradition als Textinterpretation. Es ist auch keineswegs bloß in der Musik so, dass neue Interpretationen den Geist eines Werkes erst gegen eine eingeschli=ene Tradition aufschließen. Man denke in der Musik an die ›Wiederentdeckung‹ Johann Sebastian Bachs durch Felix MendelssohnBartholdy oder an die ›historische‹ Spielpraxis eines Nikolaus Harnoncourt und vieler Gesinnungsgenossen. Alle Traditionen, gerade auch die großen literarischen der Bibel, der Ilias oder der Odyssee, der Texte Platons oder Kants oder eben auch Hegels, bedürfen immer wieder aufs Neue einer Dekonstruktion
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Vorwort
von Vorurteilen und eingeschli=enen Lesegewohnheiten. Denn diese überwuchern als angeblich gültige Interpretationen den ›Gehalt‹ der Überlieferungen, und das trotz aller Bemühungen um eine ›wissenschaftliche‹, philologisch-historische, Textkritik. Die Wucherungen verdecken die Inhalte in vielen Fällen sogar bis zur Unkenntlichkeit. Platons Ideenlehre oder schon Heraklits dialektische Prozesslogik sind zum Beispiel gegen ihre Vereinnahmung etwa in einer christlichen Philosophie der Seele oder des Logos neu zu betrachten. Analoges gilt für das Gedicht des Parmenides, dessen Merksätze immer noch als unverständliche metaphysische Thesen gelesen werden. Dabei geht es um den logischen Status wissenschaftlicher Aussagen. Als zeitallgemeine standing sentences sind diese nicht einfach empirisch wahr. Sie artikulieren generische Schlussformen, die man daher immer wieder verwenden kann. Sie stehen im Kontrast zu bloß präsentischen empirischen Informationen mit ihrer Bezugnahme auf den Sprecher oder zu historischen Berichten von Vergangenem. Ja, sie geben empirischen Konstatierungen zumeist erst ihren Sinn. Es ist entsprechend die Metaphysik des Aristoteles allererst als allgemeine Logik unseres wirklichen Weltbezugs zu begreifen. Und es sind die Texte eines Descartes oder Leibniz, Kant oder Fichte, Schelling oder Hegel neu und gegen das Ondit üblicher Philosophiegeschichten zu lesen. Dazu sind die wesentlichen Inhalte der Überlegungen dieser Autoren so frei zu legen, wie man etwa die symphonische Struktur in den Werken Beethovens immer wieder neu frei zu legen hat, dort etwa unter Abtragung eines teils neuromantischen, teils expressionistischen Schwulstes. Dafür ist die Logik der zentralen Gedankengängen zu begreifen. Besonders ernst zu nehmen ist dabei gerade der zentrale Punkt Hegels: Metaphysik und Ontologie sind nur als Logik möglich.2 Die Form der Logik eines Kant oder Hegel wird nun aber gerade Diese Einsicht teile ich mit Andreas Arndt und Walter Jaeschkes großem Buch zum Deutschen Idealismus Jaeschke/Arndt 2012; vgl. aber auch mein Buch Hegels Analytische Philosophie, Stekeler-Weithofer 1992. 2
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in der Begeisterung für die Leistungen von Freges Begri=sschrift nicht mehr begri=en. Das liegt am Siegeszug rein formalistischer Logikauffassungen im 19. Jahrhundert nach Bernard Bolzano, George Boole, Ernst Schröder oder eben Gottlob Frege. Bei Adolf Trendelenburg liegt es daran, dass er zwar die formale Syllogistik des Aristoteles richtig begreift, nicht aber den analogischen Gebrauch, den Hegel im Kontext seiner allgemeinen Di=erenzierung zwischen einem induktiven, deduktiven und abduktiven Schließen der Begri=slogik in einer Art produktivem Missverständnis der Analytiken des Aristoteles von dessen Schlussfiguren macht. Die Reduktion des Logischen im Rückzug auf formalsyntaktische Schlussformen ist sogar die zentrale Ursache dafür, dass Hegels Texte auf den Index bzw. in den Giftschrank der formalanalytischen Philosophen gerieten. Bei den Freunden der ›kontinentalen‹ Philosophie, welche noch wissen, dass gerade angehende Selbstdenker aus der Geschichte etwas lernen können, ist Hegel dann ein zwar in Einzelaussprüchen vielzitierter, von Spezialisten und Laien auch ausgiebig kommentierter, aber praktisch nie mit genügend ausdauerndem Verstand wirklich gelesener und im Zusammenhang des Ganzen der einzelnen Werke ausgelegter Autor. Dabei mögen immer auch allerlei Ausdrucksprobleme für das Missverstehen verantwortlich sein. Hegels Projekt der logischen Analyse wird insbesondere dort missverstanden, wo, wie leider üblich, von »Hegels System« oder »Hegels Dialektik« geredet wird. Möglicherweise ist noch gar nicht verstanden, was Dialektik ist, nämlich eine Logik nicht der Sätze oder Satzfiguren, sondern der Aussagen und Sprechhandlungen im Dialog und im Hin und Her von Einzelurteil und gemeinschaftlichem Wissen. Hegels Dialektik in eine formalsyntaktische dialektische Schlusslogik auf der Satzebene überführen zu wollen, geht an ihrem Status und Sinn vorbei. Stattdessen wäre die begrenzte Rolle syntaktisierter Schlussschemata, wie wir sie in der Mathematik entwickeln, voll zu begreifen. Doch als Logik des Argumentierens ist die philosophische Logik heute noch nicht sehr weit entwickelt.
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Es gibt dann aber auch nichts, was man mit Recht als Hegels System oder Hegels besondere Dialektik nennen könnte, zumal man dabei nach syntaktisierten Theorien sucht und nicht nach dialogisch zu lesenden Argumenten. Eine solche Theorie gibt es so wenig wie eine philosophische Theorie Ludwig Wittgensteins, zumal Theorien als konkrete Begri=sbestimmungen anderen Zwecken dienen als die philosophischen Übersichten und Topographien, an denen die Philosophen interessiert sind, wenn sie in spekulativen Redeformem auf grundsätzliche Formen von Sprache und Welt, Denken und Handeln hinweisen. Das Analytische lässt sich dem Dialektischen nicht einfach gegenüberstellen. Die analytische Methode ist vielmehr Teil einer Dialektik, in der die Problemartikulation den Anfang macht. Das gilt schon für geometrische Problemlösungen durch Analyse, Skizze und Konstruktion. Alle Analysen, auch die logischen, bleiben dabei abhängig vom aufzulösenden Problem. Wie später auch Wittgenstein kämpft Hegel entsprechend gegen ein Philosophieverständnis argumentativ an, das meint, als vermeintlich problemund kontextinvariante verbaldeduktive axiomatische Theorie oder gar als ein Ismus auftreten zu müssen. In der Philosophie kann und darf es weder erste Glaubensaxiome geben, auch nicht intuitiv begründete wie bei Spinoza, noch irgendwelche basalen Weltanschauungen. Glaubensartige Anschauungen, welche mit angeblich plausiblen ersten Sätzen beginnen, aus denen sie weitere Sätze nach angeblich logisch allgemein gültigen Schlussformen ableiten, sind einfach keine Philosophie. Hegels professioneller Sach- und Problembezug kommt in seiner radikalen Ablehnung von allen Ismen, Weltanschauungen und deduktiven Pseudobeweisen der weit verbreiteten Vorstellung gerade nicht entgegen, es ginge in der Philosophie um Thesen oder Axiome, die gegen allerlei Zweifel zu verteidigen sind. Starke Thesen mögen einen Philosophen populär machen. Man denke etwa an Friedrich Nietzsche. Sie taugen am Ende aber nicht für ein nachhaltiges logisches Verständnis. Für eine derartige Klientel war schon Schopenhauer ein passender Held. Dieser ist aber gerade
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darin der große Epigone, dass er aus dem, was er für die Denksysteme Platons oder Spinozas, Kants, Fichtes oder Schellings hält, wie aus unterschiedlichen Steinbrüchen seine eigene Weltanschauung oder sein metaphysisches System zusammenbastelt. Jeder, der so etwas tut, ist nach Hegel bloß eitel, also philosophisch leer und anmaßend. Er verkennt damit schon im Ansatz, worum es in der Philosophie geht. Diese ist nämlich ein lang dauernder geschichtlicher Dialog um ein besseres Verständnis der logischen Formen des Wissens und des Begri=s, darunter auch der Sprache und des Sprechens. Hegel versucht unter dem Titel »Dialektik« eben diese ›Sache‹ und nicht etwa die zu Meinungsführern stilisierten philosophischen Autoren sprechen zu lassen. Eine Schwierigkeit, welche Leser mit der Phänomenologie des Geistes haben können, hängt dann insbesondere auch mit den Gliederungen und Überschriften zusammen. So hat Hegel zum Beispiel den ursprünglichen Titel einer ›Wissenschaft vom (erscheinenden) Bewusstsein‹ verändert. Von heute her gesehen würde wohl am besten der Titel einer ›Logik des Selbstbewusstseins‹ oder auch einer Analyse der ›Realformen des Wissens‹ passen. Denn das ist das Buch in der Tat: eine hochgradig sinnkritische Analyse der Begri=e des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, des Wissens und Selbstwissens. Es geht um Aussageformen wie »ich weiß, dass φ« und dann auch um den Gebrauch bzw. die Missverständnisse im Gebrauch der Wörter »Vernunft« und »Geist«. Wenn wir mit diesen Wörtern bzw. ›Kategorien‹ wie »mein Urteil (über mich), dass φ, ist vernünftig (oder: gerechtfertigt, wohlbegründet oder wahr)« nicht bloß halbbewusst hantieren und dabei alles Mögliche bloß zufällig beiher- oder herbeidenken, intuitiv meinen oder tiefsinnig glauben, sondern wirklich wissen wollen, was Wissen, Wissenschaft und Selbstbestimmung ist, bedarf es einer logisch-phänomenologischen Analyse von kategorialen Ausdrucksformen, wie sie Hegel in seiner Analyse entwirft. Freilich operiert er dabei immer mit nominalen Titelworten. Das führt zu einem scheinbar bürokratischen und dunklen Stil. Im Alltag, besonders in der englischen Sprache,
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liebt man dagegen einen scheinbar klaren und kurzen Verbalstil. Doch ein solcher Stil verführt zur historischen bzw. empirischen Narration und verkennt, dass logische Analyse nie narrativ sein kann. Hochstufige Analysen der relevanten Art heißen bei Hegel »spekulativ«. Um diese Analyseform verstehbar zu machen, müssen wir die üblichen Vorgehensweisen vermeiden, zum Beispiel das mehr oder weniger beliebige Herbeizitieren von schönen Kernsätzen, wie sie bei Hegel verstreut zu finden sind, oder die bloße Wiederholung von Hegels eigener Idiomatik. Selbstbewusstsein ist am Ende als eigenkontrollierte Teilnahme am gemeinsamen Wissen und an seiner Entwicklung zu begreifen. Als Projekt ist es eine reale Praxis, ja eine Lebensform. Diese heißt bei Hegel, in einer gewissen Hommage an Platon und dessen Entwicklung des Eidos-Begri=es, »die Idee«. Das generische Subjekt der allgemeinen Reflexion über diese Lebensform des personalen Menschen heißt »Geist«. Eine Phänomenologie des Geistes ist daher zunächst eine Phänomenologie des ›Man‹, also auch des ›man sagt‹ oder ›on dit‹ bzw. Ondit. Sie wird am Ende zu einer Analyse der Realität des Wissens in seiner kollektiven Entwicklung. Diese weit vorgreifenden Kern- und Merksätze mögen manchem, der die Texte schon kennt, jedenfalls überflogen hat, als inhaltlich kaum glaubliche interpretative Kommentare erscheinen. Wir müssen daher, um sie als Ergebnisse auszuweisen, weit langsamer und vorsichtiger vorgehen. Dass dem so ist, zeigt eine Erfahrung, welche meine eigenen Erinnerungen an meine Beziehung zu diesem Buch allgemein relevant machen könnte. Denn es war und ist nicht einfach, überhaupt zu bemerken, dass es tatsächlich ein einheitliches Thema in diesem scheinbar disparaten Buch gibt. Noch Eckhart Förster meint, dass das Buch entsprechend in zwei Teile auseinanderfällt.3 Das tut es zwar auch in diesen beiden Bänden, aber nur weil die Fülle des Materials nicht in einen Band passt. 3
Vgl. Förster 2011.
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Hegels Buch führt uns, so scheint es, von der sinnlichen Gewissheit bis zur sittlichen Selbstgewissheit einer Antigone, vom Recht eines Kreon zu einer radikalen Kritik von Kants Moralprinzip, gedeutet als ein Verfahren autonomen ethischen Urteilens und Schließens. Die entstehende ›moralische Weltanschauung‹ wird sogar auf unerhört ironische Weise statt als vermeintliche Ethik des Guten als verkappte Anleitung zum selbstgerechten Bösen dargestellt. Hegels sinnkritische Analyse der Subjektivität aller Sprechhandlungen führt außerdem zu einer prä-nietzscheanischen Kritik an jedem ›altruistischen‹ Utilitarismus, an der empiristischen Tradition einer intuitiven Mitgefühlsethik der sentimental morals bzw. des gemeinen Konsenses (common sense) und an der Überbewertung von Gleichheiten unter Abwertung von Freiheiten. Hegel führt uns von der radikalen Kritik an jeder christlichen oder kantianischen Moral der Gesinnung zu einer komplexen Verteidigung eines in seiner unendlichen Reflexionsform logisch allererst in angemessener Weise zu begreifenden Gewissens. Die Kritik an jeder bloß erbaulichen oder appellativ-versichernden Anrufung der Vernunft in der Philosophie der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, unter explizitem Einschluss von Kant, hat dann auch höchst aktuelle Folgen für die Einschätzung analoger Ansätze. Man denke etwa an Jürgen Habermas, der sich wie sein Kollege Karl-Otto Apel ebenfalls auf einen vermeintlich transzendentalen Appell an eine allgemeine Vernunft stützt. Es spricht zwar nichts dagegen, die Fahne freier Autonomie und idealer Vernunft hoch zu halten. Philosophie ist aber mehr und anderes als sich unter Predigten des Guten zu versammeln. Philosophische wie religiöse Bekenntnisse verdecken in ihrer Erbaulichkeit sogar die in ihnen noch lange nicht aufgehobenen Spannungen ethischen Urteilens. Aus rein tautologischen Beschwörungen und sogar noch aus berechtigten Hinweisen auf Bedingungen des richtigen Urteilens und Handelns wie in Kants Moralprinzip entstehen mindestens zwei möglicherweise gravierende Probleme: Auch wenn es notwendig ist, dass ich die Maxime meiner Handlung, wenn sie
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Vorwort
moralisch gut sein soll, als allgemeines Erlaubnisgesetz (oder Gebot) anerkennen kann, wäre es ganz falsch zu glauben, dass diese Bedingung auch schon ausreiche. Daher rührt die gefährliche Attraktivität der kantischen Ethik: Hier kann sich im Grunde jeder seine eigene Lieblingsmoral basteln, wenn er nur selbst konsequent genug ist, wie R. M. Hare bekanntlich ebenfalls schon herausgestellt hat. Der eine meint z. B., Fleisch essen sei erlaubt, der andere hält dies für unmoralisch. Ob die jeweils anderen wirklich mit dem Urteilen und Tun der einen zufrieden sind, das fragt der autonome Moralist nicht weiter. Er begnügt sich mit dem moralischen Gesetz des kohärenten Wollens, dass seine Maxime allgemein anerkannt werden könne. Das zweite Problem ist die traditionelle Tugend und die tatenlose schöne Seele. Eine schöne Seele erfasst nicht die unaufhebbaren Ambivalenzen jeder wirklichen Tat. Sie verbleibt in verantwortungsloser Untätigkeit. Das tut sie, weil sie den Status der Rede über reine Tugendideale nicht in ihrer Reflexionslogik versteht, sondern unmittelbar anwenden will. Der Fehler ist von der gleichen Art, wie wenn man die ideale Mathematik der rationalen und irrationalen Größenverhältnisse und die entstehenden mathematischen Zahlenräume als unmittelbares Abbild räumlicher Verhältnisse deutet. Ohne Wissen um den allgemeinen Status idealer Verhältnisse ist ein solches mathematisches Weltbild ohne wissenschaftliches Selbstbewusstsein. Die traditionelle Tugend aber vermeint bloß, dem Grundproblem autonomer Moral, der Selbstgerechtigkeit, zu entgehen. Der folgende Punkt versteht sich jetzt eigentlich von selbst: Alle Vorschläge, die ich hier mache, sind in erster Linie ein Bemühen um eine kommentierende Artikulation klar verstehbarer Inhalte. Sie sind erst in zweiter Linie Begründungen der Richtigkeit meiner Lektüre. Dass es dabei immer vieles weiter zu diskutieren gibt, gehört in gewissem Sinn zum Metier. Denn es gibt in der Philosophie keine abschließenden Ergebnisberichte, anders als in gewissen Sachwissenschaften. Es geht eher um die Entwicklung der je eigenen Kompetenz des rechten Umgangs mit philosophischen Problemlagen und Überlegungen.
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Der Anspruch dieser beiden Bände ist, dass sie Hegels Buch lesbar(er) machen. Dabei erhält der Leser zwei Bücher in einem geboten. Das eine Buch ist Hegels Text4, das andere ist mein Kommentar, der allerdings auch ohne Hegels Originaltext in seinem Inhalt an sich verständlich sein sollte. Hier signalisiert der Ausdruck »an sich« eine Bezugnahme auf einen allgemeinen Leser, der die erwünschte Eigenschaft hat, dass er sich kompetent um diesen Inhalt bemüht und sich das ihm allenfalls fehlende Vorwissen selbständig aneignet, sollte ihm dieses zufälligerweise mangeln. Zugleich lässt sich mein Text als ein interpretierender Kommentar zu Hegels Buch lesen, wobei die Zuordnung von Text und Auslegung zumeist unmittelbar nachvollziehbar ist. Oft aber ist zur Erläuterung des Gedankens weiter auszuholen. Es ist dazu fast immer nützlich, Hegels Gedanken mit dem philosophischen Denken heute in eine vergleichende oder in eine kontrastive Beziehung zu setzen. Dabei kommentiere ich keineswegs alles Gesagte. Besonders dort, wo mir der Inhalt von Hegels Text insgesamt klar genug erscheint, belasse ich es bei von mir für relevant erachteten Betonungen wesentlicher Aspekte. Formale, historische und philologische Hinweise, so interessant sie immer auch sein könnten, übergehe ich dabei fast völlig: Hierzu gibt es ja exzellente Kommentare. Das Hauptproblem jedes Inhaltsverstehens eines Werkes wie Hegels Phänomenologie des Geistes aber werde ich nicht lösen können. Denn Hegel ist ein denkender Autor, der nur für mitdenG. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Neu herausgegeben von Hans-Friedrich Wessels und Heinrich Clairmont, mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen, Hamburg (Meiner) 1988, wo auch wichtige Informationen dazu zu finden sind, auf welche Autoren Hegel mehr oder weniger direkt verweist wie Görres, Eschenmayer oder auch Schelling, was umso wichtiger ist, als Hegel klar auf die Argumente und nicht auf die Debatte mit Kollegen fokussiert. Hier geht es ebenfalls nur um die Argumente, es wird damit Hegels Debatte in den Rahmen einer Auseinandersetzung mit der gesamten Philosophie gestellt, was zu ganz anderen Bezugnahmen führt als in einem philologischen Kommentar. 4
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Vorwort
kende Leser schreibt, so wie etwa auch Heraklit oder Wittgenstein. Dieses Denken betreibt er so radikal als logisches Strukturdenken, dass er selbst fast alles Berichtende und Historische, besonders aber Verweise auf Autoren tilgt. Es ist aber gerade die berichtende Sprachform historischer Narration, welche wir unmittelbar zu verstehen meinen. Systematische Strukturanalysen sind dagegen schwierig. Sie rufen in einer Art appellativen Ausdrucksform zum selbständigen Mit- und Nachdenken auf. Das ist anstrengend. Daher gilt hier ganz besonders: Habent sua fata libelli. In seinem Vorwort zu Die Brüder Karamasow schreibt Dostojewski, dass dem Leser auch dort zwei Bücher in einem Buch angeboten werden, und beendet sein Vorwort so: »Ich hätte mich übrigens auf diese uninteressanten und verworrenen Erläuterungen gar nicht einzulassen brauchen, sondern ganz ohne Vorwort beginnen können: gefällt das Buch – so wird man es ohnehin lesen.« (. . . ) »Man kann das Buch bereits nach zwei Seiten . . . aus der Hand legen, um es nicht mehr aufzuschlagen. Doch es gibt ja so gewissenhafte Leser, die unbedingt bis zu Ende lesen wollen, um in ihrem unparteiischen Urteil nicht fehlzugehen.« (. . . ) »Nun, das ist mein ganzes Vorwort. Ich gebe zu, es ist überflüssig, da es aber einmal geschrieben ist, mag es auch stehenbleiben. – Und nun zur Sache.«5
Zu meiner freudigen Überraschung habe ich später auch bei Jean Hyppolite Parallelisierungen von Gedanken Hegels und Dostojewskis gefunden. 5
Teil 1 Einführungen
Neben Kants Kritik der reinen Vernunft ist Hegels Phänomenologie des Geistes, methodisch betrachtet, das wohl wichtigste philosophische Werk der letzten dreihundert Jahre. Wenn ich in diesem Urteil recht behalten sollte, gibt es einen Bedarf an einer genau verstehbaren Gesamtinterpretation. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Hegel nach wie vor aus dem amerikanischen Collegeoder Bachelor-Unterricht und sogar aus dem Graduate Program im Fach Philosophie verbannt bleibt. Seine Texte sind o=enbar nicht bloß für Anfänger unseres Faches zu schwer. Hegel selbst will zwar gerade jede bloße Versicherung und damit jede nur dogmatische Lehre vermeiden. Aber das macht Hegels Programm, die Dinge zu zeigen, im Nachvollzug nicht einfacher. Eine kommentierende Interpretation von Hegels Phänomenologie des Geistes, die uns hinreichend genau sagte, worum es in diesem Buch in den jeweiligen Passagen wirklich geht, wofür und wogegen Hegel wie argumentiert, was die relevanten Einsichten und vielleicht auch Irrtümer, insbesondere aber die Argumente selbst sind, gibt es nach meinem Urteil noch nicht. Das zeigt sich übrigens gerade an der o=enbaren Verzweiflung, in welche so hervorragende Autoren wie Rolf-Peter Horstmann, Herbert Schnädelbach und, in etwas geringerem Ausmaß, auch die Schule von Ludwig Siep in Münster mit ihren metaphysischen Interpretationen Hegels geraten sind: Aufgrund ihrer Lektüre fragt sich mit Recht, warum sich heute eine Beschäftigung mit Hegel noch überhaupt lohnen soll. Zurück zu Kant ist daher die Devise. Diese Devise aber kennen wir schon seit Herrmann Cohen und dem Neukantianismus, aber auch, dass sie nicht so weit führt, wie sie verspricht. Dabei wird Hegels Buch seit über zweihundert Jahren ebenso häufig über jedes Maß bewundert, etwa in der französischen
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Rezeption, wie es als allzu unfertig, unlesbar oder, wie in der üblichen Analytischen Philosophie, als begri=lich völlig verwirrt gilt. Von manchem Leser, etwa von Alexandre Kojève oder schon von Georg Lukács in der Tradition von Karl Marx, wird es als eine Art Bildungsroman einer supranaturalen Person, des Weltgeistes, gedeutet, sozusagen als Überhöhung von Goethes Wilhelm Meister oder seines Gegenentwurfs, des Heinrich von Ofterdingen des Novalis.6 Es ist aber eher eine Sackgasse der Rezeption, wenn man das Buch als eine Art geschichtsphilosophische ›Spekulation‹ etwa in Bezug auf die historische Entwicklung von Herrschaften und Knechtschaften zu lesen beliebt. Man muss, ja man sollte das Buch nicht so interpretieren, zumindest nicht, was den Schwerpunkt seines Themas angeht. Das werde ich hier zeigen – was nicht heißt, dass nicht auch Struktur-Aspekte der Entwicklung einer Geistesgeschichte vorkommen. Es gibt zwar Gesamtdeutungen dieses klassischen Textes der Philosophiegeschichte, die uns zentrale Teile von Hegels Lehren korrekt darstellen. In neuerer Zeit haben Terry Pinkard7 und vor ihm schon Robert Pippin8 eindrucksvolle Bücher vorgelegt. In diesen werden allgemeine Ergebnisse überzeugend vorgestellt, etwa dass es Hegel um die Sozialität von Vernunft und Geist geht, wie auch Siep und Michael Quante betonen. Dennoch bleibt ein grundsätzliches Problem unbehandelt, die Frage nämlich, wie es kommt, dass man Hegel allzu häufig gerade die Positionen selbst Georg Lukács weist allerdings mit vollem Recht darauf hin, dass Hegel beide Romane in ihrer widersprechenden Behandlung einer gemeinsamen Agenda, der Selbstbildung der Person, sehr gut kennt. Es ist nicht einmal ganz abwegig zu sagen, dass sie gelegentlich eine Art Hintergrund oder geheime Folie bilden für seine eigenen Überlegungen, die immer auch in gewisser Nachfolge von Rousseaus Emile und inhaltlich Kants Vorlesungen zu Anthropologie und Pädagogik nahe stehen. Solche Hinweise, auch auf Novalis, finden sich ebenfalls bei Hyppolite. 7 Vgl. dazu das schöne Buch Pinkard 1994. 8 Eine eher theoretische Lesart präsentiert das bahnbrechende Buch Pippin 1989. 6
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zuschreibt, gegen die er argumentiert, so dass die Gesamtinterpretationen extremer streuen als bei jedem anderen Autor. Das gilt erstens für das unausrottbare Gerede von einer angeblichen Geistmetaphysik, zweitens für die üblichen theologischen Deutungen der Rede über das Absolute und der Methode der Spekulation. Hegels Philosophie der Logik ist zwar eine Onto-Theo-Logik, aber was das ist, ist nicht so leicht zu sagen. Drittens ist die These, Hegel plädiere angeblich für die Unterordnung des Einzelnen unter das Allgemeine, die Gemeinschaft, das Volk oder den Staat schlechterdings unausrottbar. Es ergibt sich eine geschichtsphilosophische Deutung der kulturellen Katastrophe Deutschlands ab 1914 und dann wieder 1933, wie sie von John Dewey bis Karl Popper, Karl Löwith bis Herbert Schnädlelbach und dann bis heute Konjunktur hat. Dabei wird einem angeblichen deutschen Antiliberalismus ein angelsächsischer Liberalismus entgegengestellt, die es so beide nie gegeben hat. Diese Vorurteile übersehen schon, dass in Hegels generischer Rede über den Geist ein logisch hochkomplexes generisches ›Wir‹, in Korrespondenz zu Rousseaus volonté générale, thematisiert wird. Dieses Wir ist als Man ein nicht bloß grammatisches Subjekt im reflektierenden Reden über uns. Es tritt im gemeinsamen Handeln und kulturellen Wirken ›der Menschen‹ wirklich auf. Die Rede über den Geist steht daher logisch in klarer Analogie zur Rede über den Menschen – und zu allen generischen Gebräuchen der wichtigen Pronomina »wir« und »man«. Das Generische zeigt sich überall dort, wo wir etwa mit Marx zu sagen belieben, ›der Mensch‹ scha=e seine kulturellen und institutionellen Lebensumstände selbst. Gemeint sind dabei wir Menschen, dies aber nicht distributionell, wie wenn wir etwa sagen, wir lernen eine Sprache und das so verstehen, dass jeder einzelne von uns sie lerne. Vielmehr stehen die generischen Ausdrücke »der Mensch« oder »die Menschen« für so etwas wie die Menschheit oder eben den Geist des Menschen im Allgemeinen. Von einer Sozialtheorie des Geistes bei Hegel zu sprechen, ist zwar nicht falsch, aber noch zu schwach. Denn die eigentliche Einsicht ist die, dass wir erst vermöge der Teilnahme an einer
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allgemeinen Praxis zu personalen Subjekten werden, dass also das emphatische Selbstbewusstsein des Ich sich erst aus einem diffusen transzendentalen Wir oder Man entwickelt. Das Allgemeine des Man kann zum Beispiel nicht als bloß statistischer Durchschnitt des Verhaltens oder Handelns der Einzelnen begri=en werden. Vielmehr ist ein selbstbewusstes Einzelhandeln sogar immer in bestimmter Absetzung davon zu begreifen, was man tut. Man tut wiederum das, was wir tun, und zwar in einem generischen Sinn, der als solcher auf das Genus des Humanen, die Gattung des Menschen in ihrer Typik und Wesensbestimmung verweist. Auch das Gesamt dessen, was man tun kann, ist eine bloß erst di=use Mannigfaltigkeit, in der es so unendliche Unterscheidungen gibt wie zwischen bloßen Verhaltungen und bewussten Handlungen oder so determinierte wie zwischen einer Handlung des Feuermachens oder des Feuerlöschens. »Der Geist« ist dabei sozusagen Titel für alle allgemeinen Vollzugsformen des generischen Wir der Menschheit, wie sie für die Unterscheidungen menschlichen Handelns im Kontrast zu einem bloßen dinglichen Geschehen oder physikalischen Prozess bzw. zu einem bloß organischen Leben und animalischen Verhalten begri=lich konstitutiv sind. Der Geist des Menschen als die sapientia des homo sapiens ist dabei nicht etwa das Analysans, sondern das Analysandum. In einer Phänomenologie geht es um seine typischen Äußerungen, um die Erscheinungsweisen des Geistigen der Vernunft, des Verstandes und überhaupt des Bewusstseins, das im Kontrast zu einer bloßen Vigilanz und gerichteten Aufmerksamkeit, wie sie auch Tiere haben, Mit-Wissen ist. Im Fall des Weltwissens findet jede determinierte Negation als Bestimmung von etwas, auf das wir uns erkennend beziehen, in einem schon vorbestimmten Weltausschnitt statt. Die Welt als das Ganze des Seins ist aber kein Genus, definiert keinen wohlbestimmten Gegenstandsbereich, im Kontrast etwa zu den Sternen im Weltall oder den Bergen, Pflanzen und Tieren auf der Erde.
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1. Phänomenologie und Dialektik Die Phänomenologie des Geistes entstand bekanntlich im Rahmen von Hegels Vorarbeiten zu einer Logik oder Wissenschaftslehre. Doch das Thema Wissen und Bewusstsein rückten dabei immer mehr in den Vordergrund. Ziel des Werkes wird mehr und mehr die Aufhebung diverser Naivitäten in üblichen Auffassungen der Seinsweise des Geistes bzw. geistiger Inhalte. Diese werden auf verschiedenen Ebenen zum Thema vorphilosophischer, wissenschaftlicher und logischer Reflexion. Dabei werden die Wörter »Bewusstsein« und »Verstand«, »Selbstbewusstsein« und »Vernunft« sowohl zur Charakterisierung des aufzuklärenden Themas gebraucht, also des Explanandums, als auch in den Erläuterungen, im Explanans. Dass daraus allerlei logische Verwirrungen entstehen, liegt auf der Hand. Bei zu schneller Lektüre zerfällt Hegels Buch vielleicht auch deswegen in viele nur zum Teil kohärente Teile. Schon der Gliederung zufolge geht es um sinnliche Gewissheit und Wahrnehmung, den Verstand und das theoretische Wissen, dann aber auch um Praktische Philosophie, um Sittlichkeit, Schuld, Verzeihung. Am Ende steht, was manche Leser wie Herbert Schnädelbach völlig überrascht und irritert, die Religion als ein scheinbar absolutes Wissen. Und dann schockiert, dass das Wissen des Philosophen Hegels noch absoluter sein soll, weil in ihm der Weltgeist zu sich selbst kommt. Da das nun doch eine etwas einfache Lesart ist, ist die Frage von vornherein wichtig: Wie ist der Zusammenhang? Das zentrale Thema des Buches ist der volle Begri= des Bewusstseins, und zwar im Kontrast zu einem bloß rudimentären Begri= eines Proto-Bewusstseins des Gewahrseins und der Aufmerksamkeit, den wir mit Tieren teilen. Es geht also um den besonderen Begri= des menschlichen Wissens, und zwar sowohl des empirischen Wissens über das, was wir empfinden und wahrnehmen, als auch eines allgemeinen Wissens, das in situationsund sprecherübergreifenden Sätzen formuliert ist. Hinzu kommt alles praktische Wissen, d. h. alles Wissen, wie etwas zu tun ist,
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also alles Können und Sollen. Schon daher ist klar, warum es vom Thema her keine Trennung zwischen Theoretischer und Praktischer Philosophie geben kann. Konkret lässt sich der Überlegungsverlauf, ganz grob, in einer Planskizze zur vorgreifenden Orientierung entwerfen: Hegel beginnt mit der sinnlichen Gewissheit, weil diese doch o=enbar die Basis unseres epistemischen Weltbezugs darstellt, wie besonders die Philosophie des Empirismus betont. Doch es stellt sich im ersten Kapitel schnell heraus, dass aus bloßen Empfindungen allein noch kein Wissen entsteht. Wahrnehmung von Welt ist objektiv, gegenstandsbezogen, sogar faktiv: Was ich wahrnehme, existiert und ist wirklich. Daher kann ich mich im Prozess der Wahrnehmung immer auch täuschen: Ich kann bloß meinen oder glauben, etwas wahrzunehmen. Da der Inhalt der Wahrnehmung derselbe ist wie der des Wahrnehmungsurteils – ein Punkt, den John McDowell mit Recht so stark macht – ist Wahrnehmung weder unmittelbar noch infallibel. Damit führt das zweite Kapitel zur Frage des dritten Kapitels: Wie wirkt der wahrgenommene Gegenstand, der auch ein Ereignis oder Prozess sein kann, auf unseren Wahrnehmungsapparat, unser Sinneskostüm, wie man so gern sagt? Es bedarf hier o=enbar einer kausalen Vermittlung durch eine Wirkkraft. Wie wirken Gegenstände der Welt überhaupt auf einander ein? Und woher wissen wir von diesen Kausalitäten und Wirkkräften? Hier bestätigt Hegel Kants Einsicht, dass die Form des Kausalwissens eine Form der Darstellung und Erklärung des Verstandes ist. Menschliche Wahrnehmung erweist sich damit als längst schon begri=lich und damit (in einem weiten Sinn des Wortes) theoretisch geformt. Um jetzt weiter zu kommen, müssen wir erst einmal auf uns selbst, unseren Verstand und unsere Vernunft reflektieren, etwa auf den Nous des Anaxagoras und die Formen Platons. Wie aber ist ein solches Selbstwissen und Selbstbewusstsein zu verstehen? Das ist das Thema des vierten Kapitels. Es beginnt mit dem Protoselbstbewusstsein des Selbstgewahrseins in der Befriedigung von Begierden und endet in der Aporie, wie denn ein höheres
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Selbstbewusstsein, das man traditionell als Seele den leiblichen Begierden gegenübergestellt hat, Herr im Haus des Wissens und Handelns, des Willens und der Selbstkontrolle werden oder bleiben kann. Die zentrale Frage betri=t das Verhältnis zwischen einer unmittelbar gefühlten (Selbst-)Gewissheit und einem wahren (Selbst-)Wissen, zwischen einer bloß subjektiven Befriedigung und einer echten Erfüllung von Geltungsbedingungen. Die Frage wird im Skeptizismus und im Stoizismus dogmatisch, d. h. in einer reinen Willkürentscheidung beantwortet. Im ersten Fall gibt man sich mit gefühlten Befriedigungen zufrieden und zweifelt, dass es überhaupt Wissen gibt. Im zweiten Fall behauptet man eine Wahrheit des Denkens, ohne die Spannungen zur realen Welt gebührend zur Kenntnis zu nehmen. Das unglückliche Bewusstsein versteht Wahrheit als nie zu erreichendes Ideal und platziert alle wahren Erfüllungen in ein Jenseits. Der Übergang zum 5. Kapitel zeigt, warum nicht sinnvoll gezweifelt werden kann, dass im Vollzug unserer Urteile und Handlungen aller Weltbezug zentriert ist: Dies gerade ist der Inhalt der Gewissheit der Vernunft, alle Realität zu sein. Man beachte, dass Realität bei Hegel sozusagen die subjektive Gegenseite der Wirklichkeit ist. Damit besagt das Prinzip der Vernunft (bzw. der Vernunftphilosophie der Aufklärung) nur, dass alle Urteile von uns gefällt werden und dass alle Handlungen von uns auszuführen sind. Doch damit ist die Frage, wie zwischen Gewissheit und Wissen, Befriedigungsgefühlen und objektiven Erfüllungen von Geltungsbedingungen zu unterscheiden ist, noch lange nicht beantwortet. Insbesondere verbleibt nicht nur der Empirismus und Rationalismus der Aufklärung, sondern auch Kants Kritische Philosophie im Format bloßer Reflexion einer generischen Person auf sich, also im Modus: Ich über mich. Die Spannung zwischen Gewissheit und Wissen ist aber ohne die Spannung zwischen mir und dir, uns und euch und dann auch zwischen bloß endlichen Wir-Gruppen und einem generischen Wir oder Man überhaupt nicht zu verstehen. Das gilt sowohl für jedes theoretische wie für jedes praktische Wissen, für die Wissenschaft wie für Moral
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und Recht. Das zeigt das 6. Kapitel, das Geistkapitel. Es beginnt dabei sinnigerweise mit dem ewigen Streit zwischen Familie und Staat, Antigone und Kreon, Kommunitarismus und Institutionalismus. Schließlich wird klar, dass wir zwischen einem bloß von einzelnen Personen beanspruchten Wir und einem kollektiven WirSagen, zwischen den einer Wir-Gruppe bloß zugeschriebenen Anerkennungen und echten Anerkennungen samt ihrer expliziten Expression unterscheiden müssen. Der sprachlichen und kulturellen Form nach finden wir derartige kollektive Expressionen nur im religiösen Hymnus eines Volkes. Er bildet den Kern einer zunächst religiösen und später dann auch zivilreligiösen Kunst. Daher wird im 7. Kapitel die Religion zum Thema: In ihr repräsentieren wir den absoluten Geist, nämlich uns selbst. Das tun wir im Vollzug der Feier als gemeinsamer Reflexion auf das gemeinsame Leben. Aus dem Hymnus erwächst z. B. das Chorlied, dann auch in repräsentativer Form ohne direkte Teilhabe des Volkes die Tragödie. Später folgen dann etwa auch die Oper und die Symphonik der absoluten Musik. Repräsentativ zu verstehen sind auch entsprechende Bildnisse des Göttlichen, in denen wir uns und unsere Welt darstellen und wiedererkennen. Das Erbe des Hymnus in der Religion der freien Gemeinde zeigt sich dem, der die Dinge in Hegels Blick zu sehen gelernt hat, selten so klar wie im Wortlaut des christlichen Gebet des Herrn: »Vater Unser« – und natürlich im Gemeindelied. Allerdings weiß nur die Philosophie, wie das Abschlusskapitel zeigt, worum es in der Religion eigentlich geht, so wie nur die Philosophie weiß, was Wissen und Wissenschaft ist – und das im Grunde schon seit der Begründung der Philosophie durch Heraklit und seine Enkelschüler Sokrates und Plato, nicht erst seit dem bloß scheinbar ebenfalls höchst arroganten Hegel.
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1.1 Philosophie und Wissenschaft Ausgangspunkt des Buches ist also die bis heute zentrale Frage, was (menschliches) Bewusstsein ist und was die Rede von einem ›human mind‹ überhaupt bedeutet. Es geht dabei um die Di=erenz eines bloß enaktiven Unterscheidens und Kennens einerseits, einem mit-wissenden Erkennen andererseits.9 Dabei geht es klarerweise dann auch um das Wissen darüber, was Wissen ist. Es ist das Wissen des Selbstbewusstseins. Das führt u. a. zu Fragen wie: Was ist Verstand? Was ist gute Urteilskraft, was ist Vernunft? Was überhaupt meint das Wort »Geist«? Und wie sind die Wörter »ich« und »selbst« zu verstehen? Die Leitfragen lauten: Wie erscheinen geistige Fähigkeiten? Was ist das Reale am Denken? Wie verhalten sich subjektive Befriedigungen zu wirklichen Erfüllungen? Wie verhalten sich ehrliche, vielleicht auch schon gewissenhafte, Versicherungen (Thesen) zu einer objektiven Wahrheit? Wie unterscheiden sich im Begri= des Bewusstseins theoretische Gewissheiten von einem Wissen des Wahren? Wie verhalten sich moralische Gewissheiten zu einer recht verstandenen Praktischen Vernunft? Gewissheiten sind noch kein Wissen, und seien sie noch so gewissenhaft. Wie aber ist das Wahre des empirischen bzw. begri=lichen Wissens überhaupt bestimmt? Und wie das ethisch Richtige und Gute? Die Leitfragen enthalten dabei viele Teilfragen, so zum Beispiel die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wort und Begri= oder zwischen Wahrnehmung und Denken. Es wird von Hegel, das ist entscheidend und muss vom Leser unbedingt beachtet werden, nicht etwa schon vorausgesetzt, dass schon bekannt sei, was ›Bewusstsein‹, ›Verstand‹, ›Selbstbewusstsein‹, ›Vernunft‹ oder ›Geist‹ seien. In der Analyse wird nur vorausgesetzt, dass wir mit den Wörtern schon umgehen. Was wir dabei tun und sagen, das gilt es allererst explizit zu machen. Das geschieht vor dem 9
Zum Wort »enactive« vgl. Noë 2004 (passim).
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Hintergrund dessen, dass es längst schon explizierende Kommentare zum geistigen Leben in Religion, Theologie, Wissenschaft und Philosophie gibt. Nur erzeugen diese häufig oft mehr neue Verständnisprobleme, als sie lösen. Das liegt, wie Hegel erkennt, nicht bloß daran, dass die tradierten Explikationen ›falsch‹ wären, sondern daran, dass die Explikation von impliziten Praxisformen logisch eine durchaus nicht triviale Unternehmung ist. Die ›Explikation‹ schon der einfachsten aller Regel-Anwendungsformen, des Modus Ponens für Bedingungssätze der Form »wenn A, dann B«, hat bekanntlich die Form: »wenn A dann B, und wenn A, dann B«. Diese Form kann man o=enbar nicht verstehen, ohne schon praktisch zu wissen, wie man mit der Ausdrucksform »wenn, . . . dann . . . « allgemein umgeht. Wir setzen hier also immer schon eine praktische Kompetenz desselben Typs voraus, wie sie in der Anwendungsformel expliziert werden soll. Diese Kompetenz ist immer auch eine Art technisches ›Knowhow‹. Das wird noch deutlicher, wenn wir Regelausdrücke der Form A ⇒ B betrachten. Die Anwendung einer solchen Regel stellt man durch eine Formel der Art (A, A ⇒ B) ⇒ B mit zwei Regelprämissen A und A ⇒ B und einer Regelkonklusion B dar. Damit machen wir diesen Modus Ponens für Regeln zwar durchaus explizit; und dieser macht explizit, wie man eine Regel A ⇒ B anwendet. Der Modus Pones selbst aber kann nur verstanden werden, wenn man schon praktisch weiß, wie man ihn als Regel anwendet. Das Problem hatten bekanntlich Lewis Carroll und Wittgenstein diskutiert. Womöglich hat es aber schon Platon lange vorher im Dialog Parmenides erkannt. Dort ging es ja gerade um die Anwendung von Formen und Begri=en. Hegel lobt daher diesen Dialog mit Recht als einen der wichtigsten Texte spekulativer, also formentheoretischer, Logik und Dialektik in der gesamten Geschichte der Philosophie. Da auch durch Subjunktionen der Form »A → B« dargestellte Bedingungssätze als Regeln aufzufassen gilt, erläutert ein analoges Prinzip des Modus Ponens für Subjunktionen deren Gebrauch. Er nimmt z. B. folgende Form an: (A, A → B) ⇒ B. In gewissem
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Sinn sehen wir hier, dass vor jedem Sagen ein Können steht, vor jedem artikulierten Wissen eine Fähigkeit. Wie für unsere explizite Regel ›Modus Ponens‹ schon vorausgesetzt werden muss, dass die implizite Norm, wie ein Regelausdruck anzuwenden ist, schon ›empraktisch‹ beherrscht ist,10 so bedarf es auch sonst immer schon der praktischen Beherrschung gewisser Normen des rechten Umgangs mit Explikationen, um diese zu begreifen. Wir werden sehen, dass dies schon eine der zentralen Einsichten Hegels ist. Sie tritt in vielerlei Gestalten auf. Ein besonders interessanter Fall ist der, dass die Religion eine in ihrer Form bloß erst halb- oder gar noch unbewusste Explikation des Geistigen ist. Eine wichtige allgemeine Einsicht Hegels ist dabei: Man kann nicht alles explizit machen. Das rechte Verstehen ist immer praktisch. Es zeigt sich im rechten Tun. Und das Rechte zeigt sich am Ende in einer allseits zufriedenstellenden Kooperation der beteiligten personalen Subjekte und nirgends sonst. Doch damit greifen wir weit vor. Für jetzt reicht es festzuhalten: Ohne Appell an die praktischen Erfahrungen, auf die sie sich beziehen, sind gerade auch die ›spekulativen‹, also meta-logischen und meta-wissenschaftlichen, Reflexionen der Philosophie nicht zu verstehen. Der Appell an das empraktisch Bekannte ist daher methodischer Bestandteil jeder philosophischen Reflexion. Auf Seiten des Lesers oder Hörers bedarf es daher des mitarbeitenden Verstehens der je vorgetragenen philosophischen Untersuchungen, und zwar gerade deswegen, weil diese immer bloß zeigenden Charakter haben. Die phänomenologische Methode des Zeigens ist die Methode sinnanalytischer Dialektik. Sie beginnt zumeist mit dem Aufweis eines Problems, etwa der Darstellung eines inneren Widerspruchs Der Ausdruck »empraktisch« stammt aus Bühler 1934 und erweist sich als extrem hilfreich, um die sonst mystifizierende Metapher von einem geistigen Inneren als bloßen Hinweis auf das in Vollzugsformen Implizite aufzuhellen. 10
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im üblichen, vermeintlich unmittelbaren, Verstehen, das seine impliziten Voraussetzungen übersieht, und zwar weil diese, wie eben gesehen, gar nicht alle explizit gemacht werden können. Daraus resultiert manche unbewusste Willkür im Urteilen. Auf eine entsprechende Diskussion der Probleme der Widersprüche, der Willkür und des Unbewussten folgen dann – ho=entlich – gute Vorschläge zu ihrer schrittweisen Aufhebung. So macht Hegel zum Beispiel für einen hinreichend geduldigen und kompetenten Leser auch hinreichend klar, dass das Wort »Gott« in seinem rechten Sinn erst noch zu verstehen und nicht einfach als ein Name eines schon als bekannt unterstellten Gegenstandes zu lesen ist. Generell besteht das am weitest verbreitete Fehlverständnis einer philosphischen oder logischen Analyse darin, dass man die Sätze, die ein zu klärendes Problem umreißen oder skizzieren, schon als Lösung liest. Das wäre so, wie wenn man die Skizze im geometrischen Problemlösen schon für die Konstruktion oder Lösung hielte. Der Fehler liegt nahe, wenn man von der falschen Vormeinung ausgeht, dass jeder Aussagesatz eine Behauptung über schon bekannte Gegenstände artikuliere. Insbesondere sind Hegels Sätze keine Thesen. Hegel selbst behauptet (fast) nichts, jedenfalls nichts, was nicht praktisch schon klar wäre, wie eben unsere materialbegri=lichen Voraussetzungen des Verstehens empraktisch klar und in eben diesem Sinn implizit sind. Seine Sätze zeigen daher mehr, als sie aussagen. Sie zeigen, was wir in einer Überlegung (an sich) normalerweise oder vernünftigerweise für plausibel halten. Sie zeigen dann auch, warum wir mit den Sätzen am Ende doch wieder nicht zufrieden sind oder nicht zufrieden sein sollten. Die dialektische Methode ist dabei nichts anderes als ein sich selbst überwindender Skeptizismus: Der Skeptiker hinterfragt allzu schnelle Befriedigungen. Er zeigt, dass wir uns nicht vorschnell mit dieser oder jener Antwort auf ein Problem oder eine Frage, dieser oder jener Erklärung oder Behauptung zufrieden geben sollten. Andererseits ist der traditionelle Skeptiker viel zu
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schnell mit seinem Skeptizismus zufrieden, der immer bloß auf vorgegebene Thesen negativ reagiert, wie ein Kind ewig »warum?« fragt oder wie ein Jugendlicher einfach die Gegenthese behauptet. Er sieht dabei nicht, dass uns, wie schon Platon im Phaidon zur Methode der Dialektik sagt11, die relativ plausiblen Antworten tatsächlich weiterbringen, wenn wir nur wissen, dass es immer wieder neue sinnvolle Nachfragen geben kann und geben wird. Hegel appelliert daher auch wiederholt an den Leser, weiter zu klärende Zwischenergebnisse in seiner Sinnanalyse noch nicht als endgültige Erklärungen zu lesen, da sie erst zusammen mit den nachfolgenden Erläuterungen zu einem Gesamtbild werden. Das und der ungeheure Spannungsbogen der Argumentation sind erst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Und es sind Sätze, die im Modus eines zitatartigen Berichts zu lesen sind, was andere sagen oder was man sagen würde oder sagen kann, als solche zu erkennen oder kenntlich zu machen und nicht mit Hegels eigenen Meinungen zu verwechseln. Gegen einen naiven Naturalismus und Individualismus etwa in einer Naturrechtslehre zeigt uns Hegel die gemeinschaftliche und gesellschaftliche Konstitution personaler Fähigkeiten im Rahmen sozialer Normen und Rechte. Nur über die Einsicht in diese gemeinschaftliche Verfassung personaler Subjektivität kann man die personalen Freiheitsspielräume als Ergebnis einer kollektiven Kulturentwicklung ›des Geistes‹ verstehen. ›Ontogenetisch‹ hängen sie von einem konkreten sozialen Lernumfeld ab, aber auch von je eigenen Leistungen. Die Naivitäten des neuzeitlichen Individualismus und Subjektivismus lösen sich so auf. Hegels Logik der Subjektivität und der Moderne ist gerade insofern übermodern, als sie das naive Selbstbewusstsein der Moderne, ihren naiven Subjektivismus, der im Grunde in der Betulichkeit oder Complacency einer illusionären Selbstaufklärung besteht, weit hinter sich lässt. Zentral und fundamental ist dabei Hegels Kritik an der bis heute üblichen ›empiristischen‹ und ›individualistischen‹ Auffassung, 11
Phaidon 100a.
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die Intelligenz des Einzelnen und die geistige Welt überhaupt würde einfach hervorgebracht durch das Verhalten oder die Gehirne der einzelnen Menschen, wie sie sich im Laufe der Evolution nach den aus der Biologie bekannten Weisen zum Zweck des Überlebens der Gattung herausgebildet haben. Scheinbar gegen den gesunden Menschenverstand, jedenfalls gegen den Schein des Unmittelbaren, erkennt Hegel stattdessen, dass Intelligenz und geistige Fähigkeiten von Personen, unter Einschluss aller Kompetenzen des freien Handelns, vor allen besonderen Ausdifferenzierungen eine Art E=ekt gemeinsam tradierter allgemeiner Formen menschlichen Lebens sind. Diese Formen wiederum sind nicht einfach im Sinn eines Aggregats des sozialen Verhaltens von einzelnen Subjekten zu verstehen. Sie sind vielmehr Formen einer Praxis, die sich zunächst im Vollzug zeigen und erst sekundär im Fokus eines Selbstbezugs der Reflexion stehen. Erst dann können sie auf je besondere Weise weiter geformt oder umgeformt werden. Daher ist auch Selbstbewusstheit nie etwas Unmittelbares – so dass jeder Cartesianismus, auch seine Reste bei Kant, Fichte oder dann wieder in Husserls Phänomenologie als hochproblematisch durchschaut sind. Die erfolgreich praktizierten und reproduzierten Vollzugsformen kooperativ verfassten Lebens sind die Seinsweise aller Normativität. Sie stehen in ewiger Spannung zwischen bloß verbalen und realen Anerkennungen. Dabei gibt es kein Handeln ohne ein Sprechhandeln. Das sieht nur zunächst nach schlechter Zirkularität aus. Es betri=t aber lediglich die methodische Spirale der reflexionslogischen Aufstufungen jedes Inhaltsverstehens. Es gibt keine bewusste Vollzugsform ohne eine gewisse Reflexion in sprachlichen Darstellungsformen. Die Spirale hermeneutischer Reflektiertheit allen Handelns besagt dabei, dass alles Sprechhandeln oder Denken beliebig weiter kommentiert werden kann. Diese Kommentierbarkeit gehört zum Begri= des Handelns. Bei Kant wird sie durch die gnomische Formel artikuliert, dass das Denken alle meine Vorstellungen begleiten können muss. Schon wegen der Vagheiten der Wörter »Vorstellung«, »Denken« und
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»Begleiten können müssen« handelt es sich aber eher um eine Art Orakel als um eine befriedigende Begri=serläuterung der so genannten tranzendentalen Apperzeption. Die Person als ein Subjekt, das mit anderen handeln, dabei besonders aber auch Sprechhandlungen oder kommunikative Handlungen ausführen kann, ist sozusagen eher Wirkung als Ursache von Praxisformen und Institutionen. Ich komme nicht als personales Subjekt auf die Welt. Erst langsam werde ich zu einer kompetenten Person in Relation zu anderen Personen. Und erst wenn wir schon personale Subjekte sind, können wir so etwas tun wie Verträge schließen oder um unsere Ehre kämpfen. Zuvor müssen wir uns durch Teilnahme am Rahmen einer di=us vorgegebenen Tradition erst zu Personen bilden. Dabei gehört zu den personenbildenden Praxisformen und Institutionen im weiten Sinn insbesondere die Sprache als Trägerin lehrbarer Begri=e. Die Sprache ist das Äußere und damit das Reale des Geistes. Sie ist die wirkliche Vermittlerin aller bewussten und bewusst lehrbaren Begri=lichkeit. Sie ist Ort und Hort ›des Begri=s‹ überhaupt. Seine personale Bildung bringt z. B. auch ein Robinson Crusoe auf seine Insel aus England mit: Er kann denken, mit sich selbst sprechen, Einfälle entwickeln und kontrollieren. Dies allein unterscheidet ihn zusammen mit einem Fundus an technischem Können und Wissen von dem vermeintlich Wilden, also dem Nicht-Engländer, den er »Freitag« nennt und nicht nur rettet, sondern auch gleich zu seinem ›Diener‹ macht. Alle besonderen Freiheiten des menschlichen Handelns beruhen auf einem gelernten Wissen in einem weiten Sinn des Wortes. Alle Sinngehalte sind so genannte innere Formen äußerer Schemata. Die Rede vom Inneren ist wie die von einem Inhalt Metapher für das, was gleich bleiben kann, auch wenn wir äußere Formen variieren, sofern die Variationen nur entsprechend gleich gültig oder eben äquivalent sind. Inhalte werden wie Formen überindividuell tradiert. Das geschieht im Rahmen von (informellen) Praxisformen und (formellen) Institutionen, durch Erziehung und Bildung.
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Das informelle Wissen wie die formelle Wissenschaft sind dabei zunächst als Praxisformen bzw. Institutionen zu begreifen, an welchen der Einzelne teilnimmt. Sein Wissen und damit auch sein Bewusstsein sind selbst nur über diese Teilhabe verstehbar. Das allgemeine Wissen und die Wissenschaft erkennt Hegel dabei als Institution der ›Entwicklung des Begri=s‹, wobei natürlich der Ausdruck »der Begri=« generisch für alles Begri=liche steht. Entsprechend steht hier der Ausdruck »das Wissen« für ein allgemeines Wissen der Kategorie »man weiß, dass φ« oder »wir wissen, dass φ«, nicht bloß für das, was ein Einzelner weiß, also die kategoriale Form der Einzelheit »x weiß, dass φ«. Die Ausdrucksform »ich weiß, dass φ« steht zunächst ohnehin immer bloß erst für die Versicherung einer Gewissheit. Einzelwissen oder reproduzierbares Können schreiben wir uns selbst und anderen als Einzelwesen zu. Wir di=erenzieren dennoch zwischen bloßen Versicherungen oder Zuschreibungen und dem Fall, in dem wir sagen, einer wisse etwas wirklich. O=enbar handelt es sich im zweiten Fall um eine bewertete Zuschreibung: Wir sind bereit, das Wissen dem Einzelnen zuzugestehen. Wir werden aber sehen, dass auch ein Urteil der Form »man weiß, dass φ« oder »wir wissen dass φ« zunächst Versicherungen sind – so dass die Frage absolut nichttrivial ist, wie wir ein Wissen von bloßen Gewissheiten unterscheiden können und warum es wichtig ist und bleibt, hier zu unterscheiden, auch wenn der Skeptizismus mit scheinbar guten Gründen meint, hier nichts unterscheiden zu können. Die individuelle Entscheidungsfreiheit und erst recht die Freiheiten des wirtschaftlichen Handelns und der freien Verträge in einer eigentumsbasierten bürgerlichen Gesellschaft, schließlich auch die politischen Freiheiten gemeinsamer Gruppen- und Meinungsbildung samt aller kollektiven Mitbestimmung: alle diese Freiheiten sind Folgen von Praxisformen. Zu diesen gehört auch die moralische Kritik und Selbstwertung. Institutionen wie das Rechtssystem und der es schützende Rechtsstaat sind sozusagen partiell formalisierte und schematisierte Praxisformen, nicht
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anders als die Institution Wissenschaft oder das Schulwesen. Schematisierungen machen dabei komplexe Kooperationen oft erst möglich, wie ja sogar das Schriftwesen von Schematisierungen abhängt und der gesamte Bereich des Rechnens, der sozusagen kontrolliert wird durch die Institution der Mathematik. Schemata sind dabei Formen, die sich nach entsprechender Vorbildung leicht und sicher reproduzieren lassen. Die Priorität der Formen in tradierten Praxen und Institutionen ist deswegen so schwer zu begreifen, weil man meint, eine Praxis selbst sei durch das freie Handeln der Teilnehmer ›konstituiert‹. Dabei ist nur richtig, dass es die Praxis nicht gäbe, wenn sich die Menschen in ihrem Tun nicht wirklich an den Formen orientierten. Das geschieht in einem kooperativ geformten kollektiven Handeln, dessen Formen und Normen des Richtigen für den Einzelnen schon gegeben sind, also durch sein einzelnes Tun nicht allererst erscha=en werden. Das individuelle Handelnkönnen hängt also ab von den Praxisformen des gemeinsamen Tuns, Redens, Planens und der Handlungskontrolle. Hegels Phänomenologie des Geistes ist dabei Analyse der generischen Kooperationsformen, welche alle normativen Richtigkeiten wie die der Wahrheit oder des moralisch Guten wesentlich mitbestimmen und eben damit die innere Form der Geistigkeit des Menschen als personale Subjektivität oder als einer sich ihrer Subjektivität bewussten Person allererst konstituieren. Nicht unser Gehirn, wie der Biologismus bis heute vermeint, ist das eigentliche Subjekt intelligenter oder geistiger Handlungen, samt der zugehörigen Urteile und Schlüsse, sondern das System der gemeinschaftlichen Praxisformen und Institutionen, das wir implizit oder empraktisch gerade dadurch anerkennen, dass wir unser Tun und Leben durch es bestimmen lassen. Nur ein so bestimmtes Tun und Leben kann als ›verständig‹ gelten: Der Geist als Verstand ist damit das Vermögen, die Normen, Schemata und Regeln des Richtigen im einzelnen Tun zu befolgen. Das setzt praktische Kenntnis voraus.
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Der Geist als Vernunft ist dann die weitere, methodisch spätere, Kompetenz, auf die Normen des Verstandes explizit zu reflektieren und an der Meta-Praxis der gemeinsamen Entwicklung von Schemata und Regeln für den Verstand teilzunehmen. Der Di=erenz zwischen Vernunft und Verstand korrespondiert entsprechend die Unterscheidung zwischen Wissenschaft als freier Entwicklung von Wissen und Technik auf der einen Seite, ihrer bloßen Anwendung im einzelnen und besonderen wissens- und technikbasierten Handeln auf der anderen Seite. Mit anderen Worten, technisches Wissen und Können, das man durch verbale Vermittlung und Einübung von Handlungsabläufen lernen kann, gehört zur Sphäre des Verstandes. Die Beurteilung der besonderen Anwendungen dieses Könnens und die Entwicklung von neuen Fähigkeiten in den Wissenschaften, gerade auch den Technikwissenschaften, aber nicht nur dort, sondern ebenfalls in den Wissenschaften von den menschlichen Institutionen (damit des objektiven Geistes) gehören schon zur Sphäre der freien Vernunft. Zur Vernunft gehört daher insbesondere die reflektierende Urteilskraft. Aber schon die bestimmende Urteilskraft wird oft allzu einfach gedeutet. Wir wenden nicht einfach vorgefertigte begri=liche Regeln und allgemeine Kriterien auf einzelne Fälle an. Vielmehr ist jede Anwendung eines allgemeinen Begri=s auf einen einzelnen Fall dialektisch in folgendem Sinn: Es gibt eine Art Hin-undHer zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft in einer Beurteilung, inwiefern der einzelne Fall ein besonderer Fall eines allgemeinen Falls ist, also welche allgemeinen Inferenzen verlässlich sind und welche als nicht verlässlich gelten. Denn der Einzelfall kann immer mehr oder weniger defizitär sein. Kein realer Einzelfall stellt ein perfektes Paradigma oder Exempel des Allgemeinfalls dar. In der Welt gibt es immer nur einigermaßen passende Paradigmen des Allgemeinen. Insbesondere müssen auch alle unsere Schematisierungen in besonderen Fällen wieder verflüssigt werden. Das Bild verweist auf eine flexible Anpassung an die realen Gegebenheiten.
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Die idealen Formen unserer verbalen Formreflexionen werden also immer irgendwie defizitär realisiert oder verwirklicht, ohne dass das wirklich ein Mangel wäre. Das Ideale hat immer einen Überschuss zum Realen. Anzuwenden ist es, indem man den je konkret angemessenen Kontrast zwischen einer hinreichend guten und mangelhaften Realisierung im besonderen Gebrauchsfall beurteilt. Es ist trivialerweise wahr, dass es in der realen Welt keine absolute Perfektion gibt. Das ist eine reine Tautologie. Auch alle unsere Begri=e enthalten, wenn wir sie an sich betrachten, einen idealen Überschuss. Denn jede formale Reflektion auf Begri=e oder Bedeutungen an sich ist rein allgemein. Sie ist abgehoben von den konkreten Fällen ihres immer bürgerlichen und endlichen Gebrauchs. Das sieht man (seit Platon) nirgends so deutlich wie am Verhältnis zwischen einer reinen, idealen, geometrischen Form (wie dem eidos eines Kreises) und einer kontextbedingt hinreichenden Realisierung der Form an einem gestalteten Bild oder Bildchen, einem eidolon. Analoges gilt auch für das Wissen und die Wissenschaft, und zwar sowohl für deren standing sentences oder zeitallgemeinen Formen des Unterscheidens und Schließens, als auch für die Wörter »Wissen« und »Wissenschaft«. Als Allgemeinbegri=e (an sich) stehen diese für Idealbegri=e bzw. Ideen, also Praxisformen. Mit diesen verbinden wir eine Zielbestimmung unerreichbarer Perfektion. Das tun wir gerade deswegen, weil wir dann im Einzelfall immer die relevanten Erfüllungsbedingungen angemessen bestimmen können und müssen. Der paradigmatische Fall ist der Fall der Geometrie, wo wir die relevanten Genauigkeiten je nach Anwendungsfall zu bestimmen haben – was nach meiner Deutung schon Platon wusste, bis heute aber allzu häufig vergessen bleibt. Das Wort »philosophia« charakterisierte zunächst die Idealidee eines gemeinsamen Strebens nach neuem und besserem Wissen. Philosophie ist also zunächst Wissenschaft. Ansprüche auf Einzelwissen ohne Bezug auf eine solche gemeinsame Prüfung lehrbaren Wissens kann es dabei aus begri=lichen Gründen nicht
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geben. Später verengt man den Begri= der Philosophie auf das, was bei Platon »Dialektik« heißt und bei Aristoteles »prot¯e philosophia«, lateinisch: »prima philosophia«, was später mit »ta meta physika«, lateinisch: »metaphysica« überschrieben wurde. Es handelt sich im Grunde um die metastufige logische Reflexion über alle geistigen Phänomene, besonders über das Wissen, also um ein Wissen über das Wissen und die Wissenschaft, eine (freilich realiter immer bloß endliche, nur der idealen Form nach göttliche) no¯esis no¯ese¯os, wie Aristoteles sagt. Hegels Wort für eine metastufige logische Reflexion ist »Spekulation«, da das lateinische Wort »speculari« sowohl die hohe Stufe einer Betrachtung einer ganzen Landschaft von oben, wie von einem Wachtturm aus, als auch die Betrachtung in einem Spiegel (»speculum«) ausdrückt. Anmaßend und zugleich leer werden Spekulationen erst später, wenn man an den Börsen meint, in die Zukunft blicken zu können. Das erklärt, warum man heute Hegels Rede über den spekulativen Satz ganz generell missversteht. Zuvor aber hielt man schon Metaphysik für bloße Meinungsphilosophie. Man meint, Wissenschaft habe sich von einer solchen Philosophie emanzipiert – und das sei auch gut so. Hinzu kommt die weitere Meinung, Wissenschaft sei bloß ein Unternehmen der Erweiterung empirischen Einzelwissens. Dabei ist es ein Unternehmen der Entwicklung generisch-begri=lichen Allgemeinwissens. Philosophie aber im modernen, engeren, Sinn als Erbe von Dialektik und Metaphysik ist gerade allgemeine Logik des Wissens und der Wissenschaft. Als solche ist sie Wissen um die Bedeutung des Begri=lichen. Man versteht den Status von Wissenschaft erst, wenn man sie als Arbeit am Begri= versteht. Ohne dieses Verständnis gibt es keine volle, selbstbewusste Wissenschaft. Die institutionellen Ausdi=erenzierungen der Disziplinen lassen das heute anders erscheinen. Das liegt aber nur daran, dass diese Ausdi=erenzierungen auch zu allzu regionalen Verständnissen dessen geführt haben, was Wissenschaft ist. Dabei war sophia zunächst Weisheitslehre. Sie wurde vorgetragen von teils selbsternannten, teils von einem common sense oder
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den Medien akklamierten Vertretern eines angeblich unmittelbar zugänglichen Wissens. Der Schritt zur philosophia bedeutete den Beginn einer ebenso gemeinsam kontrollierten wie immer umstrittenen Entwicklung von Wissenschaft. Philosophie ist seither wesentlich Dialektik im Sinne einer logischen Wissensanspruchskritik und kritischen Wissenschaftslogik. Wäre das als zentrale Aufgabe der Philosophie im System des Wissens erkannt, verstünde man auch die Aktualität der sokratisch-platonischen Kritik an der Sophistik besser. Denn Sophistik ist regional-beschränkte Wissenschaft, ohne Übersicht und ohne Wissen um die Grenzen des jeweiligen disziplinären Wissens. Philosophie ist Kritik an der oft angemaßten Autorität selbsternannter Experten, aber auch an einem Konsens einer nie genügend gebildeten Ö=entlichkeit. Letzterer unterschätzt, wie Hegel mit Heraklit betont, dass ein Streit der Meinungen um gute Vorschläge gerade auch zwischen disziplinären Experten überall zur Methode wissenschaftlicher Entwicklung gehört. Die Qualität und ›Wahrheit‹ einer ›wissenschaftlichen‹ These ist dabei frei zu beurteilen. Es gibt dafür kein ›sicheres‹ Verfahren, etwa durch Bildung von Kommissionen oder gar im direkten Appell an Ö=entlichkeiten. Obendrein muss das absehbar Erreichbare von reiner science fiction, es müssen also reale Möglichkeiten von rein verbalen, damit auch Erwartbares von leeren Versprechungen mit Urteilskraft unterschieden werden. Anders ist ein gut orientiertes Handeln in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft nicht möglich. Dabei ist zuzugeben, dass es beim Finden und Erfinden neuer Theorien oder neuer Techniken auch Zufälle gibt. Doch es ist eines, dem Zufall seinen Platz zu lassen, etwas anderes, auf ein zielorientiertes Urteilen und Handeln zu verzichten und die Entwicklung menschlicher Kultur dem ›Zufall‹ reiner Sozialevolution zu überlassen. Letzteres ist das eigentliche Problem eines biologistischen Naturalismus – als Gefahr für eine methodisch aufgeklärte Wissenschaft. Das bloße ›Überleben‹ zufällig ›stärkerer‹ Ideen zeigt noch nicht, dass sie vernünftig sind.
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Die Anerkennung generischer Wahrheiten kann aber das Ergebnis dialektischer Argumentation sein. Dann sind sie weder einfach direkte Folge einer Gewohnheit oder gar bloßer empirischer Einzelwahrnehmung, noch ergeben sie sich aus apagogischen bzw. deduktiven Ableitungen im Beweisen von Sätzen aus Axiomen. Eine allgemein zuverlässige Methode der ›Induktion‹ gibt es aber auch nicht. Deduktionen sind nur Auswicklungen verdichteter Artikulationen. Sie taugen daher nicht für ein echtes Beweisen oder Argumentieren, was im Grunde das Agrippa- oder Münchhausentrilemma klar zeigt: Erste Sätze oder Axiome müssen trivialerweise anders begründet werden als durch Deduktionen aus Axiomen, sonst wären sie keine ersten Sätze in den Ableitungen. Diese zeigen ohnehin nur, dass man einen Satz nach gewissen Regeln aus anderen Sätzen herleiten kann. Im Blick auf die Prinzipien und Axiome wird von Hegel erstmals wieder, wie bei Heraklit und Sokrates, das dialektische Streitgespräch als Methode für deren Sicherung erkannt. Wir setzen als Aufhebung eines solchen Streits ein materialbegri=liches Normalfallwissen, das im normalen Inhaltsverstehen in Anschlag gebracht werden kann. Ein solches Normalfallwissen drückt sich in paradigmatischen Bildern oder stereotypischen Sätzen aus, etwa der Art, dass Katzen vier Beine haben, lange Schnurrbarthaare und Mäuse fangen. So schließen wir zum Beispiel, dass, wenn von einer Katze die Rede ist, diese wohl lebt, vier Beine hat und das kann und tut, was Katzen können und tun: Relevante Defizienzen hätte uns der Sprecher normalerweise nennen müssen. Daran zeigt sich die kooperative Form des Verstehens. Der Begri= als System materialbegri=licher Inferenzen ist sinnbestimmend. Der Begri= macht also ein Inhaltsverstehen allererst möglich. Das gilt auch für empirische Informationen. Zugleich besteht eine solche Sinnbestimmung in Vorbeurteilungen oder ›Vorurteilen‹. Weil nun die genuine Methode der Begründung generischer Aussagen im Appell an ihre Anerkennung als Artikulation materialbegri=licher Normalfallinferenzen besteht, kann im Falle einer
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Kritik an irreführenden Stereotypen oder allgemeinen Vorurteilen eine einzelne Person gegen eine Mehrheitsmeinung ihrer Zeit recht behalten. Das ist das unerhört Neue der Idee einer kritischen, philosophischen Wissenschaft, wie sie von Sokrates und Platon gegen jede bloße Konsens- oder Mehrheitsmeinungstheorie gewissermaßen in heimlicher Nachfolge einer intelligenten Lektüre Heraklits entworfen wurde. Der dialektische Streit um die bestmögliche Verfassung begri=licher Defaultnormen im Unterscheiden und Schließen wird hier, durchaus auf unerwartete Weise, zur Grundlage aller wissenschaftlichen und institutionellen Dinge. Im Kampf um eine Verbesserung einer tradierten Institution des begri=lichen Verstehens liegt die Methode und in der Anerkennung einer neuen generischen Normalfallerwartung als gemeinsame Normalfallorientierung liegt der Grund jeder Geltung zeitallgemeiner Aussagen, nicht darin, dass sie alle Einzelfälle abdecken. Dabei muss jeder Vorschlag, eine solche bedingte Normalfallinferenz generischer Normalfolgen sozusagen zu kanonisieren, mit Ablehnung oder Nichtanerkennung rechnen. Wissenschaftler riskieren in diesem Sinne immer Kritik. Auch wer in diesen Sachen historisch noch wenig gebildet ist, sollte begreifen, dass bloße Statistik und bloße Mehrheitsmeinungen für die nachhaltige Qualität von Normalinferenzen als Kriterium nicht ausreichen. Ohne mutige neue Ideen, die sich einem üblichen Konsens entgegenstellen, ohne Risiko und ohne einen langen Atem gibt es keine echte Wissenschaft. Es ist daher kein Wunder, dass echte Protagonisten neuer Ideen, von Kopernikus bis Einstein, aber auch von Heraklit bis Hegel, zunächst umstritten sind. Hegel ist es noch heute, was ironischerweise nicht gegen, sondern für ihn spricht, nämlich für die nachhaltige Bedeutung dessen, was er dem mainstream philosophischer Meinungen an Unerhörtheiten zumutet: Ohne ein gewisses Maß an Widerstand gegen eine bloß ö=entliche Mehrheitsmeinung und gegen übliche Wahrnehmungs- oder Darstellungsschemata und damit ohne eine gewisse Abschottung von den Tagesmoden
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gibt es auch keine echte und große Kunst. Entsprechendes gilt für Wissenschaft und Philosophie. Die Arbeitsteilung in der Kontrolle und Entwicklung von besonderem Wissen schon seit der Antike, also seit Platon und nicht erst in der Gegenwart ist dabei viel zu komplex, als dass die bloße doxa, eine ›Intuition‹, die uns der unmittelbaren Mehrheitsmeinung gemäß gut dünkt oder wahr deucht, über die Echtheit und Güte eines Beitrags zu einem nachhaltig-allgemeinen Wissen entscheiden könnte. Der übliche Appell an eine ›objektive Wahrheit‹ hilft nie und nirgends. Das gilt auch für jeden Essentialismus. Es hilft z. B. nicht, in der Theologie »Herr! Herr!« zu rufen. Denn das Wort »wahr« ›sagt‹ zunächst bloß, dass etwas irgendwie richtig oder gut ist, oder dass irgendwelche vermeintlich oder wirklich schon anerkannte Kriterien des Richtigen und Guten erfüllt sind.12 Was es heißt, das zu wissen, wird als bekannt unterstellt. Es ist aber damit noch nicht selbstbewusst begri=en. In einer dialektischen Prüfung von allgemeinen Sätzen, etwa gnomischen Merkformeln in der Philosophie, geht es dann auch nicht etwa darum, ob, wenn manche Leute eine These aufstellen, andere aber die Gegenthese, die einen später zufällig recht behalten werden. Die Frage ist nicht, was am Ende zufällig wahr ist, sondern was als das beste oder verlässlichste allgemeine Wissen bzw. der beste und brauchbarste Artikulationsvorschlag ist, und zwar im Kontrast zu verfügbaren Alternativen. Das ist immer von Die Formalität des Wahren wird übrigens nirgends so klar wie in der Festlegung der Wahrheitswerte für die elementaren mathematischen Sätze. Durch das Vorkommen von Zahlnamen n, m, k in als wahr bewerteten Sätzen der Form n + m = k und n < k definieren wir gerade den gesamten Gegenstandsbereich der Zahlen. Die elementaren Sätze sind daher, anders als Gottlob Frege oder Bertrand Russell noch meinten und viele Nachfolger bis heute meinen, nicht deduktiv aus Axiomen zu beweisen, sondern in einer halbformalen Arithmetik zu setzen. Formallogisch bewiesen werden nur Zusammenhänge zwischen formallogisch komplexen Sätze. Vgl. auch Fußnote Nr. 28. 12
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heute her zu werten, ohne auf den Zufall der Zukunft zu setzen und ohne reine Möglichkeiten gegen reale auszuspielen. Was wir auf der Ebene des Generischen je als wahr bewerten, ist in der Tat immer bloß das für den allgemeinen Fall bestmögliche, nie das universal für alle Einzelfälle richtige Wissen, wie wir noch genauer sehen werden. Es wäre daher ein schlechtes Zeichen für das Selbstbewusstsein von Wissenschaft, wenn diese die Beurteilung der Wahrheit ihrer Aussagen der Zukunft überlassen würde. Ebenso falsch aber wäre ein bloßes Streben nach Zustimmung und Applaus auf der Agora Athens oder in den heutigen Medien. Daher ist die gegenläufige Einsicht des Sokrates so wichtig: Echte Wissenschaft braucht erstens den Mut des Selbstdenkens auch gegen Mehrheitsmeinungen, zweitens aber die Bescheidenheit des bloßen Vorschlages, der von der Allgemeinheit der Kenner immer erst noch zu prüfen und frei anzuerkennen ist. Erst die angemessene Eingrenzung der vermeintlich neuen Erkenntnisse auf einen von disziplinär ausgebildeten Experten nachprüfbaren Bereich des reproduzierbaren Wissens und Könnens oder auf die Formen guter Kooperation in Institutionen verwandelt neue Ideen, Intuitionen oder mantische Ahnungen in echte Wissenschaft. Der Ausdruck »philosophia« im Sinne von »gemeinsame Entwicklung von allgemeinem Wissen« markiert damit gerade den Weg von einer schamanenartigen Predigt zur Wissenschaft. Leider werden die im Szientismus heroisierten Wissenschaftler selbst leicht zu großsprecherischen Urteilen über ihre Disziplinen hinaus verleitet. Die Kritik an der selbsternannten Weisheit moderner Schamanen ist keine Wissenschaftskritik, sondern Teil jeder selbstkritischen und selbstbewussten Wissenschaft. Schon Platon und Aristoteles kennen die Gefahr der Überschätzung der Leistungen gerade auch von mathematischen Darstellungs- und Denkformen. Im Pythagoräismus will man alles und jedes quantitativ in der Form von Relationen zwischen Zahlen darstellen. Die rechentechnische Beherrschung von schwierigen mathematischen Theorien ist aber noch keine ausreichende Beglaubigung von Sachkompetenz. Dazu bedarf es der Anpassung
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der Theorien an das darzustellende Problem. Auch im Bereich der Logik bedarf es einer vernünftigen Kritik der formalen Schemata des Definierens und Schließens, die am Muster der Mathematik und der Taxonomien der Zoologie entwickelt wurden. Die Kritik hat zwischen passenden und unvernünftigen Anwendungen des Schemata des Schließens zu unterscheiden – was formalistische Sophisten vergessen. Üblicherweise stellt man eine philosophische Logik als Entwicklung von Systemen des begri=lichen Artikulierens und Schließens den vermeintlich empirischen Wissenschaften gegenüber. Doch die Wissenschaften sammeln gar keine empirischen Fakten, sondern entwickeln eher das Begri=liche, die Darstellungsformen und Theorien. Sie arbeiten also an der Versprachlichung und Schematisierung von allgemeinem, insbesondere zeitallgemeinem Wissen. Ich halte das für eine der Kerneinsichten Hegels zum Status von Wissenschaft. Philosophie im engeren Sinn der Gegenwart zieht sich (spätestens seit Kant) auf die Reflexion über die allgemeinen Formen der Entwicklung und des Verstehens von Begri=en und Theorien zurück. Dabei ist jede Realphilosophie selbst nur besondere Anwendung allgemeinlogischer Einsichten. Auch sie ist also logische Formanalyse und eben damit nicht etwa Konkurrentin der Wissenschaften. Die übliche Gegenüberstellung von Wissenschaft und Philosophie verführt zu allerlei Überschätzungen und Unterschätzungen der Philosophie. Es geht ihr, wenn man sie recht versteht, um ein explizites Wissen über das Begri=liche und dabei besonders um eine Kritik an jeder Überschätzung unmittelbarer Wissensansprüche innerhalb und außerhalb der Wissenschaften. Wo es die Kontrolle der technischen Reproduzierbarkeit gibt, gilt schon für Platon das kausal-e=ektive Sachwissen, heute etwa auch der ›Naturwissenschaften‹, im Grundsatz als unproblematisch. Denn technisches Können zeigt sich in seiner Reproduzierbarkeit. Probleme entstehen, wo das Wissen immer nur im Kontrast zu schlechteren Möglichkeiten zu bewerten ist, wie z. B.
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im globalen politischen Handeln, im Wissen über Institutionen und Organisationen. Ein solches Wissen ist immer ›ideologisch‹. Das gilt schon für ein Wissen über die Wissenschaften. Gerade das Wissen über das Wissen, das Selbstbewusstsein, verlangt eine ebenso pflegliche wie streitbar-kritische Kultur philosophischbegri=licher Kontrolle der Grenzen der sinnvollen Wissensansprüche der Einzeldisziplinen. Sie liefert den Rahmen für eine vernünftige Entwicklung von Wissenschaft. Hegels Analyse des Bewusstseins führt also über das Wissen zur Wissenschaft und zielt auf ein Wissen über das Wissen. Leitfrage ist, wie sich Wissen von subjektiver Gewissheit unterscheidet. Zentrale Antwort ist: durch die Institution wissenschaftlicher Prüfung der Geltungsansprüche. Auch das große Parallelprojekt von Robert Brandom zur Neulektüre von Hegels Phänomenologie des Geistes kommt in die Nähe dieser Analyse, wie schon sein schöner Titel zeigt: »A Spirit of Trust«. Der menschliche Geist ist in seinem Wesen durch die ethische Form des Vertrauens, genauer, der Kooperativität bestimmt. Es handelt sich dabei aber nicht etwa bloß um das Vertrauen von einzelnen Personen in einzelne Personen oder Einzelhandlungen, sondern immer auch um unser Vertrauen in die schon etablierten und vom einzelnen Subjekt als werdender Person erst zu lernenden Praxisformen oder Institutionen. Nur unsere Kulturtradition und die Teilnahme an ihr machen uns zu Personen und personalen Subjekten. Hegels kategorischer Imperativ »Sei eine Person!« (aus der Rechtsphilosophie) enthält daher die Forderung der Selbstbildung in Anerkennung der Tradition und unter Aufhebung der unvermeidlichen, von allen Empiristen, Rationalisten und Kantianern weit unterschätzten ›dialektischen‹ Spannung zwischen Selbstsein und gemeinschaftlichem Leben, zwischen gemeinsamen Vor-Urteilen (etwa auch eines lebensweltlichen common sense) und einem authentischautonomen Selbstdenken. Entsprechend handelt es sich bei der zugehörigen Anerkennung nicht, wie man von Kojève und Lukács über Habermas bis Honneth glaubt, bloß um die Anerkennung
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anderer Personen oder ›Bewusstseine‹, etwa eines Du im Dialog oder eines Anderen in der Kooperation, sondern immer auch um die Anerkennung der Praxisformen, welche uns von einer Ebene des Könnens und Wissens bzw. Bewusstseins auf eine andere führen. Für eine Rekonstruktion der Einsichten Hegels erweist sich Brandoms inferentialistische Semantik13 als höchst hilfreich. Hegel sieht, dass der Appell an Normen des Richtigen im materialen inferentiellen Schließen zunächst immer im expressiven Modus subjektiver Gewissheit zu verstehen ist. Zugleich erkennt er deren geschichtlichen und institutionellen Status. Und er analysiert die Rolle tradierter und kanonisierter Normen im rechten Unterscheiden und den je besonderen Anwendungen allgemeiner Normalfallschlüsse. Eine zentrale Einsicht Hegels ist dabei, dass das Einzelhandeln die allgemeinen Formen des (generischen) Handelns nicht einfach verändern kann, dass also die Seinsweise einer Praxisform oder Institution nicht, wie der methodische Individualismus bis heute meint, auf unmittelbar ›supervenienten‹ E=ekten eines individuellen Tuns von Vielen beruht, also am Ende ›zufällige‹ Folge eines ›kollektiven Verhaltens‹ ist. Wir kommen ohne die schwierigen Explikationen der Formen kollektiven Handelns und gemeinsamen Urteilens, samt der generischen Rede über ein Man und ein Wir nicht aus. Aufgrund dieser Einsicht und mit der zugehörigen Kritik an jedem sozialen ›Atomismus‹ oder ›methodischen Individualismus‹ kann Hegel die epochale Zeitlogik der dialektischen Entwicklung von Praxisformen oder Institutionen erkennen und artikulieren.
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Brandom 1994.
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1.2 Normen und Regeln im Sprechhandeln Brandom macht sich in seiner Version einer sprechhandlungstheoretischen Semantik bekanntlich eine Idee von David Lewis zunutze.14 Dieser hatte vorgeschlagen, die ›impliziten Regeln‹ einer sprechakttheoretischen ›Dialektik‹ oder besser ›Dialogik‹ als Kontrollnormen eines Spielverlaufs zu deuten. Die Grundidee Brandoms besteht darin, die Begri=e des Richtigen und Wahren auf das rechte Unterscheiden und Schließen im Sprechhandeln zurückzuführen. Deren Korrektheit ist durch implizit praktizierte Verlaufskontrollen im Geben und Anerkennen von Gründen (›giving and asking for reasons‹) bestimmt. Aufgabe von Logik und logischer Analyse ist demnach die Explikation im Sinne einer ausdrücklichen Artikulation der impliziten Normen des Richtigen. Es ist ein ›Making It Explicit‹, also eine Verwandlung von impliziten Normen des dialogischen Sprachgebrauchs in Regeln. Regeln sind satzartig explizit gemachte Normen. So will ich meine sprachtheoretische Metasprache einrichten und reserviere die Wörter »Norm« und »normativ« für implizite Urteilsformen. Es sollen also die Wörter »Regel« und »Normierung« möglichst nur dort gebraucht werden, wo Normen schon durch Ausdrücke explizit gemacht sind – wobei freilich die Normen des Gebrauchs der Ausdrücke als praktisch beherrscht vorausgesetzt sind. Ein schwieriger Sonderfall sind so genannte Prinzipien. In diesen kommen Titelwörter für ganze Normensysteme vor. Ihr rechter Gebrauch beruht, wie der figurativer Redeformen, auf einer besonderen Sprachtechnik. Da diese nicht als Verfahren eines Regelfolgens oder einer rein schematischen Formenreproduktion zu erwerben und anzuwenden ist, streuen hier die Fähigkeiten der verschiedenen Menschen. Daher sind philosophische Diskurse über Prinzipien schwer. Sie sind auf eine andere Weise abstrakt Es wird in einem »Scorekeeping« von Gesprächspartnern sozusagen kontrolliert, welche Versprechen (etwa von Begründungen für Thesen) von anderen Gesprächspartnern noch zu erfüllen sind. 14
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als mathematische Darstellungsformen. Gerade dann, wenn man bloß mathematische, d. h. voll schematisierende Abstraktionen beherrscht, versteht man sie nicht. Auch das ›Giving and Asking for Reasons‹ bei Sellars und Brandom unterstellt längst schon anerkannte Normen des Richtigen. Hegel will uns zeigen, dass wir dabei auf die Geschichte ihrer Konstitution angewiesen sind, die zumeist keine Geschichte expliziter Instituierung ist, sondern eher der empraktischen Anerkennung von Kooperationsformen, die sich partiell ereignisartig im kollektiven Handeln ergeben. Verstand als ›Vermögen der Regeln‹ (Kant) hat einer, wenn er gegebenen Normen und Regeln etwa des sprachlich-inferentiellen Schließens richtig folgen kann. Die erfolgreiche Aktualisierung dieser Fähigkeit verlangt, dass die Sprechakte und Handlungen die Verlaufskontrollen eines Scorekeeping bestehen. Es sind dazu die Verpflichtungen des Begründens und konsequenten weiteren Handelns so einzulösen, wie sie durch die Sprechakte im Dialog übernommen wurden. Vernunft ist Teilnahme an einer freien Kultur der Entwicklung kooperativer Formen gemeinsamen Handelns. Daher wird die begri=lich bedeutsame Di=erenz zwischen dem englischen Wort »reason«, das zunächst »Grund« bedeutet und dann auch »verständiges Denken«, und dem deutschen Wort »Vernunft« relevant, das zunächst die Fähigkeit überschreibt, auf andere zu hören, deren freien Argumente zu ›vernehmen‹ und sie in einem gemeinsamen Urteil aufzuheben. Vernunft scha=t neue Formen und transzendiert damit reflektierende Urteilskraft und bestimmende Urteilskraft. Erstere sucht im Ausgang von einem besonderen Fall nach einem passenden Begri= oder einer passenden Regel. Letzere ist nach Kant Anwendung eines Begri=s oder einer Regel auf besondere Fälle. Das alles heißt natürlich, dass wir dies tun, soweit wir an der Praxis eines Gebrauchs von Begri=en und Regeln teilnehmen oder an einer Praxis vernünftiger Vorschläge neuer Formen oder der Beurteilung solcher Vorschläge, in der es um eine freie und doch kollektiv-kooperative Anerkennung möglicherweise neuer Normen und Regeln, Praxen und Institu-
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tionen geht, wenn wir sie als gut bewerten. Man sieht: Vernunft kann man o=enbar nicht erzwingen. Der instrumentelle Verstand, der oft auch als technische Vernunft angesprochen wird, ist dabei selbst Folge einer allgemeinen Institution, die wir durchaus auch kurz »Technik« nennen können, welche neben den Technikwissenschaften auch jede Technologie umfasst. Technologie ist, sozusagen, eine Organisationsform des kollektiven, kooperativen, technischen Handelns. Man kann dann sagen, dass die Technik und Technologie das technische oder instrumentelle Handeln der einzelnen Personen erst möglich machen. Die Logik des Verstandes ist die Norm- und Regelbefolgung. Die Logik der Vernunft ist die Dialektik der freien allgemeinen Aufhebung von Widersprüchen und Problemen. Es geht dabei um den Status freier Dialektik. Es ist eines der Hauptbedenken Hegels gegen jeden Kantianismus, dass dieser als eine Philosophie des Verstandes bloß ein entwickelter Empirismus ist. Er wird zwar durch eine Referenz- und Inferenz-Logik vertieft. Der kategoriale Unterschied zwischen unfreiem Verstand und freier Vernunft, zwischen Regelbefolgung und autonomer Regelsetzung wird dabei aber, so Hegel, weit unterschätzt. Über diese allgemeinlogische und damit in gewissem Sinn formale Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft weit hinaus behandelt Hegels Phänomenologie des Geistes gewissermaßen das gesamte mentale Vokabular und fragt nach der Verfassung und methodischen Ordnung diverser geistiger Fähigkeiten, von der Empfindung und Wahrnehmung bis zum Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Damit wird am Ende eine auf das objektiv Allgemeine, also die kulturellen Bedingungen aller ›rationalen‹ Fähigkeiten von Personen reflektierende Philosophie des Geistes einer bloß auf das subjektiv Besondere, das einzelne Tun, Empfinden und Meinen einzelner Menschen reflektierenden philosophy of mind gegenübergestellt. Letztere erweist sich als bloße Philosophie der Psychologie. Dieses Ergebnis ist dramatisch. Schon mit der begri=lichen Verwirrung in der Übersetzung der englischspra-
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chigen philosophy of mind durch den Titel »Philosophie des Geistes« gerät die gesamte Sphäre des Geistes aus dem Blick – mit der Folge, dass man nicht mehr versteht, was »Geisteswissenschaften« sind. Denn diese sind die Institution des Sachwissens über den objektiven Geist, also über alle Gegenstände, Prozesse, Ereignisse und Tätigkeiten humaner Kultur in der Pflege von Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Verstand und Vernunft, von der Literatur über die Welt der Bilder und Musik bis zu Religion und Recht. Es ist daher kein Wunder, dass das Fehlen der Unterscheidung zwischen reason und rationality und der Mangel eines adäquaten allgemeinen Begri=s des Geistes in der englischsprachigen Diskussion die Wechselbeziehung zwischen (objektivem, allgemeinem) Geist und (subjektivem, einzelnem) ›mind‹ gar nicht begreifbar machen kann. Das betri=t die Philosophie ebenso wie die Kognitionswissenschaften: Der sogenannte Fortschritt in der ›philosophy of mind‹ und den gegenwärtigen ›cognitive sciences‹ sieht gerade aufgrund einer unbemerkten Verfallenheit an die empiristischen Perspektiven Lockes und Humes viel größer aus, als er in Wirklichkeit ist. Hegels Kritik an Kants bloß halbherziger Kritik am Empirismus ist also heute fortzuführen. Denn die Positionen des 17. und 18. Jahrhunderts sind in der gegenwärtigen Debatte um den Begri= des (menschlichen) Bewusstseins, des (menschlichen) Geistes oder der besonderen Fähigkeiten des Menschen noch keineswegs überwunden. Die Frage nach der besonderen Intelligenz oder Vernunft (»sapience«, »sapientia«) und die Rolle der Philosophie in dieser Debatte wäre so endlich weiter voranzubringen.
1.3 Objektiver und absoluter Geist Da mancher Leser schon jetzt nach der ihm wohl bekannten Unterscheidung Hegels zwischen objektivem und absolutem Geist fragen wird, sei hierzu kurz das Folgende bemerkt. Es scheint zunächst so, als stehe der Ausdruck »absoluter Geist« einfach
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für einen kaum mehr als bloß verbal säkularisierten Gott. In Wirklichkeit aber unterscheidet Hegel den objektiven Geist als inneren Gegenstand der Geisteswissenschaften, also dem, was man als Geschichte oder Recht, Staat oder Kunst zum Thema macht, von einem gemeinsamen Wir. Dieses Wir ist der absolute Geist. Er ist der Geist, der wir sind. Dieser Geist bildet eine Art Hintergrundrahmen, gerade wenn wir etwas handelnd und dabei immer schon in der einen oder anderen Weise kooperativ ausführen. Der absolute Geist ist also das generisch-kollektive Subjekt aller menschlichen Praxisformen. Er ist eine Art di=us-generisches Subjekt von Vollzugsformen im kollektiven Handeln. An ihm nehmen wir im selbstbewussten Begreifen als einer Form des tätigen Anerkennens gemeinsam verfügbarer Vollzugsformen teil, so wie wir in einem einfachsten Fall an einem Paartanz oder Rollenspiel teilnehmen oder dann auch an viel größeren Projekten wie einem nationalen Aufbruch. Man denke etwa an den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Französische Revolution, die Befreiungskriege gegen Napoleon und das preußisch-kleindeutsche Reich nach 1871, oder dann auch an die Befreiungs- und Bürgerrechtsbewegungen des 20. Jahrhunderts. In allen diesen Fällen gibt es ein generisches Wir derjenigen, welche die Bewegungen voranbrachten oder in ihrem Tun anerkannten. Global kollektiv und nicht bloß national sind dagegen schon seit der Europäischen Antike die Projekte einer transnationalen Wissenschaft, Ethik und Kunst, mit ihren Vorformen in einer transkulturellen Religion. Der objektive Geist ist das Gesamt der Darstellungs- und Reflexionsformen in unseren Reden der Form »wir über uns«. Er ist das Thema der Geistes- oder besser Institutionen-Wissenschaften, etwa des human- und kulturhistorischen Wissens oder des Wissens über die leitenden Prinzipien, Normen und Regeln diverser Praxisformen wie der des Rechts, der Wirtschaft, der politischen Verfassungen oder der mehr oder weniger freien Gemeinschaftsformen wie der diversen Kirchen. Eben diese Praxisformen und Institutionen, samt ihren Prinzipien, Normen und Regeln werden
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in den Geisteswissenschaften zu Objekten des Wissens, und zwar über eine Art der Entfremdung von den Vollzugsformen durch ihre Verwandlung in gegenständlich beredete Formen. Ihnen gegenüber steht eine tätige Anerkennung im Vollzug. Nicht bloß gegenstandsartig explizit wird die Anerkennung einer Vollzugsform immer nur im Vollzug selbst. Das erklärt, was viele Interpreten, etwa auch Herbert Schnädelbach, ganz o=ensichtlich und auch nach eigenem Bekunden nicht verstehen, nämlich warum die Feiern der Lebensformen in Religion und Kunst für jedes Verständnis des Geistes im Vollzug, also des absoluten Geistes, so bedeutsam sind. Das aber bedeutet, dass man auch nicht verstanden hat, dass das Wort »absolut« hier nur in Kontrast steht zum Relationalen einer Bezugsform oder Aussage: Das Absolute sind wir im Vollzug des Lebens selbst. Begri=lich explizit aber wird das alles erst in einer Philosophie, deren eigene Vollzugsform das Nach-Denken über Vollzugs- und Bezugsformen ist. Als solches ist Philosophie höchststufiges, eben ›spekulatives‹ Denken. Der absolute Geist also sind wir selbst, aber nicht als bloße Ansammlung oder Menge von Einzelpersonen, als bloßes distributives Kollektiv, sondern als eine Gemeinschaft, in welcher die Formen der Vernunft, um es pars pro toto zu sagen, zu einer einheitlichen Menschheit verbunden sind. Diese Gemeinschaft sind wir selbst. Sie transzendiert jeden Einzelnen. Diese Gemeinschaft wird in Religion, Kunst und Philosophie nicht bloß als Gegenstand eines Wissens thematisch, sondern als expressiv zu feiernde Form gemeinsamen Lebens, die uns allererst zu denen macht, die wir sind und sein können. Aus genau diesem Grund ist Philosophie in ihrem Appell an unser Menschsein genauso wenig eine Sachwissenschaft, wie Beethovens Lied an die Freude kein Sachwissen vermittelt oder die Mythen der Religionen kein historisches Wissen. Das Wir dieser Gemeinschaft wird manchmal auch enthusiastisch gefeiert. In jedem Fall bedarf es der expressiven Selbstvergewisserung dieses absoluten Geistes. Er existiert sozusagen als vergegenwärtigte
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Vollzugsform des Menschseins. Nichts Menschliches ist diesem Geist fremd. Hegel spricht diese gemeinsame Vollzugsform an als die durch ein religiöses, kulturell-ästhetisches und philosophisches Selbstbewusstsein begleitete Wirklichkeit der Idee. Diese ist das Projekt einer vernünftigen Entwicklung unserer gemeinsamen Lebensformen, der Institutionen eines humanen Lebens, samt der durch sie allererst ermöglichten wirklichen Handlungen der einzelnen Personen. Diese Idee ist am Ende Platons Idee des allgemeinen Guten, Schönen und Wahren. Nur insofern eine Theologie die Idee Gottes in diesem Sinn platonisch (nicht: ›platonistisch‹) bestimmt, kann diese Idee mit dem Gott etwa des Christentums identifiziert werden. Es ist jetzt o=enbar der individuelle und subjektive Geist, also das Reich des Mentalen der Einzelperson (mind), unbedingt vom objektiven Geist der Institutionen zu unterscheiden. Dieser objektive Geist unserer Institutionen ist zu unterscheiden vom absoluten Geist des allgemeinen Selbstbewusstseins, vermittelt durch die Wissens- und Praxisformen der Religion, Kunst und Philosophie. Diese wiederum sind die drei Vollzugsformen, in denen wir uns selbst in unserer Teilhabe an Praxisformen und Institutionen aktiv und anerkennend begreifen. Dabei ist der Weg zu dieser Unterscheidung, zwischen dem subjektiven Einzelgeist (mind), dem objektiven Geist (was man kann) und dem absoluten Geist (wie wir uns verstehen), von zentraler Bedeutung. Er ist die ›Methode‹ der Analyse des Begri=s des (Selbst-)Bewusstseins. Auf diesem Weg (hodos) gelangen wir zu einer meta-stufigen, in diesem Sinn ›meta-physischen‹, Einsicht in die Logik unserer Reden über das Geistige und damit über uns selbst, bzw. in die Artikulationsformen der Reflexion auf konkrete Aktualisierungen von Praxisformen im individuellen Tun und Leben und der formenanalytischen ›Spekulation‹ im Sinn einer extrem hochstufigen und allgemeinen Reflexion auf die Formen selbst. Dabei reicht es nicht, prima facie gute Merksätze oder Prinzipien zu formulieren, welche uns etwa sagen,
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dass das Reich des Geistes nie bloß subjektiv existiert und daher auch nie direkt für den Einzelnen oder gar unmittelbar durch sein Gehirn zugänglich ist. Der wichtigste Punkt ist der argumentative Weg, der zu den entsprechenden Einsichten führt. Dieser Weg, samt der für den Gang auf ihm nötige Kunst, heißt seit alters mit gutem Recht »Dialektik«. Es ist eine Methode des dialogischen Aufweisens und Zeigens, kein deduktives Ableiten oder ›Beweisen‹, sondern demonstrative Hinführung zu gemeinsamen Einsichten.
1.4 Philosophie als Meta-Physik Philosophie im heutigen engeren Sinn ist in Abgrenzung vom sach- oder objektbezogenen Teil unseres systematischen Strebens nach theoretisch artikuliertem Wissen zu verstehen. Letzteres heißt inzwischen, gerade auch als Institution, »Wissenschaft«. Die Wissenschaft von dem, was es ohne unser handelndes Zutun gibt, hieß dabei immer schon »Physik«. Thema war das gesamte Wissen oder die gesamte Wissenschaft von der Natur. Die Physik als Naturwissenschaft hat sich inzwischen ausdi=erenziert etwa in die Biologie als Wissenschaft von allem Lebendigen oder die Chemie als Wissenschaft von den Sto=umwandlungen. Die moderne Physik im engeren Sinn ist dann zunächst allgemeine Bewegungslehre nichtbelebter Dinge. Urbild ist die klassische Mechanik und Dynamik (›Beschleunigungslehre‹) Newtons. Es kommen später Elektrodynamik bzw. der ›Magnetismus‹ hinzu, noch später eine ›Teilchenphysik‹. Die Astronomie und astronomische Kosmologie ist »angewandte« Physik. Die Biologie di=erenziert sich entsprechend aus in die Kunde von Tieren und Pflanzen und dann auch in Physiologie und Neurowissenschaften bzw. in die biologische Kosmologie der Evolutionslehre. Die Medizin oder Heilkunde steht dann, wie jede Technik, zwischen einem Wissen von dem, was von selbst geschieht, also der Natur, und einem praktischen Wissen darüber, was wir tun können. Sie ist zugleich ein Wissen
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vom Menschen und dem gesunden und guten Leben. Daher ist die Medizin keine reine ›Naturwissenschaft‹. Wir sehen dabei, dass der alte Obertitel »Physik«, der ursprünglich ganz im Sinn von »scientia naturalis« oder auch »philosophia naturalis« der Chemie und Biologie übergeordnet war, diesen inzwischen nebengeordnet wird. »Physik« ist damit zu einem Untertitel des neuen Obertitels »Naturwissenschaften« oder »natural sciences« geworden. Auf die gleiche Weise wird der noch höhere Obertitel »Philosophie«, der zunächst im allgemeinsten Sinn eine gemeinsam systematisch betriebene und in ihren Methoden und Ergebnissen explizit artikulierte, in eben diesem Sinn theoriegestützte, Wissenschaft überschrieb, zu einem Nebenbegri= der Wissenschaft. Das, was heute mit »Philosophie« überschrieben wird, fällt weitestgehend mit dem zusammen, was Platon »dialektik¯e techn¯e«, also die Technik der Dialektik oder Logik genannt hatte. Das entspricht wiederum weitgehend dem, was seit der Benennung der entsprechenden Bücher des Aristoteles durch Andronikos von Rhodos traditionellerweise »Metaphysik« heißt. Aristoteles selbst spricht bekanntlich von einer »ersten Philosophie«, wörtlich »pr¯ot¯e philosophia« (»lat: prima philosophia«). Diese Protophilosophie ist nach unserer Erläuterung natürlich als Protowissenschaft gemeint. Dass sie in einem gewissen Sinn ›die erste‹ Wissenschaft sein soll, artikuliert einen gewissen Vorrang. Man beachte dazu, dass das Ordnungswort »prima« dem Wort »principium« korrespondiert, das »pr¯ot¯e« entsprechend dem Wort »arch¯e«. Wörtlich bedeuten »arch¯e« und »principium« bekanntlich »Anfang« und »Beginn«. Geht es daher in der Metaphysik um den Beginn von Philosophie und Wissenschaft? Ja und nein. Denn es geht eher um die Prinzipien oder Grundformen der Wissenschaft. Diese mögen sich an den Anfängen der Disziplinen besonders schön sichtbar machen lassen. In gewissem Sinn kennt gerade der Anfänger diese Grundformen und ihre Artikulationsversuche durch Prinzipien nicht, während jeder, der nicht mehr Anfänger ist, die
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Grundformen einer Praxis längst schon in ihrem Gebrauch kennt oder als bekannt unterstellt. Aufgabe der Ersten Philosophie oder Protowissenschaft ist es daher, das Implizite dieses praktischen Wissens oder Könnens explizit zu machen, reflexionslogisch zu artikulieren. In eben diesem Sinn ist das, was die Metaphysik oder Erste Philosophie untersucht, ein in den (empirischen) Sachwissenschaften längst schon als geklärt und wahr unterstelltes, präsupponiertes, in eben diesem Sinn apriorisches Wissen und Können. Metaphysik ist daher nach Aristoteles no¯esis no¯esos, Wissen vom Wissen. Sie ist als solche gerade nicht Wissen von dem, was gewesen ist, was gegenwärtig existiert oder was im Futur sein wird, also von dem, was traditionell unter den Titeln »physis« oder »natura« steht. Dabei ist die sachliche und ausdrucksbezogene Verwandtschaft von Sein, Wesen und Natur, bzw. des lateinischen »fui« und »futura« mit dem Englischen »to be« und dem Deutschen »Wesen« und »gewesen« durchaus bemerkenswert: Physik ist einfach Wissen von dem, was ist. Meta-Physik ist Wissen von diesem Wissen. Metaphysik ist wissenschaftliches Selbstbewusstsein. Das Organon dieses Selbstbewusstseins ist die Logik. Die Protowissenschaft der Metaphysik fällt also thematisch weitgehend zusammen mit unserem heutigen, engeren Philosophiebegri=, sofern wir die Ethik einmal ausklammern und die eng mit der Metaphysik verbundene Logik und Wissenschaftslehre des aristotelischen Organons hinzunehmen, in welchem die ›Werkzeuge‹ oder ›Methoden‹ von Forschung und Wissenschaft, also die wissenschaftsmethodologischen Traktate des Aristoteles auch zur allgemeinen und besonderen Logik der Darstellung des Wissens zusammengestellt werden. Dass es dabei der Metaphysik oder Philosophie um ›Anfänge‹ (archai) geht, bedeutet, wie wir jetzt auch schon sehen, nicht etwa, dass der angehende Wissenschaftler sein Streben nach Wissen mit der Philosophie als reiner Protowissenschaft beginnen soll. Der ›Vorrang‹ der Philosophie als Meta-Physik oder als Wissen über das Wissen besteht vielmehr darin, dass ›Prinzipien‹ oder ›archai‹ nicht (bloß) Anfänge, sondern (zumindest auch) leitende
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Ideen sind. Es geht also in der ›Theoretischen Philosophie‹ um Reflexionen auf die Prinzipien und die Formen des Urteilens und Schließens in der Wissenschaft. Selbst wenn Andronikos von Rhodos die Bücher der Metaphysik, wie viele Forscher meinen, bloß deswegen unter den Titel »ta meta physika« gestellt haben sollte, weil sie in der bibliothekarischen Anordnung hinter (meta) den Büchern der Physik gestanden haben mögen, so besagt der Titel immerhin auch, dass der Inhalt dieser Bücher im Unterschied zu den Bücher der Physik nicht über die Natur handelt, sondern über (meta) die Physik, dass also die Physik, nicht die physis oder natura Thema ist. Kurz, (theoretische) Philosophie im engeren Sinn einer allgemeinen Proto-Wissenschaft ist schon seit Platon und Aristoteles im Wesentlichen Meta-Physik und logische Meta-Wissenschaft und setzt eben daher schon praktische Kenntnisse der in diesen metastufigen Reflexionen thematisierten Wissenschaften voraus. Im Übrigen ist dann auch eine genuin philosophische Ethik oder ›Praktische Philosophie‹ im modernen engeren Sinn von Philosophie selbst immer schon notwendigerweise Meta-Ethik, das aber nicht im verengten Sinn des 20. Jahrhunderts, der bloß an die verbalen Ausdrucksformen ethischer Urteile denkt und nicht an das Wissen über das gesamte Ethos oder die ›Sittlichkeit‹ als System kooperativer Normen des Richtigen und Guten. Auf die Frage, warum die Tradition die Metaphysik statt als Reflexion auf Wissenschaft als dogmatische Spekulation über erste und letzte Dinge, etwa über einen Gott als vermeintlich wirklichen Weltarchitekten oder über die Seele als vermeintlich wirklich unsterblich ausgedeutet hat, womit Platon und Aristoteles systematisch fehlgedeutet wurden, kann ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Das ist eine ganz andere Geschichte. Es ist eine mehr als 2000-jährige Geschichte der medialen Verbreitung von zunehmend verflachten Vorstellungen über Philosophie und Wissenschaft, die dann ihrerseits die Meinungen der Wissenschaftler und Philosophen über ihr eigenes Tun mitbestimmt. Diese Geschichte der Verflachung verlangt eine radikale Destruktion. Zu
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destruieren sind insbesondere die üblichen Geschichten über die Entwicklung von Philosophie, Wissenschaft und Religion, von dem noch zu den sieben Weisen zählenden Anaximander, dem ersten Philosophen im engeren Sinn, bis heute.15 Für uns hier muss eine kurze Skizze reichen. Sie ist aber als solche aus folgendem Grund wichtig: Es ist ja klar, dass es in einer Protooder Prinzipienwissenschaft wie der Philosophie am Ende um die Artikulation allgemeiner, ja allgemeinster, Aussagen geht. Wie aber sind solche Aussagen über ›Prinzipien‹ zu verstehen, zu begründen und richtig anzuwenden? Eine Antwort ist schon im Gebrauch der Wörter »Logik« und »Dialektik« bei Platon und Aristoteles zu finden. Wir müssen die Di=erenzen beachten zwischen einem schematischen und einem argumentativen Denken, also zwischen einer bloß formalen Logik des deduktiven Rechnens mit Wörtern und Sätzen (wie etwa in der Mathematik) und einer Dialektik des Sprechens, Hörens, freien Urteilens, materialen Folgerns, Kritisierens, Anerkennens und insgesamt des gemeinsamen Handelns. Robert Brandom sagt, mit einigem Recht, dass die Logik das Organon wissenschaftlichen bzw. vernünftigen Selbstbewusstseins sei. Doch es ist eine Dialektik der Sprechhandlungen, nicht eine Logik des formalen oder schematischen Unterscheidens (Definierens) und Schließens (Inferierens) die entscheidende Methode. Im Bereich der Vorschläge zur Ausgestaltung von Praxisformen unter Einschluss der theoretischen Formen generischen Unterscheidens und Schließens ist dabei die Einwandfreiheit das zentrale Geltungskriterium.16 Das wiederum heißt, dass im Falle der Versuche einer selbstbewussten Artikulation unserer Formen ein Prinzip oder generischer Merksatz über Grundformen unseres handelnden Lebens oder über Institutionen, wie etwa die Sprache, die Wissenschaft oder dann auch über Recht Vgl. Stekeler-Weithofer 2006. Dieser Gedanke hat in der Argumentationstheorie von Harald Wohlrapp zum ersten Mal diese Artikulationsform erhalten. 15 16
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und Staat oder freie Moral und ein implizit tradiertes Ethos (qua Sittlichkeit) schon dann als richtungsrichtig oder im endlichen bzw. ›bürgerlichen‹ (d. h. nicht-idealen) Sinn als ›wahr‹ gelten sollte, wenn es zu einer Zeit, in einer Epoche, keine besseren Artikulationen der entsprechenden Formen und Ideen als das in Frage Prinzip oder den in Frage stehenden Merksatz gibt. Es gibt im Bereich der Vernunft sozusagen immer nur ein konstruktives Misstrauensvotum. Das ist die zentrale Einsicht Hegels, gerade auch gegen jeden Skeptizismus. In der Einleitung zur Phänomenologie tritt diese Einsicht in der Form des Zweifels am Sinn willkürlicher Zweifel auf. Gerade in diesem Denkzusammenhang erkennt schon Platon, mit seinem Lehrer Sokrates, das Streitgespräch als Methode in vernünftigen, also gerade nicht bloß verstandesartigen, sich auf schon akzeptierte Regeln berufenden, ›Begründungen‹ von (unter Umständen auch neuen, dabei immer ›generischen‹) Grundsätzen oder ›spekulativen‹, d. h. höchst allgemein zu verstehenden ›Prinzipien‹: Der Streit um die Güte oder Richtungsrichtigkeit von Artikulationsvorschlägen ist eine Art Test für ihre Akzeptabilität, ihre wenigstens vorläufige Anerkennungswürdigkeit. Die Prinzipien oder spekulativen Merksätze sollen dabei – das ist ihre Aufgabe – die impliziten Grundformen einer Praxis oder Institution, also ihre Grund-Idee, explizit machen bzw., wie Hegel dazu sagt, ›auf den Begri= bringen‹. Dass der Streit der Vater aller wichtigen Dinge ist, nicht nur der guten Artikulation von schon praktisch bekannten Institutionen, sondern der menschlichen Praxisformen selbst, ist die nichttriviale Einsicht des Heraklit. Hegel lobt diesen archaischen Denker und Autor scheinbar dunkler Merksprüche gerade für diese Grundeinsicht: Am Anfang aller Einigung und allen Vertrauens steht der Streit, der Widerspruch. Es geht allerdings am Ende immer darum, so wird man hinzufügen dürfen, diese prima facie unvermeidbaren Widersprüche auf eine bestimmte gute Art und Weise aufzuheben und dabei auch auszuhalten.
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Heraklit und Parmenides werden von Hegel dabei ganz zu Recht als die beiden zentralen ›vorsokratischen‹ Gründungsfiguren der bei Sokrates, Platon und Aristoteles entwickelten Dialektik und Logik begri=en. Hegel liest aber Heraklits Merksätze fälschlicherweise als Antwort auf das Gedicht des Parmenides. Es ist jedoch umgekehrt das Programm eines ewig-nachhaltigen Wissens des Parmenides eine Antwort auf die von Heraklit erkannten Spannungen zwischen begri=licher Notwendigkeit und empirischer Kontingenz bzw. der Gemeinsamkeit des Wissens und der Perspektivität subjektiver Wahrnehmung und Meinung. Wenn wir von den problematischen Interpretationen und Ideengeschichten in allen Pythagoreismen und Neuplatonismen abzusehen in der Lage sind, dann finden wir bei diesen Autoren und bei ihren direkten Nachfolgern Sokrates und Platon eine Reflexion auf die Formen des versprachlichten Wissens, auf das Wort (logos) und das rechte Argumentieren bzw. Denken (dialegein). Es handelt sich um eine Analyse der zugehörigen, sprachlich schon herausgegri=enen oder allererst herauszugreifenden, explizit zu machenden, Normen des Richtigen und der Formen des Allgemeinen. Das Wort »eidos«, das »Form«, »Begri=«, »Art« oder eben auch »Idee« bedeutet, steht dabei zunächst für Reproduzierbares in einer Welt des handelnden Herstellens von Formgestalten wie in der Kunst oder Geometrie, also für zielbestimmt und zweckerfüllend reproduzierbare Vollzugsformen, dann aber auch für stabil wieder erkennbare Bezugsformen. Diese können Gegenstände idealer Rede sein wie in der Geometrie der Formen. Sie können aber auch Formen der Befriedigung von Erfüllungsbedingungen im Handeln sein oder sich selbst reproduzierende Formen in einer handlungsunabhängigen Natur. Im zweiten Fall handelt es sich um Formgestalten des in unserer Umwelt Gegebenen. Die streitbaren Einwände gegen die angeblich immer schon allzu gewohnheitsmäßigen und damit festgefahrenen Normen und Regeln einer bloßen Tradition gehören dabei natürlich zunächst erst bloß zum jugendlichen Beginn der Argumentationsmethode
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freier Vernunft, nicht schon zur erwachsenen oder gediegenen Begründungsmethode. Wo es zunächst nur erst um die Beherrschung schon anerkannter Normen und Regeln geht, führt der dialektische Streit um deren angeblich bloß kontingent-historische Genese erst einmal nicht weiter. Wer noch nicht zählen oder rechnen kann, sollte noch nicht über die Konventionen der Zahlwortreihe oder über Rechenregeln disputieren. Wenn er es trotzdem tut, ist er noch lange nicht ernst zu nehmen. Rein formale Ein- oder Widersprüche zu dem, was andere schon können, sind oft nur Zeichen von Inkompetenz. Aber auch dort, wo es um die Etablierung neuer Formen und Normen der Kooperation und Kommunikation in gemeinsamen Institutionen geht, kann nicht schon von einem Einzelnen unterstellt werden, dass sein individueller Vorschlag unmittelbar als ›richtig‹ oder ›hilfreich‹ anzuerkennen ist: Der Modus einer freien Argumentation dieses Typs ist die freie Werbung für einen Vorschlag, von dem normalerweise zu erwarten ist, dass ihm Gegenvorschläge widersprechen oder andere Personen gerade auch unter Hinweis auf bisherige Formen und Normen einer tradierten Praxis (›skeptisch‹) Einspruch erheben. Kurz, die Werbung für eine neue Praxisform oder ein neues Verständnis einer etablierten Institution als ›vernünftig‹ ist von ganz anderem kategorialen Typ als das Geben und Anerkennen von Gründen in einer schon etablierten Praxisform. Diese ist zumeist ein schon durch Begründungs-Verpflichtungen (Commitments) und Inferenz-Erlaubnisse (Entitlements) fixiertes Sprachspiel des Behauptens und der dialogischen ›Sprachspielkontrolle‹ im Erfragen und Geben von entsprechenden Begründungen. Sie kann aber auch eine Technik der Kontrolle des selbst schon technischen Vermögens des Verstandes sein, gerade auch im Bereich der Kommunikation. In dem Bild, das uns David Lewis’ Idee eines Scorekeeping in Language Games liefert, korrespondieren die schon als fix gegeben betrachteten impliziten Normen des Richtigen einer gemeinsamen Praxis den dort unterstellten ›scorekeeping functions‹, die auf einzelne Fälle ›angewendet‹ werden.
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Es würde nun durchaus eine Art Revolution des Selbstbewusstseins der Philosophie und der Wissenschaft bedeuten, besonders aber der Geisteswissenschaften und der im Grunde immer noch zu den Geisteswissenschaften gehörenden Sozial- bzw. Gesellschafts- und Staatswissenschaften, wenn heute endlich begri=en würde, inwiefern weit über alle deskriptive Historiographie und statistische Empirie als bloße ›historia‹ hinaus der dialogischdialektische Streit um die besten Formulierungen allgemeiner Formen, insbesondere aber unserer menschlicher Institutionen und Praxisformen, in der Tat die Methode der Wissenschaft und der Vernunft ist. Am Ende gilt das auch für die Natur- und Technikwissenschaften überall dort, wo sie nicht bloße Ausbildung und Ausdi=erenzierung bekannter Techniken betreiben, sondern wirklich kreativ sind und wo daher neue Artikulationsvorschläge oder neue Technologien diskutiert werden müssen. Meine logisch-methodologische Grundthese ist, dass es in Hegels Phänomenologie des Geistes um eben diese Revolution des Verständnisses von Verstand und Vernunft einerseits, nachhaltigem generischem Wissen im Unterschied zu einem bloß empirischen Kennen und Wiedererkennen andererseits geht. Es geht damit um Ziel, Zweck und Wesen jeder echten Wissenschaft. Das methodologische oder meta-stufige, meinetwegen zugleich meta-physische und meta-ethische, Ziel des Buches ist daher die Einsicht in die Dialektik als wirklicher Logik der argumentativen Auseinandersetzung in ihrer konstitutiven Rolle für die Entwicklung von Wissenschaft, besonders aber für eine authentisch-autonome Geisteswissenschaft als Wissen von der sozialen Kultur des Geistes, oder, wenn man es schon auf den Einzelnen herunter brechen will, des Personseins. Dabei geht es um die (Bildung des Verstandes zur) Fähigkeit, personale Rollen richtig zu spielen, wozu auch die basalen Rollen des Verstehens im Hören und Sprechen gehören. Und es geht um die kompetente Teilnahme an einer immer nur als gemeinsame zu begreifende Entwicklung unserer Praxisformen in einer gemeinsamen Kultur der Vernunft. Das gilt auch dort, wo es ›nur‹ um ein explizites
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›Bewusstsein‹ der Formen des verständigen Urteilens bzw. Unterscheidens, schematischen Rechnens oder begri=lichen Schließens und des zugehörigen konsequenten Handelns geht, also um die Explikation impliziter Normen durch explizit artikulierte Regeln oder eben durch die dafür nötigen (Bedingungs-)Sätze.
1.5 Dialektik und die Aufhebung von Widersprüchen Wie Hegels Dialektik zu verstehen und zu bewerten ist, ist freilich notorisch umstritten. Aber schon Platons Dialektik und seine Ideenlehre werden nicht als Begri=sanalyse, und die Metaphysik des Aristoteles wird nicht ausreichend als kritische Reflexion auf die Begri=e der Wahrheit und des Wissens verstanden. Das macht es so schwer, den engen Denkzusammenhang mit Hegels Versuch einer Erneuerung der Philosophie gerade nach Kant zu verstehen. Die Leitfrage ist nach wie vor mit der Aufforderung des delphischen Orakels mitgegeben, uns selbst zu erkennen. Wie aber ist dieses gnothi seauton überhaupt zu verstehen? Wie können wir es angemessen erfüllen? Was bedeutet das Wort »Selbst«? Und was gilt es zu erkennen, wenn es sich selbst zu erkennen gilt? Hegels Antwort ist unerhört: Wir müssen die Spannung aushalten zwischen einer Anklage Gottes und seiner Rechtfertigung, zwischen einer Kritik an den Weltzuständen und einer Haltung zur Wirklichkeit, in welcher diese als bestmögliche Welt anerkannt bleibt. Und wir müssen die Spannung aushalten zwischen der Tatsache, dass alle Geltungsansprüche einerseits subjektiv sind und subjektiv bleiben, dass wir andererseits in Bezug auf die Inhalte gar nicht selbst die Herren unserer Meinungen sind. Wir müssen begreifen, dass das Absolute die Subjektivität ist, dass es auch nichts Objektiveres gibt als die Subjektivitäten performativer Vollzüge. Ihnen gegenüber sind alle Versuche der Bezugnahme auf eine objektive Welt bloß relativ bzw. relational. Aber gerade wegen dieser Absolutheit performativer Haltungen ist Hegels
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Verweltlichung der Leibnizschen Theodizee, seine Mundizee, unwiderlegbar: Wer über die Welt zu jammern beliebt, kann von dieser seiner Liebe genauso wenig durch Argumenten abgebracht werden wie ein Skeptiker, der sich einer Argumentation ganz verweigert. Das sind nur zwei Folgen der absoluten Freiheit des Urteilens und Schließens. Man kann nicht einmal verhindern, dass diverse Wissenschaftler meinen, davon überzeugt zu sein und uns davon überzeugen zu können, dass die Freiheit des Urteilens und Handelns eine Illusion ist. Aufhebungen sind hier oft auch Versöhnungen. Die logische Methode der Dialektik ist insgesamt eine Methode der Auflösung von zuvor diagnostizierten dialektischen Problemen, etwa der geschilderten Art: Es werden prima facie als vernünftig erscheinende Urteile oder Schlüsse, mit denen man auf die eine oder andere Weise in Probleme gerät, aufgehoben: Es wird das Falsche, Ambige oder Irreführende an ihnen kritisiert und das Wahre oder Richtungsrichtige an ihnen aufbewahrt. Dialektik ist daher nichts anderes als eine im Kontext konkreter Problemlösungen begriffene Begri=sanalyse. Sie ist Dekonstruktion im Sinne Derridas, vermeidet aber dessen theatralische Rhetorik.17 Dabei hat schon Heidegger der Phänomenologie Husserls eine entsprechende Wendung von der ho=nungslosen Zielsetzung der Konstruktion einer alles umfassenden Theorie der Lebenswelt in die Richtung einer Destruktion von tradierten oder prima facie einleuchtenden, scheinbar evidenten, aber problematischen Grundurteilen eines in die Irre geführten Zeitgeistes gegeben – und das trotz seiner eigenen Polemik gegen eine in ihrem Status von ihm kaum begri=enen Dialektik. Hegels Phänomenologie ist dementsprechend ebenfalls nicht als eine ›deskriptive‹ Bestandsaufnahme von Phänomenen des Bewusstseins zu verstehen, sondern als Destruktion üblicher Meinungen und Haltungen durch dialektische Begri=sanalyse im 17
Vgl. Stekeler-Weithofer 2002.
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genannten Sinne. Sie ist zugleich eine Art Logik des Begri=sfeldes des Bewusstseins und des Selbst, also unserer mentaler Terminologien und der Formen der Identität. Das Feld des Bewusstseins reicht dabei vom Gewahrsein (der awareness) irgendwelcher Art bis zur Wahrnehmung wirklicher Verhältnisse. Wahrnehmung ist dabei schon begri=lich gefasst. Sie setzt damit ein verständiges Denken voraus. Thema der Reflexion ist auch der Appell an eine höhere Vernunft und die Analyse der Begri=e des objektiven Geistes und der Inter- und Transsubjektivität des absoluten Geistes. Aufgabe einer solchen Phänomenologie ist eine durchgängige Verweltlichung und damit Entmythisierung allen geistigen Vokabulars. Sie richtet sich gegen jede Hypostasierung der menschlichen Seele, gerade auch in deren Verwandlung in bloße Gehirnsteuerung, aber auch gegen jede nicht immanent-funktional verstandene Rede von Gott. Hegels eigenen Worten zufolge soll sich am Ende der Phänomenologie des Geistes »die vollständige Weltlichkeit des Bewusstseins in ihrer Notwendigkeit« ergeben (Absatz Nr. 35).18 Insgesamt vertritt Hegel dabei das im Grunde uralte und doch in seiner Zeitlosigkeit tiefe platonische Programm des ›sozein ta phainomena‹, der ›Rettung der Phänomene‹. Alle theoretischen Rekonstruktionen und verbalen Erklärungen sind dieser Methode wissenschaftlicher Erklärung untergeordnet.19 Noch zwei weitere Aspekte sind zu beachten, nämlich das implizit Dialogische des Vortrags und die sprechaktbezogene Semantik des je Gesagten. In einer Schriftsprache, deren Ideal in Ich benutze hier eine durchlaufende Nummerierung der Absätze von Hegels Phänomenologie des Geistes, wie sie in den englischsprachigen Übersetzungen längst üblich sind. Allerdings werden einige Absätze aufgeteilt, so dass auch Nummerierungen wie 1a. und 1b. etc. entstehen. Da Hegels Text unten mit eben diesen Absatznummerierungen vorgeführt wird, zusammen mit Seitenverweisen, nenne ich in internen Verweisen auf später noch einmal zitierte Textpassagen nur die Absatznummern. Die Zitate und die Seitenzahlen der Meiner-Ausgabe lassen sich im vorliegenden Text und dann auch in den entsprechenden Ausgaben schnell finden. 19 Vgl. dazu Mittelstraß 1968. 18
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den Formelsprachen der Mathematik realisiert ist, kann man nach schematischen, also syntaktisch-konfigurativen Regeln, wie sie auch ein Rechenautomat oder Computer ›beherrscht‹, schlussfolgernd von (formal wahren) Sätzen zu (formal wahren) Sätzen übergehen, und zwar völlig ohne Berücksichtigung der Sprecher und Hörer in ihrer spezifisch perspektivischen Rolle und Situation. Konkret weltbezogene, informative, Aussagen aber können wir nur dann in ihrem Inhalt verstehen, wenn wir darüber hinaus auch den relevanten Kontext passender Sprechakte hinzudenken, in denen die Sätze als konkrete Antwort auf konkrete Probleme in unterscheidender Absicht geäußert, erwähnt, erwogen oder als Urteile behauptet werden, und das jeweils mit einer auf den Kontext beschränkten Orientierungsabsicht. In der Mathematik und in mathematikartig verfassten Schriften haben wir selbst die Satzsysteme und die schlussfolgernden Übergänge so eingerichtet, dass aus schon für richtig angesehenen oder bewiesenen Sätzen die neuen oder späteren Sätze nach ganz allgemeinen Formen des deduktiven oder syntaktisch ableitenden Schließens ›formallogisch‹ folgen – so dass das formale Schließen völlig unabhängig wird von der ›Interpretation‹ der Grundsätze oder Axiome, die sich eben dadurch von Sätzen in Formeln verwandeln. Man nannte dieses deduktive Schließen aus vorab zusammengestellten Axiomen oder satz- bzw. formelartig formulierten Prinzipien einer axiomatischen Theorie früher oft auch ein synthetisches Verfahren. Heute ist das Vorgehen als (formal)axiomatische Methode bekannt und wird oft als »analytisch« bezeichnet – was wieder nur zeigt, dass den Leuten unklar ist, was sie als »analytisch« zu bezeichnen belieben. Man beginnt das formale deduktive Folgern mit Definitionen und Axiomen, ersten Sätzen oder formelartigen ›Prinzipien‹. Manchmal aber sucht man erst noch nach geeigneten Axiomen, Prinzipien oder auch Schlussformen, welche ein Set erwünschter Sätze ableitbar und in diesem Sinn theorieintern und formal ›wahr‹ machen. Diese Suche nach einer axiomatischen Theorie, in der sich die erwünschten Sätze ableiten lassen, heißt seit alters,
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genauer seit Pappus und Proklus, das »analytische Verfahren«. Heute wird es häufig als bloße Heuristik aufgefasst. Damit wird es in seiner fundamentalen Bedeutung unterschätzt. Man meint, das Analytische bestehe in der konstruktiven Formalisierung und schematischen Deduktion. Es ist nun wichtig zu sehen, dass das Verfahren Hegels deswegen weder rein analytisch noch rein synthetisch sein kann, weil es gar nicht, wie noch bei Spinoza und dessen Vorstellung von einem angeblich axiomatischen mos geometricus, um axiomatischdeduktive Satzordnungen geht. Es geht vielmehr um eine Dialektik von Aussagen, die als solche weit über eine bloß für Sätze formulierbare Logik des inferentiellen Deduzierens von Sätzen hinaus eine Logik der Formen von Sprechhandlungen ist. Aussagen müssen als Handlungen begri=en werden. Eine Logik des Sprechhandelns verlangt daher weit mehr als bloß die satzsemantische Analyse von Ausdrücken und Ausdrucksdeduktionen. Sie verlangt immer auch schon eine Logik performativer Vollzugsformen. Hinzu kommt eine Logik figurativer Redeformen, von der Metonymie über die Metapher (auch Allegorie) bis zur Analogie. Insbesondere aber bedarf es einer Logik der Ironie. Das kann man z. B. bei H. P. Grice lernen oder anderen Autoren, die, ob sie es wissen oder nicht, immer auch ›Semantik‹ figurativer Rede-Formen betreiben. Weitere rhetorische Formen sind etwa die der Katachrese und der Antinomie oder Paradoxie, welche ex negativo auf Standardformen verweisen. Kurz, es ist eine formale Logik für Sätze und das Schließen auf der Ausdrucksebene, also in Satzfolgen, wie sie für die Mathematik und das Mathematische entwickelt wurde, systematisch gar nicht in der Lage, den Bereich der Dialektik, der Logik des Aussagens, Fragens und Antwortens und damit des dialogabhängigen Sinnverstehens abzudecken. Es ist daher auch prinzipiell verfehlt (etwa mit Gotthart Günther) eine ›Formalisierung‹ der Hegelschen Dialektik oder überhaupt einer recht verstandenen Dialektik anzustreben, also ihre Reduktion auf eine Logik des Ausdrucks und damit der Schrift. Sie ist eine Logik der Rede,
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und nur eine solche ist eine Logik der Sprache. Formale Logiken aber sind generell bloße Logiken der Schrift oder gar bloß einer mathematischen Notation. Mehr noch, wenn in Dialogen Widersprüche auftreten, wenn also jemand widerspricht, wird deswegen nicht das ganze Gespräch sinnlos. Es ist daher auch ganz irreführend zu meinen, Hegels Dialektik kümmere sich nicht um den für die formale Logik und das formallogische Schließen in der Tat zentralen Satz vom Widerspruch. Soweit dieser sagt, dass man nicht gleichzeitig nach links und rechts gehen, eine Regel befolgen und nicht befolgen kann, ist das Prinzip trivial wahr. Daher und in diesem Sinn kann nie p und nicht-p gleichzeitig richtig sein. Richtig ist allerdings auch, dass Hegel vor einem allzu schnellen und allzu schematischen Einsatz dieses Prinzips warnt, nicht anders als Parmenides in dem platonischen Dialog »Parmenides«. Dieser Dialog ist dem wahren Begründer der formalen Logik gewidmet, der noch um die Grenzen dieser neuen Wissenschaft wusste und eben deswegen von Platon sozusagen als systematische Stütze im Kontext einer Kritik an einem sophistisch-scholastischen Umgang mit einem mathematikartigen formalen Schließen angerufen wurde. Bis heute ist weder der philosophiegeschichtliche Hintergrund noch die Bedeutung dieser Berufung auf Parmenides allgemein bekannt oder begri=en.20 Das ist einer der Gründe, warum man nicht etwa nur Hegels Lob des platonischen Dialogs und des Lehrgedichts des Parmenides nicht mehr versteht, sondern auch nicht begreift, dass seine Dialektik nicht anders als die des Zenon oder Platons als Kritik bloß schematischer Anwendungen formaler Logik, dabei besonders der Schlussfigur des indirekten Schließens gemäß dem Widerspruchsprinzip bzw. des Prinzips tertium non datur zu lesen ist, dem zufolge ein Satz S (bzw. seine Äußerung) schon dann richtig oder wahr sein soll, Vgl. dazu meine Ansätze einer kritischen Reflexion auf die Geschichte der formalen Logik Stekeler-Weithofer 1986 und 1995, ferner 1997 und 2003, 115–131, 2004. 20
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wenn der Satz nicht-S (oder seine Äußerung) irgendwie nicht richtig ist. Diesem Prinzip zufolge wäre jede unendliche Verneinung der Art »die Seele als Lebenskraft ist wie die Zahl 5 nicht sterblich« schon deswegen wahr, weil das Prädikat der Sterblichkeit nur für leibliche Wesen richtig bzw. wohldefiniert ist, nicht für Zahlen oder Seelen. Wie hieraus Fehlschlüsse entstehen, ist o=ensichtlich. Das Beispiel zeigt zugleich, dass wir, anders als in der mathematischen Logik nach Frege, zwischen verschiedenen Gebrauchsumgebungen des Wortes »nicht« unterscheiden müssen. Es stehen etwa normale Verneinungen wie in »Peter ist nicht mein Bruder« neben unendlichen Verneinungen wie »Caesar ist nicht durch 2 teilbar«. Die Unterscheidung war zweitausend Jahre Gemeingut der Logiker, wurde dann vergessen und bei Wittgenstein und Ryle unter dem Titel des Kategorienfehlers wiederentdeckt. Dabei ist bis heute die Einsicht noch nicht verbreitet, dass es besonderer sprachtechnischer Zurüstungen bedarf, damit das Prinzip tertium non datur in der Form »entweder S oder nicht-S« überhaupt gültig wird und damit das Inferenz-Prinzip »wenn nicht-S unrichtig ist, ist S richtig«. Von ganz anderer Art ist die Einsicht, dass in freien Gesprächen um die rechte Artikulation von Formen Einsprüche oder Widersprüche immer zu erwarten sind. Dialektik wird damit zu einer freien Methode des Ausräumens von Widersprüchen mit dem Ziel der Einspruchs- oder Einwandfreiheit. Eine solche wird praktisch überall nötig, wo die gute Artikulation generischer Urteile thematisch wird, nicht bloß dort, wo wir, wie bei Kant, schon eine begrenzte Liste von Paralogismen in unseren psychologischen Redeformen über uns selbst, unser Ich, die Seele oder das Bewusstsein finden. In unseren ›dynamischen‹ Erklärungen aller möglichen Arten von Bewegungen gibt es ebenfalls immer Antinomien, besonders in einer allumfassenden Kosmologie. Und es gibt immer Paradoxien spekulativer Vernunft, also in den Redeformen, in denen wir über das Ganze unseres Seins, Lebens und Handelns zu reden versuchen.
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Eine Grundform dialektischer Aufhebungen besteht im Aufweis, dass eine Paradoxie oder ein Fehlschluss auf einer ›unendlichen Verneinung‹ oder eben einem Kategorienfehler beruht. In diesem Fall sind sowohl die Sätze selbst als auch die negierten Sätze falsch. So ist es z. B. sowohl falsch zu sagen, dass Caesar eine Primzahl ist, als auch, dass er keine Primzahl ist.21 Es ist falsch zu sagen, der gegenwärtige König von Frankreich sei kahlköpfig, wie es falsch ist zu sagen, er sei nicht kahlköpfig. Es gibt ihn nicht. Semantisch falsch gebildet sind auch alle Aussagen von Sätzen der Art: »ich lüge hiermit«, weil sie gar keine Aussage artikulieren, die wahr oder falsch sein könnte. Denn die Satzfigur »diese Aussage ist falsch« liefert keinen anaphorischen Bezug für den Teilausdruck »diese Aussage«, wenn dieser nicht bloß im Sinne von »diese Äußerung« gelesen wird, sondern präsupponiert, dass die Aussage eine Proposition ist, die als solche wahr oder falsch ist. Als bloße Äußerung aber kann sie weder wahr noch falsch sein, gerade so wie eine Äußerung, die auf nichts referiert. Zu sagen »ich lüge hiermit« wird damit auf ähnliche Weise sinnlos wie zu sagen »das ist blau« und mit den Armen zu rudern, ohne auf etwas Bestimmtes zu zeigen. Ganze Bibliotheken, die das Problem lösen wollen, erübrigen sich, wenn man nur genau genug Als Beispiele des unendlichen Urteils, angewendet auf Einzelnes, nennt Hegel selbst im § 173 der Enzyklopädie ganz richtig »›der Geist ist kein Elephant‹, ›ein Löwe ist kein Tisch‹ usf. – Sätze, die richtig, aber widersinnig sind, gerade wie die identischen Sätze: ›ein Löwe ist ein Löwe‹, ›der Geist ist Geist‹«. Die Negation im unendlichen Urteil bestimmt zwar »die Wahrheit« des unmittelbaren, sogenannten qualitativen Urteils, d. h. sie artikuliert ex negativo präsuppositionale Voraussetzungen dafür, dass ein normales Prädikat in dem jeweiligen Gegenstandsbereich wohldefiniert ist, also genau zwei Klassen bestimmt, tertium non datur. Doch wir können mit solchen präsuppositional falschen Sätzen keine Aussagen machen, sondern nur an Voraussetzungen der Gattungs- oder Artbestimmungen bzw. Tautologien unserer Definitionen i. w. S. erinnern. Sie können »in einem subjektiven Denken vorkommen, welches auch eine unwahre Abstraktion festhalten kann«. 21
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zwischen Satz, Äußerung und Aussage unterscheidet, die verdeckten fehlerhaften Präsuppositionen scheinbarer Referenz aufdeckt und damit die Ursache der Lügner-Paradoxie(n) durchschaut. Dialektik wird damit zu allgemeiner Analyse semantisch wohlgebildeter Satz-, Rede- und Aussagenbereiche. Dazu hatte schon Aristoteles bemerkt, dass solche Bereiche immer begrenzt sind, dass also unsere normalen prädikativen Unterscheidungen nie über ›alles‹ gehen. Das heißt, sie sind eingeschränkt auf lokale Redebereiche wie Dinge, Zahlen, Ereignisse, Prozesse, Farben, Gestalten usf., in denen gewisse Prädikate oder Unterscheidungen definiert sind. Es gibt keinen allumfassenden Bereich aller Gegenstände, kein universe of discourse. Es ist noch nicht einmal selbstverständlich, dass die Bereiche, über die wir reden, schon sortale Gegenstandsbereiche sind. Das sind Bereiche mit wohldefinierter Gegenstandsidentität, also Klassen und Mengen mit ihren Elementen. Es lassen sich z. B. weder Eigenschaften noch Ereignisse als Klassen von Gegenständen auffassen, auch wenn wir lokal Nominalisierungen der Art »die Eigenschaft E« oder »das Ereignis E« gebrauchen. Es gibt für diese Pseudodinge keine kontextfreie Identität, so wenig wie für den Sinn eines Ausdrucks oder einer Äußerung (gerade auch gemäß Freges Gebrauch des Wortes »Sinn«). Daher sind auch Gedanken keine Entitäten – was immer man sich unter einer Entität vorstellt und was immer Frege dazu meint. Wenn man nach Carnap Intensionen und Propositionen zu mathematikanalogen Gegenständen gemacht hat und wie Funktionen als Elemente von Mengen betrachtet, auch als Elemente möglicher Welten, die selbst bloß strukturierte Mengen sind, hat man schon längst bloß ein mathematisches Spielzeugmodell, eine Analogie erfunden. Der externe Umgang mit derartigen Modellen und damit mit mathematischen Metaphern in der Sprach- und Inhaltsanalyse ist das Problem. Sie als Konstrukte zu basteln, ihre innere Form zu beschreiben oder, wie man sagt, als mathematische Theorien auszuarbeiten, ist solange bloß so etwas wie Laienmathematik, wie das formale Rechnen in den Theorien nirgends wirklich gebraucht
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wird. In der Philosophie ist eher die Vielfalt dieser möglichen toymodels interessant. Wie selten in der realen Welt rein sortale Klassen von Gegenständen sind, sieht man daran, dass die besten Beispiele lebende Menschen und höhere Lebewesen sind, da diese sich einige Zeit lang, nämlich solange sie leben, also Lebewesen sind, nicht teilen lassen. Sie sind das Urbild für jeden Begri= des Individuums, des unteilbaren Gegenstandes oder Elements eines sortalen Bereichs und einer zählbaren Menge von Gegenständen. Das gilt dann sogar auch noch für die Atomlehre, die der Form nach daher ein Anthropomorphismus ist. Wichtig wird dann noch die Unterscheidung zwischen normalen, also endlichen, Prädikatverneinungen innerhalb ›endlicher‹ (d. h. begrenzter) Gegenstandsbereiche (wie in: »die Zahl 5 ist nicht gerade «) und ›unendlichen‹ (d. h. die Gegenstandsbereiche überschreitenden) Verneinungen, welche sagen, dass der Gegenstand der Rede und das Prädikat kategorial nicht zu einander passen (wie in: »Caesar ist keine Primzahl«). Außerdem sind nicht alle Aussagen der Form »N ist A« so zu lesen, dass ein durch N benannter Gegenstand in die Klasse der A einsortiert werden kann. So besagt z. B. »Gott ist die Wahrheit« nicht, dass es einen Gegenstand gibt mit Namen »Gott«, von dem man aussagen kann, dass er die Wahrheit sei oder gar Herr der Wahrheit. Der Satz sagt eher so etwas wie »wenn die Menschen von Gott sprechen, sprechen sie eigentlich von der Wahrheit«. »Mit der Rede von Gott reflektieren wir auf die Wahrheit«. Übrigens gebraucht Hegel selbst theologische Sätze immer auch dazu, um diesen logischen Punkt zu erläutern – so dass wir uns dann nicht mit dem Inhalt des Satzes aufhalten sollten, sondern seine Form bedenken müssen. Da es damals die Praxis der extensiven Nutzung der Anführungzeichen nicht gegeben hat, ist der Text gelegentlich schwer zu lesen. Man muss dann immer erst herausfinden, ob eine Aussage gemacht oder bloß erwähnt ist. Die Unterscheidung use vs. mention war natürlich als solche bekannt, auch wenn die explizierenden Wörter noch nicht in Gebrauch waren.
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Statt metaphysische Wörter und Sätze aus dem Verkehr zu ziehen, wie Hume vorschlägt, wozu auch noch Wittgenstein oft neigt, müssen sie eher richtig verstanden werden. Kant steht gewissermaßen zwischen Hume und Hegel: Er erkennt, dass man nicht ontisch über Gott, die Seele, das Unendliche oder ähnliche ›spekulative‹ Gegenstände wissensartig sprechen kann, zumal die Sätze, wenn man sie falsch versteht, zu Dilemmata, Antinomien oder Paradoxien führen. Andererseits erlaubt uns gerade Kant dann doch wieder den Glauben an Gott und Unsterblichkeit. Wahre Logik aber sollte hier zeigen, wie die Gebräuche der Wörter und Sätze angemessen zu verstehen sind. Gerade die heute übliche Version einer vermeintlichen Aufklärung ist logisch unaufgeklärt, wenn sie jede Rede vom Geist, Bewusstsein, Ich usf. für sinnlos erklärt, aus dem Verkehr zieht und durch die Rede über das Gehirn oder den Leib, das Verhalten oder eine theoretisch hypostasierte Psyche ersetzen will. Kants Paralogismen sind für Hegels Phänomenologie des Geistes von besonderer Bedeutung. Denn sie zeigen das Prekäre unseres gesamten ›mentalen‹ und ›psychischen‹ Vokabulars. In gewissem Sinn ist es daher erhellend, Hegels Phänomenologie des Geistes als eine Art Antwort auf den ersten Teil von Kants transzendentaler Dialektik zu lesen. Diese wird damit für die Entwicklung der Dialektik und Logik bei Hegel zentral. Die Phänomenologie des Bewusstseins ist nämlich ein Beitrag zur Entwicklung eines metastufigen Wissens über die Spannung zwischen den Phänomenen des Geistigen, den ›wissenschaftlichen‹ Erklärungen dieser Phänomene und unseren alltäglichen Meinungen dazu. Sie ist als solche sozusagen eine Mischung zwischen einer ›MetaPhysik‹ und ›Meta-Ethik‹ des Geistes. »Dialektik« ist dann auch schon bei Kant Titel für die Aufhebung von ›unvermeidlichen‹ Widersprüchen ›der Vernunft‹, also der Paralogismen, Antinomien und Paradoxien, wie sie gerade in der Reflexion auf die Formen unseres Wissens und aller anderen ›geistigen‹ Fähigkeit und zugehörigen Praxisformen auftreten. Der zentrale Unterschied zu Kant betri=t bei Hegel sowohl den
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Skopus bzw. die Extension des ›Widersprüchlichen‹ als auch die Diagnose ihrer Ursachen und die Form ihrer Aufhebung. Kant operiert mit einer letztlich völlig unverständlichen Unterscheidung zwischen Phänomenen und einer Welt an sich, also zwischen dem, wie uns Menschen die Welt in unseren Erfahrungen erscheint und wie sie an sich ist. Das Ding an sich soll ein Grenzbegri= sein. Doch niemand weiß, wie das genau zu verstehen ist. Das ›Ansichsein‹ sollen wir uns nämlich, nach Kant, ohne Berücksichtigung unseres erkennenden Weltzugangs vorstellen. Damit wird das ›Ansichsein‹ ohne die Formen unserer Sinnlichkeit (der Anschauung) und ohne die Formen unseres Denkens (der wesentlich immer auch sprachlich verfassten Begri=lichkeit) gedacht. Doch wenn wir einem Gegenstand sowohl das Gedacht-werden-können als auch das wahrnehmend Erfahren-werden-können wegnehmen, ist er überhaupt nicht mehr als Gegenstand bestimmbar. Der Gegenstandsbegri= wird dann leerer als ein rein variables »x«. Das würde immerhin auf ein Genus, also eine Art oder endliche Gattung, verweisen können. Dann aber ginge es um generische Aussagen. Und eben das sind, wie Hegel erkennt, Aussagen im Modus des ›an sich‹: Man spricht über gattungsbestimmende, eben generische Gemeinsamkeiten der Gegenstände des Variablenbereichs. Genauer gesagt sind Aussagen der logischen Form des ›an sich‹ generische oder Normalfallaussagen über einen typischen Repräsentanten des gesamten Genus als Variablen- oder Gegenstandsbereich. Als Beispiele denke man an Sätze der Form »das rechtwinklige Dreieck hat einen Umkreis«, welche o=enbar über die Form des rechtwinkligen Dreiecks an sich und durch deren Vermittlung gewissermaßen über ›alle‹ rechtwinkligen Dreiecke spricht. Der Ausdruck »das rechtwinklige Dreieck an sich« steht daher nicht anders als der Ausdruck »der Deutsche an sich« in gewisser Weise für eine Variable. Man ›belegt‹ eine solche Variable sozusagen durch Normalfallexemplare. Man denke etwa an generische Sätze der Art »der Deutsche isst gern Sauerkraut« oder »der Deutsche ist an sich fleißig«. Diese sind dann allerdings angemessen zu
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verstehen, wenn man sie in ihrer eigenen Form der Wahrheit beurteilen will. Hegel sieht dann auch, dass unsere Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wirklichkeit eine interne Unterscheidung ist und bleiben muss. Der bei Kant als ›Grenzbegri=‹ eingeführte Ausdruck »Ding an sich« und die zugehörige Idee einer bloß dem Denken oder Reden zugänglichen intelligiblen Welt (mundus intelligibilis) taugt überhaupt nicht für eine transzendentale Dialektik im Sinne einer Aufhebung der Widersprüche der reinen Vernunft. Die basale Einsicht ist dabei, dass wir in unserem generischen Wissen und unseren wissenschaftlichen Erklärungen immer eine rein gedachte, sprachlich und bildlich verfasste, Modellwelt der bloß empirischen Welt der Einzelwahrnehmungen und Einzelerfahrungen, also den bloßen Einzelphänomenen gegenüberstellen. Kurz, wir kennen nichts besser als die Welt an sich. Diese nämlich besteht aus von uns selbst konstruierten Modellen, also unseren theoretischen Entwürfen. In eine solche intelligible Welt und nicht, wie Hume meint, in empirische Vorgänger-Ereignisse, legen wir übrigens die ›Ursachen‹ für die von uns wahrgenommenen empirischen Phänomene. Es ist daher kaum ein Satz Kants irreführender als seine These von der Unerkennbarkeit ›des‹ Dinges an sich oder ›der‹ Wirklichkeit an sich, wie Hegel immer wieder betont. Doch das ist schon Vorgri=. Er wurde hier nur nötig, um den Kontext der Debatte mit Kant gleich von vornherein zu umreißen – und den zentralen Unterschied im Gebrauch des Ausdrucks »an sich«. Um zur Schwierigkeit der Lektüre der Texte Hegels zurückzukommen: Paraphrasierungen dessen, was er schreibt oder besser in geschriebener Form im entsprechenden Redekontext sagt, zu sagen geneigt ist oder als zu sagen naheliegend kenntlich macht, können auch dann in die Irre führen, wenn sie zunächst plausibel klingen und zum Wortlaut des Textes zu passen scheinen. Das liegt daran, dass Hegel den Argumentationskontext nicht immer klar macht. Das hat für uns schnelle Leser heute besonders desaströse Folgen. Daraus resultiert ein immer wieder aufzuhebender
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Schein des subjektiven Gefühls, das, was Hegel sagt, schon verstanden zu haben, wenn wir Passagen plausibel paraphrasieren können. Man kann ja, so scheint es, immer mit Sätzen antworten, die so klingen, als wären es Übersetzungen dessen, was Hegel selbst sagt. Dass die Fähigkeit, sich entsprechend sicher in Hegels Idiom zu bewegen, noch keineswegs ausreicht, liegt natürlich erstens daran, dass wir auf diese Weise in aller Regel den Argumentationsgang noch lange nicht verstehen. Dieses wiederum zeigt sich häufig daran, dass man sich von der Geltung der paraphrasierten Sätze distanzieren muss. Denn am Ende sind sie nicht verständlich, nicht einleuchtend oder nicht nachhaltig als wahr verteidigbar. Zweitens begreifen wir Argumente erst dann, wenn wir mit ihnen auf hinreichend ausdrucksunabhängige Weise umgehen können. Dazu müssen wir zusätzlich wissen, was aus ihnen folgt und welche sonst üblichen Orientierungen durch sie verändert, sozusagen umgesteuert oder feingesteuert werden. Wir müssen uns entsprechend vom Text und seinen Paraphrasen lösen (können). In gewissem Sinn sperren sich Hegels Texte gerade auch deswegen gegen einfache Gesamtrekonstruktionen, weil in ihnen – jedenfalls für eine schnelle Lektüre – auf wenig Platz, also in sprachlich höchst verdichteter Weise – oft allzu viel an Material umgewälzt oder an Argumenten präsentiert wird. Schon daher werden Hegels Texte undurchsichtig. Andererseits führt das zugleich zu den notorischen Behauptungen der intensiven Hegelleser, dass jede Interpretation, die Hegels Gedankengänge übersichtlich darstellt, das, was er sagt, auf diese oder jene Weise verkürze. Dieser Vorwurf jedoch ist, sozusagen, tautologisch. Hegel selbst wusste noch, dass ohne scheinbare Verkürzungen, also ohne die Methode des Weglassens (›Epitomierens‹), über keinen Redebereich eine strukturelle Übersicht zu erhalten ist. Mehr noch, es kann als seine zentrale Einsicht oder These gelten, dass jedes Inhaltsverstehen, auf jeder Ebene der ›Genauigkeit‹ im Blick auf das jeweils Einzelne, ein strukturelles Begreifen ist, das selbst im Bezug auf Einzelnes auf die allgemeinen Formen gerichtet
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bleibt, die im konkreten Fall in einem gewissen Grad exemplifiziert ist. Dazu muss Relevantes von zunächst nicht so Relevantem unterschieden werden. Es ist daher allzu billig, sich darüber zu beklagen, dass in einer Interpretation dieses oder jenes Einzelne weggelassen ist. Dass immer nur Allgemeines gesagt werden kann, sollte sich von selbst verstehen. Man kann das auch so sagen: Ein Text ist selten oder nie dafür zu kritisieren, was er alles nicht sagt. Denn man kann nie alles das sagen, was irgendein Leser oder Hörer auch noch gern lesen oder hören möchte. Es ist daher in gewissem Sinn ein logischer Fehler, Texte einfach dafür zu kritisieren, dass sie, der Meinung des Lesers gemäß, diesen oder jenen Aspekt ›unterbelichten‹ – ein Ausdruck, den bekanntlich Jürgen Habermas allzu gern verwendet hat, um relativ schnell und global über Texte und Überlegungen zu urteilen. Es ist vielmehr immer konkret nachzuweisen, dass und warum ein Text dieses oder jenes Thema oder jenen Aspekt berücksichtigen müsste. Damit kehren sich Beweislasten um. Nicht das Fehlen von Einzelnem ist ein Mangel, sondern die mangelnde Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Einzelnem. Es ist dabei eine durchaus schwierige Frage, was für eine Gesamtordnung auch noch wichtig ist. Fragen nach Vollständigkeit hängen so immer ab von der Relevanz des je Gesagten. Die Frage nach der Relevanz, dem Problem, ist also immer schon selbst Teil eines vernünftigen Verständnisses von Inhalten. Ohne angemessene Verkürzungen bleiben gerade auch Hegels Texte undurchsichtig und unerschlossen. Andererseits verlängert der Kommentar den kommentierten Text immer dadurch, dass die Bezüge des Kommentars anzugeben sind. Insofern muss auch ich, wie übrigens auch Hegel selbst, den Leser erstens um Geduld und zweitens um wohlwollende Mitarbeit bitten. Die einfache Haltung der bloß unmittelbaren Skepsis und der ersten Einfälle einer möglichen Kritik, etwa im Sinne einer problemtranszendenten feineren Di=erenzierung, wie sie immer möglich, aber nur in speziellen Fällen notwendig ist, hilft hier definitiv nicht
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weiter. Im Übrigen ist das dabei Notwendige immer an die Not, das Problem, die relevante Frage anzupassen. Andererseits landen trotz vieler Ansätze bisher fast alle Rekonstruktionen des hegelschen Denkens mehr oder weniger weit von dem, was das Anliegen Hegels ist. Der tiefe und allgemeine Grund dafür ist, nach meinem Urteil, dass man die logische Analysemethode Hegels nicht erfasst und seine analytischen Fähigkeiten unterschätzt. Insbesondere sieht man nicht, was Hegel selbst durchaus klar macht: Er ergänzt und verbessert die logischen Analysen Kants. Er korrigiert sie durch Argumente, die sich aus seiner höchst intensiven und verständigen Lektüre der antiken Philosophie, des Aristoteles und dessen Überlegungen zu Logik und Metaphysik, besonders aber zum Begri= des Lebens und des Geistes (etwa in dessen Büchern ›Über die Seele‹) ergeben. Hegels Anliegen und Methode werden insbesondere in der allzu häufig als selbstverständlich unterstellten Deutung von Hegels Phänomenologie als grober Skizze der Entwicklung des menschlichen Geistes in der Form einer Art strukturellen Kulturoder Zivilisationsgeschichte verfehlt, wie sie spätestens seit Georg Lukács und Alexandre Kojève prominent ist. Man schreibt dann Hegel sogar häufig Thesen zu, die notorisch im Widerspruch stehen zu dem, was man als Inhalt in Hegels Formulierungen heraussetzen sollte. Das geht nicht, so überraschend das klingen mag, ohne Mut zum Risiko, wie Hegel selbst mit leiser Ironie schon in der Vorrede sagt: »Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und zu verlieren getraut« (Absatz Nr. 10). Und er erklärt, dass im Falle eines überzogenen Strebens nach vermeintlicher Sicherheit die »Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist« (Absatz Nr. 74). Der Satz ziert mit Recht den Stuttgarter Hauptbahnhof. Hegel fügt ironisch hinzu, dass am Ende »das, was sich Furcht vor dem Irrtume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt«. Das ist so, weil man, erstens, nicht zugeben will, was alles schon als wahr vorausgesetzt ist, wenn man zweifelt und damit etwas besser oder sicherer oder
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gar absolut sicher wissen will, zweitens, weil das Wahre oder die Wahrheit nie etwas Transzendentes ist, wir aber gerade deswegen, drittens, trotz aller Fallibilität unseres individuellen Urteilens oder Versicherns den Mut der Entscheidung brauchen und, viertens, die Einsicht in die bürgerliche Endlichkeit aller realen Wahrheiten. Im geglückten gemeinsamen Leben zeigt sich das Wahre, und nur hier. Übrigens fallen im Streben nach ›absoluter‹ (infallibler) Sicherheit die impliziten Präsuppositionen der eigenen Kritik und des eigenen Zweifels regelmäßig aus dem Bereich der Aufmerksamkeit heraus, aber auch die Einsicht in die formale und soziale Struktur der Geltungsbedingungen selbst.
1.6 Das Programm einer Verweltlichung des Geistes Hegels Phänomenologie des Geistes ist nicht nur ein wichtiger Text der Philosophiegeschichte. Sie ist zusammen mit seiner Philosophie des Geistes in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ein höchst aktueller Text. Denn sie zeigt, in welche Irrtümer eine falsche Säkularisierung des Geistes geraten kann, wenn sie Hegels umfängliches Projekt einer Verweltlichung geistiger und Verleiblichung mentaler Vollzugs- und Bezugsformen samt einer mikrosoziologischen Deutung der meisten psychischen Haltungen und Zuschreibungen verkennt oder gar nicht als solches erkennt, sondern an seine Stelle ein scheinbar radikaleres, grundsätzlicheres, in Wirklichkeit aber viel oberflächlicheres Projekt der Mechanisierung bzw. ›Naturalisierung‹ des Geistes setzt. In überschwänglicher Kritik an jeder vermeintlichen oder wirklichen ›Metaphysik‹ wird die mechanische Physik zu einer neuen Religion, gerade indem man ihre Erklärungsform dogmatisch und gedankenfrei zum vermeintlichen Muster aller ›wirklichen‹ Erklärungen erklärt. Die Freude am relativen Erfolg der klassischen Mechanik Newtons benebelt das Denken bis in die Naturalisierungen des Geistes in den gegenwärtigen Kognitionswissenschaften hinein.
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Es ist dann auch nur eine überschwängliche Reaktion auf unbegri=ene Redeformen der Tradition, wenn man in vermeintlicher Vermeidung einer dogmatischen Metaphysik des Geistes, etwa des Dualismus zwischen einer Welt des Geistes und einer Körperwelt, wie er das Christentum und auch noch den Cartesianismus prägt, entweder das zur Explikation der Di=erenzen zwischen genuin menschlichen Fähigkeiten und den Fähigkeiten von Tieren oder Maschinen notwendige Vokabular ganz aus dem Verkehr zieht oder durch entsprechende Reduzierbarkeitsbehauptungen die Eigenständigkeit einer gewissen geistigen Sphäre, wie sie sich in entsprechenden Fähigkeiten der einzelnen Personen zeigt, in Frage stellt. Natürlich bedarf es hier einer angemessenen Unterscheidung zwischen Welt und Natur einerseits, Weltwissen und Naturwissenschaft andererseits. Außerdem bedarf es der Einsicht, warum eine Verweltlichung des Geistes ausreicht, eine Naturalisierung dagegen wichtige Sinngrenzen unkritisch überschreitet. Es geht Hegel dabei insbesondere um einen innerweltlichen Begri= des Wissens. Der Kontrast ist ein Idealbegri=. Es geht um die Spannung zwischen unseren eigenen Idealisierungen in unseren reflektierenden Reden über die Formen unseres nie abgeschlossenen Gemeinschaftsprojekts des allgemeinen Wissens und einem konkreten, bürgerlichen, empirischen Realwissen als besonderer Anwendung allgemeinen Wissens. Es geht zugleich um die Begri=e der Natur und der Wahrheit überhaupt. Reden wir über eine Objektivität des Geistes und des Denkens, dann geht es dabei um den Vollzug geistiger Formen. Um deren Realität zu begreifen, brauchen wir keine der Varianten des Mentalismus, aber auch keine naturalistische Metaphysik des Geistes. Als Varianten des Mentalismus zählen dabei der Dogmatismus der transzendent-metaphysischen Lehren von der Existenz eines denkenden Ich im Sinne einer supersensiblen, vielleicht sogar unsterblichen, Seele und die transzendentalen Begründungen der Existenz einer res cogitans im ›Rationalismus‹ des Descartes. Auch die Rede von einem homo noumenon oder einer bloß intelligiblen Einheit des apperzeptiven Ich ist im ›transzendentalen Idealis-
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mus‹ Kants noch nicht voll geklärt. Entsprechendes gilt für das im Urteilen und Handeln tätige Ich und den vielleicht am besten »pragmatisch« genannten Idealismus Fichtes. Trotz aller scheinbar überzeugenden Argumente bei Descartes, Kant oder Fichte, welche für eine ›formale‹ Existenz eines Ichs, Bewusstseins oder Selbstbewusstseins sprechen, und zwar als ›transzendentale Voraussetzung‹ jedes Wissensanspruchs, ist der Inhalt dieser Reden von einem Ich, Bewusstsein, Selbst oder Selbstbewusstsein noch keineswegs begri=en. Das alles heißt, es ist die reale Seinsweise dessen, worauf wir verweisen, wenn wir vom Bewusstsein, Selbstbewusstsein oder von uns selbst sprechen, allererst zu klären. Die sprachlogisch tiefe Einsicht, die Hegel entwickelt, ist eben die, dass rein formale Argumente nie ausreichen, um den Inhalt des je Behaupteten und ›Begründeten‹ zu klären. Außerdem sieht Hegel, dass alle transzendentalen oder präsuppositionslogischen Argumente, wie sie Descartes, Kant oder Fichte vorbringen, bloß abstrakt bleiben, obgleich sie durchaus schon die rein formale deduktive Logik des Aristoteles (oder dann auch Freges, wie wir von heute her sagen können) transzendieren. Was zum Beispiel sagt Kants zentraler Satz, »Das ›Ich denke‹ muss alle meinen Vorstellungen begleiten können«? Er soll bekanntlich eine transzendentale (präsuppositionale) Vorbedingung jeder Apperzeption artikulieren, also jeder begri=lich und damit (selbst-)bewusst gefassten Wahrnehmung (Präsentation) oder Vorstellung (Imagination, Re-Präsentation). Da eine Apperzeption per definitionem eine schon begri=lich oder inhaltlich bestimmte Unterscheidung zwischen diesem und jenem unterstellt – eine Apperzeption ist eine Perzeption, zu welcher (ad) eine begri=liche oder inhaltliche Unterscheidung des Perzipierten von anderem hinzukommt –, ist es reine Tautologie, also analytisch wahr, zu sagen, dass jede Apperzeption durch eine begri=liche Unterscheidung begleitet sein muss. Kants ›transzendentales‹ Argument und das zugehörige Ergebnis, das ›transzendentale‹ Prinzip der Apperzeption, besagt darüber hinaus, dass meine Vorstellungen
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durch »die Einheit des Ich« und die Einheit des Objekts der Apperzeption durch die Einheits- oder Konsistenzbedingung des »Ich denke« bestimmt sein soll. Unklar bleibt zunächst, was das Ich ist. Es ist aber nach einiger Reflexion vielleicht einzusehen, dass der nominale, ›substantivische‹ Ausdruck »das Ich« immer nur grob darauf verweisen kann, wie das Wort »ich« in seinem Gebrauch angemessen zu begreifen ist. Kurz »das Ich« nennt alle sinnvollen Gebräuche des Wortes »ich« – und sonst nichts. Daher nennt es die Form der personalen Subjektivität, wie sie mit der Fähigkeit logisch verbunden ist, sinnvoll »ich« sagen und denken zu können.22 Was aber meinen wir mit der Rede vom Denken und von Gedanken? Zunächst verlangen wir von Gedanken Konsistenz und Kohärenz. Das heißt, wir pflegen zu sagen, dass zwar Äußerungen oder Sätze konfus und in sich widersprüchlich sein können, und auch das Denken, soweit es etwa ein stilles Reden einer Einzelperson mit sich selbst ist. Aber wir sagen das nicht von einem Gedanken. Denn Gedanken sollen a fortiori sinnvoll sein. Das heißt aber nur, dass wir folgende terminologische Norm oder Regel(ung) implizit unterstellen: Ein Gedanke ist der Inhalt eines sinnvollen Satzes oder einer sinnvollen Aussage. Ein entsprechender Satz findet sich in Wittgensteins Tractatus. In sich widersprüchliche Sätze oder Aussagen sind sinnlos. Sinnlose Sätze oder Aussagen drücken daher per definitionem (aus analytischen Gründen unserer Terminologie oder Redeweise) keine Gedanken aus. John McDowell hat in seinen Analysen des Begri=s der Perzeption23 menschliche Wahrnehmung (bei Erwachsenen, also in ihrer ausgebildeten, Hegel hätte gesagt: gediegenen, Form) mit Thomas Spitzley meint in seinem Buch Facetten des »ich« (Spitzley 2000), etwas Neues entdeckt zu haben, wenn er die Ausdrucksform »das Ich« durch die Rede über die Ausdrücke »ich« ersetzt. Doch es war die Nominalisierung immer schon in dieser Richtung zu lesen, freilich nicht als Rede über das Wort, sondern den Gebrauch des Wortes »ich« in seiner ganzen Breite. 23 Vgl. McDowell 1996. 22
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hervorragend dargestellten Gründen als ›immer schon begri=lich bestimmte oder durch Begri=e informierte Wahrnehmung‹ gedeutet. Damit wird, nach meiner Lesart der Terminologie Kants, menschliche Wahrnehmung gleich als Apperzeption verstanden. Mehr noch, sie wird als apperzeptive Anschauung begri=en, wie ich sagen möchte und später noch etwas erläutern werde. Und in der Tat, im Vollzug, in der wahrnehmenden Welterfahrung, lässt sich kein reiner Akt des Wahrnehmens oder der begri=sfreien Anschauung aussondern und von einem Begleitakt des begri=lichen Denkens abtrennen. Jede derartige Trennung ist bestenfalls eine verbale. Sie ist Ergebnis reflektierender Analyse. Hegel spricht in solchen Fällen von Momenten eines Gesamtphänomens. Die Trennung der Momente ist wesentlich durch die reflektierende Analyse bestimmt. Es werden Aspekte eines Gesamtvollzugs isoliert. Die Explikation zerlegt also ein Ganzes. Die Momente oder Aspekte zeigen sich also nicht als solche rein oder unmittelbar. Sie zeigen sich immer nur auf eine gewisse Weise im holistischen Tun und Können. Wir könnten daher sagen, dass im Hinblick auf die Fähigkeiten der wahrnehmenden Erfahrung von Welt und des sich ergebenden Erfahrungswissens das ›bloße‹ Wahrnehmen und das ›bloß begri=liche Denken‹ nur durch die Analyse und Reflexion von einander zu trennende Momente sind. Man kann das begri=lich bestimmte Wahrnehmen nicht aufbauen aus einem reinen Perzipieren und einem hinzukommenden begri=lichen Denken. Dennoch können wir auf der Ebene sinnanalytischer Merksätze durchaus sagen, dass sich menschliche von tierischer Perzeption gerade dadurch unterscheidet, dass erstere ›immer schon‹ begri=lich gefasst, also Apperzeption ist. Man kann das sogar als eine analytische Wahrheit auffassen. Es ist dann eine Art Folgerung aus dem Vorschlag, zwischen ›bloßer Wahrnehmung‹ (oder ›bloßer Perzeption‹) und einer Apperzeption, wie sie die menschliche Wahrnehmung auszeichnet, zu unterscheiden. Man könnte dabei kurz von einer stipulativen, also bloß erst vorschlagsartigen verbalen Unterscheidung sprechen. Wichtig ist jetzt nur, ich wiederhole
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es, dass man diese Unterscheidung nicht so liest, als gäbe es in der Realität der menschlichen Welterfahrung und der Fähigkeit, durch Wahrnehmung Erfahrungswissen zu erhalten, gewissermaßen zwei Stufen oder zwei Teilprozesse: den Prozess des reinen Wahrnehmens und den Prozess der begri=lichen Verarbeitung des Wahrgenommenen. Dass es diese Prozesse nicht als getrennte oder auch nur in der Realität trennbare gibt, heißt, andererseits, nicht, dass wir nicht Modelle, sogar Maschinen, bauen können, in denen die Prozesse getrennt werden. Außerdem ist mit der Einsicht in den engen Zusammenhang von menschlicher Wahrnehmung und konzeptioneller Fassung des Wahrgenommenen noch keineswegs begri=en, worin das Konzeptionelle oder Begri=liche besteht, was das begri=liche Denken in der Analyse und was es in Wirklichkeit ist. Damit ist allererst zu klären, was es denn heißt, dass ich denke oder dass ich denke – und zuvor schon, was es heißt, dass ich etwas wahrnehme. Und was heißt es, dass ich von diesem Wahrnehmen und seinem Gegenstand weiß? Wie also weiß ich vermöge meiner Wahrnehmung etwas von der Welt? Es ist daher die Seinsweise des Denkens, des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und damit dann auch des tätigen und wollenden Ich allererst zu klären. Eben das hat Hegel im Hinblick auf die bloß formalen Argumentationen bei Descartes, Kant und Fichte klar gesehen. Hegel versucht also, jeden inhaltlich ungeklärten Glauben an transzendente Gegenstände und Wahrheiten und damit jede Form der Dogmatik aufzuheben, besonders wenn es sich um ›mentale‹ Gegenstände handelt wie vielleicht das Ich, oder das Bewusstsein, das Selbstbewusstsein etc. Er bleibt auch skeptisch gegen das, was angeblich durch irgendeine transzendentale Reflexion bloß formal als irgendwie existent ›bewiesen‹ gelten soll. Auf der anderen Seite gilt es aber auch, die Haltung des willentlichen Nichtverstehens der Verstehensskeptiker zu überwinden, welche meinen, die angeblich von vornherein obskuren, unklaren oder gar per se ›metaphysischen‹ Reden von Bedeutungen und Inhalten, von Begri=en und vom Denken, vom Bewusstsein
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und einem Reich des Geistigen ganz vermeiden zu können, etwa durch ›materialistische‹ oder ›physikalistische Reduktionen‹ auf das Reden über ein (verbales) Verhalten. Kurz, es gilt, die geistige Welt und die Rede über sie als eine (humane) Welt sui generis zu begreifen. Es handelt sich keineswegs um ein bloßes Gerede im reinen Modus eines Als-ob. Die Versuche, sie im negativen Sinn eines reduktiven Eliminativismus als im Grunde nicht existent aufzuweisen, gilt es zurückzuweisen. Derartige Aufweise sind mehr als fragwürdig. Sie anerkennen faktisch wichtige Unterschiede nicht an. Das ist Unwissenschaftlichkeit im Namen der Wissenschaft. Eine solche am Ende bloß glaubensphilosophische und ideologische Selbstbeschränkung der Perspektive ist als Selbstbornierung das Gegenteil wissenschaftlich und logisch aufgeklärten Selbstbewusstseins. Dabei spielt eine Begriffsanalyse eine zentrale Rolle, welche sich aus jetzt wohl schon einsehbaren Gründen nicht auf die formalen Schemata der Definition, der Satzbildung und des Schlusses reduzieren lässt, wie wir sie aus den mathematisierten Logiken und der Logik der Mathematik kennen. Hegels Begriffsanalyse arbeitet stattdessen mit allen logisch-rhetorischen Formen, mit denen die Normalsprache auch arbeitet, die sich ja keineswegs bloß an mathematischen Modellen orientiert. Dabei werden insbesondere die logischen Sprechhandlungsformen der Analogie und dialektischen Ironie relevant. Und es wird sich Brandoms normativer Inferentialismus als äußerst fruchtbar herausstellen. Nach diesem ist, in meiner Rekonstruktion, ein Inhalt von Worten, Sätzen und Äußerungen am Ende nichts anderes als die Verbindung einer Unterscheidung (die bei Spinoza und Hegel als Negation angesprochen wird), mit einem modalen bzw. dispositionellen Inferenzpotential. Die Idee ist in rudimentärer Form schon im Tractatus und dann wieder bei Carnap zu finden. Beide Autoren denken aber nur an rein schematische, syntaktische, Deduktionen, definiert durch die Wahrheitswertsemantik prädikatenlogischer Satzformen. Zentral wird für die gesamte Interpretation der Argumentationen Hegels neben dem besonderen Status spekulativer Refle-
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xionen auf logische Formen von (Denk-)Handlungen die Unterscheidung zwischen empirischen (konstativen, narrativen, historischen, berichtenden, informativen) Aussagen und generischen (materialbegri=lichen) Sätzen. Letztere sind zeitallgemeine Artikulationen von so genannten Defaultinferenzen. Sie sagen, was wir im Normalfall aus den Sätzen und Aussagen schließen und auch erschließen dürfen, in denen entsprechende Wörter oder Ausdrücke vorkommen. Dazu gehört dann auch, dass uns ein Sprecher warnen muss, wenn entsprechende Normerwartungen nicht erfüllt sind und er dies weiß. Man stelle sich dazu einfach Situationen vor, in denen einer sagt »Stolz ist zwar Deutscher und fleißig, aber er mag kein Sauerkraut«. Damit wird klar, dass zu jeder Semantik oder Bedeutungslehre die logische Dialektik des Verstehens konkreter Sprechhandlungen hinzu kommen muss, über die Analyse der Sätze wie bei Frege, Wittgenstein, Carnap oder auch Quine hinaus, die sich im Kern auf den Sinn der drei logischen Wörter stützen: »nicht«, »und« und »für alle«. Den quantorenlogischen Ausdruck »für alle« beziehen dann sogar die meisten Autoren schon auf rein sortale Gegenstandsoder Variablenbereiche, wie es sie in Reinform nur in der Mathematik, der Arithmetik und Mengenlehre gibt. Hegels Dialektik nimmt dagegen anders als Spinoza, Leibniz, Kant oder Frege die Mathematik der reinen Größenlehre (der reinen Mengen und Zahlen und deren Relationen) nicht zum zentralen Muster einer philosophischen Semantik sprachlicher Bedeutung im wissenden Weltbezug. Das macht sie für Leser, die Logik nur als formale Logik kennen und verstehen, so schwer. Relevant werden in ihr besonders neben den in ihrer rechten ›Handhabung‹ erheblich komplexen ›materialbegri=lichen‹ Schlüssen später so genannte »Präsuppositionen« und »Implikaturen«, ja alle Formen des Unterscheidens und Schließens in konkreten Dialogen, die weit über das schematische Folgern von Sätzen hinaus gehen.
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1.7 Wissen und Begri= Die Frage, was das ominöse materialbegri=liche Schließen ist, verlangt schon jetzt einige Vororientierungen: Materialbegri=liche Schlüsse bestimmen den Inhalt von Worten und Sätzen. Sie sind aber selbst durch ein allgemeines, generisches, Wissen bestimmt. Kurz, das Begri=liche ist von einem allgemeinen WeltWissen ebenso wenig abtrennbar wie die praktische Erfahrung und das generische Wissen vom Begri=. Mit etwas plakativeren Worten: Die Entwicklung der Wissenschaft, verstanden als enzyklopädisches System explizierten Wissens, und die Entwicklung des Begri=s, verstanden als Begri=ssystem, sind am Ende ein und dasselbe. Wissen ist Kompetenz des generischen Gebrauchs von Begri=en. Es unterscheidet sich in eben dieser Allgemeinheit von bloß einzelnen, als solchen (und nur als solchen) rein ›empirischen‹ Kenntnissen und Begri=sanwendungen. Es geht mir hier darum, diese Merksätze in ihrem Sinn und ihrer Bedeutsamkeit darzustellen und zu verteidigen. Hegel selbst erklärt dazu in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes: »Nennen wir das Wissen den Begri=, das Wesen oder das Wahre aber das Seiende oder den Gegenstand, so besteht die Prüfung (des Wissens) darin, zuzusehen, ob der Begri= dem Gegenstand entspricht. Nennen wir aber das Wesen oder das Ansich des Gegenstandes den Begri= und verstehen unter dem Gegenstande ihn als Gegenstand, nämlich wie er für ein anderes ist, so besteht die Prüfung darin, dass wir zusehen, ob der Gegenstand seinem Begri= entspricht. Man sieht wohl, dass beides dasselbe ist.« (Absatz Nr. 84). Im ersten Fall prüfen wir das Wissen oder den Begri= an den Gegenständen, und das heißt, wir sehen zu, ob uns die materialbegri=lichen Defaultschlüsse eine gute Orientierung liefern, wenn wir sie auf diese oder jene empirischen Gegenstände anwenden. Im zweiten Fall prüfen wir, ob ein uns empirisch gegebener Gegenstand ›seinem Begri= entspricht‹, ob er also ein hinreichend gutes Exemplar oder Beispiel für das im Begri= und seinen materialen Defaultinferenzen zum Ausdruck gebrachte ›Wesen‹ ist.
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Das Wahre ist bewerteter Wissensanspruch. Der Begri= ist Kompetenz des rechten Di=erenzierens und Schließens und damit des Inhaltsverstehens. Die sprachliche Kompetenz erwerbe ich, in dem ich die Rollen des Sprechers und Hörers gut genug zu spielen lerne. Als eine solche geistige Kompetenz steht mir am Ende das wahre Wissen nicht einfach gegenständlich gegenüber, sondern ich selbst bin als denkendes Wesen durch dieses Wissen bzw. das begri=liche Schließen in meinem Vollzug des Denkens und Schließens bestimmt. Hegel drückt dieses Verhältnis der Abhängigkeit des Ich oder Personensubjekts vom Allgemeinen – gerade auch vom gemeinsamen Wissen und Können – durch harte Katachresen aus: »Indem ich sage: Ich, dieser einzelne Ich, sage ich überhaupt: alle Ich, jeder ist das, was ich sage: Ich, dieser, einzelne Ich.« (Absatz Nr. 102). Noch berühmter ist die höchst wichtige Formel: »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.« (Absatz Nr. 117) Man könnte (mit Hegel) auch so etwas sagen wie: ›Ich bin Denken‹. Diesem etwas mystischen Kernsatz könnte man als Erläuterung noch hinzufügen: Ohne allgemeines Wissen gibt es kein Inhaltsverstehen, also auch kein Denken, kein Ich, kein Bewusstsein und kein Selbstbewusstsein. Hegel selbst erläutert seine These von der Identität des Wahren und des Wissens, des substantiellen Begri=s und des Subjekts so: »Zugleich ist zu bemerken, dass die Substantialität so sehr das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens selbst, als auch diejenige, welche Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt.« (Absatz Nr. 17).
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2.
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2.1 Die Logik der Identität und der Gleichgültigkeiten des An-sich-Seins Bevor wir uns den besonderen Problemen der Semantik mentaler Terme oder der Rede über Geistiges zuwenden, also über den Willen oder die Seele, das Bewusstsein oder das Selbstbewusstsein und dann vielleicht auch über Gott oder den Geist unserer Zeit, bedarf es weiterer logisch-methodologischer Vorbereitungen. Im Zentrum steht die Frage nach dem ›Begri=‹ der Gleichheit und der sich aus der Analyse dieses ›Begri=s‹ ergebenden Dialektik von Identität und Gegenstand. Denn hier besteht Hegels Grundeinsicht darin, dass wir zum Verständnis von Identität und Gegenstand die Ebene objektstufiger Aussagen notwendigerweise verlassen müssen und auf die Metastufe der Rede über die Präsentationen und Re-Präsentationen der Gegenstände überwechseln müssen. Während Fichte im Kontext seiner Analyse der Gegenstandskonstitution noch über Setzungen des Ich spricht und damit einen subjektiv-tätigen Idealismus suggeriert, demzufolge wir uns die objektive Welt gegenübersetzen und konstruieren, erkennt Hegel, dass es hier weniger auf Setzungen oder Konstruktionen der Gegenstände ankommt, als auf Unterscheidungen und Gleichsetzungen, also auf Di=erenzierungen und auf einen sinnvollen ›Verzicht‹ auf ›mögliche‹ Unterscheidungen. Zentrale Einsicht ist, erstens, dass der Bereich, in dem wir die Unterscheidungen machen, nicht einfach ein Bereich subjektiver ›Vorstellungen‹ (ideas) ist, sondern, wie sich herausstellen wird, ein uns allen zugänglicher Bereich des äußerlich Wahrnehmbaren. Zweitens gilt, und das ist besonders wichtig, dass nicht immer alles, was unter irgendeinem Aspekt verschieden ist, also von mir oder anderen Personen unterschieden werden könnte, wirklich unterschieden werden muss. Oft sollte es sogar gerade nicht unterschieden werden. Zwar kann man, wenn man unbedingt will, immer alles
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feiner unterscheiden. Aber das ist häufig oder zumeist keineswegs sinnvoll. Denn es geht nicht immer nur darum, Di=erenzierungen zu machen. Sondern es geht darum, jeweils nur relevante Unterscheidungen zu tre=en. Was dann jeweils nicht sinnvoll zu unterscheiden ist, ist eben das, was, wie wir etwas unbeholfen sagen, ›mit sich‹ gleichzusetzen ist. Und das wiederum heißt, dass wir nur solche Eigenschaften betrachten, die keine feineren Unterscheidungen artikulieren als die Äquivalenzrelation, welche den relevanten Gegenstand g konstituiert. Folgendes ist demnach eine der zentralen logischen Einsichten Hegels. Wenn wir von einem Gegenstand g sprechen und ihm Eigenschaften E, E∗ , E∗∗ zusprechen oder zuschreiben, dann sehen wir ab von dem, was Hegel in seiner technischen Analysesprache das Fürsichsein des Gegenstandes nennt. Und das heißt, wir achten in gewisser Weise nur auf sein allgemeines Ansichsein, also darauf, wie Hegel unmissverständlich erläutert, was er als Gegenstand für uns ist. Das Ansichsein ist eine gattungsmäßige, typisierende, Bestimmung. Wenn wir mit etwas als etwas umgehen, gehen wir mit seinem Ansichsein um. Einen Hund als Hund, einen Menschen als Menschen, eine Person als Person zu behandeln, bedeutet, sich praktisch und zumeist bewusst zu seinem Ansichsein in Beziehung zu setzen. Freilich ist dann immer auch noch zu unterscheiden zwischen dem, was der konkrete Gegenstand qua Aktualisierung eines generischen Gegenstandtyps, der Gattung an sich ist, und was er in seiner konkreten Besonderung ›an-und-für-sich‹ ist. Das alles heißt, dass wir den Gegenstand immer als Präsentation oder Re-Präsentation eines Typus, seiner Gattung, begreifen, und dass er eben damit begri=lich-generisch bestimmt ist. Was der Gegenstand ›für sich‹, also in seinem Eigensein als etwas Vereinzeltes ist, ist begri=lich nicht einfach zu erläutern. Der Ausdruck »Fürsichsein« ist sozusagen Titel für alle Relationen eines Gegenstandes zu sich selbst. Zum Fürsichsein gehört daher auch, wie sich der Gegenstand ›von sich her‹ äußert. Zum
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Fürsichsein gehören aber auch Bestimmungen der Identität von Präsentationen und Repräsentationen des einzelnen Gegenstandes. So kann sich unser Hund Fido von seiner schönsten Seite zeigen; zu seinem Fürsichsein gehört aber auch, dass er bellt und der Nachbar auf ihn als »dieser blöde Köter« referiert. Sein Ansichsein und damit die Gattung und Art des Wesens, dass Fido also ein Hund, ja unser Hund ist, ist dabei schon vorausgesetzt. Das Fürsichsein steht also für die Relationen der Gegenstandsgleichheit R zwischen Erscheinungen E und Benennungen B eines einzelnen Wesens der relevanten Art. Das heißt, aus e R e∗ folgt e = e∗ , aus b R b∗ folgt b = b∗ und aus e R b folgt e = b. Die Formeln sind so zu lesen: Wenn Fido in der Gestalt e und der Gestalt e∗ erscheint, sind e und e∗ Erscheinungsweisen von Fido und stehen in der Relation des Fürsichseins in Bezug auf den Hund. Analoges gilt für seinen Namen »Fido« und den Ausruf »dieser blöde Köter« – gesetzt natürlich, mein Nachbar meint damit Fido. Mit anderen Worten, nach Hegel besteht das Ansichsein des Gegenstandes im Wesentlichen darin, dass man ihn als Repräsentanten seiner Gattung ansehen kann. Demgegenüber ist das Fürsich-sein etwa eines Tieres so zu verstehen, dass es als Einzelheit von Geburt bis zum Tod existiert, ganz unabhängig davon, wie wir es in Bezug auf seine Gattung klassifizieren. Das Tier hat unabhängig von unseren Zuschreibungen von ihm selbst her eine bestimmte Existenz und Identität. Wenn wir aber von dem Tier hier und jetzt etwas sagen, z. B. dass es krank ist, dann muss nicht das ganze Tier immer krank sein. Wir grenzen die Prädikation auf eine Epoche (hier und jetzt, damals oder dort) ein. Daher ist es kein Widerspruch, wenn das Tier morgen wieder gesund ist. Diese okkasionalen Aussagen (occasion sentences nach W. V. Quine) unterscheiden sich von stehenden Sätzen (standing sentences), die sozusagen etwas Ewiges über die Gattung, Art oder das Einzelwesen im Ganzen aussagen, etwa dass das Tier ein Hund ist und Hunde Säugetiere sind. Das Fürsichsein eines Dinges ist in gewissem Sinn eine Relation zwischen Erscheinungen und Wirkungen, die dem Ding
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wesentlich zugehören. Sie sind Präsentationen des Dinges, soweit wir es wahrnehmend erfahren, aber auch Repräsentationen, wenn wir es symbolisch, etwa durch Namen, vertreten. Was wir als wirkliche Wirkungen des Dinges zählen, gehört also auch zu seinem Fürsichsein. Die Kategorie des Fürsichseins betri=t dabei ganz allgemein die Identität der Gegenstände, auf die wir uns beziehen. Sie umfasst daher alle Relationen R zwischen relevanten Repräsentanten (zum Beispiel zwischen Zi=ern, Brüchen oder konvergenten Folgen rationaler Zahlen), für welche folgende Regel gilt: Wenn x R y, dann x = y, wo das Gleichheitszeichen »=« die relevante Identität ausdrückt (etwa für natürliche Zahlen, rationale Zahlen oder reelle Zahlen). Vom logischen Status her gehören alle Objekte des Kennens, Erkennens, Wissens zur logischen Kategorie mit dem Titel »Seinfür-Anderes«: Das Wort »für« oder »pro« steht dabei für eine Relation. Aus der Einsicht in die logische Abhängigkeit der Relationsglieder von der Relation ergibt sich die zentrale Einsicht, dass es das Objekt des Wissens nicht völlig unabhängig vom Wissen gibt, und zwar selbst dann, wenn dieses Objekt das Subjekt selbst ist. Mit anderen Worten, es gehört die Beziehung auf die Subjekte durchaus zu den wesentlichen ›Eigenschaften‹ der Objekte. Und es gehört die Beziehung auf die Objekte zu den wesentlichen ›Eigenschaften‹ der Subjekte. Um ein klares Beispiel zu geben, in dem jeder von uns die Abhängigkeit der Gegenstände von der Relation erkennt, denke man an die Zahlen: Jede Zahl und jeder Zahlterm steht wesentlich in den arithmetischen Relationen der Zahlordnungen x < y bzw. x = y zu jeder anderen Zahl bzw. zu jeder anderen Repräsentation oder Erscheinung einer Zahl. Entsprechend sind natürlich verschiedene Erscheinungen und Wirkungen des Dinges zu betrachten. Betrachten wir die zugehörigen Klassen der jeweiligen Erscheinungen eines Dinges, dann stehen die Erscheinungen eines Dinges zu einander in einer die Klasse definierenden Äquivalenzrelation. Im Blick auf das Ding ist es ebenso wie im Blick auf Lebewesen oder Personen die Rela-
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tion eines prozessualen Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens, welche die Identität des Dinges, des Lebewesens oder der Person definiert: Der Erhalt eines Dinges wie z. B. eines Turms ist, wie sein Zerfall, ein Prozess. Das Leben eines Tieres ist in eben diesem Sinn ebenfalls ein Prozess, dem wir durchaus das Beiwort »autopoietisch« zuordnen dürfen, wenn wir nur nicht glauben, damit irgendetwas erklärt zu haben. Der begri=lichen Tatsache, dass wir die Dinge, Lebewesen oder Personen voneinander als mögliche (Zähl-)Einheiten unterscheiden, korrespondiert die allgemeine und als solche begri=liche Tatsache, dass es Erscheinungen und Wirkungen gibt, die wir ›nur‹ dem Ding zuordnen und die als solche disjunkte Klassen bilden und damit einer Äquivalenzrelation in einem entsprechenden Bereich möglicher Erscheinungen und Wirkungen korrespondieren, nämlich der Äquivalenzrelation des Fürsichseins. Aber selbstverständlich ist das Ding selbst keine Klasse K von Eigenschaften, Erscheinungen oder Wirkungen. Noch nicht einmal eine natürliche Zahl ist eine Klasse von Repräsentanten. Eine Zahl ist auch keine Menge gleichmächtiger Mengen, den Aussagen Freges in den Grundlagen und Grundgesetzen der Arithmetik zum Trotz. Das ist deswegen so, weil die Aussage, dass etwas ein Element von K ist, keine Aussage über ein Ding oder eine Zahl ist. Mit anderen Worten, was Gegenstände (an sich) sind, ist nie unabhängig von einem konkreten System einschlägiger Prädikate und Relationen bestimmbar. Und dazu zählt eben die Element-Relation bei Dingen D und Zahlen Z im Unterschied zu Mengen und Klassen gerade nicht. Genauer gilt: Die Satzform ›x ist Element von D‹ bzw. ›x ist Element von Z‹ ist für Dinge D und Zahlen Z nicht zugelassen: Dass 5 kein Element von 6 ist, ist ein unendliches Urteil. Für Dinge relevant ist dabei, wie Hegel sieht und wie wir später noch genauer betrachten werden, neben ihrer räumlichen Bestimmbarkeit und zeitlichen Kontinuität insbesondere die ihnen zugeschriebene Wirkkraft oder Energie im Kontext der Relativbewegungen von Körpern.
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Die Gegebenheitsweisen eines jeden Bezugsgegenstandes in der wirklichen Welt, sei er schon ein ganzes Ding oder erst noch eine wahrnehmbare Gestalt (wie ein Regenbogen) oder eine Farbe (an einem Ding oder an einer Gestalt) sind als solche allein schon deswegen verschieden, weil sie sich auf verschiedene Personen mit verschiedenen Raumperspektiven beziehen oder auf die gleiche Person zu verschiedenen Zeiten. Wenn wir sie daher nicht im Hinblick auf die relevante Relation des Fürsichseins wenigstens im Prinzip (nach unseren eigenen Festlegungen) und dann häufig doch auch wirklich in ausreichendem Maß als äquivalent beurteilen könnten, wäre die Identität und Existenz des betre=enden Gegenstandes der Welt (nicht bloß für uns) gar nicht definiert. Das Fürsichsein ist in gewissem Sinn jede Relation, die feiner ist als die relevante Äquivalenzrelation der ›Gleichgültigkeit‹ zwischen möglichen Präsentationen oder Wirkungen eines Gegenstandes. In den Aussagen über die Gegenstände in ihrem Ansichsein und ihrem Fürsichsein muss also das Genus, der (sortale) Gegenstandsbereich, bestimmt sein und die Gleichheit bzw. die Relationen des Fürsichseins. Wir betrachten in Aussagen über einzelne Gegenstände als Ganze (also nicht in der temporalen, empirischen, Prädikation) dann je nur solche Eigenschaften, die keine feineren Unterscheidungen artikulieren als die Äquivalenzrelation, welche den Gegenstand konstituiert. Das Ansichsein ist bzw. betri=t die Gattung. Es ist in gewissem Sinn die Seinsweise eines Prototyps, Stereotyps oder relevanten Typs als Vertreter des ganzen Genus. Das Fürsichsein ist bzw. betri=t oder bestimmt dagegen die je konkrete Identität und das empirische Sein realer Exemplare, etwa auch im Kontrast zu jedem anderen Gegenstand desselben Typs. Ich betrachte jetzt das Ansichsein und das Fürsichsein an einem einfachen Beispiel. In dem Fall der Zahlen kennen wir die Äquivalenzen oder Gleichgültigkeiten alle. Das Beispiel bleibt dennoch schwierig, und zwar weil wir selten auf die reale Gegebenheit von Zahlen durch konkrete Repräsentanten, also ihr formales Fürsichsein achten. So lässt sich etwa die Zahl 3 durch allerlei
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äquivalente Zahlterme repräsentieren, etwa in einem anderen Notationssystem durch »III« oder »drei« oder als Summe »2 + 1« oder Di=erenz »4 − 1«. Zahlen an sich sind keine Summen und keine Produkte. Aber Summen oder Produkte von Zahlen repräsentieren Zahlen. Die Zahl 7 ist also in einem gewissen Sinn eine Summe, etwa 3 + 4 und sie ist ein Produkt, etwa 7 mal 1. In einem anderen Sinn ist sie es nicht. 3 + 4 und 4 + 3 sind verschiedene Summen, aber die gleiche Zahl. Als Zahl sind also 3 + 4 und 4 + 3 bloß verschiedene Ausdrücke oder Repräsentationen der gleichen Zahlen, aber sie sind verschiedene Summen. Das Ansichsein etwa der Zahl 5 ist dadurch gegeben, was alles über die 5 als reine Zahl gilt. Das Fürsichsein ist eine Relation zwischen allen möglichen Präsentationen t1 , t2 oder Repräsentationen r1 , r2 der 5, wie wir sie in Gleichungen der Form t1 = t2 oder r1 = r2 ausdrücken, etwa wenn wir sagen dass die Zahl oder Anzahl der Finger einer Hand (t1 ) und die Zahl oder Anzahl der Zehen eines Fußes (t2 ) gleich und diese gleich 7 − 2 (r1 ) bzw. 3 + 2 (r2 ) ist. Wenn wir diese Aussagen als Aussagen über Hände, Finger, Zehen, Di=erenzen oder Summen auffassen, artikulieren wir in ihnen in der Tat Relationen. In einer Gleichung dagegen drücken wir eine Identität eben der Zahl 5 mit sich selbst aus. Diese konkrete Identität der 5 ›enthält‹ aber in gewissem Sinn alle Relationen des Fürsichseins in sich, was sich in einer Gleichung der Form 5 = t1 = t2 = r1 = r2 ausdrückt. Man kann das noch einmal so sagen: In Aussagen über reine Zahlen wie die 5 oder reine Proportionen wie 5 : 1 sind keine feineren Unterschiede zugelassen als es eben die Proportionsgleichheit verlangt.24 So sind z. B. x < y oder x + y = z zwei- bzw. dreistellige Relationen zwischen Zahlen. Die Relation R zwischen Brüchen m/n und m 0 /n 0 ist definiert durch mn 0 = m 0 n. Das aber ist keine Relation zwischen rationalen Zahlen, sondern fällt, Reine Quantitäten sind quantitative Verhältnisse, gegenständlich als Proportionen oder reelle Zahlen betrachtet, wie sie seit der Antike bekannt sind. 24
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wie ich sagen möchte, in das Fürsichsein der rationalen Zahlen oder rationalen (›messbaren‹) Proportionen. Und das eben heißt, dass aus x R y die Gleichheit x = y folgt. Man kann, wenn man will, auch sagen, dass die Relation R keine nichttriviale extensionale, sondern eine intensionale Beziehung zwischen rationalen Zahlen ist. Das ist dann nur ein anderer Ausdruck dafür, dass R zur Kategorie des Fürsichseins der rationalen Zahlen gehört, dass sich also in R dieses Fürsichsein äußert. Für jeden wohldefinierten Gegenstandsbereich G gilt, dass fixiert sein muss, was alles eine Präsentation t1 , t2 oder Repräsentation r1 , r2 eines G-Gegenstandes g ist und wann t1 = t2 = r1 = r2 gilt. Es gilt außerdem noch das Folgende: Jede (überzeitliche oder momentane) Eigenschaft E eines G-Gegenstandes g schließt für g das Zukommen der zugehörigen negierten oder komplementären Eigenschaft non-E oder EC aus. Das ist das normale Prinzip vom Widerspruch bzw. das tertium non datur für sortale Gegenstandsbereiche G und die in ihnen zulässigerweise definierten Eigenschaften: Für jeden Gegenstand g und jede zulässige (überzeitliche oder momentane) G-Eigenschaft E muss (überzeitlich oder momentan) festgelegt sein, ob E oder non-E dem Gegenstand g zukommt oder nicht. Was hiermit abstrakt gesagt ist, ist für die logische Analyse von Ausdrucksformen von entscheidender Bedeutung. Denn es gibt kaum ein Wort, das nicht in Abhängigkeit von den verschiedenen Kontexten ganz verschiedene Unterscheidungen artikulierte. Als Beispiel betrachte man dazu das für unseren Kontext so zentrale Wort »Person«. Wenn in einem Aufzug steht, dass er für sechs Personen zugelassen ist, werden natürlich die Individuen gezählt, nicht die Persönlichkeiten oder Rollen, die sich, wie man aus psychologischen Romanen weiß, auch teilen lassen, so dass etwa Dr. Jekyll und Mister Hyde als zwei verschiedene ›Personen‹ (in unterschiedlichen Rollen also) auftreten, oder sich der neue Mensch Paulus als Person von der des Saulus unterscheiden lässt. Es macht daher wenig Sinn, eine kontextfreie und situationstranszendente allgemeine Definition der Person und Personenidentität
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zu suchen. Ebenso sinnlos wäre es, eine allgemeine Definition aller Zahlen anzustreben: Natürliche und reelle Zahlen, finite und transfinite Ordinal- und Kardinalzahlen sind trotz aller lokalen Einbettbarkeiten etwas ganz Verschiedenes. Erst recht sind sie unterschieden von den infinitesimalen Größen und hyperendlichen Zahlen einer Nonstandard Analysis. Auf ganz entsprechende Weise sprechen wir über anderes, wenn wir die Identität einer Person mit Locke über die Kontinuität ihrer bewussten Erinnerung definieren oder einfach über ihre Leibidentität. Spreche ich über Paulus als Gesamtperson, darf ich seine Lebensphase als Saulus nicht weglassen, ihn also nicht von sich unterscheiden, obwohl ich das natürlich, wie wir gesehen haben, durchaus kann. In einem ganz entsprechenden Sinn kann das Wort »ich« auf mich hier und jetzt verweisen oder auf eine Rolle, die ich gerade spiele, einen Status, den ich gerade habe oder auf mich als Gesamtperson. Diese ist irgendwie bestimmt durch meine leibliche Identität von der Geburt bis zum Tod. Aber auch ein Ding, mein Eigentum etwa, kann mich repräsentieren. Nur deswegen kann man zum Beispiel Könige oder Personen, Gott oder die Kirche beleidigen, indem man ihren Namen missbraucht, also ohne dass sie irgend anwesend wären. Ich bin dann auch immer ein anderer als ich je damals war und später sein werde – und bin doch derselbe. Das sagt bekanntlich schon Heraklit. Es hängt o=enbar von den relevanten Unterscheidungen ab, was je als Identitätsbestimmung anzunehmen ist. Hinzu kommen dann noch die Bilder, die man sich von mir macht, die Zuschreibung von ›psychischen‹ Fähigkeiten, Charaktereigenschaften und Leistungen, die Erinnerungen an mich und vieles andere mehr. Manches davon wurde traditionell unter dem Titel psych¯e verhandelt, der wie das Wort »Seele« entsprechend ›aspektvieldeutig‹ ist, auch wenn die Einheit der psych¯e eng an die Einheit des Lebens des Individuums gebunden bleibt, trotz aller metaphorischen Reden von zwei oder mehr Seelen in meiner Brust oder von einer gespaltenen, schizophrenen, Persönlichkeit.
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Was die allgemeine Form oder Logik der Identität angeht, so betont schon Leibniz, dass der Begri= eines einzelnen Gegenstandes g in einem wohlkonstituierten sortalen Gegenstandsbereich G im Wesentlichen mit dem Begri= der prädikativen Ununterscheidbarkeit in dem Gegenstandsbereich G zusammenfällt. Leider liest Leibniz dieses sein Prinzip nicht logisch, sondern ontologisch. Und er schränkt es nicht auf den je relevanten Redebereich im Sinne eines Benennungs-cum-Prädikatbereichs ein. Eine Benennung ist dabei entweder ein Name oder eine Belegung einer Gegenstandsvariable im zulässigen Benennungsbereich, so dass man etwa auch den Ausdruck »diesen Stein hier« zu einem Bestandteil einer Benennung machen kann. Leibniz suggeriert durch seine Verwirrung, dass ein Gegenstand g ›ontisch‹ von jedem anderen Gegenstand g∗ verschieden oder ununterscheidbar wäre. Sein Prinzip bedeutet aber nur, dass die im Rede- bzw. Unterscheidungsbereich G zulässigen Prädikate zwischen verschiedenen Repräsentationen oder Präsentationen von g nicht zu unterscheiden erlauben. Die formale Regel lautet: Wenn zwei Präsentationen t1 oder t2 oder Repräsentanten r1 , r2 äquivalent sind und insofern eine Gleichung wie r1 = r2 als wahr oder richtig zu werten ist, muss sich aus jeder Aussage der Form A(r1 ) bzw. A(t1 ) die Aussage A(r2 ) bzw. A(t2 ) folgern lassen. Das aber heißt nur: die relevanten Unterscheidungen A(x) dürfen nicht ›feiner‹ sein als die relevante Nichtunterscheidung, welche wir in der Gleichung r1 = r2 ausdrücken. Diese Nichtunterscheidung der Identität ist gerade Hegels berüchtigte Negation der Negation. Wenn mein Hund heute bellt, morgen aber nicht, so scheint er zugleich ein bellender und ein nicht bellender Hund zu sein. Das zeigt aber nur, dass wir die empirischen Prädikationen nicht als Unterscheidungen im Genus der Hunde zu lesen haben, sondern die Kategorie des Zeitlichen eine eigene Aussageform empirischer Aussagen ist.25 25
Vgl. Rödl 2005.
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Um noch etwas genauer zu sehen, was das bedeutet, nehmen wir an, es sei ein Bereich B von zulässigen Benennungen b für Gegenstände g in G und ein System A(x) von zugehörigen (logisch einfachen oder logisch komplexen) G-Eigenschaften (bzw. o=enen G-Aussagen) gegeben. Dann bedeutet b = b∗ , dass b und b∗ denselben G-Gegenstand g benennen. Dies wiederum bedeutet, dass es keine G-Eigenschaft E(x) gibt, für die E(b) gilt, nicht aber E(b∗ ) und umgekehrt. Dabei ist für jede G-Benennung b die Eigenschaft, ›ungleich b zu sein‹, immer auch eine G-Eigenschaft E(x). Insgesamt kann man nun, cum grano salis, jeden G-Gegenstand g am Ende doch mit einem System von Eigenschaften identifizieren, aber nicht mit irgend einem Eigenschaftsbündel, sondern immer nur mit dem ›maximal konsistenten‹ System ›seiner‹ Eigenschaften. Ich meine, dass Hegel genau das gesehen hat, auch wenn er es ohne unsere postfregeanische Praxis des Umgangs mit Satzformen A(x) und Gleichungen x = y nicht in der uns heute (ho=entlich) verständlichen Weise ausdrücken konnte. Unter anderen Betrachtungen ist etwas, was als ›mit sich‹ identisch zu werten ist, immer auch ›von sich‹ verschieden. Das gilt für Repräsentanten von Zahlen ebenso wie für die realen Erscheinungen von irgendetwas anderes. Es ist daher logisch, begri=lich und wissenschaftlich völlig naiv anzunehmen, es gäbe in der Welt oder Natur ohne jedes begri=liche Zutun unsererseits schon klare Identitäten und Individualitäten für Dinge, Eigenschaften und Prozesse. Ohne unsere eigene Formation des begri=lichen Unterscheidens, Urteilens und Schließens, kurz, ohne das Denken von Gedanken, ›gibt‹ es das alles nicht. Damit hebt schon Hegel einen basalen metaphysischen Irrtum auf, wie er entsteht, wenn man, wie in den ›empirischen‹ oder ›positiven‹ Wissenschaften und im Gerede über eine ›Naturalisierung‹ des Erkennens, Wissens oder des Geistes, diese logische Einsicht als vermeintlichen ›Idealismus‹ einfach abtut.
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2.2 Fürsichsein und An-und-für-sich-sein Unter dem Titel »Fürsichsein« artikuliert Hegel nach meiner Interpretation dann auch die Tatsache, dass es keinen innerweltlichen Gegenstand gibt, für den es nicht über die Äquivalenzbewertungen symbolischer Re-Präsentationen und deren Relationen hinaus mögliche Präsentationen oder wirkliche Wirkungen in der Welt gibt. Unter dem Titel Ansichsein artikuliert Hegel die Tatsache, dass wir uns, wenn wir Gegenstände an sich vorstellen, von ihrer konkreten Gegebenheit und ihrem konkreten Fürsichsein absehen – mit der Folge, dass am Ende nur eine abstrakte Gegenstandsvariable x und damit ein zugehöriger allgemeiner Gegenstandsbereich G, ein Genus übrig bleibt. Konkret bestimmt ist ein innerweltlicher Gegenstand aber nur, wenn sein Ansichsein, der Gegenstandsbereich und sein Fürsichsein, also seine Identitätsbedingungen in der Form von Äquivalenzen zwischen konkreten Gegebenheitsweisen fixiert bzw. angegeben sind. Es bilden z. B. Zahlen, Summen, proportionale Verhältnisse, Brüche und Ausdrücke verschiedene Gegenstandsbereiche. Und es signalisieren die Ausdrucksformen »die Zahl x«, »die Di=erenz y«, »der Bruch z«, »der Ausdruck w« oder »die Aussage p« das betre=ende ›Ansichsein‹ der intendierten Referenz. Die je relevante Äquivalenzrelation bestimmt die Identität der betre=enden Gegenstände. Es sind daher die Wörter »Zahl«, »Summe«, »Bruch«, »Ausdruck«, »Satz« oder »Aussage« zugleich titelartige Benennungen von gegenständlich vorgestellten Redebereichen und zugleich Operatoren, die aus einem Ausdruck eine Benennung eines bestimmten Bereiches verwandeln, sofern entsprechende Sinnbedingungen erfüllt sind. Wo es nun nur eine Gleichsetzung zwischen bloßen ›Vorstellungen‹ oder Re-Präsentationen gibt, ohne dass es ein sprach- bzw. symbolexternes Bezugsobjekt gibt, für das ein nicht bloß formales Fürsichsein seiner Erscheinungen oder Wirkungen definiert wäre, dort gibt es nur einen ›inneren‹ Gegenstand ›des Bewusstseins‹, wie wir zu sagen belieben. Das ist zum Beispiel bei allen bloß
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abstrakten Gegenständen so. Paradigmatisch dafür sind fiktionale Personen wie Sherlock Holmes oder Madame Bovary. Sie haben als solche im Grunde kein objektives Fürsichsein, sondern eigentlich nur ein Ansichsein. Sie sind uns nur als Typen bekannt. Das zeigt sich darin, dass uns ihre Autoren, Doyle bzw. Flaubert, zwar einiges dazu sagen, wo und wann diese ›Personen‹ leben. Aber im Unterschied zu einer Person, die wirklich für sich gelebt hat, etwa Napoleon Bonaparte, ist vieles überhaupt nicht bestimmt, etwa wie viele Brüder die Großeltern hatten usf. Analoges gilt auch für Illusionen und Halluzinationen. Damit wird vielleicht schon deutlicher, in welchem Sinn es gerade das Ansichsein nur für uns gibt. Im Fall von konkreten Gegenständen der Rede, etwa dem Ei=elturm oder Napoleon sind Ansichsein und Fürsichsein zusammengewachsen, wie das lateinische Wort »concrescere« wörtlich sagt. Man könnte dabei zum Beispiel die Aussage »Napoleon ist 1799 der erste Konsul der Franzosen« mehr oder weniger zu seinem Ansichsein zählen, während die Aussage, dass Napoleon diese oder jene Schlacht gewann oder verlor und dieses oder jenes Land verkleinerte oder vergrößerte, als Aussagen über sein An-und-fürsich-sein zu werten wäre. Von erheblicher Bedeutung wird Hegels sinnanalytische Nomenklatur in seiner Rede vom Ansichsein und Fürsichsein, wenn es um die Analyse des Ichs einer Person geht. Wer oder was wird dabei als mit sich selbst gleich bewertet? Der Körper? Der lebendige Leib? Die Person? Und was meinen wir, wenn wir von Personen sprechen? Was also ist das Ansichsein von Personen? Was ist das Fürsichsein einer Person? Gibt es hier vielleicht sogar verschiedene ›Begri=e‹ der Person, je nachdem, was über sie ausgesagt werden soll? Hegels Antwort ist: das Fürsichsein der Person ist immer auch leiblich vermittelt. Die Realität der Person besteht in ihrer zeitlichen und räumlichen Existenz und Identität. Wenn wir aber über die Person ›an sich‹ sprechen, sprechen wir über sie in abstrakter, oft sogar überzeitlicher Weise, so wie wir dies etwa tun, wenn wir über einen Charakter sprechen. Nur daher ist die Person als homo
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noumenon (Kant) ein ›überzeitlicher‹ Gegenstand reflektierender Rede. Aber auch bei Aussagen tritt die Frage nach ihrem Fürsichsein, ihrer Präsentation, Repräsentation und der Sinnäquivalenz auf. Daher wird die Frage nach den impliziten Voraussetzungen im Kontext der Identifizierung von Wissen zu einer zentralen Frage: Was zählt wann als bloße Artikulationsvariante eines einzigen Wissensinhalts? Wann also zählen zwei Aussagen, sagen wir A1 und A2 , in gewissem Sinn als gleichwertig (in Bezug auf den relevanten Wissensinhalt) – obgleich es unter gewissen feineren Betrachtungen auch Unterschiede zwischen A1 und A2 geben kann, sogar von der Art, dass A2 den (wesentlichen) Wissensinhalt I besser artikuliert als A1 , also eine Entwicklung des Wissens darstellt? Und was ist der Weltbezug von Aussagen, sofern sie einen solchen haben? Die Tatsache der oben schon skizzierten impliziten ›Widersprüchlichkeit‹ praktisch jeder Rede, wenn man sie formalistisch betrachtet, wird nirgends so deutlich wie im Kontext der logischen Analyse der Identität irgend eines Redegegenstandes g, sei er ein physisches Ding, eine abstrakte Form oder ein semantischer Inhalt. Das hat dann insbesondere auch Frege bemerkt. Denn in allen diesen Fällen scheint die Identität nur zu sagen, dass g = g ist. Wenn wir aber reale Identitätsaussagen genauer analysieren, sehen wir, dass in ihnen zumeist (ja immer) Verschiedenes gleichgesetzt wird, etwa wenn wir sagen, dass Burma und Myanmar dasselbe Land, Novalis und Friedrich von Hardenberg dieselbe Person sei, oder dass das griechische Wort »eidos« und das deutsche Wort »Form« dieselbe Bedeutung haben. Frege unterscheidet deswegen bei Benennungen und anderen Repräsentationen einen im Grunde nie gegenständlich aufzufassenden Sinn von den konkreten oder abstrakten Gegenständen. Für den Sinn gibt es keine kontextunabhängigen Bedingungen der Sinngleichheit. Die Bedeutung oder Referenz ist bei Frege immer gegenständlich auffassbar. Die Bedeutungsgleichheit fällt also in der von Frege eigens entwickelten Analysesprache mit der Gegenstands- oder Referenz-
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gleichheit zusammen. Daher und nur daher ist die Bedeutung einer Benennung bei Frege der benannte oder bezeichnete Gegenstand. Dieser aber hängt ab vom Gegenstands- oder Redebereich und dem in ihm definierten Fürsichsein, also der Gleichheit von unterschiedlichen Gegebenheiten eines einzigen Gegenstandes. Im Übrigen unterscheidet auch Frege zwischen verschiedenen Redegegenständen, den objektiven und wirklichen wie den physischen Dingen, dem Regenbogen in einem Gewitter oder allen wahrnehmbaren Gestalten oder Figuren (1), den objektiven und nicht wirklichen wie den abstrakten Zahlen oder idealen geometrischen Formen (2) und den nicht objektiven aber wirklichen wie den Empfindungen von Schmerzen (3). Das Wort »objektiv« signalisiert dabei o=enbar, dass transsubjektive Gleichheiten zwischen Repräsentationen oder dann auch Präsentationen von Wirkungen eine im vollen logischen Sinn gegenständliche, eben objektive, Rede ermöglichen, so dass die Repräsentationen zu Namen der objektiven Gegenstände werden können. Im Fall von Empfindungen und dem, was Frege vage als bloß subjektive Vorstellung anspricht, ist das nicht der Fall, ohne dass deswegen die ›Realität‹ der betre=enden ›Phänomene‹ zu leugnen wäre. Dabei hatte schon Kant und mit ihm Hegel bemerkt, dass wir in der Reflexion auf jeden Gegenstandsbezug immer auf die verschiedenen Gegebenheitsweisen des Gegenstandes oder der Gegenstände zurückgeworfen werden. Das gilt zunächst auch für alle ›geistigen‹ oder ›mentalen‹ Gegenstände unserer reflektierenden Rede, insbesondere aber für das Ich oder Selbst, wie gerade auch Fichte bemerkt hat. Aber nicht nur diese basale Einsicht in die ›dialektische‹ Logik jedes Gegenstandsbezugs, wie sie als ›transzendentale‹ Konstitution durchaus auch schon bei Kant zu finden ist, liegt Hegels Phänomenologie des Geistes zugrunde. Hinzu kommt die ›ontologische‹ Einsicht, dass die Seinsweisen der Gegenstände selbst zu analysieren sind im Ausgang ihrer faktischen Gegebenheitsweisen für uns und die symbolischen RePräsentationen durch uns. Eine solche Analyse der Seinsweise von etwas verlangt eine modale Analyse, aber eine solche, welcher
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eine Phänomenologie als einer logischen Analyse der präsentischen ›Erscheinungen‹ der betre=enden Gegenstände vorausliegt. Zentrales Problem ist dabei die Logik der Di=erenz zwischen Gegenstand und Erscheinung, zwischen dem An-und-für-sich-sein des Gegenstandes und seinem bloßen Für-uns-sein. Zu Letzterem gehören zwar auch unsere symbolischen Re-Präsentationen. Aber eben auch Präsentationen in gegenwärtiger Anschauung und im innerweltlichen Handeln und Leben. Nur vor dem Hintergrund dieser allgemeinen logischen Di=erenzierungen lässt sich die Entwicklung des Überlegungsgangs in Hegels Phänomenologie des Geistes angemessen begreifen.
3.
Entwicklung des Begri=s des (Selbst-)Bewusstseins
3.1 Phänomenologie des bewussten Welt-Bezugs Übliche Lesarten von Hegels Phänomenologie des Geistes ordnen diese in die Traditionen der sogenannten ›Bewusstseinsphilosophie‹ ein. Diese geht, wie bei Descartes oder Fichte, von der Selbstgewissheit des denkenden Subjekts aus, das als Vollzugsubjekt im Denken (Descartes), Wahrnehmen (Berkeley) oder Verhalten (Hume) präsupponiert oder unterstellt wird. Dabei wird das Bewusstsein oft selbst mit diesem Vollzugssubjekt identifiziert. Und es wird, wie in der Transzendental- oder Reflexionsphilosophie von Kant bis Fichte, im Ausgang von der Tatsache des Bewusstseins das Selbstbewusstsein als Reflexion auf die Voraussetzungen des Bewusstseins entwickelt. Das heißt, es wird behauptet, dass in jedem Bewusstsein implizit das schon enthalten ist, was die transzendentale Reflexion als Selbstbewusstsein explizit macht. Diese Kernthese findet sich in der Debatte um Kants transzendentales Prinzip der Apperzeption, nach welchem ein ›ich denke‹ alle meine Vorstellungen begleiten können soll. Der Satz ist tautologisch wahr in folgendem Sinn: Um sagen zu können, dass die Vorstellung, die ich gerade habe, d. h. eine Repräsentation oder
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Präsentation von etwas, meine Vorstellung ist, muss ich in der Tat den Gedanken fassen, dass ich gerade diese oder jene Vorstellung ›habe‹. Ich stelle mir z. B. den Ei=elturm vor, repräsentiere ihn durch das Wort »Ei=elturm« oder ich blicke gerade vom Trocadero aus auf den Ei=elturm, nehme ihn also präsentisch wahr, so dass der Ei=elturm sich mir präsentiert. Indem ich sage: »das ist meine ›Vorstellung‹«, sehe ich nicht nur den Ei=elturm oder imaginiere ihn, sondern ich denke an ihn. Das »ich denke« ist nun eine »transzendentale« Bedingung jeder Apperzeption, weil eine Apperzeption eine begri=lich gefasste und bestimmte Perzeption oder Wahrnehmung ist. Um aber etwas begri=lich fassen zu können, muss ich es denken können. Daher setzt die Fähigkeit der Apperzeption die Fähigkeit des begri=lichen Denkens voraus. Da seit Descartes Bewusstsein als notwendige Bedingung des Denkens gilt, setzt Apperzeption Bewusstsein voraus, während Bewusstsein auf die Möglichkeit reflektierten Selbstbewusstseins verweist. So jedenfalls scheinen sich diese begri=lichen Dinge zu verhalten. Fichte und andere erschließen daraus die Unhintergehbarkeit des Denkens und entwickeln eine Kritik an allen Naturalisierungsprogrammen des Geistes. Wie lässt sich dann aber noch die Einheit der Welt denken, wenn ein nicht weiter erklärtes mentales Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Person sozusagen immer schon neben den Leib der Person gestellt wird, nicht anders als Descartes seine res cogitans als das denkende Ich neben den Körper gestellt hatte? Wie also steht es mit dem Programm einer romantischen Naturphilosophie, in welcher der Mensch selbst, trotz aller seiner besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen, immer auch als Naturwesen zu betrachten ist? Führt die Transzendentalphilosophie nicht gerade auch bei Fichte mit seinem Primat des denkenden und sich Gegenständen gegenübersetzenden Ichs zurück in einen dualistischen Cartesianismus oder in seine empiristische Variante, den subjektiven Idealismus eines George Berkeley? Soviel mag an dem Primat des Bewusstseins vor dem Denken und des Denkens vor dem Wahrnehmen begri=lich bestimmter
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Objekte richtig sein: Bewusstsein im Sinn einer möglichen Kontrolle des Richtigen ist Voraussetzung jedes begri=lichen Denkens. Entsprechend gilt: Gegenstandskontrolle und Selbstkontrolle sind implizite Voraussetzungen oder empraktische Präsuppositionen jeder Subjekt-Objekt-Beziehung. Hegel ist nun aber keineswegs ein Bewusstseinsphilosoph im transzendental- oder reflexionsphilosophischen Sinn. Das heißt, Hegel beginnt keineswegs mit einer nicht weiter befragten Voraussetzung des begri=lichen Denkens oder denkenden Subjekts. Er weiß allerdings sehr wohl, dass es ein methodisches Problem gibt, wenn wir auf uns selbst reflektieren. Es scheint nämlich, als müsste man dazu die Fähigkeit der Reflexion und des Denkens und damit Bewusstsein voraussetzen. Damit scheint sich das Bewusstsein jeder direkten Analyse zu entziehen, ähnlich wie bei Wittgenstein die Logik als Form der Abbildung. Hegels Ausweg oder Antwort auf dieses methodologische Problem der Analyse des Bewusstseins bzw. aller geistigen Kompetenzen und Tätigkeiten samt einer kritischen Reflexion auf die bisherigen Kommentierungen eben dieser Fähigkeiten trägt zunächst den Titel »Wissenschaft vom erscheinenden Bewusstsein« und dann die Überschrift »Phänomenologie des Geistes«. Die leitende methodologische Idee ist diese: Um zu begreifen, was Bewusstsein ist oder was wir mit den Wörtern »Geist« (»mind«, »spirit«) oder »geistig« (»mental«) meinen, müssen wir uns an die Äußerungen der entsprechenden Fähigkeiten, an die geistigen Tätigkeiten und Erscheinungen selbst halten – und an die schon bekannten Reflexionsformen. Nicht eine ›transzendentale‹ Reflexion auf unbegri=ene Voraussetzungen, aber auch nicht eine vorschnelle materialistische oder naturalistische Erklärung eines Verhaltens oder seiner Genese, sondern eine Nennung oder dann auch Beschreibung der relevanten Formen und eine artikulierende Explikation der realen Erscheinungen sind die rechten, sinnkritischen Methoden. Es gibt dabei aber nach wie vor eine anzuerkennende dialektische Spannung zwischen zwei verschiedenen Projekten. Das
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erste Projekt strebt nach Objektivität und verlangt daher, alle Subjektivitäten einzuklammern. Das zweite Projekt kennt die Gefahren tradierter Vorurteile im common sense oder in der communis opinio und verlangt daher immer die eigene, subjektive Kontrolle des Wissens. Humes Skeptizismus schwankt entsprechend zwischen der Verteidigung von Allgemeinplätzen und der individuellen Erfahrung, wie schon Descartes schwankt zwischen der Selbstgewissheit des cogito und der Hypostasierung einer göttlichen Wahrheit. Daher ist kritische Phänomenologie immer auch destruktiv. Das heißt, sie ist dialektisch. Sie darf nicht auf unbefragten Voraussetzungen der Darstellungen in der Deskription oder Wahrnehmung aufruhen. Daher sind auch alle scheinbar deskriptiven Behauptungen in jeder Phänomenologie immer noch ein weiteres Mal kritisch und mit einiger Vorsicht zu betrachten. Jede Phänomenologie enthält eben diese Dialektik einer nie endgültig abschließbaren kritischen Reflexion auf die impliziten Formen der Repräsentationen in den Deskriptionen.26 3.1.1 Destruktion der sinnlichen Gewissheit Am Anfang steht die Destruktion des Empirismus und Cartesianismus. Hier richtet sich Hegel gegen die Idee, es könne einen logischen Aufbau der Welt im Ausgang von subjektiv gewissen Sinnesdaten oder einer transzendentalen Reflexion auf sich selbst geben, so dass die Selbstgewissheit des Ichs als Wahrnehmungsoder als Denksubjekt am Anfang stünde und allem Weltwissen zugrunde läge. Aber weder weiß ich unmittelbar, was ich mit den Worten »ich« oder »ich bin« oder »ich bin ich« oder »ich bin hier« sage oder Man könnte sich jetzt darüber beklagen, dass Hegel sein Vorgehen zu wenig kommentiert. Doch das Gegenteil könnte ebenso wahr sein, nämlich dass er uns zu viele Reflexionsstufen zumutet. Jedenfalls soll sich der Argumentationsgang im Vorgehen selbst zeigen. Hier wird zunächst nur vorab kommentiert, was sich später in einem genaueren Durchgang durch den Text im Detail noch einmal zeigen wird. 26
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ausdrücke, noch worauf ich mich mit einer sprachlichen Geste der Form »das da« beziehe – es sei denn, ich setze schon all das voraus, was ich rekonstruieren möchte, etwa dass ich auf dich (oder auf euch) Bezug nehme, nämlich auf dich als Hörer und, wenn ich »ich« sage, auf mich als Sprecher und damit auf uns beide in einem kooperativen Rollenspiel. Zusätzlich beziehe ich mich implizit und di=erentiell auf dieses hier und jenes dort, wenn ich das da von jenem unterscheiden möchte. Und selbst das reicht nicht; denn was es ist, das ich als das, was da oder hier ist, von jenem dort unterscheiden möchte, muss längst schon als bekannt unterstellt sein, etwa das Schwarze da von jenem Weißen oder dieses Kätzchen da von jenem Kaninchen. Dazu muss ich wissen, wie Kätzchen von Kaninchen allgemein richtig zu unterscheiden sind. Mit einer vermeintlich ›unmittelbaren‹, nicht schon durch allgemeine Unterscheidungen und Identifizierungen vermittelten sinnlichen Gewissheit ist es o=enbar nicht weit her. Überhaupt ist es alles andere als klar, worauf ich referiere, wenn ich »ich« sage. Ich meine zwar, dass mir klar ist, dass ich hier bin und dieses oder jenes an mir oder in meiner Umgebung wahrnehme. Ich meine, meiner selbst gewiss zu sein, zunächst vielleicht rein empfindend, also in Propriozeptionen und damit ›sinnlich‹, dann aber auch reflektierend, im Vollzug des Denkens überhaupt und dann besonders auch im Denken an mich selbst. Wenn ein anderer »ich« sagt, meint oder nennt er jemanden anderen, da die performative Äußerung »ich« so funktioniert, dass jeder an meiner Stelle es sagen und vielleicht auch das erfahren (hören, sehen) kann, oder hätte erfahren (hören, sehen) können müssen, was ich gerade erfahre (höre, sehe). Das aber heißt, jede Ich-Aussage ist in gewissem Sinn schon eine Aussage im (generischen) Wir-Modus:27 Ich sage sozusagen immer gleich mit, dass man das sagen kann und wir das sagen würden, was ich über mich (oder über die Welt) sage. Zu den Ausdrücken »we-mode« und »I-mode« vgl. auch Raimo Tuomelas Bücher zu dem Thema. 27
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3.1.2 Wahrnehmung Während Descartes’ skeptische Überlegungen schon sehr hochstufig zu einer scheinbar transzendentalen Selbstgewissheit seiner selbst als res cogitans führen, die von vielen Lesern mit dem SelbstBewusstsein identifiziert wird, beginnen der Empirismus Lockes und dann auch Humes die Überlegungen schon mit der Erinnerung an den Vollzug des Wissens. Beide Anfänge werden von Hegel phänomenologisch-präsuppositional dekonstruiert. Descartes’ Skepsis wie Kants Kritik setzen das Denken-Können, das sie als gegeben ausweisen wollen, einfach schon voraus. Hegels Dekonstruktion oder dialektische Aufhebung richtet sich gegen einen scheinbar unmittelbaren Anfang in der präsentischen sinnlichen Gewissheit oder dem Denken. Sie richtet sich gegen den Glauben, hier eine feste Grundlage für ein sinnkritisches Selbstbewusstsein und ein Prinzip des objektiven Wissens finden zu können. Dabei steht bei Hegel »sinnliche Gewissheit« für eine ›sensation‹, die bei Kant, leicht irreführend, mit »Empfindung« wiedergegeben wird – als ob man in der sinnlichen Gewissheit etwas ›in sich fände‹. Demgegenüber ist die ›perception‹, im vollen Sinne genommen, Wahrnehmung, die als solche über einen bloß enaktiven Umgang mit einer Umgebung hinausreicht, wie diese sich rein sinnlich erschließt, und zwar weil das Wahrgenommene schon begri=lich bestimmt ist. Daher unterscheiden sich dann aber animalische Perzeption und menschliche Wahr-Nehmung. Nur letztere kann von uns als falsch bzw. wahr bewertet werden. Schon der Beginn von Hegels Phänomenologie des Geistes zeigt also, dass das Werk eine kritische Wissenschaft vom Wissen bzw. Bewusstsein im Allgemeinen, besonders aber vom Wissen über sich selbst oder Selbstbewusstsein sein will und am Ende auch ist. Hegel weist in seiner phänomenologischen Dekonstruktion auch gleich darauf hin, dass die Unmittelbarkeit der sinnlichen Gewissheit bloßer Schein ist. Denn schon die deiktischen Verweise auf das, was ich hier und jetzt oder dort und dann wahrnehme, setzen die allgemeine Beherrschung wenigstens der deiktischen Symbolik und der Wörter im Gesamtzusammenhang ihres Gebrauchs im
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Kontext von Zeige-Gesten und von konkreten Sprechakten voraus, wobei das Wort »hier« nur im Kontrast zum Wort »dort« in einem praktischen Kontext, der Gebrauch des Wortes »jetzt« nur im Kontrast zu einem anderen Gebrauch eben dieses Wortes »jetzt« und damit zu einem »andermal« oder einem »damals« oder »dann« verstanden werden kann. Entsprechend setzt der Gebrauch des Wortes »ich« in gewissem Sinn den des Wortes »du« voraus und damit am Ende gleich ursprünglich den des Wortes »wir« – oder gewisser funktionaler Äquivalente. Noch wichtiger aber ist, dass jedes Ich, Du und distributionelle Wir ein generisches Wir oder Man voraussetzt, das als Erläuterung des Sinns jeder Rede von einem transzendentalen statt bloß empirischen Ich fungiert. Um das einzusehen, muss man sehen, dass und warum der Versuch scheitert, unmittelbar beim wahrnehmenden Subjekt oder wahrgenommenen Objekt zu beginnen. Wir meinen, das Objekt unmittelbar als das wahrzunehmen, was es ist. Es gibt aber keine objektive Referenz ohne Rückverweis darauf, was man und damit auch du oder er wahrnehmen kann oder wir oder ihr wahrnehmen können. Hinzu kommen die Perspektiventransformationen, also wie das, was ich sehe oder wahrnehme, als dasselbe gilt, wie das, was du siehst oder wahrnimmst. Es ist dann auch schon ein Problem, wie ein Ding als mit sich identisch zu verschiedenen Zeiten oder aus verschiedenen räumlichen Orten her bestimmt ist. Welche Phänomene oder Erscheinungen an verschiedenen Stellen des Raumes und zu verschiedenen Zeiten zählen als Erscheinungsweisen eines und desselben Dinges, welche als Erscheinungsweisen verschiedener Dinge? Das ist die Frage nach unserer Bestimmung bzw. nach der Bestimmtheit des Ansichseins und des Fürsichseins der Dinge. 3.1.3 Objektivität Die Unterstellung, es sei unmittelbar klar, was die Objekte sind und was es heißt, etwas objektiv zu wissen, führt unmittelbar in den Widerspruch, dass jedes Realwissen immer subjektiv ist, also gerade nicht rein objektiv sein kann. Das bedeutet, dass alle
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Wissensansprüche als Versicherungen personaler Subjekte beginnen. Frege hat diese Grundform des Aussagens zum Ausdruck gebracht, indem er die performative Kraft vom Ausdruck φ, dem Ausgesagten, auch in seiner schriftlichen Notation abtrennt und eine Aussage im Vollzug so notiert: ` φ. Man könnte dabei im Index des Fregeschen Urteilsstrichs oder Behauptungsstrichs »`« den Sprecher mitnotieren und etwa so etwas schreiben wie: `ich φ. Damit würde klar, dass in jeder Aussage einer, der auch »ich« und »ich sage und behaupte hiermit φ« sagen könnte, der Sprecher ist. Da das aber auch für Aussagen gilt, die im Modus des Wir oder Man geäußert werden, wenn also einer sagt »man kann φ sagen« oder »wir sollten φ anerkennen« (für die man also etwa `man φ oder `wir φ schreiben könnte), kann man, so scheint es zunächst, den Index auch wieder weglassen. Wittgenstein meint sogar, man könne den Urteilsstrich ganz weglassen, mit der Folge, dass er überall, wo er von einem Satz spricht, von einer schon behaupteten oder behauptbaren Aussage spricht. Der Fregesche Urteilsstrich macht dagegen gerade in unserer Ergänzung durch den Index »ich«, wie der Satzschlusspunkt und die ihm zugeordnete fallende Intonationskurve, in der Schriftform explizit, dass ich den Inhalt der zunächst bloß möglichen Aussage φ deklarativ anerkenne und zur Anerkennung und Orientierung empfehle. Wir haben daher in jeder Aussage ein Moment der Deklaration der eigenen Überzeugung und ein Moment der relativen Empfehlung und Erlaubnis an andere Personen, sich an dieser Überzeugung zu orientieren. Begründungen antworten dabei auf Fragen nach der Anerkennungswürdigkeit und nach der Verlässlichkeit der Commitments des Aussagens auf Seiten des Sprechers, der Entitlements auf Seiten der Hörer, die sich über formale Schlüsse und materiale Normalfallinferenzen aus dem Gesagten inhaltlich ergeben. Da jede reale Äußerung einer möglichen Aussage mit behauptender Absicht zunächst als Versicherung zu lesen ist, ist in der Tat immer noch zu klären, ob die Aussage wirklich, also vernünftigerweise, anzuerkennen ist. Aber auch metastufige Aussagen über
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die Anerkennungswürdigkeit einer Aussage sind zunächst von der Form einer Versicherung. Das führt erstens in eine komplexe Struktur gestufter Reflexionen und auch gegenseitiger Bewertungen, unter Einschluss der Frage, wo wir enden dürfen, also von den Urteilen der subjektiven Befriedigung zu Urteilen über objektive Erfüllungen auf nicht bloß willkürliche, dogmatische, Weise übergehen können. Dazu gehört die Frage, wo denn die Grenze zwischen einer recht verstandenen Objektivität und der Willkür des Meinens verläuft, bis hin in einen esoterischen Okkultismus, der schon mit der These beginnt, dass das wirklich Wahre transzendent sei und uns auf ewig im Leben verborgen bleibe – so dass wir auf ein ›anderes‹ Leben warten müssten, von dem wir seinerseits nichts wissen. Bleibt uns das Wahre aber notwendigerweise verborgen, können wir es auch wieder als irrelevant und nichtig streichen: Wenn es sogar jeder realen Möglichkeit nach nichts für uns ist, ist es gar nichts, selbst wenn der eine oder andere meint, es könnte für andere Wesen, einen Gott etwa, zugänglich sein. Diese ›Annahme‹ wäre dann aber selbst wieder nichts als reines Gerede. So oder so ähnlich haben gerade auch Hume und Kant diese Dinge gesehen. Hegel sieht darüber hinaus, dass der Gegensatz zwischen Subjektivem und Objektivem am Ende immer nur ein Gegensatz zwischen Einzelurteil und gemeinsamem Urteil, einer bloß faktischen Anerkennung und einer meta-bewerteten Anerkennungswürdigkeit sein kann. Es ergibt sich außerdem, dass gerade auch jede Anschauung und ›Beobachtung‹ eines objektiven Dinges im Wir-Modus stattfinden muss. Das heißt, es muss der Zugang zu einem wirklichen Ding gemeinsam kontrollierbar sein, zumindest im Prinzip, wie wir in solchen Fällen sagen. Die These, es könnte grundsätzlich keine Kontrolle geben, was ich wahrgenommen habe, ist irreführend. Andererseits reicht häufig die Möglichkeit der Erfahrbarkeit. Es kann also sein, dass faktisch niemand das Ereignis als solches wahrgenommen hat. Oder es kann sein, dass, wenn es vor dem Auftreten des Menschen geschehen ist, als
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solches zwar von niemandem wahrgenommen werden konnte, aber wahrnehmbar gewesen wäre. Wir scha=en so in unserem Denken eine einheitliche Welt des Wirklichen, die weit über das hinausgeht, was wir je real wahrnehmen können. Gescha=en wird dabei aber nur die Einheitlichkeit, nicht die Welt. Diese Einheitlichkeit meint gerade, dass die Welt nicht in bloß subjektive Welten oder Wirklichkeiten zerfällt. Sie muss gescha=en werden, weil sich der Persektivenwechsel von meiner Sicht auf die Welt zu deiner und eurer alles andere als von sebst versteht. »Anschauung« ist ein gutes Wort für einen mehr oder minder selbstbewusst kontrollierten allgemeinen Zugang zu präsentischen Dingen und Prozessen. Es ist semantisch verwandt mit »Beobachtung«, aber für die Nennung des gemeinsamen präsentischen Bezugs auf wahrnehmbare Gegenstände erst einmal besser als dieses, da auch Tiere ohne Selbstbewusstsein, wie wir sagen, Dinge und Prozesse beobachten. Hegel gebraucht das Wort »Beobachtung« dann auch schon fast terminologisch für die Suche nach typischen Formeigenschaften. »Anschauung« steht manchmal, wie auch bei Kant, für eine bloß subjektive ›Intuition‹ oder gar Meinung. Anschauung eines Gegenstandes oder Geschehens in meinem Sinn setzt dagegen immer schon die Möglichkeit des Perspektivenwechsels voraus, also eine mögliche Bezugnahme auf denselben Gegenstand oder dasselbe Geschehen aus anderer Perspektive, wie wir sie etwa lernen, indem wir Rollen im Umgang mit einem Ding oder auch nur die Plätze tauschen. Hegels Wort »Wahrnehmung« steht dann zumeist für eine bewusste, begri=lich gefasste, sinnliche Bezugnahme auf einen präsentischen Gegenstand, der so in seiner Wahrheit perzeptuell aufgenommen und im Erfolgsfall als etwas Bestimmtes begri=en ist.
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3.2 Dialektik des Selbstbewusstseins 3.2.1 Begierden und ihre Befriedigung Als eine unmittelbare Selbstbeziehung lebendiger Wesen kann die Perzeption (als schwache, bloß erst animalische Wahrnehmung) in der Steuerung der Selbstbewegung im Zusammenhang mit einem Begehren gelten. Jede derartige Begierde, als ›animal appetite‹, strebt sozusagen nach Befriedigung. Genauer gilt: ein Lebewesen hat Subjektivität, wenn und nur wenn es Begehrungen hat, die sich befriedigen lassen, oder, in gewisser Realnegation dazu, möglicherweise Schmerzen spüren kann, die es zu vermeiden oder los zu werden sucht. Begierden sind wie Schmerzen leibliche Regungen. Zugleich handelt es sich um zwei verschiedene Arten der Selbstbeziehung von animalischen Wesen im spürenden Vollzug. In Begierden ist im Unterschied zu Schmerzen zumeist zusätzlich noch gleich ein Bezug auf Dinge der Welt oder andere Lebewesen der gleichen Spezies oder anderer Arten mitgegeben. Dieser Bezug ist unmittelbar insofern, als die sensitiv perzipierten Dinge im Fall des Hungers oder Durstes vom lebendigen Wesen nach Möglichkeit angeeignet, etwa einfach einverleibt werden. Derartige Dinge heißen natürlich Nahrung. Die Nahrung des Menschen sind Speise und Trank, vertreten durch Brot und Wein. Das ›Mysterium‹ von Brot und Wein ist also gar keines: Es handelt sich um das gemeinsame Essen und Trinken. Einer Vermittlung über symbolische, etwa auch sprachliche, Repräsentationen bedarf es bei der Befriedigung von Begierden nicht. Die Beziehung auf Nahrung ist sogar für Tiere unmittelbar – und straft jeden theoretischen Skeptiker der Lüge. Zugleich wird die Verwandlungsfähigkeit und Unselbständigkeit der inkorporierten Dinge und Sto=e demonstriert: Das Tier verwandelt alles, was es frisst, macht es zu einem Teil seines eigenen leiblichen Lebens. Prozesse oder Vollzüge des Einverleibens, etwa auch des Einatmens, sind also Beispiele für die unmittelbare Befriedigung von Begierden. Als solche sind sie präsentische Selbstbeziehungen
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oder, etwas pompöser ausgedrückt, gegenwärtige Vollzüge und, soweit wir auf ihre Form achten, Präsentationen von Selbstbeziehungen. Denn wenn das objektive Begehren eines Lebewesens, sich die für sein Leben notwendigen Materien einzuverleiben, überhaupt nicht erfüllt wird (also in keiner der Varianten, die für das Leben zureichen), stirbt das Lebewesen. Hunger oder Durst sind, wie etwa auch das Gefühl zu ersticken, als Empfindungen leibliche Signale für entsprechende Begehrungen. Das, was sie subjektiv befriedigt (bzw. objektiv erfüllt, wie wir von der Seite her sagen), ist so ›wirklich‹, wie etwas nur ›wirklich‹ sein kann. Freilich unterscheidet sich die Wirklichkeit und Objektivität dieser Erfüllungen (im Blick auf die lebensnotwendigen Funktionen etwa) sowohl von der Subjektivität des bloßen Befriedigungsgefühls als auch von der Erfüllung der bloßen Intersubjektivitätsbedingung des gemeinsamen Urteils. Insofern wäre es falsch, das Objektive mit dem bloß Intersubjektiven zu identifizieren. Es gibt auch einen kollektiven Aberglauben, also gemeinsame Fehlurteile. Bemerkenswert an Hegels Zugang zum Vollzug von Selbstbeziehungen über die animalische Begierde, die wir, wie die Subjektivität überhaupt, mit Tieren gemein haben, ist nun dieses: In der Begierde und ihrer subjektiven Befriedigung (bzw. dann auch objektiven Erfüllung) finden wir, im Unterschied zu bloßen leiblichen Empfindungen wie dem Schmerz, schon eine auf eine richtige Befriedigung durch Objekte der Welt ausgerichtete Subjektivität. Sie ist als solche Vorform und notwendige Bedingung von Intentionalität und anderen mentalen Kompetenzen. Allerdings bedarf es einer di=erentiellen Analyse zwischen bloß subjektiven Begierden und intentionalen (bzw. ›mentalen‹) Beziehungen auf Objekte der Welt wie im Wünschen und Beabsichtigen. Hegel entwickelt hieraus die Einsicht, dass auch jede theoretische Selbstbeziehung auf einem praktischen Selbstverhältnis aufruht und dieses immer auf die Befriedigung (und dann auch Erfüllung) einer ›externen‹ Bedingung abzielt, selbst dann, wenn ich selbst vermeintlich der denkende und urteilende ›Herr‹ dieser Bedingung und der Kontrolle ihrer Erfüllung bin oder zu sein scheine.
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Martin Heidegger hat später Ähnliches in seiner Analyse der Sorgestruktur des Daseins, des Lebens und Handelns erkannt,28 wie das in seiner Gegenüberstellung von Hegel und Heidegger auch Ernst Tugendhat in seinem wichtigen Buch »Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung« wenigstens in Umrissen zeigt.29 3.2.2 Objekte in der Bezugswelt und Subjekte in der Vollzugswelt Wenn sich unser Bewusstsein auf ein Objekt richtet, dann wird, so scheint es, ein Verhältnis des referentiellen Bezugs von je mir als Vollzugssubjekt auf ein Bezugsobjekt unterstellt. In der Reflexion dieses Subjekts auf sich selbst, also von je mir auf je mich, meint man seit Descartes das Selbstbewusstsein zu finden, und zwar sogar auf relativ unmittelbare Weise. Was aber heißt es, dass ich mich selbst zu einem Gegenstand des reflektierenden Bewusstseins mache? Wenn das Selbst als Bewusstsein, nämlich von sich selbst, also als Selbstbewusstsein, aufgefasst wird, dann ist das Vollzugssubjekt formal immer noch das Ich. Real aber bin ich es als leibliches und damit als immer schon und immer noch lebendes Wesen. Das auf Objekte oder Gegenstände gerichtete Bewusstsein scheint daher ein Zustand des Leibes zu sein. Der Leib hier und jetzt, und nur er, bin ich. Das Bewusstsein von einem Objekt und das Selbstbewusstsein von mir selbst erscheinen als näher zu bestimmende Lebensvollzüge meines Leibes. Dem widerspricht die formale Trennung von Leib und Bewusstsein bzw. Selbstbewusstsein, wie sie traditional als Seele angesprochen wird. Diese wird dem Leib gegenübergestellt. Sie soll diesen angeblich beherrschen. Wie ist das zu verstehen? Obendrein soll im Selbstbewusstsein das Selbst Gegenstand des Bewusstseins sein. Wenn wir so reden oder denken, unterstellen wir o=enbar, wie Hegel bemerkt, im Grunde zwei Bewusstseine: 28 29
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit (Heidegger 1927). Vgl. Tugendhat 1979.
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Das eine ist das Selbstbewusstsein als etwas, was sich im Vollzug auf das Selbst als Objekt richtet. Wie schon das Wort besagt, ist Selbstbewusstsein ein Bewusstsein des Bewusstseins, ein Wissen des Wissens selbst. Es wäre damit ein Wissen von etwas, einem X, das in der Relation des Fürsichseins zum Wissenden selbst, dem Y, steht, so also, dass in einer angemessenen Weise X = Y gilt: Das Objekt des Selbstbewusstseins oder Selbstwissens ist irgendwie zugleich das Subjekt des Selbstwissens als Prozess oder Relation. Das ›andere Bewusstsein‹, von dem Hegel hier spricht, ist also zunächst das von meinem Selbstbewusstsein im Vollzug zum Gegenstand meines selbstbezüglichen Urteilens oder Denkens erklärte Bewusstsein. Im reflektierenden Denken vollziehe ich in der Tat Akte, mit denen ich mich auf mich selbst beziehen möchte. Wie sind nun die Relationen des Fürsichseins dieser epistemischen Selbstbeziehungen und wie die zugehörigen Identität des Selbst als relevante Gleichheit von Vollzugssubjekt und Bezugsobjekt zu verstehen? Wie ist ein solcher Selbstbezug möglich, wenn ich, also das Ich, im Vollzug des Denkens und Wissens, eine Einheit bilde mit dem Gegenstand des Denkens und Wissens? Ich bin dabei ja immer sowohl Bewusstsein als auch Selbstbewusstsein, sowohl Vollzug als auch Bezug. Beides, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, sind aber zugleich bestenfalls Momente in einem einheitlichen Sein meiner Reflexion. Ich bin also weder einfach Vollzugssubjekt noch einfach Objekt des Wissensakts. Objekt meiner Reflexion ist immer etwas anderes als ich es bin, der ich gerade im Vollzug des Reflektierens bin. Das Vollzugs-Ich ist nie unmittelbar, ohne Vermittlung durch eine komplexe logische Struktur des Fürsichseins, Objekt seiner selbst. Und doch soll, wie wir sagen, das Selbstbewusstsein den Vollzug bestimmen, also das Ich nicht bloß zum Thema machen, sondern in seinem Tun beeinflussen. Wie also ist diese logische Struktur des Selbstbewusstseins und dann auch der Selbstbestimmung überhaupt zu begreifen, ohne sich ho=nungslos in leerem oder in sich widersprüchlichem Gerede zu verheddern?
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Um klarer zu machen, wie das Problem gemeint ist, betrachte ich nur den Teil des Selbstbewusstseins, der meine Zweckorientierungen im Handeln kontrolliert. Traditionell heißt dieses Selbstbewusstsein auch Wille oder Absicht. Üblicherweise meint man, ich wiederhole diesen wichtigen Punkt, dass eben dieses Selbstbewusstsein die Herrschaft über alle niedereren Formen des Bewusstseins, oder besser: eines Proto-Bewusstseins, vom Empfinden und Begehren über das Gewahrsein und die Aufmerksamkeit innehat. Höher als es ist die denkende Bestimmung des Inhalts des Wahrgenommenen im Urteilen, Schließen und konsequenten Handeln. In diesem Sinn erscheint zunächst im Kontrast zu Begierde und Befriedigung das wollende und eine Absicht arbeitend ausführende Selbstbewusstsein erstens als ein höheres Bewusstsein, zweitens als eine Instanz der Selbstbestimmung und damit als Herr über jede auf Objekte gerichtete Kontrolle, gerade auch in Bezug auf die animalischen ›Vorbewusstseinsformen‹ wie die perzipierende Awareness oder die fokussierende Attention, um von der bloßen Wachheit der Vigilanz als Gegenteil des Schlafes oder der Ohnmacht etwa in einem komatösen Zustand gar nicht weiter zu reden. Das Bewusstsein, das nach diesem metaphorischen Bild von dem höheren Bewusstsein mit dem Namen »Selbstbewusstsein« angeblich oder auch wirklich kontrolliert wird, könnten wir zunächst »das leibliche Objektbewusstsein« nennen. Wir erhalten dann folgende traditionelle Vorstellung vom Verhältnis zwischen dem – vermeintlich – herrschenden Selbstbewusstsein und dem – vermeintlich – von jenem beherrschten Objektbewusstsein: Das herrschende Selbstbewusstsein sagt, was zu tun ist, wie zu urteilen und zu handeln ist. Und das beherrschte Bewusstsein dient diesem seinem Herrn. Es führt dessen Anordnungen aus. Es tut, was verlangt ist, um die Absicht auszuführen, unterwirft sich also der Kontrolle (der Erfüllungen) und damit dem Willen des Herrn. Die Furcht vor eben diesem Herrn, des Kontrolleurs der Erfüllungen von Normen des Richtigen, ist denn
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auch der Anfang der Weisheit, wie die Schrift und, ihr folgend, Hegel sagt. Was aber heißt das alles wirklich? Traditionell wird die Seele, der Geist, der Verstand oder die Vernunft als der Herr identifiziert und das Leibliche als der durch den Geist zu unterwerfende Knecht angesehen. Und es wird zugegeben, dass in der Realität die Dinge keineswegs so einfach sind, weil der Leib und die unmittelbaren Begierden im leiblichen Leben keineswegs widerspruchslose Sklaven des Geistes oder der Seele sind. Daher spricht man auch von der Notwendigkeit einer Selbstdisziplinierung und Selbstkontrolle. Wenn man dramatische Formulierung wünscht, oder auch nur erträgt, kann man von einem Kampf zwischen Seele und Leib, Geist und Körper, Wille und Begierde sprechen, der sogar ein Kampf auf Leben und Tod ist, und zwar weil eine Absicht und ein Vorsatz völlig nichtig würden, wenn sie nicht verwirklicht würden. Entsprechend bleiben Gedanken völlig leer, wenn sie keine Folgen im Handeln haben. Das heißt, ohne Umsetzung im Tun stirbt die Absicht, sozusagen. Sie wird zu einem bloßen Wunsch. Andererseits stirbt die unmittelbare Begierde, wenn nicht sie, sondern eine vom herrischen Selbstbewusstsein erlassene Absicht erfüllt wird. Dann ›genießt‹ der Herr, das Selbstbewusstsein, die Früchte des Tuns. Das heißt der Herr ist befriedigt, wenn bzw. weil die von ihm gesetzten Bedingungen erfüllt sind, also ein gesetztes Ziel oder Zweck erreicht oder eine Absicht durch ein Tun ausgeführt ist. Aber das geschieht o=enbar nicht unmittelbar: Es ist nämlich am Ende doch wieder der Leib, der jede Erfüllung in der Form einer gewissen Art der Befriedigung spürend kontrollieren muss, gerade auch die Erfüllung einer Geltungsbedingung im Urteilen oder einer Zweckerfüllung im Tun. Es ist also gar nicht eine geistige Seele der eigentliche Herr des Verfahrens, sondern das Geistige ist bloß ein Formmoment im leiblichen Leben. O=enbar steht die klassische Vorstellung vom Verhältnis zwischen der Seele und dem Leib in einem durch Wissen und Denken kontrollierten Selbstbezug in einer gewissen Analoge zur Struktur der Herrschaft von Herren über abhängige Knechte oder gar
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Sklaven. Entsprechend steht das Wollen und Beabsichtigen in einer gewissen Analogie zu Selbstaufforderungen, die Handlung in Analogie zu einer durch die Herrschaft kontrollierte Arbeit als Ausführung von Befehlen der Herrschaft. Wie gut und überzeugend ist dieses Bild? 3.2.3 Fremd- und selbstgesetzte Bedingungen und ihre Erfüllung Im Unterschied zu subjektiv unmittelbaren Begierden sind schon Wünsche nicht unmittelbar auf Gegenstände und Erfüllungen gerichtet. Und nicht bloß Vorsätze, auch Absichten führen nicht unmittelbar zu einem Tun. Wünsche und Absichten sind vielmehr immer schon geistig, ›mental‹, also symbolisch, vermittelt. Das heißt insbesondere: Es gibt immer eine Di=erenz zwischen Wunsch und korrekter Wunscherfüllung. Es gibt eine Spannung zwischen Absicht und korrekter Absichtserfüllung, die nicht nur in der – im Grunde bloß durch die zeitliche Spanne bedingten – Spannung zwischen Begierde und Befriedigung besteht. Denn man kann Wünsche und Absichten vergessen oder ändern, ohne sie zu erfüllen. Begierden aber sind schon dann befriedigt oder erfüllt, wenn sie nicht mehr da sind. Zwischen einer Absicht und ihrer tätigen Erfüllung gibt es dagegen eine, wie wir zu sagen geneigt sind, normative Beziehung, sogar schon zwischen Wunsch und Wunscherfüllung, während es zwischen Begierde und Befriedigung nur eine unmittelbare, faktische Beziehung gibt. Humeaner wie noch etwa Peter Stemmer30 wollen aus der bloß faktischen Beziehung der Befriedigung von Begierden normatives Kapital schlagen. Sie wollen so den Hiatus von Sein und Sollen überbrücken: Das Sollen soll sich aus der Begierde bzw. dem Begehren ergeben, nämlich in der folgenden bedingten Form: Ein Wesen ›soll‹ angeblich das tun, was seine subjektiven Begehrungen befriedigt. Denn das erfüllt seine objektiven Überlebensbedingungen. Diese empiristische Theorie 30
Vgl. Stemmer 2008.
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ist sowohl begri=lich als auch faktisch naiv. Denn sie verwechselt, wie im Englischen fast alle Autoren generell, Begierden (desires) mit Wünschen (wishes), und diese mit Absichten (intentions). Dass Absichten normativ sind, wenn auch etwas schwächer als Versprechungen, haben wir schon gesehen. Begehrungen sind es nicht. Die Normativität des Richtigen im Beabsichtigen, Urteilen und Schließen ist von völlig anderer Art als das Begehren. Das Wort »normativ« wird bei Stemmer in einem ausschweifenden Sinn gebraucht. Normalerweise signalisiert es immer schon, dass es eine allgemeine Praxis der möglicherweise gemeinsamen Beurteilung gibt, in der kontrolliert wird, ob eine Wunsch- oder Absichtsäußerung richtig erfüllt, eine Absichtserklärung oder ein Versprechen richtig und vollständig zur Ausführung gelangt ist, ein Urteil kriterial richtig gefällt, ein Schluss inferentiell korrekt ist oder eine Handlungspflicht, die sich auf einer kooperativen Form gemeinsamer Praxis ergibt, erfüllt wird. Es geht also, so würde ich behaupten, Hegel im Selbstbewusstseinskapitel wesentlich um die Di=erenzen zwischen den bloß subjektiven praktischen Selbstbeziehungen erstens in der bloß animalischen Begierde, zweitens in der Absicht und drittens in den jeweiligen Befriedigungen bzw. Erfüllungen und den schon personalen Selbstbeziehungen im propositional bestimmten Wünschen. Es geht besonders darum, die Verfolgung von Absichten durch Arbeit als gehemmte Begierde zu begreifen. Wer aber hemmt hier was und wie? Eine abstrakte Antwort liegt auf der Hand. Es sind die Normen der richtigen Erfüllung der Absicht durch ein Tun, durch die arbeitende Tat. Es wird darum gehen, diese abstrakte Antwort konkret begreifbar zu machen. Wie aber existieren diese Normen der richtigen Erfüllung? Darauf antworten die meisten Leser Hegels, wie später auch die Wittgensteins, so: Es bedarf dazu zumindest zweier ›Personen‹ oder ›Rollen‹. Die erste Rolle spielt das etwas wünschende oder beabsichtigende Subjekt selbst, als Vollzugswesen. Die zweite Rolle besteht in der Kontrolle der Normerfüllung. Sie wird am Ende
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durchaus auch von dem ›sich selbst‹ kontrollierenden Selbstbewusstsein selbst gespielt. Daher seien die beiden Bewusstseine Hegels durchaus als vorgestellte ›Personen‹, wenigstens als ›Rollen‹ zu lesen. Nur wenn die zweite ›Person‹, welche die Rolle der Kontrolle der Normenerfüllung spielt, anerkennt, dass das, was die erste Person unmittelbar befriedigt, eine wirkliche Erfüllung der Norm des Richtigen (etwa in der Erfüllung eines vorab bestimmten Wunsches, Erreichen eines vorab bestimmten Zieles oder der Ausführung einer vorab geäußerten Absicht) ist (und der ersten Person im Vollzug nicht bloß als richtig erscheint), gibt es eine Di=erenz zwischen ›richtig erfüllt sein‹ und ›bloß richtig erfüllt zu sein scheinen‹. Diese Lesart ist nicht falsch. Sie ist nur noch nicht vollständig. Denn es geht nicht bloß darum, dass verschiedene Rollen gespielt werden. Sondern es geht auch darum, wie diese bestimmt sind, was es also heißt, sie jeweils richtig zu spielen. Und dabei reicht die Antwort nicht aus, dass am Ende das als richtig gilt, womit eine zweite Person sich zufrieden gibt. Sagt man, das Richtige bestehe darin, womit ›man‹ sich zufrieden geben sollte, bleibt unklar, wie dieses zu verstehen ist. Eine bloß kollektive Befriedigung eines kollektiven Begehrens ist noch nicht gut genug, kann noch immer im Kontrast stehen zu wahrer Erfüllung. Nietzsches Bonmot, dass einer nie Recht, zwei aber nie Unrecht haben, ist eben nur ein Bonmot. Denn auch auf der kollektiven Ebene gilt: Kollektive Begierden sind schon dann befriedigt, wenn sie die Subjekte je einzeln für befriedigt halten. Damit wird aber gerade die Di=erenz für nicht existent erklärt, die es zu erklären gilt: Was heißt es, dass etwas richtig getan ist, über das hinaus, was wir ›gefühlsartig‹ für richtig getan halten? Daher kann die bloße Existenz eines zweiten Wesens und seine faktische Anerkennung etwa des Tuns des anderen gar nicht die erwünschte Di=erenz voll erläutern oder erklären. Denn die Richtigkeit der Erfüllungen von Wünschen und Absichten entscheidet sich keineswegs daran, ob sich auch andere, neben mir, faktisch mit dem jeweils Getanen und Erreichten zufrieden geben oder
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auch nicht. Also kann die Erfüllung von Normen nicht einfach im Ausbleiben oder der Beendigung eines Streits um Anerkennung bestehen, also in einer Übereinstimmung, einem Konsens im Urteilen. Ein Konsens kann sich ganz zufällig ergeben. Dasselbe gilt auch für einzelne Akte eines Scorekeeping, die nicht selbst schon als richtig durchgeführt erkannt und anerkannt sind. Das Problem ist, wie man sieht, ganz unabhängig von der Frage einer Hegelinterpretation. Aber auch ein Kampf zwischen zwei Personen, etwa gar um Anerkennung ihres Lebensrechtes (auf Leben und Tod) kann die hier relevante Überlegung nicht weiter führen, schon gar nicht, wenn es um die Seinsweise von Normen geht, auf deren Grundlage die geistigen Erscheinungen im Leben der Menschen erläutert werden sollen. Anders gesagt, so wenig wie Stemmers rein ›monologische‹, genauer ›subjektive‹, Befriedigungstheorie auch nur einen Ansatz einer Theorie der Normen des Richtigen sein kann, trotz allem Gerede vom Überleben, so wenig kann es eine bloß ›dialogische‹ Antwort auf die Frage geben, was eine Norm ist. Bloß gemeinsame Befriedigungen sind noch keine Normerfüllungen. Es mag dann wahr sein, dass man im Extremfall sein eigenes Leben in die Schanze schlagen und seinen Willen gegen andere in einem Kampf auf Leben und Tod durchsetzen muss, wenn man über andere herrschen will, die dann, wie Sklaven, nicht weiter zum Kampf bereit sind und sich deshalb unterwerfen. Auch die Herrschaft über die Welt, vermittelt durch Wissen und Technik, kann in Extremfällen in einen Kampf auf Leben und Tod führen und wird keineswegs ohne Risiko erworben. Ob derartige Betrachtungen für den Gedankengang Hegels relevant sind, hat aber zumindest als eine noch o=ene Frage zu gelten. Zwar gilt es häufig, einen vorgeprägten Zweck oder ein vorgefasstes Ziel zu verfolgen, unabhängig vom unmittelbaren Lebensprozess und der in ihm auftretenden Begierden, ggf. sogar gegen diesen Prozess und der ihn begleitenden (leiblichen) Regungen wie im Erschrecken, der Empfindungen wie in Lust oder Schmerz oder der schon propositional gerichteten Gefühle wie in
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der Furcht vor etwas. Man kann sogar hinzufügen, dass allein der Mensch vom unmittelbaren Leben und bloßen Überlebenwollen in seinem Tun abstrahieren kann. Nur der Mensch kann über den Tod hinaus denken. Und es kann ihm um sich selbst gehen auch dort, wo er, wie Sokrates oder Jesus, seinen eigenen Tod bewusst in Kauf nimmt, eben weil er zugleich vorwegnimmt, wie es wäre, wenn er das nicht täte. Kurz, nur der Mensch hat eine positive Beziehung zum Tod. Diese Gedanken zur Struktur von Herrschaft über Mensch und Welt und zur Struktur von Selbstbeziehungen über den eigenen (möglichen oder manchmal sogar sicheren) Tod hinaus sind also alle durchaus nicht falsch. Die Frage ist nur, wie das genuin menschliche Selbst-Wissen über die Endlichkeit des eigenen Lebens von der Geburt bis zum Tod und wie die Möglichkeit des gedanklichen Vorgri=s auf den eigenen Tod, Heideggers Vorlaufen in den Tod, samt der Rede vom Tod als dem absoluten Herrn in den Argumentationsgang Hegels angemessen zu integrieren ist. Warum etwa behandelt Hegel unter dem Titel »Selbstbewusstsein« den Stoizismus, Skeptizismus und das unglückliche Bewusstsein? Meines Wissens hat keine Interpretation diese Frage bisher befriedigend beantwortet. Ich denke, die Antwort liegt darin, dass der Stoiker als der Charakter stilisiert wird, der, durchaus ähnlich wie später die schöne Seele mit ihrem Gesetz des Herzens (vgl. Abschnitt V. B. b) im reinen Denken verbleibt und den engen begri=lichen Zusammenhang des vernünftigen Denkens mit dem vernünftigen (gemeinsamen) Handeln verkennt oder unterschätzt. Der Skeptiker ist der Charakter, der sowohl am einzelnen als auch am allgemeinen Wissen, an einzelnen wie an allgemeinen Wahrheiten zweifelt. Aus dieser Verzweiflung heraus wird er zu einem extremen Pragmatisten, rein subjektiven Instrumentalisten, der sich selbst als homo sentimentalis und homo oeconomicus auf technisch beliebig hohem Niveau re-animalisiert. Das Problem des Skeptikers ist ja schon von Aristoteles erkannt worden: Indem er aus Angst, etwas Falsches zu sagen, gar nichts mehr sagt, also nicht mehr an der Praxis der Wissensansprü-
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che und deren gemeinsamen Bewertungen teilnimmt, macht er sich selbst zur Pflanze, zu einem subhumanen Organismus. Die Herkunft seiner eigenen technischen Fähigkeiten, schon der Unterscheidungen in der eigenen Wahrnehmung, kann er dann aber nicht mehr begreifen, so wenig wie der reine Empirist, der angeblich nur ›beobachtet‹ und sich danach, was er da sieht, verhält. Das erklärt Hegels ironische Rede von einem ›geistigen Tierreich‹ (vgl. Abschnitt V. C. a). Voll konsequent also ist ein Skeptiker nur, wenn er sich zu einer bloßen Pflanze machte, indem er gerade auch für sich selbst alle Ansprüche auf Geltung seiner eigenen Urteile ablehnte. Dann aber müsste er sich am Ende auch ohne Protest von anderen wie eine Pflanze behandeln lassen. Da er das als Mensch und Person nie tun wird, erweist sich der Skeptizismus als eine unhaltbare, bloß schwatzende Position, eine in sich widersprüchliche Haltung zu sich, zu anderen und zur Welt. Das Schlimme ist, dass der moderne Mensch zu einem Gutteil Skeptiker ist, besonders am Werktag, am Sonntag aber gern zum Stoiker wird und vom Wahren und Guten redet.
3.3 Dialektik der Vernunft Manche Leser meinen, mit dem Vernunftkapitel beginne ein neues Thema, als hätte Hegel seine Grundfrage, was Selbstbewusstsein sei, verlassen und wende sich eher willkürlich einem neuen Thema, der Vernunft, und danach wieder einem neuen Thema, dem Geist, zu. Das kann man aber nur sagen, wenn man den Argumentationsgang aus den Augen verliert. Denn es geht immer noch um die Frage, was Bewusstsein und Selbstbewusstsein sind und was die Bedingungen der Möglichkeit individuellen (Selbst-)Bewusstseins sind. Die Antwort verlangt eine Klärung der Frage, was vernünftiges (Selbst-)Bewusstsein ist, was also Vernunft ist. Und diese Frage führt uns zur Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit individueller Vernunft im objektiven Geist.
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An jedem ›subjektiven‹ Ansatz der Analyse bzw. reflektierten Bestimmung von Erfüllungen oder Richtigkeiten und dann auch der zugehörigen Bedingungen ist sicher das Folgende richtig: Die basale Selbstbeziehung der Begierde und ihre Befriedigung als Subjektivitätsbedingung spielt nach wie vor eine wichtige Rolle, da jede ›höhere Begierde‹ – um metaphorisch über Absichten zu sprechen – auf ihr aufruht. Die Erfüllung von verbal (an sich) anerkannten Bedingungen (Wünschen, Absichten, Zwecken) muss von Subjekten kontrolliert werden. Und das geschieht am Ende doch wieder auf der Grundlage einer Art der faktischen Befriedigung. Es geschieht allerdings nicht auf zufällige, willkürliche oder unmittelbare Weise, sondern als Ergebnis selbstbewusster Kontrolle gemeinsam schon anerkannter Normen und Regeln des Richtigen. Das gilt besonders auch für die (Bestimmtheit der) zureichenden (vernünftigen) Erfüllung von Zwecksetzungen und Intentionen. Was aber ist ein intentionales Handeln mit Teilmomenten wie Vorsatz und Absicht im Kontrast zu Begierden und Wünschen und was sind vernünftige, zureichende, Erfüllungen im Kontrast zu bloß subjektiven Gefühlen der Befriedigung? Diese Fragen führen uns und Hegel dazu, zum Thema des Vernünftigen, zur Vernunft, überzugehen. 3.3.1 Beobachtende Vernunft Was ist vernünftiges (Selbst-)Bewusstsein? Was ist Vernunft? Eine erste naheliegende Antwort ist: Vernunft ist Vernehmen des Wahren und Richtigen. Sie ist erfahrene, die Dinge der Welt beobachtende Vernunft. Diese Antwort führt uns dann weiter zur Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von beobachtender Erfahrung. Zentral ist dabei wieder eine Einsicht Fichtes, die er Kant als Selbstinterpretation angeboten hatte, was dieser aber wohl aus Missverstand abgelehnt hatte: Die Einsicht in das Primat der Praxis, des Tuns, des Handelns. Gerade auch menschliche Wahrnehmung ist eine längst schon begri=lich geformte Tätigkeit. Wahrnehmungsgestützte Erfahrung ist längst schon eine auf ein Tun ausgerichtete Haltung und Kompetenz. Das Vernünftige ist
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die Form dieser Tätigkeit, Haltung und Kompetenz. Was aber ist Vernunft in der Tätigkeit, im Vollzug? Es ist das Verständnis der Vernunft und des Geistes als Vollzugsform, welche allein dazu verhilft, die naiven Naturalisierungen des Geistes im Behaviorismus oder Szientismus und einer bloßen Gehirnphysiologie in ihren Grenzen zu durchschauen. Hegels volle Verweltlichung geistiger Rede- und Seinsformen vermeidet eben diesen logisch unbedachten Biologismus ebenso wie jeden transzendent-metaphysischen und damit sich selbst nicht verstehenden Mentalismus. Seine Philosophie erkundet einen dritten Weg jenseits von naturalistischen Biologisierungen einerseits, mystischen Mentalisierungen andererseits. Das geschieht in einer Analyse der Vollzugsformen geistigen Lebens und der Reflexionsformen unserer Reden über Vernunft und Geist. 3.3.2 Tätige Vernunft Die Frage, was tätige Vernunft ist, beantwortet Hegel in einem ersten Ansatz schon im Titel: Sie wird als Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewusstseins durch sich selbst bestimmt. Nun ist aber das Tun der einzelnen Person viel stärker durch subjektive Motive oder Triebe wie Lust und Leidenschaft als durch eine blasse und abstrakte Vernunft geleitet. Und wo Anspruch auf Vernunft erhoben wird, wo erklärt wird, dieses oder jenes Tun sei doch vernünftig, jenes aber unvernünftig, äußert sich allzu häufig nicht ›die Vernunft‹ sondern – der Eigendünkel. Der Einzelne stellt dabei das, was ihm richtig dünkt, gegen die Urteile der Anderen, auch gegen das übliche Urteilen bloßer Tradition. Das ist selbst dann der Fall, wenn er, wie Hume, an einen common sense appelliert, und dem, der ihm dann nicht folgt, den gesunden Menschenverstand mehr oder minder kurzerhand abspricht. In dieser Spannung zwischen Tradition und Eigenurteil, common sense und Eigendünkel zerbröselt der Begri= des Vernünftigen oder steht jedenfalls in der Gefahr, sich aufzulösen. Damit aber erkennen wir den inneren Widerspruch in jedem bloß oberflächlichen Appell an die Vernunft. Die Vernunft wird zur Fahne und
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zum Schlachtruf für Aufstand und Willkür ebenso wie für Unterwerfung und Konservativität. Diese Gefahr erkennt Hegel. Im Übrigen entsteht aus der Entgegensetzung von Vernunft und dem Lauf der Welt ein leeres Reden darüber, wie die Dinge sein sollten, aber eben leider nicht sind. Vernunft wird dadurch zu etwas Transzendentem, Überweltlichem, Hinterweltlichem, zur bloßen Utopie, zu leerem, rein ›stoischem‹, Gerede. Gerade aufgrund des Fehlverständnisses der Konstitution und angemessenen Gebrauchsweise ›idealer‹ Reflexionsformen auf die ›realen‹ Vollzugsformen entstehen die meisten Fehlbeurteilungen der wirklichen Erfüllungen vernünftiger Bedingungen, der bürgerlichen Wahrheit, des menschlich Guten und des Schönen in der Welt. Das Bessere ist hier der Feind des Guten, also auch des Wahren und Schönen, dann nämlich, wenn aus der Tautologie, dass alles Wirkliche Mängel hat und alles Realwissen fallibel ist, falsche Folgerungen gezogen werden, z. B. die eines Skeptizismus oder einer leicht jammernden Anklage der Welt in einer säkularisierten Theodizee. Es ist daher ein tiefes Problem, dass aufgrund der Freiheit des Urteilens und der freien Haltung zur Welt auch das zureichend Wahre, Gute und Schöne immer von einigen als angeblich falsch, schlecht oder hässlich ausgegeben wird oder ihnen so erscheint. Nur ein rechter Gebrauch der Ideale hilft uns hier weiter – sonst verfallen wir in die sophistische Skepsis eines Protagoras, Hume oder Nietzsche, welche besonders klug sein wollen in der Feststellung, dass es in der realen Welt keine idealen Gerade und Kreise gibt: So ist idealgeometrische Rede auch nie ›gemeint‹ gewesen – falls man die entsprechenden begri=lichen ›Techniken‹ beherrscht. 3.3.3 Individuelle Vernunft Die individuelle Vernunft ist handfester als die Vernunft an sich. Es kann aber geschehen, dass sich in ihr am Ende bloß die Subjektivität des homo rationalis bzw. homo oeconomicus durchsetzt. Hegel nennt einen solchen rational denkenden, seine individuel-
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len Zwecke und Ziele strategisch verfolgenden Menschen, der in seinem Tun den erwartbaren Nutzen für sich maximiert und das Risiko des Schadens minimiert, einen Bewohner eines geistigen Tierreichs. Diese Bezeichnung ist voller Ironie und spielt zugleich auf einen Analysefehler in der Praktischen Philosophie Kants an. Denn Kant hatte ein Handeln, dessen Maximen oder Grundsätze sich nicht an den Normen der allgemein moralisch Richtigen ausrichten, im Grunde als bloß den Gesetzen der Natur, am Ende als unfreies animalisches Verhalten abgewertet. Hegel übernimmt mit dem Titel »geistiges Tierreich« einerseits den Aspekt der Analyse Kants, demzufolge sich ein homo oeconomicus seine Zwecke durch den Zufall seiner aktualen Begierden und animalischen Triebe vorgeben lässt, fügt ihm aber andererseits die zentrale Einsicht hinzu, dass die Lebensform und die zweckgerichteten Handlungsformen des homo oeconomicus längst schon geistig vermittelt sind, also aufruhen auf allgemein menschlichem Wissen, konkreter, auf technischem Mittelwissen. Eine individuelle Zweck-MittelVernunft gibt es nur auf der Basis eines nicht aus dieser Form der Vernunft hervorgegangenen Wissens. Instrumentelles Wissen entstammt einer anderen Form der Vernunft, in welcher allgemeine, d. h. von jedem verwendbare, verlässliche Orientierungen nach Art eines Gesetzeswissens gemeinsam verfügbar gemacht werden. Daher führt die individuelle und auf einzelne Zweckverfolgungen ausgerichtete Vernunft der Zweck-Mittel-›Rationalität‹ zu einer Vernunft, welche diese Rationalität erst möglich macht. Es ist die Vernunft des kooperativen Handelns. Sie ist die wahre gesetzgebende und gesetzprüfende Vernunft, deren ›Gesetze‹ ebenso instrumentell verwendbares Wissen über die Natur strukturieren als auch die Normen guten kooperativen Handelns. Soweit wir uns aber auch noch die Gesetzgebung, das Setzen von Normen des Richtigen, und die Gesetzprüfung, die Kontrolle der rechten Anwendung von Normen, nach Art von Setzungen und Entscheidungen einzelner Personen (etwa auch im Konsens in einem Kollektiv) vorstellen, kollabieren die Normen und Richtigkeitsbewertungen wieder in die Subjektivität und Willkür
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eines reinen Dezisionismus. Damit gerät die Vorstellung eines auf einem Sanktionsverhalten bzw. dem Ausbleiben von Negativsanktionen (Strafen) aufgebauten Normensystem in Probleme: Es besteht die Gefahr, dass man wie im sozialbehavioralen Regularismus ein nichtsprachliches und sprachlich begleitetes Verhalten und das entsprechende Folgeverhalten für ›richtig‹ hält, wenn und nur wenn man sich mit ihm zufrieden gibt. Eine ›höhere‹ oder ›tiefere‹ Unterscheidung zwischen richtig sein und für richtig halten gäbe es dann nicht. Warum ist das nicht das letzte sinnvolle Wort in dieser Sache?
3.4 Dialektik des Geistes 3.4.1 Der wahre Geist: die Sittlichkeit Der Übergang von der Vernunft bzw. dem vernünftigen Selbstbewusstsein zum (wahren) Geist ist eine Art Übergang von der subjektiven und als solcher noch theoretischen zur objektiven und als solcher immer praktischen Vernunft. Das heißt, genauer, »Vernunft« ist bei Hegel Titel für die Beurteilung eines subjektiven Selbstbewusstseins als vernünftig. »Geist« ist Titel für die objektive oder allgemeine Sphäre des Richtigen im kollektiven und kooperativen Leben und Handeln. Hegels zentraler Punkt ist nun, dass auch jede Beurteilung von etwas als vernünftig, sinnvoll, geistvoll, wahr oder gut als Performation je subjektiv ist. Alle unsere Urteile sind im Vollzug ›subjektiv‹. Es sind daher metastufige Kontrollurteile oder Reflexionsurteile darüber, ob etwas sinnvoll, vernünftig oder wahr ist, nur dem Inhalt nach von anderer Form als die Urteile oder Handlungen auf der Objekt- oder Vollzugsebene, die beurteilt werden. Auf keiner Ebene gibt es ›neutrale‹ Urteile. Das führt zu ›ewigen‹ Möglichkeiten beliebiger rekursiver Aufstufungen von Meta-Beurteilungen. Es hat aber durchaus Sinn, die Form dieser Beurteilungen und Meta-Beurteilungen als das wahre Unendliche der Objektivität und Wahrheit zu betrachten, insbesondere dort, wo es um die Di=erenz zwischen je faktischen
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Urteilen in den entsprechenden Reflexionsstufen geht und einer ›Wahrheit‹, welche auf das nie vollkommen erreichbare ›Ideal‹ des ›richtigen‹ Urteilens und Meta-Beurteilens verweist. Man könnte dann sagen, dass das Wort »Gott« eine analoge Rolle spielt wie das mathematische Unendliche, nämlich als Hinweis auf die Form der unendlichen Stufen: So wie jede konkrete Zahl endlich ist, ist jedes konkrete Urteil endlich. Jede konkrete geometrische Formgestalt etwa eines Kreises erfüllt entsprechend bloß endliche Bedingungen der hinreichenden Kreisförmigkeit. Dennoch sprechen wir über die Menge aller Zahlen, den idealen Kreis oder die unendliche, absolute Wahrheit, also Gott. Der Satz, dass Gott Geist sei, sagt daher fast dasselbe wie der Satz, dass Gott das Gute sei: Was die Menschen als Gott anbeten und für heilig erklären, ist das allgemeine Gute und Wahre, das, was uns zu geistigen Wesen macht, soweit wir denn an dieser Praxis des wahren Wissens und guten Handelns richtig teilzunehmen vermögen. Aber niemand hat unmittelbaren Zugang zum allgemeinen Wahren und Guten; es handelt sich bloß um Formen des Urteilens. Der Titel »Geist« steht bei Hegel also, subjektiv gelesen, für die praktische Selbst- und Fremdbeziehung, objektiv gelesen für die gemeinsame Welt der Menschen, für die Praxis im Sinn des Aristoteles, also für die Lebensform eines geistigen Wesens – mit Verstand und Vernunft. Damit wird schon klar, warum bzw. in welchem Sinn der wahre Geist einer Person die Sittlichkeit, das allgemeine Ethos entwickelter humanitas ist, und warum wir nur aufgrund von geistigen Traditionen geistige Wesen sind. 3.4.2 Der sich entfremdete Geist: Bildung Obwohl jeder von uns nur durch die Tradition zu einem geistigen Wesen wird, stehen unsere unmittelbaren Urteile der bloßen Tradition gegenüber. Wir entfremden uns daher von einer bloß habitualisierten Sitte. Sittlichkeit und Tradition werden uns fremd, weil sie uns in der Reflexion gegenüberstehen und wir sie uns erst in selbständiger Bildung aneignen müssen. Das heißt zu-
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meist auch, dass uns die Tradition nicht immer unmittelbar als vernünftig erscheint. Die dialektische Ambivalenz der Bildung besteht jetzt darin, dass sie uns einerseits erst zu gebildeten Personen macht, indem wir das Wissen einer Tradition erwerben und traditionelle Formen des Urteilens und Handelns zu reproduzieren lernen, dass die gebildeten Personen aber mehr und mehr von sich glauben, die Tradition als bloße Tradition, die Sittlichkeit als bloß konventionelle Sitte oder das positive Recht als bloß kontingente Setzung kritisieren zu können. Der gebildete Mensch meint, autonom selbst denken zu können – und vergisst, wem er das zu verdanken hat und wie konventionell er selbst noch in seiner Kritik an allen Konventionen denkt. 3.4.3 Der sich seiner selbst gewisse Geist: Moralität In der Moralität verbindet sich dann aber das subjektive Element des Eigenurteils, der Autonomie, mit der objektiven Pflicht, der allgemein richtigen Form der Handlung, oder so sollte es wenigstens sein. Allerdings gibt es das Problem der moralischen Selbstgerechtigkeit, die Unterschätzung der notwendigen Bindung des Geistes an die Tradition. Die Dialektik der moralischen Weltanschauung besteht darin, dass jemand, der nur kontrolliert, ob er die Maxime seiner Handlung als allgemeines Gesetz anerkennen würde, am Ende nicht der moralisch Gute, sondern sogar Urbild des ethisch Bösen ist. Denn böse ist nicht schon der, der bloß schlecht ist, also die Normen des Guten verfehlt und sich vielleicht dadurch rechtfertigt, dass alle anderen es auch tun, cosi fan tutte; noch nicht einmal der Verbrecher, der wissentlich und absichtlich ein ihm bekanntes und an sich anerkanntes Recht bricht. Böse ist der, welcher sich nur an seinem eigenen Gesetz und nicht an den schon etablierten Normen einer guten Sittlichkeit orientiert, und sogar meint, dass das auch gut sei. Böse ist insbesondere der, welcher allen empfehlen oder befehlen will, so zu sein, wie er meint, dass man sein darf oder soll. Dem gegenüber ist einer, der nur im Einzelfall oder
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gelegentlich die Normen des tradierten Ethos übertritt, sie aber weiter anerkennt, selbst wenn er ein Verbrechen mit Wissen und Willen, also bewusst und vorsätzlich ausführt, bloß erst schlecht, zeigt bloß seinen Mangel an Gutsein, ist noch nicht in seinem allgemeinen Charakter böse. Kants Meinung, das ursprüngliche Böse läge in der Natur des Menschen, genauer, in seiner Tierheit, ist am Ende ganz irreführend. Das Schlechte des bloßen Mangels unterscheidet sich vom Bösen darin, dass gerade der selbstgerechte Moralist böse ist. Denn er setzt sich über die realen Traditionen des Ethos ebenso hinweg, wie er den unausweichlichen Mängeln der anderen Personen mit einem harten Herzen begegnet, statt die notwendigen Unvollkommenheiten der Menschen nachsichtig und eben dadurch robust zu behandeln. Die Religion der Verzeihung ist daher weit aufgeklärter als die Unversöhnlichkeit einer moralischen Weltanschauung.
3.5 Dialektik der Religion 3.5.1 Natürliche Religion In der natürlichen Religion erscheinen uns die objektiven Wesen der Welt, Dinge und Pflanzen, Tiere und Kräfte so, als seien sie von Geistern beseelt und als gäbe es eine natürliche Ordnung des Guten. Es spiegelt sich darin, ohne selbstbewusstes Wissen der Menschen, die Tatsache, dass unser Wissen von der Welt durch den Geist, das heißt natürlich unseren Geist, unseren Verstand und unsere Vernunft bestimmt ist. In der Natur, soweit wir sie uns zum Gegenstand unseres Wissens gemacht haben, spiegeln wir uns insofern wieder, als es die von uns so und so vernünftig dargestellte Natur ist, auf die wir uns beziehen. Die Geister oder geistigen Kräfte, die wir dabei in die Dinge setzen, sind nichts anderes als unsere eigenen Erklärungsformen. Eine basale Form ist dabei die der Kausalität, der Verursachung von o=enbaren Erscheinungen durch okkulte, innere, Kräfte, die sich
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auf ähnliche Weise äußern wie die Kraft eines Menschen, der etwas handelnd vollbringt. Kurz, die Idee der Kraft oder Energie selbst ist geistig, anthropomorph, und damit am Ende auch die Idee der Kausalität. Daher ist die natürliche Religion und sind ihre Mythen eng verwandt mit dem materialistischen Kausalismus in der so genannten wissenschaftlichen Weltanschauung, dem Szientismus. Oder, besser gesagt, der Materialismus oder szientistische Kausalismus ist die natürliche Religion unserer Tage. Der naive Glaube an eine kausal wirkende Kraft bzw. an einen kausalen Nexus in einer Welt an sich ist der Aberglaube, den es sinnkritisch, also philosophisch zu überwinden gilt, wie das dann auch wieder Wittgenstein erkennen wird. Aber auch jedes Naturrecht und sogar die Idee eines rein natürlichen Guten verbleiben im Vorstellungsbereich der natürlichen Religion. Sie sind bloße Projektionen unserer Wertungen auf eine vermeintlich wahre Welt der Werte – wobei die Mehrdeutigkeiten der Rede über die Natur, nämlich sowohl als erster Natur und zweiter Natur, damit also als Kultur, und dann auch als dem Wesen und Wesentlichen einer Sache das Urteilen nicht einfacher macht. Denn es ist dann in einem Sinn das Natürliche tautologischerweise das Gute. 3.5.2 Kunstreligion Die Götter werden schon in Ägypten, besonders aber bei den Griechen in plastischer und poetischer Kunst repräsentiert und in den Figuren und Statuen selbst angebetet. Dabei ist schon die Figur oder Statue des Gottes heilig. Die Religion wird damit vollkommen äußerlich. Das scheint zwar vom Standpunkt derer, die Gott oder das Göttliche als okkulte Kraft deuten, ein Rückschritt im Verständnis des Heiligen zu sein. Aber es ist in Wirklichkeit ein Fortschritt im Verständnis des Sinnes religiöser Praxis und Rede. Das Göttliche und Heilige ist das Invariante des in der schönen Kunst gefeierten Lebensaspekts. In der Kunstreligion feiert sich der Mensch als Schöpfer, als Techniker und als Poet. Und er dokumentiert sein Können
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in Architektur, bildender Kunst, Musik, Epos und Theater. In gewissem Sinn ist die Kunstreligion der Höhepunkt der Religion. 3.5.3 O=enbare Religion Im Judentum und Christentum und dann auch im Islam als einer synkretistischen bzw. eklektizistischen Kopie dieser ursprünglichen Schriftreligionen wird der Inhalt des religiösen Glaubens in einer von allen lesbaren Schrift ›geo=enbart‹. Damit nimmt die Religion die äußere Form des propositionalen Wissens an, das als solches invariantes verschriftlichtes Wissen sein muss. Für diese ist immer eine (vernünftige) Auslegungspraxis nötig. Dass religiöses Selbstbewusstsein in dieser theologischen Form noch nicht weiß, was sie ist, sondern ein noch nicht selbstbewusstes Wissen vom Menschen ist, ist den Menschen noch nicht bekannt. Die o=enbare Religion ist also, inhaltlich gesehen, ein noch unbewusstes, implizites, kein selbstbewusstes Wissen. Thema des Wissens ist der Geist, die Wahrheit, das Wissen. Dieser wahre Inhalt der Religion ist aber erst noch explizit zu machen. Ludwig Feuerbach popularisiert hier nur, was Hegel der Form nach entwickelt, und vereinfacht die Dinge dabei allzu sehr. Das Heilige ist das Jenseitige, Transzendente. So richtig dieser Satz ist, wo es darum geht, die Subjektivität des eigenen, endlichen, einzelnen Daseins zu überschreiten, so irreführend wird er, wenn man mit ihm die Welt des gemeinsamen Lebens samt der uns umgebenden Natur verlässt. Das Allgemeine ist die Gattung, die Lebensform. Im Streben nach Selbstbewusstsein als Befolgung des philosophischen Grußes des Gottes von Delphi, Erkenne dich selbst, geht es um das gute humane Leben in der Welt, seine Explikation und Entwicklung.
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4. Das absolute Wissen Wir wissen jetzt, dass Religion, da sie bloß implizites und damit über ihren eigenen Status unaufgeklärtes und unbewusstes Wissen von der Beziehung von Mensch und Welt ›an sich‹ ist, noch nicht ›das Fürsichsein‹ dieses Wissens über uns selbst begri=en hat. Es bleibt damit in der Religion unklar, was es wirklich bedeutet, ein personaler Mensch im vollen Wortsinn, mit Wissen und Selbstwissen zu sein. Die meisten Leser meinen nun, Hegel rede von einem absoluten Wissen im Sinn einer von ihm selbst behaupteten absoluten Wahrheit, sozusagen von einem Jenseits eines letzten Gerichts aus betrachtet. Er meint aber etwas ganz anderes. Er sieht, dass im absoluten Wissen das Wissen hier und jetzt so zu sich selbst kommt, wie es in der aristotelischen Formel ›no¯esis no¯ese¯os‹ als Wissen vom Wissen zum Ausdruck kommt. Die Idee eines völlig selbstbewussten Geistes war freilich schon von Aristoteles mit Gott identifiziert worden, ganz gemäß dem uralten Satz, dass am Ende nur der Gott (Apollo) selbst seine Aufforderung, sich selbst zu erkennen, absolut erfüllen könne. Mit anderen Worten, die no¯esis no¯ese¯os ist göttlich und unser Bemühen um Wissen und Philosophie ist ein Unternehmen der Angleichung des Menschen an das Göttliche nach Maßgabe des Möglichen. Die Idee der no¯esis no¯ese¯os, des absoluten Selbstbewusstseins, ist, wie die Idee der Wahrheit oder des absoluten Wissens, ein unser Urteilen, Schließen und Handeln (ho=entlich) orientierendes kontrafaktisches Ideal. Es ist das Ideal einer ihrer eigenen geistigen Formen und Normen selbstbewusst gewordenen Wissenschaft, deren reflexionslogischer (genauer: formenanalytisch-spekulativer) Teil die Philosophie im engeren Sinn ist. Der Philosophie geht es dabei gerade um das An-und-Fürsichsein, die realen Erscheinungsformen des Wissens, also darum, was Wissensansprüche zu einem echten Wissen und einen Artikulationsversuch zu einem Ausdruck eines vernünftigen Gedankens macht.
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Der Zusammenhang mit dem Religionskapitel ist dadurch gegeben, dass in der Religion die Tatsache thematisch (und gefeiert) wird, dass wir als geistige Wesen ein Leben des Geistes führen können, dass wir denken und schließen, planen und handeln, urteilen und bewerten können. Das ist es, was die Religion eigentlich anbetet. Und das ist es, was wir heilig, intakt, halten sollten. Die Wissenschaft ist dabei nicht bloß im Sinne einer besonders institutionell verfassten Organisation von Akademien und Universitäten zu verstehen. Sie ist allgemeine Praxis der Produktion, Tradition und Kontrolle von Wissen irgendeiner Form, etwa technischer, kontemplativ-theoretischer oder praktischer Art. Dieses kann durchaus auch ein Wissen sein, wie etwas (gemeinsam) zu tun ist: ein knowing-how. Es kann ein verbal artikuliertes Wissen sein, das sagt, was als wahr gelten kann: ein knowing-that. Oder es kann eine Kenntnis dessen sein, was die moralisch-praktischen Normen für den Erhalt eines guten gemeinsamen Lebens von jedem von uns zu tun verlangen: ein knowing-what-is-right-to-do. In allen drei Fällen nehmen wir nicht bloß am Gebrauch, sondern auch an der Entwicklung der expliziten Artikulation des Wissens teil. Das tun wir, wenn wir das gemeinsame Projekt der Entwicklung einer humanen Welt vernünftig fortführen. Das wiederum sollten wir möglichst bewusst tun, d. h. im Wissen um das Prekäre dieser Entwicklung und um die unaufhebbare Dialektik der Vernunft. Das, und nur das, ist Selbstbewusstsein. Das absolute Wissen ist also eine Art Haltung zum Wissen über das Wissen. Sie heißt auch Philosophie. Als solche ist sie die besondere Seinsweise des Menschen als Gattungswesen. Es ist absolutes Selbstbewusstsein insofern, als es praktische Einsicht in die allgemeine Form kritischen Selbstwissens ist. Als freie performative Haltung ist sie losgelöst von jedem Relativismus, anders als jede Aussage über die Welt mit je besonderem Geltungsanspruch. Es ist die rechte Haltung zur Welt, der Form nach. Inhaltlich kann es dann immer ebenso vieles zu wissen geben, wie es eben Weltwissen gibt. Als praktisches Wissen oder Können aber enthält Wissen über Wissen die Anerkennung der
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institutionellen Formen des Lebens, welche Wissen und Begri=e und damit ein bewusstes und selbstbewusstes Leben des Menschen allererst möglich machen. Im absoluten Wissen kehrt daher der von sich entfremdete Geist, der in der Naturwissenschaft die handlungsunabhängigen Voraussetzungen und Umgebungen unseres Lebens untersucht und sich in den Geisteswissenschaften die Struktur und Entwicklung humaner Institutionen auf objektivierende Weise gegenüberstellt, zu sich selbst zurück. Das aber geschieht gerade in einer praktischen Haltung zur Welt und zu sich, im Vollzug. Das heißt, es wird das scheinbar Fremde sowohl der natürlichen Welt als auch der Institutionen wieder aufgehoben, und zwar in der anerkennenden Einsicht, dass die Welt, unsere Umwelt und die Praxisformen uns zu Personen machen. Diese Anerkennung ist immer schon normativ bewertet, so wie eben Religion, Kunst und Philosophie immer schon normativpraktisch sind, und zwar gerade aufgrund ihrer Aufhebung der Entfremdung zwischen Subjekt und Objekt, wie man kurz und rätselartig zu sagen pflegt, also zwischen unserem Leben samt unserem wissenschaftlichen Handeln im Vollzug und den Gegenständen unseres Wissens. Wir selbst sind dabei Natur und Kultur, ganz dem berühmten indischen Spruch entsprechend »tatvam asi!«: »Das bist du selbst!«
Hegels Vorrede
»Eine Erklärung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der Gewohnheit vorausgeschickt wird – über den Zweck, den der Verfasser sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das Verhältnis, worin er sie zu andern früheren oder gleichzeitigen Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt –, scheint bei einer philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein. Denn wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich wäre – etwa eine historische Angabe der Tendenz und des Standpunkts, des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine Verbindung von hin und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre –, kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische Wahrheit darzustellen sei.« (3 | 9)31
Hegel beginnt das Werk mit einer ironischen Kritik an der Praxis, einem Text ein Vorwort zu geben. Sie tri=t sich mit den Selbstkommentaren in den Vorworten der Romane Dostojewskis, in denen Vorworte ebenfalls für überflüssig erklärt werden.32 Sie gründet sich inhaltlich auf seine Einsicht, dass es in einer philosophischen Überlegung nicht um die Aufstellung von Thesen oder Resultaten geht, die dann in der Ausführung begründet werden, und schon gar nicht um eine Erzählung über die Geschichte von mehr oder weniger guten Einfällen. Alles Historische und Die Seitenzahlen am Ende der Zitate verweisen auf G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, neu herausgegeben von Hans-Friedrich Wessels und Heinrich Clairmont, mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen, Hamburg (Meiner) 1988 und, an zweiter Stelle, auf die Originalpaginierung. 32 Vgl. dazu etwa auch Fjodor Dostojewski, Ein grüner Junge. Übers. Swetlana Geier, Frankfurt/M. (Fischer) 2011, 1. Kapitel, I, S. 10 (der Text ist auch bekannt unter dem Titel »Der Jüngling«). 31
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Hegels Vorrede
Narrative ist aus der Philosophie zu verbannen – zum Leidwesen philosophischer Hintertreppen wie die eines Diogenes Laertios. Bevor wir jedoch mit der Kommentierung von Hegels Text fortfahren, ist erst einmal ein Überblick über die Vorrede zu geben.
5.
Das Werk in nuce
5.1 Resultate in Entwicklungen von Wissen und Begri= Normalerweise erwartet man von einer Vorrede eines Buches eine These, die in dem Text verteidigt wird. Gerade weil die Sätze der Philosophie so allgemein sind, dass sie viele besonderen Sätze in sich (wenn auch vage) enthalten, meint man, dass sich in merksatzartigen Ergebnissen das Wesentliche eines Gedankenganges zusammenfassen lasse. Doch wie in anderen Wissenschaften wäre auch hier das »nackte Resultat« nur eine Art »Leichnam« (Absatz Nr. 3) – es sei denn, man versteht die Merksätze bloß als Erinnerungen an das in ihnen gerade nicht voll Repräsentierte, das Besondere, das es im Verstehen inferentiell oder auch nur konnotativ aus ihnen wiederzugewinnen gilt. Als solche fungieren sie wie Überschriften als eine Art Titelkommentare über ein ganzes Aggregat entweder von Urteilen oder von Argumenten in einem Wissensbereich. Im Allgemeinen erwartet man auch eine Debatte um falsche Positionen unter Nennung der kritisierten Autoren und eine Begründung einer wahren Position. Man achtet dann aber zumeist nur auf die Widersprüche der Thesen oder Formulierungen und sieht nicht, dass diese sich möglicherweise nicht einfach widersprechen, sondern als »fortschreitende Entwicklung der Wahrheit« (Absatz Nr. 2) deutbar werden, nämlich als Ausdi=erenzierungen eines einheitlichen Wissens, das seine Gestalten ändert, wie eine Pflanze wächst, wie also aus ihrer Knospe die Frucht und aus dem Samen neue Pflanzen entstehen (Absatz Nr. 2). Auf ähnliche Weise lassen sich nach Hegel unterscheidbare Phasen oder Momente im Sinne von
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sich unterscheidenden Erscheinungsformen desselben lebendigen Wesens, der Ablösung einer Gestalt durch eine andere und im Sinne notwendiger Entwicklungsstufen an der Entwicklung von Wissen und Begri= hervorheben. Dabei kann man dann im Blick auf den Gesamtprozess der Entwicklung die Momente auch als Kräfte der Bewegung deuten. Es hat unter einem solchen Blick auf einen Lebensprozess o=enbar keinen Sinn zu sagen, dass die späteren Phasen oder Momente, trotz ihrer eklatanten Di=erenz in der Erscheinungsform, den früheren Entwicklungsstadien einfach ›widersprechen‹. Eben dieses gilt, so ist Hegels organologische Analogie oder gar Gleichsetzung der Rede von einem lebenden menschlichen Wesen und seinem ›Wissen‹ zu deuten, auch für jede Begri=sentwicklung: Wie in einem Lebensprozess gelangt man ohne den Durchgang durch die frühere Phase nicht zu dem Ergebnis, das man als das (vorläufige) Ende oder als Resultat der Entwicklung ansieht. Dieses kann in einer zustimmenden Rekonstruktion der Entwicklung von heute her als implizites Ziel dargestellt werden. Wenn es dann auch schon mantisch ahnende Vorwegnahmen in der Geschichte gibt, kann das Ziel zu einem Zweck eines gemeinsamen Handelns werden. Ebenso können Ideale wirken, im Unterschied zu wirkunfähigen Utopien. Im Hinblick auf die Entwicklung von Wissen und Begri= scheint das ›wahre‹ Ergebnis den ›unwahren‹ Vorstadien schro= gegenüberzustehen. Dieser Vorstellung zufolge hebt das Wahre etwa der Theorie Einsteins das Falsche etwa der Theorie Newtons auf. Dies kann nicht in dem Sinne gemeint sein, dass die alte Theorie einfach durchgestrichen wird. Denn das Neue wächst aus dem Alten. Daher wäre ein Verständnis der Beziehung unseres je heutigen ›Wissens‹ zu den in ihm aufgehobenen früheren ›Überzeugungen‹ falsch, wenn wir im Neuen das Alte nicht zu sehen lernten und das Alte nicht als Bedingung des Neuen verstünden. Jeder geschichtlich Gebildete wird sehen, dass jedes heutige SonderWissen sich gegenüber dem geschichtlich gewordenen allgemeinen Wissen als besser, wenigstens als gleich gut ausweisen muss.
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Dabei wird es möglicherweise in der Zukunft zu einem bloßen Glauben werden. Sogar was heute als ›Aufklärung‹ gilt, kann morgen als Aberglauben erscheinen. Es werden in einer oberflächlichen Betrachtung die früheren Stadien des Wissens dann aber gerade nicht als Wissen, sondern als bloße Überzeugungen oder gar als Vor-Urteile und AberGlauben verstanden. Das frühere Wissen wird damit zu einer vermeintlich ›falschen‹ Vorform des heutigen ›wahren Wissens‹. Man muss nicht viel nachdenken, um einzusehen, dass dann auch unser heutiges Wissen in Zukunft als bloßer Glaube oder gar als Aberglaube erscheinen wird. Diese Ansicht und die ganze ›Argumentation‹ werden von Hegel durch sein organologisches Beispiel als ein vorschnelles Urteilen infrage gestellt. Denn es gibt Wissen realiter immer nur in einer Entwicklung der sich aufgrund eines früheren Wissens ergebenden neuen, verbesserten, begri=lichen Unterscheidungen, samt der zugehörigen richtungsrichtigeren Schlussformen. Richtig ist also eher dies: Das ›gediegene‹, und das heißt, als das Beste zu je unserer Zeit erreichbare und entsprechend geprüfte Ergebnis einer Entwicklung hebt die früheren notwendigen Phasen der Entwicklung in sich auf, nämlich so, dass diese Momente immer noch auf gewisse Weise im neuen Wissen und in der neuen Begri=lichkeit enthalten sind. Das ist eine Aufhebung in einem ganz anderen Sinne als die der unmittelbaren Verneinung. Im Übrigen bleibt es wahr, dass der Wissensbegri= eine zeitliche, genauer, eine auf die Epoche der Gegenwart bezogene Sinnkomponente hat. Reales Wissen ist, was die heute von uns anerkannten endlichen und bürgerlichen Real-Kriterien des Wissens erfüllt. Entsprechend kann dann auch jeder Einzelne das und nur das als Wissen behaupten, wovon er selbst überzeugt ist. Daraus folgt nun aber weder die zeitliche Relativität des Wissens, noch seine bloße Subjektivität. Es folgt weder, dass Wissensansprüche immer bloß expressive Überzeugungen sind, noch dass es keine überzeitliche Wahrheit gäbe. Wohl aber ist die schwierige zeitliche Grammatik des Wissens und der Wahrheit, dann aber auch der
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Begri=e und der begri=lichen Kriterien sinnkritisch genauer zu betrachten. Die Entwicklung von Wissen und Begri= kann zum Beispiel folgende Form annehmen: Was vorher nur grob so und so, vielleicht pars pro toto in einer Synekdoche oder bloß paradigmatisch, analogisch oder metaphorisch charakterisiert worden ist, wird jetzt di=erenzierter betrachtet oder so und so schematisiert. Das Ergebnis ist, dass auch weniger Erfahrene und Gebildete mit den Di=erenz- und Inferenzformen zielorientiert und erfolgreich urteilen und handeln können. Man denke als Beispiel gerade auch an die Entwicklung der Mechanik von Descartes bis Newton und von Newton bis Einstein. Natürlich kann man sagen, dass Descartes’ Idee einer Geometrisierung von Bewegungen in seiner Kinematik durch Newtons Dynamik ›widerlegt‹ wurde, weil wir in der Erklärung der Bewegung der Körper neben ihrer Größe (dem Volumen) die Körpermassen(zahlen) berücksichtigen müssen, um relative Bewegungsbahnen vorausberechnen zu können. Und man kann auch sagen, dass Newtons Gravitationstheorie mit seiner absoluten Trennung von Raumvariablen und Zeitvariablen durch die (spezielle) Relativitätstheorie ›widerlegt‹ wurde. Hintergrund ist die Einsicht, dass wir im Raum relativ zu einander bewegter Körper und Partikel keine bewegungs- und damit zeitunabhängige Distanzmessung und keine orts- bzw. bewegungsunabhängige Zeitmessung zur Verfügung haben. Daher gibt es gar keine ortsbzw. perspektiveninvarianten Zeitzahlen (Datierungen). Das Relative der Relativitätstheorie besteht daher ähnlich wie das Kritische in der Transzendentalphilosophie Kants gerade in der expliziten Anerkennung der Perspektivität von Messungen, Erfahrungen, Maßzahlen und damit am Ende in der Transsubjektivität und Kovarianz jeder ›Objektivität‹. Dabei steht außer Frage, dass Newtons Dynamik die cartesische Kinematik und dass Einsteins Theorie Newtons Gravitationstheorie in sich aufhebt. Im letzten Fall drückt sich das mathematisch unter anderem darin aus, dass das Modell von Einsteins Raum-Zeit, das mathematisch gesehen
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eine ›Riemannsche Fläche‹ ist, ›lokal‹, also in den Tangentialflächen, notwendigerweise euklidisch ist. Denn sonst könnten wir überhaupt nicht mehr verstehen, was in diesen Riemannräumen überhaupt geodätische Linien und Längen, Winkel und Flächen sind. Mit anderen Worten, vieles an den früheren Ideen ist, wenn auch in modifizierter Form, in den späteren Modellen aufgehoben. Analoges gilt für den scheinbaren Widerspruch zwischen einer ›synchronen‹ und zunächst bloß klassifikatorischen Einteilung von Pflanzen und Tieren in Gattungen und Arten, wie etwa bei Linné, einer lebensformbezogenen und damit inferentiell-generischen Naturkunde wie bei Bu=on und die ›diachrone‹ Aufhebung dieser Einteilungen in einer evolutionären Geschichte von arttranszendenten Verwandtschaften, wie bei Darwin. Die Schwierigkeit, auf die Hegel hier hinweist, lässt sich wieder unter Rückgri= auf Äquivalenzen formulieren. In einem ersten Schritt der reflektierenden Analyse von Begri=en ergibt sich, dass der Inhalt eines Gedankens, der Sinn eines Satzes, die Bedeutung eines Wortes, einfach darin besteht, was alles als äquivalente Ausdrücke oder Äußerungen dieser Inhalte gilt. »Äquivalenz« aber bedeutet »gleiche Gültigkeit«, formal gesehen also ›beliebige‹ Ersetzbarkeit. Diese schließt gerade aus, dass sich zwei Sätze, die den gleichen Inhalt repräsentieren sollen, je widersprechen. Wirklich ›beliebig‹ ist aber gar nichts ersetzbar. Ersetzbar ist etwas nur, wenn wir von Unterschieden abstrahieren, wie man so sagt. Gemeint ist damit, dass Ersetzbarkeiten und Äquivalenzen abhängen von den relevanten, wesentlichen, Orientierungen. Es kann daher keine vollständige Logik geben ohne eine nicht-formale Bewertung des je Relevanten, in einer Wesenslogik. Diese hat zu analysieren, was jeweils als relevant zu werten ist und wie dies geschieht. Dazu gehört zum Beispiel die Betrachtung der zielorientierten bzw. inferenzbezogenen Gründe für eine Unterscheidung oder die Frage, was wir als eigentliche Ursache für eine Erscheinung ansprechen und wie wir das tun. Das freilich ist schon ein Vorgri= auf Hegels Wissenschaft der Logik. Wie geht das alles damit zusammen, dass man gedankliche
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Inhalte nur dann voll versteht, wenn man begreift, dass im Gedanken selbst längst schon eine Entwicklung enthalten ist? Wie also sind nichttriviale Einsprüche und Widersprüche gegen ›frühere‹ Präsentationen und Repräsentationen des betre=enden gedanklichen Inhalts in einem Gedankengang als wesentliche Bestandteile des Gedankens selbst zu verstehen? Man könnte dies als die Grundfrage einer Semantik auffassen, welche die diachrone Konstitution des Wissens selbst erkennt und anerkennt. Eine solche Anerkennung schließt zumindest dort ein Entweder-Oder aus, wo es sich um eine argumentative Entwicklung von Gehalten handelt. Eine rein formale, synchrone, Entgegenstellung von These und Antithese, Meinung und Gegenmeinung verbietet sich hier. So ist, um ein weiteres, diesmal nicht naturwissenschaftliches, sondern institutionentheoretisches Beispiel zu nennen, weder der Inhalt des Wortes »Demokratie« noch die Verfassung oder Konstitution eines demokratischen Staates wirklich unmittelbar, rein synchron, bloß durch Betrachtung gegenwärtig etablierter Praxisformen voll zu verstehen. Es bedarf vielmehr der Einsicht sowohl in die Wort- als auch die Institutionengeschichte. Wir müssen also erst einmal die Begri=s- und Ideengeschichte begreifen, um Demokratie als Wort, Begri=, Idee, Institution und deren Konstitution in ihrer Entwicklung voll zu erfassen. Denn erst nachdem die gravierendsten Widersprüche und Dysfunktionalitäten der antiken Vorläuferverfassungen aufgehoben worden sind, und zwar durch Einfügung von teils ›monarchischen‹, teils ›republikanischen‹ Elementen, ohne Rückfall in ein bloß tyrannisches Königtum – in der Wahl von Präsidenten auf Zeit und in der Kontrolle der Exekutive durch eine frei gewählte Ratsversammlung – und nachdem sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine ›Parteiendemokratie‹ entwickelt hat, was zuvor nicht absehbar war(!), haben das Wort und die Institution der Demokratie die positiven Bewertungen erhalten können, die sie heute gerade auch im Kontrast zu alternativen Staatsverfassungen, etwa einer nichtparlamentarischen Monarchie oder einer populistischen,
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teils akklamativen, teils zwangsgestützten Parteien- oder Personen-Diktatur haben. Um über eine Sache oder ein Problem zu reden und sie verbal zu beurteilen, ist ihre Bekanntheit bzw. die des Gehalts der Rede in einem gewissen Ausmaß vorauszusetzen. Das heißt, die Sache oder das Problem selbst bzw. ihr Begri= und das, was an ihm allgemein schwierig ist (nicht, was ein Einzelner zufälligerweise nicht versteht oder beherrscht), muss schon in einer (Problem-) Exposition als ›gediegen‹ oder schon entwickelt bekannt sein, wenigstens implizit. Im Reden und Urteilen ist dieser Gehalt dann aber noch keineswegs immer schon (selbst-)bewusst erfasst. Denn ihn voll zu begreifen, heißt, dass er auf kontrollierte Weise wirksam wird, dass sich insbesondere die Konsequenzen des rechten Verstehens im Tun zeigen, nicht bloß im Reden. Das aber ist das Schwerste, einen empraktischen Inhalt auf angemessene Weise explizit zu machen, »seine Darstellung hervorzubringen«. »Der Anfang der Bildung« besteht zwar immer in der Aneignung »allgemeiner« Grundsätze und Gesichtspunkte (Absatz Nr. 4). Aber erst wenn dann praktische Erfahrung in ihrem vielfältigen Gebrauch hinzukommt, erhalten diese ihren eigentlichen Sinn und ihre eigentliche ›Wahrheit‹. Daher gibt es auch keine Wahrheit außerhalb eines Gesamtkontextes. Dieser ist am Ende der Kontext des gemeinsamen Lebens. Schon Wahrheit im Sinn der Richtigkeit von Sätzen kann es nur im Rahmen eines Systems von Sätzen geben, nicht zuletzt deswegen, weil ein Satz in aller Regel schon dann als wahr gilt (und außerhalb eigens anders verfasster Bereiche wie der Mathematik auch gelten darf), wenn er etwas besser artikuliert als jeder alternative Satz, so wie eine Übersetzung schon dann als gut zu gelten hat, wenn uns keine bessere als real möglich erscheint. Dies ist der durch und durch ›realistische‹ Hintergrund, der erst einmal begri=en werden muss, nämlich als Anerkennung der innerweltlichen Endlichkeit von jedem Sinn, jedem Wissen und jeder Wahrheit. Nur so werden die endlichen Tatsachen in der Bestimmung von Sinn, Bedeutung und Wahrheit voll und ganz
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anerkannt. Dazu gehört, dass sie alle nur innerweltliche Unterscheidungen artikulieren. Es bedarf insbesondere einer innerweltlichen, am Ende sprachtechnischen, Deutung aller unserer verbalen Idealisierungen und Entfinitisierungen, welche die Leute im Allgemeinen verwirren, etwa wenn sie über Ewigkeiten und Unendlichkeiten aller Art reden, oder auch von einer absoluten Wahrheit. Die Einsicht, dass es hier noch etwas zu begreifen gilt, das nicht schon allgemein begri=en ist, ist eine notwendige Vorbedingung, um den folgenden Kernsatz zu verstehen: »Die wahre Gestalt, in der die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein« (Absatz Nr. 5). Das heißt, wenn wir den Begri= der Wahrheit nicht mystifizieren, müssen wir ihn über den Begri= des Wissens und dieses im Rahmen des Gesamts von sprachlich artikuliertem Wissen und einem entsprechenden empraktischen, etwa technischen, Können begreifen. Die Institution der Kontrolle und Kanonisierung des Wahren, gerade auch generischer Geltung und damit materialbegri=licher Normen für inferentielle Gehalte, ist die Wissenschaft. Da nun Philosophie die Wahrheit und das Wissen in ihrer allgemeinen logischen Form (nicht im einzelwissenschaftlichen Detail) zum Thema hat, muss aus einer Philosophie als bloßer Liebe zum Wissen, die oft genug nur schwärmerisch ist, eine systematische Wissenschaft der Logik als Ort des Wissens vom menschlichen Wissen, als Wissen vom Begri= und als Methodologie der Wissenschaften in ihrer Arbeit am Begri= im Kontrast zu bloß emprischen Anwendungen etwa in informativen Sprechakten werden. Dabei stellt sich Hegel gegen die bis heute nicht bloß im Bereich der Theologie, sondern gerade auch in der Wissenschaft vertretene wissenschaftsskeptische These, dass die Wahrheit (an sich) unerkennbar, erkenntnistranszendent sei. In dieser These schlägt die skeptizistische Erkenntnislehre Humes und durchaus auch noch die kritische Philosophie Kants um in einen modernen Aberglauben. Sie wird gerade auch in gewissen Strömungen des
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Kantianismus zu einer dogmatischen Glaubensphilosophie: Es wird behauptet, das Wahre existiere nur in dem, was »bald Anschauung«, und das heißt bei Hegel, persönliche Intuitionen und Überzeugungen, »bald unmittelbares Wissen des Absoluten, Religion« oder auch einfach, aber nicht weniger mystifizierend »das Sein . . . genannt wird« (Absatz Nr. 6). Man entzieht eben damit die Wahrheit einer wissenschaftlichen Klärung, appelliert an ein Gefühl und ersetzt Einsicht durch Erbauung (Absatz Nr. 7). Dagegen ist eine phänomenologisch-begri=liche Reflexion auf den Begri= der Wahrheit, also auf den Gebrauch der Wörter »wahr« und »Wahrheit« im Kontext einer Institution der realen Beurteilung von Wissensansprüchen, zentraler Teil, ja Anfang, jeder sinnkritischen Philosophie. Der neue Geist des wissenschaftlichen Zeitalters aber, so fährt Hegel fort, fordert statt Esoterik allgemeine Verständlichkeit, so dass praktisch jeder, mit etwas Mühe und Ausbildung, eine entsprechend gut dargestellte Einsicht und das zugehörige Wissen erwerben können müsste. Es liegt dann oft nur daran, dass die Wissenschaften erst noch in den Kinderschuhen stecken, wenn es so scheint, als bliebe ihr Wissen Spezialisten vorbehalten. Hegel kritisiert hier mit Recht die Tendenz der Mystifizierung von Wissen in einem ausdi=erenzierten Wissenschaftsbetrieb. Zwar ist es in der Tat so, dass (längst) niemand (mehr) alles wissen und alles Wissen selbst kontrollieren kann. Dennoch muss, damit ein Wissensanspruch ernst genommen werden soll, dieser (möglichst) so dargestellt werden, dass er in seinen inhaltlichen, di=erentiellen und inferentiellen Bestimmungen allgemein verständlich und am Ende auch hinreichend leicht kontrollierbar ist. Kurz, esoterische und nicht allgemein auf ihre Erfüllbarkeit kontrollierte Versprechungen von Spezialisten sind das Gegenteil von Wissenschaft und gefährden diese fast noch mehr als jeder allgemein tradierte Aberglaube. Insgesamt gibt es eine Art Gegensatz zwischen einem je als neu behaupteten (etwa sich empirisch auf Einzelwahrnehmungen gründenden) Wissen und einer gediegenen Ausbildung dessen,
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was als allgemein verlässliches Wissen gelten kann. Denn im zweiten Fall ist Wissen konservativ, im ersten handelt es sich um Theorien, die im Grunde auf Kredit leben, also erst nur versprechen, gute inferentielle Orientierungen für das Inhaltsverstehen im materialen Urteilen und Schließen zur Verfügung zu stellen. Das heißt, bloße hypothetische Theorien sind als solche noch kein allgemeines, verlässliches und nachhaltiges Wissen. Ein verlässliches Wissen nimmt vielmehr die Form anerkennbarer generischer Inferenzen an, die ›den Begri=‹ bzw. das Begri=ssystem einer Sache bzw. eines Themenbereiches nachhaltig bestimmen. Hypothesen sind also gewissermaßen erst noch embryonale bis jugendliche Früh- und Versuchsformen des Wissens, bloße Vorschläge zur Begri=sentwicklung, noch kein ›gediehenes‹, d. h. ›entwickeltes‹ bzw. ›erwachsenes‹ und ›substantielles‹ bzw. ›bleibendes‹ Wissen, das als solches ein bewährtes System generischer Inferenzerlaubnisse ist. Im Übrigen gibt es immer auch irrelevante (ggf. bloß langweilige) empirische Anwendungen und irrelevante (bloß zufällige, kontingente) empirische Gegenbeispiele oder Unregelmäßigkeiten. Der zugehörige Kernsatz ist allbekannt: Ausnahmen bestätigen die Regel. Das gilt für generische Normen und Regeln des richtigen Unterscheidens und Schließens insofern, als diese immer nur allgemein, eben generisch, zu verstehen sind. Wenn man es so sagen will: Sie sind Defaultnormen und Normalfallregeln. Sie sind jedenfalls nicht als universale Allsätze ohne jede Ausnahme zu verstehen. Das wiederum bedeutet, dass begri=liche Normen und Regeln und das diese stützende Wissen, das selbst immer schon ein Allgemeinwissen ist, immer nur einen generisch-allgemeinen und nicht einen universal-allgemeinen Geltungsanspruch haben können. Sie gelten also nur für die Fälle, die hinreichend gut unter die Regel oder den Begri= fallen. Das sind gerade die Fälle, welche die ousia, das relevante Wesen der allgemeinen Sache, hinreichend gut darstellen oder präsentieren. Daher ist generisch-begri=liches Wissen nie rein schematisch, nie ohne Urteilskraft in der Bestimmung der Allgemeinheiten des je besonderen Falls auszuwerten.
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5.2 Wahrheit als Substanz und als Subjekt Es ist dann zwar durchaus nicht falsch, das Absolute und das Wahre zu identifizieren. Aber üblicherweise geschieht das durch die idealische Vorstellung von einer völligen Ablösung des Absoluten, zu Deutsch: des begri=lich Abgelösten, bzw. des absolut Wahren von unserer realen Welt und unserem realen Wissen. In dieser Vorstellung verwandelt sich das Wahre oder Absolute in die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind und sich nichts mehr unterscheiden lässt. Wenn sich Schelling durch den Satz getro=en gefühlt hat, dann ist das umso schlimmer für seine Reden über das Absolute. Es ist diese Einsicht eine Folge von Hegels begri=skritischer negativer Theologie. Denn gerade aus der Sicht eines entsprechend ideal vorgestellten Gottes, der vermeintlich ›alles‹ weiß und kann, wird in der realen Welt nichts mehr unterscheidbar. Für einen solchen ›positiv vorgestellten‹ Gott gibt es weder Zeit noch Raum, also keine Ereignisse, weder eine Freiheit des menschlichen Handelns und Wollens noch eine Unfreiheit von bloßen Widerfahrnissen. Kurz, die Rede von einem solchen transzendenten Gott ist weder verstehbar, noch ohne Willkür im Urteilen anwendbar. Das Wort »Gott« wird damit inhaltlich leer. Aufgrund der Einsicht in diese Leere ist schon bei Kant, nicht erst bei Nietzsche, Gott tot. Wenn wir neben dem Tod Gottes, des Gottmenschen, den die Christen lehren und in dem sich die Einsicht in die Endlichkeit des Lebens darstellt, nicht auch diesen Tod Gottes bei Kant und Hegel anerkennen, bleiben wir in der Gefahr, die Rede von Gott zur Pseudolegitimation völlig beliebiger Urteile zu missbrauchen, mit entsprechenden Folgen für die Lehren der Propheten eines solchen nichtigen Gottes. Hegels frühe Kritik an jeder ›positiven Religion‹ und ›positiven Theologie‹ kann in dieser ihrer Radikalität kaum übertro=en werden. Und sie wird in ihrer Bedeutung für die Analyse ›absoluter‹ und ›idealer‹ Redeformen mit Sicherheit bis heute unterschätzt. Ironischerweise wird Hegel in der Analytischen Philosophie besonders dafür kritisiert, dass er überhaupt das Wort »absolut«
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verwendet und auf seine Bedeutung reflektiert. Damit wird aber nur der Bote für die Nachricht geschlagen. Auch sonst ist die Gegenüberstellung eines Anglo-Amerikanischen mainstream von Philosophie gegen eine kontinentale, vornehmlich deutsch- und französischsprachige, Tradition oft von der Art, dass man aus Liebe zum einfacheren Ausdruck schwierigere Probleme gar nicht behandelt. Die sinnkritische und formalismuskritische Tradition philosophischer Phänomenologie wird dann praktisch nicht wahrgenommen. Was der Titel »das Absolute« meint, ist nun aber alles andere als klar. Steht er für eine absolute, von unserem Glauben und Wissen unabhängige Wahrheit und eine Welt von Dingen an sich im Sinne der völlig unklaren Redeweise Kants? Was wäre eine entsprechende absolute Wirklichkeit? Was könnte ein absolutes Wissen sein? Und was könnten wir mit einer Rede von einer absoluten, von unserem realiter immer endlichen, relationalen und falliblen Wissen losgelösten Natur der Dinge meinen? Die Kritik daran, dass Hegel die Wörter »absolut«, »wahr«, »wirklich«, »Wissen« usf. nicht alle auf den Index setzt und bloß noch pluralistisch von einem kontingenten Glauben spricht, verkennt, dass nach diesem Verfahren alle Wörter, besonders die der logischen Reflexion auf Formen des Handelns, auf den Index der obskuren Wörter gehörten, so dass man, wie der griechische Skeptiker, gar nichts mehr sagen kann. Menschen, die bei der Willkür ihrer beliebigen Verneinungen gegebener Urteile bleiben möchten, lassen sich so wenig wie Pflanzen oder Tiere widerlegen, auch wenn es hier daran liegt, dass jedes Urteil und jede Urteilsenthaltung immer auch eine freie Entscheidung enthält: Nicht weil sie Pflanzen wären, sondern, weil sie es so wollen, kann man mit den Skeptikern nicht weiter argumentieren. Man kann niemanden von etwas überzeugen, der nicht mittun will. Daher sollte man auch gar nicht mit dem Versuch anfangen, entsprechende Skeptiker widerlegen oder von etwas überzeugen zu wollen. Was es vielmehr zu tun gilt, ist, wenigstens grob die Umrisse der Grenzlinien zu zeigen, die zwischen Kritik, Verwei-
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gerung und Unvermögen verlaufen. Hinzu kommt die Aufgabe, die Technik des Gebrauchs der entsprechenden Wörter und Sätze, insbesondere wenn sie über Gebrauchsmomente der Sprache reflektieren, besser begreifbar zu machen. Als erstes ist dabei zu sehen, dass Hegel mit eben den Argumenten, die gegen ihn vorgebracht werden, einen naiven Gebrauch der Wörter »absolut«, »wahr« oder »das Absolute« selbst kritisiert. Nun könnte es freilich grundsätzlich durchaus so sein, dass seine Kritik auch auf ihn selbst zutri=t, obwohl das dann extrem unwahrscheinlich wird. Es ist übrigens ähnlich problematisch, Heidegger vorzuwerfen, er übersehe, dass das Wort »nichten« kein schon eingeführtes deutsches Wort ist. Es wird ja eben deswegen eingeführt. Die Option, Wörter, die sich nicht von selbst verstehen, ganz aus dem Verkehr zu ziehen, haben wir nicht. Denn es betri=t alle Wörter. Es ist auch nicht hilfreich zu meinen, die Wahrheit sei ohnehin unerreichbar, in der realen Welt sei nichts vollkommen oder gar absolut, daher sollten wir mit einem abgeschwächten, ermäßigten, Maßstab des Wissens operieren, also die Rede über Wissen und Wahrheit durch die Rede über mehr oder minder rationale Überzeugungen ersetzen. Mit der Ersetzung von Wissen durch Glaubensmeinungen verzichten wir aber nur darauf, die Form der entsprechenden immanenten Unterscheidung im Endlichen zu bedenken. Denn auch im Endlichen ist Wissen etwas anderes als ein bloßer Glaube, was auch immer eine skeptische oder empiristische Sophistik in Überdrehung ihres vermeintlich subtilen ›kritischen‹ Denkens dazu sagen mag. Insbesondere ist die Di=erenzierung zwischen ›relativ‹ und ›absolut‹ oder zwischen einem Sein an sich und einer Erscheinung für uns allererst angemessen zu verstehen. Wir sollten also etwas genauer darüber nachdenken, in welchen Kontexten das Wort »absolut« bzw. das Wort »wahr« seine jeweilige Funktion gut erfüllt. Analoges gilt auch für einen nicht bloß transzendenten, abergläubisch-metaphysischen Gebrauch des Wortes »Gott«, wie er nach Kant und Hegel immer noch möglich ist.
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Schon einen Schritt weiter gehen die spekulativen Sätze, die sagen, dass das Wahre Substanz, Wesen, ousia, ist, aber zugleich auch »als Subjekt aufzufassen und auszudrücken« sei (Vorrede Nr. 17). Das Wissen und der Begri= sind bei aller Anerkennung ihrer eigenen Entwicklung und Zeitlichkeit wenigstens in der jeweiligen epochalen Gegenwart das einzig wirklich Substantielle und Bleibende. Im Wandel der Zeiten und in der empirisch-kontingenten Veränderung der Dinge der Welt bleiben die Formen des Begri=lichen fest. Nun ja, so einigermaßen. Das zeit- und situationsübergreifend Begri=liche ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit empirischer Gehalte, also empirischer Informationen und Kenntnisnahmen. Damit macht uns der Begri=, als das Gesamt des generischen Könnens und materialbegri=lichen Allgemeinwissens, zu geistigen Wesen. Dies geschieht durch Teilhabe und Teilnahme an einem gemeinsamen Gebrauch, einer gemeinsamen Praxis. Am Ende ist das Ich des (Selbst-)Bewusstseins nichts anderes als das generische Wir des Begri=s. Bei Spinoza war nun unter dem spekulativen Titel »deus sive natura« die Wahrheit mit Gott und Gott mit der Natur als Substanz der Welt identifiziert worden. Wenn dagegen protestiert worden ist, so war das Hegel zufolge insofern korrekt, als im Wahren, das bloß als Substanz vertreten wurde, das Selbstbewusstsein »nur untergegangen, nicht erhalten« wurde. Das heißt, Spinoza betrachtet die ganze Welt bloß als Natur. Und das heißt, er betrachtet sie bloß als Objekt der denkenden Erfahrung. Spinoza sieht nicht, wie das Wissen uns selbst zu denkenden Subjekten macht. Damit wird das Wahre immer auch Bedingung der Möglichkeit geistiger Tätigkeiten. Trotz seiner vorausweisenden Unterscheidung zwischen gewordener Natur, natura naturata, und werdenden Natur oder Vollzugswelt, natura naturans, erfasst Spinoza also gerade nicht die lebendige Substanz in ihrer Subjektivität. Er erfasst nicht die geistige Person in ihren mentalen Kompetenzen und ihre Ermöglichungsbedingungen auf der Grundlage eines kulturellen Wir. Er erkennt daher auch nicht die (methodisch bzw. präsuppositional
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gestufte) Abhängigkeit jedes Wahrheits- und Objektivitätsbegri=s von unserem generischen Wissen und damit vom Begri=lichen überhaupt. Er erkennt nicht, dass die ›Korrespondenz‹ zwischen Wissen und Welt in gewissem Sinn als interne Beziehung im Wissen zu verstehen und zu rekonstruieren ist: Wir bewerten Wissensansprüche als wahr. Es geht daher aus logischen Gründen immer auch um eine Beziehung zwischen uns als Wissenden und nicht nur um eine Relation zwischen uns und der Welt, in der wir leben. Spinoza kommt daher auch nicht so weit einzusehen, dass das Wahre immer nur im System des Wissens existiert und bestimmt ist, und dass außerdem gilt: »Das Geistige allein ist das Wirkliche« (Nr. 25). Dieser Satz ist deswegen so schwierig, weil er die oben schon erläuterte Gegenüberstellung von phänomenaler Realität und erklärender Wirklichkeit voraussetzt und damit die Kenntnis von Hegels terminologischem Vorschlag. Die Einsicht in die Bedeutung dieser Unterscheidung wird sich erst später im Text ergeben. Im dem Satz »Der Geist, der sich so entwickelt als Geist, ist die Wissenschaft« (Nr. 25) stehen dann auch die Wörter »Geist« und »Wissenschaft« in der Form eines singulare tantum für alle Institutionen des geistigen Lebens bzw. des Wissens. Von diesen Institutionen sind wir abhängig, wenn wir an ihnen teilnehmen und wenn wir durch diese Teilnahme das System des Begri=lichen und Wissens und damit den Geist gewissermaßen am Leben erhalten. Es sind daher in gewissem Sinn die Institutionen selbst, nicht bloß die Einzelnen in ihrem immer auch zufälligen, auch form- und normwidrigen, Tun und Verhalten, welche die Möglichkeit geistigen Lebens tradieren und entwickeln. Insofern ist der Geist selbst im Sinn der über unser Einzelhandeln wirksamen Idee oder Form des gemeinsamen Lebens gewissermaßen das allgemeine Subjekt gerade auch der Entwicklung der jeweiligen Institution(en). Er ist also nicht etwa bloß abstrakter Gegenstand unserer reflektierenden Rede. Es gilt daher, unsere Rede über den Geist oder über uns auf die rechte Weise in Beziehung zu setzen mit dem Wir-Vollzug generisch-gemeinsamen Handelns.
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Doch dabei ist immer auch ›das Negative‹ zu berücksichtigen, also die Spannung zwischen der als Reflexionsform vergegenständlicht angesprochenen allgemeinen Idee und ihren im gemeinsamen Handeln nie vollkommenen Realisierungen. Das heißt, Formen gibt es immer nur so, dass die Realisierungen auch allerlei kontingente ›Abweichungen‹ oder ›Fehler‹ enthalten. Anders gesagt, es ist zwischen der Idealform und der Realform einer Institution auf ähnliche oder analoge Weise zu unterscheiden wie zwischen der idealen Form eines Kreises und einer realisierten Kreisfigur. Im Fall der Institutionen ist entsprechend zu unterscheiden zwischen dem, was die personalen Status- und Rollenträger aufgrund ihrer Rolle und im Blick auf die Idee oder Form der Institution mehr oder weniger richtig tun, und was sie als bloße Einzelmenschen kontingenterweise und möglicherweise im Blick auf ihre Rolle falsch tun. Wie im Einzelhandeln von Einzelpersonen gibt es auch im Wir-Handeln von Institutionen neben im Normalfall glückenden Kooperationen auch Mängel und ein mögliches Scheitern. Die Idee darf sich dabei nicht in die reine Luft des abstrakten Geistes verflüchtigen. Eben deswegen bedarf sie der Realisierbarkeit im Endlichen. Die bloß verbalen Tautologien des Idealen, des Wahren, Guten und Schönen und des bloßen Sollens oder Wünschens reichen daher nie aus. Die Ausdrücke »das Negative« und »Negativität« sind dabei idiosynkratische Kürzel Hegels für die Spannung zwischen dem Idealen der Idee oder Institution und ihren realen Umsetzungen im kollektiven Handeln, Tun und Verhalten. Dazu gehört auch die Spannung zwischen der Idee vollkommener Wahrheit und bürgerlichem Wissen, aber auch zwischen der Aussageform »X weiß, dass φ« und »X glaubt (bloß), dass φ«. O=enbar signalisiert der Ausdruck »Negativität« titelartig die ganz grundsätzliche logisch-semantische Einsicht, dass der begri=liche Inhalt von Ausdrucksformen wesentlich in der Artikulation von Kontrasten und Di=erenzen besteht. Diese sind selbst bloß relational, also höchst flexibel, und das heißt, sie sind je an den Rede-Kontext anzupassen. So kann z. B. Newtons Dynamik als physikalisches
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Wissen gelten, selbst wenn unter feineren Di=erenzierungs- und Messinteressen, wie sie zu Einsteins Relativitätstheorie führen, seine Vorstellung von einer actio in distans, einer simultanen Fernwirkung, falsch ist, allein schon wegen der (freilich erst um 1900 erkannten) Unmöglichkeit einer eindeutigen Definition ortsunabhängiger Gleichzeitigkeit. Insgesamt führt Spinozas Formel »determinatio est negatio« Hegel erstens zur Einsicht, dass alle Bestimmung Unterscheidung ist und alle Identität Nichtunterscheidung, zweitens zur Einsicht, dass Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen kontextrelativ sind. Es mag sein, dass es nicht immer tunlich ist, Hegels zum Teil idiosynkratische, eigen-entwickelte, Ausdrucksweisen einfach zu übernehmen. Es wird jetzt aber wohl dennoch klar, was es heißt, dass es das Geistige, also gerade auch Wissen und Kultur, selbstbewusstes Denken und zweckorientiertes Handeln nie ohne ›Negativität‹ gibt: Es gibt sie, erstens, nie ohne Di=erenzierungen, zweitens, nie ohne die spannungsgeladene Di=erenz zwischen Realität und Idealität und, drittens, nie ohne die Arbeit und Mühe, die erforderlich ist, die Spannung einigermaßen angemessen im Urteilen und Handeln aufzuheben. Das geht selten oder nie ohne Auseinandersetzungen und Widersprüche ab, und zwar weil es in der kollektiven Verfolgung von ›ideal‹ repräsentierten Zielen und besonders bei der Beurteilung zureichender oder unzureichender Erfüllungen immer unterschiedliche Relevanzgesichtspunkte geben wird, die immer wieder neu kooperativ aufzuheben sind. Unsere Erläuterung erklärt die tiefe Bedeutung des Titels »Negativität« und zugleich, warum er zumeist nicht verstanden ist und als obskur gilt. Gerade die gemeinsame Entwicklung von Wissenschaft und Kultur kommt nicht ohne Di=erenz und Streit aus. Konsens ist hier bestenfalls ein vorübergehender Zustand oder hehres Ziel oder Ideal, kein stabiler Dauerzustand. Daher haben wir eher zu lernen, ernsthaft mit der Di=erenz und dem Dissens zu leben, als fromm Indi=erenz und Konsens zu predigen. O=enbar muss
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jemand, der Hegel in diesen Einsichten kritisieren oder in seinen eigenen Meinungen überholen will, früh aufstehen und sich logisch zurüsten. Wir werden dann auch häufig in einzelnen und besonderen Fällen mit unserem immer bloß endlichen Wissen und unserer immer bloß endlichen Beherrschung unserer Begri=e in der Verständigung scheitern. Das Gefühl des Verstehens und die Gewissheit im Meinen sind daher beileibe keine zureichenden Zeichen oder gar Bedingungen des begreifenden Verstehens oder Wissens. Im Gegenteil. Oft weiß der zögernde Zweifler weit mehr als der, welcher sich seines Könnens und Wissens sicher wähnt: Das, aber auch nur das, ist die relative Wahrheit des Skeptizismus gegen jeden allzu selbstherrlichen Dogmatismus in den Wissenschaften. Es lässt sich daher durchaus das sokratische Wissen um das eigene Nichtwissen, genauer: um die Endlichkeit jedes Realwissens, gegen die Überschätzung unmittelbarer Gewissheiten im antiken und modernen Empirismus und dann auch bei Descartes und in der rationalistischen ›Aufklärung‹ ausspielen. Aber auch im Blick auf andere Verführungen subjektiver Gefühle und Empfindungen bedarf es der Selbstdisziplin, oft bis hin zur Unterdrückung von Empfindungen und Gefühlen, gerade auch von unmittelbaren Begierden und von Schmerz, in einem Kampf zwischen verschiedenen Ebenen des ›Bewusstseins‹. Die erste Ebene ist, wie wir noch genauer auszulegen haben, das unmittelbare, wenn man so reden will: animalische Bewusstsein des bloßen Gewahrseins, der Awareness. Mit ihr eng verbunden ist die bloße Wachheit der Sinne, die Vigilanz, dann auch die aufmerksame Selbstwahrnehmung unmittelbarer Empfindungen und Gefühle und die Aufmerksamkeit auf unmittelbar gegenwärtige Gegenstände und präsentische Prozesse, die Attention. In der Verfolgung der Befriedigung gegebener Begierden werden Awareness und Attention zu einer relativ unmittelbaren, wie Alva Noë sagt, enaktiven, Orientierung der Selbstbewegung schon im animalischen Leben. Begehren und eine auf mehr oder weniger unmittelbar präsentische Dinge gerichtete Attention bestimmen
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dabei den weiteren Umgang mit den Dingen. Im Unterschied dazu ist das höhere Bewusstsein in gewissem Sinn immer auch Hemmung der unmittelbaren Attention und Begierde und Umleitung der Aufmerksamkeit. Und sie ist Selbstdisziplinierung. Insgesamt gilt, dass sich im Unterschied zur Natur und dem natürlichen Leben das geistige Leben gerade nicht einfach ›von selbst‹, ›natürlich‹ im klassischen Sinn der natura, entwickelt. Daher spricht Hegel selbst, wie seit Aristoteles viele andere Autoren, etwa auch John McDowell, von einer ›zweiten Natur‹. Hier ist dann aber das Wort »Natur« als Übersetzung des allgemeineren griechischen Wortes »physis« zu verstehen. Die zweite Natur steht für das Wesen oder die Seinsweise des Menschen, die sich als solche aber gerade nicht ›rein natürlich‹, also nicht ohne handelnde Intervention, entwickelt, sondern Kultur, also tätige Pflege und Selbstpflege voraussetzt. Die begri=liche Verwirrung entsteht daraus, dass die Natur im Kontrast zu Kultur gerade das ist, was von selbst, also ohne unser handelndes Zutun geschieht. Die zweite Natur des Menschen entwickelt sich nicht von selbst. Sie ergibt sich nicht ohne Arbeit und Mühe, nicht ohne Leiden, Schmerz und Kampf, auch nicht ohne die Macht von allgemeinen Normen und Formen des Richtigen, die durchaus auch die Unterdrückung von unmittelbaren Verhaltensdispositionen verlangen. Wer das nicht anerkennt, begreift die Welt des Geistes nicht in ihrer Realität und Wirklichkeit, sondern redet bloß abstrakt über sie, als bloßes Ansichsein, indem er begri=liche Tautologien über diese Welt des Geistes äußert, etwa der Art, dass Wissen immer wahr sein muss, dass es der Wissenschaft um die Wahrheit geht und der Tugend oder Moral um das Gute. Von der Realität des schmerzhaften Kampfes gegen die unmittelbare Natur in Disziplin und Selbstdisziplin wird dabei zugunsten des idealen Resultates freundlich abgesehen. Aber eben um diese Realität des Geistes und seiner wesentlichen Träger, der Institutionen des Wissens und des gemeinsamen Willens in Wissenschaft einerseits, im Staat andererseits, geht es Hegel.
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5.3 Bildungsstufen des Geistes Was meint Hegel nun mit den folgenden Sätzen: »Das Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens, ist es, was diese Phänomenologie des Geistes darstellt. Das Wissen, wie es zuerst ist, oder der unmittelbare Geist ist das Geistlose, das sinnliche Bewusstsein« (Absatz Nr. 27)? Zunächst steht dabei das Wort »Wissenschaft« wirklich für Wissenschaft, nicht etwa für das, was wir heute Philosophie nennen, oder gar für Hegels angeblich besonderes System der Philosophie. Der unmittelbare Geist ist das später auch »einfach« genannte sinnliche Bewusstsein. Dieses ist deswegen noch ›geistlos‹, weil es als solches, an sich, der allgemeinen Gattung des bloßen Gewahrseins, der Perzeption und Attention angehört und noch gar keine geistigen Handlungen im vollen Sinn involviert. Das heißt, das einfache oder sinnliche Bewusstsein ist bloße Subjektivität im Sinne der unmittelbaren Vigilanz, des Gewahrseins und der Aufmerksamkeit, also der allgemeinen Wachheit der Sinne, des Empfindens und einer ›Präsenz‹, wie wir uns auch ausdrücken könnten, um die unmittelbare Orientierung auf sinnlich wahrgenommene Gegenstände zu nennen. Das alles ist vielleicht vermittelt durch eine unmittelbare Begierde oder ein direktes Interesse. Wichtig ist nur, diese Ebenen eines animalischen Proto-Bewusstseins (bzw. die zugehörigen weiten Gebrauchsweisen des Wortes »Bewusstsein«) von einem engeren Gebrauch allgemein und doch streng zu unterscheiden. Denn nur dann wird auch klar werden, was es heißen könnte, dass ein ›höheres‹ Bewusstsein ein ›niedereres‹ oder ›einfacheres‹ kontrollieren oder beherrschen könnte. Und das geschieht in der Tat, wenn geistige Handlungen zwischen Wahrnehmung, Urteil und Folgehandeln vermitteln. Dann, aber auch erst dann, ist das Bewusstsein nicht mehr ›geistlos‹. Doch bis dahin hat es, wie Hegel sagt, einen ›langen Weg durchzuarbeiten‹ (Nr. 27). Im Bildungsprozess durchläuft das Individuum eben einen solchen Weg, wie wir ihn reflektierend in wichtigen Etappen rekonstruieren und dabei einer (für das unmittelbare Bewusstsein unscheinbaren)
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›Spur‹ folgen, welche die Entwicklungen des allgemeinen Geistes in der Vergangenheit sozusagen hinterlassen haben. Dabei gibt es durchaus Parallelen zwischen der geistigen Ontogenese der Einzelperson und der Phylogenese des allgemeinen Geistes, der humanitas oder sapientia der Menschen. Die geistige Ontogenese betri=t die Entwicklung des einzelnen (Selbst-)Bewusstseins. Die geistige Phylogenese betri=t die Etablierung von Formen und Normen des individuellen und kollektiven Handelns. Soviel lässt sich, sozusagen zur Güte, über den klassischen Interpretationsansatz von Lukács bis in die Gegenwart sagen. Die Phylogenese des Geistes ist im Sinne einer Entwicklung menschlicher Kultur zu fassen. Dabei wird diese Kultur bzw. dieser Geist bei Hegel, wie ich meine, mit gutem Grund, in ihrem Kern als Wissen und Wissenschaft gefasst. Denn es ist ja das Wissen, das den allgemeinen Rahmen bildet für alle Normen des richtigen materialbegri=lichen Schließens. Diese bilden als begri=sbestimmende Di=erenzierungen und Normalfallinferenzen die Grundlage für alles Sinnverstehen, damit für alle Handlungen, also für alles Geistige. Nicht bloß im Lernen selbst, sondern gerade auch in Reflexion auf die Bedingungen des geistigen Lebens bedarf es nun erstens der Geduld und zweitens der Einsicht, dass die unmittelbare Erfahrung trügerisch ist. Ein Satz wie der Folgende klingt zwar so, als spräche Hegel von einem Großsubjekt und nicht bloß metaphorisch von der Entwicklungsgeschichte der Menschheit: Der Weltgeist hatte die Geduld, die ungeheure Arbeit der Weltgeschichte zu übernehmen. Doch das ist nur eine Art Kürzel für die Parallele zwischen der Phylogenese der Kultur und der ontogenetischen Bildung des Individuums. Dieses nämlich hat in seinem Durchgang durch die relevanten Formen heute »geringere Mühe, weil an sich dies vollbracht, – der Inhalt schon die zur Möglichkeit getilgte Wirklichkeit, die bezwungene Unmittelbarkeit, die Gestaltung bereits auf ihre Abbreviatur, auf die einfache Gedankenbestimmung herab gebracht ist« (Nr. 29). Das heißt, in gewissem Sinn ist das meiste, was jede Einzelperson
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denken und sagen kann, schon längst vorgedacht und vorgesagt, nun ja, wenn wir neue Kombinationen vernachlässigen und die interessante Praxis der Teilhabe an der Entwicklung des Wissens und der Sprache. Insbesondere sind die Bestimmungen der Gedanken als Formen des richtigen begri=lichen Schließens schon fixiert. Hegel fährt entsprechend fort: »Schon ein Gedachtes, ist der Inhalt Eigentum der Substanz« (Nr. 29). Er ist also nicht mein oder dein Eigentum. Denn die Substanz ist das bleibende Wissen. Während es die Arbeit der Welt- bzw. Humangeschichte in der Form einer verschränkten Wissens- und Begri=sgeschichte (im Vollzug!) gewesen war, »das Dasein in die Form des Ansichseins« umzukehren, d. h. die erfahrbare Welt sprachlich artikulierbar zu machen, symbolisch zu repräsentieren, gilt es jetzt, in der selbständigen und selbstbewussten Reflexion, »das erinnerte Ansich in die Form des Fürsichseins umzukehren« (Nr. 29). Das heißt, wir müssen unsere abstrakten Kategorien und Denkbestimmungen sozusagen verflüssigen, die Wörter und Symbole wieder neu und selbständig auf die reale Welt beziehen und die innere Struktur des Ansichseins, die Identifizierungen und Schematisierungen im symbolischen Handeln selbstbewusst begreifen. Es folgt eine – zumindest beim ersten Lesen extrem schwierige – Passage, die erläutern will, was das heißt. Dabei beginnt Hegel mit der Feststellung, dass jedem Einzelnen von uns, der die Welt nach den vorgegebenen Denkbestimmungen begri=lich gliedern lernt, »das Aufheben des Daseins« »im Ganzen erspart ist«. Der Teil der Wissensentwicklung, in dem Erfahrung auf den Begri= gebracht wird, ist also im individuellen Lernen vorausgesetzt. Jetzt aber bedarf die »Vorstellung und die Bekanntschaft mit den Formen« »der höheren Umbildung«. Was uns als Nutznießer einer implizit vorausgesetzten allgemeinen Entwicklung des Geistes bzw. des Wissens alles als bekannt zu sein scheint, ist damit noch lange nicht erkannt (vgl. Nr. 31). Im Gegenteil. Es ist gerade ein Charakteristikum »des sich nicht begreifenden Geistes«, dass er das Begri=liche bloß implizit, empraktisch, unbewusst voraussetzt. Eben daher kann man auf et-
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was anderes fokussieren. Man kann sich – im Gebrauch der bloß vermeintlich unmittelbaren, jetzt jedoch als gegeben unterstellten geistigen Fähigkeiten – für anderes interessieren, etwa für die präsentische Umwelt oder für artikulierte empirische Informationen. Die Vorbedingungen der Ausübung eben dieser Tätigkeiten im Objektbezug sind nur selten, im Kontext der Reflexion, eigens ein Thema. Und wenn man dann doch auf sich selbst reflektiert und die geistige Welt beschreiben oder kommentieren will, dann liegt es nahe, nominalisierend über »das Ich« und »das Denken« nachzudenken oder, wie Hegel selbst auflistet, »das Subjekt und Objekt usf., Gott, Natur, der Verstand, die Sinnlichkeit usf.« Diese dürfen dann gerade nicht »unbesehen als bekannt . . . zugrunde gelegt« werden, als wären es »feste Punkte« in den Sätzen über uns selbst. Dennoch gehen oberflächliche Reflexionen bloß erst so mit diesen Wörtern und Sätzen um, dass man zusieht »ob jeder das von ihnen Gesagte auch in seiner Vorstellung findet, ob es ihm so scheint und bekannt ist oder nicht« (Nr. 31). Es sollte jetzt ganz klar sein, dass Hegel gerade das nicht tun will und auch nicht tut, was man ihm zumeist vorwirft: die Wörter »Gott«, »Verstand« etc. ohne Analyse einfach zu gebrauchen. Ohne Analyse dieser Wörter weiß man nicht, wovon eigentlich die Rede ist. Dabei könnte man, sagt Hegel, längst wissen, dass das »Analysieren einer Vorstellung« immer auf ein »Aufheben der Form ihres Bekanntseins« hinausläuft. (Nr. 31). Das ist eine sehr tiefe Bemerkung. Sie bedeutet, dass jede begri=liche Analyse etwas, was in der Praxis als selbstverständlich unterstellt ist, so artikuliert und expliziert, als müsste das, was praktisch präsupponiert wird, noch allererst verbal bekannt gemacht werden. In eben diesem Sinn lässt eine begri=liche Explikation am Ende auch weder den Sprachgebrauch noch die Praxisformen, in denen dieser eine Rolle spielt, einfach so, wie sie zuvor waren. Diese Tatsache ist als das Paradox der Analyse bekannt. In Wirklichkeit ist es weniger ein Paradox als die Einsicht, dass explikative Analysen nie bloß deskriptiv, sondern immer auch schon normativ sind, also als Vorschläge zu lesen sind, die eine Praxis gut entwickeln wollen,
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inklusive der zugehörigen Sprach- und Kommentarpraxis. Die Entwicklung einer gemeinschaftlichen Sprachpraxis ist umgekehrt immer auch schon Teil der Entwicklung der zugehörigen Praxisformen und Institutionen. Daher hat schon Platon mit Recht davor gewarnt, die Wörter oder logoi zu verachten. Das heißt, wir dürfen die Arbeit am Ausdruck nicht unterschätzen, denn nur sie ist Arbeit am Begri=. In diesem Sinn sind verbale Begri=s- und institutionelle Ideenanalyse eng mit einander verbunden. In seiner Erläuterung der Begri=sanalyse ist Hegel leider weniger klar als emphatisch, wo er sagt: Die »Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder vielmehr der absoluten Macht« (Nr. 32b). Und er spricht geradezu blumig von der »Macht des Negativen« (Nr. 32d), der »Energie des Denkens, des reinen Ichs« (Nr. 32d). Das Pathos und die Metaphorik überschlagen sich sogar: »Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand (. . .). Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut (. . .), sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes.« Dabei sei der Verstand die Macht nur »indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt« (Nr. 32e). Um diese Sätze zu verstehen, ist es hilfreich, gleich auf spätere Bemerkungen hinzuweisen, in denen Hegel zwischen einem geistigen und einem leiblichen Tod unterscheidet: Das leibliche Leben endet, wenn sich nichts mehr bewegt. Das geistige aber stirbt in der reinen Gewohnheit, einem voll automatisierten Habitus, der geistigen Unbeweglichkeit. Die im obigen Zitat geschilderte Spannung entsteht nun gerade dadurch, dass Gewohnheit und Verleiblichung, Habitus und Automatisierung gerade auch notwendige Bedingungen der Verwandlung eines bloßen Subjekts in eine Person durch Bildung und Selbstbildung sind. Und sie wird aufgehoben durch die Sinnanalyse, in welcher Gewohnheiten nicht einfach tradiert, sondern erst als verstandene explizit anerkannt werden.
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Während es am Anfang noch klar war, dass es darum geht, im analytischen, scheidend-unterscheidenden Denken sich von einem allzu unmittelbaren Auffassen von vagen allgemeinen Formen und einem selbstverständlichen Hantieren mit formalen Reflexionstermini wie »Ich«, »Selbst«, »Subjekt«, »Objekt« usf. zu entfernen, trägt uns Hegels metaphorische Form der Darstellung und sein Pathos zumindest auf den ersten Blick weit über jeden verstehbaren und vernünftigen Gedanken hinaus. Dabei lässt er sich zunächst von dem Wort Analyse leiten: Die Analyse zerlegt und löst auf. In der Chemie zerstören wir durch die Analyse Sto=e. Die Analyse von Vorstellungen oder Gedanken löst auch diese auf, tötet sie sozusagen als Inhalte, und betrachtet nur ihr scheinbar totes Äußeres, so wie wir etwa in der Analyse der Zahlen zu den Schemata der Zahlzeichenbildung gelangen. Wir betrachten dann das Operieren mit Zeichen. Daher mokiert sich Hegel über alle, welche bei den Inhalten bleiben wollen und damit beim geistigen Leben. Sie halten es nicht aus, das (scheinbar) Tote (etwa der Chemie) als Bedingung des Lebens, oder das schematische Schließen auf der Ebene ›toter‹ Ausdrücke und damit etwas scheinbar Geistloses als Bedingung geistigen Lebens zu begreifen. Wir werden auch in den merkwürdigen Äußerungen zur Mathematik und zum mathematisch-formalen Schließen und Beweisen sehen, dass Hegel das Wort »tot« gerade auch für fixe und gegebene Schemata des konstruktiven Umgangs mit Figuren in der Geometrie und des deduktiven Umgangs mit Satzfiguren oder Formeln in der Arithmetik gebraucht. Gerade deswegen, weil es ewiges, schematisches, zeit- und erfahrungsunabhängiges Wissen ist, ist das Wissen der Mathematik ›totes‹ Wissen. Lebendig ist dagegen erstens die Entwicklung der Mathematik, zweitens der Messkunst und der Projektion mathematischer Modelle auf diverse Phänomenbereiche – nicht die bloß schematische Anwendung der in der Mathematik als zulässig (oder auch »wahr«) erkannten Regeln im formalen Rechnen. Aber auch wenn wir den rein verbalen Teil eines inferentiellen Umgangs mit Worten und Sätzen betrachten, also das schema-
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tische Schließen in der üblichen ›Vorstellung‹, erscheint dieser Umgang als tot und leer. Bloß formale inferentielle Übergangsformen von Ausdrücken zu Ausdrücken sind, als bloß schematisch oder auswendig gelernte, tot, ohne Leben, geistlos – und doch auch wichtig. Man denke etwa an in Computer implementierte Regelschemata. Solche Schemata sind für den Geist wichtig, denn geistige Vermögen sind immer Formenreproduktionen, auch schematische. Es geht daher Hegel nicht etwa um eine Denunziation des Schematischen. Im Gegenteil. Es geht darum, zu verstehen, was das, wie er selbst sagt, Inwendige, also das Geistige ist. Und das kann man nur an dem sehen, was man auswendig, also schematisch sicher reproduzieren oder lernen kann. Es geht in der expliziten Sinnanalyse also, im Bild gesprochen, um die Wiederverflüssigung dessen, was als schematisch fixiert gelernt ist und in der Vorstellung immer bloß reproduziert wird: »Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken . . . sich als Moment erkennt, oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahiert; – nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt.« »Durch diese Bewegung werden die reinen Gedanken Begri=e, und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten«. »Diese Bewegung der reinen Wesenheiten macht die Natur der Wissenschaftlichkeit überhaupt aus« (Nr. 33c). Wissenschaftlichkeit besteht nicht darin, mit fix gelernten Schemata selbstgewiss richtig operieren zu können. Wissenschaft überhaupt besteht darin, an einer freien Praxis gemeinsamer Wissenskontrolle und Wissensentwicklung teilnehmen zu können, die als solche immer auch Begri=sentwicklung ist. Dabei ›bewegen‹ sich die vermeintlich festen Begri=e. Das tun sie nur insofern ›von selbst‹, als wir in ihrem Gebrauch Erfahrungen machen, welche zu einem neuen, leicht geänderten, zum Beispiel weiter ausdi=erenzierten, Gebrauch führen. Das heißt immer auch, dass wir zwischen einem impliziten Wissen als scheinbar selbstverständlichen Know-How oder als Kompetenz bzw. einem
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sich im Tun der Praxis zeigenden empraktischen Können und einem expliziten Wissen um diese Kompetenz zu unterscheiden haben. In jeder Explikation ändern wir die Form des Wissens. Durch die Artikulation von Sätzen und Regeln und durch die gemeinsame Kontrolle ihrer Anwendung ändern wir sozusagen den Allgemeinheitsstatus des Wissens. Das ist eine Art Antwort auf das Paradox der explikativen Analyse. Ihr Ergebnis unterscheidet sich wesentlich von der impliziten Form, die sie vermeintlich bloß bewusst oder explizit macht, auf den Begri= bringt. Das gilt insbesondere auch für die Di=erenz impliziter Normen und expliziter Prinzipien und Regeln. Wir werden noch genauer sehen, warum gerade das Paradox der Analyse im Verfahren des verbalen Explizitmachens zunächst bloß empraktischer oder impliziter Formen und Normen des (richtigen) Handelns der zentrale Grund dafür ist, der Begri=sanalyse die Form einer diachronen Semantik zu geben, und welche Rolle die Dialektik als Analysemethode dabei spielt. Für jetzt reicht es, das Folgende einzusehen: Voll entwickeltes geistiges Selbstbewusstsein verlangt explizites Wissen und die dadurch mögliche explizite Kontrolle der Normen und Formen des Richtigen. Das Bewusstsein ist nur das »unmittelbare Dasein des Geistes«. Das heißt: das Wort »Bewusstsein« nennt bei Hegel manchmal, wenn es mit dem Adjektiv »einfach« versehen ist, nur die Subjektivität (Vigilanz und attentive Aufmerksamkeit), wie wir sie auch bei höheren Tieren erfahren können. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass in einer diachron-dialektischen Semantik die Verhältnisse von Begri= und Wissen, Wissen und Wahrheit, Wahrheit und Falschheit anders als üblich aufzufassen sind: Zwar liegt das Verstehen der begri=lichen Inhalte der Artikulation von Wissen zugrunde. Aber das allgemeine Wissen ist seinerseits die Basis der inhaltsbestimmenden materialbegri=lichen Formen und Normen des Unterscheidens, Urteilens und materialbegri=lichen Schließens. Zwar stehen unsere Wissensansprüche einer allgemeinen Wahrheit gegenüber. Aber die Wahrheit selbst ist gar nicht anders
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erläuterbar als über unser mögliches Wissen. Wahr im absoluten Sinn ist das, was Inhalt oder Gegenstand eines allgemeinen Wissens ist, das als solches von allen besonderen Einschränkungen frei ist. Wichtig ist dabei der besondere Status des Verweises auf uns in einer derartigen (›spekulativen‹) Aussage: Es ist ein ganz allgemeines Wir, das sich als generisches von jedem besonderen Wir, jeder besonderen Gruppe von Personen, kategorial unterscheidet. Dieses generische Wir ersetzt bei Hegel das transzendentale Ich Kants. Hegels Sätze zum Verhältnis zwischen unserem (bzw. je meinem) Wissen und dem Gegenstand des Wissens klingen zunächst dunkel, so zum Beispiel auch der folgende: »Die Ungleichheit, die im Bewusstsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt« (Nr. 37a). Ich meine, der Satz versucht ungefähr das Folgende auszudrücken: Wir alle sind uns bewusst, dass es zwischen meinen Überzeugungen und dem nachhaltigen, substantiell Wahren bzw. zwischen meinem Verstehen und Tun und dem, was ›wir‹ als ein gutes Verstehen und gutes Tun beurteilen würden, immer eine (begri=liche) Di=erenz gibt. Dasselbe gilt für jeden Versuch, auf einen Gegenstand in der Welt zu referieren, und dem Erfolg dieses Versuches, wie ›wir‹ ihn beurteilen, wobei ›wir‹ zwischen der Sache oder dem Gegenstand selbst und meiner Auffassung des Gegenstandes bzw. zwischen der Wahrheit und meiner Überzeugung unterscheiden. Zu dieser Ungleichheit zwischen mir und uns, nominal ausgedrückt, zwischen ›Ich‹ und ›Wir‹ (als ›substantiellem Subjekt‹ des gemeinsamen Wissens) sagt Hegels Satz o=enbar, dass diese Ungleichheit ein Unterschied der Substanz ist. Sie ist die Bedingung fallibler Wahrheit, der Möglichkeit des Irrtums, der immanenten Transzendenz des Richtigen, über bloß meine oder distributionell-unsere Meinungen oder Geltungsansprüche hinaus. Hegel nennt diese Ungleichheit oder diesen Unterschied zwischen generischem Wir (als Ersatz für das transzendentale Ich) und dem je einzelnen Ich »das Negative
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überhaupt«. Es ist gerade die schon skizzierte Spannung zwischen empirischem Realwissen und generischem Idealwissen, samt der Einsicht, dass Wissen immer auf dem endlichen Realwissen der Einzelnen aufruht, dass aber dieses gar nicht verstehbar ist, wenn es nicht in seiner Negativität, d. h. in seinem Spannungsbezug zur überindividuellen Idee des Wissens und des Wahren begri=en ist. Kurz, individuelles Wissen gibt es nur als endliche Teilnahme an einer gemeinsamen Praxisform des Wissens. Diese wiederum gibt es nur in der Realform kollektiven Urteilens und Handelns. Dazu erläutert Hegel zunächst selbst, dass dieses Negative des einzelnen Tuns und Redens der Einzelpersonen wegen der Spannung des Realen und Endlichen zum Idealen, Vollkommenen und ›Absoluten‹ immer auch als ein Mangel erscheine. Unter einem anderen Aspekt aber ist das Negative, also das Reale im Tun, gerade die ›Seele‹, also das bewegende Moment der Substanz, des bleibenden Begri=s oder des allgemeinen Wissens. Es ist entsprechend zu begreifen, »weswegen einige Alte das Leere als das Bewegende begri=en, indem sie das Bewegende zwar als das Negative (sc. der Körperwelt), aber dieses nicht als das Selbst erfassten« (Nr. 37). Derart große Sätze von der Leere und dem Nichtsein als dem wahren Wesen sind in der philosophischen Reflexion ebenso ubiquitär wie unverstanden. So beginnt z. B. LaoTse sein Buch TaoTe-King mit einer Kritik des endlich-positiven Seins und einer Art mythisch-mystischem Lob der Leere und des Nichtseins: »Das Tao, das sich aussprechen lässt, ist nicht das ewige Tao. Der Name, der artikulierbar ist, ist nicht das ewige, letzte, Wort. ›Nichtsein‹ nenne ich den Anfang von Himmel und Erde. ›Sein‹ nenne ich die Mutter (Ur-Sache) der Einzelwesen. Darum führt die Richtung (der Reflexion) auf das Nichtsein zur (spekulativen) Schau des Wunders des Ganzen, die Richtung (der Reflexion) auf das Sein zur Anschauung räumlicher Begrenztheiten (in einem Ganzen).« (Paraphrase einer Übersetzung von Richard Wilhelm). Und es folgt unter Nr. 11 eine schöne Erläuterung der Bedeutung der Leere:
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»Dreißig Speichen umgeben eine Nabe: In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk. Man höhlt den Ton und bildet ihn zu Töpfen: In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk. Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde: In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk. Darum: Was ist, dient zum Besitz. Was nicht ist, dient zum Werk.« Das besagt, dass freie Möglichkeiten nur existieren, weil nicht schon alles ewig fest ist. Anders gesagt, Sein und Nichtsein sind zwei Aspekte des Werdens: Was vorher nicht war, wird zu etwas, das ist, indem an ihm Sein und Nichtsein, Volles und Leeres unterscheidbar wird. Aber am Anfang gibt es nichts. Das hat den schon erwähnten Sinn, dass es nichts gibt, das ewig wäre. Alles Bestimmte ist entstanden, so wie jedes Lebewesen entstanden ist und vorher nicht existierte. Das ist eine ganz allgemeine materiallogische Analyse von Werden und Bewegung, und zwar sowohl bei LaoTse als auch bei Heraklit, Spinoza oder Hegel. Im Grunde sagt Spinozas These, dass es nur eine einzige Substanz gibt, nämlich die ganze Welt des Werdens, dasselbe wie die Sprüche des Tao-Te-King. Mit anderen Worten, LaoTse verlangt wie Heraklit und Spinoza die Anerkennung der (gerade auch raumzeitlichen) Endlichkeit von allem, was es wirklich in der Welt gibt. Unendlich, ewig und unsterblich ist nichts, es sei dann, man meint mit dem ewigen Sein, wie vielleicht Parmenides, sicher aber Spinoza, irgendwie ›alles‹, also so etwas wie ein Allsein. Als reines Sein ist so ein ›Allsein‹ aber noch gar nicht unterschieden von irgendeinem Andersein oder auch nur einem seiner Momente. Ohne die Unterscheidungen in der Welt wäre daher die bloße Handbewegung, die auf ›Alles‹ verweisen will, oder ›das Sein‹, das ein Allsein nennen will, ganz leer. Das Sein wäre vom Nichts ununterscheidbar. Ich denke, man sollte dann auch Hegels Einsicht so lesen: Begri=lich artikuliertes Wissen bezieht sich realiter immer auf eine in endliche Momente aufgegliederte Welt des Werdens und Vergehens. Gerade auch daher ist Wissen in seinen inhaltsbestimmenden Normen für di=erentielle Inferenzen nie so verfasst, dass wirklich ›alle‹ einzelnen Anwendungsfälle ›ohne Rest‹ rein sche-
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matisch in ihm ›aufgehoben‹ wären. Vielmehr ›enthält‹ es gerade im Blick auf einzelne und besondere Anwendungen durch einzelne und besondere Personen immer ›Widersprüche‹. Das heißt, jede Anwendung verlangt freie Urteile, in welchen Unterschiede der Perspektiven und Situationen in den Anwendungen zu berücksichtigen sind. Das alles wird noch dramatischer, wenn wir uns klar machen, dass die Gegenstände in Welt und Natur, die wir in unserem Reden in vermeintlich feste, zeitübergreifende, Relationen zu anderen Gegenständen setzen und denen wir auch unterschiedliche Eigenschaften zuordnen, in Wirklichkeit alle bloße Momente längerdauernder Prozesse sind. Gegenstände, etwa auch Dinge, entstehen, vergehen und ändern sich, gerade so wie der Leib eines Tieres im animalischen Lebensprozess. Gegenüber dem als bleibender Substanz vorgestellten System allgemeiner begri=licher Normen, wie sie sich besonders deutlich in leicht und sicher reproduzierbaren schematischen Regeln darstellen, ist alles Reale und Empirische geradezu extrem endlich. Hinzu kommt die Freiheit der einzelnen Urteile, die als Willkür erscheint und damit als etwas Negatives, scheinbar Unregelmäßiges, vielleicht sogar Widerbegri=liches oder gar Falsches. Man ist daher schnell dabei, jedes reale Urteil als Abweichung vom Richtigen zu deuten. Hegel erklärt aber, dass dieser Schein trügt. Denn der Inhalt selbst lebt, sozusagen, vom freien Urteilen. Und wie es die Bewegung der Körper nur gibt, weil es den Unterschied gibt zwischen körperleerem und körpererfülltem Raum und außerdem zwischen den jetzigen Orten der Körper und den möglichen Räumen, durch die sie sich bewegen, so gibt es begri=liches Wissen nur in der Spannung zwischen festem bzw. totem Schema und freier Anwendung. Nur dadurch lässt es sich auch entwickeln. Hegel beendet diesen Abschnitt der Vorrede, indem er noch sagt, die Momente des Geistes würden in der Phänomenologie in der Form der Einfachheit, gewissermaßen deskriptiv, ausgebreitet. Dass eine systematische Darstellung dieser Momente eine andere
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Form, nämlich die einer meta-theoretischen oder eben ›spekulativen‹ Logik annehmen muss, und dass eine solche Darstellung folgen soll, drückt Hegel auf die ihm eigene, idiosynkratische, Art, so aus: »Ihre Bewegung, die sich . . . zum Ganzen organisiert, ist die Logik oder spekulative Philosophie« (Nr. 37c). Spätestens hier wird klar, dass Spekulation kein willkürlicher Armsesselglaube einer bloßen Überzeugungsphilosophie ist, sondern logisch-begri=liche Analyse nicht bloß unseres Redens, sondern auch aller anderen die geistige Welt bestimmenden Praxisformen in ihrer Struktur, wie man heute sagt. Fälschlicherweise meint man dabei oft, das Wort »Struktur« besser als das völlig äquivalente Wort »Form« zu verstehen. Es sollte uns aber gleichgültig sein, ob wir Formen oder Strukturen zu erläutern haben. Dabei korrespondieren schon bei Hegel, nicht erst bei Frege, Wittgenstein oder Carnap, die mathematischen Strukturen ›rein analytischen‹ Regeln des formalen Rechnens mit reglementierten bzw. formalisierten Ausdruckssystemen. Kurz, Mathematik ist erweiterte Regellogik. Man rechnet mit Zi=ern, Buchstaben und Formeln gemäß schematischen Ausdruckbildungs- und Ausdrucksumformungsregeln.33 Im Unterschied zu den formalanalytischen Wahrheiten der Mathematik und Metamathematik geht es der Philosophie aber immer auch um Begri=e mit empirischem Weltbezug. Und in diesen Fällen sind die Wahrheitswerte der Sätze und Aussagen gerade nicht, wie in der Mathematik, einDer Unterschied zwischen halbformalen Regelungen für Bewertungen von Sätzen oder Aussagen, die unendlich viele, aber schematisch wohldefinierte, Prämissen zulassen, und vollformalen Regeln mit bloß endlich vielen schematischen Prämissen führt noch heute bei Philosophen und Mathematikern zur Illusion, es gäbe im Bereich abstrakter Gegenstandsbereiche wie Zahlen und Mengen eine Art platonistische ›Referenzsemantik‹ für mathematische Aussagen, und nicht bloß eine interne Beziehung zwischen halbformalen und vollformalen Systemen. Halbformal ist z. B. eine Regel der Form: wenn jedem einzelnen Satz bzw. jeder einzelnen Aussage der Form A(N) für jede einzelne wohlgebildete Zahloder Mengenbenennung N (eines bestimmten Typs oder Bereichs B) der 33
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fach situations- und kontextunabhängig durch uns für die von uns formierten Ausdrücke bestimmt. Vielmehr gibt es derart viele mögliche Variationen der Perspektive, des Aspekts, der Relevanz, insbesondere aber der situationellen und kontextuellen anaphorischen Rückbezüge, dass die Wahrheit einer Aussage mit Weltbezug tatsächlich unter einer entsprechenden Betrachtung, in der die Vielartigkeit der Erscheinungen hervorgehoben wird, selbst wie »ein bacchantischer Taumel« erscheint, »an dem kein Glied nicht trunken ist« (Absatz Nr. 47). Das heißt insbesondere auch, dass jeder Aussage- oder Satzteil in seinen vielen Deutbarkeiten und variablen Bezügen, die alle über Erscheinungen vermittels sein müssen, in einem weiten Spielraum beweglich ist. Ich lese den zitierten Satz daher auch als Kommentar zur Variabilität jeder Phänomenbeschreibung. In ihr zeigt sich in gewissem Sinn die Beweglichkeit des Begri=s. Und das heißt wiederum, dass die sogenannten Bedeutungen der Wörter und Sätze sich in gewissem Sinn immer auch wie Variable verhalten, denen ein gewisser variabler Deutungsspielraum zugeordnet ist. In jeder Einzelanwendung eines Wortes oder Satzes werden diese Variablen sozusagen konkret belegt, und zwar unter Berücksichtigung von Sprecher und Hörer, von Gesichtspunkten der Relevanz in der gemeinsamen Orientierung und natürlich des situativen Weltbezugs und des präsentischen Kontexts. Die Wörter der Sprache formale Wert »das Wahre« nach irgendwelchen bisher schon etablierten Regeln zugeordnet ist (oder als schon zugeordnet angenommen werden kann, ob entscheidbar oder nicht), soll auch dem (syntaktisch komplexeren) Satz »für alle Zahlen/Mengen x gilt A(x)« bzw. »∀x.A(x).« der Wert das Wahre zugeordnet werden. x ist dann zunächst syntaktische Variable für den Benennungsbereich B. Dieser Bereich B ist durch eine rein formale Abstraktion, d. h. durch eine Verwandlung einer Äquivalenzrelation (eines Fürsichseins) zwischen zulässigen B-Repräsentanten in eine abstrakte Gleichheit der B-Gegenstände definiert, die allerdings verträglich sein muss mit den für B zulässigen Aussageformen A(x), die nicht feiner di=erenzieren dürfen als das Fürsichsein der Gegenstandsidentität. Näheres ist ausgeführt in Stekeler-Weithofer 1986.
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sind entsprechend ›plastisch‹. Sie lassen sich an den Kontext und die Redesituation anpassen. Und sie müssen angepasst werden.
5.4 Das Wahre und das Falsche Es folgt ein Exkurs über das Wahre und das Falsche als dem zentralen Problem, wie wir in Reflexionen auf Entwicklungen und Formulierungen Falsches von Wahrem unterscheiden können. Zunächst kritisiert Hegel dazu (noch einmal) die naive Vorstellung, das Falsche stünde unmittelbar dem Wahren gegenüber. Das heißt, es geht ihm um eine Di=erenzierung zwischen verschiedenen Arten falscher Aussagen. Als Erstes gibt es den einfachen Irrtum in Bezug auf empirische Einzelfakten. Beispiele dafür sind etwa solche der Geographie oder Realhistorie wie »der Kölner Dom steht rechtsrheinisch« oder »Don Juan d’Austria hat die Seeschlacht von Lepanto verloren«. Dann gibt es die bloß erst ungenauen, noch nicht genügend ausdi=erenzierten, generischen Aussagen wie z. B. »die Sonne dreht sich (jedenfalls dem Anschein nach in Richtung Westen) um die Erde«, »Vögel fliegen«, »Säugetiere bringen lebende Jungen zur Welt, Reptilien nicht«, »beim Oxidieren entweicht Phlogiston.« Dabei galt Phlogiston als ein noch nicht näher bestimmter Sto=, der manchmal, wie im Fall des Eisens, das bei der Oxidation schwerer wird, negative Masse haben soll. Schon das zeigt, dass es Probleme mit der Theorie gibt. Im Fall der Verbrennung etwa von Holz stellt sich das entweichende Gas in der ›richtigen‹ Theorie Lavoisiers als Kohlendioxid heraus. Extrem selten, weil von niemandem vertreten, sind einfachhin falsche generische Aussagen wie z. B. »reines Wasser enthält Sticksto=«. Der Fall »es gibt die Quadratur des Kreises« ist komplexer. Aus ihm würde in einer Lesart der seit einem Beweis von Lindemann als mathematisch falsch erkannte Satz folgen: »Die Kreiszahl ist algebraisch.« In einer anderen Lesart ging es bei der Suche nach der Quadratur des Kreises um die Suche nach dem Rechnen mit nicht-rationa-
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len und nicht-algebraischen Längenverhältnissen und um eine allgemeine Definition der reellen Zahlen. Hegel betrachtet die historischen und die mathematischen Aussagen als zwei eher uninteressante, weil im Grunde extreme Beispiele: Die Aussagen des ersten, rein historisch-empirischen, Typs beziehen sich immer auf Einzelnes. Die mathematischen Aussagen beziehen sich immer, und zwar rein schematisch, auf Allgemeines. Die Aussagen dieser beider Typen unterscheidet Hegel von begri=lich relevantem Allgemeinwissen. Dieses besteht als solches aus Aussagen über ›Substantielles‹ bzw. über eine Substanz im Sinne der aristotelischen ousia, wie wir noch genauer sehen werden. Dass rein historische Kenntnisse »das einzelne Dasein . . . nach der Seite seiner Zufälligkeit . . . betre=en«, ist, wie Hegel selbst sagt, »leicht zugegeben« (Nr. 41). Aber selbst um so »nackte Wahrheiten« wie die, wann Caesar geboren wurde, zu kennen, »muß viel verglichen, auch in Büchern nachgeschlagen« werden, was Hegel selbst als Beispiel der »Bewegung des Selbstbewusstseins« anführt (a. a. O). Das heißt, so unmittelbar wahr oder falsch, wie wir manchmal glauben, sind die Beurteilungen historischer Einzelaussagen keineswegs. Sogar »bei einer unmittelbaren Anschauung wird erst die Kenntnis derselben mit Gründen für etwas gehalten, das wahren Wert hat.« Das heißt, auch wenn ich, sagen wir, vor mir eine Kuh sehe und sage, vor mir steht eine Kuh, kann es sein, dass ich Gründe dafür geben muss, warum das, was ich sehe, nicht etwa in Wirklichkeit bloß eine aufgeblasene Werbekuh oder ein Bü=el oder ein anderes Tier ist. Das heißt, man interessiert sich nicht für das »nackte Resultat«, für den Satz an sich, sondern für seinen Inhalt und damit, so kann man zunächst grob sagen, für das, was sich aus den Gründen für die konkrete Äußerung des Satzes inferentiell als verlässliche Folgerungen ergibt. Wichtig wird dabei, wie gut die Gründe (kontrolliert) sind. Hegel kommt dann noch einmal zurück zur Frage, ob das Wort »wahr« ein Verhältnis zwischen dem Objekt einer Aussage und dem aussagenden Subjekt ausdrückt, und antwortet sowohl mit
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›Ja‹ als auch mit ›Nein‹. Denn wenn der Sprecher sagt, dass es sich so und so verhält, ist, was er sagt, nur dann wahr, wenn es so ist, wie der Sprecher sagt. Es ist nicht deswegen wahr, weil es der Sprecher sagt. Andererseits ist das, was so oder anders ist, in seinem So- oder Anderssein überhaupt nicht unabhängig davon bestimmt, welche der Aussagen der Form: »es ist so« bzw. »es ist nicht so« von uns als wahr anerkannt sind oder anerkannt würden, wenn wir denn in der Lage wären, voll zu kontrollieren, ob unsere Bedingungen für eine vernünftige oder richtige Anerkennung erfüllt sind. Entscheidend ist nun, wie Hegel bemerkt, dass die reflektierenden Beurteilungen, ob eine Aussage nicht bloß anscheinend oder nur scheinbar, sondern wirklich wahr ist, ob sie nicht bloß faktisch, sondern vernünftigerweise als wahr anerkannt bzw. anzuerkennen ist, keineswegs so zu verstehen sind, dass wir von unseren faktischen Bewertungen völlig abstrahieren. Alle diese Bewertungen verbleiben im Bereich unserer Urteile. Von einer rein externen Beziehung zwischen Weltobjekt an sich und Wissen für uns kann gar nicht die Rede sein. Das Objekt an sich ist längst schon ein Objekt für uns. Daher ist es auch ganz irreführend, den Gang und die Mittel des Erkennens vom Resultat einfach abzulösen. Eine so genannte Betrachtung der Welt bloß von der Seite (Thomas Nagel, John McDowell), also aus der Alles- und Nichts-Perspektive eines Gottes etwa, kann es nicht geben, hat keinen Sinn. Die bloße Lautform des Ergebnisses reicht selten oder nie aus, um zu verstehen, was ein Satz besagt. Der Beweisgang, nicht allein das Resultat, der Satz, entscheidet immer auch wesentlich über den Inhalt. Daran kann man klar sehen, welche Bedeutung die Gründe für die jeweils artikulierte Unterscheidung für den Sinngehalt der Aussage spielen. Denn über die artikulierte Unterscheidung ist mitbestimmt, was normalerweise aus dem begründeten Satz folgt. So führen z. B. in der Mathematik ›konstruktive‹ Beweise zu ›stärkeren‹ Sätzen, die möglicherweise echte Verfahren des Rechners kodieren, was bloß ›klassische‹ Existenzaussagen nicht tun.
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Hegels Überlegung wird ein wenig verdunkelt durch vielleicht etwas allzu grobe Bemerkungen zur Mathematik als bloßer Wissenschaft von den reinen Größen. Diese sind abstrakte Proportionen oder so genannte reelle Zahlen, die in der höheren Arithmetik als Folgen oder Mengen rationaler Zahlen rekonstruiert werden, so dass die reine Mengenlehre zur höheren Arithmetik (und übrigens nicht, wie Frege meint, zur reinen Logik) zu zählen ist. Was heißt es nun, dass die reinen Gegenstände und Aussagen der höheren Arithmetik »tot« sind? Das ist wohl gerade deswegen so, weil die Sätze dieser höheren Arithmetik in ihrem logischen Status als ›rein ideal‹, ›absolut ewig‹, ›rein schematisch‹ und schließlich ›rein analytisch‹ zu bestimmen sind. In der Tat werden alle Anwendungsprobleme der reinen Größenlehre, wie sie sich etwa in jeder Messpraxis ergeben oder in der Rückverwandlung von reinen (als solche sozusagen bloß arithmetischen) Mengen in benannte Dingmengen (etwa der Form »die 7 Äpfel hier auf dem Tisch«) aus der (a fortiori immer reinen) Mathematik ausgegliedert. Was heißt es dann aber, wenn Hegel zu allem Überfluss erklärt, der Begri= entzweie den Raum? Und die Zeit sei der daseiende Begri=? Ist das nicht reiner Unsinn? Es sind zumindest in dieser Kürze mystifizierende Sätze. Sie könnten vielleicht als vage Hinweise darauf verstanden werden, dass es ohne begri=liche Bestimmungen der von einander unterschiedenen Körperdinge bzw. der Stellen auf ihnen keine rein räumlichen Beziehungen gibt. Die Zeit ergibt sich daraus, dass sich eben diese Dinge relativ zu einander bewegen. Sie ist der Maßbereich dieser relativen Dingbewegungen. Die Zeit ist der sich bewegende Begri= insofern, als wir selbst dann, wenn wir sich bewegende Dinge vergleichen, immer auf Urteile der folgenden Art zurückgreifen müssen: »Jetzt stehen die Dinge so, jetzt anders, jetzt ändert sich die Konstellation, damals war sie so . . . «. Die Zweideutigkeiten und Mehrfachanspielungen in Hegels Ausdrucksweisen sind sicher oft lästig und irreführend. Aus einer Sicht betrachtet, ist die Zeit der sich bewegende Begri= insofern,
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als sie sich in Aussagen der Formen »jetzt ist es so . . . , es war aber so . . . und wird gleich so . . . sein« äußert. Aus einer anderen Sicht wird die Zeit zum Maß der Bewegung. In der Vorrede sagt Hegel immerhin, dass im Unterschied zur reinen Empirie oder Historiographie auf der einen Seite, zur abstrakten Mathematik, auf der anderen Seite die Philosophie »nicht die unwesentliche Bestimmung« betrachte, »sondern sie, insofern sie wesentliche ist; nicht das Abstrakte . . . ist ihr . . . Inhalt, sondern das Wirkliche, sich selbst Setzende und in sich Lebende, das Dasein in seinem Begri=e« (Nr. 47). Leider bleibt unklar, worauf sich Hegel hier genau bezieht. Bei genauerem Nachdenken zeigt sich, und zwar m. E. auf kaum bezweifelbare Weise, dass sich Hegel auf konkrete Prozesse des Lebens und der seienden Dinge bezieht, die in unseren abstrakten Sprachen immer nur in ihren formalen Momenten, gewissermaßen statisch, erfasst sind, weil unsere Sprache und unser Wissen immer schon alles schematisiert und gar nicht dazu geeignet (auch nicht dazu gemacht) ist, die Vielfalt der Aspekte realer Prozesse ›einfach so abzubilden, wie sie sind‹. Mit anderen Worten, es ist an dem, was wir sagen oder sprachlich ausdrücken, immer auch etwas ›Falsches‹. Und das ist so nicht aufgrund eines subjektiven Irrtums, sondern notwendigerweise. Denn wir ›abstrahieren‹, sozusagen, in jeder Darstellung eines einzelnen oder besonderen Prozesses von vielen Aspekten und stellen ihn immer nur als Aktualisierung eines generischen Prozesses dar, also so, dass gewisse typische Momente durchlaufen werden. Hegel erklärt dazu, das Dasein in seinem Begri= sei »der Prozeß, der sich seine Momente erzeugt und durchläuft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus« (Nr. 47). Wenn man nun aber das jeweils Einzelne als das Wahre auffassen wollte, dann müsste man, wie das später Nietzsche wirklich tut, sagen, dass alle unsere Darstellungen falsch sind. Denn sie tre=en das Einzelne nie vollständig. Hegel sagt das auf andere Weise. Er sagt, dass die generische Darstellung von etwas ›das Negative‹, also das, was am Einzelfall nicht mit dargestellt ist, in gewissem
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Sinn doch immer auch schon enthält. Und das heißt, dass wir im Verstehen eben immer darauf achten müssen, dass nie ›alles‹ am Einzelnen ausgedrückt werden kann, dass das ›Konkrete‹ immer als das ›Zusammengewachsene‹ des allgemeinen ausgedrückten generischen Falles und des Einzelprozesses aufzufassen ist und daher sozusagen immer aus zwei begri=lichen (nicht etwa sto=lichen) ›Teilen‹ bzw. Teilaspekten besteht: dem positiv Ausgedrückten und dem Nichtgesagten. In gewissem Sinn sagt das übrigens auch LaoTse in seinen ersten Sätzen des Tao-Te-king.
5.5 eidos, nous, und ousia im normalen und im spekulativen Satz Der letzte Abschnitt oder auch Exkurs in der Vorrede behandelt Platons Ideenlehre. Es geht inhaltlich um den Begri= des allgemeinen Begri=s (eidos) im Sinne einer (logischen) Seinsform. Und es geht um die zweifache Bedeutung des Wortes ousia bei Aristoteles. Diese Doppeldeutigkeit entsteht aus folgender Überlegung: Die ›erste‹ ousia ist die Kategorie der konkreten, etwa dinglichen, Gegenstände. Sie betri=t die Fälle, in denen ein Begri= auf einen Gegenstand angewandt wird. Damit wird der einzelne Gegenstand in seiner Seinsweise charakterisiert. Die ›zweite‹ ousia ist die Kategorie der Gegenstandsart und damit das eidos im Sinn der allgemeinen Seinsform aller Gegenstände des Typs, der Art oder Gattung. In gewissem Sinn kann man mit Aristoteles sagen, dass es in der Welt nur Gegenstände der ersten Kategorie der ousia gibt; alles ist einzeln. Gegenstände der zweiten Kategorie sind ›abstrakte‹ Gegenstände, die dadurch konstituiert sind, dass wir Begri=e bzw. die entsprechenden Worte, welche Seinsformen bzw. Arten, Typen und Gattungen ausdrücken, nicht bloß zur Charakterisierung von konkreten Gegenständen (Dingen, Lebewesen etc.) gebrauchen, sondern in Redekontexten, die Hegel als »spekulative Sätze« charakterisiert, als Benennungen und Explikationen
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von Seinsformen behandeln. Auch wenn wir auf geistige Inhalte reflektieren, gebrauchen wir Benennungen von Formen, die als Vollzugsformen eine andere Seinsweise haben. Diese zeigt sich nur im Gebrauch, empraktisch. In Explikationen aber werden Bedeutungen (Begri=e, Eigenschaften, logische Formen) zu Gegenständen reflektierender Rede. Während der Existenz nach das Einzelne Priorität hat, hat im Blick auf die Essenz oder besser, die Wesensbestimmung die Gattung (die Art, der Typ) Priorität: Ein Huhn kann es nur geben, wenn es Hühner gibt. Da ein konkreter Gegenstand jeder Rede und jedes Wissens immer begri=lich in seiner Identität und Art bestimmt sein muss, ist »der Begri= das eigene Selbst des Gegenstandes«, nämlich als zweite ousia, als Art, Typ, Gattung. Der Nous ist dann das gemeinsame Wir-Subjekt, das sowohl im objektstufigen Urteilen als auch im metastufigen oder spekulativen Reflektieren in dem Sinn auftritt, als jedes Urteil an eine entsprechende Gemeinsamkeit im Urteilen appelliert. Das heißt, wenn ich ein Urteil fälle, sage ich nicht »ich meine für mich, dass φ«, sondern ich sage: »wir alle sollten das Urteil, dass φ, anerkennen – jedenfalls nach meinem Vorschlag bzw. meinem Verständnis der zugehörigen Formen, Normen und Regeln des Richtigen oder Vernünftigen«. In jedem Fall beansprucht mein Urteil, dass φ, normative Geltung. Und ich mache mich anheischig, dafür einstehen zu können, dass die zugehörigen Geltungsbzw. Anerkennungsbedingungen, die schon in allgemeiner Weise als gemeinsam anerkannt vorausgesetzt werden, erfüllt sind. Dabei kann mein Grund für die verlangte besondere Anerkennung des Einzelurteils und die Erfüllung der zugehörigen Geltungsbedingung daran liegen, dass meinem Urteil zufolge das Urteil, dass φ, in einem formalen Sinn als wahr gilt, also etwa nach gewissen formalen Wahrheitskriterien als wahr bewertet wird, – was immer das inhaltlich heißt. So sind zum Beispiel für mathematische Sätze Geltungskriterien festgelegt. Und sie werden in Beweisen als erfüllt kontrolliert. Zulässige Inferenzregeln lassen sich hier
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als wahre mathematische Sätze ausdrücken. Und es lassen sich alle wahren mathematischen Sätze als zulässige Inferenzregeln deuten. Ein Urteil, dass φ, ist nun häufig schon dann als richtig anzuerkennen, wenn es (bloß) im Vergleich zu allen anderen alternativen Urteilen eine gute oder vielleicht sogar bestmögliche allgemeine Orientierung artikuliert. Es versteht sich, dass die jeweilige Situation und die relevanten Kontextbedingungen zu berücksichtigen sind. Man denke etwa an Sätze unterschiedlicher »Genauigkeit« wie »Berlin liegt nördlich von Leipzig«, »Reptilien legen Eier« oder »der Raum hat drei Dimensionen«. Wir sagen auch in solchen Fällen, dass die entsprechenden Urteile wahr sind. Man kann allerdings in jedem der Fälle die Situations- und Kontextbedingungen so »fein« gestalten, dass man sagen kann, »eigentlich« liege Berlin doch nicht ganz (genau) nördlich von Leipzig. Und genau genommen legen nicht alle Reptilien Eier, da manche schon im Bauch des Muttertiers schlüpfen. Aber man muss dabei die Situations- und Kontextbedingungen auch entsprechend »fein« gestalten. Das gilt sogar für den Fall, dass man schon in der Einstein-Minkowskischen Raum-Zeit keinen dreidimensionalen Raum von einer eindimensionalen Zeit abtrennen kann. Das bedeutet keineswegs, dass die euklidische Geometrie »eigentlich« keine wahre mathematische Theorie räumlicher Verhältnisse sei. Es bedeutet nur, dass die beiden mathematischen Strukturen, die dreidimensionale euklidische Geometrie und das bloß in einem gewissen Sinn vierdimensionale Einstein-Minkowski-Modell der speziellen Relativitätstheorie als Raumzeitstruktur ganz verschiedene Anwendungsbedingungen haben. Im einen Fall geht es um Passungen von Dingen und Festkörpern, im anderen um einen Bewegungsraum, in dem sich Dinge relativ zu einander bewegen, wobei es kein Ding gibt, das man als absolut ruhend bewerten kann. Es hängt an der Relevanzbeurteilung und Thematik, was wir als wahr oder als falsch bewerten. Eben diese Einsicht ist eine Kerneinsicht in Hegels Semantik und seiner Analyse des Begri=s der Wahrheit.
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Hegels spekulative »Anstrengung des Begri=s« (Nr. 58a) besteht gerade in der Reflexion auf die Seinsweise sowohl der Begri=e selbst, als auch der begri=lich bestimmten konkreten Gegenstände der Welt, also der Dinge und Lebewesen, der Bewegungen und Lebensprozesse. Der Begri= selbst ist als solcher immer Inhalt, Bedeutung oder Sinn von symbolischen Repräsentationen irgendwelcher Art, besonders aber von Worten und Sätzen. Die Welt ist die begri=lich dargestellte und darstellbare Welt, keine Hinterwelt und keine bloße Mannigfaltigkeit von unaussprechlichen Sinnesempfindungen. Wichtig ist nun, dass man spekulative, metastufige, philosophische bzw. reflexionslogische Sätze, obwohl sie äußerlich die gleiche Form haben wie objektstufige Sätze über konkrete Gegenstände der Welt, auf keinen Fall als objektstufige Aussagen missverstehen darf. Dieses Missverständnis ist Ursache für die Hypostasierung mentaler oder geistiger Gegenstände, von den Bedeutungen und Gedanken bis zum denkenden Geist, vom Bewusstsein bis zum Selbstbewusstsein. Im Detail kommentiert Hegel den Unterschied zwischen einem objektstufigen (räsonierenden) und einem spekulativen Satz so: Im objektstufigen Satz der Form »N ist P« vertritt das Satzsubjekt N der üblichen Logik zufolge, wie sie Kant ungeprüft unterstellt, einen Gegenstand in einem sortalen Gegenstandsbereich G. Das heißt, es wird eine Gegenstandsgleichheit und Ungleichheit des Etwas-Anderes-Seins (kurz: Anderssein) als schon definiert angenommen. Diese Gegenstände werden durch das Prädikat P klassifiziert, wobei eine zweistellige Relation wie ›x ist größer als y‹ eine Familie von in G selbst parametrisierten Prädikaten wie »x ist groß relativ zu g« ist. Entsprechend lassen sich drei- und mehrstellige Relationen in G deuten. In einem reflexionslogischen Satz geht es aber gar nicht darum, so über einen schon gegebenen Bereich G und seine Gegenstände oder Objekte g objektstufig zu sprechen. Wir sagen metastufig, Hegel sagt dafür: spekulativ, was G und g sind. Wir erläutern, wie sie über ihre Repräsentationen oder Benennungen N bestimmt
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und in Präsentationen oder als Phänomene gegeben sind. In spekulativen Sätzen geht es also oft darum, was bestimmte (namenartige) Ausdrücke »N« bedeuten: »Der Inhalt ist somit in der Tat nicht mehr Prädikat des Subjekts, sondern ist die Substanz, ist das Wesen und der Begri= dessen, wovon die Rede ist« (Nr. 60b). »Gott ist die Wahrheit« ist ein solcher spekulativer Satz, der den Gebrauch des Wortes »Gott« in den Kontext einer Erläuterung des Idealbegri=s der Wahrheit setzt. Er ist metastufig zu lesen, nicht anders als etwa auch ein Satz wie: »die rationale Zahl 2/5 ist durch die Äquivalenz 2n = 5m bestimmt«. Wir müssen insbesondere Hegels Beispiele für spekulative Sätze unbedingt als Beispiele, nicht als objektbezogene Aussagen lesen. Im Unterschied zu den gegenwärtigen Zeiten, in denen Platon für seine wertlosen Mythen und damit gerade für das Falsche gelobt wird, wurde nach Hegel sogar im Mittelalter die aristotelische Philosophie »um ihrer spekulativen Tiefe willen« (Nr. 71) geachtet. Es sei »der Parmenides des Plato, wohl das größte Kunstwerk der alten Dialektik« (Nr. 71). Dabei gab es zwar viele Missverständnisse. Heute aber, wo man meint, das Mittelalter hinter sich gelassen zu haben und wissenschaftlich denken möchte, besteht nun doch auch wieder einige Ho=nung, dass man diesen Versuch des Mittelalters, etwa bei Thomas von Aquin in der Nachfolge des Aristoteles, »die Wissenschaft dem Begri=e zu vindizieren« (Nr. 71) irgendwann einmal verstehen wird. Es geht dabei darum, den Begri= des echten Wissens explizit und damit bewusst kontrollierbar zu machen und die Wissenschaft selbst als Arbeit am Begri= zu begreifen.
6. Laufender Kommentar zu Hegels Vorrede Es folgt ein laufender Kommentar zu Hegels Vorrede zur Phänomenologie des Geistes. Dieser Text ist vielleicht schon jetzt, nach dem Gesagten – zur Not – in sich verständlich. Ich werde daher hier nicht alles noch einmal ausführlich kommentieren
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und verzichte, soweit es geht, auf paraphrasierende Inhaltsangaben. Dennoch sollte man auch den weiteren Kommentartext weitgehend für sich lesen und verstehen können, um sich ein Bild vom Inhalt des Vorworts machen zu können. Überlegungen zum Zustandekommen des Textes – er ist erst nach dem Haupttext geschrieben – übergehe ich. Sie tragen zu einer Inhaltsbestimmung nichts wirklich Wesentliches bei. Ich beginne noch einmal mit der Passage des Anfangs. »Eine Erklärung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der Gewohnheit vorausgeschickt wird – über den Zweck, den der Verfasser sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das Verhältnis, worin er sie zu andern früheren oder gleichzeitigen Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt –, scheint bei einer philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein. Denn wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich wäre – etwa eine historische Angabe der Tendenz und des Standpunkts, des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine Verbindung von hin und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre –, kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische Wahrheit darzustellen sei. Auch weil die Philosophie wesentlich im Elemente der Allgemeinheit ist, die das Besondere in sich schließt, so findet bei ihr mehr als bei andern Wissenschaften der Schein statt, als ob in dem Zwecke oder den letzten Resultaten die Sache selbst und sogar in ihrem vollkommenen Wesen ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausführung eigentlich das Unwesentliche sei.« (3 | 9)34
Wir wollen zu den Sachen oder Inhalten selbst. Diese sind hier die logischen Formen. Wenig interessieren uns die Rahmenbedingungen des Sprechers oder der Hörer. Es ist auch eine falsche Vorstellung, man könne die spekulativen, d. h. allgemeinen, hochstufig-logischen, Analysen der Philosophie in Thesen Die Nummern der Zitate zählen, wie schon erwähnt, die Absätze, die gelegentlich feiner unterteilt werden. 34
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zusammenfassen. Sie verkennt, dass derartige Thesen bestenfalls mnemotechnische Kernsätze sind. Auch die Rede über eine Theorie ist hier irreführend. Denn Theorien sind begri=liche Systeme verbaler Di=erenzierung mit zugehörigen generischen Inferenzen, wie sie besonders in den Einzelwissenschaften, also gerade nicht in der Philosophie, zu entwickeln sind. Das ideale Muster für Theorien sind mathematische Theorien. Dabei ergibt sich z. B. das Formalbegri=liche der so genannten Prädikatenlogik aus formalen Inferenzregeln für Satzformen wie ›p & q‹, ›nicht-p‹ und ›für alle x gilt A(x)‹. Diese ist eine Aussagen- und Quantorenlogik, entworfen für mathematische Gegenstandsbereiche, die als solche sortale Klassen und Mengen zu definieren erlauben. Hinzu kommen explizite Abkürzungsdefinitionen und implizite formalaxiomatische Definitionen ganzer Modellklassen, wie z. B. im Fall der so genannten Peano-Axiome, die wahr werden in Strukturmodellen, die mit dem Bereich der natürlichen Zahlen (sozusagen an deren Anfang) verwandt sind. In den Sachwissenschaften kommen materialbegri=liche Ordnungen von Di=erenzierungen und generischen Inferenzen hinzu. Allerdings gelten dabei keineswegs alle formalen Inferenzregeln der mathematischen Quantorenlogik, und zwar weil die Bezugsbereiche selten oder nie reine sortale Gegenstandsbereiche sind, wie wir sie aus der Mathematik kennen. Varianten der Formallogik, seien diese intuitionisch, relevanzlogisch, parakonsistent oder sonst wie schematisiert, helfen dabei nur bedingt, und zwar weil es außerhalb der Mathematik gar keine exakt definierten sortalen Gegenstands- oder Variablenbereiche gibt, weswegen rein schematische Anwendungen der Regeln beliebiger Varianten der Formallogik, auch der formalen Modallogik, notorisch zu Fehlschlüssen, Aporien und Sophismen führt. Hier erzeugt sich die formanalytische Philosophie eine Unzahl von subtilsten philosophischen Problemen mit fragwürdiger Relevanz. Hinzu kommt, dass Theorien allzu häufig mit Glaubensphilosophien oder dogmatischen Ismen verwechselt werden, welche mit irgendwelchen bloß scheinbar
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plausiblen formalen Axiomen anfangen, aus denen man vermeintlich logische Folgerungen nach schematischen Regeln des Schließens ziehen möchte. Hier ist sowohl der rein subjektive Beginn bei Intuitionen oder scheinbar plausiblen Überzeugungen als auch der unkritische Gebrauch der bloß scheinbar allgemeingültigen Schlussschemata einer der formalen Logiken fragwürdig. Philosophische Merksätze sind eher mit Landschaftsskizzen zu vergleichen. Sie haben dabei einen logischen Status, der den orakelartiger Gnomen nahe kommt. Als solche sind sie insbesondere nicht einfach als allgemeine oder gar hyperallgemeine Behauptungen zu lesen. Sie sagen nichts, sondern deuten immer nur Wichtiges an, wie schon Heraklit weiß.35 Da sie in zeigender Rede zu lesen sind, was dann auch Wittgenstein anhand seiner eigenen logischen Aphorismen im Tractatus wiederentdeckt, kann man auch keine Liste philosophischer Sätze in einem Vorwort versammeln. Man kann daher eine philosophische Überlegung auch nicht in einem Power-Point-Vortrag darstellen: Diese Form taugt nur, wo es, wie in den Sachwissenschaften, Ergebnisse zu berichten gibt, oder wo Diagramme, etwa mit Titelwörtern, wie in einer Taxonomie hilfreich sind. In der Philosophie gibt es wenig Interessantes, das sich so darstellen ließe. Der Denkweg ist hier selbst das Ziel. Das Vorurteil aber will es anders. Man meint, dass gerade wegen ihrer Allgemeinheit die Philosophie allgemeine Lehrsätze produziere. Zwar schließt das Allgemeine »das Besondere in sich«. Aber die Anwendung des Allgemeinen auf etwas Einzelnes, der Gebrauch von Begri=en also, ist nicht schematisch, sondern hat selbst eine nicht triviale allgemeine Form. Sie verlangt ein Können. Das muss man zeigen. Schon daher kann man mit den allgemeinen Sätzen alleine noch gar nichts anfangen. Es bedarf Heraklit, Fragment 93: »Der Herr des Manteion (Orakels) zu Delphi (Apollo) sagt nichts (legei) und verbirgt nichts (kryptei), sondern deutet an (s¯emainei).« 35
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der urteilskräftigen Di=erenzierung oder Subsumtion im Blick auf eine Art Filter der für den besonderen Fall angepassten Inferenzberechtigungen.36 Es nützen uns »letzte Resultate« erst recht wenig, gerade wenn diese thesenförmig sind. Denn wie Orakel sind diese Thesen zumeist nur mnemotechnische Erinnerungen an ein implizites Wissen, also ein Können. Es geht darum, sie richtig zu verstehen. Sie sind nicht »die Sache selbst«. Die Sache selbst besteht einerseits in der Kompetenz des Umgangs mit solchen Merksätzen, zuvor mit jedem der in ihnen vorkommenden Begri=e, andererseits in dem, was wir schon praktisch kennen, was wir mit den Merksätzen bloß explizit kommentieren, so dass wir nicht eigentlich etwas Neues zu wissen geben. Es geht um das rechte Verständnis von Vollzugsformen, wie sie explizit in Reflexionsformen kommentiert werden. Es geht nicht um ein auswendig zu lernendes, also zu rezitierendes, zu paraphrasierendes oder sonstwie bloß schematisch zu gebrauchendes System von stehenden Sätzen. Die Ausführung ist dabei das Wesentliche, weil nur im realen Gesprächsverlauf über die schon implizit bekannten Formen begri=en werden kann, worum es je konkret geht. Dieser Verlauf ist nicht immer schon ein beweisender oder begründender Argumentationsgang. Er besteht oft auch in der einfachen Erinnerung an Bekanntes, das an einer Stelle aus dem einen oder anderen Grund wichtig wird. 1b
»In der allgemeinen Vorstellung hingegen, was zum Beispiel Anatomie sei, etwa die Kenntnis der Teile des Körpers nach ihrem unlebendigen Dasein betrachtet, ist man überzeugt, die Sache selbst, den Inhalt dieser Wissenschaft, noch nicht zu besitzen, sondern außerdem um das Besondere sich bemühen zu müssen. – Ferner pflegt bei einem solchen Aggregate von Kenntnissen, das den Namen Wissenschaft nicht mit Recht führt, eine Konversation über Zweck und dergleichen Allgemeinheiten nicht von der historischen und begri=losen Weise verschieden zu sein, in der auch von dem Inhalte selbst, diesen Nerven, Muskeln usf., gesprochen wird.« (3 f. | 9) 36
Vgl. dazu auch Stekeler-Weithofer 2012.
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In einer Sachwissenschaft wie der Anatomie werden neue Erkenntnisse vermittelt. Dazu reicht die oberflächliche Kenntnis der Teile des Körpers nicht aus. Auch in der Biologie ist die Taxonomie der Spezies nur ein Grundskelett. Hinzu kommt das erst im Besonderen und Einzelnen auszuführende Wissen über die typischen Lebensformen einer Art. In beiden Fällen wird empirisches Einzelwissen in eine allgemeine Ordnung generischen Wissens verwandelt. Dabei sind wir mit einer bloß »historischen und begri=slosen Weise« der Darstellung von Einzelinformation keineswegs zufrieden. Mit Recht stellt Hegel daher eine bloße historia einer allgemeinen theoria oder philosophia gegenüber. Empirisch-historische Einzelkenntnisse sind von einem allgemeinen Wissen zu unterscheiden, wie wir es in der Wissenschaft entwickeln. Was wir dabei entwickeln, ist der Begri=. Es ist aber noch kaum begri=en, was Wissenschaft und allgemeine Bildung ist im Unterschied zu zufälligen Einzelkenntnissen, wie man sie in einer Talkshow oder einem multiple choice test abfragen kann. »Bei der Philosophie hingegen würde die Ungleichheit entstehen, daß von einer solchen Weise Gebrauch gemacht und diese doch von ihr selbst als unfähig, die Wahrheit zu fassen, aufgezeigt würde.« (4 | 10)
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Ein narrativer Zugang zur Philosophie oder auch nur ein rein historischer Bericht über den Streit der Ansichten der Philosophen würde am Ende zu dem Ergebnis führen, dass man auf diese Weise keinen einzigen der Gedankengänge der Philosophie verstehen kann. Das ist so, weil Narration und Historie untauglich sind, eine logische Form als logische Form begreifbar zu machen. In ähnlicher Weise hilft eine bloß äußere Geschichte der Mathematik nicht, die innere Sprachform mathematischen Denkens nachvollziehbar zu machen. »So wird auch durch die Bestimmung des Verhältnisses, das ein philosophisches Werk zu andern Bestrebungen über denselben Gegenstand zu haben glaubt, ein fremdartiges Interesse hereingezogen und das, worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt, ver-
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dunkelt. So fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so pflegt sie auch entweder Beistimmung oder Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System zu erwarten und in einer Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andre zu sehen. Sie begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht. Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird; ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus. Aber der Widerspruch gegen ein philosophisches System pflegt teils sich selbst nicht auf diese Weise zu begreifen, teils auch weiß das auffassende Bewußtsein gemeinhin nicht, ihn von seiner Einseitigkeit zu befreien oder frei zu erhalten und in der Gestalt des streitend und sich zuwider Scheinenden gegenseitig notwendige Momente zu erkennen.« (4 | 10)
Es geht in der Philosophie nicht um Ismen, also um »Beistimmung oder Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System«. Denn diese Ismen sind als solche ebenso wenig Teil der Philosophie wie die persönlichen Meinungen von Wissenschaftlern als solche noch nicht zur Entwicklung der Wissenschaft zählen. Wie in den Wissenschaften geht es auch in der Philosophie um eine »fortschreitende Entwicklung der Wahrheit«. Dabei haben wir oben schon erläutert, dass die Wahrheit im Fall der Sachwissenschaften auf die vernünftige Entwicklung generischen Wissens, also auf die Entwicklung des begri=lichen, di=erentiellen und inferentiellen Rahmens empirischer Einzelinformationen hinausläuft. Im Fall der Philosophie geht es um die Explikation ganzer Systeme von Formen und Normen des Richtigen, von Ausdruckskategorien und Prinzipien.
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Aufgrund der Allgemeinheiten generischen Sachwissens und der impliziten Probleme der besonderen Anwendungen gibt es immer auch eine Notwendigkeit der Ausdi=erenzierung und Neuformierung oder der besseren Schematisierungen des begri=lichen Systems und damit des allgemein verlässlichen Unterscheidens und Schließens. Daher wäre es ganz irreführend anzunehmen, unser allgemeines, generisches Sachwissen enthielte nicht immer auch noch gewisse Widersprüche. Diese werden (ho=entlich) in den neuen Systemen aufgehoben. Diese Systeme oder Theorien sind aber nicht etwa Glaubenssysteme oder subjektive Theorien einer einzelnen Person oder besonderen Personengruppe. Eine Theorie ist vielmehr ein etabliertes begri=liches System des (auch verbalen) Unterscheidens und allgemeinen (auch idealtypischen) Schließens. Eine solche Theorie kann reformuliert oder reformiert werden. Vorschläge zur Reform müssen zeigen, dass sie im Ganzen gesehen und nicht bloß in seltenen Besonderheiten besser sind als diejenigen begri=lichen Ordnungen, die sie ersetzen sollen. Im guten Fall wachsen gute Systeme aus weniger guten wie die Frucht aus der Blüte. Eine Theorie ist daher immer auch von einem Ismus zu unterscheiden. Hegel geht es um die Einheit wissenschaftlicher Entwicklung von Theorien als Systemen begri=licher Ordnungen, nicht um einen Streit zwischen subjektiven Weltanschauungen mit teils bloß privaten, auch pluralistischen, teils intersubjektiven, auch universalistischen Geltungsansprüchen. Die Wahrheit im Falle der Entwicklung generischer bzw. begri=licher Normen des allgemeinen Unterscheidens und Schließens, artikuliert in Theorien, liegt nicht in ihrer zeit- und ortsabhängigen, damit immer noch subjektiven, weil gruppenabhängigen, Fassung, sondern in der Form ihrer allgemeinen Entwicklung, die als solche natürlich auf eine universale, nicht bloß gruppeninterne, Beurteilung der allgemeinen Brauchbarkeit hinausläuft. Die Einheitlichkeit der begri=lichen Theorien bzw. der theoretischen Begri=lichkeiten ist dabei immer schon zentraler Bestandteil der Kriterien der Güte oder Wahrheit einer solchen Entwicklung.
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Wie im Fall der Sachwissenschaften gibt es nun auch eine schon Jahrhunderte alte Diskussion um gute Artikulationen oder Explikationen der logischen Formen versprachlichten Wissens und der zugehörigen Formen bewussten, also mit-wissenden Handelns. Es gibt also die Philosophie als spekulative Logik, als Praxisform der Reflexion auf Formen des Sprechhandelns und Handelns, besonders auch des wissenschaftlichen Redens, Schreibens und Handelns. 3a
»Die Foderung von dergleichen Erklärungen so wie die Befriedigungen derselben scheinen vielleicht das Wesentliche zu betreiben. Worin könnte mehr das Innere einer philosophischen Schrift ausgesprochen sein als in den Zwecken und Resultaten derselben, und wodurch diese bestimmter erkannt werden als durch ihre Verschiedenheit von dem, was das Zeitalter sonst in derselben Sphäre hervorbringt? Wenn aber ein solches Tun für mehr als für den Anfang des Erkennens, wenn es für das wirkliche Erkennen gelten soll, ist es in der Tat zu den Erfindungen zu rechnen, die Sache selbst zu umgehen und dieses beides zu verbinden, den Anschein des Ernstes und Bemühens um sie und die wirkliche Ersparung desselben. – Denn die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, noch ist das Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und das nackte Resultat ist der Leichnam, der die Tendenz hinter sich gelassen. – Ebenso ist die Verschiedenheit vielmehr die Grenze der Sache; sie ist da, wo die Sache aufhört, oder sie ist das, was diese nicht ist. Solche Bemühungen mit dem Zwecke oder den Resultaten sowie mit den Verschiedenheiten und Beurteilungen des einen und des andern sind daher eine leichtere Arbeit, als sie vielleicht scheinen. Denn statt mit der Sache sich zu befassen, ist solches Tun immer über sie hinaus; statt in ihr zu verweilen und sich in ihr zu vergessen, greift solches Wissen immer nach einem Andern und bleibt vielmehr bei sich selbst, als daß es bei der Sache ist und sich ihr hingibt.« (4 f. | 10)
Hegel will die Philosophie als eine Tätigkeit des Nachdenkens verstanden wissen, die nicht einfach auf einzelne »Zwecke und
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Resultate« abzielt und sich nicht durch derartige Resultate bestimmen lässt. Im Übrigen ist es leichter, Artikulationsversuche allgemeiner Formen zu beurteilen, als sie zu entwerfen und zu entwickeln. »Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen, schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen.« (5 | 11)
3b
Während Hegel eine Debatte über so genannte philosophische Systeme (eben Ismen) für fruchtlos hält, ist Wissenschaft und auch eine philosophische Wahrheit immer nur systematisch geordnet darstellbar. Als Merksatz formuliert: Die Wissenschaft einer Sache oder die Wahrheit einer Sache kann immer nur »das wissenschaftliche System derselben sein« (Absatz Nr. 5). Hegel greift daher Kants Gedanken vom sicheren Gang einer Wissenschaft auf, wenn er sagt, auch er bemühe sich hier um ein wissenschaftliches Vorgehen der Philosophie – wohl wissend, dass es in der Philosophie um Tätigkeit und Kompetenz, weit mehr als um ›Ergebnisse‹ in Form von Sätzen geht. »Der Anfang der Bildung und des Herausarbeitens aus der Unmittelbarkeit des substantiellen Lebens wird immer damit gemacht werden müssen, Kenntnisse allgemeiner Grundsätze und Gesichtspunkte zu erwerben, sich nur erst zu dem Gedanken der Sache überhaupt heraufzuarbeiten, nicht weniger sie mit Gründen zu unterstützen oder zu widerlegen, die konkrete und reiche Fülle nach Bestimmtheiten aufzufassen und ordentlichen Bescheid und ernsthaftes Urteil über sie zu erteilen zu wissen. Dieser Anfang der Bildung wird aber zunächst dem Ernste des erfüllten Lebens Platz machen, der in die Erfahrung der Sache selbst hineinführt; und wenn auch dies noch hinzukommt, daß der Ernst des Begri=s in ihre Tiefe steigt, so wird eine solche Kenntnis und Beurteilung in der Konversation ihre schickliche Stelle behalten.« (5 f. | 11)
Objektstufige Wissenschaft ist nicht empirische Erzählung, sondern Arbeit am Begri=. Wissen ist begri=lich allgemeines Wissen. Das steht gegen die »Überzeugung des Zeitalters«, das übrigens bis heute reicht, welches ›in der Anschauung‹ eine unmittelbar
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empirische Grundlage des Wissens zu sehen meint. Man redet auch von einer (vermeintlich) unmittelbaren Gewissheit, durch die man einen im Grunde bloß empfindungs- oder gefühlsmäßigen Zugang zu einer vermeintlichen Wahrheit erhalten zu können meint. – Philosophie als Wissenschaft ist demnach hochstufige Arbeit am Begri= der Wissenschaft und am Begri= des Begri=s. 5
»Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein –, ist es, was ich mir vorgesetzt. Die innere Notwendigkeit, daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst. Die äußere Notwendigkeit aber, in so fern sie, abgesehen von der Zufälligkeit der Person und der individuellen Veranlassungen, auf eine allgemeine Weise gefaßt wird, ist dasselbe, was die innere [ist], in der Gestalt nämlich, wie die Zeit das Dasein ihrer Momente vorstellt. Daß die Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft an der Zeit ist, dies aufzuzeigen würde daher die einzig wahre Rechtfertigung der Versuche sein, die diesen Zweck haben, weil sie dessen Notwendigkeit dartun, ja sie ihn zugleich ausführen würde.« (6 | 12)
Kants Philosophie definiert gewissermaßen den gegenwärtigen Stand der philosophischen Reflexion auf die Begri=e des Wissens und der Gewissheit, der Wahrheit und der Erscheinung. Sie macht klar, dass es eine Unmittelbarkeit eines Glaubens nicht geben kann. Die »Befriedigung und Sicherheit der Gewissheit« wird damit als völlig unzureichend, als subjektiver Schein entlarvt. Doch es besteht jetzt die Gefahr, in ein anderes Extrem zu verfallen: Aufgrund der subjektivistischen Form der Kritik Kants, die am Ende doch nicht weit genug von Lockes und Humes Empirismus abliegt, wird die Seinsweise des Begri=s, damit des Geistes, »sein wesentliches Leben«, nicht mehr begri=en. Der durch die kritische Philosophie Kants eher vindizierte, also ver-
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teidigte, als problematisierte Geist der Zeit, der auch noch in seiner Absetzbewegung von Humes Empirismus dem methodischen Individualismus verhaftet bleibt, ist sich wenigstens in helleren Momenten eines »Verlustes und der Endlichkeit, die sein Inhalt ist, bewußt.« Als Reaktion darauf wenden sich die Jünger der Romantik von Kants Aufklärung ab und kehren zurück zur mythischen Denkweise der religiösen Tradition. Der Mangel ist ein Mangel des Denkens des Ganzen, des Überblicks über das Ganze des Wissens und Willens, des Seins und des Sollens. Bei Kant erscheint es schon so, wie später bei Wittgenstein, dass wir sprachlos werden in Bezug auf das Allgemeine und scheinbar nur noch über Einzelnes, Empirisches, sprechen können. »Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in diese Wissenschaftlichkeit gesetzt wird – oder, was dasselbe ist, indem die Wahrheit behauptet wird, an dem Begri=e allein das Element ihrer Existenz zu haben –, so weiß ich, daß dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat. Eine Erklärung über diesen Widerspruch scheint darum nicht überflüssig; wenn sie auch hier weiter nichts als gleichfalls eine Versicherung wie das, gegen was sie geht, sein kann. Wenn nämlich das Wahre nur in demjenigen oder vielmehr nur als dasjenige existiert, was bald Anschauung, bald unmittelbares Wissen des Absoluten, Religion, das Sein – nicht im Zentrum der göttlichen Liebe, sondern das Sein desselben selbst – genannt wird, so wird von da aus zugleich für die Darstellung der Philosophie vielmehr das Gegenteil der Form des Begri=s gefodert. Das Absolute soll nicht begri=en, sondern gefühlt und angeschaut [werden], nicht sein Begri=, sondern sein Gefühl und Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden.« (6 f. | 12 f.)
Die wahre Gestalt der Wahrheit ist immer die Wissenschaftlichkeit. Wissenschaft aber ist Arbeit am Begri=. Als wahr bewerten wir also vorzugsweise generische, begri=liche, Sätze. Empirische Aussagen, informative Konstatierungen, können richtig und unrichtig sein. Bewerten wir aber die Wahrheit von etwas, dann bewerten wir, ob das Begri=liche an ihm richtig begri=en ist. Un-
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glücklicherweise steht diese Einsicht quer zu den empiristischen Vorstellungen des Zeitalters, bis heute. Wahrheit gibt es nur vermöge der Begri=e. Dabei macht das begri=lich Wahre das empirisch Richtige in Einzelinformationen oder konstatierenden Aussagen erst möglich. Die begri=liche Wahrheit selbst kann wiederum nur als Form unserer Beurteilung von generischen Wissensansprüchen begri=en werden. Diese wiederum sind, wie sich herausstellen wird, was hier aber bloß erst versichert werden kann, Setzungen durch uns: Gesetzt wird ein allgemeiner Zusammenhang zwischen gewissen Di=erenzen X und Inferenzen Y, etwa der Form: Was ein X ist, tut normalerweise Y oder kann Y tun. Philosophie ist die Reflexion auf diese Form der Wissenschaft. Diese sammelt nicht einzelne Anschauungen oder empirische Einzelfakten. Und sie ist kein willkürlicher Glaube an irgendwelche hinterweltliche Möglichkeiten, sondern Festsetzung, Kontrolle und Gebrauch begri=sbestimmender Theorien. Das klang erst recht damals unerhört und kann auch hier zunächst bloß erst Versicherung sein. Dass es so ist, ja so sein muss, ist allererst zu zeigen. Man meint, es handele sich entweder um eine Anmaßung oder eine unzuträgliche Einschränkung der Philosophie, wenn sie als das logische Bewusstsein des Wissens verstanden wird. Man meint zu wissen, was Philosophie sei, etwa dass ›die Philosophen‹ unentwegt darüber streiten, was wahr sei und was Wahrheit sei. Es ist aber nicht einmal klar, ob alle, die faktisch und traditionell als Philosophen gezählt werden, auch wirklich und in Wahrheit Philosophen sind, also das gut genug tun, was man in der Philosophie nicht bloß dem Namen, sondern der Idee, der Praxisform nach, tun sollte. Und das ist doch wohl, über den Begri= der Wahrheit, damit also auch über den Begri= des Begri=lichen nachzudenken, statt zu behaupten, auf besondere Weise Zugang zu höheren oder tieferen Wahrheiten als die bloß empirischen zu haben. Daher ist die Unterscheidung zwischen Philosophen und Sophisten, den Pseudo-Philosophen, so extrem wichtig.
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Man meint heute, nur empirische Anschauung verbürge Wahrheit. Auch die Philosophie soll nach dieser Meinung empirisch beginnen und empirisch vorgehen. Manche folgen Descartes und der Transzendentalphilosophie und meinen, ein relativ unmittelbares Wissen über die Tatsache und die Logik des eigenen Denkens, damit über das Absolute, nämlich das eigene Selbst zu haben. Andere meinen, in der Religion und im Glauben wahrscheinlich oder zufällig das Wahre und Absolute zu finden, zumal es in der endlichen Welt kein absolutes Wissen gebe. Metaphysiker halten in ihren Ontologien mit ihren fundamentalen Axiomen oder ihrem Grundglauben die Titel »das Sein«, »die Wahrheit« und »die Wirklichkeit« hoch. Teils ohne es zu merken, plädieren sie damit für einen mantischen Glauben an eine Ontologie, der das endliche Wissen in seinen Grenzen übersteigt: Das Absolute »soll nicht begri=en, sondern gefühlt« werden. Am Ende werden Empiristen und sentimentale Gläubige zu Geschwistern. Philosophie wird zu romantischer ›Kontemplation‹. Dabei hatte Kant gezeigt, dass nur die kritische Einschränkung der reinen Denkmöglichkeiten auf diejenigen Möglichkeiten, mit denen wir in gewissen Kontexten vernünftigerweise rechnen, wissenschaftlich seriös ist. Um das noch genauer als Kant einzusehen, brauchen wir eine realistische, nicht bloß formalistische, philosophische Begri=sanalyse. Die scheinbar abstrakte Philosophie hat gerade in ihrer Kritik an leeren Möglichkeiten und dem leeren Glauben an solche Möglichkeiten konkrete Folgen, nämlich in der Vermeidung der Konstruktion rein formaler möglicher Welten und einem Herumtreiben in diesen luftigen Bildern. »Wird die Erscheinung einer solchen Foderung nach ihrem allgemeineren Zusammenhange aufgefaßt und auf die Stufe gesehen, worauf der selbstbewußte Geist gegenwärtig steht, so ist er über das substantielle Leben, das er sonst im Elemente des Gedankens führte, hinaus, – über diese Unmittelbarkeit seines Glaubens, über die Befriedigung und Sicherheit der Gewißheit, welche das Bewußtsein von seiner Versöhnung mit dem Wesen und dessen allgemeiner, der innern und äußern, Gegenwart besaß. Er ist nicht nur darüber hinaus-
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gegangen in das andere Extrem der substanzlosen Reflexion seiner in sich selbst, sondern auch über diese. Sein wesentliches Leben ist ihm nicht nur verloren; er ist sich auch dieses Verlustes und der Endlichkeit, die sein Inhalt ist, bewußt. Von den Trebern sich wegwendend, daß er im argen liegt bekennend und darauf schmähend, verlangt er nun von der Philosophie nicht sowohl das Wissen dessen, was er ist, als zur Herstellung jener Substantialität und der Gediegenheit des Seins erst wieder durch sie zu gelangen. Diesem Bedürfnisse soll sie also nicht so sehr die Verschlossenheit der Substanz aufschließen und diese zum Selbstbewußtsein erheben, nicht so sehr ihr chaotisches Bewußtsein zur gedachten Ordnung und zur Einfachheit des Begri=s zurückbringen, als vielmehr die Sonderungen des Gedankens zusammenschütten, den unterscheidenden Begri= unterdrücken und das Gefühl des Wesens herstellen, nicht sowohl Einsicht als Erbauung gewähren. Das Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe sind der Köder, der gefodert wird, um die Lust zum Anbeißen zu erwecken; nicht der Begri=, sondern die Ekstase, nicht die kalt fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des Reichtums der Substanz sein.« (7 f. | 12 f.)
»Substanz« ist der Inhalt bleibenden Wissens. Substanz ist, was generisches Wissen darstellt. Während Hegel, wie wir gleich sehen werden, durchaus Verständnis hat dafür, dass »die Menschen aus der Versunkenheit ins Sinnliche, Gemeine und Einzelne herauszureißen« sind, und zwar weil der reine Empirismus aus vielen Gründen untauglich ist, hält er den romantischen, erbaulichen oder mythisch-religiösen Weg für ungangbar, für einen Rückschritt. Immerhin ist sich der moderne Mensch seiner Subjektivität, Perspektivität und Endlichkeit bewusst. Das ist ein gutes Ergebnis empiristischer und rationalistischer Selbstreflexion. Man erho=t sich aber jetzt, in den nachkantischen Zeiten der Romantik, von der Philosophie weniger die Anerkennung dieser basalen Fakten des Seins und Daseins, ein realbegri=liches Verständnis unseres eigenen Wissens und eine kühle Haltung zu unserem Glauben
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und Ho=en, als einen ekstatischen oder gar enthusiastischen Appell an die Gefühle. Man meint, nur so das Schöne, Heilige und Ewige bewahren zu können. Doch der Köder erbaulicher Predigt führt weg vom selbstbewussten Wissen. Die Rede von solidarischer Liebe ist noch keine Solidarität. Das Reden über das gute Leben ist noch kein gutes Leben. Der rechte Weg führt auch nicht zurück in eine Gefühlsreligion, sondern vorwärts in eine recht begri=ene Philosophie. Eine solche ist unpopulär. Sie ist kühle Logik des Begri=s. »Dieser Foderung [nach begeisternder Predigt, PSW] entspricht die angestrengte und fast eifernd und gereizt sich zeigende Bemühung, die Menschen aus der Versunkenheit ins Sinnliche, Gemeine und Einzelne herauszureißen und ihren Blick zu den Sternen aufzurichten; als ob sie, des Göttlichen ganz vergessend, mit Staub und Wasser, wie der Wurm, auf dem Punkte sich zu befriedigen stünden. Sonst hatten sie einen Himmel mit weitläufigem Reichtume von Gedanken und Bildern ausgestattet. Von allem, was ist, lag die Bedeutung in dem Lichtfaden, durch den es an den Himmel geknüpft war; an ihm, statt in dieser Gegenwart zu verweilen, glitt der Blick über sie hinaus, zum göttlichen Wesen, zu einer, wenn man so sagen kann, jenseitigen Gegenwart hinauf. Das Auge des Geistes mußte mit Zwang auf das Irdische gerichtet und bei ihm festgehalten werden; und es hat einer langen Zeit bedurft, jene Klarheit, die nur das Überirdische hatte, in die Dumpfheit und Verworrenheit, worin der Sinn des Diesseitigen lag, hineinzuarbeiten und die Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige als solches, welche Erfahrung genannt wurde, interessant und geltend zu machen. – Jetzt scheint die Not des Gegenteils vorhanden, der Sinn so sehr in dem Irdischen festgewurzelt, daß es gleicher Gewalt bedarf, ihn darüber zu erheben. Der Geist zeigt sich so arm, daß er sich, wie in der Sandwüste der Wanderer nach einem einfachen Trunk Wassers, nur nach dem dürftigen Gefühle des Göttlichen überhaupt für seine Erquickung zu sehnen scheint. An diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen.« (8 | 13)
Während es lange dauerte, bis sich die Menschen von ihrem Interesse für das Geistige und Göttliche, die Seele und Gemein-
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de, zu einer ähnlich klaren und deutlichen Erforschung der uns umgebenden Welt und Natur bequemten, scheint es heute so zu sein, dass wir wieder an das Wissen um das Geistige anknüpfen müssen, freilich nicht in der leeren Emphase des Appells, sondern in klarer und nüchterner Anerkennung der Innerweltlichkeit des menschlichen Geistes. 9
»Diese Genügsamkeit des Empfangens oder Sparsamkeit des Gebens ziemt der Wissenschaft nicht. Wer nur Erbauung sucht, wer seine irdische Mannigfaltigkeit des Daseins und des Gedankens in Nebel einzuhüllen und nach dem unbestimmten Genusse dieser unbestimmten Göttlichkeit verlangt, mag zusehen, wo er dies findet; er wird leicht selbst sich etwas vorzuschwärmen und damit sich aufzuspreizen die Mittel finden. Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen.« (8 f. | 13 f.)
Wir brauchen eine begri=liche Klärung dessen, was Geist und geistige Kompetenzen in der realen Welt sind, keine Panegyrik der seelischen Erhebung oder der Bedeutung von Kultur und Geisteswissenschaften, wie man heute sagen würde. Empirische Information und sachliches Welt-Wissen sind nicht etwa abzuwerten, sondern die begri=lichen Rahmen menschlicher Erfahrung zu begreifen. Philosophie des Geistes ist Analyse des Begri=s des Geistes. Es geht ihr um das gesamte geistige Vokabular, in strengem Bezug auf die wirklichen Phänomene oder innerweltlichen Erscheinungen und Erscheinungsformen des Geistes. Philosophie ist damit begri=liche Methodologie aller Geisteswissenschaften, unter anderem der Ethik, der Humanpsychologie, der Staatswissenschaften, also des Wissens über Recht, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Weil alles Naturwissen selbst begri=lich geprägt ist, bedarf es der Philosophie auch als einer Logik oder Metaphysik der Naturwissenschaften. 10
»Noch weniger muß diese Genügsamkeit, die auf die Wissenschaft Verzicht tut, darauf Anspruch machen, daß solche Begeisterung und Trübheit etwas Höheres sei als die Wissenschaft. Dieses prophetische Reden meint gerade so recht im Mittelpunkte und der Tiefe zu
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bleiben, blickt verächtlich auf die Bestimmtheit (den Horos) und hält sich absichtlich von dem Begri=e und der Notwendigkeit entfernt als von der Reflexion, die nur in der Endlichkeit hause. Wie es aber eine leere Breite gibt, so auch eine leere Tiefe, wie eine Extension der Substanz, die sich in endliche Mannigfaltigkeit ergießt, ohne Kraft, sie zusammenzuhalten, so ist dies eine gehaltlose Intensität, welche, als lautere Kraft ohne Ausbreitung sich haltend, dasselbe ist, was die Oberflächlichkeit. Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut. Zugleich wenn dies begri=lose substantielle Wissen die Eigenheit des Selbsts in dem Wesen versenkt zu haben und wahr und heilig zu philosophieren vorgibt, so verbirgt es sich dies, daß es, statt dem Gotte ergeben zu sein, durch die Verschmähung des Maßes und der Bestimmung vielmehr nur bald in sich selbst die Zufälligkeit des Inhalts, bald in ihm die eigne Willkür gewähren läßt. – Indem sie sich dem ungebändigten Gären der Substanz überlassen, meinen sie, durch die Einhüllung des Selbstbewußtseins und Aufgeben des Verstandes die Seinen zu sein, denen Gott die Weisheit im Schlafe gibt; was sie so in der Tat im Schlafe empfangen und gebären, sind darum auch Träume.« (9 | 13 f.)
Der romantische Glaube an Höheres meint, höher als Wissen und Wissenschaft zu stehen. Er verachtet sowohl die Empirie als auch die Arbeit am Begri=. Man appelliert wie in Trance an das Wahre und Heilige, ohne auch nur im Ansatz zu begreifen, was »wahr« heißen kann oder wie die Rede vom Heiligen begri=lich verfasst ist. Man sieht insbesondere nicht, dass es nichts Tiefes geben kann, das sich nicht auf der Oberfläche des realen Lebens und der wirklichen Welt äußert. Dem gegenüber gilt es, Kants Projekt richtig fortzusetzen. Es gilt, sich nicht auf die Abwege eines leeren Glaubens an eine reine Welt an sich einzulassen, sondern das strenge Nachdenken auf die Form menschlichen Erfahrungswissens und der Wissenschaft als Arbeit am begri=lichen Rahmen etwa schon für die Artikulation empirischer Einzelinformationen interessant zu machen, statt sich in phantastischen Intuitionen
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über Gott und die Welt zu erheben. Dabei erkennt Hegel seine eigene Zeit als eine Zeit »des Übergangs zu einer neuen Periode« (Absatz Nr. 11). Und in der Tat. Es beginnt jetzt erst, um das Jahr 1800, das Zeitalter der positiven Wissenschaft, das 19. Jahrhundert. Es beginnt »die Ausbildung der Form« der Wissenschaft, die Entwicklung ihrer »allgemeinen Verständlichkeit«. Und es endet die Zeit, in der Wissen »ein esoterisches Besitztum einiger Einzelner« war (vgl. auch Nr. 13). »Die verständige Form der Wissenschaft«, die dadurch definiert ist, dass im Grunde jeder ihren Inhalt reproduzieren oder kontrollieren kann, wenn er nur entsprechend vorgebildet ist, »ist die gerechte Forderung des Bewußtseins, das zur Wissenschaft hinzutritt.« Verstand und Ich sind bloß nominale Ausdrücke für einen Vollzug, das Verstehen, und das personale Sein, bzw. für die zugehörigen Fähigkeiten: »Der Verstand ist das Denken, das reine Ich überhaupt«. Wenn wir daher über das reine Ich sprechen, also über die Fähigkeit, mit einem Du in einem Wir zu kooperieren, sprechen wir über die Kompetenz, verständig zu denken, zu reden und zu handeln, also über das Vermögen, implizite Normen des Richtigen oder explizite Regeln richtig zu befolgen. Daher gilt auch: »Das Verständige ist das schon Bekannte«. Es sind die als bekannt unterstellten Normen und Regeln des Richtigen, die das Richtige und Wahre allererst bestimmen. Es ist dann das »Gemeinschaftliche der Wissenschaft und des unwissenschaftlichen Bewußtseins«, also vielleicht manchmal auch des common sense, wenn er gut geformt ist, »wodurch dieses unmittelbar in jene einzutreten vermag.« Dieser Satz besagt wohl, dass das Vermögen des Verstandes in der rechten Befolgung von Normen und Regeln des Unterscheidens und Schließens, also des Di=erenzierens und nach Normalformen Inferierens besteht und dabei das vorwissenschaftliche Denken und Handeln mit dem wissenschaftlichen verbindet. In der Tat entwickeln wir in der Arbeitsteilung unserer speziellen Disziplinen der Wissenschaft die Normen und Regeln des verständigen Urteilens oder Unterscheidens und des konsequen-
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ten Schließens und Handelns. Allerdings ist damit zu rechnen, dass eine »Wissenschaft, die erst beginnt und es also noch weder zur Vollständigkeit des Details noch zur Vollkommenheit der Form gebracht hat« immer dafür getadelt wird, dass auch sie sich noch, wie die unwissenschaftliche Vormeinung, auf etwas, was schon als bekannt gilt, stützt, ohne diese Voraussetzung schon genügend kritisch prüfen zu können. – Auf eine weitere Kritik an denen, welche ohne Arbeit, sozusagen auf Abkürzungswegen, die Wahrheit im Träume zu finden meinen, wollen wir ab jetzt, wo möglich, verzichten. »Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begri=e, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung. Zwar ist er nie in Ruhe, sondern in immer fortschreitender Bewegung begri=en. Aber wie beim Kinde nach langer stiller Ernährung der erste Atemzug jene Allmählichkeit des nur vermehrenden Fortgangs abbricht – ein qualitativer Sprung – und itzt das Kind geboren ist, so reift der sich bildende Geist langsam und stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen des Baues seiner vorhergehenden Welt nach dem andern auf, ihr Wanken wird nur durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn wie die Langeweile, die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahndung eines Unbekannten sind Vorboten, daß etwas Anderes im Anzuge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in einemmale das Gebilde der neuen Welt hinstellt.« (9 f. | 14 f.)
Nicht das ›Zeitalter der Aufklärung‹, das 18. Jahrhundert, sondern das 19. Jahrhundert, nach Kant, nach den Entdeckungen Lavoisiers und nach der Französischen Revolution, ist das Zeitalter der Wissenschaft. Zwar gibt es in der Geschichte immer fortschreitende Entwicklungen. Aber trotz aller primitiven Anfänge ist schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts klar, dass es ein Jahrhundert der Chemie, Biologie, Anthropologie und im Übrigen
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des Elektromagnetismus und der Physiologie sein wird. Daraus ergibt sich gerade die Aufgabe, den Status des Menschen im Ganzen zu klären – sowohl im Blick aus diesen Wissenschaften als auch im Kontrast zu dem, was dieser Blick in seinen perspektivischen Beschränktheiten bloß als Teilmomente sieht. 12
»Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat dies Neue so wenig als das eben geborne Kind; und dies ist wesentlich nicht außer Acht zu lassen. Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein Begri=. So wenig ein Gebäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt worden, so wenig ist der erreichte Begri= des Ganzen das Ganze selbst. Wo wir eine Eiche in der Kraft ihres Stammes und in der Ausbreitung ihrer Äste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir nicht zufrieden, wenn uns an Stelle dieser eine Eichel gezeigt wird. So ist die Wissenschaft, die Krone einer Welt des Geistes, nicht in ihrem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geistes ist das Produkt einer weitläufigen Umwälzung von mannigfaltigen Bildungsformen, der Preis eines vielfach verschlungenen Weges und eben so vielfacher Anstrengung und Bemühung. Er ist das aus der Sukzession wie aus seiner Ausdehnung in sich zurückgegangene Ganze, der gewordne einfache Begri= desselben. Die Wirklichkeit dieses einfachen Ganzen aber besteht darin, daß jene zu Momenten gewordenen Gestaltungen sich wieder von neuem, aber in ihrem neuen Elemente, in dem gewordenen Sinne entwickeln und Gestaltung geben.« (10 f. | 15)
Am Anfang des ›wissenschaftlichen Jahrhunderts‹ kann man noch nicht im Detail absehen, wie sich die Wissenschaft materialiter entwickeln wird. Es ist daher völlig klar, dass sich die an ihren Themen arbeitenden Wissenschaftler nicht mit dem embryonalen Zustand ihrer Wissenschaften zufrieden geben werden. Hegel ist für seine zeitgenössischen Beispiele nicht zu kritisieren, zumal es ihm nicht um die Einzelwissenschaften und besonderen Theorien geht, sondern um ihre Formen. Andererseits kann man gerade an den Anfängen die projektive Form einer Entwicklung manchmal am besten zeigen, auch wenn man in der Eichel noch nicht die Eiche sehen kann. Von besonderer Bedeutung ist hier, dass sich die neue Wis-
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senschaft nicht einfach aus einer einzigen Wurzel, etwa dem Genie eines Isaac Newton ergibt, sondern sich aus vielfältiger Arbeit vieler engagierter Menschen zusammensetzt. Auch ist die Einheit in der Vielheit der Wissenschaft nicht einfach durch eine mathematische Gesamttheorie zu erhalten. Der Wunsch, die Naturwissenschaft mathematisch zu gestalten, lässt sich nur in dem Rahmen erfüllen, wie es die Welt erlaubt. Alles andere ist Wunschdenken, was sogar Kant in der Kritik der Urteilskraft für die Biologie zugibt. Es ist schön, dass es eine mathematisch-physikalische Kinematik und Dynamik gibt. Es gibt aber absolut keinen Grund zu glauben, dass alles Wissen über die Welt, in der wir leben und zu der wir selbst gehören, in der Form mathematischer Theorien der Physik bewegter Körper darstellbar sein sollte. Schon die Chemie zeigt, dass wir das Darstellungsformat an die realen Erfahrungen in der Welt anpassen müssen. Das gilt dann auch nicht bloß für die Biologie, sondern schon für den Elektromagnetismus. Hegel selbst behandelt diese Fälle, wenn auch an anderer Stelle. »Indem einerseits die erste Erscheinung der neuen Welt nur erst das in seine Einfachheit verhüllte Ganze oder sein allgemeiner Grund ist, so ist dem Bewußtsein dagegen der Reichtum des vorhergehenden Daseins noch in der Erinnerung gegenwärtig. Es vermißt an der neu erscheinenden Gestalt die Ausbreitung und Besonderung des Inhalts; noch mehr aber vermißt es die Ausbildung der Form, wodurch die Unterschiede mit Sicherheit bestimmt und in ihre festen Verhältnisse geordnet sind. Ohne diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der allgemeinen Verständlichkeit und hat den Schein, ein esoterisches Besitztum einiger Einzelnen zu sein; – ein esoterisches Besitztum: denn sie ist nur erst in ihrem Begri=e oder ihr Inneres vorhanden; einiger Einzelnen: denn ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr Dasein zum Einzelnen. Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich exoterisch, begreiflich und fähig, gelernt und das Eigentum Aller zu sein. Die verständige Form der Wissenschaft ist der allen dargebotene und für alle gleichgemachte Weg zu ihr, und durch den Verstand zum vernünftigen Wissen zu gelangen, ist die gerechte Foderung des Bewußtseins, das zur Wissenschaft hinzutritt;
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denn der Verstand ist das Denken, das reine Ich überhaupt; und das Verständige ist das schon Bekannte und das Gemeinschaftliche der Wissenschaft und des unwissenschaftlichen Bewußtseins, wodurch dieses unmittelbar in jene einzutreten vermag.« (11 | 15 f.)
Wissenschaft kann nicht esoterisch bleiben. Sie muss allgemein verständlich werden. Wegen der allgemeinen Verständlichkeit der Mathematik (bei genügend Geduld von Lehrern und Schülern, und einem Mindestmaß an Gedächtnisintelligenz) ist eine mathematisierte Wissenschaft besonders gut. Im Blick auf die neuen Themen der Chemie und des Elektromagnetismus, auch der Physiologie, vermisst man zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber gerade eine entsprechend schon theoretisch durchdrungene Wissenschaft. Es ist noch nicht einmal die Form einer solchen Theorie klar. Was ist hier der angemessene begri=liche Rahmen für die Arbeit am Begri= der Natur? Es ist also an der Zeit, Wissenschaft zu einer ö=entlich und gemeinsam diskutierten und geprägten Sache zu machen und jede Esoterik von vermeintlichen oder auch wirklichen Spezialisten hinter sich zu lassen. Das heißt, wie gesagt, nicht, dass alle alles wissen. Es heißt, dass sich jeder im Prinzip soweit informieren können muss, dass er in einer Disziplin am Ende zusammen mit den Besten urteilen kann. Dabei gibt es auch heute noch oder besonders heute wieder eine kaum durchdringbare Departementalisierung wissenschaftlicher Disziplinen. Die Esoterik von Laienwissenschaft ist bloßes Spiegelbild einer sonst allzu gläubigen Haltung an eine nicht verstandene Spezialwissenschaft. Es wäre mit Hegel das Bodenständige jedes Wissens und jeder Wissenschaft nicht nur zu begreifen, sondern wieder herzustellen: Jede Wissenschaft kocht am Ende mit Wasser. Sie beruht auf reproduzierbaren Handlungen und sich reproduzierenden Geschehensabläufen. Das gilt auch für die Dinge, welche für den nicht zureichend Gebildeten technisch zu kompliziert sind, wie etwa die moderne Teilchenphysik. Deren Komplexität ist in ihrer Form aber nicht anders als etwa die der Kompositionslehre in der Musik oder der logischen Darstellungsformen heutiger Philosophie.
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»Die Wissenschaft, die erst beginnt und es also noch weder zur Vollständigkeit des Details noch zur Vollkommenheit der Form gebracht hat, ist dem Tadel darüber ausgesetzt. Aber wenn dieser ihr Wesen tre=en soll, so würde er ebenso ungerecht sein, als es unstatthaft ist, die Foderung jener Ausbildung nicht anerkennen zu wollen. Dieser Gegensatz scheint der hauptsächlichste Knoten zu sein, an dem die wissenschaftliche Bildung sich gegenwärtig zerarbeitet und worüber sie sich noch nicht gehörig versteht. Der eine Teil pocht auf den Reichtum des Materials und die Verständlichkeit, der andere verschmäht wenigstens diese und pocht auf die unmittelbare Vernünftigkeit und Göttlichkeit. Wenn auch jener Teil, es sei durch die Kraft der Wahrheit allein oder auch durch das Ungestüm des andern, zum Stillschweigen gebracht ist und wenn er in Ansehung des Grunds der Sache sich überwältigt fühlte, so ist er darum in Ansehung jener Foderungen nicht befriedigt; denn sie sind gerecht, aber nicht erfüllt. Sein Stillschweigen gehöre nur halb dem Siege, halb aber der Langeweile und Gleichgültigkeit, welche die Folge einer beständig erregten Erwartung und nicht erfolgten Erfüllung der Versprechungen zu sein pflegt.« (11 f. | 15 f.)
Es wäre absurd, wegen des in manchem Betracht immer bloß erst embryonalen Zustandes einer Wissenschaft das in ihr je erreichte generische Wissen als ein bloßes Glauben auszugeben. Außerdem ist die Fallibilität empirischer Aussagen (etwa der Art, dass noch Milch im Kühlschrank ist) von ganz anderem Typ als die Revidierbarkeit begri=licher Netze des Di=erierens und generischen Inferierens, etwa der Art, dass einer noch mit dem Begri= des Phlogistons bei der Darstellung von Oxidationsvorgängen operiert. Der Gegensatz zwischen Verstand und Vernunft wird hier zum Zentralproblem. Es ist der Gegensatz richtiger Formenreproduktion auf der einen Seite, freier Vorschläge zur Entwicklung gemeinsam reproduzierbarer Formen auf der anderen Seite. Der Verstand muss sich an vorgegebene Kriterien des Richtigen halten. Die Vernunft entwickelt die Kriterien frei. Daher ist eine Begründung im Bereich des verständigen Denkens etwas ganz
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anderes als im Bereich der vernünftigen Reflexion. Im zweiten Fall appellieren wir an ein freies Mittun und sagen, dass die neuen Formen besser sind als die alten. Im ersten Fall appellieren wir an alte, schon anerkannte, Formen des rationalen Urteilens und der gemeinsamen Kompetenz ihrer Befolgung. Natürlich wird eine gerade erwachende Wissenschaft ihre Ergebnisse nicht unmittelbar als allgemein diskutierbares generisches Wissen und als fertige begri=liche Ordnung präsentieren können. Jetzt arbeiten erst ›Spezialisten‹ an ›vorderster Front‹, mit zumeist großem Risiko, dass ihre theoretischen Hypothesen sich nicht als haltbar erweisen, sondern bestenfalls in modifizierter Form in den Kanon allgemeinen Wissens aufgenommen werden (können). Daher ist jede beginnende Wissenschaft der Kritik des ungeduldigen Publikums ausgesetzt. Diese versteht (noch) nicht, was denn das Problem ist, und sieht noch keine Ergebnisse. In dieser Lage befindet sich die Wissenschaft um 1800. Der eine Kritiker »pocht auf den Reichtum des Materials«, also auf das Empirische, und hält die Arbeit am Begri= für Metaphysik und Spekulation. Der andere dagegen »pocht auf die unmittelbare Vernünftigkeit und Göttlichkeit«, also auf Vernunftbegri=e und eine Gesamtschau der Dinge wie aus der Perspektive eines denkenden Gottes. Doch weder der Empirist noch der Rationalist, weder der Jäger und Sammler von Daten noch der reine Theoretiker haben hier Recht. Die Forderungen nach empirischer Passung des Wissens und nach Verständlichkeit und Vernünftigkeit der begri=lichen Ordnung eines Gegenstandsbereiches des Wissens sind zwar völlig berechtigt. Aber beide sind in den Wissenschaften noch lange nicht erfüllt. Mit leeren Versprechungen beider Seiten sollten wir uns jedenfalls nicht abgeben. Der Empiriker meint, die generische und begri=liche Ordnung seiner vielen Daten werde sich schon von selbst ergeben. Das aber geschieht nie. Der apriorische Theoretiker dagegen glaubt, seine ›vernünftigen Ideen‹ würden sich sicher in der empirischen Welt bewahrheiten lassen. Aber auch das geschieht nicht einfach so. Vielmehr muss geklärt werden, wie sich begri=liche Entwicklungen zu empirischen Be-
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stätigungen verhalten. Und man sollte wenigstens wissen, dass man auf einem guten und vernünftigen Weg und nicht auf einem Holzweg ist. Im Übrigen wird bis heute übersehen, dass es vieler später überwundener theoretischer Vorschläge bedarf, um im Streit um bestmögliche Darstellungs- und Erklärungsformen die wirklich besten unter den real verfügbaren auszuwählen. Der Streit ist Methode der Wissenschaft. Der naive Glaube an eine abbildförmige Wahrheit gerade des generischen Wissens und damit der Theorien der Wissenschaft verhindert die Einsicht in diese absolut grundlegende Wahrheit sinnkritischer Philosophie und echten wissenschaftlichen Selbstbewusstseins. Prinzipielle Irrtümer können sich allerdings gerade dadurch ergeben, dass man sich allein auf das Empirische stützt. Reine Beobachtung macht weder einen Kopernikus noch einen Kepler möglich. Andererseits reicht die bloße Denkmöglichkeit, »sich etwas auch auf eine andere Weise vorzustellen« nicht hin, »um eine Vorstellung zu widerlegen«, sofern es für diese als Versuch einer Darstellung oder Repräsentation von wirklicher Welt schon (mehr oder minder gute) Gründe gibt. Daher brauchen wir, wie oben schon betont, eine Unterscheidung zwischen einer bloß formalen Möglichkeit, die als solche immer nur durch einen allgemeinen und damit nur erst reinen Gedanken bestimmt sein kann, und einer kontrollierten Bestätigung, dass mit gewissen Möglichkeiten wirklich wenigstens auf die eine oder andere Art zu rechnen ist. »In Ansehung des Inhalts machen die Andern sich es wohl zuweilen leicht genug, eine große Ausdehnung zu haben. Sie ziehen auf ihren Boden eine Menge Material, nämlich das schon Bekannte und Geordnete, herein, und indem sie sich vornehmlich mit den Sonderbarkeiten und Kuriositäten zu tun machen, scheinen sie um so mehr das übrige, womit das Wissen in seiner Art schon fertig war, zu besitzen, zugleich auch das noch Ungeregelte zu beherrschen und somit alles der absoluten Idee zu unterwerfen, welche hiemit in Allem erkannt und zur ausgebreiteten Wissenschaft gediehen zu sein scheint. Näher aber diese Ausbreitung betrachtet, so zeigt sie sich nicht dadurch zu Stande gekommen, daß Ein und Dasselbe
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sich selbst verschieden gestaltet hätte, sondern sie ist die gestaltlose Wiederholung des Einen und Desselben, das nur an das verschiedene Material äußerlich angewendet ist und einen langweiligen Schein der Verschiedenheit erhält. Die für sich wohl wahre Idee bleibt in der Tat nur immer in ihrem Anfange stehen, wenn die Entwicklung in nichts als in einer solchen Wiederholung derselben Formel besteht. Die Eine unbewegte Form vom wissenden Subjekte an dem Vorhandenen herumgeführt, das Material in dies ruhende Element von außenher eingetaucht, dies ist so wenig als willkürliche Einfälle über den Inhalt die Erfüllung dessen, was gefodert wird, nämlich der aus sich entspringende Reichtum und sich selbst bestimmende Unterschied der Gestalten. Es ist vielmehr ein einfarbiger Formalismus, der nur zum Unterschiede des Sto=es, und zwar dadurch kommt, weil dieser schon bereitet und bekannt ist.« (12 | 16 f.)
Während manche Theoretiker dazu neigen, sich in leeren Tautologien oder willkürlichen Einfällen zu drehen, weil neue materialbegri=liche Inhalte viel schwerer zu finden sind, machen es sich viele Empiriker zu leicht, wenn sie auf ihre vielen Einzelwahrnehmungen verweisen. Sie machen ihre Kenntnisse durch Kuriositäten spannend, übersehen damit aber, dass erst das allgemeine Wissen und seine Entwicklung echte Wissenschaft ist. Daher kommen wir durch bloße Empirie nicht weiter – und wenn, dann bestenfalls ›zufällig‹, wobei dieser Zufall kein Zufall ist, und zwar weil die generischen Wahrheiten immerhin zu formulieren, also synthetisch zu ›konstruieren‹ sind. Daher bleiben ohne enge Zusammenarbeit von Theorie und Empirie und ohne geschichtliches Bewusstsein die Wissenschaften immer am Anfang stehen und kommen nicht weiter. 16 a
»Dabei behauptet er [d. h. ein Empiriker, der mit bloß vorgegebenen Schemata vage genug operiert, PSW] diese Eintönigkeit und die abstrakte Allgemeinheit für das Absolute; er versichert, daß das die Ungenügsamkeit mit ihr eine Unfähigkeit sei, sich des absoluten Standpunktes zu bemächtigen und auf ihm fest zu halten. Wenn sonst die leere Möglichkeit, sich etwas auch auf eine andere Weise vorzustellen, hinreichte, um eine Vorstellung zu widerlegen, und die-
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selbe bloße Möglichkeit, der allgemeine Gedanke, auch den ganzen positiven Wert des wirklichen Erkennens hatte, so sehen wir hier ebenso der allgemeinen Idee in dieser Form der Unwirklichkeit allen Wert zugeschrieben und die Auflösung des Unterschiedenen und Bestimmten oder vielmehr das weiter nicht entwickelte noch an ihm selbst sich rechtfertigende Hinunterwerfen desselben in den Abgrund des Leeren für spekulative Betrachtungsart gelten. Irgendein Dasein, wie es im Absoluten ist, betrachten, besteht hier in nichts anderem, als daß davon gesagt wird, es sei zwar jetzt von ihm gesprochen worden als von einem Etwas: im Absoluten, dem A = A, jedoch gebe es dergleichen gar nicht, sondern darin sei alles Eins. Dies Eine Wissen, daß im Absoluten Alles gleich ist, der unterscheidenden und erfüllten oder Erfüllung suchenden und fodernden Erkenntnis entgegenzusetzen oder sein Absolutes für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis. – Der Formalismus, den die Philosophie neuerer Zeit verklagt und geschmäht [hat] und der sich in ihr selbst wieder erzeugte, wird, wenn auch seine Ungenügsamkeit bekannt und gefühlt ist, aus der Wissenschaft nicht verschwinden, bis das Erkennen der absoluten Wirklichkeit sich über seine Natur vollkommen klar geworden ist. – « (12 f. | 17 f.)
Die Philosophie beklagt einerseits den Formalismus leerer Tautologien, erzeugt ihn andererseits selbst. Dieser Formalismus leerer Tautologien wird aus Philosophie und Wissenschaft nicht verschwinden, bis wir uns über das Wesen der Logik und die Formen der Wahrheitsbegri=e, damit auch über den Begri= des Erkennens und der Spannung zwischen der absoluten Wirklichkeit des Vollzugs-Seins und dem relativen bzw. relationalen Gegenstand eines theoretischen bzw. verbalen Wissensanspruchs oder auch einer tätigen Intervention im praktischen Handeln vollkommen klar geworden sind. Das Problem der Rede darüber, wie etwas, ein A, »im Absoluten ist«, also jenseits unseres endlichen Wissens, besteht darin, dass man über ein solches A nichts als Tautologien sagen kann. Als Vertreter für alle Tautologien, in denen der Name »A« vor-
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kommt, benutzt Hegel die Formel »A = A«. Denn jede weitere Auskunft würde verlangen, dass man angeben kann, woher man wisse, dass A diese oder jene Eigenschaft besitze. Das Problem anzuerkennen, bedeutet, das Verhältnis zwischen Wissen und Wahrheit bzw. zwischen Überzeugung und Wirklichkeit nicht transzendent, sondern erfahrungsimmanent zu verstehen. Wenn man dagegen die Rede von einer absoluten Wahrheit oder einem absoluten Wissen nicht immanent im Gesamtreich der realen Phänomene, sondern als ein Verweis auf ein so genanntes Jenseits aller Erscheinungen deutet, bedeutet dies, ›das Absolute‹ »für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind«. Sollte es so sein, dass Schelling diese Kritik an reinen Spekulationen über das Absolute auf sich bezogen hat, dann musste er schon sehr empfindlich sein. Kritisiert wird nämlich nur ein Rationalismus, der meint, mit seinen Tautologien etwas Bestimmtes über eine Welt an sich ausgesagt zu haben. Dagegen argumentiert später auch Wittgenstein an. 16 b
»In der Rücksicht, daß die allgemeine Vorstellung, wenn sie dem, was ein Versuch ihrer Ausführung ist, vorangeht, das Auffassen der letzteren erleichtert, ist es dienlich, das Ungefähre derselben hier anzudeuten, in der Absicht zugleich, bei dieser Gelegenheit einige Formen zu entfernen, deren Gewohnheit ein Hindernis für das philosophische Erkennen ist.« (13 | 18)
Es ist o=enbar zu klären, was die Leute von der Theorie und der Philosophie erwarten, und was von ihnen zu erwarten ist. Und es ist zu klären, was die Anrufung absoluter Wahrheit (situiert angeblich in einer unerkennbaren Welt an sich) bedeutet. Der skeptische Agnostizismus, nach welchem wir das Absolute nie wissen könnten, sondern immer nur im Endlichen verbleiben, also in einem plausiblen, aber falliblen, Glauben verharren, kann dann aber zur bloßen Entschuldigung dafür werden, nicht über den Realbegri= der Wahrheit und des Wissens nachzudenken, also über die wirklichen Formen, wie wir je konkret Wissensansprüche von Glaubensexpressionen unterscheiden und als berechtigt oder unberechtigt bewerten.
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»Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken. Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität so sehr das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens selbst als diejenige, welche Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt. – « (13 f. | 18)
Der Satz, dass das Wahre nicht bloß Substanz, sondern auch Subjekt sei, wird regelmäßig fehlgedeutet. Man denkt an Gott als das Subjekt der Wahrheit. Der Satz sagt aber, in Hegels verdichteter Form, dass wir die Wahrheit nicht einfach als Gegenstand des Wissens auffassen dürfen, sondern immer auch als Bewertung von Geltungsansprüchen, die wir selbst vornehmen. Das Wort »wahr« wird in einem performativen Sprechakt der metastufigen Beurteilung von möglichen Wissensansprüchen formal expressiv verwendet. Die Rede von einer »Korrespondenz« mag man rein formal anerkennen. Sie hilft aber inhaltlich nicht weiter, was schon Kant bemerkt. Dass das Wahre Subjekt ist, besagt nun, orakelartig, unter anderem dies: Der Ausdruck »ist wahr« ist immer auch als subjektive Bewertung eines Geltungsanspruchs zu verstehen, und das aus logischen Gründen. Zugleich besagt er: Die wahre Wirklichkeit ist Vollzug, nicht bloß Bezugnahme. Aber nicht das absolut Einzelne, etwa meine subjektive Gewissheit der Empfindung, sondern die Orientierungsrichtigkeit allgemeiner Di=erenzen und Inferenzen macht Wissensansprüche, auch bloß empirisch-einzelne, erst recht aber generischallgemeine richtig oder wahr. Relativ unmittelbar an einem Wissensanspruch ist dabei zunächst nur seine expressive Artikulation, etwa in einem Satz der Form ›N ist P‹. Üblicherweise liest man den Satz so, dass das N einen Gegenstand g in einem sortalen Bereich nennt und das P eine Teilklasse definiert, in welcher g liegt. Doch das kann ganz und gar in die Irre führen, so wie es in die Irre führt, die Wörter »Gott«, »Welt« oder »Sein« als Namen von Gegenständen auffassen zu wollen.
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»Wenn Gott als die Eine Substanz zu fassen das Zeitalter empörte, worin diese Bestimmung ausgesprochen wurde, so lag teils der Grund hievon in dem Instinkte, daß darin das Selbstbewußtsein nur untergegangen, nicht erhalten ist, teils aber ist das Gegenteil, welches das Denken als Denken festhält, die Allgemeinheit, dieselbe Einfachheit oder ununterschiedne, unbewegte Substantialität; und wenn drittens das Denken das Sein der Substanz als solche mit sich vereint und die Unmittelbarkeit oder das Anschauen als Denken erfaßt, so kommt es noch darauf an, ob dieses intellektuelle Anschauen nicht wieder in die träge Einfachheit zurückfällt und die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise darstellt.« (14 | 18)
Die Kritik an Spinoza und am ›Deismus‹ war insofern nicht ganz falsch, als in Spinozas Gleichsetzung von Gott und Natur, wie in der modernen Gleichsetzung von Welt und dem Gegenstand der Naturwissenschaften, »das Selbstbewusstsein nur untergegangen, nicht erhalten ist«. Mit anderen Worten: Spinozas Identifizierung von Gott, Welt und Natur wäre kein Problem, ja absolut wahr, wenn man sie nicht verdinglichend missverstände. Dann würde sie nur sagen: Das einzige, was wirklich eine absolut überzeitliche Substanz ist, ist die ganze Welt. Jedes Ding und Wesen in der Welt hat einen zeitlichen Anfang und ein zeitliches Ende und ist auch räumlich endlich. Unglücklicherweise sorgt die Identifikation von Welt und Natur dafür, dass beide, Welt und Natur, wie ein großer Gegenstand vorgestellt werden. Die Welt wird als Objekt uns als den Subjekten gegenübergestellt. Als Gott soll die Natur zwar natura naturans sein und damit als eine Art Subjekt aller innerweltlichen Vollzüge gedacht werden. Aber wie das geschehen kann, bleibt unklar, zumal die Natur bei Spinoza das ist, was von selbst geschieht – womit sein Freiheitsbegri= problematisch, kompatibilistisch, wird. Im Übrigen denkt Spinoza ›von der Seite‹, d. h. er übersieht das Subjekt des Denkens völlig. Das Denken als Denken ist dabei immer etwas Allgemeines, wie schon Heraklit sagt. Wenn nun »das Sein der Substanz« »mit dem Denken sich vereint«, dann (. . .) »kommt es noch darauf an, ob dieses intellektuelle Anschauen nicht wieder in die träge
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Einfachheit zurückfällt« (. . .). Diese terminologisch schwierigen Passagen besagen, grob gesagt, dass wir im Vollzug von Denken und Anschauen uns unserer selbst bzw. unserer Existenz in der Welt durchaus gewiss sind. Im ›cogito‹ findet daher Descartes schon eine ›intellektuelle Anschauung‹, wie sie Kant für unmöglich hält. Aber nicht nur das, was Objekt der Anschauung ist, ist als in der Welt existent erwiesen, sondern auch das, was wir als Subjekte sind und tun. Descartes sieht, wie später Fichte, dass ich mich nicht im Spiegel anschauen muss, um über den Vollzug eines Tuns eine gewisse praktische Form der Selbstgewissheit zu haben. Nur darf dieser cartesische Beweis der Unbezweifelbarkeit meiner eigenen Existenz und dessen, womit ich unmittelbar umgehe, nicht in eine Dualität von mystischer ›res cogitans‹ und erscheinungsartiger ›res extensa‹ kollabieren. »Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt oder, was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des sich selbst Setzens oder die Vermittlung des Sich anders Werdens mit sich selbst ist. Sie ist als Subjekt die reine einfache Negativität, ebendadurch die Entzweiung des Einfachen; oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist: nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst – nicht eine ursprüngliche Einheit als solche oder unmittelbare als solche – ist das Wahre. Es ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist.« (14 | 18)
Die Identität eines höheren Lebewesens, also auch eines Menschen, ist zwar dadurch bestimmt, dass der lebende Körper nicht in zwei weiterlebende Teile teilbar ist. Leben aber ist ein Prozess. Das Handeln der Menschen hat in ihm Folgen dafür, wer sie später sind und sein können. Das Ich ist daher kein fixfertiger Gegenstand mit bestimmten bleibenden Eigenschaften. Und doch ist das Ich bzw. das Wir der menschlichen Wissensgemeinschaft das jeweils Substantielle, Bleibende. Es sind auch nicht die Dinge,
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welche der Form nach überzeitlich, zeitallgemein sind, sondern der Begri=, also das System der standing sentences materialbegri=licher Wahrheit, wenigstens der Idee nach. Dinge entstehen und vergehen. Das gilt zwar auch für die Artikulationen unseres Gesetzeswissens. Aber idealiter gilt ein Gesetz überzeitlich, über alles Entstehen und Vergehen hinweg. Das gibt auch jeder zu: Wenn die Gesetze der Physik wahr sind, dann nicht bloß, sagen wir, seit Newton bis gestern oder bis morgen. Dass die Wahrheit dennoch nicht bloß das Objektive, den Objektbezug des Wissens betri=t, sondern auch das Subjektive, die begri=liche Fassung des Wissens, das wird in der Sachfokussierung des Objektwissens der Naturwissenschaften bis heute übersehen und in seiner Bedeutung geradezu maßlos unterschätzt. Hinzu kommt die tätige Selbstformung des Menschen, die Bildung und Selbstbildung der Person, aber auch die Bildung und Selbstbildung der ganzen Wissensgemeinschaft. Letztere geschieht besonders über die Entwicklung des Begri=s, der sprachlichen Artikulation von allgemeinen Formen des gemeinsamen Wissens und Könnens. Abzuwehren ist dabei die verfehlte Idee, das Ich oder Wir oder das Reich der Begri=e sei eine gegebene Substanz, die sich nicht selbst tätig ändere. Die Substanz, das Bleibende in allem Wechsel, ist die Form einer reproduzierbaren begri=lichen Unterscheidung, zusammen mit den generischen Folgen, die wir in den Formen von Normalerwartungen lernen, aber auch als normative Schlussformen lehren. Da jede einzelne Unterscheidung je von mir, also von uns je einzeln, getro=en werden muss, weil also jedes Urteil subjektiv und frei ist, ist das unterscheidende Subjekt die reine einfache Negativität. Der schwierige Ausdruck »Negativität« verweist hier auf die Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt, also darauf, dass sich das Subjekt, erstens, im freien Urteilen dem angeblich Objektiven der Welt, aber auch den Ansprüchen allgemeiner Normativität und Richtigkeit gegenüber gestellt sieht. Das Urteil ist, zweitens, frei und soll doch richtig sein. Das bedeutet aber dann wohl auch, drittens, dass wir unsere Unterscheidungsformen entwickeln,
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und zwar in der Wissenschaft und für unser Begri=ssystem. Das geschieht, viertens, immer auch im Streit und nicht etwa im rein zufälligen Konsens rein akzidentell homologer Unterscheidungen. Das Unterscheiden ist ein komplexes, auf das Allgemeine des gemeinsamen Erkennens von stabilen oder substantiellen Unterschieden abzielendes Handeln. Die Identifizierung einer Form oder eines Gegenstandes ist aber ebenfalls ein tätiges Nichtunterscheiden. Sogar das Personsein gibt es erst in der Aneignung und Abstoßung von anderem. Das ist schon eine Form der Negation der Negation. Basal findet sich diese Form schon bei der Nahrungsaufnahme oder in der Aneignung von technischen Fähigkeiten. In diesem Sinn ist das (personale) Subjekt, »das Werden seiner selbst«. Ich bin je (und wir sind je) »der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat«. Das heißt, wir erscha=en uns selbst, unser Sein und Können in einer möglichen Zukunft, indem wir unser gegenwärtiges Tun an einem gegenwärtigen Entwurf unseres Seinkönnens (Heidegger) und Seinwollens orientieren. Freilich ist dieser Entwurf zunächst bloß ein (verbal oder bildlich, also begri=lich oder modellhaft) vorweggenommener Plan oder gar ein bloßer Wunsch, der »nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich« wird. »Das Leben Gottes und das göttliche Erkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt. An sich ist jenes Leben wohl die ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst, der es kein Ernst mit dem Anderssein und der Entfremdung so wie mit dem Überwinden dieser Entfremdung ist. Aber dies Ansich ist die abstrakte Allgemeinheit, in welcher von seiner Natur, für sich zu sein, und damit überhaupt von der Selbstbewegung der Form abgesehen wird. Wenn die Form als dem Wesen gleich ausgesagt wird, so ist es eben darum ein Mißverstand, zu meinen, daß das Erkennen sich mit dem Ansich oder dem Wesen begnügen, die Form aber ersparen könne, – daß der absolute Grundsatz oder die absolute
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Anschauung die Ausführung des ersteren oder die Entwicklung der andern entbehrlich mache. Gerade weil die Form dem Wesen so wesentlich ist [sic!; PSW]37 als es sich selbst, ist es nicht bloß als Wesen, d. h. als unmittelbare Substanz oder als reine Selbstanschauung des Göttlichen zu fassen und auszudrücken, sondern eben so sehr als Form [sic!; PSW] und im ganzen Reichtum der entwickelten Form; dadurch wird es erst als Wirkliches gefaßt und ausgedrückt.« (14 f. | 18 f.)
Die Schnitttechniken oder harten Fügungen von Hegels thesenartigem Vorwort, die manchmal an den Stil Heraklits und Hölderlins erinnern, lassen den unerfahrenen Leser oft ratlos zurück. Wie kann Hegel, so fragt man sich, jetzt unmittelbar zum »Leben Gottes« übergehen und »das göttliche Erkennen« »als ein Spielen der Liebe mit sich selbst« ansprechen? Wir werden sehen, dass bei Hegel die Beziehung zu Gott ganz neu zu verstehen ist, nämlich als wissende Reflexion auf Welt und uns selbst. Während die traditionelle Theologie schon unterstellt, dass der Ausdruck »Gott« ein mögliches oder wirkliches Wesen neben anderen Wesen nennt, ohne nach der ›Seinsweise‹ dieses Gegenstandes der Rede zu fragen, und dann sogar noch allerlei über seine Eigenschaften, Fähigkeiten und Wirkweisen wissen oder glauben will, kritisiert Hegel derartige ontische Unterstellungen vehement als gedankenlos. Dabei greift er selbst auf übliche Sätze religiöser Tradition zurück. Er bemerkt aber gleich, dass diese üblicherweise bloß einer langweiligen Erbauung dienen, jedenfalls wenn man diese Reden nicht ernsthaft als Reden über unser eigenes Projekt und Leben, die Idee und das Ideal des guten Lebens in der Gemeinschaft der Menschen in der Welt begreift. Die sich daraus ergebenden Verpflichtungen sind entsprechend tätig umzusetzen. Die Rede vom Geist verweist dabei auf ein fiktiv-generisches bzw. formales Subjekt. Es realisiert die Form eines gemeinsamen Ich benutze die traditionelle Formel »sic!«, um wichtige Passagen im zitierten Text hervorzuheben, auch wenn das stilistisch nicht sehr schön ist. Die kursiven Hervorhebungen entstammen dann immer Hegels eigenem Text; »PSW« ist Siglum für meine Kommentare. 37
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Lebens als Mensch. Am Ende wird Gott selbst zu einem idealformalen Subjekt. Das Wort »Gott« rückt dabei grammatisch in die Nähe sowohl des Wortes »Welt« als auch der Wörter »das Ich« in den spekulativen Redeformen Kants und Fichtes über den (personalen) Menschen (an sich), Kants homo noumenon, und dessen geistige Welt (an sich). Die Nähe von Ich und Welt wiederum drückt sich in dem Satz aus »Ich bin meine Welt«. Das ist ein berühmter Orakelspruch Wittgensteins aus seinem ›Tractatus‹, auf den die Klammer »(Der Mikrokosmos.)« folgt.38 Der Klammerausdruck ruft zu entsprechender Vorsicht auf, da die Welt und meine Welt immer auch in einen Kontrast zu einander gestellt werden können. Die traditionelle Rede von Gott als dem Ganzen der Welt oder als dem Sein im Ganzen hält nun alles »Anderssein« von sich fern. Das aber hat zur unglücklichen Folge, dass Gott zum leeren Brahma wird, das gerade deswegen, weil es als reines Sein keinen Unterschied erlaubt, von einem reinen Nichts gar nicht unterscheidbar ist. Es ist also erst einmal angemessen zu verstehen, was es denn heißen könnte, dass die ganze Welt göttlich und Gott die ganze Welt (und dabei nicht bloß die handlungs- bzw. menschenfreie Natur) ist. Aussagen über das Ansich von etwas, etwa Gottes, des Seins oder des Geistes, sind immer nur abstrakt allgemein. Es wird dabei von der realen Seinsweise dessen, was angesprochen wird, abgesehen. Die ›Natur‹, jetzt im Sinne des ›wirklichen Wesens‹, des Geistes besteht nun aber in nichts anderem als der gemeinsamen Arbeit an der Überwindung leerer Reden. Dazu gehört auch das angemessene Verständnis der Di=erenz zwischen unseren eigenen Projekten oder Vor-Entwürfen, den Idealen, und der Realität des ›für sich zu sein‹, wie wir Menschen also real urteilen und besonders dann auch real handeln und leben. Es gilt also, die Formen des Geistes in ihrer erscheinenden Realität zu begreifen. Wir dürfen nicht einfach unterstellen, wir 38
Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 5.63.
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wüssten schon, dass die Wörter »Gott« oder »Geist« auf ein irgendwie bleibendes transzendentes Wesen verweisen, an dessen Existenz man glauben könne oder solle. Interessanterweise spricht Hegel hier von einer »Selbstbewegung der Form« und erläutert den Begri= der Wahrheit durch einen berühmten Orakelspruch. 20
»Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder sich selbst Werden zu sein. So widersprechend es scheinen mag, daß das Absolute wesentlich als Resultat zu begreifen sei, so stellt doch eine geringe Überlegung diesen Schein von Widerspruch zurecht. Der Anfang, das Prinzip oder das Absolute, wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist nur das Allgemeine. So wenig, wenn ich sage: alle Tiere, dies Wort für eine Zoologie gelten kann, ebenso fällt es auf, daß die Worte des Göttlichen, Absoluten, Ewigen usw. das nicht aussprechen, was darin enthalten ist; – und nur solche Worte drücken in der Tat die Anschauung als das Unmittelbare aus. Was mehr ist als ein solches Wort, der Übergang auch nur zu einem Satze, enthält ein Anderswerden, das zurückgenommen werden muß, ist eine Vermittlung. Diese aber ist das, was perhorresziert wird, als ob dadurch, daß mehr aus ihr gemacht wird denn nur dies, daß sie nichts Absolutes und im Absoluten gar nicht sei, die absolute Erkenntnis aufgegeben wäre.« (15 f. | 19)
Hegels berühmter Aphorismus: »Das Wahre ist das Ganze« besagt insbesondere, dass wir jede Bewertung eines (spekulativen, also metatheoretischen, oder dann auch generisch-begri=lichen) Satzes in seiner Richtigkeit immer nur im Gesamtzusammenhang seines Gebrauchs verstehen können. Analoges gilt sogar für empirische Aussagen: Ihr Inhalt setzt das rechte Verständnis im Umgang mit generischen Inhaltsbestimmungen voraus. Wir müssen daher das Formale unserer Bewertungen von Sätzen oder Aussagen nach wahr und falsch mit dem rechten Gebrauch auf angemessene Weise in Verbindung bringen. Das gilt auch für mathematische Wahrheiten. Hegel selbst erläutert noch: »Das
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Ganze . . . ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen.« Wahrheit und Vernunft als Titel nennen dabei Formen einer guten Entwicklung des Wissens bzw. des Begri=lichen, unter Einschluss aller entsprechenden begri=s- und damit wissensgestützten menschlichen Handlungen und Praxisformen. Mit Titelwörtern wie »Wahrheit« oder dann auch »Welt« und »Gott« verweisen wir in einer Art umfassender Handbewegung auf alles ›was es gibt‹. Nicht anders funktionieren Wörter wie »Sein« oder »Wesen«. Es ist daher zunächst noch unklar, wie sich diese Wörter inhaltlich unterscheiden, welche Momente des Bezugs auf ein Ganzes jeweils durch sie besonders hervorgehoben werden. Bloß »Alles« zu sagen oder von einem All zu reden, hilft dabei nicht weiter. Wir müssen schon weiter di=erenzieren und auslegen, was alles zur Welt gehört und wie sie oder das Sein sich von der Natur als dem Gesamt des Seienden, der Gegenstände möglichen Wissens, unterscheidet. Natur (i. e. S.) ist dabei das, was sich von selbst ergibt, also ohne unser handelndes Zutun. Dazu zählen sich bewegende Körperdinge ebenso wie autopoietische Prozesse. Es sollte dann aber auch klar sein, dass wir selbst und unsere besondere Form zu sein und zu leben zwar zur Welt gehören, dass wir aber als Personen nicht einfach Natur sind, als dem Bereich, in dem sich alles von selbst ergibt. Über die Rede von »dem Absoluten«, also einer absoluten, nicht bloß subjektrelationalen, Wahrheit (die als solche abhängt von der Erfüllung einer Wahrheitsbedingung, welche das Subjekt nicht allein bestimmen kann), sagt Hegel, dass wir erst vom Ende her das Ganze erkennen. Erst vom Ganzen her begreifen wir das Wesen der Wahrheit, nämlich in der geistigen Seinsweise unserer selbst. Das Absolute ist nicht die Natur i. e. S., sondern die Subjektivität selbst in der Vollzugswelt. Das transsubjektive Ansichsein personaler Subjektivität heißt dabei traditionell »der Geist«. Dieser Geist ist ein »Sichselbstwerden«. Das Erkennen des Absoluten wird damit zu einem Wissen um unser Wissen im Vollzug. Was uns hier irritiert, ist dieses: Am Anfang jeder Reflexion auf das Ganze der Welt steht seit alters ein verbaler Vorentwurf Gottes
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als Symbol des Wahren und dann auch des Guten und Schönen. In einem solchen Vorentwurf geht es entsprechend um alle Arten von Prinzipien oder von Anfängen im Sinne von Grundformen des Seins, genauer, aller kategorialen Urteilsformen und Bewertungsdimensionen, zu denen auch Freiheit und Notwendigkeit gehören oder Gerechtigkeit, Liebe und Glück. Für Theologen mag es übrigens ein Gräuel sein, die Reden über Gott als abstrakte Reden über die Welt und dabei insbesondere auch über kategoriale Formen des Urteilens und Bewertens und damit des menschlichen Geistes selbst zu verstehen. Für Empiriker und Formalisten erscheint der Zusammenhang als obskur. Und in der Tat: Nichts scheint so schwer zu sein als die Logik spekulativer Sätze, mit denen wir die Logik der Formen unseres Redens über die Welt und uns selbst darstellen. 21
»Dies Perhorreszieren stammt aber in der Tat aus der Unbekanntschaft mit der Natur der Vermittlung und des absoluten Erkennens selbst. Denn die Vermittlung ist nichts anders als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst, das Moment des fürsichseienden Ich, die reine Negativität oder das einfache Werden. Das Ich oder das Werden überhaupt, dieses Vermitteln ist um seiner Einfachheit willen eben die werdende Unmittelbarkeit und das Unmittelbare selbst. – Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird. Sie ist es, die das Wahre zum Resultate macht, aber diesen Gegensatz gegen sein Werden ebenso aufhebt, denn dies Werden ist ebenso einfach und daher von der Form des Wahren, im Resultate sich als einfach zu zeigen, nicht verschieden; es ist vielmehr eben dies Zurückgegangensein in die Einfachheit. – Wenn der Embryo wohl an sich Mensch ist, so ist er es aber nicht für sich; für sich ist er es nur als gebildete Vernunft, die sich zu dem gemacht hat, was sie an sich ist. Dies erst ist ihre Wirklichkeit. Aber dies Resultat ist selbst einfache Unmittelbarkeit, denn es ist die selbstbewußte Freiheit, die in sich selbst ruht, und den Gegensatz nicht auf die Seite gebracht hat und ihn da liegen läßt, sondern mit ihm versöhnt ist.« (16 | 19 f.)
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Der Horror vor einer Verweltlichung und Vermenschlichung der Rede von Gott stammt daher, dass man die Rolle hochstufiger logischer Reflexionen oder ›Spekulationen‹ auf ein Ganzes der Welt und der Formen des Geistes im Urteilen, Wissen und Handeln nicht begreift. Insbesondere weiß man nicht, wie die traditionell in einer Theologie oder Metaphysik angesiedelten Redeformen als Vorformen selbstbewusster Rede über Formen des geistigen Seins und Lebens personaler Menschen zu deuten sind. Allerdings hilft uns hier die Formel noch nicht sehr viel weiter, die Vermittlung zwischen Theologie und Logik sei »nichts als die sich bewegende Sichselbstgleichheit«, obwohl sie klar macht, dass die Rede über Gott eine Rolle spielt in unserer Reflexion auf uns selbst und im Verstehen, was das »fürsichseiende Ich« ist. Insbesondere machen rein objektbezogene Wissenschaften oder ›Anschauungen‹ einen Fehler, wenn sie »die Reflexion aus dem Wahren« ausschließen, also ganz übersehen, dass zu jedem konkret bestimmten Wissen ein Wissen über den Status des jeweiligen Wissens, seine thematischen und perspektivischen Begrenzungen wesentlich dazugehört. Wissenschaft und Wissen sind und bleiben tätige Prozesse und Projekte von uns Menschen. Daher sind bloß objektzentrierte Wissenschaften in aller Regel betriebsblind. Sie sind blind in Bezug auf ihren Ort in der menschlichen Arbeits- und Wissensteilung. Sie sind blind in Bezug auf die Begrenzungen ihres Gegenstandes und Themenbereiches in einem größeren Ganzen, in der Welt. Und sie sind blind im Blick auf alle von ihnen vorausgesetzten Vollzugsformen. Besonders aber verstehen wir das Allgemeine des Wissens oft nicht angemessen. In der Zoologie sprechen wir z. B. nicht über alle Einzeltiere einer Art und über ihr Einzelschicksal, sondern über das normale gute Leben eines Tieres. Wir können daraufhin etwa Krankheiten oder andere Abnormitäten erkennen. Bei uns Menschen stellt sich das entsprechende gute Leben nicht einfach ein, sondern es muss tätig hergestellt werden. Wer es daher völlig dem Zufall überlässt, ob er späterhin gut lebt, hat damit das
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Wesen, die Seinsweise des Menschen, schon verfehlt. In diesem Sinn gehört die tätige Selbstsorge zum guten Leben. Das gilt sowohl für den Einzelnen als auch für die diversen Gemeinschaften der Menschen, wie sie sich um verschiedene Institutionen und Praxisformen eines arbeitsteiligen Lebens herum bilden, von der Familie, dem Dorf oder Stamm bis zum Großstaat oder zu einer Weltgesellschaft, von den Teilnehmern an gewissen Spielen bis zu den Teilnehmern an der Entwicklung menschlichen Wissens, zunächst in einem noch informellen Rahmen, dann auch in einer schon institutionalisierten Wissenschaft. Ohne eine Vermittlung der allgemeinen Idee oder Form des Guten im realen Tun gäbe es die Form freilich (noch) nicht, bliebe sie ›bloße Idee‹, also leeres Wort. Der übliche Jammer darüber, dass die Welt nicht so ist, wie sie idealiter sein sollte und unser reales Wissen nie ideal oder absolut ist, stammt dabei im Grunde daher, dass man die Aufgabe der Vermittlung und damit die Rolle der Rede über Ideale in der Reflexion auf die realen Formen in ihrer Entwicklung nicht begreift. 22
»Das Gesagte kann auch so ausgedrückt werden, daß die Vernunft das zweckmäßige Tun ist. Die Erhebung der vermeinten Natur über das mißkannte Denken und zunächst die Verbannung der äußern Zweckmäßigkeit hat die Form des Zwecks überhaupt in Mißkredit gebracht. Allein, wie auch Aristoteles die Natur als das zweckmäßige Tun bestimmt, der Zweck ist das Unmittelbare, das Ruhende, welches selbst bewegend, oder Subjekt ist. Seine abstrakte Kraft, zu bewegen ist das Fürsichsein oder die reine Negativität. Das Resultat ist nur darum dasselbe, was der Anfang, weil der Anfang Zweck ist; – oder das Wirkliche ist nur darum dasselbe, was sein Begri=, weil das Unmittelbare als Zweck das Selbst oder die reine Wirklichkeit in ihm selbst hat. Der ausgeführte Zweck oder das daseiende Wirkliche ist die Bewegung und das entfaltete Werden; eben diese Unruhe aber ist das Selbst; und jener Unmittelbarkeit und Einfachheit des Anfangs ist es darum gleich, weil es das Resultat, das in sich Zurückgekehrte, – das in sich Zurückgekehrte aber eben das Selbst und das Selbst die sich auf sich beziehende Gleichheit und Einfachheit ist.« (16 f. | 20)
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Ein ideologisches Grundproblem der Moderne ist die Naturalisierung des Menschen im Zuge des Fortschritts der Naturwissenschaft. Denn während es ganz richtig ist, dass die Bewegungsformen der unbelebten Natur ohne Vorgri= auf Zwecke darzustellen sind, ist dies für das Handeln des Menschen und der Menschen keineswegs richtig. Die unbelebte Natur kennt gar keine Zwecke. Aber schon (höhere) Tiere handeln zielorientiert, auch wenn diese Ziele sich aus der unmittelbaren Situation ergeben müssen, weil Tiere, anders als Menschen, in der Gegenwart nicht vorhandene, sich also nicht unmittelbar zeigende oder aus der unmittelbaren Situation heraus erwartbare Möglichkeiten oder Zukünfte nicht aktiv, spontan, symbolisch repräsentieren können. Jede These von einer inneren mentalen Repräsentation bei Tieren ist reine Zuschreibung, schlechte Spekulation, Anthropomorphismus. Wir dagegen können Zwecke in selbstproduzierten Worten oder Bildern repräsentieren bzw. ›begri=lich‹ vorwegnehmen, und zwar als Erfüllungsbedingungen von Wünschen oder Absichten. Kurz, nur der Mensch hat Zugang zu nicht vorhandenen Möglichkeiten. Diese gibt es für uns nur in frei produzierbaren Repräsentationen der Möglichkeiten durch Sprache oder Bilder. Aber auch an sich gibt es Möglichkeiten nicht anders als in den Möglichkeiten ihrer Repräsentation. Das ist kein Zirkel, sondern Hinweis auf die logische Tatsache, dass die Möglichkeiten der Repräsentation von Möglichkeiten selbst durch die eben vorgeführte Repräsentation, hier: ihre Nennung, bestimmt sind. In einem gewissen Sinn ›gibt‹ es daher Möglichkeiten immer nur im Modus des Ansich, also für uns, und in der Allgemeinheit, wie sie durch Wort oder Bild repräsentierbar, tätig präsent gemacht werden können. Es ist wenig so irreführend wie die ontische Unterstellung einer festen Klasse möglicher Welten, über die man angeblich quantorenlogisch sinnvolle Allaussagen und Existenzaussagen machen kann. Die Frage, was denn eine solche mögliche Welt sein soll, wird dabei ebenso als geklärt vorausgesetzt wie die Bestimmung der Allklasse, also ihrer Existenz. Das aber bedeutet, dass der schwierigste Begri= der Philosophie, der Begri= des
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Möglichen, blind vorausgesetzt wird. Von einer solchen Philosophie kann man nichts mehr erwarten. In eben diesem Sinn ist die modische Rede von möglichen Welten in der modernen Analytischen Philosophie gerade wegen des quantorenlogischen Formalismus (bei Saul Kripke: der formallogischen Technik des so genannten forcing mit seinen Zugänglichkeitsrelationen und der durch sie definierten formalen Semantik für Sätze mit den Modaloperatoren »notwendig« und »möglich«) inhaltlich ganz obskur. Zunächst hatten Wittgenstein und Carnap übrigens noch gemeint, man könne mögliche Welten durch Listen formaler Konstatierungen individuieren. Es ist leider nicht leicht zu sehen, warum man über Möglichkeiten oder mögliche Welten nicht so quantifizieren kann wie über Zahlen oder wie über die Äpfel in einem Korb, warum sie keine sortalen Mengen und Klassen bilden und warum die Rede von der Menge aller möglichen Welten sowohl einen Missbrauch der Wörter »Menge« und »Welt«, also auch des Wortes »möglich« darstellt. Möglichkeiten lassen sich immer nur generisch-allgemein bestimmen. Das immerhin wusste sogar schon Leibniz besser als unsere modell- bzw. mengentheoretischen Modaltheorien der Gegenwart. Doch dazu wäre im Detail noch viel mehr zu sagen. Hier soll nur gesagt sein, dass die Vorstellung alles andere als selbstverständlich ist, es gäbe sortale Bereiche möglicher Welten, über die wir wie über Einzelgegenstände quantifizieren könnten und in denen Aussagen der Form »es gibt die Möglichkeit X« als objektiv wahr oder falsch erscheinen, so als wäre ein Wahrheitswert hier schon definiert. Im Übrigen wird dabei übersehen, dass der Weg, der von einem subjektiven Für-möglich-Halten zu einem Wirklich-möglich-Sein führt, weit länger ist als die unmittelbare Rede über mögliche Welten unterstellt.39 In gewisser Erinnerung an Derridas Belegung des Wortes spreche ich hier von einer Dekonstruktion, nämlich der ontischen Unterstellungen von möglichen Welten. Es ist zugleich eine Destruktion wie bei Heidegger, nämlich aller naiven Reden über Möglichkeiten und dann auch Wirklich39
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Zentral ist jedenfalls die Einsicht, dass der Zugang zu Möglichkeiten und Zukünften, die sich nicht unmittelbar präsentisch zeigen, der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, und dass dieser Zugang nur durch konkrete Repräsentationen in einer Praxis des symbolischen Handelns vermittelt ist. Damit wird auch klar, warum bzw. in welchem Sinn für Tiere die evolutionären Entwicklungen ihrer Art rein als Ereignisse oder Widerfahrnisse darzustellen sind, während bei uns Menschen das, was bloß ereignisartig oder evolutionär geschieht, von dem zu unterscheiden ist, was wir einzeln oder gemeinsam auf ein vorgefasstes Ziel hin entwickeln können oder könnten, und zwar so, dass wir auch für viele Ergebnisse unseres individuellen oder kollektiven Tuns selbst verantwortlich sind. Daher und nur daher können wir uns nicht darauf zurückziehen, dass die Natur es ›gewollt‹ hätte, dass wir so werden, wie wir sind, wie mancher mit Kant zu sagen geneigt sein mag. Es gilt in der Tat, das Wahre der Evolutionstheorie vom Falschen zu unterscheiden. Denn die Angleichung des Menschen an das Tier in einer so genannten ›Naturalisierung‹ des Geistes oder ›evolutionären‹ Erkenntnis- oder Wissenstheorie überspringt die relevanten Di=erenzen der Seinsweise von Mensch und Tier. Das bedeutet am Ende eine Animalisierung des Menschen. Schon der Methode nach müssen unsere heutigen Kognitionswissenschaften den Unterschied zwischen Mensch und Tier als im Wesentlichen bekannt voraussetzen. Der so genannte Physikalismus und Materialismus dagegen ›mechanisiert‹ in seinen Reden und angeblichen Erklärungen das Leben von Tieren, Pflanzen und keiten und Wahrscheinlichkeiten: Ohne sprachliche Repräsentationen ›gibt‹ es keine Möglichkeiten, jedenfalls nicht als konkret bestimmte bzw. bestimmbare. Es bedürfte ohnehin sehr scharfer Augen, wie man mit Lewis Carroll ironisch sagen könnte, wenn jemand bloße Möglichkeiten sehen wollte. Wir haben zu ihnen Zugang nur über das redende und vorstellende Denken (wozu auch das Bilden von Bildern und das Formen von Gestalten gehört), ja es gibt Möglichkeiten nur vermöge symbolischer Repräsentationen.
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anderen Organismen, ohne dabei genügend auf die besondere Seinsweise des Lebendigen zu achten. Wie ein Embryo bloß erst an sich Mensch und nicht schon für sich Person ist, so ist jedes nur gegenstandsbezogene Wissen zunächst erst an sich ein Wissen und noch nicht Wissenschaft für sich. Die Redeform des ›an sich‹ versteht man dabei am besten, wenn man an die Arten der Zoologie denkt: Aussagen im Modus des ›an-sich‹ sprechen generisch über das genos, die Gattung, genauer über die jeweilige Artform und das Artwesen, das eidos, nicht über die einzelnen Exemplare. Im Grunde sollte der folgende Truismus als Grundprinzip jeder aufgeklärten Wissenschaft anerkannt sein: Die Seinsweise (physis, natura) von unbelebten oder toten Dingen, von niederen Organismen, Pflanzen, Tieren und Menschen unterscheiden sich unter einander jeweils kategorial. Erst wenn dieses Prinzip anerkannt wird, kommen die so genannten Naturwissenschaften begri=lich zu sich selbst. Entsprechend ist die Anerkennung, dass es kein mechanisches Perpetuum Mobile gibt, oder dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht eine absolute Grenze für Wirkungen im Raum darstellen, eine absolute begri=liche Grundlage entsprechender Erklärungen von Phänomenen in den zugehörigen Teildisziplinen der physikalischen Wissenschaften. Das o=enbare Problem ist dabei die Kausalität (der causa efficiens) und die Teleologie (der causa finalis). Die Formen wie das Sein eines Dinges oder Wesens durch die vergangene Zeit und durch die Zukunft, das bisherige Geschehen in seiner Umgebung oder durch erwartete Möglichkeiten bestimmt ist, sind bei verschiedenen Dingen, Lebewesen und Menschen verschieden. Es geht in diesen Passagen des Vorworts o=enbar um die besondere Teleologie des (a fortiori menschlichen) Handelns, also um ein durch Absichten geleitetes und eben damit freies, verantwortliches Tun, dessen Zwecke als begri=lich vorweggenommene Ziele zu begreifen sind. Das Wollen aber oder der Wille sind als die ›Kraft‹ oder Möglichkeit der tätigen Umsetzung von Absichten im Handeln zu verstehen. Der Wille als allgemeine Möglichkeit des
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Handelns ist dabei sogar überpersonal, transindividuell zu verstehen, wie Hegel sieht, gerade im Kontrast zu einer immer bloß subjektiv-individuellen Willkür: Als Kürwille oder Wahlfreiheit ist diese eng mit der Freiheit des Vollzugs des Urteilens und tätigen Handelns des Einzelnen verbunden. Das Handeln ist eine Vermittlung, insofern es die Absicht in die Tat umsetzt und damit allererst als Absicht wahr macht. Ohne diese Umsetzung kollabiert die vermeintliche Absicht in einen leeren Wunsch, es sei denn, es waren bloß äußere Umstände, welche die Umsetzung vereitelten. Mittel, die wir im Handeln gebrauchen, gehören ebenfalls zur Mitte zwischen Zwecksetzung und realem Resultat. Und wieder springt Hegel, für den heutigen Leser allzu unvermittelt, in die Theologie – allerdings motiviert durch das Bedürfnis, das Absolute, Ganze, die Welt, auch als Subjekt, im Vollzug darzustellen, und das nicht bloß als Gegenstand der Rede, sondern sozusagen als Teil dessen, was wir selbst sind. »Das Bedürfnis, das Absolute als Subjekt vorzustellen, bediente sich der Sätze: Gott ist das Ewige, oder die moralische Weltordnung, oder die Liebe usf. In solchen Sätzen ist das Wahre nur geradezu als Subjekt gesetzt, nicht aber als die Bewegung des sich in sich selbst Reflektierens dargestellt. Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte »Gott« angefangen. Dies für sich ist ein sinnloser Laut, ein bloßer Name; erst das Prädikat sagt, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen. Insofern ist nicht abzusehen, warum nicht vom Ewigen, der moralischen Weltordnung usf. oder, wie die Alten taten, von reinen Begri=en, dem Sein, dem Einen usf., von dem, was die Bedeutung ist, allein gesprochen wird, ohne den sinnlosen Laut noch hinzuzufügen. Aber durch dies Wort wird eben bezeichnet, daß nicht ein Sein oder Wesen oder Allgemeines überhaupt, sondern ein in sich Reflektiertes, ein Subjekt gesetzt ist. Allein zugleich ist dies nur antizipiert. Das Subjekt ist als fester Punkt angenommen, an den als ihren Halt die Prädikate geheftet sind, durch eine Bewegung, die dem von ihm Wissenden angehört und die auch nicht dafür angesehen wird, dem
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Punkte selbst anzugehören; durch sie aber wäre allein der Inhalt als Subjekt dargestellt. In der Art, wie diese Bewegung bescha=en ist, kann sie ihm nicht angehören; aber nach Voraussetzung jenes Punkts kann sie auch nicht anders bescha=en, kann sie nur äußerlich sein. Jene Antizipation, daß das Absolute Subjekt ist, ist daher nicht nur nicht die Wirklichkeit dieses Begri=s, sondern macht sie sogar unmöglich; denn jene setzt ihn als ruhenden Punkt, diese aber ist die Selbstbewegung.« (17 f. | 20 f.)
Gerade theologische Sätze zeigen, dass die übliche Vorstellung davon, wie Subjekt-Prädikat-Sätze zu verstehen sind, in die Irre führt. Das gilt aber auch für alle Sätze, in denen im Prädikatteil bloß erst erläutert ist, was der Name, der an der Stelle des Satzsubjekts steht, eigentlich bedeutet oder welcher Art Wort er ist. Oben wurde gezeigt, dass es sinnvoll, ja notwendig ist, das Ganze der Welt in der Form eines absoluten Vollzugs und nicht bloß eines großen Gegenstandes wie das Weltall aller Körper (und der physikalischen Prozesse in ihm) vor- oder darzustellen. Dem Absoluten der Wahrheit korrespondiert entsprechend ein ideal vorgestelltes vollkommenes Wissen. Dabei bedient man sich seit langer Zeit spekulativer Sätze der Form »Gott ist die (ewige, absolute) Wahrheit« oder, wenn es um die Idee und das Ideal des menschlichen Ethos geht: »Gott ist die Liebe«. Allerdings darf man sich dann unter den vier Buchstaben »G-o-t-t« nicht schon einen wohlbestimmten ›Gegenstandsnamen einer Person‹ vorstellen. Es handelt sich zunächst bloß um eine noch sinnlose Lautfolge. Dass »Gott« bloßer Name sei, bedeutet also: Es ist zunächst bloß ein Wort und verbaler Titel. Seinen Sinn erhält das Wort erst dadurch, dass wir ihm einen Sinn geben, und zwar indem wir durch allerlei formale Prädikate erläutern, wovon wir reden, wenn wir von Gott reden. »Gott« ist z. B. einfach ein anderer Name für die Welt, oder dann auch für ein rein verbal vorgestelltes Super-Subjekt ideal-absoluten Wissens. Dabei ist es zunächst durchaus so, dass wir das Wort »Gott« durch allerlei andere Worte für das absolute Sein bzw. die Wahrheit hätten ersetzen können. Klassische Kandidaten sind »das Eine«, »das Ewige«.
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Im Fall des Ethos ist es »die moralische Weltordnung« usf. »Das Sein« steht dabei für die Welt im Ganzen, nicht anders als »das Eine«, das zusätzlich noch ausdrückt, dass man in spekulativer Reflexion auf eine einzige Welt verweisen möchte, im Kontrast zu bloß meiner Welt. Die ganze Welt ist dann der unbegrenzte Vollzug allen Seins, auch Lebens. In gewissem Sinn ist diese Welt ein übergroßes Gesamtsubjekt. Man kann dann das sinnlose Wort »Gott« auch ganz weglassen. Freilich verliert man dann den Anschluss an eine lange Tradition onto-theo-logischer Reflexionen auf das Ganze von Welt und Sein, Natur und Leben. Und es fehlt der Anschluss an die Einsicht in das interessante Verhältnis von Ich und Welt, Ich und Gott, Wir und Welt. Dass diese Verhältnisse in unendlichen Sätzen, also kategorial falschen Sätzen, Katachresen artikuliert sind, sollte uns nicht wundern. Denn grammatisch schließen wir aus, dass die Welt oder das Sein, die Natur oder das Leben etwas wissen könnten. Gott ist also eine rein verbal vorgestellte übergroße Person, in gewisser Analogie zu uns endlichen Personen. Das Titelwort dient dem Zweck spekulativer Reflexion auf das Idealsubjekt alles möglichen personalen Wissens. Freilich ist damit noch nicht klar, was das überhaupt ist: die Idee der Wahrheit und das Ideal eines absoluten nicht-endlichen Wissens. Und wir geraten in ein dialektisches Problem: Eben dadurch, dass man ein einheitliches Subjekt des Wissens unterstellt, geht der Realbegri= des Wissens, das Problem der Überwindung subjektiver Gewissheiten in einer gemeinsam entwickelten Transsubjektivität, wieder verloren. Indem wir also über Gott sprechen, sprechen wir auf eine sehr allgemeine und damit auch prekäre Weise über ein (ideales) Wissen. Dieses steht im Kontrast zu jedem realen Wissen. Jedes reale Wissen ist endlich. Wozu brauchen wir den Kontrast? Wir sprechen über das Geistige, als wäre es ein ›ruhender Punkt‹, obgleich es in Wirklichkeit ›Selbstbewegung‹ ist. Hegels Projekt ist ein Projekt der Säkularisierung theologischer Rede. »Unter mancherlei Folgerungen, die aus dem Gesagten fließen, kann diese herausgehoben werden, daß das Wissen nur als Wis-
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senschaft oder als System wirklich ist und dargestellt werden kann. Daß ferner ein sogenannter Grundsatz oder Prinzip der Philosophie, wenn er wahr ist, schon darum auch falsch ist, weil er Grundsatz oder Prinzip ist. – Es ist deswegen leicht, ihn zu widerlegen. Die Widerlegung besteht darin, daß sein Mangel aufgezeigt wird; mangelhaft aber ist er, weil er nur das Allgemeine oder Prinzip, der Anfang ist. Ist die Widerlegung gründlich, so ist sie aus ihm selbst genommen und entwickelt, – nicht durch entgegengesetzte Versicherungen und Einfälle von außenher bewerkstelligt. Sie würde also eigentlich seine Entwicklung und somit die Ergänzung seiner Mangelhaftigkeit sein, wenn sie sich nicht darin verkennte, daß sie ihre negative Seite allein beachtet und ihres Fortgangs und Resultates nicht auch nach seiner positiven Seite bewußt wird. – Die eigentliche positive Ausführung des Anfangs ist zugleich umgekehrt eben so sehr ein negatives Verhalten gegen ihn, nämlich gegen seine einseitige Form, erst unmittelbar oder Zweck zu sein. Sie kann somit eben so sehr als die Widerlegung desjenigen genommen werden, was den Grund des Systems ausmacht; besser aber, als ein Aufzeigen, daß der Grund oder das Prinzip des Systems in der Tat nur sein Anfang ist.« (18 | 21 f.)
Wissenschaft ist nur als Entwicklung des Systems des generischen Wissens zu begreifen. In der Philosophie aber operieren wir mit katachrestischen, ungrammatischen, Sätzen, um gewisse logische Formen zu zeigen. Es ist daher trivial, ›Fehler‹ in diesen Sätzen zu zeigen. Es kann in der Philosophie keine axiomatischen Grundsätze oder Prinzipien geben, von denen aus man etwa auch weitere Wahrheiten ableiten könnte. Denn jedes derartige Axiom wäre schon deswegen auch falsch, weil es ein Axiom, ein unvermittelter erster Satz wäre, an dem man als solchem immer unendlich viele Mängel aufweisen kann: Denn erstens würden erst die weiteren Sätze, die man ihm als ›Folgen‹ zuordnet, dem Satz einen ›inferentiellen‹ Sinn geben. Zweitens bestünde dann die Wahrheit des Satzes gerade darin, dass wir ihm die (ho=entlich wahren) Folgerungen zuordnen, die sich aus seinem Sinn ergeben. In entsprechender Weise ›begründen‹ die Axiome der
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Mathematik keineswegs die logischen Folgerungen, die wir aus ihnen ziehen. Sie sind vielmehr selbst ›wahr‹ nur insofern, als wir aus ihnen ›wahre‹, und das heißt am Ende: als Erlaubnisregeln des rechnenden Schließens brauchbare Sätze über schematische Regeln der Deduktion herleiten. Es ›begründen‹ also die Folgerungen die Axiome und die Deduktionsregeln. Die Axiome sind damit nichts als verdichtete stenographische Zusammenfassungen der Theoreme, die wir aus ihnen schematisch ›melken‹. Wer meint, Theoreme aus Axiomen beweisen zu können, verwechselt Deduktionen mit Beweisen. Ebenso sind die ›Prinzipien‹ in der Philosophie bloß erst orakelartige Merksätze und Anfänge, nicht schon eine begründende Basis für weitere Sätze. Der vermeintliche Grund einer generischen Theorie oder begri=lichen Ordnung, den man in den Axiomen sehen möchte, ist bestenfalls ein Anfang ihrer Artikulation. Sogenannte Grundsätze, Merksätze oder Prinzipien der Wissenschaften wie der Philosophie sind gerade deswegen leicht zu ›widerlegen‹, weil man mit ihnen nicht schematisch umgehen darf. Denn sie artikulieren zumeist nur Allgemeinheiten, zu denen es trivialerweise immer auch (viele) einzelne Gegenbeispiele gibt, so wie es z. B. dreibeinige Katzen oder Kälbchen mit zwei Köpfen gibt. Das heißt, wir müssen Ausnahmen von der normalen ›Entwicklung‹ eines Anfangs unterscheiden. Ausnahmen widerlegen allgemeine Aussagen nicht, es sei denn man ho=t, die allgemeinen Aussagen so spezifizieren zu können, dass gewisse Ausnahmen als artikulierte Ausnahmeklassen behandelbar sind. In gewissem Sinn entsprechen materiale Normalitäten ›Prinzipien‹, ›Anfänge‹, ›Grundlagen‹. Aber gerade als solche bestimmen sie das Verstehen. Sie bestimmen die allgemeinen Formen des Di=erenzierens und Schließens, und zwar zunächst in einem praktischen Know-How. »Daß das Wahre nur als System wirklich oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht, – der erhabenste Begri= und der der neuern Zeit und ihrer Religion angehört.« (18 f. | 22)
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Das Wahre ist nur als System des allgemeinen Wissens in seiner vernünftigen Entwicklung wirklich. Der Satz: »Das Absolute ist Geist« besagt daher immer auch: Wir selbst sind dieses Absolute und dieser Geist. Die Frage ist dann nur, wie das »wir« zu verstehen ist. Es steht nämlich nicht einfach für eine Menge von Leuten und einen Konsens in ihr. In gewissem Sinn enthalten diese Sätze das zentrale Ergebnis kantischer Philosophie und herderscher Theologie, trotz aller noch aufzuhebenden Unklarheit etwa in der Rede über das (transzendentale) Ich bei Fichte oder dann auch bei Schelling. 25 b
»Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder Ansichseiende, – das sich Verhaltende und Bestimmte, das Anderssein und Fürsichsein – und [das] in dieser Bestimmtheit oder seinem Außersichsein in sich selbst Bleibende; – oder es ist an und für sich. – Dies an und für sich Sein aber ist es erst für uns oder an sich, es ist die geistige Substanz. Es muß dies auch für sich selbst, muß das Wissen von dem Geistigen und das Wissen von sich als dem Geiste sein, d. h. es muß sich als Gegenstand sein, aber eben so unmittelbar als vermittelter, das heißt aufgehobener, in sich reflektierter Gegenstand. Er ist für sich nur für uns, in so fern sein geistiger Inhalt durch ihn selbst erzeugt ist; insofern er aber auch für sich selbst für sich ist, so ist dieses Selbsterzeugen, der reine Begri=, ihm zugleich das gegenständliche Element, worin er sein Dasein hat, und er ist auf diese Weise in seinem Dasein für sich selbst in sich reflektierter Gegenstand. – Der Geist, der sich so als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eignen Elemente erbaut.« (19 | 22)
Was als wirklich gelten kann, muss von uns anerkannt werden. Es geht dabei um die Subsumtion eines einzelnen Fürsichseins unter ein materialbegri=lich bestimmtes Ansichsein, wie wir noch genauer sehen werden. Der Geist als Subjekt der Entwicklung von Wissen und Begri= ist die Wissenschaft, sind wir, soweit wir am Projekt und damit der Idee oder Praxisform der gemeinsamen Wissensentwicklung teilnehmen. Auch hier geht es darum, diese Einsicht nicht bloß thesenartig zu artikulieren, sondern als notwendig für jedes Selbstbewusstsein und jedes Wissen, auch für
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jede Rede über Geistiges einsehbar zu machen. Es ist erstaunlich, wie wenig man auf Hegel hört. Denn der Satz »Der Geist ist die Wissenschaft« sollte aufhorchen lassen. »Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein, dieser Äther als solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im Allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Foderung, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente befinde. Aber dieses Element hat seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewegung seines Werdens. Es ist die reine Geistigkeit oder das Allgemeine, das die Weise der einfachen Unmittelbarkeit hat; – dies Einfache, wie es als solches Existenz hat, ist der Boden, der Denken, der nur im Geist ist. Weil es die Unmittelbarkeit des Geistes, weil die Substanz überhaupt der Geist ist, ist sie die verklärte Wesenheit, die Reflexion, die selbst einfach, oder die Unmittelbarkeit ist, das Sein, das die Reflexion in sich selbst ist. Die Wissenschaft von ihrer Seite verlangt vom Selbstbewußtsein, daß es in diesen Äther sich erhoben habe, um mit ihr und in ihr leben zu können und zu leben. Umgekehrt hat das Individuum das Recht zu fodern, daß die Wissenschaft ihm die Leiter wenigstens zu diesem Standpunkte reiche. Sein Recht gründet sich auf seine absolute Selbständigkeit, die es in jeder Gestalt seines Wissens zu besitzen weiß; denn in jeder – sei sie von der Wissenschaft anerkannt oder nicht, und der Inhalt sei welcher er wolle – ist es die absolute Form, zugleich die unmittelbare Gewißheit seiner selbst und, wenn dieser Ausdruck vorgezogen würde, damit unbedingtes Sein.« (19 f. | 22)
Die absolute Rahmenform jedes Wissens ist die, dass es unser Wissen ist und dass einzelne Wissensansprüche je mein Wissen sind. Das bedeutet, dass die perspektivische Subjektivität der Rolle des Sprechers zur absoluten logischen Form des Denkens und Wissens zählt. In gewissem Sinn habe ich in der Teilnahme an der Praxis des Wissens eine ›unmittelbare Gewissheit meiner selbst‹ und zugleich meines ›unbedingten Seins‹ qua Vollzug. Dieses Erbe des Descartes dürfen und müssen wir bewahren – was ja auch Fichte so gesehen hat.
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Es folgen schwierige Sätze, die im Grunde nur klar zu machen suchen, warum es so schwer ist, das Konkrete des Wissens selbst zum Thema des Wissens zu machen. Das ist so, weil das Wissen immer alles vergegenständlicht, sich selbst aber qua Vollzug oder Haltung als Seinsweise nicht vergegenständlichen kann. 26 b
»Wenn der Standpunkt des Bewußtseins, von gegenständlichen Dingen im Gegensatze gegen sich selbst und von sich selbst im Gegensatze gegen sie zu wissen, der Wissenschaft als das Andre – das, worin es bei sich selbst ist, vielmehr als der Verlust des Geistes –, so ist ihm dagegen das Element der Wissenschaft eine jenseitige Ferne, worin es nicht mehr sich selbst besitzt. Jeder von diesen beiden Teilen scheint für den andern das Verkehrte der Wahrheit zu sein. Daß das natürliche Bewußtsein sich der Wissenschaft unmittelbar anvertraut, ist ein Versuch, den es, es weiß nicht von was angezogen, macht, auch einmal auf dem Kopfe zu gehen; der Zwang, diese ungewohnte Stellung anzunehmen und sich in ihr zu bewegen, ist eine so unvorbereitete als unnötig scheinende Gewalt, die ihm angemutet wird, sich anzutun. – Die Wissenschaft sei an ihr selbst, was sie will, im Verhältnisse zum unmittelbaren Selbstbewußtsein stellt sie sich als ein Verkehrtes gegen es dar; oder weil das unmittelbar Selbstbewußtsein das Prinzip der Wirklichkeit ist, trägt sie, indem es für sich außer ihr ist, die Form der Unwirklichkeit. Sie hat darum jenes Element mit ihr zu vereinigen, oder vielmehr zu zeigen, daß und wie es ihr selbst angehört. Der Wirklichkeit entbehrend ist sie nur das An sich, der Zweck, der erst noch ein Innres, nicht als Geist, nur erst geistige Substanz ist. Sie hat sich zu äußern und für sich selbst zu werden; dies heißt nichts anders, als sie hat das Selbstbewußtsein als eins mit sich zu setzen.« (20 f. | 23 f.)
Für das übliche Verständnis objektbezogenen Wissens versucht die philosophische Reflexion, auf dem Kopf zu gehen. Das ist doppelt ironisch gemeint. Denn es geht in der Philosophie in der Tat darum, konkret darüber nachzudenken, was wir realiter tun, wenn wir Wissenschaft betreiben. Für die so betrachteten Wissenschaftler aber erscheint die Spekulation oder Metalogik als verkehrte Welt. Denn in der Wissenschaft scheint es um Objekte
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zu gehen, nicht um die Subjekte, die Wissenschaft betreiben. Es scheint um Wirklichkeit und Wahrheit zu gehen, nicht um Sätze und unsere Operationen mit ihnen. Gerade das natürliche Bewusstsein denkt in seinem scheinbar unmittelbaren Objektbezug verkehrt, und zwar erst recht dann, wenn es der Wissenschaft einfach vertraut, also glaubt, was die Wissenschaft über die Welt sagt. Erstens ist jedes höhere Wissen im natürlichen Bewusstsein, besser: im Lebensvollzug der Lebenswelt fundiert. Zweitens müssen wir im Wissen über das Wissen immer auf dem Kopf gehen, nämlich nachdenken, so dass die philosophische Wissenschaft vom Bewusstsein verlangt, das scheinbar unmittelbare Wissen des ›natürlichen‹ Bewusstseins einzuklammern und seine Herkunft und Form sinnkritisch zu befragen. In beiden Fällen, der Wissenschaft und der Philosophie als Logik des Wissens, gibt es eine Spannung zum ›natürlichen‹ Bewusstsein. Diese Spannung wird im weiteren Verlauf immer größer, und zwar weil im Vollzug des Urteilens der Urteilende am Ende stets die absolute Instanz ist – was immer der Inhalt des Urteils bzw. Schlusses ist. Wie ist diese unaufhebbare Subjektivität des mit-wissenden Urteilens mit einer nicht bloß subjektiven Wahrheit oder Wirklichkeit zu vermitteln? Wir müssen o=enbar die unmittelbare Selbstgewissheit im Vollzug verwandeln in ein reflektiertes Selbstwissen, das zwar selbst Vollzug ist, aber sich selbst als ganze Person zugleich zum Gegenstand des Wissens macht. Das ist die zentrale logische Bewegung der Phänomenologie des Geistes als Wissenschaft vom erscheinenden (Selbst-)Bewusstsein. Die Phänomenologie des Geistes ist eben damit auch Wissenschaftsphilosophie. Ihr besonderes Thema ist die begri=liche Ordnung der zentralen Worte unserer Reflexion auf mentale und geistige Fähigkeiten und Handlungen. Es geht ihr also nicht bloß um mein oder dein Selbstbewusstsein. Es geht um unser Selbstbewusstsein und das Selbstbewusstsein der Wissenschaft, also um eine sich selbst wissende Institution. Nur eine solche ist wahre Wissenschaft.
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»Dies Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens ist es, was diese Phänomenologie des Geistes als der erste Teil des Systems derselben, darstellt. Das Wissen, wie es zuerst ist, oder der unmittelbare Geist ist das Geistlose, das sinnliche Bewußtsein. Um zum eigentlichen Wissen zu werden oder das Element der Wissenschaft, das ihr reiner Begri= selbst ist, zu erzeugen, hat es sich durch einen langen Weg hindurch zu arbeiten. – Dieses Werden, wie es in seinem Inhalte und den Gestalten, die sich in ihm zeigen, aufgestellt ist, erscheint als etwas anderes dann als die Anleitung des unwissenschaftlichen Bewußtseins zur Wissenschaft; auch etwas anderes, als die Begründung der Wissenschaft, – so ohnehin als die Begeisterung, die wie aus der Pistole mit dem absoluten Wissen unmittelbar anfängt und mit andern Standpunkten dadurch schon fertig ist, daß sie keine Notiz davon zu nehmen erklärt.« (21 f. | 24)
Ausgangspunkt der Bewegung ist das ›geistlose‹ Bewusstsein, die Vigilanz, Awareness und Attention, also das aufmerksame Erleben, das ›sinnliche Bewusstsein‹ – wie es auch Kinder und Tiere haben, die noch nicht begri=lich denken können. Aus diesen Anfängen entwickeln wir und entwickeln sich Bildung und Wissenschaft. Aber auch ein bloß schematisch erlerntes Wissen und Können ist in gewissem Sinn zunächst noch relativ geistlos, auch wenn andere bei der Entwicklung der Schemata schon tief und geistvoll denken mussten. Es wird großer Geduld bedürfen, zu sehen, wie verwickelt ein Wissen des Wissens und wissenschaftliches Selbstbewusstsein ist – besonders wenn die Logik des Wissens und Selbst explizit darzustellen ist. 28
»Die Aufgabe aber, das Individuum von seinem ungebildeten Standpunkte aus zum Wissen zu führen, war in ihrem allgemeinen Sinn zu fassen und das allgemeine Individuum, der Weltgeist [man beachte die Variante »der selbstbewußte Geist«, PSW], in seiner Bildung zu betrachten. – Was das Verhältnis beider betri=t, so zeigt sich in dem allgemeinen Individuum jedes Moment, wie es die konkrete Form und eigne Gestaltung gewinnt. Das besondere Individuum aber ist der unvollständige Geist, eine konkrete Gestalt, deren ganzes Dasein Einer Bestimmtheit zufällt, und worin die andern nur in ver-
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wischten Zügen vorhanden sind. In dem Geiste, der höher steht als ein anderer, ist das niedrigere konkrete Dasein zu einem unscheinbaren Momente herabgesunken; was vorher die Sache selbst war, ist nur noch eine Spur; ihre Gestalt ist eingehüllt und eine einfache Schattierung geworden. Diese Vergangenheit durchläuft das Individuum, dessen Substanz der höher stehende Geist ist, auf die Art, wie der, welcher eine höhere Wissenschaft vornimmt, die Vorbereitungskenntnisse, die er längst inne hat, um sich ihren Inhalt gegenwärtig zu machen, durchgeht; er ruft die Erinnerung desselben zurück, ohne darin sein Interesse und Verweilen zu haben. So durchläuft jeder einzelne auch die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist; wie wir in Ansehung der Kenntnisse das, was in früheren Zeitaltern den reifen Geist der Männer beschäftigte, zu Kenntnissen, Übungen und selbst Spielen des Knabenalters herabgesunken sehen, und in dem pädagogischen Fortschreiten die wie im Schattenrisse nachgezeichnete Geschichte der Bildung der Welt erkennen werden. Dies vergangne Dasein ist bereits erworbnes Eigentum des allgemeinen Geistes, der die Substanz des Individuums oder seine unorganische Natur ausmacht. – Die Bildung des Individuums in dieser Rücksicht besteht, von der Seite aus betrachtet, darin, daß es dies Vorhandne erwerbe, seine unorganische Natur in sich zehre und für sich in Besitz nehme. Dies ist aber eben so sehr nichts anders, als daß der allgemeine Geist oder die Substanz sich ihr Selbstbewußtsein gibt, oder ihr Werden und Reflexion in sich.« (22 f. | 24 f.)
Lange vor den evolutionstheoretischen Neuigkeiten nach Darwin erläutert Hegel die Parallelität der ›Phylogenese‹ oder Entwicklung des allgemeinen Geistes in einer rationalen Nachkonstruktion von logisch-methodologischen Stufungen in der Entwicklung menschlicher Kultur je bis heute mit der ›Ontogenese‹ der Bildung der einzelnen Personen andererseits. Diese Parallelität ist analog zur Parallelität von Politeia und Psyche bei Platon, nur dass jetzt eine zeitliche Dynamik hinzukommt. Die ›Society of Mind‹ des Einzelnen entwickelt sich aus der realen Gesellschaft, indem die Person zur Person wird, also diverse soziale und ›lo-
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gische‹ Rollen zu spielen und dann auch planen und dabei sich vorzustellen lernt. 29
»Die Wissenschaft stellt diese bildende Bewegung sowohl in ihrer Ausführlichkeit und Notwendigkeit, als das, was schon zum Momente und Eigentum des Geistes herabgesunken ist, in seiner Gestaltung dar. Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was das Wissen ist. Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel. Einesteils ist die Länge dieses Wegs zu ertragen, denn jedes Moment ist notwendig; – andernteils bei jedem sich zu verweilen, denn jedes ist selbst eine individuelle ganze Gestalt, und wird nur absolut betrachtet, insofern seine Bestimmtheit als Ganzes oder Konkretes, oder das Ganze in der Eigentümlichkeit dieser Bestimmung betrachtet wird. – Weil die Substanz des Individuums, weil sogar der Weltgeist die Geduld gehabt, diese Formen in der langen Ausdehnung der Zeit zu durchgehen und die ungeheure Arbeit der Weltgeschichte zu übernehmen, und weil er durch keine geringere das Bewußtsein über sich erreichen konnte, so kann zwar der Sache nach das Individuum nicht mit weniger seine Substanz begreifen. Inzwischen hat es zugleich geringere Mühe, weil an sich dies vollbracht, – der Inhalt schon die zur Möglichkeit getilgte Wirklichkeit und die bezwungne Unmittelbarkeit ist. Schon ein Gedachtes, ist er Eigentum der Individualität; es ist nicht mehr das Dasein in das Ansichsein, sondern nur das Ansich in die Form des Fürsichseins umzukehren, dessen Art näher zu bestimmen ist.« (23 f. | 25 f.)
Hegels Phänomenologie des Geistes schlägt einen ungeheuren gedanklichen Bogen in einer unglaublichen Suspension und Retardation, Verlangsamung, des Urteilens und Schließens. Das muss man sozusagen als Vorwarnung bei jeder Lektüre berücksichtigen. Ziel ist die Einsicht in das, was Wissen ist. In der Verfolgung dieses Ziels dürfen wir aber nicht ungeduldig sein. Die Entwicklung des Menschen hat sich auch Zeit gelassen. Es geht uns in einer philosophischen Phänomenologie aber nicht um eine detaillierte Nacherzählung der Entwicklung zum Menschen, sondern um logische und methodologische Stufen, denen transzendentallogische Voraussetzungen entsprechen: Jede Stufe setzt die
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frühere voraus. Wie das gemeint ist, zeigt das Beispiel geistiger Handlungen. So kann es erst Komponisten und Dirigenten geben, wenn es Notenschriften gibt. Ein Dirigent muss musikalische Noten lesen und durchaus auch still ›hören‹ können. Entsprechend bedarf es der Schrift, bevor es eine Schriftreligion oder verschriftlichtes Wissen geben kann. Das sind nur völlig triviale Beispiele. Jeder Inhalt des Denkens ist eigentlich schon Eigentum des ›allgemeinen‹ Wissens, der ›Substanz‹, nicht bloß des Denkers, der den Gedanken bloß ›ergreift‹ oder ›aufgreift‹, indem er ihn im Rahmen des Wissenssystems artikuliert oder vergegenwärtigt. Wir müssen daher das Ergreifen des Gedankens vom Gedanken selbst unterscheiden, sein allgemeines An-sich von dem Fürsich der Aktualisierung einer Repräsentation des Gedankens etwa durch mich hier und jetzt. Übrigens wird man entsprechend den allgemeinen Willen als Form des intentionalen Handelns, und zwar sowohl des individuellen wie des kollektiv-gemeinsamen Handelns, von der Einzelwillkür zu unterscheiden haben: Letztere aktualisiert eine mögliche Wahl, die der allgemeine Wille erst ermöglicht. Wie man sieht, ist die Rede von einem (allgemeinen) Willen alles andere als logisch trivial. »Was dem Individuum an dieser Bewegung erspart ist, ist das Aufheben des Daseins; was aber noch übrig ist, ist die Vorstellung und die Bekanntschaft mit den Formen. Das in die Substanz zurückgenommene Dasein ist durch jene erste Negation nur erst unmittelbar in das Element des Selbsts versetzt; es hat also noch denselben Charakter der unbegri=nen Unmittelbarkeit oder unbewegten Gleichgültigkeit als das Dasein selbst, oder es ist nur in die Vorstellung übergegangen. – Zugleich ist es damit ein Bekanntes, ein solches, mit dem der Geist fertig geworden, worin daher seine Tätigkeit und somit sein Interesse nicht mehr ist. Wenn die Tätigkeit, die mit dem Dasein fertig wird, die unmittelbare oder daseiende Vermittlung, und hiemit die Bewegung nur des besonderen sich nicht begreifenden Geistes ist, so ist dagegen das Wissen gegen die hierdurch zustande gekommne
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Vorstellung, gegen dies Bekanntsein gerichtet; es ist das Tun des allgemeinen Selbsts und das Interesse des Denkens.« (24 f. | 26)
Die Vorstellungen von Gedanken und die Bekanntschaft mit den Formen ihrer Darstellung gehören der Ebene der Aktualisierungen, des Vollzugs, des Fürsichseins an. Der Vollzug erscheint als unmittelbar, ist es aber nicht. Denn die allgemeinen Formen sind es, die aktualisiert oder ›performiert‹ werden. Die Formen sind schon allgemein bekannt. Der Geist ist mit ihnen sozusagen schon fertig geworden – so wie es heute eben Formen wie die des musikalischen Komponierens und Dirigierens gibt. Wir haben also insbesondere die Formenreproduktion von der Entwicklung ›neuer‹ Formen zu unterscheiden. 31
»Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt voraus zu setzen und es sich ebenso gefallen zu lassen; mit allem Hin- und Herreden kommt solches Wissen, ohne zu wissen wie ihm geschieht, nicht von der Stelle. Das Subjekt und Objekt usf., Gott, Natur, der Verstand, die Sinnlichkeit usf. werden unbesehen als bekannt und als etwas Gültiges zu Grunde gelegt und machen feste Punkte sowohl des Ausgangs als der Rückkehr aus. Die Bewegung geht zwischen ihnen, die unbewegt bleiben, hin und her und somit nur auf ihrer Oberfläche vor. So besteht auch das Auffassen und Prüfen darin, zu sehen, ob jeder das von ihnen Gesagte auch in seiner Vorstellung findet, ob es ihm so scheint und bekannt ist oder nicht.« (25 | 26 f.)
In objektstufiger Rede wird immer schon unterstellt, dass der Bezug der namenartigen Ausdrücke bekannt ist. Diese Präsuppositionen sind Hauptursache für einen ontischen Glauben, der gerade nicht selbstbewusst weiß, wovon er redet. Das ist nirgends so dramatisch wie in der Rede von Gott, Natur, Verstand, Vernunft. Aber auch der Kontrast von Subjekt und Objekt ist noch keinesfalls begri=en. Das konkrete Verstehen scheitert in solchen Fällen an falschen Voraussetzungen von angeblichen Bekanntheiten. Wir meinen etwas zu verstehen, was wir nur oberflächlich kennen. Sogar das Wort »Sinnlichkeit« ist nur ein technischer Titel
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Kommentar zu Hegels Vorrede
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oder eine Art nominales Hilfswort zum Zwecke einer logischen Reflexion auf den Zusammenhang von Empfindungen, Spürungen, enaktiven Perzeptionen, dingbezogener Anschauung und begri=lich schon di=erentiell und inferentiell bestimmter WahrNehmung als Basis von wahrhaftigen akkuraten und ho=entlich wahren Wahrnehmungsurteilen. »Das Analysieren einer Vorstellung, wie es sonst getrieben worden, war schon nichts anderes als das Aufheben der Form ihres Bekanntseins. Eine Vorstellung in ihre ursprünglichen Elemente auseinanderlegen, ist das Zurückgehen zu ihren Momenten, die wenigstens nicht die Form der vorgefundenen Vorstellung haben, sondern das unmittelbare Eigentum des Selbsts ausmachen.« (25 | 26)
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Hegel selbst erläutert hier, dass und wie jede Begri=sanalyse dialektische Aufhebung, rationale Nachkonstruktion und Explikation impliziter Gebrauchsformen und empraktischer semantischer Inhalte ist. In idiosynkratischer Weise formuliert Hegel zugleich die Einsicht, dass so genannte Analysen Modellkonstruktionen sind, die wir als etwas anderes neben ein zu analysierendes Phänomen setzen, um im Vergleich mit ihnen wichtige und typische Momente des Phänomens sehen zu lassen. Analysen sind also immer auch logische Re-Konstruktionen. In der Verschiedenheit und Bezogenheit von Phänomen (qua Typ) und der es analysierenden Rekonstruktion besteht gerade das wichtige Paradox der Analyse. »Diese Analyse kommt zwar nur zu Gedanken, welche selbst bekannte, feste und ruhende Bestimmungen sind. Aber ein wesentliches Moment ist dies Geschiedne, Unwirkliche selbst; denn nur darum, daß das Konkrete sich scheidet und zum Unwirklichen macht, ist es das sich Bewegende. Die Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten oder vielmehr der absoluten Macht.« (25 | 26)
Die »Analyse kommt zwar nur zu Gedanken (also Sätzen), welche selbst bekannte, feste und ruhende Bestimmungen sind«. Aber ein wesentliches Moment ist dies Geschiedene, also das Andere des Modells, das im Modell und durch das Modell Analysierte. Das Modell als Konstruktion ist etwas ›Unwirkliches‹, von dem
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sich das Konkrete unterscheidet. In der Analyse einer impliziten oder empraktischen Vorstellung nun wird das, was vorher in der impliziten Form und im empraktischen Vollzug das Reale war, zum Unwirklichen gemacht. Nur dadurch wird die Analyse wirksam. Zusammen mit den analysierten Vorstellungen wird es zu etwas, das sich selbst bewegt. Es ist die Selbstbewegung des Begri=s in der Analyse. Der Verstand ist das Vermögen zu di=erenzieren, unterscheiden, trennen, aber auch, wie Kant sagt, das Vermögen, expliziten schematischen, toten, Regeln zu folgen, was die Anwendung von analysierenden Modellexplikationen einschließt. Dabei macht diese Scheidekraft des Di=erenzierens und des di=erentiellen Folgerns, also der Verstand, durchaus den Kern personaler Intelligenz und damit der sapientia des homo sapiens sapiens aus. Es folgt ein Bild mit zunächst durchaus unklarem Bezug. 32 c
»Der Kreis, der in sich geschlossen ruht und als Substanz seine Momente hält, ist das unmittelbare und darum nicht verwundersame Verhältnis.« (25 | 27)
Was ist mit dem »Kreis, der in sich geschlossen ruht und als Substanz seine Momente hält« gemeint? Spricht Hegel hier von spiralförmigen Erfahrungen im empirischen Umgang mit materialbegri=lichen Theorien? Ist es also der Kreis der Anpassung eines allgemein schematischen Verstandes an die Welt mit konkreter Urteilskraft? Ist es die Anpassung der allgemeinen Regeln an das Besondere? Auch im Folgenden ist der Bezug zunächst unklar. 32 d
»Aber daß das von seinem Umfange getrennte Akzidentelle als solches, das gebundne und nur in seinem Zusammenhange mit anderm Wirkliche, ein eignes Dasein und abgesonderte Freiheit gewinnt, ist die ungeheure Macht des Negativen; es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs.« (25 f. | 27)
Irgendwie spricht Hegel noch immer von den erworbenen Fähigkeiten des schematisierten Verstandes. Womöglich denkt er auch daran, dass ein zunächst akzidenteller Einfall zu einer strukturellen Erklärung werden kann. In jedem Fall aber verweist Hegel darauf, dass in jeder Analyse das personale Subjekt selbst
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frei urteilen muss, und zwar in Bezug darauf, ob das analysierende Modell auf das zu analysierende Phänomen passt, und inwiefern es passt. Analyse ist damit eine Version der Explikation. Und Explikation ist ein Hilfsmittel des eigenständigen Urteilens. Das ist übrigens auch dann so, wenn das Modell lebendige Formen schematisch darstellt – so als wären es ›tote‹ oder ›mechanische‹ Abläufe! Hegel fährt dann in entsprechender Weise fort. »Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote fest zu halten das, was die größte Kraft erfodert.« (26 | 27)
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Die Rede vom Tod bezieht sich, wie schon erläutert, wohl auf das rein schematische Denken, die Scheidekraft des Di=erenzierens, dann auch der Analyse und der wissenschaftlichen Rekonstruktion. Das Schematische der Modelle führt zu einem toten Rechnen im Modell, wenn man von der Projektion auf das Modellierte abstrahiert. Aber auch das Unterscheiden und Schließen gemäß einer angeeigneten Gewohnheit ist bloß erst totes Verhalten. Im Detail sind hier allerdings durchaus noch viele Dinge unklar. Meint Hegel etwa, dass das Statische und Ewige der mathematischen Darstellung Bewegungen und Prozesse bloß analogisch darstellen, dass damit das ›Lebendige‹ des Prozesses das Ansehen von etwas Totem oder Unbewegtem erhält? Dafür spricht der nächste Satz, der die formale, analytische Wissenschaft jetzt scheinbar überraschenderweise gegen eine bloß scheinbar lebendigere Kunst und erbauliche Religion massiv verteidigt. »Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. – Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.« (26 | 27)
Es geht hier um die Spannung zwischen den scheinbar abstrakten Theorien bzw. schematisierenden Modellen und ihrer Erklärungskraft. Die Kritik richtet sich gegen alle, welche forma-
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le Strukturmodelle zugunsten von lebendigen, etwa narrativen, romanartigen, Darstellungen verabscheuen. Es liegt nicht am akademischen Stil, sondern an ihrem Thema, der Logik, warum echte Philosophie immer auch, wie Hegel selbst ironisch sagt, als abstrus erscheint und warum Autoren, welche das schöne Wort dem wahren Gedanken vorziehen, keine Freunde der Philosophie sind. 32 g
»Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt.« (26 | 27)
Es ist das Operieren mit scheinbar ›toten‹ Schemata, welches den Verstand auszeichnet und ihm seine Macht gibt. Denn Schematisierungen werden zu Trägern von allgemeinem, schnell und leicht lehr- und lernbarem Erfahrungswissen. Das liegt daran, dass sie zu Schemata des Handelns und des Schließens werden, welche es ermöglichen, Wissen auf allgemein kontrollierbare Weise zu verdichten, also sehr viel an inferentiellem Wissen in wenigen Sätzen sicher auszudrücken. Die Entwicklung von Wissen und Begri= verlangt in der Tat die Entwicklung von Abstraktionen und leicht lernbaren Schematisierungen. Gerade das, was zunächst als totes Schema erscheint, wird damit zur Methode lebendigen Denkens, freilich nicht ohne eine entsprechende Projektion auf die Welt der realen Erfahrungen. Zunächst aber denken wir in den Schemata der Symbolisierungen, in Analogien, und gebrauchen mehr oder weniger unbewusst statische Modelle der mathesis, der lehrbaren ›Strukturen‹. 32 h
»Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt. – Sie ist dasselbe, was oben das Subjekt genannt worden, welches darin, daß es der Bestimmtheit in seinem Elemente Dasein gibt, die abstrakte, d. h. nur überhaupt seiende Unmittelbarkeit aufhebt und dadurch die wahrhafte Substanz ist, das Sein oder die Unmittelbarkeit, welche nicht die Vermittlung außer ihr hat, sondern diese selbst ist.« (26 | 28)
Die Stabilität des Ich, bei allem Wechsel einzelner Akte im Voll-
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zug, ist ein Verweilen in stabilen Formen, die man reproduzieren und wieder erkennen kann. Ohne sie zerfleddern wir in mosaikartige Einzeltätigkeiten. Das Ich der Person ist zunächst Verstand, also die Fähigkeit, gelernten Normen und schematischen Regeln zu folgen. Das Denken in Modellen, das Repräsentieren oder schematische Vor-Stellen ist dabei etwas, was ich teils mechanisch, teils konstruktiv tue und was wir beliebig reproduzieren (können). Hier müssen wir nicht auf Widerfahrnisse warten. Hier sind wir, was wir sind: denkende Wesen. Und nur die Formen geben uns Substanz. »Daß das Vorgestellte Eigentum des reinen Selbstbewußtseins wird, diese Erhebung zur Allgemeinheit überhaupt ist nur die eine Seite, noch nicht die vollendete Bildung. – « (26 | 28)
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Die Aneignung gegebener Schemata oder auch Vorstellungen ist zwar wichtig, aber noch nicht ausreichend. Hinzu kommt die eigenständige Kontrolle der Inhalte und Formen in ihrer jeweiligen Anwendung. Eine solche Kontrolle fehlt jedem, der die Schemata am Ende rein gewohnheitsmäßig gebraucht oder bloß gefühlsartig, wie wenn er bloß in ihnen abgerichtet wäre. Abrichtungen können aber nur ein automatisiertes Verhalten erzeugen, keine tätige Handlungskontrolle. Rein automatisiertes Verhalten gehört daher noch in den Bereich der Widerfahrnisse. In die Anfangsgründe des Gebrauchs von Schemata werden wir nicht durch Abrichtungen eingeführt, sondern durch ein freies Nachmachen von ausführbaren Handlungsformen. Computer werden programmiert, Menschen nicht, und das selbst dann nicht, wenn es manchmal so aussieht. Wenn wir zum Beispiel die Antike betrachten, erkennen wir, wie sich eine selbstbewusste Wissenschaft aus einem ›natürlichen‹ Wissen zunächst versuchsweise entwickelt. »Die Art des Studiums der alten Zeit hat diese Verschiedenheit von dem der neuern, daß jenes die eigentliche Durchbildung des natürlichen Bewußtseins war. An jedem Teile seines Daseins sich besonders versuchend und über alles Vorkommende philosophierend, erzeugte es sich zu einer durch und durch betätigten Allgemeinheit. In der
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neuern Zeit hingegen findet das Individuum die abstrakte Form vorbereitet; die Anstrengung, sie zu ergreifen und sich zu eigen zu machen, ist mehr das unvermittelte Hervortreiben des Innern und abgeschnittne Erzeugen des Allgemeinen als ein Hervorgehen desselben aus dem Konkreten und der Mannigfaltigkeit des Daseins.« (26 | 28)
Man meint heute, das Wissen bloß individuell lernen zu müssen und es sich dadurch »zu eigen zu machen«. Man sieht daher nicht mehr, wie das allgemeine Wissen bzw. der Begri= selbst aus kollektiven Erfahrungen aus der geschichtlichen Entwicklung konkreter Kooperationen in den Mannigfaltigkeiten des gemeinsamen Daseins hervorgeht. Wir ›setzen‹ Formen des Unterscheidens und Schließens in und aus diesen Erfahrungen heraus und tradieren sie als Vollzugsformen im Reden und Handeln. 33 c
»Itzt besteht darum die Arbeit nicht sosehr darin, das Individuum aus der unmittelbaren sinnlichen Weise zu reinigen und es zur gedachten und denkenden Substanz zu machen, als vielmehr in dem Entgegengesetzten, durch das Aufheben der festen, bestimmten Gedanken das Allgemeine zu verwirklichen und zu begeisten. Es ist aber weit schwerer, die festen Gedanken in Flüssigkeit zu bringen, als das sinnliche Dasein. Der Grund ist das vorhin Angegebene; jene Bestimmungen haben das Ich, die Macht des Negativen oder die reine Wirklichkeit zur Substanz und zum Element ihres Daseins; die sinnlichen Bestimmungen dagegen nur die unmächtige abstrakte Unmittelbarkeit oder das Sein als solches. Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere Unmittelbarkeit, sich als Moment erkennt, oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahiert, – nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Konkreten, welches Ich selbst im Gegensatze gegen unterschiedenen Inhalt ist, als das Fixe von Unterschiedenen, die, im Elemente des reinen Denkens gesetzt, an jener Unbedingtheit des Ich Anteil haben. Durch diese Bewegung werden die reinen Gedanken Begri=e und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten.« (26 f. | 28 f.)
Das erste Problem war, der Willkür des Einzelhandelns eine
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stabile Form, die Form des Wissens zu geben. Wenn solche Formen schematisch tradiert werden, entsteht das entgegengesetzte Problem, die Formen als freie Vollzugsformen zu begreifen. Der Weg vom Verstand zur Vernunft und von der Vernunft zum Geist ist weit und schwierig. Es ist der Weg vom schematischen Denken des je Einzelnen zur Reflexion auf den Status der Schemata. Er führt zum Projekt autonomer Vernunft. Und er führt zur Einsicht, dass es nur die gemeinsame Lebenswelt der Menschen, der Geist, ist, der für den Einzelnen eine vernünftige Selbstbestimmung und die Teilhabe an der Entwicklung des Geistes ermöglicht. Wir alle also sind immer schon Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Verstand, Vernunft, Geist. Wir sind es, insofern wir an diesen Denk- und Handlungsformen personaler Praxis teilhaben. Im Normalgebrauch der Sprache unterstellen wir die semantisch konstitutiven begri=lichen Bestimmungen und das sie tragende generische Wissen einfach als eine Art ewige Wahrheit. Zu sehen, dass und wie sich mit dem generischen Wissen die materialbegri=lichen Voraussetzungen des Verstehens ändern, ist nicht einfach zu begreifen. Andererseits sind materialbegri=liche Selbstverständlichkeiten wie z. B. die, dass höhere Tiere spätestens nach ihrer Geburt unteilbare Individuen sind oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, dass der vierte Winkel im ebenen Rechteck den anderen drei Winkeln gleich ist, ›ewig‹ und von der Einzelerfahrung unabhängig. Als begri=liche Wahrheiten hängen sie dennoch sowohl von einer ganz allgemeinen Erfahrung ab, als auch einer vernünftigen Setzung oder ›Entscheidung‹, die in gewissem Sinn ›festlegt‹, was ›a priori‹ generisch (bzw., was dasselbe ist, materialbegri=lich) konventionell ›folgt‹, was man also folgern darf und kann, wenn z. B. von Rechtecken oder lebendigen Tieren die Rede ist. Dabei mag in vielen Fällen das generische Wissen, das uns auf der Basis bestimmter Unterscheidungen gewisse Formen des Schließens erlaubt, immer nur das als bestmöglich gesetzte Wissen in einer Epoche sein, also in der irgendwie ›eingegrenzten‹ Zeit der so genannten Gegenwart des Sprechers. So hat man lange Zeit, auch schon lange vor der Phlo-
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gistontheorie Stahls, den Prozess des Verbrennens als Freisetzung eines gewissen leichten und flüchtigen Feuersto=es dargestellt, in dem zugleich auch Asche als das Erdsto=artige zurückbleibt. Diese Theorien der Sto=e Feuer und Erde, dann auch Wasser und Luft, und die entsprechenden Theorien der Sto=umwandlung taugten zwar nur begrenzt als Kommentare zu den real beobachtbaren chemischen Prozessen. Aber sie werden erst richtig falsch, wenn man den Verbrennungsprozess technisch genauer ansieht und bemerkt, dass die gesamte Masse der entstehenden Gase, samt der Asche, zunimmt, wo sich Sauersto= mit Kohlensto= zu CO2 verbindet, und dass es gar keinen eigenen Feuersto= gibt. Das generische, gerade auch theoretisch geformte, Wissen stellt dabei der Idee nach das bleibende Wesen der Dinge dar, ihre Wesenheiten: Dabei ›bewegt‹ sich mit der Entwicklung des generischen Wissens sowohl der Begri= als auch das Wesen der Dinge. Das letztere gilt allerdings immer nur je für uns, d. h. für die Menschen in den verschiedenen Epochen mit ihren unterschiedlichen Weisen, über die Dinge zu reden, nicht für die Seinsweise der Dinge für sich, also dafür, wie wir von heute her sagen, dass sich die Dinge wirklich verhalten. Wir stellen daher unser heutiges Wissen immer als die Wahrheit den früheren Theorieformen gegenüber und lassen es so erscheinen, als hätte man früher das und das bloß geglaubt, während wir heute das und das wissen. In dieser Form zu reden entsteht dann aber die Gefahr, dass für den, der geschichtlich denkt, das gegenwärtige Wissen selbst zu einem bloßen Glauben wird, mit der unglücklichen Folge, dass die Di=erenz zwischen Glauben und Wissen evaporiert, sich auflöst. In gerade dieser Lage ist der gegenwärtige Pluralismus und Relativismus, mit besonders lautstarken oder amüsanten Wortführern wie Paul Feyerabend. Daher ist es eine logisch nicht triviale Aufgabe, neben der Anerkennung der diachronen Entwicklung des realen Wissens bzw. der materialbegri=lichen Netzwerke der Inhaltsbestimmungen der Wörter im Unterscheiden und Schließen die je gegenwärtige oder synchrone Unterscheidung zwischen einem bloßen Glauben und einem Wissen zu bewahren. Es ist einfach
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kein bloßer Glaube, dass es Sauersto= gibt, elektromagnetische Wellen oder Elektronen, sondern ein Wissen. Dem gegenüber steht der bloße Glaube an einen durchgängigen Kausalnexus, also die Meinung, es ließe sich auf der Grundlage sozusagen des wissenschaftlichen Alphabets physikalischen Wissens alle Ereignisse in der Welt als prädeterminiert erklären, wenn wir nur in unseren Zusammenlegungen dieser Buchstaben hinreichend weit gekommen seien. Es gibt absolut keinen Grund für diesen Glauben. Es gibt im Gegenteil viele Gründe, an ihm zu zweifeln. Schon die Vorhersagbarkeit menschlicher Handlungen ist ein reiner Mythos, auch wenn man verbale Vorhersagen der Art des Ödipusorakels liebt, das bekanntlich besagte: Egal was passieren wird, Ödipus wird seinen Vater Laios töten. Es ist kein Zufall, dass manche Prognosen dieser Art rein zufällig in Erfüllung gehen. Eben daher dürfen wir sie nicht als ernst zu nehmende Vorhersagen behandeln. Wir dürfen ihnen nicht glauben, geschweige denn, sie als Wissen ansehen. »Diese Bewegung der reinen Wesenheiten macht die Natur der Wissenschaftlichkeit überhaupt aus.« (27 | 29)
Die Rede von einer ›Bewegung der Wesenheiten‹ ist ganz offenbar nicht objektstufig (naiv ontisch) zu begreifen. Sie betri=t die Entwicklung unseres wissenschaftlichen Systems von Wesensaussagen. Es geht um generische Aussagen über Typisches, Allgemeines, über wieder erkennbare oder tätig wiederholbare Formen, wie sie als materialbegri=liche Wahrheiten und Schlussformen sinnkonstitutiv für sprachliche und andere symbolische Repräsentationen von realer Welt und möglichen Zukünften werden. Wer für den Gedanken eine Parallele in der Gegenwartsphilosophie sucht, findet ihn in Thomas Kuhns Überlegungen zur Rolle der von ihm so genannten Paradigmen für das Verstehen. Er spricht auch von Paradigmenwechseln der Darstellung von Welt40, wie sie manchmal Folge neuer Erkenntnisse sind, manchmal bloß daher rühren, dass eine Art Mehrheitsentscheidung über den 40
Vgl. Kuhn 1996.
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Darstellungsrahmen und das materialbegri=liche Inferenzsystem stattfindet. Das geschieht zumeist so, dass diese Entscheidungen uns gar nicht als Entscheidungen bewusst sind, weil sie sich, wie viele kollektive ›Entscheidungen‹ dieses Typs, eher ereignisartig ergeben. Hegel verlangt hier eine Explikation oder strukturelle Rekonstruktion der impliziten Entscheidungen, samt einer normativen Evaluation ihrer Tragfähigkeit. Thomas Kuhns soziologische und historische Wissenschaftsanalyse führt zu einer Art evolutionären ›Zufallstheorie‹ der Wissenschaft. Hegel besteht darauf, die Frage nach der Vernunft in der Wissenschafts- und Wissensgeschichte ernst zu nehmen. Allerdings ist mit Hegel zuzugeben, dass die historische Erzählung immerhin ein erster Schritt in die Richtung eines geschichtlichen Selbstbewusstseins über das Begri=liche in seiner Fundierung im generischen Wissen ist. 34 b
»Als der Zusammenhang ihres Inhalts betrachtet, ist sie die Notwendigkeit und Ausbreitung desselben zum organischen Ganzen. Der Weg, wodurch der Begri= des Wissens erreicht wird, wird durch sie gleichfalls ein notwendiges und vollständiges Werden, so daß diese Vorbereitung aufhört, ein zufälliges Philosophieren zu sein, das sich an diese und jene Gegenstände, Verhältnisse und Gedanken des unvollkommenen Bewußtseins, wie die Zufälligkeit es mit sich bringt, anknüpft oder durch ein hin und hergehendes Räsonnement, Schließen und Folgern aus bestimmten Gedanken das Wahre zu begründen sucht; sondern dieser Weg wird durch die Bewegung des Begri=s die vollständige Weltlichkeit des Bewußtseins [sic!, PSW] in ihrer Notwendigkeit umfassen.« (27 | 29)
In Hegels Merksätzen vom Ende der Gesamtuntersuchung her, aber auch nur von dort her, lässt sich sagen, dass eine erzählte Geschichte des Wissens oder der epist¯em¯e sich ohnehin nur auf den objektiven Geist beziehen kann, nicht aber auf den absoluten Geist, der wir selbst sind. Wenn man die eigene Position reflexiv thematisiert, ist der objektive Geist das, was es an Handlungsformen zu lernen gibt. Der absolute Geist aber ist das,
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was wir dann realiter tun und wie wir uns realiter zu den uns gegebenen Möglichkeiten frei urteilend und handelnd verhalten. Dabei gehört die Feier des Geistes und der Freiheit in religiösen Riten ebenso zum absoluten Geist wie eine säkulare Haltung des Dankes dafür, dass es uns als denkende Wesen in der Welt gibt. Unglücklicherweise gehört auch die self-fulfilling prophecy des nihilistischen Pessimismus und Fatalismus dazu, die Anklage der Welt des Selbstmörders etwa oder die haltungsartige und damit absolute Weltanschauung eines Schopenhauers oder Buddhas, nach der angeblich alles Leben in diesem irdischen Jammertal nur ewig wiederkehrendes sinnloses Leiden sei: Eine solche Weltanschauung ist insofern heillos, als es kein Argument gibt, das jemanden dazu bringen oder gar zwingen könnte, von der entsprechenden Haltung Abstand zu nehmen. Und doch gibt es, wie Nietzsche immerhin in Reaktion auf Schopenhauer nach Kräften herausarbeiten wird, tausend Gründe, warum wir uns um eine andere, bessere, Haltung zur Welt bemühen sollten. Die vollständige Weltlichkeit des Bewusstseins in seiner Notwendigkeit zu erfassen, bedeutet dabei eben dies: Alle so genannten transzendentalen Voraussetzungen des Wissens, Bewusstseins oder Selbstbewusstseins sind als Ergebnisse innerweltlicher Entwicklungen zu begreifen. Eben das gilt auch für alles Geistige in Wissenschaft, Religion und Kunst, vom Gottesglauben über die spekulative (›rationale‹) und empirische Psychologie bis zum zivilreligiösen Geniekult, wie er bis heute weltweit romantisch wirksam ist. Es ist noch bei Weitem nicht allgemein verstanden worden, wie radikal und tief Hegels Verweltlichung oder ›Säkularisierung‹ des Geistes ist. Die Notwendigkeit dieser Säkularisation oder doch besser Verweltlichung ergibt sich daraus, dass es zu ihr keine Alternative gibt ohne ein sacrificium intellectus, die Aufopferung der eigenen Vernunft. Ein zugehöriges Wunschdenken manifestiert sich nicht etwa bloß im Glauben an eine unsterbliche Seele als einem Eckpunkt religiösen Aberglaubens, sondern gerade auch in einem Szientismus, der das ›kleine‹ Wissen der jeweiligen Gegenwart in seinen Allwissen-
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heits- und Allmachtsphantasien maßlos überschätzt. Die Physik z. B. ist keine ›Theorie der ganzen Welt‹. Denn über ein derartiges Ganzes gibt es gar keine wissenschaftliche Theorie. Der Physikalismus ist daher bloß ein Ismus, eine glaubensphilosophische Weltanschauung. In der Physik gibt es nur lokale Theorien für gewisse Bewegungsformen von Körpern oder für Phänomene der Elektrodynamik, neuerdings in Verbindung mit unserem theoretisch artikulierten Wissen über atomare und subatomare Prozesse usf. Dabei ist sowohl der logische Status unserer eigenen Idealisierungen als auch der Formen unserer ›spekulativen‹ (also logischen) Meta-Reflexionen angemessen zu verstehen. Das gilt gerade auch für die leitenden Ideen in unseren Institutionen. Diese sind immer auch in ihren realen Funktionen zu begreifen. 35
»Eine solche [d. h. zunächst narrative, historische, auch phänomenologische, PSW] Darstellung macht ferner den ersten Teil der Wissenschaft darum aus, weil das Dasein des Geistes als Erstes nichts anderes als das Unmittelbare oder der Anfang, der Anfang aber noch nicht seine Rückkehr in sich ist. Das Element des unmittelbaren Daseins ist daher die Bestimmtheit, wodurch sich dieser Teil der Wissenschaft von den andern unterscheidet. – Die Angabe dieses Unterschiedes führt zur Erörterung einiger festen Gedanken, die hiebei vorzukommen pflegen.« (27 f. | 29)
Die Phänomenologie des Geistes als Wissenschaftswissenschaft ist Erste Philosophie, Metaphysik, im oben schon erläuterten Sinn. Alle Entwicklungen treten uns dann aber zunächst in einer erzählten Entwicklungsgeschichte gegenüber. Das ist so, weil die Erzählung Wiedergabe von einzelnen und kollektiven Vollzügen ist. Sie ist artikuliert in der unmittelbaren Verbalform: Es geschah dieses, dann geschah jenes. Es wurde das getan, dann das. Die Formen des Tuns und seine begri=lichen (Tiefen-)Strukturen werden so nicht analysiert, sondern in den Wörtern, die in der narrativen Darstellungsform gebraucht werden, als bekannt vorausgesetzt. Wir haben aber in einer Darstellung der Entwicklung zwischen den ›sich bewegenden‹ Aspekten des generischen
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Wissens und dem, was (relativ) fest bleibt, zu unterscheiden. Es ergibt sich daraus eine Art methodische Ordnung im Wissen und im Begri=ssystem, die immer auch der Unterscheidung zwischen allgemeinem Rahmen und besonderen Ausdi=erenzierungen korrespondiert. Die methodischen Ordnungen des Geistes sind das Thema einer Wissenschaft vom erscheinenden Mit-Wissen oder Bewusstsein. »Das unmittelbare Dasein des Geistes, das Bewußtsein, hat die zwei Momente des Wissens und der dem Wissen negativen Gegenständlichkeit [des Wissens als Gegenstand des Wissens, PSW]. Indem in diesem Elemente sich der Geist entwickelt [also vom Bewusstsein über die Welt zum Sebstbewusstsein und zur Selbstbestimmung unseres geistigen Lebens, PSW] und seine Momente [im Vollzug, PSW] auslegt, so kommt ihnen dieser Gegensatz zu, und sie treten alle als Gestalten des Bewußtseins [d. h. als Formen humanen Lebens, PSW] auf. Die Wissenschaft dieses Wegs ist Wissenschaft der Erfahrung, die das Bewußtsein macht; die Substanz wird betrachtet, wie sie und ihre Bewegung sein Gegenstand ist. Das Bewußtsein weiß und begreift nichts, als was in seiner Erfahrung ist; denn was in dieser ist, ist nur die geistige Substanz [als Seins- oder Praxisform, PSW], und zwar als Gegenstand ihres Selbsts. Der Geist wird aber Gegenstand, denn er ist diese Bewegung, sich ein anderes, d. h. Gegenstand seines Selbsts zu werden und dieses Anderssein aufzuheben. Und die Erfahrung wird eben diese Bewegung genannt, worin das Unmittelbare, das Unerfahrne, d. h. das Abstrakte, es sei des sinnlichen Seins oder des nur gedachten Einfachen, sich entfremdet und dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht und hiemit itzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt wie auch Eigentum des Bewußtseins ist.« (28 | 29 f.)
Jede Reflexion auf Formen oder Strukturen muss sich von einem bloßen Vollzug der Formen ›entfremden‹. Das Problem, uns selbst zu verstehen, und was es heißt, sich zu sich handelnd zu verhalten, lösen wir nicht einfach dadurch, dass wir von einem Selbstbezug reden oder, mit evolutionären Pädagogen, Psychologen und Biologen, von einer mysteriösen Autopoiesis sprechen.
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Der Gebrauch des griechischen Wortes »autos« statt des deutschen Ausdrucks »selbst« löst kein einziges Problem. Im Vergleich zu den logischen Systemen dieser Kollegen sind die hinreichend schwierigen Überlegungen Hegels zur Logik diverser Selbstbezüge am Ende durchaus klarer, und zwar gerade deswegen, weil sie die logischen Probleme der Worte »ich« und »selbst« besonders in Kontexten der Rede von einem Selbstbewusstsein, einer Selbstbestimmung oder einer Selbstverwirklichung – die alle explizit bei Hegel vorkommen – nicht verbal vertuschen oder hinter einem unverständlichen Formalismus verschwinden lassen, sondern ernst nehmen. Das logische Problem ist dieses: Wenn wir auf uns und die Form unseres Lebens und Tuns bzw. der Welt sprachlich oder modellartig reflektieren, ja schon wenn wir bloß historisch über uns sprechen, sind wir als Sprecher hier und jetzt in unserer eigenen Konkretheit etwas anderes als das, was wir in den Sätzen über uns abstrakt und allgemein ausdrücken (können). Wie verhält sich daher das grammatische Subjekt in einer Selbstaussage der ganz allgemeinen Form »ich-φ« logisch zum Ich des Sprechers? Und wie verhält sich das grammatische Subjekt in einer Aussage der Form »wir-φ« zum Sprecher? Die erste Antwort sollte klar sein: Das grammatische Subjekt ist Satzgegenstand, also Objekt der Aussage. Als solche ist es (vermeintlich oder wirklich bleibende) ›Substanz‹. Der Sprecher selbst aber ist Handlungssubjekt im Vollzug der Äußerung des Satzes, im Aussagen oder Denken. Daraus ergibt sich zunächst, dass wir das grammatische Subjekt vom Handlungssubjekt unterscheiden müssen. Es ergibt sich zweitens, dass wir uns in Selbstaussagen schon formal insofern von uns ent-fremden, als die Aussage über ein Objekt etwas aussagt, und zwar über mich als Objekt oder über uns als Objekt, dass aber diese Vergegenständlichung meiner selbst oder von uns selbst gleich wieder aufgehoben wird. Denn es wird gesagt, dass die Satzaussage φ irgendwie mir zugesprochen wird, mir zukomme, auf mich zutre=e, bzw. auf uns, wenn wir gemeinsam über uns sprechen oder einen Sprecher etwas
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über uns sagen lassen. Das geschieht z. B. in einem Urteil, in welchem je ich selbst den Satzgegenstand qua Objekt der Aussage irgendwie mit mir selbst identifiziere und damit das Fremde oder Andere des Gegenstandes meiner Rede aufhebe, mich also im wörtlichen Sinn ent-fremde, die Fremde rückgängig mache. Damit erkennt Hegel in der Doppelstruktur der Entfremdung als Selbstobjektivierung und Aufhebung der damit möglichen Selbstdistanzierung die logische Grundstruktur jedes Selbst-Bewusstseins bzw. Selbst-Wissens. Das geschieht o=enbar in eigener Fortsetzung der Ansätze Fichtes, der im Grunde in seinen tautologischen Formeln der Form »Ich = Ich« stecken geblieben ist. Derartige Formeln können an das Problem bestenfalls erinnern, die logische Struktur aber nicht zureichend erhellen. Immerhin erkennt schon Fichte, und mit ihm Hegel, dass in Selbstaussagen oder Selbsturteilen der Formen »ich-φ« und »wir-φ« die Anerkennung, dass φ auf mich zutri=t expressiv oder appellativ mit ausgedrückt ist. Wir können daher schon jetzt sagen, dass Fichtes Formeln »Ich = Ich« ein erster, vielleicht noch unbeholfener, Versuch ist, die Struktur der Selbstaussage bzw. die Kategorie des Selbstbewusstseins `ich φ(ich) darzustellen und zu erläutern. Das Unverständnis und der Spott, den sich Fichte mit seiner idiosynkratischen Rede von einem Ich und Nicht-Ich (z. B. auch von Schiller und Goethe) eingehandelt hat, sind durchaus ungerecht. So versucht Fichte z. B., mit der Formel »Ich = Nicht-Ich« auszudrücken, dass der Inhalt dessen, was ich über mich sage, zunächst als Gegenstand etwas anderes ist, als ich im Vollzug und Leben bin. Um den Akt der Setzung der Gleichheit zwischen dem, der ich bin, und dem Inhalt meiner Selbstaussage formelhaft auszudrücken, hatte Fichte sogar noch folgende Kurznotation zu entwickeln versucht »Ich = (Ich = Ich)«. Der erste Teil der Gleichung » Ich = . . .« wäre demgemäß performativ zu lesen und stünde für `ich . Fichte spricht dabei mit gutem Grund von Setzungen. Hegel spricht von Anerkennungen. Diese Rede ist nach meiner Lektüre als Rede über eine logische Form zu begreifen, so dass Versuche
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(etwa von Habermas und Honneth), die Rede von Anerkennung hier sozialpsychologisch wie bei G. H. Mead oder sozialhistorisch als Kampf um Anerkennung zwischen Knechten und Herren wie bei Marx oder Kojève zu deuten, vom Thema der Hegelschen Überlegungen, der logischen Analyse des Selbstbewusstseins, weit abführen.41 Freilich benutzt Hegel, wie schon Platon in der Politeia oder wie moderne Reden von einer ›society of mind‹, sozialpolitische Strukturen als analoges Modell zur Darstellung der Logik selbstbewusstseinsinterner (wenn man unbedingt will: ›innerpsychischer‹) logischer Verhältnisse, etwa im Blick auf die seit Platon klassische Idee der Herrschaft des Geistes, vermittelt durch den Willen, über die Begierden des Leibes. Dass es hier wirklich um eben diese logische Entfremdungsstruktur des (Begri=s des) Selbstbewusstseins geht, zeigt gerade auch der Fortgang der Überlegung. 37 a
»Die Ungleichheit, die im Bewußtsein zwischen dem Ich [im Vollzug, PSW] und der Substanz, die [als Form, PSW] sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt. Es kann als der Mangel beider [und damit der Person im Ganzen, PSW] angesehen werden, ist aber ihre Seele oder das Bewegende derselben [so dass die Spannung zwischen Subjekt und Person, Akt und Form sozusagen das menschliche Leben prägt, PSW]; weswegen einige Alte das Leere als das Bewegende begri=en, indem sie das Bewegende zwar als das Negative, aber dieses noch nicht als das Selbst erfassten. [Was dabei nicht als das Selbst erfasst wurde, ist gerade die genannte Spannung, welche ein Negatives ist nur insofern, als das reine Subjekt und die reine Person an sich rein leer wären, wenn man sie nicht als Momente in der Spannung versteht, PSW]. – Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstande [im Selbstbewusstsein, PSW] erscheint, so ist es eben so sehr die Ungleichheit der Substanz [qua Person an sich, PSW] zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie [die Substanz, PSW] zu sein scheint, ist ihr eignes Tun, und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein. Indem 41
Vgl. 1968, Kojève 1975, Honneth 2003.
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sie [die Substanz, PSW] dies vollkommen gezeigt, hat der Geist sein Dasein seinem Wesen gleich gemacht; er ist sich Gegenstand, wie er ist, und das abstrakte Element der Unmittelbarkeit und der Trennung des Wissens und der Wahrheit ist überwunden.« (28 f. | 29 f.)
Hegels Gedankengänge und Ausdrucksformen sind hier ohne extensive und intensive Auslegung schwer nachvollziehbar. Was etwa meint die Rede vom Negativen alles? Worin besteht hier ein (vermeintlicher) Mangel? Was soll der Vergleich des Negativen mit der Leere? Die Leere war ursprünglich Denkbedingung für die relative Beweglichkeit von Festkörpern gewesen. Hegel verweist hier wohl auf die materialbegri=liche Selbstverständlichkeit, dass ein Festkörper von anderen Festkörpern davon abgehalten werden kann, ihren Raum einzunehmen. Nur wo kein Festkörper im Weg ist, kann sich ein Festkörper bewegen. Entsprechend gibt es ein freies Tun nur dort, wo keine Prädetermination das Tun schon ›kausal‹ vorherbestimmt. Die Leere oder Nichtexistenz der Vorbestimmung ist daher Bedingung der Möglichkeit der Freiheit. In gewissem Sinn ist es daher ganz richtig zu sagen, dass das Negative, die Leere, Bewegung erst möglich macht. Man darf dann aber die Rede von der Leere nicht mystifizieren: Im ›leeren‹ Raum kann es noch vieles geben, was von einem sich bewegenden Festkörper sozusagen so verdrängt wird wie das Wasser von einem Schi=. Das so genannte Leere ist damit nur durch die geschilderte Negation relativ zur Undurchdringlichkeit von beweglichen (Fest-)Körpern definiert und nicht irgendwie ›absolut‹. Das Negative überhaupt ist die Spannung zwischen Aktvollzug und Aktform. Ich vermute, dass Hegel hier in der Tat in einer Art Analogisierung mit dem Leeren erstens die Negativität der Freiheit hervorheben will. Zweitens kommentiert er den vermeintlichen ›Mangel‹, der darin besteht, dass in Selbstaussagen der Satzgegenstand nicht unmittelbar das Vollzugs-Ich des Sprechers ist und dass die Satzaussage nicht unmittelbar seine Seinsweise ausdrückt und das auch nie tun kann, da das Urteil selbst ›frei‹ ist
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und die Strukturen der freien Selbstbestimmung begründet. Das heißt, die ›direction of fit‹ von Selbstaussagen ist immer auch von der Form, dass ihre Anerkennung mich zu einem anderen macht, als der ich vorher war, bevor ich sie anerkannte, oder als der, welcher ich wäre, wenn ich sie nicht anerkennen würde. Meine Anerkennung ist nämlich weit mehr als ein bloßes Zunicken zu einer verbalen Selbstaussage. Ich muss mein Tun abhängig machen von entsprechenden Selbstverpflichtungen. Die Di=erenz zwischen unserem (wirklichen oder möglichen) Wissen und dem, was als wahr gewusst werden könnte, ist keine einfache Beziehung zwischen je mir und dem je von mir Erkannten oder Gewussten, sondern Moment eines Prozesses. »Prozess« ist hier als Obertitel zu lesen, der ein Urteilen und Handeln umfasst und nicht, wie ein bloßes Geschehen oder Ereignis, im Kontrast zu einem selbstbewussten Tun steht. Zugleich ist es eine Beziehung innerhalb des allgemeinen Wissens bzw. des Wissbaren, also im Begri= der Wahrheit selbst. Was uns als Di=erenz zwischen meinem Wissensanspruch und der Wahrheit erscheint, ist in der Tat, erstens, eine interne Beziehung im Wahren selbst. Es zeigt, zweitens, dass die Substanz der Wahrheit als das Feste und Bleibende generisch-begri=lichen Wissens gerade nicht bloß als Substanz, sondern auch als Subjekt zu begreifen ist; d. h. erstens als Vollzugsform und zweitens als das Wir-Subjekt der Produzenten und Vermittler allgemeinen Könnens und Wissens. Wir sind Träger der Institution des Wissens und der durch dieses Wissen inhaltlich, begri=lich, bestimmten Sprache. Traditionell steht das Wort »Vernunft« häufig für dieses Wir-Subjekt. Wir, distributiv gefasst, also wir alle oder jeder von uns, appellieren immer schon an die Vernunft, also an ein solches generisches Wir-Subjekt, oder generisches Wir. Wir appellieren zum Beispiel an einen ›common sense‹, also daran, wie man unterscheidet und schließt, was man als wahr erkennt usf. In einem impliziten Appell an ein ›Man‹ oder ›Ondit‹, wie wir ihn gerade auch bei Hume finden, wird freilich selbst noch nicht explizit zwischen
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empirischen Einzelurteilen von Einzelpersonen und generischbegri=lichem Wissen unterschieden. Woher aber wissen wir, dass die Durchschnittsmeinung oder doxa des Man oder common sense in Bezug auf das Allgemeine und Begri=liche irgend besser sein soll als das Urteil einzelner Personen? Gibt es nicht gerade in den Wissenschaften den Fall, dass ein Experte allein mehr weiß als alle anderen? Und ist nicht die Idee der Wissenschaft geradezu abhängig von dieser Gegenkritik des Man und seiner Meinung oder doxa, und zwar explizit seit Sokrates und Platon? Wie aber können wir, andererseits, ein echtes Wissen von wirklichen Experten von einem selbstgerechten Dogmatismus von selbsternannten Experten unterscheiden? Wieder ist hier wichtig zu sehen, dass auch dann, wenn einer allein ein allgemeines Urteil fällt, er einen Vorschlag für eine generische Norm macht, die allgemeine Anerkennung finden will. Dabei gilt, wie immer, die Regel der Vernunft, dass Revisionen schon etablierter Normalbegri=sfolgen nach Art eines konstruktiven Misstrauensvotums vorgehen müssen: Der Neuvorschlag muss erkennbar besser sein, als was schon etabliert ist. Damit ergeben sich allerlei Widersprüche aus den Di=erenzen im Urteilen und Handeln von realen Personen. Sie ergeben sich aus der Spannung zwischen unseren endlichen Einzelurteilen (im distributiven Sinn des Uns oder Wir), einem idealen Urteilen und perfekten Wissen. Als Subjekt perfekten Wissens wird Gott angesprochen. Er steht aber für ein allgemeines Wir oder Man, die Idee des Absoluten. Eine Aufhebung dieser Widersprüche wird immer notwendig, wenn ein Wissensanspruch anerkannt werden soll, und zwar weil er eine funktionstüchtige Orientierung im gemeinsamen Urteilen und Schließen, aber auch im individuellen und kooperativen Handeln tragen soll. Das heißt, am Ende sind wir es selbst, welche die Substanz ausmachen, und zwar weil in generischen Wir-Urteilen die einzelnen Ich-Urteile in gewissem Sinne aufgehoben sind. Die Spannung von leiblichem Subjekt und idealer Person ist außerdem notwendige logische Strukturbedingung für ein humanes
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Selbst-Sein, aber auch von Selbst-Wissen, Selbst-Bewusstsein und Selbst-Bestimmung. Der Bindestrich weist hier auf die logische Gegenüberstellung und damit auf das ›Negative‹ der Unterscheidung zwischen Satzsubjekt und Sprechersubjekt hin. 37 b
»Das Sein ist absolut vermittelt; – es ist substantieller Inhalt, der ebenso unmittelbar Eigentum des Ich, selbstisch oder der Begri= ist. Hiemit beschließt sich die Phänomenologie des Geistes.« (29 | 30)
Zunächst ist nicht zu sehen, was an dem Merksatz, der hier als Ergebnis der Phänomenologie des Geistes ausgegeben wird, interessant sein soll: »Das Sein ist absolut vermittelt.« Beachtet man aber den Ausdruck »das Sein«, kommen wir vielleicht etwas weiter. Er steht hier sowohl für die prozedurale Seinsweise der Dinge und Phänomene oder sonstigen substantiellen Objekte der erfahrbaren Welt, als auch für unser eigenes Sein, das als Prozess Leben ist. Beides wird als durch den Begri= bzw. das generische Wissen der Wissenschaft vermittelt angesprochen: Die Welt und die Dinge in der Welt sind, was sie an sich sind, in ihrem Wesen und ihren essentiellen, wesensbestimmenden Eigenschaften, immer nur im Rahmen unseres generischen WeltWissens bestimmt. Dieses generische Wissen hat zumeist eine gewisse sprachliche Form. Es sind zeitallgemeine Aussagen über Typen oder Arten oder Gattungen von einzelnen Dingen oder Gestalten, Ereignissen oder Sachverhalten. Auch das, was wir als geistige Wesen selbst sind, ist nur durch unser Selbst-Wissen ermöglicht, also durch das damit verbundene Können in der SelbstFormung und Selbst-Bestimmung, die als solche nie unmittelbares Wachsen eines Selbst oder Ich, also nie einfach Natur ist und sein kann, sondern Teilnahme am Wissen als dem Leben des Begri=s, das wir selbst sind, wenn man sich diese Metapher zum Ausdruck einer schwierigen Struktur erlauben darf. Und auch hier wird das geistige Wesen, was es ist und wie es ist, in einer gewissen gegenständlichen Form reflektiert angesprochen und thematisiert. Der Ausdruck »Sein« thematisiert dann aber auch gleich den Übergang zur Ontologie, die als solche Logik des Seins ist.
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»Was er [der Begri= oder der Geist, PSW] in ihr [der Phänomenologie, PSW] sich bereitet [also parat stellt, aufbereitet, PSW], ist das Element des Wissens [sic!, PSW]. In diesem breiten sich nun die Momente des Geistes in der Form der Einfachheit aus, die ihren Gegenstand als sich selbst weiß. Sie fallen nicht mehr in den Gegensatz des Seins und Wissens auseinander, sondern bleiben in der Einfachheit des Wissens, sind das Wahre in der Form des Wahren, und ihre Verschiedenheit ist nur Verschiedenheit des Inhalts. Ihre Bewegung, die sich in diesem Elemente zum Ganzen organisiert, ist die Logik oder spekulative Philosophie.« (29 | 30)
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Spätestens jetzt bestätigt Hegel selbst die Identifizierung von Logik mit spekulativer Philosophie. Diese ist eine Logik des generischen Wissens und eben damit des Begri=s. Sie ist zugleich Logik der Idee, wobei »Idee« am Ende als Titel über alle Vollzugsund Praxisformen steht, die uns prägen und zwar indem sie alle Normativitäten des Richtigen in den Dimensionen des Wahren, des Guten und des Schönen bestimmen. »Weil nun jenes System der Erfahrung des Geistes nur die Erscheinung desselben befaßt, so scheint der Fortgang von ihm zur Wissenschaft des Wahren, das in der Gestalt des Wahren ist, bloß negativ zu sein, und man könnte mit dem Negativen als dem Falschen verschont bleiben wollen und verlangen, ohne weiteres zur Wahrheit geführt zu werden; wozu sich mit dem Falschen abgeben? – Wovon schon oben die Rede war, daß sogleich mit der Wissenschaft sollte angefangen werden, darauf ist hier nach der Seite zu antworten, welche Bescha=enheit es mit dem Negativen als Falschem überhaupt hat. Die Vorstellungen hierüber hindern vornehmlich den Eingang zur Wahrheit. Dies wird Veranlassung geben, vom mathematischen Erkennen zu sprechen, welches das unphilosophische Wissen als das Ideal ansieht, das zu erreichen die Philosophie streben müßte, bisher aber vergeblich gestrebt habe.« (29 | 30)
Hegel weist hier die Idee zurück, welche bis heute die Moderne in ihrem provinziellen Denkrahmen der so genannten Aufklärung gefangen hält, nämlich, es reiche doch, wenn man direkt und unmittelbar auf die Wahrheit oder das wirkliche Wissen zuginge
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und alles Falsche oder Unrichtige bekämpft oder vergisst. Das Vergangene erscheint dann als bloße Vorstufe oder eben als Irrtum oder wenigstens als ein Noch-nicht-Wissen. Das mag für manches Einzelwissen und einzelne Irrtümer so sein. Im Fall einer logischen Analyse des generischen Wissens können wir aber auf eine selbstbewusste Rekonstruktion seiner Entwicklung deswegen nicht verzichten, weil es keine anderen Geltungsbedingungen für unser Wissen gibt als die, dass es die realiter bestmögliche Einrichtung des begri=lichen Rahmens unserer Einzeldarstellungen von Welt ist, die heute verfügbar ist. Darüber lässt sich nicht ohne Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung befinden, es sei denn, man hängt gläubig der jeweils herrschenden Meinung an oder phantasiert über transzendente Möglichkeiten jenseits der wirklichen Möglichkeiten. Das aber führt nicht in ein Wissen, sondern in einen blinden Dogmatismus reiner Versicherungen. Im Übrigen sind die methodischen Stufen des generischen Wissens nur über eine Rekonstruktion seiner Entwicklung selbstbewusst zu begreifen. Das verlangt eine explizit gemachte Ausdifferenzierung von allgemeinen Unterscheidungen und der sich auf sie stützenden, zunächst immer groben, aber eben damit immer auch robusten, handlungsleitenden Inferenzen. Die Kritik an der mathematischen Denkungsart betri=t eben den Punkt, den wir an der Mathematik so lieben: dass ihre ›Begri=e‹ und ›Aussagen‹ absolut situationsinvariant, in diesem Sinn ›ewig‹ sind. Daher, so scheint es, findet hier eine Entwicklung des Begri=s gar nicht statt, sondern es ›entwickelt‹ sich bloß unsere Kenntnis. Die mathematische Wahrheit wird als schon definiert betrachtet. Dazu müssen ihre Gegenstandsbereiche, etwa der Zahlen und Mengen, als schon gegeben angenommen werden. Sie werden damit als schon konstitutiert angesehen. Die ›reinen‹ Wahrheiten und Schlüsse der Mathematik sind dabei ›rein formal‹. Sie sagen (fast) nichts über die konkrete Welt, ganz im Gegensatz zu den materialbegri=lichen bzw. generischen Wahrheiten der Sach- und Weltwissenschaften. In ihnen allein gibt es eine Entwicklung des Begri=s; in der Mathematik gibt es nur die Entwicklung von Re-
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chenschemata und das Beweisen von gültigen Tautologien oder relativ zulässigen Schlussschemata in einer abstrakten ›Größenlehre‹, also für das Rechnen mit Proportionen und reellen Zahlen bzw. mit Mengen, Funktionen und allerlei abstrakten Maßen wie etwa in der Wahrscheinlichkeitstheorie. Die Mathematik ist daher ein schlechtes Paradigma sowohl für das Weltwissen als auch für die logische Analyse der Formen des Weltwissens, die Philosophie. Sie ist aber ein extrem gutes Beispiel dafür, wie wichtig Sprachkonstruktionen sind. Es folgt bei Hegel eine Kritik an der Hypostasierung des Wahren und Falschen, Guten oder Bösen, jenseits der Praxis unserer Bewertungen von Aussagen oder Handlungen. »Das Wahre und Falsche gehört zu den bestimmten Gedanken, die bewegungslos für eigne Wesen gelten, deren eines drüben, das andere hüben ohne Gemeinschaft mit dem andern isoliert und fest steht. Dagegen muß behauptet werden, daß die Wahrheit nicht eine ausgeprägte Münze ist, die fertig gegeben und so eingestrichen werden kann. Noch gibt es ein Falsches, sowenig es ein Böses gibt. So schlimm zwar als der Teufel ist das Böse und Falsche nicht, denn als dieser sind sie sogar zum besonderen Subjekte gemacht; als Falsches und Böses sind sie nur allgemeine, haben aber doch eigne Wesenheit gegeneinander. – Das Falsche, denn nur von ihm ist hier die Rede, wäre das Andre, das Negative der Substanz, die als Inhalt des Wissens das Wahre ist. Aber die Substanz ist selbst wesentlich das Negative, teils als Unterscheidung und Bestimmung des Inhalts, teils als ein einfaches Unterscheiden, d. h. als Selbst und Wissen überhaupt.« (29 f. | 30 f.)
Die Grundeinsicht Hegels ist die, dass alles Wissen im teils verbalen, teils handelnden Unterscheiden besteht, wobei die Entwicklung der Normen des ›richtigen‹ Unterscheidens anzupassen sind an erwünschte inferentielle Orientierungen, etwa der Art von Normalfallerwartungen. Diese Formen des allgemeinen Schließens, der materialbegri=lichen Inferenzen, setzen sozusagen den dispositionellen und damit immer auch prognostischen Inhalt unserer Begri=swörter heraus und machen klar, dass das Unterscheiden spezifische Folgen hat.
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»Man kann wohl falsch wissen. Es wird etwas falsch gewußt, heißt, das Wissen ist in Ungleichheit mit seiner Substanz. Allein eben diese Ungleichheit ist das Unterscheiden überhaupt, das wesentliches Moment ist.« (30 | 31)
Die Katachrese im Ausdruck »etwas falsch wissen« verweist auf die schon besprochenen Bewertungen eines Wissensanspruchs als falsch. Eine solche Bewertung findet statt im Rahmen einer gemeinsamen Praxis der Unterscheidung zwischen erfolgreichen bzw. berechtigten und irreführenden bzw. unberechtigten Wissensansprüchen, wobei sich wiederum verschiedene Momente der Berechtigung unterscheiden lassen, etwa die ›subjektiven‹ der Berechtigung eines Glaubens, sofern es um eine wohlbegründete Eigenorientierung geht, von einer ›objektiven‹ der Berechtigung einer Behauptung oder eines Vorschlags zur generischen Begri=sentwicklung, der auch andere betri=t und von anderen anerkannt werden soll. Ein fehler- oder mangelhafter Wissensanspruch besteht »in Ungleichheit mit seiner Substanz«. Das heißt es sind die Erfüllungsbedingungen der Wahrheit nicht erfüllt oder die der zureichenden Begründung, des ›Beweisens‹ der Richtigkeit des Geltungsanspruchs. 39 c
»Es wird aus dieser Unterscheidung wohl ihre Gleichheit, und diese gewordene Gleichheit [der Übereinstimmung von Wissensanspruch und nachhaltiger Richtungsrichtigkeit der generischen Orientierung, PSW] ist die Wahrheit. Aber sie ist nicht so Wahrheit, als ob die Ungleichheit weggeworfen worden wäre wie die Schlacke vom reinen Metall, auch nicht einmal so, wie das Werkzeug von dem fertigen Gefäße wegbleibt, sondern die Ungleichheit ist als das Negative, als das Selbst im Wahren als solchem selbst noch unmittelbar vorhanden.« (30 | 31)
Was Hegel hier sagt, bedeutet, erstens, dass generische Wahrheiten nie schon ›alle‹ Einzelfälle abdecken. Zweitens ist auch jeder ›empirische‹ Wissensanspruch fallibel. Jede Informationshandlung, jeder Bericht, kann sich als falsch herausstellen, etwa weil zufällig bestimmte Faktoren es verhindert haben, dass die wahrgenommenen Zeugnisse die Erfüllung der ausgesagten oder
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behaupteten Geltung garantieren. In jedem realen Urteil ist also die Möglichkeit seiner Falschheit nicht ein für alle Mal gebannt. Und doch ist das Realurteilen im Normalfall gut genug und wird sozusagen post hoc im Erfolgsfall als ein Wissen anerkannt. Wenn ich dir nach allen Regeln der Kunst und Kontrollpflichten berechtigterweise die Information geben kann, es sei Milch im Kühlschrank, du holst sie heraus, trinkst sie und es geht dir gut, so dass unser gemeinsames Handeln den erwünschten Erfolg hat, dann sagen wir, dass ich im bürgerlichen Sinn des Wortes wusste, dass Milch im Kühlschrank war – selbst wenn es fiktiv möglich gewesen wäre, dass ich mich oder jemand mich in meinem Urteil täuschte. (Das Beispiel ist von Andrea Kern). Gerade auch im Falle der Korrektur generischen Wissens oder begri=licher Inferenzen werden die alten Formen nicht einfach verworfen, sondern soweit sie weiterhin hilfreich sind, aufgehoben. So dürfen wir z. B. in der Lernphase der Sprache gern weiterhin von Walfischen sprechen oder davon, dass Vögel fliegen oder die Sonne im Osten aufgeht. Es ist bloße Sophistik, d. h. verfehlte Wissenschaftlichkeit, derartige Redeformen als einfachhin falsch ausmerzen zu wollen, etwa schon im Kindergarten. »Es kann jedoch darum nicht gesagt werden, daß das Falsche ein Moment oder gar einen Bestandteil des Wahren ausmache. Daß an jedem Falschen etwas Wahres sei, – in diesem Ausdrucke gelten beide, wie Öl und Wasser, die unmischbar nur äußerlich verbunden sind. Gerade um der Bedeutung willen, das Moment des vollkommenen Andersseins zu bezeichnen, müssen ihre Ausdrücke da, wo ihr Anderssein aufgehoben ist, nicht mehr gebraucht werden. So wie der Ausdruck der Einheit des Subjekts und Objekts, des Endlichen und Unendlichen, des Seins und Denkens usf. das Ungeschickte hat, daß Objekt und Subjekt usf. das bedeuten, was sie außer ihrer Einheit sind, in der Einheit also nicht als das gemeint sind, was ihr Ausdruck sagt, ebenso ist das Falsche nicht mehr als Falsches ein Moment der Wahrheit.« (30 | 31)
Die Möglichkeit der Täuschung, der mögliche Mangel an Begründung, begleitet zwar jeden Vollzug des Aussagens, gehört
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aber nicht zum Begri= des Wissens oder der Wahrheit an sich. Das Falsche in einem revidierten Wissensanspruch ist nicht als Falsches Moment der Entwicklung des Wissens, sondern als bloß erst allgemein richtungsrichtige, im Detail aber auch irreführende oder zu grobe Orientierung. Hegel warnt daher vor einem bloß formalen, rein zweiwertigen, Umgang mit »wahr« und »falsch«, »Wahrheit« und »Irrtum«. Denn inhaltlich gesehen sind gerade die interessanten Wissensansprüche, die generischen, also allgemeinen, selten so, dass sie sich unmittelbar und ein für allemal und fein säuberlich in wahre und falsche Teile trennen lassen – es sei denn, in einer logisch-geschichtlichen Rekonstruktion der Entwicklung des Begri=s aus je heutiger Perspektive. 40
»Der Dogmatismus der Denkungsart im Wissen und im Studium der Philosophie ist nichts anderes als die Meinung, daß das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist oder auch der unmittelbar gewußt wird, bestehe. Auf solche Fragen: wann Cäsar geboren worden, wie viele Toisen ein Stadium betrug usf., soll eine nette Antwort gegeben werden, eben so wie es bestimmt wahr ist, daß das Quadrat der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrate der beiden übrigen Seiten des rechtwinklichten Dreiecks ist. Aber die Natur einer solchen sogenannten Wahrheit ist verschieden von der Natur philosophischer Wahrheiten.« (30 f. | 31)
In den philosophischen Wahrheiten geht es um richtige Aussagen über die Formen des Wissens und Selbstwissens, über Formen von Institutionen und Praxisformen samt ihrer Entwicklung. Es sind sehr hochstufige Aussagen, noch höherstufig als die begri=lich-generischen der einzelnen Wissenschaften. Wissenschaftliche Wahrheiten sind zumeist nicht bloß historisch, nicht rein erzählend. Und sogar die einfachsten historischen Konstatierungen setzen einen großen Umfang an materialbegri=lichen Inhaltsbestimmungen, impliziten Dispositionsaussagen bzw. Inferenzen und besonders ganze Systeme weiterer geschichtlicher Aussagen voraus. Es folgen weitere Kommentare zur historia, zur narrativen Wahrheit der Erzählung über Einzelereignisse und damit auch zur ›empirischen‹ Wahrheit.
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»In Ansehung der historischen Wahrheiten, um ihrer kurz zu erwähnen, insofern nämlich das rein Historische derselben betrachtet wird, wird leicht zugegeben, daß sie das einzelne Dasein, einen Inhalt nach der Seite seiner Zufälligkeit und Willkür, Bestimmungen desselben, die nicht notwendig sind, betre=en. Selbst aber solche nackte Wahrheiten, wie die als Beispiel angeführten, sind nicht ohne die Bewegung des Selbstbewußtseins. Um eine derselben zu kennen, muß viel verglichen, auch in Büchern nachgeschlagen oder, auf welche Weise es sei, untersucht werden; auch bei einer unmittelbaren Anschauung wird erst die Kenntnis derselben mit ihren Gründen für etwas gehalten, das wahren Wert habe, obgleich eigentlich nur das nackte Resultat das sein soll, um das es zu tun sei.« (31 | 31 f.)
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Die Rede von der Bewegung des Selbstbewusstseins meint zunächst, dass wir historische Aussagen immer im Rahmen einer kohärenten Geschichtsschreibung und über die Methode der besten Erklärung des vorhandenen Wissens begründen, wie es sich seinerseits aus den noch vorhandenen Relikten der Vergangenheit ergibt. Die Bewegung des Selbstbewusstseins ist hier also gerade die skizzierte Reflexion auf die beste Darstellung. Das aber bedeutet, dass historische Einzelaussagen nie unabhängig von einem generischen Wissen begründet werden können. Dies geschieht immer so, dass sich mit der Anerkennung der Einzelaussagen auch das System des generischen Wissens, also das Selbstbewusstsein selbst, verschieben kann – und umgekehrt. Überall, gerade auch in der Mathematik, besteht das Wissen nicht einfach in auswendig lernbaren Sätzen oder schematisch angewendeten Regeln oder Verfahren, sondern in einer autonomen Übersicht, wie man zu den Sätzen, Regeln oder Verfahren kommt und wann, also mit welcher Art der Erlaubnis (entitlement), man sie dann im einzelnen Fall (und dann in der Tat oft sogar gedankenlos, d. h. schematisch) anwenden kann, sofern nur die Anwendungsbedingungen geprüft sind. Für diese Prüfung bedarf es erfahrener Urteilskraft. »Was die mathematischen Wahrheiten betri=t, so würde noch weniger der für einen Geometer gehalten werden, der die Theoreme Euklids auswendig wüßte, ohne ihre Beweise, ohne sie, wie man im
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Gegensatze sich ausdrücken könn[t]e, inwendig zu wissen. Ebenso würde die Kenntnis, die einer durch Messung vieler rechtwinklichten Dreiecke sich erwürbe, daß ihre Seiten das bekannte Verhältnis zueinander haben, für unbefriedigend gehalten werden. Die Wesentlichkeit des Beweises hat jedoch auch beim mathematischen Erkennen noch nicht die Bedeutung und Natur, Moment des Resultates selbst zu sein, sondern in diesem ist er vielmehr vorbei und verschwunden. Als Resultat ist zwar das Theorem ein als wahr eingesehenes. Aber dieser hinzugekommene Umstand betri=t nicht seinen Inhalt, sondern nur das Verhältnis zum Subjekt; die Bewegung des mathematischen Beweises gehört nicht dem an, was Gegenstand ist, sondern ist ein der Sache äußerliches Tun. So zerlegt sich die Natur des rechtwinklichten Dreiecks nicht selbst so, wie es in der Konstruktion dargestellt wird, die für den Beweis des Satzes, der sein Verhältnis ausdrückt, nötig ist; das ganze Hervorbringen des Resultats ist ein Gang und Mittel des Erkennens. – « (31 | 32)
Zunächst sagt Hegel hier, dass wir in der Mathematik Sinn und Bedeutung der bewiesenen Sätze von ihren Beweisen trennen können. Ihr Sinn ist die in ihnen ausgedrückte Rechenregel, die der Beweis als gültig bzw. zulässig aufweist. Im Fall von Weltwissen und im Fall von philosophischen Reflexionsaussagen lässt sich der Sinn dagegen nicht so schön von ihrer Geschichte der Begründung trennen. Klar ist außerdem, dass der Status mathematischer Wahrheit nicht empirisch ist: Noch so viele Einzelmessungen können den Winkelsummensatz im Rechteck bzw. Dreieck (und damit das berühmt-berüchtigte Parallelenaxiom) weder begründen, noch widerlegen. Die Frage, welche Geometrie wir für welche Zwecke der Darstellung entwickeln und gebrauchen sollen, ist keine Frage, welche die Mathematik beantworten kann, sondern eine der Darstellungs- und Messtechnik, welche die gegebenen Möglichkeiten des Messens berücksichtigen muss.42 Von einer Abbildung einer vorgegebenen Struktur des Raumes ist hier nicht sinnvoll die Rede, weder als angebliche Form unseres perzeptiven 42
Vgl. dazu Stekeler-Weithofer 2008.
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Systems noch eines objektiven Raumes – was immer das sein soll. Damit ist noch nicht gesagt, was denn die Erkenntnisquellen der Mathematik im Blick auf die Auswahl ihrer Prinzipien und Axiome sind, über das rein interne logische Deduzieren und die Formung sortaler Gegenstandsbereiche von reinen Quantitäten (reinen Zahlen und Mengen) hinaus. In erster Näherung ist dieses logische Deduzieren ohnehin nur eine schematische Methode des Auseinanderlegens des Systems der Theoreme, das in Axiomensystemen verdichtet, also sozusagen stenographisch artikuliert ist. »Auch im philosophischen Erkennen ist das Werden des Daseins als Daseins verschieden von dem Werden des Wesens oder der innern Natur der Sache. Aber das philosophische Erkennen enthält erstens beides, da hingegen das mathematische nur das Werden des Daseins, d. h. des Seins der Natur der Sache im Erkennen als solchem darstellt. Fürs andere vereinigt jenes auch diese beiden besondern Bewegungen. Das innere Entstehen oder das Werden der Substanz ist ungetrennt Übergehen in das Äußere oder in das Dasein, Sein für anderes, und umgekehrt ist das Werden des Daseins das sich Zurücknehmen ins Wesen. Die Bewegung ist so der gedoppelte Prozeß und Werden des Ganzen, daß zugleich ein jedes das andre setzt und jedes darum auch beide als zwei Ansichten an ihm hat; sie zusammen machen dadurch das Ganze, daß sie sich selbst auflösen und zu seinen Momenten machen.« (31 f. | 32)
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Hegel artikuliert hier auf vielleicht etwas umständliche Weise, dass es auch in der Philosophie, wie in der Mathematik, ein materiales Wissen gibt über das, was bei Unterstellungen von Kriterien des Richtigen als wahr gilt. Doch da es hier, anders als dort, immer auch um das angemessene Verstehen oder die Entwicklung der Kriterien selbst geht, also um das Wesen oder die Seinsweise dessen, von dem man etwas wissen will, unterscheiden sich mathematisches und philosophisches Wissen und die zugehörigen Argumente ganz wesentlich. »Im mathematischen Erkennen ist die Einsicht ein für die Sache äußerliches Tun; es folgt daraus, daß die wahre Sache dadurch verändert wird.« (32 | 32)
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Hier fehlt meiner Meinung nach im Text die Verneinung. Denn wenn die Einsicht der Sache äußerlich ist, wird diese durch jene gerade nicht verändert. Es wäre daher eine Konjektur des Textes nötig. Hegel meint hier nicht etwa, dass wir dadurch, dass wir im Beweisen eine ganze Form in Aspekte zerlegen und die lokalen Beschreibungen wieder zusammensetzen, die Sache selbst verändern. Damit würde das Beweisen mystischer, als es ist. Aber vielleicht meint Hegel auch etwas anderes. Es ist dann aber ganz unklar, was das sein könnte. 43 b
»Das Mittel, Konstruktion und Beweis, enthält daher wohl wahre Sätze; aber eben so sehr muß gesagt werden, daß der Inhalt falsch ist. Das Dreieck wird in dem obigen Beispiele zerrissen und seine Teile zu andern Figuren, die die Konstruktion an ihm entstehen läßt, geschlagen. Erst am Ende wird das Dreieck wieder hergestellt, um das es eigentlich zu tun ist, das im Fortgange aus den Augen verloren wurde und nur in Stücken, die andern Ganzen angehörten, vorkam. – « (32 | 32)
Hegel stört sich an der Praxis des Beweisens in der synthetischen Schulgeometrie, weil dort die Zwischenschritte und Hilfskonstruktionen üblicherweise als reine Einfälle erscheinen, sich also nicht über ein Verfahren, wie in der analytischen Geometrie, aus der Problemstellung entwickeln lassen. Dabei kommentiert er hier ganz o=enbar einen der Beweise des Satzes des Pythagoras für ein rechtwinkliges Dreieck D mit den Katheten a und b und der Hypotenuse c. Die allgemeine Geltung des Satzes sieht man relativ leicht ein, wenn man ein entsprechendes Quadrat betrachtet mit Seitenlängen a + b und in ihm das Dreieck a, b, c wie in einem Tangram-Spiel auf verschiedene Weise so legt, dass das Quadrat c2 dargestellt wird als Di=erenz (a + b)2 − 2ab = (a + b)2 − 4D = a2 + b2 . Hegels ›mystischer‹ Kommentar sagt demnach, dass die Frage nach den Längenverhältnissen in D nur dann als schwierig erscheint, wenn wir bloß an die Längen und nicht an die Flächen bzw. an Flächenadditionen und Flächensubtraktionen denken, ferner an den Zusammenhang von Flächengröße und Längen-Multiplikation und wenn
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wir deren Beziehung zu Längen-Proportionen aus dem Auge verlieren.43 Kurz, Hegel beklagt sich zurecht über einen Mangel im Mathematikunterricht, der die Beweise mystifiziert, indem er z. B. nicht klar macht, wie wir mit Flächengrößen umgehen und mit Längenmultiplikationen. »Hier sehen wir also auch die Negativität des Inhalts eintreten, welche eine Falschheit desselben eben so gut genannt werden müßte als in der Bewegung des Begri=s das Verschwinden der festgemeinten Gedanken.« (32 | 32)
Die gemeinte Analogie ist ebenso wichtig wie schwierig, wobei dem schnellen Leser der Sinn schon deswegen entgleitet, weil er das Urbild der Analogie, die synthetische Geometrie des demonstrativen Beweisens, sich erst klar machen müsste. Hegel will wohl sagen, dass die Größenverhältnisse in der Geometrie durchaus nicht ›statisch‹ zu verstehen sind, sondern eben als Passungen in Tangram-Spielen, in denen wir Flächen von Formen in Teilformen zerschneiden, diese verschieben und wieder zu ganzen Formen zusammenlegen. In ähnlicher Weise sind auch sonst Begri=e, also die Wörter und ihr Gebrauch, immer nur in Bezug auf eine Zusammensetzung zu einem Ganzen in Sätzen und Aussagen zu verstehen, also auf die Urteile oder Unterscheidungen, die wir mit den Sätzen artikulieren, ferner in Bezug auf die Bewegungen des Schließens. Robert Brandom hat daher völlig recht, wenn er, anders als die meisten Leser (J. N. Findlay z. B.)44, Hegel schon die ›satz- und textholistische‹ Einsicht zuerkennt, dass Begri=e nur im Zusammenhang des Satzes und diese nur im Zusammenhang des Urteilens ihren Sinn haben bzw. erhalten. Das Urteilen setzt dabei schon ein generisches Unterscheiden voraus, das bei Hegel unter dem Titel der ›bestimmten Negation‹ thematisiert wird. Dieses wiederum steht immer schon im Zusammenhang der ›Bewegung‹ des Übergangs von Sätzen zu Sätzen im Schließen, wobei die Normen der allgemein zulässigen Inferenzen auf einem 43 44
Zu weiteren Details Stekeler-Weithofer 2008. Vgl. Findlay 1958.
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generischen materialen Wissen aufruhen, das damit seinerseits als begri=sbestimmend erkannt ist. Wir sehen damit eine gewisse Zweideutigkeit in der Rede von der Bewegung des Begri=s. Objektstufig geht es um das materialbegri=liche Schließen, metastufig um die Entwicklung der als solchen zunächst immer impliziten oder empraktischen begri=lichen Inferenznormen etwa durch ihre Verwandlung in explizit artikulierte und eben damit besser lernbare und besser kontrollierbare Regeln. Diese freilich setzen die empraktische Kompetenz des rechten Umgangs mit ihnen immer noch voraus. Im Übrigen ist bei Hegel, wie schon bei Platon, die Geometrie (also nicht, wie später für Frege und seine Nachfolger, die Arithmetik) das Modell, an dem Analogien und Di=erenzen der Formen mathematischer ›Sprache‹ und weltbezogener Sprache aufgezeigt werden. 44
»Die eigentliche Mangelhaftigkeit dieses Erkennens aber betri=t sowohl das Erkennen selbst als seinen Sto= überhaupt. – Was das Erkennen betri=t, so wird vors erste die Notwendigkeit der Konstruktion nicht eingesehen. Sie geht nicht aus dem Begri=e des Theorems hervor, sondern wird geboten, und man hat dieser Vorschrift, gerade diese Linien, deren unendlich andere gezogen werden könnten, zu ziehen, blindlings zu gehorchen, ohne etwas weiter zu wissen, als den guten Glauben zu haben, daß dies zur Führung des Beweises zweckmäßig sein werde. Hintennach zeigt sich denn auch diese Zweckmäßigkeit, die deswegen nur eine äußerliche ist, weil sie sich erst hintennach beim Beweise zeigt. – Ebenso geht dieser einen Weg, der irgendwo anfängt, man weiß noch nicht in welcher Beziehung auf das Resultat, das herauskommen soll. Sein Fortgang nimmt diese Bestimmungen und Beziehungen auf und läßt andre liegen, ohne daß man unmittelbar einsehe, nach welcher Notwendigkeit; ein äußerer Zweck regiert diese Bewegung.« (32 f. | 33)
Diese Passage kommentiert den Beweis des Theorems des Pythagoras weiter, wobei Hegel die Praxis kritisiert, die Hilfskonstruktionen des Beweises wie eine Art Trick erscheinen zu lassen. Er wünscht sich ein einfach reproduzierbares Verfahren. Es ist in der Tat viel besser, wenn man, wie in der analytischen Geometrie
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des Descartes, für das Beweisen ein allgemeines algebraisches Rechenverfahren benutzen kann. Wir kommen aber in der Mathematik wohl nicht ganz ohne derartige Tricks aus. Es ist trotzdem unbezweifelbar besser, wenn wir beim Beweisen in einem System (deduktiv) rechnen können, wie schon Leibniz weiß. Im Übrigen gibt es ein allbekanntes logisches Problem in jedem Appell an eine ›Evidenz‹ im mathematischen Demonstrieren allgemeiner Formaussagen anhand besonderer Zeichnungen oder Diagramme. »Die Evidenz dieses mangelhaften Erkennens, auf welche die Mathematik stolz ist und womit sie sich auch gegen die Philosophie brüstet, beruht allein auf der Armut ihres Zwecks und der Mangelhaftigkeit ihres Sto=s und ist darum von einer Art, die die Philosophie verschmähen muß. – Ihr Zweck oder Begri= ist die Größe. Dies ist gerade das unwesentliche, begri=lose Verhältnis. Die Bewegung des Wissens geht darum auf der Oberfläche vor, berührt nicht die Sache selbst, nicht das Wesen oder den Begri= und ist deswegen kein Begreifen. – « (33 | 33)
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Größenunterschiede und Unterschiede von Anzahlen sind noch nicht per se mit allgemeinen oder besonderen materialbegri=lichen Folgerungen verbunden; das formale Rechnen verbleibt im rein quantitativen Größenvergleich. »Der Sto=, über den die Mathematik den erfreulichen Schatz von Wahrheiten gewährt, ist der Raum [untersucht durch die Geometrie, PSW] und das Eins [Platons to hen, die Zähleinheiten in sortalen Mengen von Elementen, welche den Gebrauch der reinen Arithmetik erlauben, PSW]. Der Raum ist das Dasein, worein der Begri= seine Unterschiede einschreibt als in ein leeres, totes Element, worin sie ebenso unbewegt und leblos sind. Das Wirkliche ist nicht ein Räumliches, wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit solcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Mathematik sind, gibt sich weder das konkrete sinnliche Anschauen noch die Philosophie ab.« (33 | 33)
In der (elementaren, euklidischen) Geometrie abstrahieren wir von den realen Bewegungen der Dinge im wirklichen Raum und sprechen nur über Passungen unter der Voraussetzung der Beweglichkeit ›starrer‹ Körper, wobei die Herstellbarkeit von ge-
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wissen Starrheiten selbst eine materialbegri=liche Großerfahrung und Voraussetzung der Anwendbarkeit der euklidische Geometrie auf bewegte Dinge ist. Im realen Anschauen und erst recht in Bezug auf reale Prozesse in der Zeit gehen wir immer schon weit über die bloß abstrakten Formen der geometrischen und arithmetischen Größenlehre hinaus. 45 c
»In solchem unwirklichen Elemente gibt es denn auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixierte, tote Sätze; bei jedem derselben kann aufgehört werden; der folgende fängt für sich von neuem an, ohne daß der erste sich selbst zum andern fortbewegte und ohne daß auf diese Weise ein notwendiger Zusammenhang durch die Natur der Sache selbst entstünde. – « (33 | 33)
Es ist zunächst durchaus unklar, was Hegel hier meint, und ob seine ›Kritik‹ am Wissen der Mathematik nicht über das Ziel mehr oder minder weit hinausschießt. Zumindest die Formulierung klingt heute unglücklich. Vielleicht will Hegel aber nur sagen, was in den folgenden zwei Jahrhunderten noch oft gesagt werden wird, nämlich dass die Wahrheiten der Mathematik in einem gewissen weiten Sinn des Wortes rein analytisch, also nicht synthetisch im Sinne Kants sind. Das heißt inhaltlich, dass sie rein formalbegri=lich gelten und kein weiterführendes materialbegri=liches Weltwissen einschließen – bis auf die schon erwähnte Voraussetzung, dass es in vielen Realgrößen und für viele Realbewegungen und Realpassungen ausreichend starre Körper und damit einen realen Anwendungsbereich für die Sätze über reine geometrische Passbarkeitsformen in der euklidischen Geometrie (und dann auch anderer Geometrien in Raumzeitausmessungen) gibt. Insgesamt ist die Mathematik ein Wissen über die allgemeinen Möglichkeiten des schematischen Figurenund Größenvergleichs und der Darstellung beliebiger quantitativer Verhältnisse. Sie ist formal auf diverse Weise verallgemeinerte Arithmetik und analytische Geometrie. 45 d
»Auch läuft um jenes Prinzips und Elements willen – und hierin besteht das Formelle der mathematischen Evidenz – das Wissen an der Linie der Gleichheit fort. Denn das Tote, weil es sich nicht
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selbst bewegt, kommt nicht zu Unterschieden des Wesens, nicht zur wesentlichen Entgegensetzung oder Ungleichheit, daher nicht zum Übergange des Entgegengesetzten in das Entgegengesetzte, nicht zur qualitativen, immanenten, nicht zur Selbstbewegung. Denn es ist die Größe, der unwesentliche Unterschied, den die Mathematik allein betrachtet. Daß es der Begri= ist, der den Raum in seine Dimensionen entzweit und die Verbindungen derselben und in denselben bestimmt, davon abstrahiert sie; sie betrachtet z. B. nicht das Verhältnis der Linie zur Fläche; und wo sie den Durchmesser des Kreises mit der Peripherie vergleicht, stößt sie auf die Inkommensurabilität derselben, d. h. ein Verhältnis des Begri=s, ein Unendliches, das ihrer Bestimmung entflieht.« (33 f. | 34)
Die Aussage, dass die Mathematik das Verhältnis der Linie zur Fläche nicht beachte und dass die Inkommensurabilität etwa der Kreiszahl als qualitatives Formverhältnis die Methoden arithmetischer Bestimmung transzendiere, könnte erstaunen, gerade angesichts der oben vorgetragenen Erwägungen, die bisher zugunsten Hegels ausgelegt wurden. Die Kritik tri=t aber nur eine ›Mathematik‹ des bloßen Rechnens mit ganzen Zahlen und Brüchen, wie sie schon in der Antike überwunden ist. Hegel hätte also durchaus Recht zu sagen, dass die Lehre von den reellen Zahlen oder inkommensurablen Größenverhältnissen für die qualitativen Formverhältnisse der Geometrie entworfen ist, hierher stammt und bloß für sie passt. Es ist daher naiv, von reellzahligen Längen in der realen Welt zu reden. Solche Längen gibt es nicht. In der reinen Mathematik tritt überhaupt keine Zeit auf. Es führt daher völlig in die Irre, wenn man mit Kant die Zahl mit der Zeit verbinden möchte. »Die immanente, sogenannte reine Mathematik stellt auch nicht die Zeit als Zeit dem Räume gegenüber, als den zweiten Sto= ihrer Betrachtung. Die angewandte handelt wohl von ihr, wie von der Bewegung, auch sonst andern wirklichen Dingen; sie nimmt aber die synthetischen, d. h. Sätze ihrer Verhältnisse, die durch ihren Begri= bestimmt sind, aus der Erfahrung auf und wendet nur auf diese Voraussetzungen ihre Formeln an. Daß die sogenannten Beweise solcher
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Sätze, als der vom Gleichgewichte des Hebels, dem Verhältnisse des Raums und der Zeit in der Bewegung des Fallens usf., welche sie häufig gibt, für Beweise gegeben und angenommen werden, ist selbst nur ein Beweis, wie groß das Bedürfnis des Beweisens für das Erkennen ist, weil es, wo es nicht mehr hat, auch den leeren Schein desselben achtet und eine Zufriedenheit dadurch gewinnt. Eine Kritik jener Beweise würde ebenso merkwürdig als belehrend sein, um die Mathematik teils von diesem falschen Putze zu reinigen, teils ihre Grenze zu zeigen und daraus die Notwendigkeit eines andern Wissens. – « (34 | 34)
Es ist eine o=ene Frage, wie außerhalb einer diskreten Zeitmessung durch reale Uhren auch das Rechnen mit beliebigen rationalen Zeitzahlen oder gar inkommensurabel-reellen Zeitproportionen t zu verstehen ist. Es wird hier o=enbar die Zeit durch einen durchlaufenen Weg ersetzt und damit ›geometrisiert‹. Noch tiefer geht die Kritik, dass kein mathematischer Beweis ausreicht, um physikalische Gesetze zu beweisen. Mathematische Gesetze gelten rein analytisch, rein aufgrund von Sprachkonstruktionen, wenn wir die geometrischen Aussagen über Konstruierbarkeiten planimetrischer Diagramme und das Aufzeigen durch Diagramme mit zur Sprache rechnen dürfen. Nur dann nämlich werden die geometrischen Aussagen rein analytisch. 46 b
»Was die Zeit betri=t, von der man meinen sollte, daß sie, zum Gegenstücke gegen den Raum, den Sto= des andern Teils der reinen Mathematik ausmachen würde, so ist sie der daseiende Begri= selbst.« (34 | 34)
Das ist eine zunächst ganz mystische Aussage. Sie meint zunächst wohl, dass wir die Dimension der Zeit nur begreifen können auf der Grundlage von zeitlichen Aussagen aus der präsentischen Gegenwart heraus, also von Aussagen der Art: »Gerade singt jemand eine Arie, vorher erklang die Ouvertüre«, oder: »Heute ist Weihnachten, letzte Woche war Advent, bald wird das neue Jahr beginnen«, oder, scheinbar ›genauer‹: »Jetzt bewegt sich der Zeiger über die Zi=er 2, vorher war er bei der Zi=er 1 und nachher wird er bei der Zi=er 3 sein«. Es ist daher absurd,
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aus dem Begri= der Zeit die Gerichtetheit von Bewegungen und Veränderungen heraushalten zu wollen. Die Dauer von Ereignissen oder Prozessen ist durch Standardbewegungen (Uhren) zu messen. Aber Dauer ist nicht Zeit, sondern entsteht aus der Zeit durch Abstraktion, so wie ein ungerichteter Weg und eine Weglänge aus einem gerichteten Weg durch Abstraktion entsteht: Man kann einen und denselben ungerichteten Weg zurück laufen, so wie die Dauer einer Stunde von 2 Uhr bis 3 Uhr der Dauer der Stunde von 3 bis 2 oder dann auch von 2 bis 1 gewertet wird. Aber in die Vergangenheit kommen wir nie zurück. »Das Prinzip der Größe, des begri=losen Unterschiedes, und das Prinzip der Gleichheit, der abstrakten unlebendigen Einheit, vermag es nicht, sich mit jener reinen Unruhe des Lebens und absoluten Unterscheidung zu befassen. Diese Negativität wird daher nur als paralysiert, nämlich als das Eins, zum zweiten Sto=e dieses Erkennens, das, ein äußerliches Tun, das Sichselbstbewegende zum Sto=e herabsetzt, um nun an ihm einen gleichgültigen, äußerlichen, unlebendigen Inhalt zu haben.« (34 | 34)
46 c
In reinen Größenvergleichen abstrahieren wir o=enbar davon, was dabei womit verglichen wird, wenn es zunächst nur in der rechten Dimension liegt. Wir vergleichen etwa Weglängen mit Gebäudehöhen, ebene Flächen mit gekrümmten Oberflächen, Volumina von Gasbehältern mit dem umbauten Raum eines Hauses. In proportionalen Größenverhältnissen abstrahieren wir dann auch von der Dimension und gelangen zu reinen Proportionalzahlen oder reellen Zahlen. Das sind ›unwesentliche‹ Bestimmungen nicht etwa deswegen, weil sie irrelevant wären, sondern weil sie vom Wesen, der realen Seinsweise, derjenigen Sachen abstrahieren, welche in den entsprechenden (formalen) Beziehungen zu einander stehen können. »Die Philosophie dagegen betrachtet nicht [die] unwesentliche Bestimmung, sondern sie, insofern sie wesentliche ist; nicht das Abstrakte oder Unwirkliche ist ihr Element und Inhalt, sondern das Wirkliche, sich selbst Setzende und in sich Lebende, das Dasein in seinem Begri=e. Es ist der Prozeß, der sich seine Momente erzeugt
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und durchläuft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus. Diese schließt also eben so sehr das Negative in sich, dasjenige, was das Falsche genannt werden würde, wenn es als ein solches betrachtet werden könnte, von dem zu abstrahieren sei. Das Verschwindende ist vielmehr selbst als wesentlich zu betrachten, nicht in der Bestimmung eines Festen, das vom Wahren abgeschnitten, außer ihm, man weiß nicht wo, liegen zu lassen sei, so wie auch das Wahre nicht als das auf der andern Seite ruhende, tote Positive. Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht, sondern an sich ist und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht. Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist; und weil jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst, ist er ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe. In dem Gerichte jener Bewegung bestehen zwar die einzelnen Gestalten des Geistes wie die bestimmten Gedanken nicht, aber sie sind so sehr auch positive notwendige Momente, als sie negativ und verschwindend sind. – In dem Ganzen der Bewegung, es als Ruhe aufgefaßt, ist dasjenige, was sich in ihr unterscheidet und besonderes Dasein gibt, als ein solches, das sich erinnert, aufbewahrt, dessen Dasein das Wissen von sich selbst ist, wie dieses ebenso unmittelbar Dasein ist.« (34 f. | 35)
In der Realität ist alles Bewegung und Veränderung. Hier bleibt nie etwas völlig gleich. In einer ›herakliteischen‹ Betrachtungsart ertrinken wir scheinbar im Fluss des dauernden Wechsels der Verhältnisse. Aber auch das ist bloßer Schein. Denn es gibt über den bacchanalischen Taumel der betrunkenen, pointilistischen, Auffassung der Welt als einer völlig ungeordneten Mannigfaltigkeit von Sinnesempfindungen durchaus die Ruhe stabiler Wiederholungen und Wiedererkennbarkeiten. Ohne sie wäre weder das Leben eines Lebewesens noch das Wissen von Menschen möglich. Es liegt also an uns, Formen wieder zu erkennen und zu reproduzieren, und dabei nicht allzu fein oder zu subtil zu werden. Sonst werden stabile Unterscheidungen unmöglich. Alles wäre von allem verschieden. Das führt uns zurück zum vernünftigen Maß relevanter Unterscheidungen und robuster Inferenzen, die sich um
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irrelevante und seltene Ausnahmen nicht kümmern, oder eben nur soweit, als dies sowohl nötig als auch sinnvoll möglich ist. Inwiefern soll aber das Positive das Negative in sich schließen? Wie soll das Wahre das Falsche enthalten? Als Beispiel zur Erläuterung, worum es geht, betrachte ich die Anwendung geometrischer Aussagen auf die reale Welt, etwa in der Bestimmung einer Bewegung als geradlinig und unbeschleunigt relativ zu einem festen Körper. Jede derartige Darstellung oder Repräsentation ist notgedrungen abstrakt und ideal. Im konkreten Bezug ist sie aber immer so gemeint, dass sie auch, wie sich Hegel ausdrückt, ›das Negative‹, nämlich die in Bezug auf das Relevante unwesentlichen Abweichungen vom Geraden oder Unbeschleunigten (stillschweigend) in sich enthalten. Wir würden daher das Urteil als falsch beurteilen, wenn es uns denn möglich wäre, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf das zu lenken, wovon in dem Urteil gerade abgesehen wird. Es ist daher eine triviale und zugleich törichte Kritik, wenn man moniert, dass ein Satz oder Text nicht das sagt, was zu sagen auch richtig wäre. »Das Verschwindende«, das im Urteil nicht ausgedrückt ist, ist »selbst als wesentlich zu betrachten«, weil wir immer auch an das Verhältnis zwischen dem als das Wesentliche Ausgedrückte und dem Unwesentlichen und nicht Ausgedrückten zu denken haben. Dieses Verhältnis ist nicht etwa so zu lesen, dass das Unausgedrückte etwas Festes wäre, das »von der Wahrheit abgeschnitten« irgendwo »liegen zu lassen sei«, »so wie auch das Wahre nicht als das auf der andern Seite ruhende tote Positive.« Es ist also keineswegs so, dass wir alles, von dem wir in unserem allgemeinen Wissen absehen, als Einzelheiten konkret benennen könnten. Das Thema der Überlegung sind also gerade die einzelnen und je präsentischen Erscheinungen und Phänomene des Lebens in der Welt im Unterschied zu unseren notgedrungen immer schematisierenden und typisierenden allgemeinen Repräsentationen im Wissen. Dass die Erscheinung ein Entstehen und Vergehen ist, wäre kaum wert, gesagt zu werden, wenn es nicht um den Kontrast
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zur Vorstellung Kants ginge, bestehende Dinge seien bloße Erscheinungen. Eine Erscheinung ist als solche ein Prozess, nicht einfach Gegenstand. Das einzige, was nicht entsteht und vergeht, sind die Prozesse des Werdens selbst. Allerdings verschwindet diese Wahrheit gleich wieder, denn ohne alles Feste würde in der Mannigfaltigkeit des Werdens das Wahre zu einem bacchantischen Taumel, »an dem kein Glied nicht trunken ist.« In dem sehr häufig zitierten letzten Satz erklärt Hegel o=enbar, dass aus empirischer Sicht des sinnlich vermittelten Weltbezugs nicht die im artikulierten Wissen gebrauchten schematischen Repräsentationen an sich, also die Sätze, sondern die jeweils präsentischen und sich dauernd ändernden Erscheinungen oder Phänomene das Wahre ausmachen. Sie erscheinen als das Wesentliche für die Wahrheit der Aussagen. Daher enthalte jede welthaltige Aussage einen impliziten Bezug auf eine unendliche Vielfalt von Phänomenen. Andererseits gäbe es kein artikulierbares Wissen und keine Informationsübertragung durch Sätze oder andere Repräsentationsschemata, wenn wir in ihnen nicht die Spannung zwischen einer bloß phänomenalen ›Wahrheit‹ mit ihrem bacchantischen Taumel der einzelnen Phänomene auf der einen Seite, den wiedererkennbaren oder reproduzierbaren Typen oder Formen auf der anderen Seite aufheben würden, so dass an den Phänomenen das jeweils Relevante und Wesentliche relativ allgemein, also für andere verständlich oder nachvollziehbar artikulierbar wird. Sonst bliebe uns nur der Taumel purer Subjektivität. Unter anderem wird hier auch die sich ändernde Geltung in den referentiellen Bezügen von begri=lichen Bestimmungen angesprochen. Diese zeigt sich im Vergleich zwischen den ›übersinnlichen‹ und zeitlosen Aussagen der Mathematik und den Aussagen über die Welt. Denn nur letztere enthalten immer eine Zeitbestimmung nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, also Perfekt/Imperfekt, Präsens und Futur in Bezug auf die Gegenwart der Sprechsituation und außerdem einen perspektivischen Ortsbezug relativ zum Standpunkt des Sprechers. Das heißt, im Satz vom bacchanalischen Taumel der Mannigfaltigkeit bloßer
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Einzelempfindungen (sensations) ohne Erkenntnis allgemeiner Formen geht es immer auch um den Kontrast zu den bloß formalen, ewigen Wahrheiten sowohl materialbegri=licher Sätze als auch von Sätzen oder Regeln der Mathematik. Letztere stehen allen welthaltigen Aussagen gegenüber. Wer keine Formen, sondern nur Verschiedenheiten zu sehen meint, verfällt, wie einer, der unter Drogen steht, einem bacchanalischen Taumel bloßer Zufallsreaktionen. »Von der Methode dieser Bewegung oder der Wissenschaft könnte es nötig scheinen, voraus das Mehrere anzugeben. Ihr Begri= liegt aber schon in dem Gesagten, und ihre eigentliche Darstellung gehört der Logik an oder ist vielmehr diese selbst. Denn die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen, in seiner reinen Wesenheit aufgestellt. Von dem hierüber bisher Gangbaren aber müssen wir das Bewußtsein haben, daß auch das System der sich auf das, was philosophische Methode ist, beziehenden Vorstellungen einer verschollenen Bildung angehört. – « (35 | 35)
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Die Entwicklung des Begri=lichen ist Aufgabe der Wissenschaft, das Wissen über deren Formen ist Sache der Logik oder Philosophie. Platons Dialektik und die aristotelische Metaphysik gehören so insgesamt zur philosophischen Logik und Methodologie des Wissens und der Wissenschaften. Platons Einsichten in die logische Form des eidos, des Begri=s sind nämlich Analysen materialbegri=licher Normalitäten in einer Art Prototypen- und Idealtypensemantik. »Wenn dies etwa renommistisch oder revolutionär lauten sollte, von welchem Tone ich mich entfernt weiß, so ist zu bedenken, daß der wissenschaftliche Staat, den die Mathematik herlieh – von Erklärungen, Einteilungen, Axiomen, Reihen von Theoremen, ihren Beweisen, Grundsätzen und dem Folgern und Schließen aus ihnen –, schon in der Meinung selbst wenigstens veraltet ist. Wenn auch seine Untauglichkeit nicht deutlich eingesehen wird, so wird doch kein oder wenig Gebrauch mehr davon gemacht, und wenn er nicht an sich gemißbilligt wird, [so wird er, PSW] doch nicht geliebt. Und wir müssen das Vorurteil für das Vortre=liche haben, daß es sich in den Gebrauch
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setze und beliebt mache. Es ist aber nicht schwer einzusehen, daß die Manier, einen Satz aufzustellen, Gründe für ihn anzuführen und den entgegengesetzten durch Gründe ebenso zu widerlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann. Die Wahrheit ist die Bewegung ihrer an ihr selbst; jene Methode aber ist das Erkennen, das dem Sto=e äußerlich ist. Darum ist sie der Mathematik, die, wie bemerkt, das begri=lose Verhältnis der Größe zu ihrem Prinzip und den toten Raum wie das ebenso tote Eins zu ihrem Sto=e hat, eigentümlich und muß ihr gelassen werden. Auch mag sie in freierer Manier, d. h. mehr mit Willkür und Zufälligkeit gemischt, im gemeinen Leben, in einer Konversation oder historischen Belehrung mehr der Neugierde als der Erkenntnis, wie ungefähr auch eine Vorrede ist, bleiben. Im gemeinen Leben hat das Bewußtsein Kenntnisse, Erfahrungen, sinnliche Konkretionen, auch Gedanken, Grundsätze, überhaupt solches zu seinem Inhalte, das als ein Vorhandenes oder als ein festes, ruhendes Sein oder Wesen gilt. Es läuft teils daran fort, teils unterbricht es den Zusammenhang durch die freie Willkür über solchen Inhalt und verhält sich als ein äußerliches Bestimmen und Handhaben desselben. Es führt ihn auf irgend etwas Gewisses, sei es auch nur die Empfindung des Augenblicks, zurück, und die Überzeugung ist befriedigt, wenn sie auf einem ihr bekannten Ruhepunkte angelangt ist.« (35 f. | 35 f.)
Die zunächst ganz opake Rede Hegels von der Bewegung des Begri=s wird zum Ausdruck eines wesentlichen Zuges jeder weltbezogenen Semantik. Er betri=t die Plastizität aller Wörter und Begri=e außerhalb formal reglementierter Redebereiche wie in der Mathematik. Darüber hinaus behauptet Hegel, es sei unschwer einzusehen, »dass die Manier, einen Satz aufzustellen, Gründe für ihn anzuführen, und den entgegengesetzten durch Gründe ebenso zu widerlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann«. Warum aber soll es nicht ausreichen, Sätze zu begründen oder zu widerlegen, um welthaltige Wahrheiten zu etablieren? Und warum sagt Hegel, die oben skizzierte ›Manier‹ oder ›Methode‹ des Erfragens und Gebens von Gründen sei zwar höchst passend für die Sätze der Mathematik über die
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›begri=slosen‹ Verhältnisse reiner Größen, also auch für die reine Mengenlehre, die wir als höhere Arithmetik anzusehen haben, aber nicht ausreichend für eine Semantik welthaltiger Aussagen? Warum also ist eine ›Beweistheorie‹ für eine Wahrheitsbewertung oder die Behauptbarkeit (›assertibility‹) mathematischer Aussagen zureichend, nicht aber für Aussagen über die Welt? – Die Frage überhaupt so zu stellen ist wohl schon der wichtigste Teil der Antwort. Denn Hegel erläutert selbst, dass wir auch im gemeinen Leben nur dort, wo es bloß um die Reproduktion schon bekannter Gründe zur Erzeugung subjektiver Einsichten geht, diese Methode des Begründens und Widerlegens benutzen, nicht aber dort, wo es um die Etablierung von welthaltigem Allgemein-Wissen geht. Dort gelte vielmehr: »Die Wahrheit ist die Bewegung ihrer an ihr selbst, jene Methode aber ist das Erkennen, das dem Sto=e äußerlich ist«. Dass sich ›der Begri= bewegt‹, bedeutet, dass wir mit unserer jeweils tradierten Organisation des sprachlich artikulierten Wissens bzw. der impliziten Normen des zulässigen materialbegri=lichen Schließens im kommunikativen, kooperativen oder instrumentellen Gebrauch oder auch bloß in Kontrollbeobachtungen gute und weniger gute Erfahrungen machen. Zur Vermeidung allgemein auftretender, also typischer Probleme, schlagen wir partiell neue, ho=entlich bessere, Organisationsformen des Wissens vor. Damit versuchen wir, den Begri= im Sinne des Systems aller materialbegri=lichen bzw. inhaltsbestimmenden Defaultinferenzen an die Erfahrungen anzupassen, die wir mit den alten Organisationsformen des Wissens und Begri=s gemacht haben. Weltwissen lässt sich nicht aus analytisch wahren Sätzen destillieren. Deren Wahrheitswerte sind rein konventionell bestimmt, und zwar für syntaktisch auf eine gewisse Weise aufgebaute Ausdrücke. Die Sätze selbst artikulieren nur Regeln des weiteren Rechnens mit Ausdrücken, völlig unabhängig von konkreten Weltzuständen oder Redesituationen. Man kann daher nicht viel dadurch beweisen, dass man ein System von Sätzen als formallogisch bzw. formalanalytisch konsistent aufweist, selbst wenn man
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in die Inferenzstruktur nicht bloß Arithmetik und reine Mengenlehre, sondern auch Geometrie aufnimmt oder Sätze der Art, dass ein Junggeselle ein unverheirateter Mann ist, oder dann auch, dass, was von hier aus »hier« heißt, von dort aus »dort« heißt. Letzteres ist eine analytische Aussage nicht für Sätze, sondern für Aussagen. Wenn sich aus analytischen Regeln für Sätze kein Widerspruch herleiten lässt, weiß man eben nur dies, dass das Satzsystem konsistent ist. Es wäre falsch, daraus zu schließen, das Satzsystem artikulierte schon eine Möglichkeit in der Welt oder eine Menge möglicher Welten. Denn es artikuliert als analytisch konsistentes Satzsystem, wie jede rein mathematische Theorie, noch keinen einzigen möglichen Weltbezug.45 Eben das hat am Ende Wittgenstein bemerkt, und damit auch den zentralen Fehler seines Logikbildes im Tractatus, dem Urbild des logischen Empirismus: Es gibt weltbezogene Begri=e nicht ohne materialbegri=liche Kriterien des Di=erenzierens, die wiederum immer schon verbunden sind mit generischen Inferenzen oder Dispositionsaussagen, und wenn auch nur in Bezug darauf, wie die Dinge aus anderer Perspektive auszusehen pflegen. Verfahren des indirekten Schließens sind außerhalb der Mathematik mit ihren syntaktosemantisch ganz speziell eingerichteten Satzsystemen weitgehend irreführend, wie schon Parmenides und Platon wissen: Man kann nicht einen willkürlichen Satz formulieren, etwa »ich lüge hiermit« und die Wahrheit der Aussage dadurch beweisen, dass aus der Annahme, der Satz sei falsch, ein Problem folgt. Den Grund des Fehlers zeigt schon das Beispiel der Frage: Hast du aufgehört, deine Frau zu betrügen, ja oder nein? Eine ›Tatsache‹, wie die, dass es überabzählbare Teilmengen der natürlichen Zahlen gibt, besagt im Grunde nur, dass man zu jedem System abzählbarer Gegenstandsnamen solcher Teilmengen neue Benennungen finden kann, deren Extensionen nicht schon in der Liste enthalten sind. Das zeigt aber nur, dass man den Ausdruck »alle Teilmengen« nicht auf ein festes Namensystem einschränken will, dass man also beliebige Erweiterungen für weitere Benennungen (bzw. Belegungen der Variablen) auch unter Rückgri= auf rein okkasional gegebene Benennungssysteme zulässt. 45
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Nur eine Zurückweisung der präsupponierten Zweiwertigkeit hilft in beiden Fällen weiter. »Wenn aber die Notwendigkeit des Begri=s den losern Gang der räsonierenden Konversation wie den steifern des wissenschaftlichen Gepränges verbannt, so ist schon oben erinnert worden, daß seine Stelle nicht durch die Unmethode des Ahndens und der Begeisterung und die Willkür des prophetischen Redens ersetzt werden soll, welches nicht jene Wissenschaftlichkeit nur, sondern die Wissenschaftlichkeit überhaupt verachtet.« (36 f. | 36)
In der Mathematik haben wir einen Bereich von Sätzen bzw. möglichen mathematischen Aussagen so festgelegt, dass es für jeden dieser Sätze oder Aussagen sinnvoll wird zu fragen, ob er wahr oder falsch ist, d. h. ob es eine Begründung oder eine Widerlegung für ihn gibt bzw. was als Begründung oder eine Widerlegung zählen würde. Das gilt für inzwischen schon bewiesene Theoreme wie den letzten Satz von Fermat ebenso wie für noch nicht zureichend bewiesene oder widerlegte mathematische Sätze. Ein Beispiel einfachster Art ist der Satz: »Es gibt einen größten Primzahlzwilling (so dass also n und n + 2 Primzahlen sind).« Hier gilt in einem gewissen Sinn: Der Satz ist wahr oder falsch, tertium non datur. Das ist so, weil wir für die Geltung dieses Prinzips selbst gesorgt haben, und zwar durch unsere aussagenund quantorenlogische Wahrheits(wert)festlegung für die Sätze oder Aussagen entlang ihrem syntaktosemantischen Aufbau. Für materialbegri=liche Wahrheiten über die Welt geht das nicht. Für sie gilt, was ein späterer Satz sagt: »Die Wissenschaft darf sich nur durch das eigene Leben des Begri=s organisieren« (Absatz Nr. 53a). Das ist eine erste, wenn auch bloß partielle, Erläuterung, dass wir in den Realwissenschaften nicht einfach deskriptiv sagen, was man so alles sieht und hört, sondern dass wir begri=liche Sätze fixieren etwa der folgenden Art: Holz brennt (wenn es nicht nass ist und genügend Sauersto= vorhanden ist). Vögel können fliegen (wenn nicht gerade von Pinguinen oder anderen fluguntüchtigen Vögeln die Rede ist) usf. Die Rede vom eigenen Leben des Begri=s ist dabei keineswegs als eine anthropomorphe Mysti-
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fizierung zu verstehen, als würde eine mystische Tätigkeit einer geistigen ›Substanz‹ oder gar eines Subjekts mit Namen »Begri=« unterstellt. Gemeint ist vielmehr dies: In der Festlegung der auswendig lernbaren Sätze eines mündlich tradierten Wissens und einer schriftlich verfassten Wissenschaft müssen wir uns immer auf das schon Geleistete beziehen. Das heißt, es wird kein Satz und keine Norm oder Regel des »normalen« (allgemeinen, prima facie als zulässig gesetzten bzw. anerkannten) inferentiellen Schließens bloß durch willkürlichen Entscheid einer Person oder bloß auf der Basis einzelner, nicht allgemein reproduzierbarer, Beobachtungen in den Wissensschatz bzw. in das System der begri=lichen Bestimmungen für Wörter und Sätze aufgenommen. Jedenfalls sollte das nicht der Fall sein, wenn denn das Projekt der Wissenschaft noch richtig begri=en und betrieben wird. Jeder aufgenommene Satz soll vielmehr einen vernünftigen Beitrag zur begri=lichen, d. h. expliziten sprachlichen, Erschließung der Welt leisten, und zwar gerade weil er, als Satz, immer auch eine Art Defaultinferenz artikuliert – wie die obigen Beispiele zeigen. 50 a
»Ebensowenig ist – nachdem die kantische, erst durch den Instinkt [also eher noch mantisch bzw. ahnend, PSW] wiedergefundene, noch tote, noch unbegri=ne Triplizität [der Dialektik, PSW] zu ihrer absoluten Bedeutung erhoben, damit die wahrhafte Form in ihrem wahrhaften Inhalte zugleich aufgestellt und der Begri= der Wissenschaft hervorgegangen ist – derjenige Gebrauch dieser Form für etwas Wissenschaftliches zu halten, durch den wir sie zum leblosen Schema, zu einem eigentlichen Schemen, und die wissenschaftliche Organisation zur Tabelle herabgebracht sehen. – « (37 | 37)
Dialektik ist nicht bloß formale Aufhebung von vereinzelten Paralogismen, Antinomien, oder Paradoxien etwa durch subtile Theoriekonstruktionen. Ein Beispiel wäre Kants Di=erenzierung zwischen einer objektiven Welt der Erscheinungen und einer zumindest möglichen Welt von Dingen an sich, die wir nicht durch die Sinne, also nicht empirisch, kennen oder erkennen können, sich wohl aber als konsistent möglich im reinen Denken, also in einem reinen Zusprechen oder Reden aufweisen lassen sol-
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len. Dialektik ist stattdessen kritische Sinnanalyse. Die Analyse bleibt auf das Problem bezogen. So will Kant in der Kritik der Reinen Vernunft die kohärente Denkmöglichkeit der Freiheit des Handelns und des freien Willens in einer Welt bloßer Redegegenstände, einem mundus intelligibilis zeigen. Gemäß der Kritik der Praktischen Vernunft soll es sie dann wirklich geben, und zwar weil sonst die Praxis der Zuschreibung von Verantwortung keinen Sinn hätte und damit auch das ethische (rechtliche und moralische) Sollen seinen Sinn verlöre. Leider kann man aber so nicht argumentieren. Man kann sich mit Kants ›Auflösung‹ der Freiheitsantinomie nicht zufrieden geben, ohne ein sacrificium intellectus, die Aufopferung des eigenen Verstandes. Denn wir verstehen nicht, was es heißen soll, dass die Freiheit denkmöglich sein soll, also ›rein intelligibel‹. Das löst kein Problem, wenn zugleich alles Realgeschehen e;zienzkausal erklärbar sein soll. Dialektik ist auch nicht bloß Aufhebung von besonderen Rätseln der Art: Ist die Welt räumlich bzw. zeitlich endlich oder unendlich? Sie ist vielmehr ganz allgemein sinnkritische Entwicklung unserer begri=lichen Formen des innerweltlichen Unterscheidens und Schließens. Sie ist sogar die Logik dieser Entwicklung, die damit eben nicht, wie in der Evolutionshistoriographie, als bloß faktische erzählt wird, sondern als Vernunftentwicklung begreifbar wird. Das wiederum heißt, dass die faktische Entwicklung als vernünftig bzw. als unvernünftig beurteilbar wird. Dialektik ist die Ermöglichung dieser Beurteilung. Alle Kritik an einem ›undialektischen‹ Denken bedeutet daher am Ende nur, dass der Verzicht auf normative Urteile über kulturelle Entwicklungen viel weniger klug und viel weniger vernünftig ist, als das den Beteiligten klar ist, welche den ewigen Streit um wertende Urteile auf irgend eine der vielen ›positivistischen‹ Weisen der Wertskepsis bzw. des Antinormativismus vermeiden wollen. Wie schon im Fall des epistemischen Skeptizismus erkennt Hegel, dass der Werteskeptizismus ebenfalls eine Art der Selbst-Animalisierung auf beliebig hohem (oft auch niedrigem) Denkniveau darstellt. Die sich selbst als ›Naturalismus‹ verstehende Bewe-
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gung begeht damit ein sacrificium intellectus. Dessen Bedeutung kann kaum überschätzt werden: Es ist am Ende der Verrat an der Idee der Wissenschaft selbst. Denn es wird auf ein selbstbewusstes Wissen verzichtet. 50 b
»Dieser Formalismus, von dem oben schon im Allgemeinen gesprochen [wurde] und dessen Manier wir hier näher angeben wollen, meint die Natur und das Leben einer Gestalt begri=en und ausgesprochen zu haben, wenn er von ihr eine Bestimmung des Schemas als Prädikat ausgesagt, – es sei die Subjektivität oder Objektivität oder auch der Magnetismus, die Elektrizität und so fort, die Kontraktion oder Expansion, der Osten oder Westen und dergleichen, was sich ins Unendliche vervielfältigen läßt, weil nach dieser Weise jede Bestimmung oder Gestalt bei der andern wieder als Form oder Moment des Schemas gebraucht werden und jede dankbar der andern denselben Dienst leisten kann, – ein Zirkel von Gegenseitigkeit, wodurch man nicht erfährt, was die Sache selbst, weder was die eine noch die andre ist. Es werden dabei teils sinnliche Bestimmungen aus der gemeinen Anschauung aufgenommen, die freilich etwas anderes bedeuten sollen, als sie sagen, teils wird das an sich Bedeutende, die reinen Bestimmungen des Gedankens, wie Subjekt, Objekt, Substanz, Ursache, das Allgemeine usf., geradeso unbesehen und unkritisch gebraucht wie im gemeinen Leben und wie Stärken und Schwächen, Expansion und Kontraktion, so daß jene Metaphysik so unwissenschaftlich ist als diese sinnlichen Vorstellungen.« (37 | 37)
Hegel kritisiert leere Erklärungen von Phänomenen bloß durch die Angabe von Überschriften für das, was es allererst darzustellen und zu erklären gilt, etwa wenn man sagt: »Leben ist das Verhalten eines autopoietischen Systems mit Sto=wechsel«. Die Frage ist, was diese tautologische Aussage sagt. Dazu muss man den Sto=wechsel und das Besondere des Selbsterhalts von Lebewesen erst einmal beschreibend erfassen. Die bloße Nennung von zentralen Aspekten des Phänomens erklärt nichts. Was etwa meint die Rede von der Autopoiesis des Lebens über die bekannte Grundtatsache hinaus, dass ein Leben so lange dauert, wie das Lebewesen lebt? Und was sind die allgemeinen und besonderen
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Phänomene des Magnetismus und der Elektrizität? Die Wörter selbst erklären noch gar nichts. »Statt des innern Lebens und der Selbstbewegung seines Daseins wird nun eine solche einfache Bestimmtheit von der Anschauung, das heißt hier dem sinnlichen Wissen, nach einer oberflächlichen Analogie ausgesprochen und diese äußerliche und leere Anwendung der Formel die Konstruktion genannt. – « (37 | 37)
Mit dem inneren Leben und der Selbstbewegung einer Sache, auch eines Lebewesens, ist sein Wesen, seine Seinsweise gemeint, die zunächst einmal generisch darzustellen ist. Das geschieht unter Gebrauch einer Art Normalfallbeschreibung, etwa aufgrund der Wahl eines paradigmatischen bzw. exemplarischen Standardbeispiels. Abweichungen lassen sich dann teils für bestimmte Subklassen als typisch, teils bloß als kontingent ›erklären‹. Besondere und einzelne Fälle lassen sich so als solche bestimmen. So hatte zum Beispiel Aristoteles als Normalfall terrestrischer Bewegung von Dingen ihre Tendenz gesetzt, auf die Erde zu fallen. Es war dann zu erklären, aufgrund welcher Kraft ein Apfel am Baum hängen bleibt oder ein fliegender Vogel nicht auf die Erde fällt. Nach Newton wird die inertiale, unbeschleunigte geradlinige Bewegung als kontrafaktischer Normal- oder Defaultfall gesetzt. Jetzt muss jede (Richtungs-)Beschleunigung durch eine Beschleunigungskraft erklärt werden. Zu diesen Kräften gehören insbesondere die Gravitationskräfte. Hegel sieht hier, dass jeder, der das Verfahren kennt und versteht, anerkennen muss, dass der jeweils unterstellte Normal- oder Defaultfall selbst gerade nicht erklärt, sondern gesetzt wird. Der allgemeine Normalfall wird damit zu einer Art Ausgangspunkt und Standard: Es werden nur die Abweichungen vom Standard erklärt. Der Normalfall selbst wird generisch beschrieben. Er wird als Standard und Normalmaß von uns konstruiert. Das gilt durchaus auch für unsere Darstellungen und Erklärungen von Prozessen des Lebens von Lebewesen einer bestimmten Art, wie schon Aristoteles weiß. Nur auf der Grundlage der postulatorischen Setzung einer Normal-Ethologie kann der allgemeine
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Normalfall eines typischen, guten, gesunden Lebens der biologischen Art Hintergrund einer Erklärung besonderer und einzelner Sachlagen oder Prozesse sein, etwa für eine Krankheit eines Einzelwesens oder für das Aussterben der Art. Zu dieser logischen Erklärungsform gibt es keine Alternative, jedenfalls nicht dort, wo es um die Erklärung realer Welt-Erfahrung geht. Das ist zwar schwer einzusehen. Aber es ist doch wahr. – Eine Gefahr wird hier aber o=enkundig. Denn es scheint jetzt das Tor weit o=en zu sein für willkürliche Setzungen vermeintlicher Normalfälle. Da ein Normalfall per se dort nichts erklärt, wo der Einzelfall unter ihn subsumierbar ist, sondern diesen bloß als Normalfall klassifiziert bzw. beschreibt, entstehen so immer auch leere, in gewissem Sinn ›tautologische‹, Pseudoerklärungen und inferenzleere oder doch folgerungsarme Unterscheidungen. 51 b
»Es ist mit solchem Formalismus derselbe Fall als mit jedem. Wie stumpf müßte der Kopf sein, dem nicht in einer Viertelstunde die Theorie, daß es asthenische, sthenische und indirekt asthenische Krankheiten und ebenso viele Heilpläne gebe, beigebracht und der nicht, da ein solcher Unterricht noch vor kurzem dazu hinreichte, aus einem Routinier in dieser kleinen Zeit in einen theoretischen Arzt verwandelt werden könnte? Wenn der naturphilosophische Formalismus etwa lehrt, der Verstand sei die Elektrizität oder das Tier sei der Sticksto=, oder auch gleich dem Süd oder Nord und so fort, oder repräsentiere ihn, so nackt, wie es hier ausgedrückt ist, oder auch mit mehr Terminologie zusammengebraut, so mag über solche Kraft, die das weit entlegen Scheinende zusammengreift, und über die Gewalt, die das ruhende Sinnliche durch diese Verbindung erleidet und die ihm dadurch den Schein eines Begri=s erteilt, die Hauptsache aber, den Begri= selbst oder die Bedeutung der sinnlichen Vorstellung auszusprechen, erspart, – es mag hierüber die Unerfahrenheit in ein bewunderndes Staunen geraten, darin eine tiefe Genialität verehren so wie an der Heiterkeit solcher Bestimmungen, da sie den abstrakten Begri= durch Anschauliches ersetzen und erfreulicher machen, sich ergötzen und sich selbst zu der geahndeten Seelenverwandtschaft mit solchem herrlichem Tun Glück wünschen.
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Der Pfi= einer solchen Weisheit ist sobald erlernt, als es leicht ist, ihn auszuüben; seine Wiederholung wird, wenn er bekannt ist, so unerträglich als die Wiederholung einer eingesehenen Taschenspielerkunst. Das Instrument dieses gleichtönigen Formalismus ist nicht schwerer zu handhaben als die Palette eines Malers, auf der sich nur zwei Farben befinden würden, etwa Rot und Grün, um mit jener eine Fläche anzufärben, wenn ein historisches Stück, mit dieser, wenn eine Landschaft verlangt wäre. – Es würde schwer zu entscheiden sein, was dabei größer ist, die Behaglichkeit, mit der alles, was im Himmel, auf Erden und unter der Erden ist, mit solcher Farbenbrühe angetüncht wird, oder die Einbildung auf die Vortre=lichkeit dieses Universalmittels; die eine unterstützt die andere. Was diese Methode, allem Himmlischen und Irdischen, allen natürlichen und geistigen Gestalten die paar Bestimmungen des allgemeinen Schemas aufzukleben und auf diese Weise Alles einzurangieren, hervorbringt, ist nichts Geringeres als ein sonnenklarer Bericht über den Organismus des Universums, nämlich eine Tabelle, die einem Skelette mit angeklebten Zettelchen oder den Reihen verschlossner Büchsen mit ihren aufgehefteten Etiketten in einer Gewürzkrämerbude gleicht, die so deutlich als das eine und das andre ist und die, wie dort von den Knochen Fleisch und Blut weggenommen, hier aber die eben auch nicht lebendige Sache in den Büchsen verborgen ist, auch das lebendige Wesen der Sache weggelassen oder verborgen hat. – Daß sich diese Manier zugleich zur einfarbigen absoluten Malerei vollendet, indem sie auch, der Unterschiede des Schemas sich schämend, sie als der Reflexion angehörig in der Leerheit des Absoluten versenkt, auf daß die reine Identität, das formlose Weiße, hergestellt werde, ist oben schon bemerkt worden. Jene Gleichfarbigkeit des Schemas und seiner leblosen Bestimmungen und diese absolute Identität, und das Übergehn von einem zum andern, ist eines gleich toter Verstand als das andere und gleich äußerliches Erkennen.« (37–39 | 37–39)
Da wir heute die damals üblichen tautologischen Erklärungsformen zumeist weder kennen, noch, wenn wir sie kennen, ernst nehmen, erscheint für uns Hegels wortgewaltige Kritik an ihnen im Detail nicht mehr als relevant, etwa wo er daran zweifelt, dass
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man mit der Di=erenzierung zwischen asthenischen, sthenischen und indirekt asthenischen Krankheiten irgendetwas Sinnvolles anfangen kann, und zwar gerade weil er an den zugehörigen Heilplänen zweifelt. Das heißt, die Unterscheidungen sind nicht bloß in ihren Kriterien unklar, sie sind inferentiell leer. Er kritisiert entsprechend Sätze der Art »Verstand ist Elektrizität«. Diesem Satz entspricht heute die These, dass das Denken in einem gewissen Muster bestehe, in welchem Neuronen im Gehirn als Reaktion auf bestimmte Wahrnehmungen feuern. Irgendwie hat zwar die Elektrizität mit Hirnströmen zu tun. Aber das bleibt alles viel zu unspezifisch. Wer sich mit solchen Sätzen über das Denken beruhigt, wird nie wissen, was Denken ist. Es steht dabei zwar auch für Hegel außer Frage, dass im Körper physikalische Phänomene der skizzierten Art notwendigerweise auftreten. Hegel verteidigt damit die physiologische Psychologie durchaus als eine interessante Wissenschaft. Er erkennt aber zugleich glasklar, dass diese keineswegs ausreicht, das Denken zureichend zu ›erklären‹. Leider ist diese Erkenntnis verlorengegangen. Analoges gilt für die These, es sei die Biologie und das Leben auf Chemie zu reduzieren oder gar auf die Physik. Rein verbal ist das immer möglich, aber nur unter einer Selbstaufopferung des Verstandes. Wer also bloß von Selbstbewegung oder Autopoiesis redet, hat noch nichts erklärt. Die Reduktion des Lebens auf chemische Prozesse liegt nur deswegen nahe, weil diese Prozesse so wichtig für Pflanzen und Tiere sind. Es ist aber reine Rhetorik, das Wesen des Lebens in den Sticksto= zu legen, auch wenn dieser für das Leben wichtig ist. Warum aber sollte man entsprechende Reduktionen nicht versuchen? Warum sollte es nicht möglich sein, Leben in der Retorte herzustellen, etwa so wie eine organische Chemie und die Synthese von Kohlenwassersto=en möglich wurde? Die Frage ist nicht einfach, hängt sie doch mit der Frage zusammen, was vernünftigerweise als möglich anzusehen ist und was als anzuerkennendes Naturgesetz oder zu akzeptierende Grundlage naturwissenschaftlicher Forschung. Solche Grundlagen sind etwa: Nichts bewegt
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sich schneller als das Licht. Es gibt kein Perpetuum mobile. Wenn man die Evolutionslehre in ihrem Prinzip formuliert, gehört seit Darwin durchaus auch dazu: Leben stammt aus einem einzigen sich evolutionär verzweigenden Lebensbaum. Für die traditionelle Auffassung von der Biologie als einer taxonomisch-ethologischen Theorie von Artdi=erenzen und zugehörigen Lebensformen war ein derartiges historisches Prinzip noch nicht relevant. Daher und weil das Prinzip alles andere als selbstverständlich ist, wäre es naiv, den Streit um das Prinzip für unwissenschaftlich zu erklären und unmittelbar an es zu glauben, zumal dies durchaus auch bedeuten müsste, nicht an die Möglichkeit der technischen Herstellung von Leben zu glauben, wenn man denn prinzipientheoretisch konsequent denken würde. Wir erinnern uns ungern an die Naivitäten der Wissenschaftsgeschichte, mit denen man Unmögliches für möglich hielt – oder etwas für unmöglich, was heute Wirklichkeit geworden ist. Denn sie zeigen die Gegenwart in einer Art Zerrspiegel: Im Selbstgefühl des Wissensfortschritts ist es uns lästig, auf mögliche Naivitäten unserer eigenen Ho=nungen hingewiesen zu werden. Und in der Tat: Die Zukunft wird die Identifizierung des Denkens mit einem Sturm feuernder Neuronen im Gehirn ähnlich belächeln, wie wir heute manches Gerede um 1800 belächeln. »Das Vortre=liche kann aber dem Schicksale nicht nur nicht entgehen, so entlebt und entgeistet zu werden und, so geschunden, seine Haut vom leblosen Wissen und dessen Eitelkeit umgenommen zu sehen. Vielmehr ist noch in diesem Schicksale selbst die Gewalt, welche es auf die Gemüter, wenn nicht auf Geister ausübt, zu erkennen, so wie die Herausbildung zur Allgemeinheit und Bestimmtheit der Form, in der seine Vollendung besteht und die es allein möglich macht, daß diese Allgemeinheit zur Oberflächlichkeit gebraucht wird.« (39 | 39)
Das Problem ist, dass auch sehr gute Erklärungen dem Schicksal nicht entgehen können, »entlebt und entgeistet zu werden«. Sie verfallen damit in bloße Schemata formaler, oberflächlicher, Tautologien oder Schlussregeln. Doch gerade hier zeigt sich, welche allgemeine Bedeutung der Herausbildung von Allgemeinheit
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implizit zuerkannt wird, wobei eine der Idee nach vollkommen schematische Bestimmung der Form es allein »möglich macht, daß diese Allgemeinheit zur Oberflächlichkeit gebraucht wird«, wie sich Hegel hier umständlich genug ausdrückt. Mit anderen Worten: Schematisierungen des Unterscheidens und Schließens sind gut, ja, sie sind am Ende das Ziel wissenschaftlicher Arbeit. Aber nur wenn wir dabei das ideale Ziel vollkommen erreicht hätten, dürften wir wirklich ohne Gebrauch des Filters eigener Urteilkraft, die sich auf praktische Erfahrungen stützt, derartige Schemata ›gedankenlos‹ bzw. naiv gebrauchen. Die Entwicklung von Wissenschaft und die Entwicklung des begri=lichen Systems empraktischer und artikulierter Unterscheidungen und Inferenzen sind ein und dasselbe. Es ist daher das ›Leben des Begri=s‹, also die Form einer guten Entwicklung des Begri=lichen, nicht die zufällige Sammlung von empirischen Einzelfakten, welche die Ordnung des Wissens bestimmen muss. 53 a
»Die Wissenschaft darf sich nur durch das eigne Leben des Begri=s organisieren; in ihr ist die Bestimmtheit, welche aus dem Schema äußerlich dem Dasein aufgeklebt wird, die sich selbst bewegende Seele des erfüllten Inhalts. Die Bewegung des Seienden ist, sich einesteils ein Anderes und so zu seinem immanenten Inhalte zu werden; andernteils nimmt es diese Entfaltung oder dies sein Dasein in sich zurück, das heißt, macht sich selbst zu einem Momente und vereinfacht sich zur Bestimmtheit. In jener Bewegung ist die Negativität das Unterscheiden und das Setzen des Daseins; in diesem Zurückgehen in sich ist sie das Werden der bestimmten Einfachheit.« (39 f. | 39)
Die Ausdrucksweise hier ist zwar gewöhnungsbedürftig. Es geht aber um einen Formulierungsversuch der Tatsache, dass weder empirische Einzelwahrnehmungen noch bloß einzelne Änderungsvorschläge generisch-begri=lichen Wissens durch Einzelpersonen dieses Wissen und damit das System begri=licher Di=erenzierungen und Inferenzen wirklich ändern können. Das ›Subjekt‹ jeder derartigen Änderung ist die Wissenschaft selbst. Die Wissenschaft als Subjekt wiederum ist das generische Wir derer, die an der Institution der Wissenschaft teilnehmen. Die
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Wissenschaft ändert also das Wissen, indem wir die Änderungen anerkennen, oder indem man sie anerkennt. Das Wir und das Man aber ist etwas anderes als bloß eine bestimmte Menge von Menschen. »Auf diese Weise ist es, daß der Inhalt seine Bestimmtheit nicht von einem andern empfangen und aufgeheftet zeigt, sondern er gibt sie sich selbst und rangiert sich aus sich zum Momente und zu einer Stelle des Ganzen.« (40 | 39)
Das zentrale Missverständnis, das über Hegels Wissenschaftsphilosophie allenthalben herrscht, entstammt der Vorstellung, Hegel vertrete eine idealistische These folgenden Typs: Alles, was existiert, ist Produkt des Geistes. Der Geist aber ist eine Art Gespenst, nicht anders als die traditionelle Vorstellung von Gott oder der Seele. Hegel erkennt jedoch, dass Wissen und Wissenschaft insgesamt das Projekt ist, eine Art kohärente allgemeine Landkarte von allem, was es gibt, zu entwerfen, mit dem Ziel der guten Orientierung in der Welt, wobei in jeder derartigen Orientierung ein Wissen über den eigenen Ort vorausgesetzt ist. Jedes Selbstwissen wird so orientiert. Aus begri=lichen Gründen ist Wissen immer allgemeines Wissen. Und alles Wahre ist irgendwie schon allgemein. Das ist es selbst in der besonderen Anwendung auf Einzelnes. Denn sagen und sogar zeigen können wir nur, was uns gemeinsam und wenigstens soweit etwa Allgemeines ist. Die Wirklichkeit ist dabei das, was (von uns) als das Wirkende im Wissen je meiner oder deiner Wahrnehmung als Grund bzw. Ursache zugrunde gelegt wird. Die Realität des je hier und jetzt Vorhandenen wird aus diesem Wissen um das Wirkliche allererst bestimmt und erklärt. Und doch findet das Wirkliche des Wissens, das zunächst im Modus eines allgemeinen Geltungsanspruchs auftritt, immer nur in der Realität der erfahrenen Erscheinungen seine Erfüllung und Beglaubigung. Hegel meint also keineswegs, die Realität der Erscheinungen sei unsere willkürliche Konstruktion oder gar ein Einfall Gottes. Allerdings unterscheidet er terminologisch streng zwischen einer in unseren modellartigen Erklärungen von uns sozusagen
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begri=lich gescha=enen Wirklichkeit und der durch sie dargestellten und erklärten Realität der Einzelerfahrungen. Wir erklären das Reale, die Erscheinungen, durch eine theoretisch geformte Wirklichkeit. Dies tun wir etwa schon dort, wo wir sagen, dass Gravitationskräfte die planetarischen Erscheinungen erklären. Bloße Auflistungen von empirischen Einzelwahrnehmungen sind kein Wissen, zumal dabei generisches Wissen im Inhalt der empirischen Aussagen immer schon unbewusst vorausgesetzt ist. Es gibt keinen Inhalt ohne begri=liche Kriterien des Di=erenzierens und Folgerns. Eben das betont Hegels Kritik an einem bloß ›tabellarischen Verstand‹. 53 c
»Der tabellarische Verstand behält für sich die Notwendigkeit und den Begri= des Inhalts, das, was das Konkrete, die Wirklichkeit und lebendige Bewegung der Sache ausmacht, die er rangiert, oder vielmehr behält er dies nicht für sich, sondern kennt es nicht; denn wenn er diese Einsicht hätte, würde er sie wohl zeigen. Er kennt nicht einmal das Bedürfnis derselben; sonst würde er sein Schematisieren unterlassen oder wenigstens sich nicht mehr damit wissen als mit einer Inhaltsanzeige; er gibt nur die Inhaltsanzeige, den Inhalt selbst aber liefert er nicht. – « (40 | 39)
Wenn wir daher etwa die Tiere bloß erst klassifizieren und dabei etwa die Exemplare verschiedener Arten in Schubladen stecken, wissen wir noch nichts über ihr Wesen und Leben. Dennoch sind solche Taxonomien wichtig, wobei die Wörter als Titel und Inhaltsanzeige der ›Schubladen‹ fungieren und dessen, was darin ist. Genauer: Wir verbinden mit den Titeln generische Beschreibungen der Lebensform der Tiere. Solche Beschreibungen heißen unglücklicherweise ›naturhistorisch‹. Natural history judgments46 gehören aber eher in den Bereich der generischen theoria als in den Bereich der historia, der empirischen Einzelgeschichten. 53 d
»Wenn die Bestimmtheit, auch eine solche wie z. B. Magnetismus, eine an sich konkrete oder wirkliche ist, so ist sie doch zu etwas Totem herabgesunken, da sie von einem andern Dasein nur prädiziert und 46
Vgl. dazu Thompson 2008.
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nicht als immanentes Leben dieses Daseins, oder wie sie in diesem ihre einheimische und eigentümliche Selbsterzeugung und Darstellung hat, erkannt ist. Diese Hauptsache hinzuzufügen, überläßt der formelle Verstand den andern. – Statt in den immanenten Inhalt der Sache einzugehen, übersieht er immer das Ganze und steht über dem einzelnen Dasein, von dem er spricht, d. h. er sieht es gar nicht. Das wissenschaftliche Erkennen erfodert aber vielmehr, sich dem Leben des Gegenstandes zu übergeben oder, was dasselbe ist, die innere Notwendigkeit desselben vor sich zu haben und auszusprechen. Sich so in seinen Gegenstand vertiefend, vergißt es jener Übersicht, welche nur die Reflexion des Wissens aus dem Inhalte in sich selbst ist. Aber in die Materie versenkt und in deren Bewegung fortgehend, kommt es in sich selbst zurück, aber nicht eher als darin, daß die Erfüllung oder der Inhalt sich in sich zurücknimmt, zur Bestimmtheit vereinfacht, sich selbst zu einer Seite eines Daseins herabsetzt und in seine höhere Wahrheit übergeht. Dadurch emergiert das einfache sich übersehende Ganze selbst aus dem Reichtume, worin seine Reflexion verloren schien.« (40 | 39)
Die Wissenschaften betrachten immer nur endliche Ausschnitte der Welt in Bezug auf bestimmte Prozessformen. Hegel nennt als Beispiel den Magnetismus und erläutert seine Diagnose oder auch ›Kritik‹ so: Es werde das Magnetische jeweils von Dingen prädiziert, also nicht als ein Gesamtphänomen betrachtet, das als solches nicht bloß eine Relation zwischen Dingen ist, sondern, wie wir heute wissen, als Feld im Raum darzustellen wäre. Dass wir die Kräfte wie die Anziehungskräfte in die Körperdinge legen, ist zwar ein extrem wichtiges formelles Prinzip unserer Darstellungen der Bewegungsprozesse in der Welt. Aber wir vergessen schnell, dass es das ist. Wir übersehen also, was hier an Voraussetzungen in unsere Darstellungsform und Erklärungsform eingeht. In Wirklichkeit beschreiben wir holistische Phänomene sozusagen aus ›lokalen‹ Perspektiven her. Diese Lokalitäten sind durch die Körper bestimmt, denn diese bestimmen die Orte, das Hier und Dort. Das gilt zunächst sogar für uns selbst und den menschlichen Leib.
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Die bloß schematische Anwendung von Wissen, etwa indem man etwas als etwas klassifiziert und materialbegri=liche Folgerungen zieht, setzt also ein schon von uns zurecht gestelltes generisches Wissen voraus, wie zu klassifizieren ist und welche Schlüsse prima facie bzw. ceteris paribus in Geltung gesetzt und daher zunächst jedenfalls zulässig sind.47 54
»Dadurch überhaupt, daß, wie es oben ausgedrückt wurde, die Substanz an ihr selbst Subjekt ist, ist aller Inhalt seine eigne Reflexion in sich. Das Bestehen oder die Substanz eines Daseins ist die Sichselbstgleichheit; denn seine Ungleichheit mit sich wäre seine Auflösung. Die Sichselbstgleichheit aber ist die reine Abstraktion; diese aber ist das Denken. Wenn ich sage Qualität, sage ich die einfache Bestimmtheit; durch die Qualität ist ein Dasein von einem andern unterschieden [sic!; PSW] oder ist ein Dasein; es ist für sich selbst, oder es besteht durch diese Einfachheit mit sich. Aber dadurch ist es wesentlich der Gedanke. – Hierin ist es begri=en, daß das Sein Denken ist; hierein fällt die Einsicht, die dem gewöhnlichen begri=losen Sprechen von der Identität des Denkens und Seins abzugehen pflegt. – Dadurch nun, daß das Bestehen des Daseins die Sichselbstgleichheit oder die reine Abstraktion ist, ist es die Abstraktion seiner von sich selbst, oder es ist selbst seine Ungleichheit mit sich und seine Auflösung, – seine eigne Innerlichkeit und Zurücknahme in sich, – sein Werden. – Durch diese Natur des Seienden, und insofern das Seiende diese Natur für das Wissen hat, ist dieses nicht die Tätigkeit, die den Inhalt als ein Fremdes handhabt, nicht die Reflexion-in-sich aus dem Inhalte heraus; die Wissenschaft ist nicht jener Idealismus, der an die Stelle des behauptenden Dogmatismus als ein versichernder Dogmatismus oder der Dogmatismus der Gewißheit seiner selbst trat; sondern indem das Wissen den Inhalt in seine eigne Innerlichkeit zurückgehen sieht, ist seine Tätigkeit vielmehr sowohl versenkt in ihn, denn sie ist das immanente Selbst des Inhalts, als zugleich in sich zurückgekehrt, denn sie ist die reine Sichselbstgleichheit im Anderssein; so ist sie die List, die, der Tätigkeit sich zu 47
Vgl. dazu Cartwright 1983 und 1999, ferner Rödl 2003.
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enthalten scheinend, zusieht, wie die Bestimmtheit und ihr konkretes Leben darin eben, daß es seine Selbsterhaltung und besonderes Interesse zu treiben vermeint, das Verkehrte, sich selbst auflösendes und zum Momente des Ganzen machendes Tun ist.« (40 f. | 40)
Eine qualitative Eigenschaft ergibt sich immer nur im Bereich qualitativer Unterscheidungen. Unterschiede sind mögliche Unterscheidungen. Es sind alle Sachen und Dinge voneinander durch Qualitäten oder besondere Eigenschaften unterschieden. Ein qualitativ bestimmtes Dasein ist nun gerade in seinem Fürsichsein, d. h. in der Bestimmung, was alles mit ihm gleich ist, zunächst ein (bloßer) Gedanke. Das heißt, alles Substantielle, Bleibende, Invariante unserer Weltbezüge ist immer schon durch uns, das Wir-Subjekt des Wissens, als allgemeiner Inhalt bestimmt. Dieses Wissen ist in sich reflektiert gerade wegen der verschiedenen Ebenen (layers) von Präsuppositionen bzw. erfahrungsgesteuerten Korrekturen von Vorbeurteilungen, wie sie für die Verschränkung von Wissens- und Begri=sentwicklung typisch ist. Einfacher gesagt: Etwas ist als das, was es ist, bestimmt immer bloß dadurch, dass es von anderem unterschieden ist. Es ist nun ein zugleich subjektivistischer und skeptizistischer Grundfehler des Empirismus zu glauben, dass immer auch einzelne Missverständnisse, Fehlschlüsse oder Fehlreferenzen einzelner Personen im Wissen aufgehoben werden müssten. Was im Urteilen und Tun qua Handeln berücksichtigt werden kann, ist immer nur etwas Allgemeines. Die einzelne Situation kann nur insofern berücksichtigt werden, als sie eine Besonderung des Allgemeinen ist. Das heißt, tätig urteilen wir immer nur auf einer allgemeinen Ebene. Das Einzelne spielt dabei immer nur als etwas Besonderes eine Rolle. Es ist daher nicht so weit her mit der Meinung, wir könnten je als Einzelne etwas Einzelnes wissen oder erkennen. Einzelne Wahrnehmungen von Einzelnem sagen in der Tat gar nichts aus, weder für die Bestätigung einer ›hypothetischen Theorie‹ oder als ein weiter allgemein als vernünftig zu prüfender Vorschlag zur Revision lehrbaren Wissens, noch als Widerlegung. Der Status der Allgemeinheit von Wissen und Begri= verlangt
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personen- und situationstranszendente Wiederholbarkeiten. Die Ausdrücke »das eigene Leben des Begri=s« und »Wahrheit als Bewegung ihrer an ihr selbst« verweisen also auf dasselbe, nämlich die Praxis der Wissenschaft, generische Sätze zum Zwecke der begri=lichen Welterschließung zu entwickeln. In der eingeschobenen Empirismuskritik weist Hegel selbst die schon skizzierten naiven Vorstellungen von einem (rein) empirischen und (rein) dezisionistischen Vorgehen zurück. Das Modell des sinnlichen Erkennens bzw. Wissens passt nicht auf das, worum es hier geht. Nach diesem Modell der ›Anschauung‹ aber wollen Empiristen wie Hume die Etablierung von Wissen deuten. Dabei ist es kein Wunder, dass gerade in den Händen von Empiristen das Wort »Anschauung« die Konnotation »rein subjektive Meinung« erhält, und das lateinische Wort für »Anschauung«, nämlich Intuition, zur prophetischen Schau wird. Wissen, das begri=liche Defaultwahrheiten artikuliert, lässt sich nicht ›rein empirisch‹, nach Art von Wahrnehmungsurteilen, begründen oder widerlegen. Gerade weil man implizit ahnt, dass die Analogie ganz und gar irreführt, appelliert man vage an eine Evidenz, Einsicht, oder gar an mantische O=enbarungen. Aber eben damit subjektiviert und mystifiziert man den Realbegri= des Wissens und der Wahrheit. Man übersieht, dass generisches Wissen nicht unmittelbar empirisch, sondern geschichtlich begründet wird, d. h. systematisch unter Bezugnahme auf die schon vorhandenen Leistungen begri=licher Explikation. Hier erkennt Hegel die logische Bedeutung der Geschichte, und damit die der Dialektik als ›rationale Nachkonstruktion‹ der Begri=s- und Wissensentwicklung für die Logik (Semantik) und Wissenschaft selbst. Logik ist also keineswegs rein formal, jedenfalls soweit es um unsere materialbegri=lichen Formen des Unterscheidens und Schließens geht. Entsprechend richtet sich dann auch Hegels Kritik an den mentalen Konstruktionen des Geistes gegen den latenten Subjektivismus in der bis heute verbreiteten Lesart der kantischen Transzendentalphilosophie als einer Art transzendentaler Psycho-
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logie. Das heißt, Hegel kritisiert alle Begründungen von Thesen einer kognitiven Psychologie, die sagen, dass eine bestimmte faktisch bekannte Fähigkeit des Erkennens oder Wissens, der Sprachbeherrschung oder Raumorientierung nicht ›erklärbar‹ wäre, wenn wir nicht diese oder jene angeblich ›angeborenen‹ Fähigkeiten, Datenverarbeitungsverfahren oder Denkformen unterstellen würden. Der Erklärungswert derartiger Modelle ist in der Tat höchst fraglich – unbeschadet der technisch durchaus höchst brauchbaren Modellierungen analoger Fähigkeiten oder Verfahren etwa durch Maschinen, wie im Fall automatischer Wahrnehmungs- und Sprachverarbeitung. Hegel erkennt auch in den Versicherungen von unterstellten transzendentalen Apriorismen der Kant-Tradition schlechte Argumente, die zwar gegen den Dogmatismus des Materialismus mit seinen objektiven Behauptungen gerichtet sind, aber als transzendentale Reflexion über das Selbst und das Selbstbewusstsein argumentativ viel zu schwach sind. Außerdem lehnt er jeden subjektiven Idealismus ab, der nichts anderes ist als ein »Dogmatismus der Gewissheit seiner selbst«. Jede Lektüre Hegels hat diese durchaus vernichtende Kritik an Kant und Fichte ernst zu nehmen. Hegel richtet sich gegen die Dogmatismen des Descartes und Fichte, welche aus dem richtigen Hinweis auf die Absolutheit des Vollzugs allzu schnell auf die Selbstgewissheit eines denkenden bzw. handelnden Ich oder Selbst ›geschlossen‹ haben. Der Satz des Parmenides, dass Sein (einai, emmenai) und Denken (noein) dasselbe seien, regt bis heute auf. Er meint aber nur, dass jeder Wissensanspruch von etwas auf einem begri=lich denkenden Vernehmen aufruht. Die Rede von dem, was wirklich ist, lässt sich nie abkoppeln von dem, was wir begri=lich wissen. Es scheint daher nur so, als wäre es grundverkehrt, das Denken und Wissen zu untersuchen, um in Erfahrung zu bringen, was es gibt und was wahr ist, unter Einschluss dessen, was es heißt, zu sagen, dass etwas existiert oder wahr ist. In Wirklichkeit ist jede reale Wahrheit begri=lich vermitteltes Wissen. Und was wir Wirklichkeit nennen, etwa die Wirklichkeit wirkender Kräfte, ist
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Gegenstand und Ergebnis des Denkens, nicht des Wahrnehmens. Das Wahrnehmen geht bloß auf präsentische Phänomene oder Erscheinungen. Das tut es bei Menschen so, dass wir wahrnehmend begri=lich gefasste Möglichkeiten als bestehend beurteilen, nicht einfach wie Tiere auf Perzeptionen unmittelbar reagieren, indem wir uns so und so bewegen. 55 a
»Wenn oben die Bedeutung des Verstandes nach der Seite des Selbstbewußtseins der Substanz angegeben wurde, so erhellt aus dem hier Gesagten seine Bedeutung nach der Bestimmung derselben als seiender. – Das Dasein ist Qualität, sich selbst gleiche Bestimmtheit oder bestimmte Einfachheit, bestimmter Gedanke; dies ist der Verstand des Daseins. Dadurch ist es Nus [nous, PSW], als für welchen Anaxagoras zuerst das Wesen erkannte. Die nach ihm [also Platon, PSW] begri=en bestimmt die Natur des Daseins als Eidos oder Idea, das heißt bestimmte Allgemeinheit, Art.« (41 f. | 40)
Dass Hegel, wie hier schon mehrfach behauptet, mit den Griechen denkt, bestätigt sein umstandsloser Verweis auf den nous des Anaxagoras und das eidos Platons. Es geht um die basale wissenschaftsphilosophische Einsicht, dass das Thema des Wissens immer allgemeine Formen und Arten und nicht unmittelbar empirische Einzelfälle sind. Dabei bedeutet »eidos«: Begri=, Art, Gattung, Form, Gestalt, Idee. Der Ausdruck »Art« meint dabei freilich mehr als bloße Klassifikation: Eine Art ist eine typische Seinsoder Lebensform. Die Idea aber ist die Gestalt einer Vollzugsform. 55 b
»Der Ausdruck Art scheint etwa zu gemein und zu wenig für die Ideen, für das Schöne und Heilige und Ewige zu sein, die zu dieser Zeit grassieren. Aber in der Tat drückt die Idee nicht mehr noch weniger aus als Art.« (42 | 40)
Wir sollten das Wort »Idee« nicht allzu heilig halten. Eine Idee ist eine Art, sogar eine Artform. Im Blick auf das menschliche Handeln ist die Idee das Gesamt von Praxisformen, die menschliche Lebensform (in allen ihren Varianten). Hegel kommentiert hier die Gefahr, Platons Reden über die Ideen, etwa die Idee des Guten, allzu pathetisch und transzendent, quasi religiös zu deuten. Die Idee des Guten ist am Ende nichts
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Kommentar zu Hegels Vorrede
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als die allgemeine Form des guten menschlichen Lebens. Das Leben der Art ist das Gute, in Abgrenzung von allerlei Defekten, aber auch von dem Leben anderer Arten. »Allein wir sehen itzt oft einen Ausdruck, der einen Begri= bestimmt bezeichnet, verschmäht und einen andern vorgezogen, der, wenn es auch nur darum ist, weil er einer fremden Sprache angehört, den Begri= in Nebel einhüllt und damit erbaulicher lautet. – « (42 | 40)
55 c
Die Verwendung des Fremdworts »Idee« verwirrt die Philosophen des Westens. Im Britischen Empirismus reduziert sich »idea« zu »Vorstellung«. In der Romantik wird die Idee hoch aufgeladen. Der Gebrauch des Wortes »Form« ist da schon besser, bürgerlicher, erst recht das Wort »Art« oder »Typus«. Denn dann kann man klar sagen: Alles Wissen ist am Ende Art-, Typus- oder Form-Wissen, also ›Strukturwissen‹ wie man heute sagt, ohne irgendetwas anderes als Platon und Hegel damit zu meinen oder ausdrücken zu können. Leider weiß man damit noch nicht, was Strukturwissen ist. »Eben darin, daß das Dasein als Art bestimmt ist, ist es einfacher Gedanke; der nous, die Einfachheit, ist die Substanz. Um ihrer Einfachheit oder Sichselbstgleichheit willen erscheint sie als fest und bleibend. Aber diese Sichselbstgleichheit ist ebenso Negativität; dadurch geht jenes feste Dasein in seine Auflösung über.« (42 | 41)
55 d
Der Begri= der Art, des Typs, ist eine Klassifikation zusammen mit den dazu passenden Normalfallinferenzen. Es ist Wissen über die Seinsform. Fest bleibt die Art, der Begri=, nicht das einzelne Wesen oder dessen Erscheinung in der einzelnen Wahrnehmung. »Die Bestimmtheit scheint zuerst es nur dadurch zu sein, daß sie sich auf Anderes bezieht, und ihre Bewegung [scheint] ihr durch eine fremde Gewalt angetan zu werden; aber daß sie ihr Anderssein selbst an ihr hat und Selbstbewegung ist, dies ist eben in jener Einfachheit des Denkens selbst enthalten; denn diese ist der sich selbst bewegende und unterscheidende Gedanke und die eigne Innerlichkeit, der reine Begri=. So ist also die Verständigkeit ein Werden, und als dies Werden ist sie die Vernünftigkeit.« (42 | 41)
55 e
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Hegels Vorrede
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Allerdings scheint es so zu sein, dass wir, wenn wir von der Wahrnehmung zum Begri= übergehen, zu etwas anderem als dem Wahrgenommenen übergehen, etwa zu einem Wort oder Satz. Und es scheint so, als würde das Wahrgenommene mehr oder weniger willkürlich unter den Begri= subsumiert, dem Wort unterworfen, so dass der Gegenstand unter dem Begri= zu liegen kommt (hypokeimenon). Und in der Tat: Ohne die Handlung des Urteilens und die Entwicklung des vernünftigen Urteilens, unter Einschluss der Meta-Urteile über vernünftige Entwicklungen der empraktischen und expliziten Formen des begri=lichen Urteilens, gibt es gar keine thematisierbaren Gegenstände. 56 a
»In dieser Natur dessen, was ist, in seinem Sein sein Begri= zu sein, ist es, daß überhaupt die logische Notwendigkeit besteht; sie allein ist das Vernünftige und der Rhythmus des organischen Ganzen, sie ist eben so sehr Wissen des Inhalts, als der Inhalt Begri= und Wesen ist, – oder sie allein ist das Spekulative. – « (41 | 41)
Das Spekulative ist die Form des Wissens, das Thema der allgemeinen Logik des Wissens und der Sprache. Das bestätigt auch der folgende Satz. 56 b
»Die konkrete Gestalt, sich selbst bewegend, macht sich zur einfachen Bestimmtheit; damit erhebt sie sich zur logischen Form [sic!; PSW] und ist in ihrer Wesentlichkeit; ihr konkretes Dasein ist nur diese Bewegung und ist unmittelbar logisches Dasein. Es ist darum unnötig, dem konkreten Inhalt den Formalismus äußerlich anzutun; jener ist an ihm selbst das Übergehen in diesen, der aber aufhört, dieser äußerliche Formalismus zu sein, weil die Form das einheimische Werden des konkreten Inhalts selbst ist.« (42 | 41)
Hier sagt Hegel klar, dass der Inhalt selbst eine Form ist, also die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt eine Unterscheidung zwischen äußerer Form möglicher Trägerhandlungen (oder von Ausdrücken oder von Beispielen) und der ausgedrückten ›Wesensform‹ der Sache ist, von der gerade geredet wird oder die das inhaltliche Thema ist. 57 a
»Diese Natur der wissenschaftlichen Methode, teils von dem Inhalte ungetrennt zu sein, teils sich durch sich selbst ihren Rhythmus zu
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bestimmen, hat, wie schon erinnert, in der spekulativen Philosophie ihre eigentliche Darstellung. – « (42 f. | 41)
Thema der Philosophie ist also das Wesen, d. h. die reale Seinsweise der wissenschaftlichen Methode, samt der Unterscheidung zwischen der äußeren Form der verschiedenen Ausdrucks- und Darstellungsweisen und den wesentlichen Inhalten oder Gehalten. »Das hier Gesagte drückt zwar den Begri= aus, kann aber für nicht mehr als für eine antizipierte Versicherung gelten. Ihre Wahrheit liegt nicht in dieser zum Teil erzählenden Exposition und ist darum auch eben so wenig widerlegt, wenn dagegen versichert wird, dem sei nicht so, sondern es verhalte sich damit so und so, wenn gewohnte Vorstellungen als ausgemachte und bekannte Wahrheiten in Erinnrung gebracht und hererzählt [werden] oder auch aus dem Schreine des innern göttlichen Anschauens Neues aufgetischt und versichert wird. – « (43 | 42)
Hegel selbst erinnert daran, dass er im Vorwort nur Ergebnisse der folgenden Überlegungen zusammenfasst. Das gilt sowohl für die Auffassung davon, was Aufgabe und Methode der Philosophie ist, als auch für die Begri=e des Wahren und Wirklichen im Unterschied zu den Phänomenen in der je gegenwärtigen Realität. Das generische Wissen ist in seiner begri=sbestimmenden Rolle zu begreifen. Nur so entwickeln wir ein verständiges Bewusstsein und vernünftiges Selbstbewusstsein des Wissens und der Wissenschaft. Diese hängen daher ab vom objektiven Geist tradierter Institutionen und Praxisformen. In diesen Formen erkennen wir uns selbst. Im absoluten Geist anerkennen wir diese Normativität. Das alles muss in seiner Notwendigkeit gezeigt werden. Das heißt, im Folgenden geht es Hegel um den Nachweis, dass es zu dem von Hegel entwickelten Verständnis des Geistigen bzw. der Wissenschaft in deren sozialkooperativen und geschichtlichen Verfassung einerseits, deren lerntheoretischen Vermittlung durch Bildung und Selbstbildung, Schematisierung und Verleiblichung keine Alternative gibt. Alle vorliegenden Alternativen sind jedenfalls als defizitär ausweisbar. Das gilt für einen seelen-
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Hegels Vorrede
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mythologischen oder cartesianischen Mentalismus ebenso wie für dessen physikalistische Umdeutung in eine kaum weniger mystische Gehirnsteuerung des Leibes nach dem anthropomorphen Muster von Rechenmaschinen und Robotern in einer entsprechenden science fiction. Indem man die Defekte jeder ontisierenden Ausdeutung unserer reflektierenden Reden über Geist, Bewusstsein und Selbstbewusstsein und die zugehörigen alten und neuen Mythen erkennbar macht, beginnt man erst, die Not eines unbefriedigenden Verständnisses von Bewusstsein und Wissen zu wenden. Der Anfang besteht darin, die Aporien oder Widersprüche aufzudecken, in die sich diese Mythen oder Reden verstricken. Durch die Wende der Not, die Aufhebung der Probleme, und nur durch sie werden ›notwendige‹ Wahrheiten über das Bewusstsein oder das Selbstbewusstsein als Wissen über das Wissen entwickelt. Die dialektische Entwicklung durch Kritik an prima facie nahe liegenden, aber inferentiell in die Irre führenden, Verständnissen überschreitet jede bloß ahnende Versicherung dogmatischer Glaubensphilosophie, also auch jede bloße Erzählung angeblicher Ergebnisse. 57 c
»Eine solche Aufnahme pflegt die erste Reaktion des Wissens, dem etwas unbekannt war, dagegen zu sein, um die Freiheit und eigne Einsicht, die eigne Autorität gegen die fremde (denn unter dieser Gestalt erscheint das itzt zuerst Aufgenommene) zu retten, – auch um den Schein und die Art von Schande, die darin liegen soll, daß etwas gelernt worden sei, wegzuscha=en; so wie bei der Beifall gebenden Annahme des Unbekannten die Reaktion derselben Art in dem besteht, was in einer andern Sphäre das ultrarevolutionäre Reden und Handeln war.« (43 | 42)
Wenn uns zugemutet wird, eingeschli=ene Vorstellungen aufzugeben und Neues zu lernen, wehren wir uns wie in einem bedingten Reflex gegen die Zumutung und greifen die unerhörte neue Lehre erst einmal an, indem wir sagen, sie sei doch bloße Versicherung. Das ist verständlich. Denn damit behaupten wir die Freiheit unseres Urteilens der neuen Lehre gegenüber. Aber dieses Verfahren kann auch Augen und Ohren verschließen, so
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dass man die Vorschläge, etwas neu anzusehen, gar nicht mehr anhört. Dass wir erst etwas lernen müssen, ist ebenso klar, wie dass wir es dauernd vergessen. Es wird in jeder Reflexion und Kritik darum gehen, zuzuhören, was schon andere gesagt haben, aber auch ein Können zu erwerben und dieses zu vertiefen, wobei wir uns auch vor modischen Neuheiten und einem ultrarevolutionären Modernismus zu hüten haben: Das Richtige ist immer auch etwas langweilig. Es ist als solches schon bekannt, auch wenn es damit noch nicht erkannt ist. »Worauf es deswegen bei dem Studium der Wissenschaft ankommt, ist, die Anstrengung des Begri=s auf sich zu nehmen. Sie erfodert die Aufmerksamkeit auf ihn als solchen, auf die einfachen Bestimmungen, z. B. des Ansichseins, des Fürsichseins, der Sichselbstgleichheit usf.; denn diese sind solche reine Selbstbewegungen, die man Seelen nennen könnte, wenn nicht ihr Begri= etwas Höheres bezeichnete als diese.« (43 | 42)
Die Anstrengung des Begri=s meint hier die metalogische Reflexion darauf, was man ›an sich‹, also abstrakt, verbal und schematisch weiß oder zu wissen meint, was etwas für sich in seiner eigenen Seinsweise ist und wie wir es konkret, in seinem Anund-Fürsichsein zu begreifen haben. Das gilt auch für uns selbst, so dass ein Reden über uns selbst im Modus des Ansichseins von unserem Fürsichsein und einem konkreten Selbstbewusstsein als An-und-für-sich-sein zu unterscheiden ist. Die Metapher, die von diesen metalogischen Aspekten als sich selbst bewegende Seelen spricht, ist eher blumig. Sie meint aber schlicht, dass alles verbale Verstehen mit verbalen Schemata der Darstellung eines allgemeinen Ansichseins beginnt. Diese sagen, wie sich eine Sache einer gewissen Art an sich, also im generischen Normalfall oder paradigmatischen Normfall verhält. Der Gedanke korrespondiert einer Semantik von Prototypen: Der Prototyp oder das Paradigma legt normale Inferenzerwartungen fest, die vom Hörer als begri=liche Default- oder Normalfallschlüsse prima facie in ersten Orientierungen gebraucht werden dürfen, sofern der Sprecher nicht schon einschränkende Zusatzinformationen gegeben hat.
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Das zeigt auch, warum in einer realen Informationshandlung die Logik des Normalfallschließens nicht immer monoton ist, da Zusatzinformationen gewisse Normalfallschlüsse gerade einschränken oder verbieten können.48 Über die Reflexion auf das Wesen des allgemeinen Falls oder das Besondere des Einzelfalls wird unser allgemeines Wissen immer erst konkret. 58 b
»Der Gewohnheit, an Vorstellungen fortzulaufen, ist die Unterbrechung derselben durch den Begri= eben so lästig als dem formalen Denken, das in unwirklichen Gedanken hin und her räsoniert. Jene Gewohnheit ist ein materielles Denken zu nennen, ein zufälliges Bewußtsein, das in den Sto= nur versenkt ist, welchem es daher sauer ankommt, aus der Materie zugleich sein Selbst rein herauszuheben und bei sich zu sein.« (43 | 42)
Solange wir objektzentriert denken, ist es schwer einzusehen, dass der Gegenstand immer auch von uns begri=lich geformt und bestimmt ist. Es ist außerdem schwierig, die Ebene des schematischen Schließens und Regelfolgens zu verlassen. Das heißt, der gemeine Verstand oder common sense denkt immer abstrakt, schematisch, sogar unbewusst. Er weiß damit auf schon hohem Niveau nicht, was er tut. Er springt auch schon von einer Vorstellung zu anderen wie von einem Hölzchen aufs Stöckchen, also rein konnotativ. Er versteht aber auch das schematische logische Schließen nicht in seinem Status, sondern wendet es bloß gedankenlos an, wie das in subtilsten formalanalytischen Theorien bis heute üblich ist. 58 c
»Das andere, das Räsonieren hingegen ist die Freiheit von dem Inhalt und die Eitelkeit über ihn; ihr wird die Anstrengung zugemutet, diese Freiheit aufzugeben und, statt das willkürlich bewegende Prinzip des Inhalts zu sein, diese Freiheit in ihn zu versenken, ihn durch seine eigne Natur, d. h. durch das Selbst als das seinige, sich bewegen zu lassen und diese Bewegung zu betrachten. Sich des eignen Einfallens in den immanenten Rhythmus der Begri=e entschlagen, in ihn nicht durch die Willkür und sonst erworbene Weisheit ein48
Stekeler-Weithofer 2009.
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greifen, diese Enthaltsamkeit ist selbst ein wesentliches Moment der Aufmerksamkeit auf den Begri=.« (43 f. | 41 f.)
Auf der anderen Seite springt das ›spontane‹ Denken von einem Thema zum anderen, rein willkürlich, d. h. ohne leitenden Gedanken. Die Spannung zwischen bloß schematisch subsumtivem und bloß räsonierendem Verstand führt uns daher nicht weiter. Bloßes Räsonieren stützt sich auf zufällige Einfälle. Dass die hier vorgelegten Kommentare nicht willkürlich sind, sondern selbst dort, wo sie das bei Hegel Gesagte erweitern und ergänzen, zu dem Inhalt dessen gehören, was er sagt, das muss selbstverständlich beurteilt werden. »Es sind an dem räsonierenden Verhalten die beiden Seiten bemerklicher zu machen, nach welchen das begreifende Denken ihm entgegengesetzt ist. – Teils verhält sich jenes negativ gegen den aufgefaßten Inhalt, weiß ihn zu widerlegen und zu nichte zu machen. Daß dem nicht so sei, diese Einsicht ist das bloß Negative; es ist das Letzte, das nicht selbst über sich hinaus zu einem neuen Inhalt geht; sondern um wieder einen Inhalt zu haben, muß etwas Anderes irgendwoher vorgenommen werden. Es ist die Reflexion in das leere Ich, die Eitelkeit seines Wissens. – Diese Eitelkeit drückt aber nicht nur dies aus, daß dieser Inhalt eitel, sondern auch, daß diese Einsicht selbst es ist; denn sie ist das Negative, das nicht das Positive in sich erblickt. Dadurch, daß diese Reflexion ihre Negativität selbst nicht zum Inhalte gewinnt, ist sie überhaupt nicht in der Sache, sondern immer darüber hinaus; sie bildet sich deswegen ein, mit der Behauptung der Leere immer weiter zu sein als eine inhaltsreiche Einsicht. Dagegen, wie vorhin gezeigt, gehört im begreifenden Denken das Negative dem Inhalte selbst an und ist sowohl als seine immanente Bewegung und Bestimmung wie als Ganzes derselben das Positive. Als Resultat aufgefaßt, ist es das aus dieser Bewegung herkommende, das bestimmte Negative und hiemit ebenso ein positiver Inhalt.« (44 | 42)
Die Entwicklung des Wissens ist Unterscheidung im Begri=lichen, auch in der Technik. Die Methode ist die unterscheidende Negation. In ihr entwickeln wir teils tätige und damit empraktische, teils verbale oder symbolische und damit explizit gemachte
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Einschränkungen von altem allgemeinen Wissen, das seinerseits immer auch schon ein Können ist. In gewissem Sinn ist das ebenso klar wie altbekannt: Wissensfortschritt ruht wesentlich auf systematischen Ausdi=erenzierungen. 60 a
»In Ansehung dessen aber, daß solches Denken einen Inhalt hat, es sei der Vorstellungen oder Gedanken oder der Vermischung beider, hat es eine andre Seite, die ihm das Begreifen erschwert. Die merkwürdige Natur derselben hängt mit dem oben angegebenen Wesen der Idee selbst enge zusammen oder drückt sie vielmehr aus, wie sie als die Bewegung erscheint, die denkendes Auffassen ist. – Wie nämlich in seinem negativen Verhalten, wovon soeben die Rede war, das räsonierende Denken selber das Selbst ist [hier ist auf den Vollzug verwiesen, PSW], in das der Inhalt zurückgeht, so ist dagegen in seinem positiven Erkennen das Selbst ein vorgestelltes Subjekt [hier ist auf das Satzsubjekt verwiesen, also das Objekt des Selbstbezugs, PSW], worauf sich der Inhalt als Akzidens und Prädikat bezieht. Dies Subjekt macht die Basis aus, an die er geknüpft wird und auf der die Bewegung hin und wider läuft.« (44 f. | 42)
Das Hin und Her der Bewegung ist die Beziehung zwischen Bezugssubjekt und Vollzugssubjekt in Selbstaussagen, wie sie oben schon erläutert sind. Inhalte sind innere Formen im scheinbaren Gegensatz zu äußeren Formen etwa des Ausdrucks oder des schematischen Rechnens oder Schließens mit Ausdrücken. Das Merk- und Denkwürdige ist, dass es Inhalte nur gibt, weil wir mit Ausdrücken teilweise schematisch rechnen und keineswegs alles Verstehen dem reinen Erraten oder willkürlichen Räsonieren überlassen. Anderseits bleiben wir uns der Subjektivität aller unserer freien Urteile bewusst. Die Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität ist die Negativität. Sie ist nie völlig aufhebbar. 60 b
»Anders verhält es sich im begreifenden Denken. Indem der Begri= das eigne Selbst des Gegenstandes ist, das sich als sein Werden darstellt [als Entwicklung generischen Wissens nämlich, PSW], ist es nicht ein ruhendes Subjekt, das unbewegt die Akzidenzen trägt, sondern der sich bewegende und seine Bestimmungen in sich zurücknehmende Begri=. In dieser Bewegung geht jenes ruhende Subjekt
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selbst zugrunde; es geht in die Unterschiede und den Inhalt ein und macht vielmehr die Bestimmtheit, d. h. den unterschiedenen Inhalt wie die Bewegung desselben aus, statt ihr gegenüber stehenzubleiben. Der feste Boden, den das Räsonieren an dem ruhenden Subjekte hat, schwankt also [gemeint ist unter anderem, dass jeder, der räsonierend nachdenkt, bloß meint, von einer stabilen Identität zwischen Vollzugsperson und seinem Thema, der Form des Personseins, ausgehen zu können, PSW], und nur diese Bewegung selbst wird der Gegenstand. Das Subjekt, das seinen Inhalt erfüllt, hört auf, über diesen hinauszugehen, und kann nicht noch andere Prädikate oder Akzidenzen haben. Die Zerstreutheit des Inhalts ist umgekehrt dadurch unter das Selbst gebunden; er ist nicht das Allgemeine, das frei vom Subjekte mehreren zukäme [was es aber müsste, wenn das Personsein Thema wäre, PSW]. Der Inhalt ist somit in der Tat nicht mehr Prädikat des Subjekts, sondern ist die Substanz, ist das Wesen und der Begri= dessen, wovon die Rede ist. Das vorstellende Denken, da seine Natur ist, an den Akzidenzen oder Prädikaten fortzulaufen, und mit Recht, weil sie nicht mehr als Prädikate und Akzidenzen sind, über sie hinauszugehen, wird, indem das, was im Satze die Form eines Prädikats hat, die Substanz selbst ist, in seinem Fortlaufen gehemmt. Es erleidet, [um] es so vorzustellen, einen Gegenstoß. Vom Subjekte, anfangend, als ob dieses zum Grunde liegen bliebe [sub-jectum heißt ja: das zugrunde Liegende, dorthin Gestoßene, PSW], findet es, indem das Prädikat vielmehr die Substanz ist, das Subjekt zum Prädikat übergegangen und hiemit aufgehoben; und indem so das, was Prädikat zu sein scheint, zur ganzen und selbständigen Masse geworden, kann das Denken nicht frei herumirren, sondern ist durch diese Schwere aufgehalten. [Wovon in Selbstaussagen die Rede ist, sagt also nicht das Subjekt, das Wort »ich«, sondern das Prädikat, etwa wenn ich sage, ich bin Student, Gast, etc.; . . . ich gebe damit die Rolle und den Status an, den ich als Person gerade einnehme, PSW]. – Sonst ist zuerst das Subjekt als das gegenständliche fixe Selbst zugrunde gelegt; von hier aus geht die notwendige Bewegung zur Mannigfaltigkeit der Bestimmungen oder der Prädikate fort; hier tritt an die Stelle jenes Subjekts das wissende Ich selbst ein und ist das Verknüpfen der Prä-
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Hegels Vorrede
45 f. | 42 f.
dikate und das sie haltende Subjekt. Indem aber jenes erste Subjekt in die Bestimmungen selbst eingeht und ihre Seele ist, findet das zweite Subjekt, nämlich das wissende, jenes, mit dem es schon fertig sein und worüber hinaus es in sich zurückgehen will, noch im Prädikate vor, und statt in dem Bewegen des Prädikats das Tuende – als Räsonieren, ob jenem dies oder jenes Prädikat beizulegen wäre – sein zu können, hat es vielmehr mit dem Selbst des Inhalts noch zu tun, soll nicht für sich, sondern mit diesem zusammen sein.« (45 f. | 42 f.)
Im Unterschied zum Verstehen, das einen Objektbezug hat, ist begreifendes Denken ›reflexiv‹ und richtet sich immer auch auf die Formen des Verstehens und des Begreifens selbst, also auch auf das ›Subjekt‹ des Vollzugs und die Subjektform des Vollzugs, die als solche das Selbstbewusstsein bzw. der Geist ist. Dabei ist die Subjektform des Begreifens selbst nicht statisch, sondern hat eine Entwicklung: die ontogenetische der Person und die gattungsgenetische des Begri=s bzw. des generischen Wissens. Der scheinbar feste Boden einer einfachen Selbstreflexion, des Räsonierens, schwankt daher sowohl beim Einzelsubjekt als auch in unserem Nachdenken über uns Menschen insgesamt. Personsein ist ebenso ein Prozess wie das Sein der Menschheit. Was sich eine Person zuschreibt, ist daher, wenn es richtig ist, selbst schon Teil seines Lebensvollzugs und nicht einfach eine di=erentielle Eigenschaft eines ›Gegenstandes‹. Analoges gilt für die Menschheit, den Geist als Gattung. Daher sind die Wörter »ich« in der Selbstaussage und »Subjekt« in der drittpersonalen Redeform über den Akteur genauso wie das Wort »Geist« keine Namen von festen Gegenständen, sondern bloß erst unter das Prädikat gestoßene Markierungen dafür, dass es sich um ›Selbstaussagen‹ handelt – von wem auch immer, der als Sprecher zählt. Auch in anderen metalogischen Aussagen wie etwa der Art »das Begri=liche ist Wissen« sprechen wir nicht, wie in objektstufigen Sätzen, über einen im Satzsubjekt benannten und bekannten Gegenstand, sondern erläutern allererst, was »das Begri=liche« meint. Wie ein solcher Merksatz konkret zu verstehen ist, ist dann allerdings selbst noch weiter zu erläutern.
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»Formell kann das Gesagte so ausgedrückt werden, daß die Natur des Urteils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjekts und Prädikats in sich schließt, durch den spekulativen Satz zerstört wird und der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoß zu jenem Verhältnisse enthält. – « (46 | 44)
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Normalerweise meint man, in einem Satz der Form ›N ist P‹ würde ein von N benannter Gegenstand in die Klasse der P einsortiert. In spekulativen Sätzen wird dagegen Sinn und Bedeutung von N erläutert. Der Ausdruck »identischer Satz« ist ein leicht unglücklicher Versuch, Erläuterungsaussagen der obigen Form als nicht triviale ›Tautologien‹ darzustellen: In gewissem Sinn verweisen nämlich die Titelausdrücke »der Begri=« und »generisches Wissen« auf ein und dasselbe. »Dieser Konflikt der Form eines Satzes überhaupt und der sie zerstörenden Einheit des Begri=s ist dem ähnlich, der im Rhythmus zwischen dem Metrum und dem Akzente stattfindet. Der Rhythmus resultiert aus der schwebenden Mitte und Vereinigung beider. So soll auch im philosophischen Satze die Identität des Subjekts und Prädikats den Unterschied derselben, den die Form des Satzes ausdrückt, nicht vernichten, sondern ihre Einheit [soll] als eine Harmonie hervorgehen. Die Form des Satzes ist die Erscheinung des bestimmten Sinnes oder der Akzent, der seine Erfüllung unterscheidet; daß aber das Prädikat die Substanz ausdrückt und das Subjekt selbst ins Allgemeine fällt, ist die Einheit, worin jener Akzent verklingt.« (46 | 44)
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Es ist fraglich, ob uns der Vergleich mit Rhythmus und Metrum und Akzent wirklich weiter hilft. Immerhin ist klar, dass der Rhythmus beide umfasst. Das folgende Beispiel leistet das schon eher. »Um das Gesagte durch Beispiele zu erläutern, so ist in dem Satz: Gott ist das Sein, das Prädikat das Sein; es hat substantielle Bedeutung, in der das Subjekt zerfließt. Sein soll hier nicht Prädikat, sondern das Wesen sein; dadurch scheint Gott aufzuhören, das zu sein, was er durch die Stellung des Satzes ist, nämlich das feste Subjekt.« (46 | 44)
Der Kommentar ist tiefer, als man zunächst denken mag. Denn Hegel liest den Satz nicht etwa einfach so: »Gott« und »das Sein« sind Benennungen desselben. Er liest ihn eher so: Indem wir
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sagen, dass Gott nicht etwa ein bestimmtes Ding ist oder eine bestimmte Eigenschaft hat, sondern dass die Rede über Gott eine Rede über das Sein im Vollzug ist, dementieren wir, dass Gott überhaupt ein Gegenstand ist. 62 b
»Das Denken, statt im Übergange vom Subjekte zum Prädikate weiterzukommen, fühlt sich, da das Subjekt verlorengeht, vielmehr gehemmt und zu dem Gedanken des Subjekts, weil es dasselbe vermißt, zurückgeworfen; oder es findet, da das Prädikat selbst als ein Subjekt, als das Sein, als das Wesen ausgesprochen ist, welches die Natur des Subjekts erschöpft, das Subjekt unmittelbar auch im Prädikate; und nun, statt daß es im Prädikate in sich gegangen die freie Stellung des Räsonierens erhielte, ist es in den Inhalt noch vertieft, oder wenigstens ist die Foderung vorhanden, in ihn vertieft zu sein. – « (46 f. | 44)
Der spekulative Satz, der entweder auf das Subjekt oder den Begri= reflektiert, sagt, was er sagt, nicht in der Form einer normalen prädikativen Aussage oder Gleichung. Er erläutert den Subjekt-Term. Der Leser muss dabei auch mitdenken. Er wird dann bemerken, dass es nicht nur ein Problem ist, Gott als Gegenstand aufzufassen, sondern auch, über das Sein zu reden. Indem wir über Vollzüge oder Prozesse sprechen, vergegenständlichen wir sie sprachlich und reden damit in einer Form, die der Zeitlichkeit des Seins, des Vollzugs, des Prozesses oder Verlaufs nicht (ganz) angemessen ist. Die ist-Sprache der sortalen Prädikation mit Gleichheit und Anderssein und damit auch mit statischen Relationen ist eben nicht geeignet, um Prozesse oder Verläufe voll darzustellen, schon gar nicht die Entwicklungen von Subjekten. Wir machen unsere Sprache künstlich passend, etwa indem wir Verläufe nominalisieren und Momente hervorheben. Es gilt zu begreifen, was wir dabei logisch tun. 62 c
»So auch, wenn gesagt wird: das Wirkliche ist das Allgemeine, so vergeht das Wirkliche als Subjekt in seinem Prädikate. Das Allgemeine soll nicht nur die Bedeutung des Prädikats haben, so daß der Satz dies aussagte, das Wirkliche sei allgemein; sondern das Allgemeine soll das Wesen des Wirklichen ausdrücken. – Das Denken verliert daher so sehr seinen festen gegenständlichen Boden, den es am Subjekte
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hatte, als es im Prädikate darauf zurückgeworfen wird und in diesem nicht in sich, sondern in das Subjekt des Inhalts zurückgeht.« (47 | 44)
Die Wirklichkeit ist allgemein, weil wir sie als Ursache ansehen und durch sie das Einzelne der Erscheinung erklären. Das Allgemeine ist das Reich generischen Wissens. Wirklichkeit ist daher generisch erklärte Realität. Um solche Sätze zu verstehen, dürfen sie in ihrer ist-Form nicht so behandelt werden wie etwa der Satz »5 ist eine Primzahl« oder »Octavian war der Sieger der Seeschlacht bei Actium«. »Auf diesem ungewohnten Hemmen [im Kontrast zum normalen Schließen im Umgang mit sortalen ist-Sätzen, PSW] beruhen großenteils die Klagen über die Unverständlichkeit philosophischer Schriften, wenn anders im Individuum die sonstigen Bedingungen der Bildung, sie zu verstehen, vorhanden sind. Wir sehen in dem Gesagten den Grund des ganz bestimmten Vorwurfs, der ihnen oft gemacht wird, daß Mehreres erst wiederholt gelesen werden müsse, ehe es verstanden werden könne, – ein Vorwurf, der etwas Ungebührliches und Letztes enthalten soll, so daß er, wenn er gegründet, weiter keine Gegenrede zulasse. – Es erhellt aus dem Obigen, welche Bewandtnis es damit hat. Der philosophische Satz, weil er Satz ist, erweckt die Meinung des gewöhnlichen Verhältnisses des Subjekts und Prädikats und des gewohnten Verhaltens des Wissens. Dies Verhalten und die Meinung desselben zerstört sein philosophischer Inhalt; die Meinung erfährt, daß es anders gemeint ist, als sie meinte, und diese Korrektion seiner Meinung nötigt das Wissen, auf den Satz zurückzukommen und ihn nun anders zu fassen.« (47 | 44 f.)
Das sollte sich jetzt von selbst verstehen. Philosophische Sätze gebrauchen nicht die Begri=e, die an Subjektstelle stehen, sondern erwähnen sie und erläutern oder erklären ihren Gehalt. Der Hauptfehler fast aller Deutungen Hegels besteht darin, dass sie die Probleme der üblichen ›sortalen‹ Deutungen von Sätzen der Form ›N ist P‹ gar nicht verstehen und daher die besondere Form des ›spekulativen‹ Satzes als Analyse oder Explikationen nicht kennen. Sich vorwerfen zu lassen, die Sprache der Philosophen schon in der Syntaktosemantik nicht zu verstehen, ist freilich
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Hegels Vorrede
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etwas, was Leute schwer schlucken, die sich für philosophisch belesen halten. Doch es sind die Leser, nicht Hegel, welche hier alles mystifizieren. Hier weist Hegel auch darauf hin, dass man seine Texte mehrfach lesen muss, und weist alle Klagen darüber zurück. Und er erklärt, dass sich schon am Verständnis der spekulativen Sätze die Leserschaft teilt in eine solche, die nicht weiter ernst zu nehmen ist, weil sie von Thema, Methode und Sprache der Philosophie rein gar nichts versteht, und eine solche, die sich wenigstens darauf einlässt, dass philosophische Sätze wie alle logischen Analysen weder bloß historische Narrationen noch theoretische Sätze bzw. materialbegri=liche Regelungen sind und keineswegs einfach über Gegenstände eines schon wohldefinierten sortalen Gegenstandsbereiches wie die Zahlen oder die Tiere spricht. 64 a
»Eine Schwierigkeit, die vermieden werden sollte, macht die Vermischung der spekulativen und der räsonierenden Weise aus, wenn einmal das vom Subjekte Gesagte die Bedeutung seines Begri=s hat, das andremal aber auch nur die Bedeutung seines Prädikats oder Akzidens.« (47 | 45)
Im Fall des Räsonierens kommentieren wir bloß etwas, was auch nicht immer bloß darin besteht, einem schon bekannten Gegenstand bloß eine Eigenschaft oder Prädikat zuzusprechen. In der Philosophie erläutern wir kategoriale Begri=e, also Aussageformen, etwa der Art »X ist die wirkliche Erklärung für Y«. 64 b
»Die eine Weise stört die andere, und erst diejenige philosophische Exposition würde es erreichen, plastisch zu sein, welche streng die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Teile eines Satzes ausschlösse.« (47 | 45)
Heute verwenden wir immerhin schon Anführungszeichen, um ›objektstufige‹ Lesarten auszuschließen. Doch auch dabei wird immer auch auf den Inhalt geachtet. Derartige Kommentare sind technisch-praktisch zu beherrschen. Sie sind nicht als wahre Behauptungen zu lesen. Man kann z. B. nicht an sie glauben, sie auch nicht bezweifeln. Sie können nur mehr oder weniger geeignet sein, um die kommentierte Praxis besser zu begreifen.
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»In der Tat hat auch das nicht spekulative Denken sein Recht, das gültig, aber in der Weise des spekulativen Satzes nicht beachtet ist. Daß die Form des Satzes aufgehoben wird, muß nicht nur auf unmittelbare Weise geschehen, nicht durch den bloßen Inhalt des Satzes. Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muß ausgesprochen werden; sie muß nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern dies Zurückgehen des Begri=s in sich muß dargestellt sein. Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. Sie allein ist das wirkliche Spekulative, und nur das Aussprechen derselben ist spekulative Darstellung.« (47 f. | 45)
65 a
Die dialektische Bewegung ist die Vertiefung des begri=lichen Verständnisses im Ausgang von einem (vor-)begri=lichen, also empraktisch-unbewussten, Vor-Verständnis. Sie ist der Fortgang der Argumentation auf dem Weg der Verbesserung des begri=lichen Verständnisses selbst, wie auch die folgenden Sätze bestätigen. »Als Satz ist das Spekulative nur die innerliche Hemmung und die nicht daseiende Rückkehr des Wesens in sich. [Das heißt, zunächst wird nur infrage gestellt, dass wir die ›zitierten‹ Ausdrucksweisen schon verstehen, PSW]. Wir sehen uns daher oft von philosophischen Expositionen an dieses innere Anschauen verwiesen und dadurch die Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes erspart, die wir verlangten. Der Satz soll ausdrücken, was das Wahre ist, aber wesentlich ist es Subjekt; als dieses ist es nur die dialektische Bewegung, dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückgehende Gang. – Bei dem sonstigen Erkennen macht der Beweis diese Seite der ausgesprochenen Innerlichkeit aus. Nachdem aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der Tat der Begri= des philosophischen Beweisens verlorengegangen.« (48 | 45)
Hegel beklagt die Reduktion der Dialektik auf die Darstellung und Auflösung von irgendwelchen zufälligen Paradoxien auf der Grundlage vermeintlich allgemeiner Analysen wie bei Kant. Er plädiert für die Wiedergewinnung dialektischer Argumentation in der sinnkritischen Entwicklung begri=licher Unterscheidungen, Inferenzen und der vernünftigen Verständnisse und Beurteilun-
65 b
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Hegels Vorrede
gen dieser Entwicklungen im Ausgang von einer angemessenen Problemexposition. Man wird nun einwenden, dass dieses philosophische Argumentieren oder ›Beweisen‹ die Ebene der Sätze nie verlässt, so dass fraglich ist, wie wir nachher etwas besser als vorher verstehen sollten. 66
»Es kann hierüber erinnert werden, daß die dialektische Bewegung gleichfalls Sätze zu ihren Teilen oder Elementen habe; die aufgezeigte Schwierigkeit scheint daher immer zurückzukehren und eine Schwierigkeit der Sache selbst zu sein. – Es ist dies dem ähnlich, was beim gewöhnlichen Beweise so vorkommt, daß die Gründe, die er gebraucht, selbst wieder einer Begründung bedürfen, und so fort ins Unendliche. Diese Form des Begründens und Bedingens gehört aber jenem Beweisen, von dem die dialektische Bewegung verschieden ist, und somit dem äußerlichen Erkennen an. Was diese selbst betri=t, so ist ihr Element der reine Begri=; hiemit hat sie einen Inhalt, der durch und durch Subjekt an ihm selbst ist. Es kommt also kein solcher Inhalt vor, der als zum Grunde liegendes Subjekt sich verhielte und dem seine Bedeutung als ein Prädikat zukäme; der Satz ist unmittelbar eine nur leere Form. – Außer dem sinnlich angeschauten oder vorgestellten Selbst ist es vornehmlich der Name als Name, der das reine Subjekt, das leere begri=lose Eins bezeichnet. Aus diesem Grunde kann es z. B. dienlich sein, den Namen Gott zu vermeiden, weil dies Wort nicht unmittelbar zugleich Begri=, sondern der eigentliche Name, die feste Ruhe des zum Grunde liegenden Subjekts ist; da hingegen z. B. das Sein oder das Eine, die Einzelnheit, das Subjekt usf. selbst auch unmittelbar Begri=e andeuten. – Wenn auch von jenem Subjekte spekulative Wahrheiten gesagt werden, so entbehrt doch ihr Inhalt des immanenten Begri=s, weil er nur als ruhendes Subjekt vorhanden ist, und sie bekommen durch diesen Umstand leicht die Form der bloßen Erbaulichkeit. – Von dieser Seite wird also auch das Hindernis, das in der Gewohnheit liegt, das spekulative Prädikat nach der Form des Satzes, nicht als Begri= und Wesen zu fassen, durch die Schuld des philosophischen Vortrags selbst vermehrt und verringert werden können. Die Darstellung muß, der Einsicht in die Natur des Spekulativen getreu, die dialektische Form behalten und
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Kommentar zu Hegels Vorrede
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nichts hereinnehmen, als insofern es begri=en wird und der Begri= ist.« (48 f. | 45 f.)
Wir hatten oben schon gesehen, warum es nützlich sein kann, das Wort »Gott« zu vermeiden, und die spekulativ-reflexionslogischen Gedanken, die man unter Gebrauch dieses Wortes ausgedrückt hat, auch anders zu sagen. Zugleich haben wir gesehen, warum der reine Verzicht auf schwierige Wörter oder Ausdrucksformen wenig hilft. Analoges gilt für die Nominalisierungen von Personalpronomina wie »das Ich«, »das Du«, »das Selbst«, »das Wir« oder auch der Vollzugsformkommentierungen »bewusst« und »selbstbewusst« in den Ausdrücken »das Bewusstsein« oder »das Selbstbewusstsein«. Wir werden also die genuine ›Dialektik‹ spekulativ-hochstufiger Reflexionen auf Vollzugsformen nicht umgehen können, die darin besteht, dass die Formenbenennungen so ›klingen‹, als nennten sie Gegenstände – was sie aber gerade nicht tun. Die Ausdrucksformen sind nicht etwa wegzulassen, sondern angemessen zu lesen – was man, wie jede Technik, lernen muss. Es ist dies eine logische Technik. Der Regress des Begründens im deduktiven Beweisen ist etwas anderes als die Vertiefung und explizite Fassung der begri=lichen Erinnerung an das, was man eigentlich schon kann oder weiß. Und doch sind die Verhältnisse ähnlich: Im analytischen Erläutern muss ja die Erläuterungssprache schon verstanden sein. Dass der spekulative Satz unmittelbar eine leere Form ist, heißt nur, dass er nicht unmittelbar als wahre oder falsche Aussage aufzufassen ist, aber auch nicht einfach als Definition. Der Kommentar steht in enger Analogie zu Wittgensteins Satz, dass die Sätze der Logik nichts aussagen und in diesem Sinn ›sinnlos‹ sind. So sagt etwa auch Freges Bemerkung, dass Begri=e, und das heißt bei Frege, Prädikate, ungesättigt sind, nichts über Begri=e oder Prädikate aus, sondern verweist unsere Aufmerksamkeit darauf, dass Prädikatausdrücke der Art »ist ein Pferd« oder »springt« ohne Subjekt wie etwa »Hannibal« unvollständig sind und der Ergänzung bedürfen, damit Sätze entstehen, mit denen man dann Aussagen oder Urteile artikulieren kann. Auch hier kommentiert
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Hegels Vorrede
die Logik nur eine schon bekannte Technik der Sprache, wie man wiederum in spekulativer Form und das heißt jetzt: in der Form einer logischen Metapher zu sagen geneigt ist. In der Tat erkennt Hegel, dass logische Reflexionen oft notwendigerweise von syntaktischen Metaphern (Hans Julius Schneider) Gebrauch machen, wobei die Sätze als solche noch gar keinen Gebrauch haben, insofern bloß erst leere Formen sind, dennoch in der Reflexion auf etwas Wichtiges zeigen. Als Erstes scheint Hegel damit zu bemerken, dass praktisch jede Rede von Gott, also jeder Satz, in dem von Gott die Rede ist, als spekulativer oder metastufiger Kontext zu deuten ist. Der logische bzw. metaphysische Grundfehler jeder Form von theologischem Aberglauben besteht darin, das nicht zu sehen. Dann scheint er sagen zu wollen, dass das Wort »Gott« im Grunde eine Art Platzhalter für den eigentlichen Namen in jeder welthaltigen Aussage, also als Namen für die Welt ist als dem eigentlichen Subjekt jeder derartigen Aussage. Diesem Gedanken zufolge wäre Spinozas Formel »deus sive natura« so zu deuten: Im Grunde hat jeder welthaltige Satz S die tiefenlogische Form »die Welt ist so, wie der Satz S besagt.« Ein Satz der Art »Die Erde dreht sich um die Sonne« erhält damit die Form: »die Welt ist so, dass sich in ihr die Erde um die Sonne bewegt«. Um dann aber noch auszudrücken, dass die Welt nicht bloß das bleibende Objekt, die zugrundeliegende Substanz, unserer welthaltigen Aussagen ist, sondern das allgemeine Subjekt aller Weltprozesse, stellen wir uns die Welt, sozusagen in anthropomorpher Analogie, als eine Art allgemeinsten personalen Akteur vor, der in seiner Tätigkeit alle Prozesse hervorbringt. Eben diese Betrachtungsart liegt der Rede von Gott nach Hegel zugrunde, wo Gott mit der Welt (Natur) identifiziert wird. Damit sehen wir auch, inwiefern die Rede von Gott bzw. der Welt von Hegel ›logisch‹ und nicht, wie wohl noch bei Spinoza, ›ontisch‹ gedeutet wird. Man könnte natürlich alternativ dazu statt der Welt auch das Sein als allgemeinstes Subjekt auffassen, also jedem Satz die Form geben »das Sein / die Wirklichkeit ist so, dass φ von ihr gilt«. Aber anders als das Wort
Kommentar zu Hegels Vorrede
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»Gott« deutet der Ausdruck »das Sein« unmittelbar auch einen bestimmte(re)n Begri= an, etwa den der innerweltlichen Existenz, so wie die Ausdrücke »das Eine« oder »die Einzelheit« auf einzelne Gegenstände oder Elemente irgend eines Gegenstandsbereiches verweisen. Gott ist also immer nur erste Substanz. Das heißt, in Gott als Welt wird bloß erst der ›absolut‹ gedachte ideale Gegenstand des Wissens, die Wahrheit, angesprochen. Wichtig ist dann freilich noch, wie wir gesehen haben, dass es noch eine ganz andere Deutung der Rede von Gott gibt, nämlich als Geist oder eben als mythisch-metaphorischer Ausdruck für das generische Wir des Bewusstseins, Wissens und Selbstbewusstseins. Hier erst wird Gott wirklich Subjekt. Das heißt, mit Gott als dem Ideal des Menschseins wird die absolute Form des Guten und Schönen im Vollzug des Lebens angesprochen. »Sosehr als das räsonierende Verhalten ist dem Studium der Philosophie die nicht räsonierende Einbildung auf ausgemachte Wahrheiten hinderlich, auf welche der Besitzer es nicht nötig zu haben meint zurückzukommen, sondern sie zugrunde legt und sie aussprechen sowie durch sie richten und absprechen zu können glaubt. Von dieser Seite tut es besonders not, daß wieder ein ernsthaftes Geschäft aus dem Philosophieren gemacht werde. Von allen Wissenschaften, Künsten, Geschicklichkeiten, Handwerken gilt die Überzeugung, daß, um sie zu besitzen, eine vielfache Bemühung des Erlernens und Übens derselben nötig ist. In Ansehung der Philosophie dagegen scheint jetzt das Vorurteil zu herrschen, daß, wenn zwar jeder Augen und Finger hat, und wenn er Leder und Werkzeug bekommt, er darum nicht imstande sei, Schuhe zu machen, jeder doch unmittelbar zu philosophieren und die Philosophie zu beurteilen verstehe, weil er den Maßstab an seiner natürlichen Vernunft dazu besitze, – als ob er den Maßstab eines Schuhes nicht an seinem Fuße ebenfalls besäße. – Es scheint gerade in den Mangel von Kenntnissen und von Studium der Besitz der Philosophie gesetzt zu werden und diese da aufzuhören, wo jene anfangen. Sie wird häufig für ein formelles inhaltleeres Wissen gehalten, und es fehlt sehr an der Einsicht, daß, was
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auch dem Inhalte nach in irgendeiner Kenntnis und Wissenschaft Wahrheit ist, diesen Namen allein dann verdienen kann, wenn es von der Philosophie erzeugt worden; daß die andern Wissenschaften, sie mögen es mit Räsonieren ohne die Philosophie versuchen, soviel sie wollen, ohne sie nicht Leben, Geist, Wahrheit in ihnen zu haben vermögen.« (49 f. | 46)
Philosophieren ist für den common sense wie für den Anfänger bloßes Räsonieren. Für den Kenner ist sie eine Technik, die der Anfänger nicht einmal kennt, geschweige denn beherrscht. 68
»In Ansehung der eigentlichen Philosophie sehen wir für den langen Weg der Bildung, für die ebenso reiche als tiefe Bewegung, durch die der Geist zum Wissen gelangt, die unmittelbare O=enbarung des Göttlichen und den gesunden Menschenverstand, der sich weder mit anderem Wissen noch mit dem eigentlichen Philosophieren bemüht und gebildet hat, sich unmittelbar als ein vollkommenes Äquivalent und so gutes Surrogat ansehen, als etwa die Zichorie ein Surrogat des Ka=ees zu sein gerühmt wird. Es ist nicht erfreulich zu bemerken, daß die Unwissenheit und die form- wie geschmacklose Roheit selbst, die unfähig ist, ihr Denken auf einen abstrakten Satz, noch weniger auf den Zusammenhang mehrerer festzuhalten, bald die Freiheit und Toleranz des Denkens, bald aber Genialität zu sein versichert. Die letztere, wie jetzt in der Philosophie, grassierte bekanntlich einst ebenso in der Poesie; statt Poesie aber, wenn das Produzieren dieser Genialität einen Sinn hatte, erzeugte es triviale Prosa oder, wenn es über diese hinausging, verrückte Reden. So itzt ein natürliches Philosophieren, das sich zu gut für den Begri= und durch dessen Mangel für ein anschauendes und poetisches Denken hält, bringt willkürliche Kombinationen einer durch den Gedanken nur desorganisierten Einbildungskraft zu Markte – Gebilde, die weder Fisch noch Fleisch, weder Poesie noch Philosophie sind.« (50 | 46 f.)
Man könnte diese und die folgenden Passagen als Kommentare zum Zustand der Philosophie heute lesen, denn es hat sich nichts geändert. Philosophie ist für die meisten betuliche Erbaulichkeit oder Sammlung von Selbstverständlichkeiten, Tautologien, für wenige andere sophistische Technik.
Kommentar zu Hegels Vorrede
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Hegel lehnt jeden Appell sowohl an esoterische O=enbarungen oder Eingebungen als auch an einen vermeintlich gesunden Menschenverstand ab: Beides ist, so urteilt Hegel, bestenfalls eine Art Surrogat echter Bildung, wie Zichorie billiges Surrogat ist für Ka=ee. Das heißt, was immer Brauchbares sich im Appell daran, dieses oder jenes einzusehen, besonders aber im Appell an die gesunde Menschenvernunft verbirgt, es muss sich im Rahmen echter Bildung und echten Wissens ausweisen lassen. Anders gesagt, die Appelle an Intuition und Einfühlung reichen nicht aus für ein kritisches, an Sinn- oder gar Wahrheitskriterien gemessenes Urteilen. Nimmt man diesen kritischen Gedanken nicht ernst, dann werden die Eingebungen ebenso wie der behauptete gesunde Menschenverstand zu einer Art subjektivem Orakel. Wer sich auf ein solches verlässt oder gar andere dazu aufruft, sich auf es zu verlassen, der tritt, wie Hegel ebenso klar, scharf und richtig sagt, die »Wurzel der Humanität mit Füßen«, nämlich die allgemeine und kooperative, zugleich allgemein reflektierte und in gemeinsamer Erfahrung kontrollierte und doch auch in Expertendomänen und Disziplinen sich aufgliedernde Form des begri=lich richtigen Urteilens und Schließens, des allgemeinen Wissens und des besonderen Erkennens. »Dagegen im ruhigeren Bette des gesunden Menschenverstandes fortfließend, gibt das natürliche Philosophieren eine Rhetorik trivialer Wahrheiten zum besten. Wird ihm die Unbedeutendheit derselben vorgehalten, so versichert es dagegen, daß der Sinn und die Erfüllung in seinem Herzen vorhanden sei, und auch so bei andern vorhanden sein müsse, indem es überhaupt mit der Unschuld des Herzens und der Reinheit des Gewissens und dgl. letzte Dinge gesagt zu haben meint, wogegen weder Einrede stattfinde noch etwas weiteres gefodert werden könne. Es war aber darum zu tun, daß das Beste nicht im Innern zurückbleibe, sondern aus diesem Schachte zutage gefördert werde. Letzte Wahrheiten jener Art vorzubringen, diese Mühe konnte längst erspart werden, denn sie sind längst etwa im Katechismus, in den Sprichwörtern des Volks usf. zu finden. – Es ist nicht schwer,
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solche Wahrheiten an ihrer Unbestimmtheit oder Schiefheit zu fassen, oft die gerade entgegengesetzte ihrem Bewußtsein in ihm selbst aufzuzeigen. Es wird, indem es sich aus der Verwirrung, die in ihm angerichtet wird, zu ziehen bemüht, in neue verfallen und wohl zu dem Ausbruche kommen, daß ausgemachtermaßen dem so und so, jenes aber Sophistereien seien, – ein Schlagwort des gemeinen Menschenverstandes gegen die gebildete Vernunft, wie den Ausdruck: Träumereien die Unwissenheit der Philosophie sich für diese ein für allemal gemerkt hat. – Indem jener sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakel, beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; – mit anderen Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen. Denn die Natur dieser ist, auf die Übereinkunft mit anderen zu dringen, und ihre Existenz nur in der zustande gebrachten Gemeinsamkeit der Bewußtsein[e]. Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehenzubleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können.« (50 f. | 47 f.)
Auch wenn man es bis heute nicht wahrhaben will, es ist alles Meinen und Fühlen ein bloß vages Verstehen. Dabei können wir uns auf beliebig hohem Niveau zu den erfahrenen Inhalten im Modus eines geistig überformten Tieres verhalten. Fühlen, wo es nicht bloß ein Empfinden ist wie im haptischen Gefühl, ist also zumeist schon ein mantisch-unbewusstes Urteilen. Es ist eine Art ›Urteilen aus dem Bauch‹. Die dabei bewusstlos gebrauchten Urteils- und Schlussschemata stammen dann rein von außen, sind bloß angelernt, so dass das vermeintlich ureigene Gefühl gerade als solches fremdbestimmt ist. – Die Ironie des Endes der Vorrede versteht man nach dem schon Gesagten jetzt wohl unmittelbar. 70
»Wenn nach einem königlichen Wege zur Wissenschaft gefragt würde, so kann kein bequemerer angegeben werden als der, sich auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen und, um übrigens auch mit der Zeit und mit der Philosophie fortzuschreiten, Rezensionen von philosophischen Schriften, etwa gar die Vorreden und ersten Paragraphen derselben zu lesen; denn diese geben die allgemeinen Grundsätze, worauf alles ankommt, und jene neben der historischen
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Notiz noch die Beurteilung, die sogar, weil sie Beurteilung ist, über das Beurteilte hinaus ist. Dieser gemeine Weg macht sich im Hausrocke; aber im hohenpriesterlichen Gewände schreitet das Hochgefühl des Ewigen, Heiligen, Unendlichen einher – einen Weg, der vielmehr schon selbst das unmittelbare Sein im Zentrum, die Genialität tiefer origineller Ideen und hoher Gedankenblitze ist. Wie jedoch solche Tiefe noch nicht den Quell des Wesens o=enbart, so sind diese Raketen noch nicht das Empyreum. Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begri=es zu gewinnen. Er allein kann die Allgemeinheit des Wissens hervorbringen, welche weder die gemeine Unbestimmtheit und Dürftigkeit des gemeinen Menschenverstands, sondern gebildete und vollständige Erkenntnis, noch die ungemeine Allgemeinheit der durch Trägheit und Eigendünkel von Genie sich verderbenden Anlage der Vernunft, sondern die zu ihrer einheimischen Form gediehene Wahrheit [ist], – welche fähig ist, das Eigentum aller selbstbewußten Vernunft zu sein.« (51 f. | 48)
Vorreden sind eigentlich überflüssig. Das Urteil steht der Ironie in der anfangs zitierten Vorrede der Brüder Karamasow in nichts nach. Hegel wiederholt dabei seine These, dass Wissenschaft das mühsame, kooperative und kommunikative Geschäft der Begri=sentwicklung durch Entwicklung generischen Wissens ist. Und er weist darauf hin, dass das auch für die Philosophie gilt. Dabei erwartet er, dass kaum jemand sein Buch verstehen wird. »Indem ich das, wodurch die Wissenschaft existiert, in die Selbstbewegung des Begri=s setze, so scheint die Betrachtung, daß die angeführten und noch andere äußere Seiten der Vorstellungen unserer Zeit über die Natur und Gestalt der Wahrheit hiervon abweichen, ja ganz entgegen sind, einem Versuche, das System der Wissenschaft in jener Bestimmung darzustellen, keine günstige Aufnahme zu versprechen. Inzwischen kann ich bedenken, daß, wenn z. B. zuweilen das Vortre=liche der Philosophie Platos in seine wissenschaftlich wertlosen Mythen gesetzt wird, es auch Zeiten gegeben, welche sogar Zeiten der Schwärmerei genannt werden, worin die Aristotelische Philosophie um ihrer spekulativen Tiefe willen geachtet und der Parmenides des Plato, wohl das größte Kunstwerk der alten Dialektik,
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für die wahre Enthüllung und den positiven Ausdruck des göttlichen Lebens gehalten wurde und sogar bei vieler Trübheit dessen, was die Ekstase erzeugte, diese mißverstandene Ekstase in der Tat nichts anderes als der reine Begri= sein sollte, – daß ferner das Vortre=liche der Philosophie unserer Zeit seinen Wert selbst in die Wissenschaftlichkeit setzt und, wenn auch die andern es anders nehmen, nur durch sie in der Tat sich geltend macht. Somit kann ich auch ho=en, daß dieser Versuch, die Wissenschaft dem Begri=e zu vindizieren [sic!; PSW] und sie in diesem ihrem eigentümlichen Elemente darzustellen, sich durch die innere Wahrheit der Sache Eingang zu verscha=en wissen werde. Wir müssen überzeugt sein, daß das Wahre die Natur hat, durchzudringen, wenn seine Zeit gekommen, und daß es nur erscheint, wenn diese gekommen, und deswegen nie zu früh erscheint noch ein unreifes Publikum findet; auch daß das Individuum dieses E=ekts bedarf, um das, was noch seine einsame Sache ist [sic!; PSW], daran sich zu bewähren und die Überzeugung, die nur erst der Besonderheit angehört, als etwas Allgemeines zu erfahren. Hiebei aber ist häufig das Publikum von denen zu unterscheiden, welche sich als seine Repräsentanten und Sprecher betragen. Jenes verhält sich in manchen Rücksichten anders als diese, ja selbst entgegengesetzt. Wenn es gutmütigerweise die Schuld, daß ihm eine philosophische Schrift nicht zusagt, eher auf sich nimmt, so schieben hingegen diese, ihrer Kompetenz gewiß, alle Schuld auf die Schriftsteller. Die Wirkung ist in jenem stiller als das Tun dieser Toten, wenn sie ihre Toten begraben. Wenn itzt die allgemeine Einsicht überhaupt gebildeter, ihre Neugierde wachsamer und ihr Urteil schneller bestimmt ist, so daß die Füße derer, die dich hinaustragen werden, schon vor der Tür stehen, so ist hiervon oft die langsamere Wirkung zu unterscheiden, welche die Aufmerksamkeit, die durch imponierende Versicherungen erzwungen wurde, sowie den wegwerfenden Tadel berichtigt und einem Teile eine Mitwelt erst in einiger Zeit gibt, während ein anderer nach dieser keine Nachwelt mehr hat.« (52 f. | 48 f.)
O=enbar braucht das philosophische Denken eine formelle Disziplin, die Techniken der logischen Analyse und Reflexion. Diese reichen über die Syllogistik des Aristoteles für reine Taxonomien
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und die Prädikatenlogik Freges für das axiomatische-deduktive mathematische Beweisen weit hinaus: In einem interessanten Lob der Zeiten, in denen nicht Platons literarisch feinsinnige Dialoge, sondern die spröden Schriften des Aristoteles im Zentrum des philosophischen Diskurses gestanden haben, etwa bei Thomas von Aquin, spricht sich Hegel sozusagen Mut zu, im Wissen, dass er selbst aristotelisch denkt. Die ansonsten völlig aus sich selbst verständliche Passage ist keine Kritik an Platon, eher an der Oberflächlichkeit von vielen Platon-Lesern. Dabei ist sich Hegel dessen bewusst, dass er seiner Zeit weit voraus denkt, so weit, dass noch nicht einmal das 20. Jahrhundert ihn einholt. Dennoch ist er sich seiner Sache sicher. »Weil übrigens in einer Zeit, worin die Allgemeinheit des Geistes so sehr erstarkt und die Einzelnheit, wie sich gebührt, um so viel gleichgültiger geworden ist, auch jene an ihrem vollen Umfang und gebildeten Reichtum hält und ihn fodert, der Anteil, der an dem gesamten Werke des Geistes auf die Tätigkeit des Individuums fällt, nur gering sein kann, so muß dieses, wie die Natur der Wissenschaft schon es mit sich bringt, sich um so mehr vergessen, und zwar werden und tun, was es kann, aber es muß ebenso weniger von ihm gefodert werden, wie es selbst weniger von sich erwarten und für sich fodern darf.« (53 | 49)
Wenn ein Buch nicht verstanden wird, ist zumindest zunächst unklar, ob das Buch oder der Leser zu kritisieren ist, ein Punkt, den bekanntlich auch G. C. Lichtenberg macht. Ansonsten betont Hegel, dass es nicht auf ihn und seine Meinung ankomme, ja dass er absolut nichts von einem hegelschen System der Philosophie hält, weil es ein solches gar nicht gibt. Derartige Namenphilosophien oder Systeme gehören zu einer Glaubensphilosophie, die gar keine Philosophie ist. Dem widerspricht die Aussage gerade nicht, dass die Philosophie systematisch ist, ja dass es ein System, eine Ordnung, philosophischen Wissens gibt. In dieser Ordnung sollte die Phänomenologie des Geistes ursprünglich am Anfang stehen. Später rückt die Logik an ihre Stelle, und das durchaus mit Recht, ohne damit die prinzipielle Rolle der Phänomenologie
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Hegels Vorrede
infrage zu stellen, d. h. ihren ersten Platz in einer dialektischen Rekonstruktion der Entwicklungen von methodischen Stufen eines selbstbewusst begri=enen Geistes, der wir selber sind.
Hegels Einleitung
7.
Kritik an jeder Erkenntnistheorie
7.1 Der Kollaps der Erkenntniskritiken Humes und Kants im Subjektivismus Die zentralen Fragen einer philosophischen Phänomenologie des Geistes lauten nur auf der Ausdrucksoberfläche so: Wer oder was ist der Verstand oder die Vernunft? Und was tut das Bewusstsein, das Selbstbewusstsein oder der Geist? In ihrem Inhalt aber geht es um die Fragen: Was ist ein verständiges Urteil? Was ist ein (schematisch) richtiger Schluss oder Verstandesschluss? Was ist ein vernünftiges Argument? Was ist dabei ein vernünftiger Schluss? Was ist Wissen? Was ist (begri=lich) wahr ? Entsprechend geht es um folgende Fragen: Was ist eine bewusste Wahrnehmung, Beobachtung oder Erfahrung? Was ist der Unterschied zwischen einem selbstbewussten (also willentlichen oder absichtlichen) Handeln und einem bloß motiv-, trieb- oder begierdegesteuerten Verhalten? Und überhaupt, was sind mentale oder geistige Tätigkeiten oder Fähigkeiten? Und was sind richtige Anwendungen in vernünftigen Tätigkeiten? Dabei steht, wie wir noch genauer sehen werden, die Frage danach, was Wissen und Wahrheit ist, im Zentrum der Überlegung, und zwar aus dem ebenso tiefen, wie nach einiger Überlegung o=enkundigen Grund, dass die Welt des Geistigen die Welt der begri=lichen Inhalte ist, und dass wir, um solche Inhalte zu verstehen, immer schon etwas wissen müssen. Wissen aber setzt im Unterschied zu einem bloßen Kennen die eine oder andere Form der sprachlichen oder bildlichen, insgesamt symbolischen, Repräsentation bzw. Repräsentierbarkeit des Wissens in seinem allgemeinen Inhalt an sich voraus. Daher ist eine Philosophie des
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Hegels Einleitung
Geistes wesentlich Phänomenologie ›des Begri=s‹ im Sinne der genauen Betrachtung der Repräsentationsformen begri=licher Inhalte etwa in Worten und Bildern und deren Gebrauch in der kommunikativen Weitergabe empirischer Informationen und im Erwägen von Möglichkeiten. Dieses Gesamt des Begri=s ist seinerseits durch eine Art Gesamtheit des allgemeinen Wissens bestimmt. Wenn Hegel daher erklärt, die Wissenschaft sei Maßstab (Nr. 81 und 83) auch des Wesens, so bedeutet das immer auch, dass jedes Sinnverstehen durch ein allgemeines Wissen bestimmt ist. Dieses ist dem Vollzugssubjekt freilich zunächst oft nur als ein Kennen, ein implizites Wissen oder Know-How gegenwärtig. Dessen allgemeine Form ist ihm damit häufig nicht bewusst. Denn diese wird noch nicht über einen Titel oder eine satz- bzw regelartige Darstellung einer Form oder Norm thematisch, sondern zeigt sich bloß erst im Vollzug. Dasselbe gilt für alle Fähigkeiten. Übrigens verbindet uns das (unbewusste) Kennen mit den mehr oder weniger intelligenten Vermögen, die es auch in einem rein animalischen Leben gibt. Es ist also das Interesse an einem (selbst-)bewussten Verständnis geistiger Inhalte, das Hegel dazu führt, in der Einleitung in seine Phänomenologie des Geistes mit der Frage nach der Erkenntnis dessen, »was in Wahrheit ist« (Nr. 73a) zu beginnen. Er folgt damit, wenn auch zunächst nur zitationsartig, der üblichen Vorstellung in der neuzeitlichen Philosophie, deren Grundparadigma die so genannte Erkenntnistheorie ist. Das heißt, Hegel skizziert die Gedankenführung bei Descartes, Hume oder auch noch Kant. Deren Vorstellung ist die, dass es der Philosophie um sichere Erkenntnis, um unbezweifelbares Wissen, um Gewissheit und um Selbstgewissheit gehe. Man beginnt daher mit der Kritik an den o=enbaren Beschränkungen der endlichen menschlichen Erkenntnis. Und man erklärt, man könne nur wissen und erkennen, was uns durch unser Erkenntnisvermögen als erkennbar zugänglich gemacht ist. Eben daher beginnt die Erkenntnistheorie seit Descartes, Locke und Hume mit einer entsprechenden
Kritik an jeder Erkenntnistheorie
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Skepsis gegen bloße Behauptungen. Ein solcher Anfang mit einer Kritik der verschiedenen Erkenntnisvermögen scheint zunächst plausibel. Die kritische Skepsis richtet sich, wie es scheint, ja nur gegen ›dogmatisch‹, also einfach in Lehrform erhobene, Erkenntnis- und Wissensansprüche. Diese sind als bloß tradierte Lehren noch nicht daraufhin kontrolliert, ob sie denn ›wirklich wahr‹ oder, weil es ja um unser Erkennen und unsere Überzeugungen geht, ›wirklich gewiss‹ bzw. ›wirklich verlässlich‹ sind. Ein Anfang mit dem Zweifel des einzelnen Subjekts an den Lehren und Behauptungen anderer Personen unterstellt nun aber schon als eine Art verdeckte Präsupposition, dass es überhaupt sinnvoll ist, mit der subjektiven Erkenntnis und dem einzelnen Wissen der einzelnen Person zu beginnen und dessen ›Verlässlichkeit‹, ›Richtigkeit‹ oder auch ›Wahrheit‹ zu prüfen. Ein solcher Beginn hat zur Folge, dass man schon als klar voraussetzt, was das zu Erkennende an sich oder in seinem Wesen sei. Wir werden sehen, dass Hegel gerade diese beiden Voraussetzungen der klassischen philosophischen Erkenntnistheorie erkennt, explizit thematisiert und damit infrage stellt. Es sind Voraussetzungen, die bei Descartes, Locke, Hume und Kant noch implizit bleiben. Die gegenwärtige Erkenntnistheorie rekonstruiert dagegen angeblich allgemein gültige schematische Folgerungen aus Satzformen wie: »x erkennt y« oder »x weiß, dass φ.« Die Analyse wird dabei zur axiomatischen Konstruktion. Hegel zeigt dagegen, dass man hier keineswegs bloß die Sätze und ihre Formen, sondern die Aussagen, Sprechhandlungen in ihren dialogischen Kontexten und zeitlichen Abfolgen zu betrachten hat. Wissensansprüche (und ihre anerkennende Bewertung als wahr) sind nur im kommunikativen und kooperativen Kontext voll zu verstehen. Man kann z. B. Absichten nicht momentan zuschreiben. Hegel weist insbesondere nach, dass die Spannung zwischen Gewissheit und Wissen nie aus rein subjektiver Seite aufzuheben ist. Rein performativ betrachtet ist also jede Äußerung eines Satzes der Form »ich weiß, dass φ« nur die Expression einer Gewissheit und die Versicherung ihrer Verlässlichkeit. Dennoch gibt es einen Kon-
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trast zu »ich glaube, dass φ.« Es folgt, dass das cartesische und dann auch empiristische Streben nach subjektiver Gewissheit nicht das findet, was es zu finden vorgibt: das Wissen. Ein echtes Verständnis der Kontraste zwischen zufälligem Meinen, einem gerechtfertigten Glauben an sinnvolle Möglichkeiten, einem allgemeinen theoretischen Wissen über typische Verhältnisse und einem empirischen Wissen über reale und konkrete Sachen und Ereignisse erreicht man so nicht. Eben um diese Kontraste sollte es aber in den Wissenschaften im Objektbezug, in der Philosophie im Formbezug gehen. In der klassischen Erkenntnistheorie erscheinen das Wahrnehmen, Beobachten, das Gedächtnis oder Sich-Erinnern, aber auch das Denken und Begründen noch als verschiedene Instrumente, Werkzeuge, Mittel, »wodurch man des Absoluten« – also einer absoluten Wahrheit – »sich bemächtige« (Nr. 73a). Dabei könne es sein, dass aufgrund ihrer unterschiedlichen Tauglichkeit »durch falsche Wahl« der Mittel »Wolken des Irrtums statt des Himmels der Wahrheit erfasst werden« (73b). Das Wahre, Wirkliche oder die Welt (an sich) wird dabei o=enbar höchst ironisch dem Erkennen gegenübergestellt. In dieser Gegenüberstellung wird eine Welt (an sich) als ›das Absolute‹ vom Erkennen abgetrennt. Hegel überschreibt hier mit dem Titel »das Absolute« noch einmal die übliche Vorstellung von einer Wahrheit oder Wirklichkeit, die als von unserem Erkennen und Wissen losgelöst gedacht wird. Andere Titel für dieses Absolute sind, klassisch, auch »das Sein« oder »das Ansichsein«. Es geht nun darum zu sehen, dass am Ende nur der Vollzug absolut ist. Die Behauptung, das Absolute sei unerkennbar, ist in einer Lesart reine Tautologie, in einer anderen einfach falsch. Tautologisch ist es, wenn das Absolute als das von unserem Erkennen und Wissen ganz unabhängige ›Sein‹, also als das Unerkennbare definiert ist. Falsch ist die Unerkennbarkeit, wenn das Absolute als Gegenstand der epistemischen Relation gegenständlichen Erkennens gefasst ist. Alle Dinge, Ereignisse oder Prozesse, auf die man sich als bestimmte beziehen kann, muss man schon auf die eine oder andere Weise zum Thema des
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reflektierenden Erkennens machen können, oder man weiß nicht, wovon man redet oder worauf man sich bezieht. Die übliche Mystifizierung des Ansich und des Absoluten führt in das Desaster des Skeptizismus oder Agnostizismus: Man meint, das Wissen durch einen Glauben an eine »jenseitige« Welt der eigentlich wirklichen Tatsachen ersetzen zu müssen oder wenigstens durch einen Glauben an eine Art wissenstranszendente Wahrheit ergänzen zu dürfen. Der Skeptizismus, der unsere Wissensansprüche als bloße Behauptungen kritisiert, wird damit selbst zur Stütze eines dogmatischen Glaubens, dass es keinen Unterschied zwischen Glauben und Wissen gäbe, und zwar weil auch alles weltliche Wissen ein bloßes Glauben sei. Eben das war schon das Ergebnis der antiken Skepsis gewesen – und führte am Ende ironischerweise zu den Gedanken der christlichen Philosophie: Man kann dann auch gleich an ein transzendentes Jenseits glauben. Es ist daher kein Wunder, dass neuere Philosophen auf der Grundlage einer humeschen Erkenntniskritik und eines subtil-sophistischen Hantierens mit formalen Wahrscheinlichkeitskalkülen die ›Rationalität‹ eines Glaubens an eine transzendente Existenz eines Gottes ›nachweisen‹ und dabei erklären, dass ihr Nachweis völlig die Standards üblicher wissenschaftlicher Rationalität erfüllen. Denn gerade auch die wissenschaftliche Weltanschauung unterstellt eine kategorische Trennung zwischen einer Welt oder Wahrheit an sich und dem, was wir Menschen, so wird gesagt, für Wissen halten. Mit Nietzsche meint mancher dann, unser angebliches Wissen sei durchgängig eine Art nützliche Lüge. Man geht von der Fehlbarkeit nicht bloß mancher, sondern all unserer a fortiori subjektiven und endlichen Erkenntnisansprüche aus. Das, was wir erkennen können, der innere Gegenstand des Erkennens, das Objekt des menschlichen Wissens, unterscheide sich von der Welt an sich, den Dingen an sich, wesentlich. Wir könnten daher, so meint man, die Wahrheit nie wissen. Sie bleibe unserem realen Wissen immer ein Jenseits und sei, absolut genommen, unerkennbar. Was wir erkennen oder wissen können, das wiederum sei immer etwas anderes als die Wahrheit, also etwas anderes als
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das, was die wirkliche Welt sei. Damit aber werden, wie Hegel klar und deutlich sieht und sagt, die Begri=e der Wahrheit, Wirklichkeit und Welt, aber auch Wissen und Glauben mystifiziert. Die Wahrheit wird durch die verbale Versetzung in ein transzendentes Jenseits aller Erscheinungen und realen Erfahrung zu einem bloßen Gegenstand des Glaubens und Meinens, des subjektiven Dafürhaltens und Prophezeiens. Es entsteht sozusagen eine Realsatire höchster ironischer Güte: Die Wissenschaft selbst, nicht bloß die Philosophie, wird über den Weg der Skepsis und des Empirismus zu dogmatischer Meinung und bloßer Weltanschauung. Sie wird zu einer bloß an der Oberfläche säkularisierten Variante von Meinungsreligion überall dort, wo ihr Geltungsanspruch den Bereich des technischen Könnens und damit einen rein instrumentalistischen Geltungsbegri= (wie in gewissen Lesarten sogar noch des Amerikanischen Pragmatismus) überschreitet. Damit wird aber gerade nicht mehr begri=en, was Wissen und Wissenschaft bzw. Philosophie und sinnkritische Reflexion auf nicht bloß instrumentalistische Wissensansprüche sind. Denn über Technik, das technische Können, streitet man ja nicht, wenn man über die Wahrheit von Aussagen über die Welt streitet. Der Empirismus verfällt der Subjektivität der Empfindung, der perspektivischen Wahrnehmung und damit dem mehr oder weniger zufälligen Gefühl. Dieses subjektive Gefühl oder Gefühlsurteil ist das gerade Gegenteil des Wissens. Denn Wissen ist allgemein, nicht subjektiv. Mit anderen Worten, die Skepsis führt zu einem Subjektivismus, wie er eher das Erkennen des Tieres als das Wissen des Menschen prägt. Es geht aber darum zu wissen, was der Mensch weiß, nicht, was das Tier kennt. Der Ansatz der klassischen empiristischen Erkenntnistheorie führt sozusagen mit logischer Notwendigkeit zu ihrer ›Naturalisierung‹ und damit zu einer Animalisierung des Menschen auf beliebig hohem Niveau – samt der entsprechenden Mystifizierung seiner geistigen Fähigkeiten durch deren Platzierung teils in seinen Genen, teils in den Windungen seines Gehirns. Aber auch die Erkenntniskritik Kants kollabiert, wie schon die
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Humes, aus folgendem Grund in einen skeptizistischen Subjektivismus: Kants Kritik will gerade zeigen, dass das Erkenntnisvermögen ein untaugliches Mittel zum Erreichen der Wahrheit an sich sei. Das Ding an sich soll zwar zunächst nur eine Art ›Grenzbegri=‹ sein. Unser Erfahrungswissen beziehe sich immer nur auf die internen Gegenstände unserer Erfahrung, nie auf die Gegenstände an sich. Das aber bedeutet, dass uns nur zwei Möglichkeiten angeboten werden: Entweder wird die Rede über eine Wahrheit (an sich) völlig leer, inklusive der Idee des Grenzbegri=s. Oder man kann an eine Welt an sich (im vagen Sinne Kants) bloß noch glauben. Wir wollten etwas wissen. Und wir wollten wissen, was wir wirklich wissen. Die Erkenntnis- und Wissenskritik belehrt uns aber, erstens, dass man nur Wahres wissen könne, dass man aber das Wahre nie sicher erkennen könne, dass wir daher immer auf unsere Überzeugungen, unseren Glauben, zurückgeworfen seien. Alles unser vermeintliches Wissen sei demnach bestenfalls ein mehr oder minder rationales oder vernünftiges Glauben. Eben damit wird der Glaube entweder an einen ontisch unterstellten Gott oder an eine theoretisch beschriebene und doch zugleich ontisch als gegeben unterstellte Natur an sich als scheinbar alternativloser Anfang ausgegeben. Der Dogmatismus des pluralen Glaubens der Gegenwart ist die Folge, und zwar nicht etwa nur bei Kant, sondern längst schon bei Hume, selbst wenn beide einen solchen Glauben irgendwie in den Grenzen der menschlichen Vernunft halten wollen, und, subjektiv gesprochen, auch nicht besonders gläubig waren. Hegels Kritik ermäßigt hier nichts, wie man ihm oft vorwirft, besonders wenn man Kant gegen Hegels Kritik verteidigen möchte. Im Gegenteil. Hegels Fragen sind viel radikaler als die Kants. Er fragt, was denn die Rede über die Wahrheit, über Wissen und Glauben überhaupt bedeuten kann. Er fragt daher auch nicht schon gleich danach, was wir angeblich vernünftigerweise glauben können. Er fragt vielmehr nach dem innerweltlichen, immanenten, nicht transzendenten, Begri= der Wahrheit und des Wissens
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selbst. Gefragt ist, was wir realiter für wahr erklären und was in Relation dazu Gegenstand und Erfüllungsbedingung unserer realen Wissensansprüche sind. Gefragt ist also nach dem Kontrast zwischen Glauben und Wissen und nach der Bestimmung der möglichen Glaubens- oder Wissensinhalte. Es geht um welt-interne, wenn man will: endliche und ›bürgerliche‹ Di=erenzierungen zwischen ›etwas glauben‹ und ›etwas wissen‹. Wie schon angedeutet, können sich sowohl Theisten wie auch Atheisten auf ›Argumente‹ stützen, wie sie Hume und Kant vorbringen. Noch Schopenhauer kann sich in seinem metaphysischnaturalistischen Glauben an ein unerkennbares Reich eines natürlichen Willens an sich auf Kant berufen. Ihm zufolge geht unser Welt-Wissen nur auf Erscheinungen, ist also bloßes Erfahrungswissen, vorzugsweise technischer und prognostischer Art. Die Welt an sich ist dagegen bloß erreichbar durch metaphysisches Denken. Das scheint eine Metaphysik des Glaubens zu rechtfertigen, wie man Schopenhauers Position charakterisieren sollte, deren Abhängigkeit von Kant, Jacobi und Fichte damit klar wird. Gemäß dem Erbe des Humeanismus und Spinozismus dient das Wissen über die Welt (Natur) dabei immer Zwecken. Subjektiv sind diese Zwecke durch Neigungen oder gar Leidenschaften bestimmt. Daran ist durchaus manches dran. Denn vieles Wissen ist in der Tat Mittel zu beliebig vom einzelnen Subjekt oder von uns als Subjekten gesetzten Zwecken. Das ist aber auch ein einseitiges Bild. Denn es wird fälschlicherweise unterstellt, alles Wissen sei bloße Technik, bloß instrumentell und diene nur einem durch motivationale Triebe vorgegebenen Eigeninteresse. Diese Unterstellung motiviert dann auch Schopenhauers Aufruf zum kontemplativen Ausstieg aus Technik und Wissenschaft. Technik und Wissenschaft werden in dieser Tradition bürgerlicher Philosophie, die in der Zivilisationskritik zwischen 1870 und 1970 geradezu den Zeitgeist dominierte, zu erkenntnisinteressierter Ideologie – bis in den stillen Schopenhauerianismus der Fankfurter Schule hinein. An die Stelle dieser vermeintlichen Ideologie des vermeintlich bösen Willens setzt Schopenhauer die
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tatenfreie Haltung uninteressierter ästhetischer Beobachtung und Anschauung, am Ende die Kunst, besonders die Musik. Einer solchen metaphysischen Meinungsphilosophie kann Nietzsche allzu leicht ihre einfache Negation gegenüberstellen. Nach dieser kann es eine uninteressierte Beobachtung gar nicht geben. Alles ›Wissen‹ erscheint ihm zwar weiterhin als Teil eines pragmatischen ›Willens zur Macht‹. Doch wir sollten das bejahen, nicht verneinen. Allerdings ist auch diese Haltung einseitige Meinungs-Metaphysik, wie nicht zuletzt Heidegger erkennt. Insbesondere wird dabei völlig übersehen, dass alles Selbstwissen in Wahrheit eine abolute Seinsform ist. Der Instrumentalismus oder technizistische Pragmatismus auf der einen Seite, der Kontemplatismus auf der anderen artikulieren damit nicht anders als der Skeptizismus freie Haltungen zur Welt, die ohne Gründe auf reinen Dezisionen beruhen. Bei Verweigerung der Debatte um gute oder schlechte Gründe ist hier keine weitere Abhilfe zu scha=en. Dennoch ist es richtig, mit Fichte das Primat der Praxis, des Handelns, vor jedem theoretischen Wissen anzuerkennen. Das ist allein schon deswegen wichtig, weil am Ende jede Behauptung und jedes Urteil, auch jede verbale und jede praktische Folgerung eine freie Handlung ist. Die Frage ist aber, wie wir das Handeln in eine angemessene Beziehung bringen können zu unserem Wissen über die Welt und uns selbst, und wie zwischen bloß dogmatisch-metaphysischen Meinungsphilosophien über eine Welt an sich und echter philosophischer Sinnkritik zu unterscheiden ist. Hegel spricht hier daher mit Recht von einem »trübe(n) Unterschied zwischen dem absolut Wahren und sonstigen Wahren« (Nr. 75b). Es geht hier in gewissem Sinn darum, den Zusammenhang unserer normalen, sozusagen ›bürgerlichen‹ oder ›werktäglichen‹ Gebräuche der Worte »ist wahr« und »Wahrheit« mit den scheinbar bloß sonntäglichen Reflexionen auf das ›wirklich‹ oder ›absolut‹ Wahre in eine angemessene Verbindung zu bringen. Hier, so behaupte ich, behandelt Hegel schon bedeutend mehr an Problemen und analysiert mehr Strukturmomente als die moderne, allzu formalistische Debatte um diverse Wahrheitstheo-
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rien überhaupt in ihrem Fokus hat. Er sieht insbesondere, dass wir einen Gebrauch der Worte im Einzeldialog zwischen Einzelpersonen, in dem es um deren ›privaten‹ Kenntnisse und subjektiven Erkenntnisse geht, also um empirische Informationen, unterscheiden müssen von einer gemeinsamen Bewertung von Vorschlägen, die Worte und Begri=e auf eine gewisse Weise zu gebrauchen. Im zweiten Fall geht es um die allgemeine Anerkennung allgemeiner Normen und Regeln durch ihre Aufnahme in einen public domain oder Kanon des generischen, materialbegri=lichen Wissens, also in eine Art allgemeiner Enzyklopädie, in welcher auf personen- und situationstranszendente Weise materialbegri=liche Wahrheiten zum allgemeinen di=erentiellen und inferentiellen Gebrauch der Wörter und Sätze artikuliert und damit explizit lehr- und lernbar, zugleich aber auch korrigierbar werden. Hegel sieht damit auch den kategorialen Unterschied zwischen der Fallibilität von Erkenntnisansprüchen einzelner Personen und der mit dieser allzu oft, aber fälschlicherweise, gleichgesetzten ›O=enheit‹ jedes allgemeinen Wissens und jedes begri=lichen ›Systems‹. Ein solches System ist eine Zusammenstellung explizierter materialbegri=licher Bestimmungen, welche ein gemeinsames Verstehen gerade auch von empirischen Aussagen tragen können sollen. Ohne solche Bestimmungen haben die Wörter und Sätze keinen di=erenzierten und inferentiellen Inhalt. Sprache ist daher vom allgemeinen Wissen gar nicht zu trennen. Reine syntaktische Formen bilden noch keine Sprache. Das heißt, es sind folgende Fälle von ›Irrtümern‹ unbedingt zu unterscheiden: Im einen Fall halte ich gegebenenfalls zusammen mit einer irgendwie mit mir zusammenhängenden besonderen Wir-Gruppe von Personen eine konstative empirische Einzelaussage (wie logisch komplex diese auch immer sei) für wahr, andere Personen aber widersprechen. Diese behaupten von sich, es besser zu wissen. Vielleicht wissen sie es in der Tat besser, nämlich weil sie uns von unserem Irrtum überzeugen können, wenn wir unsere Kriterien ›des Verstandes‹, des rechten Norm- und Regelfolgens, und ›der Vernunft‹, der angemessenen Urteilskraft im
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Bezug auf Relevanzfragen in Anwendungen von Normen, Prinzipien oder Regeln, oder der rechten Entwicklung von Normen, Prinzipien oder Regeln richtig in Anschlag brächten. So kann zum Beispiel jemand, was oft passiert, einen wahrgenommenen Gegenstand begri=lich fehlidentifizieren. Ein Jäger kann etwa eine Kuh für ein Reh oder einen Menschen für ein Wildschwein halten – und aufgrund des entsprechenden Fehlurteils in Bezug auf inferentiell geregelte Normalfolgen, Verbote oder Erlaubnisse, deren Details hier nicht zu notieren sind, auf mehr oder weniger dramatische Weise falsch handeln. Oft stellt sich der Fehler im Nachhinein heraus. Es kann aber auch sein, dass ihr schon jetzt auf meinen möglichen oder schon wirklichen Fehler aufmerksam werdet und damit die mögliche oder wirkliche Falschheit meines Urteils erkennt. Freilich könnt auch ihr euch täuschen. Wichtig ist nur, dass hier nicht einfach Meinung gegen Meinung steht und ein mehr oder weniger willkürlicher Konsens gegen einen mehr oder weniger willkürlichen Dissens. Insbesondere urteilen wir nicht rein willkürlich über die Erfüllungen normativer Bedingungen im Sprach- und Behauptungsspiel, wie sie in David Lewis und Robert Brandoms Idee eines »Scorekeeping« artikuliert werden. Vielmehr gibt es diese Bedingungen unabhängig von unseren Befriedigungen und Nichtbefriedigungen bzw. unabhängig von unseren bloß subjektiven Dispositionen zu negativen oder positiven Sanktionen. Da dem aber so ist, bleibt die Frage o=en nach der Seinsweise der normativen Bedingungen, welche festlegen sollen, was ›richtige Erfüllungen‹ sind. Brandom spricht zwar von einer Normativität ›all the way down‹, womit wohl gerade eine normative Meta-Beurteilung ›all the way up‹ mitgemeint ist, also der Bewertungen reflektierender und metastufiger Aussagen über die Richtigkeit von Aussagen einer ›tieferen‹ Reflexionsebene. Ein unendlicher Regress erscheint hier als unvermeidlich. In der Tat geben sowohl Brandom als auch Hegel in einem gewissen Sinn zu, dass dieser Reflexionsregress praktisch immer irgendwo abgebrochen wird, das aber nicht ganz willkürlich, sondern weil Bedingungen erfolgreicher Kommunikation und Kooperation
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sich als zureichend erfüllt zeigen. Zwar kann die kontrollierende Reflexion potentiell beliebig fortgesetzt werden. Diese Fortsetzbarkeit ist gerade anzuerkennen. Das aber scheint den Status der Kriterien des Richtigen, der Bestimmung der Geltungsbedingungen, also der Normen der Normativität wieder unklar zu machen. Es ist daher noch weit mehr dazu zu sagen, wie die Erfüllungsbedingungen konstituiert und instituiert sind. So bleibt zum Beispiel o=en, ob schon das als (konstativ bzw. informativ) wahr gelten kann, was wir in einer entsprechenden Wir-Gruppe (also sozusagen mit allen Scorekeepers) am Ende bloß faktisch als richtig oder wahr anerkennen. Damit würde Wissen zu kollektiver Gewissheit. Das wäre übrigens auch völlig ausreichend, ginge es bloß um gemeinsame Unterscheidungen: Mehr als gemeinsam unterscheiden können, wollen und brauchen wir nicht. Wäre also das Wahre nur richtige Klassifikation, dann reichte ein Konsensusbegri= völlig aus. Probleme mit dieser Antwort ergeben sich aber sofort, wo es um Inferenzen, Dispositionen, Erwartungen geht. Es liegt also am inferentiellen Moment unserer Begri=e, an der Tatsache, dass praktisch alle unsere Unterscheidungen längst schon inferentiell geladen und dispositionell dichte Begri=e sind, und an der weiteren Tatsache, dass sie als solche zunächst immer nur auf Normalfallerwartungen zu schließen erlauben, warum unser Urteilen erstens immer fallibel, zweitens immer von einem Sprecher frei gefällt und drittens in ihrem Sinn zumeist so zu verstehen sind, dass dem Hörer die Versicherung gegeben wird, dass die allgemeinbegri=lichen Normalfallerwartungen erfüllt sind, und zwar bis auf eigens genannte Abweichungen oder Besonderheiten des konkreten Bezugsfalls an und für sich. Wir sehen hier, welche formidable Aufgabe Hegel sich stellt. Es geht um nichts weniger als um eine Analyse der Form des begri=sbestimmten Urteilens über das bloße Unterscheiden hinaus, samt der Normativität aller Formen des Richtigen, zunächst des di=erentiell und inferentiell Wahren, gerade auch in Bezug auf Dispositions- und Möglichkeitsaussagen, dann auch des Guten und schließlich des Schönen.
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Bei Hegel fungiert nun, nach meiner Interpretation, allgemeines Wissen als begri=liches Kriterium des Richtigen. Es bestimmt das Reich des Normativen in der Dimension des Wahren. Das tut es, weil es kanonisiert ist. Die Wissenschaft als Institution spielt dabei für die Kanonisierung materialbegri=licher Normen eine ganz analoge Rolle wie das Rechtssetzungssystem und die Rechtspflege im Staat. Allgemeines Wissen ist daher nicht einfach ein kollektives Glauben. Es hat die Gestalt einer allgemeinen Praxisform. Diese setzt Normalfallnormen, indem wir praktisch die Formen reproduzieren. Und man artikuliert sie in satzartigen Regeln und in Theorien. Diese bilden ein System von durch Paragraphen gliederbaren Gesetzen, gerade so wie man im Staat Recht setzt und gliedert. Damit wird auch klar, welche Rolle Prototypen als paradigmatische Fälle spielen können oder dann auch Stereotypen und konstruierte Idealtypen. Das zeigt ein Vergleich mit einem ›germanischen‹ Fallrecht wie in Großbritannien und den USA. Hier werden Einzelurteile als prototypische Urteile behandelt und durch analoge Reproduktion und Kommentare zu den für relevant erklärten analogischen Formen in Recht verwandelt. Im römisch-kontinentalen Recht kommen explizite Merkformeln, Rechtssätze und deren Ordnungen in Paragraphen mit Titeln und Prinzipien, artikuliert durch Titelsätze, hinzu. Diese emöglichen es, dass man auch als Laie relativ schnell finden und überprüfen kann, was rechtlich gilt. So wie im gewaltenteiligen Staat die Legislative in ihrer Rolle als Kriteriensetzerin das rechtlich Richtige zunächst durch Rechtssätze allgemein bestimmt, die Jurisdiktion dann aber in den besonderen Anwendungen festlegt, so verhält es sich durchaus auch mit dem Verhältnis von theoretischer und angewandter Wissenschaft: Die Theorie liefert sozusagen die allgemeinen Paradigmen und Paragraphen zur expliziten Artikulation des Bereichs des Materialbegri=lichen. Diesem liegt eine implizite Kenntnis von typischen Fällen samt partiellen Kommentierungen schon voraus. Das Paragraphenrecht ist gewissermaßen das Selbstbe-
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wusstsein des Fallrechts. Die Theorie ist das Selbstbewusstsein des Begri=lichen. Die Philosophie aber ist das Selbstbewusstsein des praktischen Verhältnisses von Theorie und Praxis. Ein bleibendes Problem sind dabei die immer mitlaufenden nicht-expliziten Praxisformen, wie das empraktische Können und Wissen und das implizite Ethos oder die implizite Moralität. Die Seinsweise eines allgemeinen normativen Wissens ist dabei anders zu verstehen als konstative oder informative (empirische) Einzelaussagen. Es ergibt sich nicht einfach aus einem faktisch ›universellen‹ oder auch nur mehrheitlichen Konsens einer WirGruppe. Vielmehr entscheiden wir hier immer schon durch die Vermittlung unserer eigenen Praxisformen wie dem Fallrecht und Institutionen wie der expliziten Rechtssetzung, in welchen wir das Allgemeine sozusagen kanonisieren. Als schon formalisierte Institutionen sind diese die Praxisform recht verstandener Wissenschaft, die Praxisform des menschlichen Urteilens und die Institutionen des Staates. Frühformen mag man dafür in den Rollen von Schamanen und Medizinmännern sehen oder von Häuptlingen und Ältesten. Dabei ist unbedingt auf den Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Universellen zu achten. Das Wort »universell« bedeutet im Kontrast zu »allgemein«, dass eine Eigenschaft E auf alle einzelnen Personen einer Gruppe von Personen oder auf alle einzelnen Gegenstände einer (›sortalen‹) Menge von Gegenständen zutri=t. In Di=erenz dazu bedeutet das Wort »allgemein«, dass eine Aussage einen ganz bestimmten logischen Status hat, nämlich dass sie ein generisches Wissen bzw. eine generische Wahrheit und als solche eine (empraktisch anerkannte oder als anzuerkennen behauptete) begri=liche Norm für di=erentielle Default-Inferenzen und damit Normalfallmöglichkeiten oder Erwartungen artikuliert. Das gilt zunächst jeweils für eine Sprache, dann aber vermöge von Übersetzungsnormen oder Übersetzungsregeln auch gleich für eine sprachübergreifende Wissens- und Begri=sgemeinschaft. So gilt z. B. allgemein, dass Wasser bei 100 Grad Celsius verdampft – nun ja, unter ›Normalbedingun-
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gen‹ – wobei man die Zahlen dann auch die Fahrenheit- oder Kelvin-Skala anpassen muss. Dabei besteht Hegel darauf, dass eine Begri=sgemeinschaft (wie ich sie nenne) nicht einfach als universelle Wir-Gruppe aller Einzelmenschen aufzufassen ist, sondern als – Idee. Als solche ist sie aber auch nicht einfach ›bloße‹ Idee, abstrakte Zielvorstellung etwa, sondern gemeinsame Vollzugsform eines gemeinschaftlichen humanen bzw. personalen Lebens. Es ist die Form der Wissenschaft als Bestimmung des Begri=s, also der begri=lichallgemeinen Di=erenzierungen und Inferenzen, artikuliert durch sprachliche Formen der Explikation der oft auch bloß erst implizit oder empraktisch verfügbaren begri=lichen Unterscheidungen und tätigen Normal-Folgerungen. Diese Form des Begri=lichen ist am Ende zusammen mit seiner Explikation und damit selbsbewussten Reflexion identisch mit dem, was man »Geist« nennt. Sie zeigt sich in ihrer Realität an der Entwicklung des menschlichen Wissens und der begri=lichen bzw. ›geistigen‹ Inhalte. Die Idee des Geistes ist die Idee der Menschheit. Ihre Realisierung besteht im (guten, richtigen) Leben personaler Subjekte. Die Formen der Bestimmung des Wahren bestimmen wir dabei in der Wissenschaft. Die Formen der Bestimmungen des rechtlich Richtigen bestimmen wir im System des Rechts. Die Formen der Bestimmungen des moralisch Richtigen bestimmt die freie Tradition des Ethos, der Sittlichkeit. Das logische Selbstbewusstsein für alle diese Praxisformen und Institutionen, gerade auch für Staat und Ökonomie, ist die Philosophie. Hegels Phänomenologie des Geistes macht dabei nur explizit, was sich selbst als Idee zeigt. Sie zeigt sich als ein Projekt der andauernden (Wieder-)Herstellung und Verbesserung des Wissens um die Formen des Wissens, um die Idee der Praxisformen und darin der Begri=e im Gesamtprojekt der Entwicklung einer gemeinsamen humanen Welt. Es versteht sich jetzt von selbst, dass es die Idee oder geistige Form, den Geist, einer gemeinsamen Welt nicht ohne unser Zutun gibt. Der Prozess oder das Projekt der (Selbst-)Entwicklung des Geistes ist und bleibt unser Projekt.
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Nur so ist es überhaupt real. Aber, und das ist zentral, es kommt dabei nicht auf den bloß Einzelnen und seine bloß einzelnen Urteile an. Genauer gilt: Es kommt auf die Urteile der Einzelpersonen nur insoweit an, als sie richtig sind, und das heißt, als sie der gemeinsamen Form und Norm des Richtigen entsprechen. Der Fall ist analog dazu, dass es in der Rede über Zahlen nicht darauf ankommt, dass einzelne Realisierungen von Zahlrepräsentanten, sagen wir, geschriebene Zi=ern, ihre di=erenzierende Funktion (etwa durch Ausbleichen) verlieren können (weil sie etwa zufälligerweise nicht wiederkennbar sind). Oft müssen wir sie halt durch neue, äquivalente, Zeichen so ersetzen, wie wir alte Bücher durch Abschriften oder Nachdrucke ersetzen oder wie wir alte Gemälde restaurieren. Außerdem erträgt die Mathematik viele Menschen, die nicht in der Lage sind, mathematische Beweise zu prüfen oder auch nur richtig zu rechnen. In ähnlicher Weise kommt es nach Hegel nicht auf mein Urteil oder mein Denken, sondern eher auf das Urteil und das Denken an. Das bedeutet, dass die einzelne Besonderheit (etwa des Ausdrucks) nicht so wichtig ist wie der allgemeine Beitrag zum allgemeinen Können und Wissen. Richtig bleibt allerdings, dass es Inhalte nicht ohne ihre Repräsentationen gibt und diese nicht ohne einen funktionstüchtigen Gebrauch. Noch wichtiger, aber besonders schwer zu verstehen, ist dies: Man darf die Rede von der Repräsentation eines Inhalts nicht als ›Abbildung‹ missverstehen. Repräsentationen sind keine Korrespondenzbeziehungen zwischen zwei unabhängig voneinander gegebenen Ebenen oder Bereichen von Gegenständen. Rortys Kritik am Begri= der Repräsentation (»representation«) betri=t also keineswegs unseren Begri= der Repräsentation, sondern er richtet sich, ganz mit Recht, gegen jede naive korrespondenztheoretische Auffassung von Wahrheit als Widerspiegelung etwa einer Natur oder eines Wesens der Dinge (an sich) in unserem sprachlich artikulierten Wissen. Rorty und Brandom plädieren für eine pragmatistische Wahrheitstheorie, das heißt, für folgende Option: Die einzigen Wahrheiten, die es gibt, zeigen sich am Ende in der guten Befriedigung
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der Bedürfnisse der Lebewesen, die an dem betre=enden Wissensund Wahrheitsspiel teilnehmen. Dieses ist ein inferentielles Spiel mit Beobachtungen, Worten und pragmatischen Folgerungen, das gewissen sozialen Normen, Prinzipien und Regeln folgt, die eine gewisse Gemeinsamkeit unserer Orientierungen garantieren (sollen). An die Stelle metaphysischer Vorstellungen über eine Wahrheit an sich und eine Abbildung der Natur oder des Wesens der Dinge (an sich) in unserem Wissen tritt bei Rorty die Solidarität der Menschen, die Kooperation, das gemeinsame Handeln, und zwar, wenn man so sprechen will (oder darf), als eine Art Grundbegri= jedes Verstehens und jeder Richtigkeit. In gewissem Sinn ist das durchaus auch etwas, was Hegel sagt. Jedenfalls ist Rortys Hinweis auf die Rolle der Kooperativität für alle Normativität des Wahren und des Guten weit tiefer als seine Kritiker anerkennen. Wir werden die Übereinstimmungen und Di=erenzen aber noch genauer auszuarbeiten haben. Zunächst passt zu dem, was Rorty lehrt, Hegels Kritik an der üblichen, naiven, Auffassung vom (idealen) Wissen als einer (wahren) Abbildung einer Wirklichkeit (an sich, was immer das heißt). Hegel erinnert dazu an die terminologische Regel, dass man nur Wahres wissen kann, dass man also aus dem Satz »N weiß, dass φ« analytisch folgern kann: »φ ist wahr«. Zugleich gilt aber, dass jede Aussage der Form »ich weiß, dass φ«, wie jede Aussage, also auch die Aussage »wir wissen, dass φ« oder »man weiß, dass φ« zunächst bloß als eine Versicherung des Sprechers, als eine Deklaration seiner Überzeugung gelten kann. Hegel weist nun darauf hin, dass man sich, wenn man das ›absolut‹ Wahre oder Wirkliche ›an sich‹ von ›unseren‹ Wissensansprüchen abtrennen möchte, einfach widerspricht: Wissen sollte doch Wissen des Wahren sein, dessen also, was es wirklich und objektiv gibt. (Man beachte: das »an sich« ist hier im di=usen Sinn Kants genommen.) Andererseits sollte das Wahre unabhängig von uns und unserem Wissen sein. Man versucht damit das, was das Wissen oder Erkennen dem Gegenstand des Wissens oder Erkennens vermeintlich hinzufügt, einfach wieder
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in Gedanken abzuziehen, um zum Gegenstand an sich zu gelangen. Das aber geht nicht. Daher sind die üblichen Verständnisse und Thesen zum Verhältnis von Wissen, Erkennen und Wahrheit einfach logisch verfehlt. Wie ist das Verhältnis aber dann zu verstehen? Was ist Wissen? Was ist Wissenschaft? Was ist Wahrheit? Was ist objektive Wirklichkeit? Wie kann man diese Fragen überhaupt behandeln? Besonders wichtig für eine befriedigende Antwort ist eine Kritik an der Naivität der Unterstellung direkt abbildender Beziehungen. Es ist zwar in einem Sinn richtig, Erkenntnis und Wissen als Mittel und Medium zum Erreichen der Wahrheit oder zur Darstellung des Wirklichen aufzufassen. Aber dieses Medium oder Mittel ist nicht bloß als Medium und Mittel zu verstehen, als gäbe es die Wahrheit unabhängig von ihm und als ginge es nur darum, dass sie sich Gehör verscha=t. Es geht auch nicht einfach um Information. Vielmehr ist Wissen Medium in dem Sinn, als es das Wahre nur in ihm und in seiner Entwicklung gibt. Insgesamt können wir nämlich nur im Hin-und-Her von Gegebenheitsweise und Gegenstand in der Entwicklung des Wissens die Entwicklung des Begri=s verstehen. Und umgekehrt: Wahrheit ist die Form der Bewertung von Wissensansprüchen. Das ist eine hegelsche Einsicht, für deren Wiederbelebung Rorty und Brandom nicht genug zu loben sind. Dialektik wird bei Hegel dabei zur materialen Logik einer bewertenden Entwicklung von Wissen und Begri=. Sie beruht auf der Parallele von Wissensentwicklung und Begri=sentwicklung. Die Entwicklungen des Gegenstandsbezugs und des Welt- bzw. Wirklichkeitsbegri=s laufen in der Tat völlig parallel. Daher ist jeder ›unmittelbare‹ Zugang zur Wahrheit, auch wenn er nur ›im Denken‹, also verbal vorgestellt wird, begri=lich sinnlos. Das gilt auch für die Vorstellung von einem möglichen unmittelbaren Wissen. Damit kollabiert jeder Versuch, die Bemühungen um reales Wissen sozusagen abzukürzen und an eine so und so von uns ausgemalte Wirklichkeit oder Wahrheiten an sich einfach zu glauben. Derartige Ahnungen, Weissagungen, Prophezeiungen und Intuitionen sind nicht nur falsch. Sie sind, und
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das ist es, was uns Hegel zeigen will, von vornherein unsinnig: Hier wird Wissen durch bloße Meinung, durch einen willkürlichen Glauben, den absoluten Gegenbegri= des Wissens ersetzt. Ironischerweise führt gerade die neuzeitliche Erkenntnistheorie mit ihrer gespielten Skepsis auf der Suche nach unmittelbarer Gewissheit in diesen philosophischen Widersinn.
7.2 Zweifel am Zweifel und Einsicht in die Endlichkeit des Wissens Die Furcht zu irren ist nicht etwa dort der Irrtum selbst (vgl. Nr. 74), wo es um die immer zum Teil auch eigenen Überprüfungen der Vertrauenswürdigkeit von Zeugen oder Zeugnissen geht (also um sincerity im weitesten Sinn) oder um eine strenge Kontrolle der Erfüllung der relevanten und vernünftigen Kriterien des kontext- und situationsbezogen Richtigen (also um accuracy im Sinne von Bernard Williams)49. Wir sind immer selbst beteiligt und interessiert an der Kontrolle der sincerity und accuracy fremder und eigener Geltungsansprüche. Der Irrtum dieser Furcht entsteht vielmehr dort, wo wir alles selbst kontrollieren wollen. Es gibt o=enbar eine Spannung zwischen der Bescheidenheit, die weiß, dass wir nicht alles selbst kontrollieren können, und der Überforderung einer Selbstkontrolle, die verlangt, alles Relevante selbst zu prüfen.50 Descartes anerkennt entsprechend nur die eigene spontane Tat des Denkens als absolut gewiss und möchte alles andere selbst prüfen. In diesem Ansatz ist Descartes absolut modern und eben daher zugleich absolut problematisch. Seine Skepsis und seine Suche nach Gewissheit bedeutet eben damit den Anfang aller neuzeitlichen ›Aufklärung‹ – in ihrer hypertrophen Kritik an der Tradition. 49 50
Williams 2002. Vgl. dazu auch § 9 der Tugendlehre in Kants Metaphysik der Sitten.
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Dabei deute ich Hegels etwas merkwürdige Rede in diesem Kontext von einem »sich vollbringenden Skeptizismus« gerade so, dass sich Descartes’ Skeptizismus (und dann durchaus der Berkeleys, Humes oder Kants), weil er allzu kritisch und autonomistisch sein will, am Ende selbst zerstört. Gerade weil in einem solchen Skeptizismus oder Kritizismus der sinnkritische Impuls sich selbst rein negativ aufhebt, vermeidet Hegel hier das von ihm mit positiver Bedeutung besetzte Wort »aufheben«. Dennoch ist gerade auch an Descartes’ Überlegungen das Irreführende vom Richtigen ebenso zu trennen wie an den Überlegungen des Empirismus oder des Kantianismus. Es führt also ein übersteigertes Bedürfnis nach absoluter Verlässlichkeit, maximaler Sicherheit und subjektiver Gewissheit in dialektischer Weise zu einem unheilbaren Skeptizismus. Dieser wiederum führt ironischerweise zu einem Agnostizismus, der dem willkürlichen Glauben und Meinen viel zu viel Platz lässt. Das Problem wird eher verschärft, nicht gedämpft, wenn man sich das mathematische Wissen zum Muster auch des Welt-Wissens macht. Denn das Besondere des mathematischen Wissens ist gerade dies, dass hier die meisten Richtigkeiten rein schematisch sind und daher ohne allzu große Gefahr der Selbsttäuschung selbständig kontrollierbar sind. Hier vermag ein Autist, der Verstand hat, gleich viel oder sogar mehr als andere. Das gilt für alles andersgeartete Wissen und Können keineswegs, besonders nicht für sozialpolitisches und geisteswissenschaftliches Wissen. Dieses ist immer schon kooperationslogisch vermitteltes Wissen. Ein überspanntes Selbstdenken führt hier am Ende sogar zu einer Art Kollaps des freien vernünftigen Denkens. Zu sehen, dass dem so ist, ist zentral für jedes kritische und zugleich selbstbewusste Begreifen dessen, was Verstand und Vernunft, Wissen und Wahrheit eigentlich sind, wie also Urteile und Argumente als verständig oder rational, vernünftig oder wahr zu beurteilen sind. Wer nur noch seinen eigenen Sinnen traut oder sich auf sein eigenes Tun allein verlassen will, dessen Rationalität und Humanität kollabiert sofort: Er verhält sich dann bloß noch wie ein
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Tier, das als solches ja gar nicht anders kann, als sich ausschließlich auf seine eigenen Sinne und Empfindungen, gefühlsartige Motive und Dispositionen in seinen eigenen je präsentischen Tätigkeiten zu verlassen. Die als kritische Philosophie avisierte Erkenntnistheorie Humes wird eben so zu einer bloßen Theorie animalischen Verhaltens. In ihr kollabieren der Begri= des Wissens und der Begri= der Wahrheit, und zwar in den Begri= der bloß subjektiven Meinung, wenn nicht gar in die bloß präsentische Perzeption und dispositionelle Reaktionswelt eines Tieres. Mit anderen Worten, das Streben nach Sicherheit und Gewissheit führt im Kontext des Erkennens und Wissens ebenso wie im Kontext des kooperativen und moralischen Handelns zur Zerstörung von personaler Humanität. Denn ohne ein beträchtliches Maß an Vertrauen nicht bloß in einzelne Andere, also individuelle Personen, sondern in ein Gesamt von Praxisformen, wie sie die menschliche Kultur prägen, von dieser hervorgebracht und tradiert werden, gibt es weder Wissen und Wahrheit noch ein vernünftiges Verständnis von Ethik und des moralisch Richtigen bzw. sittlich Guten. Eben daher enthält Brandoms Titel »A Spirit of Trust« eine absolut treffende Charakterisierung des tiefen Kerns von Hegels Phänomenologie des Geistes. Denn Hegel betont eben diesen Zusammenhang zwischen Theoretischer und Praktischer Philosophie, zwischen Wissen und freier Kooperation – was allzu selten gesehen und begriffen wird. Und gerade in diesem Weg von Fichtes Ich zu Hegels Wir besteht der Forschritt der Philosophie, wie er im 21. Jahrhundert endlich zu ergreifen und zu begreifen ist.
7.3 Perspektivität der Erkenntnis und Allgemeinheit des Begri=s Eine Phänomenologie des Wissens betrachtet Wissen und Wissenschaft selbst als Erscheinung. Das heißt, es wird das erscheinende Wissen zum Gegenstand gemacht. Allerdings gibt es dabei eine Art ›Unwahrheit‹ des ›erscheinenden Wissens‹. Denn das so-
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genannte natürliche Bewusstsein operiert nur vage mit einem impliziten Begri= des Wissens, ist noch kein wirklich selbstbewusstes Wissen (vgl. Nr. 78). Das heißt, im bloßen Vollzug wissen wir noch nicht, was Wissen und Wissenschaft eigentlich sind. Im bloßen Nachvollzug nehmen wir nur erst implizit an der Praxisform (mehr oder weniger verständig) teil. Die Bedingungen der Wissenschaftlichkeit artikulieren und thematisieren wir dabei noch keineswegs. Dies müssen wir aber tun, um selbständig zu kontrollieren, ob unsere Geltungsansprüche unsere Geltungsbedingungen auf ausreichende Weise erfüllen. Wir wollen zusätzlich noch wissen, wie die Bedingungen selbst vernünftigerweise zu entwickeln sind. Hier befinden wir uns in einem freien Raum der Verbesserbarkeit unseres gemeinsamen Wissens und Könnens. Descartes, Hume, Fichte, auch Bacon und Kant haben also durchaus mit Recht eine vernünftige Selbständigkeit gefordert. Aber bloß den eigenen Überzeugungen zu folgen, ist keineswegs ausreichend. Es ist nicht ausreichend, weil das einzelne Subjekt keineswegs notwendig an die Stelle von fremdem Irrtum eine eigene Wahrheit setzen kann. Denn ›eigene‹ Wahrheiten kann es gar nicht geben. Daher führt auch das Streben danach, alles selbst zu beurteilen, am Ende in die Eitelkeit des Subjektivismus. Was wir brauchen, ist etwas Anderes. Die bloße Negation gelernter Überzeugungen oder deren epochale Einklammerung hilft wenig weiter. Diese Formen der Negation führen zum reinen Nichts des radikalen Skeptizismus. Wir brauchen eine gemeinsam kontrollierte Kritik bzw. gemeinsame Kontrolle des Wissens. Dazu brauchen wir eine dialektische Methode der bestimmten Negation (vgl. Nr. 79), in der sich aus der Kritik und Kontrolle neue, besser entwickelte Formen des Wissens ergeben. Mit anderen Worten, das Ergebnis der Kritik muss immer aufgehoben werden in positiven Sätzen. Rein negative Sätze müssen in ein konstruktives Misstrauensvotum verwandelt werden. Das ist mit der These gemeint, dass eine vernünftige Kritik an der angeblich bloß möglichen Gültigkeit eines tradierten ›Wissens‹, der entsprechenden Urteile, Schlüsse oder Argumentationen
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immer nur im Modus eines Schritts zur Verbesserung der begri=lichen Verhältnisse und des generischen Allgemeinwissens auftreten kann. Tradiertes Wissen bloß durchzustreichen und tradierte Praxisformen oder Institutionen einfach aufzugeben, das ist unvernünftig und nicht etwa aufgeklärt. Damit erkennen wir den zentralen Fehler des Skeptizismus und jeder bloß negativen Dialektik. Es ist der Fehler einer Aufklärung, welche die Tradition – z. B. der Religionen – nicht mehr zu verstehen vermag. »Das Ziel aber ist dem Wissen notwendig . . . gesteckt« (Nr. 80a). Das heißt, wir müssen die Entwicklung des Wissens als auf ein gutes, ja ein je besseres gemeinsames Wissen, Können und Leben hin gerichtet verstehen, nicht, wie in der Evolutionstheorie oder evolutionären Erkenntnistheorie, als ungerichteten Prozess, in dem je das überlebt, was zufälligerweise überlebt. Es ist daher zu klären, wie die Richtung des je Besseren und die Etappenziele zu verstehen sind. Üblicherweise wird hier ein vorgestelltes Endziel mit einer absoluten Wahrheit identifiziert. Doch das ist eine bloße Redensart. Denn ein solches unendliches Ziel gibt es so nicht. Die liegende Acht, das Zeichen »∞« für das Unendliche, ist in analoger Weise keine Zahl. Hier werden nur Richtungsangaben artikuliert. Hegel sagt entsprechend, dass das Wissen bzw. seine Entwicklung dann am jeweiligen Etappenziel (›da‹) ist, wenn (oder wo) »es nicht mehr über sich hinaus zu gehen nötig hat.« Der Amerikanische Pragmatismus übernimmt Teile dieses Gedankenganges. Er ist damit trotz aller verbalen Absetzung von Hegel inhaltlich hegelianisch. Aus mnemotechnischen Gründen könnte man bei Charles Sanders Peirce zum Beispiel von einer ›unendlichen Fixpunkttheorie der idealen Begri=e der Wahrheit und des absoluten Wissens‹ sprechen. Hegel selbst erläutert diesen Gedanken (der übrigens keine ›Theorie‹ ist), inhaltlich gesprochen, so: Wenn im Fortgang der Entwicklung des Wissens keine (relevanten) Probleme übrig bleiben, ›findet das Wissen sich selbst‹. Das wiederum ist nur eine andere Formulierung dafür, dass »es nicht mehr über sich hinaus zu gehen nötig hat.«
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Hegels Einleitung
Gerade dann sagen wir, dass »der Begri= dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begri= entspricht« (Nr. 80a). Man muss Hegel o=enbar sehr genau lesen, um die Relevanz seiner Überlegungen bis in die moderne Debatte hinein wirklich zu begreifen. Denn weder Peirce noch Hegel meinen, dass im Realprozess der Entwicklung unseres Weltwissens insgesamt ein Fixpunkt der Art, wie er hier verbal imaginiert wird, je realiter erreichbar ist. Dennoch sind beide, im Ganzen gesehen, ›optimistisch‹ im Blick auf den ›unaufhaltsamen‹ Fortgang der Entwicklung, jedenfalls im Großen, freilich unter der Voraussetzung der ›Selbsterhaltung der Vernunft‹, und d. h., dass die gemeinsame vernünftige Wissensentwicklung nicht durch einen defätistischen Skeptizismus und Subjektivismus gestoppt wird und in einer Art ›geistigem Tierreich‹ rein subjektiver Gewissheiten stagniert. Dabei sehen beide, Peirce und Hegel, dass es dazu des Vertrauens, der Charity, bedarf, dass also der oben skizzierte ›Optimismus‹ die Struktur einer self-fulfilling prophecy hat. Genauer bedeutet das: Nur wenn wir vertrauensvoll am gemeinsamen Projekt teilnehmen, ist eine vernünftige Entwicklung zu erwarten. Damit erkennen Peirce und Hegel die Bedeutung der ›moralischen‹ Haltung der ›Liebe‹ (so Hegel wie auch Peirce) bzw. des Vertrauens und der Ho=nung nicht bloß für das einzelne kooperative Handeln, sondern für die ganze Kooperationsform der Wissenschaft. Hegel sieht darüber hinaus das Strukturproblem des Skeptizismus und Empirismus in der Philosophie der Neuzeit, von Descartes über Hume bis Kant. Diese Autoren überziehen die subjektive Kontrolle und die Gewissheit. Sie ersetzen die immer auch auf den Mut zum Vertrauen und Risiko angewiesene, sich am Ende selbst erfüllende Ho=nung auf die Vernunft durch eine sich am Ende leider ebenfalls selbst erfüllende Skepsis. Wenn man in seinen ›rationalen Erwartungen‹ immer mit dem Schlimmsten rechnet, dann führt eben das am Ende zu einem ›geistigen Tierreich‹ eines bloß individuellen instrumentellen Handelns. Ein solches stellt im Grunde jede Weiterentwicklung gemeinsamen Wissens und Könnens infrage. Die Ersetzung von Wissenschaft
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durch technisches Wissen und die Ersetzung eines vermeintlichen Dogmatismus der Tradition durch einen subjektivistischen Skeptizismus bedrohen also immer schon und immer wieder, bei den Römern wie in der Gegenwart, den wissenschaftlichen Fortschritt und die Vernunft der Entwicklung von Wissen und Selbstbewusstsein. Grob gesagt: Die Politik der Kooperation und der guten Koordination des individuellen und gemeinsamen Handelns, nicht bloße Technik, ist der Motor (ja die Seinsweise) gemeinsamer Vernunft. Gerade der Empirismus kippt dagegen von einer ›fortschrittlichen‹ Idee kritischer Aufklärung in eine faule Vernunft. Für ihn ist der Mensch am Ende bloß ein ›animal rationale‹, ein besonders kluges Tier, aber ohne Wissen im kooperationstheoretischen Sinn Hegels, ohne Vernunft und erst recht ohne Geist: Denn eine echte Teilnahme am Leben des Geistes setzt die Moral freier Kooperativität voraus. Das Problem der ›Erkenntnistheorie‹ liegt dabei erstens in der Unterstellung eines Wahrheitsbegri=s jenseits der Formen unserer Bewertungen von allgemeinen oder empirischen Geltungsansprüchen als wahr. Zweitens mangelt es an der Einsicht in die Formdi=erenz der zuzugebenden und nie voll aufhebbaren Perspektivität und Fallibilität jedes einzelnen Erkenntnisanspruchs einzelner Personen einerseits, dem institutionellen Status von materialbegri=lichem generischem Wissen andererseits. Drittens wird die diachrone Entwicklungsstruktur dieses allgemeinen Wissens zum Anlass genommen, es selbst als allgemeine Überzeugung über empirische Verhälnisse zu lesen, also sozusagen rein deskriptiv. Damit wird seine normative Funktion im Verstehen empirischer Aussagen ausgeblendet. Das allgemeine Wissen einer Zeit fungiert nämlich in der Tat als Maßstab und Kriterium für die Geltung von empirischen Einzelaussagen und der Vernünftigkeit von Möglichkeitserwägungen eben dieser Zeit, und zwar weil es den Inhalt des Gesagten wesentlich mitbestimmt. Allerdings kann man bei der Erwägung von Möglichkeiten auch zu eng denken. Man kann das allgemeine Wissen einer Zeit selbst
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Hegels Einleitung
aber weder einfach als eine Art Durchschnittsüberzeugung der zu der Zeit lebenden Menschen verstehen, noch lässt es sich völlig von diesen Überzeugungen ablösen. Das Kriterium des subjektiven Wissens im Ich-Modus ist ein Wissen im Wir-Modus. Ein solches Wissen setzt entsprechende Wir-Kriterien der Wahrheit voraus, und das je zu der Zeit oder Epoche, die zu betrachten ist. Hegel erklärt entsprechend, die Wissenschaft, und damit meint er ihr Wissen im Wir-Modus, also das je faktisch mögliche generische Wissen, sei Maßstab des Wesens und des Ansichs (vgl. Nr. 81 und 83). Es ist Maßstab generischer Di=erenzierungen und der zugehörigen Defaultinferenzen, des allgemeinen Wissens und damit des begri=lichen Verstehens. Dieses Verstehen wird vorausgesetzt, wo empirische Einzelaussagen im kommunikativen Einzelhandeln verstanden werden wollen und sollen. In eben diesem Sinn ist generisches Wissen apriorische Voraussetzung empirischen Wissens. Es gehört zu den begri=lichen Voraussetzungen. Daher ist das Generische und das Materialbegri=liche ein und dasselbe. Wie steht es dann aber mit der Etablierung generischen Wissens? Denn wo Wissenschaft auftritt »scheint keine Prüfung stattfinden zu können« (Nr. 81), da Wissenschaft die Kriterien des Wahren setzt, also den begri=lichen Inhalt definiert. Hegels Antwort ist, dass wir die Entwicklung generischen Wissens als eine große Gemeinschaftsunternehmung betrachten müssen, in der nicht etwa nur schon etablierte Normen und anerkannte Kriterien der Beurteilung des normativ oder kriterial Richtigen eine Rolle spielen, sondern auch zukunftsweisende Projektentwürfe. Deren ›Richtigkeit‹ entscheidet sich am Ende in der faktischen (auch verbalen) Anerkennung und das heißt im Gebrauch, wobei wir immer auch einen erfolgreichen Gebrauch einem weniger erfolgreichen gegenüberstellen. Die (je hinreichende) Erfüllung von Normen und Regeln, Kriterien und Schemata des Richtigen kontrollieren wir durch ›Anwendung des Verstandes‹. Verstand ist das allgemeine Vermögen der Regeln, d. h. unsere Fähigkeit zum Regelfolgen, zum
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schematisch richtigen Handeln und zur Kontrolle der Erfüllung gegebener Normen oder Schemata des Richtigen. Vernunft ist die (Fähigkeit zur) Teilnahme an einer gemeinsamen Praxis der reflektierenden Kontrolle, ob Wissensansprüche als Vorschläge gewisse Vernunftbedingungen und Zielsetzungen erfüllen. Beurteilt werden Formen der Entwicklung von Formen und Normen, besonders auch der jeweils zu berücksichtigenden allgemeinen Relevanz, unter Anerkennung der Endlichkeit unseres je faktischen Wissens und Könnens. Wenn Hegel vom Bewusstsein spricht, meint er nun zumeist eine intentionale Beziehung auf einen Gegenstand (›des Bewusstseins‹ oder ›des Wissens‹). Dieser Gegenstand ist bloß erst ein Gedanke. Dann aber kann er auch schon ein innerweltliches Ding sein oder ein innerweltlicher Prozess. Das Bewusstsein, sagt Hegel entsprechend, »unterscheidet etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht« (Nr. 82). Hegels Bewusstsein rückt damit in die Nähe der intentionalen Relationen Franz Brentanos, die als solche immer schon propositionale Relationen sind. Das zeigt sich gerade darin, dass es die (inneren) ›Gegenstände‹, auf die man sich so bezieht, gar nicht in der realen Welt zu geben braucht. Sie sind also Möglichkeiten. So ist z. B. die Furcht intentional, weil das Gefürchtete bloß eine Möglichkeit ist – im Unterschied zum Schreck, der eher eine leibliche Reaktion ist, und zur ungerichteten Angst, die wie die Depression oder Melancholie eine gegenstandslose Stimmung ist. Propositional ist die Furcht, weil, wenn ich mich etwa vor einem Löwen fürchte, ich mich davor fürchte, dass ein gefährlicher Löwe da ist. Sagt man mir glaubhaft, es sei keiner da, ist die Furcht schlagartig fort. Angst als Stimmung lässt sich so nicht beeindrucken. Furcht und Sorge sind dementsprechend bewusste Beziehungen auf etwas Bestimmtes, das aber zunächst bloß als Möglichkeit, in diesem Sinn nur erst an sich, bestimmt ist. Das gilt insbesondere für die Sorge um mich. Diese ist Sorge darum, dass ich so und so sein kann oder sein werde. Heideggers logische Analyse in Sein und Zeit zeigt dies klar auf.
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Das alles heißt immer auch: Wir unterscheiden den Gegenstand oder Inhalt des Bewusstseins, also das, worauf es sich richtet, von dem Bewusstsein selbst. Dieses wiederum unterscheiden wir von seinem personalen ›Träger‹, dem personalen Subjekt, das Bewusstsein hat bzw. das im entsprechenden intentionalen Zustand ist. Am Gegenstand wiederum unterscheiden wir das zunächst bloß ›innere‹, ›intensionale‹ bzw. ›propositionale‹ Objekt von einem äußeren Objekt. Auf das Innere kann sich auch eine Imagination oder Vorstellung, eine Halluzination oder Illusion richten, und zwar durchaus auch mit Aufmerksamkeit. Ein Versuch, sich auf ein äußeres, externes, Objekt zu beziehen, ist aber erst dann erfolgreich, wenn es zu je meinen bewussten Vorstellungen (und zum inneren Objekt) auch Präsentationen und Repräsentationen eines äußeren Objekts gibt, zu denen andere Personen wenigstens möglicherweise ebenfalls Zugang haben und für die auf transsubjektive Weise eine Art Objektäquivalenz normativ festgelegt ist: Wenn das externe Objekt meiner Wahrnehmung gerade ein Bleistift ist, dann kann dieser Bleistift auch von anderen wahrgenommen werden. Genauer, es muss für meine, deine und seine Bleistiftwahrnehmungen eine Art perspektivenübergreifenden Äquivalenz oder Gleichheit definiert und erfüllt sein, damit der Bezug auf das externe Objekt glückt. Das Fürsichsein eines realen Objekts ist dabei gerade durch die Äquivalenzbeziehung aller ›seiner‹ Erscheinungen definiert. Die Erscheinungen des Dinges aber sind o=enbar alle ein ›Sein für anderes‹, zu denen auch die kausale Wirkungsbeziehung des objektiven Dinges auf unsere Sinnlichkeit in der Wahrnehmung gehört. »Von diesem Sein für ein anderes unterscheiden wir aber das Ansichsein«, sagt Hegel. Das meint in seiner Terminologie die generische Möglichkeit. Zugleich verweist Hegel damit auf die Denkweise, die zu Kants in sich widersprüchlichen Gebrauch des Ausdrucks »an sich (selbst betrachtet)« führt. Er fügt hinzu: »Die Seite dieses Ansich heißt Wahrheit.« Es entsteht so ein innerer Widerspruch. Dieser zeigt sich so: »Unterscheiden wir die Wahrheit des Wissens«, so scheint es, wir unterscheiden von unserem
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Wissen, was sein Gegenstand, »an sich ist.« »Allein in dieser Unterscheidung ist es unser Gegenstand; es ist für uns und das Ansich desselben, welches sich ergäbe, wäre . . . sein Sein für uns; was wir als sein Wesen behaupten würden, vielmehr nicht seine Wahrheit, sondern nur unser Wissen von ihm« (Nr. 83). Das heißt, wir möchten zwar das Erkennen und Wissen als rein zum Bewusstsein oder Subjekt gehörig abtrennen von den Objekten und der Wahrheit an sich. Aber dabei sind die Objekte und die Wahrheit an sich immer nur eine Seite einer relationalen Beziehung zu uns. Sie können auch nichts anderes sein. Damit stellt sich, wenn man will ironischerweise, heraus, dass nicht bloß unsere Definition des Fürsichseins, sondern gerade auch das Ansichsein ein bloßes ›Sein-für-uns‹ ist und am Ende auch nur ein Sein für uns sein kann. Das ist die von Hegel aufgedeckte logische Paradoxie jeder Rede über ein Ansichsein (und Fürsichsein). Es ist der Kern der Dialektik des Begri=s der (objektiven) Wahrheit. Dass das in die richtige Richtung zeigt, sieht man daran, dass eine Wahrheit an sich immer bloß eine generische Normalmöglichkeit artikuliert. Entsprechend müssen wir auch unsere Reden über das Wesen der Dinge und alle Verwendungen des Wortes »absolut« erst noch einmal neu verstehen lernen. Das ist jedenfalls ein besserer Weg, als die Wörter »Wesen«, »absolut« und »an sich« einfach für sinnlos zu erklären. Am Ende wären auch »Wissen« und »Wahrheit«, »Objektivität« und »Wirklichkeit« sinnlose Worte. Dabei geht es, wie Hegel lange vor den Zeiten des linguistischen Strukturalismus nach Ferdinand de Saussure darum, den Sinn dieser Wörter im Kontrast zu und im Zusammenhang mit den zugehörigenen Gegenwörtern zu begreifen und zu beherrschen. Hier geht es also um »Erscheinung«, »relativ« und »für sich«, bzw. »Glauben«, »Falsches«, »Subjektivität«, »bloße Möglichkeit« oder auch »Schein«. In analoger Weise betro=en sind dann auch Ausdrücke wie »das Sein« im Kontrast zum Nichtsein, »die Natur« im Kontrast zu einer Kultur des Geistes oder auch »Gott« im Kontrast zu und Zusammenhang mit der ganzen Welt. Die sinnkritische Aufgabe der Philosophie besteht eben darin, den
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innerweltlich haltbaren Inhalt dieser Unterscheidungen explizit und angemessen zu rekonstruieren. Was also tun wir Sinnvolles, so lautet die Frage, wenn wir unserem Wissen eine Welt gegenüberstellen und unserem Erkennen eine objektive Natur an sich, die ist, wie sie ist? Und warum tendieren wir dazu, diese Gegenüberstellungen metaphysisch zu mystifizieren und damit misszuverstehen? Hier erinnert Hegel daran, dass die folgende begri=liche bzw. tautologische Wahrheit wirklich ernst zu nehmen ist, nämlich dass jede Behauptung über das Wesen eines Dinges an sich, sollte sie wahr sein, selbst Wissen ist. Mit anderen Worten, das Ansichsein bzw. die Wahrheit (an sich) ist gerade ein interner Gegenstand des Wissens. Daher ist das Ansichsein nicht etwas Unerkennbares. Es ist sogar als innerer Gegenstand des Denkens dem Wissen näher als jeder wahrgenommene und damit ohnehin auch schon begri=lich bestimmte Gegenstand. Hegel sieht dann auch, dass der wahre Gebrauch der deutschen Floskel »an sich« wie des griechischen Ausdrucks »kath’auto« oder des lateinischen »per se« auf das Genus, den Typus, die Art verweist. Wissen über Dinge und Sachen an sich also ist generisches Wissen. Es ist Wissen über die normale Artform des Gegenstandes, auf den wir uns beziehen, wobei der Allgemeinheitsgrad variabel ist. Eben das artikulieren wir durch den Kontrast der beiden Wörter »allgemein« und »besonders«. Der innere Gegenstand des Wissens und Denkens ist dabei immer von uns generisch bestimmt: Wir sagen dabei, was für das relevante Genus, die Gattung und Art typischerweise gilt, und was ein paradigmatischer Prototyp so alles tut. Reflektierende Urteilskraft ganz im Sinne Kants ist dabei vorausgesetzt. Kein Wunder, dass Hegel daher Kants dritte Kritik, die Kritik der Urteilskraft, so lobt und sagt, hier werde Kant erst wirklich spekulativ, d. h. zu einem eigenständigen Logiker des Urteilens. Generisches Wissen ist prototypisches Wissen über geeignete Paradigmen oder Idealtypen. Es ist Wissen über normale Möglichkeiten. Die Kanonisierung generischer Normal-Eigenschaften und
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Normal-Inferenzen geschieht nicht rein willkürlich, sondern in Anpassung an die Gebrauchsfähigkeit der entstehenden materialbegri=lichen Normen für das Normalverstehen der Wörter und Sätze in einer ho=entlich harmonischen Verbindung unserer begri=lichen Di=erenzierungen und der dem jeweiligen Ausdruck des Begri=s zugeordneten Normalfallinferenzen. Man denke daran, wie wir, sagen wir, Hunde von Füchsen oder Eisen und Aluminium von Molybdän unterscheiden und was für das dispositionelle Verhalten dieser Tiere bzw. Metalle normalerweise oder unter gewissen Standardbedingungen so alles inferentiell gilt. Echte Erfahrung ist im Unterschied zu einem bloß unmittelbaren Perzipieren, aber auch zu einem bloß unmittelbaren Erwerb von Gewohnheiten, eine dialektische Bewegung insofern, als es hier um eine begri=lich gefasste und damit längst schon allgemein, also überindividuell, kontrollierte Erfahrung geht. Kurz, echte Erfahrung ist immer typische, generische, auf das relevante Genus bezogene allgemeine Erfahrung. Und sie ist nie bloß meine Erfahrung. Wir machen also selten einfach gute oder schlechte Erfahrungen mit unseren unmittelbaren Reaktionen auf Perzeptionen, sondern wir machen Erfahrungen mit einem implizit oder explizit verfügbaren allgemeinen Wissen um Möglichkeiten. Wissen um Möglichkeiten aber ist immer an Standards, an Normalfälle und Normalabweichungen gebunden. Wenn wir auf nicht bloß zufällige Weise schlechte Erfahrungen machen, ändern wir das Wissen bzw. den begri=lichen Rahmen von Unterscheidungen und materialen Defaultinferenzen: Sofern wir neue Genera, neue Typen erkennen können, di=erenzieren wir das generische Wissen weiter aus. Man könnte hier entgegnen, dass doch auch Tiere ›Erfahrungen‹ machen. Und in der Tat, es ist zwischen den ›Erfahrungen‹ von Tieren mit Distanzierungszeichen und den Erfahrungen von Menschen ohne Anführungszeichen zu unterscheiden. Wir sollten hier insbesondere unterscheiden zwischen einem (engeren) Vollbegri= der Erfahrung und einem (möglicherweise allzu weiten) Gebrauch des Wortes im Sinn einer faktischen Gewohnheit
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im di=erentiellen Reagieren auf perzipierte Unterschiede in der Welt. Das di=erentielle Reagieren auf perzipierte Unterschiede kann in Bezug auf irgendwelche Bedingungen der Erfüllung immer auch mehr oder weniger zuverlässig (›reliable‹) sein. Damit ist schon ein proto-normativer Begri= des Zuverlässigen oder Zielführenden, der Reliabilität sozusagen, involviert. In freien und bewusst kontrollierten Urteilen kommt es dann aber darauf an, dass wir selbst die relevanten Bedingungen der Erfüllungen kennen, welche eine objektive Verlässlichkeit oder Reliabilität allererst bestimmen, und zwar im Kontrast zu bloß subjektiven Befriedigungsgefühlen oder auch zu unseren bloßen Zuschreibungen von Erfolgen: Der Fall des bloßen Überlebens eines Tieren oder einer Art ist dafür nur ein Beispiel. Das begri=liche Problem der Wörter »Erfahrung« und »experience« ist, dass empiristische Lesarten sie auch im common sense viel zu nahe an das animalische Perzipieren und verhaltensmäßig bestimmte enaktive Reagieren gebracht haben. Wenn wir Tieren ›Erfahrungen‹ zuschreiben, so geschieht das in der Regel so, dass wir als den Erfolg ihrer Verhaltungen das unverletzte, gesunde, irgendwie im Ganzen ›gute‹ Überleben ansehen. So kann ein Bär ›Erfahrungen‹ im Lachsfang machen oder ein Wildhund beim gemeinsamen Jagen, ohne dass er in dem Sinne eine dialektische Bewegung durchläuft, wie wir das in der Entwicklung unseres Wissens tun. Und doch gibt es auch hier, schon auf der Ebene animalischer Lebewesen, eine Art subjektive Dialektik des Lernens durch Versuch und Irrtum, durch das Aufmerken auf Fehler in Verhaltensschemata und durch ihre Korrektur. Wichtig ist dann wieder nur, die Di=erenz zwischen diesem bloß individuellen Lernen und der gemeinsamen Entwicklung eines symbolisch artikulierten und eben daher unter Umständen spontan repräsentierbaren Wissens angemessen zu begreifen. Das heißt, es gibt über die subjektive Dialektik des Lernens in einem behavioralen Prozess von Versuch und Irrtum (trial and error) eine objektive Dialektik der kontrollierten Verbesserung eines symbolisch vermittelten allgemeinen Wissens, das
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als Verbalwissen nicht bloß relativ schnell, sondern auch abgelöst von jeder konkreten Bezugssituation lehr- und lernbar, beliebig reproduzierbar und sowohl für individuelle, instrumentelle, als auch kooperative, gemeinsam-vernünftige, Orientierungen im Urteilen, Handeln und Leben einsetzbar ist. Hegel spricht hier etwas mystisch, aber nicht zu Unrecht, von einer Art Umkehrung des Bewusstseins in dem Prozess, in dem wir auf ›dialektische‹ Weise Erfahrungen machen, nämlich durch die Aufhebung von Dysfunktionalitäten und durch den Erhalt bisher erfolgreicher Orientierungen. Er beschreibt den Prozess so: »was zuerst als der Gegenstand erschien« wird »dem Bewusstsein zu einem Wissen von ihm« »und das Ansich zu einem: für das Bewusstsein sein des Ansich.« (Nr. 87) Dies ist dann der neue Gegenstand »womit auch eine neue Gestalt des Bewusstseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist als der vorhergehenden«. »Dieser Umstand ist es, welcher die ganze Folge der Gestalten des Bewusstseins in ihrer Notwendigkeit leitet.« Notwendigkeit ist hier nicht Unausweichlichkeit (necessitas) sondern Abwendung einer Not, also Aufhebung eines Problems. Aber auch damit ist sie ein Gegenbegri= zu Zufall und Willkür, nur eben ein anderer als die necessity. Aufgabe der Philosophie überhaupt ist, das, was hinter dem Rücken der üblichen Aufmerksamkeit im Bereich der Teilnahme am Wissen und in der Wissensentwicklung geschieht, explizit und uns damit bewusst zu machen. Diese Aufgabe fällt im Wesentlichen mit den Aufgaben einer Philosophie des Geistes als einer sinnkritischen und sich ihrer selbst bewussten Analyse der Realitäten der geistigen Welt zusammen. Der folgende Satz ist dann methodologisch für Hegels eigene Einschätzung seines weiteren Vorgehens zentral. »Durch diese Notwendigkeit« der dialektischen Aufhebung von Problemen unserer tradierten Verständnisse und Selbstverständnisse »ist dieser Weg zur Wissenschaft«, den Hegels Phänomenologie des Geistes gehen soll und geht, »selbst schon Wissenschaft und nach ihrem Inhalte hiermit Wissenschaft der Erfahrung des
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Bewusstseins«. (Nr. 88). Hier sagt Hegel selbst, dass die Methode der Phänomenologie dialektisch ist, und zwar im oben schon skizzierten Sinn, also keineswegs genealogisch-erzählend, wie die ›historischen‹ Lesarten seit Lukács glauben. »Die Erfahrung« so schließt Hegel die Einleitung, »welche das Bewusstsein« in der begri=lichen Reflexion auf sich und Explikation von dem, was ist, »über sich macht«, muss am Ende das »ganze Reich der Wahrheit des Geistes« umfassen, und zwar so, wie »seine Momente« »für das Bewusstsein« sind, nämlich als »Gestalten des Bewusstseins«. (Nr. 89) Diese sind immer auch im Sinn der notwendigen Formen zu verstehen, die erfüllt sein müssen, um sich etwas im vollen Sinn bewusst zu machen. Insofern wir dabei einen Flucht- oder Fixpunkt erreichen, in dem »die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine Darstellung hiermit mit eben diesem Punkt der eigentlichen Wissenschaft des Geistes zusammenfällt, und endlich, indem es, also das so entwickelte bzw. explizierte Bewusstsein, sein Wesen erfasst, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen«. Das bedeutet, dass die Vollständigkeit der Analyse ›aller‹ notwendigen Bedingungen sich eben darin erweisen wird, dass wir in der Analyse alles Relevante des Wissensvollzugs genannt und thematisiert haben. Gemeint sind hier die relevanten Grundformen. Mit anderen Worten, es gibt keine relevanz- oder wesenstranszendente Vollständigkeit der Analyse. Das ›absolute‹ Wissen ist am Ende nichts anderes als der sich selbst durchsichtige Wissensbegri= im Vollzug, das selbstbewusste Wissen echter, damit philosophisch reflektierter, logisch analysierter, Wissenschaft. Wir werden gerade durch die Reflexion auf den vollen Begri= des Bewussteins zum Begri= des Geistes und zum Begri= des Wissens und der Wahrheit geführt. Indem wir diese soweit explizit machen, dass die relevanten Probleme aufgehoben sind, haben wir den Begri= des Geistes und des Wissens absolut erfasst. Es ist übrigens ein sicheres Zeichen einer völlig unzulänglichen Lektüre, wenn man Hegel für seine vermeintliche Anmaßung
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kritisiert, als Einzelperson einen solchen absoluten Standpunkt errreicht zu haben.
8. Laufender Kommentar zu Hegels Einleitung »Es ist eine natürliche Vorstellung, daß, ehe in der Philosophie an die Sache selbst, nämlich an das wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegangen wird, es notwendig sei, vorher über das Erkennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug, wodurch man des Absoluten [also wieder der Wahrheit, jetzt nur betont im Sinn von etwas, das absolut wahr ist, PSW] sich bemächtige, oder als das Mittel, durch welches hindurch man es erblicke, betrachtet wird.« (57 | 53)
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Der Gedanke des skeptischen Empirismus Humes und der kritischen Philosophie Kants ist es, mit einer Art Erkenntniskritik zu beginnen. Man wünscht sich eine Abgrenzung des von uns Menschen Erkennbaren von etwas Unerkennbarem. Übersprungen wird dabei die Frage nach der Bestimmung der Wahrheit. Eine solche kann nur in der Form unserer kriterialen Festlegungen liegen, nach denen wir bloße Wissensansprüche von zureichend erfüllten unterscheiden. Die Erkenntnistheoretiker beginnen stattdessen mit einer Kritik der vermeintlichen Erkenntnisinstrumente, etwa der Grenzen der Reichweite unserer fünf Sinne, ohne das Ziel und den Zweck dieser Instrumente, die Erfüllungen von Geltungsansprüchen, in ihrem realen innerweltlichen, kommunikativen und kooperativen (›sozialen‹) Status zu befragen. Schon damit ist Kants transzendentale Methode nicht radikal genug, und schon gar nicht die empiristische Reflexionsphilosophie von Locke oder Hume, auch wenn sie den Weg sinnkriterialen Denkens gebahnt haben. »Die Besorgnis scheint gerecht, teils, daß es verschiedene Arten der Erkenntnis geben und darunter eine geschickter als eine andere zur Erreichung dieses Endzwecks sein möchte, hiemit auch falsche Wahl unter ihnen, – teils auch daß, indem das Erkennen ein Ver-
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mögen von bestimmter Art und Umfange ist, ohne die genauere Bestimmung seiner Natur und Grenze Wolken des Irrtums statt des Himmels der Wahrheit erfaßt werden.« (57 | 53)
Es ist eine distanzierende Ironie, in welcher Hegel hier vom Himmel der Wahrheit spricht, als sei sie etwas Jenseitiges, Transzendentes. Es ist aber in der Tat die Aufgabe der Philosophie, scheinbares Wissen von wirklichem in den Sachwissenschaften zu unterscheiden, sophistische Überredungen von guten Argumenten usf. Allerdings verlangt das trivialerweise, dass sie auch in ihrem eigenen Bereich kritisch ist und ein vermeintliches Wissen über das Wissen oder über das Geistige in seinem Unterschied zum Ungeist, über die Vernunft im Unterschied zur Unvernunft oder über den Verstand im Unterschied zu einem Unvermögen oder zu unaufgeklärter Irrationalität von einem echten philosophischen Meta-Wissen dieser Formen unterscheiden kann. Es wird daher mit Recht immer wieder gefragt, woher die Philosophie ihr Wissen oder die Kriterien ihrer kritischen Unterscheidungen hernehme. In diesen Nachfragen ist die Unterstellung, diese Art der Nachfrage sei neu und nicht längst schon eine philosophische Selbstverständlichkeit, wirklich naiv, jedenfalls uninformiert. Keineswegs selbstverständlich aber sind die jeweils gegebenen Antworten. 73 c
»Diese Besorgnis muß sich wohl sogar in die Überzeugung verwandeln, daß das ganze Beginnen, dasjenige, was An-sich ist, durch das Erkennen dem Bewußtsein zu erwerben, in seinem Begri=e widersinnig sei, und zwischen das Erkennen und das Absolute eine sie schlechthin scheidende Grenze falle.« (57 | 53)
Die Besorgnis über eine sichere selbstgewisse Basis des Wissens und damit über den Anfang des Wissens über das Wissen führt recht schnell in einen Skeptizismus. Dieser besteht am Ende in der selbst bloß dogmatischen Überzeugung, »dass das ganze Beginnen, dasjenige, was an sich ist, durch das Erkennen dem Bewusstsein zu erwerben, in seinem Begri=e widersinnig sei«. Hume und Kant stimmen in eben diesem Sinn darin überein, dass »zwischen das Erkennen und das Absolute«, das bei Kant als
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»Ding an sich« angesprochen wird, »eine sie schlechthin scheidende Grenze falle«. »Denn ist das Erkennen das Werkzeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen, so fällt sogleich auf, daß die Anwendung eines Werkzeugs auf eine Sache sie vielmehr nicht läßt, wie sie für sich ist, sondern eine Formierung und Veränderung mit ihr vornimmt. [Wer diese Metapher nicht mag, kann auch sagen, dass ein Bezugsgegenstand des Bezugs nicht von der Bezugnahme trennbar ist, PSW]. Oder ist das Erkennen nicht Werkzeug unserer Tätigkeit, sondern gewissermaßen ein passives Medium, durch welches hindurch das Licht der Wahrheit an uns gelangt, so erhalten wir auch so sie nicht, wie sie an sich, sondern wie sie durch und in diesem Medium ist. Wir gebrauchen in beiden Fällen ein Mittel, welches unmittelbar das Gegenteil seines Zwecks hervorbringt; oder das Widersinnige ist vielmehr, daß wir uns überhaupt eines Mittels bedienen.« (57 | 53)
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Die Wahrheit an sich, so scheint es und so will es der Ausdruck »an sich«, wie er bei Kant verwendet wird, kann nur völlig unbeeinflusst durch die Mittel des Erkennens, unserer Sinne und unserer Begri=e, gedacht werden. Die Folge dieses Gedankens ist, dass jede so vorgestellte Welt von Dingen an sich per definitionem unerkennbar ist. Das aber bedeutet, dass die Ausdrücke »an sich« und »absolute Wahrheit« sinnlos werden, jedenfalls keine sinnvolle positive Anwendung haben können. Das sagt zwar auch Kant, indem er von einem Grenzbegri= spricht. Doch eben damit wird die Grenze schon für überschreitbar erklärt oder die Möglichkeit des Übertritts zumindest nahegelegt. »Es scheint zwar, daß diesem Übelstande durch die Kenntnis der Wirkungsweise des Werkzeugs abzuhelfen steht, denn sie macht es möglich, den Teil, welcher in der Vorstellung, die wir durch es vom Absoluten erhalten, dem Werkzeuge angehört, im Resultate abzuziehen und so das Wahre rein zu erhalten. Allein diese Verbesserung würde uns in der Tat nur dahin zurückbringen, wo wir vorher waren. Wenn wir von einem formierten Dinge [sic!, PSW] das wieder wegnehmen, was das Werkzeug daran getan hat, so ist uns das Ding – hier das Absolute – gerade wieder so viel als vor dieser somit überflüssi-
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gen Bemühung. Sollte das Absolute durch das Werkzeug uns nur überhaupt nähergebracht werden, ohne etwas an ihm zu verändern, wie etwa durch die Leimrute der Vogel, so würde es wohl, wenn es nicht an und für sich schon bei uns wäre und sein wollte, dieser List spotten; denn eine List wäre in diesem Falle das Erkennen, da es durch sein vielfaches Bemühen ganz etwas anderes zu treiben sich die Miene gibt, als nur die unmittelbare und somit mühelose Beziehung hervorzubringen. Oder wenn die Prüfung des Erkennens, das wir als ein Medium uns vorstellen, uns das Gesetz seiner Strahlenbrechung kennen lehrt, so nützt es ebenso nichts, sie im Resultate abzuziehen; denn nicht das Brechen des Strahls, sondern der Strahl selbst, wodurch die Wahrheit uns berührt, ist das Erkennen, und dieses abgezogen, wäre uns nur die reine Richtung oder der leere Ort bezeichnet worden.« (57 f. | 53 f.)
Ich ergänze die schon oben kommentierte Passage hier nur durch einige Nachfragen: Wann ist ein Zweifel sinnvoll und berechtigt? Auf welche Fragen kann man erklärende Antworten geben? Welche Fragen sind dagegen einfach zurückzuweisen? Wann sind Probleme dadurch aufzuheben, dass man auf ein faktisches Können verweist oder zur Teilnahme an einer schon existierenden und funktionstüchtigen Praxis auffordert? Wer das Einmaleins erst einmal ›auswendig‹ zu lernen hat, um mit Dezimalzahlen multiplikativ zu rechnen, kann zwar durchaus sinnvoll nachfragen, warum 9 mal 9 gleich 81 ist. Er könnte prüfen wollen, ob in dem System eine 9-malige Addition der 9 wirklich zum Zahlausdruck »81« führt. Warum aber 1 + 1 = 2 oder 10 + 1 = 11 ist, das lässt sich ohne Rückgri= auf ein reines Lernen der Zahlwortreihe nicht begründen. Denn es ist eng mit den Konventionen der Dezimalzahlausdrücke verbunden. Bei solchen Konventionen, die für menschliche Verständigungen und Kooperationen oft sehr wichtig sind, hat es zumeist wenig Sinn, neue Alternativen einzuführen, es sei denn, sie haben o=ensichtlich enorme Vorteile. Aber nicht nur für solche Fälle gilt das Folgende. 74
»Inzwischen wenn die Besorgnis, in Irrtum zu geraten, ein Mißtrauen in die Wissenschaft setzt, welche ohne dergleichen Bedenk-
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lichkeiten ans Werk selbst geht und wirklich erkennt, so ist nicht abzusehen, warum nicht umgekehrt ein Mißtrauen in dies Mißtrauen gesetzt und besorgt werden soll, daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist. In der Tat setzt sie etwas, und zwar manches, als Wahrheit voraus und stützt darauf ihre Bedenklichkeiten und Konsequenzen, was selbst vorher zu prüfen ist, ob es Wahrheit sei. Sie setzt nämlich Vorstellungen von dem Erkennen als einem Werkzeuge und Medium, auch einen Unterschied unserer selbst von diesem Erkennen voraus; vorzüglich aber dies, daß das Absolute auf einer Seite stehe und das Erkennen auf der andern Seite für sich und getrennt von dem Absoluten doch etwas Reelles [sei], oder hiemit, daß das Erkennen, welches, indem es außer dem Absoluten, wohl auch außer der Wahrheit ist, doch wahrhaft sei, – eine Annahme, wodurch das, was sich Furcht vor dem Irrtume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt.« (58 f. | 54)
Hegels Ironie ist mit Händen zu greifen. Sie warnt vor einer Übervorsicht in Bezug auf unser immer endliches Wissen und Handeln: Jede derartige Vorsicht wird gerade dort unvorsichtig, wo die Folgen von Unterlassungen gefährlicher sind als das Unabsehbare möglicher Handlungen. Denn am Ende können wir, weil wir nun einmal zu urteilen vermögen, das Urteilen gar nicht unterlassen, sowenig wie wir darauf verzichten können, Urteile als richtig oder falsch zu bewerten. Denn auch Urteilsenthaltungen sind Urteile, wenn auch von anderem Typ als das einfache Ja oder Nein, das freilich manchmal in der Tat zu einfach sein kann. Hegel fährt fort: »Diese Konsequenz [nämlich dass die Furcht vor dem Irrtum selbst ein Irrtum und sich in Wirklichkeit als eine Vermeidung der Ansprüche der Wahrheit herausstellen kann, PSW] ergibt sich daraus, daß das Absolute allein wahr oder das Wahre allein absolut ist.« (59 | 54)
Der Inhalt des Satzes ist zunächst keineswegs klar. Der Gedanke ist wohl dieser: Solange wir bloß abstrakt das Absolute als das von jeder Bezugnahme Losgelöste betrachten und dieses als das alleinige Wahre auffassen, werden wir aus den begri=lichen Problemen, welche unsere Reden von Wahrheit, Objektivität
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und Wirklichkeit heimsuchen, nicht ausbrechen. Wir werden die Probleme somit nicht aufheben können. Dasselbe gilt für die Auffassung, das Wahre müsse losgelöst werden von unserer faktischen Bewertung von Wissensansprüchen. Zugleich richtet sich Hegel aber auch gegen jede ›Ermäßigungstheorie‹ des Wissens und der Wahrheiten, also gegen die These, dass sich zwar ›idealiter‹ eine absolute Wahrheit oder ein absolutes Wissen denken lasse, dass unser reales, endliches, bürgerliches, pragmatisches Wissen aber ganz unabhängig von jenem sei, nämlich ein bloßes Glauben oder Überzeugtsein. 75 b
»Sie [die Konsequenz, PSW] kann abgelehnt werden durch den Unterschied, daß ein Erkennen, welches zwar nicht, wie die Wissenschaft will, das Absolute erkennt, doch auch wahr [sic!, PSW] und das Erkennen überhaupt, wenn es dasselbe zu fassen zwar unfähig sei, doch anderer Wahrheit [sic!, PSW] fähig sein könne. Aber wir sehen nachgerade, daß solches Hin- und Herreden auf einen trüben Unterschied zwischen einem absoluten Wahren und einem sonstigen Wahren [sic!, PSW] hinausläuft und das Absolute, das Erkennen usf. Worte sind, welche eine Bedeutung voraussetzen, um die zu erlangen es erst zu tun ist.« (59 | 54)
Wie man hier klar sieht, ist Hegels Philosophie keine ›Bewusstseinsphilosophie‹, die noch einer sprach- und begri=skritischen Wende bedürfte. O=enkundig ist der Sinn unserer Reden von einer (absoluten) Wahrheit bzw. Wirklichkeit sein Thema und nicht bloß die ›erkenntnistheoretische‹ Frage, wie wir eine nicht näher verstandene Wirklichkeit oder Wahrheit mit absoluter oder relativer Gewissheit erkennen sollen. Im Übrigen lehnt er die »Vorstellungen . . . von dem Erkennen als einem Werkzeuge« geradezu brüsk ab. 76 a
»Statt mit dergleichen unnützen Vorstellungen und Redensarten von dem Erkennen als einem Werkzeuge, des Absoluten habhaft zu werden, oder als einem Medium, durch das hindurch wir die Wahrheit erblicken und so fort – Verhältnisse, worauf wohl alle diese Vorstellungen von einem Erkennen, das vom Absoluten, und einem Absoluten, das von dem Erkennen getrennt ist, hinauslaufen, um von der Mühe
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der Wissenschaft zugleich sich zu befreien und zugleich sich das Ansehen eines ernsthaften und eifrigen Bemühens zu geben, sowie statt mit Antworten auf alles dieses sich herumzuplacken, könnten sie als zufällige und willkürliche Vorstellungen geradezu verworfen und der damit verbundene Gebrauch von Worten wie dem Absoluten, dem Erkennen, auch dem Objektiven und Subjektiven und unzähligen andern, deren Bedeutung als allgemein bekannt vorausgesetzt wird, sogar als Betrug angesehen werden.« (59 | 54 f.)
Es wäre falsch, schwierige Begri=e wie die Rede von einer absoluten Wahrheit einfach aus dem Verkehr zu ziehen. Humes Bücherverbrennung geht zu weit. Nicht alles, was Hume und seine Anhänger für sinnlose Metaphysik halten, ist sinnlos. Hegel erkennt das Hauptproblem darin, den Status der Sätze ontologischer Reflexionen und damit der aristotelischen Metaphysik als Ortsbestimmung verschiedener Wissenschaften und Redebereiche mit verschiedenen Geltungsbestimmungen angemessen zu begreifen. Wie also sind die Sätze einer spekulativen, d. h. hochstufigen, Logik der Reflexion auf die Konstitution der jeweiligen Begri=e des Gegenstandes oder der Wahrheit zu lesen? Es geht dabei um die Bedeutungen von Ausdrücken wie »wahr« und »Wissen«, »absolut« und »wirklich«. Diese werden teils als allgemein bekannt unterstellt, teils wird versichert, »dass man selbst ihren Begri= hat«. Man scheint sich damit »nur die Hauptsache ersparen« zu wollen, »nämlich diesen Begri= zu geben«. Es gibt zwar den Vorschlag, von allen spekulativen Vorstellungen abzusehen und sich den objektbezogenen Wissenschaften selbst unmittelbar zuzuwenden. Dazu rät uns zum Beispiel auch der in seiner Frühphilosophie durch Schopenhauer und damit Hume wesentlich beeinflusste Wittgenstein in seinem Tractatus. Doch eine Wissenschaft ist selbst noch nicht in ihrer Konstitution begri=en, solange wir die Grenzen ihres Themas, die Verfassung ihrer Gegenstände, die Besonderheit ihres Wahrheitsbegri=s und die Methoden der Kontrolle von zugehörigen Geltungsansprüchen nicht überschauen bzw. im Überblick, in eben diesem Sinne spekulativ, explizit machen können. Das Projekt der Entwicklung
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von Wissen bleibt dann unbegri=en. Das ist solange so, wie wir nur erst in die mehr oder minder als richtig beurteilte Teilnahme an einer Praxis eingeführt sind, aber noch nicht wirklich wissen, was wir dabei tun. Insbesondere ist es ein Fehler, wenn Hume oder der frühe Wittgenstein meinen, in der Wissenschaft ginge es wirklich bloß um empirisch sachhaltige Aussagen und Wahrheiten. Solche Konstatierungen gebrauchen wir, wenn wir im Dialog andere Personen über einzelne empirische Sachlagen oder historische Wahrheiten informieren (wollen). In der Wissenschaft aber geht es um generische Aussagen, um wichtige Unterscheidungen im Blick auf zugehörigen Normalfallinferenzen. Nur wenn wir das begreifen, gelangen wir zu einem logischen Selbstbewusstsein der Wissenschaft. Es geht der Philosophie entsprechend um geeignete Metakommentare und logische Verortungen. Diese sind besonders unzuverlässig, wenn sie von Einzelwissenschaftlern oder Logikern stammen, die den Unterschied zwischen empirischen und allgemeinen Aussagen nicht kennen, bzw. zwischen Konstatierungen und begri=lichen Formen des generischen Unterscheidens und Schließens. 76 b
»Denn das Vorgeben, teils daß ihre Bedeutung allgemein bekannt ist, teils auch daß man selbst ihren Begri= hat, scheint eher nur die Hauptsache ersparen zu sollen, nämlich diesen Begri= zu geben. Mit mehr Recht dagegen könnte die Mühe gespart werden, von solchen Vorstellungen und Redensarten, wodurch die Wissenschaft selbst abgewehrt werden soll, überhaupt Notiz zu nehmen, denn sie machen nur eine leere Erscheinung des Wissens aus, welche vor der auftretenden Wissenschaft unmittelbar verschwindet. Aber die Wissenschaft darin, daß sie auftritt, ist sie selbst eine Erscheinung; ihr Auftreten ist noch nicht sie in ihrer Wahrheit ausgeführt und ausgebreitet. Es ist hierbei gleichgültig, sich vorzustellen, daß sie die Erscheinung ist, weil sie neben anderem auftritt, oder jenes andere unwahre Wissen ihr Erscheinen zu nennen. Die Wissenschaft muß sich aber von diesem Scheine befreien, und sie kann dies nur dadurch, daß sie sich gegen ihn wendet. Denn sie kann ein Wissen, welches nicht wahrhaft
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ist, weder als eine gemeine Ansicht der Dinge nur verwerfen und versichern, daß sie eine ganz andere Erkenntnis und jenes Wissen für sie gar nichts ist, noch sich auf die Ahndung eines besseren in ihm selbst berufen. Durch jene Versicherung erklärte sie ihr Sein für ihre Kraft; aber das unwahre Wissen beruft sich ebenso darauf, daß es ist, und versichert, daß ihm die Wissenschaft nichts ist; ein trockenes Versichern gilt aber gerade soviel als ein anderes. Noch weniger kann sie sich auf die bessere Ahndung berufen, welche in dem nicht wahrhaften Erkennen vorhanden und in ihm selbst die Hinweisung auf sie sei; denn einesteils beriefe sie sich ebenso wieder auf ein Sein, andernteils aber auf sich als auf die Weise, wie sie im nicht wahrhaften Erkennen ist, d. h. auf eine schlechte Weise ihres Seins und auf ihre Erscheinung vielmehr als darauf, wie sie an und für sich ist. Aus diesem Grunde soll hier die Darstellung des erscheinenden Wissens vorgenommen werden.« (59 f. | 55)
Wir müssen die reale Erscheinungsform des Wissens und der Wissenschaft betrachten. Das dogmatische Verfahren der bloßen Lehre einer angeblich wahren Wissenschaft, deren ›Wahrheit‹ bloß in einem ›rationalen Glauben‹ bestehe, ist dabei nicht gangbar. Bloße Versicherungen helfen nicht weiter. Dasselbe gilt für Intuitionen und vage Gewissheiten. Es gilt daher, wie Hegel explizit erklärt, das erscheinende Wissen und die Wissenschaft, wie sie als Erscheinung real ist, darzustellen, um absolut immanent den Unterschied zwischen Sein und Schein, Irrtum und Wahrheit erläutern und klären zu können. In der Tat ist diese Immanenz der realen Entwicklung des Wissens selbst am Ende das wahre ›Absolute‹, der Vollzug der Vernunft. – In einer Darstellung des erscheinenden Wissens geht es um den »Weg des natürlichen Bewusstseins, wie es zum wahren Wissen dringt«. »Weil nun diese Darstellung nur das erscheinende Wissen zum Gegenstande hat, so scheint sie selbst nicht die freie, in ihrer eigentümlichen Gestalt sich bewegende Wissenschaft zu sein, sondern sie kann von diesem Standpunkte aus als der Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt, genommen werden, oder als der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als
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durch ihre Natur ihr vorgesteckter Stationen, durchwandert, daß sie sich zum Geiste läutere, indem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist.« (60 | 55)
Es geht o=enbar um ein wissenschaftliches Selbstbewusstsein. Der Ausdruck »Geist« steht dabei schon hier für das Gemeinschaftssubjekt selbstbewusster Wissenschaft in gewisser Gegenübersetzung zu einem bloß subjektiven Überzeugtsein. Außerdem stehen ›Bewusstsein‹ und ›Selbstbewusstsein‹ als Vollzugshaltungen gegen eine gegenstandsartig vorgestellte individuelle Seele oder Psyche. Geist ist, aus dem Blick der einzelnen Person betrachtet, das Vermögen, an der allgemeinen Form geistigen Lebens, der sapientia, der Seinsweise des homo sapiens, zu partizipieren. Hegels Ausdrucksweisen sind hier notorisch schwierig und zwar gerade weil seine Nennungen keine Gegenstände benennen, sondern Titel für Haltungen und Prozesse sind. Andererseits wird klar, dass gerade dem unbefangenen Betrachter die rechte Sicht auf die reale Praxis des Wissens und der Wissenschaft gezeigt werden soll, während dem, der seine theoretischen Vorurteile nicht aufgeben kann oder will, nur empfohlen werden kann, genauer hinzusehen, was wir wirklich tun, wenn wir Wissensansprüche erheben und beurteilen und welche Rollen dabei das Begri=liche und seine Bestimmung in der Wissenschaft spielen. Die Schwierigkeit besteht darin, den Blick vom objektzentrierten inhaltlichen Denken umzuwenden auf das, was beim Denken (und im Wissen) real passiert: auf den Umgang mit Präsentationen, mit Wahrnehmungen und Wörtern. 78 a
»Das natürliche Bewußtsein wird sich erweisen, nur Begri= des Wissens oder nicht reales Wissen zu sein.« (60 | 56)
Das natürliche Bewusstsein kennt das Wissen nur aus dem Gebrauch, empraktisch, oder vom Hörensagen. Leider gilt das auch für gelegentliche Reflexionen auf das Wissen und die Wissenschaft. Dabei meint die Rede vom natürlichen Bewusstsein das übliche Selbstverständnis des einzelnen Menschen, wie es sich, erstens, im Vollzug seines individuellen Wissens und Könnens
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zeigt, und wie er diese Erscheinung, zweitens, reflektierend zu kommentieren geneigt ist. Diese Kommentierungen betre=en bloß erst den Begri= des Wissens, insofern sie entweder bloße Tautologien sind oder nur prima facie richtige Aussagen über das Wissen. Sie sind noch kein volles Wissen über das Wissen, kein echtes Selbstbewusstsein, das als solches nichts anderes ist als selbstbewusstes Wissen. Der Mangel der üblichen Reflexionen ist, dass sie selbst schon inhaltlich auftreten. Das heißt, es wird auf die äußere Form der Gegebenheitsweise des Inhalts der Reflexion nicht reflektiert, womit auch die innere Form, der Inhalt selbst, nur oberflächlich verstanden ist. »Indem es [das natürliche Bewusstsein etwa des common sense, PSW] sich aber unmittelbar vielmehr für das reale Wissen hält, so hat dieser Weg [zum Selbstbewusstsein und zum Geist, PSW] für es negative Bedeutung, und ihm gilt das vielmehr für Verlust seiner selbst, was die Realisierung des Begri=s ist [nämlich die Institutionen des objektiven Geistes, PSW]; denn es verliert auf diesem Wege seine Wahrheit.« (60 f. | 56)
Der common sense meint schon, zu wissen, wie sich die Sachen verhalten. Damit scheint eine Reflexion auf die Konstitution von Inhalten nicht mehr nötig zu sein. Die Reflexion auf die Möglichkeitsbedingungen des einzelnen Bewusstseins, also des Wissens bzw. der geistigen Fähigkeiten der Einzelperson, führt, andererseits, über die Einsicht in die Irrtumsmöglichkeit unserer Urteile zu den Frustrationen des Skeptizismus. Denn dieser ist immer auch eine Kränkung unseres Narzissmus in den üblichen Selbstzuschreibungen scheinbar individueller geistiger Leistungen. Der Skeptizismus entfremdet das Geistige von sich selbst in einem mehrfachen Sinn. Die scheinbaren Selbstverständlichkeiten der ›rationalen Fähigkeiten‹ des Menschen werden aufgehoben. Der Mensch erscheint jetzt bloß wieder als ein kluges Tier. Das Wesen des Geistes, also die Form unserer Seinsweise, wird uns zumindest fremd. Es wird zu einem Thema und Gegenstand, die es allererst aufzuhellen, aufzuklären gilt. Und in der Tat: Nur über eine solche skeptische Entfremdung wird dieses Fremde, das der
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Geist ist, obwohl wir selbst dieser Geist sind, wieder aufgehoben. Und nur auf diesem Weg der Überwindung des Skeptizismus werden wir wieder mit ihm, dem Geist, heimisch. Wir begreifen ihn als unseren eigenen Geist. Er ist der Geist, der uns selbst allererst zu intelligenten Wesen macht, zu Wesen mit Verstand und mit Vernunft, nicht zuletzt vermöge der Sprache und ihrer in der Wissenschaft entwickelten Begri=lichkeit: Der Mensch als z¯oon logon ech¯on ist ein Lebewesen, das Sprache und Bilder richtig zusammenlegen und richtig auseinander- oder eben auslegen kann. Das griechische Wort »legein« bedeutet entsprechend »legen« und »lesen«. Ein logos ist etwas (syntaktisch oder syntagmatisch) Zusammengelegtes. Ein logos ist Wort, Satz, Sprache. Er ist Ausdruck und oft auch schon das, wofür der Ausdruck steht, etwa eine Proportion oder Struktur oder Form. Nur ein Wesen, das zusammengelegte Formen legen und lesen, also reproduzieren und verstehen kann, besitzt Intelligenz und Wissen, wobei insbesondere die Zuordnung leicht reproduzierbarer logoi zu wahrnehmbaren Gestalten und Formen (eid¯e) eine zentrale Rolle in der Repräsentation von Gegenwart und Nicht-Gegenwart spielt. Die menschliche sapientia besteht dabei wesentlich in der Beherrschung dieser Zuordnungen und aller anderen Formen des Richtigen und Wahren, soweit diese eben beherrschbar sind. Das Richtige ist daher in einem endlichen, realen, nicht idealtranszendenten Sinn zu verstehen. Als Beherrschung von Formen ist es durch den Geist, also durch uns selbst bestimmt, und zwar als ein Formmoment glückender Kooperation. Mit der Fähigkeit zur Reproduktion und Rekognition von Formen entwickeln wir unser Wissen, das seinerseits unser Urteilen und Handeln informiert. Aber gerade auch als Wissender kann der Mensch sich durch eigene Entscheidungen, etwa auch durch ein skeptisches oder zynisches Unterlassen des Urteilens oder Bewertens, auf verschiedensten Ebenen technischen Könnens haltungsmäßig in ein Tier zurückverwandeln, wie nicht zuletzt die Schrecken des 20. Jahrhunderts deutlich genug gezeigt haben. Dabei entsteht o=enbar kein wirkliches Tier, da ein solches keine
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derartigen Entscheidungen fällen kann, sondern ein Wesen in einem, wie dies Hegel wohl ironisch sagt, ›geistigen Tierreich‹: ein homo sapiens bestialis. Der homo oeconomicus ist eine Variante, gerade weil er seinen Verstand und seine Vernunft nur instrumentell einsetzt, also jede Betrachtung von einem gemeinsamen Standpunkt unterordnet unter seine eigenen zufälligen Interessen und Begehrungen. Der Weg aus der Selbstsicherheit der Selbstgewissheit und der sinnlichen Gewissheit zum ›objektiven‹ Geist kann also in seinem Anfang durchaus »als der Weg des Zweifels angesehen« und er muss auch begangen werden. Aber es wird wichtig werden, nicht auf den Holzweg des Skeptizismus, auch des Pyrrhonismus oder Zynismus zu geraten. »Er [der Weg des radikalen Infragstellens von allem und jedem, PSW] kann deswegen als der Weg des Zweifels angesehen werden oder eigentlicher als Weg der Verzweiflung [ein Ver-Zweifeln ist ein perfektes, vollkommenes Zweifeln, das sich am Ende selbst aufhebt, PSW]; auf ihm geschieht nämlich nicht das, was unter Zweifeln verstanden zu werden pflegt, ein Rütteln an dieser oder jener vermeinten Wahrheit, auf welches ein gehöriges Wiederverschwinden des Zweifels und eine Rückkehr zu jener Wahrheit erfolgt, so daß am Ende die Sache genommen wird wie vorher. Sondern er ist die bewußte Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens, dem dasjenige das Reellste ist, was in Wahrheit vielmehr nur der nicht realisierte Begri= ist. Dieser sich vollbringende Skeptizismus ist darum auch nicht dasjenige, womit wohl der ernsthafte Eifer um Wahrheit und Wissenschaft sich für diese fertig gemacht und ausgerüstet zu haben wähnt; nämlich mit dem Vorsatze, in der Wissenschaft auf die Autorität [hin] sich den Gedanken anderer nicht zu ergeben, sondern alles selbst zu prüfen und nur der eignen Überzeugung zu folgen oder, besser noch, alles selbst zu produzieren und nur die eigne Tat für das Wahre zu halten.« (56 | 61)
Das bloß formale Zweifeln ist kein Zweifeln. Der Skeptizismus aber sieht »in dem Resultate nur immer das reine Nichts«. Das ist schon eine fehlerhafte Auffassung von einem sinnvollen Zwei-
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fel, der immer nur kritische Prüfung bestimmter Aspekte eines Geltungsanspruchs, etwa einer Aussage ist und sein kann, nie aller Momente. Vieles muss man vertrauensvoll als richtig und verlässlich voraussetzen. Daher ist es eine verfehlte Maxime der so genannten Aufklärung, noch bei Kant, den Narren auf eigene Faust zu spielen (wie Gadamer so schön sagt). Dieser Autonomismus kollabiert in eine Art Autismus. Das ist einer der zentralen Punkte des ganzen Werkes. 78 d
»Die Reihe seiner Gestaltungen, welche das Bewußtsein auf diesem Wege durchläuft, ist vielmehr die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft.« (61 | 55)
Jede Analyse der Bedingung der Möglichkeit subjektiven Bewusstseins und transsubjektiven Wissens führt am Ende zur Betrachtung der notwendigen Bildung der Person. Bildung ist die partiell informelle Praxisfom oder partiell schon formelle Institution der Bereitstellung der Inhalte des Verstehens. Daher können z. B. nur entsprechend Gebildete sozusagen alles lesen, andere mit knapper Not Zeitungen. 78 e
»Jener Vorsatz stellt die Bildung in der einfachen Weise des Vorsatzes als unmittelbar abgetan und geschehen vor; dieser Weg aber ist gegen diese Unwahrheit die wirkliche Ausführung. Der eignen Überzeugung folgen ist allerdings mehr, als sich der Autorität ergeben; aber durch die Verkehrung des Dafürhaltens aus Autorität in Dafürhalten aus eigner Überzeugung ist nicht notwendig der Inhalt desselben geändert und an die Stelle des Irrtums Wahrheit getreten [sic!, PSW]. Auf die Autorität anderer oder aus eigner Überzeugung im System des Meinens und des Vorurteils zu stecken, unterscheidet sich voneinander allein durch die Eitelkeit, welche der letzteren Weise beiwohnt. Der sich auf den ganzen Umfang des erscheinenden Bewußtseins richtende Skeptizismus macht dagegen den Geist erst geschickt zu prüfen, was Wahrheit ist, indem er eine Verzweiflung [sic!, PSW] an den sogenannten natürlichen Vorstellungen, Gedanken und Meinungen zustande bringt, welche es gleichgültig ist, eigne oder fremde zu nennen, und mit welchen das Bewußtsein, das geradezu ans Prüfen geht, noch erfüllt und behaf-
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tet, dadurch aber in der Tat dessen unfähig ist, was es unternehmen will.« (61 f. | 56)
Die Passage ist eine der wichtigsten des ganzen Buches. Es ist in einem Sinn schwer, in einem anderen leicht einzusehen, dass es gar nicht klar ist, was es heißt, selbst zu denken. Als Impuls, alles Gehörte und alles zu Sagende zu kontrollieren, ist Selbstdenken lobenswert. Aber es bedrohen die Willkür des beliebigen Meinens, einerseits, die Konventionalität der zufälligen Vorbildung, andererseits, das Vernünftige im Eigenurteilen. Anders gesagt, es ist nichts so traditionalistisch wie die massenhafte Illusion des Selbstdenkens, des common sense und gesunden Volksempfindens. Dabei ist ohnehin die Gefahr immer zu beachten, dass es bei bloßen Versicherungen bleibt, etwa weil die Sprecher oder Akteure ihren vagen Intuitionen folgen, also bloß zufrieden sind mit dem, was sie sagen oder tun, ohne dass die entsprechenden Geltungsbedingungen wirklich erfüllt sind. Im Übrigen sind die Inhalte der Urteile des Selbstdenkers keineswegs von diesen selbst konstruiert. Sie sind ihm gegeben. »Die Vollständigkeit der Formen des nicht realen Bewußtseins wird sich durch die Notwendigkeit des Fortganges und Zusammenhanges selbst ergeben. Um dies begreiflich zu machen, kann im allgemeinen zum voraus bemerkt werden, daß die Darstellung des nicht wahrhaften Bewußtseins in seiner Unwahrheit nicht eine bloß negative Bewegung ist. Eine solche einseitige Ansicht hat das natürliche Bewußtsein überhaupt von ihr; und ein Wissen, welches diese Einseitigkeit zu seinem Wesen macht, ist eine der Gestalten des unvollendeten Bewußtseins, welche in den Verlauf des Weges selbst fällt und darin sich darbieten wird. Sie ist nämlich der Skeptizismus, der in dem Resultate nur immer das reine Nichts sieht und davon abstrahiert, daß dies Nichts bestimmt das Nichts dessen ist, woraus es resultiert. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkommt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Inhalt.« (62 | 56 f.)
Wir bestimmen etwas immer durch Verneinung, Abgrenzung, Unterscheidung. In der Verneinung eines scheinbaren Wissens
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wird daher nicht das Wissen gänzlich verneint, sondern es wird einem falschen oder irreführenden Wissensanspruch ein besserer (zunächst wenigstens im Denken, also als verbal repräsentierte Möglichkeit) gegenübergestellt. Die ›bestimmte‹ Negation streicht also nicht einfach einen irgendwie gegebenen Satz durch, wie der Skeptizismus in seinem unbestimmten und schematischen Verneinen aller gegebener Thesen. Das bestimmte Nichts oder Nicht im Sinne eines ›Nicht-Dieses, sondern Jenes‹ endet also nicht einfachhin bei Nichts. Es gilt sogar: Ein schlechthin einfaches Nichts oder Nicht, das nicht die bestimmte Verneinung von etwas wäre, gibt es eigentlich gar nicht. So ist zum Beispiel das Nichts des leeren Raumes dadurch positiv bestimmt, dass keine Körper im Leeren sind, nicht etwa dadurch, dass in ihm gar nichts wäre. Und sogar das Nichts vor dem postulierten Urknall ist alles andere als ein absolutes Nichts. Es ist nur eine Art Noch-Nicht: Das bedeutet, dass es das gegenwärtig sich ausbreitende Weltall und seine so genannte Zeit, gemessen sowohl durch Relativbewegungen von Körpern (wie z. B. der Planeten im Sonnensystem) als auch durch subatomare Taktgeber (wie in Quarzuhren) noch nicht gibt. Das sind alles logische Erwägungen zum Nicht, Nichts und Noch-Nicht, also zur Semantik von »nicht« und »nichts«. Zugleich gilt: Nur das ist wirklich, was wir als begri=lich zugängliche Möglichkeit bestimmt und von diesen Möglichkeiten als bestehend und damit als wirklich erklärt haben. Wirklichkeit ist bewertete Möglichkeit. Das unterscheidet den Begri= des Wirklichen vom bloß präsentisch Realen. Realität ist gegenwärtige Erscheinung. Wirklichkeit ist deren Erklärung. Im Unterschied zur Realität empirischer Perzeptionen ist also Wirklichkeit eine entsprechend bewusste und als bestehend erklärte Möglichkeit. Eine Möglichkeit aber ist bloß etwas Geistiges, bloß dem Denken zugänglich. Möglichkeiten existieren nur ›an sich‹, als Gegenstände des Denkens. Wirklichkeit existiert an-undfür-sich, gerade indem sich die Möglichkeit in der Erfahrung als bestehend zeigt. Tiere kennen Realitäten, aber weder Möglichkeiten noch die
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Wirklichkeit. Denn nur über das Begri=liche sind Möglichkeiten gegeben und zugänglich. Und die Wirklichkeit ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, nicht einfach das, was wir in Konstatierungen über eine bloße Erscheinung sagen, die als solche ein unwirkliches Epiphänomen oder ein bloßer Schein sein kann. Wissen und Wissenschaft also sind die sich ihrer Formen und Grenzen bewussten Institutionen der gemeinsamen Entwicklung des generisch oder allgemein Wahren, des Begriffssystems, kurz: des Begriffs. Da die Philosophie die wesentliche Aufgabe der Artikulation dieser Formen des Wissens, der Grenzen der begrifflichen Kriterien des Unterscheidens und der zugehörigen materialbegrifflichen Normen des prima facie richtigen Schließens hat, gibt es keine echte Wissenschaft ohne Philosophie. Ein vermeintlich unmittelbar auf das Objekt bezogenes Wissen ist entweder bloßer Glaube oder bloß unbewusste Technik, welche die Grundlagen der angelernten Handlungen nicht kennt, so erfolgreich diese auch im bloß instrumentellen Gebrauch, also empraktisch, sein mögen. Im Blick auf die vernünftige Entwicklung des Wissens ist ein solches bloßes Know-How ähnlich wie die zugehörigen Sekundärtugenden der bloß richtigen Reproduktion tradierter Formen gerade aufgrund des Mangels an Selbstbewusstsein nicht nachhaltig zielführend. Es bedarf dafür einer echten, wahren, nicht bloß angemaßten und scheinbaren, autonomen Selbstbestimmung. Der Skeptizismus des schematischen Verneinens ist zum Beispiel nicht autonom, sondern absolut abhängig von dem, was ihm andere als Wissen und Einsicht, Können und Vermögen für seine bedingte Reaktion des verbalen Zweifels so alles anbieten. »Der Skeptizismus, der mit der Abstraktion des Nichts oder der Leerheit endigt, kann von dieser nicht weiter fortgehen, sondern muß es erwarten, ob und was ihm etwa Neues sich darbietet, um es in denselben leeren Abgrund zu werfen. Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen und in der Nega-
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tion der Übergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt.« (62 | 57)
Es ist eine zutiefst ironische Bemerkung zum Skeptizismus, dass der Skeptiker angewiesen ist darauf, dass jemand anderer etwas behauptet, um dann skeptisch zu fragen, wie jener denn das, was er da sagt, sicher und gewiss ›wissen‹ könne. Da niemand die überzogenen Begründungsansprüche des Skeptikers erfüllen kann, weil all unser reales Wissen höchst endlich und fallibel ist, streicht der Skeptiker für sich das Wissen durch. Käme niemand bei ihm mit einer These vorbei, müsste er wohl vor Langeweile sterben. Wir dagegen sollten das Langweilige der skeptischen Unzufriedenheit mit dem Wissensanspruch durchschauen. Gegen den Entschluss, unzufrieden zu sein, ist kein Kraut gewachsen. Die wahre Frage ist, ob die relevanten Bedingungen dafür, die Aussage berechtigterweise zu machen oder ihr gemäß so und so zu handeln, erfüllt sind, nicht ob alle möglichen Irrtümer ausgeschlossen sind. Dazu müssen wir verstehen lernen, dass alles Wissen bloß in einem allgemeinen Sinn wahr sein kann. Das heißt nicht, dass es im Einzelbezug nicht zufällig noch zu Fehlern führen kann. Was Hegel »bestimmte Negation« nennt, ist entsprechend die Aufhebung einer zunächst berechtigten Kritik an einem allgemeinen Wissensanspruch durch eine zugehörige Eingrenzung seiner Verlässlichkeit, etwa durch Ausgrenzung typischer Ausnahmen einer sonst allgemeinen Norm oder Regel. Man denke als Beispiel an den Sonderfall des Schnabeltiers, das als einziges Säugetier Eier legt. 80 a
»Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nötig hat, wo es sich selbst findet und der Begri= dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begri=e entspricht.« (62 | 57)
Die Rede von der Entsprechung von Begri= und Gegenstand ist klassisch. Sie meint aber nicht einfach, dass ein Prädikat auf einen Gegenstand passt, wie das Farbprädikat »rot« auf englische Briefkästen, nicht aber deutsche. Gemeint ist, dass eine begri=-
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liche Gliederung der Dinge etwa auch in Gattungen und Arten wie in der Zoologie und ein zugehöriges System generischen Wissens über diese Arten, das materialbegri=liche Inferenzen diverser Art begründet, den Dingen selbst (in ihrem Fürsichsein) hinreichend angemessen wird, so dass feinere Di=erenzierungen, etwa des Auftretens rein zufälliger Mängel wie des Verlustes von Gliedmaßen nicht mehr nötig oder sinnvoll sind, auch wenn wir wissen, dass das möglich ist: Man kann nichts Besonderes über dreibeinige Katzen wissen, außer dass ihnen ein Bein fehlt. Aus den Anmessungen des Begri=lichen an das allgemein Relevante ergeben sich die Richtigkeiten unserer Wissensordnungen. Zugleich ist klar, dass wir in der Verfeinerung unseres Begri=ssystems und der Erweiterung generischen Wissens unter ganz unterschiedlichen und immer neuen Aspekten nie an ein Ende kommen werden. »Der Fortgang zu diesem Ziele ist daher auch unaufhaltsam, und auf keiner früheren Station ist Befriedigung zu finden.« (62 | 57)
Das ideale Ziel der Entwicklung des Wissens ist ein ›vollkommenes‹ Wissen. Es wäre sozusagen eine absolute Übereinstimmung dessen, was wir in einem begri=lich, also insbesondere sprachlich verfassten, Wissen ausdrücken können, mit dem, wie die Welt für sich ist. Ein solches kontrafaktisches Ideal ist, wie schon Parmenides, Platon und Aristoteles sagen und wissen, für uns Menschen unerreichbar. Es wäre ein göttliches Wissen, das Wissen eines allwissenden Gottes. Das ist schon wegen der Zeitlichkeit des Vorherwissens so. Wir können vieles nicht vorherwissen. Unbeschadet der Tatsache, dass es einen solchen Gott nicht gibt, dient die von uns selbst verfasste Rede über ein solches ›unendliches‹ Wissen oder eine so von uns selbst entworfene ›absolute‹ Wahrheit (die gar nicht ganz absolut ist, weil sie nicht losgelöst ist von unserem Entwurf) als eine Art Artikulation der Zielrichtung für unser Projekt der Entwicklung unseres (a fortiori endlichen) Wissens. Es wird damit die Orientierung unseres Selbstverständnisses explizit gemacht, nichts sonst. Die Unerreichbarkeit unendlicher Ordinalzahlen in der Mathematik durch schrittweise ›Annäherung‹ hindert uns übrigens
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ebenfalls nicht, sinnvoll über diese Zahlen etwa als Ordnungskategorien für ggf. auch unendlich verzweigte Baumstrukturen mit Zweigen endlicher oder unendlicher Länge zu sprechen, also für verschiedenartige Repräsentanten die ordinale Gleichheit zu definieren und invariante Sätze bzw. Aussagen für die so entstehenden Ordinalzahlen in ihren Wahrheitsbedingungen festzulegen und diese Wahrheitswerte dann manchmal auch beweisend festzustellen. Im Übrigen braucht es einen eindeutigen Endpunkt einer idealen Wissensentwicklung gar nicht zu geben. Trotzdem können wir von ihrer Richtung sprechen und diese als auf ein unendliches Ziel gerichtet ansprechen. Es gehört dann einfach zum Begri= des ideal-absoluten Wissens, dass kein zeitgenössisches, bürgerliches, endliches Wissen das Ideal voll befriedigen kann. ›Alle Bedingungen‹ unendlichen Wissens könnte nur eine Gottheit erfüllen, wie schon Parmenides zeigt. Das ist nur ein anderer Ausdruck für die kategoriale Endlichkeit aller realen Wissensansprüche. Es folgt eine schwierige Passage, an der wir die Gründe für das oft Obskure und Vieldeutige in Hegels Darlegungen zeigen können. 80 c
»Was auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst nicht über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen; aber es wird durch ein anderes darüber hinausgetrieben, und dies Hinausgerissenwerden ist sein Tod.« (62 f. | 57)
Man muss im Grunde schon wissen, dass es hier um einen Vergleich zwischen der Zeitlichkeit eines bloß animalischen und eines personalen Daseins geht, auch dass und warum für diese Di=erenz das Wissen um den je eigenen Tod so ein dramatisches Paradigma ist. Mit dieser Lesart wird die Passage o=ensichtlich nahe an den Denkrahmen von Martin Heideggers Existenzialanalyse gerückt. Und in der Tat, diese Nähe der Überlegungen ist noch kaum je in ihrer Bedeutung begri=en worden. Es handelt sich hier aber immer noch um die Einleitung in das allgemeine Leben des Geistes, und zwar im Ausgang von dem bloß einzelnen Leben einer individuellen Person. Dabei hätte man zunächst die obige Rede vom Tod auch als ein vielleicht allzu dramatisches Bild für die Tatsache ansehen können, dass im
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Werden einer Person das bloß Eigene des Subjektiven zum Teil aufgehoben wird: In der Person stirbt zum Mindesten ein Teil des bloß Subjektiven zugunsten einer Formatierung des eigenen Tuns, das sich Urteilen der Art ›man urteilt, schließt und handelt so‹ unterwirft. Das heißt, ich urteile, wie wir urteilen, schließen und handeln. Ich sollte oder muss so urteilen, schließen und handeln, sofern ich meine personale Rolle in der Teilnahme am Man, Wir oder Begri= richtig zu spielen in der Lage bin. Ich gebe zu, das ist schon eine freie Reflexion zum Text. In Wirklichkeit sagt der Text dieses: Gerade weil wir Menschen von unserem Tod und damit über die Endlichkeit des Daseins wissen, werden wir gezwungen, über unser Leben als ein Ganzes nachzudenken und nicht nur im bloß gegenwärtigen Dasein wie das Tier zu verharren. Ohne Sprache und Denken könnten wir o=enkundig nicht über unser je unmittelbares Dasein hinausgehen. Das Wissen um unsere Endlichkeit, unseren sicheren Tod, unterscheidet uns daher von den Tieren, ermöglicht aber zugleich ein denkendes ›Vorlaufen‹ bis in diesen Tod und darüber hinaus, wie das auch Heidegger, ohne Rückbezug auf Hegel, wieder einsehen wird. Wir können daher uns selbst im Ganzen schon heute aus einer fingierten überzeitlichen und über-individuellen, zugleich kontrafaktischen, Perspektive betrachten. Das Bewusstsein im vollen Sinn menschlichen Wissens geht entsprechend immer schon weit über die bloße Gegenwart hinaus. »Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begri=, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst; mit dem Einzelnen ist ihm zugleich das Jenseits gesetzt, wäre es auch nur, wie im räumlichen Anschauen, neben dem Beschränkten.« (63 | 57)
Es geht in diesen Sätzen nach meinem Verständnis immer noch um eine logische Analyse der Di=erenz zwischen einem animalischen Leben, das nur auf sein »natürliches Leben beschränkt ist«, und einem seiner selbst und seiner Formen ›bewussten‹ personalen Leben. Ein solches besteht in der Teilnahme an einer Welt des Geistigen. Gerade das Wissen um den ›Tod des bloß
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natürlichen Lebens‹, die Endlichkeit des Daseins, ist ein allgemeines Wissen, das ein ›Hinausgerissenwerden‹ aus der bloßen Gegenwart ist. Der Tod als dramatisches Beispiel ›des Anderen des Lebens‹ treibt uns dazu, das natürliche Leben als ganzes in Gedanken zu vergegenwärtigen und zu vergegenständlichen – als ein klares Beispiel von Selbstbewusstsein. Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Totenehrung und der Ahnenkult wichtige Anzeichen für eine bewusste Teilnahme an einem Reich des Geistigen sind, wie Hegel später noch genauer ausführen wird. Dass das Bewusstsein »für sich selbst sein Begri= « ist, meint dann wohl, dass im bewussten Urteilen und Handeln allgemeine begri=liche Kriterien bzw. Erfüllungsbedingungen als erfüllt kontrolliert werden, und dass diese Kontrolle über das unmittelbare Gefühl der bloßen Befriedigung des einzelnen Individuums hinaus geht. Insofern aber je mein Bewusstsein im Sinn des Vollzugs im Urteilen selbst beschränkt ist, gehe ich im bewussten Urteilen über mich selbst hinaus, gerade indem ich begri=liche Kriterien des allgemein Richtigen anwende. Dass dabei mit dem Einzelnen, auf das ich mich bewusst beziehe, für mich zugleich ›das Jenseits‹ (von mir und dem bloßen Einzelnen) gesetzt ist, bedeutet dann wohl, dass es dieses Einzelne nur als Instantiierung von Allgemeinem gibt, und dass ich mich sogar auf mich selbst immer im Modus des Allgemeinen beziehe, wenn ich das bewusst tue. Das gilt schon für das räumliche Anschauen, die Verortung des Bezugsgegenstandes in einem gemeinsamen Raum. Dieser ist längst nicht mehr bloß der Raum meiner Welt und meiner Perzeptionen. Die Verortung verlangt schon ein Wissen um die eigene beschränkte Perspektive. Diese ist zu überschreiten, zu transzendieren, wenigstens so weit, dass wir praktisch etwas davon wissen, wie das angeschaute Ding von deiner oder seiner Perspektive aus erscheint, wie es von dort her aussieht oder vielleicht auch zu erreichen ist. Besonders bedeutsam wird dabei der Rückblick auf die Gegenwart aus einer zunächst vorgestellten, dann wirklichen Zukunft. Es gibt jetzt auch eine gewisse Notwendigkeit, zwischen einer
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bloß unmittelbaren, als solcher subjektiv beschränkten, Befriedigung und einer Erfüllung allgemeiner Bedingungen zu unterscheiden. Damit ist die Dauerspannung analysiert, in der sich das individuelle Bewusstsein befindet, also alles bewusste Urteilen und Schließen und jeder bewusste Gegenstands- und Weltbezug: Als individuelles Urteilen im Vollzug flieht es das Allgemeine und sucht nur das Fürsichsein, indem je ich es bin, der urteilt und alle Fremdurteile selbst kontrollieren möchte. Aber als Urteil ist mein Urteil allgemein. Das heißt, erstens, es zielt auf allgemeine Anerkennung ab. Es ist deswegen, zweitens, überindividuellen Geltungskriterien unterworfen. Es verlangt dann aber eben auch, drittens, allgemeine Anerkennung. Nur daher kann eine »Prüfung der Realität des Erkennens« stattfinden, also zwischen einem bloß subjektiven Dafürhalten und einer geglückten Erkenntnis unterschieden werden. Für diese Unterscheidung liefert ein allgemeines Vor-Wissen, bereitgestellt und kontrolliert durch die Wissenschaft, den notwendigen Maßstab. »Das Bewußtsein leidet also diese Gewalt, sich die beschränkte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst.« (63 | 57)
Das heißt, wir selbst geben uns nicht mit unseren eigenen bloß subjektiven Befriedigungsgefühlen zufrieden, wo es um transsubjektives, in diesem Sinn schon objektives, Wissen geht und nicht bloß um Gewissheit als bloß subjektiver Empfindung einer Befriedigung. Man muss nur immer wieder daran erinnern. Denn die einzelnen Personen fokussieren im Vollzug natürlicherweise immer erst auf das eigene Tun selbst, verhalten sich also zunächst rein expressiv und performativ zu dem, was sie tun. Reflektierende Kontrollen kommen sozusagen später. Das wiederum bedeutet, dass die natürliche performative Einstellung zu meinem Tun und Leben die des Spürens und Erlebens ist. Diese sind unmittelbare Regungen der Befriedigung. Sie sind nicht schon volle Selbstkontrollen im Blick auf allgemeine Erfüllungen, wie sie das Wesen des höheren Bewusstseins ausmachen. Leider bemerkt die gesamte philosophy of mind der Gegenwart nicht, dass sie mit einem völlig vagen Begri= des Bewusstseins
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oder der ›consciousness‹ operiert, solange sie die Di=erenzen zwischen Vigilanz, Gewahrsein und Aufmerksamkeit, Gewissheit und Wissen, Befriedigung und Erfüllung nicht beachtet. Auch wer irgendwelche ›Qualia‹ des empfindenden Lebens anzuerkennen bereit ist (diese sind freilich keine bestimmten Bezugsgegenstände in einem sortalen Sinn), bleibt noch lange im Vorhof der Frage, was Bewusstsein im Sinne eines wissenden Weltbezugs und Selbstbewusstsein als Selbstwissen und Selbstbestimmung ist. Es ist vielleicht etwas allzu blumig, wenn Hegel sagt, das (Selbst-)Bewusstsein erleide in der Selbstkontrolle eine Gewalt, deren Ursprung das Bewusstsein selbst sei. In dieser Rede wird aber immerhin die Normativität des Richtigen in eine Analogie zu den Normen des Rechts gesetzt, die ja auch durch eine Sanktionsgewalt gestützt werden. Im Fall des Rechts stammt die Gewalt, so scheint es zumindest, nicht unmittelbar von ihm selbst. Im Falle des Wissens aber ist es der Begri= des Wissens selbst, der jede bloße innere Gewissheit oder Befriedigung transzendiert und daher sozusagen auch von außen, von anderen Personen, auf die Erfüllung der Geltungsbedingungen hin kontrolliert werden muss. 80 f
»Bei dem Gefühle dieser Gewalt mag die Angst vor der Wahrheit wohl zurücktreten und sich dasjenige, dessen Verlust droht, zu erhalten streben. Sie kann aber keine Ruhe finden, es sei, daß sie in gedankenloser Trägheit stehen bleiben will – der Gedanke verkümmert die Gedankenlosigkeit, und seine Unruhe stört die Trägheit – oder daß sie als Empfindsamkeit sich befestigt, welche alles in seiner Art gut zu finden versichert; diese Versicherung leidet eben so Gewalt von der Vernunft, welche gerade darum etwas nicht gut findet, in so fern es eine Art ist.« (63 | 57)
Der Einzelne kann dem Gefühl der Gewissheit den Vorzug geben vor der Kontrolle der objektiven Wahrheit. Das aber kann nicht nachhaltig so bleiben, es sei denn, man stumpft einfach im Denken ab und redet nur noch daher. Ein ernsthafter Wissensanspruch kann in dieser Haltung nie erhoben werden. Was hier zur Gewissheit als eine, wie wir sehen, zu billige, Variante des theoretischen Bewusstseins gesagt wurde, gilt auch für die
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nur subjektiv ehrliche Gesinnung im Sinn der bloßen ›sincerity‹ des unmittelbaren Selbstgefühls für das praktische Urteilen und Handeln. Auch hier ist das einzelne Subjekt nicht absoluter Herr der Normenkontrolle. Selbst die ernsthafte ›accuracy‹, das gewissenhafte Streben nach eigener Kontrolle der Erfüllung von Kriterien, bleibt subjektiv und fallibel. Es folgt eine wunderbar trocken-ironische Beobachtung zu einem weit verbreiteten Missbrauch der idealen Rede über ein absolutes Wissen und eine vollkommene Wahrheit. »Oder die Furcht der Wahrheit mag sich vor sich und andern hinter dem Scheine verbergen, als ob gerade der heiße Eifer für die Wahrheit selbst es ihr so schwer, ja unmöglich mache, eine andere Wahrheit zu finden als die einzige der Eitelkeit, immer noch gescheuter zu sein als jede Gedanken, welche man aus sich selbst oder von andern hat; diese Eitelkeit, welche sich jede Wahrheit zu vereiteln, daraus in sich zurückzukehren versteht und an diesem eignen Verstande sich weidet, der alle Gedanken immer aufzulösen und statt alles Inhalts nur das trockne Ich zu finden weiß, ist eine Befriedigung [sic!, PSW], welche sich selbst überlassen werden muß; denn sie flieht das Allgemeine und sucht nur das Für-sich-sein.« (63 | 57 f.)
Da man das absolut Wahre ohnehin nie tre=en oder kennen könne, wird der Anspruch auf Wahrheit und Wissen von allen vermeintlichen Antidogmatikern und Pluralisten so weit ermäßigt, dass das bloße Eigengefühl, die subjektive Überzeugung oder der eigene Glaube ausreichen soll. Das schöne Wort »Eitelkeit« drückt die Leere (vanitas) dieser Entschuldigung aus, sich angeblich nicht weiter um Wissen und Wahrheit bemühen zu müssen. Die Folge ist, wie beim radikalen Skeptiker, der als solcher gerade der Urtypus des selbstgerechten Gegners des Wissens ist, der Kollaps jedes Denkens in ein bloß unmittelbares aber nichtiges Gefühl der Selbstzufriedenheit. Die Erbaulichkeiten dieser bloß scheinbar bescheidenen Philosophie führen ironischerweise in eine Variante der Animalisierung des Bewusstseins und Wissens, nämlich weil das unmittelbare Gefühl der Befriedigung zum subjektiven Kriterium einer vermeintlichen Geltung je für mich wird. Das
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ist eine Naturalisierung als Re-Animalisierung des Erkennens und selbstgewissen Glaubens auf relativ hohem Niveau. Diese geistige Krankheit, hervorgerufen durch eine überkluge oder überkritische Reflexionsphilosophie, besteht in der relativistischen Ermäßigung von Wissen und Wahrheit auf Gewissheitsgefühle, Mehrheitsmeinungen, Gewohnheiten und einen rein pragmatistischen Instrumentalismus oder bloß instrumentalistischen Pragmatismus. Im Folgenden reflektiert Hegel noch einmal auf das Problem des Anfangs einer kritischen Prüfung des Verhältnisses zwischen erscheinendem Wissen, was uns also das Bewusstsein zu sein scheint, und was eine echte Wissenschaft ist. Selbst-Bewusstsein wird dabei zu einer Art Wissenschaftswissenschaft. Es geht um die Kriterien dafür, was echtes Wissen ist. 81
»Wie dieses vorläufig und im Allgemeinen über die Weise und Notwendigkeit des Fortgangs gesagt worden ist, so kann noch über die Methode der Ausführung etwas zu erinnern dienlich sein. Diese Darstellung, als ein Verhalten der Wissenschaft zu dem erscheinenden Wissen und als Untersuchung und Prüfung der Realität des Erkennens vorgestellt, scheint nicht ohne irgend eine Voraussetzung, die als Maßstab zugrunde gelegt wird, stattfinden zu können. Denn die Prüfung besteht in dem Anlegen eines angenommenen Maßstabes, und in der sich ergebenden Gleichheit oder Ungleichheit dessen, was geprüft wird, mit ihm [liegt] die Entscheidung, ob es richtig oder unrichtig ist; und der Maßstab überhaupt und ebenso die Wissenschaft, wenn sie der Maßstab wäre, ist dabei als das Wesen oder als das Ansich angenommen. Aber hier, wo die Wissenschaft erst auftritt, hat weder sie selbst, noch was es sei, sich als das Wesen oder als das Ansich gerechtfertigt; und ohne ein solches scheint keine Prüfung stattfinden zu können.« (63 f. | 58)
Was ist der Maßstab, was sind die Kriterien der Wahrheit bzw. der Kontrolle von Geltungsansprüchen? Diese müssen doch, so scheint es, vorausgesetzt werden. Es wird schwer zu verstehen sein, dass die Wissenschaft nicht einfach vorgegebenen Kriterien unterworfen ist, sondern solche Maßstäbe für einzelne und
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besondere Wissensansprüche selbst setzt. Allerdings spricht die Wissenschaft nie bloß mit einer Stimme. »Dieser Widerspruch und seine Wegräumung wird sich bestimmter ergeben, wenn zuerst an die abstrakten Bestimmungen des Wissens und der Wahrheit erinnert wird, wie sie an dem Bewußtsein vorkommen. Dieses unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht; oder wie dies ausgedrückt wird: es ist etwas für dasselbe; und die bestimmte Seite dieses Beziehens oder des Seins von etwas für ein Bewußtsein ist das Wissen. Von diesem Sein für ein anderes unterscheiden wir aber das Ansichsein, das auf das Wissen Bezogene wird ebenso von ihm unterschieden und gesetzt als seiend auch außer dieser Beziehung; die Seite dieses Ansich heißt Wahrheit. Was eigentlich an diesen Bestimmungen sei, geht uns weiter hier nichts an; denn indem das erscheinende Wissen unser Gegenstand ist, so werden auch zunächst seine Bestimmungen aufgenommen, wie sie sich unmittelbar darbieten; und so, wie sie gefaßt worden sind, ist es wohl, daß sie sich darbieten.« (64 | 58)
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Zunächst beginnt Hegel erklärtermaßen im Modus des Berichts zusammen mit einem Appell an die Leser, sich daran zu erinnern, dass uns zumindest zunächst das Wissen oder das Bewusstsein so und so zu sein scheint, es uns als so und so im Vollzug bekannt ist. Es geht dann auch gleich um die schon skizzierte Destruktion der üblichen Vorstellung einer Di=erenz zwischen dem, wie die Welt an sich ist und wie sie uns erscheint – samt der These Kants, dass unser Weltwissen nur auf Erscheinungen gehe. Die Einwände oder Widersprüche werden nicht wie im Skeptizismus bloß negativ formuliert, so dass man sozusagen immer wieder bei Null anfängt, sondern es sollen sich aus ihnen bessere Verständnisse ergeben. »Untersuchen wir nun die Wahrheit des Wissens, so scheint es, wir untersuchen, was es an sich ist. Allein in dieser Untersuchung ist es unser Gegenstand, es ist für uns; und das Ansich desselben, welches sich ergäbe, [wäre] so vielmehr sein Sein für uns; was wir als sein Wesen behaupten würden, wäre vielmehr nicht seine Wahrheit, sondern nur unser Wissen von ihm. Das Wesen oder der Maßstab
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fiele in uns, und dasjenige, was mit ihm verglichen und über welches durch diese Vergleichung entschieden werden sollte, hätte ihn nicht notwendig anzuerkennen.« (64 | 58 f.)
Auch wenn wir über eine Wirklichkeit an sich reden, reden wir über sie, wie sie für uns ist – oder wäre, wenn wir sie kennen würden. Das Thema ist das Wissen. Das Wissen, das wir suchen, ist eine Art Wissen des Wissens. Seine Wahrheit sollte, so scheint es, darin liegen, was das Wissen ›an sich‹ ist – was immer das »an sich« hier bedeuten möge. Doch als Wissen des Wissens ist es unser Wissen, also ein Wissen, wie das Wissen von uns gewusst wird. Es scheint daher zunächst so, als wären wir selbst der Maßstab, was wir als Wissen anerkennen. Doch dann kollabierte das Wissen in ein Glauben. Ein Problem ist o=enbar eine Zweideutigkeit bzw. plastische Vieldeutigkeit jeder Rede über uns. Wir können eine Menge von Einzelpersonen sein, Ihr seid dann eine andere. Wir können mit dem Wort »wir« auf uns alle in einem distributionellen Sinn verweisen wollen, also jeden einzelnen Menschen, oder auf ein generisches Wir oder Man. 84 a
»Aber die Natur des Gegenstandes, den wir untersuchen, überhebt dieser Trennung oder dieses Scheins von Trennung und Voraussetzung. Das Bewußtsein gibt seinen Maßstab an ihm selbst, und die Untersuchung wird dadurch eine Vergleichung seiner mit sich selbst sein; denn die Unterscheidung, welche soeben gemacht worden ist, fällt in es.« (64 | 59)
Nicht wir, d. h. je ich, können entscheiden, was wahr ist, sondern das soll durch den Gegenstand des Wissens bestimmt sein. Damit geraten wir in eine Art Paradoxie. Denn der Gegenstand, der die Wahrheit bestimmt, muss am Ende doch ein möglicher Gegenstand unseres möglichen Wissens sein. Er kann kein transzendenter Gegenstand sein, absolut und völlig losgelöst von unserem möglichen Wissen. Die vorgestellte Überlegung ist erstens schon Teil (der Entwicklung) des wissenschaftlichen (Selbst-)Bewusstseins. Zweitens ist Wissen nicht einfach äußerer Gegenstand der Wissens- und Wissenschaftsphilosophie, son-
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dern das Wissen selbst entwickelt sich, indem es sich beurteilt, bzw. wir entwickeln unser Wissen, indem wir Wissensansprüche beurteilen und dabei immer auch über die partiell explizierten Kriterien des Wissens und Urteile urteilen. Mit anderen Worten, soweit getrennt liegen kritische Wissenschaft und wissenskritische Philosophie nicht auseinander. Dasselbe gilt für eine auf Wissenschaft reflektierende Philosophie und selbstbewusste Wissenschaft. Der Unterschied liegt nur darin, dass die Philosophie auf die Logik der von uns gesetzten Kriterien des Wahren in unserer Darstellung von Wissen achtet, nicht auf ›unmittelbare‹ Sachinhalte. Ihr Thema sind die Begri=e des Wissens, der Erklärung, und die Entwicklung von Begri= und Wissen. Daher wird Hegel auch, wenn er eine allgemeine Form paradigmatisch erläutern will, Beispiele aus ganz diversen Wissensbereichen heranziehen, was den Leser durchaus häufig irritieren wird. Das tut er, weil es um verschiedene Beispiele des Wissens geht und um die Formen des Wissens, die sich an verschiedenen Beispielen zeigen. »Es [das Bewusstsein, PSW] ist in ihm eines für ein anderes, oder es hat überhaupt die Bestimmtheit des Moments des Wissens an ihm; zugleich ist ihm dies andere nicht nur für es, sondern auch außer dieser Beziehung oder an sich, das Moment der Wahrheit. An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt [sic!, PSW], sein Wissen daran zu messen. Nennen wir das Wissen den Begri=, das Wesen oder das Wahre aber das Seiende oder den Gegenstand, so besteht die Prüfung darin, zuzusehen, ob der Begri= dem Gegenstande entspricht. Nennen wir aber das Wesen oder das Ansich des Gegenstandes den Begri= und verstehen dagegen unter dem Gegenstande ihn als Gegenstand, nämlich wie er für ein anderes ist, so besteht die Prüfung darin, daß wir zusehen, ob der Gegenstand seinem Begri=e entspricht. Man sieht wohl, daß beides dasselbe ist; das Wesentliche aber ist, dies für die ganze Untersuchung festzuhalten, daß diese beiden Momente, Begri= und Gegenstand, Für-einAnderes und An-sich-selbst-Sein, in das Wissen, das wir untersuchen,
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selbst fallen und hiemit wir nicht nötig haben, Maßstäbe mitzubringen und unsere Einfälle und Gedanken bei der Untersuchung zu applizieren; dadurch, daß wir diese weglassen, erreichen wir es, die Sache, wie sie an und für sich selbst ist, zu betrachten.« (64 f. | 59)
Die Fokussierung auf die Sache selbst ist nichts anderes als die ehrliche und akkurate Kontrolle der Wissensansprüche. Es ist dabei zu prüfen, ob die Gegenstände zu den begri=lichen Unterscheidungen und den zugehörigen Schlussfolgerungen passen oder umgekehrt die Begri=e zu den Gegenständen. Es ist daher auch völlig einerlei, ob wir das Wort »wahr« als wertendes Kontrollwort für Geltungsansprüche begreifen oder als emphatisches Wort zur Betonung der Geltung: Es wird in beiden Fällen zunächst nur versichert, dass die Kontrolle entweder durchgeführt wurde oder ›erfolgreich‹ sein wird. Wichtig ist hier zunächst nur zu sehen, was wir tun, wenn wir Wissensansprüche als wahr bewerten oder sagen, dass ein Gegenstand wirklich unter diesen oder jenen Begri= fällt. 85
»Aber nicht nur nach dieser Seite, daß Begri= und Gegenstand, der Maßstab und das zu Prüfende, in dem Bewußtsein selbst vorhanden sind, wird eine Zutat von uns überflüssig, sondern wir werden auch der Mühe der Vergleichung beider und der eigentlichen Prüfung überhoben, so daß, indem das Bewußtsein sich selbst prüft, uns auch von dieser Seite nur das reine Zusehen [sic!, PSW] bleibt. Denn das Bewußtsein ist einerseits Bewußtsein des Gegenstandes, andererseits Bewußtsein seiner selbst; Bewußtsein dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtsein seines Wissens davon. Indem beide für dasselbe sind, ist es selbst ihre Vergleichung; es wird für dasselbe, ob sein Wissen von dem Gegenstande diesem entspricht oder nicht. Der Gegenstand scheint zwar für dasselbe nur so zu sein, wie es ihn weiß; es scheint gleichsam nicht dahinter kommen zu können, wie er nicht für dasselbe, sondern wie er an sich ist, und also auch sein Wissen nicht an ihm prüfen zu können. Allein gerade darin, daß es überhaupt von einem Gegenstande weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, daß ihm etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein ist. Auf
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dieser Unterscheidung, welche vorhanden ist, beruht die Prüfung. Entspricht sich in dieser Vergleichung beides nicht, so scheint das Bewußtsein sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstande gemäß zu machen; aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst, denn das vorhandene Wissen war wesentlich ein Wissen von dem Gegenstande; mit dem Wissen wird auch er ein anderer, denn er gehörte wesentlich diesem Wissen an. Es wird hiemit dem Bewußtsein, daß dasjenige, was ihm vorher das Ansich war, nicht an sich ist oder daß es nur für es an sich war. Indem es also an seinem Gegenstande sein Wissen diesem nicht entsprechend findet, hält auch der Gegenstand selbst nicht aus; oder der Maßstab der Prüfung ändert sich, wenn dasjenige, dessen Maßstab er sein sollte, in der Prüfung nicht besteht; und die Prüfung ist nicht nur eine Prüfung des Wissens, sondern auch ihres Maßstabes.« (65 f. | 59 f.)
Wenn uns etwas so und so erscheint und wir dann sagen, dass es in Wirklichkeit so und so ist, wird nicht einfach gesagt, dass das erste Urteil falsch ist. Denn der Gegenstand des Erscheinens ist ein anderer Gegenstand, als der, den wir als Wirklichkeit hinter die Erscheinung setzen und durch den wir die Erscheinung erklären. Es ist hier nur noch einmal die schon mehrfach besprochene Dialektik der Entwicklung expliziten Wissens und expliziten Selbstbewusstseins artikuliert, wie sie sich aus dem so genannten Paradox der Analyse ergibt: Keine Explikation einer impliziten Praxis-, Urteils-, Schluss- oder Handlungsform lässt diese Formen der Praxis einfach so, wie sie zuvor waren. In der Explikation ändert sich die Praxis, aber nicht etwa so, dass etwas ganz Neues herauskommt, sondern so, dass wir die Praxis ab jetzt auch an ihrer Explikation orientieren, zumal diese immer auch Unklarheiten und Widersprüche der nicht explizit gemachten Formen der Praxis aufheben mögen. Eben daher bedarf es immer auch rationaler Rekonstruktionen methodologisch geordneter Schichten der Reflexion auf diese Explikationen: Eine explizite Praxis, gerade auch die des Wissens und der Wissenschaft, ist sozusagen aus logischen
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Gründen geschichtlich in sich reflektiert. In der Prüfung von Wissensansprüchen werden dann übrigens nicht einfach Kriterien angewendet, sondern es bewähren sich die Maßstäbe selbst – oder eben nicht. Das heißt, es kann auch in einer Wissenskontrolle der gebrauchte Maßstab scheitern und verändert werden müssen. 86
»Diese dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstande ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird. Es ist in dieser Beziehung an dem soeben erwähnten Verlaufe ein Moment noch näher herauszuheben, wodurch sich über die wissenschaftliche Seite der folgenden Darstellung ein neues Licht verbreiten wird. Das Bewußtsein weiß etwas, dieser Gegenstand ist das Wesen oder das Ansich; er ist aber auch für das Bewußtsein das Ansich, damit tritt die Zweideutigkeit dieses Wahren ein. Wir sehen, daß das Bewußtsein itzt zwei Gegenstände hat, den einen das erste Ansich, den zweiten das Für-esSein dieses Ansich. Der letztere scheint zunächst nur die Reflexion des Bewußtseins in sich selbst zu sein, ein Vorstellen nicht eines Gegenstandes, sondern nur seines Wissens von jenem ersten. Allein wie vorhin gezeigt worden, ändert sich ihm dabei der erste Gegenstand; er hört auf, das Ansich zu sein, und wird ihm zu einem solchen, der nur für es das Ansich ist; somit aber ist dann dies: das Für-es-Sein dieses Ansich,51 das Wahre, das heißt aber, dies ist das Wesen oder sein Gegenstand. Dieser neue Gegenstand enthält die Nichtigkeit des ersten, er ist die über ihn gemachte Erfahrung.« (66 f. | 60)
Menschliche Erfahrung baut nicht auf unmittelbare, begri=slose, Perzeptionen (und unmittelbare Befriedigungen von Begierden in entsprechenden leiblichen Gefühlen) auf, sondern wir machen Erfahrungen immer schon mit unseren Begri=en in ihrer AnwenObwohl im Text oft so etwas steht wie »das an sich«, folge ich hier ab jetzt denen, die »das Ansich« schreiben; wo es für den Inhalt relevant werden könnte, bleibt die Akademieausgabe in der Meiner-Version ausschlaggebend. 51
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dung auf wahrgenommene präsentische Situationen. Das heißt, wir testen unsere begri=lichen Kriterien in ihrem Gebrauch. Dabei unterscheiden wir, was etwas wirklich an sich ist und wie uns etwas bloß erscheint, wie es für uns ist. Dies bleibt unsere Unterscheidung. »An dieser Darstellung des Verlaufs der Erfahrung ist ein Moment, wodurch sie mit demjenigen nicht übereinzustimmen scheint, was unter der Erfahrung verstanden zu werden pflegt. Der Übergang nämlich vom ersten Gegenstande und dem Wissen desselben zu dem anderen Gegenstande, an dem man sagt, daß die Erfahrung gemacht worden sei, wurde so angegeben, daß das Wissen vom ersten Gegenstande, oder das Für-das-Bewußtsein des ersten Ansich, der zweite Gegenstand selbst werden soll. Dagegen es sonst scheint, daß wir die Erfahrung von der Unwahrheit unseres ersten Begri=s an einem andern Gegenstande machen, den wir zufälligerweise und äußerlich etwa finden, so daß überhaupt nur das reine Auffassen dessen, was an und für sich ist, in uns falle. In jener Ansicht aber zeigt sich der neue Gegenstand als geworden, durch eine Umkehrung des Bewußtseins selbst. Diese Betrachtung der Sache ist unsere Zutat, wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des Bewußtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt und welche nicht für das Bewußtsein ist, das wir betrachten. Es ist aber dies in der Tat auch derselbe Umstand, von welchem oben schon in Ansehung des Verhältnisses dieser Darstellung zum Skeptizismus die Rede war, daß nämlich das jedesmalige Resultat, welches sich an einem nicht wahrhaften Wissen ergibt, nicht in ein leeres Nichts zusammenlaufen dürfe, sondern notwendig als Nichts desjenigen, dessen Resultat es ist, aufgefaßt werden müsse; ein Resultat, welches das enthält, was das vorhergende Wissen Wahres an ihm hat. Dies bietet sich hier so dar, daß, indem das, was zuerst als der Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt und das Ansich zu einem Fürdas-Bewußtsein-Sein des Ansich wird, dies der neue Gegenstand ist, womit auch eine neue Gestalt des Bewußtseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist als der vorhergehenden. Dieser Umstand ist es, welcher die ganze Folge der Gestalten des Bewußtseins in ihrer
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Notwendigkeit leitet. Nur diese Notwendigkeit selbst oder die Entstehung des neuen Gegenstandes, der dem Bewußtsein, ohne zu wissen, wie ihm geschieht, sich darbietet, ist es, was für uns gleichsam hinter seinem Rücken vorgeht. Es kommt dadurch in seine Bewegung ein Moment des Ansich- oder Fürunsseins, welches nicht für das Bewußtsein, das in der Erfahrung selbst begri=en ist, sich darstellt; der Inhalt aber dessen, was uns entsteht, ist für es, und wir begreifen nur das Formelle desselben oder sein reines Entstehen; für es ist dies Entstandene nur als Gegenstand, für uns zugleich als Bewegung und Werden.« (67 f. | 60 f.)
Jede Aussage, wie etwas an sich ist, ist als Aussage von uns gemacht und daher eine Aussage von uns und für uns. Daher ist der Modus der generischen Aussagen über das Wesen der Dinge an sich auch immer ›subjektiv‹. Dennoch ist der Modus ein besonderer. Es ist also keineswegs so, dass wir außerhalb unserer Kontraste verstehen könnten, was es heißt, dass etwas wirklich so und nicht so ist, oder dass etwas an sich so ist, aber für uns anders erscheint. Analoges gilt für das Fürsichsein. In diesen Kontrasten ist das Nicht und Nichts immer abhängig von einer bestimmten Verneinung. 88
»Durch diese Notwendigkeit ist dieser Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft und nach ihrem Inhalte hiemit Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins.« (68 | 61)
Es geht um die Erfahrungen, die wir auf dem Weg der Reflexion auf den Begri= des Bewusstseins und Selbstbewusstseins machen. Und es geht um die Erfahrungen, die wir in der Kritik an unseren Wissensansprüchen machen. 89
»Die Erfahrung, welche das Bewußtsein über sich macht, kann ihrem Begri=e nach nichts weniger in sich begreifen als das ganze System desselben oder das ganze Reich der Wahrheit des Geistes, so daß die Momente derselben in dieser eigentümlichen Bestimmtheit sich darstellen, nicht abstrakte, reine Momente zu sein, sondern so, wie sie für das Bewußtsein sind oder wie dieses selbst in seiner Beziehung auf sie auftritt, wodurch die Momente des Ganzen Gestalten des Bewußtseins sind. Indem es zu seiner wahren Existenz sich forttreibt,
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wird es einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein Anderes ist, behaftet zu sein, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine Darstellung hiemit mit eben diesem Punkte der eigentlichen Wissenschaft des Geistes zusammenfällt; und endlich, indem es selbst dies sein Wesen erfaßt, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen.« (68 | 61 f.)
Während wir bisher das Wort »absolut« im Kontext der Suche nach einer von unserem Wissen losgelösten Wahrheit diskutiert haben, wird durch das ›absolute Wissen‹, von dem Hegel im letzten Satz spricht, auf etwas ganz anderes verwiesen. Es geht jetzt nämlich darum, im Durchgang durch verschiedenste Versuche der gegenständlichen Reflexion auf das, was Wissen und Wahrheit ist, über die relationalen Begri=e des Wissens, dass etwas der Fall ist oder etwas als eine richtige Inferenz anzuerkennen ist, zu der Einsicht zu kommen, dass Wissenschaft im Vollzug und Wissen im gemeinsam erfolgreichen Gebrauch absolut, ja das Absolute ist. Das heißt, dass die allgemeinen Möglichkeiten erfolgreichen Handelns, die wir in der Institution Wissenschaft im Umgang mit Welt, Sprache und Mitmenschen entwickeln, indem wir sie aktualisieren und im Vollzug als erfolgreich anerkennen, nicht mehr ›relational wahr‹ im Sinne bloß subjektiver Überzeugungen sind, sondern sich in ihren faktischen Orientierungsleistungen bewähren. Das ist dann auch eine der Grundeinsichten von William James, deren hegelianische Herkunft zwar allgemein bekannt ist, aber im Detail erst jetzt durchsichtig wird. Zugleich denkt der Amerikanische Pragmatismus zumindest gelegentlich allzu instrumentalistisch und hängt einem methodischen Individualismus an, der jede generische Rede über Praxisformen aufgrund ihrer logischen Komplexität vermeidet und sich am Ende auf das bloße Verhalten der Einzelindividuen zurückzieht, wenn auch unter Einbezug eines Sozialverhaltens und der sozialen Kunst der Sprache als Sozialtechnik (W. V. Quine) bzw. der gegenseitigen Kontrolle der Einhaltung von Normen und Regeln in Sprachspielen (David Lewis) und anderen Rollen-
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spielen mit Status-Zuschreibungen, inferentiellen Commitments oder Verpflichtungen und Entitlements oder Erlaubnissen (Robert Brandom).
Teil 2 Sinnliches und denkendes (Selbst-)Bewusstsein (A.) Bewusstsein Thema des Bewusstseinskapitels in Hegels Phänomenologie des Geistes ist der Begri= des Bewusstseins, des Mit-Wissens im Wahrnehmen und Handeln. Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung ist zwar zunächst durchaus die klassische Bewusstseinsphilosophie nach Descartes, aber weit über diese hinaus auch eine allgemeine, scheinbar selbstverständliche, Auffassung davon, was Bewusstsein sei. In gewissem Sinn gehört jedes Verständnis davon, was Bewusstsein ist, schon zum Selbst-Bewusstsein. Das unmittelbare Verständnis dessen, was Bewusstsein ist, könnte man daher auch als ein unmittelbares Selbst-Bewusstsein ansehen. Es stellt sich aber als ein solches Bewusstsein über sich selbst oder als ein solches Selbst-Bewusstsein heraus, das über sich selbst noch nicht aufgeklärt ist. Insofern ist das unmittelbare Selbstbewusstsein nur erst ganz naiv, etwa bloße Selbstwahrnehmung. Das naive Selbstbewusstsein und mit ihm die zugehörige Bewusstseinsphilosophie geht also von einem unmittelbaren und eben damit ungeklärten Verständnis dessen aus, erstens, was Bewusstsein ist, zweitens, was »Selbst« bedeutet. Gemeint ist natürlich: Wir gehen im unmittelbaren Vollzug von einem unreflektierten Verständnis dessen aus, was Bewusstsein ist, was wir (Besonderes) tun, wenn wir etwas bewusst erfahren, und wer wir sind, die wir in einer besonderen Weise ein Bewusstsein von etwas haben. Das »Wir« ist hier zunächst distributiv zu lesen: Je ich gehe in meinem zunächst bloß impliziten oder empraktischen Verständnis, was Bewusstsein ist, und wer ich bin, vom unmittelbaren Vollzug und nicht vom reflektierten Begri= aus.
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Es ist nicht immer einfach zu sehen, wie die abstrakten Ausdrucksweisen Hegels in die konkreteren der Ich- oder der WirPerspektive und das je im distributionellen oder im generischen Modus zu übersetzen sind. Aber sie sind immer so zu übersetzen. Denn sie wollen und sollen verschiedene Ebenen oder Stufen des Selbstbewusstseins in ihren grundsätzlichen Formen explizit machen, artikulieren. Und sie tun dies unter einem Appell an den Leser, die Projektion der abstrakten Sätze auf seine ›Erfahrungen‹ mit sich und der Welt selbst vorzunehmen. Dabei sei schon jetzt auf eine in Interpretationen Hegels häufig diskutierte Schwierigkeit hingewiesen, und zwar indem auch gleich eine Antwort gegeben wird: Es ist nämlich zu bemerken, dass als das Thema des Buches zunächst das »Bewusstsein« und das »Selbstbewusstsein« angegeben wird, so dass es so scheint, als werde der Überlegungsgang geändert, wo die Titel »Vernunft« und »Geist« auftreten. Aber in unseren Sprachen sind wir aus systematischen Gründen häufig veranlasst, ein einziges Wort sowohl als Oberbegri= als auch als Unterbegri= zu gebrauchen. So steht z. B. »Katze« sowohl für die Gattung der katzenartigen Tiere unter Einschluss der Großkatzen, als auch für die Art, nämlich unsere Hauskatzen, etwa in Gegenüberstellung zu Wildkatzen, und obendrein für eine weibliche Katze im Unterschied zu einem Kater. Entsprechend bedeutet »man« im Englischen je nach Kontext »Mensch« und »Mann«. Hegel ist sich dieser höchst allgemeinen logischen Form und Plastizität unserer Sprache bewusst und versucht gar nicht erst, wie viele neuere Sprachreformer, immer kontextinvariante Unterscheidungen mit eindeutigen Ausdrücken zu verbinden, was im Extremfall zu einem Ausdruck wie »herstory« (gegen: »his story«) für eine von Frauen für Frauen unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Frauen geschriebenen Geschichte führt – um von den StudentInnen und ähnlichen Neologismen gar nicht weiter zu reden. Die Vorstellung, das grammatische Geschlecht müsse das natürliche abbilden, ist erstens eine Folge sprachlicher Unbildung, zweitens ein Anglizismus und drittens ein fehlplatzierter,
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weil rein äußerlicher und billiger, aber völlig irrelevanter Versuch der Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit. Daher werde ich auch nicht künstlich weibliche Beispiele in den Sätzen produzieren, wie das im politisch korrekten Schreiben heutzutage üblich geworden ist. Es sollte wohl reichen, dass das wichtigste Wort für einen geistig entwickelten Menschen, die Person, weiblich ist. Die Überlegungen zur normalen Grammatik der Sprache sind wichtig, weil Hegel in einem gewissen Sinn die Worte »Verstand«, »Vernunft« und »Geist« als Untertitel unter die Obertitel »Bewusstsein« und »Selbstbewusstsein« setzt, nämlich insofern, als die Analysen dessen, was »Verstand«, »Vernunft« und »Geist« sind, Teilanalysen der Frage sind, was »Bewusstsein« und »Selbstbewusstsein« sind. Jedes Ergebnis ist also jeweils nur als Teilantwort zu begreifen. Andererseits wird das Bewusstsein und Selbstbewusstsein eines einzelnen Subjektes (sozusagen im Ich-Modus) einem allgemeinen und gemeinsamen Bewusstsein und Selbstbewusstsein (sozusagen im Wir-Modus) gegenüber gestellt. Es wird gezeigt, inwiefern das letztere Voraussetzung und Rahmenbedingung des ersteren ist. Das ist es als allgemeiner Geist, nicht etwa bloß eines Volkes in einer bestimmten Zeit, sondern im Ganzen gesehen als Projekt des Wissens der Menschheit: Dieses ist in seiner Realisierung durch uns der ›Geist der Welt‹. In dieser Gegenüberstellung erkennt man, was es bedeutet, wenn Bewusstsein mit einem bloß subjektiven Bewusstsein (etwa des bloßen Gewahrseins) und Selbstbewusstsein mit einem nur subjektiven Selbstbewusstsein identifiziert wird. Am Ende geht es um die kompetente Teilnahme am allgemeinen Geist. Es gilt zu begreifen, wie Bewusstsein durch Wissen bedingt ist und zugleich Wissen bedingt. Das Bewusstsein und das Selbstbewusstsein sind daher zunächst als subjektives Bewusstsein und individuelles Selbstbewusstsein Thema der ersten Abschnitte der Phänomenologie des Geistes. Danach sind Bewusstsein und Selbstbewusstsein Thema unter den ambivalenten Titeln der Vernunft und des Geistes.
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Der Begri= der Vernunft wird dann aber ebenfalls disambiguiert in der Unterscheidung zwischen einem bloß subjektiven Appell an ›die Vernunft‹ und einem allgemeinen Verständnis der Form vernünftiger Urteile. Dieses allgemeine Verständnis führt zur Reflexion auf die allgemeinen Formen des Geistes und damit der Kultur der Menschen. Schon in der Religion werden diese Formen implizit in ihrer Bedeutung erkannt und gefeiert. Damit werden sie wenigstens empraktisch als konstitutiv für ein humanes Leben verstanden. Partiell werden die Formen der Reflexion, wie sie sich in religiöser Rede und religiöser Praxis zeigen, sogar selbst schon als Institutionen begri=en, denen es um ein bewusstes Verhältnis des Einzelnen zum Reich des Geistes geht. Aber, und das ist die zentrale Einsicht Hegels, erst in der Philosophie, von Heraklit und Plato bis Kant, wird die Seinsweise des Geistes angemessen begri=en. Die zentrale Aufgabe der Philosophie ist dabei immer schon, nicht erst seit dem 17. und 18. Jahrhundert, die Verweltlichung der Religion einerseits, die Verwandlung jeder bloß dogmatischen Theorie über das Geistige in ein Wissen über die gemeinsame Entwicklung einer Kultur der Vernunft andererseits. Dabei müssen auch die Überzeugungssysteme der so genannten wissenschaftlichen Aufklärung entsprechend verwandelt werden. Erst damit wird ein allgemeines Selbstbewusstsein der Menschen oder Menschheit als allgemeines Subjekt aller geistigen Tätigkeiten erreichbar. Es geht also gerade auch darum, uns selbst als die Akteure und Herren und nicht bloß als die Objekte der Wissenschaften vom Menschen in der Welt zu begreifen. Dabei deutet Hegel all dies als Auslegung der ursprünglichen Einsicht des Aristoteles in die Rolle der Philosophie. Es geht darum, ein selbstbewusstes Wissen von dem, was Wissenschaft ist, bereitzustellen. Ziel ist die no¯esis no¯ese¯os, ein explizites Wissen darüber, was Wissen ist. Das Problem ist, dass das implizite Wissen und das empraktische Können, das wir im Vollzug beherrschen, ein explizites Wissen über uns selbst und das Verhältnis von Wissensanspruch und Wahrheit noch nicht einfach enthalten. Vielmehr blenden wir dieses logische Meta-Wissen im impliziten
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Vollzug unserer kognitiven Kompetenzen gerade immer aus. Jeder Vollzug ist objektorientiert. Eben daher ist er nicht auf sich selbst gerichtet. Er ist immer nur implizit in sich reflektiert. Wie das Wissen im Vollzug, so ist also auch jede objektbezogene Naturwissenschaft immer nur auf den Gegenstand des Wissens fokussiert, nicht auf den Vollzug und die Form des Wissens selbst. Man achtet dabei nicht auf die Form dieses Vollzugs, sondern unterstellt diese Form empraktisch. Man reflektiert nicht auf die Normen des Richtigen, sondern gebraucht sie. Aus diesem völlig sinnvollen und logisch sogar unausweichlichen Grund, nicht etwa aufgrund von Mängeln im Bewusstsein der Akteure, der Wissenschaftler, ist die Naturwissenschaft notwendigerweise subjektblind oder, um dasselbe in der Sprache Heideggers auszudrücken, seinsvergessen. Die Wissenschaft denkt nicht in dem Sinn, als sie nicht über sich als Institution nachdenkt, sondern nur über ihre Gegenstände. Entsprechendes gilt auch für das einzelne Subjekt, soweit es objektzentriert denkt. Es gilt für alle seine besonderen Vollzüge im Ich-Modus. Es gilt aber auch für das generische, allgemeine Wir-Subjekt, die Wissenschaft als Institution. Daher ist es eine eigene Aufgabe der Philosophie, auf den Geist als das Gesamt der Formen einer allgemeinen Entwicklung menschlicher Kultur zu reflektieren und diese Formen explizit zu machen. Zunächst aber beginnt Hegel ganz explizit mit einem Bewusstsein, das als epistemischer Bezug auf Gegenstände in der Welt verstanden wird: »Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist« (Absatz Nr. 90). Zunächst mag es so scheinen, als sei dieser Satz, erstens, unmittelbar klar und wahr, und als werde er, zweitens, von Hegel als eine Art Prämisse für die weiteren Überlegungen behauptet. Der Leser sollte aber vorsichtig sein. Denn es könnte ebenso gut sein, dass Hegel bloß eine vermeinte, zumindest ambivalente, Klarheit und Wahrheit aufzeigt. Dann wäre der Modus seines Beginns der Untersuchung eher dieser:
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Wenn wir uns das Wissen zum Gegenstand machen, dann scheint es zumindest so zu sein, dass wir sagen müssen: Wenn jemand weiß, dass φ, dann muss φ auch wahr sein. Man kann nur das wissen, was es gibt, also was wahr ist. Das sagt schon Parmenides. Als Wissen aber muss es, so scheint es, fundiert sein in einem unmittelbaren Wissen, also in einem Wissen von etwas, das da ist oder besser irgendwo hier ist, und das wir unmittelbar als ein Wissen kontrollieren können. Dieser Gedanke führt zur Idee des Empirismus, das Wissen in der sinnlichen Gewissheit zu fundieren, also darin, was durch unsere Sinne als hier oder da ausgewiesen ist. Dabei darf noch keine Modellkonstruktion oder ›begreifende‹ Vorstellung dazwischen kommen: Was da ist, soll irgendwie unmittelbar sensuell perzipiert sein. Diejenige Bewusstseinsphilosophie, die von einem solchen Verständnis ausgeht, und die »von dem Auffassen das Begreifen abzuhalten« (Nr. 90) versucht, ist, wie gesagt, weitestgehend mit der Tradition des Empirismus, von Locke über Berkeley bis Hume zu identifizieren. Sie versucht, unmittelbar auf die empirischen und dann bei Kant auch auf die begri=lichen Vorbedingungen menschlicher Erfahrung zu reflektieren. Eine breite Spur führt von hier bis zu Husserls Phänomenologie und in den Aufbau von Weltbezügen im Ausgang von subjektiven Sinnesempfindungen im logischen Empirismus, bei Russell, Ayer und dem frühen Carnap. Wenn daher eine gewisse Tradition der Philosophiegeschichtsschreibung Hegel selbst dieser ›Bewusstseinsphilosophie‹ zurechnet, wird der Bote für die Nachricht kritisiert. Der Grund für eine solche verfehlte Kritik ist wohl dieser: Es wird der Redemodus der Erwähnung (mention) – etwa eines Urteils – nicht von seiner Anerkennung im eigenen Gebrauch (use) unterschieden. Im eigenen Urteilen gebrauchen wir nämlich allgemeine Formen etwa des Ausdrucks und erkennen diesen Gebrauch empraktisch, im Vollzug, selbst als irgendwie richtig, als wahr oder wenigstens als richtungsrichtig an. Eben damit übernehmen wir als die jeweils Urteilenden mehr oder minder schon allgemein bestimmte Begründungsverpflichtungen (commitments) und artikulieren im
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Urteil gewisse ebenfalls allgemein bestimmte Inferenzerlaubnisse (entitlements) für die angesprochenen Hörer oder Leser. So gehen z. B. die Urteile von Jürgen Habermas oder auch Ernst Tugendhat über Hegels Denken auf geradezu ironische Weise in die Irre, weil in ihnen der Kritiker Hegel für das von ihm Kritisierte und dabei natürlich Erwähnte kritisiert wird – und wenn auch nur deswegen, weil diese Autoren sich allzu sehr auf Dieter Henrichs bewusstseinsphilosophische Interpretationsansätze verlassen. Was Henrich nämlich für die Position Hegels hält, ist nach meinem Urteil weitestgehend die Position, die Hegel als nichtig, also sinnleer oder sinnlos kritisiert. Es ist die Position des Descartes und die immer noch ›cartesische‹ Position Fichtes. Dieser zufolge sind wir uns unserer selbst unmittelbar bewusst. Diese Position ist aber gerade zu destruieren. Ich weiß keineswegs unmittelbar von mir, wer ich bin, ich weiß noch nicht einmal unmittelbar, was Denken, Wissen und Bewusstsein ist, auch wenn mir das so erscheinen sollte. Descartes meint zwar, ich sei meiner selbst im Vollzug des Zweifels an einem beliebigen Wissensanspruch als Kritiker, Denker oder Sprecher bewusst. Doch wessen ich mir da unmittelbar bewusst sein soll, ist durchaus höchst unklar. Es ist jedenfalls weder mein Kopf noch mein Leib, weder meine Seele noch mein Geist, auf die ich mich dabei beziehe – jedenfalls nicht so, wie man das zumeist versteht. Allerdings betont Hegel, dass man zu einer richtigeren Sicht nur im Durchgang durch diese sich am Ende als Holzwege erweisenden Überlegungen gelangt, und zwar weil diese nicht einfachhin falsch, sondern eben immer nur einseitig bzw. ambivalent sind. Hegels Analysemethode ist dabei durchaus klassisch: Es werden Ambivalenzen im Verstehen bzw. Ambiguitäten in entsprechenden Begri=en aufgewiesen, welche inferentiell zu Widersprüchen, Dilemmata oder Paradoxien führen und damit eine vermeintlich wohldefinierte und für inferentielle Orientierungen brauchbare Di=erenzierung als sinnleer, nichtig oder unbrauchbar erweisen. Das Problem wird behoben durch Disambiguierungen oder kontextuelle Di=erenzierung.
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Ausgangspunkt ist dabei die Einsicht, dass wir faktisch nie davon ausgehen sollten, es würden sich aus unseren Begri=en realiter nie Widersprüche ergeben. Das Gegenteil ist der Fall. Der Prozess der sinnanalytischen bzw. sinnexplikativen Aufhebung von Verstehensproblemen ist nie endgültig abgeschlossen. Wer anderes meint, vertritt die Position eines formalistischen Idealismus in Sachen Semantik. Das heißt, er nimmt das Ideal und Ziel der begri=lichen Arbeiten schon als erreicht an und redet über Bedeutungen, als wären es Gegenstände in einem übersinnlichen Reich ewiger Ideen. Er hält daher begri=liche Revisionen für unnötig. Hegel ist dagegen semantischer Realist in dem Sinn, als die Bedeutungsbestimmungen von Wörtern und Sätzen immer erst so klar sind, wie es der Stand der bisherigen gemeinsamen Arbeit am Begri= eben erlaubt. Als ein solcher semantischer Realist ist Hegel in einem gewissen Sinn semantischer Fallibilist (wenn es, rein zu Übersichtszwecken, doch auch einmal erlaubt sein sollte, von derartigen Ismen zu reden). Das heißt, Hegel sieht, dass in der Semantik die diachrone Entwicklung materialbegri=licher Kriterien (Normen, Prinzipien und Regeln) zu beachten ist, in welcher wir das allgemeine Verstehen und selbstbewusste Begreifen selbst immer weiter entwickeln. Die zentrale These Hegels, sofern überhaupt von einer These gesprochen werden sollte, besteht nun in der Tat in einer fundamentalen Kritik an jeder Bewusstseinsphilosophie, also an jedem unmittelbaren Verständnis von Bewusstsein oder jedem naiven Selbstbewusstsein im geschilderten Sinn. Die Kritik besteht zunächst im Aufweis, dass es einen unmittelbaren Bezug zu den Gegenständen sinnlicher Empfindungen gar nicht gibt, dass also der gerade im Empirismus prominente ›Begri=‹ der sogenannten unmittelbaren inneren ›Erfahrung‹ völlig leer ist. Das heißt, erstens, dass es einen Bereich ›unmittelbarer Erfahrungen‹ im Sinne einer Mannigfaltigkeit direkter (Sinnes-)Empfindungen bzw. Sinnesdaten nicht gibt, jedenfalls nicht so, dass in ihm irgendetwas unterschieden oder bestimmt wäre, zweitens, dass die Rede über einen solchen Bereich und über sogenannte Sinnesdaten sinnleer und bezugslos ist. Dem ist
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so, gerade weil jede vermeintliche Bezugnahme auf dieses und nicht jenes Sinnesdatum rein willkürlich wäre, weil wir also weder richtig noch falsch auf ›unmittelbare‹ Sinnesdaten oder Sinnesempfindungen oder direkte ›innere Erfahrungen‹ Bezug nehmen können. Das wiederum liegt daran, dass jeder Bezug auf etwas in seinen normativen Bedingungen des erfolgreichen Bezugs von einem nicht erfolgreichen Bezugnahmeversuch allgemein und nicht willkürlich unterschieden sein muss. Dazu bedarf es der Unterscheidung zwischen Befriedigung und Erfüllung, wie ich sie hier nennen möchte. Es stellt sich damit, drittens, die gesamte Rede über eine reine ›innere Erfahrung‹ (›inner experience‹) als ganz irreführend heraus. Die Mannigfaltigkeit von unmittelbaren Empfindungen, von welcher auch Kant spricht, ist ›ine=abile‹. Das heißt, sie bildet keine sortale Menge von Einzelgegenständen, über die wir einzeln sprechen könnten. Es gibt dementsprechend keine bestimmten oder als Einzelne artikulierbaren bzw. wiedererkennbaren Sinnesdaten als sinnvolle Gegenstände eines redenden oder wahrnehmenden Gegenstandsbezugs. Aber auch der vermeintlich unmittelbare Selbstbezug auf mich als ein direktes Vollzugssubjekt des Empfindens, Wahrnehmens, Anschauens oder dann auch des Meinens, Urteilens und Denkens erweist sich als völlig leer und nichtig: Ein solches wahrnehmendes oder denkendes Subjekt, dem die ganze Welt unter Einschluss des eigenen Leibes als Gegenstand der Empfindung, Wahrnehmung, Anschauung oder dann auch der Meinung oder des Denkens vermeintlich gegenübersteht, gibt es nicht. Das zeigt Hegel in einer Art negativen Dialektik oder Destruktion unmittelbarer (Selbst-)Verständnisse. Hinzu kommt dann noch der Aufweis, dass das naive Selbstbewusstsein bzw. das naive Verständnis dessen, was Bewusstsein ist, zentrale Di=erenzierungen übersieht. Es gibt hier wichtige begri=liche Ambiguitäten. Jedes vermeintlich unmittelbare Verständnis von Bewusstsein meint nämlich entweder bloß die aufmerksame Perzeption, wie sie auch höhere Tiere haben, oder sie konfundiert diese mit den erst noch zu di=erenzierenden Begri=en einer
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längst schon begri=lich gefassten Apperzeption und einer längst schon durch gemeinsame Normen des rechten Perspektivenwechsels geformten gemeinsamen wahrnehmenden Anschauung von Dingen und Prozessen in räumlichen und zeitlichen Ordnungen. Es gilt außerdem: Bewusstsein im höheren Sinn gibt es nicht ohne ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein im Sinn einer Kontrolle der Kriterien des Richtigen, wie dies erst möglich wird, wenn wir zwischen unmittelbaren Dispositionen, sich so oder so zu verhalten oder gefühlsartig zu urteilen, und einem echten, vielleicht sogar nach dem jeweiligen Stand der Kunst und des Wissens richtigen Handeln und Urteilen unterscheiden können, und damit zugleich zwischen einem unmittelbaren Gefühl der Befriedigung und der Erfüllung von längst nicht mehr unmittelbaren Normen des Richtigen. Daher lässt sich der volle Begri= des (menschlichen) Bewusstseins nicht zureichend erläutern ohne eine Analyse des Begri=s des Selbstbewusstseins bzw. des Begreifens der Begri=lichkeiten, die uns allererst zu denkfähigen und bewussten Personen machen. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass uns das Selbstbewusstsein, nicht etwa bloß sein Begri=, in seiner Gegebenheits- oder Seinsweise gerade nicht unmittelbar zugänglich ist, behandelt Hegel dann erst in einem nächsten Abschnitt. Es ist aber jetzt schon zu bemerken, dass jede Interpretation, welche dieses negative Ergebnis im Blick auf ein vermeintlich unmittelbares »Wissen« über eine sinnlich zugängliche Welt (›das Diese‹) oder über sich selbst (›das Meinen‹) und damit auch auf ein vermeintlich unmittelbares Selbstbewusstsein nicht anerkennt oder gar übersieht, an Hegels Überlegungsgang und Argumentation nicht bloß meilenweit vorbeigeht, sondern nicht einmal im Ansatz dessen Richtung und Zielsetzung erkennt.
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Kapitel I Die sinnliche Gewissheit, das Diese und das Meinen Thema des Abschnitts zur sinnlichen Gewissheit ist, wie skizziert, eine Kritik der Idee, wir könnten bei der Entwicklung eines richtigen (wahren oder vernünftigen) Verständnisses unserer selbst und unserer Lage in der Welt ausgehen von unseren je eigenen unmittelbaren ›Erfahrungen‹ (experiences) und ›Selbsterfahrungen‹, unter Einschluss von ›Empfindungen‹, die wir als eine Art unmittelbares Gefühl in uns zu finden meinen. Es gibt keinen unmittelbaren Bezug auf je dieses, was ich also gerade wahrnehme, oder, wie bei Descartes, keinen direkten Bezug auf mich als das Subjekt des Vollzugs des Wahrnehmens und Denkens. Nicht anders steht es dann aber auch mit dem, was ich unmittelbar ›meine‹, oder auch nur zu meinen meine, was ich also als Urteil unmittelbar anerkenne. Auch dieses ist mir keineswegs unmittelbar gegeben, obwohl mir das zunächst so scheinen mag. Erst recht bin ich mir selbst nicht unmittelbar als Vollzugssubjekt des Meinens oder Denkens bekannt, trotz aller vermeintlichen Selbstgewissheit des denkenden Subjekts, wie sie eben Descartes behauptet und wie sie durchaus schon bei Augustinus, ja schon im Corpus Platonicum, nämlich im Dialog Alkibiades I, thematisch wird. Die zunächst negative Kritik an jeder vermeintlichen Unmittelbarkeit wird zu einer positiven Einsicht, die man so artikulieren könnte: Jeder Bezug auf ein Dieses setzt die Unterscheidung von einem Anderen und damit eine wenigstens rudimentäre räumliche Anschauung voraus, wie sie schon weit jenseits dessen liegt, was Tiere perzipieren, also wie sie auf dieses . . . oder jenes andere . . . bloß di=erentiell reagieren. Damit entsteht aus der Kritik an der unmittelbaren Gegebenheit eines Dieses eine Begründung dessen, was Kant zur räumlichen Anschauung sagt. Allerdings wird das alles bei Kant bloß aus der Sicht eines generisch-transzendentalen Ichs formuliert. Das geschieht also ohne explizite Einsicht in die Rollen des Du, also auch der Kontraste in dem,
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was wir, ihr, er oder sie wahrnehmen (können). Daher erscheint der Raum bei Kant als Form je meiner Anschauung statt als Form unserer gemeinsamen Bezugnahme auf eine einzige Welt. Dies ist zunächst vermittelt über den präsentischen Gesichtsraum des Anschaubaren, dann der gedachten Platzierung aller Dinge und Ereignisse in eine einzige Raumzeit. In unserem menschlichen Weltbezug ist diese Form der gemeinsamen räumlichen Platzierung von Dingen in der Tat immer schon präsupponiert. Räumliche Anschauung in diesem vollen Sinn setzt zum Beispiel immer schon eine gemeinsame Praxis des Perspektivenwechsels auf denselben Gegenstand meiner oder deiner, also unserer, Anschauung voraus. Vorausgesetzt sind empraktische Bestimmungen dafür, wie wir uns auf dasselbe Objekt oder Ding in einer gemeinsamen Anschauung beziehen können, und was es heißt, dabei von »meiner« bzw. von »deiner« Anschauung zu sprechen. Mit anderen Worten, so unmittelbar, wie uns die Deixis erscheint, mit ihrer Unterscheidung zwischen diesem und jenem, ist sie nicht. Dabei dient auch in meiner Darstellungsform, wie bei Hegel, die Nominalisierung in der Rede von einem Diesen und einem Anderen, von einem Subjekt oder Ich, einem generischen Wir oder einer realen Wir-Gruppe, nur dazu, auf allgemeine Weise über den (natürlich variablen) Gebrauch der Wörter »dies« und »jenes andere«, »ich« und »wir« bzw. oder über äquivalente Zeigehandlungen auf dieses oder jenes oder über im Vollzug eines Tuns implizite ›Selbstbezüge‹ zu reden.
9. Das Evasive der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit Ein unmittelbares Wissen von dem, was es wirklich gibt, gibt es nicht, auch nicht von uns selbst als denkenden Wesen. Für den ersten Teil können wir Descartes folgen: All unser Wahrnehmen und Erfahren ist vermittelt durch unsere Sinne und dann auch durch unsere Erinnerungen, Assoziationen. Insbesondere aber
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ist es vermittelt durch unser Denken. Insoweit in der Nachfolge des Descartes auch Locke und Hume eben daran erinnert haben, behalten sie durchaus Recht. Mit anderen Worten, diese Einsicht des Empirismus ist aufzubewahren. Zu überwinden und aufzuheben ist dagegen die bei diesen Autoren ebenfalls zu findende, der skizzierten Einsicht aber geradezu widersprechende, Meinung, es gäbe so etwas wie unmittelbare Gegenstände der Sinneswahrnehmung (Perzeption), und zwar entweder, wie beim hyperkritischen (skeptizistischen) Hume, im Sinn der ›internen‹ Gegenstände innerer Sinnesempfindungen, oder, wie in einem naiven Realismus, als Meinung, wir nähmen die Dinge und Sachen, Ereignisse und Prozesse unmittelbar so wahr, wie sie in Wirklichkeit sind. Semantisch wohlbestimmte Gegenstände der Empfindungen gibt es aber nicht, und zwar weil es überhaupt keine Gegenstandsform ohne begri=liche Bestimmung des zugehörigen (vorzugsweise sortalen) Gegenstandsbereiches (mit wohldefinierter Ungleichheit oder Verschiedenheit der Gegenstände und einer entsprechenden Gleichheit) gibt. Dinge als Gegenstände sind gerade auch daher immer nur vermittels einer Erfüllung begri=licher Bedingungen zugänglich. Eine dritte, schwankende, Position nimmt der Szientismus ein, der als solcher zunächst Physikalismus ist. Dieser anerkennt einerseits, dass unser epistemischer Zugang zu den Dingen und Sachen der Welt vermittelt ist durch die Sinne. Diese deutet er unmittelbar als kausale Wirkungen der Dinge und Ereignisse auf unseren Leib. Dabei wird das Wissen über die reale Existenz sowohl der wirkenden Dinge und der wirkenden Kräfte, als auch der Wirkungen in meinem Leib einer besonderen Wissenschaft, der Physik entnommen. So nimmt etwa Quine an, ›die Physik‹ unter Einschluss jeder Art von Sinnesphysiologie und kognitiver Verarbeitungstheorie sei die (von uns eingesetzte und auch anzuerkennende) Instanz, in der entschieden wird, was es wirklich gibt, nämlich am Ende nur physische Dinge und ihre Wirkungen auf physische Körper, etwa auch unseren Leib. Hinzu kommt, wie das, was es wirklich gibt, unsere behavioralen Reaktionen auf
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›Eindrücke‹ bestimmt und welche Rolle dabei ›Vorstellungen‹ qua symbolische Repräsentationen und das Operieren mit ihnen spielen. Das Problem dieser Haltung ist: Woher wissen wir, erstens dass das, was ›die Physik‹ sagt, oder die Physiker sagen, die absolute Wahrheit ist, zweitens dass das, was die Physikalisten sagen, nämlich dass die Physik am Ende auch alle wirklichen Wahrheiten enthält, wahr ist? Nun ja, es geht dem Physikalismus nicht um Wahrheiten, sondern um Gegenstände, und zwar um konkret existierende, nicht um Abstrakta wie Zahlen oder Geld oder Universitäten. Doch das macht die Sache nicht besser, wie wir sehen werden. Zunächst erscheint nämlich die These, die Physik entscheide darüber, was wirklich existiere und wirklich wahr sei, als ein rein dogmatischer Glaube, in dem sozusagen die Priester der Religion durch die Experten der betre=enden Wissenschaft ersetzt werden. Womit verdienen diese Experten das große Vertrauen, das man in sie setzt oder das sie von sich aus beanspruchen? Oder ist es gar nicht die Wissenschaft, sondern das falsche Verständnis dessen, was Wissenschaft ist, das uns hier in die Irre führt? Wenn einer, der mit einiger Mühe Atomspaltungen beherrscht, schon meint, dass er alles wisse, dann ähnelt er durchaus dem weisen Magier oder Propheten, der meint, weil er ein wenig weiser ist als das Volk, alles zu durchschauen. Nun wird zwar niemand behaupten wollen, die heutige Physik wäre infallibel. Daher meinen die Leute, die glauben, dass das, was die Physik sagt, die absolute Wahrheit ist, in Wirklichkeit wohl nur dieses: Das was wirklich wahr ist, könnte man im Rahmen ›der Physik‹ wissen – wobei wohl auf ewig o=en bleiben wird, was man alles unter den Titel »Physik« zu setzen gedenkt. Immerhin will man damit so etwas sagen wie: Das prinzipiell mögliche physikalische Wissen im Sinne des im englischen Sprachraum leider allgemein verderbten, weil inzwischen auf die Naturwissenschaften eingeschränkten, Wortes »science« sei das Kriterium dessen, was als wirklich oder objektiv wahr zu gelten hat und
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was objektiv existiert. Aber selbst wenn man dies meint, unsere Frage, was der gute Grund für diese Meinung sein könnte, ist damit noch nicht beantwortet. Woher also meint man zu wissen, dass diese Überzeugung nicht selbst ein willkürliches oder auch nur vorschnelles Urteil ist? Ist es nicht bloß ein dogmatischer Glaube, der auf reiner Willkür beruht? Und wie wären die Kriterien, die innerhalb der Wissenschaft angewendet werden, um über Wahrheit und Falschheit, Wissen und Irrtum zu unterscheiden, ihrerseits zu verstehen und kritisch zu kontrollieren? Auch diese Frage muss beantwortet werden, wenn wir Wissen nicht in einen bloßen Glauben kollabieren lassen wollen. Was also wissen wir über den Unterschied und den Zusammenhang zwischen einem bloß möglichen Wissen der Naturwissenschaft und den realen Wissensansprüchen heutiger Naturwissenschaft? Wie verhalten sich bloß faktische Überzeugungen zu einem ›wirklichen‹ (idealen) Wissen? Und was meint man in ›der Naturwissenschaft‹ über diese Zusammenhänge zu wissen? Wenn es keinen derartigen Zusammenhang gäbe, dann würde die These, die Naturwissenschaft sei der Maßstab jeder Objektivität und Wahrheit, ganz leer. Wir wüssten dann nicht, was ein ideales oder prinzipielles naturwissenschaftliches Wissen wäre. Kurz, die These von der Naturwissenschaft als Maß der Objektivität und Wahrheit ist viel weniger klar und noch weniger begründet, als ihre Vertreter in ihrem pathetischen Lobpreis wissenschaftlicher Aufklärung meinen. Daher ist die Scientia-Mensura-These bei Wilfrid Sellars, nach welcher die Naturwissenschaft entscheide, was existiert und was nicht, durchaus höchst obskur. Sie wird unglücklicherweise massiv fragwürdig durch die schon erwähnte englischsprachige Identifikation von science mit physikalischer Naturwissenschaft, was wiederum ein Zeichen ist für die Virulenz des Szientismus als einer Art von Volksaberglauben oder jedenfalls als einer allgemeinen Gedankenlosigkeit. Insbesondere werden in der Physik die realen Körperdinge der Welt, welche meine Sinnesempfindungen ›verursachen‹, einfach als bekannt und gegeben unterstellt. Das gilt zum Beispiel auch
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für Quine und seine Nachfolger. Quine unterstellt ebenfalls, ›die Wissenschaft‹ im Sinne der physikalischen Naturwissenschaft entscheide, was es ›wirklich‹ gibt. Wenn ich für diese These die Wörter »Szientismus« oder »szientistisch« verwende, dann bedeutet das gerade, dass in bloß dogmatischer Weise, nur gemäß einem Glauben, das ›Wissen der physikalischen Naturwissenschaft‹ zum Kriterium von Wahrheit und Objektivität gemacht wird. Dieser Glaube selbst wird nicht weiter reflektiert oder begründet. Daher ist er selbst unaufgeklärt, reiner Dogmatismus. Diese Tatsache hat schon Fichte erkannt. Daher hat sich auch noch Marx gegen einen solchen naiven Materialismus gewandt und eine alternative Variante, einen dialektischen Materialismus gefordert. Die Positionen von Hobbes und Locke, so schwankend und in sich widersprüchlich die letztere auch ist, ähneln dabei beide den szientistischen Positionen von Quine und Sellars. Schon Berkeley und Hume sahen hier erhebliche Gründe zur Skepsis. Gerade um die dogmatische Haltung des Szientismus zu vermeiden, werden daher von Berkeley das Wahrnehmbare und dann auch von Hume die Dinge der Welt als Bündel ihrer erfahrbaren Eigenschaften bzw. als Bündel ihrer möglichen Wirkungen unter anderem auf unser Sinneskostüm verstanden. Leider hilft uns das nicht weiter. Humes empirischer Versuch der Vermeidung willkürlicher Glaubenshaltungen, so wichtig und richtig er in seiner Zielsetzung ist, ist nicht erfolgreich, weil er selbst zwischen zwei sich widersprechenden Positionen schwankt. Die eine ist eine rein behaviorale Auffassung von Wissen, die aber zwischen einem für das Überleben des Individuums oder der Art erfolgreichen Kennen und Können von Tieren und dem ›Wissen‹ von Menschen nicht mehr di=erenzieren kann. Aufgrund dieser Position kollabiert unter anderem Humes Begri= der Kausalität in die bloße ›Erfahrung‹ von Regelmäßigkeiten. An diese erfahrenen Regelmäßigkeiten passt sich, so sagt das Bild, das Verhalten der Lebewesen irgendwie an. In einer zweiten Position versucht Hume, dieses Bild für das Verhalten von Menschen als naturwissenschaftliches Wissen darzustellen, womit Hume, wie früher schon Hobbes
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und Locke, zum Szientisten wird. Hier geschieht das aber auf die interessante Weise, dass Hume aus dem Skeptizismus in den Dogmatismus eines vermeintlich bloß pragmatischen Glaubens an die Wissenschaft zurückschwenkt. Der Form nach ähnelt das der Position Quines, die trotz formallogischer Hochrüstungen und Abstraktionstheorien nicht eigentlich weiter gekommen ist. Dabei haben wir schon weiter oben die Ähnlichkeiten der Positionen Lockes und Quines im Blick auf die kausale Erklärung der Sinnesempfindungen als Wirkung von physikalischen Objekten skizziert. In einem Vergleich zwischen Hume und Quine kann man dann sehen, dass der scheinbar reine Behaviorismus dieser beiden Autoren ihrem gleichzeitigen, bei Hume latenten, bei Quine o=enen, Szientismus einfach widerspricht. Zugegeben wird allerdings, wie schon betont, von allen Empiristen, seien sie zunächst so radikal und theorieskeptisch wie Hume, so mathematikgläubig wie Carnap oder, so physikgläubig wie Quine und wohl auch Sellars, dass unsere Wahrnehmung und damit unser individuelles ›Wissen‹ oder Erkennen immer wesentlich subjektiv und perspektivisch, fallibel und der Revision zugänglich ist. Es gibt also doch keinen unmittelbaren Zugang zu den physischen Dingen und Prozessen der Welt. Diese werden zwar von allen (Denkern), die Locke oder Quine folgen, als die ›eigentlichen Ursachen‹ unserer sinnlichen Erfahrungen angesehen. Aber unser Zugang zu den Ursachen ist, wie Hume immerhin klar sieht, immer durch die Wirkungen vermittelt. Diese Einsicht, dass Kräfte und Ursachen keine Gegenstände unmittelbarer Wahrnehmung sein können, ist durchaus eine wichtige Leistung des Sensualismus eines Berkeley und des von diesem abhängigen Skeptizismus Humes. Wir werden noch genauer sehen, dass Hegel in Nachfolge Kants diese Problemlage radikal durchdenkt. Es ergibt sich dabei folgendes: Die internen, semantisch unmittelbaren, Gegenstände einer jeden (mathematischen) Theorie (der Physik oder Physiologie, Chemie oder Neurowissenschaft) sind als solche, an sich, reine Gedankendinge, Elemente und Momente in einem theo-
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retischen Modell der generischen Darstellung und generischen Erklärung von regelmäßigen Prozessen. Sie sind ideal. Als solche sind sie von uns und unserem symbolischen Handeln in ihrem Ansichsein konstruiert. Wie sollen derartige, in ihrem Status rein intelligible, Kräfte je auf die Sinne ›wirken‹? Was also ist das für eine merkwürdige ›Kraft‹ oder ›Energie‹, welche einerseits die ›kausalen Wirkungen‹ der Dinge hervorbringen soll, obwohl sie andererseits bloßer Gegenstand der Theorie ist? Kräfte sind ja von uns gesetzte ›Dispositionen‹, also modale Begri=e. Sie sind gerade als solche modelltheoretische ›Entitäten‹, mit deren Hilfe wir Normalbewegungen darstellen und dadurch ursächlich ›erklären‹. Die Wirklichkeit dieser theoretisch gesetzten Ursachen besteht nur in ihren ›Wirkungen‹, wie Hegel noch einmal in seiner Wesenslogik ausführen wird. Man muss die Fragen nach dem Status der Rede von Kräften und ›Ursachen‹ nur stellen, um zu sehen, dass die wissenschaftlichen Theorien und Modelle mit ihren theorie- oder modellinternen Gegenständen, Momenten und (Schub-)Kräften jedenfalls nicht unmittelbar bestimmen können, was es ›wirklich‹ gibt. Denn das wäre subjektiver Idealismus pur: Die Willkür des Glaubens an diese oder jene Theorie würde bestimmen, was wahr ist. Mit anderen Worten: Ohne eine befriedigende Klärung des Verhältnisses zwischen den theorieinternen Redegegenständen an sich bzw. den durch das theoretische Modell als wahr bewerteten Sätzen und ihren Inhalten einerseits, den real von uns in gemeinsamer Anschauung erfahr- und kontrollierbaren Erscheinungen andererseits kollabiert der ›Realismus‹ des Szientismus und Physikalismus ironischerweise (bzw. aus ›dialektischen Gründen‹) in einen heillos subjektiven und dogmatischen Idealismus. Ihm zufolge wird ein jeweils bloß enzyklopädisch etwa in Büchern niedergelegtes oder entsprechend gelerntes Wissen unmittelbar zum Kriterium des Wahren und Wirklichen. Damit werden auf durchaus unkritische, unreflektierte und unaufgeklärte Weise, und das gerade auch im Namen einer sogenannten wissenschaftlichen Aufklärung, gewisse Ideen oder abstrakte Strukturen einer von
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einer Gruppe von Menschen gesetzten mathematischen Physik unmittelbar und dogmatisch für ›real‹ erklärt. Man kann sicher vorschlagen, in einer tiefen ›Theorie‹ (man denke etwa an die hochspekulative String-Theorie der neueren Physik) viele Phänomene der Physik mathematisch zusammenzuführen. Was man nicht kann, ist schlechtweg zu behaupten, eine derartige Theorie sei einfachhin ›wahr‹. Das aber bedeutet, dass der Szientismus oder Physikalismus am Ende nichts anderes ist als die naive Haltung des Pythagoräismus oder ›Platonismus‹, die Hegel als Kindheit des Philosophierens apostrophiert. Der theoretische Subjektivismus oder szientistische Dogmatismus ist damit einerseits noch weit problematischer als der Empirismus George Berkeleys, andererseits ist dieser nur die andere Münzseite des empiristischen Subjektivismus oder subjektivistischen Idealismus. Berkeley fordert als Sinn- und Realitätskriterien wenigstens die reale Erfahrbarkeit dessen, was als wirklich existent behauptet wird. Der Szientismus, ohne auf seinen eigenen Subjektivismus zu achten, meint dagegen, auf die positive Berücksichtigung der tatsächlich immer je subjektiven und perspektivischen Wahrnehmungen in seiner Bestimmung des eigentlich und absolut Wirklichen verzichten zu können. Daher, und nur daher, sind aus seiner Sicht besonders die empirischen Wahrnehmungsurteile der einzelnen Subjekte notorisch fallibel, während die Theorien der Wissenschaft durch diese bloßen Erscheinungen sozusagen hindurchsehen auf die wahren Verhältnisse. In dem am Ende als unsinnig einzusehenden Streit, ob Perzeptionen oder theoretische Reden uns das wirkliche Wahre zugänglich machen, ist es ganz falsch, einer Seite seine Stimme zu geben. Nun wird heute ho=entlich kaum mehr jemand irgendwelchen ›wissenschaftlichen‹ Äußerungen ›der Wissenschaft‹ ungeprüft vertrauen. Es werden gerade auch Aussagen und Verlautbarungen in ihrer Reichweite kontrolliert, um von der Betonung dessen, dass sie fallibel und revidierbar sind, gar nicht weiter zu reden. Wenn dem aber so ist, wie kann dann ›die Wissenschaft‹ irgendwelche sinnlich real erfahrenen Erscheinungen des realen Lebens
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durch ihre Theorien für einen bloßen Schein erklären? Wie kann sie überhaupt zwischen Sein und Schein unterscheiden? Die Frage lautet natürlich genauer, wie können wir mit den Methoden der Wissenschaft und durch ihr theoretisches ›Wissen‹ informiert zwischen Sein und Schein, Wirklichem und bloßer Phantasie unterscheiden? Die Frage ist deswegen alles andere als einfach zu beantworten, weil sich das tradierte Wissen der Wissenschaft selbst als Ergebnis unserer Entwicklung begri=licher Di=erenz- und Inferenzformen darstellt und in der Form von Satzsystemen gelernt wird. Das aber heißt, dass wir das Konstruktive im wissenschaftlichen Wissen berücksichtigen müssen. Und das heißt am Ende, dass wir das ›Idealistische‹ in unserem Wirklichkeitsbegri=, dem Wirklichkeitsbegri= der Naturwissenschaften, anerkennen müssen. Jede Kritik an Hegels ›objektivem Idealismus‹ richtet sich daher gegen den Wirklichkeitsbegri= der Naturwissenschaft selbst. Man wird am Ende das sagen müssen, was Hegel schon gesagt hat. Die Wissenschaft ist die Instanz gemeinsamer Praxis, in der wir jeweils beurteilen, was als Wissen oder als wahr gelten kann, wobei die Wissenschaft selbst die Maßstäbe der Urteile liefert. Sie ist dabei nicht in dem Sinn fallibel, dass alle diese Urteile als möglicherweise falsch zu werten sind. Sie ist aber auch nicht infallibel in dem Sinn, dass ihre Sätze, Regeln und Urteilsmaßstäbe unmittelbar gelten oder eine Welt an sich unmittelbar abbilden. Sie müssen sich vielmehr ändern dürfen. Ja, zum realen ›Leben‹ der Wissenschaft gehört, dass sie sich ändern, d. h. dass wir sie ändern, sofern wir bessere begri=liche Ordnungen entwickeln, als die es sind, mit denen wir bisher gearbeitet haben. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Di=erenz von Sinn und Extension des deutschen Wortes »Wissenschaft« und des englischen Wortes »science«. Wissenschaft enthält alles Wissen, auch das der Geisteswissenschaften über Geschichte und Kultur, über Institutionen wie die Wissenschaften selbst und deren Logik in der Philosophie. Im englischen Sprachraum gibt es keine Geisteswissenschaft. In den sciences weiß man daher gar nicht, was das
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überhaupt ist: Wissenschaft. Leider wirkt sich das auch auf das Unbewusstsein von Naturwissenschaften hierzulande aus. Das zeigt sich übrigens insbesondere im naiven Fehlverständnis des logischen Status des Mathematischen. Denn Mathematik ist wie die Sprachwissenschaft oder die formale Logik eine Geisteswissenschaft. Hier aber geht es Hegel darum, die Revidierbarkeit von allgemeinem, weltbezogenem Wissen von der Fallibilität individueller Kenntnisansprüche begri=lich klar genug zu unterscheiden. Um beurteilen zu können, welche möglichen oder realiter vorgeschlagenen Revisionen ›vernünftig‹ sind, welche nicht, ist daher zwischen bloß ›empirischen‹ Gründen, die sich aus einzelnen Wahrnehmungen ergeben, und ›begri=lichen‹ Gründen zu unterscheiden. Nur letztere begründen eine Notwendigkeit der Revision eines Systems generischen Wissens und der zugehörigen Begri=e. Erstere begründen bestenfalls eine Revision bisheriger Anwendungsschemata oder auch mancher Einzelanwendungen eines gegebenen generischen Wissens. Angesichts derartiger Erwägungen befinden wir uns alle, nicht bloß als Philosophen und Erkenntnistheoretiker, in folgendem Widerspruch oder Dilemma: Einerseits ist, wie der Empirismus mit Recht feststellt, jeder Bezug auf Dinge der Welt über die Sinne vermittelt. Andererseits liefert die Sinnesempfindung keinen verlässlichen Zugang zur Welt, schon gar nicht zu den Dingen, wie sie ›an und für sich‹ sind (was immer das im Einzelnen hier heißen möge) und nicht bloß in Beziehung auf uns erscheinen. Die Sinnesempfindung verbindet uns also nicht unmittelbar mit den wirklichen Dingen der wirklichen Welt (wie immer man die Worte »wirklich«, »Ding« und »Welt« am Ende erläutern wird), sondern ist fallibel, irrtumsanfällig. Um aber fallibel und irrtumsanfällig zu sein, bedarf es der Möglichkeit eines korrigierenden Wissens. Das aber kann seinerseits nicht unmittelbar sein. Die Sinne sind dabei immer nur eine Instanz der Vermittlung. Denn die Sinne bleiben abhängig von der Perspektive des wahrnehmenden Subjekts. Jedes Wissen, gerade auch Wahrnehmungswissen,
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aber ist immer in einem gewissen Ausmaß perspektiventranszendent oder invariant. Und es ist begri=lich ›informiert‹, wie Terry Pinkard so schön sagt. Damit ist es ›theoretisch‹ geformt, was bekanntlich auch Quine betont. An dieser Diagnose ist nicht sinnvoll zu zweifeln. Es ist daher in der Folge die subjektive Perspektivität und die begri=liche Formung jedes Erkenntnisanspruchs, der von einer Person erhoben wird, nicht etwa in Frage zu stellen, sondern als basale Tatsache anzuerkennen. Sie ist in unserer Explikation eines perspektiveninvarianten und situationstranszendenten Begri=s von Wissen, Wahrheit und Wirklichkeit angemessen zu berücksichtigen. In gewissem Sinn haben das auch die Cartesianer und Empiristen versucht. Aber sie scheiterten am Begri= des Begri=s, und das heißt zugleich, am Begri= des generischen, allgemeinen, Wissens. Descartes verschiebt den Fokus der Aufmerksamkeit von unmittelbaren Behauptungen über eine Welt an sich auf die Selbstgewissheit im Vollzug des Erkennens. Berkeley und Hume achten auf die unmittelbaren Gegenstände der sinnlichen Gewissheit. Das Programm des Cartesianismus und das des Empirismus ersetzen also die Frage nach der objektiven Wahrheit durch die Frage nach der Gewissheit und Sicherheit des Wissens. Wir werden aber sehen, dass damit die Frage nur verschoben wird. Gefragt war nicht, wie wir uns Menschen davon überzeugen, dass etwas so und so ist, und wie wir dabei ein Höchstmaß an Gewissheitsgefühlen oder auch Zustimmung erhalten. Gefragt ist, was wahr ist, und wie wir die subjektiven Gewissheiten auf Richtigkeit und Wahrheit kontrollieren können. Gefragt ist also nach der Di=erenz zwischen Überzeugung und Wahrheit, zwischen dem Gefühl der Sicherheit und einer echten Verlässlichkeit eines Geltungsanspruchs. Gefragt ist damit nach der Di=erenz zwischen Anschein und Wirklichkeit, Schein und Sein. Gefragt ist danach, welche Urteile anerkannt werden sollten, nicht, welche anerkannt werden. In Frage steht damit die Normativität von Geltung und Wahrheit. Schon diese Überlegungsskizze ist ein Hinweis darauf, dass jeder ›logische‹ Aufbau von Wahrheiten im Ausgang von sinnli-
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chen Gewissheiten problematisch werden könnte, und zwar selbst dann, wenn es nur um die Koordination der jeweils subjektiven Gewissheiten gehen sollte. Denn woher wissen wir, dass das, was dabei je meiner Meinung nach gut koordiniert ist, wirklich gut koordiniert ist? Außerdem ist zu beachten: Wenn die subjektive sinnliche Gewissheit als reichste und wahrste Form der Erkenntnis ausgegeben wird, dann muss dies gleich auch wieder dementiert werden. Der These, dass es nur das gebe, was wir wahrnehmen, genauer, was je ich in einer Wahrnehmungssituation ›empfinde‹ (oder, wie manche noch heute zu reden belieben, als ›innere Erfahrung‹ oder ›experience‹ in mir finde), steht die negierte These hart gegenüber, dass das, was wir wahrnehmen (bzw. empfinden), keineswegs identisch mit dem ist, was es gibt. Das, was es gibt, ist an und für sich nicht dasselbe, wie es bloß für mich oder uns ist, wie es also aus unserer Sicht zu sein scheint. Die Armut und Bestimmungsleere der Sinnesempfindung bemerken wir gewissermaßen empirisch, wenn wir, sagen wir, beim Aufwachen die Augen aufmachen und noch nicht wissen, was wir so alles sehen, etwa weil wir noch keine Orientierung im Raum haben und ein Erkennen von Dingen und eine Platzierung der Dinge im Raum noch nicht stattfindet. In der begri=lichen Reflexion bemerken wir diese Leere, wenn wir versuchen, das Wort »dies« unmittelbar als Namen eines direkt gegebenen Gegenstandes zu verstehen, wie das übrigens später Bertrand Russell und mit ihm Wittgenstein und Carnap tatsächlich noch versucht haben. Dabei hatte schon Hegel, lange vor Wittgensteins später Kritik an Russell, gezeigt, dass und warum das absolut unmöglich ist. Eben dieser Aufweis ist Thema des Abschnitts zur sinnlichen Gewissheit. Um das negative Ergebnis dieser Überlegung als unausweichlich einzusehen, ist freilich vom ›unmöglichen‹ Gebrauch des Wortes »dies« als unmittelbarer Hinweis auf eigene Empfindungen ein bloß anaphorischer Gebrauch des Wortes in einem Rückverweis auf einen (etwa in einem Text oder in Gedanken) schon benannten Gegenstand zu unterscheiden. In einem gemein-
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samen deiktischen Gebrauch des Wortes »dies« ist ein solcher Gegenstandsbezug implizit involviert. Dabei muss zumindest als bekannt unterstellt sein, auf welche Art von Gegenständen Bezug genommen wird, auf Dinge etwa oder Gestalten, Farben oder Töne. Das aber heißt, dass das Ansichsein des Gegenstandes in Hegels Sinn der Ausdrucksform bekannt sein muss und nur noch auf sein präsentisches Fürsichsein deiktisch gewiesen wird, also wie er sich uns sinnlich präsentiert. Dabei wird immer schon auf einen gemeinsamen Anschauungsraum verwiesen. Deiktische Gebräuche des Wortes »dies« referieren also in dem Sinn nicht unmittelbar, als wir uns dabei gerade nicht direkt auf einen Gegenstand beziehen, und zwar weder auf einen Gegenstand unserer eigenen Empfindungen in einer so genannten »inner experience« (die es bei genauerer Überlegung gar nicht als unmittelbar bestimmte oder bestimmbare gibt) noch auf einen nicht schon vorkategorisierten Gegenstand der ›äußeren‹ Anschauung. Kurz, Hegels Kritik richtet sich gegen die logische Illusion (etwa auch Russells), das Wort »dies« wäre ein basaler Name oder eine basale Variable, der man im deiktischen Gebrauch unmittelbar einen Gegenstand als Referenten oder als Belegung zuordnen könne, und wenn auch nur als Raumzeitstelle, wie noch Carnap meint. Solche Raumzeitstellen gibt es leider nicht. Sie setzen vielmehr die Bezugnahme auf Körperdinge und mögliche Bewegungen dieser Dinge im Raum voraus. Raumorte sind also immer relativ zu Körpern, etwa auch unseren Leib, wie im Grunde schon Kant erkennt. Ein Wort wie »dies« kann erst recht nicht auf etwas ›im Bewusstsein‹ verweisen, wie man auf obskure Weise sagt, wenn man je meine Empfindung ›meint‹. Der Referent muss schon gemeinsam in der Welt bestimmt und im Prinzip feststellbar sein, etwa als das Ding, auf das ich zeige. Aber schon das Zeigen setzt, wie Quine erkennt, durchaus schon voraus, dass wir wissen, welche Art von Dingen gemeint ist: ganze Kaninchen vielleicht, oder ihre Schwänze oder Phasen des Vorbeihuschens oder andere Prozesse. Das gerade heißt es, dass das Ansichsein des Bezugsgegenstands, sein Genus, schon bekannt sein muss;
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und eben das ist die zentrale Einsicht Hegels. Nur dann kann man auf etwas deiktisch Bezug nehmen, etwa im Kontrast zu anderen (wieder-)erkennbaren Gestalten und Dingen. Das kleine Wort »dies« ohne Genus-Angabe kann also nie unmittelbar auf etwas Bestimmtes referieren. Sein Bezug ist immer schon anaphorisch. Daher kann eine sinnkritische Philosophie nicht mit der Unterstellung beginnen, das Wort »dies« habe wenigstens in bestimmten Verwendungssituationen einen unmittelbaren Referenten. Es ist Teilaufgabe sinnkritischer Philosophie, an diese Unmöglichkeit zu erinnern. Die Aufgabe insgesamt ist es, zu bestimmen, was es wirklich gibt bzw. was wirklich wahr ist, und zwar nicht inhaltlich und im Einzelnen, sondern im Allgemeinen, und das heißt, in der Form allgemeiner Bedingungen, die im Einzelfall zu erfüllen sind. Dass das Wort »dies« nicht unmittelbar referieren kann, liegt ganz o=enkundig daran, dass es nur im Kontext der Di=erenz zu »jenem« etwas unterscheidet, was implizit schon einen Kontext von Artbestimmungen wie »dieses Huhn«, »jener Hahn« unterstellt. Es ist nur eine Überdramatisierung dieser Tatsache, wenn Quine von einer Unerforschlichkeit der Referenz spricht, die sich bei ihm aus der Indeterminiertheit einer radikalen Übersetzung ergibt: Woher weiß ich, welche generischen Unterscheidungen irgendwelche Eingeborene und dann auch nur andere Personen machen? Und wie gehen sie mit den theoretisch geladenen Inferenz- und Dispositionsbegri=en bzw. den entsprechenden Momenten in dichten Unterscheidungen um? Quine hat ja Recht: Man muss schon vieles wissen, um zu wissen, worauf ein Wort referiert. Mit Hegel teilt er daher die Einsicht in das Holistische des Verstehens. Hegel aber verwandelt die Überdramatisierung des Holismus zurück in eine am Ende doch wieder robuste Praxis des gemeinsamen Unterscheidens in einer immer bloß auf befriedigende Weise glückenden Kommunikation und Kooperation. Alle Bestimmungen sind am Ende gemeinsame Kontrastierungen in einer gemeinsamen Welt. Gemeinsame Bezugnahmen ergeben sich daraus, dass viele mögliche Unterscheidungen nicht nötig
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sind: determinatio est negatio. Zu dieser Negation gehört auch immer die Negierung allzu feiner Unterscheidungen, der Verzicht auf sie. Der Empirismus in der Nachfolge Lockes und Humes, gerade auch der logische Empirismus Russells oder Ayers, scheitert als sinnkritische Philosophie in der Tat gerade daran, dass er notorisch schwankt zwischen einem Sinnesdatenempirismus, der noch keine Dinge kennt und kennen darf, da ihm sonst die erwünschte Unmittelbarkeit des sinnlichen Weltbezugs verloren geht, und einem dogmatischen ›Empirismus‹, der meint, die Dinge unmittelbar, wie sie an sich selbst seien, in der Empirie, also ohne begri=liches, auch abstrahierendes und rekonstruierendes theoretisches Denken, erkennen zu können und unmittelbar etwas Wahres über eine Welt an und für sich zu wissen. Der Empirismus scheitert also gerade deswegen, weil die reale Existenz eines Wesens in der Welt ein theoretischer Modalbegri= ist, weil esse und percipi gerade nicht dasselbe ist, nicht einmal esse und percipi posse. Aber nicht nur das Wort »dies« hat keinen unmittelbaren Referenten, auch das Wort »ich« nicht. Diese Einsicht richtet sich gegen Descartes’ »cogito« und gegen Kants »ich denke«, das jede Vorstellung begleiten können soll. Hegel sieht, dass das begri=liche Denken hier überall involviert ist, nicht aber ein schon in seiner Einheit bestimmtes geistiges Ich. Die Wörter »dies« und »ich« ›benennen‹ auch nichts unmittelbar; und zwar nicht nur deswegen nicht, weil ihr Bezug, wenn sie denn einen haben (in Knut Hamsuns »Hunger« referiert das »ich« zum Beispiel nicht einfach auf Knut Hamsun, sondern eine Romanfigur) hochgradig situationsabhängig ist. Es spielt dabei o=enbar eine zentrale Rolle, wer spricht und worauf der Sprecher seine und vielleicht auch unsere Aufmerksamkeit richten möchte. Im Fall des Wortes »ich« spielt zwar mein Leib immer eine Rolle bei der Bestimmung, wovon die Rede ist, wenn ich aktual (und nicht im Kontext einer Zitation) spreche (selbst als Theaterfigur). Aber es wird dabei nicht immer mein Leib benannt, schon gar nicht eine geistige Seele.
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Würde uns Hegel nur sagen wollen, dass »dies« und »ich« keine Eigennamen oder rigide Designatoren sind, deren Referenten relativ unabhängig von der jeweils besonderen bzw. einzelnen Äußerung ist, so wäre das zwar richtig, aber eher trivial und kaum wirklich wichtig. Denn es ist eigentlich gar nicht so schwierig, mit der Di=erenz zwischen namenartigen Ausdrücken (wie »Napoleon Bonaparte«) und äußerungsabhängigen Benennungen (wie »der erste Konsul« oder »der Mann, den ich gestern traf«) korrekt umzugehen. Doch hier geht es um weit mehr. So wie das Wort »dies« nur dann als situationsabhängige Benennung fungieren kann, wenn schon klar ist, auf welchen Gegenstandsbereich, welches Genus, Bezug genommen wird, ist auch der Umfang der Selbstbezugnahme durch das Wort »ich« keineswegs unabhängig von dem Prädikat bestimt, um das Problem vorläufig so auszudrücken. Der bloße Kontrast zu »du« »er«, »sie«, »ihr« und »wir« ist entsprechend plastisch formbar. Im Falle des deiktischen »dies« wird der Gegenstandsbereich üblicherweise als Artbenennung im Ausdruck angedeutet, etwa wenn ich von diesem Finger spreche oder einfach diesem Ding qua Körper, im Unterschied zu dieser Gestalt, dieser Eigenschaft oder dieser Farbe. Dabei ist schon fragwürdig, ob man von dieser Empfindung oder dieser Stimmung sinnvoll sprechen kann, die ich gerade habe, oder diesem Gefühl, diesem Zustand, in dem ich gerade bin, ohne dass man den Unterscheidungsrahmen ›genauer‹ und damit ironischerweise gerade allgemeiner bestimmt, etwa indem man von einer Rotempfindung, wie wir sie alle haben können, spricht, oder von einem Gefühl des Schmerzes im linken Schulterblatt wie nach einem Sturz. Bekanntlich hat auch Quine in seiner Auseinandersetzung mit Carnap Ähnliches gesehen. Formal gesagt liegt das Problem darin, dass nicht alles, worüber wir reden, schon als sortale Menge einzelner Individuen gegeben ist. Auf andere Weise schwierig werden die Dinge beim Umgang mit dem Wort »ich«. Zunächst meint man, es sei klar, dass ich mit der Äußerung des Wortes »ich« einfach mich als Person meine, und diese sei mit meinem Leib zu identifizieren. Man denkt
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dabei etwa an einen Satz der Form »Ich fühle den Schmerz in der Schulter unmittelbar«. Schon schwieriger wird es, wenn wir einen Satz der Form betrachten: »Ich meine, der erste Konsul war Napoleon«. Inwiefern spreche ich dann über mich als Leib? Meint mein ganzer Leib, dass Napoleon der erste Konsul war, oder nur mein Gehirn? Und wie stellt es mein Gehirn an, etwas zu meinen? Wenn ich aber als der, welcher etwas meint, weder mein Leib, noch mein Gehirn bin, wer oder was bin ich dann? Und wer oder was bin ich, wenn ich mich heute darum kümmere, wer ich morgen sein werde, wenn ich z. B. etwas aus mir mache? Wie schwierig das Wort »ich« und »mich« ist, und zwar selbst dann, wenn wir das Wort »Seele« (»psych¯e«) vermeiden, zeigt sich an folgender Überlegung von Platons Sokrates. Dieser erklärt bekanntlich dem Kriton: Nach meinem Tod könnt ihr mit meinem Körper, dem Leichnam, tun was ihr wollt, ich bin dann nicht mehr da. Dennoch geht es mir gerade um mich, wenn ich nicht fliehe, und zwar nicht bloß um mich bis zu meinem Tod, sondern um mich über den Tod hinaus. Täuscht sich hier Sokrates einfach, etwa weil er meint, das Wort »ich« nenne seine unsterbliche Seele über seinen Tod hinaus? Oder täuschen sich die Interpreten, die meinen, die Überlegung des Sokrates sei nur vernünftig unter der genannten Prämisse, also bei einem Glauben an eine unsterbliche Seele als dem eigentlichen Objekt, um das er sich kümmert, das zugleich Subjekt des Denkens und Urteilens, Meinens und am Ende auch Fühlens ist?
10. Umschlag der Suche nach Gewissheit in verzweifelte Skepsis Ich habe allgemeine Ergebnisse genannt, um von gewissen Endpunkten oder Zielen her den Weg zu erkennen, der zu ihnen führt. Das könnte unsere Kommentare zu Hegels eigener Denkführung verständlicher machen. In einem gewissen Sinn beginnt Hegel nämlich versuchsweise wie der Empirismus mit den vermeintlich unmittelbaren Tatsachen der präsentischen ›Erfahrung‹ von Din-
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gen und von sich selbst, den ›Tatsachen des Bewusstseins‹ im Sinn der Awareness und Attention, der wachen Aufmerksamkeit, bzw. dem empraktischen Begehren und damit der präsentischen ProtoIntentionalität eines Tieres. Aber indem er das Scheitern dieses Anfangs zeigt, zeigt er den Unterschied zwischen dem dogmatischen, weil vorurteilungsvollen, Empirismus und Cartesianismus auf der einen Seite, seiner eigenen dialektisch-kritischen (›dekonstruktiven‹) Phänomenologie andererseits. Hegel beginnt seine Überlegungen also tatsächlich mit Descartes und dem Empirismus, mit den Ideen einer unmittelbaren Selbstgewissheit und der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit der enaktiven Perzeption, die wir oft allzu schnell mit der vollen Wahrnehmung von etwas identifizieren. Er sagt, dass bei genauerer Reflexion immer schon viel mehr als dieses ›ich bin da‹ und ›das ist da‹ involviert ist. Denn die (Selbst-)Gewissheit ist immer schon die Aktualisierung einer komplexen generischen Tätigkeit. Sinn und Bedeutung (Bezug) von Ausdrücken wie »ich«, »dies«, »hier« und »jetzt« sind nie unmittelbar, sondern immer schon vermittelt. Sie haben nur Sinn im Kontrast zu einem »du« und »das«, »dort« und »dann«. Sie sind auch keine Namen, wie Hegel bemerkt. Schon daher ist der Selbstbezug im »ich« nicht unmittelbar. Das heißt, die Pronomina haben eine allgemeine Bedeutung. Einen konkreten Bezug aber haben sie nur im Kontext aktualer Sprech- oder Denkhandlungen, in Reden mit anderen Personen oder in Rollenspielen mit sich selbst. Hegel sagt sogar explizit: Die Sprache ist das Wahrere als die Unmittelbarkeitsidee des Ich. Das heißt, erstens, dass ich, wenn ich φ behaupte, immer schon mitbehaupte, dass jeder φ behaupten darf. Eine reine Deklaration meiner Meinung ohne allgemeinere inferentielle Commitments des Sprechers und inferentielle Entitlements für die Angesprochenen gibt es selten und wäre auch nicht sehr sinnvoll, wo es um mehr geht als um das Ach und Oh einer Empfindungsexpression. Warum nämlich sollten wir uns Hörer um bloße Meinungen der anderen kümmern,
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wenn diese möglicherweise nicht einmal ernst gemeint, sondern bloß so daher gesagt sind? Wenn ich etwas, wie wir sagen, ernst meine, spreche ich, erstens, schon im Modus des Man oder im Wir-Modus. Ich sage nicht einfach, ich meine, dass φ, sondern ich sage, dass φ. Das Meinen ist das Unwesentliche. Es heißt, zweitens, dass in den Aussagen über die Welt immer auf das An-und-Fürsichsein, und das heißt, die Verbindung zwischen symbolischen bzw. sprachlichen Handlungen (der Ebenen der Re-Präsentation) und den zugehörigen wahrnehmbaren Erfahrungen oder Erscheinungen zu achten ist. Wären sie abgekoppelt von dieser Verbindung, hätten Wahrnehmungen keinen konzeptuellen ›begri=lichen‹ Inhalt, sie wären keine Wahrnehmungen von etwas. Im deiktischen Gebrauch von »dies« müssen wir auf den Referenten zeigen. Damit dieser Zeige-Akt aber Sinn macht, brauchen wir das, was man einen gemeinsamen Gesichts- oder Sehepunkt nennen möchte. Da wir aber wissen, dass jeder seine eigene Perspektive hat, brauchen wir genauer die Fähigkeit der Zuordnung unserer verschiedenen Perspektiven auf dasselbe Ding. Dazu müssen wir die verschiedenen Orte und Zeiten der je eigenen Zugänge zu dem Ding berücksichtigen. Nur durch diese Zuordnungen erhalten wir eine Art Wir- oder Man-Perspektive in einem gemeinsamen Anschauungsraum. Im Detail ist dabei einiges an kooperativem Können involviert, wie es nach allem, was wir wissen, Tieren nicht zugänglich ist. Dabei ist die Gegenwart immer schon ausgedehnt. Jedes Jetzt enthält, sozusagen, viele Momente. Wenn wir auf etwas zeigen, dann zeigen wir nie einen Punkt. Selbst angedeutete Stellen im Raum setzen die Raumbeziehung zu meinem Körper und deinem Körper voraus. Wir zeigen normalerweise auf etwas als etwas. Daher ist jedes Zeigen implizit generisch. Es setzt bei den anderen Personen die Fähigkeit voraus, herauszufinden, ›worauf‹ gezeigt wird, was also für uns beide relevant ist. Das, was unmittelbar je bloß von mir empfunden oder perzipiert wird, das kann weder gezeigt, noch gesagt werden. Denn
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zeigen können wir nur, was uns gemeinsam zugänglich ist. Aber auch sagen können wir nur Allgemeines. Alle Wahrheit ist auf die eine oder andere Weise allgemein. Alles Wissen ist allgemein. Das gilt auch für ein empirisches Wissen über etwas Einzelnes, etwa den Ei=elturm: Wir können uns gemeinsam auf dieses Gebäude beziehen, und zwar auf seine je besonderen und eben damit auch allgemeinen Eigenschaften oder Charakteristika. Jede volle Wahr-Nehmung ist daher gleichursprünglich mit der Möglichkeit der Täuschung durch einen Schein, und zwar weil das Wahre der Wahrnehmung sich im Erfolg eines gemeinsamen Weltbezugs zeigt, der immer auch scheitern kann. Was ich für eine Kuh halte, hältst du für ein Reh und ein dritter überzeugt uns vielleicht am Ende doch, dass es ein Hirsch war. In eben diesem Sinn der Möglichkeit des Scheiterns der Kooperation im Weltbezug oder im gemeinsamen Urteilen oder in den gemeinsam als normalerweise verlässlich anerkannten Inferenzen setzt jeder geglückte, erfolgreiche, Weltbezug eine Möglichkeit des Irrtums oder Scheiterns voraus. Das gilt im Unterschied zu rein subjektiven Empfindungen (pure sensations), für die es, wie für reine Befriedigungen reiner Begierden, keine Richtigkeiten gibt: Eine reine Begierde ist befriedigt, indem sie endet, also nicht mehr da ist, egal aus welcher Ursache. So kann, wie in einem Beispiel Wittgensteins, der Hunger auch durch einen Schlag auf den Magen verschwinden. In einem solchen Fall ist freilich der Wunsch, etwas zu essen, nicht erfüllt – so dass wir das Begehren zu Essen im Sinne des Wünschens und eine Begierde im Sinne eines bloßen Empfindungszustandes ebenso unterscheiden müssen wie eine rein sensuelle Empfindung von einer begri=lich bestimmten und auf eine gemeinsame Welt referierenden Wahrnehmung. Zusätzlich ist noch auf die doppelte bzw. dreifache Bedeutung der Endungen »io(n)« oder »tia« in Wörtern wie »perceptio(n)« oder »experientia« bzw. des deutschen »ung« in »Wahrnehmung« oder »Erfahrung« zu achten: Mal wird mit dem Wort auf das Wahrnehmen oder Erfahren im Einzelfall, also den Akt des Wahrnehmens bzw. Erfahrens qua Versuch, etwas Bestimmtes zu tun,
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mal auf die erfolgreiche Aktualisierung einer generischen Fähigkeit, mal auf das Objekt der Wahrnehmung oder Erfahrung, den Gegenstand der erfolgreichen Wahrnehmung oder Erfahrung verwiesen. Das Objekt der Wahrnehmung ist das Wesen (›essence‹, besser: die ousia) unabhängig davon, ob es wahrgenommen wird oder nicht. Der einzelne Akt ist demgegenüber eher unwesentlich. Ein allzu schneller Versuch der Aktualisierung einer generischen, typischen Handlung kann leicht scheitern. Für Wahrnehmungsurteile der Form »ich sehe, dass φ« heißt das, dass sie als bloß akzidentelle Versicherungen ohne genaueres Hinsehen bloß erst Zufalls- und Willkürurteile sind. Sie sind noch nicht bewusst genug, d. h. noch nicht genügend gewissenhaft vorkontrolliert. Ohne eine solche reflektierte Vorbeurteilung begründen sie bei aller unmittelbaren subjektiven Gewissheit und allem ehrlichen Bemühen noch kein objektbezogenes WahrnehmungsWissen. Schon besser sieht es aus, wenn die Unterscheidungen, wie Descartes fordert, klar und deutlich, clare et distincte ausfallen. Der richtige Modus der subjektiven Gewissheit ist dabei schon, sozusagen, ein Wir- oder Man-Modus: Ich sage nicht bloß, dass ich sehe oder wahrnehme, dass φ, sondern dass man oder jeder aus meiner Perspektive wahrnehmen könnte, dass φ. Diese lange Form macht die Form der bewerteten Wahrnehmungsaussage »ich nehme wahr, dass φ« in ihrem allgemeinen Anspruch explizit. Sie ist als solche faktiv. Aus ihr kann man schließen, dass φ, freilich nicht ohne den Skopus des Sprechers zu beachten. Das heißt genauer: Aus »ich sehe, dass φ« folgt »ich weiß, dass φ« bzw. »es ist wahr, dass φ«, wenn es von mir gesagt ist. Das wiederum heißt, dass ich mir widerspreche, wenn ich sage, »ich sehe, dass φ, aber φ ist nicht wahr« bzw. »ich sehe x, aber x gibt es nicht«. Wenn du aus meiner Aussage schließt, dass φ, oder du dich auf das von mir als existent versicherte x anaphorisch beziehst, dann übernimmst du selbst, vertrauensvoll, meine Geltungsanprüche (commitments), wie Robert Brandom das klar beschreibt, wobei
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im de-dicto-Fall indirekter Rede signalisiert bleibt, dass die Verantwortung für die Geltung bei mir liegt. Du sprichst dann z. B. nicht von dem x, das ich (angeblich) sehe, sondern sagst, dass ich meine, dass es diese oder jene Eigenschaften habe. Aus meiner Versicherung, dass φ, kannst du ja, wie wir sehen, scheinbar bloß schließen, dass ich dafür einzustehen habe, dass φ, oder vielleicht auch, dass ich dafür einstehe oder mir sicher bin, dass φ. Auf der Grundlage meines Geltungsanspruchs (commitment), der sozusagen die Aussage enthält, dass jeder andere in der betre=enden Lage ebenfalls ›sehen‹, wahrnehmen oder ›erkennen‹ kann oder könnte, dass φ, sind solche Versicherungen weit mehr als bloße Expressionen von Meinungen. Es gelten für sie normative Bedingungen der Wahrhaftigkeit (sincerity) und einer gewissen Geltungskontrolle (accuracy). Es muss dem Sprecher also möglich sein, sein Urteil wenigstens als subjektiv gerechtfertigt zu begründen, selbst wenn es sich dann doch objektiv, in transsubjektiver Kontrolle, als irrtümlich herausstellen sollte. Man beachte aber, dass aus der faktiven Aussage »ich weiß, dass φ« oder auch »ich sehe, dass φ« bzw. »ich nehme wahr, dass φ« nicht folgt, dass φ. Wir können den Inhalt einer Versicherung oder Gewissheit nicht einfach aus dem Skopus der Performation herausnehmen. Es gilt zwar, dass wir aus der Wahrheit von »x weiß, dass φ« oder »x sieht, dass φ« die Wahrheit von φ folgern dürfen. Das liegt aber bloß daran, dass wir mit dem Commitment für die Richtigkeit von »x weiß, dass φ« ein Commitment für die Richtigkeit von φ übernehmen. Entsprechend folgt aus meiner Versicherung der Form »ich weiß, dass φ« meine Versicherung, dass φ richtig oder wahr ist. Daraus folgt aber nicht, dass φ richtig oder wahr ist. Die Sache wird noch komplexer dadurch, dass wir unterscheiden müssen zwischen dem, was folgt, und dem, was einer folgert. Aus »ich weiß, dass φ« folgt nicht, dass φ, auch wenn andere Personen das – mit Recht – folgern und auch folgern dürfen, indem sie meiner Versicherung Vertrauen schenken und den Inhalt anerkennen. Doch indem sie das tun, urteilen sie trotz allem immer noch frei.
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Wir können also durchaus noch unterscheiden zwischen Fällen, in denen andere Personen aus unseren Äußerungen berechtigterweise Folgerungen ziehen, und Fällen, in denen wir sagen, dass diese Folgerungen nicht bloß berechtigt waren, sondern richtig oder wahr sind. Dass aus einem Satz φ ein Satz φ∗ folgt, ist daher von anderem Typ, als die Rede davon, dass wir aus Äußerungen anderer Personen Folgerungen ziehen, etwa indem wir selbst gewisse Aussagen machen und die Berechtigung mit dem Hinweis auf das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit anderer Personen begründen. Ganz wie im Fall des Handelns müssen dann zufällige Irrtümer immer verziehen werden, und zwar gerade weil wir um die unaufhebbaren Begrenzungen der Begründungen aus je bloß subjektiver Perspektive wissen. Sie führen noch nicht per se zu Wahrheit und Wissen bzw. im Fall der Tat zu einem objektiv guten Handeln. Aus dieser Begrenzung des subjektiven Begründens bzw. der Wahrhaftigkeit folgt aber keineswegs, dass es kein Wissen und keine Wahrheit gäbe bzw. nichts objektiv Gutes, über die subjektiven Güte-Bewertungen hinaus. Es folgt allerdings, dass es keine Wahrheit und kein Wissen im reinen Ich-Modus gibt, dass Wissen und Wahrheit von einer allgemeinen Anerkennbarkeit, faktisch von einem allgemein anerkannten Erfolg kooperativen Urteilens und Handelns abhängt. Entsprechendes gilt für das ethischmoralische Gute.
11. Der Kollaps der unmittelbaren Meinung über die Substanz der Dinge Wir können keinen Weltbezug mit der völlig di=usen Mannigfaltigkeit von Sinnesempfindungen beginnen, da sich in ihr alleine keine wiedererkennbaren Unterscheidungen festmachen lassen. Es liegt daher nahe, gleich mit einem Dingbezug beginnen zu wollen. Das ist der Grund für eine Tendenz zu einem weichen Physikalismus, der den besonderen Status von Körperdingen mitt-
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lerer Größe (middle-sized dry goods) für unsere Weltorientierung gar nicht zu Unrecht betont, wenigstens zu Beginn unserer präsentischen Bezugnahme auf die Dinge der Welt in Armlänge, um es mit Quine zu sagen. Denn die Bezugnahme auf gegenwärtige Dinge spielt schon eine zentrale Rolle für unsere Orientierung im Raum. Dabei wird unterstellt, dass die Dinge wiedererkennbare Substanzen sind, also selbständige, d. h. objektive Wesen in dem Sinn, dass sie in ihrer Identität und ihrem Bestehen wenigstens nicht bloß von den Imaginationen und willkürlichen Einfällen der einzelnen Personen abhängen. Nur in dem Fall nämlich können wir uns stabil auf sie beziehen, zumal ein unmittelbarer Bezug auf die Empfindungen anderer Personen o=ensichtlich gar nicht möglich ist. Die Annahme der Stabilität der Dinge ist aber keineswegs trivial. Denn die sinnlich wahrnehmbaren Dinge verändern sich ununterbrochen. Wer das nicht wahrhaben möchte, den muss man, so sagt Hegel ironisch, nur daran erinnern, dass in die eleusinischen Mysterien der dauernden Verwandlung der Natur im Grunde sogar die Tiere eingeführt sind. Es sind die Mysterien der Demeter und Ceres, der Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut. In ihnen feiert man die – scheinbar einfache – Tatsache des Lebens, dass sich Dinge und Sto=e einverleiben lassen und in das eigene Leben verwandeln, indem man sie isst oder trinkt. Komischerweise wird hier der ›objektivste‹ Gegenstandsbezug eines Lebewesens gerade zum ›subjektivsten‹. Es ist ein ›pragmatischer‹ Bezug zu denjenigen Dingen, die sich einverleiben lassen. In der Einverleibung heben sie sich aber als eigenständige substantielle Dinge auf. Und in gewissem Sinn verwandeln sich auch die Sto=e, nämlich in ihrer Funktion. Jedenfalls stehen sie dem Lebewesen nicht mehr einfach als Gegenstände gegenüber. Zwar bin ich nicht mein Fleisch oder mein Blut, aber ich bin auch nicht zu unterscheiden von meinem Fleisch und Blut. Ich bin mein Leib und Leben. Ich bin aber auch mehr als bloß mein Leib und Leben.
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Damit weist Hegel schon auf Späteres hin, nämlich auf die im Selbstbewusstseinskapitel behandelte Rolle der Begierde als primitive Selbstbeziehung. Im Begehren möchte ich ein anderer sein als ich bin. Die Befriedigung von Begierden ist Vorform jeder Erfüllung bestimmter Bedürfnisse und Interessen und relevanter di=erentieller und inferentieller Erfüllungsbedingungen. Die Erfüllungsbedingungen eines auf eine richtige Befriedigung ausgerichteten Begehrens, sozusagen einer Proto-Intention, spielen eine zentrale pragmatisch-praktische Rolle in jeder inhaltlich bestimmten Unterscheidung, gerade auch in Bezug darauf, was es wirklich gibt. Hegel behandelt damit weiterhin die Frage nach dem Verhältnis von Selbstbewusstsein und leiblichem Sein, wie es sich ergibt, wenn wir nach der Di=erenz zwischen einer unmittelbaren Befriedigung von Begierden und der Erfüllung inhaltlich bestimmter Erfüllungsbedingungen fragen. Wenn es denn eine unmittelbare Wahrheit, Wirklichkeit oder Wirkung der sinnlichen Dinge geben sollte, so besteht sie zumeist nicht nur in abstrakten Wirkungen, sagen wir auf Augen oder Ohren als unseren Fernsinnen, sondern auch in möglichen weiteren Wirkungen im direkten Körperkontakt, etwa im Kontext der Erfüllung eines wunschartigen intentionalen Begehrens oder in der Inhibition der Befriedigung eines Begehrens. Erstere ist und bleibt die subjektive Grundlage jeder Erfüllungskontrolle. Daher ist jedes Lernen und jede Selbstkontrolle immer auch über die eigenen Gefühle vermittelt, die als solche begri=lich formierte und informierte Empfindungen sind. Jede Form von Wahrheit oder Wirklichkeit ist entsprechend vermittelt, etwa durch allgemeine Erfüllungsbedingungen, die wir am Ende aber nicht bloß individuell, sondern gemeinsam kontrollieren. Wenn wir das Bewusstsein bzw. seinen Begri= zum Gegenstand einer philosophischen Reflexion machen, ist das Wissen »zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand« (Nr. 90). Denn Bewusstsein, con-scientia, ist als Mit-Wissen immer auch schon Wissen, scientia. Es ist Teilnahme am Wissen. Dabei scheint es nahe zu liegen,
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beim unmittelbaren Wissen vom Einzelnen, beim »Wissen des Unmittelbaren oder Seienden« zu beginnen (Nr. 90). Jedes Wissen scheint im Wissen von Einzelpersonen fundiert zu sein, das sich auf Einzelnes bezieht. Und dieses scheint gegründet zu sein im scheinbar unmittelbaren Bewusstsein davon, was es hier und jetzt gibt. Diesem ›Seienden‹ gegenüber, was also hier und jetzt vorhanden ist, haben wir uns, so scheint es zunächst, »ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern und von dem Auffassen das Begreifen abzuhalten« (Nr. 90). Nach unserem Vorgri= auf die Mysterien des Trinkens und Essens erkennen wir vielleicht schon die leise Ironie dieses Satzes, dass wir in unserem Zugri= auf die Welt angeblich alles unangetastet lassen. Alles Wissen hängt mit möglichen Handlungsorientierungen und damit mit der möglichen Änderung des Verlaufs der Welt durch unsere möglichen Interventionen zusammen. Nach dem schon Gesagten sollte aber auch schon das Folgende klar sein: Jeder Geltungsanspruch der Form »ich weiß, dass φ« ist fallibel. Das gilt sogar für den Satz »ich weiß, dass ich gerade denke«, oder »ich weiß, dass ich existiere«, sofern zu diesem Wissen gehören soll, zu wissen, was sich aus der Geltung einer derartigen Aussage, wenn sie wahr ist, so alles inferentiell ergibt. Man könnte ja die cartesischen Sätze »Cogito« und »Sum« einem Papagei beibringen oder einem Roboter – und beide Äußerungen wären in gewissem Sinn falsche Aussagen: die erste, weil beide nicht denken (können), die zweite, weil das »ich bin« etwas anderes heißt, als dass es hier bloß etwas gibt. Jede Philosophie des common sense beginnt dennoch, erstens, wie Descartes mit einer vermeintlich unmittelbaren Selbstgewissheit und, zweitens, wie die Erkenntnislehre des Britischen Empirismus, mit rein rezeptiven sinnlichen Gewissheiten. Auch noch Kant meint, erklären zu müssen, wie die unmittelbare Mannigfaltigkeit von Sinnesdaten zu einem Erfahrungswissen ›synthetisiert‹ und damit ›verarbeitet‹ wird. Dazu vertritt er, so scheint es, die ›konstruktivistische‹ These, dass wir auf diese Mannigfaltigkeit des Sinnlichen eine sich aus den Formen un-
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seres Verstandes oder Denkvermögens ergebende Struktur synthetisch aufdrücken. Das Erfahrungswissen hätte demnach, so liest sich Kant zunächst, sozusagen zwei Wurzeln, die sinnliche Gewissheit und die Formen des urteilenden und schließenden Verstandes. Letztere erkennt Hegel dann schon klarer als implizite oder empraktische Normen des richtigen di=erentiellen und inferentiellen Umgangs mit Sätzen und Aussagen der Form ›N ist P‹, wie sie expliziert werden durch die semantischen Regeln einer Logik sortaler Gegenstandsbereiche. Das Ergebnis dieses logischen Empirismus, wie ihn Kant entwickelt und Hegel kommentiert, ist dann natürlich, dass der Gegenstand unseres Wissens immer nur im Reich der Erscheinungen bleibt, und dass wir über die transzendenten Ursachen in einem von unserem Erfahrungswissen absolut losgelösten Reich von Dingen an sich selbst überhaupt nichts wissen können. Wir können uns ein solches Reich von Ursachen bloß denken. Daher identifiziert Kant ein Reich von Dingen an sich geradezu mit einem ›mundus intelligibilis‹, einer bloß durch Denken zugänglichen Welt von bloßen Möglichkeiten an sich, an deren weitere äußere oder externe Existenz, über die innere oder interne als bloße Denkgegenstände hinaus, man bestenfalls glauben kann, es sei denn, es handelt sich um verbal in abstrakte Gegenstände der Rede verwandelte Formen des Wissens, die sich implizit oder empraktisch in der Realität des empirischen Wissensvollzugs zeigen. Dann besteht ihre Existenz gerade darin, dass sie sich in einer Reflexion auf praktische Vollzugsformen des Lebens bewähren. Und eben darin besteht nach Kant die reale Existenz der Formen der Anschauung, also von Raum und Zeit (zunächst als Ordnung präsentischer Dinge und Prozessabläufe) und dann auch der Kategorien, also der Substantialität und damit der zeitübergreifenden Benennbarkeit der Körperdinge oder der Kausalität von e;zienter Ursache und Wirkung als Wissen über generische, also sich allgemein repoduzierende Ereignisfolgen in zeitlich ablaufenden Prozessen. Es gibt bei Kant aber eine wichtige logische Zweideutigkeit in
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unseren Reden über die Verursachungen unserer Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen. Diese Reden sind transzendent, überschwänglich, ja logisch konfus, wenn man die Verursachungen unseres Wahrnehmens als erfahrungsunabhängige Dinge an sich auffasst, welche unsere sinnlichen Reaktionen kausal hervorbringen sollen. Eine solche transzendente Vorstellung von der Verursachung unserer Sinnesempfindungen oder ›Impressionen‹ durch absolut erfahrungsunabhängige Dinge und Prozesse ›an sich‹ ähnelt der Idee, unsere Träume seien uns von Göttern eingegeben. Die Rede von durch Dinge und Prozesse der Welt verursachten ›Eindrücken‹ ist nur dann in Ordnung, wenn sie in folgendem Sinn erfahrungsimmanent bleibt: Die verursachenden ›Dinge‹ und ›Prozesse‹ werden selbst schon neben den Reaktionsweisen des Körpers oder im Körper als Erfahrungsgegenstände behandelt; und es werden von uns theoretische Gesetze zur kausalen Erklärung beobachtbarer Gesetzmäßigkeiten aufgestellt und überprüft. Dieses Vorgehen führt zu einer in sich unproblematischen empirischen Sinnesphysiologie und Wahrnehmungspsychologie. Es ist dann allerdings zu beachten, dass die Ergebnisse einer solchen Physiologie nicht transzendent, überschwänglich ausgedeutet werden. Und sie sind von transzendental- oder reflexionslogischen Analysen der normativen Form (der Begründung) unseres Erfahrungswissens zu unterscheiden, wie sie längst schon in Anspruch genommen wird, wenn wir uns um ein empirisches Erfahrungswissenswissen über die Funktionsweise der Wahrnehmung bemühen. Kurz, keine empirische Wahrnehmung kann die allgemeinen logischen und materialbegri=lichen Präsuppositionen infrage stellen, welche im jeweiligen empirischen Wissen als definierende Geltungsbedingungen schon als bekannt und beherrscht vorausgesetzt werden. Da zu den materialbegri=lichen Voraussetzungen des Sinnes empirischer Aussagen immer auch schon ein generisches Normalfallwissen gehört, ergibt sich eine komplexe methodische Stufung des Sinnes empirischer Aussagen. Sie hat zur Folge, dass wir immer sehr genau hinschauen müssen, in wie weit und wie empirische Aussagen allgemeines Wissen
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widerlegen können, und in wie weit die empirischen Aussagen ohne die Voraussetzung des allgemeinen Wissens sinnlos wären. Es ist die Stufung des Begri=lichen und Empirischen, die hier so prekär ist und welche in den Sachwissenschaften notorisch in ihrer Bedeutung gerade auch für die Grenzen eines so und so verfassten empirischen Wissens unterschätzt wird. Noch Wittgenstein im Tractatus meint, es könne doch nicht sein, dass, ob eine Aussage Sinn hat, davon abhängt, dass viele andere Aussagen wahr sind. Aber eben so ist es. Der (logische) Empirismus will das nicht wahrhaben. Eine Schwierigkeit besteht nun darin, dass wir besondere und einzelne Probleme im Begründen von Wissen durchaus aufzeigen können. Daher können empirische Beobachtungen zu einer Entwicklung des methodologischen Selbstbewusstseins durchaus beitragen. Eine weitere Schwierigkeit betri=t den erfahrungsimmanenten Status des eben schon genannten Kausalprinzips, nach welchem in seiner starken Deutung angeblich jedes Einzelereignis, auch in unserem Körper, eine e;zienzkausale Einzelursache besitze, auf die sie mit Notwendigkeit nach einer Regel folge, wie Kant sagt, also einem allgemeinen Gesetz gemäß als notwendige Folge der Ursache erscheint. Dieses Problem ist, wie man weiß, das Hauptproblem Kants, das seine eigene Lösung der Freiheitsantinomie durchaus fragwürdig macht, wie Hegel klar sieht. Das rechte immanente Verständnis von Kausalität und Freiheit ist daher auch das zentrale Problem von Hegels systematischer Philosophie, die sich nicht bloß hier, sondern auch in ihren ethisch-praktischen Erwägungen als eine echte, nicht bloß, wie noch bei John Stuart Mill, bloß oberflächliche oder erbauliche Philosophie der Freiheit darstellt. Diese Lesart Hegels stelle ich schon jetzt klar und deutlich den üblichen Lesarten entgegen, welche in der Regel das Problem der Freiheit maßlos unterschätzen. Denn angesichts der Erklärungsansprüche der Naturwissenschaften und angesichts des Wissens über die Prägungen von Personen durch ethische Traditionen und einer Einsicht in die Konservativität des Verstandes als bloßer Fähigkeit der rechten Befolgung
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vorgegebener Regeln und Schematismen bedarf es einer weit genaueren Erklärung der Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Freiheit, als sie Kant zu liefern in der Lage war. Eine solche fehlt auch noch bei John Stuart Mill oder später bei Bertrand Russell. Das Hohelied der Freiheit kann man leicht singen, wenn man die Probleme der Ansprüche naturkausaler Erklärungen nicht hinreichend ernst nimmt. Hier bedarf es der Widerlegung verschiedener ›empiristischer‹ Vorstellungen, zum Beispiel auch der von einem absolut sicheren Anfang des Wissens in der sinnlichen Gewissheit – ohne jeden Vorgri= auf die spätere Frage nach den ›Ursachen‹ und ›Grenzen‹ dieser Gewissheit.
12.
Laufender Kommentar zum I. Kapitel (Sinnliche Gewissheit)
12.1 Das Diese »Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist. Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern und von dem Auffassen das Begreifen abzuhalten.« (69 | 62)
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Thema einer Phänomenologie des Wissens, Bewusstseins oder Geistes – das bedeutet zunächst alles im Wesentlichen dasselbe – ist die reale Erscheinungsform des Wissens. Wir haben daher zunächst bei dem zu beginnen, wie sich Wissen unmittelbar zeigt und wie es unmittelbares Wissen von Welt ist oder zu sein scheint. Allein schon von dieser Ausgangslage her liegen die Explikationsversuche der Grundlage des Wissens nahe, wie wir sie aus dem epistemologischen Empirismus von Locke bis Hume kennen. Wir werden dennoch sehen, dass die Suche nach einer unmittelbaren und rein rezeptiven Basis des Wissens notwendigerweise scheitert. »Der konkrete Inhalt der sinnlichen Gewißheit läßt sie unmittelbar als die reichste Erkenntnis, ja als eine Erkenntnis von unendlichem
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Reichtum erscheinen, für welchen ebenso wohl, wenn wir im Raume und in der Zeit, als worin er sich ausbreitet, hinaus-, als wenn wir uns ein Stück aus dieser Fülle nehmen und durch Teilung in dasselbe hineingehen, keine Grenze zu finden ist. Sie erscheint außerdem als die wahrhafteste; denn sie hat von dem Gegenstande noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich. Diese Gewißheit aber gibt in der Tat sich selbst für die abstrakteste und ärmste Wahrheit aus. Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist; und ihre Wahrheit enthält allein das Sein der Sache; das Bewußtsein seinerseits ist in dieser Gewißheit nur als reines Ich; oder Ich bin darin nur als reiner Dieser und der Gegenstand ebenso nur als reines Dieses. Ich, dieser, bin dieser Sache nicht darum gewiß, weil Ich als Bewußtsein hierbei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte. Auch nicht darum, weil die Sache, deren ich gewiß bin, nach einer Menge unterschiedener Bescha=enheiten eine reiche Beziehung an ihr selbst oder ein vielfaches Verhalten zu anderen wäre. Beides geht die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit nichts an; weder Ich noch die Sache hat darin die Bedeutung einer mannigfaltigen Vermittlung, Ich nicht die Bedeutung eines mannigfaltigen Vorstellens oder Denkens, noch die Sache die Bedeutung mannigfaltiger Bescha=enheiten, sondern die Sache ist; und sie ist, nur weil sie ist; sie ist, dies ist dem sinnlichen Wissen das Wesentliche, und dieses reine Sein oder diese einfache Unmittelbarkeit macht ihre Wahrheit aus. Ebenso ist die Gewißheit als Beziehung unmittelbare reine Beziehung; das Bewußtsein ist Ich, weiter nichts, ein reiner Dieser ; der Einzelne weiß reines Dieses oder das Einzelne.« (69 f. | 63)
Die Passage zeigt schon tiefe Parallelen zum Anfang der Wissenschaft der Logik, gerade auch wegen der Abstraktheit der Titelwörter »Ich« und »Sein« und wegen ihrer ›Identität‹ in der Äußerung des Satzes »ich bin«. Wie dem auch sei, es scheint zunächst (für alle) so, als wäre die sinnliche Gewissheit unmittelbarer und reicher als alle Wiedergaben begri=licher Bestimmungen, die gerade wegen ihrer allgemeinen Verständlichkeit abstrakt sind. Aller Inhalt ist allgemein, in diesem Sinn abstrakt. Bekanntermaßen sieht das später auch Nietzsche so. Dem gegenüber erscheint die reine
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sinnliche Gewissheit als unendlich, konkret und real, weil für ihre Bestimmung »keine Grenze zu finden ist«, weder im Hinblick auf das Was noch das Wo noch das Wann. Das gerade aber macht diese sinnliche Gewissheit am Ende nicht reich, sondern arm, nämlich arm an jeder Bestimmtheit. Trotzdem meint man zunächst, sie sei »die wahrhafteste« Gewissheit, die »von dem Gegenstande noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich« habe. Man meint, in Abstraktionen sähen wir von etwas möglicherweise Wichtigem ab. Doch leider kann man ohne begri=liche Bestimmungen des Gegenstandes und seiner Eigenschaften nur die tautologische Aussage »es ist« oder »da, da« artikulieren, was o=enbar ebenso inhaltsleer ist wie die Aussage »ich bin«. Titel für diese Form des Aussagens ist das »Sein der Sache«. Was es ist, lässt sich erst sagen, wenn wir zwischen Satzgegenstand und Satzaussage unterscheiden können. In einer Situation, in der ich z. B. auf etwas zeige und sage »es ist« oder »da, da«, habe ich noch nichts gesagt, noch kein Wissen ausgedrückt und mich noch nicht auf etwas Bestimmtes bezogen. Dazu müsste ich immerhin schon so etwas sagen wie »es ist ein P«. Mehr noch, es ist ganz unklar, worauf ich mich beziehe, wenn ich nicht sage, wovon ich rede. Dazu muss ich vielleicht die noch leere Anapher »es« durch eine Nennung ersetzen und etwa erläuternd sagen: »das N da, das ich meine, ist ein P«. Um im Folgenden nicht immer sagen zu müssen, dass ich oder wir über das sprechen, was mir oder uns hier und jetzt als gewiss oder als dieser oder jener Gegenstand sinnlich unmittelbaren Wissens erscheint, benutze auch ich hier, wie Hegel, gelegentlich die Titelausdrücke »das Hier« und »das Jetzt«; »das Ich«, auch »das Wir« und »das Dies«. Diese Ausdrucksweisen der metastufigen Reflexionssprache ermöglichen abkürzende Verweise und über die Nominalisierung auch entsprechende prädikative Kommentare. Es sind ihnen dann allerdings vom Leser immer entsprechend passende Objektaussagen zuzuordnen. Hegel meint also keineswegs, wie mancher glauben mag, dass es ein Ich oder Wir ›gibt‹ oder ein Dieses oder ein Hier. Die beiden Ausdrücke »das reine Ich«
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und »das reine Dies« stehen also gewissermaßen bloß für zwei formale oder logische Momente einer Zeige- und Sprechhandlung, die reine Performation und das reine Zeigen. Man denke etwa an einen Fall, in dem ich eine Zeige-Geste ausführe und bloß sagen würde »(ich sage:) dies« oder »(ich sage:) es ist«. Hegel erläutert weiter, dass der Vorstellung von unmittelbarer sinnlicher Gewissheit gemäß je ich (»Ich, dieser«) nicht darum »dieser Sache gewiß« bin oder sein kann, »weil Ich als Bewußtsein hierbei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte.« Denn das würde jede Unmittelbarkeit der sinnlichen Gewissheit aufheben. Hegel führt den Gedankengang dann so fort: 92
»An dem reinen Sein aber, welches das Wesen dieser Gewißheit ausmacht und welches sie als ihre Wahrheit aussagt, spielt, wenn wir zusehen, noch vieles andere beiher. Eine wirkliche sinnliche Gewißheit ist nicht nur diese reine Unmittelbarkeit, sondern ein Beispiel derselben. Unter den unzähligen dabei vorkommenden Unterschieden finden wir allenthalben die Hauptverschiedenheit, daß nämlich in ihr sogleich aus dem reinen Sein die beiden schon genannten Diesen, ein Dieser als Ich und ein Dieses als Gegenstand, herausfallen. Reflektieren wir über diesen Unterschied, so ergibt sich, daß weder das Eine noch das Andere nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewißheit ist, sondern zugleich als vermittelt; Ich habe die Gewißheit durch ein anderes, nämlich die Sache; und diese ist eben so in der Gewißheit durch ein Anderes, nämlich durch Ich.« (70 | 64)
Man meint, auf einen Einzelfall als Beispiel einer allgemeinen und doch unmittelbaren sinnlichen Gewissheit verweisen zu können. Das Allgemeine muss dann aber entweder schon implizit bekannt oder als Art des Gegenstandes, auf den man sich bezieht, genannt sein. Außerdem kommen im zeigenden Weltbezug immer zwei deiktische Bezugnahmen vor, das »Dieser als Ich und ein Dieses als Gegenstand«: Schon die sinnliche Gewissheit muss, wie dann auch jedes Wissen, relational aufgefasst werden, d. h. als Beziehung zwischen dem Wissenden und dem Gewussten. Das aber bedeutet, dass die Unmittelbarkeit der Gewissheit unmittelbar problematisch wird, da sie sich nicht bloß auf mich selbst
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beziehen kann, und zwar selbst dann, wenn wir das Dies der Gewissheit in unseren eigenen Empfindungen, etwa in der Form unmittelbarer Sinnesdaten ansetzen oder suchen wollten. Auch dann bedarf es sowohl einer begri=lichen als auch sachlichen Unterscheidung zwischen mir und dem, was ich in mir finde oder zu finden meine. Das sagt im Grunde auch der folgende Satz. »Diesen Unterschied des Wesens und des Beispiels, der Unmittelbarkeit und der Vermittlung, machen nicht nur wir [die wir auf die logische Form der Rede von einer sinnlichen Gewissheit sinnkritisch reflektieren, PSW], sondern wir finden ihn an der sinnlichen Gewißheit selbst, und in der Form, wie er an ihr ist, nicht wie wir ihn so eben bestimmten, ist er aufzunehmen.« (70 | 64)
Es geht hier um die Unterscheidung zwischen unseren Kommentierungen der üblichen Vorstellungen von der sinnlichen Gewissheit und dem, was die sinnliche Gewissheit selbst ist. Bedeutsam ist dabei, erstens, dass Hegel sich der Stufungen reflektierender Überlegungen absolut bewusst ist, und dass er, zweitens, zwischen Kommentaren von ›außen‹ und Argumenten aus einer Binnenperspektive unterscheidet. Im Folgenden geht es um Letzteres, also um eine Art immanente Argumentationsführung, welche uns die Naivität der Vorstellung aufweist, man könne Wissen sicher auf sinnliche Gewissheit gründen. Dieser verfehlten Vorstellung zufolge ist »das einfache unmittelbar Seiende . . . der Gegenstand«. Das Wissen von ihm aber ist durch etwas anderes vermittelt, nämlich durch das Ich bzw. mein Wissen oder meine Gewissheit. Ich weiß vom Gegenstand, so scheint es, nur darum, weil er ist. Er kann sein oder auch nicht sein. »Der Gegenstand aber ist . . . gleichgültig dagegen, ob er gewußt wird oder nicht; er bleibt, wenn er auch nicht gewußt wird; das Wissen aber ist nicht, wenn nicht der Gegenstand ist.« So denken und reden wir, wenn wir naiv auf die Beziehung zwischen Wissen und Gegenstand reflektieren. Hegel betont hier zugleich auch schon den wichtigen Unterschied zwischen dem ›inneren Gegenstand‹ einer intentionalen Relation (woran ich etwa denke, wie der Gegenstand für mich ist) und dem ›äußeren‹, realen Gegenstand
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(wie der Gegenstand für sich, in seiner Identität mit oder ohne Bezug auf mich ist). Der Unterschied hängt eng zusammen mit der Di=erenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Die Frage ist, ob die Idee von einem Gegenstand, wie er »in der sinnlichen Gewißheit selbst« als seiendes Wesen ausgegeben wird, kohärent ist, »ob dieser sein Begri=, Wesen zu sein, dem entspricht, wie er in ihr vorhanden ist.« Was ist ›das Wesen‹, also die Seinsweise, des Gegenstandes der sinnlichen Gewissheit? 93 b
»Es ist in ihr eines als das einfache unmittelbar Seiende oder als das Wesen gesetzt, der Gegenstand, das andere aber als das Unwesentliche und Vermittelte, welches darin nicht an sich, sondern durch ein anderes ist, Ich, ein Wissen, das den Gegenstand nur darum weiß, weil er ist, und das sein oder auch nicht sein kann. Der Gegenstand aber ist, das Wahre und das Wesen; er ist, gleichgültig dagegen, ob er gewußt wird oder nicht; er bleibt, wenn er auch nicht gewußt wird; das Wissen aber ist nicht, wenn nicht der Gegenstand ist.« (70 | 64)
In der sinnlichen Gewissheit soll nach der üblichen Vorstellung der Gegenstand nur deswegen ›erfahren‹ werden, weil er ist, ohne jede Vermittlung. Wäre der Gegenstand nicht, würde man ihn nicht ›erfahren‹. Doch wie soll das möglich sein, wenn normalerweise Gegenstände die ›Eigenschaft‹ haben, gleichgültig dagegen zu sein, ob sie ›gewusst‹ (bzw. erkannt) werden oder nicht? Der Gegenstand könnte (da) sein und nicht erkannt werden; oder man meint, ihn zu erkennen, obwohl er nicht (da) ist. 94
»Der Gegenstand ist also zu betrachten, ob er in der Tat, in der sinnlichen Gewißheit selbst, als solches Wesen ist, für welches er von ihr ausgegeben wird; ob dieser sein Begri=, Wesen zu sein, dem entspricht, wie er in ihr vorhanden ist. Wir haben zu dem Ende nicht über ihn zu reflektieren und nachzudenken, was er in Wahrheit sein mochte, sondern ihn nur zu betrachten, wie ihn die sinnliche Gewißheit an ihr hat.« (70 f. | 64)
Wie also kann ein Gegenstand in der sinnlichen Gewissheit unmittelbar erscheinen? Und wie erscheint er dem Theoretiker, der über ihn redet und die Erscheinungen der sinnlichen Gewissheiten teils erklären, teils als angeblich irrtümlich aufheben möchte?
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»Sie [die sinnliche Gewissheit, PSW] ist also selbst zu fragen: Was ist das Diese? Nehmen wir es in der gedoppelten Gestalt seines Seins, als das Itzt und als das Hier, so wird die Dialektik, die es an ihm hat, eine so verständliche Form erhalten, als es selbst ist [das besagt auf ironische Weise, dass die Idee einer rein sinnlichen Gewissheit unverständlich ist, PSW]. Auf die Frage: was ist das Itzt antworten wir also zum Beispiel: das Itzt ist die Nacht.« (71 | 64)
In der Aussage »es ist das« oder »es ist so« ist implizit immer ein Gegenwartsbezug enthalten, der zwei Aspekte hat. Der zeitliche Aspekt der Gegenwart drückt sich sowohl in der Kopula »ist (jetzt)« aus in Kontrast zum »war (damals)« und »wird (dann) sein«, als auch in einer zeitlichen Begrenzung des Dies in einem »dies jetzt«. Der räumliche Aspekt der Gegenwart oder des Dies wird im Ausdruck »dies hier« explizit. Ebenso ist Hegels Rede von einer »gedoppelten Gestalt seines Seins, als das Jetzt und als das Hier« aufzufassen. »Auf die Frage: was ist das Jetzt antworten wir also zum Beispiel: das Jetzt ist die Nacht.« Der Satz ist, wie gesagt, als metastufiger, formenanalytischer oder reflexionslogischer Merksatz oder Kommentar zu lesen. Hegel sagt also keineswegs, dass es je objektstufig einen Sinn hätte zu sagen »Das Jetzt ist die Nacht.« Der Satz sagt vielmehr: Wenn es darum geht, zu bestimmen, was die begrenzte Extension des Wörtchens »jetzt« im konkreten Beispiel ist, könnte die Antwort lauten »jetzt ist Nacht« oder »das Wort ›jetzt‹ bezieht sich auf diese Nacht«. Man denke zum Beispiel an den Satz, den die Engel den Hirten an Weihnachten geäußert haben mögen: »dies ist die Nacht, es wird heute, jetzt gerade, der Heiland geboren« – und daran, dass die Geburt eine Weile dauert, so dass das Wort »jetzt« nicht etwa auf einen Augenblicksmoment verweisen kann, wie man meinen würde, wenn man von dem je relevanten Prozess abstrahierte. Der zentrale Punkt der Überlegung ist dieser: So wie das Wort »Gott« nichts benennen könnte, wenn wir nicht schon etwas über die Gott zugeschriebenen Eigenschaften und Fähigkeiten kennten oder wüssten, da wir dann nicht wüssten, wovon die Rede ist, kann auch das Wort »heute« und »jetzt« oder eine Datierung wie
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»2001 Jahre nach Christi Geburt« keine Zeit bestimmen, ohne dass wir den relevanten Prozess, auf den wir uns beziehen wollen, und sei es nur die gegenwärtige Tageszeit, schon kennen. Es ist o=enkundig, dass ohne Vorwissen noch nicht einmal die ›zeitliche Ausdehnung‹ des präsentisch geäußerten Zeigewortes »heute« bestimmt wäre. Analoges ergibt sich für die räumliche Ausdehnung des Zeigewortes »hier« oder für das indexikalische Zeigewort »dies«. 95 b
»Um die Wahrheit dieser sinnlichen Gewißheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, daß wir sie aufbewahren. Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist.« (71 | 64)
Das Argument ist trotz der etwas umständlichen Darstellung über die Schrift, die freilich wichtig wird für die Unterscheidung zwischen einem Satz als reproduzierbarer Ausdrucksform und der einzelnen Äußerung, die als solche gerade nicht unmittelbar reproduzierbar ist, im Grunde ganz einfach: Hegel weist darauf hin, dass der Bezug der Zeigewörter von der Situation ihrer Äußerung abhängt, also darauf, dass sie, erstens, nicht als Wörter etwas benennen, also keine Namen sind, dass ihr Bezug, zweitens, nur dann in verschiedenen Äußerungen derselbe sein kann, wenn der zugehörige Perspektivenwechsel auch sprachlich angemessen artikuliert wird: Das Jetzt der Nacht wird am Tag zur ›vorigen Nacht‹ oder zu einem Damals. Das Hier der Krippe wird für die Hirten zu einem Dort im Stall. Das Ich des Engels wird für die Hirten zu einem Du oder Er. Nicht die o=enkundig gemeinte Sache, sondern nur die stenographische Ausdrucksform Hegels ist hier schwierig. 96 a
»Das Itzt, welches Nacht ist, wird aufbewahrt, d. h. es wird behandelt als das, für was es ausgegeben wird, als ein Seiendes; es erweist sich aber vielmehr als ein nicht Seiendes.« (71 | 65)
Gemeint ist wohl dieses: Die Vorstellung, das Dies-Hier-Jetzt beziehe sich auf etwas Bestimmtes, Seiendes, setzt voraus, dass sich etwas an diesem Gegenstand aufbewahren lässt. Wie sollte
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die sinnliche Gewissheit ein Wissen und ihr Inhalt etwas Wahres oder Wirkliches sein, wenn das nicht der Fall wäre? Diese Bedingung aber kann nicht unmittelbar erfüllt werden. Allein schon aufgrund des Ablaufs der Zeit ist ein Perspektivenwechsel nötig zwischen dem, was jetzt ist, und dem, was vorher war. Dieser Wechsel sorgt schon dafür, dass die ›Wahrheit‹ der sinnlichen Gewissheit nicht unmittelbar sein kann. Die folgende Überlegung zeigt noch weiter, warum nicht die einzelne sinnliche Gewissheit, sondern nur etwas Allgemeines wahr sein kann, und dass auch die Bedeutung von deiktischen oder demonstrativen Pronomen wie »ich« und »du« »hier« und »dort«, »jetzt« und »dann« allgemein ist und nicht außerhalb eines Systems des richtigen Umgangs mit solchen Pronomen verstehbar ist. »Das Itzt selbst erhält sich wohl, aber als ein solches, das nicht Nacht ist; ebenso erhält es sich gegen den Tag, der es itzt ist, als ein solches, das auch nicht Tag ist, oder als ein Negatives überhaupt. Dieses sich erhaltende Itzt ist daher nicht ein unmittelbares, sondern ein vermitteltes; denn es ist als ein bleibendes und sich erhaltendes dadurch bestimmt, daß anderes, nämlich der Tag und die Nacht, nicht ist. Dabei ist es eben noch so einfach als zuvor, itzt, und in dieser Einfachheit gleichgültig gegen das, was noch bei ihm herspielt; sowenig die Nacht und der Tag sein Sein ist, ebenso wohl ist es auch Tag und Nacht; es ist durch dies sein Anderssein gar nicht a;ziert. Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder Dieses noch Jenes, ein Nichtdieses, und ebenso gleichgültig, auch Dieses wie Jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; das Allgemeine ist also in der Tat das Wahre der sinnlichen Gewißheit.« (71 | 65)
Die Bedeutung von »dies« ist durch den Kontrast zu der von »jenem« bestimmt. Die Bedeutung von »ich« ist im Kontrast zur Bedeutung von »du« und »ihr« und »sie« bestimmt. Man beachte, dass das Wort »Bedeutung« hier nicht terminologisch so eng zu lesen ist, wie etwa bei Frege. Die Frage, ob indexikalische Ausdrücke überhaupt eine Bedeutung haben, ist hier auch nicht relevant, zumal es in ihr nur darum geht, wie man eine spezielle Kommentarsprache für welche Unterscheidungszwecke einrichten will.
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Darüber hinaus gibt es keinen fact of the matter. Viele so genannte Thesen und Theorien zum Bedeutungsbegri=, z. B. von deiktischen Wörtern oder dann etwa auch von Metaphern, stellen sich daher als in der Sprachform verfehlt heraus: Derartige Vorschläge sind keine wahren oder falschen Aussagen über einen Begri= der Bedeutung in einem schon gegebenen Gebrauch des Wortes, sondern nur gut oder schlecht für die je verfolgten Zwecke. Im Gebrauch ist die Relation auf den Sprecher zu beachten, die Bezugnahme ist daher von der Situation der Performation hochgradig abhängig. Dabei wird ein anderer mich als Sprecher gegenfalls identifizieren müssen. In der Performation aber identifiziere ich mich keineswegs mit mir selbst, sondern bin unmittelbar der, der spricht (oder denkt, wenn ich etwa im verbal planning leise mit mir selbst spreche). Das Allgemeine aber ist immer auch schon vermittelt durch sprachliche oder bildliche, symbolische oder eben dadurch schon begri=liche Repräsentationen. Das ist so, weil ein sprachliches Symbol, etwa das Wort »Hund«, in der beliebigen Reproduzierbarkeit seiner Form viel einfacher zu kontrollieren ist als die Gestaltgleichheiten oder Ähnlichkeiten der Erscheinungsweisen der verschiedenen Hunde – ein Fall, den bekanntlich auch Kant diskutiert. Gerade durch die gelernten Zuordnungen von Wort und Gestalt, auch Wort und Artform, logos und eidos, spielt Sprache eine so große Rolle für die generische Bestimmung von etwas als etwas und damit für klare und deutliche Unterscheidungen in der Welt. 97
»Als ein Allgemeines sprechen wir auch das Sinnliche aus, was wir sagen, ist: Dieses, d. h. das allgemeine Diese, oder: es ist; d. h. das Sein überhaupt. Wir stellen uns dabei freilich nicht das allgemeine Diese oder das Sein überhaupt vor, aber wir sprechen das Allgemeine aus; oder wir sprechen schlechthin nicht, wie wir es in dieser sinnlichen Gewißheit meinen. Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung ; und da das Allgemeine das Wahre der sinnlichen Gewißheit ist und die Sprache nur dieses Wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, daß wir ein sinnliches Sein, das wir meinen, je sagen können.« (71 f. | 65)
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Man beachte, dass Hegel hier die sprachliche Vermittlung jeder echten Wahrheit erkennt und betont. Das Argument für das zweite Formmoment des Dieses, das Hier, ist, wie Hegel sagt, völlig analog. Es sei z. B. richtig, dass hier ein Baum ist. »Es wird derselbe Fall sein mit der andern Form des Dieses, mit dem Hier. Das Hier ist z. B. der Baum. Ich wende mich um, so ist diese Wahrheit verschwunden und hat sich in die entgegengesetzte verkehrt: Das Hier ist nicht ein Baum, sondern vielmehr ein Haus. Das Hier selbst verschwindet nicht; sondern es ist bleibend im Verschwinden des Hauses, Baumes usf. und gleichgültig, Haus, Baum zu sein. Das Dieses zeigt sich also wieder als vermittelte Einfachheit oder als Allgemeinheit.« (72 | 65)
Mit dem Kontrast von Haus und Baum sehen wir, wie die Negation als Bestimmung im Kontext von Perspektivenänderungen für die allgemeine Bedeutung von Demonstrativpronomen wesentlich wird. Es ist also falsch zu meinen, dass »das Wahre der sinnlichen Gewißheit nicht das Allgemeine« sei. Vielmehr ist man sich in der sinnlichen Gewissheit der Geltung allgemeiner Wahrnehmungsurteile gewiss. Das sind Urteile, die ich hier und jetzt fälle, für die ich einstehe, die aber als solche schon einen allgemeinen Inhalt haben. Dieser allgemeine Inahlt ist vermittelt durch die schon betrachteten Perspektivenwechsel auf dasselbe. Dieses wird also von anderen Orten und anderen Zeiten her betrachtet. Und diese Bezugnahme wird sprachlich durch Verwendung indexikalischer Wörter wie »dies«, »jenes«, »hier«, »dort«, »oben«, »unten«, »links«, »rechts«, »jetzt«, »dann« und dann auch die zeitlichen Kopulae »war«, »ist« und »wird sein« kommentierend begleitet. Ihr Kontrast korrespondiert der Verschiedenheit der räumlichen und zeitlichen Perspektiven der Sprecher. Man beachte, dass die Logik der indexikalischen Wörter zum Teil Kants Beginn mit den beiden Formen der Anschauung, Raum und Zeit, in der Transzendentalen Ästhetik ersetzt. Das Ergebnis dieser Überlegung ist, scheinbar überraschenderweise, dieses: Zunächst hatten wir gemeint, dass der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit das Wesentliche sein sollte. Doch jetzt
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sehen wir, dass das Wesentliche das Allgemeine ist, was sich unter allerlei Änderungen der Perspektive erhält und was durch unsere Sprache und Gedanken vermittelt werden muss. Die sinnliche Gewissheit bezieht sich auf den Gegenstand unmittelbar nur in dem Teilmoment, dass er mein Gegenstand ist. Sie liegt also »im Meinen«, wie Hegel fast ironisch in einer Art Sprachspielerei sagt. Die Wirklichkeit des Gegenstandes zeigt sich mir also immer nur, »weil Ich von ihm weiß«. Das ist die zu bewahrende Bedeutsamkeit der sinnlichen Gewissheit. 99
»Dieser sinnlichen Gewißheit, indem sie an ihr selbst das Allgemeine als die Wahrheit ihres Gegenstandes erweist, bleibt also das reine Sein als ihr Wesen, aber nicht als unmittelbares, sondern [als] ein solches, dem die Negation und Vermittlung wesentlich ist, hiemit nicht als das, was wir unter dem Sein meinen, sondern das Sein mit der Bestimmung, daß es die Abstraktion oder das rein Allgemeine ist; und unsere Meinung, für welche das Wahre der sinnlichen Gewißheit nicht das Allgemeine ist, bleibt allein diesem leeren oder gleichgültigen Itzt und Hier gegenüber noch übrig.« (72 | 65)
Da die sinnliche Gewissheit nicht unmittelbar einen bestimmten Gegenstand erkennen kann, ist die Bestimmung dessen, was wir meinen, sinnlich unmittelbar wahrzunehmen, durch ein willkürliches Meinen bestimmt. Unmittelbar ist also nicht der Gegenstandsbezug, sondern der Akt des Meinens. Wegen seiner Beliebigkeit oder Willkür führt dieser aber nicht unmittelbar zu einem Wissen, selbst wenn er durch das Gefühl der Gewissheit begleitet ist. Wir müssen daher zwischen einem performativen Urteilsvollzug und seinem Inhalt unterscheiden, genauer zwischen, erstens der versichernden Behauptung, dass eine allgemeine Geltungsbedingung erfüllt ist, zweitens, der Geltungsbedingung selbst in ihrer allgemeinen Bestimmtheit und, drittens, (der Bewertung) ihrer wirklichen Erfüllung (durch uns, nicht bloß durch mich). 100
»Vergleichen wir das Verhältnis, in welchem das Wissen und der Gegenstand zuerst auftrat, mit dem Verhältnisse derselben, wie sie in diesem Resultate zu stehen kommen, so hat es sich umgekehrt.
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Der Gegenstand, der das Wesentliche sein sollte, ist nun das Unwesentliche der sinnlichen Gewißheit; denn das Allgemeine, zu dem er geworden ist, ist nicht mehr ein solches, wie er für sie wesentlich sein sollte, sondern sie ist itzt in dem Entgegengesetzten, nämlich in dem Wissen, das vorher das Unwesentliche war, vorhanden. Ihre Wahrheit ist in dem Gegenstande als meinem Gegenstande oder im Meinen; er ist, weil Ich von ihm weiß. Die sinnliche Gewißheit ist also zwar aus dem Gegenstande vertrieben, aber dadurch noch nicht aufgehoben, sondern nur in das Ich zurückgedrängt; es ist zu sehen, was uns die Erfahrung über diese ihre Realität zeigt.« (72 | 66)
Während man zunächst gedacht hatte, man könne einen Gegenstand sinnlich unmittelbar wahrnehmen, ist jetzt klar, dass ein bestimmter Gegenstand nur durch ein begri=liches Denken und Urteilen vermittelt gegeben ist – so dass die sinnliche Wahrnehmung erst in einer zweiten Runde daran beteiligt ist, zu prüfen, ob der so bestimmte Gegenstand wirklich vorliegt. Unmittelbar also ergeben sich aus dem sinnlichen Kontakt mit der Umwelt bloß erst einige mögliche Urteile oder Meinungen in Bezug auf die mögliche begri=liche Bestimmung des Wahrgenommenen. Diese Meinungen müssen dann aber noch einmal kontrolliert werden, ob sie nicht zu schnell oder willkürlich getro=en sind. Es wird also die Meinung durch die Wahrnehmung kontrolliert, nachdem sie zuvor durch das Perzipieren nahegelegt sein mag. Unmittelbar ist also weder die Wahrnehmung des bestimmten Gegenstandes noch die Meinung, das Urteil. Beide, das Möglichkeitsurteil über das, was ich perzipiere, und die vom Gegenstand wesentlich mitbestimmte Wahrnehmung sind sozusagen durch einander oder gegenseitig vermittelt. Und es kann das Wahrnehmungsurteil selbst noch einmal auf die Richtigkeit überprüft werden müssen. Es ist nicht einfach kausale Folge des Perzipierens.
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72 f. | 66
12.2 Das Meinen 101
»Die Kraft ihrer Wahrheit [also der sinnlichen Gewissheit, PSW] liegt also nun im Ich, in der Unmittelbarkeit meines Sehens, Hörens und so fort; das Verschwinden des einzelnen Itzt und Hier, das wir meinen, wird dadurch abgehalten, daß Ich sie festhalte. Das Itzt ist Tag, weil Ich ihn sehe; das Hier ein Baum, eben darum. Die sinnliche Gewißheit erfährt aber in diesem Verhältnisse dieselbe Dialektik an ihr als in dem vorigen. Ich, dieses, sehe den Baum und behaupte den Baum als das Hier ; ein anderer Ich sieht aber das Haus und behauptet, das Hier sei nicht ein Baum, sondern vielmehr ein Haus. Beide Wahrheiten haben dieselbe Beglaubigung, nämlich die Unmittelbarkeit des Sehens und die Sicherheit und Versicherung beider über ihr Wissen; die eine verschwindet aber in der andern.« (72 f. | 66)
Was wir empfinden, empfinden wir in uns. Der Bezug auf das Objekt als Gegenstand ist nicht unmittelbar. Er muss, so scheint es jedenfalls, erst hergestellt werden. Die Bestimmung des Gegenstandes geschieht im Meinen. Das Meinen kann nahegelegt sein durch das Empfinden oder Perzipieren. Aber es liefert als solches bloß erst ein Möglichkeitsurteil. Jede Versicherung artikuliert bloß erst eine Möglichkeit. Übrigens sind Wahrnehmungsaussagen etwa der Form »das da ist ein P« nicht kausal (durch das da) bewirkt, sondern artikulieren freie Urteile. Unsere Gewissheit mag sich dabei auf die sensuelle Perzeption stützen. Die Wahrheit ist damit aber noch nicht erreicht oder gar garantiert. Sie ergibt sich ohnehin erst in der Koordinierung der Bezüge: Meine Aussage »dies ist ein Baum« widerspricht nur dann deiner Aussage »dies ist ein Haus«, nachdem wir den Bezug von »dies« in der Deixis oder Anschauung schon koordiniert haben, uns also auf dasselbe beziehen. 102 a
»Was darin nicht verschwindet, ist ich, als Allgemeines, dessen Sehen weder ein Sehen des Baums noch dieses Hauses, sondern ein einfaches Sehen ist, das, durch die Negation dieses Hauses usf. vermittelt, darin ebenso einfach und gleich gültig gegen das, was noch beiher spielt, gegen das Haus, den Baum ist. Ich ist nur allgemeines,
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wie Itzt, Hier oder Dieses überhaupt; ich meine wohl einen einzelnen Ich, aber so wenig ich das, was ich bei Itzt, Hier meine, sagen kann, sowenig bei Ich. Indem ich sage: dieses Hier, Itzt oder ein Einzelnes, sage ich: alle Diese, alle Hier, Itzt. Einzelne, ebenso, indem ich sage: Ich, dieser einzelne Ich, sage ich überhaupt: alle Ich, jeder ist das, was ich sage: Ich, dieser einzelne Ich.« (73 | 66)
Ich kann nicht sagen, wer oder was das Ich ist, auf das ich mich mit dem Wort »ich« beziehe. Ich kann bestenfalls die Stimme erheben oder auf meine Brust und damit meinen Leib zeigen. Der Bezug des Wortes »ich« zeigt sich dabei im Kontrast zu den anderen, die auch »ich« sagen, also zu dir und ihm. Am Ende ist die Frage nach der Bestimmung des Ich (z. B. als Frage: »Was ist das Ich?«) teils sinnlos, teils überflüssig. Sie ist überflüssig, wenn der Ruf »ich!« (etwa in einer Antwort auf die Frage »wer hat das getan«) ausreicht. Sie ist sinnlos, wenn man allgemein wissen möchte, was alles je zu je mir gehört, und was ich alles von mir unterscheiden kann. So gehören etwa meine Augen zu mir; dennoch kann ich sie von mir unterscheiden, ja sie mir sogar im Extremfall ausreißen. Auch mein Herz oder mein Hirn gehören zu mir. Aber auch diese kann ich wie einen Gegenstand verändern, auch wenn manche derartigen Manipulationen im Extremfall meinen Tod, das Ende meines Lebens und damit von mir zur Folge haben. Noch wichtiger als diese Beobachtung ist aber, dass der Inhalt meiner Wahrnehmung, der identisch ist mit dem Inhalt meines Wahrnehmungsurteil (»Ich sehe das Haus« oder »Ich sehe, dass φ«) nicht bloß als mein Inhalt und für mich bestehend behauptet wird, sondern als unser Inhalt. Ich sage, dass wir sagen dürfen, dass φ, oder dass jeder von uns sagen würde, dass φ. Dabei vertritt hier φ nicht einfach einen Satz, sondern eine (mögliche) Aussage oder Proposition (in einem nichttechnischen Sinn). Im Satz müssen dabei unter Umständen einige indexikalische Wörter geändert werden, wenn du eine im Wesentlichen gleiche Aussage aus deiner Perspektive wie ich machen möchtest, wie das oben schon skizziert wurde: Wo bei mir »hier« stand, steht bei dir vielleicht »dort«, »jetzt« wird vielleicht zu »damals«,
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wenn bei mir »ich« stand, steht bei dir vielleicht »du« usf. Wir kennen diese Technik alle. 102 b
»Wenn der Wissenschaft diese Foderung als ihr Probierstein, auf dem sie schlechthin nicht aushalten konnte, vorgelegt wird, ein sogenanntes dieses Ding oder einen diesen Menschen zu deduzieren, konstruieren, a priori zu finden, oder wie man dies ausdrücken will, so ist billig, daß die Foderung sage, welches dieses Ding oder welchen diesen Ich sie meine; aber dies zu sagen ist unmöglich.« (73 | 66)
Es ist nicht möglich, sich auf ein bloß einzelnes ›dieses Ding‹ zu beziehen, ohne begri=liche Bestimmung, was für ein Gegenstand es ist. Das gilt nicht bloß für den Versuch, sprachlich zu referieren. Auch ein auf ein Ding spezifisch gerichteter Handlungsbezug ist nicht möglich, wenn es der allgemeinen Spezifik mangelt. Macht man sich klar, dass die Bestimmung des Dinges im allgemeinen, an sich, eine Bestimmung durch uns ist, dann versteht man, dass und in welchem Sinn ein ›absolut Einzelnes‹ nicht ›existiert‹ ohne Unterscheidung, von welcher Art oder Genus es ist, was es also generisch oder eben an sich ist, wie es überzeitlich und perspektivenüberschreitend uns gegeben ist und wie sein Fürsichsein zu verstehen ist, also die Äquivalenzrelation zwischen den Erscheinungen, welche die Identität des Gegenstandes definieren. Das ist einfach ›logisch‹ so: Ohne generische Bestimmung des Gegenstandsbereichs und damit der möglichen Erscheinungen eg eines G-Gegenstandes g und ohne Definition der spezifischen Relation R des Fürsichseins zwischen Erscheinungen eg und eh , für welche die Regel gilt: Aus eg R eh folgt g = h, so dass also h gar kein anderer, sondern der gleiche G-Gegenstand ist, auch wenn er in eh anders erscheint als in eg , gibt es keine Individualisierung des Gegenstandes g und damit keinen Gegenstandbezug auf g (oder h = g) in G. Jeder, der auch nur rudimentär in die Elemente der Geometrie und Mathematik und die Probleme der Konstitution abstrakter Gegenstände wie natürliche, rationale oder reelle Zahlen bzw. Proportionen eingeführt ist, weiß das empraktisch, auch wenn es nicht immer explizit erläutert wird. Aus der Notwendigkeit einer transsituativen Bestimmung des
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Gegenstandes oder Bezugssubjekts wird sich auf der Subjekt- oder Sprecherseite ergeben, dass ein bloß einzelnes Wesen, bloß ich, nicht das alleinige Subjekt eines Objektwissens oder einer Objektkenntnis sein kann. Es muss möglich sein, dass sich auch andere auf denselben Gegenstand beziehen. Es bedarf also auch noch einer Bewertung der Äquivalenz oder Gleichgültigkeit verschiedener Bezugnahmen auf Erscheinungen eg oder eh , etwa durch mich und dich, so zum Beispiel, wenn ich bloß etwas höre, du aber etwas siehst, und wir urteilen, es sei dasselbe. Das Beispiel zeigt zugleich, dass schon die Synästhesie einer einzigen Person ein praktisches Äquivalenzbewerten von Erscheinungen eg oder eh und damit ein Identifizieren von g mit h ist, das auf einem impliziten Vorwissen über das relevante Fürsichsein von g aufruht. Hegel musste die enorme Schwierigkeit meistern, diese Einsichten in einer von ihm eigens entwickelten Prosa oder Sprechweise zu erläutern, ohne die Notationen, die wir heute, nach Frege und der Entwicklung logischer Konventionen etwa für indizierte Variable oder Relationen dafür zur Verfügung haben. Das erklärt zugleich die Schwierigkeit der Lektüre seiner Sätze. Ohne logische Vorbildung und ohne Kenntnis zeitgenössischer Redekonventionen (etwa nach Kant und Fichte) sind sie häufig eben schlicht nicht zu verstehen. Hinzu kommt, dass man das Problem der Bestimmung eines Bezugsobjekts durch Bestimmung der Gleichwertigkeit verschiedener Bezugnahmen erst einmal kennen muss und in seiner Schwierigkeit nicht unterschätzen darf. Wer glaubt, alle physischen Dinge seien einfach da, es gehe nur darum, die Konstruktion abstrakter Gegenstände zu erläutern, der ist schon aus der Analyse ausgestiegen. Dabei war es Kant gewesen, der die logische Naivität der Unterstellung entdeckt hat, es seien uns die Dinge der Welt unmittelbar gegeben. Kant erkennt, dass es einer logischen Erläuterung bedarf, wie sich denn unsere namenartigen Wörter und Kennzeichnungen auf die reale Welt beziehen, und zwar vermittels sinnlicher Perzeptionen auf der Basis der Formen des gemeinsamen Objektbezugs in der Anschauung. In der Darstellung Kants wird nur nicht klar und deutlich genug,
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erstens, dass die Gegenstände im dinglichen Weltbezug nicht einfach aus einer Mannigfaltigkeit subjektiver Empfindungen nach apriorischen oder gar angeborenen Verarbeitungsformen konstruiert werden, zweitens, dass die Anschauung selbst schon als ein gemeinsamer Umgang mit präsentischen Objekten in der Deixis zu verstehen ist, und, drittens, dass es noch ganz andere Weltbezüge gibt als die auf substantielle Körperdinge, die für einige Zeit gemeinsam identifizierbar sind. Analoges gilt für ihre Eigenschaften und Relativbewegungen und damit die raumzeitlichen Relationen der Dinge unter einander und zu unserem Leib. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass alles, was Kant als apriorische Form des Erkennens anspricht, bloß auf die relativen Voraussetzungen empirischen Einzelwissens verweist. So muss man z. B. schon irgendwelche Zahlzeichen sicher unterscheiden und spontan, also aus freiem Willen richtig handelnd, in ihrer Ordnungsfolge, also beim Zählen, repräsentieren können, bevor man mit den so genannten natürlichen Zahlen und dann auch mit anderen Zahlen rechnen kann. Entsprechend muss man schon gewisse Formen gemeinsamer Dingidentifikationen, der räumlichen Ordnung der Dinge und der eigenen Orientierung im Raum beherrschen. Im Fall der Zeitbestimmungen muss man schon Folgen von Ereignissen in Prozessen unterscheiden können. Der einfachste Fall ist das Wissen um die relativen Bewegungen von Körperdingen, wie wir sie beobachten können in einer ausgedehnten Gegenwart. Erst in diesem Gesamtzusammenhang verstehen wir die qualitativen Kontraste zwischen hier und jetzt bzw. dort und dann. Erst auf ihrer Grundlage können wir Messungen vornehmen, welche quantitative Orts- und Zeitbestimmungen erlauben. Es ist einerseits trivial und selbstverständlich, andererseits sehr wichtig, dass eine empirische Assertion oder Information (wie etwa »da hinten ist ein Kuh«) nicht möglich wäre, wenn die Beteiligten nicht schon (empraktisch) wüssten, wie Kühe von anderen Lebewesen, wie zuvor schon Tiere von anderen Dingen zu unterscheiden sind und was sie normalerweise so alles
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Unterschiedliches tun und tun können. Zum relativen Apriori des Verstehens von empirischen Einzelaussagen gehören daher mehr an Kategorien im Sinne von beherrschten Aussageformen und ein größeres generisch-begri=liches Vorwissen, als Kants Analyse hergibt. Diese beschränkt sich nur auf die Satzform »N ist P« mit Dingnamen N und mit Prädikaten P als logisch einfache oder auch schon logisch komplexe Ausdrücke für Dingeigenschaften. Der gesamte Bereich der Aussagen über Prozesse und Bewegungen, die Analyse der Verben, bleibt bei Kant wie später auch in der Analytischen Philosophie nach Frege ausgeblendet. Das wichtige Buch von Sebastian Rödl zu den Kategorien des Zeitlichen ö=net hier neue Horizonte. Denn eine Analyse weltbezogener empirischer Aussagen kann sich nicht bloß an zeitallgemeinen oder ewigen Sätzen wie denen der Mathematik oder den standing sentences generischen Wissens orientieren, oder gar an reinen Momentaufnahmen absolut präsentischer Aussagen. Man muss sich das Problem nur vor Augen führen, um zu sehen, was hier fehlt: die Analyse von ›epochalen‹, d. h. eine gewisse eingeklammerte Zeit lang dauernden Prozessen sowohl in ihrer Gegenwart im empirischen Fall eines Einzelprozesses, als auch in ihrer generischen Wiederholbarkeit, so wie sich etwa der Umlauf der Sonne durch die Drehung der Erde regelmäßig wiederholt. Es gilt sogar, wie Hegel erkennt (und zwar teils mit Heraklit, teils mit Spinoza), dass eigentlich schon jedes Ding, insbesondere jedes Lebewesen, in seiner Existenz durch den Prozess seines Seins und deren Epoche oder Zeitdauer bestimmt ist: Die Einheit jedes Lebewesens ist durch sein Leben definiert. Die Einheit eines bloß physischen Dinges, etwa eines so großen wie der Sonne oder der Erde, ist auch nur in der Zeit des Bestehens zwischen ihrem Entstehen und Vergehen definiert. »Die sinnliche Gewißheit erfährt also, daß ihr Wesen weder in dem Gegenstande noch in dem Ich und die Unmittelbarkeit weder eine Unmittelbarkeit des einen noch des andern ist; denn an beiden ist das, was Ich meine, vielmehr ein Unwesentliches, und der Gegen-
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stand und Ich sind Allgemeine, in welchen dasjenige Itzt und Hier und Ich, das ich meine, nicht bestehen bleibt oder ist.« (73 | 66 f.)
Der Versuch, sich rein mit sinnlicher Gewissheit auf einen Gegenstand zu beziehen, scheitert also. Dadurch sehen wir: Das rein sinnliche Empfinden oder bloß reaktive Perzipieren liefert für sich noch keinen unmittelbaren Gegenstandsbezug. Aber auch ein privates Meinen reicht für sich nicht aus. Meine Sinnlichkeit vermittelt weder alleine, noch zusammen mit bloß meinen Urteilen eine unmittelbare Objekterkenntnis. Das sollte jetzt als selbstverständlich eingesehen sein: Wir müssen vielmehr erklären, d. h. logisch explizieren, wie ein allgemeines Verstehen und wie gemeinsame Weltbezüge möglich und wirklich werden. 103 b
»Wir kommen hiedurch dahin, das Ganze der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr Wesen zu setzen, nicht mehr nur ein Moment derselben, wie in den beiden Fällen geschehen ist, worin zuerst der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand, dann Ich ihre Realität sein sollte. Es ist also nur die ganze sinnliche Gewißheit selbst, welche an ihr als Unmittelbarkeit festhält und hiedurch alle Entgegensetzung, die im vorherigen stattfand, aus sich ausschließt.« (73 f. | 67)
John McDowell betrachtet sein grundlegendes Werk »Mind and World« mit Recht als eine Art Prolegomenon zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Er sieht mit Hegel den Fehler, der darin besteht, dass vor Kant und zum Teil sogar noch bei Kant sinnliche Perzeption und begri=liche Fassung getrennt werden. Die Analyse muss in gewissem Sinn vom Ganzen des menschlichen Wissens und der menschlichen Erfahrung ausgehen. Die Reden von einer reinen Empfindung, einer reinen Wahrnehmung oder einem reinen Denkakt sind alle abstrakt und rein formal. Das Wort »rein« signalisiert das, wie wir dies am Kontext der Rede von reinen Zahlen wie der 7 oder reinen Proportionen wie 7 : 2 im Kontrast zu Ausdrücken für benannte Zahlen wie »7 halbe Kuchen« sehen könnten oder sehen sollten. In der Logik und damit der Philosophie sind reine Gegenstände praktisch immer ideale Formen einer Formenanalyse. So sollte auch schon Kant gelesen werden. Hegels zentrales Analysewort für das Verhältnis zwischen ei-
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nem holistisch durch ein Titelwort umrissenen Ganzen (wie etwa dem Wissen oder der Wahrnehmung) und bloßen Teilaspekten oder Teilformen, wie sie in einer logischen Analyse explizit herausgestellt werden, ist das Wort »Moment«. Wir können mit seiner Hilfe sagen: Das Ganze des Wissens hat die Wahrnehmung als Moment. Die Wahrnehmung wiederum lässt sich zwar in die Momente der sinnlichen Empfindung und der meinenden Erwägung von Möglichkeiten zerlegen, aber nicht aus diesen als vermeintlich unabhängigen ›Bestandteilen‹ zusammensetzen. Kants Rede von der Synthesis eines Gegenstandes der Erfahrung ist daher zumindest irreführend.
12.3 Von der sensuellen Gewissheit zur Wahrnehmung von Dingen »Diese reine Unmittelbarkeit [also dieses bloß formale Moment der konkret immer bloß relativen Unmittelbarkeit, PSW] geht also das Anderssein des Hier als Baums, welches in ein Hier, das Nichtbaum ist, das Anderssein des Itzt als Tages, das in ein Itzt, das Nacht ist, übergeht, oder ein anderes Ich, dem etwas anderes Gegenstand ist, nichts mehr an. Ihre Wahrheit erhält sich als sich selbst gleichbleibende Beziehung, die zwischen dem Ich und dem Gegenstande keinen Unterschied der Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit macht und in die daher auch überhaupt kein Unterschied eindringen kann. Ich, dieses, behaupte also das Hier als Baum und wende mich nicht um, so daß mir das Hier zu einem Nichtbaume würde; ich nehme auch keine Notiz davon, daß ein anderer Ich das Hier als Nichtbaum sieht oder daß Ich selbst ein anderesmal das Hier als Nichtbaum, das Itzt als NichtTag nehme, sondern Ich bin reines Anschauen; Ich für mich bleibe dabei: das Itzt ist Tag, oder auch dabei: das Hier ist Baum, vergleiche auch nicht das Hier und Itzt selbst miteinander, sondern Ich halte an Einer unmittelbaren Beziehung fest: das Itzt ist Tag.« (74 | 67)
Wir wissen jetzt: Wahrnehmen ist begri=lich informiertes Urteilen auf der Basis einer gewissen Eigenkontrolle sinnli-
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cher Gewissheiten, die ihrerseits mögliche Wahrnehmungsurteile sind, welche zunächst durch eine Perzeption nahegelegt sind. Zeigen können wir je nur was jetzt da ist. Dazu müssen wir selbst da sein. Im unmittelbaren Bezug auf den gezeigten Gegenstand bin ich sozusagen ›reines Anschauen‹ und das heißt, ich repräsentiere die Form der Anschauung. Entsprechend ist eine ›reine Unmittelbarkeit‹ eigentlich die Form der Unmittelbarkeit – die sich je verschieden zeigt, je nachdem, in Bezug worauf, also unter Auslassung welcher Vermittlung, wir das Wort »unmittelbar« gerade verwenden. In der Unmittelbarkeit des Urteilens oder Meinens werden die Unterscheidungen zwischen Baum und Strauch, hier und dort, jetzt und dann schon vorausgesetzt. Wir müssen also schon unterscheiden können zwischen dem, was ein Baum ist, und dem, was kein Baum ist, zwischen dem, was als ein Hier anzusprechen ist, und dem, was nicht hier ist. Dabei geht im Prozess des Werdens der Tag in die aufziehende Nacht über. Es ist außerdem der Kontrast relevant zwischen mir als Sprecher und dir als Hörer, zwischen meiner Perspektive und deiner Anschauung in ihrem Ort und ihren besonderen Vorprägungen. Ein Ding schaut von mir her anders aus als von dir dort. Der Inhalt einer anschauungsbezogenen Aussage oder Proposition und ihre Wahrheit müssen auf eine gewisse Seite im Perspektivenwechsel erhalten bleiben. Das heißt, wir müssen schon ›diesen Baum hier‹ aus meiner Perspektive mit ›jenem Baum dort‹ aus deiner oder seiner Perspektive identifizieren können. Hegel drückt das auf eine zunächst schwer verständliche Weise aus, wo er davon spricht, dass es »zwischen dem Ich und dem Gegenstande keinen Unterschied der Wesentlichkeit« gäbe. Das meint nicht, dass Ich der Gegenstand bin, sondern dass »kein Unterschied« in Bezug auf den Gegenstand »eindringen kann«. Von den Unterschieden zwischen meiner und deiner Perspektive ist abzusehen, aber das nur so weit, wie die ko-varianten, d. h. äquivalenzerhaltenden, Übersetzungen meiner gesichtspunktab-
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hängigen Anschauungsurteile in deine tragen. Ein bloßes Absehen von Subjektivitäten ließe dagegen keinen Inhalt zurück. Der Gegenstand der Anschauung ist also definitiv nicht mein Gegenstand und auch nicht deiner. Er ist also nicht einfach der Gegenstand-hier oder der Gegenstand-dort. Daher ist das Wort »hier« auch kein Ortsname. Andererseits gilt: Kein Ich, also kein Sprecher, kann sein »Hier« zu einem »Nicht-Baum« machen, also seine ›Identifizierung‹ des ›Hier‹ mit ›dem Baum‹ aufheben, sofern sie richtig ist. Ich selbst kann das auch nicht dadurch bewerkstelligen, indem ich mich umwende. Jetzt ändert sich zwar der Satz, den ich zu sagen habe, nicht aber die Wahrheit der alten Aussage. Damit wird explizit, was wir implizit alle wissen: Die Äquivalenz des Inhalts von Aussagen folgt anderen Regeln als die der Figur des Satzes. Derselbe Satz artikuliert in verschiedenen Sprech- und Zeige-Situationen verschiedene Propositionen. Das ist eigentlich völlig trivial. Wir müssen es nur beachten. Das 20. Jahrhundert ist dann aber fast zu stolz auf diese selbstverständliche Einsicht. Es kommt hier o=enbar immer auf die wesentliche Äquivalenzbeziehung an, also etwa die Zuordnung meiner Anschauung dieses Baums hier zu deiner Anschauung desselben Baumes, obwohl du von deiner Warte aus »jener Baum dort« sagen würdest oder sagen müsstest. Entsprechendes gilt für die Zuordnungen von »jetzt«, »damals« und »dann«. Wenn ich jetzt sage, es ist Tag, muss ich in der Nacht sagen, es war Tag. Die reine Form der Anschauung ist zusammen mit diesen Anschauungsurteilen die Fähigkeit, mit den Äquivalenzen des Wechsels der Perspektiven im Bezug auf denselben Gegenstand (dasselbe Ding, dasselbe Ereignis) richtig umzugehen, unter Einschluss der Zuordnungen unterschiedlicher Anschauungsurteile. Dazu muss man zugleich wissen, wann ein Bezug verschieden ist, dass also, wenn ich in 12 Stunden »jetzt« sage, der vorher richtige Satz »jetzt ist Tag« falsch geworden ist. Ich trage dabei meine Perspektive sozusagen immer mit mir herum. Ich bin immer hier und jetzt.
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»Da hiemit diese Gewißheit nicht mehr herzutreten will, wenn wir sie auf ein Itzt, das Nacht ist, oder auf einen Ich, dem es Nacht ist, aufmerksam machen, so treten wir zu ihr hinzu und lassen uns das Itzt zeigen, das behauptet wird. Zeigen müssen wir es uns lassen, denn die Wahrheit dieser unmittelbaren Beziehung [der Anschauung, PSW] ist die Wahrheit dieses Ich, der sich auf ein Itzt oder ein Hier einschränkt. Würden wir nachher diese Wahrheit vornehmen oder entfernt davon stehen, so hätte sie gar keine Bedeutung; denn wir höben die Unmittelbarkeit auf, die ihr wesentlich ist. Wir müssen daher in denselben Punkt der Zeit oder des Raums eintreten, sie uns zeigen, d. h. uns zu demselben diesen Ich, welches das Gewißwissende ist, machen lassen. Sehen wir also, wie das Unmittelbare bescha=en ist, das uns aufgezeigt wird.« (74 | 67)
Wir müssen die Sätze, welche unsere Anschauung hier und jetzt kommentieren, mit dem Zeigen der Objekte korrelieren. Wir müssen uns ›das Hier‹ des Sprechers sozusagen zeigen lassen, und zwar gerade auch dann, wenn er dort drüben steht. Er sieht auch dann anderes als ich. Dazu müssen wir z. B. nachschauen, wo er steht. Entsprechendes gilt für ›das Jetzt‹ der Sprechsituation, erst recht in schriftlichen Texten oder anderweitig technisch reproduzierbaren Reden. Dazu prüfen wir, ob ein Sprecher jetzt gerade spricht oder vielleicht bloß eine Tonkonserve. Die Anschauung hängt dabei immer an der Perspektive des jeweiligen Ich, das je ich bin, wo es um meine Anschauung geht. Dessen ›Objekt‹ oder ›Gegenstand‹ ist aber nur so weit bestimmt, als dasselbe Objekt auch Gegenstand deiner oder seiner Anschauung sein kann. Es ist daher die Beherrschung der Zuordnungen der Arten und Weisen, wie wir auf je verschiedene Weise auf einen Gegenstand Bezug nehmen, die zentrale Voraussetzung für einen gemeinsamen Gegenstandsbezug in der Anschauung oder Deixis. Hinzu kommen die zugehörigen Zuordnungen der jeweiligen Sätze in den Anschauungsurteilen. Die ›Wahrheit des Ich‹ liegt hier darin, dass jeder gemeinsame Weltbezug über je unsere und dabei dann irgendwie je meine Anschauung und Anschauungsperspektive vermittelt ist. Die-
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se Perspektiven sind aber als Perspektiven keine unmittelbaren ›Empfindungen‹. Sie sind Momente in einer Praxis des Perspektivenwechsels im Zeigen derselben bzw. verschiedener Gegenstände. In eben diesem Sinn müssen wir die Ordnungen ›der Zeit‹ und ›des Raumes‹ zeigen und etwas über sie sagen können. Wir zeigen sie in der Praxis des gemeinsamen Bezugs auf Dinge und laufende Prozesse aus verschiedenen ›zeitlichen‹ und ›räumlichen‹ Perspektiven. Und wir sagen etwas über sie unter Gebrauch der Demonstrative »hier«, »jetzt«, »dies« und dann auch der Tempora der Verben »ist gerade«, »war« und »wird sein«. Mit einer Unmittelbarkeit des wahrnehmenden Bezugs auf Dinge im Raum und in der Zeit ist es o=enbar nicht so weit her, wie der Sinnesdatenempirist uns gedankenfrei und appellativ glauben macht. »Es wird das Itzt gezeigt, dieses Itzt. Itzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Itzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, daß das Itzt eben dieses ist, indem es ist, schon nicht mehr zu sein. Das Itzt, wie es uns gezeigt wird, ist es ein gewesenes, und dies ist seine Wahrheit; es hat nicht die Wahrheit des Seins. Es ist also doch dies wahr, daß es gewesen ist. Aber was gewesen ist, ist in der Tat kein Wesen; es ist nicht, und um das Sein war es zu tun.« (78 | 67)
Es ist eine falsche Vorstellung, das Wort »jetzt« nenne einen unmittelbaren Zeitmoment, einen Zeitpunkt jetzt, der sofort vergangen ist. Das Wort »jetzt« wird vielmehr relativ zu einem präsentischen Prozess gebraucht, nicht anders als das Wort »dies«, das sich ebenfalls auf gegenwärtige Prozesse und Ereignisse beziehen kann, aber auch auf Dinge und Gestalten im Raum. Dadurch, dass jede Raum- oder Zeitausdehnung teilbar ist, entsteht der absurde Schein, die Wörter »jetzt« und »dies« verwiesen auf unausgedehnte Zeit- oder Raumpunkte. Sofern gerade eine Fahrt zwischen Leipzig und Berlin relevant ist, verweist das Wort »jetzt« im Satz »ich bin jetzt im Zug« durchaus auf die ganze Fahrt. Eine Teilepoche wird relevant, wenn ich sage, »ich bin jetzt in Wittenberg«. Der epochale Zeitraum kann
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dabei beliebig kurz werden, etwa wenn ich sage, »gerade jetzt huscht draußen ein Reh vorbei«. In Verkennung der variablen und zumeist impliziten anaphorischen Bezüge des Wortes »jetzt«, das sozusagen immer auf die relevante Epoche oder ausgedehnte Zeit der Gegenwart eines laufenden Prozesses verweist (die Epoche dauert bis zum Ende des Prozesses, auf den wir jeweils warten müssen) meinen gerade subtile Philosophen wie Augustinus, das Wort »jetzt« nenne einen bloßen momentanen Augenblick oder Zeitpunkt. Doch wie schon Platon und Aristoteles, so weiß auch Hegel, dass Punkte nur Unterteilungen von Strecken, also Anfangs- oder Endstellen sind. Es sind daher die immer kontinuierlichen Intervalle des Jetzt zu bestimmen. Und es ist der kategoriale Unterschied zwischen der Rede über eine Epoche oder eingeklammerte Zeit eines prozessualen Jetzt und einem bloßen Moment, einer Anfangs- oder Endstelle zu unterscheiden. Analoges gilt für ein räumliches Hier und für Ortspunkte. Wir erhalten daher schon das folgende (Zwischen-)Ergebnis: Jedes Sein muss etwas sein, das dauert. Ich spreche hier daher von einem Prozess. Das aufzeigbare Jetzt steht in allgemeinem Kontrast zu anderen Zeiten, das aufzeigbare Hier zu anderen Orten, das sich im Sagen zeigende Ich zu anderen Personen. Dabei sind, trivialerweise, die Äquivalenzen der Wortgleichheit der demonstrativen Wörter »ich«, »hier«, »jetzt« und »dies« ganz andere Äquivalenzen als die der Bezugsgleichheit des Gebrauchs dieser Wörter in Sprechakten konkreter Personen. Das ist zwar logisch o=enkundig, aber doch für jede Widerlegung des Empirismus absolut zentral. Es ist auch keine innere Empfindung als bestimmte, von anderen unterschiedene, raumzeitlich zeigbar. Sie kann daher nicht unmittelbar, sondern nur über gemeinsame Objektbezüge vermittelt Bezugsgegenstand sein, und zwar sowohl als Gegenstand der ›Anschauung‹ (des Zeigens) als auch als ›Gegenstand der Rede‹. Wenn wir daher Empfindungen unterscheiden, etwa Bauchweh von einem Schmerz in der Herzgegend oder am Rücken, dann korrelieren wir schon ›innere‹ Regungen und Spürungen mit ›äu-
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ßeren‹, räumlichen, Unterscheidungen. Und wenn wir zwischen Hunger und Bauchweh unterscheiden, spielt es schon eine Rolle, ob das Gespürte nach dem Essen aufhört oder nicht. Das Kind lernt diese Unterschiede nicht sofort und unmittelbar – selbst wenn sich praktisch der Umgang mit den verschiedenen Regungen in einem gewissen Ausmaß ›von selbst‹ oder ›natürlich‹ entwickelt. Überzeitliche Bezüge auf empirische Wahrheiten gibt es nur vermöge einer gewissen Äquivalenz von ›jetzt gilt φ‹, und ›es galt φ‹. Die Tatsache, dass ich am 7. 11. 2012 um 15:30 Uhr im Bahnhof Wittenberg vorbeifahre, ist etwa durch die Gleichheit des Bezugs von »ich fahre jetzt durch den Bahnhof«, »jetzt ist 7. 11. 2012« und »ich fuhr damals durch den Bahnhof« bestimmt. Ganz analog dazu ist der Bezug meiner deiktischen Aussage »dies ist der Bahnhof« durch seine Äquivalenz mit deiner Aussage »jenes Gebäude dort ist der Bahnhof« bestimmt. Nur durch solche praktisch gelernten und beherrschten Zuordnungen desselben Bezugs bei verschiedenen Bezugnahmen erhalten wir transpersonale Objekte oder Gegenstände der Rede oder, was dasselbe ist, eine gemeinsame Bezugnahme auf den gleichen Gegenstand in der Welt. Hegel artikuliert die Bedingungen des Zeigens und Sagens in seinen idiosynkratischen, eigens für die Zwecke seiner Reflexion entwickelten, Ausdrucksformen. »Wir sehen also in diesem Aufzeigen nur eine Bewegung und folgenden Verlauf derselben: 1) Ich zeige das Itzt auf, es ist als das Wahre behauptet; ich zeige es aber als Gewesenes oder als ein Aufgehobenes, hebe die erste Wahrheit auf, und 2) Itzt behaupte ich als die zweite Wahrheit, daß es gewesen, aufgehoben ist. 3) Aber das Gewesene ist nicht; ich hebe das Gewesen- oder Aufgehobensein, die zweite Wahrheit auf, negiere damit die Negation des Itzt und kehre so zur ersten Behauptung zurück, daß Itzt ist. Das Itzt und das Aufzeigen des Itzt ist also so bescha=en, daß weder das Itzt noch das Aufzeigen des Itzt ein unmittelbares Einfaches ist, sondern eine Bewegung, welche verschiedene Momente an ihr hat [sic!, PSW]; es wird Dieses gesetzt, es wird aber vielmehr ein Anderes gesetzt, oder
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das Diese wird aufgehoben: und dieses Anderssein oder Aufheben des ersten wird selbst wieder aufgehoben und so zu dem ersten zurückgekehrt. Aber dieses in sich reflektierte erste ist nicht ganz genau [sic!, PSW] dasselbe, was es zuerst, nämlich ein Unmittelbares, war; sondern es ist eben ein in sich Reflektiertes oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist: ein Itzt, welches absolut viele Itzt ist [sic!, PSW]; und dies ist das wahrhafte Itzt, das Itzt als einfacher Tag [in seiner Ausdehnung!, PSW], das viele Itzt in sich hat. Stunden; ein solches Itzt, eine Stunde, ist ebenso viele Minuten und diese Itzt gleichfalls viele Itzt usf. – Das Aufzeigen [sic!, PSW] ist also selbst die Bewegung, welche es ausspricht, was das Itzt in Wahrheit ist, nämlich ein Resultat oder eine Vielheit von Itzt zusammengefaßt; und das Aufzeigen ist das Erfahren, daß Itzt Allgemeines ist.« (75 | 68)
Es ist erstaunlich, dass man einerseits genau weiß, dass es sich so verhält, wie Hegel hier sagt und woran er uns hier erinnert, es andererseits immer wieder vergisst. Sonst gäbe es nicht das ewige Gerede von dem momentanen Augenblick des Hier und Jetzt oder die unmögliche Vorstellung noch bei Rudolf Carnap, man könne Raumzeitpunkte direkt als Basisvariablen für weltbezogene Existenzaussagen verwenden, ohne schon über sich bewegende Körperdinge sprechen zu müssen. Das ewige Schwanken zwischen einem empiristischen Skeptizismus und der Behauptung der unmittelbaren Realität oder des Seins der äußeren Dinge der Anschauung hängt mit diesem Problem zusammen: Jeder Anschauungsbezug setzt die Beherrschung der Perspektive als Moment systematischen Perspektivenwechsels voraus und damit die Tatsache, dass wir uns einigermaßen stabil an objektiven Körperdingen orientieren können, nämlich unter Bezugnahme auf deren raumzeitliche Bewegungen relativ zu unserem eigenen Leib und zum Leib anderer Personen. Dem korrespondiert die Beherrschung der deiktischen Wörter oder Demonstrativa »ich«, »hier«, »jetzt«, im Kontext des Gebrauchs der Wörter »du«, »dort«, »dann«, »wir«, »ihr« und »euch« (usf.). 108
»Das aufgezeigte Hier, das ich festhalte, ist ebenso ein dieses Hier, das in der Tat nicht dieses Hier, sondern ein Vorn und Hinten, ein
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Kommentar zu Sinnliche Gewissheit
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Oben und Unten, ein Rechts und Links ist [was einen relationalen Bezug von mir als Leib auf das relevante Körperding voraussetzt, PSW]. Das Oben ist selbst ebenso dieses vielfache Anderssein in oben, unten usf. Das Hier, welches aufgezeigt werden sollte, verschwindet in andern Hier, aber diese verschwinden ebenso; das Aufgezeigte, Festgehaltene und Bleibende ist ein negatives Dieses, das nur so ist, indem die Hier, wie sie sollen, genommen werden, aber darin sich aufheben; es ist eine einfache Komplexion vieler Hier. Das Hier, das gemeint wird, wäre der Punkt [sic!, PSW]; er ist aber nicht [es gibt außerhalb der Mathamatik keine reinen Punkte, PSW]; sondern indem er als seiend aufgezeigt wird, zeigt sich das Aufzeigen, nicht unmittelbares Wissen, sondern eine Bewegung von dem gemeinten Hier aus durch viele Hier in das allgemeine Hier zu sein, welches, wie der Tag eine einfache Vielheit der Itzt, so eine einfache Vielheit der Hier ist.« (75 f. | 68)
Es wurde schon gesagt, dass wir uns nicht weiter damit aufhalten sollten, die nominale Formulierung des Gedankens, die ungewohnte Verwendung von Ausdrücken wie »dieses Hier« oder »der Ich« zu kritisieren. Die Übersetzung in Kommentare zum Gebrauch der Demonstrativa »ich«, »hier« ist rein schematisch, also unmittelbar. Dabei erläutert Hegel hier, dass die Beherrschung des Perspektivischen jeder Deixis und jeden Bezugs auf dingliche Gegenstände der Anschauung nicht schon mit dem Gebrauch von »hier« und »dort«, »jetzt« und »dann« abgetan ist. Wesentlich sind auch die ›räumlichen‹ Wörter »hinten« und »vorne«, »rechts« und »links«, »oben« und »unten« und damit die mit diesen verbundenen räumlichen Orientierungen der sprechenden und anschauenden Person unter Bezugnahme auf den angeschauten dinglichen Gegenstand und seiner räumlichen Relation zur Person. Es wurde ebenfalls schon gezeigt, dass die Kontraste zwischen Hier und Dort, Jetzt und Dann immer grob und relevanzabhängig sind. Wer die Relevanzbewertungen auslässt, wird in allerlei Fehlverständnisse geraten oder sich in scheinbar scharfsinnigen sophistischen Widerlegungen und Argumentation verlaufen. Es wird außerhalb der reinen Mathematik (der Geometrie des Rau-
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Die sinnliche Gewissheit
mes und der geometrisierten Zeitordnungen) in der ganzen Welt nie ein reiner Raum- oder Zeit›punkt‹ ›benannt‹, sondern immer nur auf lokale Räume verwiesen (zum Beispiel hier um mich herum) oder auf (epochale, also als Intervalle eingeklammerte) Zeiträume einer Gegenwart. Dabei währt jede Gegenwart je so lange, wie der relevante präsentische Vergleichs-Prozess dauert. Wir leben zum Beispiel immer je hier in der Gegenwart. Jedes Jetzt (und Hier) steht entsprechend im Kontrast zu vergangenen oder zukünftigen Geschehnissen oder Ereignissen (dort). So steht etwa die Gegenwart oder Zeit meines Lebens im Kontrast zu dem, was vor meiner Geburt geschah und nach meinem Tod geschehen wird. 109 a
»Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist. Das natürliche Bewußtsein geht deswegen auch zu diesem Resultate, was an ihr das Wahre ist, immer selbst fort und macht die Erfahrung darüber, aber vergißt es nur ebenso immer wieder und fängt die Bewegung von vorne an [das erklärt das dauernde Schwanken des Empirismus zwischen Sinnesdaten und physikalischem Körperbezug, PSW]. Es ist daher zu verwundern, wenn gegen diese Erfahrung als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung und gar als Resultat des Skeptizismus aufgestellt wird, die Realität oder das Sein von äußern Dingen als diesen oder sinnlichen habe absolute Wahrheit für das Bewußtsein; eine solche Behauptung weiß zugleich nicht, was sie spricht, weiß nicht, daß sie das Gegenteil von dem sagt, was sie sagen will. Die Wahrheit des sinnlichen Diesen für das Bewußtsein soll allgemeine Erfahrung sein; aber vielmehr ist das Gegenteil allgemeine Erfahrung; jedes Bewußtsein hebt eine solche Wahrheit, wie z. B. das Hier ist ein Baum oder das Itzt ist Mittag, selbst wieder auf und spricht das Gegenteil aus: das Hier ist nicht ein Baum, sondern ein Haus; und was in dieser die erste aufhebenden Behauptung wieder eine eben solche Behauptung eines sinnlichen Diesen ist, hebt es sofort ebenso auf; und [es] wird in aller sinnlichen Gewißheit in Wahrheit nur dies erfahren, was wir gesehen haben, das
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Dieses nämlich als ein Allgemeines, das Gegenteil dessen, was jene Behauptung allgemeine Erfahrung zu sein versichert. – « (76 | 68 f.)
Die Anhänger des Empirismus oder einer vermeintlich unmittelbaren Gewissheit sagen am Ende »unmittelbar das Gegenteil dessen, was sie meinen«. Sie wollen auf ein unmittelbares Hier und Jetzt verweisen. Aber einen solchen unmittelbaren Bezug auf die Welt gibt es nicht: Schon das Zeigen im Raum und die Bezüge der Wörter »dies« und »dort«, »oben« und »hinten« sind vermittelt. Wenn wir zum Ich übergehen, ergibt sich ein analoges Problem für die Unmittelbarkeitsillusionen des Cartesianismus. Die Bedeutung von »ich« ist immer vermittelt durch den Kontrast zu »du« »ihr«, »wir« und »sie«. Zu meinen, das Wort »ich« nenne eine res cogitans in einem ontischen Reich des Geistes im Gegensatz zum Reich der angeblich nicht unmittelbar gegebenen Körperdinge, der rein physischen res extensa, ist eine Fehldeutung der Di=erenz zwischen Performation und Inhalt eines Urteils oder einer Handlung, wie wir noch deutlicher sehen werden. Wir werden dabei insbesondere sehen, dass und warum es keinen unmittelbaren Selbstbezug im »ich denke« gibt. »Bei dieser Berufung auf die allgemeine Erfahrung kann es erlaubt sein, die Rücksicht auf das Praktische zu antizipieren. In dieser Rücksicht kann denjenigen, welche jene Wahrheit und Gewißheit der Realität der sinnlichen Gegenstände behaupten, gesagt werden, daß sie in die unterste Schule der Weisheit, nämlich in die alten Eleusischen Mysterien der Ceres und des Bacchus zurückzuweisen sind und das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines erst zu lernen haben; denn der in diese Geheimnisse Eingeweihte gelangt nicht nur zum Zweifel an dem Sein der sinnlichen Dinge, sondern zur Verzweiflung an ihm und vollbringt in ihnen teils selbst ihre Nichtigkeit, teils sieht er sie vollbringen. Auch die Tiere sind nicht von dieser Weisheit ausgeschlossen, sondern erweisen sich vielmehr, am tiefsten in sie eingeweiht zu sein; denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden stehen, sondern verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen Gewißheit ihrer Nichtigkeit langen sie ohne weiteres zu und zehren sie auf; und
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Die sinnliche Gewissheit
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die ganze Natur feiert wie sie diese o=enbaren Mysterien, welche es lehren, was die Wahrheit der sinnlichen Dinge ist.« (76 f. | 69)
Die Ironie der Passage ist nicht zu übersehen: Da sich jede allgemeine Erfahrung im Praktischen zeigt, erlaubt sich Hegel folgenden Vorgri=, den er explizit als solchen kenntlich macht: Er spricht – durchaus nicht leicht verständlich – über die »unterste Schule der Weisheit, nämlich . . . die alten Eleusinischen Mysterien der Ceres und des Bacchus« . . . »das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines«. Die reinen Empiristen und Cartesianer haben diese »erst zu lernen«. Es geht dabei wohl einfach darum, dass wir praktisch weder an der Existenz der Dinge um uns zweifeln, noch an ihrer Veränderbarkeit, dass sie entstehen und vergehen. Manche dieser Dinge werden unter anderem einfach gegessen werden, womit wir etwas Äußeres in uns selbst verwandeln. Die Wahrheit der äußeren Dinge ist, dass wir etwas Derartiges mit ihnen tun können, und dass wir sie nicht bloß empfindend perzipieren, sondern sie uns z. B. sogar einverleiben können. Das zeigt drastisch, dass die Trennung zwischen Innen und Außen nicht absolut ist. Auch unser Bezug auf das Sein der uns umgebenden Welt ist nicht bloß empirisch-theoretisch. Er ist nicht bloß beobachtend oder gar bloß verbal. Wir sind uns praktisch ihrer Existenz gewiss. Dem freilich würde gerade auch Hume zustimmen: Die Wahrheit jeder Rede zeigt sich am Ende in einem Tun-Können und ist daher, kurz gesagt, die Tat. Gerade daraus aber folgt: Der wahre Zweifler müsste entsprechend sein Handeln, nicht bloß sein skeptisches Reden einstellen, wenn er denn sähe, dass alle reale, endliche, bürgerliche, Wahrheit sich im erfolgreichen Handeln zeigt. Der Unterschied zum Empirismus und einem bloß instrumentalistischen Pragmatismus ergibt sich daraus, dass das menschliche Wissen im Kontrast zum rein animalischen Kennen immer nur im Rahmen eines gemeinsamen Weltbezugs begreifbar ist. 110
»Die, welche solche Behauptung aufstellen, sagen aber, gemäß vorhergehenden Bemerkungen, auch selbst unmittelbar das Gegen-
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teil dessen, was sie meinen, – eine Erscheinung, die vielleicht am fähigsten ist, zum Nachdenken über die Natur der sinnlichen Gewißheit zu bringen. Sie sprechen von dem Dasein äußerer Gegenstände, welche, noch genauer, als wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge, deren jedes seines absolut gleichen nicht mehr hat, bestimmt werden können; dies Dasein habe absolute Gewißheit und Wahrheit. Sie meinen dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe oder vielmehr geschrieben habe; aber was sie meinen, sagen sie nicht. Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten, und sie wollten sagen, so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewußtsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist. Unter dem wirklichen Versuche, es zu sagen, würde es daher vermodern; die seine Beschreibung angefangen, könnten sie nicht vollenden, sondern müßten sie andern überlassen, welche von einem Dinge zu sprechen, das nicht ist, zuletzt selbst eingestehen würden. Sie meinen also wohl dieses Stück Papier, das hier ein ganz anderes als das obige ist; aber sie sprechen wirkliche Dinge, äußere oder sinnliche Gegenstände, absolut einzelne Wesen usf., d. h. sie sagen von ihnen nur das Allgemeine, daher, was das Unaussprechliche genannt wird, nichts anderes ist als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeinte. – Wird von etwas weiter nichts gesagt, als daß es ein wirkliches Ding, ein äußerer Gegenstand ist, so ist es nur als das Allerallgemeinste und damit vielmehr seine Gleichheit mit allem als die Unterschiedenheit ausgesprochen. Sage ich: ein einzelnes Ding, so sage ich es vielmehr ebenso als ganz Allgemeines, denn alle sind ein einzelnes Ding; und gleichfalls dieses Ding ist alles, was man will. Genauer bezeichnet, als dieses Stück Papier, so ist alles und jedes Papier ein dieses Stück Papier, und ich habe nur immer das Allgemeine gesagt. Will ich aber dem Sprechen, welches die göttliche Natur hat, die Meinung unmittelbar zu verkehren, zu etwas anderem zu machen und so sie gar nicht zum Worte kommen zu lassen, dadurch nachhelfen, daß ich dies Stück Papier aufzeige, so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit in der Tat ist: ich zeige es auf als ein Hier, das ein Hier anderer Hier oder an ihm selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, d. h. ein All-
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Die Wahrnehmung
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gemeines ist; ich nehme so es auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein Unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr.« (77 f. | 70)
Was Hegel hier sagt, ist im Grunde unmittelbar verständlich und unmittelbar richtig: Das Einzelne ist sprachlich unausschöpfbar, individuum est ine=abile, wie Goethe bekanntlich sagt. Das ist einfach eine Tautologie, ein Truismus. – Wahrnehmung im Sinne von Anschauung, genauer, sogar apperzeptiver, begri=lich gefasster Anschauung findet längst schon in einem gemeinsamen Raum statt: Was ich anschauend wahrnehme, kannst auch du und kann auch er wahrnehmen. Und es muss, wie wir sehen werden, begri=lich als das bestimmt sein, was wir alle richtig wahrnehmen können oder über das mancher von uns im Irrtum sein kann. Im Fall der sinnlichen Gewissheit soll es diesen Irrtum oder diese Täuschung nicht, nicht einmal der Möglichkeit nach, geben. Eben das aber hat zur Folge, dass die sinnliche Gewissheit nicht das leisten kann, was sie ihren Anhängern zufolge leisten soll, nämlich dem Wissen oder auch nur der Wahrnehmung von etwas Realem eine sichere Basis zu verscha=en.
Kapitel II Die Wahrnehmung; oder das Ding und die Täuschung 13. Wahrnehmung vs. unmittelbare Gewissheit Hegel beginnt den nächsten Abschnitt mit einem etymologischen Wortspiel um das Wort »wahr-nehmen«. Das ist durchaus nicht oberflächlich. Denn es zeigt, dass das deutsche Wort »Wahrnehmung« eine gute Übersetzung für das wäre, was üblicherweise in der philosophischen Sprache »Apperzeption« heißt und was nach meinem Urteil genauer »apperzeptive Anschauung« heißen sollte. Es handelt sich um die Identifizierung von Wahrnehmung mit einer begri=lich bestimmten und auf einen gemeinsamen dinglichen Gegenstand oder schon verorteten präsentischen Prozess gerichteten Anschauung (des Dinges oder des Prozesses). Leider
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Unmittelbare Gewissheit
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wird das Wort »Wahrnehmung« normalerweise so gebraucht, dass die Di=erenz zwischen einer relativ unmittelbaren, das subjektive Verhalten eines Tieres unmittelbar steuernden, Perzeption und einer auf etwas objektiv Wirkliches gerichteten Apperzeption bzw. begri=lich gefassten Anschauung sozusagen verschluckt wird. Es ist daher klug, die Momente der Empfindung (sensation), des Gewahrseins und ›Gewahrnehmung‹ (awareness und perception) und dann auch des bloß empraktischen Gegenstandsbezugs in der Anschauung (intuition) zu unterscheiden von einer vollen menschlichen Wahrnehmung im terminologisch zugerichteten Sinn Hegels, der dem Sinn voll entspricht, wie John McDowell das Wort »perception« im Falle von Menschen gebraucht. Tiere teilen mit uns die allgemeinen Fähigkeiten der Empfindung und des Gewahrseins, aber schon nicht der Anschauung, und schon gar nicht der begri=lich bestimmten und auf Objekte gemeinsam gerichteten und daher gewissen normativen Bedingungen des Richtigen unterworfenen Wahrnehmung, also der apperzeptiven Anschauung. Wer hier die Di=erenzen nicht sieht oder nicht anerkennt, überschätzt die Verwandtschaft von Mensch und Tier und spricht ähnlich anthropomorph etwa von seinem Hund wie Menschen früher Nymphen in Bäume und Gewässer projiziert haben. »Die unmittelbare Gewißheit nimmt sich nicht das Wahre, denn ihre Wahrheit ist das Allgemeine; sie aber will das Diese nehmen. Die Wahrnehmung nimmt hingegen das, was ihr das Seiende ist, als Allgemeines.« (79 | 71)
Im Unterschied zur scheinbaren sinnlichen Gewissheit in Bezug auf meine inneren Erlebniszuständen oder Empfindungen im Sinne einer inner experience, die sich aber leider als völlig ohne di=erentielle Bestimmungen erwiesen hat, ist jeder Gegenstand einer Wahrnehmung, also das als wahr Genommene, immer schon etwas Allgemeines. Denn der Gegenstand der Wahrnehmung muss begri=lich bestimmt sein. Und das heißt, der Gegenstand muss im Grundsatz oder Prinzip gemeinsam von einem anderen Gegenstand, eine Eigenschaft von einer anderen,
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Die Wahrnehmung
ein Typ von einem anderen unterscheidbar sein und es müssen für diese Unterscheidung generische Inferenzen definiert sein, welche die relevanten Seinsweisen des Typs oder der Art näher bestimmen. Selbst wenn wir Zwillinge unterscheiden, gibt es Typiken, welche die Zwillinge separieren, und wenn es nur die Typik der kontinuierlichen Leibidentität und Lebensgeschichte ist. Es ist auch einfach eine formallogische Tatsache, dass sich zwei Gegenstände g und g∗ in einem formalen Gegenstandsbereich G immer auch durch eine in G zulässige Prädikation A(x) dadurch unterscheiden lassen, dass A(g∗ ) gilt und A(g) nicht gilt (bzw. ¬A(g) gilt) – und wenn auch nur vermittels der ›Ungleichheit‹ x 6= y. Das gerade besagt das als formales logisches Prinzip zu begreifende, damit gerade nicht ontisch zu deutende, Leibnizprinzip der Identität. Es handelt sich um die gegenstandskonstitutive logische Norm der prädikativen Ununterscheidbarkeit von Gegenständen in einem sortalen und prädikativ verfassten Redebereich. Das heißt, die feineren Unterscheidungen des Fürsichseins der Gegenstände, wie sie die Gleichheit der Gegenstände über entsprechende Äquivalenzen zwischen deren Erscheinungen und anderen Repräsentationen definieren, sind kategorial nicht als Gegenstandsprädikate zugelassen. Man kann z. B. nicht sagen, die rationale Zahl 8/10 ließe sich kürzen, so dass die Zahl 4/5 entsteht: Nur Brüche lassen sich kürzen. Am Ende werden keineswegs alle Bereiche, über die wir reden, schon als sortale Gegenstandsbereiche bestimmt sein. Für vieles, ›worüber‹ wir reden, sind keine klaren und eindeutigen Identitätsbedingungen bestimmt, so zum Beispiel, wenn wir über den Gehalt eines Wortes, Satzes oder Textes, also den Sinn sprechen, oder wenn wir über irgendwelche anderen ›spekulativen‹ Gegenstände der Formenreflexion reden. Nur manchmal lassen sich Formen gegenstandsartig so schön definieren wie in der formentheoretischen idealen Geometrie. Aber schon für Prädikate oder Eigenschaften sind keine invarianten Identitätskriterien definiert. In Bezug auf das zweite Relatum in der Relation des Wahrnehmens, das Subjekt, ist das Folgende zu sagen: Wie im Meinen
Unmittelbare Gewissheit
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spiele je ich in der Wahrnehmung immer auch schon eine allgemeine Rolle, trotz der dabei immer anzuerkennenden Subjektivität und Perspektivität. Denn ich vertrete im gewissen Sinn jeden anderen, ein ›Man‹. Diese Spannung zwischen einem vermeintlich unmittelbaren Ich in Meinung und Wahrnehmung und dem ›Wir‹ oder ›Man‹ als Instanz des ›richtigen‹ Urteilens und des ›wahren‹ Weltbezugs gilt es anzuerkennen und zu begreifen. Wenn nun Hegel den Begri= des Wahrnehmens und des Gegenstandes der Wahrnehmung so wie John McDowell seinen Begri= der (human) perception über eine immer schon begri=lich bestimmte Bezugnahme definiert, so ist das zumindest zunächst keine Behauptung oder These. Es handelt sich eher um einen Vorschlag zur begri=lichen Di=erenzierung und Artikulation. Bei McDowell ist der menschliche Kontext, also der ›humane‹ Anwendungsbereich des Wortes »perception« festgeschrieben, und zwar ohne eigene Markierung im Ausdruck, welche die begri=liche Unterscheidung zwischen genuin menschlicher Wahrnehmung und animalischer Perzeption zum Ausdruck brächte. Im Gebrauch bei Menschen ist Wahrnehmung im Sinne Hegels gerade deswegen immer schon begri=lich formiert und informiert, weil man sich in seinem Wahrnehmungsurteil täuschen kann. Der Inhalt der Wahrnehmung und des Wahrnehmungsurteils werden dabei identifiziert. Das Urteil aber kann als freie Denk- oder Sprechhandlung immer sowohl wahr als auch falsch sein. Das Urteil wird also auch nicht einfach kausale;zient verursacht. Wohl aber kann es sein, dass die umgebende Welt mir kausal nahelegt, so zu urteilen. Da der Inhalt der Wahrnehmung derselbe ist wie der des Wahrnehmungsurteils, der konstativen Aussage, ist die Wahrnehmung im Ganzen sowohl rezeptiv, als auch spontan. Das Wort »spontan« passt hier gerade wegen seiner Zweideutigkeit: Spontane Einfälle sind unwillkürliche Geschehnisse, die man willentlich und damit willkürlich prüfen kann, ob man sie anerkennt, also weiter mit ihnen arbeiten will. Wahrnehmung ist also ein immer auch schon spontan überprüftes freies Urteilen.
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Die Wahrnehmung
Das Wort »Willkür« verweist auf eine analoge Zweideutigkeit: Wäre ein Urteil rein willkürlich, dann wäre es von einer unwillkürlichen Reaktion nicht zu unterscheiden. Andererseits liegt dem freien Urteil die Wahl- oder Entscheidungsmöglichkeit zwischen Ja und Nein, Anerkennung und Ablehnung logisch zugrunde. In gewissem Sinn ist daher jedes Urteil willkürfrei, was gerade nicht bedeutet, dass es frei von Willkür wäre, sondern dass der Kür- oder Wahlwille, eben die Willkür, immer ein Moment des Urteilens ist und bleibt.52 Wie dem auch sei, es sollte unbestritten sein, dass nur eine begri=lich schon geformte und bestimmte Wahr-Nehmung, keine bloße sinnliche Gewissheit, zum Ausgangpunkt eines empirischen Wissensanspruchs, einer informierenden oder behauptenden Aussage genommen werden kann. Hegels weitere Überlegung ist in gewissem Sinn durch folgende Hintergrund-Frage geleitet, die er aber gar nicht so nennt. Wie ist zwischen menschlichem, also begri=lich vermitteltem, Wahrnehmen und Erkennen und tierischem Perzipieren mit seinen relativ unmittelbaren, enaktiven, Reaktionen zu unterscheiden? Sinnkritischer Philosophie geht es gerade auch um die Artikulation dieses Unterschieds. Das liegt daran, dass die Ambiguitäten in der Rede vom Wahrnehmen und Erkennen, Wissen und Können zu allerlei Ambiguitäten, inneren Widersprüchen und Unklarheiten im Urteilen führen, wie sich dies an den behavioralen und zugleich kausalen Analysen der Begri=e des Wissens und der Wahrheit, aber auch des Bewusstseins und des Verhaltens von Hume bis Quine zeigen lässt. Dabei spielen Ambiguitäten in der Rede über kausale Gesetze und Ursachen eine zentrale Rolle, ferner die Nichtunterscheidung zwischen bloßen Verhaltungen und Handlungen bzw. zwischen bloß behavioralen RegelmäßigDie bekannten Angri=e Russells gegen die Einsicht von William James in die Rolle eines Willens zum Glauben, will to believe, übersehen diesen Punkt, auch wenn es richtig ist, dass ich nicht Beliebiges rein willkürlich glauben kann. 52
Das Ding
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keiten, impliziten Normen des richtigen (und dabei immer auch schon symbolischen) Handelns und expliziten Regeln.
14. Das Ding als Objekt der Wahrnehmung Es muss ein Ding von anderen Dingen und von der Dingleere zwischen den Dingen schon unterschieden sein, bevor wir das Ding als bestimmtes Ding wahrnehmen können. Der Satz »Das Eins ist das Moment der Negation« (Nr. 114b) sagt dazu ganz allgemein, dass in jedem Gegenstandsbereich der Rede etwas als Einheit oder Element oder Gegenstand nur dadurch bestimmt ist, dass für seine Präsentationen oder Repräsentationen N in Beziehung zu bestimmten anderen Präsentationen oder Repräsentationen M festgelegt ist, wann N und M als ungleich (nicht äquivalent) bzw. als nicht ungleich (gleichgültig) zu werten sind. Die Einheit in einem Gegenstands- oder Redebereich G ist aber auch insofern »Moment der Negation«, als die Gleichungen N = M bestimmen, dass keine prädikative Unterscheidung P(x) in G feiner sein darf als die zur Gleichheit gehörige Äquivalenz oder Nicht-Unterscheidung. Das besagt das logische Prinzip, das ich das Leibnizprinzip nenne, obwohl Leibniz selbst es ontisch missversteht. Logisch wird die Abhängigkeit von unserer Praxis der (immer auch verbalen) Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen klar: Für jede zulässige prädikative Unterscheidung P(x) in G gilt: Aus N = M und P(N) folgt P(M). Damit gilt natürlich auch M = N, und zwar weil x = N und M = x in sortalen Gegenstandsbereichen G immer zulässige Prädikate sind.53 Wer nicht mit o=enen Aussageformen hantieren möchte, dem kann man auch die nützliche λ-Notation anbieten. Man notiert dabei komplexe Prädikate durch Ausdrücke der Form »λxA(x)«, wobei A(x) komplexe o=ene Aussageformen sind. Ist N ein Name, so sind schon λx(x = N) (N zu sein) oder λx(x 6= N) (verschieden von N zu sein) Ausdrücke für eine solche Eigenschaft. Man schreibt »NλxA(x)« für A(N). Ist 53
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Die Wahrnehmung
Diese allgemeine Einsicht in den logischen Status der Kategorie der Einheit, die zugleich die Kategorie der Identitätsaussagen und des logisch-formalen Gegenstandsbezugs ist (in jedem Gegenstandsbereich, also nicht nur für Dinge), hat folgende Konsequenz für die Rede über Dinge als Gegenstände der Wahrnehmung: Es muss festgelegt sein, was als Präsentationen von Teilmomenten bzw. Teilaspekten, auch als Eigenschaften oder Wirkungen desselben Dinges, in meiner oder deiner oder unserer Wahrnehmung jetzt oder damals oder später zählt oder zählen würde, wenn wir unsere Kriterien der Unterscheidung und Nichtunterscheidung voll und ganz kontrollieren könnten. Und es muss festgelegt sein, was als Präsentationen von Teilmomenten bzw. Teilaspekten verschiedener Dinge in meiner oder deiner oder unserer Wahrnehmung jetzt oder damals oder später zählt oder zählen würde, wenn wir die entsprechenden Kriterien der Unterscheidung und Nichtunterscheidung voll und ganz kontrollieren könnten. Damit wird erstens klar, dass individuelle Dinge nur in einem entsprechend als logisch wohlkonstituiert unterstellten Gegenstandsbereich existieren, und zwar weil diese Rede von der Existenz einzelner Dinge ihre Identität und damit ihre Bestimmung als Einheiten oder ›Einsen‹ im Sinne Hegels, also als identifizierbare Gegenstände voraussetzt. Zweitens wird klar, dass die Existenz eines Dinges nicht unabhängig sein kann von den Eigenschaften und Wirkungen des Dinges, in denen sich uns das Ding präsentiert (zeigt) oder jedenfalls präsentieren (zeigen) könnte. Der Grundgedanke geht auf Kant zurück.54 Wir nennen dabei das, wie sich uns ein Ding präsentiert, seine Erscheinung. Wir werden am Ende genauer sehen, dass und in welchem Sinn das Ding nach Hegel mit der Gesamtheit seiner Erscheinungen zusammenhängt, wie also das Verhältnis zwischen P ein einstelliges Prädikat, so sind P(x) und λxP(x) daher bloße Ausdrucksvarianten. 54 Vgl. dazu meine Kantinterpretation in Sinn-Kriterien (Stekeler-Weithofer 1995), Kapitel 4.
Das Ding
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dem Ding und seinen Erscheinungen zu verstehen ist. Dabei ist zu beachten, dass sich Hegels Analyse von Humes empiristischer ›Bündeltheorie‹ des dinglichen Gegenstandes wesentlich unterscheidet55 und auch die allzu große Nähe von Kants Logischem Empirismus (avant la lettre) zu Humes Auffassung überwindet. Denn bei Hegel ist eine Erscheinung keineswegs einfach eine Klasse von Empfindungen oder Impressionen, von wahrnehmbaren Präsentationen oder symbolischen Repräsentationen, die von einem einzelnen Subjekt oder von uns mehr oder weniger willkürlich, wenn auch nach gewissen Prinzipien im Hinblick auf irgendwie erinnerte Zusammengehörigkeiten, in eine Art Bündel von wahrnehmbaren Eigenschaften zusammengestellt wurde. Hegel sagt explizit56 : Einem einzelnen Ding oder Gegenstand g kommt immer eine Menge von Allgemeinheiten oder Eigenschaften E zu, die in dem Ding zusammen bestehen. Das Ding selbst ist dennoch nicht einfach irgendeine konsistente Menge derartiger Eigenschaften, wie Hume suggeriert. Vielmehr ist zu unterscheiden zwischen den Dingen selbst in ihrem Fürsichsein, als den Bezugsgegenständen eines Urteils, und deren Eigenschaften. Außerdem ist dann auch noch zwischen den von uns mehr oder weniger unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften und anderen Eigenschaften zu unterscheiden, die dem Ding im Rahmen eines theoretischen Denkens und Erklärens der phänomenalen Wirkungen des Dinges zugesprochen werden. Für jetzt reicht die Kenntnis dieses Rahmens. Aber er ist auch nötig, um zu verstehen, wovon Hegel spricht, wenn er, scheinbar mystisch, erstens von einem »Auch« der Eigenschaften eines Dinges spricht und zweitens von einer Allgemeinheit dieses Auch: Ein Ding, sagen wir der Bleistift, mit dem ich schreibe, ist braun und auch aus Holz. Er war gestern noch 10 cm lang, ist aber heute nur noch 7 cm lang. Das heißt, dem Bleistift als ganzem Ding Es ist ja auch ein Gegenstand g logisch etwas anderes als die Menge aller Eigenschaften E(x) = λxA(x), für welche A(g) wahr ist. 56 Absatz Nr. 275. 55
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scheinen zwei sich widersprechende Eigenschaften zuzukommen. Das ist aber, wie Hegel selbst auf etwas undurchsichtige Weise im Weiteren sagt, nur dann so, wenn wir das Auch der Eigenschaften des Dinges nicht zeitlich di=erenzieren. Das Problem verschwindet, wenn wir zwischen den Präsentationen des Dinges gestern und heute angemessen unterscheiden. Das ist seit Aristoteles explizit bekannt. Wir sollten dabei aber nicht etwa zwischen dem gestrigen und dem heutigen Ding unterscheiden wollen, da damit der Gegenstand der Aussagen oder Urteile bzw. der dingliche Träger seiner Eigenschaften verloren geht, wie gerade auch Sebastian Rödl in Kategorien des Zeitlichen gegen die zeitlogischen Versuche von Arthur Prior, W. V. Quine oder David Lewis gezeigt hat. Dabei machen einige aus der Zeit einen Index am Namen und sagen, dass der Redegegenstand Ni zum Zeitpunkt i irgendwie etwas anderes sei als der Redegegenstand Nj zum Zeitpunkt j (so etwa auch David Lewis). Wie merkwürdig dieses Indizieren ist, wird klar, wenn wir auch Personenindizierungen betrachten und damit im Grunde von einem Gegenstand-für-mich-zur Zeit-i sprechen. Das Problem ist, wie dieser sich verhält zu einem Gegenstand-fürdich-zur Zeit-j. Andere indizieren mit Prior das Prädikat und sagen, dass dem Gegenstand N das Prädikat Pi zukomme, das eine Eigenschaft zum Zeitpunkt i ausdrücken soll, während Pj auf eine Eigenschaft zum Zeitpunkt j verweise. Doch damit geht die Einheit der Eigenschaften verloren; es wäre immerhin zu klären, wie sich eine Eigenschaft »rot zur Zeit i (für mich)« zur Eigenschaft »rot zur Zeit j (für dich)« verhält, was ja auch Rödl klar sieht. Damit ist klar, dass es hier gerade um eine Lösung des von Hegel angesprochenen Problems geht. Wie ist es zu verstehen, dass ein Gegenstand, sagen wir ein Chamäleon, jetzt grün und dann rot ist? Verschieden indizierte Namen Ni sind ja immer Namen von Verschiedenem, so dass geklärt werden müsste, wie man die Funktion f(i) = Ni als Repräsentation eines wenigstens innerhalb einer gewissen Zeitdauer oder Epoche zeitallgemeinen Gegenstandes auffassen kann und was denn die Werte f(i) für Gegenstände sind, also wofür die indizierten Namen Ni stehen.
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In jedem Fall aber besteht kein Anlass zu glauben, die moderne formalanalytische Philosophie könne auf Hegels Problemstellungen und Überlegungen mit mildem Lächeln herabblicken, da die Lösungen doch auf der Hand lägen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer die Konventionen der Indizierung kennt, weiß, dass man die Frage der überzeitlichen Identität des Gegenstandes und der Zeitlichkeit der Prädikation nicht durch Indizes lösen kann. Schon Humes Ansatz scheitert daran, dass er die überzeitlichen Identitäten von Dingen und die Zeitabhängigkeit der verschiedenen Eigenschaften in seinen Eigenschaftsbündeln nicht angemessen wiedergeben kann. Gerade die Bündeltheorie der Dinge oder Gegenstände kann nicht erläutern, was es heißt, dass sich die Eigenschaften eines einzigen Dinges oder Gegenstandes in der Welt verändern können. Erst recht bleibt das Entstehen und Vergehen der Dinge unanalysiert. Eine wahrnehmbare Eigenschaft eines Dinges wird nun von Hegel als sinnliche Allgemeinheit und unmittelbare Einheit des Seins und des Negativen charakterisiert. Was heißt das? Die zunächst etwas kryptische Formel sagt nach meinem Verständnis, dass Eigenschaften prädikative Unterscheidungen P in einem Gegenstandsbereich G sind, für die also das Negative, das Nichtbestehen der Eigenschaft P oder die Komplementäreigenschaft PC so ist, dass P zusammen mit PC ganz G umfasst.57 Daher hat ein Gegenstand g die Eigenschaft P genau dann, wenn er die komplementäre Kontrasteigenschaft PC nicht hat; determinatio est negatio (Spinoza). Jede Bestimmung von etwas ist Negation der Negation, Ausschluss des relevanten Kontrastbegri=s – und nichts sonst. Es ist eine basale logische Einsicht, dass auch jede Bestimmung eines einzelnen Gegenstandes in einem Gegenstandsbereich als Verneinung einer Negation zu lesen ist, nämlich der Aussageform Es ist P C in einem Gegenstandsbereich G als Komplement G − P definiert. Für ein solches komplementäres Prädikat gilt also P C (x) ≡ non-P(x) in G. 57
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x 6= y. Das besagt, erstens, dass in einem Bereich von Präsentationen (etwa in der Wahrnehmung) und Repräsentationen (etwa durch namenartige Ausdrücke oder Kennzeichnungen) Ungleichheiten t 6= t∗ definiert sind, dass, zweitens, eine Gleichheit t = t∗ durch die Verneinung der Ungleichheit t 6= t∗ , also durch ¬t 6= t∗ definiert ist. Die Gleichheit kann und muss ebenso als eine ›gegenstandsinterne‹ Beziehung der inneren Ununterschiedenheit aufgefasst werden. Diese logische Grundtatsache jeder Rede von Gegenständen, Einheiten, Gleichungen und Identitäten lässt sich nur durch scheinbar paradox lautende Sätze verbal ausdrücken, etwa der Art, dass sich ein Gegenstand in jeder Gleichung der Art t = t∗ ›auf sich bezieht‹, oder dass wir am Gegenstand t durch die Verneinung der Ungleichheit t 6= t∗ etwas zugleich unterscheiden, nämlich das t∗ , und es dann doch nicht unterscheiden, sondern gleich setzen bzw. als Präsentation oder Repräsentation des gleichen Gegenstandes erkennen, wie wir sagen möchten. Ein Bezug auf einen Gegenstand in der Welt wird also konkret erst dadurch, dass man vom Ansichsein der Bestimmung der allgemeinen Art zum besonderen Fürsichsein der Bestimmung des Einzelgegenstandes im Kontrast zu allen anderen Gegenständen der Art übergeht. Indem wir auf der Metastufe philosophischer Reflexion diese Bestimmung der Identität eines Gegenstandes, auf den wir uns beziehen mögen, explizieren, denken wir hier konkreter als auf der Objektstufe mit ihrer bloß impliziten Anwendung von als bekannt und verstanden vorausgesetzten Identifikationsformen. Nur auf der Metastufe kann man die wirklichen Operationen ›des Geistes‹, also des Sprechens und Tuns, die Zeichen und unseren Umgang mit ihnen genau beachten. Wer hier ›inhaltlich‹ spricht, denkt möglicherweise ›vorschnell‹. Die Begri=e dürfen also auch nicht einfach als gegeben betrachtet werden. Man darf die Inhalte nicht einfach ›gebrauchen‹, sondern sie sind gerade Gegenstand expliziter Reflexion. Hegels Phänomenologie des Geistes ist gerade deswegen so zukunftsweisend, und so schwierig, weil sie über das Geistige und
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Mentale erstmals im formalen Modus (Carnap) spricht, also über die Ausdrucksformen, statt im inhaltlichen Modus, in welchem Sinn und Bedeutung der Ausdrucksformen einfach als gegeben und bekannt unterstellt werden. Wahre Philosophie kann nicht bloß im inhaltlichen Modus betrieben werden. Man kann über das Begri=liche nie einfach objektstufig sprechen. Daher haben philosophische Sätze einen eigenen logischen Status, den Hegel »spekulativ« nennt – was bis heute o=enbar noch niemand genau genug verstanden hat: Philosophie ist immer Meta-Wissenschaft, Meta-Logik. Soweit gerade auch die Frege-Tradition auf die syntaktischen Ausdrucksformen achtet (und das in der Frage der Konstitution der Gegenstände als Belegungen der Variablen in Gegenstands- oder Variablenbereichen noch nicht einmal genug) betreibt sie ebenfalls spekulative Philosophie. Das erklärt die systematische Nähe der hegelschen Phänomenologie zu einem analytischen Philosophieren, das mit Wittgenstein tiefer in die Konstitution des Begri=lichen bzw. der inhaltlichen Redeformen blickt als noch Frege, Russell oder Carnap. Hier hat die Vermeidung, statt einer Lösung, des Problems im Axiomatizismus und in einer mengentheoretischen Modelltheorie ganz unheilvoll gewirkt. Seither missachtet eine rein formanalytische Philosophie das Problem der realen Weltbezüge und betreibt formalistische Ontologie (etwa von möglichen Welten wie bei David Lewis) oder predigt einen unanalysierten Materialismus (wie etwa bei David Armstrong). In beiden Fällen kollabiert das analytisch-sinnkritische Denken in einer teils pythagoräistisch-physikalistischen, teils empiristischen Glaubensphilosophie. Dass ohne das Ansichsein, also die Bestimmung der Gattung G oder Art des Gegenstandes, des Bereiches der Gegenstandsvariablen, keine klare Referenz definiert ist, sollte aber klar sein. Man muss also schon wissen, dass etwa von Kaninchen die Rede ist und nicht etwa von Hasen, Fliegen, Kaninchenschwänzen oder dem Vorbeihuschen von etwas, um den Bezug eines Rufes der Art »(das da ist ein) gavagai« zu verstehen. Die Anspielung auf W. V. Quines Beispiel in Word and Object, wo es um die Frage
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der Übersetzung des o=enbar in einer Deixis verwendeten Wortes »gavagai« geht, zeigt die Nähe zu Hegels Problemstellung noch weiter: Dem Fürsichsein korrespondieren nämlich die Bedingungen der Identität eines Gegenstandes g aus G, also die Beziehungen R zwischen verschiedenen Präsentationen oder Erscheinungen desselben Gegenstandes unter Einschluss seiner symbolischen Repräsentationen oder Benennungen, wie etwa in »das ist Novalis«, »das ist Friedrich von Hardenberg« und »Novalis ist Friedrich von Hardenberg«. Die Relationen des Fürsichseins sind o=enbar Beziehungen zwischen möglichen Präsentationen und Repräsentationen eines und desselben abstrakten oder konkreten Gegenstandes im Reden und Denken. Diese Relationen bestimmen dann auch die Beziehungen zwischen subjektiven Phänomenen und ihren objektiven Ursachen, zwischen Erscheinung und Wesen, auch zwischen Wahrnehmungsgestalt und Ding. Diese Relationen sind immer schon durch ein System materialbegri=licher Normen bzw. Inferenzregeln bestimmt. Die synthetisch-apriorischen Aussagen in Kants Sinn artikulieren einen Teilbereich derartiger begri=licher Präsuppositionen. Hegel unterscheidet dabei allerdings anders als Kant zwischen dem Analytischen und dem Synthetischen, dem also, was nicht bloß aus rein begri=lichen Gründen als geltend anzunehmen ist. Er erkennt gegen Kant, wie später Quine gegen Carnap, dass die Grenze zwischen dem Apriorischen und der Erfahrung, zwischen dem Begri=lichen und dem Empirischen neu zu bestimmen ist. Denn die generischen Aussagen, die als materialbegri=liche Normen im gemeinsamen Unterscheiden und in den zugehörigen Normalfallinferenzen als präsupponiertes Vor- und Sprachwissen fungieren, beruhen selbst schon auf einem gemeinsamen, in der Kulturgeschichte der Menschheit von uns entwickelten und in theoretische Regelschemata des Normfallschließens gegossenen allgemeinen Erfahrungswissen. Dieses generische Wissen ist begri=liche Voraussetzung des Verstehens von empirischen Aussagen und historischen Informationen. Wissen ist dabei weit mehr als Information. Wissen ist die
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Fähigkeit, mit generischen Aussagen als materialbegri=lichen Normen des allgemein richtigen Unterscheidens und Schließens angemessen und das heißt, mit Urteilskraft so umzugehen, dass dieser Umgang unser gemeinsames Tun und Können richtungsrichtig orientiert. Diese zum Teil auf Späteres vorgreifenden Bemerkungen sind hier wohl schon nötig, um den Gesamtzusammenhang von Hegels Überlegungen in seiner logischen Tiefe und unerhörten Modernität überhaupt erst erschließbar zu machen. Man meint, das wahrnehmende Bewusstsein müsse und könne das Ding nur (passiv) nehmen, und was sich in diesem reinen Auffassen ergebe, sei schon das Wahre. Das ist aber ganz naiv und falsch. Denn die Bestimmung des Dinges ist aktiv, spontan. Es ist daher falsch zu meinen, der Gegenstand der Wahrnehmung sei unmittelbar für sich gegeben, nur unser Bewusstsein von ihm, die Aufmerksamkeit oder sinnliche Attention sei variabel und veränderlich. In der Tat kann es sein, dass ich einen Gegenstand überhaupt nicht wahrnehme oder dass ich an ihm Eigenschaften wahrzunehmen meine, die er nicht hat. Daher sei, so meinen wir, ein falscher Schein und eine Täuschung über den Gegenstand und seine Eigenschaften möglich. Die Frage ist nun aber, wie ein richtiges und wie ein irreführendes oder falsches Wahrnehmen überhaupt möglich sein soll. Die Bedeutung der Frage ergibt sich aus folgender Überlegung: Wir selbst sind das allgemeine Medium der Bestimmung der Eigenschaften des Dings. Weißes ist weiß für unsere Augen. Süßes ist süß für unsere Zunge, etc. Wir selbst sind daher am Ende in der Tat in der sinnlichen Wahrnehmung eine Art Maß aller Dinge. Aber, und das ist der zentrale Punkt in Hegels Einsicht, das sind wir nicht als eine zufällige Wir-Gruppe, als bloße Mengen von subjektiven Individuen. Die relativistische und subjektivische Lesart des homo mensura Satzes des Protagoras hat Plato mit Recht kritisiert. Der Mensch oder das Wir als das Maß aller Dinge ist eine generische Menschheit, ein generisches Wir. Ich bin nicht das Maß aller Dinge und du bist es nicht, sonst wäre ich oder wärst du im Urteil infallibel.
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Aber wir sind als Einzelne und als bloß zufällige Menge einzelner Personen nicht infallibel. Wo Kant von einem transzendentalen Ich spricht, mag er nun ein generisches Man oder Wir meinen. Aber er sagt es nicht klar genug. Und er analysiert diese Redeform des An-Sich nicht. Eine solche Analyse ist aber nötig. Sie ist sogar das geheime Programm der Phänomenologie des Geistes. Es geht darum, explizit verständlich und auf kontrollierte Weise bewusst zu machen, wie generische Aussagen über uns bzw. die Menschheit in uns realiter zu verstehen sind und welche Art von Wahrheiten sie ausdrücken. Und es geht darum, das Wir und Man in jeder Verwendung von Sprache ans Tageslicht zu bringen.
15. Der Realismus objektiver Dinge als Möglichkeit des Irrtums In Wahrnehmungsurteilen sage je ich, dass etwas (da) ist. Aber zu sagen, dass das, was da ist, so aussieht, wie ich es sehe, etwa, dass es klein und rund aussieht wie der Mond oder die Sonne, das sagt noch nichts über das Ding, die Ursache des Aussehens. Ich treibe mich auch in leeren Tautologien herum, solange ich nur sage, wie etwas, das einem im Modus des Anscheins gegeben ist, mir in diesem Anschein erscheint. Daher kann ich mit der leeren Tautologie, dass mir (oder dir oder uns) das und das so und so zu sein scheint, wie es mir oder uns erscheint, gar nichts Sinnvolles anfangen, und du auch nicht, also wir alle nicht. Schein und Anschein taugen daher nichts für den ›Aufbau‹ einer ›wirklichen Welt‹, die den Schein als durch unsere ›falsche‹ Reaktion auf sie allererst definieren soll. Präsuppositionslogisch ist also das Folgende klar: Um zu sagen, dass etwas so und so zu sein scheint oder uns so und so erscheint, muss man schon wissen, was es heißt, dass etwas so und so ist oder ein so und so gearteter Gegenstand ist. Sellars und Brandom haben ganz recht, diese Einsicht Hegels zu verteidigen. Wir können über Brandom und Sellars hinausgehen, indem wir Hegel die weitere
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Einsicht zuschreiben, dass eine inferentielle Defaultstruktur immer schon vorausgesetzt wird, wo Eigenschaften und Arten, aber auch Gegenstände und Dinge als begri=lich bestimmbar gelten. Das Bewusstsein, wie es im Sinn der reinen präsentischen Aufmerksamkeit auf das, was empirisch gegeben ist, vorgestellt wird, kann dagegen sozusagen selbst nur ein reines Ich sein und das Wahrgenommene ein reines »Dies da« – ohne nähere Bestimmungen. Hegels Reflexion zeigt, dass und warum ein bloßes Zeigen im Sinne eines ›schau doch hin‹ selbst dann, wenn es regelmäßig durch einen Fingerzeig oder das Ausstoßen gewisser Laute begleitet würde, unsere Konstitutionsanalyse von Gegenstandsbezug und Gegenstandseigenschaften nicht weiter führt. Echtes Bewusstsein, con-scientia, ist ein Mit-Wissen, Teilhabe an der gemeinsamen Kontrolle der Richtigkeit der Anwendung vorgegebener begri=licher Normen (auch Schemata) in einer gemeinsam zugänglichen Anwendungssituation. Dabei werden zwar Erfüllungen von Bedingungen je durch uns kontrolliert und auf der Basis realer Befriedigungen beurteilt. Obwohl dabei jede Einzelbeurteilung immer auch selbst noch einmal beurteilt werden kann, also revidierbar ist, können wir im Normalfall ganz gut und sicher als erfüllt bewertete Bedingungen von bloßen Versicherungen unterscheiden. Das heißt: In der glückenden Kommunikation und Kooperation zeigen sich die Erfüllungen. Hier hebt sich die Di=erenz zwischen Wissen und bloßer Gewissheit auf. Das ist in der Tat am Ende die Lösung des Problems der Transzendenz von Wahrheit und Wissen: Das Wir transzendiert das Ich. Das Begri=liche ist dabei als System von Erfüllungsbedingungen bzw. Normen des Richtigen dem einzelnen Bewusstsein vorgegeben. Es ist schon da, bevor es das einzelne Bewusstsein qua conscientia überhaupt gibt. Die genuin menschlichen Formen des Erkennens und Wissens beginnen zwar in gewissem Sinn in einem präsentischen gemeinsamen Dingbezug, in der Anschauung, wobei die Vigilanz, das Gewahrsein, die Aufmerksamkeit und der intentionale Richtungsbezug auf die relevanten Bezugsgegenstände gegenseitig
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Die Wahrnehmung
kontrolliert werden. Schon diese Kontrollen der Bezugnahmen in der Anschauung machen diese zu einer sozialen Praxis, welche die Fähigkeit der Teilnahme und zuvor die Möglichkeit ihres Erwerbs voraussetzen, etwas, was nur Menschen haben: Nur Menschen beherrschen die Sozialtechnik der Deixis. Diese ist zusammen mit der stabilen Reproduktion von symbolischen Formen und ihrer projektiven Zuordnung auf Gegenstände der Wahrnehmungen die absolute Grundlage jeder expliziten Kommunikation oder Sprache. Das implizite ›Ich‹ in einer Äußerung besagt zunächst nicht viel mehr als der Ruf eines Vogels oder eines A=en, der immer auch mitsagt: »Hier bin ich!«, im Grunde nicht nur dann, wenn er lockt, sondern auch, wenn er warnt. Der Unterschied zwischen dem, was wirklich da ist und dem, was mir oder uns bloß da zu sein scheint, setzt dann aber schon die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen dem, was da ist, und dem, was nicht da ist, was jetzt ist und jetzt nicht mehr, was so ist, und was anders ist, voraus. Dazu brauchen wir schon Begri=e, Sprache, eine gemeinsame Form symbolischen Handelns. Das ist das zentrale positive Ergebnis von Hegels Destruktion und Rekonstruktion der Idee eines unmittelbaren Bewusstseins im Bewusstseinskapitel seiner Phänomenologie des Geistes. Hegels zunächst schwer verständliche Rede vom Nichts und der Negativität lässt sich jetzt in ihrer Rolle für das reflektierende Denken relativ leicht erläutern. Die üblichen Reden und Schlussweisen, mit denen wir auf die menschliche Kognition reflektieren, werden gerade dann sinn- und inhaltsleer, wenn man sie unmittelbar zu verstehen bzw. zu beherrschen meint. Reflektierendes Wissen über das Wissen setzt immer schon den Vollzug des Wissens als bekannt und erfolgreich voraus. Dieser wird also nachträglich explizit gemacht. Reales Inhaltsverstehen im Vollzug aber ist immer bestimmt durch allgemeine Formen und Normen des richtigen Unterscheidens und des angemessenen Schließens. Das heißt, wir müssen die Unterscheidungen, Negationen, beherrschen und die zugeordneten Folgerungen ›ziehen‹ können.
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Schematisch kann man dies pars pro toto (mit mnemotechnischer Absicht) so artikulieren: Jede Bestimmung von etwas, etwa eines propositionalen Inhalts p, bedarf, erstens, des Kontrastes zur Negation ¬p und, zweitens, der Beherrschung eines zu p gehörigen Systems von generisch-allgemeinen oder im extremen Ausnahmefall auch universell-allgemeinen Inferenzregeln der Form p ⇒ q und ¬p ⇒ r, die einfach direkt nach dem Schema Modus Ponens als Übergänge von p nach q oder von ¬p nach r angewendet werden. Dabei ist klar, dass die Unterscheidung zwischen p und ¬p nur dann interessant ist, wenn p und ¬p insgesamt nicht dieselben Übergänge erlauben.58 Brandoms Versuch, das Schließen auf modale Inkompatibilitäten und damit wiederum auf Negationen, also auf Ausschlüsse von Unmöglichkeiten zurückzuführen, wird von hier her zwar verständlich, bringt die Dinge aber auch leicht durcheinander. Denn die Unmöglichkeit, dass p und q zugleich gelten, ist durch eine modale Norm oder Regel der Form »wenn p, dann nicht q« bzw. die Gültigkeit oder Zulässigkeit der Regel p ⇒ ¬q vermittelt. Wenn entsprechend aus ›p und q‹ ein ›Widerspruch‹ zu p oder zu q folgt, also die Regel ›p & q ⇒ ¬p‹ oder die Regel ›p & q ⇒ ¬q‹ allgemein zulässig wäre, dann sind p und q inkompatibel. Wenn man möchte, kann man dafür schreiben »¬M(p & q)« (lies: »es ist nicht möglich, dass p und q«) oder »N¬(p & q)« (lies: »es ist notwendig, dass nicht zugleich p und q«). Eine Aussage q folgt zwar aus p (material oder formal) genau dann, wenn p und nicht-q (material oder formal) inkompatibel sind. Es ist aber nur ein formaler Verschiebebahnhof, wenn wir die Regeln »man kann von p zu q übergehen« so formulieren: »p und ¬q sind inkompatibel« oder »p und ¬q sind unmöglich«. Es ist außerdem klug, den Begri= der Möglichkeit über die Erlaubnis- bzw. Begründungsverpflichtungsregeln bzw. die entsprechenden impliziten Normen des verbalen Folgerns zu erläutern, statt umgekehrt diese Normen und Regeln durch unklare Inkompatibilitätsaussagen begründen zu wollen, wie das nach meiner Auffassung seiner Argumentationen Robert Brandom versucht. Brandom entwickelt seine Inferenzenlogik formal so aus einer Logik der (materialen) Inkompatibilität: Aus p folgt q inkompatibilitätslogisch genau dann, wenn jedes q∗ , das mit q inkompatibel ist, auch mit p inkompatibel ist. Es ist nicht recht zu sehen, wofür eine solche Definition taugen soll. Wie kann die 58
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16.
Die Wahrnehmung
Laufender Kommentar zum II. Kapitel (Wahrnehmung, Täuschung)
16.1 Einzelnes und Allgemeines in der Wahrnehmung Jede Wahrheit ist allgemein. Also ist auch die Wahrnehmung von etwas, da sie wahr oder falsch sein soll, nicht einfach unmittelbare oder proximale Empfindung eines unbestimmten ›dies da‹. Aufgrund der Freiheit des Urteilens ist es möglich und aufgrund der Di=erenz zwischen subjektiver Befriedigung und objektiver Erfüllung muss es möglich sein, dass wir uns im Urteil und damit auch in der Wahrnehmung irren. Eben daher muss aber auch das, was wahrgenommen werden soll, schon als etwas Allgemeines, ›Typisches‹, begri=lich bestimmt sein, etwa als Buch oder Stuhl, Inkompatibilität als vermeintlich einfacher Grundbegri= einen besseren Anfang liefern, als das Operieren mit irgendwie zulässigen Regeln der Form ›p ⇒ q‹ und einer Satzverneinung ›¬q‹? Dabei gibt es viele Weisen, die Verneinung als Zulässigkeit einer absurden Regel zu definieren, was übrigens einer heimlichen Vielfalt von Inkompatibilitäten entspricht. Eine klassische Definition deutet die Geltung von ›¬q‹ als Zulässigkeit des absurden Systems aller Regeln q ⇒ r für irgendwelche falschen elementaren Aussagen r. Nimmt man die Regeln »ex falso quodlibet« hinzu, muss man unbedingt verhindern, dass q als geltend gesetzt wird. Denn sonst kollabiert das Ausdruckssystem, wird also widersprüchlich und absolut unbrauchbar. Ohne die Regel »ex falso quodlibet« könnte es auch rein lokale Widersprüche bloß in Bezug auf manche Primaussagen r geben, welche global so etwas wie eine parakonsistente Logik erlauben. Das zeigt nur, dass Verneinungen wie Inkompatibilitäten regellogisch eine ganze Familie verschiedener begri=licher Spezifizierungen erlauben. Die Suche nach ›der wahren Bedeutung‹ der Verneinung oder des Begri=s der Kompatibilität bzw. der Konsistenz ist daher ho=nungslos. Für die Mathematik reicht aber weitgehend die einfache Wahrheitwertsemantik bzw. obige Definition der Standardnegation, welche die Regel »ex falso quodlibet« zur Folge hat. Außerhalb der Mathematik aber spielen kalkülartige Formalisierungen der logischen Zeichen eine ganz geringe Rolle, wenn man von Computersprachen und der Computerlinguistik einmal absieht.
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Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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als Laterne oder Stern. Dann und nur dann kann es geschehen, dass ich einen Ziegel für ein Buch halte oder das Licht einer Laterne für einen Stern. Hegels Begri= der Wahrnehmung bezieht sich damit a fortiori auf die menschliche, begri=lich bestimmte Wahrnehmung qua apperzeptive Anschauung. Wahrnehmung, wie Hegel sie rekonstruiert, ist also schon inhaltlich bestimmte Perzeption, ja schon begri=lich vermittelter Gegenstandsbezug. Sie ist begri=lich in ihrer Spezifik festgelegte sinnliche Auffassung von etwas als etwas mit Wahrheitsanspruch. »Wie die Allgemeinheit ihr Prinzip überhaupt, so sind auch ihre in ihr unmittelbar sich unterscheidenden Momente, Ich ein allgemeines und der Gegenstand ein allgemeiner.« (79 | 71)
Wenn ich das Buch oder den Stuhl, die Laterne oder den Stern wahrnehme, dann ist in diesem Begri= der Wahrnehmung von etwas schon vorausgesetzt, dass jeder andere das Gleiche ebenfalls wahrnehmen kann oder könnte. Dieser Begri= der Wahrnehmung setzt erstens das begri=liche Denken einer apperzeptiven Bestimmung des wahrgenommenen Gegenstandes logisch voraus, zweitens seine Platzierung in einem gemeinsamen Raum aller Körperdinge. Die zweite Voraussetzung präsupponiert einen praktischen Umgang mit einem möglichen Perspektivenwechsel, wie er etwa entsteht, wenn ich mit dir den Platz tausche und wir uns dennoch weiter gemeinsam auf einen einheitlichen Gegenstand, ein präsentisches Ding oder einen gegenwärtigen Prozess beziehen. Damit können wir unterscheiden, wie ein und dasselbe Ding oder ein einziger Prozess von einem Ort oder einer Perspektive her erscheint, und wie von einem anderen. Wie ein Ding oder Prozess perspektivisch erscheint, ist damit zu unterscheiden von Aussagen der Art, was ein Ding zu sein scheint oder wie ein Prozess abzulaufen scheint. Denn was etwas bloß zu sein scheint, ist es nicht. Die Rede vom Schein verneint. Sie tut dies auf ganz andere Weise als die Rede von der Erscheinung. Denn was das Ding ist, was sein Wesen (als ›seine Weise zu sein‹) ausmacht, ist gar nicht unabhängig davon bestimmbar, wie es aus verschiedenen Perspektiven erscheint.
111 b
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Die Kategorie des Scheins, also etwa die Aussageform »N scheint ein P zu sein« ist damit gleichursprünglich mit der Aussageform »in Wirklichkeit ist N kein P«. Die Kategorie der Wirklichkeit widerspricht in eben diesem Sinn der Kategorie des Scheins, oder bestätigt diese vielmehr, da aus dem Schein, dass φ, die Wirklichkeit folgt, dass nicht-φ. Während nun Sellars und Brandom ganz richtig sehen, dass schon Hegel diese Einsicht zur Logik von Schein und Wirklichkeit mit ihnen teilt, unterschätzen sie womöglich, dass die Einheit unseres Weltbezugs eine gemeinsame Festlegung voraussetzt, wie die Gleichgültigkeit verschiedener Erscheinungen zu bewerten ist, die eben dadurch als verschiedene Erscheinungen desselben Gegenstandes zählen. Der richtige Umgang mit diesen Gleichgültigkeits- bzw. Äquivalenzbewertungen muss dabei schon praktisch beherrscht werden. Nur über ihn haben wir Zugang zum Gegenstand. Daher sind die verschiedenen Erscheinungen desselben gegenstandskonstitutiv. 111 c
»Jenes Prinzip ist uns entstanden und unser Aufnehmen der Wahrnehmung daher nicht mehr ein erscheinendes Aufnehmen, wie [das] der sinnlichen Gewißheit, sondern ein notwendiges.« (79 | 71)
Es gibt objektive Normen des Richtigen im Unterschied zu dem, was je mir bloß so und so zu sein scheint. In der bloß unmittelbaren sinnlichen Gewissheit kann man zwischen Schein und Erscheinung noch nicht unterscheiden. Hegels Argumentation führt uns so von der sinnlichen Gewissheit zur begri=lich bestimmten Wahrnehmung bzw. Apperzeption von objektiven Sachen. Der folgende Satz dokumentiert die Einsicht, dass es in der Wahrnehmung immer zwei Momente gibt, das Aufzeigen der Sache und die aufgezeigte Sache. 111 d
»In dem Entstehen des Prinzips sind zugleich die beiden Momente, die an ihrer Erscheinung nur herausfallen, geworden; das eine nämlich die Bewegung des Aufzeigens, das andere dieselbe Bewegung, aber als Einfaches; jenes das Wahrnehmen, dies der Gegenstand.« (79 | 71)
Das Zeigen steht als Gestik im Kontext des Gesamtprozesses eines gemeinsam kontrollierbaren wahrnehmenden Bezug auf
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einen Gegenstand. Der Gegenstand ist nicht einfach unabhängig von einer Bestimmung, was als verschiedene Erscheinungen verschiedener Gegenstände und was als verschiedene Erscheinungen ein und desselben Gegenstandes zu werten ist. »Der Gegenstand ist dem Wesen nach dasselbe, was die Bewegung ist, sie die Entfaltung und Unterscheidung der Momente, er das Zusammengefaßtsein derselben.« (79 | 71)
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Wir können das, was an einem Gegenstand von anderen wahrgenommen wird, von dem unterscheiden, was an ihm je von mir wahrgenommen wird. »Für uns oder an sich ist das Allgemeine als Prinzip das Wesen der Wahrnehmung, und gegen diese Abstraktion [sic!, PSW] [sind] die beiden unterschiednen, das Wahrnehmende und das Wahrgenommene, das Unwesentliche. Aber in der Tat, weil beide selbst das Allgemeine oder das Wesen sind, sind sie beide wesentlich; indem sie aber sich als entgegengesetzte aufeinander beziehen, so kann in der Beziehung nur das eine das Wesentliche sein; und der Unterschied des Wesentlichen und Unwesentlichen muß sich an sie verteilen. Das Eine als das Einfache bestimmt, der Gegenstand, ist das Wesen, gleichgültig dagegen, ob er wahrgenommen wird oder nicht; das Wahrnehmen aber als die Bewegung ist das Unbeständige, das sein kann oder auch nicht, und das Unwesentliche.« (79 | 71)
›Für uns‹ ist die Frage immer zentral, wie der Bezug auf den Gegenstand definiert ist. Dieser Bezug ist nun gerade über das Ansichsein, das relevante Genus oder den Bereich des Gegenstandes bestimmt, und durch das Fürsichsein, also dadurch, wie wir verschiedene Erscheinungen als Erscheinungen desselben Gegenstandes bewerten (würden). Beides wird relevant dafür, was wir in der Bezugnahme als wesensäquivalent werten. Wichtig ist aber, dass wir zwischen dem Objekt, auf das wir möglicherweise Bezug nehmen (können), und der wirklichen, ho=entlich, erfolgreichen, Bezugnahme unterscheiden. Das Objekt ›gibt‹ es, wie wir ganz richtig sagen, auch schon ›vor‹ und ›unabhängig‹ von unserer Bezugnahme. Es ist aber immer durch die mögliche Bezugnahme in seiner Identität bestimmt.
111 f
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»Dieser Gegenstand ist nun näher zu bestimmen und diese Bestimmung aus dem Resultate, das sich ergeben, kurz zu entwickeln; die ausgeführtere Entwicklung gehört nicht hierher. Da sein Prinzip, das Allgemeine, in seiner Einfachheit ein vermitteltes ist, so muß er dies als seine Natur an ihm ausdrücken; er zeigt sich dadurch als das Ding von vielen Eigenschaften.« (79 f. | 71)
Der Begri= der Eigenschaft (idion, proprium) ist von dem allgemeineren der Prädikation, in der wir einem Gegenstand auch kontingenterweise oder bloß eine Zeitlang ein Prädikat richtigerweise zusprechen (das ihm dann auch zukommt), schon jetzt zu unterscheiden. Denn nur durch seine wesensbestimmenden Eigenschaften ist der Gegenstand in seiner Besonderheit allgemein bestimmbar. Wir können also Eigenschaften in entsprechenden Kontexten zur Identifizierung eines Gegenstandes gebrauchen, dessen Identität über die Situation und den Kontext hinaus als aristotelische Substanz oder ousia und damit als Objekt unseres Zeigens, Redens oder Wissens, auch der empirischen Information, bestimmt ist. So kann zum Beispiel ein Gesicht als eine charakteristische Eigenschaft einer Person gelten oder entsprechend ›gebraucht‹ werden (samt der Fallibilität der entsprechenden Identifizierungen der Person). Sicher untauglich für eine Identifikation wäre die akzidentelle Eigenschaft, dass sie, als sie durch ein blaues Glas betrachtet wurde, blau aussah. Wesenseigenschaften definieren also durchaus Arten oder Klassen von Gegenständen, etwa von Dingen, und lassen sich eben daher in entsprechenden Umständen in brauchbare Kennzeichnungen des Einzeldinges verwandeln. Insofern gehören sie zur allgemeinen Bestimmung der Individualität des Objekts, eben der ousia – im Kontrast zu den bloß gerade jetzt und aus einer bloß kontingenten Perspektive dem Gegenstand mehr oder weniger zufällig oder bloß aufgrund seiner besonderen Beziehung zum Sprecher zukommenden Prädikaten. Kurz, Wesenseigenschaften sind Prädikate, die dem Gegenstand oder Objekt in einem gewissen Sinn objektiv zukommen, wobei ihm manche derartige Wesenseigenschaften sogar notwendigerweise zukommen. So sind
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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etwa das Leben, der Sto=wechsel und die körperliche Unteilbarkeit notwendige Wesenseigenschaften animalischer Lebewesen. Dass sie fliegen können, ist eine Eigenschaft etwa von Amseln, nicht aber von Hühnern. Die Bestimmtheit seiner raumzeitlichen Identität etwa nach seiner Geburt und damit die Bestimmtheit des Bezugs eines möglichen Taufnamens, etwa »Fido« oder »Napoleon«, ist in einem weiteren Sinn eine wesentliche Eigenschaft eines einzelnen Lebewesen, nicht aber, dass es sich gerade hier oder dort befindet oder gerade Hunger hat. Daher können wir ein einzelnes Lebewesen über seine wesentlichen Eigenschaften ohne besondere Einschränkung auf je meine gegenwärtig kontingente Situation (in ihrer besonderen Relation zum intendierten Objekt) in seiner Art bestimmen. Um es in seiner Identität zu kennzeichnen, müssen wir uns auf es empirisch beziehen, etwa in einer Deixis. Wenn wir dazu beliebige, dem Einzelgegenstand gerade jetzt mehr oder weniger zufällig zukommenden Prädikationen verwenden wollen, müssen wir erstens den relevanten Gegenstandsbereich schon kennen, also das, was der Gegenstand an sich ist, d. h. den Variablenbereich samt der Bestimmungen des Fürsichseins der einzelnen Gegenstände. Und es wird gesagt, dass auf dieser Grundlage eine kontingente Prädikation der Form ›das x tut gerade P‹ ausreicht, um den Gegenstand zu identifizieren, was sein kann oder auch nicht, und im Übrigen schon die zeitübergreifende Identität des Gegenstandes als schon definiert voraussetzt. So können wir Säuglinge nur taufen, weil es sich um unteilbare Individuen handelt. Auch dabei greifen wir den Gegenstand, der nach Gattung, Art und in seinen Identitätsbedingungen schon bestimmt ist, hier und jetzt als solchen heraus. So können wir etwa auch den einzigen uns als grün erscheinenden Hut in einem Kaufhaus unter allen Hüten herausgreifen, ohne dass es uns stören muss, aber durchaus stören kann, dass er sich im Tageslicht als ein blauer Hut erweist. In eben diesem Sinn kann ein Ausdruck wie »dieses Grüne da« lokal auf einen einzigen Gegenstand richtig bzw. erfolgreich referieren, ohne dass der Gegenstand selbst grün sein muss.
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Die Wahrnehmung
Da die Analytische Philosophie nach Gottlob Frege die logische Unterscheidung zwischen Prädikat und (wesentlicher) Eigenschaft bzw. Prädikat und Begri= nicht mehr näher beachtet, ist es schwer geworden zu verstehen, worum es hier geht. Die Hauptursache für diese Entdi=erenzierung des logischen Vokabulars liegt darin, dass im Bereich der rein abstrakten Gegenstände g der Mathematik und der absolut zeitinvarianten Aussagen A(g) bzw. Prädikaten A(x) in rein mathematischen Gegenstandsbereichen G eine Unterscheidung zwischen einer (ggf. sogar wesensnotwendigen) Eigenschaft (idion, proprium) A(x) und einem bloß kontingenten Prädikat (symbebekos, accidens) B(x) gar nicht sinnvoll möglich ist. Denn jedes Zahlprädikat kommt einer Zahl wesensnotwendigerweise zu oder wesensnotwendigerweise nicht zu. Zahlprädikate sind daher immer notwendige Zahleigenschaften, propria. Das ist so, weil die Gegenstände der Mathematik, gerade auch alle reinen Mengen, als solche keine wahrnehmbaren Gegenstände der realen Welt der Erfahrung sind. Jeder einzelne mathematische Gegenstand ist schon aufgrund seiner abstrakten Seinsart ein unendlicher, ›ewiger‹, d. h. zeitallgemeiner Gegenstand. Übrigens kommen auch alle Eigenschaften, die Conan Doyle seiner Figur Sherlock Holmes zuschreibt, dieser Figur wesensnotwendig zu. Für Sherlock Holmes gibt es keine akzidentellen, rein empirischen, Eigenschaften. Wenn Conan Doyle nichts darüber sagt, wer die Großeltern von Sherlock Holmes sind, dann gibt es darüber nichts zu sagen. Der Fall ist deswegen wichtig, weil fingierte Möglichkeiten grundsätzlich nur an sich, abstrakt-allgemein, bestimmt sind. Das heißt, nur in der wirklichen Welt gibt es akzidentelle bzw. empirische Tatsachen und Eigenschaften.59 Jede bloße Möglichkeit (mögliche Situation oder mögliche Welt) ist nur soweit bestimmt, wie sie allgemein beschrieben ist. Man kann mögliche Welten nicht durch eine maximal konsistente Menge der in ihr wahren Elementaraussagen eindeutig als individuelles Element in einer Menge aller möglichen Welten bestimmen, und zwar weil es solche 59
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Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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»Der Reichtum des sinnlichen Wissens gehört der Wahrnehmung, nicht der unmittelbaren Gewißheit an, an der er nur das Beiherspielende war; denn nur jene hat die Negation, den Unterschied oder die Mannigfaltigkeit an ihrem Wesen.« (80 | 71)
112 b
Die reine sinnliche Gewissheit kennt keine Negation oder Falschheit, so wie das Tier keine alternativen Möglichkeiten zu dem kennt, was ihm sinnlich präsent ist und welche präsentischen ›Erwartungen‹ oder ›Ho=nungen‹ ihm durch die gegenwärtig laufenden Prozesse sozusagen nahegelegt werden. Wahrnehmungen im Sinn von Apperzeptionen aber sind schon Urteile, selbst wenn diese noch nicht explizit verbal artikuliert, etwa laut oder leise rezitiert sein sollten. In jedem Fall wird immerhin irgendwie zwischen Ja und Nein, Aussage und Negation unterschieden. Dass Wahrnehmungen immer schon begri=lich bestimmt sind, bedeutet also noch nicht unmittelbar, dass wir immer schon alles Mögliche wirklich voll verbalisieren könnten, etwa dass dem, was wir wahrnehmen, ein gewisses Prädikat P oder eine gewisse artoder dingbestimmende Eigenschaft E zukomme (oder nicht). Es bedeutet aber, dass wir nach gelernten gemeinsamen Normen des richtigen Umgangs in bestimmter Weise korrekt mit dem Ding umgehen können. Der Begri= oder das begri=liche Vermögen ist praktisch mehr als das richtige Sprechen und das Verstehen von Gesprochenem oder Geschriebenem. »Das Dieses ist also gesetzt als nicht dieses oder als aufgehoben, und damit nicht Nichts, sondern ein bestimmtes Nichts oder ein Nichts von einem Inhalte, nämlich dem Diesen.« (80 | 72)
Das, worauf ich gerade zeige, könnte ein Reh sein. Ich zeige dabei gar nicht auf ein reines ›dieses hier und jetzt‹, sondern auf das Reh im impliziten Kontrast zu einem Baum, einer Kuh oder einem Hirsch. Ich behandele das, worauf ich zeige, praktisch als Reh. Wenn ich ein Jäger bin, kann es sein, dass ich auf Elementarsätze gar nicht gibt, schon gar nicht so, dass sie begri=lich von einander unabhängig wären. Wittgenstein hat entsprechend später diesen Fehler im Tractatus und seine Folgen erkannt.
113 a
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Die Wahrnehmung
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es schieße. Das vermeintliche Reh könnte sich aber auch, wenn ich mich täusche, als ein Mensch herausstellen. Das kann tragische Folgen haben. Hegel gebraucht für die allgemeine Form dieser Unterscheidung eine syntaktische Metapher, wenn er von einem »Nichts von diesem Inhalt« spricht: Gemeint ist, dass wir etwas dadurch positiv bestimmen, dass etwas anderes ausgeschlossen ist, wie etwa ein Reh zu sein ausschließt, ein Mensch zu sein. 113 b
»Das Sinnliche ist hierdurch selbst noch vorhanden, aber nicht, wie es in der unmittelbaren Gewißheit sein sollte, als das gemeinte Einzelne, sondern als Allgemeines oder als das, was sich als Eigenschaft bestimmen wird.« (80 | 72)
Es gibt allerdings keine frei schwebenden Qualia oder Qualitäten, schon gar keine frei schwebenden Eigenschaften. Wir brauchen schon einen Bezug auf Sachen, etwa auf Dinge, Gestalten, Prozesse. Dennoch sind die wahrnehmbaren Unterschiede qualitative Unterscheidungen. Sie führen zu Eigenschaften von ›Gegenständen‹. Die Logik des Verhältnisses zwischen Ding und wahrnehmbarer Eigenschaft ist aber noch genauer zu klären. Dabei wird sich die Beziehung zwischen Gegenstand und Wahrnehmungseigenschaft, die aus einer sachwissenschaftlichen Perspektive als durch das Ding oder den Prozess kausal verursacht erscheint bzw. so angesprochen wird, am Ende als logische Beziehung herausstellen. 113 c
»Das Aufheben stellt seine wahrhafte gedoppelte Bedeutung dar, welche wir an dem Negativen gesehen haben; es ist ein Negieren und ein Aufbewahren zugleich; das Nichts, als Nichts des Diesen, bewahrt die Unmittelbarkeit auf und ist selbst sinnlich, aber eine allgemeine Unmittelbarkeit. – Das Sein aber ist ein Allgemeines dadurch, daß es die Vermittlung oder das Negative an ihm hat; indem es dies an seiner Unmittelbarkeit ausdrückt, ist es eine unterschiedene, bestimmte Eigenschaft. Damit sind zugleich viele solche Eigenschaften, eine die negative der andern, gesetzt. Indem sie in der Einfachheit des Allgemeinen ausgedrückt sind, beziehen sich diese Bestimmtheiten, die eigentlich erst durch eine ferner hinzukommende Bestimmung
80 | 72
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
505
Eigenschaften sind, auf sich selbst, sind gleichgültig gegeneinander, jede für sich, frei von der andern. Die einfache sich selbst gleiche Allgemeinheit selbst aber ist wieder von diesen ihren Bestimmtheiten unterschieden und frei; sie ist das reine Sichaufsichbeziehen oder das Medium, worin diese Bestimmtheiten alle sind, sich also in ihr als in einer einfachen Einheit durchdringen, ohne sich aber zu berühren; denn eben durch die Teilnahme an dieser Allgemeinheit sind sie gleichgültig für sich. – « (80 | 72)
Wir unterscheiden Wahrnehmungseigenschaften von Dingen oder Prozessen nach den Dimensionen der Sinne, etwa das Haptische, wenn wir etwas Festes und Hartes spüren. Eine andere Dimension ist das Visuelle, Auditorische, das Olfaktorische. Diesen entsprechen Dingeigenschaften in den Dimensionen des Körperlichen, des Festen, Flüssigen und dann auch Gasförmigen. Und es entsprechen ihnen die Optik, Akustik und Chemie. Das Rote steht daher nicht ›kontradiktorisch‹ gegen das Harte oder Laute, sondern nur gegen das Grüne oder Gelbe. Daher gehören die Dimensionen der Sinne zur Logik der Eigenschaften der Dinge (was auch immer einige Kritiker Hegels dazu Anderes sagen). Allerdings gibt es Synästhesie, wie sie relativ unmittelbar von visuellen Wahrnehmungseigenschaften zu Erwartungen anderer Eigenschaften führen. Im Übrigen gibt es einen abstraktiven Übergang von visuellen zu optischen Eigenschaften der Dinge, von auditorischen zu akustischen oder von haptischen zu Aggregatszuständen. Wir haben also Dimensionen der Unterscheidung von Eigenschaften (wie Farbe, Gestalt etc.) von der allgemeinen Bestimmung der Eigenschaftsträger (den zeitlich mit sich gleich bleibenden Dingen, z. B. Lebewesen während der Zeit ihres Lebens oder den Steinen und Bergen in der Epoche, in der sie von ihrer Umgebung sich prägnant genug abheben) zu unterscheiden. Dabei gilt generell, dass eine Eigenschaft P als solche dadurch definiert ist, das im Rahmen der P-Unterscheidungen alle P-Gegenstände als P-äquivalent gelten. Das ist zwar trivial, aber auch wichtig für das Verständnis dessen, was es heißt, dass sich ein Begri= ›auf sich
506
Die Wahrnehmung
80 f. | 72
selbst bezieht‹. Es handelt sich um Relationen bzw. Unterschiede zwischen den Gegenständen, die unter den gleichen Begri= fallen, etwa um die Beziehung oder Unterschiede zwischen Deutschen als Beziehungen oder Unterschiede innerhalb des Begri=s des Deutschen. Damit verstehen wir auch die folgende Passage im Wesentlichen. 113 d
»Dies abstrakte allgemeine Medium, das die Dingheit überhaupt oder das reine Wesen genannt werden kann, ist nichts anderes als das Hier und Itzt, wie es sich erwiesen hat, nämlich als ein einfaches Zusammen von vielen; aber die vielen sind in ihrer Bestimmtheit selbst einfach Allgemeine. Dies Salz ist einfaches Hier und zugleich vielfach; es ist weiß und auch scharf, auch kubisch gestaltet, auch von bestimmter Schwere usw. Alle diese vielen Eigenschaften sind in einem einfachen Hier, worin sie sich also durchdringen; keine hat ein anderes Hier als die andere, sondern jede ist allenthalten in demselben, worin die andere ist; und zugleich, ohne durch verschiedene Hier geschieden zu sein, a;zieren sie sich in dieser Durchdringung nicht; das Weiße a;ziert oder verändert das Kubische nicht, beide nicht das Scharfe usw., sondern da jede selbst einfaches sich auf sich Beziehen ist, läßt sie die andern ruhig und bezieht sich nur durch das gleichgültige Auch auf sie.« (80 f. | 72)
Hegels Rede von dem Auch meint, wie schon erörtert, dass eine Sache oder ein Ding braun und auch süß, süß und auch scharf, flüssig und auch, etwa relativ zu Wasser, leicht sein kann, nicht aber im Ganzen braun und grün oder im Ganzen flüssig und fest. Kontradiktorische Gegensätze finden in den Dimensionen statt. Hier gelten formal begri=liche Inferenzregeln der Art: Was rot ist, ist nicht blau. Was hart ist, ist nicht weich. 113 e
»Dieses Auch ist also das reine Allgemeine selbst oder das Medium, die sie so zusammenfassende Dingheit.« (81 | 72)
Das Ding oder die Sache ist der einheitliche Gegenstand, dem die Eigenschaften der verschiedenen Dimensionen des Auch zukommen (können). Formallogisch gesehen präsupponieren die Eigenschaften die Dingheit, also dass sie Eigenschaften von Sachen oder Dingen sind.
81 | 72 f.
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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»In diesem Verhältnisse, das sich ergeben hat, ist nur erst der Charakter der positiven Allgemeinheit beobachtet und entwickelt; es bietet sich aber noch eine Seite dar, welche auch hereingenommen werden muß. Nämlich wenn die vielen bestimmten Eigenschaften schlechterdings gleichgültig wären und sich durchaus nur auf sich selbst bezögen, so wären sie keine bestimmten, denn sie sind dies nur, insofern sie sich unterscheiden und sich auf andere als entgegengesetzte beziehen. Nach dieser Entgegensetzung aber können sie nicht in der einfachen Einheit ihres Mediums zusammen sein, die ihnen ebenso wesentlich ist als die Negation; die Unterscheidung derselben, insofern sie nicht eine gleichgültige, sondern ausschließende, Anderes negierende ist, fällt also außer diesem einfachen Medium; und dieses ist daher nicht nur ein Auch, gleichgültige Einheit, sondern auch Eins, ausschließende Einheit. – « (81 | 72 f.)
Bestimmt sind die Eigenschaften und Prädikationen in den Dimensionen, wie wir schon gesehen haben, durch eine Di=erenzierung, in denen mit Notwendigkeit andere Eigenschaften ausgeschlossen werden: Was laut ist, ist nicht leise etc. Dabei kann es auch weitere (analytisch) ›notwendige‹ inferentielle Übergänge geben wie: Was braun ist, ist farbig. Interessanter sind natürlich Übergänge der Art »Rotes Lackmus bedeutet Säure« oder »Eis beginnt bei positiven Celsiusgraden zu schmelzen«. Natürlich widerspricht sich nicht, dass ein Chamäleon jetzt rötlich, dann aber grünlich aussieht. Es ist auch kein Widerspruch, dass Peter klug und Franz töricht ist, wohl aber würden wir uns widersprechen, wenn wir sagten, Peter sei klug und derselbe Peter sei zugleich töricht: Eine Person kann das nicht ›zugleich‹ sein – wobei das Zugleich nicht immer bloß zeitlich zu lesen ist.60 Die Äquivalenz zwischen einer Inferenzregel der Form p ⇒ q und der Inkompatibilität von p und ¬q, in Formeln »¬M(p & ¬q)« (lies: »es ist nicht möglich, dass p und nicht-q«) oder »N¬(p & ¬q)« (lies: »es ist notwendig, dass nicht zugleich p und nicht-q«), ist oben schon erläutert worden. Interpretatorisch hat Brandom Recht, dass Hegel hier mit Inkompatibilitäten arbeitet. Aufgrund der Reduzierbarkeit auf 60
114 a
508
Die Wahrnehmung
81 | 73
16.2 Einheiten in sortalen Gegenstandbereichen 114 b
»Das Eins ist das Moment der Negation, wie es selbst auf eine einfache Weise sich auf sich bezieht und Anderes ausschließt und wodurch die Dingheit als Ding bestimmt ist. An der Eigenschaft ist die Negation als Bestimmtheit, die unmittelbar eins ist mit der Unmittelbarkeit des Seins, welche durch diese Einheit mit der Negation Allgemeinheit ist; als Eins aber ist sie, wie sie von dieser Einheit mit dem Gegenteil befreit und an und für sich selbst ist.« (81 | 73)
Für jeden Gegenstandsbereich G und jede zugehörige Gegenstandsgleichheit ›=‹ gilt das zentrale Leibnizprinzip relativ zu G und ›=‹: Für G-Prädikate, die wir auch gegenstandsbereichsadäquat nennen können, ausgedrückt durch Aussageformen A(x), gilt folgendes substitutionslogisches Inferenzprinzip der prädikativen Ununterscheidbarkeit des Ununterschiedenen: Wenn t = t∗ und A(t), so gilt auch A(t∗ ). Kein G-Prädikat A(x) darf in G feinere Unterscheidungen tre=en als die Ungleichheit ›t 6= x‹. Das heißt keineswegs, dass wir nicht feiner unterscheiden können. Die Negation der Negation ist der Verzicht auf Unterscheidung. Jede Gegenstandsidentität ist eine Negation der Negation. Sie ist immer auch abhängig von unseren Festsetzungen für G und g. Diese logische Tatsache wird im gegenwärtigen Naturalismus massiv unterschätzt. Das zeigt sich in dem Glauben, die Dinge, Ereignisse und Prozesse der Welt, auf die sich die Wissenschaften von der Natur beziehen, wären unabhängig von unseren Unterscheidungen bzw. Unterscheidbarkeiten oder Zugangsweisen zur Welt bestimmt. Diese logisch naive und ontologisch abergläubische bzw. ideologische Position führt außerdem schnell zur Meinung, alle Dinge würden sich gemäß ewigen Gesetzen prädeterminiert bewegen oder verhalten. Dabei ist schon die Vorstellung der Ewigkeit der Dinge begri=lich naiv. zulässige (generische, zeitallgemeine) Inferenzregeln und Verneinungen ist daran aber nichts Tiefes verborgen, schon gar kein besonderer Logikkalkül der Inkompatibilität.
82 | 73
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
509
»In diesen Momenten zusammen ist das Ding als das Wahre der Wahrnehmung vollendet, soweit es nötig ist, es hier zu entwickeln. Es ist α) die gleichgültige passive Allgemeinheit, das Auch der vielen Eigenschaften oder vielmehr Materien, β) die Negation ebenso als einfach, oder das Eins, das Ausschließen entgegengesetzter Eigenschaften, und γ) die vielen Eigenschaften selbst, die Beziehung der zwei ersten Momente, die Negation, wie sie sich auf das gleichgültige Element bezieht und sich darin als eine Menge von Unterschieden ausbreitet; der Punkt der Einzelnheit in dem Medium des Bestehens in die Vielheit ausstrahlend. Nach der Seite, daß diese Unterschiede dem gleichgültigen Medium angehören, sind sie selbst allgemein, beziehen sich nur auf sich und a;zieren sich nicht; nach der Seite aber, daß sie der negativen Einheit angehören, sind sie zugleich ausschließend, haben aber diese entgegengesetzte Beziehung notwendig an Eigenschaften, die aus ihrem Auch entfernt sind. Die sinnliche Allgemeinheit oder die unmittelbare Einheit des Seins und des Negativen ist erst so Eigenschaft, insofern das Eins und die reine Allgemeinheit aus ihr entwickelt und voneinander unterschieden sind und sie diese miteinander zusammenschließt; diese Beziehung derselben auf die reinen wesentlichen Momente vollendet erst das Ding.« (82 | 73)
Wenn A(x) ein in G gegenstandsadäquates Prädikat, eine DingEigenschaft im allgemeinen Sinne ist, darf natürlich für keinen dinglichen Gegenstand t in G zugleich A(t) und non-A(t) (bzw. ¬A(t)) gelten. Das gilt für alle wohldefinierten Gegenstandsbereiche, auch für abstrakte wie in der Mathematik. Es ist der formallogische Satz des Widerspruchs, den Hegel hier unter β) explizit anerkennt. Hegel erkennt auch, dass der Satz vom Widerspruch nicht etwa automatisch gilt, sondern eine entsprechende Konstitution oder Verfassung des Rede- und Gegenstandsbereichs voraussetzt. Jeder gebildete Mathematiker könnte dies aus den Beweisen der Wohldefiniertheit von abstrakten Gegenstandsbereichen etwa in der Algebra oder Analysis wissen. Die Dingidentität und die Dingverschiedenheit ist dabei ganz eng verbunden mit der Zeitordnung, Raumordnung und der Verfolgung der Bewegungen eines Dinges relativ zu anderen Dingen.
115
510 116
Die Wahrnehmung
82 f. | 73 f.
»So ist nun das Ding der Wahrnehmung bescha=en; und das Bewußtsein ist als Wahrnehmendes bestimmt, insofern dies Ding sein Gegenstand ist; es hat ihn nur zu nehmen und sich als reines Auffassen zu verhalten; was sich ihm dadurch ergibt, ist das Wahre. Wenn es selbst bei diesem Nehmen etwas täte, würde es durch solches Hinzusetzen oder Weglassen die Wahrheit verändern. Indem der Gegenstand das Wahre und Allgemeine, sich selbst Gleiche, das Bewußtsein sich aber das Veränderliche und Unwesentliche ist, kann es ihm geschehen, daß es den Gegenstand unrichtig auffaßt und sich täuscht. Das Wahrnehmende hat das Bewußtsein der Möglichkeit der Täuschung; denn in der Allgemeinheit, welche das Prinzip ist, ist das Anderssein selbst unmittelbar für es, aber als das Nichtige, Aufgehobene. Sein Kriterium der Wahrheit ist daher die Sichselbstgleichheit, und sein Verhalten als sich selbst gleiches aufzufassen. Indem zugleich das Verschiedene für es ist, ist es ein Beziehen der verschiedenen Momente seines Auffassens auf einander; wenn sich aber in dieser Vergleichung eine Ungleichheit hervortut, so ist dies nicht eine Unwahrheit des Gegenstandes, denn er ist das sich selbst Gleiche, sondern des Wahrnehmens.« (82 f. | 73 f.)
Die Vorstellung, wir würden in der Wahrnehmung die Dinge unmittelbar so aufnehmen, wie sie sind, ist zwar naheliegend, aber logisch naiv. Das ist nicht nur deswegen so, weil man sich immer täuschen kann, weil also die Subsumtion des Dinges unter einen allgemeinen Typ oder Begri= samt zugehöriger Normalfallerwartung sich als unrichtig erweisen kann. Das liegt auch daran, dass das Allgemeine immer generisch ist, also Ausnahmen zulässt. Schon deswegen ist jedes Wahrnehmungswissen, also jede perzeptive Erkenntnis, aus systematischen Gründen fallibel. Das heißt, erstens, was es wirklich ist, das ich wahrnehme, kann etwas anderes sein, als das, was mein Wahrnehmungsurteil sagt, also als das, was ich wahrzunehmen meine oder scheinbar wahrnehme. Es heißt, zweitens, dass selbst dann, wenn ich wahrnehme, dass da eine Katze ist, die Katze tot sein kann oder eine bloße Plüschkatze. Ich kann mich daher in meinen Schlüssen irren, eben weil diese in privativen Ausnahmenfällen partiell
83 | 74
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
511
aufgehoben, also eingeklammert werden müssen: Die dann wahrgenommene Katze ist keine echte, normale, wirkliche Katze, sie ist nicht das, was der Normalfall vorsieht. Das volle Kriterium der Wahrheit wäre nur erfüllt, wenn das wahrgenommene konkrete Wesen selbst ein hinreichend paradigmatischer Normalfall des Artwesens an sich wäre. Es wäre dann ›mit sich selbst‹ als Artwesen ›gleich‹. Wir wissen allerdings ganz allgemein, dass im Grunde jedes Exemplar einer Art immer auch besondere Eigenschaften hat und vielleicht auch gegenüber einem idealen Paradigma oder Prototypen irgendwelche Mängel hat, so wie jede Realisierung einer geometrischen Form Mängel hat. Gute Realisierungen haben aber keine relevanten Mängel. Analoges gilt für das Wissen: Ein zureichendes bürgerliches Wissen hat keine relevanten Mängel. Es unterscheidet sich eben dadurch von einer bloßen Überzeugung oder Gewissheit, für welche noch o=en ist, ob nicht doch noch relevante Mängel oder Fehler enthalten sind. »Sehen wir nun zu, welche Erfahrung das Bewußtsein in seinem wirklichen Wahrnehmen macht. Sie ist für uns in der soeben gegebenen Entwicklung des Gegenstandes und des Verhaltens des Bewußtseins zu ihm schon enthalten und wird nur die Entwicklung der darin vorhandenen Widersprüche sein. – Der Gegenstand, den ich aufnehme, bietet sich als rein Einer dar; auch werde ich die Eigenschaft an ihm gewahr, die allgemein ist, dadurch aber über die Einzelnheit hinausgeht. Das erste Sein des gegenständlichen Wesens als eines Einen war also nicht sein wahres Sein; da er das Wahre ist, fällt die Unwahrheit in mich, und das Auffassen war nicht richtig. Ich muß um der Allgemeinheit der Eigenschaft willen das gegenständliche Wesen vielmehr als eine Gemeinschaft überhaupt nehmen. Ich nehme nun ferner die Eigenschaft wahr als bestimmte, anderem entgegengesetzte und es ausschließende. Ich faßte das gegenständliche Wesen also in der Tat nicht richtig auf, als ich es als eine Gemeinschaft mit andern oder als die Kontinuität bestimmte, und muß vielmehr um der Bestimmtheit der Eigenschaft willen die Kontinuität trennen und es als ausschließendes Eins setzen.« (83 | 74)
117 a
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Die Wahrnehmung
Wenn wir nun über das Wahrnehmen nachdenken, machen wir folgende Erfahrungen: Der wahrgenommene Gegenstand soll einer sein, der allgemeine Eigenschaften hat. Den Gegenstand selbst aber nehme ich nur über seine Eigenschaften wahr. Ich identifiziere ihn aufgrund seiner Eigenschaften. Daher nehme ich ihn gar nicht unmittelbar als einzelnen Gegenstand wahr. Um ihn als Exemplar einer Art von Dingen oder Wesen im Kontrast zu anderen Arten wahrzunehmen, muss ich schon etwas über diese Art und die typischen Eigenschaften ihrer Exemplare wissen. Bei der Identifizierung von Art und Exemplar kann ich mich, wie gesagt, immer irren. Die berühmten Überlegungen Quines zur Indeterminiertheit der Referenz (und dann auch der Bedeutung) hängen mit dieser Beobachtung eng zusammen: Gemeinsame Bezugnahmen setzen schon sehr viel gemeinsames Können und Wissen voraus und lassen sich nicht unmittelbar deiktisch einführen. Wenn man will, kann man von einem Theorien-Holismus von Bedeutung und Referenz sprechen. Nur sind die Theorien zumeist keine mathematisierten Theorien wie in der klassischen Mechanik oder der Elektrodynamik, sondern etwa auch Taxonomien von Lebewesen, Dingen oder Sto=en mit ethologischen oder prozessualen Beschreibungen eines Normalverhaltens der Exemplare der zugehörigen Gegenstands-, Ereignis- oder Prozessarten unter gewissen relationalen Bedingungen. Was ich dann jeweils wahrnehme, ist keine kontinuierliche Mannigfaltigkeit, sondern schon etwas, das in seiner Gattung, Art, Besonderheit und Einzelheit schon bestimmt ist, was ein Köperding oder Lebewesen sein kann oder ein Phänomen wie ein Regenbogen oder ein Ereignis wie eine Feuersbrunst – je mit gewissen Eigenschaften. 117 b
»An dem getrennten Eins finde ich viele solche Eigenschaften, die einander nicht a;zieren, sondern gleichgültig gegeneinander sind; ich nahm den Gegenstand also nicht richtig wahr, als ich ihn als ein Ausschließendes auffaßte, sondern er ist, wie vorhin nur Kontinuität überhaupt, so itzt ein allgemeines gemeinschaftliches Medium, worin viele Eigenschaften als sinnliche Allgemeinheiten, jede für sich ist
83 f. | 75 f.
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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und als bestimmte die andern ausschließt. Das Einfache und Wahre, das ich wahrnehme, ist aber hiemit auch nicht ein allgemeines Medium, sondern die einzelne Eigenschaft für sich, die aber so weder Eigenschaft noch ein bestimmtes Sein ist; denn sie ist nun weder an einem Eins noch in Beziehung auf andere. Eigenschaft ist sie aber nur am Eins und bestimmt nur in Beziehung auf andere. Sie bleibt als dies reine sich auf sich selbst Beziehen nur sinnliches Sein überhaupt, da sie den Charakter der Negativität nicht mehr an ihr hat; und das Bewußtsein, für welches itzt ein sinnliches Sein ist, ist nur ein Meinen, d. h. es ist aus dem Wahrnehmen ganz heraus und in sich zurückgegangen. Allein das sinnliche Sein und Meinen geht selbst in das Wahrnehmen über; ich bin zu dem Anfang zurückgeworfen und wieder in denselben, sich in jedem Momente und als Ganzes aufhebenden Kreislauf hineingerissen.« (83 f. | 75 f.)
Der Gegenstand hat mehrere Eigenschaften, die sich nicht widersprechen. Wenn ich daher einen Gegenstand über eine Eigenschaft als von dieser oder jener Art identifiziere, habe ich keineswegs andere Eigenschaften ausgeschlossen. Ausgeschlossen sind nur die kontradiktorischen Eigenschaften, zum Beispiel die, durch welche der Gegenstand von anderen unterschieden ist. Da aber, was ich wahrnehme, noch nicht eine voll kennzeichnende Eigenschaft des Gegenstandes sein muss, muss ich in der Wahrnehmung auch urteilen. Ich meine also, den Gegenstand g als besonderes einzelnes Ding durch eine ihn als Einzelnen kennzeichnende Eigenschaft E wahrzunehmen. Doch eine solche Kennzeichnung kann fehlgehen. Scheinbar drehen wir uns jetzt im Kreis: Wir wollten verhindern, dass der wahrgenommene Gegenstand und seine Eigenschaften eine bloße Konstruktion des Wahrnehmenden ist im Ausgang eines Kontinuums, einer di=usen und stetigen Mannigfaltigkeit von Sinnesempfindungen. Dazu nahmen wir an, dass das, was wahrgenommen wird, das Objekt g selbst ist, vermittelt durch es kennzeichnende Eigenschaften E. Jetzt fallen wir scheinbar zurück auf die Position, nach welcher das Urteil, dass ich g über E wahrnehme, selbst eine von mir aufgrund einer sinnlichen Gewissheit gebildete Meinung sei,
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Die Wahrnehmung
84 | 75
also meine ›Konstruktion‹. Der Zirkel ist aber nur scheinbar: Am Ende müssen wir uns gemeinsam auf das Einzelding beziehen. 118
»Das Bewußtsein durchläuft ihn [den Kreislauf, PSW] also notwendig wieder, aber zugleich nicht auf dieselbe Weise wie das erstemal. Es hat nämlich die Erfahrung über das Wahrnehmen gemacht, daß das Resultat und das Wahre desselben seine Auflösung oder die Reflexion in sich selbst aus dem Wahren ist. Es hat sich hiemit für das Bewußtsein bestimmt, wie sein Wahrnehmen wesentlich bescha=en ist, nämlich nicht ein einfaches reines Auffassen, sondern in seinem Auffassen zugleich aus dem Wahren heraus in sich reflektiert zu sein. Diese Rückkehr des Bewußtseins in sich selbst, die sich in das reine Auffassen unmittelbar – denn sie hat sich als dem Wahrnehmen wesentlich gezeigt – einmischt, verändert das Wahre. Das Bewußtsein erkennt diese Seite zugleich als die seinige und nimmt sie auf sich, wodurch es also den wahren Gegenstand rein erhalten wird. – Es ist hiemit itzt, wie es bei der sinnlichen Gewißheit geschah, an dem Wahrnehmen die Seite vorhanden, daß das Bewußtsein in sich zurückgedrängt wird, aber zunächst nicht in dem Sinne, in welchem dies bei jener der Fall war, als ob in es die Wahrheit des Wahrnehmens fiele; sondern vielmehr erkennt es, daß die Unwahrheit, die darin vorkommt, in es fällt. Durch diese Erkenntnis aber ist es zugleich fähig, sie aufzuheben; es unterscheidet sein Auffassen des Wahren von der Unwahrheit seines Wahrnehmens, korrigiert diese, und insofern es diese Berichtigung selbst vornimmt, fällt allerdings die Wahrheit, als Wahrheit des Wahrnehmens, in dasselbe. Das Verhalten des Bewußtseins, das nunmehr zu betrachten ist, ist also so bescha=en, daß es nicht mehr bloß wahrnimmt, sondern auch seiner Reflexionin-sich bewußt ist und diese von der einfachen Auffassung selbst abtrennt.« (84 | 75)
Der scheinbare Kreis wird so zu einer Spirale: Im Prozess der Wahrnehmung wird uns ein Wahrnehmungsurteil als möglich nahegelegt, etwa dass das, was ich da sehe, mein Hund Fido ist. In aufmerksamer Kontrolle bestätige ich wahrnehmend, dass es (wohl) so ist. Und möglicherweise bestätigst du das dann auch und es stellt sich für uns heraus, dass es so ist. Oder schon meine
84 f. | 75 f.
Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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erste Kontrolle verlangt eine Korrektur. Oder dein Zweifel zwingt mich zur Kontrolle und es stellt sich bei näherem Zusehen heraus, dass es Nachbars Katze ist. In eben diesem Sinn ist jede Wahrnehmung immer schon in sich reflektiert. Wir wissen jetzt, dass wir keinen Gegenstand ohne Urteil wahrnehmen können, und dass dieses Urteil oder diese Meinung keine rein subjektive Konstruktion ist. Subjektiv ist das Urteilen, nicht der Gehalt des Urteils. Gerade auch in diesem Sinn ist das Wahrnehmen schon in sich reflektiert. Zugleich wissen wir jetzt, dass das urteilende Wahrnehmen falsch sein kann, und zwar vermöge der Allgemeinheit des Inhalts des Urteils, dass wir einen Gegenstand g der Gattung G wahrnehmen oder dass der Gegenstand g sich in einer g kennzeichnenden Eigenschaft E zeigt. Das heißt, wir wissen jetzt, dass die Wahrheit bzw. der Irrtum in der Wahrnehmung aus dem Urteilen stammt, nicht bloß aus rein behavioralen Erfolgsgefühlen bei enaktiven Reaktionen auf Sinnesempfindungen wie in bedingten Reflexen. Damit wird auch klar, dass wir nie etwas unmittelbar wahrnehmen. Jeder, der anderes sagt, weiß nicht, was er damit meint. »Ich werde also zuerst des Dings als Eines gewahr und habe es in dieser wahren Bestimmung festzuhalten; wenn in der Bewegung des Wahrnehmens etwas dem Widersprechendes vorkommt, so ist dies als meine Reflexion zu erkennen. Es kommen nun in der Wahrnehmung auch verschiedene Eigenschaften vor, welche Eigenschaften des Dings zu sein scheinen; allein das Ding ist Eins, und von dieser Verschiedenheit, wodurch es aufhörte, Eins zu sein, sind wir uns bewußt, daß sie in uns fällt. Dies Ding ist also in der Tat nur weiß, an unser Auge gebracht, scharf auch, an unsere Zunge, auch kubisch, an unser Gefühl usf. Die gänzliche Verschiedenheit dieser Seiten nehmen wir nicht aus dem Dinge, sondern aus uns; sie fallen uns an unserem von der Zunge ganz unterschiedenen Auge usf. so auseinander. Wir sind somit das allgemeine Medium, worin solche Momente sich absondern und für sich sind. Hierdurch also, daß wir die Bestimmtheit, allgemeines Medium zu sein, als unsere Reflexion betrachten, erhalten wir die Sichselbstgleichheit und Wahrheit des Dinges, Eins zu sein.« (84 f. | 75 f.)
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Die Wahrnehmung
Es gibt Autoren, die Hegel vorwerfen, er identifziere die wesentlichen Eigenschaften der Dinge auf anthropomorphe und anthropozentrische Weise mit ihren Wirkungen auf unsere Empfindungen. In Wirklichkeit zeigt er uns nur, dass unser Zugang zu den Dingen immer schon vermittelt ist durch die Dimensionen des Wahrnehmens und Empfindens. Das Sehen führt zur Optik – und visuellen Wahrnehmungsphysiologie. Das haptische Spüren von festen, widerständigen Körpern führt zum Begri= der res extensa, zum festen Körperding, das einen Raum besetzt, und zu einer Untersuchung von allerlei körperlichen Propriozeptionen. Das Hören führt zur Akustik – und zur Physiologie des Hörens selbst. Das Riechen und Schmecken führt zur olfaktorischen Chemie – und eben auch zur Physiologie des Geruchs- und Geschmackssinns. Was sind nun aber Eigenschaften des Dinges selbst und was sind relationale Eigenschaften, die sich in der wahrnehmenden Beziehung von mir auf das Ding zeigen und erst aus ihr ergeben, so dass sie nur unter Berücksichtigung der perspektivischen Beziehung zu mir als Eigenschaft des Dinges erscheinen können? Es ist z. B. so, dass ein blaues Kleid, durch ein gelbes Glas gesehen, grün aussieht. Ich sehe also ein grünes Kleid. Das Kleid aber hat nicht ohne Bezugnahme auf mich und das gelbe Glas die Eigenschaft, grün zu sein. Wohl aber hat es die Eigenschaft, wenn es durch das gelbe Glas gesehen wird, mir als grün zu erscheinen. 120
»Diese verschiedenen Seiten, welche das Bewußtsein auf sich nimmt, sind aber, jede so für sich, als in dem allgemeinen Medium sich befindend betrachtet, bestimmt; das Weiße ist nur in Entgegensetzung gegen das Schwarze usf., und das Ding Eins gerade dadurch, daß es andern sich entgegensetzt. Es schließt aber andere nicht, insofern es Eins ist, von sich aus – denn Eins zu sein ist das allgemeine auf sich selbst Beziehen, und dadurch, daß es Eins ist, ist es vielmehr allen gleich –, sondern durch die Bestimmtheit. Die Dinge selbst also sind an und für sich bestimmte; sie haben Eigenschaften, wodurch sie sich von andern unterscheiden. Indem die Eigenschaft die eigne
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Kommentar zu Wahrnehmung und Täuschung
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Eigenschaft des Dinges oder eine Bestimmtheit an ihm selbst ist, hat es mehrere Eigenschaften. Denn vors erste ist das Ding das Wahre, es ist an sich selbst; und was an ihm ist, ist an ihm als sein eignes Wesen, nicht um anderer willen; also sind zweitens die bestimmten Eigenschaften nicht nur um anderer Dinge willen und für andere Dinge, sondern an ihm selbst; sie sind aber bestimmte Eigenschaften an ihm nur, indem sie mehrere sich von einander unterscheidende sind; und drittens, indem sie so in der Dingheit sind, sind sie an und für sich und gleichgültig gegeneinander. Es ist also in Wahrheit das Ding selbst, welches weiß und auch kubisch, auch scharf usf. ist, oder das Ding ist das Auch oder das allgemeine Medium, worin die vielen Eigenschaften außereinander bestehen, ohne sich zu berühren und aufzuheben; und so genommen wird es als das Wahre genommen.« (85 f. | 76)
Die Eigenschaften, die wir den Dingen zusprechen, sind Eigenschaften, die das Ding für sich hat, nicht bloße Relationen zu uns. Zwar gehören die Relationen auch dazu, aber nur in ihrer allgemeinen Form, also so, wie man, nicht bloß ich, sich auf das Ding beziehen kann. Anders gesagt, die Relationen, in denen das Ding zu uns steht oder seine Wahrnehmungseigenschaften sind nur einige Relationen und Eigenschaften des Dinges. Daneben steht es in vielerlei Relationen zu anderen Dingen und im Zusammenhang mit vielerlei Prozessen und hat dabei vielerlei Eigenschaften, die sozusagen nur vermittelt über viele Umwege wieder mit unseren Wahrnehmungen verbunden sind. Es ist daher nichts falscher als der Gedanke, das Ding selbst wäre eine Art Bündel oder Cluster wahrnehmbarer Eigenschaften. Jede Eigenschaft E eines Gegenstandes in einem sortalen Bereich G ist übrigens als Kontrast, also als kontradiktorisches Gegenteil der zugehörenden negierten oder komplementären Eigenschaft Ec bestimmt. Dass kein g aus G ›zugleich‹ die Eigenschaft E und Ec haben kann, gehört sozusagen zur Grundform des Unterscheidens. Es gilt dann aber in gewisser Weise für jede in G definierte Eigenschaft und jedes g aus G, dass g entweder die Eigenschaft E oder die Eigenschaft Ec hat.
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Die Wahrnehmung
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Die Gegenstände g sind je in ihrer Identität oder ihrem Einssein bestimmt vermöge der Gleichheit g = g∗ , die ihrerseits keine Beziehung zwischen Gegenständen in G ist, sondern bloß eine Verneinung der Ungleichheit. Sie besagt daher, dass wir uns auf einen und denselben Gegenstand auf verschiedene Weise beziehen. Es sind dabei gerade die in G relevanten prädikativen Unterscheidungen, zu der gerade auch die einfachen Unterscheidungen x 6= y gehören, welche bestimmen, was wir in G als ungleich bzw. gleich werten. Relationen zu anderen Gegenständen führen natürlich auch zu Eigenschaften, etwa zur Eigenschaft, größer als ein Sandkorn zu sein. Daher liefert schon die räumliche Verschiedenheit zweier Körperdinge eine unterscheidende Eigenschaft, wie ähnlich sie sich sonst auch sein mögen. Körperdinge sind ja auch in ihrer Raumzeitrelation zu uns hier und jetzt identifizierbar – soweit sie als Dinge in der Zeit in ihrer Identität bestimmt sind. 121
»Bei diesem Wahrnehmen nun ist das Bewußtsein zugleich sich bewußt, daß es sich auch in sich selbst reflektiert und in dem Wahrnehmen das dem Auch entgegengesetzte Moment vorkommt. Dies Moment aber ist Einheit des Dings mit sich selbst, welche den Unterschied aus sich ausschließt. Sie ist es demnach, welche das Bewußtsein auf sich zu nehmen hat; denn das Ding selbst ist das Bestehen der vielen verschiedenen und unabhängigen Eigenschaften. Es wird also von dem Dinge gesagt: es ist weiß, auch kubisch und auch scharf usf. Aber insofern es weiß ist, ist es nicht kubisch, und insofern es kubisch und auch weiß ist, ist es nicht scharf usf. Das Ineinssetzen dieser Eigenschaften kommt nur dem Bewußtsein zu, welches sie daher an dem Ding nicht in Eins fallen zu lassen hat. Zu dem Ende bringt es das Insofern herbei, wodurch es sie auseinander und das Ding als das Auch erhält. Recht eigentlich wird das Einssein von dem Bewußtsein erst so auf sich genommen, daß dasjenige, was Eigenschaft genannt wurde, als freie Materie vorgestellt wird. Das Ding ist auf diese Weise zum wahrhaften Auch erhoben, indem es eine Sammlung von Materien und, statt Eins zu sein, zu einer bloß umschließenden Oberfläche wird.« (86 | 76)
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Die verschiedenen Eigenschaftssphären der Dinge – was an ihnen tastbar, sehbar, riechbar ist z. B. – trennen die Eigenschaften, welche sich zueinander völlig gleichgültig verhalten: Aus der Farbe lässt sich z. B. die Form nicht erschließen. Das Einssein des Gegenstandes, auf den wir uns beziehen, ist selbst schon Thema eines Urteils. Man muss urteilen, dass es ein einziger Gegenstand ist, den wir als grünen sehen, als kubischen ertasten usf. Diese Urteile müssen wir je selbst fällen. Als Körperding wird es durch seine umschließende Oberfläche definiert. Es ist daher, wie Descartes sieht, res extensa – solange eben der Körper in der Zeit existiert, also nicht zerfällt und daher eine gewisse Identität als Substanz hat, also eine Zeitlang als wiedererkennbares materielles Ding existiert. Die Möglichkeit der Wiederkennbarkeit desselben Dinges bestimmt das Fürsichsein des Dinges über jede Grenze der bloß faktischen Wiedererkanntheit hinaus, so dass die Identität eines Dinges eine modallogische und nicht etwa epistemologische Kategorie ist. Festgelegt werden Bedingungen der Möglichkeit der Identifizierung, nicht etwa Verfahren, welche immer sicher entscheiden könnten, ob Gleichheit vorliegt oder nicht. Jede reine Verfahrenslogik wäre hier zu eng, zu konstruktivistisch und eben damit subjektivistisch.
16.3 Sich-Zeigen des Wesens in sinnesvermittelter Erscheinung »Sehen wir zurück auf dasjenige, was das Bewußtsein vorhin auf sich genommen und itzt auf sich nimmt, was es vorhin dem Dinge zuschrieb und itzt ihm zuschreibt, so ergibt sich, daß es abwechslungsweise ebenso wohl sich selbst als auch das Ding zu beidem macht, zum reinen, vielheitslosen Eins wie zu einem in selbständige Materien aufgelösten Auch.« (86 | 77)
Die selbständigen Materien des Auch sind mal die Dimensionen unserer Sinne wie des Sehens, Hörens und Tastens, mal die Dimensionen der Ding-Eigenschaften der Optik, Akustik, der
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Aggregatzustände und damit der gesamten Physik der Bewegung und der Sto=-Chemie des Dinges, wie sie zunächst aus den Dimensionen unserer Sinne abstrahiert und extrapoliert werden. Schon in der Synästhesie werden die Sinne der Dimensionen einander so zugeordnet, dass sie dem einen Subjekt zu Wahrnehmungseigenschaften eines Dinges werden. Entsprechendes gilt für die Dingeigenschaften. 122 b
»Das Bewußtsein findet also durch diese Vergleichung, daß nicht nur sein Nehmen des Wahren die Verschiedenheit des Auffassens und des in sich Zurückgehens an ihm hat, sondern daß vielmehr das Wahre selbst, das Ding, sich auf diese gedoppelte Weise zeigt. Es ist hiemit die Erfahrung vorhanden, daß das Ding sich für das auffassende Bewußtsein auf eine bestimmte Weise darstellt, aber zugleich aus der Weise, in der es sich darbietet, heraus und in sich reflektiert ist oder an ihm selbst eine entgegengesetzte Wahrheit hat.« (86 f. | 77)
Wir trennen also begri=lich in unserer Reflexion auf den Gegenstands- und Weltbezug in der Wahrnehmung zwischen dem, wie uns ein Ding erscheint und wie es für sich selbst ist, wie wir zu sagen pflegen. Doch dabei entsteht die Paradoxie, dass aller Inhalt der Wahrnehmung, so scheint es jedenfalls zunächst, in den Wahrnehmenden fällt: Er hat die Empfindungen, er ordnet sie, er bestimmt den (inneren) Gegenstand der Wahrnehmung in seiner Einheit und Identität. Dieser empiristischen und zugleich idealistischen bzw. konstruktivistischen Sicht zufolge wird die Welt der Dinge zur Welt unserer Vorstellungen. Andererseits soll in der Wahrnehmung etwas Wahres und Wirkliches wahrgenommen werden. Das heißt, es soll die Wahrnehmung rezeptiv sein und richtig oder auch falsch sein können. Sie soll als Eindruck, impression, des Dinges von dem Ding selbst kausal verursacht sein. Der Eindruck soll also nicht etwa spontan von uns selbst hervorgebracht werden. Einerseits soll also die Wahrheit in der Wahrnehmung durch die Erfüllung von uns selbst gesetzten Bedingungen und damit auf der Seite des Subjekts durch unsere Bewertung von Wissensansprüchen bestimmt sein. Es geht hier z. B. um das Wissen, ob
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das, was ich eben wahrgenommen habe, dasselbe ist, wie das, was ich jetzt ggf. mit anderen Sinnen wahrnehme. Andererseits soll das Wahre oder Wirkliche ganz von uns unabhängig und eine Art Eigenschaft der Natur der Dinge für sich sein. Das Ding für sich wiederum ist danach bestimmt, was wir alles zum Fürsichsein des Dinges zählen, also alle Relationen, welche keinen Dingunterschied definieren, wie etwa die, dass ein Salzstück weiß und auch salzig ist. Es ist dies ein Dilemma, welches der subjektive Idealismus auf eine konstruktivistische Weise, der Materialismus aber dogmatisch physikalistisch beantwortet: Dem einen werden die Dinge zu synthetischen Konstruktionen, der andere meint, ohne Reflexion auf unsere Zugänge zu den Dingen unmittelbar über diese selbst und ihre Eigenschaften reden zu können. »Das Bewußtsein ist also auch aus dieser zweiten Art, sich im Wahrnehmen zu verhalten, nämlich das Ding als das wahre Sichselbstgleiche, sich aber für das Ungleiche, für das aus der Gleichheit heraus in sich Zurückgehende zu nehmen, selbst heraus, und der Gegenstand ist ihm itzt diese ganze Bewegung, welche vorher an den Gegenstand und an das Bewußtsein verteilt war. Das Ding ist Eins, in sich reflektiert; es ist für sich, aber es ist auch für ein anderes, und zwar ist es ein anderes für sich, als es für anderes ist.« (87 | 77)
Weil die Dinge die Wahrnehmung kausal verursachen sollen, wird die Relation der Wirkung von Dingen auf andere Dinge und auf das wahrnehmende Subjekt thematisch. Dabei werden die Dinge als schon in ihrer Identität bestimmt vorausgesetzt. Es wird eine Wirkrelation zu anderen Dingen angenommen, gerade auch auf unseren Leib über unsere Sinne und Sinnesempfindungen. Allerdings ist das Ding gar nicht unabhängig von seinen Relationen zu anderen Dingen bestimmbar. Schon sein Ort ist immer nur ein relativer Ort im Gesamtsystem der sich relativ zu einander bewegenden Dinge. Seine Wirkungen verweisen ebenfalls immer schon und immer nur auf den Gesamtprozess der relativen Dingbewegungen und Dingveränderungen, wobei wir die Prozesse des Entstehens und Vergehens der Dinge zunächst ausklammern,
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die Dinge also nur in der Epoche der Bestimmtheit ihrer Identität, ihres Fürsichseins, betrachten. Das Verhältnis von Ding und Wahrnehmung, also die Wirkung des Dinges auf meine Sinnesempfindungen, ist aber eben deswegen nur holistisch zu verstehen. Das gilt auch für das Urteilen über das Ding, was es ist bzw. welche Eigenschaften es hat. Auch diese Urteile stehen immer schon im Rahmen eines gesamten Systems des Wissens über die Dinge und ihre Wirkungen. 123 b
»Das Ding ist hiernach für sich und auch für ein Anderes, ein gedoppeltes verschiedenes Sein, aber es ist auch Eins, das Einssein aber widerspricht dieser seiner Verschiedenheit; das Bewußtsein hätte hiernach dies Ineinssetzen wieder auf sich zu nehmen und von dem Dinge abzuhalten. Es müßte also sagen, daß das Ding, insofern es für sich ist, nicht für Anderes ist. Allein dem Dinge selbst kommt auch das Einssein zu, wie das Bewußtsein erfahren hat; das Ding ist wesentlich in sich reflektiert. Das Auch oder der gleichgültige Unterschied fällt also wohl ebenso in das Ding als das Einssein, aber, da beides verschieden, nicht in dasselbe, sondern in verschiedene Dinge; der Widerspruch, der an dem gegenständlichen Wesen überhaupt ist, verteilt sich an zwei Gegenstände. Das Ding ist also wohl an und für sich, sich selbst gleich, aber diese Einheit mit sich selbst wird durch andere Dinge gestört; so ist die Einheit des Dings erhalten und zugleich das Anderssein außer ihm sowie außer dem Bewußtsein.« (87 | 77)
Was ein Ding ›für sich‹ ist, ist bestimmt dadurch, wie es sich in seiner Identität über die Zeit ›von selbst‹ erhält. So ist die Identität eines animalischen Lebewesens von seiner Geburt bis zu seinem Tod unabhängig davon, wie wir es zu identifizieren vermögen. Das wissen wir. Dieses Wissen aber geht in den Begri= der Identität des Lebewesens ein. Entsprechend existiert der Gegenstand eines Weltbezugs als solcher immer nur in Abhängigkeit von einer möglichen Bezugnahme. Er ist also bestimmter Gegenstand nur in diesem Bezug, ›für ein anderes‹, also auch für uns, so wie die Zahl 5 nur in Abhängigkeit von ihren Relationen einerseits zu den anderen Zahlen, andererseits zu uns Menschen als den Verwendern der Zahlausdrücke existiert. Wie ist nun die Spannung
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zwischen den zwei o=enbar verschiedenen Gegenstandsbegriffen zu lösen: dem Begri= der bezugsunabhängigen Objektivität und dem Begri= der (gemeinsamen) Bezugnahme, in dem der Gegenstand des Bezugs intern definiert wird? Es ist eine durchaus ironische Wahrheit, dass ›das Bewusstsein‹, also wir selbst, für eine harmonische Passung der beiden Gegenstandsbegri=e so sorgen müssen, dass sie möglichst zusammenfallen. Das heißt, wir müssen unsere Geltungsbedingungen des Fürsichseins bzw. die Identitätsbedingungen der Gegenstände so verfassen, dass diese als im Prinzip wiedererkennbar bestimmt sind. Wir können die Identität also nicht einfach dem Ding oder den Dingen überlassen. Wir wollen uns ja auf sie beziehen. Andererseits müssen wir es dem Ding überlassen, wie widerständig es sich dabei zeigt, also ob es sich in seiner Identität leicht oder weniger leicht zu erkennen gibt. Höhere Lebewesen sind z. B. in ihrer Identität bestimmt. Aber wir müssen sie markieren, Vögel etwa beringen, um sie sicher genug wiederzuerkennen. Die Identität eines Dinges wie eines Planeten, Berges, Steines, eines Wassermoleküls oder Wassersto=atoms usf. ist im System der gleichartigen und einige Zeit mit sich identischen Dinge situiert, wobei wir in gewissem Sinn selbst über unsere Leiblichkeit wesentlich zum System des Leiblichen lebender Körper und damit auch des Körperlichen im weiteren Sinn gehören. Dabei sind am Begri= des Körper-Dinges an und für sich zwei Aspekte zu unterscheiden: sein Fürsichsein, in dem es sich auf verschiedenste Weise in Bezug auf verschiedene Perspektiven selbst präsentiert, und zwar so, dass diese Präsentationen als Präsentationen desselben Dinges zu werten sind, und sein Ansichsein, wie wir also auf das Ding in seinen generischen Gattungseigenschaften allgemein Bezug nehmen können. »Ob nun zwar so der Widerspruch des gegenständlichen Wesens an verschiedene Dinge verteilt ist, so wird darum doch an das abgesonderte einzelne Ding selbst der Unterschied kommen. Die verschiedenen Dinge sind also für sich gesetzt; und der Widerstreit fällt in sie so gegenseitig, daß jedes nicht von sich selbst, sondern nur von
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dem andern verschieden ist. Jedes ist aber hiemit selbst als ein Unterschiedenes bestimmt und hat den wesentlichen Unterschied von den andern an ihm, aber zugleich nicht so, daß dies eine Entgegensetzung an ihm selbst wäre, sondern es für sich ist einfache Bestimmtheit, welche seinen wesentlichen, es von andern unterscheidenden Charakter ausmacht. In der Tat ist zwar, da die Verschiedenheit an ihm ist, dieselbe notwendig als wirklicher Unterschied mannigfaltiger Bescha=enheit an ihm. Allein weil die Bestimmtheit das Wesen des Dings ausmacht, wodurch es von andern sich unterscheidet und für sich ist, so ist diese sonstige mannigfaltige Bescha=enheit das Unwesentliche. Das Ding hat hiemit zwar in seiner Einheit das gedoppelte Insofern an ihm, aber mit ungleichem Werte, wodurch dies Entgegengesetztsein also nicht zur wirklichen Entgegensetzung des Dings selbst wird; sondern insofern dies durch seinen absoluten Unterschied in Entgegensetzung kommt, hat es sie gegen ein anderes Ding außer ihm. Die sonstige Mannigfaltigkeit ist zwar auch notwendig an dem Dinge, so daß sie nicht von ihm wegbleiben kann, aber sie ist ihm unwesentlich.« (87 f. | 78 f.)
Wir möchten den Aspekt, was das Ding für sich ist, der DingSeite zuordnen, den Aspekt aber, was es für uns ist, unserem ›Bewusstsein‹ oder unserer Form des Weltbezugs. Es zeigt sich aber schon daran, dass das, was das Ding an sich ist, also seine Art, auch seine generischen Eigenschaften oder Propria, durch unsere Unterscheidungen wesentlich mitbestimmt sind, dass diese Trennung nicht so einfach ist. Und in der Tat: Gerade auch die Ungleichheitsrelation zwischen den einzelnen Dingen, sogar die räumliche Verschiedenheit, versteht sich keineswegs ›von selbst‹. Zunächst kommt sie nämlich gar nicht ohne generisches Vorwissen darüber aus, was sich hier sinnvoll von uns bestimmen lässt. Wir müssen also schon wissen, dass (höhere) animalische Lebewesen sich nicht teilen (lassen) und Festkörper sich im Raum stetig bewegen. Um den Begri= der Identität und den der Verschiedenheit von Lebewesen oder Dingen überhaupt verstehen zu können, bedarf es also schon als Voraussetzung eines Vorwissens dazu, dass sich die Dinge allgemein identifizieren und
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unterscheiden lassen. Erst auf dieser Grundlage können wir Lebewesen und Dinge auch ›taufen‹, ihnen je einen Namen als starren ›Designator‹, wie Saul Kripke sagt, zuordnen. Kripke hat diese Voraussetzung seiner Theorie der nicht bloß okkasionellen Designatoren nicht weiter analysiert. Er hat im Grunde nur auf formale Di=erenzen zwischen zeit- und situationsallgemeinen Eigennamen und situationsabhängigen Kennzeichnungen verwiesen. Dabei benutzt man das sehr grobe formale Vorstellungsbild einer Menge aller möglichen Welten mit seinen völlig obskuren Beziehungen zum Realbegri= der Möglichkeiten einerseits, zu verschiedenen Situationen und Perspektiven andererseits. Das klärt auch nicht die ›ontologischen‹, d. h. materialbegri=lichen Voraussetzungen oder Bedingungen der Möglichkeit starrer Designatoren, noch nicht einmal die Unterscheidungen zwischen Standardnamen von Zahlen wie »7« oder »12« und Kennzeichnungen wie »die größte Lösung der Fermatschen Gleichung« in der Mathematik. Entsprechendes tri=t Hilary Putnams Rede über rigide ›mass terms‹, also Namen von chemischen Sto=en, und den sich daraus ergebenden Externalismus in einer schon formalistischen Bedeutungstheorie, die auf formale Weise mit möglichen Zwillingswelten so rechnet, als wäre schon bestimmt, was es in diesen so alles gibt. Das ist zwar nur als Gedankenexperiment gedacht. Aber der Gedanke scheitert daran, dass bloße Möglichkeiten nur an sich bestimmbar sind. Man kann über sie nicht mehr wissen, als die Skizze der Beschreibung sagt. Das entspricht der Tatsache, dass niemand wissen kann, was alles in der Welt des Sherlock Holmes wahr gewesen wäre, über das hinaus, was der Text und die Situierung der Personen in eine typische Welt des 19. Jahrhunderts besagt. Für Putnams Fall gilt daher: Die Bestimmung von Sto=en setzt schon unser Wissen über die chemischen Reaktionen der Sto=e voraus. Wasser ist also überall H2 O – in allen möglichen Situationen. Diese sind als reale Möglichkeiten in unserer Welt zu begreifen. Wir verstehen daher eine Vorstellung fiktionaler Wesen kaum, bei denen es vage Ähnlichkeiten zu dem gibt, was wir aus der einen und einzigen
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Welt her kennen, die es gibt, weil alle unsere Unterscheidungen in ihr situiert sind. Wenn in einer solchen fiktionalen Bücherwelt, einer Zwillingserde von menschenähnlichen Wesen eine Flüssigkeit getrunken wird, die kein H2 O ist, dann trinken diese kein Wasser, egal, ob wir in der Übersetzung ihrer fiktionalen Sprache die Flüssigkeit mit »Wasser« übersetzen oder nicht. Daraus folgt, dass man nicht verstehen kann, was Putnam genau sagen möchte, wenn er sagt, sein Zwillingswasser auf seiner Zwillingserde hätte ›alle‹ Eigenschaften unseres Wassers, außer dass es kein H2 O sei. Denn es ist ja keineswegs so, dass die Möglichkeiten der Chemie nicht zu unserem holistischen Gesamt-Begri= des Wassers gehörten, oder dass man einen alltäglichen von einem wissenschaftlichen Begri= des Wassers trennen könnte. Gute und wahre Wissenschaft entwickelt alltägliche Begri=e unserer Welt auf vernünftige Weise, und das gerade so, wie es die Welt erlaubt. Diese und nur diese Welt ist es, in der wir Unterscheidungen machen. In ihr allein haben die den Unterscheidungen zugeordneten Ausdrücke einen relativ klaren (zeigbaren) und deutlichen (trennscharfen) Sinn. Eben damit wird diese eine Welt zusammen mit uns zum Maß aller begri=lichen Dinge. (Das ist eine verkürzte Argumentationsskizze, die sich leicht vervollständigen lässt. Und es mag sogar sein, dass Putnams Dialektik ein ähnliches Ergebnis im Blick hat, aber eben das wird nicht deutlich genug, wie die Debatten zeigen). Die ›wirklichen‹ Unterschiede der Dinge und ihrer Eigenschaften können eben daher, weil wir und die Welt die Unterschiede gemeinsam bestimmen, auch gar nicht rein ›für sich selbst‹ und ohne uns bestimmt sein, also ohne Bezugnahme auf ihre ›normalen‹ Wirkungen aufeinander und auf uns, ihre Beobachter, etwa in der Anschauung. Daraus folgt, dass das ›Wesen‹ eines Dinges selbst nicht unabhängig davon ist, wie wir den Erscheinungen ihre ›physischen‹ oder ›dinglichen‹ Ursachen zuordnen und welche guten Erfahrungen wir dabei in der Welt machen. 125
»Diese Bestimmtheit, welche den wesentlichen Charakter des Dings ausmacht und es von allen andern unterscheidet, ist nun so
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bestimmt, daß das Ding dadurch im Gegensatze mit andern ist, aber sich darin für sich erhalten soll. Ding aber oder für sich seiendes Eins ist es nur, insofern es nicht in dieser Beziehung auf andere steht; denn in dieser Beziehung ist vielmehr der Zusammenhang mit anderem gesetzt; und Zusammenhang mit Anderem ist das Aufhören des für sich Seins. Durch den absoluten Charakter gerade und seine Entgegensetzung verhält es sich zu andern und ist wesentlich nur dies Verhalten; das Verhältnis aber ist die Negation seiner Selbständigkeit, und das Ding geht vielmehr durch seine wesentliche Eigenschaft zu Grunde.« (88 | 78)
Ein Ding ist immer nur in einer gewissen Epoche, in einer eingeklammerten Zeit, über bloß einzelne Situationen hinweg in seiner Identität bestimmt. Es ist dadurch bestimmt, dass es seine Gleichheit und seine Verschiedenheit zu anderen Dingen in der Epoche erhält. Seine Identität ist scheinbar bloß durch sein Fürsichsein bestimmt. Das scheint unabhängig und vor allen Relationen zu anderem zu sein. Denn eine Relation x R y, aus der x = y folgt, ist natürlich keine Relation zu einem anderen Ding. Doch diese Identitäten sind realiter keineswegs ohne Rücksicht auf die Beziehungen zwischen den Gegenständen bestimmt. Das sieht man schon klar, wenn man die Zahlen betrachtet. Denn es ist etwa die Zahl 4 eindeutig als die einzige Zahl zwischen der 3 und der 5 bestimmt – egal, wie wir sie repräsentieren. Anders gesagt, Zahlen sind in ihrer Identität gar nicht unabhängig von den relationalen Zahlordungen x < y und x + 1 = y bestimmt. Analoges gilt für Dinge und ihrer Stellungen im Raum der Dinge. Die Folge ist, dass wir von der Idee eines »absoluten Charakters« dingbestimmender Eigenschaften, damit aber auch von jedem ›Atomismus‹, Abschied nehmen müssen und zusehen müssen, dass die Gliederung der Welt in Dinge und Räume, Bewegungen und Veränderungen, Kräfte und Energien immer auch holistisch und begri=lich durchformt ist. Das wird logisch vollends klar, wenn wir noch einmal beachten, dass die Gleichheit x = y gerade die Verneinung der Ungleichheit x 6= y ist.
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»Die Notwendigkeit der Erfahrung für das Bewußsein, daß das Ding eben durch die Bestimmtheit, welche sein Wesen und sein Fürsichsein ausmacht, zu Grunde geht, kann kurz dem einfachen Begri=e nach so betrachtet werden. Das Ding ist gesetzt als für sich Sein oder als absolute Negation alles Andersseins, daher absolute, nur sich auf sich beziehende Negation; aber die sich auf sich beziehende Negation ist Aufheben seiner selbst oder [dies,] sein Wesen in einem andern zu haben.« (88 | 78)
Das Für-sich-Sein ist, ich erinnere noch einmal daran, Titel für alle Relationen R, für die gilt: Aus x R y folgt non(x 6= y) oder ¬(x 6= y), also x = y. Schon der Satz, dass das Fürsichsein eines Dinges durch uns gesetzt ist, sollte hellhörig machen. Das Wesen des Dinges besteht nicht zuletzt in seinen relationalen Beziehungen zu anderen Dingen in einem Gesamtsystem von anderen Dingen und in einem Gesamtsystem von relativen Dingbewegungen und Veränderungen, wobei wir in unseren Darstellungen, die auf die Dinge zentriert sind, den Dingen dispositionelle Kräfte zuschreiben, welche die Bewegungen und Veränderungen hervorbringen bzw. verursachen. Diese Verursachungen zählen zum Wesen des Dinges. Sie bestimmen die Beziehungen des Dinges zu anderen Dingen. Doch sie sind gar nicht dem Ding inhärent, sondern betre=en seine relationale Stellung im System und werden von uns aufgrund unseres Allgemeinwissens dem Ding zugeschrieben. Das geschieht nicht willkürlich, sondern in Anpassung an die guten bzw. schlechten Erfahrungen, die wir mit unseren theoretischen Darstellungen und Erklärungen machen. Dabei spielt neben der Erfindung guter Theorien deren Bewertung nach besser und schlechter und damit ihre historische Entwicklung eine zentrale Rolle dafür, was wir je heute als die beste und damit wahre Theorie anerkennen und wie wir durch sie das inferentielle Moment unserer Begri=e bestimmen. Gute Theorien sind gute explizite Artikulationen begri=licher Di=erenzen und Inferenzen. Dabei müssen wir auch zwischen der ›wesenslogischen‹ Rede-Ebene einer ›Wirklichkeit‹ und der bloß ›beschreibungslogischen‹ oder ›seinslogischen‹ Ebene einer
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bloßen ›Realität‹ unterscheiden, wie wir noch genauer sehen werden. »In der Tat enthält die Bestimmung des Gegenstandes, wie er sich ergeben hat, nichts anderes; er soll eine wesentliche Eigenschaft, welche sein einfaches für sich Sein ausmacht, bei dieser Einfachheit aber auch die Verschiedenheit an ihm selbst haben, welche zwar notwendig sein, aber nicht die wesentliche Bestimmtheit ausmachen soll. Aber dies ist eine Unterscheidung, welche nur noch in den Worten liegt; das Unwesentliche, welches doch zugleich notwendig sein soll, hebt sich selbst auf oder ist dasjenige, was soeben die Negation seiner selbst genannt wurde.« (88 f. | 78 f.)
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Die Logik des Fürsichseins und Ansichseins zu verstehen, ist fundamental für jede Kritik am naiven Kausalismus des Materialismus oder physikalistischen Atomismus. Es ist dabei die Mystifizierung der Rede von einem Wesen der Dinge aufzugeben und zuzugeben, dass die Unterscheidung zwischen dem, was dem Ding wesentlich zukommt, nicht unabhängig von unseren wesensoder relevanzlogischen ›Setzungen‹ ist. Das ist insbesondere deswegen so, weil die Wirklichkeit und die Wirkungen der Dinge modale Dispositionen sind, die sich als solche nie unmittelbar ›wahrnehmen‹ lassen, sondern nur in wiederholten Prozessen zeigen, also zur generischen Sphäre des ›An sich‹ gehören. »Es fällt hiemit das letzte Insofern hinweg, welches das für sich Sein und das Sein für anderes trennte; der Gegenstand ist vielmehr in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst: für sich, insofern er für anderes, und für anderes, insofern er für sich ist. Er ist für sich, in sich reflektiert, Eins; aber dies für sich, in sich reflektiert, Eins-Sein ist mit seinem Gegenteile, dem Sein für ein Anderes, in einer Einheit und darum nur als Aufgehobenes gesetzt; oder dies für sich Sein ist ebenso unwesentlich als dasjenige, was allein das Unwesentliche sein sollte, nämlich das Verhältnis zu anderem.« (89 | 79)
Zum Wesen eines Dinges gehört also immer auch sein Verhältnis zu anderen Dingen. Das gilt schon, weil jede Identität Verneinung des Andersseins ist: x = y gilt genau dann, wenn ¬(x 6= y) gilt. Das Wesen der Zahl ist dann z. B., wie gesagt, seine
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Stellung im Zahlensystem. Das Wesen einer Person ist seine Stellung in der Gemeinschaft bzw. den Gesellschaften der Personen. Man mag noch so sehr wie Bertrand Russell gegen diesen ›Holismus‹ polemisieren, ihn nicht anzuerkennen, ist einfach logisch naiv. Gerade auch in diesem Sinn gilt: Jeder Gegenstand ist in sich reflektiert. 129
»Der Gegenstand ist hiedurch in seinen reinen Bestimmtheiten oder in den Bestimmtheiten, welche seine Wesenheit ausmachen sollten, eben so aufgehoben, als er in seinem sinnlichen Sein zu einem aufgehobenen wurde. Aus dem sinnlichen Sein wird er ein Allgemeines; aber dies Allgemeine ist, da es aus dem Sinnlichen herkommt, wesentlich durch dasselbe bedingt und daher überhaupt nicht wahrhaft sich selbst gleiche, sondern mit einem Gegensatze a;zierte Allgemeinheit, welche sich darum in die Extreme der Einzelnheit und Allgemeinheit, des Eins der Eigenschaften und des Auchs der freien Materien trennt. Diese reinen Bestimmtheiten scheinen die Wesenheit selbst auszudrücken, aber sie sind nur ein für sich Sein, welches mit dem Sein für ein anderes behaftet ist; indem aber beide wesentlich in einer Einheit sind, so ist itzt die unbedingte absolute Allgemeinheit vorhanden, und das Bewußtsein tritt hier erst wahrhaft in das Reich des Verstandes ein.« (89 | 79)
Die holistische Konstitution der Gegenstände betri=t nicht bloß die Beziehung zwischen wahrnehmbarem Subjekt und wahrgenommenem Objekt, sondern alle Relationen des Anderseins oder der sortalen Ungleichheit und damit a fortiori der Gleichheit der Gegenstände des relevanten Gegenstandsbereichs. Das zu begreifen ist der erste Schritt in der Reflexion auf die Form des Verstandes, der ratio, also auch des rechnenden Schließens in solchen Redebereichen. 130
»Die sinnliche Einzelnheit also verschwindet zwar in der dialektischen Bewegung der unmittelbaren Gewißheit und wird Allgemeinheit, aber nur sinnliche Allgemeinheit. Das Meinen ist verschwunden, und das Wahrnehmen nimmt den Gegenstand, wie er an sich ist, oder als Allgemeines überhaupt; die Einzelnheit tritt daher an ihm als wahre Einzelnheit, als an sich Sein des Eins hervor oder als Re-
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flektiertsein in sich selbst. Es ist aber noch ein bedingtes für sich Sein, neben welchem ein anderes für sich Sein, die der Einzelnheit entgegengesetzte und durch sie bedingte Allgemeinheit vorkommt; aber diese beiden widersprechenden Extreme sind nicht nur nebeneinander, sondern in einer Einheit; oder, was dasselbe ist, das Gemeinschaftliche beider, das für sich Sein ist mit dem Gegensatze überhaupt behaftet, d. h. es ist zugleich nicht ein für sich Sein. Diese Momente sucht die Sophisterei des Wahrnehmens von ihrem Widerspruche zu retten und durch die Unterscheidung der Rücksichten, durch das Auch und Insofern festzuhalten so wie endlich durch die Unterscheidung des Unwesentlichen und eines ihm entgegengesetzten Wesens das Wahre zu ergreifen. Allein diese Auskunftsmittel, statt die Täuschung in dem Auffassen abzuhalten, erweisen sich vielmehr selbst als nichtig, und das Wahre, das durch diese Logik des Wahrnehmens gewonnen werden soll, erweist sich in Einer und derselben Rücksicht das Gegenteil zu sein und hiemit zu seinem Wesen die unterscheidungs- und bestimmungslose Allgemeinheit zu haben.« (89 f. | 79 f.)
Aus der Binnensicht des Bewusstseins als eines auf die Objekte der Welt und der Erfahrung zentriertes (Streben nach wirklichem) Wissen schien es zunächst einen unmittelbaren Zugang zu ›wesentlichen Eigenschaften der Dinge‹ zu geben. Das muss nun partiell wieder zurückgenommen werden. Es gibt gar keine absolut unmittelbar wahrnehmbaren Ding-Eigenschaften, schon gar keine solchen, welche die Identität eines Dinges, sein wahres Fürsichsein, unmittelbar mit absoluter Sicherheit anzeigen könnten. Wir haben die hier weiter angesprochene Ambivalenz des Fürsichseins eines objektiven Gegenstandes, auch in der Wahrnehmung, oben schon näher erläutert. Hegels Kritik an allen bloß oberflächlichen Versuchen einer Verteidigung eines unmittelbaren Wahrnehmungsbezugs auf die Welt der Dinge ist immer auch von der Form, dass bisherige Lösungsvorschläge der Probleme noch nicht das letzte Wort sein müssen. Es ist daher dringend zwischen Problemexposition, Schilderung naheliegender Lösungsansätze und der Kritik
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an Restmängeln der bisherigen Analyse zu unterscheiden. Die Schilderung eines ersten naheliegenden Lösungsansatzes ist also zunächst immer im Modus des Berichts oder Halbzitats zu lesen. Wer Hegel für den Inhalt von Zitaten kritisiert, schlägt den Boten für die Nachricht und verkennt, dass Hegel häufig selbst auf der Seite der Kritik steht. 131
»Diese leeren Abstraktionen der Einzelnheit und der ihr entgegengesetzten Allgemeinheit sowie des Wesens, das mit einem Unwesentlichen verknüpft, eines Unwesentlichen, das doch zugleich notwendig ist, sind die Mächte, deren Spiel der wahrnehmende, oft so genannte gesunde Menschenverstand ist; er, der sich für das gediegne reale Bewußtsein nimmt, ist im Wahrnehmen nur das Spiel dieser Abstraktionen; er ist überhaupt immer da am ärmsten, wo er am reichsten zu sein meint. Indem er von diesen nichtigen Wesen herumgetrieben, von dem einen dem andern in die Arme geworfen wird und, durch seine Sophisterei abwechslungsweise itzt das eine, dann das gerade Entgegengesetzte festzuhalten und zu behaupten bemüht, sich der Wahrheit widersetzt, meint er von der Philosophie, sie habe es nur mit Gedankendingen zu tun. Sie hat in der Tat auch damit zu tun und erkennt sie für die reinen Wesen, für die absoluten Elemente und Mächte; aber damit erkennt sie dieselben zugleich in ihrer Bestimmtheit und ist darum Meister über sie, während jener wahrnehmende Verstand sie für das Wahre nimmt und von ihnen aus einer Irre in die andere geschickt wird. Er selbst kommt nicht zu dem Bewußtsein, daß es solche einfache Wesenheiten sind, die in ihm walten, sondern er meint es immer mit ganz gediegenem Sto=e und Inhalte zu tun zu haben, so wie die sinnliche Gewißheit nicht weiß, daß die leere Abstraktion des reinen Seins ihr Wesen ist; aber in der Tat sind sie es, an welchen er durch allen Sto= und Inhalt hindurch und hin und her läuft; sie sind der Zusammenhalt und die Herrschaft desselben und allein dasjenige, was das Sinnliche als Wesen für das Bewußtsein ist, was seine Verhältnisse zu ihm bestimmt und woran die Bewegung des Wahrnehmens und seines Wahren abläuft. Dieser Verlauf, ein beständig abwechselndes Bestimmen des Wahren und Aufheben dieses Bestimmens, macht eigentlich das tägliche und beständige Leben und
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Treiben des wahrnehmenden und in der Wahrheit sich zu bewegen meinenden Bewußtseins aus. Es geht darin unaufhaltsam zu dem Resultate des gleichen Aufhebens aller dieser wesentlichen Wesenheiten oder Bestimmungen fort, ist aber in jedem einzelnen Momente nur dieser Einen Bestimmtheit als des Wahren sich bewußt und dann wieder der Entgegengesetzten. Es wittert wohl ihre Unwesenheit; sie gegen die drohende Gefahr zu retten, geht es zur Sophisterei über, das, was es selbst soeben als das Nichtwahre behauptete, itzt als das Wahre zu behaupten. Wozu diesen Verstand eigentlich die Natur dieser unwahren Wesen treiben will, die Gedanken von jener Allgemeinheit und Einzelnheit, vom Auch und Eins, von jener Wesentlichkeit, die mit einer Unwesentlichkeit notwendig verknüpft ist, und von einem Unwesentlichen, das doch notwendig ist, – die Gedanken von diesem Unwesen zusammen zu bringen und sie dadurch aufzuheben, dagegen sträubt er sich durch die Stützen des Insofern und der verschiedenen Rücksichten oder dadurch, den einen Gedanken auf sich zu nehmen, um den andern getrennt und als den wahren zu erhalten. Aber die Natur dieser Abstraktionen bringt sie an und für sich zusammen; der gesunde Verstand ist der Raub derselben, die ihn in ihrem wirbelnden Kreise umhertreiben. Indem er ihnen die Wahrheit dadurch geben will, daß er bald die Unwahrheit derselben auf sich nimmt, bald aber auch die Täuschung einen Schein der unzuverlässigen Dinge nennt und das Wesentliche von einem ihnen notwendigen und doch unwesentlich sein Sollenden abtrennt und jenes als ihre Wahrheit gegen dieses festhält, erhält er ihnen nicht ihre Wahrheit, sich aber gibt er die Unwahrheit.« (90–92 | 80 f.)
Wir haben gesehen, dass ›das Einzelne‹, rein betrachtet, eine bloß formale Abstraktion ist, bestimmt durch die folgende Form: x = y gilt genau dann, wenn es (im Redebereich) keine (relevante, allgemeine) Eigenschaft gibt mit A(x) und ¬A(y). Es stehen daher den Gegenständen die allgemeinen Unterscheidungen zwar gegenüber: Die Gegenstände sind keine Bündel von Eigenschaften. Aber die Identität der Gegenstände ist durch das System der relevanten prädikativen Unterscheidungen und Relationen bestimmt. Schon daher können wir einzelne Gegen-
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stände nicht unmittelbar perzipieren oder ›wahrnehmen‹. Denn die Bestimmung der Einzelheit ist begri=lich, nicht rein perzeptuell bestimmt. Der gesunde Menschenverstand setzt das alles stillschweigend voraus – bemerkt aber nicht, wie er dabei mit Abstraktionen operiert. Daher ist jede common-sense-Logik ohne logik-technische Reflexion so naiv und in sich widersprüchlich: Sie meint, ein Ding festhalten zu können, bedenkt aber nicht, dass Dinge entstehen und vergehen. Wenn das bedacht wird, sagt der common-sense, das Ding bestehe halt aus Teildingen, die Teile seien die eigentlichen Dinge. Leider gilt für diese dasselbe: Auch sie entstehen und vergehen. Daher sagt der Alltagsverstand, bis hinein in die naive Philosophie der Physik, eigentlich gäbe es eben nur die kleinsten Dinge, die Atome und subatomaren Partikel der Physik. Jetzt aber wird das Entstehen und Vergehen, die Epoche ihrer Existenz, kürzer und immer kürzer: Die Existenzdauer vieler subatomarer Partikel liegt längst nicht mehr im Sekundenbereich. Sie sind schon damit als Dinge längst nicht mehr unmittelbar wahrnehmbar. Ja, der Ausdruck »Ding« oder »Teilchen« wird selbst metaphorisch, was sich schon am WelleTeilchen-Parallelismus zeigt: Wie bei Metaphern muss man die Technik der rechten Deutung der Modelle beherrschen. O=enbar ist etwas an dieser »Sophisterei« des Atomismus logisch schief – wenn man alles wörtlich, d. h. schematisch versteht, zumal die Teilchenphysik es wirklich wesentlich mit ›Gedankendingen‹, also theoretischen Entitäten, zu tun hat, auch wenn diese keineswegs bloße Gedankendinge sind, und zwar weil sie auf geregelte Weise mit rekurrent wahrnehmbaren bzw. stabil wiedererzeugbaren Phänomenen verbunden sind. Damit wird dennoch vollends klar, dass diese Dinge wesentlich durch uns in ihrer Identität mit-konstituiert sind. Ihr Sein zeigt sich darin, dass das theoretische Modell sich in den Erscheinungen bewährt. Von einer unmittelbaren Wahrnehmung der Dinge kann mit Sicherheit nicht gesprochen werden. Dabei unterscheiden wir das theoretische Ansichsein – also was laut unseren leitenden theoretischen Systemen des Unter-
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scheidens und modellinternen Schließens allgemein gilt – vom Fürsichsein der einzelnen Dinge, zu dem auch gehört, wie sie sich im guten Fall konkret zeigen lassen. Diese Unterscheidung gilt für alles und jedes in der Welt. Das bloß meinende Bewusstsein, also die Meinung des Alltagsverstandes, »wittert wohl«, dass das ›Wesen‹ oder die Seinsweise der Dinge nie unmittelbar wahrgenommen wird. Auch sie setzt theoretisches Wissen, nämlich generisches Gattungswissen über das typische Verhalten der Dinge an sich voraus. Weil es aber die Erfahrungstranszendenz der Dinge, welche bloß eine Wahrnehmungstranszendenz ist, falsch deutet, wird für es das Ding an sich unerkennbar. Das aber ist schon sophistisches Gerede, in welchem das Problem bloß zugeschüttet wird. Wir müssen also zugeben, dass die Dinge und ihre Eigenschaften, auch die Arten und Einzelheiten von Ereignissen und Prozessen, obwohl sie sich als Unterscheidungen in der einen und einzigen realen Welt ergeben, in der wir leben, doch auch in Bezug auf ihr konkretes An-und-Für-sich-Sein im Denken konstituiert sind. Nur in diesem Gesamtkontext werden die Gegenstände physikalischen Denkens zur Ursache der wahrnehmenden Phänomene. Man legt in sie die Kraft, das hervorzubringen, was wir von ihnen und an ihnen wahrnehmen. Dabei geschieht es, dass wir die Täuschungen uns zuschreiben, die Wahrheit aber den Dingen. Doch auch das kann allgemein nicht richtig sein. Eine andere Variante ist die, dass man die Wahrheit den Aussagen einer spezifischen Gruppe von Leuten, den Physikern, zuschreibt. Was diese etwa über die subatomaren Teilchen sagen, gilt dem scheinbar ›gebildeten‹ Alltagsverstand als die absolute Wahrheit. Das ist eine schöne Bildung. Statt des am Anfang angestrebten Zieles, selbst jenseits von jedem Glauben an Vertreter esoterischer Wahrheiten darüber urteilen zu wollen, was es gibt, was nicht, was wahr ist, was nicht, wird jetzt einer neuen Hierarchie oder heiligen Ordnung des wahren Wissens der Natur die Entscheidung darüber überlassen, was zu glauben ist, was nicht. Beglaubigt wird dieses Spezialwissen durch den Erfolg gewisser physikalischer
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Techniken. Dabei kann es zumindest geschehen, dass das technische und lokale Wissen überschätzt wird. Und das geschieht tatsächlich, wenn man die physikalischen Theorien in eine allumfassende Ontologie verwandelt: Dann ist die ansonsten richtige Idee nicht mehr zu verstehen, dass die Wissenschaft das Maß der begri=lichen Dinge ist. Das wäre nur wahr, wenn alles Wissen Teil dieser Wissenschaft wäre, und nicht bloß das Partialwissen, das sich auf Festkörper und subatomare Partikel bezieht. In einer echten, aufgeklärten Wissenschaft nehmen wir alle teil an einer kritischen Evaluation der Grenzen je bestimmter begri=licher Unterscheidungen und Inferenzen. Alles andere bliebe dogmatische Versicherung und bloßer Glaube.
Kapitel III Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt 17. Der modale Begri= der Kraft in kausalen Erklärungen von Bewegungen In den Abschnitten zur sinnlichen Gewissheit und zur Wahrnehmung war es zunächst nur darum gegangen, die inneren Widersprüche in den Unmittelbarkeitsphantasien zunächst des Sinnesdatenempirismus und dann eines wahrnehmenden Dingbezugsempirismus aufzuzeigen. Diese Naivitäten führen zunächst zu den sich gegenseitig ausschließenden Vorstellungen, der unmittelbare Gegenstand von Erfahrung sei je meine unmittelbare innere Empfindung auf der einen Seite, ein in seiner Identität völlig erfahrungsunabhängiges Ding auf der anderen Seite. Keine der Antworten kann befriedigen. Das ist im einen Fall so, weil es im Reich der reinen Empfindungen oder Sinnesdaten keine stabilen Unterscheidungen und Wiedererkennbarkeiten geben kann. Es ist im anderen Fall so, weil es, erstens, keinen unmittelbaren Zugang der Sinne zu den sich sowohl im Laufe der Zeit in ihren Eigenschaften wesentlich ändernden, ja oft so-
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gar verschwindenden, Dingen gibt, weil, zweitens, Eigenschaften immer nur Eigenschaften von substantiellen Gegenständen sein können. Frei floatende Gestalten oder frei floatende Eigenschaften ließen sich als solche gar nicht identifizieren, da es dazu zumindest einer gemeinsamen Praxis der Beurteilung von Gestaltgleichheiten bedarf. Das wiederum ist nur möglich, wenn wir uns aus den a fortiori immer verschiedenen räumlichen Perspektiven auf dasselbe beziehen können. Das geht wiederum nur dort, wo wir die Orte durch die Dinge am Ort oder durch räumliche bzw. raumzeitliche Relationen zu Körperdingen bestimmen können. Das wiederum setzt schon ein Wissen voraus, dass es wiedererkennbare Dinge gibt, an denen sich Eigenschaften ändern und die ihre relative Lage im Raum ändern. Im folgenden Kapitel geht es nun um die Kausalität, nach welcher ein physischer Gegenstand oder Prozess meine Empfindungen, Impressionen, Wahrnehmungen oder Eindrücke verursachen soll. Eine kausale ›Kraft‹ als ›Ursache‹ kann aber nie unmittelbar durch Wahrnehmung erkennbar sein. Das hatte im Grunde schon Hume bemerkt. Ursachen sind etwas Allgemeines, oder wir wüssten nicht, was sie sein sollten. Wir könnten sie sonst nicht von Zufällen als den Abweichungen vom Allgemeinen unterscheiden. Daher ist das Allgemeine auch nicht der Inhalt empirischer Allsätze. Im Übrigen müssen wir ganz entsprechend auch Wahrscheinlichkeitsbewertungen als allgemeine Aussagen von bloß zufälligen relativen Häufigkeiten unterscheiden. Es ist bloß eine Variante eines in sich inkonsistenten skeptizistischen Empirismus, wenn man behauptet, einen solchen Unterschied gäbe es nicht wirklich. Selbst wenn es so wäre, müssten wir verstehen, was wir sagen, wenn wir zwischen Zufall und ursächlichen Wirkungen unterscheiden oder das auch nur versuchen, und was mit dem Wort »wirklich« denn eigentlich betont werden soll. Ein und derselbe dingliche Gegenstand kann aus verschiedenen Perspektiven völlig verschiedenes Aussehen haben. Wir müssen
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daher in die Lage versetzt werden, dem Ding gewisse objektiven Eigenschaften zuzusprechen. Diese Eigenschaften können ihrerseits aus Relationen zu anderen Dingen stammen. Man denke etwa an die Eigenschaft, größer als ein Tennisball zu sein. Manche dieser Eigenschaften des Dinges fassen wir als Ursache für unsere Wahrnehmungen auf, vermittelt über unsere Empfindungen. Was dabei richtig oder falsch ist, kann wiederum nicht unmittelbar in der Empfindung oder Wahrnehmung kontrolliert werden. Es setzt die Erklärungsform der Kraft oder energeia voraus, also ein Wissen darüber, wie der dingliche Gegenstand in der Umgebung, in der er sich befindet, auf diese Umgebung und damit dann auch auf uns als Beobachter normalerweise wirkt. Dazu gehört auch, wie sich andere Dinge in Relation zu dem Ding normalerweise, also generisch, verhalten. Wie ein Ding auf uns wirkt, das wird üblicherweise unter dem Titel »Erscheinung« abgehandelt. Daher sind wir hier schon bei der reflexionslogischen Unterscheidung zwischen dem Wesen des Dinges und seiner Erscheinung gelandet. Für jetzt reicht es, das Folgende festzuhalten: Ohne die Unterscheidung zwischen Wesen (Seinsweise) und Erscheinung können wir nicht verstehen, was es heißen soll, dass ein Ding Ursache für eine Empfindung ist. Wir wissen dann nicht einmal, was es heißt, ein Ding als solches wahrzunehmen. Schon daher kann weder ein Reich von subjektiven Sinnesdaten noch ein Reich von objektiven Körperdingen als unmittelbar gegebener oder bekannter Ausgangspunkt für unsere praktischen und theoretischen (insbesondere begri=lich vermittelten) Unterscheidungen und Inferenzen genommen werden. Anders gesagt, weder die Unmittelbarkeit der Sinnesempfindungen noch unsere Urteile über das angeblich stabile Verhalten von Dingen, die wir als Urteile an sich gelernt haben, taugen als absolute Kriterien der Kontrolle des Sinnes bzw. der Wahrheit einer dingbezogenen empirischen Aussage oder der Bedeutungshaftigkeit einer Benennung. Sie taugen beide nicht als basale Bestimmungen realer Weltbezüge, weil wir das Wahrnehmbare mit dem begri=lich Unterschiedenen und den entsprechenden
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Normalerwartungen verbinden müssen. Damit zeigt Hegel den Denkfehler auf, der im Glauben besteht, wir würden die physischen Dinge unmittelbar sinnlich erfahren. Das Abstrakte und Vorurteilsreiche des Beginns mit der sinnlichen Wahrnehmung und der mit ihr im Vollzug verbundenen vermeintlichen Gewissheit, die wahre Realität unmittelbar zu erkennen, hatte allerdings schon Platon gerade am Beispiel der Schattenrisse in seinem Höhlengleichnis artikuliert: Die Schemata, nach denen wir die Welt wahrnehmen, tragen andere hinter unserem Rücken umher. Wir nehmen, sagt das Gleichnis, ›unmittelbar‹ immer nur vorgestanzte Schemen wahr. Damit nehmen wir gerade nichts unmittelbar wahr. Das heißt, unsere Perspektive, unser Blickwinkel im unmittelbaren Wahrnehmen ist extrem eingeschränkt. Nicht anders als bei Platon im Höhlengleichnis geht es auch bei Hegel darum, dass wir in unseren vermeintlichen sinnlichen Gewissheiten sozusagen nur die Schatten sehen, die schon von anderen präformiert sind, und damit die impliziten begri=lichen Präformation unserer Gefühle und Wahrnehmungen gar nicht mehr bemerken, jedenfalls nicht ohne eine Reflexion, eine Umwendung unserer Aufmerksamkeit zunächst auf die üblichen Schemata der Wahrnehmung und des (oft gefühlsartig-impliziten) Urteilens und dann weiter auf die so genannten Ursachen für diese Wahrnehmungen und die mit dieser Rede von Ursachen verbundenen tiefen begri=lichen Probleme. Das ist das Thema der Abschnitte zum Thema »Kraft«. Das Wort »Kraft« überschreibt dabei die übliche Vorstellung, dass reale Dinge auf andere Dinge und auch auf uns über unseren Leib bzw. dessen Sinne wirken. Wir sagen, dass dabei von den Dingen eine Art Kraft ausgeht, welche die Wirkung verursacht, gerade so, wie eine Billardkugel, die an eine andere stößt, einen Teil ihrer Kraft oder Energie an diese überträgt. Damit verursacht sie eine gewisse Veränderung an der Kugel: Der Druck drückt auf sie ein. Es ändert sich dann auch deren Bewegungszustand relativ zu anderen Dingen. Wenn man will, kann man von (kinematisch-
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dynamischen) Ereignissen sprechen, wo es um derartige Änderungen geht. Und man sagt, dass es Kräfte sind bzw. sein müssen, nicht einfach die Dinge, welche derartige Ereignisse und Prozesse der Änderungen von Formen der Körpergestalt und Bewegung kausal bewirken, gerade weil man auf die relative Lage und Bewegung der Dinge achten muss und weil man über Möglichkeiten der Fortsetzung der Bewegungen spricht. Was aber sind Kräfte? Wie ist der Begri= der Kraft oder der Energie überhaupt zu verstehen? Wie ist der Begri= der kausalen Verursachung im Sinne einer causa e;ciens zu begreifen? Das sind die zentralen Fragen Hegels in diesem Abschnitt. Als erste, rahmenartige, Antwort, kann man sagen, dass der Begri= der Kraft deswegen eine logisch so zentrale Stellung einnimmt, weil er es ist, welcher das Ansichsein der Dinge bestimmt. Dieses Ansichsein ist durch uns mit den am Ende der Wirkungskette wahrnehmbaren Erscheinungen systematisch und gesetzesartig verknüpft. Damit sind die Dinge in ihrer Konkretheit, ihrem ›An-und-für-sich-sein‹, allererst definiert. Es erhellt daraus auch, in welchem Sinn der Begri= des Körperdinges und der Wirklichkeit der physischen Natur bei Hegel immer auch schon als dispositioneller Modalbegri= verstanden wird, und warum Dingerfahrungen immer schon Verstand, nämlich den rechten Umgang mit impliziten materialbegri=lichen Inferenznormen und expliziten Regeln bzw. Gesetzen und Sätzen voraussetzen. Hegel beginnt den Abschnitt mit der Bemerkung, dem Bewusstsein sei aufgrund der bisherigen Überlegungen »das Hören und Sehen vergangen« und »als Wahrnehmen ist es zu Gedanken gekommen«. Er drückt damit, o=enbar leicht ironisch, aus, dass wir weder in der sinnlichen Gewissheit noch in einer begri=s- und theorielosen Wahrnehmung ein basales Verständnis dessen finden, was es heißt, sich bewusst auf einen dinglichen, körperlichen, Gegenstand in der Welt zu beziehen. Vielmehr zeigt der volle Begri= der Wahrnehmung, dass der wahrgenommene Gegenstand schon von anderen Gegenständen unterschieden sein muss. In der Tat reicht weder Vigilanz (Wachheit) noch eine
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bloß auf die präsentische Umwelt gerichtete Aufmerksamkeit, um verständlich zu machen, worin die Wahrnehmung eines objektiven Gegenstandes ist. Die Di=erenz zwischen erfolgreicher Wahrnehmung und irrtümlicher Wahrnehmung lässt sich ohne Rück- bzw. Vorgri= auf das Denken und Sprechen gar nicht begreifbar machen. Denn dazu bedarf es einer Reflexion auf das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Wahrnehmungsurteil. Und es bedarf einer Erläuterung, wann ein Wahrnehmungsurteil wahr ist. In gewissem Sin vertritt Hegel hier eine Argumentation, die im Grunde schon bei Kant zu finden ist, dort aber eher im Rahmen einer dogmatischen Doktrin, also ohne Argumente dafür, dass die Verhältnisse gar nicht anders begreifbar sind. Es ergibt sich eine systematische Ambiguität sowohl im Bezug auf das Wahrnehmen als auch auf den Gegenstand der Wahrnehmung, die wir alle, und nicht etwa nur irgendwelche Philosophen, üblicherweise als Unterscheidung zwischen einer Erscheinung – wie uns also die wahrgenommenen Dinge erscheinen – und dem wahrgenommenen Ding oder seinen wirklichen Eigenschaften kennen. Wir sagen etwa, dass der Stab im Wasser geknickt aussieht, aber in Wirklichkeit oder an sich nicht geknickt ist. Wie aber ist diese Unterscheidung zwischen Erscheinung und objektiver Wirklichkeit (›an sich‹) konkret zu verstehen, und zwar so, dass die Aussagen über die Welt (›an sich‹) nicht einfach zu willkürlichen und damit sinnleeren Urteilen werden? Das ist die zentrale Frage jeder sinnkritischen Philosophie, welche unseren wissenden Weltbezug begreifen will. Um die Frage überhaupt stellen zu können, muss man allerdings schon bemerkt haben, dass wir uns gerade dann, wenn wir die Unterscheidung zwischen Erscheinung und wirklicher, ›objektiver‹, Welt als schon geklärt unterstellen, zumeist erst noch in einem abstrakten Denken oder möglicherweise noch gar nicht konkret begri=enen Gerede herumtreiben. Dabei geht es auch immer darum, Kants ominösen Ausdruck »an sich« entweder ganz zu vermeiden, oder ihn ganz anders und besser als Kant zu verstehen, also sinnvoll aufzuhe-
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ben. Eben das versucht Hegel in seinem neuen Gebrauch dieser Ausdrucksform. Ein analoges Problem betri=t den naiven Gebrauch üblicher Wahrnehmungsurteile. Wenn wir etwa meinen, etwas Wohlbestimmtes oder auch nur näher Bestimmbares als solches unmittelbar wahrzunehmen, merken wir nicht, dass wir längst schon schematisch urteilen. Das heißt, wir bemerken den präsupponierten Status der angewendeten Schemata nicht. Während daher das unmittelbare Bewusstsein der sinnlichen Gewissheit weder ›an sich‹ (also gemäß unseren begri=lichen bzw. generischen Normalfallurteilen) noch ›für sich‹ (also in seinen Erscheinungsweisen) begri=lich bestimmt ist, ist das wahrnehmende Bewusstsein, wie sich Hegel ausdrückt, ›an sich Begri=‹. Das ist bloß eine stenographische Formel für die Einsicht, dass das jeweils Wahrgenommene immer schon begri=lich di=erenziert ist. Mit anderen Worten, Hegel erkennt, dass jedes wahrnehmende Bewusstsein schon konzeptuell verfasst ist. Der Inhalt der Wahrnehmung und der Inhalt des möglichen Wahrnehmungsurteils sind identisch. Eben das sagt auch John McDowell über seinen Begri= der Perzeption. Dieser Begri= fällt mit der Wahrnehmung bei Hegel zusammen. Dabei sehen wir mit Hegel, dass die Identität von Wahrnehmungsgegenstand und begri=licher Bestimmung des Wahrgenommenen aufruht auf einer gelernten Äquivalenzrelation oder empraktischen Zuordnung, in der Wahrnehmungen nicht bloß unter gewisse sprachliche Obertitel sortiert und ihnen Untertitel zugeordnet werden, sondern in welcher wir ganze Systeme von Präsentationen und Re-Präsentationen des Wahrgenommenen als bezugsäquivalent bzw. als bezugsunterschieden beurteilen. Für uns, die wir hier auf diese Verhältnisse reflektieren, ist das jetzt klar, oder sollte das jetzt klar sein. »Aber das Bewusstsein ist noch nicht für sich selbst der Begri= und deswegen erkennt es in jenem reflektierten Gegenstand nicht sich« (Nr. 132), sondern nur einen dinglichen Gegenstand. Hegel unterscheidet zwischen der Einsicht, wie sie inzwischen entwickelt wurde, dass in der
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Wahrnehmung die wahrgenommenen Dinge schon begri=lich gegliedert sind, und der Sichtweise des wahrnehmenden Bewusstseins selbst. Aus jener Sicht scheint das Begri=liche bzw. die ›begri=liche Bestimmung der bewussten Wahrnehmung‹ sozusagen von außen hinzuzukommen. Es ist Hegel darum zu tun, dass sich das allgemeine Wissen und begri=liche Denken im Wahrnehmen wieder findet, dass also unsere Wahrnehmungen längst schon theoretisch vorgeprägt sind, wie man heute sagen würde. Die sich bei Hegel ergebende These klingt fast wie ein Panpsychismus: Alles ist Bewusstsein. Und da Hegel sich selbst verbal zum Idealismus bekennt, rücken seine Gedanken in gewissen Lektüren recht nahe an die Berkeleys, trotz aller Absetzversuche von jedem subjektiven Idealismus. Lässt sich der Text anders lesen? Ich beginne dazu noch einmal mit dem bisherigen Stand der Überlegung: Es bleibt uns nach dieser gar nichts anderes übrig, als zuzugeben, dass wir in unserem wahrnehmenden Weltbezug längst schon Schemata der Wahrnehmung bzw. der Di=erenzierung des Wahrgenommenen benutzen und dabei unseren Verstand im Sinne der impliziten Beherrschung von Schemata oder Normen des richtigen Di=erenzierens und empraktischen Schließens anwenden. Der Verstand ist als Know How die Kompetenz im Umgang mit irgendwelchen Schematisierungen oder, wenn man will, mit normativen Regelungen des richtigen Unterscheidens (Urteilens) und empraktischen inferentiellen Schließens. Als solcher ist er nicht bloß ein Vermögen des rechten Umgangs mit verbal explizit gemachten Regeln und artikulierten Prinzipien. Zumindest nach meinem terminologischen Vorschlag sind Regeln und Prinzipien dennoch immer schon (also a fortiori) in der einen oder anderen Form durch Sätze oder Regelausdrücke explizit gemacht. Das heißt, wo es Regeln gibt, gibt es schon symbolische Handlungen, in denen die Regel repräsentiert werden. Und es gibt Bewertungen der formalen Äquivalenz oder reinen Formäquivalenz sowohl von Repräsentationen der Regeln als auch von Beispielen ihrer Anwendung in ›Präsentationen‹ des Regelgebrauchs.
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Form und Inhalt unterscheiden sich immer nur in Abhängigkeit vom relevanten di=erentiellen Aspekt: Es gibt keine Inhalte ohne die sie tragenden Formen, die als inhaltsgleich bewertet werden. Und es gibt keine Formen ohne empraktisch als formgleich gewertete Präsentationen oder Repräsentationen. Erst durch die Unterstellung solcher Formgleichheiten werden Präsentationen oder Repräsentationen zu Paradigmen oder Prototypen der relevanten Form bzw. dann auch des relevanten Inhalts. So können wir z. B., wenn wir wollen, zwischen den verschiedenen Lautformen der Sätze »it rains« und »es regnet« unterscheiden und von einem und demselben Inhalt, der Proposition, dass es regnet, sprechen. Dabei bewerten wir die Ausdrücke »es regnet« oder »ES REGNET« als formgleich oder auch die verschiedenartigsten Weisen, sie in unterschiedlichen Betonungen zu lesen oder mit dialektalem Akzent oder im Idiolekt zu äußern. Unterstellt ist ein empraktisches Wissen, was als Form- und Inhaltsgleichheit anzusehen ist, was also, wie wir dann sagen, eine entsprechende Form und einen entsprechenden Inhalt hat. Hegels These ist nun, dass unsere Unterscheidung zwischen einzelnen Dingen in einem Raum von sich bewegenden und sich verändernden, ja oft auch sich auflösenden, verschwindenden, Dingen (als Körpern) nicht einfach so zu verstehen ist, dass wir das einzelne Ding völlig kontextfrei und unabhängig von seiner Form der Bewegung und seiner Form des sich Veränderns oder sich Entwickelns identifizieren könnten. Uns sind die Dinge nicht wie Murmeln oder Billardkugeln in einem Sack gegeben, die wir dann irgendwie zueinander in Bewegung setzen und dabei, erstens, selber Kraft aufwenden, so dass wir am Ende, zweitens, die Bewegungen der Murmeln oder Kugeln als durch bewegende Kräfte verursacht darstellen können. Vielmehr erkennt Hegel, dass sich der Begri= der Kraft mit gewisser tautologischer, genauer: materialbegri=licher Notwendigkeit daraus ergibt, dass wir die Welt, in der sich die Dinge relativ zu einander bewegen und in der sie sich ändern, einerseits in sto=liche Dinge, andererseits in dingleere Räume einteilen. Dabei
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erzeugen wir gewissermaßen Vorstellungs-Bilder von synchronen Ruhelagen der Dinge zueinander in unseren modellartigen Darstellungen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass das Bild nicht statisch bleibt. Das heißt, wir müssen unseren Darstellungen oder Vorstellungen von Welt noch die Bewegungen und die Prozesse des Entstehens und Vergehens hinzufügen. Dazu sprechen oder schreiben wir den Dingen ›Dispositionen‹ zu. Eine Disposition ist ein modaler Begri=, der darauf abstellt, was ein Ding ›normalerweise‹ tut, ggf. in Abhängigkeit von gewissen Umständen. Gerade wenn wir in einer modellartigen Darstellung die Dinge rein räumlich und damit in Absehung von jeder Zeit und Bewegung positionieren, sozusagen in einem synchron-momentanen Schnitt durch die Welt, in dem alle Dinge (mangels jeder Ausdehnung von Zeit) als gegen einander in Ruhe vorgestellt werden, brauchen wir eine Darstellung (einen ›account‹ bzw. eine Erklärung) für die realen relativen Bewegungen der Dinge zueinander und für ihre realen Veränderungen. Es ist dabei die Bewegung der Dinge zu einander im Wesentlichen »dasselbe, was Kraft genannt wird« (Nr. 136), und zwar als reale und dann auch als potentielle Bewegung. Mit anderen Worten, der Begri= der Kraft ist wesentlich abhängig von unserer Einteilung der Welt in räumlich situierte Dinge und in eine in der Dimension der Zeit ablaufenden Bewegung. Wir projizieren die Kraft oder potentielle Bewegung in die Dinge bzw. in die Gesamtkonstellation ihrer räumlichen Verhältnisse. Worauf es Hegel hier ankommt, ist dies, dass der Begri= der Kraft ein theoretischer Begri= ist, sogar eine Art Kategorie unserer gedanklichen Darstellung von Welt. Als solche sind Kräfte und Ursachen, wie schon Hume erkennt, gerade nicht unmittelbar empirisch wahrnehmbar.
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Laufender Kommentar zum III. Kapitel (Kraft und Verstand)
18.1 Vom Ding verursachte Wahrnehmungseindrücke 132
»Dem Bewußtsein ist in der Dialektik des sinnlichen Bewußtseins das Hören und Sehen usw. vergangen, und als Wahrnehmen ist es zu Gedanken gekommen, welche es aber erst im unbedingt Allgemeinen zusammenbringt. Dies Unbedingte wäre nun selbst wieder nichts anders als das auf eine Seite tretende Extrem des für sich Seins, wenn es als ruhiges einfaches Wesen genommen würde, denn so träte ihm das Unwesen gegenüber; aber auf dieses bezogen wäre es selbst unwesentlich und das Bewußtsein nicht aus der Täuschung des Wahrnehmens herausgekommen; allein es hat sich als ein solches ergeben, welches aus einem solchen bedingten für sich Sein in sich zurückgegangen ist. – Dies unbedingte Allgemeine, das nunmehr der wahre Gegenstand des Bewußtseins ist, ist noch als Gegenstand desselben; es hat seinen Begri= als Begri= noch nicht bewußt. Beides ist wesentlich zu unterscheiden; dem Bewußtsein ist der Gegenstand aus dem Verhältnisse zu einem andern in sich zurückgegangen und hiemit an sich Begri= geworden; aber das Bewußtsein ist noch nicht für sich selbst der Begri=, und deswegen erkennt es in jenem reflektierten Gegenstande nicht sich. Für uns ist dieser Gegenstand durch die Bewegung des Bewußtsein so geworden, dass dieses in das Werden desselben verflochten und die Reflexion auf beiden Seiten dieselbe oder nur eine ist. Weil aber das Bewußtsein in dieser Bewegung nur das gegenständliche Wissen, nicht das Bewußtsein als solches zu seinem Inhalte hatte, so ist für es das Resultat in gegenständlicher Bedeutung zu setzen und das Bewußtsein noch von dem Gewordenen zurücktretend, so dass ihm dasselbe als Gegenständliches das Wesen ist.« (82 | 93)
Die »Dialektik der sinnlichen Gewissheit« bestand darin, dass der Weltbezug, vermittelt über die sinnliche Perzeption von Gegenständen und Eigenschaften, nie unmittelbar sein kann. Er ist ›vermittelt‹ durch praktische Typisierungen. Dabei ist schon die animalische Selbststeuerung im Verhalten als enaktive Reaktion auf präsentische Perzeptionen in gewissem Sinn schematisiert.
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Wir sprechen dabei traditionellerweise von einem instinktgeleiteten Verhalten. In der menschlichen Wahrnehmung sind verschiedene Möglichkeiten begri=licher Repräsentationen von Gegenstand, Form und Eigenschaften sozusagen zwischengeschaltet. Dafür, ob diese angemessen sind, ist eine entsprechende Kontrolle des wahrnehmungsgestützten Urteilens und Handelns nötig. Wenn wir etwas bewusst wahrnehmen, beurteilen wir also auf der Grundlage eines sinnlichen Gegenwartsbezugs eine Möglichkeit als bestehend. Wenn diese Möglichkeit explizit repräsentiert wird, geschieht das im weitesten Sinn sprachlich, wenn auch nicht immer bloß durch volle Aussagen ganzer Sätze, sondern oft auch bloß durch imaginierte Bilder oder Titelworte, die alle in einem gewissen Kontrast zu alternativen Möglichkeiten stehen. Möglichkeiten gibt es übrigens immer nur im Modus des An Sich, also generisch. Beim ersten Nachdenken über die Welt allerdings stellt man sich die Objektivität als absolut, also nicht als relativ zu uns, zu unserem je einzelnen Erkennen und Wissen vor, und als unbedingt, also als nicht bedingt durch unsere begri=lichen Formen des Wahrnehmens (bei Kant: der Anschauung) und des begri=lichen Unterscheidens und Schließens (bei Kant: des Denkens und seiner kategorialen Formen). Das Objektive kann aber logischerweise immer nur eine Seite der Relationen des Erkennens und Wissens sein. Es ist im Fall der Wahrnehmung nur ein Moment in einem (möglichen) Prozess (erfolgreichen) Wahrnehmens. Das andere Moment ist die Subjektivität und die (etwa handelnde) Reaktion des wahrnehmenden Subjekts. Beide Relata oder Momente, Subjekt und Objekt, sind ganz o=enbar nicht ohne Bezugnahme auf die Relation zwischen Subjekt und Objekt bestimmbar, genauer, nicht ohne Bezugnahme auf den Prozess des Wahrnehmens und die Beurteilung der Wahrnehmung als geglückt. Das ist keine These, sondern ein analytischer Kommentar, den man nicht bezweifeln kann, ohne den Sinn der Rede von einem Subjekt und einem Objekt zu zerstören – oder den Prozess des Wahrnehmens zu mystifizieren.
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Der Fall ist analog dazu, dass es keine Zahlen gibt ohne Bezugnahmen auf Zahlsymbolordnungen und das Zählen. Es ist nun von zentraler Bedeutung, dass wir jede Rede von etwas Absolutem oder Unbedingtem als in unserer eigenen Reflexionssprache konstituiert begreifen müssen. Unbedingt ist etwas ohnehin immer nur so, dass ganz bestimmte Bedingungen nicht nötig oder involviert sind. Ansonsten ist alles bedingt. Es gibt nichts, das nicht bloß relativ unbedingt wäre. Gleiches gilt für »unmittelbar« und »absolut«. Dessen ist sich das reflektierende Bewusstsein im Denkprozess allerdings nicht immer schon bewusst. 133
»Der Verstand hat damit zwar seine eigne Unwahrheit und die Unwahrheit des Gegenstandes aufgehoben; und was ihm dadurch geworden, ist der Begri= des Wahren, als an sich seiendes Wahres, das noch nicht Begri= ist oder das des für sich Seins des Bewußtseins entbehrt und das der Verstand, ohne sich darin zu wissen, gewähren läßt. Dieses treibt sein Wesen für sich selbst, so daß das Bewußtsein keinen Anteil an seiner freien Realisierung hat, sondern ihr nur zusieht und sie rein auffaßt. Wir haben hiemit noch vors erste an seine Stelle zu treten und der Begri= zu sein, welcher das ausbildet, was in dem Resultate enthalten ist; an diesem ausgebildeten Gegenstande, der dem Bewußtsein als ein Seiendes sich darbietet, wird es sich erst zum begreifenden Bewußtsein.« (93 f. | 82 f.)
Wir sprechen sozusagen stenographisch von ›dem Verstand‹, wenn wir von den Fähigkeiten verständigen Urteilens sprechen, vom Bewusstsein, wo es um das bewusste Urteilen und einen selbstbewusst kontrollierten Weltbezug, also um Wissensansprüche geht. Wir wissen inzwischen, dass jeder Gegenstand unseres Weltbezugs begri=s- und damit verstandesabhängig ist; doch damit ist der genaue Status des Ansichseins, das ›vom Verstand‹, also dem begri=lichen Denken, am Gegenstand bestimmt sein soll, noch keineswegs klar. Analoges gilt für das, was der Gegenstand ›selbst‹ für sich sein soll. Bevor sich selbst zeigt, was sich aus dem Begri= des Weltbezugs alles ergibt, müssen ›wir‹ im Fortgang der Analyse als Kommentatoren an die Stelle des Begri=s treten und gelegentlich auch im Vorgri= erläutern, was sich als Resultat
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ergeben soll oder wird, damit man die Orientierung nicht verliert. Das ist immer so, wenn man auf ein fernes Ziel hin arbeitet und den Weg dahin nicht aus dem Augen verlieren will. »Das Resultat war das unbedingt Allgemeine, zunächst in dem negativen und abstrakten Sinne, daß das Bewußtsein seine einseitigen Begri=e negierte und sie abstrahierte, nämlich sie aufgab. Das Resultat hat aber an sich die positive Bedeutung, daß darin die Einheit des für sich Seins und des für ein anderes Seins, oder der absolute Gegensatz unmittelbar als dasselbe Wesen gesetzt ist. Es scheint zunächst nur die Form der Momente zueinander zu betre=en; aber das für sich Sein und das für anderes Sein ist eben so wohl der Inhalt selbst, weil der Gegensatz in seiner Wahrheit keine andere Natur haben kann, als die sich im Resultate ergeben hat, daß nämlich der in der Wahrnehmung für wahr gehaltene Inhalt in der Tat nur der Form angehört und in ihre Einheit sich auflöst. Dieser Inhalt ist zugleich allgemein; es kann keinen andern Inhalt geben, der durch seine besondere Bescha=enheit sich dem entzöge, in diese unbedingte Allgemeinheit zurückzugehen. Ein solcher Inhalt wäre irgend eine bestimmte Weise, für sich zu sein und zu Anderem sich zu verhalten. Allein für sich zu sein und zu anderem sich zu verhalten überhaupt, macht seine Natur und Wesen aus, deren Wahrheit ist, unbedingt Allgemeines zu sein; und das Resultat ist schlechthin allgemein.« (94 | 83)
Ein Resultat war die Einsicht, dass wir in jedem Gegenstandsbezug eine allgemeine Ebene und eine Ebene der einzelnen Besonderheiten immer schon in ihrer Verbindung zu begreifen haben. Es ist die Einheit des empirischen Fürsichseins, der einzelnen Erscheinungsformen eines Gegenstandes g mit dem allgemeinen Ansichsein, was er also ›generisch‹, ›typischerweise‹ ist, welche Normaleigenschaften er hat und welche Normalfallschlüsse wir ziehen müssen (dürfen). Für zwei verschiedene Erscheinungsformen E1 und E2 von g gilt, dass, wenn die E1 und E2 in der Relation R des Fürsichseins (in Bezug auf g) stehen, E1 und E2 eben als zwei Präsentationen oder Zugangsweisen zu g zu verstehen sind. In diesem Sinn gilt, dass aus E1 R E2 in gewissem Sinn, nämlich in Bezug auf das Genus G von g, die G-Gleichheit
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E1 = E2 (= g) folgt. Dazu muss man aber das Ansichsein von g, d. h. das relevante Genus oder den Gegenstandsbereich G, also die Bedingungen der Zugehörigkeit zum Genus und die G-Gleichheit schon kennen, also das Ansichsein von g, das sich generisch auf jeden (oder jedenfalls jeden typischen) G-Gegenstand bezieht. Das Fürsichsein und das Ansichsein müssen also als allgemeine Inhalte implizit bekannt und empraktisch gemeinsam verfügbar sein. Der Einzelfall ist ja gerade als solcher immer nur Einzelfall einer Gattung von Fällen. Und er muss als besonderer Fall eines typischen Falls, als Gegenstand einer Gattung oder Element einer Art von verschiedenen Seiten und Perspektiven zugänglich und ausgewiesen sein. Es handelt sich um die notwendige Situationsund Sprecherinvarianz jedes Verstehens und jeder gemeinsamen Bezugnahme. Verstehen bedeutet, sich richtig gemeinsam auf Gleiches beziehen zu können und dabei die relevanten Ungleichheiten, Verschiedenheiten oder Unterschiede zu kennen und das richtige Unterscheiden im Prinzip oder allgemein zu beherrschen. 135
»Weil aber dies unbedingt Allgemeine Gegenstand für das Bewußtsein ist, so tritt an ihm der Unterschied der Form und des Inhalts hervor, und in der Gestalt des Inhalts haben die Momente das Aussehen, in welchem sie sich zuerst darboten, einerseits allgemeines Medium vieler bestehender Materien und andererseits in sich reflektiertes Eins, worin ihre Selbständigkeit vertilgt ist, zu sein. Jenes ist die Auflösung der Selbständigkeit des Dinges oder die Passivität, die ein Sein für ein anderes ist, dies aber das für sich Sein. Es ist zu sehen, wie diese Momente in der unbedingten Allgemeinheit, die ihr Wesen ist, sich darstellen. Es erhellt zunächst, daß sie dadurch, daß sie nur in dieser sind, überhaupt nicht mehr auseinander liegen, sondern wesentlich an ihnen selbst sich aufhebende Seiten sind und nur das Übergehen derselben ineinander gesetzt ist.« (94 f. | 83)
Etwas kann aus unterschiedlichen Perspektiven verschieden aussehen. Das vermeintlich Unbedingte erweist sich als das Allgemeine des generischen Vorher-Wissens über die Art oder Gattung des Dinges, auf das ich mich, es wahrnehmend, beziehe. Das Allgemeine ist das Wesen des jeweiligen Gegenstandes, seine
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Artzugehörigkeit, seine genusbestimmte Typik. Der Idealtypus, von dem Max Weber spricht, ist dann nichts anderes als eine Darstellungsform des alten platonischen eidos, der allgemeinen Seinsform eines Gegenstandes, einer Sache oder eines Falles einer bestimmten Art. Diese aber ist nicht einfach interner Gegenstand bloßer Reflexion, sondern Vollzugsform. Diese wiederum ist ein Moment des Fürsichseins der Dinge, Sachen, Fälle, Ereignisse oder Prozesse. Eben das ist schwer zu sehen, dass unsere perzipierenden Zugänge zu diesem Fürsichsein gehören. Zum Fürsichsein eines Gegenstandes, sagen wir eines Lebewesens, gehören aber nicht bloß seine Erscheinungen, wie uns etwa ein Tier erscheint, sondern auch alle seine Lebensvollzüge, wie sie stattfinden, ob wir sie perzipieren oder nicht. Kein Lebewesen oder Ding ist einfach ein Bündel oder eine Synthesis möglicher Erscheinungen oder Wahrnehmungen. Jedes derartige Bündel ist bestenfalls ein Teilmoment des Fürsichseins des Dinges, das weit über das, was perzipiert wird, hinaus reicht. Außerdem unterscheiden wir an einem körperlichen Ding immer die Seite des materiellen Sto=es und die sich einige Zeit erhaltende Formgestalt bzw. die Formen der normalen Entwicklung der Dinge und Lebewesen, wie sie zumeist wesentlich sind bei der Bestimmung der Identität des Dinges durch die Einheit seiner Seinsweise, was z. B. besonders schön bei Tieren mit Metamorphose wie Schmetterlingen oder Libellen sichtbar wird. Dabei ist das Erkennen und Verstehen selbst eine Vollzugsform. Das gilt in gewissem Sinn sogar schon für das animalische Erkennen, die Kognition, und für den Umweltbezug von Tieren. Im Erkennen ist jeder konkrete Dingbezug teils ›passiv‹, insofern das Ding kausal auf uns wirkt, teils spontan, weil wir es urteilend aktiv in seiner Art bestimmen. Letzteres besagt nicht viel mehr als die Selbstverständlichkeit, dass wir etwas immer als etwas Allgemeines oder Typisches, in seiner Gattung oder Art, also generisch verstehen oder erkennen. »Das eine Moment erscheint also als das auf die Seite getretene Wesen, als allgemeines Medium oder als das Bestehen selbständiger
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Materien. Die Selbständigkeit dieser Materien aber ist nichts anders als dies Medium; oder dies Allgemeine ist durchaus die Vielheit solcher verschiedenen Allgemeinen. Das Allgemeine ist an ihm selbst in ungetrennter Einheit mit dieser Vielheit, heißt aber: diese Materien sind, jede wo die andere ist; sie durchdringen sich gegenseitig, – ohne aber sich zu berühren, weil umgekehrt das viele Unterschiedene eben so selbständig ist. Damit ist zugleich auch ihre reine Porosität oder ihr Aufgehobensein gesetzt. Dies Aufgehobensein wieder oder die Reduktion dieser Verschiedenheit zum reinen für sich Sein ist nichts anderes als das Medium selbst und dies die Selbständigkeit der Unterschiede. Oder die selbständig gesetzten gehen unmittelbar in ihre Einheit und ihre Einheit unmittelbar in die Entfaltung über und diese wieder zurück in die Reduktion. Diese Bewegung ist aber dasjenige, was Kraft genannt wird: das eine Moment derselben, nämlich sie als Ausbreitung der selbständigen Materien in ihrem Sein, ist ihre Äußerung, sie aber als das Verschwundensein derselben ist die in sich aus ihrer Äußerung zurückgedrängte oder die eigentliche Kraft [die dynamis des Aristoteles, PSW].« (95 | 83 f.)
Was wir heute »Disposition« nennen, nennt Hegel »zurückgedrängte Kraft«. Das Ding als Träger von Eigenschaften und Verursacher von Wirkungen ist insofern eine Art ›Medium‹, als wir es nicht bloß als Gegenstand des Wahrnehmens bzw. der apperzeptiven Anschauung im Raum relativ zu anderen Dingen verorten, sondern es als Kraftzentrum ansehen. Ihm werden die dispositionellen Anteile seiner Wirkungen in den Veränderungen der Dingwelt wesentlich zugeschrieben. Dabei tritt das Körperding auf als Element oder Gegenstand einer Klasse von Gegenständen, als Repräsentant eines allgemeinen Typs von Dingen, und damit als Instantiierung eines allgemeinen Paradigmas. 136 b
»Aber erstens die in sich zurückgedrängte Kraft muß sich äußern; und zweitens in der Äußerung ist sie ebenso in sich selbst seiende Kraft, als sie in diesem in sich selbst Sein Äußerung ist. – Indem wir so beide Momente in ihrer unmittelbaren Einheit erhalten, so ist eigentlich der Verstand, dem der Begri= der Kraft angehört, der Begri=, welcher die unterschiedenen Momente als unterschiedene trägt; denn
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an ihr selbst sollen sie nicht unterschieden sein; der Unterschied ist hiemit nur im Gedanken. – Oder es ist im obigen nur erst der Begri= der Kraft, nicht ihre Realität gesetzt worden. In der Tat aber ist die Kraft das unbedingt Allgemeine, welches, was es für ein Anderes, ebenso an sich selbst ist; oder welches den Unterschied – denn er ist nichts anderes als das Für-ein-Anderes-Sein – an ihm selbst hat. Daß also die Kraft in ihrer Wahrheit sei, muß sie ganz vom Gedanken frei gelassen und als die Substanz dieser Unterschiede gesetzt werden, d. h. einmal: sie als diese ganze Kraft wesentlich an und für sich bleibend, und dann: ihre Unterschiede als substantiell oder als für sich bestehende Momente. Die Kraft als solche oder als in sich zurückgedrängte ist hiemit für sich als ein ausschließendes Eins, welchem die Entfaltung der Materien ein anderes bestehendes Wesen ist, und es sind so zwei unterschiedene selbständige Seiten gesetzt.« (95 f. | 84)
Im Begri= der Kraft ordnen wir dem Ding die Disposition zu, in bestimmten Situationen für diese oder jene Wirkung sozusagen ›verantwortlich‹ zu sein. Damit wird klar, warum das Wort »Medium« tatsächlich geeignet ist, die Vermittlerrolle des Dinges in der ›Erklärung‹ der phänomenalen Wirkung des Dinges zu nennen bzw. metaphorisch und grob zu charakterisieren. Das Ding ›äußert‹ sich vermöge der in es gelegten Kräfte, und zwar nicht nur in seiner Relation zu uns als wahrnehmenden Subjekten, sondern auch zu anderen Dingen und Wesen. Die Kraft als rein potentielle wird, um es im Bild zu sagen, in das Ding »zurückgedrängt«, als läge sie von selbst schon im Ding. Das heißt, wir selbst legen in unserer Systematik der Darstellung und Erklärung von Erscheinungen und Wirkungen in die Dinge dispositionelle Fähigkeiten und modale Kräfte. Das tun wir natürlich nach Möglichkeit gerade so, dass die wiederholbar erfahrenen Bewegungen und Veränderungen, auch Eigenschaften und Prozesse, als Wirkungen dieser Kräfte der Dinge darstellbar werden. Zum Teil werden sie dadurch in Abhängigkeit situativer Vorbedingungen qua generische Typen ›vorhersagbar‹. »Aber die Kraft ist auch das Ganze, oder sie bleibt, was sie ihrem Begri=e nach ist, nämlich diese Unterschiede bleiben reine Formen,
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oberflächliche verschwindende Momente. Die Unterschiede der in sich zurückgedrängten eigentlichen Kraft und der Entfaltung der selbständigen Materien wären zugleich gar nicht, wenn sie nicht ein Bestehen hätten, oder die Kraft wäre nicht, wenn sie nicht auf diese entgegengesetzte Weise existierte, aber, sie existiert auf diese entgegengesetzte Weise, heißt nichts anderes als: beide Momente sind selbst zugleich selbständig. – Diese Bewegung des sich beständig Verselbständigens der beiden Momente und ihres sich wieder Aufhebens ist es also, was zu betrachten ist. – Es erhellt im allgemeinen, daß diese Bewegung nichts anderes ist als die Bewegung des Wahrnehmens, worin die beiden Seiten, das Wahrnehmende und das Wahrgenommene zugleich, einmal als das Auffassen des Wahren eins und ununterschieden, dabei aber ebensowohl jede Seite in sich reflektiert oder für sich ist. Hier sind diese beiden Seiten Momente der Kraft; sie sind ebenso wohl in einer Einheit, als diese Einheit, welche gegen die für sich seienden Extreme als die Mitte erscheint, sich immer in eben diese Extreme zersetzt, die erst dadurch sind. – Die Bewegung, welche sich vorhin als das sich selbst Vernichten widersprechender Begri=e darstellte, hat also hier die gegenständliche Form und ist Bewegung der Kraft, als deren Resultat das unbedingt Allgemeine als Ungegenständliches oder als Innres der Dinge hervorgeht.« (96 | 84 f.)
Die Kraft selbst besteht freilich nur darin, dass sie sich äußert, so wie es einen Charakter eines Menschen nur insofern gibt, als er sich entsprechend äußert: »die Kraft als wirkliche ist schlechthin nur in der Äußerung«. Eine dieser Äußerungen besteht in der Wahrnehmbarkeit des Dinges, vermittelt über seine Wirkungen auf andere Dinge und am Ende der Kette sozusagen auf unser Sinneskostüm. Das heißt nicht, dass alle Erklärungen von Bewegungen und Zustandsänderungen durch Kräfte und alle Erklärungen durch Dispositionen von der molièrschen Art sind, der sich bekanntlich lustig darüber macht, wenn einer die Tatsache, dass er eingeschlafen ist, durch die Tendenz einzuschlafen erklärt. Eine derartige »Schlafkraft« oder »vis dormitiva« erklärt zunächst gar nichts. Denn auf diese molièrsche Weise ließe sich ein beliebiges Geschehen post hoc durch in die Dinge transponierte Kräfte,
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Dispositionen oder Charaktere rein tautologisch erklären. Diesen Trick des Erklärens muss jeder sinn- und wissenschaftskritische Denker kennen und in seinem möglichen Missbrauch durchschauen.61 Entsprechendes gilt für die Tendenz, die trivialen Sätze »was geschehen ist, konnte geschehen« und »was sein wird, wird sein (what will be, will be)« auf irreführende Weise auszudeuten, nämlich so: »was geschehen ist, musste geschehen« bzw. »was sein wird, wird notwendigerweise so sein, wie es sein wird«. Eine Aufhebung derartiger Scheinerklärungen ist nur möglich, wenn wir einsehen, dass Erklärungen praeter hoc immer nur generische Erklärungen typischer Abläufe sind, von uns angepasst an die begri=liche Bestimmung von Genus und Art der Dinge und unsere Erfahrungen im Umgang mit ihnen. Es ist der Aberglauben des Naturalismus und Kausalismus, dass er die Kräfte und Ursachen ganz in die Dinge legt und vergisst, dass wir sie in sie gelegt haben.
18.2 Das Wirkende und Bewirkte einer kausalen Wirkung »Die Kraft ist, wie sie bestimmt worden, indem sie als solche oder als in sich reflektiert vorgestellt wird, die eine Seite ihres Begri=s; aber als ein substantiiertes Extrem, und zwar das unter der Bestimmtheit des Eins gesetzte. Hiemit ist das Bestehen der entfalteten Materien aus ihr ausgeschlossen und ein anderes als sie. Indem es notwendig ist, daß sie selbst dieses Bestehen sei oder daß sie sich äußere, so stellt sich ihre Äußerung so vor, daß jenes andere zu ihr hinzutritt und sie sollizitiert. Aber in der Tat, indem sie notwendig sich äußert, hat sie dies, was als ein anderes Wesen gesetzt war, an ihr selbst. Es muß zurückgenommen werden, daß sie als ein Eins und ihr Wesen, sich zu äußern, als ein Anderes, zu ihr von außen Hinzutretendes gesetzt wurde; sie ist vielmehr selbst dies allgemeine Medium des Vgl. dazu Nietzsches tiefen Satz aus der Fröhlichen Wissenschaft (3. Buch, Nr. 217): »Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen als nach der Wirkung.« 61
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Bestehens der Momente als Materien; oder sie hat sich geäußert, und was das andere Sollizitierende sein sollte, ist sie vielmehr. Sie existiert also itzt als das Medium der entfalteten Materien. Aber sie hat gleich wesentlich die Form des Aufgehobenseins der bestehenden Materien oder ist wesentlich Eins; dies Einssein ist hiemit itzt, da sie gesetzt ist als das Medium von Materien, ein anderes als sie, und sie hat dies ihr Wesen außer ihr. Indem sie aber notwendig dies sein muß, als was sie noch nicht gesetzt ist, so tritt dies Andere hinzu und sollizitiert sie [beeinflusst sie wirksam, PSW] zur Reflexion in sich selbst oder hebt ihre Äußerung auf. In der Tat aber ist sie selbst dieses in sich Reflektiert-Sein, oder dies Aufgehobensein der Äußerung; das Einssein verschwindet, wie es erschien, nämlich als ein anderes; sie ist es selbst, sie ist in sich zurückgedrängte Kraft.« (96 f. | 85)
Dass das Ding »in sich zurückgedrängte Kraft« ist, ist wissenschaftslogisch schon deswegen eine hochinteressante Einsicht, als damit ein Zusammenhang von potentieller Energie und ›Materie‹ (oder ›Masse‹) eingesehen wird, der sich keineswegs ›rein empirisch‹, durch Wahrnehmung von einzelnen Dingen, Bewegungen und Veränderungen ergibt. Dabei ist es eines, den allgemeinen logischen Zusammenhang zwischen Energie als potentiell wirksamer Kraft und Materie oder Masse zu begreifen. Diese Masse bündelt sich sozusagen im Ding. Ein anderes ist es, diesen Zusammenhang in einer besonderen quantitativen Größe zu bestimmen, wie wir das etwa aus der Gleichung E = m · c2 kennen. Doch bevor Einstein seine Formel postulieren konnte, musste wenigstens implizit der grundsätzliche Zusammenhang von dynamischer Energie und Masse besitzendem (Fest-)Körper schon bekannt sein. Hegel deckt dabei den ganz allgemeinen logischen Zusammenhang von Ding und Disposition, physischem Gegenstand und Normalwirkungen des Dinges auf andere Dinge und auf wahrnehmende Subjekte auf. Jedes Ding wird von anderen Dingen ›solliziert‹, also wirksam in seinen Bewegungen und Veränderungen beeinflusst. Jedes Ding beeinflusst seinerseits andere Dinge in ihrem Bewegungszustand und im Bezug auf die Prozesse, in denen die Dinge involviert sind. Jedes Ding ist
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bewegt, weil wenigstens ein Ding bewegt ist. Bewegungen sind relativ. Das ist eine reine Tautologie. Sie macht die Form unserer Darstellung von Bewegungen klar. Dinge bilden sozusagen die Zentren nicht bloß ihrer Bewegungen relativ zu anderen Dingen, sondern auch aller in sie gelegter Kräfte wie der Gravitationskraft, mit welchen wir ihre Bewegungen generisch erklären. Sogar die Fliehkraft hängt insofern an den Dingen, als sie eine tangentiale Fortsetzung einer richtungsbeschleunigten Relativbewegung ist bzw. als solche begri=lich bestimmt ist und die träge Masse bestimmt. Diese ist dadurch bestimmt, wie viel Kraft aufzuwenden ist, um den Körper (in einer Richtung relativ zu einem Dingsystem) zu beschleunigen. Die Dinge sind so Medien der Darstellung der Welt der Prozesse, gerade indem sie zu Zentren der von uns in sie gelegten dispositionellen Kräfte werden, mit deren Hilfe wir die sich real in den Bewegungen der Körper äußernden Wirkungen ›erklären‹. Erklärungen sind dabei Teile einer Gesamtbeschreibung sich reproduzierender Abläufe. Das gilt besonders für solche, die von einem Anfang her Prognosen über den weiteren Verlauf erlauben. Kräfte sind allgemein-generisch und modal. Das heißt, sie wirken nur unter besonderen Bedingungen, können also ›latent‹ bleiben. Das bedeutet, dass die Äußerung solange im Ding ›aufgehoben‹ ist, also gar nicht stattfindet, als Anfangsbedingungen des Wirkens oder die von ihm beeinflussten anderen Dinge nicht da sind. Die Wirkungen der Kräfte müssen sozusagen hervorgelockt, angeregt, sollizitiert werden. »Das, was als anderes auftritt und sie sowohl zur Äußerung als zur Rückkehr in sich selbst sollizitiert, ist, wie sich unmittelbar ergibt, selbst Kraft; denn das andere zeigt sich ebensowohl als allgemeines Medium wie als Eins und so, daß jede dieser Gestalten zugleich nur als verschwindendes Moment auftritt. Die Kraft ist hiemit dadurch, daß ein anderes für sie und sie für ein anderes ist, überhaupt noch nicht aus ihrem Begri=e herausgetreten. Es sind aber zugleich zwei Kräfte vorhanden, der Begri= beider zwar derselbe, aber aus seiner Einheit in die Zweiheit herausgegangen. Statt daß der Gegensatz durchaus
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wesentlich nur Moment bliebe, scheint er sich durch die Entzweiung in ganz selbständige Kräfte der Herrschaft der Einheit entzogen zu haben. Was es mit dieser Selbständigkeit für eine Bewandtnis hat, ist näher zu sehen. Zunächst tritt die zweite Kraft als das Sollizitierende, und zwar als allgemeines Medium seinem Inhalte nach gegen die auf, welche als sollizitierte bestimmt ist; indem aber jene wesentlich Abwechslung dieser beiden Momente und selbst Kraft ist, so ist sie in der Tat gleichfalls nur erst allgemeines Medium, indem sie dazu sollizitiert wird, und ebenso auch nur negative Einheit, oder zum Zurückgehen der Kraft Sollizitierendes, dadurch, daß sie sollizitiert wird. Es verwandelt sich hiemit auch dieser Unterschied, der zwischen beiden statt fand, daß das eine das Sollizitierende [Erwirkende, PSW], das andere das Sollizitierte [Bewirkte, PSW] sein sollte, in dieselbe Austauschung der Bestimmtheiten gegeneinander.« (97 f. | 85 f.)
Die Anregung einer Wirkkraft ist selbst durch dispositionelle Kräfte bewirkt. Man denke als Beispiel an die Wechselwirkung von zwei Magneten. Oder man denke an die Anziehung eines Planeten durch ein Zentralgestirn, also an die Wechselwirkung von Fliehkraft und Anziehungskraft. Wenn ein Ding D1 vermöge seiner Kraft K1 auf ein anderes Ding D2 wirkt, scheint es zunächst so zu sein, als könnten wir das Verhalten von D2 als durch D1 (und K1 ) bewirkt auffassen. Allerdings ist die Situation symmetrisch: Auch D2 wirkt auf D1 . Wie also sollten die in die Dinge gelegten Kräfte verteilt werden? Es gibt da zunächst viele Möglichkeiten. In jedem Fall aber sollte sich der Gesamtprozess, an dem die Dinge D1 und D2 beteiligt sind, aus den Kräften K1 und K2 in ihrer Wechselwirkung ergeben. Insgesamt gibt es also eine Art Gesamtspiel der Kräfte in den Wirkungen der Dinge aufeinander. 139
»Das Spiel der beiden Kräfte besteht hiemit in diesem entgegengesetzten Bestimmtsein beider, ihrem füreinander Sein in dieser Bestimmung, und der absoluten unmittelbaren Verwechslung der Bestimmungen, – einem Übergange, wodurch allein diese Bestimmungen sind, in denen die Kräfte selbständig aufzutreten scheinen. Das Sollizitierende ist z. B. als allgemeines Medium und dagegen das Sollizitierte als zurückgedrängte Kraft gesetzt; aber jenes ist allgemei-
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nes Medium selbst nur dadurch, daß das andere zurückgedrängte Kraft ist; oder diese ist vielmehr das Sollizitierende für jenes und macht dasselbe erst zum Medium. Jenes hat nur durch das andere seine Bestimmtheit und ist sollizitierend nur, insofern es vom andern dazu sollizitiert wird, sollizitierend zu sein; und es verliert eben so unmittelbar diese ihm gegebene Bestimmtheit; denn diese geht an das andere über oder vielmehr ist schon an dasselbe übergegangen; das fremde die Kraft Sollizitierende tritt als allgemeines Medium auf, aber nur dadurch, daß es von ihr dazu sollizitiert worden ist; d. h. aber, sie setzt es so und ist vielmehr selbst wesentlich allgemeines Medium; sie setzt das Sollizitierende so, darum weil diese andere Bestimmung ihr wesentlich, d. h. weil sie vielmehr sie selbst ist.« (98 | 86)
Die in ein Ding D1 gesetzte Kraft K1 ist natürlich allgemein so zu setzen, dass sie die Wirkungen von D1 auf beliebige andere Dinge erklärt. K1 soll also unabhängig sein von einem konkreten D2 , auf das D1 vermöge K1 wirkt. In eben diesem Sinn ist K1 eine Eigenschaft von D1 selbst, K1 ist also eine wesentliche, das Wirkliche und wirksame Wesen von D1 bestimmende dispositionelle Eigenschaft. Hegel drückt diesen Gedanken auf idiosynkratische Weise aus. Es würde durchaus zu weit führen, hier mehr als bloß das Ergebnis der Übersetzung zu notieren, auch wenn es nicht allzu schwer sein sollte, aus diesem Ergebnis die Übersetzungsidee selbst zu rekonstruieren. Dazu hier nur eines: Es geht darum, welche dispositionellen Kräfte wann und wie zum Zuge kommen, sich also real zeigen. »Zur Vervollständigung der Einsicht in den Begri= dieser Bewegung kann noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß sich die Unterschiede selbst in einem gedoppelten Unterschiede zeigen, einmal als Unterschiede des Inhalts, indem das eine Extrem in sich reflektierte Kraft, das andere aber Medium der Materien ist; das andremal als Unterschiede der Form, indem das eine Sollizitierendes, das andre Sollizitiertes, jenes tätig, dies passiv ist. Nach dem Unterschiede des Inhalts sind sie überhaupt oder für uns unterschieden; nach dem Unterschiede der Form aber sind sie selbständig, in ihrer Beziehung sich von einander selbst abscheidend und entgegengesetzt.
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Daß so die Extreme nach diesen beiden Seiten nichts an sich, sondern diese Seiten, worin ihr unterschiedenes Wesen bestehen sollte, nur verschwindende Momente, ein unmittelbares Übergehen jeder in die entgegengesetzte sind, dies wird für das Bewußtsein in der Wahrnehmung der Bewegung der Kraft. Für uns aber war, wie oben erinnert, auch noch dies, daß an sich die Unterschiede als Unterschiede des Inhalts und der Form verschwanden und auf der Seite der Form dem Wesen nach das Tätige, Sollizitierende oder für sich Seiende dasselbe [war], was auf der Seite des Inhalts als in sich zurückgedrängte Kraft; das Passive, Sollizitierte oder für ein anderes Seiende auf der Seite der Form dasselbe, was auf der Seite des Inhalts als allgemeines Medium der vielen Materien sich darstellte.« (98 f. | 86 f.)
Hegel sagt klar und deutlich, dass nur die Bewegung der Kraft, also die Wirkung wahrnehmbar ist. Die Unterscheidung zwischen etwas, das wirkt, und etwas, auf welches eine Wirkung einwirkt, also zwischen Aktivem und Passivem, ist im Fall der toten Dinge selbst eine Form des Verstandes, gehört also zur theoretischen Form der Darstellung realer Prozesse. In dem Fall, dass die Wirkung eines so kleinen Gegenstandes wie der Erde auf die Sonne irrelevant ist, ist die Sonne mit ihrer Gravitationskraft rein wirkend. Die Erde ist hier passiv, bloßes Objekt der Wirkung, nun ja, wenn man von der durch ihre Masse bestimmten Trägheit absieht. Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Erde und Mond, nur dass der Mond immerhin sichtbarlich auf das Wasser der Ozeane wirkt. Wir müssen diese Fälle o=enbar unterscheiden von der Wirkung eines tätigen, zielgerichteten Handelns. Das Handeln hat auch eine andere logische Struktur als das Tun von Tieren. Der bewirkte E=ekt ist dabei die Veränderung dazu, wie etwas ohne intervenierende Handlung abgelaufen wäre. In der begri=lich gefassten Wahrnehmung schreiben wir nun dem wahrgenommenen Ding die wirkende Kraft zu, welche auf unser Sinneskostüm, wie man poetisch zu sagen geneigt ist, ursächlich wirkt. Für uns, die wir hier auf diesen Prozess der Wahrnehmung reflektieren, stellt sich das jetzt anders dar: Wir
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sind in der Wahrnehmung keineswegs bloß passiv. Unser Wahrnehmen ist keineswegs bloß durch das wahrgenommene Ding und seine Wirkkraft rein ursächlich bestimmt. Das liegt nicht nur daran, dass ich im Wahrnehmen manchmal selbst auf das Ding einwirke, etwa wenn ich es ertaste. Vielmehr ist mein Urteil, dass ich dieses Ding als von diesem Typ wahrnehme, ein spontanes Tun meinerseits; in ihm verhalte ich mich keineswegs bloß passiv. Der ›Inhalt‹ dessen, was wahrgenommen wird, ist generisch allgemein in Bezug auf Typ oder Art bestimmt. Ich ergreife sozusagen einen solchen Inhalt spontan, anerkenne ihn als passend, indem ich das Wahrgenommene unter ihn subsumiere.62 So bestimme ich das wahrgenommene Einzelne aufgrund der Wahrnehmung zunächst in seinem Ansichsein, seiner Art oder seinem Genus, womit seine generischen dispositionellen Eigenschaften und Kräfte schon mitbestimmt sind. Über dieses Vorwissen bestimme ich dann sozusagen in einer Art der erneuten Kontrolle der Wahrnehmung das Einzelding in seinem Fürsichsein genauer, wobei natürlich das Wahrgenommenwerden von vornherein zu seinem Fürsichsein gehört. »Es ergibt sich hieraus, daß der Begri= der Kraft durch die Verdopplung in zwei Kräfte wirklich wird und wie er dies wird. Diese zwei Kräfte existieren als für sich seiende Wesen; aber ihre Existenz ist eine solche Bewegung gegeneinander, daß ihr Sein vielmehr ein reines Gesetztsein durch ein anderes ist, d. h. daß ihr Sein vielmehr die reine Bedeutung des Verschwindens hat. Sie sind nicht als Extreme, die etwas Festes für sich behielten und nur eine äußere Eigenschaft gegen einander in die Mitte und in ihre Berührung schickten; sondern was sie sind, sind sie nur in dieser Mitte und Berührung. Es ist darin unmittelbar ebensowohl das in sich Zurückgedrängt- oder das für sich Sein der Kraft wie die Äußerung, das Sollizitieren wie das Sollizitiertsein; diese Momente hiemit nicht an zwei selbständige Extreme verteilt, welche sich nur eine entgegengesetzte Spitze böten, Vgl. dazu noch einmal Stekeler-Weithofer 2012 zu Subsumtion bei Hegel. 62
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sondern ihr Wesen ist dies schlechthin, jede nur durchs andere und, was jede so durchs andre ist, unmittelbar nicht mehr zu sein, indem sie es ist. Sie haben hiemit in der Tat keine eignen Substanzen, welche sie trügen und erhielten. Der Begri= der Kraft erhält sich vielmehr als das Wesen in seiner Wirklichkeit selbst; die Kraft als wirkliche ist schlechthin nur in der Äußerung, welche zugleich nichts anders als ein sich selbst Aufheben ist. Diese wirkliche Kraft, vorgestellt als frei von ihrer Äußerung und für sich seiend, ist sie die in sich zurückgedrängte Kraft; aber diese Bestimmtheit ist in der Tat, wie sich ergeben hat, selbst nur ein Moment der Äußerung.« (99 f. | 87)
Zentral ist der folgende Satz: »Die Wahrheit der Kraft bleibt also nur der Gedanke derselben«. Relativ unmittelbar wahrnehmbar und erfahrbar sind die Relativbewegungen der Dinge, nicht die Kraft, die wir als ihre Ursache postulieren. Anders gesagt, die Beziehung zwischen Kräften als Verursachungen von Bewegungen oder Veränderungen der Dinge und den Wirkungen in den real stattfindenden Bewegungen und Veränderungen ist eine materialbegri=liche, keine empirische, aber auch keine bloß analytische, nur auf der Ebene der verbalen Ausdrücke oder Symbole definierte Beziehung. Das eine Glied dieser Beziehung, die Kraft, ist gerade kein empirischer, und das heißt hier: bloß lokal beobachtbarer Gegenstand. Sondern die Kraft ›an sich‹ ist gemäß der eben vorgetragenen Überlegung mit begri=licher Notwendigkeit gerade wegen der holistischen Globalität ein Moment in der Darstellung eines Gesamts von Bewegungen und Veränderungen. Es ist damit als ein theoretisch entworfenes Gedankending ausgewiesen, freilich als ein solches, das reine Gedanken mit Erscheinungen in der Wahrnehmung verbindet. Das geschieht aber, wie gesagt, auf holistische und generische Weise. Dasselbe gilt für den Begri= der Ursache überhaupt. Hier wird Hegels Analyse brisant und relevant. Denn sie richtet sich jetzt gegen jeden verdinglichenden Aberglauben, der Ursachen nicht als wesentlich durch unsere Kausalerklärungen bestimmt einsieht. Das wiederum ist die Voraussetzung der Lösung des Freiheitsproblems, also der Einsicht, dass aus logischen Gründen unser
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theoretisches Wissen über Verursachungen nie und nimmer unser empraktisches Wissen um das freie Urteilen und Handeln widerlegen oder außer Kraft setzen kann, es sei denn, man denkt verwirrt. Damit findet Hegel das Argument für das Primat des Handelns und dann auch der Praxis, das bei Fichte noch fehlte. An dieser Stelle führt das Hegel nicht weiter aus, auch wenn er später immer wieder darauf zurückkommt. Es wird insbesondere ein Thema der Wesenslogik sein. Dazu wird er sich mit der These auseinandersetzen, was es heißt, dass Gesamtkonstellationen von dinglichen Weltzuständen aufgrund entsprechender allgemeiner Bewegungsgesetze als Ursachen der Folgezustände ansprechbar sind. Das geschieht, indem man letztere entsprechend e;zienzkausal erklärt oder indem man sagt, dass die entsprechenden Vorgänger-Ereignisse die Nachfolge-Ereignisse verursachen. Übrigens antwortet hier Hegel auch auf Überlegungen der Antike. Denn dort wurde von den Eleaten am naiven Begri= der Veränderung das Widersprüchliche erkannt, dass, wenn ein Ding sich ändert, es sogar entsteht und vergeht, es ein anderes oder gar nichts zu werden scheint: Wie sollen wir dann die Identität des Dinges in der Zeit bestimmen? Sie ist o=enbar immer nur in einer Zeitepoche bestimmt. Vorher gibt es das Ding als solches noch nicht. Danach existiert es nicht mehr. Der Begri= der Bewegung von schon bestimmten Dingen ist eben daher einfacher als der der Veränderung. Denn für ihn scheint es auszureichen, die stetigen Bewegungsbahnen der Dinge zu betrachten, bis hinunter zu Materiepartikeln, samt einem Prinzip der Erhaltung der Menge der Partikel, was dann auch mit dem Prinzip der Erhaltung der Masse identifiziert wird. Tatsächlich aber sind Kräfte und Massen Momente holistischer Formen (unserer Darstellung) der Bewegung und der Veränderung. »Die Wahrheit der Kraft bleibt also nur der Gedanke derselben [sic!, PSW]; und haltungslos stürzen die Momente ihrer Wirklichkeit, ihre Substanzen und ihre Bewegung in eine ununterschiedene [holistische, PSW] Einheit zusammen, welche nicht die in sich zurückgedrängte [also lokal von uns in die Dinge gesetzte, PSW] Kraft ist, denn diese
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ist selbst nur ein solches Moment, sondern diese Einheit ist ihr Begri= als Begri= [oder, wie man heute eher sagen würde, Theorie als Theorie, PSW]. Die Realisierung der Kraft ist also zugleich Verlust der Realität [gemeint ist: wenn wir real hinsehen, was unsere Rede von ursächlichen Kraft bedeutet, sehen wir, dass sie nicht real ist im Sinne einer unmittelbar beobachtbaren Realität, sondern bloß als bewirktes Geschehen, PSW]; sie ist darin vielmehr ein ganz anderes geworden, nämlich diese Allgemeinheit [die generische Geltung der theoretischen Darstellungsform, PSW], welche der Verstand zuerst oder unmittelbar als ihr Wesen erkennt und welche sich auch als ihr Wesen an ihrer seinsollenden Realität[,] an den wirklichen Substanzen erweist.« (100 | 87)
Die Einheit der objektiven Welt ist zunächst vorgegeben. Alle unsere Unterscheidungen finden in ihr statt. Aber auch unsere Weltmodellierungen müssen auf das Ganze gehen. Nur im Bezug auf die ganze Welt lassen sich unsere Normalfallunterscheidungen und die ihnen begri=lich zugeordneten Normalfallinferenzen verstehen. Unser gemeinsamer Bezug auf die dingliche Welt ist durch die begri=liche Ordnung der Unterscheidung der Gegenstände (an sich), ihrer Eigenschaften und der den Gegenständen und Eigenschaften zugeordneten Kräfte (an sich) oder modalen Inferenzen als normale Wirkungen ihres Vorkommens bestimmt. Die wirkliche Welt ist damit ganz o=enbar nicht ohne das gemeinsame Denken zu begreifen. Sie ist als Wirklichkeit schon die von uns begri=lich erfasste Welt in ihrer Einheit. Als wirkende Wirklichkeit enthält sie schon Kräfte. Damit ist die Wirklichkeit in einem gewissen Kontrast zu einer bloß wahrgenommenen Realität zu begreifen. Das ist die absolute Grundlage jeder Aufklärung des Begri=s der Kausalität, der Verursachung, der Erklärung durch verursachende Kräfte und der Wirklichkeit, die als solche gerade nicht unabhängig ist von unserem Verstand und unserer Vernunft.
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18.3 Ursache, Wirkung und Kraft als generische Verstandesbegri=e »Insofern wir das erste Allgemeine als den Begri= des Verstandes betrachten, worin die Kraft noch nicht für sich ist, so ist das zweite itzt ihr Wesen, wie es sich an und für sich darstellt. Oder umgekehrt, betrachten wir das erste Allgemeine als das Unmittelbare, das ein wirklicher Gegenstand für das Bewußtsein sein sollte, so ist dies zweite als das Negative der sinnlich gegenständlichen Kraft bestimmt; es ist sie, wie sie in ihrem wahren Wesen nur als Gegenstand des Verstandes ist; jenes erste wäre die in sich zurückgedrängte Kraft oder sie als Substanz; dies zweite aber ist das Innere der Dinge, als inneres, welches mit dem Begri=e als Begri= dasselbe ist.« (100 | 88)
Hegel unterscheidet das Ansichsein der Kraft als Moment unserer Theorien, mit denen wir den begri=lichen Rahmen der Erklärung realer Bewegungen von Dingen und Veränderungsprozesse kausale;zient verfassen (soweit das eben geht), von einem Fürsichsein dispositioneller Kräfte als Gesamt ihrer in die einzelnen Dinge gelegten oder an sie gehefteten Erscheinungsformen. Das An-und-Fürsichsein der Kraft geht also über die bloß generische Theorie hinaus, und zwar weil es das rekurrent beobachtbare Geschehen gibt, das sich entsprechend gut darstellen lässt. Wir nennen solche Darstellungen »Erklärungen«, besonders wenn wir aus zeitlichen Anfangsstücken die weiteren Verläufe sozusagen vorherberechnen oder vorhersagen. Sie bleiben aber Darstellungen von generischen Gesamtverläufen. Das so genannte Innere eines Dinges, das nicht im Sinne des räumlichen Inneren misszuverstehen ist, weil es sich um eine Metapher für die in das Ding gesetzten Kräfte handelt, erweist sich jetzt als die begri=lich dem Ding inferentiell zugeordnete, in es theoretisch-verbal hineingedrängte, Kraft. Das Innere des Dinges ist daher nicht etwas Unerkennbares, auch wenn es, aus begri=lichen Gründen, nicht einfach räumlich innen lokalisiert und gefunden werden kann. Das gilt auch für die Kräfte des Lebens bei Lebewesen oder die geistigen Kräfte, die intellektuellen
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Kompetenzen oder schon die mentalen Charaktere von Personen. Das Innere ist vielmehr das, was nur über den denkenden, nicht bloß über den sinnlich perzipierenden Umgang mit den Dingen (auch Lebewesen und Personen) erkennbar wird. Das Innere des Dinges ist also nicht etwas unmittelbar Empirisches, wenn das Empirische unmittelbar wahrnehmbar sein soll. Es zeigt sich allerdings im Empirischen, aber eben nur in sich wiederholenden Prozessen. Es ist begri=lich bzw. theoretisch bestimmt. Das ist keine Behauptung, sondern ein logischer Truismus, also so wahr, wie 2 + 2 = 4 wahr ist. Wenn wir sagen, dass wir das Innere der Dinge erkennen wollen, meinen wir, wo es um modale Kräfte geht, daher etwas ganz anderes als das Hineinschauen in einen abgeschlossenen Raum. Wir meinen damit unsere eigene Entwicklung der Darstellung und Erklärung von Erscheinungen, von Prozessen als kausale Wirkungen der Dinge oder als inferentielle Folgen des Bestehens gewisser Sachverhalte. Freilich ist uns das nicht immer klar. Es ist uns aber auch nicht immer klar, warum 2 + 2 = 4 wahr ist, und dass es dazu weniger zu beweisen als zu zeigen und zu lernen gibt. 143 a
»Dieses wahrhafte Wesen der Dinge hat sich itzt so bestimmt, daß es nicht unmittelbar für das Bewußtsein ist, sondern daß dieses ein mittelbares Verhältnis zu dem Innern hat und als Verstand durch diese Mitte des Spiels der Kräfte in den wahren Hintergrund der Dinge blickt. Die Mitte, welche die beiden Extreme, den Verstand und das Innere, zusammenschließt, ist das entwickelte Sein der Kraft, das für den Verstand selbst nunmehr ein Verschwinden ist. Es heißt darum Erscheinung, denn Schein nennen wir das Sein, das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist. Es ist aber nicht nur ein Schein, sondern Erscheinung, ein Ganzes des Scheins. Dies Ganze als Ganzes oder Allgemeines ist es, was das Innere ausmacht, das Spiel der Kräfte, als Reflexion desselben in sich selbst. In ihm sind für das Bewußtsein auf gegenständliche Weise die Wesen der Wahrnehmung so gesetzt, wie sie an sich sind, nämlich als unmittelbar in das Gegenteil ohne Ruhe und Sein sich verwandelnde Momente, das Eins unmittelbar in das Allgemeine, das Wesentliche unmittelbar in das Unwesentliche und
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umgekehrt. Dies Spiel der Kräfte ist daher das entwickelte Negative; aber die Wahrheit desselben ist das Positive, nämlich das Allgemeine, der an sich seiende Gegenstand. – « (100 f. | 88)
Das wahrhafte Wesen der Dinge, dass sie und ihre Eigenschaften als Teilmomente in einem Gesamtprozess des Entstehens und Vergehens, der Bewegung und Bewegungsänderung bestimmt sind, und wie sich diese Prozess- und Bewegungsformen reproduzieren oder reproduzieren lassen, ist nicht unmittelbar wahrzunehmen, sondern Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit an einem generischen Wissen und damit am Begri=. Das Innere ist das, was wir begri=lich in die Dinge als Kräfte setzen. Der Verstand als Methode der Anwendung unserer Gesetze zur Erklärung von Prozessen und Bewegungen vermittelt entsprechend zwischen Gesetz und Anwendung. Das Spiel der Kräfte besteht in der Zusammenfügung unserer lokalisierten, in die Dinge gesetzten, Kraftmomente. Das »Sein der Kraft« besteht im Faktum der Bewegung, etwa als das Thema der physikalischen Mechanik, und in den Prozessen der Veränderung, wie sie die Themen u. a. der Chemie und Biologie sind. Da aber für den Verstand die Kräfte das Wesen sind und die Äußerungen der Kräfte bloße Wirkung, erscheinen die realen Bewegungen und Prozesse als die Erscheinungen der Kräfte – eine Art »Ganzes des Scheins« insofern, als die Perzeption als reine Wahrnehmung, unter abstraktiver Wegnahme der generischen und damit überzeitlichen Elemente des denkenden Urteilens, nur auf die ›Realitäten‹ der Prozesse und Bewegungen hier und jetzt gehen. Der Wahrnehmung allein erscheinen die ›Wirklichkeiten‹ der wirkenden Kräfte als transzendent. Die situations- und kontextübergreifenden, zeitallgemeinen Gesetze sind ja keine Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, sondern des Denkens: des Verstandes als dem Vermögen ihres Gebrauchs und der Vernunft als dem Vermögen ihrer Konstruktion, Kritik, und Konstitutionsanalyse. Es ist also das Ganze, vermittelt durch unsere modalen, dynamischen Kraftbegri=e und Bewegungsgesetze erstens etwas Allgemeines, zweitens macht es im Ganzen
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das so genannte Innere der Dinge und damit deren Wirklichkeit aus. 143 b
»Das Sein desselben für das Bewußtsein ist vermittelt durch die Bewegung der Erscheinung, worin das Sein der Wahrnehmung und das sinnlich Gegenständliche überhaupt nur negative Bedeutung hat, das Bewußtsein also daraus sich in sich als in das Wahre reflektiert, aber als Bewußtsein wieder dies Wahre zum gegenständlichen Innern macht und diese Reflexion der Dinge von seiner Reflexion in sich selbst unterscheidet; wie ihm die vermittelnde Bewegung ebenso noch eine gegenständliche ist. Dies Innere ist ihm daher ein Extrem gegen es; aber es ist ihm darum das Wahre, weil es darin als in dem Ansich zugleich die Gewißheit seiner selbst oder das Moment seines Fürsichseins hat; aber dieses Grundes ist es sich noch nicht bewußt, denn das Fürsichsein, welches das Innre an ihm selbst haben sollte, wäre nichts anderes als die negative Bewegung; aber diese ist dem Bewußtsein noch die gegenständliche verschwindende Erscheinung, noch nicht sein eignes Fürsichsein; das Innre ist ihm daher wohl Begri=, aber es kennt die Natur des Begri=es noch nicht.« (101 | 88 f.)
Es wäre mehr als hilfreich, würde man in den Wissenschaften, und dann erst recht in der modernen Wissenschaftsphilosophie, diese logische Form der Erklärung von Erscheinungen durch Kräfte und Gesetze begreifen. Denn dann wäre der Aberglaube nicht mehr möglich, der Dinge, sto=liche Materie, dispositionelle Kräfte, Gesetze und sogar Möglichkeiten und mögliche Welten ontisch hypostasiert und dabei das Moment der Erfindung, Konstruktion und Setzung von begri=lichen Darstellungs- und Erklärungsformen übersieht, so, als ginge es bloß um ›Entdeckungen‹ im Sinn von Aufdeckungen einer scheinbaren Hinterwelt. Alle Entdeckungen sind hier Erfahrungen, die wir im historischen Gebrauch unserer Theorien machen und entsprechend gemeinsam erinnern, soweit wir sie nicht vergessen. Das paradigmatische Muster dieser Erfahrungen ist übrigens die Technik mit ihrer wahrhaft dialektischen Methode von Versuch, Irrtum und Erfolg. Hegel ersetzt hier sozusagen den naiven Empirismus, dessen begri=sund theoriefreie Auffassung schon der Wahrnehmung an den
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Sachen vorbeigeht, durch einen Pragmatismus gemeinsamen sprach- und sachtechnischen Handelns. Die Ironie der Geschichte will es, dass Karl Popper, dessen Verteidigung der Methode des Trial and Error und des Problemlösens sich verbal gegen Hegel richtet, hierin schlicht sein sehr verspäteter Schüler ist. Das gilt gerade auch für die Einsicht in die leitende Rolle der Theorie, bei Hegel: des Begri=s. Genealogisch leistete der Amerikanische Pragmatismus die Vermittlungsarbeit. Dazu muss man nur sehen, wie viel Popper Charles Sanders Peirce, William James und deren Übersetzer Wilhelm Jerusalem verdankt. Ironischerweise sind die besten Schüler generell die lautesten Kritiker ihrer Lehrer, und das zumeist in partieller Selbstvergessenheit oder gar Undankbarkeit, vielleicht auch Eigendünkel. In der Philosophie zeigt sich das bei Paaren wie Platon und Aristoteles, womöglich auch bei Kant und Hegel, in jedem Fall bei Husserl und Heidegger. Dabei hat Popper sogar den zentralen Punkt gar nicht begriffen, nämlich die Unterscheidung zwischen generischen und als materialbegri=lichen Regeln kanonisierten theoretischen Sätzen (als Bestimmungen des Ansichsein von etwas) und allquantifizierten empirischen Aussagen (die etwas über das An-und-Fürsich-Sein konkreter Einzelfälle sagen). Nur diese Unterscheidung macht verständlich, warum einzelne und zufällige Gegenbeispiele eine Theorie nicht schon falsifizieren: So ist ihre allgemeine Geltung nie gemeint. Niemand will und kann je alle Einzelfälle vorhersagen. In gewissem Sinn sind unsere gesetzesartigen Theorien eine Art Negativ der realen Bewegungen und Prozesse. Ihre reale ›Wahrheit‹ ist das Positive: das Allgemeine der generischen Realitäten oder Erscheinungen, wie sie sich real immer wieder präsentieren. Das Allgemeine ist allerdings als der ›ansichseiende Gegenstand‹ selbst bloß ein Gegenstand generischer Rede, so wie eben ›der Mensch‹, ›das Tier‹, ›das Elektron‹ oder ›das Eisen‹ generische Gegenstände der Rede sind. Immerhin zeigen sich die den generischen Redegegenständen zugeschriebenen Dispositionen und Kräfte immer wieder unmittelbar in der Realerfahrung als
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Wirkungen oder als Bestätigungen der modalen Möglichkeiten, wie sie in theoretischen Wesenserklärungen fixiert sind. In der Erklärung kehrt sich nun die Reihenfolge um: Das Nichtreale der kausalen Erklärung wird zum Wirklichen und Wirksamen, während die realen Folgen zu bloßen Epiphänomenen werden. Das Wort »Positivismus« in einem seiner späteren Gebräuche kommt eben daher, dass man sich bloß um das Positive des Realen kümmert, also um empirische Narrationen. Damit ist noch nichts verstanden und erklärt. Die zentrale Unterscheidung ist die des bloß Realen der Gegenwart von der Wirklichkeit, die ihr zugrunde liegt. Das bloß sinnlich Gegenständliche hat gegenüber den generischen Wesensdarstellungen »nur negative Bedeutung«. Damit kehrt sich das Verhältnis zwischen dem Positiven und dem Negativen um: Das Negativ des theoretischen Bildes wird zum Positiv der Wesenswahrheit. Die erklärte Realität in der realen Wahrnehmungswelt wird zum (angeblichen) bloßen Schein, jedenfalls zur Erscheinung. Das Wahre, genauer: wirksame Wirkliche, ist jetzt das Innere: Was das heißt, begreift der Empirismus überhaupt nicht, weder in seiner Teilströmung des Sensualismus oder subjektiven Idealismus noch in der mächtigeren Strömung des Materialismus, Naturalismus oder Physikalismus. Man glaubt in letzterer, um mit Hegel zu sprechen, bewusstlos an eine Theorie, welche angeblich das Innere der Dinge unmittelbar erklärt. Das ist keine Wissenschaft, sondern szientistische und als solche mystische, nicht sinnkritische Metaphysik. Hegel sagt: Das Innere ist bloßes ›Extrem‹. Das heißt, das Innere ist bloßer Relationspunkt im Gesamtzusammenhang der Erklärung von Bewegungen und Prozessen, die ihrerseits Relativbewegungen oder Veränderungsprozesse sein können. Das Innere ist das (Wesens-)Wahre dann, wenn es die realen Prozesse angemessen darstellt, und zwar als generische, normalerweise erwartbare, Prozesse, nicht in ihrer jeweiligen Einzelheit. Erklärt werden nie alle einzelnen Fälle – da jedes Gesetz Bedingungen hat und jede Kraft in ihren Wirkungen von etwas abhängt. Es kann für das Wirken immer etwas dazwischen kommen. Diese begri=-
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liche Tatsache wird selten erst genommen. Man meint, es läge an unserem Wissen, dass wir nicht alle Bedingungen kontrolliert hätten. Es ist aber kein bloßes epistemisches Problem, sondern ein strukturlogischer Aspekt unserer allgemeinen Darstellungen und Erklärungen. Man kann das genauer auch so sagen: Eigentlich gehört zu jedem (kausalen) Gesetz das Wissen darum, dass es nur in paradigmatischen Standardfällen gilt und dass es für einzelne und sogar typische Ausnahmen einen Platz der zufälligen Möglichkeiten systematisch frei hält. In der üblichen Diktion sagt man dafür, das Gesetz gelte bloß unter ceteris-paribus-Bedingungen. Damit wird aber das Problem nur benannt, nicht aufgelöst. Denn wie ist die Bedingung »all things equal« oder besser »all things normal« je konkret bestimmt? Im Übrigen wird die Bedingung als Rahmenbedingung im weiteren Argumentieren häufig genug einfach wieder vergessen. Das wäre nicht schlimm, wenn man nur zugäbe, dass Gesetze eben nur für die paradigmatisch-generischen und damit als für das Gesetz relevant vorgeprüften Fälle gelten. Es gibt o=enbar wenig, das so schlecht verstanden ist, wie die Rede von Bedingungen und die Di=erenz zwischen Gesetz und Zufall. In der Praxis der Wissenschaft sind wir uns dieser ganz allgemeinen wissenschaftslogischen und wissenschaftstheoretischen Tatsachen leider nicht bewusst. Sogar die moderne Wissenschaftstheorie scheint sie nur partiell zu begreifen. Denn wie dem bloß objektstufig arbeitenden Wissenschaftler erscheinen die Kräfte und inneren ›wahren Wesen‹ der Dinge auch noch rein formal denkenden Wissenschaftstheoretikern als »gegenständliche verschwindende Erscheinung«. Sie verschwinden, weil sie bzw. wo sie bloß erst modal existieren und sich dann in den Realisierungen der sozusagen stillen Potenzen zeigen. Sie sind damit noch nicht in ihrem Fürsichsein, in der realen Verfassung unserer Darstellungen und Erklärungen von Erfahrung begri=en. Dem szientistischen Wissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker ist ›das Innere‹ zwar wohl schon Begri=, Teil der Theorie, aber er »kennt die Natur des Begri=es noch nicht«,
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er weiß nicht, was überhaupt eine Theorie und eine theoretische Erklärung und eine über diese Erklärung bestimmte kausale Verursachung ist. 144
»In diesem innern Wahren, als dem absolut Allgemeinen, welches vom Gegensatze des Allgemeinen und Einzelnen gereinigt und für den Verstand geworden ist, schließt sich erst über der sinnlichen als der erscheinenden Welt nunmehr eine übersinnliche als die wahre Welt auf, über dem verschwindenden Diesseits das bleibende Jenseits, ein Ansich, welches die erste und darum selbst unvollkommene Erscheinung der Vernunft oder nur das reine Element ist, worin die Wahrheit ihr Wesen hat.« (101 f. | 89)
Erst wenn wir begreifen, wie wir modale Aussagen den realen Dingen so zuordnen, dass diese so erscheinen, als würden sie das Innere der Dinge ›beschreiben‹, wie z. B. Kräfte, verstehen wir, wie der Verstand an der Konstitution unserer vollen Ding-Begri=e beteiligt ist und zwar nach dem Gesamtplan der ›Rettung der Phänomene‹, der ›Reinigung‹ des Gegensatzes »des Allgemeinen und Einzelnen«. Die übersinnlich-wahre Welt ist keine transzendente Welt. Sie ist die Welt der theoretisch-allgemeinen Erklärung sich wiederholender oder wiederholbarer Erscheinungen in der realen Welt des Wahrnehmens und Erfahrens von so und so durch das und das ›bewirkten‹ Prozessen. Dem ›verschwindenden‹ Diesseits der jeweiligen ›bloßen‹ Gegenwart wird ein ›bleibendes Jenseits‹ allgemeiner Theorie als das eigentlich Wahre zugeordnet. Dabei transzendieren die Gegenstände theoretischer Rede oder ›Entitäten‹ wie Kräfte und Dispositionen, Möglichkeiten und die Korrelate von Gesetzen nur insofern die Welt des Aktual-Empirischen, als sie, wie jetzt schon mehrfach gesagt wurde, trivialerweise nicht wahrgenommen werden können.63 Es gibt sie wie alle allgemeinen Objekte generischen Wissens nur über die Vermittlung durch das theoretisch-begri=liche Denken. Wer diese Tatsache fassen kann, der fasse sie. Wer es nicht kann, sollte nicht weiter Ontologie, 63
Vgl. dazu auch Nr. 146b und Nr. 149.
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Logik und Wissenschaftsphilosophie betreiben, und schon gar nicht über Hegels Analysen zu Wissen und Wahrheit befinden. »Unser Gegenstand ist hiemit nunmehr der Schluß, welcher zu seinen Extremen das Innre der Dinge und den Verstand und zu seiner Mitte die Erscheinung hat; die Bewegung dieses Schlusses aber gibt die weitere Bestimmung dessen, was der Verstand durch die Mitte hindurch im Innern erblickt, und die Erfahrung, welche er über dieses Verhältnis des Zusammengeschlossenseins macht.« (102 | 89)
In unserer Phänomenologie der Erscheinungsformen des Geistes wird jetzt klar, dass alle Kräfte und Dispositionen zum Bereich des inferentiellen Schließens gehören. Wir gehen so z. B. von klassifizierten Phänomenen zu ihren Ursachen über oder von den in die Dinge gelegten Kräfte und Ursachen zu deren Wirkungen. Wir erkennen jetzt, dass die Gegenstände unseres Welt-Wissens, die Dinge, Sto=e und alles, was in den Erklärungen des Elektromagnetismus oder der Biologie der Lebensprozesse, vorkommt, erstens, gerade wegen der in die Dinge gesetzten Dispositionen und Kräfte theoretisch-begri=lich konstituiert sind. Zweitens sind über eine Art Anwendungsschluss das negativ ›Innere‹ und das ›Wirkliche‹ der Dinge mit dem ›Äußerlichen‹ und dem positiv ›Realen‹ der Erscheinungen materialbegri=lich verbunden. Der Schluss selbst ist eine ›Bewegung‹, nämlich eine Form der Anwendung eines Typs von (kausalen) Erklärungen. Dabei betri=t die Erfahrung, die wir dabei machen, nicht einfach bloß die eine Seite der je bloß subjektiven und präsentischen Wahrnehmung, sondern wir machen gemeinsam gute Erfahrungen (aber auch schlechte, das aber ho=entlich seltener) mit unseren begri=lichen Vorfassungen des generischen An-Sich und den entwickelten (Hegel sagt auch »gediegenen«) theoretischen Erklärungen. Das geschieht in ihren realen Aktualisierungen, wie sie in unseren begri=lich informierten Wahrnehmungen als das An-und-Fürsichsein der Erscheinungen im objektiven Weltbezug auftreten. In der Realität der Phänomenwelt ›fußt‹ sozusagen alle begri=liche Erklärung. Hier ›landet‹ auch alles Wissen in der Form eines erfolgreichen Könnens.
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»Noch ist das Innere reines Jenseits für das Bewusstsein; denn es findet sich selbst in ihm noch nicht. Es [das Innere, PSW] ist leer, denn es ist nur das Nichts der Erscheinung und positiv das einfache Allgemeine. Diese Weise des Innern, zu sein, stimmt unmittelbar denjenigen bei, welche sagen, daß das Innre der Dinge nicht zu erkennen sei; aber der Grund würde anders gefaßt werden müssen. Von diesem Innern, wie es hier unmittelbar ist, ist allerdings keine Kenntnis vorhanden, aber nicht deswegen, weil die Vernunft zu kurzsichtig oder beschränkt, oder wie man es sonst nennen will, wäre; worüber hier noch nichts bekannt ist, denn so tief sind wir noch nicht eingedrungen; sondern um der einfachen Natur der Sache selbst willen, weil nämlich im Leeren nichts erkannt wird oder, von der andern Seite ausgesprochen, weil es eben als das Jenseits des Bewußtseins bestimmt ist. – « (102 | 89)
Solange wir noch nicht reflektierend die Form wissenschaftlichen Erklärens begreifen, ist das Innere in der Tat nicht erkennbar und erscheint als transzendentes Sein der Dinge an sich. Dieser Schein entsteht nicht deswegen, weil die Vernunft zu kurzsichtig wäre, sondern weil das Innere aus tautologischen Gründen nicht wahrnehmbar ist: Man kann es nur in einer logischen Reflexion auf die Rolle des Begri=lichen bzw. der es explizierenden Theorien erkennen. So bliebe zum Beispiel die Rede von einer Kraft bloß leere Form, gäbe es keine konkrete Bestimmung, wie sie Dingkonstellationen dispositionell zuzuschreiben ist und unter welchen Bedingungen sie sich normalerweise äußert, wenn nichts privativ dazwischenkommt. Zum richtig begri=enen und damit nicht transzendent missverstandenen Ansich der Dinge, gerade auch der Lebewesen, gehört also alles Generische und damit immer auch eine gewisse gemeinsame Erkennbarkeit und Wiedererkennbarkeit. Die Erklärung dieses relativen Selbsterhalts der Dinge und Lebewesen durch die Rede von einer autopoietischen Kraft oder einer Lebenskraft erweist sich aber zunächst ebenfalls als noch völlig leere, weil tautologische, Form. Hegel wehrt sich dann noch mit einiger Ironie gegen die Identifikation einer transzendenten Innerlichkeit mit dem Heiligen:
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Das ganz Leere (oder bloß Formale) wird dabei zum Unantastbaren. Man darf es nicht »berühren« (ja kann das gar nicht). Man darf es aber auch nicht auslegen. Denn man läuft dann Gefahr, den naiven Glauben an es zu verlieren und als von uns konstruiert zu erkennen. Dabei kann man in der Tat zu weit gehen. Denn gerade unsere Kanonisierungen des begri=lichen An-Sich gehen immer auch auf Entscheidungen zurück, sind aber nicht einfach als willkürliche Setzungen zu kritisieren und durch willkürliche Entgegensetzungen zu ersetzen. Denn in unseren begri=lichen Traditionen ist ein unermesslich breites Wissen kodiert, eine von der einzelnen Person nie voll überschaubare Erfahrung aufgehoben. Es gibt daher auch einen guten Sinn der Heiligung des Inneren. Eine falsche Heiligung des Inneren finden wir dagegen nicht nur in Religion und Theologie, sondern gerade auch in den Naturwissenschaften, genauer, im Szientismus, wenn die Begriffe der Kraft und Kausalität jeder kritischen Reflexion entzogen und wie glaubensartige Artikel zur Grundlage einer vermeintlich ›wissenschaftlichen‹ Weltanschauung werden. Das geschieht schon dort, wo erklärt wird, dass alles Geschehen eine kausaleffiziente Ursache habe und durch Naturgesetze bzw. natürliche Kräfte vollständig zu erklären sei. Das Prinzip des zureichenden Grundes, auf das Leibniz so pocht, hängt in der Tat in der reinen Luft des Willkürglaubens. Um das zu sehen, muss man es allerdings unterscheiden von der berechtigten Suche nach Ursachen, nämlich überall dort, wo wir vorher wissen können, dass die Suche sinnvoll ist, wo es also sich von selbst wiederholende Bewegungen oder Prozessabläufe gibt, die man als eine Natur generisch darstellen kann. Kräfte und Ursachen sind dennoch keine rein ›in der Natur‹ einfach vorfindbaren Sachen. Sie können nur voll begri=en werden in einem von uns eingerichteten System des Wissens über die Natur, also über das, was normalerweise von selbst, ohne unser handelndes Zutun, geschieht. Der Szientismus ist daher über die von ihm selbst gebrauchten und damit implizit unterstellten Grundbegri=e
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und ihren logischen und methodologischen Status nicht aufgeklärt. 146 b
»Das Resultat ist freilich dasselbe, wenn ein Blinder in den Reichtum der übersinnlichen Welt – wenn sie einen hat, er sei nun eigentümlicher Inhalt derselben, oder das Bewußtsein selbst sei dieser Inhalt – und wenn ein Sehender in die reine Finsternis oder, wenn man will, in das reine Licht, wenn sie nur dieses ist, gestellt wird; der Sehende sieht in seinem reinen Lichte so wenig als in seiner reinen Finsternis und gerade so viel als der Blinde in der Fülle des Reichtums, der vor ihm läge. Wenn es mit dem Innern und dem Zusammengeschlossensein mit ihm durch die Erscheinung weiter nichts wäre, so bliebe nichts übrig, als sich an die Erscheinung zu halten, d. h. etwas als wahr zu nehmen, von dem wir wissen, daß es nicht wahr ist, oder, damit doch in dem Leeren, welches zwar erst als Leerheit von gegenständlichen Dingen geworden, aber, als Leerheit an sich, auch für die Leerheit aller geistigen Verhältnisse und der Unterschiede des Bewußtseins als Bewußtseins genommen werden muß, – damit also in diesem so ganz Leeren, welches auch das Heilige genannt wird, doch etwas sei, es mit Träumereien, Erscheinungen, die das Bewußtsein sich selbst erzeugt, zu erfüllen; es müßte sich gefallen lassen, daß so schlecht mit ihm umgegangen wird, denn es wäre keines bessern würdig, indem Träumereien selbst noch besser sind als seine Leerheit.« (102 f. | 89 f.)
Das so genannte Innere, das nicht das räumliche Innere meint, ist, wie erläutert, keine wahrnehmbare Erscheinung, sondern theoretische Setzung. Ohne konkrete materialbegri=liche Füllung durch ein theoretisches Wissen ist es leere Form. Man kann wünschen und versuchen, diese Formen zu füllen. Wenn es befriedigend klappt, nennt man es dann »Erkenntnis des Inneren«. In gewissem Sinn ist dieses Wissen aber ein materialbegri=liches Konstrukt. Als gute allgemeine Vororientierung ist es aber weit mehr als bloßes Konstrukt. Es ist eine Wahrheit oder Wirklichkeit an sich. Aber man kann es als Ansichsein gerade nicht (unmittelbar) wahrnehmen. Das gilt für jeden generischen Redegegenstand wie ›der Mensch‹ oder ›der Kreis‹ oder ›die Welt‹. Das liegt nicht
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daran, dass die Vernunft »zu kurzsichtig oder beschränkt« wäre, sondern daran, dass derartige Redeformen und damit die Rede vom Inneren selbst formentheoretisch – und damit in gewissem Sinn metaphorisch – zu lesen ist. Das heißt, es wäre ganz falsch zu glauben, man müsste nur die Schale der Dinge ö=nen, wie etwa den Schädel, um das Innere, etwa die Gedanken, direkt zu sehen. Alle Füllungen des Schädels durch das Gehirn zeigen gar nichts über das Denken, das Innere, den Inhalt. Die Metaphern, die Hegel benutzt, um zu zeigen, dass wir das, was wir suchen, nicht durch eine wörtliche Untersuchung der Innenräume der Dinge finden werden, erklären sich jetzt von selbst. Interessant ist nur noch, dass er die gleichen Gefahren des Fehlverständnisses in der Form der Rede über etwas Heiliges, auch über die göttliche Natur des Menschen oder über seine Seele als dem inneren Wesen des Menschen erkennt. Auch hier wird die Redeform zumeist nicht begri=en. Es wird nicht verstanden, was es überhaupt heißt, die Natur (des Menschen) als von einer (›göttlichen‹ oder ›geistigen‹) Kraft durchwirkt zu betrachten oder das Verhalten und Handeln der Menschen als Äußerungen seiner Seele oder seines Charakters zu deuten. »Das Innere oder das übersinnliche Jenseits ist aber entstanden, es kommt aus der Erscheinung her, und sie ist seine Vermittlung; oder die Erscheinung ist sein Wesen und in der Tat seine Erfüllung. Das Übersinnliche ist das Sinnliche und Wahrgenommene, gesetzt, wie es in Wahrheit ist; die Wahrheit des Sinnlichen und Wahrgenommenen aber ist, Erscheinung zu sein. Das Übersinnliche ist also die Erscheinung als Erscheinung. – « (103 | 90)
Das Übersinnliche ist das Wirkliche, das erscheint, oder die Erscheinung als Erscheinung. Gerade der letzte Satz ist wegen seines scheinbar absurden und mystischen Klangs eine Art Kern- und Merksatz. Hegel sagt mit ihm zunächst dieses: Wir bewerten das, was wir sinnlich wahrnehmen, nicht unmittelbar als wahr. Der ›innere‹ (interne) Gegenstand der Wahrnehmung (ich spüre etwas Längliches und meine z. B., ein Buch in der Tasche zu fühlen etc.) wird nicht unmittelbar mit ›dem‹ objektiven (externen) Gegen-
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stand der Wahrnehmung identifiziert, der meine Wahrnehmung, meine Meinung bzw. mein Urteil ›verursacht‹ hat. Auch etwas Grünes, das ich sehe, könnte eine blaue Hose in gelbem Licht sein, das Längliche, das ich spüre, könnte etwas anderes als das Buch sein. Selbst wenn die Urteile über die objektiven Dinge qua Ursachen meiner Wahrnehmung falsch sind, müssen die Ursachen trotzdem erklärt werden. Warum erscheint die Hose von hier aus grün? Warum erscheint die Kugel aus der Ferne als oval? Warum erscheint der gerade Stab im Wasser als geknickt? Das aber heißt, dass wir die ›internen‹ Gegenstände der Wahrnehmung nicht einfachhin als falsch oder als leeren Schein beurteilen dürfen, sondern sie und das Sinnliche in ihrem wesentlichen und das heißt durchaus auch: kriterialen Beitrag für die Bestimmung des Wahren und Wirklichen anerkennen müssen. 147 b
»Wenn dabei gedacht wird, das Übersinnliche sei also die sinnliche Welt oder die Welt, wie sie für die unmittelbare sinnliche Gewißheit und Wahrnehmung ist, so ist dies ein verkehrtes Verstehen; denn die Erscheinung ist vielmehr nicht die Welt des sinnlichen Wissens und Wahrnehmens als seiende, sondern sie als aufgehobene oder in Wahrheit als innere gesetzt. Es pflegt gesagt zu werden, das Übersinnliche sei nicht die Erscheinung; dabei wird aber unter der Erscheinung nicht die Erscheinung verstanden, sondern vielmehr die sinnliche Welt als selbst reelle Wirklichkeit.« (103 | 90)
Man erinnere sich, Kräfte und Dispositionen sind etwas ›Übersinnliches‹, das gewissermaßen den Dingen modal zugeschrieben wird, aber gerade so, dass es sich im Sinnlichen und Wahrgenommenen zeigt, also die Erscheinungen als Erscheinungen ›wahrhaft‹ und ›allgemein‹ erklärt. Damit wird, wie Hegel selbst explizit erklärt, ›die Welt‹ des bloß ›sinnlichen Wissens‹ aufgehoben und gerade von der ›wahren Welt‹ der Erklärung der Erscheinungen abgehoben. Die Aussage, dass das Innere ›leer‹ sei, sagt erstens, dass die Suche nach inneren Kräften zunächst bloß eine Form der Suche nach Erklärungen ist. Es gibt keine Garantie, hier immer etwas Befrie-
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digendes zu finden. Man kann also nicht einfach davon ausgehen, dass es das schon gibt, was wir suchen. Die Aussage ist zweitens eine Merkthese, welche die Vorstellung abwehrt, man könne Seelenkräfte oder kausale Kräfte immer unmittelbar in den Körpern finden. Das bedeutet nicht, dass es ›also‹ bloß Erscheinungen gäbe, dass es nur das sinnlich Wahrnehmbare gäbe und dass die Rede über Kräfte und andere modale Gegenstände bloß Gedankendinge betre=e. Die Wahrheit ist, dass wir überindividuelle Erfahrungen nur vermöge dieser komplexen Redeformen machen können. Erscheinungen gibt es auch nur als durch allgemeine Erfahrungen erklärte subjektive Wahrnehmbarkeiten. Mit anderen Worten, der Begri= der Erscheinung setzt schon das Wirkliche der Erklärung durch modale Kräfte als relationales Gegenüber in der Erklärung des Erscheinenden durch ein wirksames ›Wesen‹ voraus und arbeitet eben damit mit modalen Allgemeinheiten. »Der Verstand, welcher unser Gegenstand ist, befindet sich auf eben dieser Stelle, dass ihm das Innere nur erst als das allgemeine noch unerfüllte Ansich geworden [sic!, PSW]; das Spiel der Kräfte hat nur eben diese negative Bedeutung, nicht an sich und nur diese positive, das Vermittelnde, aber außer ihm zu sein.« (103 | 90)
Hegels idiosynkratische und in ihren anaphorischen Bezügen höchst genauen, wenn auch gelegentlich unfreiwillig obskuren Ausdrucksweisen in allen Details so auszulegen, dass man sicher sein kann, wovon die Rede geht, ist wohl nicht möglich. Hier scheint mir Hegel sagen zu wollen, dass dem Verstand als der Fähigkeit, nach Regeln und als gegeben unterstellten Gesetzen zu rechnen, die Gesetze und Regeln gerade auch des e;zienzkausalen Erklärens von Erscheinungen durch innere Kräfte noch nicht als eigene Konstruktionen der Vernunft klar sind. Diese Konstruktionen sind gesetzesartig. Und sie sind beglaubigt durch den Filter geschichtlicher Erfahrungen, nämlich als für viele Darstellungen und Erklärungen tauglich. Wir brauchen in solchen Erklärungen immer ein »Gesetz der Kraft« im Sinne einer Art festen Regel, die sagt, wie die den Dingen zugeschriebenen Kräfte regelgemäß (eben gesetzesartig)
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wirken. Das brauchen wir, weil es sonst kein artikulierbares Wissen über das Bewegungsverhalten und über die Veränderungen von Gestalteigenschaften der Dinge gäbe. Es ist daher immer auch zwischen den gesetzesartigen Schlüssen, schematischen Rechnungen und materialbegri=lichen Inferenzen innerhalb unserer sprachlichen und symbolischen Repräsentationen oder allgemeinen Darstellungen bzw. Modellierungen und dem sich im realen Ablauf der Erscheinungen präsentierenden Bewegungen und Veränderungen und deren Regelmäßigkeiten zu unterscheiden. Es ist auch die Frage nach der ›notwendigen Anerkennung‹ dieses oder jenes Gesetzes in der Wissenschaft nicht ohne Berücksichtigung der Notwendigkeiten einer von anderen Personen in ihren di=erentiellen und inferentiellen Normen und Regeln nachvollziehbaren materialbegri=lichen Darstellungen zu beantworten. Das aber heißt, dass man nicht einfach nur auf das zu achten hat, was sich in der Wahrnehmung zeigt, sondern immer auch auf das, was sich jeweils zu einem Zeitpunkt auf der Basis des bisherigen Wissens und Könnens symbolisch allgemein artikulieren lässt. Daher liefert uns Hegels Analyse eine Erläuterung des Begri=s der notwendigen Geltung. Dabei werden nicht nur so einfache Fälle betrachtet wie der der Analytizität, der formalen Folgerungen wirklich willkürlich festgelegter terminologischer Regeln in rein auf der Ausdrucksebene festgelegten Definitionen. Es ist auch Kants durchaus noch unklare Idee von einem synthetischen Apriori aufzuhellen. Hegel entwirft dazu über eine Analyse kategorialer Redeformen hinaus – wobei noch zu zeigen sein wird, was das Wort »Kategorie« bedeutet – eine Einsicht in den Status und die Rolle materialbegri=lich als gültig gesetzter Inferenznormen im Rahmen eines theoretisch verfassten generischen Wissens. Mit dieser Einsicht trennt er die irreführende Unterstellung einer ›Ewigkeit‹ oder ›Nichtrevidierbarkeit‹ apriorischer Geltung von der präsuppositionslogisch gestuften Rolle, welche nicht nur kategoriale, sondern eben auch materialbegri=liche Di=erenzformen und Inferenznormen spielen. Dabei werden materialbegri=liche Gültigkeiten bestimmt auf der Basis einer
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allgemeinen Wissensentwicklung. Diese wiederum orientiert sich an den Erfahrungen, die wir mit früheren Systemen materialbegri=lichen Wissens gemacht haben. Daraus ergibt sich nicht etwa, dass materialbegri=liches Wissen empirisch sei. Denn wir sollten das Empirische mit dem Inhalt von Konstatierungen, also einer deskriptiven, narrativen oder historischen Rede über einige, viele oder alle Einzelheiten identifizieren. Generische Sätze sind von anderem Typ und folgen einer anderen Logik sowohl in der Anwendung als auch in der Bewertung als richtig oder wahr. Damit lassen sich auch manche Einwände kantianischer Provenienz gegen Hegels Betonung der Geschichtlichkeit des Begri=lichen als irreführend abwehren. Denn Hegel geht es nicht etwa darum zu behaupten, dass auch die allgemeinsten logischen Formen wie die kategoriale Subjekt-Prädikat-Struktur des Aussagesatzes eine historische Entwicklung hat. Das hat sie sicher auch. Doch das ist nicht besonders relevant. Relevanter ist die Geschichtlichkeit konkreter Theorie-Entwicklungen und das relative Apriori der jeweils einschlägigen Theorien schon für das Verstehen empirischer Aussagen und konstatierender Informationen, in denen die Begri=sworte vorkommen, welche die entsprechenden inferentiellen Inhaltsmomente artikulieren, wie sie mit jeder Rede über Dispositionen und Kräfte, Fähigkeiten und Kompetenzen, ja schon über ernst zu nehmende Möglichkeiten verbunden sind. Das gilt dann natürlich nicht bloß für universale Notwendigkeiten, sondern auch für vernünftige Normalfallerwartungen. Ein Ziel der Wissenschaft ist allgemein verlässliches und allgemein repräsentiertes Wissen. Ein zweites Ziel ist es, durch dieses Wissen inhaltliche Informationen artikulierbar zu machen. Das allgemeine Wissen ist als solches relativ schnell lehr- und lernbar. Dessen Schemata sind im einfachen Fall so spontan aktualisierbar wie irgendein spontanes Handeln. Es soll einen gemeinsamen Fundus, eine Art enzyklopädischen Kanon, materialbegri=licher Inferenzen und Schlussweisen liefern. Das begri=liche Wissen ist damit ein Gesamtrahmen zur Darstellung von empirischer
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Information. Es macht allgemeine Welterfahrungen explizit. Es ermöglicht allererst ein Verstehen von auf Einzelfälle bezogenen empirischen und narrativen, präsentischen und historischen Konstatierungen. Es bestimmt die generisch-inferentiellen Formen und Normen des inhaltlichen Schließens. Dabei sollte sich, der idealen Idee nach, der transindividuelle Rahmen des begri=lichen Unterscheidens und Schließens selbst möglichst nicht ändern. Doch wir wissen, dass auch unsere standing sentences und festen Regeln nicht einfach bestehen bleiben, obwohl sie der Absicht und der Form nach zeitallgemein und dem Status nach kanonisch sein sollten. Das heißt, es gehört zwar zur Form des Begri=s bzw. einer Theorie, dass die Kriterien und Regeln durch stehende, zeitallgemeine, Sätze artikuliert werden, möglichst unabhängig von der je konkreten Äußerungssituation. Sie sollen ja die Substanz der Welt, das Allgemeine und Festbleibende darstellen. Ja, das Begri=liche oder der Begri= ist, sozusagen, die bleibende Substanz der Welt. Wir wissen aber auch, dass wir die realen Modelle ändern, genauer, dass ›sie‹ sich im Laufe des Fortgangs und der Entwicklung der Wissenschaft ändern. Das bedeutet, wir unterscheiden zwischen dem Ideal des stabilen Wissens und dem, was je zu unserer Zeit als allgemeines Wissen real erreichbar ist. Wir unterscheiden zwischen der Idee einer ewigen, situationsinvarianten allgemeinen Wahrheit und ihrer Realisierung in einer Epoche. Dabei gilt es den Fehler zu vermeiden, den je realen Kanon allgemeinen Wissens angesichts seiner Verbesserbarkeit zu einem bloßen Glauben oder Vorurteil herunterzustufen oder mit Nietzsche als nützliche Lüge auszugeben. Denn damit zerstört man den epochen-immanenten Kontrast zwischen Wissen und Glauben, Wahrheit, Irrtum oder Lüge. Es ist aber anzuerkennen, dass wir uns in unserer realen Wissenschaft sozusagen dauerhaft auf einer begri=lichen Baustelle befinden. Würde man nur das damit sagen wollen, wäre der Satz, dass es keine absolute allgemeine Wahrheit gibt, ganz richtig. Falsch aber wäre es anzunehmen, dass es auf der Baustelle der Kontrolle und Entwicklung begri=licher Normen, Sätze und
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Regeln keinen Bauplan, keine erreichbaren Zwischenziele und keinen Fortschritt gäbe. Das Gegenteil ist der Fall. Die Rede über das Ideal absoluter Wahrheit dient dabei dann doch auch der Kontrolle, wie weit wir jeweils gekommen sind: Das Ziel ist immer ein Art System ewiger Gesetze mit möglichst verlässlichen (am liebsten schematischen oder »fool proof «) Formen des Schließens, gerade auch zur Prognose, was weiter geschehen wird oder zu erwarten ist. »Seine [des Verstandes, PSW] Beziehung auf das Innre durch die Vermittlung aber ist seine Bewegung, durch welche es sich ihm erfüllen wird. – Unmittelbar für ihn ist das Spiel der Kräfte; das Wahre aber ist ihm das einfache Innre; die Bewegung der Kraft ist daher ebenso nur als Einfaches überhaupt das Wahre. Von diesem Spiele der Kräfte haben wir aber gesehen, daß es diese Bescha=enheit hat, daß die Kraft, welche sollizitiert wird von einer andern Kraft, ebenso das Sollizitierende für diese andere ist, welche selbst erst hierdurch sollizitierende wird. Es ist hierin ebenso nur der unmittelbare Wechsel oder das absolute Austauschen der Bestimmtheit vorhanden, welche den einzigen Inhalt des Auftretenden ausmacht, entweder allgemeines Medium oder negative Einheit zu sein. Es hört in seinem bestimmten Auftreten selbst unmittelbar auf, das zu sein, als was es auftritt; es sollizitiert durch sein bestimmtes Auftreten die andere Seite, die sich hierdurch äußert; d. h. diese ist unmittelbar itzt das, was die erste sein sollte. Diese beiden Seiten, das Verhältnis des Sollizitierens und das Verhältnis des bestimmten entgegengesetzten Inhalts ist jedes für sich die absolute Verkehrung und Verwechslung. Aber diese beiden Verhältnisse sind selbst wieder dasselbe; und der Unterschied der Form, das Sollizitierte und das Sollizitierende zu sein, ist dasselbe, was der Unterschied des Inhalts ist, das Sollizitierte als solches, nämlich das passive Medium; das Sollizitierende hingegen das Tätige, die negative Einheit oder das Eins. Hierdurch verschwindet aller Unterschied besonderer Kräfte, die in dieser Bewegung vorhanden sein sollten, gegen einander überhaupt, denn sie beruhten allein auf jenen Unterschieden; und der Unterschied der Kräfte fällt ebenso mit jenen beiden nur in einen zusammen. Es ist also weder die Kraft noch das Sollizi-
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tieren und sollizitiert Werden, noch die Bestimmtheit, bestehendes Medium und in sich reflektierte Einheit zu sein, weder einzeln für sich etwas, noch sind es verschiedene Gegensätze, sondern was in diesem absoluten Wechsel ist, ist nur der Unterschied als allgemeiner oder als ein solcher, in welchen sich die vielen Gegensätze reduziert haben. Dieser Unterschied als allgemeiner ist daher das Einfache an dem Spiele der Kraft selbst und das Wahre desselben; er ist das Gesetz der Kraft.« (103 f. | 90 f.)
Das Innere ist dem Verstand zugänglich durch die Rede über modale Kräfte an sich und durch ihre Anwendung in der Erklärung realer Phänomene. Unmittelbar ist für den Verstand »das Spiel der Kräfte«, wie es die je gelernte Theorie ›an sich‹ schildert. Dabei wird die Theorie in der naiven Haltung als unmittelbar wahr angesehen – wie wir ja alles Gelernte zunächst naiv glauben (müssen). In der Anwendung aber wird schon klar, dass wir immer darüber urteilen müssen, welche Kräfte für welche Relativbewegungen oder Prozesse relevant sind – womit klar wird, dass die Kräfte nicht einfach ›unmittelbar‹ existieren und wirken, sondern von der Vermittlung unserer Techniken der Darstellung und Erklärung abhängen, zugleich von Bedingungen, welche sozusagen bewirken, dass die dispositionell in die Dinge verlegten Kräfte wirksam werden. »Sollizitieren« ist dafür Hegels terminus technicus. Insgesamt aber bringen alle Bedingungen gemeinsam die Wirkungen hervor, so dass sich am Ende eine Aufgliederung in diverse Kräfte wieder aufhebt. Der klarste Fall dafür ist das Zusammenwirken von zentrifugaler (genauer: tangentialer) Fliehkraft und Gravitationskraft in der Beschreibung oder Erklärung ballistischer Bewegungen, gerade auch von Planeten, Monden und heute auch von künstlichen Satelliten. Obwohl insgesamt eine Beschreibung der Form der Bewegungsbahnen resultiert, brauchen wir o=enbar die Gliederung in Momente, zumal die Gravitationskraft und die Trägheit als proportional zur Masse zumindest relativ unabhängig von den einzelnen Satellitenbewegungen bestimmbar ist und die Fliehkräfte zunächst rein durch die Raumgeometrie (zunächst: geradliniger und unbeschleunig-
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ter inertialer Bewegungen mit der Sonne als Fixstelle) allgemein vorgegeben wird – bevor dieser Rahmen relativistisch verfeinert wird. Damit wird schon klassisch eine Vielzahl von Bewegungen genau genug beschreibbar. Man kann die Bewegungsformen nämlich aus dem klassischen Begri= der Masse bzw. der Anziehungskräfte des Zentralkörpers und der Anfangsbewegungen der Satelliten rechnerisch ableiten und gerade in diesem Sinn kausal erklären.64 Das ›Gesetz der Kraft‹ ist die Form der Darstellung und Erklärung, unter Einschluss der Bedingungen der rechten Anwendung des Gesetzes bzw. der Gesetze als der ›Momente‹ des ›einen‹ Gesetzes der Natur. Würden wir nichts Spezifisches mit diesem Gesetz prognostisch oder erklärend anfangen wollen, hätte es die triviale Form »Alles ist so, wie es ist«. Aber wir wollen ja das ›so . . . wie‹ allgemein aufgliedern, generisch darstellen. »Zu dem einfachen Unterschiede wird die absolut wechselnde Erscheinung durch ihre Beziehung auf die Einfachheit des Innern oder des Verstandes. Das Innre ist zunächst nur das an sich Allgemeine; dies an sich einfache Allgemeine ist aber wesentlich ebenso absolut der allgemeine Unterschied, denn es ist das Resultat des Wechsels selbst, oder der Wechsel ist sein Wesen, aber der Wechsel als im Innern gesetzt, wie er in Wahrheit ist, in dasselbe hiemit als ebenso absolut allgemeiner, beruhigter, sich gleich bleibender Unterschied aufgenommen. Oder die Negation ist wesentliches Moment des Allgemeinen, und sie oder die Vermittlung also im Allgemeinen ist allgemeiner Unterschied. Er ist im Gesetze ausgedrückt als dem beständigen Bilde der unsteten Erscheinung. Die übersinnliche Welt ist hiemit ein ruhiges Reich von Gesetzen, zwar jenseits der wahrgenommenen Welt, denn diese stellt das Gesetz nur durch beständige Veränderung dar, aber in ihr eben so gegenwärtig und ihr unmittelbares stilles Abbild.« (104 f. | 91)
Das Interesse an der Einheitlichkeit und Allgemeinheit des Systems der Gesetze motiviert die Suche nach einem einheitlichen 64
Vgl. dazu auch Nr. 150.
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konsistenten System. Dieses System von Gesetzen ist, wie gesagt, der Idee nach ruhig, also zeitallgemein oder ›ewig‹. Dass wir unsere Darstellungen faktisch ändern, widerspricht, wie gesagt, der Idee oder anvisierten Form der wissenschaftlichen Erklärung keineswegs. Wir begreifen menschliche Erfahrung nur in der Spannung von theoretisch Allgemeinem und empirisch Einzelnem, von Gesetz und Anwendung.
18.4 Das Reich der von uns gesetzten Normen oder Gesetze 150 a
»Dies Reich der Gesetze ist zwar die Wahrheit des Verstandes, welche an dem Unterschiede, der in dem Gesetze ist, den Inhalt hat; es ist aber zugleich nur seine erste Wahrheit und füllt die Erscheinung nicht aus. Das Gesetz ist in ihr gegenwärtig, aber es ist nicht ihre ganze Gegenwart; es hat unter immer andern Umständen eine immer andere Wirklichkeit. Es bleibt dadurch der Erscheinung für sich eine Seite, welche nicht im Innern ist; oder sie ist in Wahrheit noch nicht als Erscheinung, als aufgehobenes für sich Sein gesetzt. Dieser Mangel des Gesetzes muß sich an ihm selbst ebenso hervortun. Was ihm zu mangeln scheint, ist, daß es zwar den Unterschied selbst an ihm hat, aber als allgemeinen, unbestimmten. Insofern es aber nicht das Gesetz überhaupt, sondern ein Gesetz ist, hat es die Bestimmtheit an ihm; und es sind damit unbestimmt viele Gesetze vorhanden.« (105 | 91 f.)
Gesetze vermitteln das Allgemeine. Das Allgemeine ist das System generischer Geltungen oder Wahrheiten. Als generische sind sie der Veränderung – idealiter – enthoben und stehen in Kontrast zum Empirischen, so aber, dass das Empirische und als solches einzelne Reale durch das Allgemeine je in besonderer Weise erklärbar sein soll. In der Anwendung aber müssen wir nicht bloß kontrollieren, ob die normalen Bedingungen der Anwendbarkeit der begri=lichen Inferenzen erfüllt sind, sondern auch, ob nicht zufällig privative Sonderfälle vorliegen, durch welche die Normalfallinferenzen blockiert werden, gerade so wie z. B. ein Vogel, der auf dem Weg zu seinem Nest ist, zufällig von einem Raub-
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vogel abgefangen werden kann. (Das Beispiel ist von Sebastian Rödl.) Man könnte jetzt meinen, dass man alle Bedingungen nur auflisten müsste. Das aber führte zu einer völlig unbrauchbaren Menge von Unterscheidungen und Inferenzen, Klassifikationen und Gesetzen: »Allein diese Vielheit [der Gesetze, PSW] ist vielmehr selbst ein Mangel [denn wir brauchen ein übersichtliches Gesamtsystem, PSW]; sie widerspricht nämlich dem Prinzip des Verstandes, welchem als Bewußtsein des einfachen Innern die an sich allgemeine Einheit das Wahre ist. Die vielen Gesetze muß er darum vielmehr in ein Gesetz zusammenfallen lassen [sic!, PSW], wie z. B. das Gesetz, nach welchem der Stein fällt, und das Gesetz, nach welchem die himmlischen Sphären sich bewegen, als Ein Gesetz begri=en worden ist. Mit diesem Ineinanderfallen aber verlieren die Gesetze ihre Bestimmtheit; das Gesetz wird immer oberflächlicher, und es ist damit in der Tat nicht die Einheit dieser bestimmten Gesetze, sondern ein ihre Bestimmtheit weglassendes Gesetz gefunden; wie das Eine Gesetz, welches die Gesetze des Falles der Körper an der Erde und der himmlischen Bewegung in sich vereint, sie beide in der Tat nicht ausdrückt. Die Vereinigung aller Gesetze in der allgemeinen Attraktion drückt keinen Inhalt weiter aus als eben den bloßen Begri= des Gesetzes selbst, der darin als seiend gesetzt ist. Die allgemeine Attraktion sagt nur dies, daß Alles einen beständigen Unterschied zu Anderem hat. Der Verstand meint dabei ein allgemeines Gesetz gefunden zu haben, welches die allgemeine Wirklichkeit als solche ausdrücke; aber [er] hat in der Tat nur den Begri= des Gesetzes selbst gefunden, jedoch so, daß er zugleich dies damit aussagt: alle Wirklichkeit ist an ihr selbst gesetzmäßig. Der Ausdruck der allgemeinen Attraktion hat darum insofern große Wichtigkeit, als er gegen das gedankenlose Vorstellen gerichtet ist, welchem alles in der Gestalt der Zufälligkeit sich darbietet und welchem die Bestimmtheit die Form der sinnlichen Selbständigkeit hat.« (105 f. | 92)
Man kann aber auch in der Vereinfachung und Vereinheitlichung der Gesetze zu weit gehen, so dass man am Ende nur noch mit der tautologischen Form der Gesetzesartigkeit der Erklärung wedelt und etwa sagt, im Prinzip seien alle Körperbewegungen in
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der Welt durch Naturgesetze erklärbar und zwar als notwendige kausale Folge entsprechend klassifizierter Vorbedingungen. Der Ausdruck »allgemeine Attraktion« meint hier das Gesamt der Kräfte und Gesetze, die dafür sorgen, dass wir von einigermaßen stabilen Dingen (Körpern) und sich reproduzierenden Dingbewegungen wie den Planetenbewegungen reden können. Dabei ist es noch nicht einmal ›selbstverständlich‹, dass Festkörper einige Zeit lang als Körper individuierbar sind und sich auf festen Bahnen relativ zu einander bewegen – eben wie die ›Sterne‹ oder ›Sonnen‹ und ihre Planeten zu einander. Es ist schon gar nicht ›bloß empirisch‹ (d. h. bloß narrativ, historisch und statistisch) wahr. Es ist allgemein wahr. Es zerlegt sich die ›allgemeine Attraktion‹ außerdem in eine Menge verschiedener Kräfte, wobei die Gravitationskräfte nur eine Klasse dieser Kräfte bilden. Es gibt noch andere, zum Beispiel, wie wir heute wissen, die atomaren Bindungskräfte, wie sie in chemischen Reaktionen der Molekülbildungen und molekularen Bindungen eine Rolle spielen, und dann eben auch alle subatomaren Kräfte. Hegel kritisiert hier u. a. Kants Vorstellung von einer umfassenden Attraktionskraft, welche dafür sorgen soll, dass die Körperdinge eine zeitlang identifizierbar und ihre möglichen Teile zusammen bleiben. Denn eine solche di=use Gesamtkraft erklärt nichts ohne eine Zerlegung, wie sie in unseren heutigen Theorien zu finden ist und wie sie schon Hegel ganz o=enbar gegen allzu einfache Vorstellungen einer Erweiterung der Gravitation gegen dogmatische Newtonianer als notwendig erkannt hatte. Ohne eine solche Zerlegung (etwa in chemische und elektromagnetische Kräfte) wiederholte man auch hier nur den Ausgangspunkt, dass es Dinge gibt, die nicht sofort auseinanderfliegen. Der Fall ist analog zur schon erwähnten Erklärung des Lebens von Lebewesen durch eine Lebenskraft oder Autopoiesis. Eine solche ›Kraft‹ erklärt nichts, sondern wiederholt nur die Tatsache, dass es Lebewesen gibt, deren Seinsform, so lange es sie gibt, »Leben« heißt. Richtig ist nur, dass die Gesetze des Zusammenhalts eines Steines andere sind als die der Leiberhaltung eines Lebewesens.
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»Es steht somit den bestimmten Gesetzen die allgemeine Attraktion oder der reine Begri= des Gesetzes gegenüber. Insofern dieser reine Begri= als das Wesen oder als das wahre Innere betrachtet wird, gehört die Bestimmtheit des bestimmten Gesetzes selbst noch der Erscheinung oder vielmehr dem sinnlichen Sein an.« (106 | 92)
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Man kann, wenn man unbedingt will, unter den Titel »allgemeine Attraktion« die allgemeine Gesetzförmigkeit oder Einheitlichkeit der Welt zusammenfassen. Doch dann entspricht dem Titel bloß noch der ›reine Begri= des Gesetzes‹, die Form der generischen Gesetzesartigkeit der von uns dargestellten und erklärten Welt. Dieser rein formalen Vorstellung von einem Wesens-›Kern‹ der Natur gegenüber scheint jedes bestimmte Gesetz dem Reich der Erscheinungen anzugehören. Man meint jetzt nämlich, die konkrete Bestimmung der Gesetze in einer regel- und satzförmigen Theorie sei ein bloß historischer Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte oder Wissenschaftentwicklung. Das meint man heute noch, wenn davon spricht, es handele sich in den Theorien um empirische Gesetze. Damit scheinen wir eine Di=erenz zwischen dem empirisch-historischen Reich der Gesetzesformulierungen und einem Reich wahrer Gesetze aufgedeckt zu haben. Doch das täuscht. Insbesondere verwirrt der Ausdruck »empirische Gesetze«. Denn nicht die Gesetze selbst sind empirisch, sondern was sie erklären. Zum Reich der Erscheinungen gehören bestenfalls die konkreten Formulierungen der Gesetze. Hinzu kommt, dass die Rede von einem reinen Begri= des Gesetzes gar nicht von einem Gesetz spricht: »Allein der reine Begri= des Gesetzes geht nicht nur über das Gesetz, welches, selbst ein bestimmtes, andern bestimmten Gesetzen gegenübersteht, sondern er geht auch über das Gesetz als solches hinaus. Die Bestimmtheit, von welcher die Rede war, ist eigentlich selbst nur verschwindendes Moment, welches hier nicht mehr als Wesenheit vorkommen kann; denn es ist nur das Gesetz als das Wahre vorhanden; aber der Begri= des Gesetzes ist gegen das Gesetz selbst gekehrt. An dem Gesetze nämlich ist der Unterschied selbst unmittelbar aufgefaßt und in das Allgemeine aufgenommen, damit aber ein
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Bestehen der Momente, deren Beziehung es ausdrückt, als gleichgültiger und ansichseiender Wesenheiten. Diese Teile des Unterschieds am Gesetze sind aber zugleich selbst bestimmte Seiten; der reine Begri= des Gesetzes, als allgemeine Attraktion, muß in seiner wahren Bedeutung so aufgefaßt werden, daß in ihm als absolut Einfachem die Unterschiede, die an dem Gesetze als solchem vorhanden sind, selbst wieder in das Innre als einfache Einheit zurückgehen, sie ist die innre Notwendigkeit des Gesetzes.« (106 | 92 f.)
Es gibt aus begri=lichen Gründen nur bestimmte Gesetze, die sich von möglichen alternativen bestimmten Gesetzen typisch unterscheiden. Mit den expliziten Formulierungen artikulieren wir diese Unterschiede, etwa zwischen einer Regel wie e = mc2 und, sagen wir, e = m2 c3 , um ein willkürlich-sinnloses quantitatives Beispiel zu geben. Analoges gilt aber auch für qualitative Gesetze. Faktisch müssen sie bestimmt sein. Sie würden sich daher von ›wahren‹ Gesetzen ebenso unterscheiden wie die beiden Fälle im Beispiel. Das aber heißt, dass ›die wahren‹ Gesetze vom Typ her genau gleich bestimmt sein müssten wie unsere Gesetze. Sie sollen nur irgendwie besser sein oder besser funktionieren. Damit aber wird klar, dass wir nur von der Möglichkeit der Verbesserung unserer theorieartigen Gesetze und Regeln sprechen, also von der Entwicklung des begri=lichen Rahmens unserer generischen Darstellungen und Erklärungen. Wenn man das einsieht, ist man schon weitgehend gegen jede Mystifizierung oder Hypostasierung transzendenter Gesetze gefeit: Entweder spricht man gar nicht (sinnvoll) über Gesetze, oder diese sind grundsätzlich von der Form, wie wir sie entwickeln (können). Damit sind sie nicht transzendent. Richtig ist freilich, dass wir unser System von Gesetzen immer weiterentwickeln und dabei sozusagen ewig die Idee der ›Verbesserung‹ des Systems verfolgen. Die einzelnen Gesetze erscheinen dabei als ›Momente‹ der Entwicklung dieses einheitlichen Gesamtgesetzes, des ›wahren Systems‹ der Naturgesetzlichkeiten. Die ›innere Notwendigkeit des Gesetzes‹ stellt sich damit als die Idee oder Form der allgemeinen, situations- und personinvarianten und zeitallgemeinen Darstellung und Erklä-
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rung von Besonderem und Einzelnem in der realen Erfahrung heraus. »Das Gesetz ist dadurch auf eine gedoppelte Weise vorhanden, das einemal als Gesetz, an dem die Unterschiede als selbständige Momente ausgedrückt sind, das anderemal in der Form des einfachen in sich Zurückgegangenseins, welche wieder Kraft genannt werden kann, aber so, daß sie nicht die zurückgedrängte, sondern die Kraft überhaupt oder als der Begri= der Kraft ist, eine Abstraktion, welche die Unterschiede dessen, was attrahiert und attrahiert wird, selbst in sich zieht.« (106 f. | 93)
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Gesetze sind, wie schon gesagt, Momente oder Regeln des Schließens in einer expliziten Theorie. Sie sind modale Inferenzregeln. Wenn wir ihren Gehalt als dispositionelle Kräfte in die Dinge legen, spricht Hegel von einer zurückgedrängten Kraft. Wir betrachten dann, was die (wahren) Theorien oder (guten) Gesetze sagen, als das Wirkliche und ›Innere‹ der Dinge. Wir sagen, die wahre Kraft sei das, was eine wahre Theorie der Erklärung sagen würde. Anders verhält es sich, wenn wir sozusagen höherstufig von Kräften sprechen, etwa im Falle magnetischer oder elektrischer Felder oder schon den Inertiallinien der Fliehkräfte. Man spricht dann titelartig von der Elektrizität oder vom Magnetismus als einer Kraft: »So ist z. B. die einfache Elektrizität die Kraft, der Ausdruck des Unterschieds aber fällt in das Gesetz, dieser Unterschied ist positive und negative Elektrizität. Bei der Bewegung des Falles ist die Kraft das Einfache, die Schwere, welche das Gesetz hat, daß die Größen der unterschiedenen Momente der Bewegung, der verflossenen Zeit und des durchlaufenen Raums, sich wie Wurzel und Quadrat zueinander verhalten. Die Elektrizität selbst ist nicht der Unterschied an sich oder in ihrem Wesen das Doppelwesen von positiver und negativer Elektrizität; daher man zu sagen pflegt, sie habe das Gesetz, auf diese Weise zu sein, auch wohl, sie habe die Eigenschaft, so sich zu äußern. Diese Eigenschaft ist zwar wesentliche und einzige Eigenschaft dieser Kraft, oder sie ist ihr notwendig. Aber die Notwendigkeit ist hier ein leeres Wort; die Kraft muß eben, weil sie muß, so sich verdoppeln. Wenn frei-
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lich positive Elektrizität gesetzt ist, ist auch negative an sich notwendig; denn das Positive ist nur als Beziehung auf ein Negatives, oder das Positive ist an ihm selbst der Unterschied von sich selbst, wie ebenso das Negative. Aber daß die Elektrizität als solche sich so teile, dies ist nicht an sich das Notwendige; sie als einfache Kraft ist gleichgültig gegen ihr Gesetz, als positive und negative zu sein, und wenn wir jenes ihren Begri=, dies aber ihr Sein nennen, so ist ihr Begri= gleichgültig gegen ihr Sein; sie hat nur diese Eigenschaft; das heißt eben, es ist ihr nicht an sich notwendig. – Diese Gleichgültigkeit erhält eine andere Gestalt, wenn gesagt wird, daß es zur Definition der Elektrizität gehört, als positive und negative zu sein, oder daß dies schlechthin ihr Begri= und Wesen ist. Alsdenn hieße ihr Sein ihre Existenz überhaupt; in jener Definition liegt aber nicht die Notwendigkeit ihrer Existenz; sie ist entweder, weil man sie findet, d. h. sie ist gar nicht notwendig; oder ihre Existenz ist durch andere Kräfte, d. h. ihre Notwendigkeit ist eine äußere. Damit aber, daß die Notwendigkeit in die Bestimmtheit des Seins durch anderes gelegt wird, fallen wir wieder in die Vielheit der bestimmten Gesetze zurück, die wir soeben verließen, um das Gesetz als Gesetz zu betrachten; nur mit diesem ist sein Begri= als Begri= oder seine Notwendigkeit zu vergleichen, die sich aber in allen diesen Formen nur noch als ein leeres Wort gezeigt hat.« (107 f. | 93 f.)
Um die Kräfte der Elektrizität als Gesamtphänomen explizit zu machen, bedarf es konkreter Gesetze. Für ihre Andwendung sind relevante von irrelevanten Unterscheidungen zu beachten. So hat man zwischen positiver und negativer elektrischer Ladung unterschieden. Das wäre ganz in Ordnung gewesen, wenn man das Relationale dieser Unterscheidung begri=en hätte. Aber man hat zunächst positive Ladungen nicht absolut als positive bestimmen können. Wenn wir sagen, dass aufgrund der elektrischen Kräfte die entsprechenden Kraftäußerungen oder bewirkten Bewegungsprozesse notwendig seien, ist diese Notwendigkeit eine analytische: In ihrer (potentiellen) Äußerung besteht die Kraft, die ›dynamische Eigenschaft‹, Disposition oder ›Energie‹. Es ist gewissermaßen eine analytische Notwendigkeit, dass wir im Bereich der Elektrizi-
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tät über positive und negative Ladungen sprechen, und ist doch eine theorieinterne oder theorievermittelte Notwendigkeit. Nur soweit wir gute Erfahrungen mit der Theorie im Herstellen und Erklären elektrischer Phänomene machen, handelt es sich um ›wirkliche Existenzen‹. Mit anderen Worten, diese ›Notwendigkeiten‹ sind alle entweder leer oder immer schon theorieabhängig. Die Wahrheit der Theorie erweist sich dabei in der Praxis ihrer Anwendung bei der Darstellung und Erklärung typischer, sich wiederholender oder durch uns wiederholbarer Phänomene, Prozesse, Bewegungen usf. Das sind o=enbar alles sehr hochstufige Kommentare zur Entwicklung der Theorien für die Phänomene der Elektrizität. Analoges gilt für den Satz, die Gravitation wirke nach dem Gesetz, »daß die Größen der unterschiedenen Momente der Bewegung, der verflossenen Zeit und des durchlaufenen Raumes, sich wie Wurzel und Quadrat zueinander verhalten«, also so, dass eine √ Formel der Form s = At2 bzw. t = (s/A) entsteht. Es ist klar, dass hier nur über eine allgemeine Form die Rede ist. Weitere Details interessieren erst einmal nicht. »Noch auf andere als die angezeigte Weise ist die Gleichgültigkeit des Gesetzes und der Kraft oder des Begri=s und des Seins vorhanden. In dem Gesetze der Bewegung z. B. ist es notwendig, daß die Bewegung in Zeit und Raum sich teile, oder dann auch in Entfernung und Geschwindigkeit. Indem die Bewegung nur das Verhältnis jener Momente ist, so ist sie, das Allgemeine, hier wohl an sich selbst geteilt; aber nun drücken diese Teile, Zeit und Raum oder Entfernung und Geschwindigkeit, nicht an ihnen diesen Ursprung aus Einem aus; sie sind gleichgültig gegeneinander; der Raum wird vorgestellt ohne die Zeit, die Zeit ohne den Raum und die Entfernung wenigstens ohne die Geschwindigkeit sein zu können, – so wie ihre Größen gleichgültig gegeneinander sind, indem sie sich nicht wie Positives und Negatives verhalten, hiemit nicht durch ihr Wesen aufeinander beziehen.« (108 | 94)
Hegels Rede von den ›Gleichgültigkeiten‹ der Momente in einem Gesetz und der Kräfte meint jetzt gewisse Äquivalenzen,
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Invarianzen und Unabhängigkeiten. Dazu gehört nicht nur, dass etwa die Gravitation unabhängig von magnetischen Kräften (usf.) wirkt, sondern auch, dass man Richtungsbeschleunigungen und Vergrößerungen oder Verkleinerungen der Gesamtbeschleunigung voneinander unterscheiden und lokal betrachten kann. Mathematisch braucht man dazu die Infinitesimalrechnung, genauer die Di=erentiation und Integration; vorausgesetzt sind beliebige Teilbarkeiten des Raumes (bzw. der räumlichen Strecken und Winkel) und der Zeit, die dabei ebenfalls (übrigens in einem gewissen Sinn auf der Basis einer metaphorischen Übertragung) repräsentiert werden muss durch Streckenlängen. Diese Aufteilung der Momente der Relativbewegungen von Körpern in Zeiten und Räume und das Rechnen mit beliebig kleinen Größen in einer Lokalisierung der Kraftwirkungen ist alles andere als selbstverständlich und ist es daher wert, explizit notiert zu werden. Denn in der beobachteten Realität ›gibt‹ es nur die Bewegungen als Ganze. Für die Mathematisierung der Gesetze in der klassischen Mechanik muss man aber zunächst so tun, als ließen sich Zeiten unabhängig von sich reproduzierenden Bewegungsformen und räumliche Entfernungen unabhängig von relativen Bewegungen von Dingen messen. Dass sich diese Idealvorstellung mit Einsteins Aufsatz zur Speziellen Relativitätstheorie 1905 als eine utopische Vorstellung herausstellen wird, konnte man vor 1900 kaum ahnen. In jedem Fall beruhen die Darstellungs- und Erklärungsformen der Mechanik Newtons auf der Trennbarkeit von Zeitzahlen und Entfernungszahlen – obwohl sie in ihrem Wesen längst schon als Momente von sich reproduzierenden Bewegungsformen miteinander verbunden waren und sind. Nicht völlig trivial ist dabei insbesondere die beliebige Teilbarkeit der Zeit. Denn woher wissen wir, wie die Zeit real zu teilen ist, was also gleich lange Zeittakte nach einander sind? Hinzu kommt die Notwendigkeit, den Körpern Massenzahlen (ihre Schwere) zuzuordnen, um vernünftige Darstellungen für die Richtungsbeschleunigungen in Abhängigkeit von den attrahierenden Massen bzw. den
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›inertialen‹ Fliehkräften der Trägheit zu erhalten. Es sind also allerlei Präsuppositionen in der Aufteilung der Bewegungsmomente der Newtonschen Mechanik und Gravitationstheorie enthalten. Manche davon sind keineswegs selbstverständlich oder unproblematisch, wie eben die kontrafaktisch-utopische Trennung von Zeitzahlen und Raumzahlen. Dass Hegels Hinweis auf diese nicht trivialen Unterstellungen wichtig und richtig war, das freilich zeigt sich klarerweise in Einsteins Überlegungen, die zur Relativitätstheorie führen, da sie nämlich gerade mit einer entsprechenden Kritik an der Präsupposition der Unabhängigkeit der von uns gemessenen Raum- und Zeitzahlen beginnen. Daher ist der folgende Satz absolut richtig und wichtig: »Die Notwendigkeit der Teilung ist also hier wohl vorhanden, aber nicht der Teile als solcher füreinander.« (108 | 94)
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Es ist falsch, die mathematischen Momente der Darstellung, etwa die infinitesimalen Längen und Kraftimpulse, ontisch zu hypostasieren. Es gibt diese Pseudo-Dinge nur als Momente unserer mathematischen Modelle der Darstellung. Sie gehören zu den Notwendigkeiten sprachtechnischer Idealisierungen und Schematisierungen, welche in einem Rechnen mit Quantitäten immer irgendwie auftreten. »Darum ist aber auch jene erste selbst nur eine vorgespiegelte, falsche Notwendigkeit; die Bewegung ist nämlich nicht selbst als Einfaches oder als reines Wesen vorgestellt, sondern schon als geteilt; Zeit und Raum sind ihre selbständigen Teile oder Wesen an ihnen selbst, oder Entfernung und Geschwindigkeit Weisen des Seins oder Vorstellens, deren eine wohl ohne die andere sein kann, und die Bewegung daher nur ihre oberflächliche Beziehung, nicht ihr Wesen. Als einfaches Wesen oder als Kraft vorgestellt, ist sie wohl die Schwere, welche aber diese Unterschiede überhaupt nicht in ihr enthält.« (108 | 94)
Hegels Gedankengang zu folgen, ist schon aufgrund der Formulierung schwer. Denn er selbst erkennt, dass man mit der Bewegung als dem realen Einfachen anfangen muss, nicht, wie Newton und Kant, mit einem schon als geklärt unterstellten Begri= des Raumes und der Zeit, als wären die Bewegungen schon
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so aufgeteilt. Der Satz lässt es aber in einer Lesart so erscheinen, als a;rmiere er Kants Meinung, Bewegungen setzten Raum und Zeit als geteilte Dimensionen schon voraus. Das gilt nur für die klassische mathematische Darstellung in einem vier-dimensionalen arithmetischen Raum von cartesischen 4-Tupeln reeller Zahlen mit einer Zeitzahlstelle. In Wirklichkeit spricht Hegel hier aus der Binnenperspektive der klassischen Mechanik, also wie Kant, ohne damit schon diese Auffassung zu teilen. Im Gegenteil. Es werden in der Darstellung schon Probleme der Perspektive wenigstens im Vorbeigehen erwähnt, z. B. das Problem, die realen, sich reproduzierenden Bewegungsformen als bloße Erscheinungen anzusehen und das Wesen ihrer Erklärung als die durch die Massen bestimmten Kräfte in die Körperdinge zu legen, als wäre diese Teilung von Anziehungs- und Fliehkraft, so sinnvoll und notwendig sie aus theoretischen Darstellungsgründen ist, nicht selbst bloß Bestandteil einer generischen Beschreibung sich reproduzierender Bewegungsformen. 154 a
»Der Unterschied also ist in beiden Fällen kein Unterschied an sich selbst, entweder ist das Allgemeine, die Kraft, gleichgültig gegen die Teilung, welche im Gesetze ist, oder die Unterschiede, Teile des Gesetzes, sind es gegeneinander. Der Verstand hat aber den Begri= dieses Unterschiedes an sich, eben darin, daß das Gesetz einesteils das Innre an sich Seiende, aber an ihm zugleich Unterschiedne ist; daß dieser Unterschied hiemit innrer Unterschied sei, ist darin vorhanden, daß das Gesetz einfache Kraft oder als Begri= desselben ist, also ein Unterschied des Begri=es. Aber dieser innre Unterschied fällt nur erst noch in den Verstand und ist noch nicht an der Sache selbst gesetzt. Es ist also nur die eigne Notwendigkeit, was der Verstand ausspricht; einen Unterschied, den er also nur so macht, daß er es zugleich ausdrückt, daß der Unterschied kein Unterschied der Sache selbst sei. Diese Notwendigkeit, die nur im Worte liegt, ist hiemit die Hererzählung der Momente, die den Kreis derselben ausmachen; sie werden zwar unterschieden, ihr Unterschied aber zugleich, kein Unterschied der Sache selbst zu sein, ausgedrückt und daher selbst sogleich wieder aufgehoben; diese Bewegung heißt Erklären.« (108 f. | 94 f.)
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Erklären bedeutet, die theoretischen Momente generischer Darstellungen von Bewegungsformen oder Prozessformen so zusammenzuführen, dass die sich tatsächlich zeigenden Formen als Ergebnis herauskommen. Es ist falsch zu glauben, derartige Erklärungen seien mehr als Darstellungen von generischen Formen. Oft freilich handelt es sich um Besonderungen von allgemeinen Formen für einzelne empirische Anwendungen. Die Kräfte und Gesetze, die man dabei gebraucht und zuvor ›hererzählt‹, werden nur entsprechend zusammengefügt. Dennoch ist diese Form der Zerlegung und Zusammensetzung unserer Darstellungen bzw. Erklärungen höchst wichtig und wirksam, und wenn auch nur aus mnemotechnischen bzw. pädagogischen Gründen des Lernens und Lehrens. Man sollte dann aber die Momente dieser Systeme nicht reifizieren oder hypostasieren. Das heißt, es ist falsch, sie unabhängig von unseren Formen des Darstellens und Erklärens für ›an und für sich‹ existent zu halten. So gehört z. B. das Konzept des ›Inertialsystems‹, der geradlinig-unbeschleunigten Bewegung, das den so genannten Fliehkräften korrespondiert, klarerweise zu einer (zunächst höchst wichtigen) Darstellungsform beschleunigter Bewegungen: Es vermittelt die Beschreibung gekrümmter Bewegungen im Rahmen der Di=erential- und Integralrechnung der analytischen Geometrie und bleibt daher auch noch in der Relativitätstheorie ein notwendiges Moment der Darstellung, jetzt in der ›infinitesimalen‹ Form lokaler Tangentialräume. »Es wird also ein Gesetz ausgesprochen, von diesem wird sein an sich Allgemeines, oder der Grund, als die Kraft unterschieden; aber von diesem Unterschiede wird gesagt, daß er keiner, sondern vielmehr der Grund ganz so bescha=en sei wie das Gesetz.« (109 | 95)
Thema der Überlegung ist weiterhin das Verhältnis zwischen Kausalerklärung und Ursache. Dabei soll einerseits die Ursache in den Dingen liegen. Die Erklärung aber liegt im Verstand und addressiert damit uns. Andererseits aber ist der Inhalt der Ursache und der kausalen Erklärung ganz derselbe. Dasselbe gilt für die dispositionelle Kraft und die gesetzesartige Regel. Im Fall einer Regel sagen wir, dass das und das geschieht, wenn gewisse
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Bedingungen vorliegen. Im Fall einer Kraft sagen wir, dass das und das die Wirkung der Kraft sei. Hegel sieht hier, dass logischontologisch die Ausdrucksform »x ist Ursache der Wirkung y« immer nur erläutert werden kann durch die Ausdrucksform »das Vorkommen von X ist eine kausale Erklärung des Geschehenstyps Y.« Freilich ist dabei eine Partikularisierung des Typs X zum Einzelvorkommen x und des Typs Y zum Einzelgeschehen y involviert. Dazu bedarf es gegebenenfalls einer Verwandlung von x in eine dispositionelle Kraft, die in ein Ding gelegt und damit »an der Sache selbst gesetzt« wird. In jedem Fall aber sind jetzt die Wörter »Ursache«, »Wirkung«, »Grund« und »Kraft« als Momente von Ausdrucksformen oder Kategorien erkannt und werden als solche thematisiert. Alle ihre Ontisierungen sind logisch voraufgeklärt, sozusagen ante-diluvianisch, vorsintflutlich. Ein Problem aber bleibt die mystifizierende Rede von Einzelereignissen bzw. einer Relation des Verursachens. Noch Donald Davidson scheint zu meinen, dass die Aussageform »x verursacht y« eine Beziehung zwischen Ereignistoken ausdrückt, die als solche unabhängig ist von unserem Wissen oder unserer Überzeugung über generische Beziehungen der Form »das Vorkommen der Ereignistyps X erklärt das spätere Vorkommen des Ereignistyps Y e;zienzkausal«. Dabei ist es schon falsch, die Platzhalter in den Forme(l)n als Variablen für schon wohldefinierte Gegenstände in sortalen Gegenstandsbereichen zu lesen. Es ist nämlich ganz und gar unklar, wie ein Ereignistoken oder dann auch ein Ereignistyp allgemein zu individuieren wäre. Was es heißt, über manche Einzelereignisse zu quantifizieren, muss immer lokal und kontextabhängig eigens bestimmt werden. Die Wörter »Ereignis« und »Typ« sind so plastische Titelwörter wie die Wörter »Gegenstand«, »Form« oder auch »Sinn«: Es gibt keinen Gegenstandsbereich aller Gegenstände, Formen oder Inhalte, auch nicht aller Möglichkeiten, über den man sinnvolle Allsätze und Existenzsätze formulieren könnte. Man kann bestenfalls auf Formen mit variablen Anwendungen hinweisen. Mit anderen Worten, Formeln der Art »es gibt ein Ereignistoken e mit der Eigenschaft A« oder
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»es gibt ein Ereignistoken e, das in der Verursachungsrelation zu e∗ steht« sind in ihren Geltungsbedingungen ohne eigens veranstaltete Festlegungen, worüber man zu reden beliebt, gar nicht definiert. Allgemein sind hier keine Gegenstands-, Variablen- oder Quantorenbereiche definierbar. Ereignisse sind keine sortalen Gegenstände. Sie sind es so wenig wie Sinnesdaten. Sie bilden keine Mengen von einzelnen Gegenständen. Sie sind keine so genannten Entitäten, weil für sie kein festes Fürsichsein definiert ist. Übrigens gilt das auch für mögliche Welten, wenn man nicht bloß an rein mathematische Strukturen denkt, die als solche natürlich weder Welten noch Situationen oder Möglichkeiten sind. Es ist daher streng darüber nachzudenken, was sich überhaupt in den Modellen der so genannten indexikalischen Semantik oder möglichen Welten zeigen lässt, über die formale Tatsache hinaus, dass die Reihenfolge von Quantoren und anderen Operatoren immer zu beachten ist. Anders gesagt, es ist in jedem Einzelfall eigens zu bestimmen, worüber man redet (quantifizieren) möchte, etwa wenn man sagt, es gäbe eine mögliche Welt oder eine mögliche Situation, in welcher das und das gilt. Das können Inhalte von Romanen, Mythen und Märchen ebenso sein wie wirkliche Möglichkeiten. Nur, wie sind die Unterschiede bestimmt? Die Formel »es gibt eine mögliche Welt w mit der Eigenschaft A« erweist sich damit außerhalb eines Spielzeugmodells (toy model) für eine rein formale quantifikationelle Modallogik als höchst obskure Aussageform. Das ist so, weil es keine feste Menge oder Klasse von einzelnen Ereignissen oder einzelnen Möglichkeiten gibt. »Die einzelne Begebenheit des Blitzes z. B. wird als Allgemeines aufgefaßt und dies Allgemeine als das Gesetz der Elektrizität ausgesprochen: die Erklärung faßt alsdenn das Gesetz in die Kraft zusammen, als das Wesen des Gesetzes. Diese Kraft ist dann so bescha=en, daß, wenn sie sich äußert, entgegengesetzte Elektrizitäten hervortreten, die wieder ineinander verschwinden, d. h. die Kraft ist gerade so bescha=en wie das Gesetz; es wird gesagt, daß beide gar nicht unterschieden seien. Die Unterschiede sind die reine allgemeine Äußerung oder das Gesetz und die reine Kraft; beide haben aber denselben Inhalt,
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dieselbe Bescha=enheit; der Unterschied als Unterschied des Inhalts, d. h. der Sache, wird also auch wieder zurückgenommen.« (109 | 95)
Wenn es jetzt blitzt, wird der Blitz als elektrische Entladung erklärt und als besonderer Fall unter das Gesetz der elektrischen Ladung und des ›Flusses‹ des elektrischen Stromes gebracht. Die Rede von der Elektrizität als einer Kraft fasst das Gesetz zusammen und setzt in die Dinge eine dispositionelle Ursache, eben die Kraft, die unter bestimmten Bedingungen wirksam werden kann, regelmäßig wirksam wird, in diesem Sinn generisch wirksam werden muss und dann ja auch wirksam wird. Der Unterschied zwischen Kraft und Gesetz, Ursache und Kausalerklärung, wie er in der Reflexion auf die allgemeinen Ausdruckformen natürlich relevant wird, wird dabei in jeder einzelnen Anwendung sozusagen wieder zurückgenommen. 155 a
»In dieser tautologischen Bewegung beharrt, wie sich ergibt, der Verstand bei der ruhigen Einheit seines Gegenstandes, und die Bewegung fällt nur in ihn selbst, nicht in den Gegenstand; sie ist ein Erklären, das nicht nur nichts erklärt, sondern so klar ist, daß es, indem es Anstalten macht, etwas Unterschiedenes von dem schon Gesagten zu sagen, vielmehr nichts sagt, sondern nur dasselbe wiederholt. An der Sache selbst entsteht durch diese Bewegung nichts Neues, sondern sie kommt [nur, PSW] als Bewegung des Verstandes in Betracht.« (109 f. | 95)
Für die Anwendung einer Regel diene uns als allgemeinstes Beispiel das Regelschema des Modus Ponens, also der Übergang zu ›Y‹ im Ausgang von den beiden Prämissen ›X‹ und ›wenn X, dann Y‹. Hegel nennt einen solchen Übergang mit Recht »tautologisch«. Er sagt, dass er eine Angelegenheit des Verstandes ist. In der Welt selbst gibt es keine derartige ›Anwendung‹ eines Gesetzes. Jedes ereigniskausale »wenn A, dann B« oder jede kraftkausale Erklärung »durch die Energie A∗ von A geschieht B« artikuliert solche Übergänge nur in unserem Sprechen und Denken. In der Welt selbst gibt es nur ein ›ruhiges‹ kontinuierliches Geschehen, in dem etwa nach Vorliegen von A regelmäßig B geschieht. In diesem Punkt unterscheidet sich Hegel nicht von Hume.
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»In ihr aber erkennen wir nun eben dasjenige, was an dem Gesetze vermißt wurde, nämlich den absoluten Wechsel selbst; denn diese Bewegung, wenn wir sie näher betrachten, ist unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst. Sie setzt nämlich einen Unterschied, welcher nicht nur für uns kein Unterschied ist, sondern welchen sie selbst als Unterschied aufhebt. Es ist dies derselbe Wechsel, der sich als das Spiel der Kräfte darstellte; es war in ihm der Unterschied des Sollizitierenden und Sollizitierten, der sich äußernden und der in sich zurückgedrängten Kraft; aber es waren Unterschiede, die in Wahrheit keine waren und sich darum auch unmittelbar wieder aufhoben. Es ist nicht nur die bloße Einheit vorhanden, so daß kein Unterschied gesetzt wäre, sondern es ist diese Bewegung, daß allerdings ein Unterschied gemacht, aber, weil er keiner ist, wieder aufgehoben wird. – « (110 | 95)
In der rechnenden Bewegung des Verstandes, der Regelanwendung, liegt die eigentliche Bedeutung des Erklärens von (typischen) Geschehnissen durch Gesetze. Daher sind Gesetze und Kräfte, die bloß durch einen Titel benannt sind, der sagt, was sie erklären sollen, etwa die Kraft des Einschlafens und das Gesetz der Müdigkeit, bloß erst tautologische Erklärungen des Einschlafens bei Müdigkeit. Es gibt hier noch nichts zu rechnen. Es gibt noch keinen inferentiellen Übergang von einer unabhängigen Bestimmung einer Situation, wie sie jetzt vorliegt, zu einer Prognose, was in einiger Zeit oder an anderen Orten (immer, normalerweise oder in einer gewissen Wahrscheinlichkeit) zu erwarten ist. Andererseits gilt: Das Spiel der Kräfte, wie es in der klassischen Mechanik durch die Aufspaltung in die lokalen Gravitationskräfte (proportional zur Masse) und die globalen Inertiallinien (zunächst bezogen auf das Sonnensystem) möglich wird, führt zu Unterscheidungen, die es in Wahrheit, und das heißt hier: als unzerlegte ganze Phänomene bloßer empirischer Beobachtung, so gar nicht gibt. In der Anwendung müssen wir sie entsprechend wieder aufheben, und zwar in einer generischen Beschreibung der sich reproduzierenden oder ballistisch reproduzierbaren Bewegungsbahnen. Die generischen Bewegungsformen selbst sind, um das Beispiel weiter zu diskutieren, selbstverständlich von ihren geometrischen
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Partialbeschreibungen zu unterscheiden. Es ist also keineswegs so, dass sich eine elliptische Bewegung aus unendlichen infinitesimalen Impulsen zusammensetzte, wie sich das sogar schon Kepler vorgestellt hatte. Diese ›Impulse‹ sind bloße Formen der lokalen Beschreibung der Bewegungsform. So oder so ähnlich steht es mit allen vermeintlich e;zienzkausalen ›Erklärungen‹ von sich reproduzierenden Bewegungsformen. Sie sind bloße Anwendungsbeispiele unserer Darstellungsformen und gehören rein in das verständige Rechnen. Mit ihm dringen wir nicht etwa in das Innere der Natur ein, sondern bloß in die Formen unseres verständigen Unterscheidens, Rechnens, Schließens und Konstruierens. Es ist daher eine tiefe Ironie, dass man die Formen unseres mathematischen Verstandes hypostasiert und wie okkulte Kräfte behandelt. Freilich stellen wir in mathematischen Bewegungsmodellen reale Bewegungsformen dar. Eben daher können wir über die sich reproduzierenden Formen zukünftige Zustände im Modell vorausberechnen. Diesen Prozess nennen wir »Erklären«. 155 c
»Mit dem Erklären also ist der Wandel und Wechsel, der vorhin außer dem Innern nur an der Erscheinung war, in das Übersinnliche selbst eingedrungen; unser Bewußtsein ist aber aus dem Innern als Gegenstande auf die andere Seite in den Verstand herübergegangen und hat in ihm den Wechsel.« (110 | 95)
Im Erklären gehen wir von Sätzen zu anderen Sätzen über. Die Regeln dieser Übergänge muss man nach Art eines Rechnens mit Wörtern lernen, so wie man mit Zahlsymbolen richtig zu rechnen lernen muss. Das gilt sogar für die synthetische Geometrie. Diese verlangt die Beherrschung des richtigen Umgangs mit bildlichen Symbolisierungen geometrischer Formen in Konstruktionen, passend zu entsprechenden Konstruktionsbeschreibungen (logoi) oder Kommentierungen. Hinzu kommt die Technik des Rechnens mit proportionslogischen Ausdrücken (logoi). Später entwickelt sich daraus eine Algebraisierung, Arithmetisierung und Axiomatisierung der Geometrie in der analytischen Geometrie des Descartes, der Analysis etwa bei Weierstraß und der Formalisierung bei Hilbert.
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Das Übersinnliche der Formen erweist sich als Teilmoment der Formen des Verstandes, des Umgangs mit Regeln im symbolischen Handeln, besonders mit den Wörtern der Sprechsprache und den Schriftzeichen einer Schreibsprache, zu der auch alle Formelsprachen zählen, von Aristoteles’ Syllogistik (die schon mit Variablen hantiert) bis zu Freges Begri=sschrift. Auch alle Notenschriften oder beschrifteten oder rein ikonischen Diagramme gehören hierher. »Dieser Wechsel ist so noch nicht ein Wechsel der Sache selbst, sondern stellt sich vielmehr eben dadurch als reiner Wechsel dar, daß der Inhalt der Momente des Wechsels derselbe bleibt. Indem aber der Begri= als Begri= des Verstandes dasselbe ist, was das Innre der Dinge, so wird dieser Wechsel als Gesetz des Innern für ihn. Er erfährt also, daß es Gesetz der Erscheinung selbst ist, daß Unterschiede werden, die keine Unterschiede sind, oder daß das Gleichnamige sich von sich selbst abstößt; und eben so, daß die Unterschiede nur solche sind, die in Wahrheit keine sind und sich aufheben; oder daß das Ungleichnamige sich anzieht. – « (110 | 96)
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Theorieinterne Bewegungen sind von wirklichen Prozessen unbedingt zu unterscheiden. Und es ist festzuhalten, dass das theoriebestimmte Begri=liche das ›Innere‹ der Dinge ist und nichts sonst. Ein theorieinterner ›Wechsel‹ der Darstellungsform, was also im Modell folgt, gilt uns als ›Gesetz des Innern‹ und umgekehrt. Derartiges gilt z. B., wenn wir im Magnetismus sagen, dass sich gleichnamige Pole abstoßen und sich ungleichnamige anziehen. Das gehört zur begri=lichen Form der Darstellung des Magnetismus: »Ein zweites Gesetz, dessen Inhalt demjenigen, was vorher Gesetz genannt wurde, nämlich dem beständigen sich gleichbleibenden Unterschiede entgegengesetzt ist; denn dies Neue drückt vielmehr das Ungleichwerden des Gleichen und das Gleichwerden des Ungleichen aus. Der Begri= mutet der Gedankenlosigkeit zu, beide Gesetze zusammenzubringen und ihrer Entgegensetzung bewußt zu werden, – Gesetz ist das zweite freilich auch oder ein inneres sichselbstgleiches Sein, aber eine Sichselbstgleichheit vielmehr der
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Ungleichheit, eine Beständigkeit der Unbeständigkeit. – An dem Spiele der Kräfte ergab sich dieses Gesetz als eben dieses absolute Übergehen und als reiner Wechsel; das Gleichnamige, die Kraft, zersetzt sich in einen Gegensatz, der zunächst als ein selbständiger Unterschied erscheint, aber welcher sich in der Tat keiner zu sein erweist; denn es ist das Gleichnamige, was sich von sich selbst abstößt, und dies Abgestoßene zieht sich daher wesentlich an, denn es ist dasselbe; der gemachte Unterschied, da er keiner ist, hebt sich also wieder auf. Er stellt sich hiemit als Unterschied der Sache selbst oder als absoluter Unterschied dar, und dieser Unterschied der Sache ist also nichts anders als das Gleichnamige, das sich von sich abgestoßen hat und daher nur einen Gegensatz setzt, der keiner ist.« (110 f. | 96)
Gleichnamige Magnetpole stoßen sich ab. Den Polen aber ist es gleich, wie sie benannt werden. Es bedarf daher einer geeigneten Zuordnung der Namen, etwa »Pluspol« und »Minuspol«. So wie das Rechtsfahren zwar rein konventionell ist, es aber wichtig ist, dass alle rechts fahren, so ist die Entscheidung, ob der Nordpol der Erde zum Pluspol wird oder der Südpol rein willkürlich. Wenn das aber gesetzt ist, dann ist auch noch weiteres mitgesetzt. Es geht hier also um die (projektiven) Anwendungen theoretischer Unterscheidungen und Äquivalenzen auf die reale, erfahrbare, Welt der Erscheinungen. Es folgt eine Art metaphorische Volte. Denn in unseren Theorien kommen immer auch Wörter vor, die zugleich theoretische Entitäten nennen und ein gleichnamiges reales Pendant haben. Man denke an die ideale Form des Kreises und an eine reale Kreisgestalt. Oder man denke an den Idealbegri= der Arbeit als Kraft mal Weg und die reale Bewegung. Wie verhalten sich dann aber die theorieinternen Dinge zu den realen? Sie stoßen sich ab. Das ist eine Allegorie für die Anwendung idealer Rede auf reale Verhältnisse. Dabei wissen wir immer schon, dass die Einzeldinge sich von den Idealtypen, wie die Theorie sie nun nennt, immer auch unterscheiden und dennoch unter sie subsumiert werden (müssen). Die ›Abstoßung‹ der theoretischen oder ideal-
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typischen Fälle von den realen hebt sich also immer auch wieder auf. Man darf sich dadurch nicht verwirren lassen, so wenig wie dadurch, dass kein Einzelwesen ›alle‹ Eigenschaften eines Idealtypus hat. »Durch dies Prinzip wird das erste Übersinnliche, das ruhige Reich der Gesetze, das unmittelbare Abbild der wahrgenommenen Welt in sein Gegenteil umgekehrt; das Gesetz war überhaupt das sich Gleichbleibende, wie seine Unterschiede; itzt aber ist gesetzt, daß beides vielmehr das Gegenteil seiner selbst ist; das sich Gleiche stößt sich vielmehr von sich ab, und das sich Ungleiche setzt sich vielmehr als das sich Gleiche. In der Tat ist nur mit dieser Bestimmung der Unterschied der innre oder Unterschied an sich selbst, indem das Gleiche sich ungleich, das Ungleiche sich gleich ist. – Diese zweite übersinnliche Welt ist auf diese Weise die verkehrte Welt, und zwar, indem eine Seite schon an der ersten übersinnlichen Welt vorhanden ist, die verkehrte dieser ersten. Das Innere ist damit als Erscheinung vollendet. Denn die erste übersinnliche Welt war nur die unmittelbare Erhebung der wahrgenommenen Welt in das allgemeine Element; sie hatte ihr notwendiges Gegenbild an dieser, welche noch für sich das Prinzip des Wechsels und der Veränderung behielt; das erste Reich der Gesetze entbehrte dessen, erhält es aber als verkehrte Welt.« (111 | 96 f.)
Die ›verkehrte Welt‹ ist die Welt der Idealtypen und idealen Erklärungen. Es ist die übersinnliche Welt unserer Theorien oder begri=lichen Darstellungsformen. Sie ist ›verkehrt‹, weil sie das Einzelne in seiner Zeitlichkeit und Einzigkeit durch das Allgemeine und Überzeitliche ersetzt. Dieses gilt jetzt als das einzig Wahre. Die Wirklichkeit wird zum Ewigen, Übersinnlichen, Theoretischen – und wird dem Zeitlichen, Endlichen, Sinnlichen, Empirischen, den bloßen Erscheinungen entgegengesetzt. In dieser Entgegensetzung des theoretisch Wirklichen gegen den bloßen Schein der Erscheinung werden die Phänomene, die es doch eigentlich zu erklären gilt, zu einem bloßen Schein herabgesetzt. Wie aber ist diese Grammatik des »die Theorie X erklärt, was das Phänomen Y in Wirklichkeit ist« selbst wirklich, und das heißt o=enbar: vernünftig zu verstehen? Mit welcher Au-
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torität kann der Vertreter einer Theorie behaupten, nicht bloß eine Beschreibung der Phänomene, sondern eine kausal erklärende Darstellung der wirklichen Welt hinter den Phänomenen zu kennen oder vorzutragen? Wie verhält sich das theoretisch Allgemeine überhaupt zum ›bloß Einzelnen‹ der empirischen Erscheinungen? Mit der Ausdrucksform »in Wirklichkeit passiert X, was bloß scheinbar als Y erscheint« (man denke etwa an die Erddrehung) verkehrt sich jedenfalls das Verhältnis der Realität der empirischen Phänomene und ihrer ›wirklichen‹ Erklärung in den Theorien. Diese ›Verkehrung‹ von Realität und Wirklichkeit ist nicht einfach ein ›Fehler‹. Es ist die Form unserer Erklärungen. Ihr zufolge werden die realen Phänomene durch die idealen Theorien erklärt. Das Reale wird zum Schein. Das Ideale wird zur Wirklichkeit. Das Allgemeine ist immer ideale Form. Damit erklären wir das Einzelne immer durch das Ideale. Dabei setzen wir einer bloß perspektivisch, empirisch und historisch gegebenen Realität eine generische Wirklichkeit oder sich in ihren Formen reproduzierende Objektivität gegenüber. Das ist die Wahrheit des objektiven Idealismus. Hegels Titel ist daher gerade nicht als dogmatisches Bekenntnis zu einem glaubensphilosophischen System zu lesen, sondern als Kommentar zur eidetischen, formentheoretischen, Form wissenschaftlicher Erklärungen und damit von Wissenschaft und Wissen. Es ergibt sich ganz o=enbar eine implizite Ehrenrettung der Ideenlehre Platons, wie sie später der Neukantianer Paul Natorp in seinem schönen Buch Platons Ideenlehre durchführen wird. Damit wird noch einmal klar, dass der Denkweg von Kant über Aristoteles zurück zu Platon führt, und das nicht nur bei Hegel. Im absoluten Idealismus der Philosophie wird dann gerade das Absolute unserer Vollzugsformen erkannt. Da sie Vollzugsformen sind, hat das durchaus auch Folgen für unser wissenschaftliches Erklären und unsere faktischen Bewertungen gewisser Sätze und Aussagen als wahr – passend zu den ebenfalls von uns selbst festgelegten Erfüllungsbedingungen. Das »wir« und »uns« in
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den letzten Sätzen ist dann allerdings generisch zu verstehen, also nicht mit dem ggf. auch bloß zufälligen Konsens einer zumeist beschränkten Wir-Gruppe zu verwechseln. Die Glaubensphilosophie des Szientismus hypostasiert Entitäten, Gesetze und Kräfte der Theorien der Wissenschaften ontischmetaphysisch und bewertet die o=enkundigen Konventionen und Konstruktionen und die historische Entwicklung wissenschaftlicher Erklärungen, auch das Ideale und Formale in ihnen nicht in angemessener Weise. Der Fehler liegt schon darin, die Phänomene als bloße Epiphänomene, als bloßen Schein aufzufassen. Man sagt zwar trotzdem noch, dass man ›empirisch‹ forsche. Doch das generisch Allgemeine der Theorie entsteht durch Setzungen und in Debatten über die besten Setzungen oder Kanonisierungen von durch Sprache vermittelten Normalfallinferenzen, die entsprechenden Unterscheidungen zugeordnet werden. Das geschieht mit dem Ziel einer guten Darstellung sich wiederholender Erscheinungen oder tätig wiederholbarer Handlungen – unter Einschluss von deren Zwecken. Daher liefern die Erscheinungen selbst allererst die Begründungen dafür, dass wir die Theorie in Erklärungen der Erscheinungen benutzen können oder dürfen. Andererseits ist es nicht eine einzelne Empirie, nie bloß reine Statistik, die hier ausschlaggebend sein kann, sondern immer nur eine in geschichtlicher Erfahrung bewährte und damit abgesicherte Theorie in einer logikgestützten Phänomenologie. Das Kernproblem ist schon genannt worden: Es gibt keine induktive Logik, die uns von wahrgenommenen relativen Häufigkeiten unmittelbar auch nur zu vernünftigen Wahrscheinlichkeiten oder probabilistischen Erwartungen führen könnte, geschweige denn zu generischen Gesetzen. Der Glaube an eine schematische induktive Logik ist der empiristische Aberglaube im modernen Wissenschaftsverständnis, der sich durchaus auch noch in den Arbeiten des späten Carnap wiederfindet. Poppers Kritik ist hier absolut einschlägig. Es gibt nur die guten Erfahrungen, die wir historisch im Umgang mit unserem überkommenen sprachlichen System der
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begri=lichen Normalfallunterscheidungen und Normalfalldifferenzen machen und wie wir dieses System in der eigenen Institution Wissenschaft sowohl präzisieren als auch extensiv weiterentwickeln. Wissenschaft ist dabei als theoretische Arbeit am Begri=ssystem aufzufassen. Sie geht dabei keineswegs rein empirisch vor. Sammlungen empirischer Daten, also Statistik und narrative Historie, gehören teils bloß zu einer Protowissenschaft, teils zur Anwendung des generischen Wissens in konstatierenden Informationshandlungen. Keine echte und volle scientia ist daher rein empirische Wissenschaft, historia, so wie etwa auch die Physik nie bloß reine Experimentalphysik sein kann. Theorien werden allerdings experimentell-empirisch kontrolliert, bestätigt und widerlegt, letzteres aber nur dann, wenn wir bessere Theorien haben, die bessere Erklärungen liefern. Die weiteren Suchbewegungen entscheiden dabei noch gar nichts und die bloße Behauptung, es gäbe bessere Theorien, auch nicht. Dass unsere Theorien robust sind, sich also nicht durch einzelne empirische Gegenbeispiele widerlegen lassen, sondern viele Abweichungen aushalten, liegt dann daran, dass wir sie immer unter dem Vorbehalt des Generischen anwenden. Dazu beurteilen wir so erst die Besonderheiten des Einzelfalles, die Abweichungen vom paradigmatischen Ideal etwa oder zufällige Privationen, bevor wir die ceteris-paribus-Regeln des Allgemeinen der kanonischen Theorien in Anschlag bringen. Das geschieht zumeist im endlichen Rahmen der Suche nach der bestmöglichen Erklärung, wobei der Bereich die verfügbaren Erklärungen sind und nicht die utopischen einer di=usen Zukunft. Allerdings kann es sich dann immer auch ergeben, dass gewisse lokale oder globale Theorienrevisionen nötig sind. Viele derartige Revisionen geschehen übrigens schleichend, gerade so, wie sich eben Begri=e entwickeln. Dennoch muss uns dabei eine gute Revision erst einmal einfallen. Und sie muss durch Vorarbeiten von Mathematikern als technisch möglich aufgewiesen sein. So hat z. B. die durch Gauß möglich gewordene Riemannsche Geometrie
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und Tensoranalysis die Allgemeine Relativitätstheorie allererst möglich gemacht.65 »Nach dem Gesetze dieser verkehrten Welt ist also das Gleichnamige der ersten das Ungleiche seiner selbst, und das Ungleiche derselben ist ebenso ihm selbst ungleich, oder es wird sich gleich. An bestimmten Momenten wird dies sich so ergeben, daß, was im Gesetze der ersten süß, in diesem verkehrten Ansich sauer, was in jenem schwarz, in diesem weiß ist. Was im Gesetze der ersteren am Magnete Nordpol, ist in seinem andern übersinnlichen Ansich (in der Erde nämlich) Südpol; was aber dort Südpol, ist hier Nordpol. Ebenso was im ersten Gesetze der Elektrizität Sauersto=pol ist, wird in seinem andern übersinnlichen Wesen Wassersto=pol; und umgekehrt, was dort der Wassersto=pol ist, wird hier der Sauersto=pol.« (111 f. | 97)
Hegels Ausführungen und Beispiele sind hier zunächst obskur und seine Gedankenwege kaum unmittelbar nachzuvollziehen. Was soll zum Beispiel in einer Betrachtung süß, im verkehrten Ansich aber sauer sein? Wir müssen uns daran erinnern, dass es hier immer noch um die Logik unseres Umgangs mit kategorialen Wörtern wie »an sich«, »wirklich« und »eigentlich« in Aussageformen geht, die im Kontrast stehen zu Aussagen, in denen die Wörter »scheinbar«, »angeblich« oder auch nur »anscheinend« vorkommen. Die erste Beobachtung ist, dass die kategorialen Wörter »an sich«, »wirklich« und »eigentlich« als solche partielle Verneinungen sind. Das wird sich im Fortgang der Überlegung bestätigen: Wenn ich etwas bloß an sich oder eigentlich beabsichtige, tue ich es gerade nicht und habe daher gerade nicht die Absicht, es zu tun. Wenn etwas bloß an sich süß ist, ist es realiter oder eigentlich doch sauer – was immer das heißen mag. Wenn etwas bloß an sich Recht ist, kann es eigentlich oder realiter Unrecht sein. Es geht Hegel hier o=enbar darum, dass wir formal jeder gegebenen Erklärung eine vermeintlich bessere oder richtigere geNeben dem größten Physiker des 20. Jahrhunderts, Albert Einstein, hat entsprechend auch ihr größter Mathematiker, David Hilbert, Wesentliches zur Ermöglichung der Allgemeinen Relativitätstheorie beigetragen. 65
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genüberstellen können. Wir können, heißt das, jede Erklärung zu einem bloßen Schein erklären. Es ist nach dieser Lesart also nur eine leicht überzogene Ironie, wenn Hegel davon redet, dass, was nach dem Gesetze des phänomenalen Geschmacks süß schmeckt, ›eigentlich‹ sauer sei. Es bleiben die Dinge aber durchaus etwas unklar. Schwarz und weiß vertauschen sich immerhin beim Positiv und Negativ eines Fotos oder in einem Scherenschnitt. Wie die Magnetpole der Erde sich zu den Polen eines Ferromagneten verhalten, ist zwar klar. Etwas obskur ist aber, wie Hegel von Nordund Südpolen im verkehrten Ansich zu sprechen gedenkt. Er will wohl sagen, dass die Magnetnadel, die nach Norden zeigt, gleichpolig mit dem Südpol ist. Irgendwie ähnlich wird es sich auch bei dem ebenfalls unklaren Beispiel des Sauersto=- und Wassersto=pols verhalten. 158 b
»In einer andern Sphäre ist nach dem unmittelbaren Gesetze Rache an dem Feinde die höchste Befriedigung der verletzten Individualität. Dieses Gesetz aber, dem, der mich nicht als Selbstwesen behandelt, mich als Wesen gegen ihn zu zeigen und ihn vielmehr als Wesen aufzuheben, verkehrt sich durch das Prinzip der andern Welt in das entgegengesetzte, die Wiederherstellung meiner als des Wesens durch das Aufheben des fremden Wesens in Selbstzerstörung. Wenn nun diese Verkehrung, welche in der Strafe des Verbrechens dargestellt wird, zum Gesetze gemacht ist, so ist auch sie wieder nur das Gesetz der einen Welt, welche eine verkehrte übersinnliche Welt sich gegenüberstehen hat, in welcher das, was in jener verachtet ist, zu Ehren, was in jener in Ehren steht, in Verachtung kommt. Die nach dem Gesetze der ersten den Menschen schändende und vertilgende Strafe verwandelt sich in ihrer verkehrten Welt in die sein Wesen erhaltende und ihn zu Ehren bringende Begnadigung.« (111 | 97)
Die Verwandlung von Rache in Recht und von Strafe in Anerkennung wird als ganz anderes Beispiel des Kontrasts zwischen »wirklich« und »scheinbar« eingeführt, samt der Verwirrungen, die hier dauernd entstehen: In einem rechtlosen Zustand scheint die Blutrache das höchste Recht und die höchste Befriedigung der verletzten Individualität (etwa nach einem Mord an einem
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Familienmitglied) zu sein. Im rechtlichen Zustand aber ist Rache, gerade auch die Institution der Blutrache, eine der wichtigsten Verbrechen, die es zu bekämpfen gilt, und zwar weil sie zwar im vorrechtlichen Zustand aufgrund ihrer Abschreckungswirkung durchaus dem Frieden und der Sicherheit gedient hatte, diese jetzt aber zugleich aufs Höchste gefährdet – und zwar bis hin zur gegenseitigen Selbstzerstörung der Familien und Clans. Im rechtlichen Zustand wird Rache durch Strafe ersetzt. Das Recht aber wird zum Gesetz gemacht und durch den Staat, also nicht die Familien selbst, durchgesetzt.66 Der Welt des Gesetzes steht dann eine verkehrte Welt gegenüber, in welcher sich Achtung und Anerkennung auf merkund denkwürdige Weise vertauschen. In der einen Betrachtung schändet Strafe und vertilgt die Todesstrafe den Verbrecher – mit Recht, wie die dadurch gerächte Familie sagen würde. In der anderen Betrachtung aber wird gerade mit der Strafe in gewissem Sinn die Schuld getilgt und die Person als Person wieder als Teil der Gesellschaft anerkannt – egal ob als hingerichtete Person oder nach Verbüßung der Strafe als noch lebende Person. Man denke dann aber auch an Rechtsfälle, in denen die Verfahren in einem gewissen Maß einem positiv anerkannten Gesetz gemäß und damit an sich legal waren, wie z. B. bei den Verschwörern des 20. Juli 1944 und zuvor etwa auch schon bei Sokrates, Jesus oder Jeanne d’Arc: Wir werden die Urteile für ungerecht halten und die Personen in ihren ethisch ehrenhaften Handlungen und Gründen anerkennen, was immer auch Kritiker sagen, welche etwa die Motive eines Sokrates, Jesus oder Jeanne d’Arc infrage stellen. Es geht hier also immer auch um die Aussageform, dass etwas, das zwar so und so genannt wird, eigentlich das Gegenteil dessen ist, wie es genannt wird. Das Problem dieser Aussageform lässt sich an dem bekannten Spruch erläutern: »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zu Pflicht«. Denn es kann (ho=entlich bloß ausnahmsweise und nicht regelmäßig wie in Nazideutschland) geschehen, dass positives Recht wirklich als Unrecht erkennbar ist und bekämpft werden muss. Der Spruch aber steht in der Gefahr, zu viel zu legitimieren und die Begri=e des Rechts und des Unrechts, des Rechtsbruchs und des Widerstands, der Pflicht und des Verbots zu verkehren. 66
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Ungesühnte Schuld verhindert eine solche Anerkennung, aber auch die Verwandlung von Tätern in geisteskranke Patienten, vor denen man sich bloß wie vor wilden Tieren schützt. Die Bedeutung dieser Tatsachen sollte eigentlich klar sein. Hegel wird im Geistkapitel auf diese Dinge zurückkommen – womit wir die Verschränkung der bloß scheinbar weit voneinander entfernt liegenden Überlegungen zur Physik und zur Ethik schon hier sehen können. 159
»Oberflächlich angesehen ist diese verkehrte Welt so das Gegenteil der ersten, daß sie dieselbe außer ihr hat und jene erste als eine verkehrte Wirklichkeit von sich abstößt, daß die eine die Erscheinung, die andere aber das Ansich, die eine sie ist, wie sie für ein anderes, die andere dagegen, wie sie für sich ist; so daß, um die vorigen Beispiele zu gebrauchen, was süß schmeckt, eigentlich oder innerlich am Dinge sauer, oder was am wirklichen Magnete der Erscheinung Nordpol ist, am innern oder wesentlichen Sein Südpol wäre; was an der erscheinenden Elektrizität als Sauersto=pol sich darstellt, an der nichterscheinenden Wassersto=pol wäre. Oder eine Handlung, die in der Erscheinung Verbrechen ist, sollte im Innern eigentlich gut sein (eine schlechte Handlung eine gute Absicht haben) können, die Strafe nur in der Erscheinung Strafe, an sich oder in einer andern Welt aber Wohltat für den Verbrecher sein. Allein solche Gegensätze von Innerem und Äußerem, von Erscheinung und Übersinnlichem, als von zweierlei Wirklichkeiten, sind hier nicht mehr vorhanden. Die abgestoßenen Unterschiede verteilen sich nicht von neuem an zwei solche Substanzen, welche sie trügen und ihnen ein getrenntes Bestehen verliehen, wodurch der Verstand aus dem Innern heraus wieder auf seine vorige Stelle zurückfiele. Die eine Seite oder Substanz wäre wieder die Welt der Wahrnehmung, worin das eine der beiden Gesetze sein Wesen triebe, und ihr gegenüber eine innere Welt, gerade eine solche sinnliche Welt wie die erste, aber in der Vorstellung, sie könnte nicht als sinnliche Welt aufgezeigt, nicht gesehen, gehört, geschmeckt werden, und doch würde sie vorgestellt als eine solche sinnliche Welt. Aber in der Tat, wenn das eine Gesetzte ein Wahrgenommenes ist und sein Ansich, als das Verkehrte desselben, ebenso ein sinnlich
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Vorgestelltes, so ist das Saure, was das Ansich des süßen Dinges wäre, ein so wirkliches Ding wie es, ein saures Ding ; das Schwarze, welches das Ansich des Weißen wäre, ist das wirkliche Schwarze; der Nordpol, welcher das Ansich des Südpols ist, ist der an demselben Magnete vorhandne Nordpol; der Sauersto=pol, der das Ansich des Wassersto=pols ist, der vorhandene Sauersto=pol derselben Säule. Das wirkliche Verbrechen aber hat seine Verkehrung und sein Ansich als Möglichkeit in der Absicht als solcher, aber nicht in einer guten; denn die Wahrheit der Absicht ist nur die Tat selbst [sic!, PSW]. Das Verbrechen seinem Inhalte nach aber hat seine Reflexion-in-sich oder seine Verkehrung an der wirklichen Strafe; diese ist die Aussöhnung des Gesetzes mit der ihm im Verbrechen entgegengesetzten Wirklichkeit. Die wirkliche Strafe endlich hat so ihre verkehrte Wirklichkeit an ihr, daß sie eine solche Verwirklichung des Gesetzes ist, wodurch die Tätigkeit, die es als Strafe hat, sich selbst aufhebt, es aus tätigem wieder ruhiges und geltendes Gesetz wird und die Bewegung der Individualität gegen es und seiner gegen sie erloschen ist.« (111–114 | 97 f.)
Es geht hier weiterhin um Beispiele des Umgangs mit der logischen Ausdrucksform »an sich ist das X ein Y, also kein X«. Thema sind dabei die Verkehrungen der Welt durch den Wechsel von der Realität der Erscheinungen in deren Erklärung durch eine Wirklichkeit, die sagt, wie sich die Sachen an sich oder wirklich verhalten. Die Wirklichkeit ist ja (an sich) oft anders, als sie uns erscheint oder zu sein scheint. Damit geht es also auch um logische Formen wie »X ist in Wirklichkeit Y und erscheint uns bloß als X« o. ä. Thematisiert wird damit auch, was passiert, wenn ›Betrachterperspektive‹ oder ›begri=licher Rahmen‹ wechseln. Der Wechsel aus der Perspektive einer Theorie in eine Phänomenologie der Erscheinungen oder der umgekehrte Wechsel sind dafür Beispiele. Bei einem solchen Rahmenwechsel kann es in der Tat geschehen, dass, was süß zu schmecken scheint, ›in Wirklichkeit‹ oder ›an sich‹ nicht doch vielleicht (etwa nach einem Lackmustest) als »sauer« zu werten wäre, oder etwas, was Recht zu sein scheint, in Wahrheit doch bloß Rache ist, oder was dem Verbrecher zu schaden scheint, die Strafe, ihm als Person oder seiner Seele in
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Wirklichkeit heilsam ist, wobei der Hinweis auf die andere Welt des Jüngsten Gerichts ironisch ist. Oft sagt einer, er habe in Wirklichkeit oder Wahrheit das Gute beabsichtigt, aber leider aus kontingenten Gründen das Schlechte getan. Allerdings ist die Wahrheit der Absicht immer nur die Tat. Zu dieser zählen dann aber deren unvorhersehbare Folgen nicht. In einem Streit darüber, was die wahre Absicht ist oder war, zählen weder nur die Versicherungen des Akteurs noch nur die Zuschreibungen von anderen Personen. Wie die Balance der Binnen- und Fremdzuschreibungen zu erreichen ist, ist o=en und wird später zum Thema.
18.5 Innere Widersprüche und ihre Aufhebung im Urteil 160
»Aus der Vorstellung also der Verkehrung, die das Wesen der einen Seite der übersinnlichen Welt ausmacht, ist die sinnliche Vorstellung von der Befestigung der Unterschiede in einem verschiedenen Elemente des Bestehens zu entfernen, und dieser absolute Begri= des Unterschiedes als innrer Unterschied, Abstoßen des Gleichnamigen als Gleichnamigen von sich selbst und Gleichsein des Ungleichen als Ungleichen rein darzustellen und aufzufassen. Es ist der reine Wechsel oder die Entgegensetzung in sich selbst, der Widerspruch zu denken. Denn in dem Unterschiede, der ein innerer ist, ist das Entgegengesetzte nicht nur eines von zweien – sonst wäre es ein Seiendes und nicht ein Entgegengesetztes –, sondern es ist das Entgegengesetzte eines Entgegengesetzten, oder das andere ist in ihm unmittelbar selbst vorhanden. Ich stelle wohl das Gegenteil hierher und dorthin das andere, wovon es das Gegenteil ist; also das Gegenteil auf eine Seite, an und für sich ohne das andere. Ebendarum aber, indem ich hier das Gegenteil an und für sich habe, ist es das Gegenteil seiner selbst, oder es hat in der Tat das andere unmittelbar an ihm selbst. – So hat die übersinnliche Welt, welche die verkehrte ist, über die andere zugleich übergegri=en und sie an sich selbst; sie ist für sich die verkehrte, d. h.
114 | 98 f.
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die verkehrte ihrer selbst; sie ist sie selbst und ihre entgegengesetzte in Einer Einheit. Nur so ist sie der Unterschied als innrer oder Unterschied an sich selbst oder ist als Unendlichkeit.« (114 | 98 f.)
Theoretische Entgegensetzungen wie Polaritäten sind immer nur relational zu verstehen, also so, dass der eine Pol nur in Bezug auf den anderen bestimmt ist, nicht anders als die Gleichheit als Negation der Ungleichheit, die Wahrheit als Negation der Falschheit usf. Es gibt nichts Wahres außerhalb dieses Kontrastes. Und es gibt keinen Plus-Pol außerhalb der Entgegensetzung zu einem Minus-Pol. Ein Pol ist »Eins von Zweien«, so wie die Wahrheit oder die Gleichheit. Das Wahre ist immer nur Ausschluss relevanter Falschheiten. Das Gleiche ist immer nur Ausschluss relevanter Ungleichheiten. Unterscheidbar ist dann aber sozusagen ›alles‹. Es ist daher trivial, dass es ›unendliche‹ Unterscheidbarkeiten gibt. Daher ist das gedankenlose Lehren von Unterschieden an sich keine sehr gute Idee. Andererseits müssen wir mit den Unendlichkeiten möglicher Unterscheidungen und möglicher Wechsel der Perspektiven immer auch zurechtkommen. Außerdem müssen wir verstehen lernen, dass jemand immer sagen kann, eigentlich sei die schlechte Absicht gut gewesen oder die gute Tat sei eigentlich oder in Wirklichkeit schlecht gewesen usf. Damit ist aber die Richtigkeit der Aussage noch nicht bewertet, noch nicht einmal ihr Sinn verstanden. Es handelt sich um ›gegenteilige‹ Erklärungen eines Phänomens. Diese Reflexion auf die wesentliche, wirkliche oder eigentliche ›Richtigkeit‹ eines Urteils, eines Schlusses oder einer Erklärung kann (potentiell) zu unendlichen Stufen führen, also zu Metakommentaren von Kommentaren und Urteilen. Hegel beginnt hier mit der Überleitung zum Selbstbewusstsein. Das geschieht gerade durch den Hinweis darauf, dass es eine unendliche reflexionslogische Stufenfolge geben kann, zu welcher die Unterscheidung zwischen dem, was an sich wirklich ist, und dem, was so zu sein scheint, weiter beurteilt wird. Es muss ja dann auch das Wissen, wie etwas an sich oder in Wirklichkeit ist, wieder beurteilt werden. Es könnte ja bloß so
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scheinen, als sei das und das das Wirkliche und das und das bloßer Schein. Außerdem führt uns die Überlegung auf den Vollzug des Urteilens und auf Selbstkommentare und Selbstkontrollen der Formen »wir über uns« und »ich über mich«. Auch hier gibt es unendliche Stufen der Reflexion. Es sind das schon die Stufen des Selbstbewusstseins, des kontollierten Wissens über das Wissen. 161
»Durch die Unendlichkeit sehen wir das Gesetz zur Notwendigkeit an ihm selbst vollendet und alle Momente der Erscheinung in das Innre aufgenommen. Das Einfache des Gesetzes ist die Unendlichkeit, heißt nach dem, was sich ergeben hat, α) es ist ein Sichselbstgleiches, welches aber der Unterschied an sich ist; oder es ist Gleichnamiges, welches sich von sich selbst abstößt oder sich entzweit. Dasjenige, was die einfache Kraft genannt wurde, verdoppelt sich selbst und ist durch ihre Unendlichkeit das Gesetz. β) Das Entzweite, welches die in dem Gesetze vorgestellten Teile ausmacht, stellt sich als Bestehendes dar; und sie ohne den Begri= des innern Unterschiedes betrachtet, ist der Raum und die Zeit oder die Entfernung und die Geschwindigkeit, welche als Momente der Schwere auftreten, sowohl gleichgültig und ohne Notwendigkeit für einander als für die Schwere selbst, so wie diese einfache Schwere gegen sie oder die einfache Elektrizität gegen das Positive und Negative ist. γ) Durch den Begri= des innern Unterschiedes aber ist dies Ungleiche und Gleichgültige, Raum und Zeit usf. ein Unterschied, welcher kein Unterschied ist oder nur ein Unterschied des Gleichnamigen, und sein Wesen die Einheit; sie sind als Positives und Negatives gegeneinander begeistet, und ihr Sein ist dieses vielmehr, sich als Nichtsein zu setzen und in der Einheit aufzuheben. Es bestehen beide Unterschiedne, sie sind an sich, sie sind an sich als Entgegengesetzte, d. h. das Entgegengesetzte ihrer selbst, sie haben ihr Anderes an ihnen und sind nur Eine Einheit.« (114 f. | 99)
Die Unendlichkeit sowohl der Unterscheidbarkeiten als auch der Metakommentare, wie etwas eigentlich oder wirklich zu verstehen oder zu erklären sei, sorgt dafür, dass wir in einer idealen Betrachtung ›alle Momente der Erscheinung‹ in das ›Innere‹ der Dinge aufnehmen. Wir sagen etwa, dass sich die Sonne bloß
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scheinbar um die Erde dreht und dass die eudoxisch-ptolemäische Epizyklentheorie bloß scheinbar die Planetenbewegungen erklärt. Die wirkliche Darstellung und Erklärung der Erscheinungen und der Ursache des Scheins lieferten erst Kepler und Newton. Auf der idealen Ebene reden wir so, als wären beliebige zusätzliche Unterscheidungen und theoretische Erklärungen, Gesetze und Kräfte ›möglich‹ – obwohl das faktisch keineswegs der Fall ist. Denn realiter sind alle unsere Unterscheidungen und theoretischen Modelle immer hochgradig endlich und – schematisch. Wie dem aber auch sei, durch den Gedanken der Theorienentwicklung können wir, wie es scheint, alle Wirklichkeit in das Innere der Dinge oder Natur versetzen und alle Phänomene als bloße ›Oberfläche‹ ansehen. Die Wirklichkeit wird zur Welt innerer Kräfte, die als solche nur dem ›rechnenden‹ Verstand zugänglich sind, nämlich als Gesetze in den Theorien. Man sagt dann, dass, selbst wenn die heutigen Gesetze der Mechanik, des Elektromagnetismus, der Chemie oder Biologie noch nicht wahr sind, unsere heutigen Unterscheidungen eben verfeinert werden müssen. Es seien dennoch irgendwelche derartige Gesetze notwendig und ausreichend, um alles in der Welt zu erklären. Es ist aber klar, dass das leere Tautologien sind. Gerade auch die Gesetze der Mechanik binden die Unterscheidungen von Bewegungsformen so wieder zusammen, dass nach Möglichkeit die beobachtbaren beschleunigten relativen Bewegungsformen aus den Massen und den Anfangsgeschwindigkeiten errechenbar werden. Alle Unterschiede und Identifikationen sind relativ zu diesem Plan einer holistischen Darstellung von sich reproduzierenden oder, wie in der Ballistik, reproduzierbaren Bewegungsformen. »Diese einfache Unendlichkeit oder der absolute Begri= ist das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen, welches allgegenwärtig durch keinen Unterschied getrübt noch unterbrochen wird, das vielmehr selbst alle Unterschiede ist, so wie ihr Aufgehobensein, also in sich pulsiert, ohne sich zu bewegen, in sich erzittert, ohne unruhig zu sein. Sie ist sichselbstgleich, denn
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die Unterschiede sind tautologisch; es sind Unterschiede, die keine sind. Dieses sichselbstgleiche Wesen bezieht sich daher nur auf sich selbst; auf sich selbst: so ist dies ein anderes, worauf die Beziehung geht, und das Beziehen auf sich selbst ist vielmehr das Entzweien, oder eben jene Sichselbstgleichheit ist innerer Unterschied. Diese Entzweiten sind somit an und für sich selbst, jedes ein Gegenteil – eines andern; so ist darin schon das Andere mit ihm zugleich ausgesprochen. Oder es ist nicht das Gegenteil eines andern, sondern nur das reine Gegenteil, so ist es also an ihm selbst das Gegenteil seiner. Oder es ist überhaupt nicht ein Gegenteil, sondern rein für sich, ein reines sich selbst gleiches Wesen, das keinen Unterschied an ihm hat: so brauchen wir nicht zu fragen, noch weniger das Gequäle mit solcher Frage für die Philosophie anzusehen oder gar sie ihr für unbeantwortlich halten, – wie aus diesem reinen Wesen, wie aus ihm heraus der Unterschied oder das Anderssein komme; denn es ist schon die Entzweiung geschehen, der Unterschied ist aus dem sich selbst Gleichen ausgeschlossen und ihm zur Seite gestellt worden; was das sich selbst Gleiche sein sollte, ist also schon eins der Entzweiten viel mehr, als daß es das absolute Wesen wäre. Das sich selbst Gleiche entzweit sich, heißt darum eben so sehr: es hebt sich als schon Entzweites, es hebt sich als Anderssein auf. Die Einheit, von welcher gesagt zu werden pflegt, daß der Unterschied nicht aus ihr herauskommen könne, ist in der Tat selbst nur das eine Moment der Entzweiung; sie ist die Abstraktion der Einfachheit, welche dem Unterschiede gegenüber ist. Aber indem sie die Abstraktion, nur das eine der Entgegengesetzten ist, so ist es schon gesagt, daß sie das Entzweien ist; denn ist die Einheit ein Negatives, ein Entgegengesetztes, so ist sie eben gesetzt als das, welches die Entgegensetzung an ihm hat. Die Unterschiede von Entzweiung und sichselbstgleich Werden sind darum ebenso nur diese Bewegung des sich Aufhebens, denn indem das Sichselbstgleiche, welches sich erst entzweien oder zu seinem Gegenteile werden soll, eine Abstraktion oder schon selbst ein Entzweites ist, so ist sein Entzweien hiemit ein Aufheben dessen, was es ist, und also das Aufheben seines Entzweitseins. Das sichselbstgleich Werden ist ebenso ein Entzweien; was sichselbstgleich wird, tritt damit der Entzweiung gegenüber; d. h.
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es stellt selbst sich damit auf die Seite, oder es wird vielmehr ein Entzweites.« (115 f. | 99 f.)
Die ›einfache Unendlichkeit‹ des Gedankens, alle Unterscheidungen seien in eine Art Gesamtbegri= oder Gesamtwissen aufzunehmen, wird als das einfache ›Wesen‹ der wirklichen Welt aufgefasst. Auf die einzelne Person bezogen wird ihre Wirklichkeit oder ihr Wesen in die Seele, im Falle von Tieren in die Kraft des animalischen Lebens gesetzt. Es steht hier überall die Idee einer generischen Vollbeschreibung oder theoretischen Vollerklärung des Verhaltens der Welt, Lebens der Tiere und Handelns der Menschen im Hintergrund. Es ist dies klarerweise reine Utopie. Das so entstehende reine unendliche Wissen würde sich wie eine ewige Welt-Struktur bloß auf das Ganze beziehen, nicht, wie unsere realen und endlichen Wesenserklärungen, auf die vielen lokal erfahrbaren und als solche endlichen Phänomene. Aber jeder Selbst- und jeder Weltbezug ist auch ein ›Entzweien‹, und wenn auch zunächst bloß in der Darstellung. Denn wir müssen schon für einen Selbstbezug »x R x« schreiben und dabei das x ›vor der Relation‹ R vom x ›nach der Relation‹ R unterscheiden. Jede Sichselbstgleichheit, auch die meiner selbst, enthält schon derartige Unterschiede. Jede Beziehung von mir zu mir hat daher schon eine Form der Art ›ich beziehe mich vermöge der Bezugnahme R, die etwa ein Anschauen oder ein Reflektieren sein kann, auf mich selbst‹. An die Stelle von x in »x R x« wird also formal ein »ich« gesetzt. Aber auch wenn wir von der ganzen Welt sprechen, gilt, dass alles, was in ihr geschieht, eine Art Selbstrelation der Welt auf sich ist und daher die Form »x R x« annimmt. Die Welt ist dabei ›das reine Wesen‹, ›die Wirklichkeit‹ aller Erscheinungen, welche sie ›hervorbringt‹. In der Tat ist alles, was es gibt, Teilmoment einer solchen Welt-im-Ganzen. Jede Einheit ist dabei ein Moment der Entzweiung, so wie Gleichheit eine verneinte Ungleichheit ist, genauer: aus einem Verzicht auf mögliche Binnendi=erenzierungen sozusagen hervorgeht. Einheit entsteht durch Abstraktion bezüglich zugehöriger
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Äquivalentsetzungen oder Äquivalenzrelationen. Das alles wird wichtig für die Frage, was denn ein Ich oder Selbst ist und was Selbstbezüge sind. Dabei sind alle Relationen in der Welt sozusagen Selbstbezüge der Welt. 163
»Die Unendlichkeit oder diese absolute Unruhe des reinen sich selbst Bewegens, daß, was auf irgendeine Weise, z. B. als Sein, bestimmt ist, vielmehr das Gegenteil dieser Bestimmtheit ist, ist zwar schon die Seele alles bisherigen gewesen, aber im Innern erst ist sie selbst frei hervorgetreten. Die Erscheinung oder das Spiel der Kräfte stellt sie selbst schon dar, aber als Erklären tritt sie zunächst frei hervor; und indem sie endlich für das Bewußtsein Gegenstand ist, als das, was sie ist, so ist das Bewußtsein Selbstbewußtsein. Das Erklären des Verstandes macht zunächst nur die Beschreibung dessen, was das Selbstbewußtsein ist. Er hebt die im Gesetze vorhandenen, schon rein gewordenen, aber noch gleichgültigen Unterschiede auf und setzt sie in Einer Einheit, der Kraft. Dies Gleichwerden ist aber ebenso unmittelbar ein Entzweien, denn er hebt die Unterschiede nur dadurch auf und setzt dadurch das Eins der Kraft, daß er einen neuen Unterschied macht, von Gesetz und Kraft, der aber zugleich kein Unterschied ist; und hierzu, daß dieser Unterschied ebenso kein Unterschied ist, geht er selbst darin fort, daß er diesen Unterschied wieder aufhebt, indem er die Kraft ebenso bescha=en sein läßt als das Gesetz. – Diese Bewegung oder Notwendigkeit ist aber so noch Notwendigkeit und Bewegung des Verstandes, oder sie als solche ist nicht sein Gegenstand, sondern er hat in ihr positive und negative Elektrizität, Entfernung, Geschwindigkeit, Anziehungskraft und tausend andere Dinge zu Gegenständen, welche den Inhalt der Momente der Bewegung ausmachen. In dem Erklären ist eben darum so viele Selbstbefriedigung, weil das Bewußtsein dabei, [um] es so auszudrücken, in unmittelbarem Selbstgespräche mit sich, nur sich selbst genießt, dabei zwar etwas anderes zu treiben scheint, aber in der Tat sich nur mit sich selbst herumtreibt.« (116 f. | 100 f.)
Sprechen wir von der Seele oder Wesen von etwas, so benutzen wir eine kategoriale Ausdrucksform. Wir projizieren dabei eine gewisse Unendlichkeit von Bestimmbarkeiten in das ›Innere‹ des
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Gegenstandes. Nur wenn wir bemerken, dass dieses ›Innere‹ der Dinge und Gegenstände von unserem Verstand selbst konstruiert oder gebildet wird, wird aus dem Bewusstsein oder gegenstandsbezogenen Wissen ein wissensbezogenes Selbstbewusstsein. Dieses Selbstwissen oder Wissen über das Wissen weiß jetzt: Unser Erklären ist, erstens, unser Erklären. Es ist aber, zweitens, nicht bloß unser Erklären, sondern gemeinsame Artikulation, Explikation und Auslegung unserer Art der Darstellung und unseres Zugangs zur Welt und dann auch zu uns selbst. Indem wir also erfahren oder uns dessen bewusst werden, wie die Gegenstände unseres objektbezogenen Wissens begri=lich konstituiert sind, wird klar, dass jedes volle Bewusstsein von Welt das Selbstbewusstsein des Wissens um die Form(en) unseres Wissens notwendig enthalten muss – oder es ist nur ein ahnendes, schülerhaftes, Bewusstsein oder Wissen, wenig oberhalb der bloßen Nachahmung oder bloßen Kopie dessen, was andere Personen tun. Echtes Wissen ist dagegen freies und selbstbewusstes Wissen. Solange freilich der Verstand bloß erst vorgegebenen Regeln folgt und rechnet, bleiben ihm die Verfassung der von ihm selbst (genauer: den anderen Personen) entworfenen resp. gebrauchten Formen der Darstellung und Erklärung unbekannt. Er treibt sich ›in unmittelbarem Selbstgespräche mit sich herum‹, ohne Konstitution, Herkunft, Sinn und Zweck dieser Formen des Verstandes zu bedenken oder zu begreifen. Daher führt der ›Rationalismus‹ zur mystifizierenden Reifizierung und Hypostasierung von allerlei (allen) Formen der Darstellung und Erklärung von Welt: Der Rationalismus setzt die Formen unserer Darstellung und Erklärung umstandslos in die Dinge. Und er meint, durch intuitive Reflexion unmittelbar das Wesen der Dinge zu erkennen. Die Illusionen sind ersichtlich. »In dem entgegengesetzten Gesetze als der Verkehrung des ersten Gesetzes oder in dem innern Unterschiede wird zwar die Unendlichkeit selbst Gegenstand des Verstandes, aber er verfehlt sie als solche wieder, indem er den Unterschied an sich, das sich selbst Abstoßen des Gleichnamigen und die Ungleichen, die sich anziehen, wieder an
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zwei Welten oder an zwei substantielle Elemente verteilt; die Bewegung, wie sie in der Erfahrung ist, ist ihm hier ein Geschehen, und das Gleichnamige und das Ungleiche Prädikate, deren Wesen ein seiendes Substrat ist. Dasselbe, was ihm in sinnlicher Hülle Gegenstand ist, ist es uns in seiner wesentlichen Gestalt, als reiner Begri=. Dies Auffassen des Unterschieds, wie er in Wahrheit ist, oder das Auffassen der Unendlichkeit als solcher ist für uns oder an sich. Die Exposition ihres Begri=s gehört der Wissenschaft an; das Bewußtsein aber, wie es ihn unmittelbar hat, tritt wieder als eigne Form oder neue Gestalt des Bewußtseins auf, welche in dem vorhergehenden ihr Wesen nicht erkennt, sondern es für etwas ganz anderes ansieht. – « (117 | 101)
In der Debatte, ob diese oder jene Form die eigentliche oder wesentliche Form der Darstellung oder Erklärung eines generischen, also typischen, sich auf bestimmte Weisen wiederholenden, Phänomens ist, wird dem Verstand (bzw. uns) zwar klar, dass es unendlich viele Darstellungs- und Erklärungsmöglichkeiten gibt und wir immer nur einige wenige als tauglich herausgreifen. Aber er vergisst in seiner Fixiertheit auf Anwendungen, was das besagt. Dabei tendiert das verstandesmäßige objektivierende und gegenständliche Denken (Forschen und Reden) dazu, die aktive Tätigkeit des Erfahrung-Machens mit unseren Theorien bloß als ein passives, am Ende sogar bloß psychologisch-physiologisches Geschehen des Perzipierens und behavioralen Reagierens aufzufassen. Man merkt dann nicht, dass wir hier gar nicht über die Dinge der Welt, sondern über unsere Formen der Darstellung und Erklärung streiten. Daher bleibt ›der Verstand‹ als solcher relativ beschränkt in seinem Horizont der Betrachtung von Welt und seiner Rolle in ihr. Faktisch aber ist er Teil des Selbstbewusstseins, und zwar weil er immerhin zwischen seinen eigenen Unterscheidungsmöglichkeiten unterscheiden muss. Ich unterscheide mich nun von mir selbst, wenn ich überlege, was ich tun soll, auch wie ich urteilen soll. Dabei bin ich zugleich nicht von mir unterschieden. Im Vollzug bin ich zwar unmittelbar diejenige Person, welche ich bin. Das ist eine Tautologie, welche das Performative des »ich bin ich« ausdrücken soll. In-
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teressanterweise lässt es sich nur in dieser appellativ-zeigenden Rede versprachlichen bzw. explizit machen; ansonsten muss der Vollzug selbst in einer Aktualisierung der reproduzierbaren Form gezeigt werden – was wiederum voraussetzt, dass man das Tun nicht als bloßes einzelnes Tun versteht, sondern als Aktualisierung einer generischen Handlung oder Handlungsform. Das gilt übrigens gerade auch für alle Sprechhandlungen als Vollzüge des Sprachgebrauchs, etwa für das Urteilen. Auf seiner Grundlage kann man nun viele weitere Vollzüge kommentieren, kontrollieren, in ihrer Form ändern und sich so auf zukünftige Vollzüge und damit in gewissem Sinn auf sich selbst beziehen. Damit haben wir schon eine erste Analyse der Ausdrucksform »sich auf sich selbst beziehen« oder »über sich urteilen«. Sie ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Analyse der Ausdrucksform »sich seiner selbst bewusst sein (nämlich, dass die Aussage φ von der Person selbst gilt)« oder genauer: »ich weiß (von mir selbst), dass φ von mir gilt«. Wenn ich von etwas weiß, dann weiß oder glaube ich immer auch schon, dass ich es weiß oder glaube: Wissen oder Glauben ist in diesem Sinn immer auch schon ein Selbst-Wissen oder eine Selbst-Gewissheit. In diesem Sinn ist jedes volle Bewusstsein in sich reflektiert. »Indem ihm dieser Begri= der Unendlichkeit Gegenstand ist, ist es also Bewußtsein des Unterschieds als eines unmittelbar ebenso sehr aufgehobenen; es ist für sich selbst, es ist Unterscheiden des Ununterschiedenen, oder Selbstbewußtsein. Ich unterscheide mich von mir selbst, und es ist darin unmittelbar für mich, daß dies Unterschiedene nicht unterschieden ist. Ich, das Gleichnamige, stoße mich von mir selbst ab; aber dies Unterschiedene, ungleich Gesetzte ist unmittelbar, indem es unterschieden ist, kein Unterschied für mich. Das Bewußtsein eines Andern, eines Gegenstandes überhaupt, ist zwar selbst notwendig Selbstbewußtsein, Reflektiertsein in sich, Bewußtsein seiner selbst in seinem Anderssein. Der notwendige Fortgang von den bisherigen Gestalten des Bewußtseins, welchen ihr Wahres ein Ding, ein anderes war als sie selbst, drückt eben dies aus, daß
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nicht allein das Bewußtsein vom Dinge nur für ein Selbstbewußtsein möglich ist, sondern daß dies allein die Wahrheit jener Gestalten ist. Aber für uns nur ist diese Wahrheit vorhanden, noch nicht für das Bewußtsein. Das Selbstbewußtsein ist erst für sich geworden, noch nicht als Einheit mit dem Bewußtsein überhaupt.« (117 f. | 101 f.)
Es ist also nicht bloß so, dass nur ein selbstbewusstes Ich etwas über die Welt glauben oder wissen kann, sondern dass nur eine selbstbewusste Reflexion auf die logischen Formen des Glaubens und Wissens zu einem wahren Glauben und Wissen im Unterschied zu einem bloß partiell begri=enen Glauben und Wissen führen kann. Das wissen wir als die Analytiker an dieser Stelle schon, nicht aber der bisher analysierte und auf Objekte fixierte Verstand, dem dieses Wissen sozusagen erst noch zu zeigen ist. Anders gesagt: Wir müssen zeigen, aus welchen logischen Notwendigkeiten sich die geschilderte vorgreifende Einsicht ergibt. Wir sind hier nur erst soweit gekommen, dass wir auf die inneren Relationen des Selbst und Selbstbewusstsein aufmerksam geworden sind. Der erste Schritt besteht darin, dass das Gleichnamige »ich« in einem Satz der Art: »Ich sage, dass ich die Eigenschaft E habe« sich an den unterschiedlichen Stellen des Vorkommens auf Verschiedenes bezieht, das als gleich gesetzt wird: Ich identifiziere mich mit dem Inhalt der Selbstaussage. 165
»Wir sehen, daß im Innern der Erscheinung der Verstand in Wahrheit nicht etwas anderes als die Erscheinung selbst, aber nicht wie sie als Spiel der Kräfte ist, sondern dasselbe in seinen absolut-allgemeinen Momenten und deren Bewegung, und in der Tat nur sich selbst erfährt. Erhoben über die Wahrnehmung stellt sich das Bewußtsein mit dem Übersinnlichen durch die Mitte der Erscheinung zusammengeschlossen dar, durch welche es in diesen Hintergrund schaut. Die beiden Extreme, das eine des reinen Innern, das andere des in dies reine Innre schauenden Innern, sind nun zusammengefallen, und wie sie als Extreme, so ist auch die Mitte, als etwas anders als sie, verschwunden. Dieser Vorhang ist also vor dem Innern weggezogen und das Schauen des Innern in das Innre vorhanden; das Schauen des ununterschiedenen Gleichnamigen, welches sich selbst abstößt,
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als unterschiedenes Innres setzt, aber für welches ebenso unmittelbar die Ununterschiedenheit beider ist, das Selbstbewußtsein. Es zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhange, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen [sic!, PSW], ebensosehr damit gesehen werde, als daß etwas dahinter sei, das gesehen werden kann. Aber es ergibt sich zugleich, daß nicht ohne alle Umstände geradezu dahinter gegangen werden könne; denn dies Wissen, was die Wahrheit der Vorstellung der Erscheinung und ihres Innern ist, ist selbst nur Resultat einer umständlichen Bewegung, wodurch die Weisen des Bewußtseins, [das] Meinen, Wahrnehmen und der Verstand verschwinden; und es wird sich ebenso ergeben, daß das Erkennen dessen, was das Bewußtsein weiß, indem es sich selbst weiß, noch weiterer Umstände bedarf, deren Auseinanderlegung das Folgende ist.« (118 f. | 102)
Denken wir über die Formen des ›Inneren‹ der erscheinenden Dinge nach, dann sehen wir, dass wir, wenn wir dies im Denkmodus des mit Worten und Begri=en sozusagen ›rechnenden‹, also schematisch urteilenden und schließenden Verstandes tun, in diesem Innern nichts anderes finden als die von uns in das Innere verlegten dispositionellen Kräfte. Beim Menschen ist das dann auch der Charakter oder seine Seele. Diese werden ja angerufen bei der Erklärung der sich äußerlich zeigenden Erscheinungen. Allerdings finden wir sie zunächst nur im Modus der di=usen Möglichkeit ›unendlicher‹ Di=erenzierungen psychischer oder charakterologischer Eigenschaften und zugeordneter inferentieller Erwartungen, noch nicht schon als ein bestimmtes ›Spiel der Kräfte‹, wie wir es an den generischen Erklärungen von Erscheinungen in der physikalischen Welt der Körperbewegungen aufgrund von Gravitation, Magnetismus und Elektrizität gesehen haben. In Wahrheit ›erfährt‹ der auf sich reflektierende Verstand am Ende bloß sich selbst, also seine eigenen Konstruktionen, und zwar gerade weil er von der schwierigen Praxis der Projektion seiner Di=erenz- und Inferenzformen auf die gemeinsam kontrollierte sinnliche Erfahrung und das ebenfalls gemeinsam kontrollierte
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Tun absieht bzw. abstrahiert. Die Selbsterhebung über die Wahrnehmung tut dem Verstand aber auch sonst nicht gut. Er meint, so in den Hintergrund der Erscheinungen, die Ursachen, schauen zu können – und sieht bloß sich selber. Der Vorhang vor dem Inneren ist weggezogen und wir sehen – die Formen des Verstandes. In gewissem Sinn ist das schon das Ergebnis der transzendentalen Analyse Kants. Hegel artikuliert hier die ›verkehrte Welt‹ der ›Kopernikanischen Wende‹ nur auf etwas andere Weise als Kant. Das erscheint zunächst als obskur, und zwar weil er von einem gesetzten ›unterschiedenen Innern‹ spricht. Er geht dabei nicht nur im Fall der Rede von mir über mich, sondern auch schon von uns über unser Wissen weiter zum Begri= oder besser zur Kategorie oder Aussageform des Selbstbewusstseins, in der wir über die Formen unseres eigenen Wissens, Urteilens, Schließens und dann auch unseres gesamten Seins im Vollzug sprechen. Bei genauerem Nachdenken erweist sich das alles als höchst sinnvoll. Ein besonderes Problem ergibt sich dabei aus der Selbstzuschreibung geistiger Eigenschaften in der Selbstreflexion, etwa in unseren Reden über eine Seele oder in Erklärungen eines Tuns durch einen psychischen Charakter. Aber auch schon die Reden von meinem Bewusstsein, meinem Wissen und Willen, oder dann auch meinem Selbstbewusstsein gehören hierher. In allen dieses Reden oder Aussageformen stellen wir uns mentale, psychische oder geistige Momente so gegenüber, dass diese als innere Gegenstände eines Eigenurteils auftreten. Und dabei vollziehen wir doch selbst die Zuschreibungen. Wie ist diese Struktur zu verstehen? Wie ist das geistige Innere der Person zu verstehen und wie können wir etwas von ihm wissen? Wir entwerfen o=enbar ›Theorien‹ von unserem Inneren und sagen selbst, dass diese sagen, wie wir innerlich wirklich sind. Wir ›erklären‹ so unser äußerliches Tun, ohne dass wir immer schon wirklich wüssten, ob unsere Selbstzuschreibungen wahr sind, oder auch nur, wie sie als wahr ausweisbar sein sollten. Das Problem betri=t den Gesamtbereich unseres mentalen, psychischen und geistigen Vokabulars. Das Wort »Bewusstsein« ist dabei nur ober-
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ste Überschrift für die Aussageform »ich bin mir dessen bewusst, dass φ«. Das Wort »Selbstbewusstsein« ist oberste Überschrift für die Form »ich bin mir dessen bewusst, dass φ von mir gilt«. Doch vor dem Übergang zum Selbstbewusstsein soll das Ergebnis der bisherigen Überlegungen zum Begri= des Bewusstseins, von der sinnlichen Gewissheit über die Wahrnehmung bis zur Erklärung der Erscheinungen durch wirkende Kräfte, und die Rolle des Verstandes bzw. der begri=sbestimmenden Theorien noch einmal zusammengefasst werden: Im vollen Begri= der Wahrnehmung wird ein wahrgenommenes Objekt einem wahrnehmenden Subjekt gegenüber gestellt. Im Rahmen der Bestimmung des Dinges sowohl in seiner Identität als auch in seiner kausalen oder dispositionellen Kraft oder möglichen Wirkung auf andere Dinge, insbesondere aber auf unsere Sinne in der Wahrnehmung, sind schon längst Verstandesbestimmungen enthalten, besonders Dispositionsbegri=e, Normalfallerwartungen oder Defaultinferenzen, die Begri=e der e;zienzkausalen Verursachung und der Kraft, aber auch des Grundes für Handlungen. Wir nehmen deswegen nicht bloß etwas wahr, indem wir irgendwie auf unsere sinnlich perzipierte Umgebung reagieren, sondern indem wir uns an der Wahrnehmung genauso im weiteren Schließen orientieren wie an dem den Inhalt der Wahrnehmung explizit machenden begri=lichen Wahrnehmungsurteil. Daher und nur daher können Wahrnehmungen täuschen. Sie können ebenso wahr und ebenso falsch sein wie das zugehörige Wahrnehmungsurteil. Die Wahrheit oder der Irrtum zeigt sich dabei zwar im weiteren Verlauf, etwa in der Erfüllung oder Nichterfüllung von begri=lich bestimmten Erwartungen oder eben inferentiellen Geltungsbedingungen. Diese Bedingungen selbst aber haben einen nichttrivialen normativen Status, wie wir gleich noch genauer sehen werden. Jedes System von Gesetzen der Kraft kann, wenn es nicht dogmatisch hypostasiert werden soll, nur im Hin und Her zwischen unseren Formulierungen und Modellierungen des Verhaltens der wirkenden Dinge (an sich) bzw. der ›Wirklichkeit‹ und ›ihren‹ Erscheinungen angemessen begri=en werden. Dabei ist wichtig
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zu wissen, dass es die scheinbar harmlose Rede von der Wirklichkeit und ihren Erscheinungen sozusagen in sich hat. Denn die Kriterien, was als Erscheinung dieser oder jener Wirklichkeit zu zählen hat, was etwa wofür Ursache ist, stammen immer von uns. Sie sind eingebettet in ein System von Gesetzen. Der Begri= der wirklichen Dinge ergibt sich dabei selbst erst in einer komplexen Zuordnung von Ansichsein und Fürsichsein. In meiner Ausdrucksweise werden dabei symbolische Repräsentationen der physischen Gegenstände und Kräfte in modellartigen oder analogischen Darstellungen als allgemeines, generisches, Ansichsein ihren verschiedenartigsten Präsentationen in den wahrnehmbaren Wirkungen und Erscheinungen auf der Seite des je einzelnen Fürsichseins der Dinge zugeordnet. Das alles gilt o=enbar gerade auch für die Kausalität, wenn diese nicht, wie bei Hume, bloß als regelmäßige Abfolge zweier oder mehrerer wahrnehmbarer Erscheinungen aufgefasst wird. Als eine wirkende Sache, eine causa e;ciens, in der physische Dinge und ihre Kräfte in einer wirklichen Welt wirken, setzt Kausalität theoretische Darstellungen und Erklärungen voraus. Deren Gegenstände stellen sich in einer zunächst bloß oberflächlichen Reflexion als Gegenstände einer übersinnlichen Welt dar, einer Welt reiner Gedankendinge, die irgendwie mystisch auf die Welt der Erscheinungen wirken, die ihrerseits als solche von uns wahrnehmbar ist. Hegel entdeckt damit eine Ambiguität im Begri= der Kausalität, wie sie bis heute gerade auch in der Analytischen Philosophie zu notorischen (Selbst-)Missverständnissen, inneren Widersprüchen und ewigen Debatten führt, und zwar weil man sich in der sonntäglichen Reflexion auf Humes Rede von regelmäßig erwarteten Ereignisfolgen zurückzieht, am Werktag aber mit ontisch unterstellten wirklichen physikalischen Dingen, Körpern, Massen und energetischen Kräften operiert und die Phänomene zu einer Art bloßen Erscheinung stempelt. Das verführt dazu, der Physik und ihren Theorien bzw. der science einen absoluten Maßstab wirklicher Geltung zuzusprechen, ohne den Status von deren Erklärungen logisch näher zu analysieren. Es geht hier
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also um eine sinnkritische Prüfung des logischen Status von Sellars’ scientia-mensura-Satz. Diesem zufolge arbeiten die Naturwissenschaften nicht bloß, wie der Idee nach im Pragmatismus, an der theoretische Explikation und Kanonisierung des Begri=s, also unseres Systems generischer Di=erenzen und Inferenzen in der Darstellung von Natur und Welt, das sich wesentlich im erfolgreichen technischen und prognostischen Handeln bewährt, sondern sagen uns angeblich ontologisch, was es wirklich, nicht bloß scheinbar oder in bloß abstrakten Redeformen gibt. In der Beziehung zwischen einer causa e;ciens als einer den Dingen und ihren relativen momentanen Bewegungszuständen zugeschriebenen Kraft oder Energie und ihren Wirkungen zunächst auf andere Dinge und dann auch auf uns und unsere Wahrnehmungen, vermittelt über unseren Leib, werden gerade die letzteren, also die wahrnehmbaren Erscheinungen, als die kausalen Wirkungen der physischen Dinge erklärt: Die physischen Dinge sind, so sagt man allgemein, nicht nur in der Philosophie Lockes, Humes oder dann auch im schon physikalistischen Naturalismus Quines, die kausalen Ursachen der Erscheinungen. Sie seien dies zunächst und unmittelbar für unsere Empfindungen (der sensations oder inner experiences), die ihrerseits über Eindrücke (impressions oder äußere stimuli) vermittelt seien. Aber in der Beurteilung, ob eine Aussage über die Dinge oder ihre Wirkung wahr ist, müssen wir die Erscheinungen, also die Wirkungen prüfen, und zwar nicht bloß über die einzelnen subjektiven Empfindungen und Meinungen in Bezug auf vermeintliche Ursachen vermeintlicher Wirkungen, sondern über eine allgemeine und gemeinsame Kontrolle allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, wie sie jede allgemeine Bestimmung des Verhältnisses von kausaler Ursache oder causa e;ciens (auf der Ebene der Rede von Dingen und Kräften) und ihren Wirkungen o=enbar implizit begleitet und begri=lich begleiten muss. Zentral ist dabei folgende Einsicht: Einen von begri=lichen Normen und Gesetzen und damit von unserem Verstand als dem Vermögen des Umgangs mit Regeln unabhängigen Zugang zu den
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Ursachen, den Dingen selbst, haben wir nicht, schon gar nicht zu den Kräften selbst. Noch wichtiger ist folgendes Phänomenologieprinzip, das sich dann auch in Husserls und Heideggers Phänomenologie wiederfindet: Nur vermittelt über die Erscheinungen als ihren Wirkungen haben wir Zugang zu den Dingen, wie sie nicht bloß an sich, sondern an und für sich sind. Es werden also nicht bloß den Dingen dispositionelle Kräfte zugeordnet. Es werden ihnen auch normale Erscheinungsformen zugewiesen. Wirkliche Dinge und Kräfte gibt es also bloß im Kontext der ihnen zugeordneten Erscheinungen, den Präsentationen ihrer Existenz im Dasein. Denn wenn etwas ›bloß an sich‹ existiert, ist es nur erst ein abstrakter oder möglicher Gegenstand einer möglicherweise noch keineswegs im wirklichen Weltbezug sinn- und bedeutungsvollen Rede. Gegenstände an sich existieren schon dann, wenn wir bloß erst eine Praxis der verbalen Repräsentation mit oder ohne zugehörige imaginative Vorstellungsbilder unterstellen können, wie das z. B. für fiktionale Personen und abstrakte Gegenstände der Fall ist. Aber gerade auch die Gegenstände kinematischer und dynamischer Bewegungsmodelle in einer reinen Mathematik sind bloß erst abstrakte Formen. Diese sind als Gegenstände sozusagen formallogisch konstituiert, und das der Form nach auf gute Weise, wenn für sie Gleichungen passend zu einem System von prädikativen Unterscheidungen konsistent definiert sind. Sonst wären sie noch keine wohlkonstituierten (sortalen) Gegenstände in einem generisch, als Genus, bestimmten Gegenstandsbereich. Ein solcher darf nie in sich, formal, widerspruchsvoll sein, sowenig wie eine mathematische Theorie. Zu ›Momenten‹ einer Darstellung von Welt und einer Erklärung von Phänomenen aber werden Theorien erst, wenn sie systematisch Erscheinungen zugeordnet werden. Das heißt, Gegenstände an sich erhalten erst dann Sinn und Bedeutung im Weltbezug, wenn, sozusagen, die Beziehungen zu ihrem innerweltlichen Fürsichsein konkret bestimmt sind. Ihr Ansichsein im Reich der symbolischen Repräsentation und damit im reinen Reich des Verstandes als des Vermögens der begri=lich-theoreti-
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schen Regeln muss dazu auf die reale Welt der wahrnehmbaren Phänomene projektiv angewendet werden. Und das heißt am Ende, dass die Anwendungsbedingungen theoretischer Erklärungen geklärt sind. Es müssen etwa für den als wirklich behaupteten Gegenstand seine möglichen Wirkungen auf uns bestimmt sein, und wenn auch auf noch so vermittelte Weise. Ein wirklicher Gegenstand g der Welt ist in seinem An-undfür-sich-sein also gerade dadurch bestimmt, dass eine Art der gesetzesmäßigen Projektion unserer Repräsentationen von g auf die Wirkungen von g in der Welt der im Grundsatz sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen allgemein bestimmt ist, und zwar so, dass sich der Einzelne in diesen Zuordnungen irren kann. Ohne Festlegung einer solchen Zuordnung und ohne die gemeinsame Praxis der Kontrolle der Erfüllungsbedingungen im besonderen Fall ist jede Rede von objektiven Dingen und Sachen an sich sinnleer. Mit anderen Worten, bloß an sich seiende Gegenstände sind durch die Sinne unerkennbar, weil es sie als wahrnehmbare Gegenstände gar nicht gibt oder geben wird, so wenig wie Sherlock Holmes oder Madame Bovary. Insofern, aber auch nur insofern, hebt Hegels Analyse das empiristische Sinnkriterium auch im positiven Sinn auf: Er kritisiert die Meinung, dass nur das existiere, was von einem Subjekt empfunden wird oder direkt wahrgenommen werden könnte. Er bewahrt aber die sinnkritische Bedingung auf, welche jeden Glauben an eine Welt an sich ohne Bezug auf uns und ohne begri=liche Bestimmung des Fürsichseins der Dinge an sich als sinnlos ausweist. Das ist in gewissem Sinn eine eigenständige Rekonstruktion der Grundposition Kants. Die ›Dinge an sich‹ sind, wie Hegel sieht, also aus rein tautologischen Gründen nicht rein perzeptiv erkennbar. Als bloße Dinge an sich sind sie auch nicht eigentlich wirkkausal, sondern nur erklärungskausal in der Welt der Wahrnehmbaren ›wirksam‹. Sie sind für sich abstrakte Gegenstände in unseren sprachlich entworfenen Modellen. Sie ›existieren‹ also für sich nur so, wie man, wenn man unbedingt will, mit Meinong sagen kann, dass Madame Bovary im Roman Flauberts und Sherlock Holmes in den
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Detektivgeschichten Conan Doyles ›existieren‹. Diese existieren o=enbar nicht wirklich, wie wir sagen, und das heißt jetzt, die Namen referieren auf keine heute oder früher lebenden Personen in der realen Welt. Niemand hat sie je wirklich tre=en können. Wenn Schriftsteller wie Umanumo sich selbst mit ihren vorgestellten Helden unterhalten und sogar sagen, dass diese Helden Wirkungen auf sie selbst gehabt haben, dann bleiben die Ebenen jedem einigermaßen verständigen Leser dennoch klar. Denn nicht der Held, sondern seine Repräsentation hat Wirkungen auf den Leser, so wie ja auch nicht die Zahl 5, sondern nur ihre Repräsentanten wahrgenommen werden. Wir geraten jetzt aber in die Paradoxie, dass die theoretisch dem Realen der Erscheinungen unterschobene Wirklichkeit nicht wirklich sei. Diese gilt es aufzuheben. Wirkliche Ortsangaben verlangen immer die Angabe eines wirklichen Dinges d zu einer wirklichen Zeit t, also die Angabe eines Ausgangspunktes (do , t) und die Angabe der realen Maßbestimmungen des Ortes o im Hinblick auf (d, t). Dabei hat schon Kant (m. E. sogar schon Leibniz) gesehen, dass noch die Perspektive hinzugefügt werden muss, dass also (do , to ) gewissermaßen als Nullpunkt eines realen Koordinatensystem zu lesen ist, in dem die räumlichen Richtungen real fixiert sind. In Bezug auf meinen Körper ist z. B. das bestimmt, was jeweils jetzt vorne und hinten, oben und unten, rechts und links liegt. Damit werden wir hier (mit Kant in seiner transzendentalen Ästhetik) auf die Perspektivität des betrachtenden Subjektes aufmerksam. Die räumlichen Verhältnisse in Wahrnehmung und Anschauung sind bezogen auf den Leib der sie bestimmenden Personen. Die Formen der Anschauung spielen eine unaufhebbare Rolle bei der realen Projektion abstrakter Koordinaten in wirkliche räumliche Verhältnisse. Zugleich bemerken wir mit Hegel die ebenfalls unaufhebbare Rolle unseres Verstandes in der Gegenüberstellung von Wahrnehmung und wahrgenommenem Ding. Dabei war schon zuvor, in einer früheren Gegenüberstellung von Gewissheit im Vollzug und Gegenstand der Gewissheit die Frage aufgetreten, wie wir uns nicht bloß der Gegenstände, son-
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dern unserer selbst bewusst werden (können). Die Antwort war gewesen, dass es hier scheinbar eine Art Negation oder eben Gegenüberstellung gibt zwischen mir und allem anderen: Ich bin mir meines Seins empraktisch, d. h. im Vollzug des Seins (Tuns, Wahrnehmens, Denkens) scheinbar unmittelbar bewusst und stelle mir alle anderen Dinge, auch alle anderen Personen, gegenüber. Wenn ich aber diese bloß ›praktische‹ Gewissheit oder dieses bloß praktische Bewusstsein-im-Vollzug als eine Art unmittelbares Wissen, wie es ist, ich zu sein, oder als know-how-to-be-I in ein explizites Wissen über mich verwandeln will, muss ich über mich nachdenken, über mich reden, muss ich mich in einen Gegenstand meines Redens und Denkens verwandeln, also, wie wir jetzt sagen und verstehen können, in einen Gegenstand an sich. Zugleich ergibt sich, dass wir nicht einfach einen Schleier vor dem Hintergründigen wegziehen können. Denn im Vollzug bildet schon das implizite und empraktische Wissen um das Verhältnis zwischen Erscheinung und innerem Wesen eine komplexe Voraussetzung oder Präsupposition, wie wir gesehen haben. Sie ist nun als Denkbewegung zu durchlaufen und explizit auseinanderzulegen. Dabei lässt sich nicht einfach ein Ergebnis berichten. In ähnlicher Weise steht es um die Bemühungen zu erkennen, »was das Bewusstsein weiß, indem es sich selbst weiß«. Darum geht es jetzt im Folgenden. (B.) Selbstbewusstsein Mit der Frage nach einer nicht bloß empraktischen Selbstgewissheit, sondern nach einer bewussten Bezugnahme auf mich selbst, tritt die notorisch schwierige Unterscheidung auf zwischen mir als dem Vollzugssubjekt in jeder Selbsterfahrung, auch in jedem Urteilen über mich, und mir als dem Objekt, das ich dabei erfahre. Es ist der Unterschied zwischen dem inneren und äußeren Gegenstand meines Wahrnehmens und Urteilens, und mir, der ich real bin. Dabei ist insbesondere auf das Verhältnis zwischen Sein, Dasein, Verhalten, Tun, Leben oder Handeln im Vollzug
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und einer Reflexion auf diese Vollzüge und dann auch auf die Subjekte bzw. Objekte dieser Vollzüge zu achten. Hegel bemerkt, dass diese Subjekte im Allgemeinen nach dem Modell der Objekte, der Dinge, verstanden werden, welche über irgendwelche ihnen zugeschriebenen Kräfte diese oder jene Wirkungen in der Erscheinungswelt verursachen. Das gilt sowohl dann, wenn wir, wie im Physikalismus oder Materialismus, das Subjekt (also ich je mich) mit seinem in der Welt vorhandenen und wirkenden Leib oder Körper identifizieren, als auch, wenn wir das Subjekt oder das Ich, wie im Mentalismus, mit einer wahrnehmenden und denkenden, etwas wollenden und handelnd in der Welt wirksamen Seele identifizieren. In beiden Fällen verstehen wir uns als Subjekte unmittelbar nach Art einer die Ereignisse in der wirklichen Welt (etwa auch durch unsere Tätigkeiten) wirklich kausal verursachenden Macht, welche auf die Welt und die Dinge der Umwelt wirkt. Im Mentalismus (wie in Platons Alkibiades I, im Christentum oder bei Descartes) stellen wir uns als denkende oder wollende Seele vor. Diese wird als Verursacherin von Geschehnissen in der Welt gedeutet. Damit wird die Seele zur tätigen Kraft oder Macht in meinem eigenen Benehmen und Verhalten, zum Subjekt der willentlichen Handlung. Kant spricht bekanntlich von mir als einem homo noumenon und redet von einer Kausalität aus Freiheit bzw. einem Willen, den es nur in einem Reich rein intelligibler, d. h. bloß denkbarer Dinge an sich geben soll. Hegel erkennt, dass Kants Gedanken hier gerade deswegen verwirrt sind, weil reine Dinge an sich oder reine Gedankengegenstände als solche gerade nichts in der realen Welt bewirken können. Wir können sie, wie die Rede von dynamischen oder dispositionellen Kräften, bestenfalls zur generischen Darstellung sich reproduzierender Abläufe benutzen. Das gilt in gewissem Sinn auch für die nominale und zugleich dispositionslogische Rede von einem Willen. Kants kritische Philosophie schwankt aber zwischen einem Glauben an einen in der Welt kausal wirksamen, freien, aber unerkennbaren Willen an sich auf der einen Seite und der Idee auf der anderen, dass alles, was
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in der realen Welt der Erscheinungen wirklich geschieht, nach ewigen Gesetzen der kausalen Verursachung determiniert sei. Mit anderen Worten, Kants Versuch einer Aufhebung der Freiheitsantinomie durch eine kategoriale Unterscheidung zwischen der Erfahrungswelt der Erscheinungen, auf die sich all unser echtes, empirisches, Wissen bezieht, und einer wirklichen (auch wirksamen) Welt der Dinge an sich, unter Einschluss je meines Kürwillens oder meiner Willkür, deren Gegenstände als solche nie direkt wahrnehmbar, sondern nur transzendental bzw. durch präsuppositionslogische Schlüsse erschlossen werden müssen, scheitert nach Hegel, und zwar gerade wegen der notorischen Unklarheit, ja Widersprüchlichkeit und Sinnleere in Kants Reden von einer rein intelligiblen Welt von Dingen an sich. Von diesen sollen manche, wie der freie Wille Kants, wenn auch nicht unmittelbar, so doch über ihre Wirkungen als wirklich erkennbar oder wenigstens als konsistente Gegenstände eines Glaubens ausgewiesen sein. Es wird nun im Selbstbewusstseinskapitel unter anderem darum gehen, alle diese verdinglichenden Selbstverständnisse des Ichs, Selbsts, Bewusstseins, Selbstbewusstseins und dann auch des freien, in Handlungen tätigen Willens zu destruieren bzw. in einer dekonstruktiven oder dialektischen Sinnanalyse aufzuheben.
Kapitel IV Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst 19. Vollzugsweisen des Lebens und der unmittelbare Selbstbezug im Begehren Nach unserer leider etwas länglichen Überleitung verstehen wir wohl Hegels eigenen Beginn des neuen Kapitels etwas besser als ohne sie: »In den bisherigen Weisen der Gewißheit ist dem Bewußtsein das Wahre etwas anderes als es selbst [nämlich bloßes Objekt des
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Wissens, PSW]. Der Begri= dieses Wahren verschwindet aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegenstand unmittelbar an sich war, das Seiende der sinnlichen Gewißheit, das konkrete Ding der Wahrnehmung, die Kraft des Verstandes, so erweist er sich vielmehr, nicht in Wahrheit zu sein, sondern dies Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für ein anderes [nämlich für uns, PSW] ist; der Begri= von ihm hebt sich an dem wirklichen Gegenstande auf oder die erste unmittelbare Vorstellung in der Erfahrung, und die Gewißheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr aber ist dies entstanden, was in diesen früheren Verhältnissen nicht zu Stande kam, nämlich eine Gewißheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist; denn die Gewißheit ist sich selbst ihr Gegenstand [wenn wir auf uns selbst reflektieren, PSW], und das Bewußtsein ist sich selbst das Wahre. Es ist darin zwar auch ein Anderssein; das Bewußtsein unterscheidet nämlich, aber ein solches, das für es zugleich ein nicht Unterschiedenes ist [indem es sich selbst zum Thema macht, PSW].« (120 | 103)
Indem wir erkennen, dass alles generische Wissen und alles Wissen über Dispositionen und Möglichkeiten von uns konstituiertes Wissen sein muss, das sich nicht rein passiv wahrnehmen lässt, sondern spontan zu artikulieren und explizieren ist, wissen wir, dass sich unsere Analyse des Wissens auf uns selbst richten muss. Das ist die zentrale Lehre, die sich aus einer sinnkritischen Analyse der Redeform »x an sich hat die Eigenschaft y« oder »an sich gilt z« ergibt. Wir müssen also den Fokus von objektbezogenen Wissensansprüchen verschieben auf Aussagen über uns selbst. Diese haben die allgemeine Form »ich über mich« bzw. »wir über uns«. Diese Form ist interessant, weil hier das Subjekt, das urteilt, sich in einem Sinn gar nicht vom Objekt, das thematisiert und beurteilt wird, unterscheidet. Formal aber unterscheiden sie sich doch, und zwar logisch notwendigerweise. Wir werden dabei insbesondere sehen, dass Wahrheit als anzuerkennender Geltungsanspruch zu verstehen ist, also als normativ bewerteter Vollzug, nicht als abstrakte Korrespondenz oder Abbildung. Von besonderer Bedeutung ist dabei die unmittelbare Gewissheit eines Vollzugs im Kontrast zum Objekt-Wissen. In gewissem Sinn gibt
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es eine ›intellektuelle Anschauung‹, die zugleich den Status des Absoluten hat, nämlich im Fall, dass ein handelnder Vollzug etwas wirklich scha=t und daher unabhängig ist von der relationalen Aussage, dass es das Gescha=ene zuvor schon gäbe. Paradigma ist der cartesische Vollzug des »ich denke«, der als Vollzug absolut ist. Das heißt, ich versichere mich, indem ich ihn ausführe, meiner selbst als denkendem Wesen auf absolute Weise. Ich muss dazu nichts aus irgendeiner Prämisse erschließen. In ganz ähnlicher Weise sagt der Vollzug einer Aussage wie »ich verspreche dir, morgen zu kommen« nichts über etwas aus. Ich vollziehe hiermit die Sprechhandlung. Ich setze damit das Versprechen in die Welt. Hier gilt: saying so makes it so. Das aber ist gerade das Charakteristikum der berüchtigten intellektuellen Anschauung, wie sie Kant beschrieben hat, dann aber nur bei einem Gott für möglich hielt. Denn der Gott der Bibel musste ja nur sagen, es werde Licht – und es ward Licht. Hegel sieht nun (mit Schelling), dass etwas Derartiges auch für viele performative Sprechhandlungen, Handlungen und willentliche Haltungen gilt: Sie sind in der Aktualisierung absolut. Sie sind aber nicht absolut in ihrer Form. Denn diese muss schon gegeben sein, damit ich sie performativ aktualisieren kann. Ich werde übrigens nicht zuletzt aus stilistischen Gründen das Wort »Aussage« nicht terminologisch eng, wie zumeist in der Philosophie üblich, sondern in einem so weiten Sinn gebrauchen, dass alle generischen Sprechandlungen unter das Wort fallen. Eine Aussage soll hier also alles das sein, was man äußern bzw. in einem performativen Sprechakt aktualisieren kann. Sie ist sozusagen eine beliebige Sprechhandlungsform oder allgemeine Sprechhandlung, die man in der Äußerung, dem Sprechakt, ausführen kann und ausführt. Wenn man so will, sind Aussagen immer schon als Sprechakttypen zusammen mit einem konkreten Inhalt bestimmt. Aussagen sind also keineswegs bloß Behauptungen oder Konstatierungen, sondern können auch Bitten, Versprechen oder Fragen sein. »Nennen wir Begri= die Bewegung des Wissens, den Gegenstand aber das Wissen als ruhige Einheit oder als Ich, so sehen wir, daß
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nicht nur für uns, sondern für das Wissen selbst der Gegenstand dem Begri=e entspricht. – Oder auf die andere Weise, den Begri= das genannt, was der Gegenstand an sich ist, den Gegenstand aber das, was er als Gegenstand oder für ein anderes ist, so erhellt, daß das Ansichsein und das für ein anderes Sein dasselbe ist; denn das Ansich ist das Bewußtsein; es ist aber ebenso dasjenige, für welches ein anderes (das Ansich) ist; und es ist für es, daß das Ansich des Gegenstandes und das Sein desselben für ein anderes dasselbe ist; Ich ist der Inhalt der Beziehung und das Beziehen selbst; es ist es selbst gegen ein anderes, und greift zugleich über dies andre über, das für es ebenso nur es selbst ist.« (120 | 103)
Wenn wir uns auf etwa beziehen wollen, müssen wir schon wissen oder kennen, was es an sich, also der Gattung oder Art nach ist. Es muss sozusagen schon vorsortiert sein, genauer, es muss der Rede- oder Gegenstandsbereich von anderen abgegegrenzt sein. Das Ansichsein eines Gegenstandes ist durch den Begri= bestimmt. Er ist damit, was er an sich ist, in seinem generischen eidos, was er für uns ist. Den Begri= im Begreifen anzuwenden, ist die Bewegung des Wissens: Sie führt von der Gewissheit etwa des Aussagens zum kontrollierten Geltungsanspruch. Wahrheit ist dann ein als richtig oder verlässlich bewerteter Geltungsanspruch. Wahrheit besteht in der Erfüllung unserer begri=lichen Erfüllungsbedingungen. Über diese Erfüllungen urteilen aber müssen wir immer selbst. 167 a
»Mit dem Selbstbewußtsein sind wir also nun in das einheimische Reich der Wahrheit eingetreten. Es ist zu sehen, wie die Gestalt des Selbstbewußtseins zunächst auftritt. Betrachten wir diese neue Gestalt des Wissens, das Wissen von sich selbst, im Verhältnisse zu dem Vorhergehenden, dem Wissen von einem Andern, so ist dies zwar verschwunden; aber seine Momente haben sich zugleich eben so aufbewahrt, und der Verlust besteht darin, daß sie hier vorhanden sind, wie sie an sich sind.« (120 f. | 103 f.)
Das einheimische Reich der Wahrheit hängt mit dem Selbstbewusstsein insofern zusammen, als die Aussageform »die Aussage . . . ist wahr« eine Beurteilung eines Geltungsanspruchs
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ist. Das Urteil gehört daher schon zur Form eines Wissens über ein behauptetes oder zu prüfendes Wissen. Damit gehört es zu den logischen Formen des Selbstwissens oder Selbstbewusstseins. Dabei unterscheidet Hegel das Bewusst-Sein oder »Sein der Meinung« über einen anderen Gegenstand in der Welt von einer nur zunächst etwas mystischen »Rückkehr aus dem Anderssein« zu sich selbst, da ja jedes Selbst-Bewusstsein sich selbst zum Gegenstand machen muss. Der Form nach muss ich mir im Vollzug eine Art Selbstmodell gegenüberstellen und als Darstellung meiner selbst anerkennen – womit dann natürlich gleich die Frage nach der Wahrheit (Korrektheit, Richtigkeit) des Selbstmodells oder der Selbstaussage bzw. seiner Anerkennung auftreten wird, ferner die Frage, inwiefern man Selbstmodelle und Selbstaussagen durch sein eigenes Tun wahr machen kann. Im letzteren Fall wird das Selbstbewusstsein zu einer praktischen Selbstbestimmung. »Das Sein der Meinung, die Einzelnheit und die ihr entgegengesetzte Allgemeinheit der Wahrnehmung sowie das leere Innere des Verstandes sind nicht mehr als Wesen, sondern als Momente des Selbstbewußtseins, d. h. als Abstraktionen oder Unterschiede, welche für das Bewußtsein selbst zugleich nichtig oder keine Unterschiede und rein verschwindende Wesen sind. Es scheint also nur das Hauptmoment selbst verloren gegangen zu sein, nämlich das einfache selbständige Bestehen für das Bewußtsein. Aber in der Tat ist das Selbstbewußtsein die Reflexion aus dem Sein der sinnlichen und wahrgenommenen Welt und wesentlich die Rückkehr aus dem Anderssein. Es ist als Selbstbewußtsein Bewegung; aber indem es nur sich selbst als sich selbst von sich unterscheidet, so ist ihm der Unterschied unmittelbar als ein Anderssein aufgehoben; der Unterschied ist nicht, und es nur die bewegungslose Tautologie des: Ich bin Ich; indem ihm der Unterschied nicht auch die Gestalt des Seins hat, ist es nicht Selbstbewußtsein.« (121 | 104)
Für jetzt aber ist klar, dass für die Frage nach dem Selbstbewusstsein die »bewegungslose Tautologie des Ich bin Ich« gerade deswegen nicht weiterhilft, im Unterschied etwa zu einer prakti-
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schen Selbstbestimmung und zu inhaltlich bestimmten Urteilen über mich selbst. 167 c
»Es ist hiemit für es das Anderssein als ein Sein oder als unterschiedenes Moment, aber es ist für es auch die Einheit seiner selbst mit diesem Unterschiede als zweites unterschiedenes Moment. Mit jenem ersten Momente ist das Selbstbewußtsein als Bewußtsein und für es die ganze Ausbreitung der sinnlichen Welt erhalten, aber zugleich nur als auf das zweite Moment, die Einheit des Selbstbewußtseins mit sich selbst, bezogen; und sie ist hiemit für es ein Bestehen, welches aber nur Erscheinung oder Unterschied ist, der an sich kein Sein hat. Dieser Gegensatz seiner Erscheinung und seiner Wahrheit hat aber nur die Wahrheit, nämlich die Einheit des Selbstbewußtseins mit sich selbst, zu seinem Wesen; diese muß ihm wesentlich werden, d. h. es ist Begierde überhaupt [man beachte die überraschende Wendung, PSW]. Das Bewußtsein hat als Selbstbewußtsein nunmehr einen gedoppelten Gegenstand, den einen, den unmittelbaren, den Gegenstand der sinnlichen Gewißheit und des Wahrnehmens, der aber für es mit dem Charakter des Negativen bezeichnet ist, und den zweiten, nämlich sich selbst, welcher das wahre Wesen und zunächst nur erst im Gegensatze des ersten vorhanden ist. Das Selbstbewußtsein stellt sich hierin als die Bewegung dar, worin dieser Gegensatz aufgehoben und ihm die Gleichheit seiner selbst mit sich wird.« (121 f. | 104)
Dass das Selbstbewusstsein als Bewusstsein oder Wissen einen gedoppelten Gegenstand hat, ergibt sich schon aus dem Begri= und dem Wort: es soll Bewusstsein (con-scientia) sein im Sinne eines Wissens von sich selbst. Im Selbstbewusstsein ist also das Bewusstsein sowohl als (Mit-)Wissen von der Welt thematisch, als auch als Vollzug des Selbstwissens selbst: Es ist Wissen vom Wissen und Selbstwissen. Der unendliche Regress liegt auf der Hand. Zunächst aber liegen schon von Anfang sozusagen rein verballogisch mehrere Bewusstseine vor: ein wissender Weltbezug und ein mitwissender Selbstbezug. Beide sind aber verschiedene Vollzüge mit unterschiedlichen Bezügen. Fichte versucht, dieses komplexe Verhältnis des Ichs oder Bewusstseins zur Welt und
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zu sich auf zunächst vielleicht als ganz unbeholfen erscheinende Weise in Formeln wie »Ich = Ich« und »Ich = (Ich = Ich)« auszudrücken. In der zweiten Formel soll o=enbar eine Aussageform der folgenden Form stenographisch dargestellt werden: »Ich setze mich im Vollzug des Selbsturteils mit dem Ich gleich, das ich mir als Gegenstand gegenübersetze«. Anders gesagt: Die Formeln stehen für die Aussageform, dass diese oder jene Kennzeichnung auf mich zutri=t, wobei die zweite wohl folgende Langform darstellen soll: »Ich sage von mir, dass ich identisch bin mit der Person, die so und so zu kennzeichnen ist.« Wie schon erwähnt, ist auf die Gestalt des Seins, des Vollzugs, des Tuns zu achten, in dem Selbstbewusstsein empraktisch wirklich ist oder wird. Die Explikation des Begri=es des Selbstbewusstseins findet in diesem Tun das zugehörige Fürsichsein, so dass ein Selbstbewusstsein an und für sich immer, um es so zu sagen, ein begri=lich seiner selbst bewusstes Selbstbewusstsein sein muss. Das heißt, ich muss mir im Fall vollen Selbstbewusstseins dessen bewusst sein, was Selbstbewusstsein begri=lich ist und wie sich der Begri=, die Rede über Selbstbewusstsein, zur Sinnlichkeit und zum Verstand, zu Vernunft und Geist bzw. zu den entsprechenden Begri=en verhält.
19.1 Leben als Identitätsstiftung Der wohl schwierigste Teil der Überlegung Hegels hängt an dieser Stelle einerseits mit der Beziehung zwischen theoretischem Wissen und praktischem Können und zwar sowohl in Beziehung auf die Welt als auch auf sich selbst zusammen, anderseits mit der Frage nach den Bedingungen der Wahrheit oder Richtigkeit von Urteilen, und zwar zunächst wieder sowohl über die Welt als auch über sich selbst. Hegel sagt dazu zunächst inhaltlich, dass der Gegenstand des Bewusstseins insgesamt die ganze Welt in ihrer Ausbreitung ist, dass diesem aber die Einheit des (empraktischen) Selbstbewusstseins bzw. des Subjekts gegenübersteht. Die Frage
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ist nun: Worin besteht die Einheit des Subjekts, des Selbsts oder Ichs, das Bewusstsein von der Welt hat, sich also dieser oder jener Dinge oder Erscheinungen bewusst ist? Hegels zunächst völlig überraschende Antwort lautet: Diese Einheit ist die Begierde überhaupt. Wir sollten es erst einmal bei dieser Überraschung belassen. Denn das zwingt uns dazu zu fragen, warum wir überrascht sind. Einen ersten Hinweis gibt Hegel selbst, indem er auf den Zusammenhang der Begierde überhaupt mit dem Leben verweist: 168
»Der Gegenstand, welcher für das Selbstbewußtsein das Negative ist, ist aber seinerseits für uns oder an sich ebenso in sich zurückgegangen als das Bewußtsein andererseits. Er ist durch diese Reflexionin-sich Leben geworden. Was das Selbstbewußtsein als seiend von sich unterscheidet, hat auch insofern, als es seiend gesetzt ist, nicht bloß die Weise der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung an ihm, sondern es ist in sich reflektiertes Sein, und der Gegenstand der unmittelbaren Begierde ist ein Lebendiges. Denn das Ansich oder das allgemeine Resultat des Verhältnisses des Verstandes zu dem Innern der Dinge ist das Unterscheiden des nicht zu Unterscheidenden oder die Einheit des Unterschiedenen. Diese Einheit aber ist ebensosehr, wie wir gesehen, ihr Abstoßen von sich selbst, und dieser Begri= entzweit sich in den Gegensatz des Selbstbewußtseins und des Lebens: Jenes die Einheit, für welche die unendliche Einheit der Unterschiede ist; dieses aber ist nur diese Einheit selbst, so daß sie nicht zugleich für sich selbst ist. So selbständig also das Bewußtsein, ebenso selbständig ist an sich sein Gegenstand. Das Selbstbewußtsein, welches schlechthin für sich ist und seinen Gegenstand unmittelbar mit dem Charakter des Negativen bezeichnet oder zunächst Begierde ist, wird daher vielmehr die Erfahrung der Selbständigkeit desselben machen.« (122 | 104 f.)
Die Einheit des Subjektes ist sein Leben. Auch der Übergang zum Leben sollte uns überraschen. Die Einheit der empraktischen Selbstgewissheit und des praktischen Selbstbezugs ist aber in der Tat die Beziehung des Lebens auf dieses Leben selbst. Die Begierde des Subjekts ist, als Subjekt zu leben und weiterzuleben.
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Der Gegenstand der Begierde des lebenden Wesens, verstanden als das, was das Begehren befriedigt, ist das Lebendige selbst, aber nicht etwa irgendein anderes Lebendiges, wie man beim unmittelbaren Lesen der Sätze meinen könnte und leider auch die meisten Leser Hegels zu meinen scheinen, sondern das lebendige Wesen selbst. Mit anderen Worten, das lebendige Wesen selbst befriedigt in seinem weiteren Leben das Begehren, und zwar, wie wir sehen werden, nicht nur dadurch, dass es einfach irgendwie weiterlebt, sondern dass dieses Weiterleben auf eine gewisse Weise dem guten Leben der Gattung des Lebewesens entspricht. Diese Wendung zur Gattung ist die dritte Überraschung in Hegels Gedankengang an dieser Stelle. Eingeführt wird die Rede von der Gattung allerdings erst etwas später im Text, nämlich im Kontext der Erläuterung der Einheit von Leben im Vollzug und einer gewissen Reflexion auf dieses Leben in einer subjektiven Selbstgewissheit (self-awareness) oder einem unmittelbaren Selbstbewusstsein der reinen Subjektivität. »Die Bestimmung des Lebens, wie sie sich aus dem Begri=e oder dem allgemeinen Resultate ergibt, mit welchem wir in diese Sphäre eintreten [sic!, PSW], ist hinreichend, es zu bezeichnen, ohne daß seine Natur weiter daraus zu entwickeln wäre; ihr Kreis beschließt sich in folgenden Momenten. Das Wesen ist die Unendlichkeit als das Aufgehobensein aller Unterschiede, die reine achsendrehende Bewegung [eine schwierige Metapher!, PSW], die Ruhe ihrer selbst als absolutunruhiger Unendlichkeit; die Selbständigkeit selbst, in welcher die Unterschiede der Bewegung aufgelöst sind; das einfache Wesen der Zeit, das in dieser Sichselbstgleichheit die gediegene Gestalt des Raumes hat. Die Unterschiede sind aber an diesem einfachen allgemeinen Medium ebensosehr als Unterschiede; denn diese allgemeine Flüssigkeit hat ihre negative Natur nur, indem sie ein Aufheben derselben ist; aber sie kann die Unterschiedenen nicht aufheben, wenn sie nicht ein Bestehen haben. Ebendiese Flüssigkeit ist als die sichselbstgleiche Selbständigkeit selbst das Bestehen oder die Substanz derselben, worin sie also als unterschiedene Glieder und fürsichseiende Teile sind. Das Sein hat nicht mehr die Bedeutung der Abstraktion des Seins
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noch ihre reine Wesenheit [die] der Abstraktion der Allgemeinheit; sondern ihr Sein ist eben jene einfache flüssige Substanz der reinen Bewegung in sich selbst [das ist o=enbar eine Formel für das Leben und dem Ausdruck »autopoiesis« analog, PSW]. Der Unterschied dieser Glieder gegeneinander aber als Unterschied besteht überhaupt in keiner andern Bestimmtheit als der Bestimmtheit der Momente der Unendlichkeit [gemeint ist wohl die unendliche Di=erenz der Seinsweise des Lebendigen im Kontrast zum Toten, bloß Physikalischen, PSW] oder der reinen Bewegung [des Lebens, PSW] selbst.« (122 f. | 105)
Hegel selbst erwähnt, dass sich mit der Kategorie des Selbstbewusstseins, der Selbstbeurteilungen und Selbstbestimmungen ein neues Themenfeld erö=net. Ein Teil ist dabei die Subjektivität des Lebens im Vollzug. Das Leben ist Prozess. Hegels Bild für den Kreislauf des Lebens ist »achsendrehende Bewegung« – wobei dieser Kreislauf Selbsterhalt, Autopoiesis ist. Zugleich ist das Lebendige ein substantielles Individuum in der Zeit, mit einem leiblichen Körper. »Flüssig« ist das leibliche Leben, weil es im Sto=wechsel sich erhält, also ein Lebensprozess ist mit ›fürsichseienden Teilen‹, also leiblichen Organen, die ein Ganzes für sich ausmachen. Das Sein als Leben ist nicht mehr bloßes Ansichsein, sondern im Einzelindividuum (sogar tätiges) Fürsichsein, ja bestimmtes An-und-für-sich-sein. Dass sich die Dinge so mit dem Leben verhalten, wissen wir unmittelbar, aus dem eigenen Lebensvollzug. Dieser Vollzug, das eigene Leben, ist durchaus auf analoge Weise absolut wie Performationen der Aussage »ich denke«. Zwar kann etwa Knut Hamsun seiner Figur des Ich-Erzählers in dem Roman Hunger die Aussage »ich lebe« zuschreiben. Aber solche Zuschreibungen sind keine Performationen eines realen personalen Subjekts. Wenn ein reales personales Subjekt, etwa ich selbst, »ich lebe« sagt, ist es noch weniger möglich, dass die Aussage falsch oder unrichtig ist als im Fall der Aussage »ich denke«. Von noch anderem Typ sind Selbstzuschreibungen in Träumen, die im Fall, dass ich etwa davon träume, in Patagonien zu wandern, natürlich als Aussagen über die Realität falsch sein können. Daher ist ein Schluss von der Selbstzuschreibung
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»ich wandere« (»ambulo«), wie in der Debatte um Descartes, auf die Aussage »ich lebe« (»sum«) nicht sehr hilfreich: Nicht der inferentielle Übergang, die Wahrheit der Prämisse steht infrage. »Die selbständigen Glieder sind für sich; dieses Fürsichsein ist aber vielmehr ebenso unmittelbar ihre Reflexion in die Einheit, als diese Einheit die Entzweiung in die selbständigen Gestalten ist. Die Einheit ist entzweit, weil sie absolut negative oder unendliche Einheit ist; und weil sie das Bestehen ist, so hat auch der Unterschied Selbständigkeit nur an ihr. Diese Selbständigkeit der Gestalt erscheint als ein Bestimmtes, für anderes, denn sie ist ein Entzweites; und das Aufheben der Entzweiung geschieht insofern durch ein anderes. Aber es ist ebensosehr an ihr selbst; denn eben jene Flüssigkeit ist die Substanz der selbständigen Gestalten; diese Substanz aber ist unendlich; die Gestalt ist darum in ihrem Bestehen selbst die Entzweiung oder das Aufheben ihres Fürsichseins.« (123 | 105 f.)
Die Organe und Glieder des Leibes stehen nicht nur räumlich, sondern prozessual und funktional in bestimmten Relationen zueinander und bilden eine Einheit, die im Leben ein Bestehen hat. Auch das ist ganz allgemeines Formwissen. Warum die Substanz des Lebewesens unendlich sein soll, ist zunächst nicht so recht klar; aus der Sicht des Lebewesens selbst freilich ist es unendlich verschieden vom Toten. Und es ist auch so: Für es sind sein Anfang und sein Ende ›unendlich‹ weit entferntes Jenseits, das kategorial Andere; es ist und lebt nur zwischen Geburt und Tod. In der Tat korrespondiert die Di=erenz zwischen Totem und Lebendem einem kategorialen Unterschied und damit einer logisch traditionell »unendlich« genannten Negation. Beispiele für solche unendliche Verneinungen oder Kategorienfehler sind etwa: »Caesar ist keine Primzahl« oder »die Seele ist nicht blau« oder eben auch »dieser Leichnam ist Sokrates«. Sokrates selbst hat sich vor seinem Tod von seinem Leichnam distanziert, und das logisch ganz zurecht, auch wenn das nicht immer leicht zu verstehen ist, da man allzu schnell die Person im Ganzen, an die man sich auch noch nach ihrem Tod erinnern kann, entweder mit einer gespensterhaften Seele oder einer bloßen Charakterkonstruktion
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der Rezeption identifiziert. Dabei ist die Zweideutigkeit der Rede von der Existenz der Person o=enbar. Denn als lebende Person gibt es Sokrates nach seinem Tod nicht mehr. Über die Person im Ganzen aber sollten wir nicht bloß sagen, dass sie existiert hat, sondern dass es zeitallgemeine Aussagen über sie gibt, die sagen, wer Sokrates ist, und nicht bloß, wer er war. Wir können so heute noch sagen, wofür er steht und einsteht, nicht bloß, was er getan und gesagt hat. Auch Jesus lebt nur in diesem Sinn, was immer die Rezitatoren des Satzes »Jesus lebt« sonst noch meinen oder zu glauben meinen sollten. Wir sehen hier auch schon, dass und wie der Tod als Grenze des Lebens logisch bzw. kategorial relevant werden wird. 171
»Unterscheiden wir die hierin enthaltenen Momente näher, so sehen wir, daß wir zum ersten Momente das Bestehen der selbständigen Gestalten; oder die Unterdrückung dessen haben, was das Unterscheiden an sich ist, nämlich nicht an sich zu sein und kein Bestehen zu haben. Das zweite Moment aber ist die Unterwerfung jenes Bestehens unter die Unendlichkeit des Unterschiedes [sic!, PSW]. Im ersten Momente ist die bestehende Gestalt; als fürsichseiend oder in ihrer Bestimmtheit unendliche Substanz tritt sie gegen die allgemeine Substanz auf, verleugnet diese Flüssigkeit und Kontinuität mit ihr und behauptet sich als nicht in diesem Allgemeinen aufgelöst, sondern vielmehr als durch die Absonderung von dieser ihrer unorganischen Natur [sic!, PSW] und durch das Aufzehren derselben sich erhaltend [sic!, PSW]. Das Leben in dem allgemeinen flüssigen Medium, ein ruhiges Auseinanderlegen der Gestalten wird eben dadurch zur Bewegung derselben, oder zum Leben als Prozeß [sic!, PSW]. Die einfache allgemeine Flüssigkeit ist das Ansich, und der Unterschied der Gestalten das Andere. Aber diese Flüssigkeit wird selbst durch diesen Unterschied das Andere; denn sie ist itzt für den Unterschied, welcher an und für sich selbst und daher die unendliche Bewegung ist, von welcher jenes ruhige Medium aufgezehrt wird, das Leben als Lebendiges. – Diese Verkehrung aber ist darum wieder die Verkehrtheit an sich selbst; was aufgezehrt wird, ist das Wesen; die auf Kosten des Allgemeinen sich erhaltende und das Gefühl ihrer Einheit mit sich
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selbst sich gebende Individualität hebt gerade damit ihren Gegensatz des Andern, durch welchen sie für sich ist, auf; die Einheit mit sich selbst, welche sie sich gibt, ist gerade die Flüssigkeit der Unterschiede oder die allgemeine Auflösung. Aber umgekehrt ist das Aufheben des individuellen Bestehens ebenso das Erzeugen desselben. Denn da das Wesen der individuellen Gestalt, das allgemeine Leben, und das für sich Seiende an sich einfache Substanz ist, so hebt es, indem es das Andre in sich setzt, diese seine Einfachheit oder sein Wesen auf, d. h. es entzweit sie, und dies Entzweien der unterschiedslosen Flüssigkeit ist eben das Setzen der Individualität [sic!, PSW]. Die einfache Substanz des Lebens also ist die Entzweiung ihrer selbst in Gestalten und zugleich die Auflösung dieser bestehenden Unterschiede; und die Auflösung der Entzweiung ist ebensosehr Entzweien oder ein Gliedern. Es fallen damit die beiden Seiten der ganzen Bewegung, welche unterschieden wurden, nämlich die in dem allgemeinen Medium der Selbständigkeit ruhig auseinandergelegte Gestaltung und der Prozeß des Lebens ineinander; der letztere ist eben so sehr Gestaltung, als er das Aufheben der Gestalt ist; und das erste, die Gestaltung, ist eben so sehr ein Aufheben, als sie die Gliederung ist. Das flüssige Element ist selbst nur die Abstraktion des Wesens, oder es ist nur als Gestalt wirklich; und daß es sich gliedert, ist wieder ein Entzweien des Gegliederten oder ein Auflösen desselben. Dieser ganze Kreislauf macht das Leben aus, weder das, was zuerst ausgesprochen wird, die unmittelbare Kontinuität und Gediegenheit seines Wesens, noch die bestehende Gestalt und das für sich seiende Diskrete, noch der reine Prozeß derselben, noch auch das einfache Zusammenfassen dieser Momente, sondern das sich entwickelnde und seine Entwicklung auflösende und in dieser Bewegung sich einfach erhaltende Ganze.« (123–125 | 106 f.)
Das leibliche Leben hat eine Gestalt, die sich reproduziert und zugleich kontinuierlich entwickelt, und zwar nach einer Art Normalablauf – wobei im Sto=wechsel Formenreproduktionen stattfinden. In eben diesem Sinn ist das Leben ein Prozess. Als sich erhaltende Form ist das Einzelne etwas Lebendiges. Bei höheren Lebewesen ist das Einzelne Individuum, nicht in zwei Leben teilbar. Das allgemeine Leben ist die allgemeine Lebensvollzugs-
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form eines typischen Wesens seiner Art. Über die Einheit von o=enbar Unterscheidbarem, nämlich dem Leben als Prozess im Vollzug und dem Aufmerken auf diesen Prozess, sagt Hegel: 172
»Indem von der ersten unmittelbaren Einheit ausgegangen und durch die Momente der Gestaltung und des Prozesses hindurch zur Einheit dieser beiden Momente und damit wieder zur ersten einfachen Substanz zurückgekehrt wird, so ist diese reflektierte Einheit eine andere, als die erste. Gegen jene unmittelbare oder als ein Sein ausgesprochene ist diese zweite die allgemeine, welche alle diese Momente als aufgehobene in ihr hat. Sie ist die einfache Gattung, welche in der Bewegung des Lebens selbst nicht für sich als dies Einfache existiert; sondern in diesem Resultate verweist das Leben auf ein anderes, als es ist, nämlich auf das Bewußtsein, für welches es als diese Einheit oder als Gattung ist.« (125 | 107)
Das ist unmittelbar kaum zu verstehen. Daher ist hier, wenn irgendwo in Hegels Texten, eine Art Entzi=erung durch eine verständlichere Paraphrasierung angesagt. Ich denke, die Passage sagt das Folgende: In der Einheit von Lebensvollzug oder Lebensprozess und reflektierter Selbstgewissheit in einer Art aufmerksamen Selbstbezug besteht die Subjektivität höherer Lebewesen, wobei diese, wie Friedrich Kambartel tre=end formuliert, »selbst Betro=ene und Urheber von Erscheinungen« ihrer »praktischen Lebenswelt sind«67 und eben das auch merken, und zwar auf der Basis von Begierden und Befriedigungen. Eben damit liegt am Grunde jeder Subjektivität, auch der der Menschen, die Struktur der Begierde. Sie ermöglicht es höheren Lebewesen, Tieren und Menschen, ihrer selbst im Sinne einer self-awareness ›bewusst‹ (besser: proto-bewusst) zu sein, so dass sie, wie Kambartel weiter sagt, »subjektive Welt in diesem Sinne besitzen«. Diese Einheit der im skizzierten Sinn einer self-awareness auf ihr eigenes Leben oder Sein reflektierenden Subjektivität mit dem lebendigen Wesen selbst ist nach Hegel insofern ›die einfache Gattung‹ des jeweiligen Lebewesens, also eines höheren Tieres 67
Kambartel 2005, S. 254.
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oder eines Menschen, als sie die allgemeine Lebensform des Lebewesens charakterisiert, welche sich ihrerseits in der Struktur der Begierde und ihrer Befriedigung, im Selbsterhalt durch Essen und Trinken und im Arterhalt durch sexuelle Fortpflanzung äußert. Das ist unbezweifelbares allgemeines Wissen. Hegels kategoriale Analyse wird hier zu einer materialbegri=lichen Analyse des Lebens und, wie wir gleich sehen werden, der kategorialen Di=erenz zwischen dem Selbstbezug einer animalischen Begierde mit ihrer Befriedigung auf der einen Seite, einem Wollen oder Beabsichtigen mit der zugehörigen richtigen Erfüllung durch Arbeit bzw. durch eine freie Handlung beim Menschen auf der anderen Seite. Aber auch in Bezug auf Aussagen und Urteile wird die Unterscheidung zwischen subjektiver Befriedigung und transsubjektiver Erfüllung zentral werden, wie wir sehen werden. Sie bestimmt nämlich die Di=erenz zwischen Gewissheit und Wissen, damit auch zwischen Wahrscheinlichkeit (als verisimilitudo, nicht als bloß stochastische probabilitas) und Wahrheit (veritas). Das schon jetzt zu sagen ist deswegen wichtig, weil es im Vernunftkapitel um die Kritik an den Gewissheiten der Aufklärung und der Kantischen Philosophie gehen wird. Die Gattung oder dann auch die Lebensform der Gattung (etwa die Menschheit, man kann aber auch an das Wesen des Berglöwen denken) existiert als solche nicht unmittelbar »in der Bewegung des Lebens selbst«, sondern »für sich als dieses Einfache«. Es gibt immer nur die einzelnen Individuen, also mich oder dich oder den Löwen Jonathan im Zoo. Allerdings »verweist das Leben« jedes einzelnen Individuums der Gattung »in diesem Resultate«, nämlich im realen Vollzug des subjektiven Lebens des Einzelwesens, »auf ein Anderes, als es ist«. Dieses Andere identifiziert Hegel mit dem »Bewusstsein, für welches es als diese Einheit, oder als Gattung ist«. Diese schwierige Passage lese ich so, dass im unmittelbaren (sozusagen bloß erst animalischen) Selbstbewusstsein der bloßen self-awareness oder der Subjektivität höherer Lebewesen sozusagen proto-bewusst kontrolliert
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wird, ob die Normalitätsbedingungen des guten Lebens der Gattung erfüllt sind oder gerade noch nicht erfüllt sind. Diese Kontrolle ist, nach Hegel, unmittelbar immer rein subjektive Kontrolle der Befriedigung (oder Nichtbefriedigung) rein subjektiver Begierden. Die Begierden selbst (und gewissermaßen als ihr Spiegelbild das Schmerzempfinden) sind in der Tat mit der Lebensform (der Gattung) mitgegeben. Es wäre absurd, das zu bestreiten. In der Begierde und im Schmerz zeigen sich also gerade die Subjektivität oder die reflexive self-awareness und damit eine basale Art eines Proto-Selbstbewusstseins. Die unmittelbar natürliche Form dieses Proto-Selbstbewusstseins ist das Streben nach Befriedigung einer Begierde. Die Begierde ist also zunächst eine Art lebensförderndes Begehren der Subjektivität höherer Lebewesen. Pflanzen zum Beispiel haben keine Begierden, weil sie keine Subjekte sind. Und sie sind keine Subjekte, schon weil sie keine enaktiv perzipierenden Individuen mit Selbstgewahrsein, einem Proto-Bewusstsein, und mit Selbstbewegungen sind. Sie zeigen kein (Bewegungs-)Verhalten des Begehrens, also der Unbefriedigtheit der Begierde in Richtung der Befriedigung von Begierde. Zu fragen, woher wir das wissen, führt schon in die Irre. Denn es ist teils o=enkundig so, teils eine materialbegri=liche Grundlage des Begri=s der Perzeption, des (Selbst-)Gewahrseins und der Begierde selbst. Daher wissen wir, dass die Zuschreibungen von Schmerzen im Falle von Pflanzen und Bäumen metaphorisch bzw. katachrestisch zu lesen sind, sozusagen als bewusste Kategorienfehler, nicht anders als etwa auch die Rede von sprechenden Bäumen oder sprechenden Tieren wie z. B. bei Lukian oder den Hunden des Cervantes: Materialbegri=liche Aussagen dieser Art machen explizit, was wir im Allgemeinen schon davon wissen, was Leben und Lebewesen sind, und wie wir den Menschen als zoon logon echon oder animal rationale von den Tieren und diese von anderen Organismen kategorial unterscheiden. Im Begri= der Begierde findet Hegel nun den Kern der Subjektivität eines animalischen Wesens. Sie zeigt sich im Verhalten des
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Begehrens und der Befriedigung, negativ dann auch im Schmerz. Die basale Selbstgewissheit des Subjekts wird entsprechend mit den unmittelbaren Empfindungen des unbefriedigten Begehrens, der Befriedigung einer Begierde etwa im Gefühl der Sättigung bzw. der Linderung des Schmerzes resp. der Befriedigung einer Lust identifiziert. »Dies andere Leben aber, für welches die Gattung als solche und welches für sich selbst Gattung ist, das Selbstbewußtsein, ist sich zunächst nur als dieses einfache Wesen, und hat sich als reines Ich zum Gegenstande; in seiner Erfahrung, die nun zu betrachten ist, wird sich ihm dieser abstrakte Gegenstand bereichern und die Entfaltung erhalten, welche wir an dem Leben gesehen haben.« (125 | 107)
Was ist »dies andere Leben«, »für welches die Gattung als solche und welches für sich selbst Gattung ist«? In welchem Sinn ist dieses andere Leben »das Selbstbewusstsein«? Und was heißt es zu sagen, es sei »sich zunächst nur als dieses einfache Wesen«, und habe »sich als reines Ich zum Gegenstande«? Manche Leser deuten die Rede von einem anderen Leben so, als ginge es um einen zweites Individuum, das zum Beispiel zum Gegenstand erotischer Begierde werden könnte. Davon steht aber im Text nichts. Wie also ist der gesamte Gedankengang zu verstehen, ohne dass man unterstellen muss, dass Hegel einfach von Einfall zu Einfall springt – was ja durchaus auch der Fall sein könnte und wohl manchmal auch der Fall ist? Ich lese die Passage so, dass die Bedingungen der Befriedigung eines Begehrens dem einzelnen Lebewesen durch seine Lebensform mitgegeben sind, so dass es, wenn es Begierde oder Schmerz empfindet, also diese unbefriedigenden ›Zustände‹ sozusagen in sich findet, eine Di=erenz zwischen Ist- und einem Sollzustand empfindet. Die (subjektiv empfundene) Unterscheidung zwischen dem einen und dem anderen Leben ist also die Unterscheidung zwischen Ist-Zustand im realen Lebensvollzug und dem Sollzustand des guten bzw. schmerzfreien, gesunden Lebens. Dieser Sollzustand wird aber subjektiv gerade nur in der Di=erenzerfahrung der Begierde oder des Schmerzes von Lebewesen
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unmittelbar empfunden. Eben diese Empfindung ist das ProtoSelbstbewusstsein der Subjektivität oder der self-awareness. Sie ist gattungsmäßig bestimmt. Der begri=liche Angelpunkt der Überlegung Hegels ist nun der, dass das eigentliche Subjekt der self-awareness die Gattung, das eidos, das Wesen oder die ousia im Sinne der Lebensform ist, und nicht einfach der jetzige Leib als bloßes einzelnes Körperding an und für sich. Dass ich mich »zunächst nur als dieses einfache Wesen«, »als reines Ich zum Gegenstande« habe, bedeutet dann, dass ich mir in meiner unmittelbaren Subjektivität als empfindender und fühlender Mensch noch keineswegs dessen bewusst bin, dass diese self-awareness einen Gattungsbezug hat bzw. zur Kontrolle der Güte des Vollzugs der allgemeinen Seinsform im Leben der Art gehört. Objektiv, und das heißt, von unserem gemeinsamen Wissen her gesprochen, wissen wir aber, dass es sich so verhält. Hegel sagt dann weiter inhaltlich: Wir haben im Fall des menschlichen Lebens das Leben als leibliches und geistiges Leben vor uns. Das geistige Leben existiert im Modus des Wissens und Selbstwissens. Es ist als solches Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Es steht in gewissem Sinn dem animalischen Leben des Leibes, den bloßen Leibvollzügen, gegenüber. Wir werden zu sehen haben, wie sich das leibliche und das geistige Leben zueinander verhalten. Die Probleme der Interpretation des Textes hören mit diesem Zwischenergebnis aber noch keineswegs auf, zumal die Passagen, die wir gerade betrachten, vorgreifend Resultate einer Überlegung artikulieren, die Hegel erst später im Detail vorführt. Es sollte uns schon daher nicht wundern, dass wir ohne Vorgri= auf das, was später behandelt wird, kaum verstehen können, wovon Hegel spricht.
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19.2 Vom selbstgewissen Umgang mit Dingen zum selbstbewussten Ich und Wir »Das einfache Ich ist diese Gattung oder das einfache Allgemeine, für welches die Unterschiede keine sind, nur, indem es negatives Wesen der gestalteten selbständigen Momente ist; und das Selbstbewußtsein hiemit seiner selbst nur gewiß durch das Aufheben dieses andern, das sich ihm als selbständiges Leben darstellt; es ist Begierde. Der Nichtigkeit dieses andern gewiß, setzt es für sich dieselbe als seine Wahrheit, vernichtet den selbständigen Gegenstand und gibt sich dadurch die Gewißheit seiner selbst als wahre Gewißheit, als solche, welche ihm selbst auf gegenständliche Weise geworden ist.« (125 f. | 107)
In den Negativitätserfahrungen der Begierde oder des Schmerzes und in den Befriedigungen ihrer Aufhebung zeigt sich die wahre Selbstgewissheit und Weltgewissheit im (menschlichen) Leben. Es zeigt sich zugleich, inwiefern »das einfache Ich« gerade »die Gattung«, das Genus oder »das einfache Allgemeine« der Lebensform oder Seinsweise der Art (also des eidos) ist. Daher ist das Selbstbewusstsein der unmittelbaren self-awareness oder Subjektivität »seiner selbst nur gewiß, durch das Aufheben dieses andern, das sich ihm als selbständiges Leben darstellt; es ist Begierde«. Man mag hier monieren, dass Hegel hier einfach eine empirische Tatsache aus unserem Wissen über Lebendiges aufgreift und als begri=liche Notwendigkeit behandelt. In gewissem Sinn tut er das in der Tat, nur dass es sich nicht um Empirisches in seinem Sinn, nämlich nicht um eine Einzeltatsache handelt, die man narrativ berichten kann, sondern um den Inhalt eines ganz allgemeinen generischen Wissens. Hegels Argumentationen sind gerade als derartige materialbegri=liche Erinnerungen an basale Selbstverständlichkeiten zu verstehen. Wer formalistische Notwendigkeiten in einem Reich rein vorgestellter möglicher Welten verlangt, also Schlüsse, die rein formal gültig sind, unangesehen jedes Inhalts, der hat die phänomenologische, aufzeigende, Argumentationsform schon nicht verstanden. Mit dieser bloß negativen Aussage zu falschen Erwartungen ist allerdings der
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positive Argumentationsgang und der materialbegri=liche Status der Begründungen von generischen und damit begri=lichen Aussagen der Kategorie des Allgemeinen oder der standing sentences in dem von Hegel neu reformulierten Kontrast zu bloß empirischen Aussagen der Kategorie der Einzelaussagen über Einzelnes noch nicht schon begri=en. Klar ist nur, dass er sich hier für formale Schlüsse, die gültig bleiben, egal welche Wörter und Sätze an die Stelle von Variablen in Satzformen gesetzt werden, nicht interessiert, so dass wir das Logische über den Bereich der nur syntaktischen Formen von Sätzen und Satzumformungsregeln auf den dialogischen Umgang mit Aussagen ausdehnen müssen. Ich denke, was Hegel hier sagt, ist dann auch eine vielleicht suboptimale Formulierung der Tatsache, dass wir uns unserer Subjektivität im Gegensatz zu den Dingen um uns herum gerade in der tätigen Befriedigung von Begehrungen im Umgang mit diesen Dingen, etwa mit Nahrung, gewahr werden, und zwar in der Überwindung der Widerständigkeit der Dinge. Hegels anaphorische Beziehungen und Kommasetzungen sind notorisch unklar, etwa auch wo er sagt: »Es (das Selbstbewusstsein? das Andere? das Allgemeine?) ist in der Tat ein Andres als das Selbstbewusstsein, das Wesen der Begierde«. Gemeint könnte sein, dass in der Tat, also im Tun, in der tätigen Befriedigung der Begierde, das einfache Allgemeine der Gattung, also der begehrte Zustand der Befriedigung, vom Zustand der Begierde zu unterscheiden ist und dass zunächst nur letzterer dem Subjekt unmittelbar bewusst ist. Es könnte aber auch gemeint sein, dass der volle Begri= des Selbstbewusstseins vom unmittelbaren Begri= der Selbstgewissheit im Begehren zu unterscheiden ist. 175 a
»In dieser Befriedigung aber macht es die Erfahrung von der Selbständigkeit seines Gegenstandes. Die Begierde und die in ihrer Befriedigung erreichte Gewißheit seiner selbst [sic!, PSW] ist bedingt durch ihn, denn sie ist durch Aufheben dieses Andern; daß dies Aufheben sei, muß dies Andere sein.« (126 | 107)
Die naheliegendste Weise, die Überlegung zu lesen, besteht einfach darin, dass wir in der Widerständigkeit der Welt gegen die
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unmittelbare Befriedigung von Begehrungen deren Objektivität erfahren. Ein weiterer Gedanke, der mit diesem opaken Text möglicherweise zu verbinden ist, ist der folgende: Im Begehren steht das reale Leben im Vollzug, also der Ist-Zustand des Lebewesens, im Kontrast zu einem möglichen anderen Leben, also einem gespürten oder erlebten Soll-Zustand, negativ gegenüber. Der IstZustand ist daher tätig zu negieren bzw. zu verändern. Die Negation oder Spannung zwischen Ist- und Sollzustand kann an drei Dingen liegen: entweder unmittelbar in der real existierenden, rein subjektiven und gelegentlich auch zufälligen Begierde, dem reinen Unbefriedigtheitszustand des Begehrens, in dem sich das einzelne Lebewesen oder der Mensch gerade befindet (1), oder in einer allgemeinen Bestimmung von Erfüllungsbedingungen, die nicht etwa nur dem Ist-Zustand, sondern irgendwelchen anderen möglichen Bestimmungen gegenübergestellt werden (2), »oder als seine unorganische allgemeine Natur« im Sinne eines nicht erfüllten eidos, einer Di=erenz zur Lebensform der Gattung (3). In welchem Sinne »diese allgemeine selbständige Natur« »die Gattung als solche, oder als Selbstbewusstsein« ist, haben wir im Grunde schon gesehen. Implizit bestimmt sie die subjektive awareness der Di=erenzerfahrung zwischen Ist- und Sollzustand. Die Selbständigkeit der Dinge der Welt zeigt sich jedenfalls nirgends so deutlich wie in ihrer Widerständigkeit im Prozess der Befriedigung eines Begehrens. Man muss sich das, was es zu essen oder zu trinken gilt, sozusagen erst erarbeiten, es finden, herstellen, genießbar machen, zuvor vielleicht fangen usf. So gelesen geht es erst noch um die Anerkennung der Weisheit der Tiere, nämlich dass es das, was es zu essen oder zu trinken gibt, nicht einfach durch uns selbst gibt, dass aber die Unabhängigkeit dieser Dinge durch ihre Einverleibung gleich wieder aufgehoben wird. »Das Selbstbewußtsein vermag also durch seine negative Beziehung ihn [den Gegenstand des Begehrens, PSW] nicht aufzuheben; es erzeugt ihn darum vielmehr wieder, so wie die Begierde.« (126 | 107)
Das Selbstgewahrsein in der Begierde, das in der Spannung des Begehrens besteht, entsteht immer wieder neu. Die Begierde, et-
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was zu verzehren, wird nur auf Zeit befriedigt. In der realen Welt entsteht immer wieder eine neue Begierde und mit ihr ein neuer Gegenstand des Begehrens, der die Begierde (vielleicht) befriedigt. 175 c
»Es ist in der Tat ein anderes, als das Selbstbewußtsein, das Wesen der Begierde; und durch diese Erfahrung ist ihm selbst diese Wahrheit geworden. Zugleich aber ist es ebenso absolut für sich, und ist dies nur durch Aufheben des Gegenstandes, und es muß ihm seine Befriedigung werden, denn es ist die Wahrheit.« (126 | 107 f.)
Das Gewahrsein von Begehren und Befriedigung ist etwas Absolutes. Es ist eine spürende Haltung zur Welt im Vollzug. Aber das Wesen oder die Seinsweise der Begierde ist noch nicht Selbstbewusstsein. Es ist bloßes Selbstgewahrsein in einem impliziten Gegenstandsbezug (gerade auch als Spannungsempfindung). Es ist nicht ganz klar, ob Hegel sagt, dass das tatsächlich so ist, oder ob er meint, das zeige sich im Tun, in der Tat. Jedenfalls bezieht sich das (Proto-)Selbstbewusstsein des bloßen Selbstgewahrseins im Begehren vorzüglich auf den begehrten Gegenstand, nicht auf sich selbst. Die Erfahrung der Di=erenz zwischen uns und der Welt und damit der impliziten Reflexion auf uns selbst im Kontrast zur Umwelt machen wir gerade im Kontext der zum Teil glückenden, zum Teil missglückenden Versuche, eine Begierde zu befriedigen, etwa im Essen und Trinken. Befriedigt wird dabei eine Begierde normalerweise durch das Aufheben des Gegenstandes. 175 d
»Um der Selbständigkeit des Gegenstandes willen kann es daher zur Befriedigung nur gelangen, indem dieser selbst die Negation an ihm vollzieht; und er muß diese Negation seiner selbst an sich vollziehen, denn er ist an sich das Negative, und muß für das andre sein, was er ist. Indem er die Negation an sich selbst ist und darin zugleich selbständig ist, ist er Bewußtsein.« (126 | 108)
Die Begierde nach Nahrung zielt auf die Einverleibung des Gegenstandes ab. Dieser hört damit auf, ein anderer Gegenstand für mich zu sein. Er wird Teil meiner selbst. Das ist die Negation der Begierde. Es ist zugleich die Negation des Gegenstandes als gegen mich stehend. Unklar ist in dieser Lesart, warum der
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Gegenstand Bewusstsein sein soll. Geht es hier also doch schon um ein Bewusstsein seiner selbst, also um die Aussageform »ich bin mir dessen bewusst, dass das und das von mir gilt«? Und wie verhält sich diese zur Befriedigung einer Begierde? Wie verhält sich überhaupt die Wahrheit des Selbstbewusstseins, ob als Selbstgewahrsein oder schon als Selbstwissen, zu seinem Gegenstand? Es ist wohl am Besten, wir verfolgen einfach die letzte Frage weiter. Der Gegenstand des Selbstbewusstseins ist das Selbst bzw. das Wissen und Bewusstsein. In gewissem Sinn muss der Gegenstand des Selbstwissens schon etwas selbständig Bestimmtes sein. Daher kann auch das (Proto-)Selbstbewusstsein des Begehrens »zur Befriedigung nur gelangen«, indem es irgendwie verschieden und irgendwie gleich ist mit dem es erfüllenden ›Gegenstand‹. Die Unterscheidung ist also etwas, was zumindest auch im Prozess der Entgegensetzung von Selbst und Wissen bzw. von Wissen des Wissens und Objektwissen, kurz von Selbstbewusstsein und Bewusstsein stattfindet. »An dem Leben, welches der Gegenstand der Begierde ist, ist die Negation entweder an einem andern, nämlich an der Begierde, oder als Bestimmtheit gegen eine andere gleichgültige Gestalt, oder als seine unorganische allgemeine Natur.« (126 | 108)
Der Gegenstand der Begierde ist, wie gesagt, ein anderes Leben oder ein anderer Zustand, als der es ist, in dem sich das begehrende Wesen gerade befindet. Dabei kann die Aufhebung der Begierde, ihre Negation in der Befriedigung, entweder dadurch geschehen, dass sich die Begierde selbst aufhebt, also einfach nicht mehr da ist (selbst wenn das im Fall des Hungers durch einen Schlag gegen den Bauch geschehen sollte oder im Delirium), oder dadurch, dass der Zustand, der das Begehren befriedigt, eine bestimmte Gestalt annimmt, also etwa das Tier wirklich gesättigt wird. Das geschieht partiell durch ein Geschehen in der »unorganischen allgemeinen Natur« des Lebewesens, das den Hunger (etwa aufgrund chemischer oder physiologischer Prozesse im Leib) zum Schweigen bringt.
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»Diese allgemeine selbständige Natur aber, an der die Negation als absolute ist, ist die Gattung als solche oder als Selbstbewußtsein.« (126 | 108)
Der Satz ist höchst obskur, wie eben bei Hegel die anaphorischen Beziehungen der Ausdrücke »es« und »er«, »sein«, »dies« und »als« häufig keineswegs eindeutig sind. Er besagt aber wohl so etwas wie: Die Negation, die sich im Begehren dem Lebewesen selbst als Mangel zeigt, bezieht sich auf die »allgemeine selbständige Natur«, also auf das gute Leben nach Art der Spezies oder Gattung. Das Selbstgewahrsein ist daher immer auch schon ein arttypisches Bemerken von Mangelerscheinungen oder der Beendigung der Mangelempfindung, des Hungers, Durstes oder Schmerzes. Es wird sich am Ende ohnehin ganz allgemein herausstellen, dass in gewissem Sinn das eigentliche personale Subjekt an sich des vollen personalen Selbstbewusstseins gar nicht das bloß einzelne personale Individuum für sich ist, sondern ein generisches Man oder Wir. 175 g
»Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem andern Selbstbewußtsein.« (126 | 108)
Der von Hegel selbst hervorgehobene Merksatz ist ein Orakel. Von zwei Personen, wie die meisten Interpreten meinen, muss dabei noch keineswegs die Rede sein. Der Satz könnte z. B. immer noch einfach besagen, dass sich der Ist-Zustand des Zustands des Begehrens oder des Schmerzes ändern muss, und dass das nur in einem Prozess in der Zeit möglich ist. Oder er könnte sagen, dass wir in jedem Selbstwissen zwischen Subjekt und Objekt des Wissens unterscheiden müssen und dass das Objekt so sein muss, dass die Wahrheitsbedingungen der Selbstaussage erfüllt sind. Oder der Satz sagt einfach dieses: Ein Selbstwissen hat die Form »Ich weiß, dass ich so . . . bin«. Das aber ist per se bloß ein expressiver Ausdruck von Selbstgewissheit. Zu einem Selbstwissen wird diese Gewissheit erst, wenn die Erfüllungsbedingungen der Selbstaussage als erfüllt bestätigt sind. Dazu reicht ein bloßes Proto-Selbstbewusstsein, die Selbstgewissheit des Selbstgefühls, noch keineswegs aus. Wir brauchen daher über das Befriedi-
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gungsgefühl der Selbstgewissheit noch eine andere Form des Selbstbewusstseins, ein Selbstwissen, das ohne die Bestätigung unserer Selbstaussage durch weitere Personen nicht als Wissen anerkennbar ist. Da das später in der Tat Hegels Einsicht sein wird, kann man die Passage durchaus auch schon als Vorgri= auf sie lesen, obwohl sie dann argumentativ etwas plötzlich daherkäme. »In diesen drei Momenten ist erst der Begri= des Selbstbewußtseins vollendet: a) reines ununterschiedenes Ich [das Leben oder Selbstsein im Vollzug, PSW] ist sein erster unmittelbarer Gegenstand. b) Diese Unmittelbarkeit ist aber selbst absolute Vermittlung, sie ist nur als Aufheben des selbständigen Gegenstandes [das Leben muss erhalten werden, PSW], oder sie ist Begierde. Die Befriedigung der Begierde ist zwar die Reflexion des Selbstbewußtseins in sich selbst oder die zur Wahrheit gewordene Gewißheit [sic!, PSW]. c) Aber die Wahrheit derselben ist vielmehr die gedoppelte Reflexion, die Verdopplung des Selbstbewußtseins [in die bloß gespürte Befriedigung und die richtige Erfüllung einer normativen Bedingung, PSW]. Es ist ein Gegenstand für das Bewußtsein, welcher an sich selbst sein Anderssein oder den Unterschied als einen nichtigen setzt und darin selbständig ist. Die unterschiedene, nur lebendige Gestalt [sic!, PSW] hebt wohl im Prozesse des Lebens selbst auch ihre Selbständigkeit auf, aber sie hört mit ihrem Unterschiede auf, zu sein, was sie ist; der Gegenstand des Selbstbewußtseins ist aber ebenso selbständig in dieser Negativität seiner selbst [als Erfüllungsbedingung, PSW]; und damit ist er für sich selbst Gattung, allgemeine Flüssigkeit in der Eigenheit seiner Absonderung; er ist lebendiges Selbstbewußtsein.« (126 f. | 108)
Zunächst wird jetzt nur wieder daran erinnert, dass die Struktur jedes Selbstbewusstseins von der Form sein muss, dass es sich in irgendeiner Weise auf sich selbst zurückbezieht, etwa im Modus der self-awareness. Logisch ist das nichts Mystisches. Wir wissen allerdings schon, dass Selbstbezüge immer die logische Form der Fürsichseins x R y haben, mit x = y. Wir haben dabei als ›Gegenstand‹ die Vielheit seiner ihm zugehörigen Erscheinungen oder Teilmomente zu betrachten. Es geht also darum, die epistemischen und dann auch praktischen Selbstbezüge des
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Selbstbewusstseins nicht in der irreführenden Form x R x zu untersuchen, sondern als Beziehungen eines y0 zu einem y1 so zu deuten, dass y0 und y1 verschiedene Vertreter oder Repräsentationen von x sind. Ein Beispiel für diese Struktur ist, wie Hegel erkennt, die Beziehung zwischen Begierde und Befriedigung. Um das zu sehen, sei der Begehrenszustand des lebendigen Wesens x als y0 (x) charakterisiert. Es sei der mögliche Erfüllungszustand y1 (x). Die Beziehung des Begehrens zu seiner Befriedigung ist die Beziehung von y0 (x) zu y1 (x). Sie ist einem Wesen x mit Subjektivität unmittelbar bewusst. Sie gehört ihm also jetzt schon an. Sie ist als Prozess der Befriedigung des Begehrens im Tun oder in der Tat ein Teil des ganzen Subjekts. Das gilt gerade auch für die Gefühle des Begehrens y0 (x) und der Befriedigung y1 (x). Als allgemeiner Prozess des Lebens aber ist das alles in der Form der Seinsweise von Lebewesen der entsprechenden Gattung oder Art mitgegeben. Es kann z. B. sein, dass das einzelne Lebewesen Hungers stirbt, weil man stirbt, wenn man zu wenig zu essen hat. Das einzelne Wesen bezieht sich dementsprechend im Begehren auch auf die Gattung, und zwar weil Begierden sich auf allgemeine Weise leiblich zeigen. Damit haben wir den schwierigsten Punkt erreicht, in dem es um die »Verdoppelung des Selbstbewusstseins« geht. Denn der Selbstbezug im Begehren kann »ein Gegenstand für das Bewusstsein« werden, wenn dieses »an sich selbst sein Anderssein oder den Unterschied als einen nichtigen setzt und darin selbständig ist«. Es ist bisher noch keineswegs gesagt, wie das möglich werden soll, wie wir uns also zu unseren unmittelbaren Begierden und damit zu einer unmittelbaren Subjektivität als einem Selbstbewusstsein erster Stufe, sozusagen, selbstbewusst verhalten können. Gesagt ist nur, dass in jeder Explikation des vollen Begri=s des (menschlichen) Selbstbewusstseins eben das erläutert werden muss. Der folgende Satz: »Erst hierdurch ist es in der Tat«, besagt dann vielleicht sogar, dass es das Selbstbewusstsein im handelnden Tun nur als zweitstufiges Selbstbewusstsein gibt. Das heißt, es ist kontrastiv abzusetzen von der bloß subjektiven
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Selbstgewissheit in einem bloß durch gegebene Begierden geleiteten Verhalten höherer Tiere mit Subjektivität: »Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Erst hierdurch ist es in der Tat; denn erst hierin wird für es die Einheit seiner selbst in seinem Anderssein; Ich, das der Gegenstand seines Begri=s ist, ist in der Tat nicht Gegenstand; der Gegenstand der Begierde aber ist nur selbständig, denn er ist die allgemeine unvertilgbare Substanz, das flüssige sichselbstgleiche Wesen. Indem ein Selbstbewußtsein der Gegenstand ist, ist er ebenso wohl Ich, wie Gegenstand. – Hiemit ist schon der Begri= des Geistes für uns vorhanden. Was für das Bewußtsein weiter wird, ist die Erfahrung, was der Geist ist, diese absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist [sic!, PSW]. Das Bewußtsein hat erst in dem Selbstbewußtsein, als dem Begri=e des Geistes, seinen Wendungspunkt, auf dem es aus dem farbigen Scheine des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet.« (127 | 108 f.)
Wenn Hegel hier sagt »Hiermit ist schon der Begri= des Geistes für uns vorhanden«, so spricht er, wie in den meisten Hinweisen, in denen der Ausdruck »für uns« steht, uns als Leser des ganzen Buches an und erlaubt sich einen Vorgri= der folgenden Art: Wir wissen im Grunde schon, dass es ein Selbstbewusstsein auf der zweiten Stufe nur im Rahmen einer humanen Kultur und Geistesgeschichte gibt, so dass am Ende das eigentliche Selbstbewusstsein in der Erkenntnis der wirklichen Formen geistigen Lebens besteht. Aber dazu kommen wir im Detail erst später. Jetzt geht Hegel in der Tat von der formalen logischen Beziehung im Begri= des Selbstbewusstseins als eines Bewusstseins des Bewusstseins oder Wissens seiner selbst über zum Verhältnis zwischen Personen mit je eigenem (Selbst-)Bewusstsein. Wir werden aber immer zu beachten haben, ob in den Aussagen die je subjektive Perspektive einer schon explizit auf sich reflektierenden Person eingenommen wird, oder ob die Form der
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Reflexion kommentiert wird auf das, was Selbstbewusstsein allgemein ist. Insgesamt ist ein gemeinsam seiner selbst bewusstes Wir-Subjekt mit dem Titelwort »Geist« bezeichnet. Es ist das eigentliche Thema der begri=lichen Reflexion der Phänomenologie des Geistes. Es geht dabei also darum, die realen Erscheinungsformen des Geistes explizit zu machen. Dabei ist unter anderem die Di=erenz zwischen bloßer Subjektivität oder Selbstgewissheit in einem begierde- oder instinktgesteuerten Leben von Tieren und einem echten oder ›bewussten‹ Selbstbewusstsein von Menschen sowohl auf individueller Ebene als auch auf der Wir-Ebene der Gattung zu klären. Die berühmte Formel vom Ich, das ein Wir, und Wir, das ein Ich ist, weist hier auf die weiteren Überlegungen vor. Sie bedeutet zumindest auch, dass alles, was wir machen, je von uns distributionell zu machen ist: Je ich muss mich beteiligen. Das ist die relative Wahrheit des methodischen Individualismus. Der Merksatz besagt aber auch, erstens, dass logischerweise jedes ich-Sagen immer schon auf ein Du und damit auf ein Wir verweist, zweitens, dass jedes wir-Sagen einen Einzelsprecher voraussetzt, also je ich es bin, der »wir« sagt. Er bedeutet, drittens, auch schon, dass jeder Geltungsanspruch allgemein gemeint und seine Erfüllung nicht durch mich, sondern durch uns zu kontrollieren ist. Das Wir und Uns ist dann ein generisches Wir oder ein Man. Damit ist hier auch schon auf den Übergang zum Vernunftkapitel vorgegri=en: Nicht ich bin mir als bloß Einzelner gewiss, alle Wahrheit zu sein, wie das der subjektive Idealismus oder Solipsismus eines Bischof Berkeley im Grunde unterstellt oder bewiesen zu haben glaubt, auch wenn er das Gewusste zum bloß Wahrgenommenen herabsetzt und einen idealen Superperzeptor mit Gott identifiziert. Sondern wir wissen, oder man weiß, dass jeder Wissensanspruch eines Einzelnen nur dadurch Sinn hat, dass er eine Art Beitrag zu unserem allgemeinen Wissen zu sein beansprucht. Das ist der Kern der Einsicht in den Status von Wissen und Selbstbewusstsein auf dem Reflexions- oder logischen Verstehensniveau, das
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Hegel weiter unten unter den Titel »Vernunft« stellt, das aber zunächst bloße Selbstgewissheit ist, noch kein Selbstwissen.
A. Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft Das tätige Subjekt spürt sich im Vollzug einer Handlung als einzelnes selbständiges Selbstbewusstsein. Auf der Vollzugsebene erscheint die einzelne Person, genauer, ihr tätiger Leib, als das selbständig Tätige. Auf der Ebene der Formen aber ist die einzelne Person abhängig davon, was die Kulturwelt ihr als mögliche Handlungsformen anbietet.
20. Laufender Kommentar zur Bewegung des Anerkennens »Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem, und dadurch, daß es für ein anderes an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes. Der Begri= dieser seiner Einheit in seiner Verdopplung, der sich im Selbstbewußtsein realisierenden Unendlichkeit, ist eine vielseitige und vieldeutige Verschränkung, so daß die Momente derselben teils genau auseinandergehalten, teils in dieser Unterscheidung zugleich auch als nicht unterschieden oder immer in ihrer entgegengesetzten Bedeutung genommen und erkannt werden müssen.« (127 f. | 109)
Zunächst ist klar, dass jede Rede von einem Selbstbewusstsein oder Selbstwissen einerseits auf das Vollzugssubjekt des Wissens Bezug nimmt. Ich weiß etwas von mir. Ich bin mir dessen bewusst, wer ich bin, wo ich bin und was ich tue. Das Objekt oder der Gegenstand dieses Selbstwissens wird mit dem Subjekt selbst identifiziert. Daher müssen wir die Momente in jedem epistemischen oder dann auch handelnden Selbstbezug genau auseinanderhalten. Zugleich sind die Momente aber trotz dieser Unterscheidungen auch als nicht unterschieden zu begreifen. Wie aber sind solche Selbstbeziehungen im Allgemeinen und wie ist
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die epistemische Selbstbeziehung eines Selbstwissens oder Selbstbewusstseins im Besonderen überhaupt genauer zu verstehen? Was ist ihre logische Form? »Die Wahrheit des Bewusstseins ist das Selbstbewusstsein«, sagt Hegel in der Enzyklopädie § 424 wörtlich: Das Für-mich-Sein ist im Grunde das Gesamt meiner eigenen tätigen Beziehungen auf mich selbst. Man denke dabei wieder an die Fälle, in denen ich mich bilde oder formiere, um später etwas anderes tun zu können. Oder man denke an das Verhältnis zwischen einer herrschenden Absicht und den von ihr in Dienst genommenen Antriebskräften des ›niederen‹ Begehrungsvermögens. Folgendes ist nun eine ganz allgemeine Beobachtung zum Verhältnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein bzw. Weltwissen und Selbstwissen. Jeder Wissensanspruch über die Welt der Form `ich φ kann immer in eine Meta-Aussage über mich, also in die Form `ich φ∗ (ich) (lies: »Die Aussage φ∗ tri=t auf mich zu«) umgeformt werden, nämlich in die, in der ich explizit von mir sage, dass ich für φ einstehe, dass ich die entsprechenden inferentiellen Commitments für die Geltung von φ übernehme. Wenn ich also sage, dass man sich auf die Geltung von φ verlassen kann, sage ich immer auch, dass man sich auf mein Urteil verlassen kann, also auf mich. Ich sage damit, dass φ, und zugleich, dass man sagen würde oder sagen kann, dass φ: Das Man hat, wie das generische Wir, immer reale Vertreter, die für es reden; sie selbst können nicht reden. Es ist nicht eigentlich etwas ›Tiefes‹, auf das ich mit meinen Formeln hinweisen will. Ich will nur auf etwas aufmerksam machen, was wir alle wissen: Im normalen Urteilen und Aussagen fehlt immer die explizite Nennung des Sprechers oder des Urteilenden. Wo sie nicht fehlt, handelt es sich schon explizit um eine Aussage über den Sprecher selbst im Modus des Selbstbewusstseins. In jeder Selbstaussage der Form `ich φ(ich) sage ich nun explizit etwas über mich aus. Ich als Sprecher und ich als Besprochener bin dabei derselbe. Der hier leicht missbrauchte Fregesche Behauptungsstrich drückt dabei aus, dass ich den Inhalt der zunächst bloß möglichen Aussage φ(ich) als Aussage über mich anerkenne
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und das expressiv deklariere. Als bloß mögliche Aussage φ(x) über eine beliebige Person x ist die Aussage bloß eine Aussage an sich. Die Form `ich φ(ich) artikuliert entsprechend aufgrund der vorkommenden Variablen, wozu auch die Variable »ich« gehört, das, was das Selbstbewusstsein oder Selbstwissen ›an sich‹, also im Abstrakten und Formalen ausmacht. Erst wenn eine Person, ich selbst etwa, in die Rolle des Sprechers eintritt und wenn die Aussageform φ(x) oder auch φ(ich) in eine konkrete Aussage verwandelt ist, handelt es sich um ein Selbstbewusstsein ›an und für sich‹. Meine Anerkennung des Inhalts der Aussage φ(ich) über mich besagt, dass ich die Selbstaussage für wahr halte. Eine zweite Person, ein angesprochenes Du, tritt in dieser Struktur noch nicht explizit auf. Implizit aber ist sie als Adressat meiner Rede über mich immer schon da. Dabei kann, wie wir sehen werden, eine Selbstaussage auch falsch sein. Das Selbstbewußtsein ist fallibel. Ich kann mich über mich täuschen. Wir werden sehen, wie das logisch möglich wird, genauer, wann ich mit dieser Möglichkeit rechnen muss. Im Fall »ich lebe« muss ich nicht damit rechnen, was immer man sophistisch dagegen sagen mag. Aufgrund der in den meisten Fällen aber dann doch unaufhebbaren Möglichkeit der Selbsttäuschung wird aber klar, dass es dort kein unmittelbares Selbstwissen oder Selbstbewusstsein geben kann. Jede bloße Selbstgewissheit ist dort nämlich zunächst bloße Versicherung im Vollzug. Ob das dabei über sich Gesagte oder Gemeinte wahr ist, ist in diesen Fällen also noch o=en. Aus der Selbstgewissheit ergibt sich dann nicht schon ›automatisch‹ ein so und so bestimmtes Selbstwissen. Der auf Augustinus zurückgehende cartesische Schluss von der Selbstgewissheit eines Vollzugs etwa der Aussage (des Gedankens) »ich zweifle gerade« auf eine Selbstaussage im Urteil »es gibt mich als denkendes Wesen« ist zwar grundsätzlich gültig. Denn die konkrete Identität des Vollzugs-Ich und des AussageObjekts kann hier durchaus unterstellt werden. Das denkende Ich ist sich also unmittelbar seiner selbst gewiss. Das aber ist es, ohne
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wirklich zu wissen, wer oder was es ist, es sei denn, es wird schon vorausgesetzt, dass der Sprecher, also ich, wie wir alle, schon die komplexe Grammatik von »ich«, »du«, »wir«, »sie« usf. verstehen kann. Das ist aber dann schon nicht der Fall, wenn man meint, mit dem Wort »ich« auf ein inneres Wesen, eine wirkliche res cogitans als geistige Substanz zu verweisen. Hegel wird oft in die Tradition der Cartesianer gestellt, welche auf eine res cogitans schließen wollen. Tatsächlich löst er sich ganz radikal von ihnen ab. Der orakelartige Satz, das Selbstbewusstsein existiere an und für sich nur dadurch, dass es für ein anderes an und für sich ist, besagt also zunächst tatsächlich dasselbe wie der Satz, dass ein Selbstbewusstsein nur als anerkanntes Selbstwissen ein konkretes Wissen von sich selbst ist. Das kann bedeuten, dass der Inhalt des Wissens über sich nicht nur vom Sprecher selbst anzuerkennen ist, sondern auch von anderen Personen als anerkennbar zu bewerten ist. Die bloß faktische Anerkennung der anderen muss dabei nicht immer schon ausreichen. Das Problem bloßer Selbstgewissheit liegt darin, dass ich die Wahrheit einer inhaltlich bestimmten und nicht bloß tautologischen Überzeugung in ihrem konkreten, sachhaltigen Inhalt, an und für sich, oft nicht allein überprüfen kann. Selbstwissen gibt es also ›nur als ein Anerkanntes‹ und zwar im hier skizzierten komplexen Sinn, der u. U. darauf abstellt, dass man oder wir eine Gewissheit als Wissen anerkennen. Wir werden also ganz genau hinsehen müssen, wo ein reales und konkretes zweites personales Subjekt (als anderes Bewusstsein) ins Spiel kommt: In gewissen Fällen tritt neben das Ich mit Notwendigkeit ein reales Du. Allerdings brauchen wir für die Rekonstruktion des Argumentationsgangs etwas Geduld. Zunächst aber gilt: Jedes Anerkennen ist selbst ein performatives Tun. Es ist ein Anerkennen eines Inhalts, etwa einer Selbstaussage, zum Beispiel nach einer Kontrolle, ob der Inhalt besteht. Dann mag noch zu kontrollieren sein, ob die Kontrolle korrekt war. Der Form nach kann man jetzt unendlich so weitermachen und die Korrektheit der Korrekheitskontrolle prüfen. Billiger als über diesen
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möglichen unendlichen Aufstieg erhalten wir keine realistische Analyse des Wahrheitsbegri=s. »Die Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen liegt in dem Wesen des Selbstbewußtseins, unendlich, oder unmittelbar das Gegenteil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist, zu sein. Die Auseinanderlegung des Begri=s dieser geistigen Einheit in ihrer Verdopplung stellt uns die Bewegung des Anerkennens dar.« (128 | 109)
Der Doppelsinn des im Selbstbezug Unterschiedenen besteht eben darin, dass ich, wenn ich mich auf mich etwa in der Vergangenheit oder Zukunft beziehe, o=enbar ein anderer bin, als das es ist, worauf ich mich aus der Gegenwart heraus beziehe, das ich aber als ›Teil‹ von mir oder zu mir gehörig anerkenne. Dasselbe gilt, wenn ich mich als Sprecher jetzt auf meinen Leib oder Körper jetzt beziehe oder etwa auch auf mein Spiegelbild oder durch das Spiegelbild hindurch auf mein Aussehen (und so weiter) verweise. Der Doppelsinn des Unterschiedenen und Nicht-Unterschiedenen in der Selbstaussage liegt aber auch darin, dass ich im Vollzug unmittelbar nicht schon das bin, als was ich mich in meinem Urteil über mich bestimme, etwa in meinem ganzen Leben bisher, oder meinem Leben unter Einschluss meines zukünftigen Lebens, oder mich als Person oder Typ etc. Eine Unendlichkeit des Ich in der Selbstbeziehung besteht in der eben skizzierten potentiell unendlichen Folge der Kontrolle der Richtigkeit des Selbsturteils. Es ist keineswegs nur eine Formalität der Art, dass ich, wenn ich von mir zu wissen beanspruche, die Eigenschaft E zu besitzen, immer auch zu wissen beanspruche, ich wüsste, dass ich die Eigenschaft E habe und was der Inhalt von E ist. Immerhin führt die Prädikatorenregel »Wenn jemand weiß, dass φ, dann weiß er auch, dass er weiß, dass φ« zu unendlich vielen Sätzen des reflektierten Wissens, hier: des Selbstwissens. Nicht rein formal ist diese unendliche Folge deswegen, weil jeder Stufe eine gewisse Kontrolle korrespondiert: Während auf der ersten Stufe die unmittelbare Gewissheit etwa der Wahrhaftigkeit meiner Selbstaussage stehen mag, kann auf der zweiten
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Stufe die Frage entstehen, wie ›wahr‹ diese Selbstsicherheit ist bzw. wie ›unwahrhaftig‹ sie ›metastufig‹ gerade als bloße Gewissheit ist. Analoges gilt für die Frage, wie streng und akkurat ich die Bedingungen der Geltung der Aussage als erfüllt kontrolliert habe oder ob ich mich einfach auf irgendeiner Reflexionsebene zufrieden gebe damit, dass der Kontrollen jetzt genug ist. Eine andere Unendlichkeit des Ich besteht darin, dass in gewissem Sinn Beliebiges in meiner Welt mich vertreten kann: Ich bin in eben diesem Sinn meine Welt, wie wir noch genauer sehen werden. Wir werden nun zunächst die geistige Einheit des Ich als ›Bewegung des Anerkennens‹ genauer auseinanderzulegen haben, zumal in Bezug auf die Bedingungen und Möglichkeiten der (Selbst-)Kontrolle, in der wir die Wahrheit der Urteile bzw. Erfüllung der Bedingungen über sich selbst zu prüfen haben. 179 a
»Es ist für das Selbstbewußtsein ein anderes Selbstbewußtsein; es ist außer sich gekommen.« (128 | 109)
Der Satz ist in jedem Fall eine Art Orakel. Er wurde bisher zumeist umstandslos so gelesen, als stünde das Wort »Selbstbewusstsein« für eine Person, »ein anderes Selbstbewusstsein« für eine andere Person. Der Satz sagt aber zumindest auch, dass schon in den zwei Sätzen 1. Ich weiß, dass ich die Eigenschaft E habe. 2. Ich weiß, dass ich weiß, dass ich die Eigenschaft E habe. ebenso wie in den zwei Aussagen 3. Ich begehre bzw. wünsche, dass φ. 4. Ich beabsichtige, durch mein Tun φ zu erfüllen. jeweils zwei ›Formen‹ von Selbstbewusstsein bzw. Selbstbeziehung einander gegenüber stehen. Das ist zum einen die Form einer relativ unmittelbaren Selbstgewissheit, zum anderen die Form eines metastufig und reflektiert kontrollierten Selbstwissens. Das unmittelbare Selbstbewusstsein kommt also ›außer sich‹, indem es nicht unmittelbar sein Selbstwissen behauptet, sondern dieses als Wissen von sich selbst kontrolliert und damit einer bloß performativen Selbstgewissheit gegenüber stellt.
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»Dies hat die gedoppelte Bedeutung: erstlich, es hat sich selbst verloren, denn es findet sich als ein anderes Wesen; zweitens, es hat damit das Andere aufgehoben, denn es sieht auch nicht das andere als Wesen, sondern sich selbst im andern.« (128 | 109)
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Die Gegenüberstellung des Selbstbewusstsein als performative Selbstgewissheit im Vollzug – ich sage z. B. unmittelbar von mir, ich sei wahrhaftig – und das Selbstbewusstsein als mit-wissende Selbstkontrolle eben dieser Selbstaussagen – als reflexionslogische Antwort auf die selbstkritische Frage, ob mein Urteil über mich auch wirklich wahr ist – führt dazu, dass ich mich selbst als mir bloß unmittelbar selbstgewiss verloren habe: Das Selbstbewusstsein findet sich als ein anderes Wesen, nicht als eine andere Person, gerade weil ein Selbstwissen etwas anderes ist als bloße Selbstgewissheit. Außerdem wird der bloße Vollzug der Selbstgewissheit und damit ›das Andere‹ des Selbstwissens aufgehoben. Es geht nicht bloß um Gewissheit, sondern um Wissen. Das Basisproblem entsteht aus folgender denkwürdigen Tatsache: Wenn ich performativ sage, »ich weiß, dass φ von mir gilt«, muss ich praktisch immer (genauer: in den meisten Fällen, im allgemeinen Fall) zugeben, dass meine Aussage zunächst eine Performation im Modus der Selbstgewissheit ist und auch zunächst als solche zu betrachten ist. Das Selbstwissen muss sich daher, wie dann auch die Selbstbestimmung, selbst im Wissen der anderen ›sehen‹ und aufheben (können). »Es muß dies sein Anderssein aufheben; dies ist das Aufheben des ersten Doppelsinnes und darum selbst ein zweiter Doppelsinn; erstlich, es muß darauf gehen, das andere selbständige Wesen aufzuheben, um dadurch seiner als des Wesens gewiß zu werden; zweitens geht es hiemit darauf, sich selbst aufzuheben, denn dies andere ist es selbst.« (128 | 109)
Das Selbstbewusstsein muss also sein Anderssein, die Spannung zwischen Selbstgewissheit und Selbstwissen, aufheben. Die Selbstbestimmung muss die Spannung zwischen Begierde und Absicht, genauer, zwischen bloßen Befriedigungsgefühlen und wirklichen Erfüllungen aufheben. Das ist eine Aufhebung im
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Doppelsinn der Auflösung eines möglicherweise allzu unmittelbaren, daher partiell falschen, Verstehens. Es gilt, den rechten Sinn von Selbstbewusstsein, etwa als Selbstkontrolle, zu bewahren. In der Aufhebung entsteht der neue Doppelsinn, dass auch die Selbstkontrolle aus zwei Momenten besteht, dem Vollzug und damit der Selbstgewissheit und dem Inhalt, der kontrolliert wird, und der, so nehmen wir an, eine Selbstaussage ist. Indem ich wissen will, wer ich in Wahrheit bin, was also in Wahrheit von mir gilt, muss ich, erstens, die bloße Selbstgewissheit aufheben, kann also nicht einfach an gewisse Selbstaussagen glauben, sondern muss wissen, was ›mein Wesen‹ ist, also welche Aussagen über mich im reflexions- oder wesenslogischen Sinn wirklich wahr sind. Diese Aufhebung der Selbstgewissheit aber ist, zweitens, eine Art Selbstaufhebung: Denn das Andere des Selbstwissens bin ich selbst im selbstgewissen Vollzug. Wie also ist ein Selbstwissen möglich? Es ist diese Frage, die wir jetzt stellen müssen und auch erst jetzt in ihrer vollen Bedeutung verstehen und daher entsprechend weiter behandeln können. 181
»Dies doppelsinnige Aufheben seines doppelsinnigen Andersseins ist ebenso eine doppelsinnige Rückkehr in sich selbst, denn erstlich erhält es durch das Aufheben sich selbst zurück; denn es wird sich wieder gleich durch das Aufheben seines Andersseins; zweitens aber gibt es das andere Selbstbewußtsein ihm wieder ebenso zurück, denn es war sich im andern, es hebt dies sein Sein im andern auf, entläßt also das andere wieder frei.« (128 | 109)
Jede Rede von einem ›Selbst‹ oder ›autos‹, insbesondere jedes Selbst-Wissen, ist von folgender Form: Es setzt, erstens, einen Bereich von ›Gegenständen‹ voraus, die sich voneinander unterscheiden, abheben, sogar abstoßen, in diesem Sinn also repellieren, wie z. B. Kugeln im Billard, verschiedene Personen, oder auch verschiedene Zahlen. Die negierende Aufhebung des Andersseins, der Ungleichheit, ist metaphorisch gesprochen eine »Rückkehr in sich selbst«. Warum nur durch die aufhebende Verneinung des Andersseins eine ›Selbstbeziehung‹ logisch möglich wird, lässt
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sich formal wieder auf folgende Weise klar machen: Für Relationen der logischen Form des ›Andersseins‹ x R y gilt, sozusagen per Prädikatorenregel oder aus begri=lichen Gründen, aus x R y folgt x 6= y. Der konträre Relationstyp des Für-sich-seins ist, wie wir inzwischen wissen, dadurch charakterisiert, dass aus x R y begri=lich x = y folgt. So ist z. B. die Relation x R y für rationale Zahlen x = m/n und y = m∗ /n∗ eine Selbstbeziehung, wenn m · n∗ = n · m∗ gilt. Die Aufhebung der Di=erenz der verschiedenen Repräsentationen ›der gleichen‹ rationalen Zahl gibt uns diese selbst zurück. Eine rationale Zahl wie 3/4 wird sich selbst (wieder) gleich durch das ›Aufheben ihres Anderseins‹, also in dem Sinn, als 6/8, 12/16 etc. zwar andere Brüche sind, aber die gleiche rationale Zahl repräsentieren. Im Falle des Selbstwissens ist dies nun so anzuwenden: Ich weiß etwas von mir, wenn der ›Gegenstand‹, von dem ich etwas weiß, niemand anderer ist als ich selbst. Eine Selbstaussage der Form `ich φ(ich) ist demgemäß wahr, wenn ich als der Sprecher die Unterscheidung, welche zwischen φ und nicht-φ (oder ¬φ) unterscheidet, auf mich selbst anwenden kann und in der Anwendung anerkenne, dass φ (und nicht ¬φ) auf mich zutrifft. Der Rest der Metapher ist recht opak: Was heißt es, ›das andere Selbstbewusstsein ihm wieder zurückzugeben‹? Was heißt es, ›im Anderen zu sein‹? Was heißt es, ›das Andere wieder frei‹ zu lassen? Der Gedanke ist wohl der, dass wir, wenn wir uns unseres Tuns bewusst werden wollen, zwischen Vollzugs-Ich und Bezugs-Ich unterscheiden müssen, also zwischen Gegenstand der Rede oder des Denkens und dem Subjekt oder der Vollzugs-Person als ganzer. Im Urteil über mich, dass ich dieser und kein anderer bin, etwa ein Mann und keine Frau, erst noch ein Lernender und kein Wissender usf., gebe ich mir dieses selbst zurück, was ich an anderen unterscheide: das Mann- und Frau-Sein, das Lernen und das Wissen. Um aber nicht bloß von mir zu sagen, ich sei Lernender und nicht Wissender, sondern die Inhalte der Unterscheidung ernst nehme, muss ich auch so handeln, wie die inferentielle Bedeutung der Prädikate verlangt. Dazu reicht es nicht, etwas von mir
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formal als wahr zu erklären oder zu glauben. Ich muss in meinem Beispiel dann wirklich etwas lernen. Indem ich das tue, entlasse ich, als der, welcher über sich nachdenkt, mich als Handelnden wieder frei. Das bedeutet, dass wir von der bloß verbalen Anerkennung einer Selbstaussage zur realen, praktischen, übergehen müssen, dass wir also die inferentiellen Normen oft sogar noch tätig erfüllen müssen, wenn sie sich aus der Geltung der Selbstaussage ergeben. Das wiederum heißt, dass die Selbstaussage schon mit allerlei inferentiellen Commitments begri=lich verbunden ist, eine Tatsache, auf welche bekanntlich Robert Brandom mit allem Nachdruck hingewiesen hat. 182 a
»Diese Bewegung des Selbstbewußtseins in der Beziehung auf ein anderes Selbstbewußtsein ist aber auf diese Weise vorgestellt worden, als das Tun des Einen; aber dieses Tun des Einen hat selbst die gedoppelte Bedeutung, ebensowohl sein Tun als das Tun des Andern zu sein;« (128 | 110)
Zunächst ist unklar, ob »das Eine« und »das Andere« sich auf das Subjekt des Tuns bezieht oder auf das, was getan wird. Der Kontrast zwischen seinem Tun und dem Tun des Anderen spricht für die erste Lesart. Es ginge dann darum, dass ich im Vollzug eines Selbstwissens etwas anderes tue als das Selbst bzw. das Wissen, auf das ich mich beziehe, auch wenn insgesamt nur ein denkendes, sprechendes oder um sich selbst wissendes Ich da ist. Denn die Form des Selbstwissens oder Selbstbewusstseins ist ja gerade: »ich weiß, dass φ von mir gilt« bzw. »ich weiß, dass φ von x gilt und dass ich und x irgendwie identisch sind«. 182 b
»denn das andere ist ebenso selbständig, in sich beschlossen, und es ist nichts in ihm, was nicht durch es selbst ist. Das erste hat den Gegenstand nicht vor sich, wie er nur für die Begierde zunächst ist, sondern einen für sich seienden selbständigen, über welchen es darum nichts für sich vermag, wenn er nicht an sich selbst dies tut, was es an ihm tut. Die Bewegung ist also schlechthin die gedoppelte beider Selbstbewußtsein[e]. Jedes sieht das andre dasselbe tun, was es tut; jedes tut selbst, was es an das andre fodert, und tut darum, was es tut, auch nur insofern, als das andre dasselbe tut; das einseitige Tun
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wäre unnütz; weil, was geschehen soll, nur durch beide zu Stande kommen kann.« (128 f. | 110)
Die ganze ›Bewegung des Selbstbewusstseins‹, also der Selbstbezug im Selbstwissen, in welchem ich mich mir als Gegenstand gegenüber stelle und über diesen Gegenstand etwas aussage, diese Aussage schließlich als Aussage über mich erstens theoretisch (verbal) und dann praktisch (im Tun) anerkenne, ist ein Tun einer einzigen Person: Ich tue es. Aber es wird in seiner allgemeinen Form dargestellt: Jeder kann es tun. Aus der Form wiederum wird sich ergeben, dass mein Tun implizit einen Bezug auf das Tun der anderen hat, und auch darauf, was man tut oder tun soll. Das ›andere‹ Selbstbewusstsein bin ich, wenn ich mich selbst kontrolliere, zunächst also immer selbst. Wenn ich mir das, was ich dabei tue, wieder in einer weiteren Selbstreflexion bewusst mache, ist es mein Tun im Vollzug. Sein Inhalt ist ein (mögliches) Tun einer beliebigen anderen Person. ›Das Andere‹, von dem Hegel spricht, welches als selbständig gedacht wird, ist sozusagen ›das Man‹. Es ist neutraler Träger einer Handlungsform, also die allgemeine oder abstrakte Person – eng verwandt mit Kants ›transzendentalem Ich‹. Dieses ist ›selbständig‹, insofern die Möglichkeit bzw. Fähigkeit des Handelns gemäß einer Form schon da sein muss, bevor man sie aktualisieren kann. In diesem Sinn ist nichts im allgemeinen Selbstbewußtsein, ›was nicht durch es selbst ist‹. Das handelnde Ich, das bewusst im Blick auf einen Gegenstand urteilt und handelt, hat diesen Gegenstand nicht in der gleichen Weise präsent vor sich wie die Begierde, also das triebgeleitete Verhalten, seinen präsentischen Gegenstand – wobei ein Gegenstand schon dann präsent ist, wenn er sich aus der Situation dem animalischen Verhalten als ein Begierde-Ziel präsentiert, nicht erst dann, wenn das Tier den Gegenstand aktual im visuellen Blickfeld perzipiert: Perzeptionen sind holistische Reaktionen auf eine zeitlich auch in die Zukunft ausgedehnte Präsenz oder Gegenwart. In einem rein durch Begierde oder Triebe geleiteten Verhalten verhält sich das Tier direkt zur Umwelt. Es gibt kei-
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ne Verdoppelung des Objekts des Wissens oder Handelns oder des Subjekts, wie in der ›Selbstentfremdung‹ des reflektierenden Selbstwissens und einer reflektierten Selbstbestimmung. Dessen ›Gegenstand‹ oder ›Ziel‹ ist zunächst von mir bloß repräsentiert. Wenn ich dieser Gegenstand selbst bin, ist dieser Gegenstand die Person, welche ich sein will. So etwas geschieht etwa in der Verfolgung einer Absicht. Es geschieht auch, wenn ich sage, ich sei wirklich die Person, welche ich im Selbsturteil zu sein behaupte. Die Wahrheit einer Selbstaussage oder die Erfüllung einer Absicht oder eines Vorsatzes in der Selbstbestimmung ist so wenig wie die Befriedigung einer Begierde ein ›Selbstläufer‹. Der ›Gegenstand‹ erweist sich als selbständig und widerspenstig: Wenn ich als ganzer Leib nicht das bin oder tue, was ich von mir sage oder was ich beabsichtige, dann bleibt die Selbstaussage leer oder falsch. Die vermeintliche Selbstbestimmung findet nicht statt. Die ›Bewegung‹ des Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung ist daher eine doppelte. Sie legt eine Rede von mehreren ›(Selbst-) Bewusstseinen‹ nahe: Das eine ist der Inhalt der Selbstaussage oder der Absicht, das andere ist das reale Vollzugs-Ich. Ich als Denkender stehe mir als Handelndem gegenüber. Aber auch als tätig Urteilender bin ich zumeist nicht automatisch durch den allgemeinen Inhalt des Urteils bestimmt. Das Urteil kann falsch sein. In dieser Form der Reflexion auf sich ›sieht‹ jedes ›Moment‹ das andere ›Moment‹ dasselbe tun, was es tut: Ich bemerke, dass ich gerade schreibe, und schreibe gerade. Indem ich schreibe, dass ich schreibe, mache ich explizit, was ich gerade tue. Dabei fordert der Inhalt, was ich schreibe, dass ich schreibe. Und dass ich schreibe, fordert vom Satz über das, was ich tue, dass er sagt, dass ich schreibe. Ich tue darum, was ich gerade handelnd und absichtlich tue, insofern, als ›das Andere dasselbe tut‹, also insofern, als mein Tun mit meiner Absicht übereinstimmt, die gerade skizzierten Sätze schriftlich zu kommentieren. »Das einseitige Tun wäre unnütz«. Das bedeutet, ein bloß unbewusstes, nicht durch meine Absicht kontrolliertes, Verhalten würde nicht das erfüllen, »was geschehen soll«, und zwar vermöge
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meines selbstkontrollierten Selbstbewusstseins, das in der Absicht Selbstbestimmung ist. Diese gibt es nur in der Verdoppelung des Tuns durch das begleitende Mit-Wissen der Selbstkontrolle und Mit-Beabsichtigung der Selbstbestimmung. »Das Tun ist also nicht nur insofern doppelsinnig, als es ein Tun ebensowohl gegen sich als gegen das andere, sondern auch insofern, als es ungetrennt ebensowohl das Tun des Einen als des Andern ist.« (129 | 110)
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Das handelnde Tun ist doppelsinnig, so wie das Aufheben des Andersseins generell doppelsinnig ist: Ich selbst handle z. B. gemäß einem Vorsatz oder einer Absicht. Aber der Vorsatz oder die Absicht sagt, was ich tun soll oder tun muss. Mein Tun ist ein Tun ›gegen das Andere‹ – was ich also gemäß meiner eigenen Absicht tun soll. Es ist mein Tun. Aber es ist dies nur insofern, als jeder, der die entsprechende Absicht hat, diese durch sein Tun erfüllen muss: Jeder müsste z. B. schreiben, wenn er einen Kommentar schreiben will. »In dieser Bewegung sehen wir sich den Prozeß wiederholen, der sich als Spiel der Kräfte darstellte, aber im Bewußtsein. Was in jenem für uns war, ist hier für die Extreme selbst. Die Mitte ist das Selbstbewußtsein, welches sich in die Extreme zersetzt; und jedes Extrem ist diese Austauschung seiner Bestimmtheit und absoluter Übergang in das Entgegengesetzte. Als Bewußtsein aber kommt es wohl außer sich, jedoch ist es in seinem Außersichsein zugleich in sich zurückgehalten, für sich, und sein Außersich ist für es. Es ist für es, daß es unmittelbar anderes Bewußtsein ist und nicht ist; und ebenso, daß dies Andere nur für sich ist, indem es sich als für sich Seiendes aufhebt und nur im Fürsichsein des andern für sich ist. Jedes ist dem andern die Mitte, durch welche jedes sich mit sich selbst vermittelt und zusammenschließt, und jedes sich und dem andern unmittelbares für sich seiendes Wesen, welches zugleich nur durch diese Vermittlung so für sich ist. Sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend.« (129 | 110)
Das ›Spiel der Kräfte‹ war ein Spiel von Dispositionen in der Erklärung bzw. ›Verursachung‹ von Verhalten gewesen. In der
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selbstbewussten Absicht oder einem selbstbestimmten und selbstkontrollierten Tun wiederholt sich dieses Spiel auf folgende Weise ›im Bewusstsein‹: Während wir in der Erklärung des Verhaltens etwa der Bewegungen der Planeten die Kräfte als unsere eigenen theoretischen Konstrukte zur Erklärung der Phänomene der Bewegungen begri=en haben, sind jetzt, in der Begründung oder Erklärung eines Tuns durch eine Absicht (oder auch in der Wahrheit einer Selbstaussage) das Tun und die Absicht ›die Extreme selbst‹. Sie stehen in der Spannung des ›Selbstbewusstseins‹, entweder als Selbstbestimmung oder als Selbstwissen. Die ›Extreme‹ sind die beiden Pole ›des Selbstbewusstseins‹, also das VollzugsIch und das Ich als Gegenstand der Selbstaussage (welche in der Absicht durch das Tun allererst zu erfüllen ist). Als Selbstwissen muss sich das Ich oder Selbst zum äußeren Gegenstand machen. Doch als Vollzug ist es für sich; und der Gegenstand, das Ich im Selbsturteil, ist ›für es‹, also ›für mich‹. – Ich setze mich demnach in meinem Für-mich-sein einem allgemeinen Inhalt gleich. Ich realisiere diesen tätig. Oder ich sage wenigstens, dass ich das tue. »Ich bin es und bin es nicht«, sagt schon Heraklit. Ich bin reiner Vollzug, und bin es nicht. Ich bin bestimmt durch den allgemeinen Inhalt meiner Absicht und bin es nicht – denn ich kann die Absicht verfehlen. Dasselbe gilt für Selbstaussagen: Sie können falsch sein. Und sie sind nur wahr vermöge der Anerkennbarkeit einer ›Gleichheit‹ von Vollzugs-Ich und BezugsIch. Die ›gegenseitige‹ Anerkennung, von der hier die Rede ist, ist nicht die Anerkennung einer Person durch eine andere Person. Es ist die Anerkennung bzw. Anerkennbarkeit der Wahrheit einer Selbstaussage bzw. der Erfüllung einer Absicht als Form der Selbstbestimmung. 185
»Dieser reine Begri= des Anerkennens, der Verdopplung des Selbstbewußtseins in seiner Einheit, ist nun zu betrachten, wie sein Prozeß für das Selbstbewußtsein erscheint. Er wird zuerst die Seite der Ungleichheit beider darstellen, oder das Heraustreten der Mitte in die Extreme, welche als Extreme sich entgegengesetzt, und das eine nur
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Anerkanntes [die anerkannte Selbstaussage, Verpflichtung, Absicht, PSW], das andre nur Anerkennendes [im Vollzug des Anerkennens, etwa der tätigen Erfüllung der Verpflichtung oder Absicht, PSW] ist.« (129 | 110)
Der reine Begri= des Anerkennens ist die Form der Wahrheit der (Selbst-)Aussage in seiner Verdoppelung des Selbstbewusstseins, das jetzt als eine Art Einheit von Vollzugsgewissheit im Selbsturteil und beurteiltem Ich erscheint. Es geht also immer noch um die Frage der Geltung von Selbstaussagen der Form `ich φ(ich). Der Titel »Aussage« steht dabei, ich wiederhole es, auch für Selbstzuschreibungen, Versprechungen, Expressionen, Deklarationen etc. Wie erscheint nun dem Selbstbewusstsein im Vollzug der Prozess des Anerkennens? Dazu ist noch einmal an die Ungleichheit zwischen der Selbstgewissheit im Vollzug und dem Inhalt der Selbstaussage zu erinnern. Es sind dies, wie das grammatische Subjekt und Objekt, zwei kategoriale Momente oder Extreme im Selbstbezug bzw. seinem Ausdruck. Dass deren Mitte das wahre Selbstbewusstsein sei, besagt, dass die Selbstaussage erst in einer bestimmten Form ihrer Erfüllung wahr wird. Dabei erscheint das Vollzugs-Ich als das anerkennende, der Inhalt der Selbstaussage als das anerkannte Bewusstsein. Allerdings reicht die subjektive Anerkennung oft nicht aus. Nicht alle Selbstaussagen machen ihren Inhalt auf dieselbe Weise performativ wahr wie im Standardbeispiel »hiermit verspreche ich dir, X zu tun«, in dem im Normalfall ein Versprechen gegeben wird. Ich als urteilende Person kann dann nicht willkürlich oder endgültig darüber entscheiden, ob die Aussage φ auf mich zutri=t, ob ich z. B. wahrhaftig bin, nicht einmal, ob ich diese oder jene Gefühle wirklich habe, dieses oder jenes wirklich auf die richtige, kohärente und konsequente Weise denke usf. »Das Selbstbewußtsein ist zunächst einfaches Fürsichsein, sichselbstgleich durch das Ausschließen alles andern aus sich, sein Wesen und absoluter Gegenstand ist ihm Ich [bestimmt durch die leibliche Individualität des Ich-Seins, des eignen Lebens im Vollzug, des Da-
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seins im Sinne Heideggers, PSW]; und es ist in dieser Unmittelbarkeit oder in diesem Sein seines Fürsichseins, Einzelnes [sic!, PSW]. Was anderes für es ist, ist als unwesentlicher, mit dem Charakter des Negativen bezeichneter Gegenstand [sowohl als Ding um mich herum als auch als Satz, den ich vielleicht selbst gesagt habe, oder als dessen Inhalt, PSW].« (129 f. | 110 f.)
Das Selbstbewusstsein entspricht in seiner reinen Form dem ›Ich denke‹ des Descartes und damit der transzendentalen Apperzeption Kants, derzufolge dieses »ich denke« alle meine (selbst-) bewussten Akte begleiten können muss. Diese Form aber erkennt Hegel nun als reine Form der Selbstaussage `ich φ∗ (ich) über mich als Sprecher, die es zu jeder bewussten Aussage ` φ nach obiger Betrachtung gibt bzw. geben muss. Das Ich des ›ich denke‹ ist zunächst ›einfaches Fürsichsein‹. Das heißt, in einer Selbstaussage der Form `ich φ(ich) steht das »ich« nur für die Form der Einheit des Ich. Die Einheit des Ich ist keineswegs unabhängig vom Aussageninhalt φ bestimmt, wie zu identifizieren ist, was alles zu mir gehört oder was alles als Vertreter von mir zählt. Sage ich etwa, dass ich gerade Bauchschmerzen habe, dann ist ein Bild von mir aus meiner Jugend kein passender Repräsentant. Dennoch kann ich auf ein solches Bild zeigen und sagen: »das bin ich«, nicht bloß: »das war ich«. Als geistige Einheit erscheine ich mir als mir selbst gleich. Das ist so, weil ich, wie das Descartes in seinen Meditationen im Detail vorführt, alles andere von mir unterscheide: dieses Bild hier, sogar meine Hand, meinen Arm, meinen Kopf, mein Gehirn und alle anderen äußeren Teile meines Leibes. Es ist o=enkundig, dass diese Operation kontextbezogen sinnvoll sein kann. Ich kann z. B. über mein Gehirn als etwas anderes meiner selbst reden und es partiell auch so behandeln (lassen). Wenn man die Kontextabhängigkeit des Fürsichseins im Gebrauch der Wörter »ich«, »mich« oder »mein« nicht beachtet, wie Descartes und die Platonische Tradition (etwa schon im pseudoplatonischen Dialog Alkibiades I), wird man aber leicht dazu verführt, ein reines Ich
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als denkende Seele oder eben als res cogitans zu hypostasieren. Es entsteht so der Schein, ich sei in meinem Wesen reines Ich. Doch der Ausdruck »reines Ich« verweist, wie im Grunde jeder Gebrauch des Wortes »rein«, bloß auf eine Form. Hier ist es die Form von Vollzügen der Art »ich sage / tue hiermit. . . «. Man meint stattdessen, das reine Ich sei ein dem eigenen Leib und Körper und erst recht allen anderen Körpern entgegengesetzter Geist. Den Fehler hat Hegel im falschen Umgang mit der Kategorie des Fürsichseins, in diesem Fall: der Selbstidentifizierungen, erkannt und logisch absolut richtig verortet. Schnelle Leser haben ihm selbst den Fehler zugeschrieben. Schon die Übertragung der Gedanken in die erste Person macht den Weg zurück zu Descartes’ erstpersonaler Form der Meditation in Hegels reflektierenden Kommentaren besser begreifbar: In der Unmittelbarkeit des ›ich denke gerade an dieses und jenes, das mich selbst betri=t‹ scheine ich mir in meinem einzelnen Sein und meiner Einheit als (stiller) Sprecher unmittelbar gegeben zu sein. Dieses Seins und Denkens bin ich mir scheinbar unmittelbar gewiss. In diesem Sinn der Selbstsicherheit bin ich mir meiner selbst bewusst. Alles andere, alle anderen Gegenstände, an die ich denke und von denen ich etwas weiß, sind mir gewissermaßen ›entgegengesetzt‹, unterscheiden sich von mir, indem ich sie als das andere meiner selbst von mir unterscheide. »Aber das Andre ist auch ein Selbstbewußtsein [sic!, PSW]; es tritt ein Individuum einem Individuum gegenüber auf. So unmittelbar auftretend, sind sie für einander in der Weise gemeiner Gegenstände; selbständige Gestalten, in das Sein des Lebens – denn als Leben hat sich hier der seiende Gegenstand bestimmt – versenkte Bewußtsein, welche für einander die Bewegung der absoluten Abstraktion, alles unmittelbare Sein zu vertilgen und nur das rein negative Sein des sichselbstgleichen Bewußtseins zu sein, noch nicht vollbracht oder sich einander noch nicht als reines Fürsichsein, d. h. als Selbstbewußtsein[e] dargestellt haben.« (130 | 111)
Ohne eine genaue Betrachtung des Fürsichseins bzw. der unterstellten Kriterien der Gleichheit wäre immer ein systematischer
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innerer Widerspruch im Begri= des Selbstbewusstseins enthalten. Denn in jeder selbstbewussten Beziehung von mir auf mich gilt: »Aber das Andere ist auch ein Selbstbewusstsein«. Ich will mich ja als Selbstbewusstsein im Vollzug auf mich als Selbstbewusstsein beziehen. Es ist Folge einer Textrevision, der Konjektur des Plural-e, dass Hegel hier explizit von zwei Individuen zu sprechen scheint, als gehe es jetzt wirklich schon um eine Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen individuellen Personen. Es kann aber auch sein, dass nur auf die logische Form des »x ist sich seiner selbst bewusst« verwiesen wird, die ja, wie wir oben gesehen haben, von der ersten Person her so darzustellen ist: »ich weiß, dass φ von x gilt und dass ich und x irgendwie identisch sind« oder »`ich φ(x) & ich = x«. Das Ich und das x sind zumindest als Gegenstände der Rede oder Belegungen von Individuenvariablen zunächst zwei ›Entitäten‹, die sich aber, so will es die Aussage, wenn sie denn wahr ist, in einer Beziehung des Fürsichseins zueinander verhalten, was in der Formel »ich = x« zum Ausdruck gebracht ist. Bedeutet das, dass alles, was mir in einer solchen scheinbar epistemischen Selbstbeziehung als wahr gewiss ist, was ich also performativ anerkenne, auch schon wahr ist? Sicher nicht. Daher entsteht die Frage, wer denn wie entscheidet, ob Selbstaussagen wahr sind. Wer ist hier der Herr der normativen Bewertung der Richtigkeit der (Selbst-)Urteile? Was also sind die Kriterien und wie werden sie beurteilt oder sollten sie beurteilt werden? Mit dem Satz »Aber das Andere ist auch ein Selbstbewusstsein« könnte Hegel allerdings auch schon sagen wollen, dass eine zweite Person mir als andere Person gegenübertritt. Als andere Person, als leibliches Individuum, wäre sie dann für mich Objekt. Aber als Person wäre sie für sich selbstbewusstes Subjekt. In dieser Lesart würde Hegel hier sagen, dass andere Individuen für mich zunächst zur Außenwelt gehören. Dazu würde passen, dass die Personen einander »in der Weise gemeiner Gegenstände« erscheinen. Doch es ist unklar, ob das gemeint ist. Denn auch
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ich stehe mir in dieser Weise gegenüber. Es tritt zum Beispiel mein Leib mir, dem geistigen Ich des Selbstwissens, gegenüber. So jedenfalls sieht es die Tradition von Sokrates über das Christentum bis zu Descartes und Kant. Im Theaterstück mit dem Titel »Selbstreflexion« erscheinen das denkende Ich und der Leib füreinander als ›Gegenstände‹. Hegels Analyse zeigt, dass es sich bloß um zwei Momente eines einzigen Lebensvollzugs handelt. In beiden Lesarten kann man von selbständigen Gestalten sprechen. In der ersten sind es zwei Momente des (geistigen) Selbstbezugs, vertreten durch das grammatische Subjekt und das grammatische Objekt. In der zweiten, der üblichen, sind diese zwei Personen. In der zweiten Lesart würde Hegel relativ unmotiviert ein neues Thema aufmachen. Solche Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Die erste Lesart passt dennoch weit besser zum Vorhergehenden und auch zum Fortgang des Textes, der in einem Einschub sagt, dass der Gesamtgegenstand, von dem wir hier sprechen, das menschliche, damit bewusste und selbstbewusste Leben ist. Sowohl das leibliche Proto-Bewusstsein der Gefühle, des Gewahrseins und der Aufmerksamkeit, samt aller unmittelbaren Gewissheiten sind in den realen Vollzug des Lebens eingelassen, als auch das Selbstbewusstsein des ›ich denke und urteile‹ in jeder Form der Selbstkontrolle. Es geht dann also weiterhin um das Verhältnis der Selbstgewissheit des VollzugsSubjekts zur Frage nach der Wahrheit des Inhalts eines zunächst bloß als gewiss behaupteten Selbstwissens. Wäre hier von zwei unterschiedlichen personalen Individuen die Rede, so wäre die ›Bewegung der absoluten Abstraktion‹ nicht zu begreifen, welche die Entgegensetzung von denkendem und empfindendem (auch etwas perzipierendem oder begehrendem) Ich allererst produziert. Das denkende Ich ist selbst ohnehin gar nichts anderes als der Vollzug des Denkens, ausgeführt von einem leiblichen Individuum. Aber auch das bloß körperliche Ich als Gegenstand meiner Reflexion ist eine Abstraktion, welche längst schon den Vollzug meines Lebens, Wahrnehmens und Denkens voraussetzt.
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Kurz, die Gegenüberstellung der beiden Momente, des Leibes und des Geistes, ist selbst schon das Ergebnis von abstrakten Redeformen über uns selbst. Diese Abstraktion heißt bei Hegel »absolut« insofern, als die Ausführung der Abstraktion ein Vollzug ist. Dabei treten auch ein Selbstwissen und eine Selbstgewissheit auseinander. Der Begri= des (selbstbewussten) Fürsichseins wird sich dann immer deutlicher als die Einheit von denkendem und handelndem Vollzug durch die leibliche Person zeigen. Selbstbestimmung ist eine bestimmte Form dieses Vollzugs. Dabei spielen Normen des Richtigen eine zentrale Rolle, welche sagen, welche Formen des Denkens und Handelns gute Richtlinien für den Vollzug darstellen und dabei zugleich definieren, was richtig oder wahr ist, gerade auch in Bezug auf unsere Welt, unser Selbstwissen und in Bezug auf wahre Selbstbestimmung. Der folgende Satz spricht allerdings noch einmal scheinbar stark für die zweite, die übliche Lesart, zumal es um eine Prüfung meiner Selbstgewissheiten geht. Sollte diese nicht die Bezugnahme auf die Selbstgewissheiten anderer Personen verlangen? 186 c
»Jedes ist wohl seiner selbst gewiß, aber nicht des andern, und darum hat seine eigne Gewißheit von sich noch keine Wahrheit; denn seine Wahrheit wäre nur, daß sein eignes Fürsichsein sich ihm als selbständiger Gegenstand oder, was dasselbe ist, der Gegenstand sich als diese reine Gewißheit seiner selbst dargestellt hätte. Dies aber ist nach dem Begri=e des Anerkennens nicht möglich, als daß, wie der andere für ihn, so er für den andern, jeder an sich selbst durch sein eignes Tun und wieder durch das Tun des andern, diese reine Abstraktion des Fürsichseins vollbringt.« (130 | 111)
Das Anerkennen, von dem hier die Rede ist, ist die Anerkennung der Geltung einer Aussage, auch einer Selbstaussage. Im Anerkennen wird die Geltungsbedingung als erfüllt anerkannt. Subjektiv gesehen bedeutet das, dass das Subjekt sich mit der eigenen Gewissheit zufrieden gibt. Das aber heißt, es gibt noch keinen Kontrast zwischen faktischer Befriedigung und richtiger Erfüllung. Es wäre zwar sinnvoll und angemessen, argumentativ
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aber zumindest etwas vorschnell, hier eine Anerkennung von Personen als Personen zu vermuten, zumal ganz unklar ist, was das sein soll. Wir werden erst viel später im Text sehen, am Ende sogar erst im Kapitel zum Geist, welche konstitutiven Rollen für ein Selbstbewusstsein die Beziehungen zwischen zwei und mehr Personen spielen. Ginge es hier schon um zwei Personen, dann wäre immerhin klar, dass sie sich je ihrer selbst gewiss sind, nicht aber der jeweils anderen. Der Gedanke könnte dann so fortgesetzt werden: Das, was ich (über mich) zu wissen glaube, muss noch nicht wahr sein. Wahres Wissen unterscheidet sich von subjektiver Gewissheit durch allgemeine, personenübergreifende Bedingungen. Dass diese bloß je von mir für erfüllt gehalten werden, mein Befriedigungsgefühl also, reicht nicht aus. Sie müssen erfüllt sein. Und dazu muss die Erfüllung auch von anderen, wenn schon nicht faktisch anerkannt, so doch anerkennbar sein. Das ist sinnvoll und wahr. Ginge es aber weiterhin bloß erst um den Begri= des epistemischen Selbstbezugs des Selbstbewusstseins, ggf. schon zusammen mit dem praktischen der Selbstbestimmung, dann wäre das Thema immer noch bloß erst die Spannung zwischen unmittelbarer Selbstgewissheit, die ich hier auch schon mal »Gefühl« nenne, und einem echten reflektierten Selbstwissen, ggf. im Blick auf die wirkliche tätige Erfüllung einer Absicht. Auch in diesem Fall ist sich jedes der beiden Momente seiner selbst gewiss, und zwar sozusagen per definitionem, nicht aber des anderen: Wir haben den Fall ja so rekonstruiert, dass das Selbstwissen von sich etwas anderes sagt als das bloß selbstgewisse Selbstgefühl: Letzteres hält sich etwa für wahrhaftig und ehrlich, das erstere bezweifelt dies in einer Art kritischer Selbstkontrolle. Bernard Williams hat diese beiden Momente der Selbstprüfung in seinem letzten Buch Truth and Truthfulness als bloße sincerity und als accuracy einander gegenüber gestellt. Selbstgefühle sind bestenfalls ehrlich. Im Bemühen um Selbstwissen bedarf es der akkuraten Selbstkontrolle. Denn wir wissen
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schon, dass Selbstgewissheit noch kein Selbstwissen ist. Allerdings bleibt auch die akkurate Selbstkontrolle zunächst subjektiv. Das Fürsichsein des Selbstwissens besteht eben gerade in seiner Identität mit der Selbstgewissheit, wie Hegel hier klarerweise sagt. Die Überlegung zeigt also, dass und warum eine unmittelbare Reflexionsphilosophie, die sich auf irgendeiner (Meta-)Ebene des Reflektierens auf sich ihrer selbst zu sicher wähnt, methodisch so problematisch ist. Zumindest einige wichtige Momente der Überlegungen von Descartes und Locke über Hume bis Kant und Fichte werden damit angesprochen und kritisiert. Wie aber, das ist jetzt erneut und vertieft zu fragen, ist die Wahrheit von Selbstaussagen überhaupt bestimmt? Und wie ist sie zu kontrollieren? Der Appell an eine reine Gewissheit hilft nur in seltensten Fällen weiter. Das gilt übrigens auch noch, wenn wir Selbstgewissheiten weiterer einzelner Personen hinzunehmen. Der bloße Übergang vom Ich zum Wir löst das Problem also noch nicht wirklich, wenn mit dem »wir« eine zufällige Gruppe von Personen mit (unter Umständen bloß zufällig) übereinstimmenden Urteilen (oder Intentionen) gemeint wäre, wie das im Fall von zwei zufällig aufeinander tre=enden Personen ziemlich sicher so wäre. Es geht also immer noch um die faktische Anerkennung einer Selbstaussage als wahr in Bezug auf mich sowohl durch mich selbst als auch durch andere, und dann um eine allgemeine Anerkennungswürdigkeit, was wir also anerkennen sollen oder sollten. Dabei erkennen wir faktisch etwas immer im Vollzug an, wobei wir aber zwischen verbalen Anerkennungen und wirklichen Anerkennungen unterscheiden können und müssen, etwa zwischen einer bloßen Deklaration einer Absicht und ihrer realen Anerkennung in der tätigen Durchführung und deren Erfolg. 187 a
»Die Darstellung seiner aber als der reinen Abstraktion des Selbstbewußtseins [quasi als abstrakte personale Subjektform, PSW] besteht darin, sich als reine Negation seiner gegenständlichen Weise zu zeigen, oder es zu zeigen, an kein bestimmtes Dasein geknüpft, an die allgemeine Einzelnheit des Daseins überhaupt nicht, nicht an das Leben [im realen Vollzug, PSW] geknüpft zu sein. Diese Darstellung
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ist das gedoppelte Tun: Tun des andern [Erfüllung der Form, PSW] und Tun durch sich selbst [im Vollzug, PSW]. Insofern es Tun des andern ist, geht also jeder auf den Tod des andern [Erfüllung steht gegen Befriedigung, PSW]. Darin aber ist auch das zweite, das Tun durch sich selbst, vorhanden; denn jenes schließt das Daransetzen des eignen Lebens in sich [auch Erfüllungen sind Vollzüge, PSW]. Das Verhältnis beider Selbstbewußtsein ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren. – « (130 | 111)
Es ist ein Kampf zwischen dem Leben des Geistes und einem bloß unmittelbaren Leben. Dabei geht es auch darum, dass die Wahrheit einer Aussage ganz unabhängig ist vom Leben und Vollzug des Aussagenden. Im Fall von ›deskriptiven‹ oder ›konstativen‹ Selbstaussagen muss das φ auf den Satzgegenstand, also das Ich des Satzes φ(ich) und damit auf den Sprecher selbst passen, wobei der Sprecher selbst die Anerkennung zu dem Urteil performativ artikuliert, und zwar ho=entlich gemäß den von ihm anerkannten Kriterien des Wahren. Die Rede vom Ich ist dabei, ich wiederhole dies, als Rede über die Form des Gebrauchs des Wortes »ich« zu verstehen. Dieses ist eine Form, die jeder von uns beherrscht. Wir wissen auch, dass dabei implizit auf ein Wir und Uns schon Bezug genommen ist. Das sagt auch die Formel, dass das Ich ein Wir ist.68 Die Aktualisierung der Redeform `ich φ(ich) ist immer ein gedoppeltes Tun: Indem ich sie denkend vollziehe, realisiere ich eine Form. Das tue ich etwa, indem ich einen entsprechenden Satz laut sage oder mir leise vorstelle. Was ich dabei tue, ist das Tun ›des Anderen‹, also etwas, was jeder tun kann. Andererseits bin ich es mit meinem Leib, der die (Träger-)Handlung real vollzieht, Wenn wir diese Redeform, in der wir über grammatische Formen nachdenken, ontisch missverstehen und das Ich nicht als formales Subjekt bzw. Objekt der Aussage begreifen, sondern als einen nichtdinglichen mentalen oder geistigen Gegenstand hypostasieren, gelangen wir zur Vorstellung, das Ich, die Seele oder der Geist sei zumindest begri=lich an kein bestimmtes leibliches Dasein geknüpft, etwa an meinen Leib oder mein Gehirn. Das ist ein massiver Irrtum, wie zu zeigen sein wird. 68
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eben indem ich den Gedanken laut oder leise auf die eine oder andere Weise artikuliere. Die Aktualisierung der Form der Rede ist abhängig von meinem Leib und Leben; davon unabhängig ist bloß die abstrakte Form. Es ist schwierig, endgültig zu klären, wie Hegel dazu kommt zu sagen, dass »jeder auf den Tod des Anderen« gehe. Man könnte an die traditionelle Vorstellung eines Kampfes der Seele gegen den Leib, des Denkens und Wollens gegen das Gefühl und die Begierde denken. Denn wenn von zwei Personen die Rede wäre, bliebe völlig unklar, warum diese als erste Bezugnahme aufeinander um ihr Leben kämpfen sollten. Im Fall einer denkenden Selbstkontrolle eines bloß unmittelbaren Gefühls würde dagegen immerhin verständlich, warum im »Tun durch sich selbst« das »Daransetzen des eigenen Lebens« eingeschlossen sein könnte: Autonom urteilen und handeln kann ich nur, wenn ich mir des Risikos bewusst bin, dass mein Urteil falsch ist. Eine bloß gefühlte Gewissheit ist noch kein Wissen. Es gibt Selbsttäuschungen. Aber auch eine überzeitliche Absicht kann gegen mein je unmittelbares leibliches Begehren unterliegen. Für den Kampf zwischen Denken und Gefühl, Willen und Begierde gilt also o=enkundigerweise, »dass sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren« müssen. Analoges gilt auch für den Gegensatz personenunabhängiger Wahrheit zu bloßen Gewissheitsgefühlen. Warum das für zwei Personen gelten sollte, ist alles andere als klar. Wir hatten auch schon anhand der Formel, dass die Wahrheit der Absicht die Tat ist, das Folgende gesehen: Absichten kollabieren in leere Wünsche, wenn sie nicht ausgeführt werden. Bloß präsentische Begierden dagegen werden in der Regel nicht unmittelbar befriedigt, wenn wir (als solche immer längerfristige) Absichten erfüllen, die ihnen widersprechen. Aber auch Selbstaussagen müssen sich als wahr bewähren: Entweder gewinnt das bloße Gewissheitsgefühl, womit der Wissensanspruch der Selbstaussage mangels zureichender Begründung in eine bloße Gewissheit und damit ein Scheinwissen kollabiert und das Wissen seinen Tod erleidet. Oder aber, es ist ein Wissen und setzt sich
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gegen eine bloß präsentische Gewissheit durch. Der Kampf auf Leben und Tod wäre dann einfach weiterhin ein Kampf zwischen Sein und Schein, unmittelbarem Selbstgefühl und kontrolliertem Selbstbewusstsein. »Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit [sic!, PSW] ihrer selbst, für sich zu sein, zur Wahrheit [sic!, PSW] an dem andern [in Aussagen über die Welt, PSW] und an ihnen selbst [in Aussagen über sich selbst, PSW] erheben. Und es ist allein das Daransetzen des Lebens, wodurch die Freiheit, wodurch es bewährt wird, daß dem Selbstbewußtsein nicht das Sein, nicht die unmittelbare Weise, wie es auftritt [sic!, PSW], nicht sein Versenktsein in die Ausbreitung des Lebens, – das Wesen, sondern daß an ihm nichts vorhanden, was für es nicht verschwindendes Moment wäre, daß es nur reines Fürsichsein ist.« (130 f. | 111)
Das Urteilen und Handeln ist frei. Eben daher ist die Frage nach der Wahrheit von Aussagen und nach der Erfülltheit von Handlungsabsichten immer prekär. Hegel selbst erläutert die Rede von einem Kampf hier dadurch, dass es darum geht, die Wahrheit einer bloßen Gewissheit zu überprüfen. Von hier her lässt sich daher im Rückblick noch besser erkennen, dass es nach wie vor um die Wahrheit von Selbstaussagen geht, unter Einschluss der Selbstzuschreibung von Absichten. Der Kampf auf Leben und Tod im Fall der Absicht betri=t die Frage, ob sie, wenn das Tun sich bloß durch das Gefühl des unmittelbaren Begehrens als des Anderen der Absicht bestimmen lässt, als Absicht von der Begierde vernichtet wird, oder ob die Absicht die Begierde vernichtet, indem sie das Tun bestimmt. Im Fall der Selbstgewissheitsgefühle geht es darum, ob mein Tun und Leben so ist, wie die unmittelbare Gewissheit es will, oder so, wie es ein selbstkritisch reflektiertes Selbstwissen akkurat sagen würde. Da jede Selbstaussage in gewisser Weise daraufhin als bestimmt vorausgesetzt ist, dass sie ›wahr‹ oder ›falsch‹ ist, nur eines von beiden und nichts Drittes, geht der Kampf auf Leben und Tod eben um diese Wahrheit im Selbstwissen und in der Selbstbestimmung. Der Kampf ist ein Kampf des Wissens gegen
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die subjektive Gewissheit, aber auch der Gewissheit gegen einen rein abstrakten Wissensanspruch als bloßer Möglichkeit. Da ich urteilen muss und alle meine Urteile Selbstgewissheiten sind, scheine ich alleine nie zu einem Selbstwissen zu gelangen. Ist diese skeptische Aussage wahr? Freiheit jedenfalls ist möglich nur im Kampf von Absicht und Begierde. Schon für Augustinus äußert sich die Freiheit radikal dort, wo mir das Wohlsein der Empfindung und andere Befriedigungen im Leben weniger wichtig sind als Selbstbestimmung, die sich an der Erfüllung von subjekttranszendenten Bedingungen des Guten und Wahren orientiert. Selbstbewusstsein ist also nur möglich im Kampf von unmittelbarer Selbstgewissheit und reflektiertem Selbstwissen. Nur so überwinden wir die »unmittelbare Weise« zu sein, die »Versenktheit in die Ausbreitung des Lebens«. Der denkende und handelnde Selbstbezug ist dabei in seiner Form »reines Fürsichsein«. 187 c
»Das Individuum, welches das Leben nicht gewagt hat, kann wohl als Person anerkannt werden; aber es hat die Wahrheit dieses Anerkanntseins als eines selbständigen Selbstbewußtseins nicht erreicht.« (131 | 111)
Bei erster Lektüre scheint jetzt aber ganz klar zu sein, dass Hegel von einem menschlichen Individuum spricht, das, wenn es sich nicht gegen die Unterdrückung durch andere Personen wehrt, also lieber sein Leben als seine Freiheit verliert, von den anderen Personen zwar »als Person anerkannt werden« kann, aber das, ohne in Wahrheit schon volle Person zu sein; etwa so, wie wir auch Kinder und Kranke aller Art würdemäßig als Personen anerkennen, ohne dass sie schon kompetenzmäßig selbständige und selbstbewusste Personen im vollen Sinn wären. Man beachte aber, dass dieselbe Folge auch für ein personales Individuum gilt, welches den Kampf um wahre Selbständigkeit nicht gewagt hat. Eine selbstbewusste Person muss nämlich zumindest möglicherweise oder notfalls auf das bloß unmittelbare Leben der Befriedigung des Begehrens im Fühlen oder auf unmittelbare Gewissheiten zugunsten einer strengen Selbstkritik Verzicht leisten. Ein Mensch,
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der die Geltungs- oder Wahrheitsfrage seiner Gewissheiten nicht stellt, ist in der Tat noch keine volle Person. Wer nicht zwischen Selbstgewissheit und Selbstwissen unterscheidet, hat noch kein Selbstbewusstsein im starken Sinn, da dieses weit über das SelbstGewahrsein und die Selbst-Aufmerksamkeit bzw. alle bloß subjektiven Selbstsicherheiten hinaus reicht. Hegel sagt nach dieser Lesart nicht, Menschen würden erst zu vollen Personen, nachdem sie um Anerkennung ihrer Herrschaft gegen andere auf Tod und Leben gekämpft haben. Unsere Passage sagt sogar explizit das Gegenteil, nämlich dass ein solcher Kampf für die Anerkenntnis als Person gar nicht nötig ist. Das jeweils Andere, auf dessen mögliche Vernichtung (Negation, Tod) die Person im selbstbewussten Handeln gerade im Kontrast zum unmittelbar gefühls- und begierdegesteuerten Verhalten hinarbeitet, wäre demnach bloß das jeweils andere Moment in der Spannung von Selbstgewissheit und Selbstwissen bzw. Begierde und Absicht. »Ebenso muß jedes auf den Tod des andern gehen, wie es sein Leben daransetzt; denn das Andre gilt ihm nicht mehr als es selbst;« (130 | 111)
Es ist nicht endgültig zu beweisen, aber Hegel gebraucht hier wohl mit einiger Sicherheit die an anderer Stelle, etwa in der Jenenser Realphilosophie, für sich analysierten sozialen Verhältnisse zwischen Herrschaft und Knechtschaft im Rahmen einer metaphorischen Analogie. Diese passt auch einigermaßen, um die innere Logik aller wissensanalogen und praktischen Selbstbeziehungen von mir zu mir und dann auch von uns zu uns, etwa auch in Aussagen über uns oder im individuellen und gemeinsamen Wollen und Handeln, zu explizieren. Das Urbild für diese Analogie liefert schon Platon in seiner Politeia. Dort wird die Verfassung der Stadt oder des Staates mit der der Seele oder des Gesamtcharakters einer Person analogisiert. Im Übrigen gibt es keine Form- oder Strukturanalyse ohne Analogien. Denn nur dann lassen sich Strukturgleichheiten in verschiedenen Präsentationen oder Repräsentationen der gleichen Form oder Struktur artikulieren, wobei die Form oder Struktur selbst aller-
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erst durch Abstraktion in Bezug auf die relevante Formäquivalenz bzw. Gleichgültigkeitsrelation konstituiert ist. Daher bedarf es immer einer relativ weiten und tiefen logischen Kompetenz und Urteilskraft, die relevanten Analogien bzw. Äquivalenzen von den irrelevanten zu unterscheiden.69 In der analogischen Rede über Herrschaft und Knechtschaft in einem Gesamtselbstbewusstsein geht es o=enbar um die Frage, wie ein Wissensanspruch von der bloßen Gewissheit zu einem Wissen werden soll und ein Begehren zu einer Absicht. In der üblichen Analyse werden dabei die zwei Momente auf zwei einzelne Seelenteile verteilt. Es steht demnach die denkende, planende und um Formen des strategischen Handelns wissende Geistseele als Herrscherin einer zu beherrschenden Begierde, die allerdings auch eine Antriebskraft des Leibes ist, und einem unmittelbaren Gewissheitsgefühl gegenüber. Die Antriebskraft wird dabei von vielen, etwa auch Spinoza, unter dem Titel der A=ekte und Motive thematisiert. Man spricht dabei so, als würden Bewegungen von innen angestoßen. Das von Hegel gebrauchte Titelwort »Trieb« macht ebenfalls klar, dass die Motivationsstruktur etwas Intrinsisches ist, also nicht einfach als Reaktion auf äußere Lockungen zu deuten ist. Betrachten wir die traditionellen Analysen sozusagen von der Seite, so können wir schon jetzt sagen, dass die so genannte Hier geht es um eine analogische Strukturanalyse des Begri=s des Selbstbewusstseins. Die Methode der Form- und Strukturabstraktion durch isomorphe Zuordnung verschiedener Redebereiche ist Mathematikern immer schon geläufig. Ein klares Beispiel liefert schon für Platon die antike Proportionenlehre (gerade auch die ›moderne‹ des Eudoxos). Wohl auch deswegen kann keiner kompetent Philosophie betreiben, der nicht in die Geheimnisse der Geometrie und der sich ergebenden Strukturen, auch der reinen (reellen) Zahlen oder Größenverhältnisse eingeführt ist. Mit dem Niedergang der gymnasialen Ausbildung im 19. und 20. Jahrhundert, also der Streichung ›des Euklid‹ und der Elementargeometrie aus dem Schulunterricht zugunsten einer bloß rechnenden Analysis ist dieses Wissen, das Hegel noch hatte, als Breitenwissen verloren gegangen. 69
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Herrschaft der Seele in je meinem Streben nach einem richtigen Handeln besteht, gemäß den allgemeinen Normen einer Verstandeskompetenz bzw. Regelrichtigkeit einerseits, einer selbständigen Urteilskraft und Vernunft andererseits. Im Grunde haben wir damit die zentrale normative Struktur des Geistes schon erkannt, dies aber eben bloß erst abstrakt. In der Spannung zwischen den praktischen Gewissheiten bzw. Befriedigungen auf der einen Seite, einem wahren Wissen und den Erfüllungen von objektiven Bedingungen auf der anderen Seite stehen sich die beiden Seiten zunächst gewissermaßen unversöhnlich gegenüber und gehen »auf den Tod des Anderen«. Die unaufhebbare Subjektivität aller performativen Haltungen setzt auf Gefühle der Gewissheit und Befriedigung. Eben diese Subjektivität wird aber von der Idee objektiver und allgemeiner Geltung infrage gestellt. Auf der anderen Seite, der Seite der Gewissheit, aber gilt »das Andere« eines Anspruchs objektiver Geltung »nicht mehr als es selbst«, zumal es um die Selbständigkeit je meines Urteilens und Handelns geht. Wie ist diese Spannung aufzulösen? »sein Wesen stellt sich ihm als ein Andres dar, es ist außer sich; es muß sein Außersichsein aufheben;« (130 f. | 111)
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Das Wesen ist die Form des Richtigen. Es stellt sich der Gewissheit »als ein Anderes dar«. Im Wissen muss ich daher das »Außersichsein« der Normen des Wahren »aufheben«, und zwar gerade so, dass mein Urteil wahr wird. Wie bringe ich das zustande, wenn doch jedes meiner Urteile in der Sphäre der Gewissheit verbleibt? »das Andre ist mannigfaltig befangenes und seiendes Bewußtsein; es muß sein Anderssein als reines Fürsichsein oder als absolute Negation anschauen.« (131 | 111 f.)
»Mannigfaltig befangen« ist das »seiende Bewußtsein« als der gesamte Umfang je meiner subjektiven Gewissheiten und Befriedigungen. »Als reines Fürsichsein« performativer Haltungen und Handlungen steht es in möglicher Di=erenz zum Wissen. Es gibt sozusagen eine »absolute Negation«, welche den Kontrast zwischen Gewissheit und Wissen prägt, und analog dann auch
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den Kontrast zwischen Begierde und Absicht, Befriedigung und Erfüllung. 188 a
»Diese Bewährung aber durch den Tod hebt eben so die Wahrheit, welche daraus hervorgehen sollte, als damit auch die Gewißheit seiner selbst überhaupt auf [sic!, PSW]; denn wie das Leben die natürliche Position des Bewußtseins, die Selbständigkeit ohne die absolute Negativität ist, so ist er die natürliche Negation desselben, die Negation ohne die Selbständigkeit, welche also ohne die geforderte Bedeutung des Anerkennens bleibt.« (131 | 112)
Das Leben im performativen Vollzug mit allen seinen Gewissheiten und Subjektivitäten ist die ›natürliche‹ Position des Bewusstseins. Es ist eine Selbständigkeit noch ohne »die absolute Negativität« des Kontrastes von Gewissheit und Wahrheit bzw. Wissen. Die Rede von einer »Bewährung durch den Tod« meint o=enbar gerade die Anerkennung des Problems der Beurteilung der Richtigkeit oder Wahrheit der Gewissheit. Eben diese hebt o=enbar »die Gewißheit seiner selbst überhaupt auf«. Schon der Beginn einer Beurteilung nach wahr und falsch ist gewissermaßen »natürliche Negation« der Unmittelbarkeit meiner Gewissheiten. Doch diese Negation negiert, wenn man sie zu weit treibt, auch die Selbständigkeit meines Urteilens. Diese wiederum brauche ich, denn es war ja gefordert, dass ich selbst das Richtige und Wahre anerkenne. Die Folge ist, dass sich mit diesem scheinbar notwendigen Kampf zwischen Gewissheit und Wissen unglücklicherweise auch »die Wahrheit, welche daraus hervorgehen sollte«, wieder aufhebt. Sie würde jedenfalls für das autonome Selbstdenken unerreichbar. Wir gelangen in eine Aporie, eine Sackgasse. 188 b
»Durch den Tod ist zwar die Gewißheit geworden, daß beide ihr Leben wagten und es an ihnen und an dem andern verachteten; aber nicht für die, welche diesen Kampf bestanden.« (131 | 112)
Es ist nicht immer klar, wie Hegels Sätze zu lesen sind, wörtlich oder metaphorisch, assertiv oder ironisch, im Modus des kritischen Halbzitats oder als eigene Gedankenführung. Hier betri=t das besonders die Rede vom Tod. Geht es um den realen Tod des
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Lebens eines Individuums? Oder geht es um die Falschheit von Selbstaussagen? Hegel scheint mir sagen zu wollen, dass durch die Einsicht in die Di=erenz zwischen Gewissheit und Wissen und der Möglichkeit der Vernichtung der Gewissheit (ihren Tod) zumindest dies gewiss ist, dass es einer akkuraten Selbstkontrolle der Gewissheit bedarf, also eines Übergangs von einem bloßen Gefühl der Befriedigung zu einer selbstbewussten Bewertung der Erfüllung transsubjektiver Normen des Richtigen und Wahren. Eine Selbstaussage kann nun den Kampf zwischen unmittelbarer Selbstgewissheit und kontrollierter Selbstgewissheit bestehen oder nicht. Besteht sie den Kampf, gehört die Aussage weiterhin, jetzt aber auf höherem Kontrollniveau, zu meinen Selbstgewissheiten. Besteht sie nicht, wird sie aufgehoben. Damit aber hört die Spannung nicht auf, und zwar weil auch diese höhere Selbstgewissheit noch nicht als endgültiges Selbstwissen ausgewiesen ist. »Sie heben ihr in dieser fremden Wesenheit, welche das natürliche Dasein ist, gesetztes Bewußtsein, oder sie heben sich [auf ] und werden, als die für sich sein wollenden Extreme, aufgehoben. Es verschwindet aber damit aus dem Spiele des Wechsels das wesentliche Moment, sich in Extreme entgegengesetzter Bestimmtheiten zu zersetzen; und die Mitte fällt in eine tote Einheit zusammen, welche in tote, bloß seiende, nicht entgegengesetzte Extreme zersetzt ist; und die beiden geben und empfangen sich nicht gegenseitig von einander durch das Bewußtsein zurück, sondern lassen einander nur gleichgültig, als Dinge, frei. Ihre Tat ist die abstrakte Negation, nicht die Negation des Bewußtseins, welches so aufhebt, daß es das Aufgehobene aufbewahrt und erhält, und hiemit sein Aufgehobenwerden überlebt.« (131 | 112)
Auch die metastufig bewerteten Ansprüche auf Wissen und Selbstwissen verbleiben also zunächst in der Form der Selbstgewissheit und können weiteren Fragen nach ihrer Wahrheit und Geltung ausgesetzt werden. Damit enden die Fragen in realen Befriedigungen. Weitere Kontrollen der wirklichen Erfüllungen werden faktisch auf einer der Reflexionsstufen einfach abgebrochen. Wir werden zwar am Ende sehen, dass Selbstbewusstsein gerade
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in der Einsicht besteht, dass die logische Spannung zwischen Selbstgewissheit und Selbstwissen nie ganz aufgelöst werden kann, also dauernd lebendig bleibt, und zwar weil jede Aussage der Form »ich weiß, dass φ« immer nur den Anspruch auf ein Wissen artikulieren kann und damit als Deklaration einer Gewissheit zu lesen ist, und das selbst dann, wenn die Person die Aussage kontrolliert, so ehrlich und akkurat sie kann. Für jetzt aber führt der Abbruch der Reflexion zunächst zur Entgegensetzung von objektiver Wahrheit und Wirklichkeit der Dinge, etwa auch des eigenen Leibes und Körpers auf der einen Seite, der subjektiven Gewissheit auf der anderen Seite. Das ist so aber bloß erst eine abstrakte Negation, nur eine formale Entgegensetzung von Objektivität und Subjektivität, Wahrheit und Gewissheit. Dagegen müsste »die Negation des Bewußtseins« das Problem so aufheben, »daß es das Aufgehobene aufbewahrt und erhält und hiermit sein Aufgehobenwerden überlebt.« Was es heißen soll, dass sich die beiden Kampfhähne als Dinge frei lassen, ist obskur. Ginge es um den Streit zwischen Personen, könnte der Satz sagen, dass diese sich am Ende in Ruhe lassen. Was das aber bedeuten sollte, ist unklar. Ginge es um den Streit um die Wahrheit einer Selbstaussage, könnte Hegel sagen, dass ich meinen Satz φ einfach stehen lasse – und der Satz φ mich, letzteres in dem Sinn, dass ich mich nicht noch weiter kontrolliere, ob φ zu äußern richtig war oder ist.
21. Wer ist der Herr, wer ist der Knecht? 189 a
»In dieser Erfahrung wird es dem Selbstbewußtsein, daß ihm das Leben so wesentlich als das reine Selbstbewußtsein ist.« (132 | 112)
In der Erfahrung um das Verhältnis von Selbstgewissheit und Selbstwissen wird uns, als langsam selbstbewusster werdenden Personen, immer klarer, dass für uns das endliche leibliche Leben, seine subjektiven Gewissheiten und Gefühle ebenso wesentlich sind wie das Denken oder das ›reine Selbstbewusstsein‹ des trans-
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Wer ist Herr, wer ist Knecht?
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zendentalen Ich bzw. aller behaupteten objektiven Richtigkeiten, welche angeblich unsere Gewissheiten infrage stellen. Ich bin auch immer der, der ich performativ bin, leiblich und lebend, nicht bloß denkend. Damit stellt sich Hegel klar gegen Descartes, aber auch Kant. »Im unmittelbaren Selbstbewußtsein ist das einfache Ich der absolute Gegenstand, welcher aber für uns oder an sich die absolute Vermittlung ist, und die bestehende Selbständigkeit zum wesentlichen Momente hat. Die Auflösung jener einfachen Einheit ist das Resultat der ersten Erfahrung; es ist durch sie ein reines Selbstbewußtsein, und ein Bewußtsein gesetzt, welches nicht rein für sich, sondern für ein anderes, d. h. als seiendes Bewußtsein oder Bewußtsein in der Gestalt der Dingheit ist.« (132 | 112)
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Im unmittelbaren Selbstbewusstsein der transzendentalen Reflexion erscheint das (denkende) Ich als der absolute Gegenstand. In Wirklichkeit ist je mein Leben absolut. Denn das denkende Ich ist bloßer Gegenstand der Reflexion. Das eigentliche Subjekt des Denkvollzugs bin ich als ganze Person, das ›seiende‹ Bewusstsein »in der Gestalt der Dingheit«, also im leiblichen Vollzug. Dabei bleibt das Moment des Denkens und Wissens wesentlich. Aber es ist nicht abgetrennt, losgelöst vom leiblichen Dasein zu verstehen, also gerade nicht absolut. Damit verabschiedet Hegel jede Hypostasierung einer Seele oder eines ontisch missdeuteten subjektiven Geistes. Kants Rede von einem transzendentalen Ich wird damit als bloße Form, als das generische Ich in generischen Selbstaussagen der Form `ich φ(ich) begri=en. »Beide Momente sind wesentlich; – da sie zunächst ungleich und entgegengesetzt sind, und ihre Reflexion in die Einheit sich noch nicht ergeben hat, so sind sie als zwei entgegengesetzte Gestalten des Bewußtseins; die eine das selbständige, welchem das Fürsichsein, die andere das unselbständige, dem das Leben oder das Sein für ein anderes das Wesen ist; jenes ist der Herr, dies der Knecht.« (132 | 112)
Im Leben aber erscheinen die Momente des Denkens und Wollens als den Momenten des Fühlens und Begehrens immer noch entgegengesetzt. Die ersten erscheinen als selbständig, die
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letzteren als durch die Umstände bedingt. Die erstere Sphäre erscheint als Herr, die letztere als Knecht. Traditionell sagte man dementsprechend, die Seele habe die Herrschaft über den Leib, oder sollte sie haben. 190 a
»Der Herr ist das für sich seiende Bewußtsein, aber nicht mehr nur der Begri= desselben, sondern für sich seiendes Bewußtsein, welches durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist, nämlich durch ein solches, zu dessen Wesen es gehört, daß es mit selbständigem Sein oder der Dingheit überhaupt synthetisiert ist. Der Herr bezieht sich auf diese beiden Momente, auf ein Ding als solches, den Gegenstand der Begierde, und auf das Bewußtsein, dem die Dingheit das Wesentliche ist; und indem er a) als Begri= des Selbstbewußtseins unmittelbare Beziehung des Fürsichseins ist, aber b) nunmehr zugleich als Vermittlung oder als ein Fürsichsein, welches nur durch ein anderes für sich ist, so bezieht er sich a) unmittelbar auf beide, und b) mittelbar auf jedes durch das andere.« (132 | 112 f.)
Mein Leib ist mein Leib. So scheine ich als subjektiver Geist oder Seele Herr über mich zu sein. Ich besitze ein Wissen und Können darüber, wie ich meinen Leib gebrauchen kann. Das ist schon mehr als bloß ein Kommentar zum Begri= des Selbstbewusstseins. Es ist ein Wissen über mich, wie es jede Person als Bewusstsein von sich, ihren Beziehungen zu ihrem Leib und über den Leib auf den Rest der körperlichen bzw. physischen Welt hat. Dieses Selbstbewusstsein ist, wie wir inzwischen sehen, durch ein anderes Bewusstsein ›mit sich vermittelt‹, nämlich durch meine Gewissheiten im Umgang mit der Welt und mit mir selber, gerade auch, wo ich denkend urteile und absichtsvoll handle. Der Herr nun, als Wille, bezieht sich auf die Dinge, die Gegenstände der Begierde sein können. Und er bezieht sich auf ein Wissen, das auf Möglichkeiten geht, also über die Präsenz hinaus ist. Die Dingheit aber ist die Form der Dinge. Der Herr ist dabei »unmittelbare Beziehung des Fürsichseins« und das heißt auf Deutsch einfach: Selbstbestimmung. Zugleich ist das, wovon Hegel unter dem Titel »Herr« hier spricht, Vermittlung, und
Wer ist Herr, wer ist Knecht?
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zwar zwischen Denken und Tun, zwischen Urteils- bzw. Handlungsform und Vollzug. Als Vermittlung ist der Herr nur durch anderes ›für sich‹. Das heißt, er ist Selbstwissen und Selbstbestimmung nur im Kontrast zu falschen Urteilen und zu Fremdbestimmungen. Vorausgesetzt ist die Normativität des Richtigen, der Wahrheit, auch des Guten. Daher bezieht sich das sich selbst tätig bestimmende Selbstbewusstsein auf die Welt der Dinge, auf sich selbst als leibliches Wesen und auf Inhalte, auf das Richtige im Tun und Urteilen. Dabei ist jeder Selbstbezug, ob epistemisch oder tätig, ein Weltbezug, und jeder Weltbezug ein Selbstbezug. In genau diesem Sinn bezieht sich der Herr »mittelbar auf jedes durch das andere«. »Der Herr bezieht sich auf den Knecht mittelbar durch das selbständige Sein; denn eben hieran ist der Knecht gehalten; es ist seine Kette, von der er im Kampfe nicht abstrahieren konnte und darum sich als unselbständig, seine Selbständigkeit in der Dingheit [nämlich im Leiblichen, PSW] zu haben, erwies. Der Herr aber ist die Macht über dies Sein, denn er erwies im Kampfe, daß es ihm [dem leiblichen Sein, PSW] nur als ein Negatives gilt; indem er die Macht darüber, dies Sein aber die Macht über den Andern ist, so hat er in diesem Schlusse diesen andern unter sich. Ebenso bezieht sich der Herr mittelbar durch den Knecht auf das Ding [ jetzt ist wohl die ganze dingliche Welt gemeint, PSW]; der Knecht bezieht sich als Selbstbewußtsein überhaupt auf das Ding auch negativ und hebt es auf; aber es ist zugleich selbständig für ihn, und er kann darum durch sein Negieren nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden [wie im Falle der unmittelbaren Einverleibung von Nahrung, PSW], oder er bearbeitet es nur. Dem Herrn dagegen wird durch diese Vermittlung die unmittelbare Beziehung als die reine Negation desselben, oder der Genuß [der Erfüllung der von ihm gesetzten Bedingungen, PSW]; was der Begierde nicht gelang, gelingt ihm, damit fertig zu werden und im Genusse sich zu befriedigen. Der Begierde gelang dies nicht wegen der Selbständigkeit des Dinges; der Herr aber, der den Knecht zwischen es und sich eingeschoben, schließt sich dadurch nur mit der Unselbständigkeit des Dinges zusammen und genießt es rein;
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die Seite der Selbständigkeit aber überläßt er dem Knechte, der es bearbeitet.« (132 f. | 113)
Auf den Leib bezieht sich das denkende und wollende Ich »mittelbar durch das selbständige Sein«, indem das Begehrensvermögen und die Gewissheiten sozusagen umgeleitet werden. Der leibliche Lebensvollzug bleibt ja an dieser Kette des Begehrens und der Gewissheiten, kann nicht von ihr abstrahieren – niemand kann das, auch wenn das bei Hegel zunächst anders klingt. Der Herr aber hat zumindest eine gewisse Macht über das unmittelbare Fühlen und Begehren hinaus. Ihm gilt das gegebene Leibliche und Subjektive als das zu Überwindende, nun ja, im Prinzip, nämlich in seinem Blick weg vom Unmittelbaren hin zum angeblich oder wirklich Objektiven, in einer Bewegung von der Gewissheit zum Wissen. Auf die Dinge der Welt aber kann ich mich epistemisch wie pragmatisch, wahrnehmend wie handelnd, nur über die Vermittlung meines Leibes beziehen. Der Knecht als Selbstbewusstsein ist das Gewahrsein und die Aufmerksamkeit auf das, was da ist. Leiblich behandle ich die präsentische Umwelt durch Arbeit, also in der tätigen Handlung. Der Genuss der Arbeit, die Bewertung des Erfolgs der Absicht, liegt beim Herrn, sozusagen beim Intellekt oder Geist: Er entscheidet über die Erfüllung von Bedingungen. Das aber tut jeder, wie wir oben gesehen haben, in einer metastufigen Befriedigung oder auch herrischen Beendigung der weiteren Frage, ob denn seine Anerkennung der Erfüllung auch richtig sei. Das ist der Grund, warum am Ende immer Gewissheiten stehen. Es werden also mögliche Zwecke, mögliche Mittel, das planende Denken, die Hemmung unmittelbarer Verfolgung von Begierden zwischen die Wahrnehmung, das Urteilen und das Tun eingeschoben. Eben damit werden unsere Handlungen in der Tat frei. Die Unterwerfung des Knechts, des Leibes in der Selbstdisziplinierung geschieht also im Dienst der Freiheit des Handelns, nicht als Zweck für sich. Die widerspenstige Selbständigkeit der Dinge wird als das Gegebene vom Knecht leiblich bearbeitet. Die Unselbständigkeit der
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Dinge besteht darin, dass sie sich bearbeiten lassen, dass sie aus der Welt, wie sie ist, in eine Welt überführt werden, wie sie durch mein Handeln möglich werden kann. Nur wer die Welt bloß als Menge gegebener Körper und Körperbewegung betrachtet, meint, die Welt sei, wie sie ist, völlig selbständig. Wer weiß, dass wir sie handelnd verändern können, urteilt anders. Er erkennt, dass die andere Betrachtungsweise eine Art Selbst-Animalisierung auf beliebig hohem Niveau ist: Dem Tier sind die Dinge gegeben und selbständig, es hat keinen Zugang zu einer Sphäre von alternativen Möglichkeiten, jedenfalls keinen, die nicht in der präsentischen Empfindungs- und Begehrensstruktur unmittelbar mitgegeben sind. »In diesen beiden Momenten wird für den Herrn sein Anerkanntsein durch ein anderes Bewußtsein; denn dieses setzt sich in ihnen als Unwesentliches, einmal in der Bearbeitung des Dinges, das anderemal in der Abhängigkeit von einem bestimmten Dasein; in beiden kann es nicht über das Sein Meister werden und zur absoluten Negation gelangen. Es ist also hierin dies Moment des Anerkennens vorhanden, daß das andere Bewußtsein sich als Fürsichsein aufhebt, und hiemit selbst das tut, was das erste gegen es tut.« (133 | 113)
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Das Anerkanntsein des Herrn als erfolgreich Wissender und Wollender zeigt sich im Erfolg. Kontrolliert wird das in der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Wieder zeigt sich, dass sich die beiden Momente nicht trennen lassen. Und wieder zeigt sich, dass das leibliche Sein und Tun entscheidend ist für das, was wirklich geschieht. Man kann das auch so sagen: Die Selbstgewissheit des Herrn, des reflektierten Denkens und der Selbstkontrolle, bliebe ihrerseits leer, wenn sie sich nicht im realen Leben und eben damit dann doch wieder in der Befriedigung von Begierden und Selbstgewissheitsgefühlen erfüllen bzw. bestätigen würden. Damit erweist sich am Ende doch wieder der vermeintliche Knecht, der Leib, als der Herr aller (Kontrollen von) Erfüllungen. Oder doch nicht? »Ebenso das andere Moment, daß dies Tun des Zweiten das eigne Tun des ersten ist; denn was der Knecht tut, ist eigentlich Tun des
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Herrn; diesem ist nur das Fürsichsein das Wesen; er ist die reine negative Macht, der das Ding Nichts ist, und also das reine wesentliche Tun in diesem Verhältnisse; der Knecht aber ein nicht reines, sondern unwesentliches Tun. Aber zum eigentlichen Anerkennen fehlt das Moment, daß, was der Herr gegen den andern tut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den andern tue. Es ist dadurch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen entstanden.« (133 | 113)
Was ich leiblich tue, tue ich im bewussten und selbstbestimmten Handeln sozusagen in Befolgung der vom Herrn erlassenen Instruktionen: Der Herr ist Wissen und Wille. Allerdings geschieht vieles in mir und durch mein Verhalten ohne derartige Selbstkontrolle. Dennoch erscheint das denkende und wollende Ich als »reine Macht«, für welche »das Ding«, auch der Leib, »nichts ist«. Anerkennensverhältnisse im sozialen und politischen Kontext sind in gewissem Sinn reziprok. Wer jemanden anderen in seiner Rolle anerkennt, will vom anderen in seiner Rolle anerkannt werden. Demgegenüber ist das Verhältnis von Herr und Knecht, Seele und Leib, Wille und bearbeiteter Welt bisher nur einseitig dargestellt worden. »Was aber der Herr gegen den Anderen tut, tut er noch nicht gegen sich selbst«. Das mag heißen, dass der Herr noch nicht um seine Stelle im Gesamtsystem weiß. Und das heißt, dass wir noch nicht wissen, wovon wir reden, wenn wir von der Seele und ihrer Herrschaft oder vom Willen im Kontrast zu Trieben und Begierden reden. Auf analoge Weise wissen wir noch nicht genau genug, wer oder was der Knecht (der Leib?) ist, wie er sich also zur Herrschaft (der Seele?) verhält. 192
»Das unwesentliche Bewußtsein ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, daß dieser Gegenstand seinem Begri=e nicht entspricht, sondern daß darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes geworden als ein selbständiges Bewußtsein. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbständiges; er ist also nicht des Fürsichseins als der Wahrheit gewiß,
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sondern seine Wahrheit ist vielmehr das unwesentliche Bewußtsein und das unwesentliche Tun desselben.« (133 f. | 114)
Wenn ich, als der denkende Herr, epistemisch etwas über mich aussage, kann »das unwesentliche Bewusstsein«, also mein wahrnehmendes, fühlendes und handelndes Leben, »der Gegenstand« meines Selbstwissens sein. Wer ich wirklich bin, kann sich aber für den Herrn so nicht ergeben. Denn der Gegenstand ist doch bloß das unwesentliche, äußere Sein! Damit aber entspricht der Gegenstand meines Selbstwissens nicht dem, wer ich selbst zu sein scheine: Was ich real bin, bin ich doch als Seele! Oder doch nicht? Die Seele ist doch selbst bloß Gegenstand der redenden Reflexion über die geistige Form unseres Lebens. Real bin ich leiblich. Was immer ich von mir weiß, es muss mit meinem realen leiblichen Leben zusammenhängen. »Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtseins. Aber wie die Herrschaft zeigte, daß ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren.« (134 | 114)
Das leibliche Leben ist die Wahrheit dessen, wer ich bin. Der Knecht, der Leib, ist damit der eigentliche Herr. Die Seele ist nur die Form der leiblichen Seinsweise. Sogar das Denken ist ein stilles Reden und muss von mir konkret aktualisiert werden. Die Strukturgleichheit der Selbstreflexion (sowohl von mir auf mich, als auch von uns auf uns) mit der sozialpolitischen Form von Herrschaft und Knechtschaft ergibt sich jetzt so: Es gibt keine sozialpolitische Herrschaft, die nicht durch die Beherrschten faktisch anerkannt wird – und wenn auch bloß vermöge von Zwang und Drohung. Die Herrschaft hat auch keine Macht ohne die Durchsetzung des Willens der Herrschaft durch die Untertanen. Ebenso kann es auch keine Selbstmacht geben, ohne dass ich leiblich und tätig das ausführe, was ich denkend für richtig halte. Und
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es gibt kein Selbstwissen ohne Abgleich mit der Selbstgewissheit im Vollzug. 194 a
»Wir sahen nur, was die Knechtschaft im Verhältnisse der Herrschaft ist. Aber sie ist Selbstbewußtsein, und was sie hiernach an und für sich selbst ist, ist nun zu betrachten. Zunächst ist für die Knechtschaft der Herr das Wesen; also das selbständige für sich seiende Bewußtsein ist ihr die Wahrheit, die jedoch für sie noch nicht an ihr ist.« (134 | 114)
Hegel selbst kommentiert die logische Struktur der Analogie von Herr und Knecht für das strukturähnliche Verhältnis zwischen zwei Ebenen des Bewusstseins und sagt: Eben haben wir gesehen, wie die Anerkenntnisverhältnisse zwischen den Herren und den Knechten sind. Nun ist aber die Knechtschaft, von der wir hier analogisch bzw. metaphorisch sprechen, Selbstbewusstsein. Daher müssen wir jetzt zusehen, welche Strukturformen auf diese Ebene oder auf dieses Moment des Selbstbewusstseins passen. Solange die Entgegensetzung eines ›niederen‹, leiblichen, Selbstbewusstseins und eines ›höheren‹ transzendentalen Ichs, des Wesens des Geistes, nicht bloß als formale Entgegensetzung begri=en ist und damit der Bildcharakter der Rede über einen den Leib unterjochenden Willen oder über eine die Begierden bekämpfende Seele nicht begri=en ist, ist auch das Geistige noch nicht am ›niederen‹ Bewusstsein des menschlichen Gewahrseins und der Selbstgewissheit des Ichs begri=en. 194 b
»Allein sie hat diese Wahrheit der reinen Negativität und des Fürsichseins in der Tat an ihr selbst; denn sie hat dieses Wesen an ihr erfahren.« (134 | 114)
In Wirklichkeit sind das höhere und das niedere (Selbst-)Bewusstsein eine Einheit. In der Tat, im Handeln, zeigen sich die gedanklich einander entgegengesetzten Momente in eben dieser Einheit. Das wahre Verhältnis ist ein solches ›reiner Negativität‹, das heißt, einer Reflexion auf ›reine‹ Momente, die es in der Realität der Erfahrung nie rein gibt. So ist etwa menschliche Wahrnehmung immer schon begri=lich informiert (Pinkard, McDowell) und das begri=liche Denken ist immer schon durch symbolische
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Wer ist Herr, wer ist Knecht?
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und sprachliche Schemata vermittelt. Das Doppelwesen von geistiger Herrschaft und leiblicher Gefolgschaft erfahren wir sozusagen dauernd am eigenen Leib. »Dies Bewußtsein hat nämlich nicht um dieses oder jenes, noch für diesen oder jenen Augenblick Angst gehabt, sondern um sein ganzes Wesen; denn es hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden. Es ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewußtseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiemit an diesem Bewußtsein ist. Dies Moment des reinen Fürsichsein ist auch für es, denn im Herrn ist es ihm sein Gegenstand. Es ist ferner nicht nur diese allgemeine Auflösung überhaupt, sondern im Dienen vollbringt es sie wirklich; es hebt darin in allen einzelnen Momenten seine Anhänglichkeit an natürliches Dasein auf, und arbeitet dasselbe hinweg.« (134 | 114)
Das Bewusstsein, das als Selbstbewusstsein zur Einsicht in die Endlichkeit des Daseins gelangt ist, weiß schon um seinen eigenen Tod. Der Tod ist der absolute Herr, gerade weil er kategoriale Grenze meines Seins ist. Mein Leben mit dem Tod ist immer auch ein Leben, das diese Grenze auf die eine oder andere Weise berücksichtigt; erstens so, dass ich mögliche Gefahren des Todes vermeide, zweitens aber auch so, dass mir manches wichtiger ist als die Vermeidung der Gefahr des Todes. In diesem Sinn ist es eine allgemeine begri=liche Tatsache menschlichen Lebens, dass die Person nicht etwa bloß momentan oder um Bestimmtes ›Angst‹ hat, sondern sich um ihr ganzes Wesen sorgt. Bei dieser ›Unterordnung‹ der Gegenwart unter das Ganze und bei der Einsicht, dass ein derartiges Ganzes nur dem Denken zugänglich ist, handelt es sich gerade um die Seinsweise des Menschen im Ganzen. Es ist sicher nicht ganz klar, was es genau heißt, dass das Bewusstsein »die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden« habe. Ich denke aber, es geht darum, dass sich das besondere Bewusstsein und Selbstbewusstsein des Menschen von allem
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bloßen Gewahrsein und aller Selbstaufmerksamkeit des Tieres dadurch wesentlich unterscheidet, dass nicht bloß eine nähere Zukunft, sondern das Leben als Ganzes epistemisch und praktisch thematisch wird oder wenigstens thematisch werden kann. Es mag auch heißen, dass wir wissen, dass es bei der Unterordnung von Gefühlen und Begehrungen unter ein Denken und Wollen immer auch ums Ganze geht. Gerade weil wir um die absoluten Endlichkeiten unseres Daseins und daher um den leiblichen Tod, aber auch um die Möglichkeiten des Zusammenbruchs von geistiger Kompetenz einzelner Personen oder gar einer Vernunftkultur in einem Volk (wie dem deutschen) wissen, ist der ›Kampf‹ um Anerkennung der Herrschaft des ›Geistes‹ eine Daueraufgabe. Die Frage, was hier kontrolliert wird, also die Frage nach den Normen des Richtigen und Wahren, schieben wir in diesen Überlegungen zur Form der geistigen Selbstkontrolle o=enbar dauernd vor uns her. Wenn nun das Selbstbewusstsein als das sich seiner selbst gewisse Subjekt zu dieser Einsicht in die Form des Verhältnisses von Selbstgewissheit und Selbstwissen kommt, stellt es sich selbst die Geistseele als ›reinen‹ Herrn ideal gegenüber: Meine Seele, mein denkendes Ich, wird so zum Gegenstand reflektierender Rede. Subjekt und Sprecher aber bin ich als leibliches Wesen. Als solches und nur als solches anerkenne ich meine Aussagen über mich. Es ist also weiterhin das vermeintlich ›niedere‹ Selbstbewusstsein der Selbstgewissheit, welches alle Aussagen und Selbstaussagen wirklich anerkennt und in seinem Tun wirksam werden lässt. Im ›Dienen‹ vollbringe ich als ganzes leibliches Wesen das wirklich, was ich mir als Absichten und Wollungen wahrerweise zuschreibe. Eben damit arbeite ich im Handeln die ›Anhänglichkeit am natürlichen Dasein‹, also die Determination des Verhaltens als animalisches Wesen durch Empfindungen und Begierden weg. Die Spannung der Momente des reinen Gewahrseins und bewussten Wahrnehmens bzw. des Begehrens und Wollens heben sich im Erfolg des realen, evtl. absichtlich geplanten, Tuns in Orientierung an einer Idee (des Guten) auf.
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»Das Gefühl der absoluten Macht aber überhaupt und im einzelnen des Dienstes ist nur die Auflösung an sich, und ob zwar die Furcht des Herrn der Anfang der Weisheit ist, so ist das Bewußtsein darin für es selbst, nicht das Fürsichsein. Durch die Arbeit kommt es aber zu sich selbst.« (134 f. | 114)
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Das Gefühl, dass das geistige Ich die absolute Macht sei, ist bloß erst eine intuitive Selbstgewissheit. Dasselbe gilt für die Vorstellung, wir müssten den Normen des Richtigen und Wahren ›dienen‹. Obwohl also ›die Furcht des Herrn der Anfang der Weisheit‹ ist, wir uns also als homo sapiens sapiens dem Wissen der sapientia oder sapience unterwerfen müssen, um wirklich geistige Wesen zu sein, ist uns diese Entgegensetzung von Wissen und Gefühl bloß erst vage bewusst. Das Fürsichsein des personalen und selbstbewussten Subjekts, also seine ›Identität‹, wie ich hier nur ausnahmsweise sagen möchte, entsteht erst im geistig geformten Handeln, durch Arbeit. »In dem Momente, welches der Begierde im Bewußtsein des Herrn entspricht, schien dem dienenden Bewußtsein zwar die Seite der unwesentlichen Beziehung auf das Ding zugefallen zu sein, indem das Ding darin seine Selbständigkeit behält. Die Begierde hat sich das reine Negieren des Gegenstandes, und dadurch das unvermischte Selbstgefühl vorbehalten. Diese Befriedigung ist aber deswegen selbst nur ein Verschwinden, denn es fehlt ihr die gegenständliche Seite oder das Bestehen [also die Nachhaltigkeit, PSW].« (135 | 114 f.)
195 b
In der Entgegensetzung von denkendem Willen und Begierde scheint zwar dem ›niederen‹ Begehren eine eher ›unwesentliche‹ Rolle zuzukommen. Doch gerade im Begehren zeigt sich ›das unvermischte Selbstgefühl‹. Was ich schon früher ausführte, sagt Hegel jetzt selbst, nämlich dass der Befriedigung des Begehrens das objektive und stabile Moment der richtigen Erfüllung einer Absicht noch fehlt: Die Begierde verschwindet bloß, wenn sie irgendwie gestillt wird. »Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben und zu einem Bleibenden, weil eben
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dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat. Diese negative Mitte oder das formierende Tun ist zugleich die Einzelnheit oder das reine Fürsichsein des Bewußtseins, welches nun in der Arbeit außer es in das Element des Bleibens [sic!, PSW] tritt; das arbeitende Bewußtsein kommt also hierdurch zur Anschauung des selbständigen Seins [sic!, PSW], als seiner selbst.« (135 | 115)
Das freie Handeln, das Hegel hier »Arbeit« nennt, ist durch denkende Planung gehemmte Begierde. Arbeit hält das bloße unmittelbare Verschwinden-Machen des Begehrens auf, erhält also die Spannung des Begehrens, sublimiert sie aber auf die höhere Ebene des Strebens nach objektiver Erfüllung. Als solche ›bildet‹ Arbeit. Der Handelnde formt Welt. Und er formt sich dadurch selbst. Dass Arbeit immer auch kooperatives Handeln ist, ist zwar wahr, aber hier noch nicht Thema. Die ›negative Beziehung auf den Gegenstand‹, der als bloßes Objekt meinem Begehren und meinen Absichten immer auch im Wege stehen kann, wird zur Form. Eine Form kann dienlich sein oder nicht. Etwas kann als Mittel gebraucht oder umgeformt werden. Das formierende Handeln ist Aktualisierung von Handlungsformen und als solches die ›Mitte‹ oder das ›Mittel‹ par excellence in unserer tätigen Welt- und Selbstbestimmung. Als Form des realen Tuns ist es das »reine Fürsichsein des Bewusstsein«. In der Arbeit oder in der Handlung entsteht eine bleibende Form: der geformte Gegenstand, aber auch die sich selbst weiter formende Person. Das arbeitende Bewusstsein als das im Mitwissen selbst kontrollierte Handeln erkennt sich selbst also im geformten Werk. Meine eigenen Fähigkeiten sind so zu einem großen Teil mein Werk – und sie werden vom Könner auf der Bühne der Welt zur Schau gestellt. 196 a
»Das Formieren [sic!, PSW] hat aber nicht nur diese positive Bedeutung, daß das dienende Bewußtsein sich darin als reines Fürsichsein zum Seienden wird; sondern auch die negative gegen sein erstes Moment, die Furcht [als bloß passive Seite der Sorge um sich, PSW]. Denn in dem Bilden des Dinges wird ihm die eigne Negativität, sein Fürsichsein, nur dadurch zum Gegenstande, daß es die entgegen-
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gesetzte seiende Form aufhebt. Aber dies gegenständliche Negative [das Widerständige, auch Gefährliche, des Ausgeliefertseins an die Natur im Sinne dessen, was bloß von selbst geschieht, PSW] ist gerade das fremde Wesen, vor welchem es gezittert hat. Nun aber zerstört es dies fremde Negative [indem es umgebildet wird, PSW], setzt sich als ein solches in das Element des Bleibens; und wird hierdurch für sich selbst ein für sich Seiendes [sozusagen zum Herrn der Formen, PSW]. Im Herrn ist ihm das Fürsichsein ein anderes oder nur für es; in der Furcht ist das Fürsichsein an ihm selbst; in dem Bilden [sic!, PSW] wird das Fürsichsein als sein eignes für es, und es kommt zum Bewußtsein, daß es selbst an und für sich ist. Die Form wird dadurch, daß sie hinausgesetzt wird, ihm nicht ein anderes als es [sic!, PSW]; denn eben sie ist sein reines Fürsichsein, das ihm darin zur Wahrheit wird. Es wird also durch dies Wiederfinden seiner durch sich selbst eigner Sinn, gerade in der Arbeit, worin es nur fremder Sinn zu sein schien. – « (135 f. | 115)
Im Formieren von Welt und eigenem Leib erfährt sich das ›dienende Bewusstsein‹ als der im subjektiven Individuum verbleibende Geist in seinem realen Sein und verwandelt sich von einem Objekt der Reflexion, dessen reines ›Fürsichsein‹ zunächst bloß die Identität eines Redegegenstandes bestimmte, in das Vollzugswesen selbst. Darüber hinaus hebt sich in der erfolgreichen Handlung, im tätigen Bilden von Welt und seiner selbst, eine di=use untätige Angst oder Depression eines Ausgeliefertseins an die scheinbar unverrückbaren Tatsachen der Welt auf. Außerdem hebt sich die Furcht auf, nicht das Richtige zu tun. Und es hebt sich die Furcht des Herrn auf, nicht über sich bestimmen zu können. Die Aufhebung gegebener Formen in tätiger Umformung überwindet also das Widerständige der Objekt-Welt, zu der auch in einem gewissen Ausmaß der eigene Leib des Menschen gehört. Dieses Widerständige der Welt, das Ausgeliefertsein an ein uns fremdes Schicksal, war gerade »das fremde Wesen, vor welchem er gezittert hat«. Die Natur (die früher als die Macht Gottes angesehen wurde) steht so einem bloßen gefühlsartigen Weltbezug
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drohend und Furcht erregend gegenüber. In tätiger Arbeit überwinden wir das reine Ausgeliefertsein und damit durchaus auch manche Furcht. Die Arbeit also und das Selbstwissen im Erfolg der handelnden Durchsetzung von Zwecken verwandelt sich in eine immer auch gefühlsmäßige Selbstgewissheit und wird ein praktisches Können, ein innerweltliches Selbstwissen und aktives Selbstbewusstsein, samt dem zugehörigen Selbstvertrauen. Selbstvertrauen erwerben wir also nicht etwa einfach, wie die durch Sigmund Freud und George Herbert Mead beeinflusste Frankfurter Interpretation bei Habermas und Honneth meint, durch Anerkennungen von außen, also durch das Lob von Müttern und Vätern, sondern wesentlich durch eigenes Tun und die Eigenkontrolle des Erfolgs unseres Tuns. Dabei sind die Bestimmungen der Erfolgsbedingungen zwar allgemein, aber uns nicht fremd: Indem wir sie uns zu eigen machen, werden sie unsere eigenen. Und indem wir sie kontrollieren, werden wir selbst zu Herren der Erfüllungen, ohne bloß auf die Ebene der reinen Befriedigung von Begehrungen oder des bloßen Meinens zurückzufallen. Die psychoanalytische und sozialtherapeutische Ebene, in welcher die Bedeutung der familialen Erziehung und das Lob des begabten Kindes so hervorgehoben werden, braucht deswegen für sich empirisch nicht abgewertet zu werden. Sie gehört nur nicht zur logischen Analyse des Realbegri=s des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, des Ichs, Selbsts und Mans, wie sie hier Thema sind. Im Übrigen liegen uns die Metaphern Freuds und Meads in ihren Reden über das Psychische zwar aufgrund der Moden des letzten Jahrhunderts näher, sind aber bei genauerer Betrachtung weit unklarer und obskurer als die strukturlogischen Analogien Platons und Hegels zu Seele und Wille, Geist und Leib, Absicht und Begierde. 196 b
»Es sind zu dieser Reflexion die beiden Momente der Furcht und des Dienstes überhaupt, so wie des Bildens notwendig, und zugleich beide auf eine allgemeine Weise. Ohne die Zucht des Dienstes und Gehorsams bleibt die Furcht beim Formellen stehen, und verbreitet sich nicht über die bewußte Wirklichkeit des Daseins. Ohne das Bil-
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den bleibt die Furcht innerlich und stumm, und das Bewußtsein wird nicht für es selbst.« (136 | 115)
Zur Reflexion auf die begri=lichen Momente geistiger Fähigkeiten und Dispositionen, also zur Explikation unseres mentalen Vokabulars, das immer auch schon ein mikrosoziologisches ist, brauchen wir zunächst den Hinweis auf die Grundstruktur der Furcht oder der theoretischen Sorge um sich und des Dienstes als instrumentellem Mittel, sich praktisch handelnd um sein eigenes zukünftiges Sein-Können zu sorgen. Wie man sieht, stelle ich damit Hegels Analyse in eine viel größere Nähe zu den analogen Gedanken Heideggers, besonders in dessen Meisterwerk Sein und Zeit, als sie diesem intensiven Hegelleser je selbst klar geworden ist. Das dritte Moment, das Bilden, verbindet natürlich die Furcht, alias die Sorge, mit dem Dienst, dem Mittel. Ohne Zucht, alias Selbstdisziplin, können wir nicht frei handeln. Die Sorge bliebe rein verbal, formell, wie Hegel sagt, innerlich und stumm. »Formiert das Bewußtsein ohne die erste absolute Furcht, so ist es nur ein eitler eigner Sinn; denn seine Form oder Negativität ist nicht die Negativität an sich; und sein Formieren kann ihm daher nicht das Bewußtsein seiner als des Wesens geben.« (136 | 115)
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Würden wir einfach so, unmittelbar, instrumentell handeln, »ohne die erste absolute Furcht«, also die allgemeine Sorge um unser Dasein im Ganzen, so entstünde bloßer Eigensinn, Willkür, statt willentliche Selbstformung. Der rein instrumentell Handelnde lässt sich die Zwecke rein zufällig aus der bloßen Gegenwart der Begierde geben, wie etwa einer, der sich unmittelbar durch Werbung beeinflussen lässt. Er hat daher kein volles Selbstbewusstsein. Er hat sein eigenes Wesen als für sich selbstverantwortliche Person noch nicht begri=en oder ergri=en. »Hat es [das Selbstbewusstsein, PSW] nicht die absolute Furcht, sondern nur einige Angst ausgestanden, so ist das negative Wesen ihm ein äußerliches geblieben, seine Substanz ist von ihm nicht durch und durch angesteckt. Indem nicht alle Erfüllungen seines natürlichen Bewußtseins wankend geworden [ich würde hier terminologisch das Wort »Befriedigungen« bevorzugen, PSW], gehört es an sich noch
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bestimmtem Sein an; der eigne Sinn ist Eigensinn, eine Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt [es geht um die Willkür des Begehrens, PSW]. Sowenig ihm die reine Form zum Wesen werden kann, sowenig ist sie, als Ausbreitung über das Einzelne betrachtet, allgemeines Bilden, absoluter Begri=, sondern eine Geschicklichkeit, welche nur über einiges, nicht über die allgemeine Macht und das ganze gegenständliche Wesen mächtig ist.« (136 | 115 f.)
Wenn wir uns nicht um unser Dasein im Ganzen sorgen, sondern nur um mehr oder weniger große Kleinigkeiten, so bleibt ›das negative Wesen‹, also die Natur als Objektivität, bloß etwas Äußerliches. Was heißt es, andererseits, dass es hier um uns selbst im Ganzen in unserer totalen Beziehung zu uns selbst und zur ganzen Welt geht? Wenn noch nicht »alle Erfüllungen« und alle Gewissheiten des »natürlichen Bewusstseins« fraglich und wankend geworden sind, ist unsere Reflexion auf die Di=erenz von Gewissheitsgefühlen und Wissen noch nicht radikal genug entwickelt. Bloße Partialreflexion führt nur erst zur Subjektivität des Eigensinns, zu einem dogmatisch-doktrinären Meinen, nicht zu einem WeltWissen und Selbst-Wissen. Die Subjektivität des Eigensinns, die doxa Platons, bleibt »innerhalb der Knechtschaft stehen«. Die Form der vollen selbstbewussten Person ist einer bloß doxastischen Meinung und einer bloß instrumentell informierten Verfolgung von Eigeninteressen als einem halbvernünftigen Begehren noch fremd. Eine bloß instrumentell intelligente Person besitzt also bloße Geschicklichkeit. Eine solche kann vieles, hat aber sich selbst noch nicht in der Gewalt, ist noch nicht selbstmächtig, also autonom und autark. Im Übrigen erwerben wir Geschicklichkeiten und Techniken von anderen: Die Formen müssen uns vorgegeben sein, sofern wir sie nur praktisch erwerben. Der Zusammenbruch von Wissen in Geschicklichkeiten zeigt sich historisch nirgends so deutlich wie im rein pragmatischen Denken der Römer und in der Katastrophe der vermeintlichen deutschen Kultur im letzten Jahrhundert, die als solche noch nicht einmal Zivilisation war,
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sondern ein bloß kollektives instrumentalistisches Denken ohne ethisches Selbstbewusstsein und besonders ohne echte Freiheit. Eine andere Person ist in dieser gesamten Analyse noch nicht in Sicht. Wohl aber ein Begri= der Person, der noch kein voll entwickeltes Selbstbewusstsein hat oder ist, der also vieles schon kann, aber noch nicht so auf sich reflektiert, dass er schon sein Ich entwickeln könnte. Insgesamt handelt es sich also um begri=liche Reflexionen auf die verschiedenen Komponenten oder Momente eines vollen Begri=s des Selbstbewusstseins oder der wahren Selbstaussagen der Form des »ich weiß von mir, dass . . . « – und um sonst nichts.
22. Kampf um Anerkennung von Normen oder von Personen? In den Passagen über das Verhältnis des ›Herrn‹ zum ›Knecht‹ geht es zumindest zunächst nicht um soziale Beziehungen zwischen (zwei) Personen. Es geht also nicht um ein Ich und ein Du. Genaueres Lesen zeigt, dass das allgemeine Thema immer noch die logische Struktur bewusster Selbstbeziehungen ist. Die Ausgangsfrage ist: Wie kann ich meiner selbst bewusst sein? Wie kann ich etwas von mir wissen? Was ist das für eine Beziehung zwischen mir und mir, meinem Selbstbewusstsein und meinem Bewusstsein, darunter auch zwischen meinem ganzen Ich oder ganzen Selbst und bloß meinem Leib heute? Ziel der Analyse ist o=enbar, das Begehren und Wünschen, Wollen und Beabsichtigen, Denken und Kontrollieren von Erfüllungsbedingungen als verschiedene Teil-Momente des (selbst)bewussten Handelns begreifbar zu machen. In der Beziehung, die durch Hegels Allegorie vom Herrn und Knecht in ihrer Grundform dargestellt werden soll, scheint es zunächst so, als sei schon klar, wer der Herr ist: die Seele, das Bewusstsein, das Denken und das rationale, durch ein Schema, einen Plan oder auch nur eine Zwecksetzung bestimmte Wollen. Und es scheint klar zu sein, wer der Knecht ist: der Leib, der den Plan
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umsetzen muss und dabei seine eigenen Neigungen unterdrücken muss. Das heißt, die Passage zur Herrschaft und Knechtschaft ist an der angegebenen Stelle zunächst immer auch als Erinnerung an das traditionale Bild einer Selbstbeziehung zu lesen. Wenn das aber so ist, dann ist weder der Kampf um Anerkennung noch der Kampf auf Leben und Tod, von denen in diesen Passagen die Rede ist, wirklich ein Kampf zwischen verschiedenen Personen. Es geht viel eher um einen allegorischen Kampf einer Absicht um ihr Überleben in der Verwirklichung durch das Tun. In diesem Sinn der Verwirklichung der sonst leeren Absicht spricht Hegel hier von der Arbeit des Knechtes. Man kann diese Arbeit durchaus als die reale leibliche Tätigkeit, das Tun des realen Leibes verstehen. Hegel spricht hier also keineswegs einfach über soziale Verhältnisse zwischen einem Herrn als Arbeitgeber und einem Knecht als Arbeitnehmer, wie die zwar einfallsreichen, aber ganz großzügigen Lektüren Hegels von Marx über Lukács70 und Kojève71 bis zu Axel Honneths72 Kampf um Anerkennung im Grunde behaupten, und wie sie leider üblich geworden sind. Dabei sind personale Anerkennungsverhältnisse für sich gesehen durchaus interessant. Logisch wäre z. B. hervorzuheben, dass wir Personen als Personen immer nur dadurch anerkennen, dass wir die Normen eines guten personalen Umgangs mit anderen Menschen praktisch anerkennen, also entsprechend bewusst und selbstbewusst handeln. Es ist zwar wahr: Was ein bewusstes und selbstbewusstes Handeln und was Wissen im Kontrast zu Gewissheiten sind, lässt sich am Ende nicht ohne Erläuterung der Rolle ihrer Anerkennung von einer zweiten und dritten Person her explizieren und verstehen. Aber um zu sehen, dass das notwendigerweise so ist, reicht die dogmatische Behauptung nicht aus. Um es zu zeigen, braucht man weit mehr als eine Interpretation einiger Kernzitate. Arbeit ist die Verwirklichung eines Plans oder einer Absicht, Lukács 1986, S. 377 =. und S. 558 =. Kojève 1975, Kap. V, S. 217 =. 72 Honneth 2003, S. 80 =. und Honneth/Jäggi 1980, S. 191 f. 70 71
Kampf um Anerkennung
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die Aktualisierung eines Handlungsschemas oder einer Folge von Handlungsschemata, die im Urteil als zu realisieren anerkannt sind. Arbeit ist ein anderes Wort für ein unter einer Absicht bzw. in der Verfolgung von Vorsätzen, Absichten und Planungen realisiertes Handeln. Dass es dabei einen Kampf um Anerkennung gibt, liegt natürlich daran, dass eine bloß abstrakte oder rein verbale Anerkennung, ein nur theoretischer Beschluss und Entschluss im Planen und Denken nicht ausreicht. Der Entschluss muss immer noch real und aktual durch die Tat anerkannt werden. Das gilt für individuelle wie gemeinsame Absichten und Handlungen gleichermaßen. Auch Wir-Absichten gibt es erst, wenn sie in Wir-Handlungen ausgeführt werden. Sonst kollabieren sie zu frommen Wünschen. Es gibt viele solcher rein verbaler und utopischer Wünsche dazu, wer wir sein möchten, aber eben nicht sind, oder was wir tun möchten, aber nicht tun. Die meisten von ihnen sind leeres Gerede. Im Übrigen verhalten sich verbale Absichten zu einem realen Tun ähnlich wie rein verbale Erklärungen zu passenden Erklärungen realer Erfahrungen. Der Ausführung einer als zu tun erkannten generischen Handlung an sich – qua abstraktes Schema – stehen, wie dann auch Kant sagt, die unmittelbaren Neigungen gegenüber, die als leiblich fundiert aufgefasst werden. Auf Platon geht dabei das schöne Bild zurück vom edlen Pferd der guten Gewohnheiten, das dem Willen des Wagenlenkers gehorcht und das unbotmäßige Pferd in Schach hält, das sich, seinen Begierden folgend, in die Büsche schlagen will.73 Es sind also die Antriebe selbst für den Willen nutzbar zu machen. Die bloß präsentischen Neigungen des Knechtes oder Leibes in der jeweiligen Gegenwart kümmern sich, allegorisch gesprochen, als solche wenig um das Geschwätz des Herrn gestern, d. h. um seine früher gegebenen Absichtserklärungen. Im Bild vom Kampf auf Leben und Tod kämpft also ein zeitlich nicht unmittelbar an die Gegenwart gebundenes theoretisches oder verbales Denken und ein in einem gewissen Sinn überzeitlicher 73
Platon, Plaidros 246 a b.
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Herrschaft und Knechtschaft
Wille als (vermeintlicher) Herr gegen den Leib als den (vermeintlichen) Knecht. Er kämpft dabei um die reale Anerkennung seiner allgemeinen Maximen oder Grundsätze oder Pläne oder Absichten durch die Tat. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Denn wenn der Herr nicht siegt, der Plan nicht in der Tat anerkannt wird, wird er zu einem reinen Papiertiger, wird die Absicht als Absicht annulliert und verwandelt sich gewissermaßen post hoc in einen leeren verbalen Wunsch, so wie Theorien leer werden ohne reale Anwendungen. Damit erkennt Hegel die schwierige zeitliche Struktur der Logik unserer Rede von Absichten und damit auch des Willens, der sich eine Umformung der Befriedigung von Begehrungen zunutze machen muss. Aber auch die Struktur eines allgemeinen theoretisch-begri=lichen Wissens ist betro=en, da dieses sich in der realen Anwendung, in der realen Verarbeitung empirischer Information zu bewähren hat. Wenn man will, kann man auch sagen, dass in diesem Kampf zwischen absichtlichem Wollen und bloßem Begehren ein eher überpräsentisches Selbstbewusstsein einem eher bloß präsentischen Bewusstsein gegenübersteht. Man kann dabei auch das knechtische Bewusstsein, das im Bild der Allegorie durch das herrische Selbstbewusstsein zu kontrollieren ist, als ein System der wahrnehmenden Kognition und der unmittelbaren Verhaltensdispositionen auffassen. Diese Dispositionen können dann sogar erweitert sein durch die theoretisch-verbalen und praktisch-tätigen Inferenzen einer bloß instrumentell denkenden Person, eines animal rationale, das als solches übrigens weitgehend mit dem homo oeconomicus zusammenfällt. Ein solches Wesen, ein solcher Mensch, optimiert die unmittelbaren Chancen der sicheren Erfüllung seiner gegenwärtigen Präferenzen (in einer zugehörigen Ordnung ihrer Gewichtung), ohne auf den überzeitlichen und überindividuellen Rahmen seines unmittelbaren Denkens und Tuns zu reflektieren. Ihm steht ein ›vernünftiges Selbstbewusstsein‹ gegenüber. Die Allegorie verweist in dieser ausgeweiteten Lesart auch genau auf das Bild, das uns Kant vom Kampf zwischen praktischer Vernunft und Neigungen malt. Damit sehen
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wir, wie Kant das Bild der sokratischen Tradition vom Kampf der Vernunftseele gegen den Leib im Grunde nur fortsetzt und wie Hegel diese Allegorie dekonstruiert. Hegel behauptet nämlich in der Tat: Das Bild taugt in seiner klassischen Deutung nicht allzu viel. Es ist in zentralen Momenten in sich widersprüchlich. Denn wenn der Herr gewinnt, wenn also die Absicht umgesetzt wird, ist es der Knecht, der arbeitende Leib, der die Absicht realisiert. Der Knecht ist daher strukturell der Herr des Verfahrens, nicht etwa das für sich allein kraftlose Selbstbewusstsein. Denn die zunächst bloß verbal gefasste Absicht, der bloß denkerisch gefasste Plan, die rein theoretische Entscheidung im Urteil, wird erst im Tun, in der Realisierung des Planes, der Aktualisierung der Handlungsform zur wirklichen Intention. Daher kann es sich nach Hegel strukturell nicht um einen Kampf zwischen ›zwei Seelen‹ in meiner Brust handeln, einer Geistseele (des ›höheren Selbstbewusstseins‹) und einer Naturseele (des ›unmittelbareren Bewusstseins‹). Es steht auch nicht ein angeblich autonomes Selbstbewusstsein einem angeblich immer heteronomen, weil den Gesetzen der Natur unterworfenen Leib gegenüber. Außerdem gibt sich der Herr mit dem Ergebnis nicht anders zufrieden als der Knecht. Das ist so, weil ich nicht Herr des Kontrasts zwischen Befriedigung und Erfüllung, Gewissheit und Wissen bin. Während Kant o=enkundig noch ganz im Rahmen des platonistischen und dann auch cartesischen Dualismus denkt, weist Hegel damit darauf hin, dass vom einzelnen Subjekt her gesehen am Ende immer ›der Leib‹ gewinnt. Am Ende entscheidet ja ›mein Leib‹, was wirklich getan wird, und mein Leibgefühl, womit ich mich zufrieden gebe. Schon daher hat es gar keinen Sinn, wenn ich versuche, meinen Leib von mir abzutrennen, ihn mir gegenüberzusetzen, oder mich meinem Leib. Das ›reine‹ oder ›bloß verbale‹ Denken erweist sich daher in Hegels Destruktion des allegorischen Bildes von der Seele bei Platon und vom bewussten Willen bei Kant am Ende viel weniger als Herr, als dies zunächst so scheint, zumal ich als der Denkende gar nicht der Herr der Inhalte meines Denkens bin. Ich bin nicht ein-
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mal der Herr der möglichen Handlungsschemata, zwischen denen ich wählen kann, z. B. als möglichen instrumentellen Strategien zur Verfolgung eines Zweckes. Ich muss diese Schemata schon kennen. Ich muss ihre (regelmäßige) Aktualisierung im Handeln – etwa auf ›willkürliche‹ (Selbst-)Aufforderungen hin – und ihre Beurteilung auf instrumentelle Rationalität in der Verfolgung von Zwecken schon gelernt haben. Was ich nicht in diesem Sinn gelernt habe, kann ich nicht mit Eigenkontrolle handelnd ausführen. Daher sind mir meine Kompetenzen des Handelns und besonders auch des lauten und leisen Sprechhandelns oder Denkens keineswegs unmittelbar gegeben. Insbesondere hat der bloße performative Akt der Äußerung eines Satzes für sich, d. h. als bloßes Token ohne Bezugnahme auf die typische generische Handlung an sich, so wenig Inhalt wie das Geplapper eines Papageis. Es gilt sogar: Wo ein Selbstgefühl oder auch ein Verhalten unmittelbar, nicht durch das Lernen der korrekten Aktualisierung generischer Handlungstypen vermittelt ist, ist es kein Bewusstsein und kein (selbst-)bewusst kontrolliertes Handeln. Wer also ist es, der denkt und dem Denken Inhalt gibt, den Inhalt des Bewusstseins bestimmt und damit ein Tun allererst zu einer (selbst-)bewussten Handlung macht? Ist dieser vermeintliche Herr das Ich? Ist es, wie man heute sagt, das Gehirn? Und warum sollten wir uns mit diesem Gerede nicht beruhigen? Wer oder was wäre dieses Ich, wenn es nicht der Leib selbst wäre? Wie aber kann es dann noch zu einer Di=erenz oder einem Kampf zwischen Herr und Knecht kommen? Und wie kann ich, als das Selbstbewusstsein, die Herrschaft über mich haben, wenn die Inhalte dieses meines Bewusstseins gar nicht durch mich selbst bestimmt sind? Dann wäre bestenfalls noch dasjenige an einem Gedanken mir selbst zuzuschreiben, was mir gerade mehr oder weniger zufällig eingefallen ist, nämlich der Satz als der Träger des Gedankens. Die Eigenmacht des stolzen Selbstbewusstseins wird nach dieser Kritik an Platons, Descartes’ und Kants Bild recht schwach, gerade auch im Verhältnis zu seinem Leib, der sich ihm angeblich als Knecht zu unterwerfen hat.
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Insgesamt ist daher weder ein rein subjektives und unmittelbares Selbstbewusstsein der Herr des Urteilens und Handelns, schon gar nicht des vernünftigen Urteilens und Handelns, noch ist der Leib der Knecht, der dem Urteil und der Ansicht des Herrn einfach unterworfen wäre oder zu unterwerfen sei. Das Bild löst sich auf. Damit bleiben wir als Betrachter des Schauspiels, das hier um einer Erhellung des Begri=s des Selbstbewusstseins willen aufgeführt wird, nur noch ratloser zurück. So scheint es jedenfalls zunächst. Immerhin wird klar, dass es die Form des Urteilens, der Tätigkeit und der Arbeit selbst ist, welche wir betrachten müssen, um zum rechten Verständnis der Beziehung von mir als Selbstbewusstsein zu mir in meinem Leib und Leben zu gelangen. Wie verhält sich die abstrakte Person, das System der Rollen, die ich spiele, der homo noumenon als transzendentales Ich, zu meinem empirischen Ich? Kants Unterscheidung einer (transzendental verstandenen) rationalen Psychologie von einer empirischen Psychologie ist dabei so deuten: Die erste reflektiert auf Formen des abstrakten Subjekt- und Person-Seins im Urteilen und Handeln. Die zweite untersucht die physiologischen Eigenschaften und die leib- oder animalpsychologischen Neigungen und Dispositionen im Verhalten. Dabei geht es Kant um eine säkularisierte Aufhebung der von Descartes reflexionslogisch entwickelten Di=erenz zwischen einer scheinbar unmittelbaren, aus der Subjektperspektive unbezweifelbaren, res cogitans und dem Bereich der res extensa, zu dem auch mein Leib oder Körper gehört. Wie bei Platon erscheint daher auch noch bei Descartes die besondere menschliche Seele, die humane psych¯e mit ihren mentalen Kompetenzen des Wahrnehmens, Denkens, Wissens, Urteilens, zwecksetzenden Planens und zweckorientierten Wollens, als Herr im Haus des Leibes. Wer aber bin ich, wenn ich mich auf mich selbst in meinem Tun beziehe und mich dabei in einer Weise ändere, die von anderer Art ist als die, in der sich zum Beispiel das Gras vom Frühjahr bis zum Herbst verändert? Nun, zunächst bin ich jeweils der, welcher hier und jetzt etwas tut. Als solcher bin ich mein Leib. Dass
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dieses Tun Rückwirkungen oder besser Vorauswirkungen hat auf meinen Leib und auf mein späteres Vermögen, etwas anderes zu tun, drücken wir dadurch aus, dass wir sagen, dass ich mich in diesem Tun auch zu mir selbst verhalte. Damit werde ich, der ich hier und heute etwas tue, gleichzeitig unterschieden von dem, der ich danach sein werde. Und doch werde ich auch wieder mit dem, der ich sein werde, identifiziert. Das Fürchsichsein des Ich ist damit nicht momentan, sondern zeittranszendent. Aus der Perspektive der ersten Person gesprochen, unterscheide ich mich und identifiziere ich mich entsprechend. Eben diese scheinbar widerspruchsvolle Struktur hat Hegel im Anschluss an Fichte als die logische Struktur des Selbst-Bewusstseins erkannt. Dabei stehen die Ausdrücke »Bewusstsein« und »Selbstbewusstsein« gerade nicht für das unmittelbare performative Subjekt in bloß momentanen Aussagen der Form »ich denke . . . « oder »ich weiß . . . « bzw. »ich weiß von mir, dass . . . « oder »ich weiß, dass ich . . . «. Ich bin mir daher am Ende doch bloß scheinbar unmittelbar zugänglich und gegeben. Ernst Tugendhats Kehraus mit Hegel74 tri=t daher viel eher als Hegel dessen Interpreten wie Dieter Henrich, der sich an Fichte und den Romantikern orientiert. Tugendhats Unterstellung ist nämlich ganz unzutreffend, dass Hegel die Beziehung von mir zu mir als Beziehung von mir als performativem Subjekt oder Sprecher auf mich als einfaches grammatisches Objekt verstanden habe. Gerade gegen diese Strukturvorstellung der Tradition, von Platon über Descartes bis Kant, die dieses Subjekt-Objekt dann auch noch mit einer Seele identifiziert, läuft Hegel Sturm. Man missversteht also seine dialektische Dekonstruktion auf grundsätzliche Weise, wenn man seine Texte traditionalistisch liest. Im Vernunftkapitel zeigt Hegel dementsprechend, dass in jedem beobachtenden Selbstbezug natürlich mein physischer Leib das Objekt ist, dass also die Seele gar nicht unmittelbarer Gegenstand eines wissenden Selbstbezugs ist, wenn man sich klar gemacht hat, dass und wie das Sehen oder 74
Tugendhat 1979, Vorlesung 13 und 14.
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videre als Vertreter für alle Perzeptionen und sinnlichen Erfahrungen und das Erfahrenwerden zur Existenz begri=lich notwendig gehört, was ja auch schon Berkeley, in dieser Version ganz richtig, betont. Hegels Argumente destruieren also die Vorstellung von einer Beziehung eines unmittelbaren Ichs, einer Seele oder eines ›Bewusstseins‹ sowohl auf sich selbst als auch auf den Leib radikal.75 Tugendhat kritisiert den Boten für die Nachricht, den Kritiker für das Kritisierte, indem er Hegels Rede vom Selbstbewusstsein als Rede von einer Beziehung eines Subjekts auf ein Objekt liest. Hegel selbst weiß, dass es sich um einen (intentionalen, modalen und zeitlich ausgedehnten) Prozess handelt und dass wir in der statischen Sprache immer Probleme haben werden, solche Prozesse so darzustellen, dass die Darstellung nicht missverstanden wird. Manchmal reduziert man Hegels Analysen auch auf das, was im Amerikanischen Pragmatismus und besonders bei George Herbert Mead76 von ihnen noch übrig geblieben ist, nämlich auf die Einsicht, dass Selbstbeziehungen (wie zum Beispiel die Selbstachtung) entsprechende soziale Beziehungen zu anderen, von mir zu dir, als gegeben voraussetzen und dass darüber hinaus schon der Gebrauch des Wortes »ich« die kontrastiven Beziehungen auf die Worte »du« und dann auch »er«, »wir«, »ihr« und »sie« als bekannt unterstellt. Das ist zwar richtig und wird auch von Hegel betont. Aber es reicht bei Weitem nicht aus. Und es betri=t nicht die Logik des Selbstbezugs, jedenfalls nicht unmittelbar.
Auch Nietzsche oder Heidegger, Gilbert Ryle oder Jacques Derrida übertre=en ihn in dieser Destruktion oder Dekonstruktion nicht, wenn sie ihn denn in seinem Denken überhaupt einholen. 76 Mead 1968. 75
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B. Freiheit des Selbstbewusstseins; Stoizismus, Skeptizismus und das unglückliche Bewusstsein Der Stoizismus macht den Fehler, sich die Ruhe des Gemüts durch eine Art dezisionistischer Beendigung der Dialektik von Herr und Knecht im Appell an eine allgemeine Vernunft selbst zu verscha=en. Der Skeptizismus, der die unendliche Fortsetzbarkeit des Zweifels durchaus klar erkennt, macht den Fehler, nicht mit relevanten Befriedigungen als praktisch zureichenden Erfüllungen und bürgerlichen Wahrheiten zufrieden zu sein. Das unglückliche Bewusstsein aber verlegt angesichts der strukturell unaufhebbaren Fallibilität der meisten unserer Wissensansprüche und des unendlichen Regresses von Fragen nach Gründen und Kontrollen, die es zusammen mit dem Skeptizismus erkennt, den Wahrheitsbegri= ganz und gar in ein metaphysisches Jenseits. Man meint jetzt, es gebe im Diesseits kein (›absolutes‹) Wissen, sondern bloß mehr oder minder gute Überzeugungen. Nicht nur die jüdische, christliche und muslimische Theologie, gerade auch die Mehrheitsmeinung der Kommentare der Naturwissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker zu ihren eigenen Wissensansprüchen als bloßen Überzeugungen fallen unter dieses unglückliche Bewusstsein, das sich jetzt als eine rein dogmatische, glaubensphilosophische Antwort auf den Skeptizismus erweist. Dieser Dogmatismus des reinen Glaubens ebnet zugleich die innerweltliche Di=erenz zwischen Glauben und Wissen ein. Damit aber wird eben diese Di=erenz nicht mehr verstanden. Das gilt unabhängig von der Frage, ob man an eine religiös-theologische transzendente Welt glaubt oder an eine unerkennbare Natur an sich, wie sie eine ideale, leider kontrafaktische, Physik beschreiben und erklären würde. Der traditionelle Theologe und der physikalistische Szientist sitzen im selben Boot. Sie kämpfen beide einen fast lächerlichen Kampf um den besseren Glauben, nachdem beide auf der Flucht vor dem Skeptizismus in den Schoß ihrer jeweiligen Glaubensmetaphysik zurückgeflüchtet sind.
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Unglücklicherweise löst Kants Unterscheidung zwischen einer Welt der Erscheinungen und einer Welt der Dinge an sich, einer Welt der Erfahrungen und einer Welt denkzugänglicher Möglichkeiten das Problem auch nicht. Kant meint zwar, gezeigt zu haben, dass es logisch erlaubt sei, erstens an die Freiheit des Wollens und Handelns zu glauben, zweitens so über Lebewesen zu reden, als gäbe es in ihrem Leben teleologische Strukturen, also aktive Vorgri=e auf präsentisch begehrte und erho=te Ziele, obwohl eigentlich oder in Wirklichkeit alle Erscheinungen unter das physikalische Kausalprinzip fallen. Hegel erkennt dagegen, dass man sich mit Kants kompatibilistischer Lösung des Problems von Freiheit und Kausaldeterminismus nicht ohne Aufopferung des Verstandes zufrieden geben kann. Denn wenn alle Erscheinungen physikalisch durch vorlaufende Ereignisse und Naturkräfte verursacht sind und im Prinzip, wenn auch aus bloß epistemischen Gründen nicht faktisch, e;zienzkausal erklärt werden könnten, wird der Glaube an die Freiheit des (guten) Willens zu einem bloßen Papiertiger. Dieser kann dann gar nicht mehr eigenständig auf die einzig reale Welt, die der Erscheinungen, einwirken. Alle Ursachen für Wirkungen wären vielmehr schon in die physikalischen Bewegungszustände der physischen Körperdinge gesetzt. Da alle derartigen Setzungen selbst aber frei durch uns erfolgen, fragt Hegel mit vollem Recht nach den Grenzen des Sinns derartiger Setzungen. Um diese Grenzen e;zienzkausaler Erklärbarkeiten zu bestimmen, muss die phänomenale Realität des Denkens, die reale Konstitution der Kategorie(n) und des Begri=lichen, in den Blick genommen werden. Nur eine entsprechende Phänomenologie des Inhaltlichen, Geistigen, des Wissens als Praxis, kann die Schwächen von Argumenten erkennen, die, wie bei allen Kantianern, erst recht aber im Szientismus, bloß im inhaltlichen, nicht im formalen Modus (Carnap) vorgetragen werden. Wir sehen damit auch, wie gerade die Russell-Carnap-Tradition der Analytischen Philosophie hart an der Wahrheit vorbeisegelt, indem sie aus der berechtigten Verzweiflung am Sinnesdatenempirismus am Ende dogmatisch-gläubig zu Otto Neuraths Physikalismus
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überschwenkt, wie wir das etwa auch bei Quine, Donald Davidson, David Armstrong und David Lewis sehen können. Der Formalismus der Darstellung nach Art einer axiomatischen Mengentheorie geht hier, wie schon im Denken bei Leibniz und Spinoza more geometrico, eine unheilige Allianz ein mit einer intuitiven Glaubensphilosophie, also mit einer ontischen Metaphysik. Es ist an der Zeit, diese Fehlentwicklung umzukehren, was Sellars, Rorty, Brandom und McDowell klar sehen.
23. Stoizismus 197 a
»Dem selbständigen Selbstbewußtsein ist einesteils nur die reine Abstraktion des Ich sein Wesen;« (136 | 116)
Das selbständige Selbstbewusstsein bin je ich als gerade tätiges Wesen, als mein lebender Leib im denkenden Urteilen bzw. allgemeiner im Sprechhandeln und im Handeln überhaupt. Mir als sprechendem und handelndem Wesen erscheint dabei das abstrakte Ich als mein Wesen, etwa wenn ich sage: »ich bin ich«, oder wenn ich mit Descartes über mich sage: »ich bin ein denkendes Wesen«. Ich sage dann über mich gerade nicht, dass ich, als selbständiges Individuum, mein Leib bin. Wir werden sehen, dass ich mir, wenn ich mir das abstrakte Ich als mein eigentliches Wesen oder als meine eigentliche Seinsweise zuschreibe, in Wirklichkeit die allgemeine Lebensform des Menschseins und die sie charakterisierenden allgemeinen geistigen Fähigkeiten zuordne. Ich bin als Einzelner, was wir sind. Hier sind wir aber noch nicht so weit, dass wir schon voll verstehen könnten, was das heißt. Wir verstehen hier sozusagen noch nicht, was der abstrakte Ausdruck »das Ich« so alles bedeutet, worauf sich also das Wort »ich« so alles bezieht. 197 b
»und andernteils, indem sie [die Abstraktion, PSW] sich ausbildet und sich Unterschiede gibt, wird dies Unterscheiden ihm nicht zum gegenständlichen ansichseienden Wesen;« (136 | 116)
Hegels nominale Ausdrucksweise wird hier schier unverständ-
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lich. Wenn man den Satz verbal ausdrückt, ist mit einiger Sicherheit das Folgende gemeint: Indem ich in der Reflexion auf mich als abstraktes Subjekt Unterscheidungen über meine intellektuellen und handlungsbezogenen Fähigkeiten artikuliere und mir selbst zuschreibe, ist das Unterscheiden zunächst bloß erst etwas, was ich selbst verbal tue. Was ich dabei di=erenziere, ist noch nicht als System wesentlicher Teilformen meines selbstbewussten Lebens in praxi erkannt. Es werden damit zwar Momente, Beweggründe bzw. Teilaspekte je meiner und damit immer auch je unserer Lebensform abstrakt thematisch gemacht und reflexionslogisch vergegenständlicht. Aber die so in Aspekte aufgegliederte Lebensform wird damit noch nicht in ihrer Einheit und auch nicht als je meine und je unsere eigene Seinsweise voll begri=en. Dazu müsste der Modus des Ansich, der gegenstandslogischen Explikation, als logische Reflexionsform der Vergegenwärtigung allgemeiner Momente je meiner und je unserer eigenen Seinsweise schon begri=en sein. Erst dann kann das dabei Unterschiedene richtig verstanden werden, nämlich nicht als verschiedene Redegegenstände, sondern als Aspekte, Teilformen, eben ›Momente‹, je meines eigenen Seins im Vollzug, also als Teil von Vollzugsformen. »dies Selbstbewußtsein wird also nicht ein in seiner Einfachheit sich wahrhaft unterscheidendes oder in dieser absoluten Unterscheidung sich gleichbleibendes Ich.« (136 | 116)
Folgendes ist hier allgemein zu beachten: Hegel kümmert sich wenig darum, ob die anaphorischen Beziehungen seiner Sätze immer genau nachvollziehbar bleiben. Hier ist nicht einmal ganz klar, ob dies Selbstbewusstsein immer noch das selbständige, wirkliche, leibliche Individuum in seinem Vollzugssein ist. Um zu sehen, dass es so ist, müssen wir uns für unseren eiligen Geschmack viel zu lang mit Hegels Sätzen beschäftigen. Kein Wunder, dass allen normalsinnigen Lesern die Geduld ausgeht. Analysieren wir das Selbstbewusstsein bloß verbalanalytisch, gelangen wir nur zu seinem abstrakten Begri= an sich. In bloß abstrakten Selbstzuschreibungen geistiger Fähigkeiten (vom Be-
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wusstsein und Intellekt bzw. Verstand über die Vernunft bis zum Geist) wissen wir noch überhaupt nicht, was wir uns dabei zuschreiben und wer wir sind. Dasselbe gilt für die Frage nach Sinn und Bedeutung des Wortes »ich«. In welchen Weisen bleibe ich mir selbst gleich? Und wie unterscheiden wir uns von uns selbst? Dabei ist der reale Vollzug des Lebens sogar absolut. Das heißt, mein Sein und Leben ist von Fremd- und Selbstzuschreibungen mentaler oder charakterlicher Eigenschaften und Fähigkeiten unabhängig, gerade weil es deren ›Wahrmacher‹ ist, also die Zuschreibungen wahr oder falsch macht. Allerdings kann die Anerkennung von solchen Zuschreibungen in meinem Tun und damit für mein Wesen, also meine weitere Seinsweise, eine zentrale Rolle spielen und wichtige Folgen haben. Im realen Sein und Leben verbindet sich dann auch das Ansichsein der allgemeinen Lebensform mit dem Fürsichsein meiner realen Existenz. Ich bin also wirklich immer (nur) der oder das, wer oder was ich an-undfür-sich bin. Für ein volles Selbstbewusstsein wird die reflexionslogische Selbstvergegenständlichung im Redemodus das Ansich zwar notwendig. Aber ohne angemessene praktische Deutung kann diese immer auch irreführen. Nötig ist daher immer die Aufhebung der Spannung von mir als Subjekt der tätigen Anerkennung einer Form und mir als Objekt einer Selbstaussage oder eines Selbstbildes. Was dabei für je mich gilt, gilt auch für je uns, und zwar für uns als Menge von je einzelnen Personen und für uns als generisch zu thematisierende Gemeinschaft. Eine solche kann z. B. über Rollenverteilungen in Praxisformen bestimmt sein. Beispiele sind Spiele, Institutionen oder deren Rahmen: ein gesetzlich verfasster Staat. 197 d
»Das in sich zurückgedrängte Bewußtsein hingegen wird sich im Formieren als Form der gebildeten Dinge zum Gegenstande, und an dem Herrn schaut es das Fürsichsein zugleich als Bewußtsein an.« (137 | 116)
In sich zurückgedrängt wird das Bewusstsein etwas Inneres gerade so wie eine Kraft: Sie wird als das Innere, als Charakter,
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Fähigkeit, Kompetenz oder Seele in einen Leib gesetzt. In sich zurückgedrängt ist daher das Bewusstsein gerade als Gegenstand des Selbstwissens bzw. einer bewussten Reflexion auf sich selbst. Jede Selbstbildung setzt schon voraus, dass es eine Form gibt, welche für die Bildung nicht bloß eine Zielrichtung bestimmt, sondern die normativen Bedingungen der Erfüllung des Bildungsprozesses festlegt. Das gilt für alle formbaren Dinge, auch für unseren Leib in seiner jeweiligen Gestalt, besonders aber auch für geistige Fähigkeiten und ihre Äußerung im Vollzug des realen, selbständigen, als solchem leiblichen, Lebens. Indem dieser Vollzug durch den Versuch der Erfüllung einer normativen Form oder Norm geleitet ist, erscheint diese Form als ›Herr‹ des Vollzugs, das einzelne Tun aber als die durch den Herrn angeleitete Arbeit des Knechtes, welcher in der tätigen Aktualisierung der Form sozusagen die Anleitungen des Herrn befolgt, die man sich durchaus als (implizite) Selbstaufforderung denken darf. Eine solche ist in jedem Vorsatz und jeder Absicht empraktisch enthalten, wobei wir uns zumindest manchmal die Absicht vorher in der Form eines Vorsatzes explizit bewusst gemacht haben und nicht bloß erst post hoc zuschreiben. Der Metapher vom ›Herrn‹ korrespondieren also in gewisser Weise die Normen des Richtigen als Aufforderungen, etwas zu tun und anderes zu unterlassen. Die Beziehung zum ›Knecht‹ ist eine Selbst-Beziehung, ein Für-mich-sein, so dass Herr und Knecht bloß Momente von mir sind: Ich bin der Herr und ich bin der Knecht. Damit können wir abstrakt, an sich, schon erkennen, was das Selbstbewusstsein eigentlich ist, nämlich ein handelnder Selbstbezug. »Aber dem dienenden Bewußtsein als solchem fallen diese beiden Momente – seiner selbst als selbständigen Gegenstandes und dieses Gegenstandes als eines Bewußtseins und hiemit seines eignen Wesens – auseinander.« (137 | 116)
Sofern ich bloß auf das aktuelle Tun achte oder sozusagen bloß dienendes Bewusstsein im empraktischen Vollzug des Lebens bin, bemerke ich die Einheit von normativer Form, autonomer Aner-
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kennung und handelndem Tun nicht. Mir fällt dann, sozusagen, das, was ich insgesamt bin, und das, was mein Sein bestimmt, auseinander, so, als stünde ich dem Herrn, der mir sagt, wie ich sein soll, als eine zweite Person gegenüber. Ich erkenne dann nicht, dass ich im handelnden Tun immer schon beides bin, autonomer Herr der Formen des Handelns und dienender Knecht, welcher die jeweils relevante generische Handlung aktualisiert, also tätig ausführt. 197 f
»Indem aber für uns oder an sich die Form und das Fürsichsein dasselbe ist, und im Begri=e des selbständigen Bewußtseins das Ansichsein das Bewußtsein ist, so ist die Seite des Ansichseins oder der Dingheit, welche die Form in der Arbeit erhielt, keine andere Substanz, als das Bewußtsein, und es ist uns eine neue Gestalt des Selbstbewußtseins geworden;« (137 | 116)
Für uns, also in unserer verbalen Reflexion im Modus des Ansich, ist das Bewusstsein die Form bzw. der Inhalt einer tätigen Selbstbeziehung. Dem selbständigen Bewusstsein des realen Handelns aber steht das Bewusstsein als Mit-Wissen abstrakt gegenüber. Die Form qua Inhalt einer Absicht wird durch tätige Arbeit verwirklicht. In der Verwirklichung erhält das Bewusstsein die äußerliche Seite der Dingheit. Das heißt, im tätigen Handeln muss das, was den Inhalt der Absicht ausmacht, zunächst ›an sich‹, also einem allgemeinen Sollen gemäß, dinglich realisiert werden. Das kann, wie wir gesehen haben, scheitern, so dass das, was wir etwa zuvor verbal als unsere Absicht anerkannt hatten und was uns an sich zu einer korrekten Verwirklichung verpflichten würde, was wir also tun sollten, in einen bloßen Wunsch, eine rein verbale und abstrakte pro-attitude (Donald Davidson) kollabiert, wenn nämlich der Inhalt qua normative Form nicht realisiert wird, wie er an sich realisiert werden sollte. Wer nur wünscht, handelt noch lange nicht. Und wer nur post hoc seinem realen Tun scheinbar passende Absichten zuschreibt, handelte möglicherweise keineswegs aus der Absicht, die er sich zuschreibt.
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Das Feste und Bleibende im tätigen Handeln, die Substanz, ist das Bewusstsein oder das kontrollierende Mit-Wissen selbst. Mit dieser Einsicht erkennen wir ›eine neue Gestalt des Selbstbewusstseins‹ das Hegel so beschreibt: Es ist »ein Bewußtsein, welches sich als die Unendlichkeit, oder reine Bewegung des Bewußtseins das Wesen ist; welches denkt oder freies Selbstbewußtsein ist.« (137 | 116)
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Was meint die Rede von der ›Unendlichkeit‹? Inwiefern soll diese als ›reine Bewegung‹ des Bewusstseins ›das Wesen‹ sein und zwar o=enbar für das Bewusstsein selbst? Ein Gedanke verweist wohl auf die unendlichen Stufen der Selbstaussagen und ihrer Kontrolle. Auf jeder Stufe stehen nur Gewissheiten, da ich mich in der Anwendung der Kriterien der Geltung immer auch täuschen kann und mögliche oder wirkliche andere Personen z. B. meine Selbstbeurteilungen infrage stellen können. Ich selbst kann dies tun – und bewege mich auf einer unendlichen Reflexionstreppe beliebig weit nach oben. Da ich das Wort »Wesen« möglichst allgemein als Seinsweise lese, ist das ›Wesen, das denkt‹ die denkende Seinsweise des Menschen. Das Denken ist, wie wir gesehen haben, frei. Insofern ist das Wesen des Menschen freies Selbstbewusstsein, also frei denkendes Mitwissen über das, was ich tue und wer ich bin. »Denn nicht als abstraktes Ich, sondern als Ich, welches zugleich die Bedeutung des Ansichseins hat, sich Gegenstand sein oder zum gegenständlichen Wesen sich so verhalten, daß es die Bedeutung des Fürsichseins des Bewußtseins hat, für welches es ist, heißt denken. – « (137 | 116)
Denken heißt also, sich handelnd so zu verhalten, dass ich in diesem Tun mir selbst zum Gegenstand der Selbstbildung werde. Dabei verhalte ich mich zu meinem gegenständlichen Wesen, indem ich die vergegenständlichte normative Form meiner eigenen Seinsweise aktualisiere, in die Tat umsetze. Damit wird die Form, an der ich mein Tun, etwa auch mein Reden und Urteilen, orientiere, zu einem Teilmoment meines Für-mich-seins bzw. meiner
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con-scientia, meines ›Mit-Wissens‹, also des Bewusstseins und Selbstwissens im Tun. 197 i
»Dem Denken bewegt sich der Gegenstand nicht in Vorstellungen oder Gestalten, sondern in Begri=en, d. h. in einem unterschiedenen Ansichsein, welches unmittelbar für das Bewußtsein kein unterschiedenes von ihm ist.« (137 | 116 f.)
Für das Denken ist sein Gegenstand, der etwa eine im Denken explizit thematisierte Form oder Norm sein kann, nicht ein Moment eines Vorstellungsbildes, sondern eine begri=lich gefasste Erfüllungsbedingung, die wir im Tun richtig oder falsch, zureichend oder unzureichend erfüllen können. Begri=e sind gerade aufgrund der sie bestimmenden Erfüllungsbedingungen immer normativ. Das Bewusstsein selbst ist dabei nichts anderes als der Umgang mit Erfüllungsbedingungen, die Fähigkeit der Beherrschung der Welt der Begri=e bzw. des Begri=s, wie man kurz sagen kann und jetzt wohl auch sagen möchte. 197 j
»Das Vorgestellte, Gestaltete, Seiende als solches hat die Form, etwas anders zu sein als das Bewußtsein; ein Begri= aber ist zugleich ein Seiendes, und dieser Unterschied, insofern er an ihm selbst ist, ist sein bestimmter Inhalt, – aber darin, daß dieser Inhalt ein begri=ener zugleich ist, bleibt es sich seiner Einheit mit diesem bestimmten und unterschiedenen Seienden unmittelbar bewußt, nicht wie bei der Vorstellung, worin es erst noch besonders sich zu erinnern hat, daß dies seine Vorstellung sei; sondern der Begri= ist mir unmittelbar mein Begri=.« (137 | 117)
Hegel unterscheidet hier noch den Begri= als Gegenstand einer Reflexion von der Seinsweise des Begri=s oder des Begri=lichen als normativer Orientierung je meines Urteilens und Handelns im Vollzug. Dabei ist die allgemeine Seinsweise des Begri=s bzw. der allgemeinen Orientierung von der jeweiligen Besonderheit meiner je einzelnen Befolgung bzw. der je besonderen (Versuche der) Erfüllung der vom Begri= vorgegebenen normativen Anleitung bzw. Erfüllungsbedingung zu unterscheiden. Ich muss den Begri= kennen, wenn er mein Urteilen und Tun leiten soll: Ich handle nach meinem Begri=.
137 f. | 117
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»Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in einem Andern bin, sondern schlechthin bei mir selbst bleibe und der Gegenstand, der mir das Wesen ist, in ungetrennter Einheit mein Fürmichsein ist; und meine Bewegung in Begri=en ist eine Bewegung in mir selbst. – « (137 | 117)
197 k
Das Denken ist ein freies Handeln. Im Unterschied zum Wahrnehmen ist es völlig spontan. Das heißt unter anderem, die von mir laut oder leise produzierten Sätze, die als mögliche Träger meiner Gedanken fungieren und die durch tätige Anerkennung im inferentiellen Urteilen und Handeln zu meinen Gedanken werden, sind frei von mir hervorgebracht. Aber auch die Anerkennung möglicher Gedanken, ob diese von mir selbst oder von anderen artikuliert sind, ist ein freies Tun. Der di=erentielle und inferentielle Inhalt des Gedankens allerdings ist nicht durch mich bestimmt, nur die Aktualisierung seiner symbolischen Fassung und die Anerkennung. – Man könnte dem entgegnen: Nicht einmal der zufällige ›Einfall‹, der erste Schritt beim spontanen Fassen eines Gedankens, ist ein freies Tun. In der Tat, so ist es auch: Erst mein Umgang mit meinen Einfällen ist frei. Allerdings steht die gesamte Praxis der Bildung im Hintergrund. Dass das Denken in eben dem von Hegel hier geschilderten Sinn freies Selbstbewusstsein ist, sagt übrigens in gewisser Weise auch Descartes, dem zufolge Denken etwas ist, das in mir mit con-scientia oder (Selbst-)Bewusstsein geschieht, genauer: frei von mir ausgeführt wird. »Es ist aber in dieser Bestimmung dieser Gestalt des Selbstbewußtseins wesentlich dies festzuhalten, daß sie denkendes Bewußtsein überhaupt oder ihr Gegenstand unmittelbare Einheit des Ansichseins und des Fürsichseins ist. Das sich gleichnamige Bewußtsein, das sich von sich selbst abstößt, wird sich ansichseiendes Element; aber es ist sich dies Element nur erst als allgemeines Wesen überhaupt, nicht als dies gegenständliche Wesen in der Entwicklung und Bewegung seines mannigfaltigen Seins.« (137 f. | 117)
Gleichnamig ist das Bewusstsein als Gegenstand des SelbstWissens und als Vollzugssubjekt oder als von sich wissendes Be-
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wusstsein selbst. Im Selbstbezug stößt es sich von sich ab. Im Selbstbewußtsein bildet das Denken als Aktualisierung eines Gedankens eine Art Einheit mit dem allgemeinen Inhalt des Gedankens. In der besonderen Performation eines Gedankens an mich selbst als Denkendem werde ich selbst zum Gegenstand des Bewusstseins. Gleichnamig ist also das Bewusstsein qua Denken und sein Gegenstand, ich selbst als der, der einen allgemeinen Gedanken hat und der sich diesen Gedanken prüfend zum Thema macht, bevor dieser das weitere Tun orientiert. 198
»Diese Freiheit des Selbstbewußtseins hat bekanntlich, indem sie als ihrer bewußte Erscheinung in der Geschichte des Geistes aufgetreten ist, Stoizismus geheißen. Sein Prinzip ist, daß das Bewußtsein denkendes Wesen ist und etwas nur Wesenheit für dasselbe hat, oder wahr und gut für es ist, als das Bewußtsein sich darin als denkendes Wesen verhält.« (138 | 117)
Den heutigen Leser überrascht Hegel hier damit, dass er es für selbstverständlich ausgibt, dass die Idee der Freiheit des Denkens im Vollzug mit dem Stoizismus in Verbindung zu bringen ist. Hegel meint o=enbar, dass der Leser diese Verbindung schon kennt. Das Problem ist, das die stoische Denkfreiheit so leer sein kann wie die Sätze des Liedes »Die Gedanken sind frei«, solange die leise Rede mit mir selbst losgelöst bleibt von einem konkreten Handeln, in dem ich mich selbst tätig bestimme – und die Welt wenigstens lokal, im Kleinen, verändere. Eine solche Selbstbestimmung ist, wie wir sehen werden, nicht unabhängig davon, wie wir uns gemeinsam selbst bestimmen, indem ich zusammen mit anderen auf die Welt und ihren realen Verlauf entsprechend tätig Einfluss nehme. Der Stoizismus verbleibt in einer kontemplativen und tatenlosen Innerlichkeit, in der leeren Freiheit des Denkens, dem bloßen Reden und der bloßen Idee der Unabhängigkeit des Denkenden von der Realität. Schopenhauer wäre sozusagen der typische Verbal-Stoiker des 19. Jahrhunderts – womit angesichts des enormen Einflusses Schopenhauers auf die Meinungsphilosophie
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in Deutschland bis heute die Aktualität der Auseinandersetzung mit dem Stoizismus schon klar ist.77 »Die vielfache sich in sich unterscheidende Ausbreitung, Vereinzelung und Verwicklung des Lebens ist der Gegenstand, gegen welchen die Begierde und die Arbeit tätig ist.« (138 | 117)
199 a
Wie später auch Nietzsche betont hier schon Hegel, dass, sozusagen, nur der Wille als Durchführung von Absichten, und das bloß durch die Nutzbarmachung des Begehrungsvermögen, aber in disziplinierter Arbeit auch an sich selbst, dem vermeintlich bloß denkenden, also redend oder im Bildentwurf die Welt kontemplierenden Geist eine nicht leere Wirklichkeit gibt. »Dies vielfache Tun hat sich nun in die einfache Unterscheidung zusammengezogen, welche in der reinen Bewegung des Denkens ist.« (138 | 117)
Die formale Betonung des subjektiven Vollzugs des Denkens ist zwar durchaus wichtig, aber übertrieben und einseitig. Wir verdanken sie heute weitgehend lateinischen Stoikern wie Seneca und Cicero, aber auch dem Neuplatonismus und dem durch beide beeinflussten Aurelius Augustinus. Sie sind damit durchaus Vordenker der Subjektivität bzw. subjektiven Personalität der Nietzsche, der noch in seinen ersten Unzeitgemäßen Betrachtungen (Nr. 12) über David Strauß, die Hegelianer und ihren »verkrüppelten Nachwuchs« als »Deutsch-Verderber« herzieht, wendet sich in Jenseits von Gut und Böse (Nr. 204) auf bemerkenswert scharfe Weise gegen Schopenhauer: »[E]r hat es mit seiner unintelligenten Wut auf Hegel dahin gebracht, die ganze letzte Generation von Deutschen aus dem Zusammenhang mit der deutschen Kultur herauszubrechen, welche Kultur . . . eine Höhe und divinatorische Feinheit des historischen Sinns gewesen ist.« Nietzsche beklagt dann noch die »Armseligkeit der neueren Philosophen« und den Verlust der »Ehrfucht vor der Philosophie«, wobei er den eben genannten Hegel passenderweise, wenn auch implizit, einordnet in »die Art der Heraklite, Plato’s, Empedokles’, und wie alle diese königlichen und prachtvollen Einsiedler des Geistes geheißen haben«. 77
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Moderne. Die Bewusstseinsphilosophie der französischen Aufklärungszeit beginnt dann sozusagen im Neustoizismus bei Michel Montaigne. 199 c
»Nicht der Unterschied, welcher sich als bestimmtes Ding, oder als Bewußtsein eines bestimmten natürlichen Daseins, als ein Gefühl, oder als Begierde und Zweck für dieselbe, ob er durch das eigne oder durch ein fremdes Bewußtsein gesetzt sei, hat mehr Wesenheit, sondern allein der Unterschied, der ein gedachter oder unmittelbar nicht von mir unterschieden ist.« (138 | 117)
In der polaren Einsicht, dass wir es sind, welche in der Welt des begri=lichen Denkens Unterscheidungen tre=en, wird vom Stoizismus die Spontaneität und Konstruktivität des Unterscheidens oder Setzens der Unterschiede (über-)betont, und zwar gerade dadurch, dass die Vermittlung des aktiven Handelns, der Erfüllung von Wünschen und Absichten im realen Tun, und die Widerständigkeit der natürlichen, für sich seienden, Welt sozusagen wegabstrahiert wird. Damit scheinen alle wesentlichen Unterschiede in das Subjekt zu fallen. 199 d
»Dies Bewußtsein ist somit negativ gegen das Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft [d. h. die Dauer der Spannung zwischen Wunsch und Wille, Gewissheit und Wissen wird nicht als solche anerkannt, PSW]; sein Tun ist, in der Herrschaft nicht seine Wahrheit an dem Knechte zu haben, noch als Knecht seine Wahrheit an dem Willen des Herrn und an seinem Dienen, sondern wie auf dem Throne [wie Mark Aurel, PSW] so in den Fesseln [wie etwa der Sklave Epiktet oder vielleicht auch der zur Selbsttötung verurteilte Seneca, PSW], in aller Abhängigkeit seines einzelnen Daseins frei zu sein und die Leblosigkeit [die ataraxia und apathia als einer geradezu zenbuddhistischen Gleichgültigkeit, PSW] sich zu erhalten, welche sich beständig aus der Bewegung des Daseins, aus dem Wirken wie aus dem Leiden, in die einfache Wesenheit des Gedankens [der reinen Kontemplation, PSW] zurückzieht.« (138 | 117)
Das Ideal einer stoischen Welthaltung und Selbstauffassung abstrahiert, wie gesagt, von den Problemen der tätigen Umsetzung von Absichten und der Spannung zwischen einer zunächst
138 f. | 117 f.
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bloß denkend anerkannten Utopie oder Zielidee und ihrer tätigen Durchsetzung. Diese verlangt die disziplinierte Unterwerfung der bloß unmittelbaren Begierden und Wunschvorstellungen unter die Herrschaft von Vorsatz und Wille. Der denkende Geist muss sich in diesem Bild vom Handeln über das bloß natürliche Begehren erheben. Das Begehren war ja relativ unmittelbare Verhaltensmotivation gewesen. Dieses Begehren wird aber beim Stoiker (und damit auch noch bei Kant) fälschlicherweise zum ›Bösen‹, wie der Wille bei Schopenhauer. So schön das Streben nach Gelassenheit und Kontemplation sein mag, die Gefahren einer apathisch-gleichgültigen Haltung sind o=enkundig. Sie führen am Ende zu völliger Handlungsunfähigkeit. Gontscharows (übrigens unglaublich sympathische) Figur des völlig untätigen Oblomow ist damit nicht nur eine Kritik an der russischen Aristokratie des 19. Jahrhunderts, sondern auch eine moderne Karikatur des Stoikers.78 Der Kampf für die Vernunft und gegen den ›Eigensinn‹ des Einzelnen im Stoizismus bedeutete andererseits eine wichtige Einsicht in die Allgemeinheit des Guten, Wahren und Schönen, auch wenn diese noch allzu abstrakt und eben damit einseitig bleibt. Auch in Hegels Charakterisierungen des Stoikers findet sich eine schöne Ironie der doppelten Perspektive: »Der Eigensinn ist die Freiheit, die an eine Einzelnheit sich befestigt und innerhalb der Knechtschaft steht, der Stoizismus aber die Freiheit, welche unmittelbar immer aus ihr her und in die reine Allgemeinheit des Gedankens zurückkömmt; als allgemeine Form des Weltgeistes nur in der Zeit einer allgemeinen Furcht und Knechtschaft, aber auch einer allgemeinen Bildung auftreten konnte, welche das Bilden bis zum Denken gesteigert hatte.« (138 f. | 117 f.)
Eigensinn ist zufällige Willkür im Urteilen und Tun. Damit ist der Eigensinnige, ohne es zu merken, Sklave seines unmittelbaren Begehrens. Die allgemeinen Gedanken des Stoizismus aber sind, wie gerade die Schriften Senecas in der Spannung zu seinem 78
Vgl. Iwan Gontscharow, Oblomow und Die Schlucht (I/II).
199 e
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Leben zeigen, insofern immer auch leer, als sie bloß ideale Tautologien des Guten, Wahren und Schönen artikulieren, ohne die Schwierigkeiten der konkreten Umsetzung wirklich ernst genug zu nehmen. Der Stoizismus ist der Idealismus, den viele Leser fälschlicherweise Hegel zuschreiben. Dass dem wirklich so ist, zeigt die folgende Passage, deren Inhalt trotz der hegelianischen Terminologie kaum eines weiteren Kommentars bedarf: 200 a
»Ob nun zwar diesem Selbstbewußtsein weder ein anderes als es noch die reine Abstraktion des Ich das Wesen ist, sondern Ich, welches das Anderssein, aber als gedachten Unterschied an ihm hat, so daß es in seinem Anderssein unmittelbar in sich zurückgekehrt ist, so ist dies sein Wesen zugleich nur ein abstraktes Wesen. Die Freiheit des Selbstbewußtseins ist gleichgültig gegen das natürliche Dasein, hat darum dieses ebenso frei entlassen, und die Reflexion ist eine gedoppelte. Die Freiheit im Gedanken hat nur den reinen Gedanken zu ihrer Wahrheit, die ohne die Erfüllung des Lebens ist, und ist also auch nur der Begri= der Freiheit, nicht die lebendige Freiheit selbst; denn ihr ist nur erst das Denken überhaupt das Wesen, die Form als solche, welche von der Selbständigkeit der Dinge weg in sich zurückgegangen ist.« (139 | 118)
In der Tat artikulieren die Tautologien der Stoiker am Ende nur abstrakte normative Ideale des Wahren oder Richtigen. Sie appellieren zwar an ihre Einhaltung an sich, ohne aber die logisch im Grunde selbstverständlichen Spannungen zwischen Ideal und Wirklichkeit für ihr individuelles und kollektives Handeln ernst genug zu nehmen. Der jugendliche Idealismus und das Gutmenschentum in den ö=entlichen Medien gerade auch unserer Zeit ist eine Art Rückkehr des Stoizismus, der Verkennung der Bedeutung und Verachtung der ›Kompromisse‹ institutionellen und realpolitischen Handelns. 200 b
»Indem aber die Individualität als handelnd sich lebendig darstellen, oder als denkend die lebendige Welt als ein System des Gedankens fassen sollte, so müßte in dem Gedanken selbst für jene Ausbreitung ein Inhalt dessen, was gut, für diese, was wahr ist, liegen; damit durchaus in demjenigen, was für das Bewußtsein ist, kein
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anderes Ingrediens wäre als der Begri=, der das Wesen ist. Allein so wie er hier als Abstraktion von der Mannigfaltigkeit der Dinge sich abtrennt, hat er keinen Inhalt an ihm selbst, sondern einen gegebenen.« (139 | 118)
Die idealen Formen des Richtigen, an die der Stoizismus appelliert, werden einfach als gegeben aufgefasst. Damit sind sie aber in ihrem realen Status gerade nicht selbständig begri=en. Dazu wären sie als von uns selbst entwickelte, historisch erprobte und anerkannte Formen zur Anleitung richtungsrichtigen Urteilens und Handelns zu begreifen. Es wäre dabei auch die metastufige Form der Idealisierung zum Zweck einer allgemeinen Reflexion auf diese Formen genauer zu verstehen. Hinzu kommt das Wissen um die Mühen der realen Umsetzung, um die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit. Auch das Nachdenken über das Allgemeine steht den konkreten Aktualisierungen an und für sich noch gegenüber. »Das Bewußtsein vertilgt den Inhalt wohl als ein fremdes Sein, indem es ihn denkt; aber der Begri= ist bestimmter Begri=, und diese Bestimmtheit desselben ist das Fremde, das er an ihm hat. Der Stoizismus ist darum in Verlegenheit gekommen, als er, wie der Ausdruck war, nach dem Kriterium der Wahrheit überhaupt gefragt wurde, d. h. eigentlich nach einem Inhalte des Gedankens selbst. Auf die Frage an ihn, was gut und wahr ist, hat er wieder das inhaltlose Denken selbst zur Antwort gegeben; in der Vernünftigkeit soll das Wahre und Gute bestehen. Aber diese Sichselbstgleichheit des Denkens ist nur wieder die reine Form, in welcher sich nichts bestimmt; die allgemeinen Worte von dem Wahren und Guten, der Weisheit und der Tugend, bei welchen er stehen bleiben muß, sind daher wohl im allgemeinen erhebend, aber weil sie in der Tat zu keiner Ausbreitung des Inhalts kommen können, fangen sie bald an, Langeweile zu machen.« (139 f. | 118)
Die Langeweile des Stoizismus ist jedem Leser Senecas oder auch Ciceros vertraut. Es ist die Langeweile eines Redens, das in der Betrachtung des tautologisch Guten von allen Mühen der Umsetzung der schönen Ideen abstrahiert und eben daher zu
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einem nicht weiter verantwortlichen Gutmenschentum und der typischen Krankheit einer gutmenschlichen Reformitis führt: Die notwendigerweise unzulänglichen unmittelbaren Umsetzungen von Wunschidealen werden natürlich sofort wieder kritisiert. Dabei sollte klar sein, dass in vernünftigen Orientierungen des institutionellen Handelns immer auch Unzulänglichkeiten im Einzelnen zu ertragen sind. Gute Institutionen können immer nur richtungsrichtig sein. Sie können nie alle Einzelfälle perfekt behandeln. Dialektisches Denken ist am Ende nichts anderes als diese im Grunde ebenso triviale wie dauernd missachtete Einsicht in die spannungsgeladene Rolle von idealen Normen und Formen. Hier sind die so genannten Idealisten Friedrich Schiller und Hegel weit realistischer und verantwortlicher – gerade auch als manches utopische Denken der späteren Zeit. 201
»Dieses denkende Bewußtsein so, wie es sich bestimmt hat, als die abstrakte Freiheit, ist also nur die unvollendete Negation des Andersseins; aus dem Dasein nur in sich zurückgezogen, hat es sich nicht als absolute Negation desselben an ihm vollbracht. Der Inhalt gilt ihm zwar nur als Gedanke, aber dabei auch als bestimmter, und die Bestimmtheit als solche zugleich.« (140 | 118 f.)
Die abstrakte Freiheit und das tautologische Denken des Stoikers werden den Tatsachen der Welt bloß entgegengestellt, ohne in tätiger Negation gegen den Lauf der Welt etwas Konkretes zu tun, das wenigstens in die Richtung des Richtigen weist. Der Skeptizismus der Antike, bei Sextus Empiricus zum Beispiel, ist dagegen ein positivistischer Pragmatismus, der etwas Konkretes tun will, dabei aber die Rolle des Denkens und des allgemeinen Wissens der Prinzipien und Grundsätze unterschätzt, indem er diese seinerseits einer allzu abstrakten Kritik unterzieht. Sie erscheinen ihm viel zu schnell als vermeintliche Dogmen und Dogmatismen. Die Folge ist, dass der skeptische Pragmatismus bei Sextus wie später bei Hume am Ende in einen gedankenlosen Behaviorismus kollabiert.
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24. Skeptizismus »Der Skeptizismus ist die Realisierung desjenigen, wovon der Stoizismus nur der Begri=, – und die wirkliche Erfahrung, was die Freiheit des Gedankens ist; sie ist an sich das Negative, und muß sich so darstellen.« (140 | 119)
Hegel charakterisiert hier den Skeptizismus als das Spiegelbild des Stoizismus: Der Stoiker redet nur, der Skeptiker ›handelt‹ nur, ohne zu merken, dass gedankenloses Handeln kein autonomes Handeln mehr ist. – Die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des urteilenden Subjekts stellt sich im Skeptizismus so dar, dass sich der Einzelne jedem allgemeinen Geltungsanspruch gegenüber skeptisch verhält. Am Ende erklärt er jede vorgebrachte Begründung für nicht zureichend. Er behauptet damit die absolute Freiheit seines Urteils, das sich durch keinen Beweis zur Anerkennung eines Urteils oder einer Lehre zwingen lassen will. In der Tat gibt es für keine Aussage, nicht einmal in der Mathematik, zwingende Argumente oder Beweise. Alle Anerkennung ist nämlich frei. Es ist allerdings richtig, dass die freie Nichtanerkennung von guten Gründen sich als (logische, mathematische oder sachliche) Inkompetenz erweisen kann. Das scheinbar kritische Denken des Skeptikers steht daher (gerade dort, wo besonders subtil argumentiert wird) nicht anders als das des Stoikers in der Gefahr, unfähig im Handeln und Urteilen zu werden. Die bloße Negation von Begründungen, so richtig sie als ›epoch¯e‹ im Sinne einer Einklammerung möglicher Vorurteile und als Teil kritischer Reflexion auf die Bedingungen und Grenzen sinnvollen Argumentierens ist, verkehrt sich schnell in bloße Sophistik. Am Ende steht die willkürliche Weigerung, am gemeinsamen Urteilen und der Entwicklung von allgemeinem Wissen teilzunehmen. Mit den Vor-Urteilen fällt auch das begri=liche Denken weg und damit die kooperative Verständigung und das kommunikative Verstehen. Wie der Stoiker im Praktischen ein Subjektivist bleibt, der das Allgemeine auf tautologische Weise beredet, bleibt der pragmatische Skeptiker im Theoretischen
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ein Subjektivist, gerade weil er das schwierige Allgemeine, das generische Wissen einfach ablehnt. Er wird zum radikalen Empiristen. Als solcher aber betreibt er eine Art Re-Animalisierung des Menschen, ja macht sich zur urteilsfreien Pflanze. Das geschieht aufgrund einer falschen, übrigens selbst schon allzu idealen Vorstellung davon, was allgemeines Wissen sei und was es leisten solle. Erstens sollen nicht alle Einzelfälle abgedeckt werden, wie der Skeptiker meint, denn das materialbegri=liche Vorherwissen ist ›nur‹ generisch. Zweitens ist allgemeines Wissen eine gemeinsame Einrichtung. Es ist eine ›Institution‹ gerade dort, wo es mündlich und praktisch überliefert wird. Das geschieht zunächst im Rahmen von Erzählungen, der einfachsten Form sprachlicher Darstellung. Daher ist das sprachlich tradierte Wissen zunächst im Mythos, der Erzählung eines Volkes kodiert. Der Mythos nennt und charakterisiert dabei die menschliche Situation paradigmatisch. Seine Paradigmen und Parabeln schildern Normalfälle im Modus der pseudohistorischen Erzählung. In ihr werden typische Unterscheidungen und Inferenzen überliefert. 202 b
»Mit der Reflexion des Selbstbewußtseins in den einfachen Gedanken seiner selbst ist ihr gegenüber in der Tat aus der Unendlichkeit das selbständige Dasein oder die bleibende Bestimmtheit herausgefallen [d. h. der Stoizismus unterschätzt die konkrete Praxis, PSW]; im Skeptizismus wird nun für das Bewußtsein die gänzliche Unwesentlichkeit und Unselbständigkeit dieses Andern; der Gedanke wird zu dem vollständigen, das Sein der vielfach bestimmten Welt vernichtenden Denken, und die Negativität des freien Selbstbewußtseins wird sich an dieser mannigfaltigen Gestaltung des Lebens zur realen Negativität. – « (140 | 119)
Auch der Skeptizismus sucht die ataraxia, die gelassene Seelenruhe, nur anders als die Stoa. Der Skeptiker will sich aus den Debatten um allgemeine Wahrheiten ganz heraushalten und sich insbesondere nicht mit vermeintlich bloß philosophischweltanschaulichen und anderen vermeintlich unentscheidbaren Fragen wie nach der Religion oder nach dem Sinn des Lebens bzw.
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höchsten Werten belasten. Er steht diesen Dingen gleichgültig gegenüber, ist dabei radikaler Agnostizist und Pragmatiker. Er denkt also höchst modern, indem er den vermeintlich ewigen Streit der Metaphysiker für einen Streit um Pseudoprobleme ansieht, den es nicht etwa zu lösen, sondern als sinnlosen Streit einfach zu beenden gelte. »Es erhellt, daß wie der Stoizismus dem Begri=e des selbständigen Bewußtseins, das als Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft erschien, entspricht, so entspricht der Skeptizismus der Realisierung desselben als der negativen Richtung auf das Anderssein, der Begierde und der Arbeit.« (140 | 119)
202 c
Der Satz macht endgültig klar, dass der Stoiker die Herrschaft des Denkens überschätzt und den konkreten Antrieb im Tun unterschätzt, wozu auch die incentives in Institutionen gehören. Der Skeptiker überschätzt die praktische Tätigkeit und unterschätzt das begri=liche Denken und das allgemeine Wissen. »Aber wenn die Begierde und die Arbeit die Negation nicht für das Selbstbewußtsein ausführen konnten, so wird dagegen diese polemische Richtung gegen die vielfache Selbständigkeit der Dinge von Erfolg sein, weil sie als in sich vorher vollendetes freies Selbstbewußtsein sich gegen sie kehrt; bestimmter, weil sie das Denken oder die Unendlichkeit an ihr selbst hat und hierin die Selbständigkeiten nach ihrem Unterschiede ihr nur als verschwindende Größen sind. Die Unterschiede, welche im reinen Denken seiner selbst nur die Abstraktion der Unterschiede sind, werden hier zu allen Unterschieden und alles unterschiedene Sein zu einem Unterschiede des Selbstbewußtseins.« (140 f. | 119)
202 d
Trotz der obskuren Formulierung scheint der Satz zu sagen, dass im Skeptizismus immerhin die praktische Orientierungsleistung freien Urteilens erkannt ist. »Hierdurch hat sich das Tun des Skeptizismus überhaupt und die Weise desselben bestimmt. Er zeigt die dialektische Bewegung auf, welche die sinnliche Gewißheit, die Wahrnehmung und der Verstand ist, sowie auch die Unwissenheit [das Wort »Unwesenheit« wie in der Akademieausgabe passt nicht!, PSW] desjenigen, was in dem Verhältnisse
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des Herrschens und des Dienens [sic!, PSW] und was für das abstrakte Denken selbst als Bestimmtes gilt [sic!, PSW]. Jenes Verhältnis faßt eine bestimmte Weise zugleich in sich, in welcher auch sittliche Gesetze als Gebote der Herrschaft vorhanden sind; die Bestimmungen im abstrakten Denken aber sind Begri=e der Wissenschaft [sic!, PSW], in welche sich das inhaltslose [also bloß erst formalanalytische oder tautologische, PSW] Denken ausbreitet und den Begri= auf eine in der Tat nur äußerliche Weise [nämlich über sozusagen ›auswendig‹ gelernte oder eingeübte Inferenznormen, PSW] an das ihm selbständige Sein, das seinen Inhalt ausmacht, hängt und nur bestimmte Begri=e als geltende hat, es sei, daß sie auch reine Abstraktionen sind.« (141 | 119)
Materialbegri=liche Inhalte gründen in einem konkreten Wissen, das nicht als solches apriorisch bewiesen wird, sondern reale Erfahrung voraussetzt. Indem es aber die Begri=e bestimmt, wird es im Gebrauch der Begri=e relativ apriorisch vorausgesetzt. Der Skeptizismus und der Empirismus anerkennen den ersten Punkt, nicht aber den zweiten. 204 a
»Das Dialektische als negative Bewegung, wie sie unmittelbar ist, erscheint dem Bewußtsein zunächst als etwas, dem es preisgegeben und das nicht durch es selbst ist. Als Skeptizismus hingegen ist sie Moment des Selbstbewußtseins, welchem es nicht geschieht, daß ihm, ohne zu wissen wie, sein Wahres und Reelles verschwindet, sondern welches in der Gewißheit seiner Freiheit dies andere für reell sich Gebende selbst verschwinden läßt; nicht nur das Gegenständliche als solches, sondern sein eignes Verhalten zu ihm, worin es als gegenständlich gilt und geltend gemacht wird, also auch sein Wahrnehmen sowie sein Befestigen dessen, was es in Gefahr ist zu verlieren, die Sophisterei und sein aus sich bestimmtes und festgesetztes Wahres; durch welche selbstbewußte Negation es die Gewißheit seiner Freiheit sich für sich selbst verscha=t, die Erfahrung derselben hervorbringt und sie dadurch zur Wahrheit erhebt.« (141 | 119 f.)
Die Skepsis führt uns zur Einsicht in die freie Kooperativität des Wissens. Sie zeigt, dass es keine andere Grundlage der Geltung allgemeinen Wissens geben kann als die freie Anerkennung. Diese allerdings ist nicht willkürfrei, sondern über die gemeinsame
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Praxis mit anderen Personen und den angestrebten Erfolg im Tun und Handeln mit der Welt längst schon verbunden. Die Skepsis ist daher ein wichtiger Schritt in die Richtung eines freilich erst noch angemessen zu verstehenden begri=lichen Pragmatismus, wie man von heute her Hegels objektiven Idealismus besser nennen könnte. Leider erkennt der Skeptizismus die Freiheit des Urteilens und die Normen der Kooperation aber am Ende doch nicht. »Was verschwindet, ist das Bestimmte oder der Unterschied, der, auf welche Weise und woher es sei, als fester und unwandelbarer sich aufstellt. Er hat nichts Bleibendes an ihm und muß dem Denkenden verschwinden, weil das Unterschiedne eben dies ist, nicht an ihm selbst zu sein, sondern seine Wesenheit nur in einem Andern zu haben; das Denken aber ist die Einsicht in diese Natur des Unterschiednen, es ist das negative Wesen als einfaches.« (141 | 120)
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Unterschiede sind Ergebnisse von Unterscheidungen. Diese werden von uns definitorisch ›gesetzt‹, das heißt, wir unterscheiden gemeinsam. Dabei leiten gemeinsame Richtigkeitskriterien unser Unterscheiden. Es ändert sich dann durchaus, was wir jeweils zu einer Zeit oder Epoche wie und zu welchem Zweck von anderem zu unterscheiden belieben. Die Möglichkeit des gemeinsamen Unterscheidens ist freilich nicht in dem Sinn von uns gemacht, als, erstens, die Welt die Unterscheidung erlauben muss und, zweitens, keine einzelne Person rein willkürlich Unterschiede ›definieren‹ oder ›bestimmen‹ kann. Warum sollten wir ihr folgen? Warum sollen wir insbesondere die mit den Unterscheidungen in Verbindung gebrachten inferentiellen Orientierungen übernehmen? Vielmehr leben wir zunächst alle im Rahmen der allgemein und implizit schon als wichtig und richtig anerkannten Unterscheidungen und der sich in ihnen zeigenden Unterschiede, gerade in Bezug auf handlungsrelevante Konsequenzen oder Inferenzen. »Das skeptische Selbstbewußtsein erfährt also in dem Wandel alles dessen, was sich für es befestigen will, seine eigne Freiheit als durch es selbst sich gegeben und erhalten [sic!, PSW]; es ist sich diese Ataraxie [sic!, PSW] des sich selbst Denkens, die unwandelbare und
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wahrhafte Gewißheit seiner selbst [sic!, PSW]. Sie geht nicht aus einem Fremden, das seine vielfache Entwicklung in sich zusammenstürzte, als ein Resultat hervor, welches sein Werden hinter sich hätte; sondern das Bewußtsein selbst ist die absolute dialektische Unruhe, dieses Gemisch von sinnlichen und gedachten Vorstellungen [sic!, PSW], deren Unterschiede zusammenfallen und deren Gleichheit sich ebenso – denn sie ist selbst die Bestimmtheit gegen das Ungleiche – wieder auflöst.« (142 | 120)
Das skeptische Selbstbewusstsein stellt sich am Ende viel weniger als Gegner denn als Ergänzung der stoischen Einsicht in die absolute Freiheit des Subjekts in der Performation von Urteil und Handlung heraus, so dass etwa Montaigne in gewisser Weise Stoiker und Skeptiker zugleich sein kann. Was dabei aber immer noch nicht begri=en ist, ist der nicht transzendente und nichtdogmatische Status der allgemeinen Inhalte, der normativen Formen des Richtigen, die trotz aller Freiheit der einzelnen Person im Einzelurteil und in der einzelnen Handlung das vernünftige Urteil und die vernünftige Handlung binden und gerade nicht bloß willkürfrei belassen. 205 b
»Dies Bewußtsein ist aber eben hierin in der Tat, statt sichselbstgleiches Bewußtsein zu sein, nur eine schlechthin zufällige Verwirrung, der Schwindel einer sich immer erzeugenden Unordnung [sic!, PSW]. Es ist dies für sich selbst; denn es selbst erhält und bringt diese sich bewegende Verwirrung hervor. Es bekennt sich darum auch dazu, es bekennt, ein ganz zufälliges, einzelnes Bewußtsein zu sein – ein Bewußtsein, das empirisch ist [sic!, PSW], sich nach dem richtet, was keine Realität für es hat, dem gehorcht, was ihm kein Wesen ist, das tut und zur Wirklichkeit bringt, was ihm keine Wahrheit hat. Aber ebenso, wie es sich auf diese Weise als einzelnes, zufälliges und in der Tat tierisches Leben [sic!, PSW] und verlornes Selbstbewußtsein gilt, macht es sich im Gegenteile auch wieder zum allgemeinen sichselbstgleichen; denn es ist die Negativität aller Einzelnheit und alles Unterschieds.« (142 | 120)
Der Skeptizismus kollabiert in einen animalischen Behaviorismus, und zwar sowohl auf der Ebene der Darstellung des Han-
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delns der Menschen als ein vermeintlich tierähnliches Verhalten als auch auf der Ebene des Selbstumgangs bzw. eigenen Verhaltens selbst, das sich nicht mehr von einem allgemeinen Wissen und von allgemeinen Begri=en leiten lassen will und sich eben damit dem Zufall der je präsentischen ›Empfindungen‹ bzw. ›Gefühle‹ ausliefert. Hier finden wir bei Hegel selbst die von uns schon früher diagnostizierte Gefahr der Animalisierung des Menschen auf beliebig hohem Niveau thematisiert. Immerhin macht sich der Skeptiker klar, dass alles Urteilen spontan, subjektzentriert und im Sinne des Kür- oder Wahlwillens willkürlich ist und bleibt. Wir können aus unseren perspektivischen Gewissheiten nie aussteigen. Alles Urteilen bleibt performativ subjektiv. Die innere Widersprüchlichkeit und Verrücktheit der skeptischen Haltung zu Sprache, Wissen und allgemeinen Formen zeigt sich dann aber daran, dass der Skeptiker nicht weiß, was er selbst in Anspruch nimmt, indem er, was er eben tat und sagte, sofort wieder vergisst: »Von dieser Sichselbstgleichheit oder in ihr selbst vielmehr fällt es wieder in jene Zufälligkeit und Verwirrung zurück, denn eben diese sich bewegende Negativität hat es nur mit Einzelnem zu tun und treibt sich mit Zufälligem herum. Dies Bewußtsein ist also diese bewußtlose Faselei, von dem einen Extreme des sichselbstgleichen Selbstbewußtseins zum andern des zufälligen, verworrenen und verwirrenden Bewußtseins hinüber- und herüberzugehen. Es selbst bringt diese beiden Gedanken seiner selbst nicht zusammen; es erkennt seine Freiheit einmal als Erhebung über alle Verwirrung und alle Zufälligkeit des Daseins, und bekennt sich ebenso das andremal wieder als ein Zurückfallen in die Unwesentlichkeit und als ein Herumtreiben in ihr. Es läßt den unwesentlichen Inhalt in seinem Denken verschwinden, aber eben darin ist es das Bewußtsein eines Unwesentlichen; es spricht das absolute Verschwinden aus, aber das Aussprechen ist, und dies Bewußtsein ist das ausgesprochene Verschwinden; es spricht die Nichtigkeit des Sehens, Hörens usf. aus, und es sieht, hört usf. selbst; es spricht die Nichtigkeit der sittlichen Wesenheiten aus und macht sie selbst zu den Mächten seines Handelns. Sein Tun und seine Worte widersprechen sich immer [sic!, PSW], und ebenso hat es selbst das
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gedoppelte widersprechende Bewußtsein der Unwandelbarkeit und Gleichheit und der völligen Zufälligkeit und Ungleichheit mit sich. Aber es hält diesen Widerspruch seiner selbst auseinander und verhält sich darüber wie in seiner rein negativen Bewegung überhaupt. Wird ihm die Gleichheit aufgezeigt, so zeigt es die Ungleichheit auf; und indem ihm diese, die es eben ausgesprochen hat, itzt vorgehalten wird, so geht es zum Aufzeigen der Gleichheit über; sein Gerede ist in der Tat ein Gezanke eigensinniger Jungen, deren einer A sagt, wenn der andere B, und wieder B, wenn der andere A, und die sich durch den Widerspruch mit sich selbst die Freude erkaufen, miteinander im Widerspruche zu bleiben.« (142 f. | 120 f.)
Der Ironie gegen eine leere Skepsis, die alles rein formal bezweifelt und praktisch immer nein sagt, ist wenig hinzuzufügen. Hegel hatte schon früher erklärt, dass jeder radikale Skeptiker, ohne es zu bemerken, selbstwidersprüchlich ist, also allerlei schon glauben muss, bevor er auch nur einen einzigen kritischen Gedanken artikulieren kann. Hier wird das nur noch einmal vorgeführt. 206 a
»Im Skeptizismus erfährt das Bewußtsein in Wahrheit sich als ein in sich selbst widersprechendes Bewußtsein; es geht aus dieser Erfahrung eine neue Gestalt hervor, welche die zwei Gedanken zusammenbringt, die der Skeptizismus auseinanderhält. Die Gedankenlosigkeit des Skeptizismus über sich selbst muß verschwinden, weil es in der Tat ein Bewußtsein ist, welches diese beiden Weisen an ihm hat. Diese neue Gestalt ist hierdurch ein solches, welches für sich das gedoppelte Bewußtsein seiner als des sich befreienden, unwandelbaren und sichselbstgleichen und seiner als des absolut sich verwirrenden und verkehrenden und das Bewußtsein dieses seines Widerspruchs ist. – « (143 | 121)
Es ist jetzt o=enbar, dass die beiden Extremhaltungen des idealistischen Stoizismus und der subjektivistischen Selbstanimalisierung des Skeptikers zu überwinden sind. Ein Schritt zu dieser Überwindung besteht in der Verbindung von Idee und Wirklichkeit. Dabei bedeutet sogar schon das Christentum einen riesigen Fortschritt, weil es die Orientierung auf das Ideale im innerweltlichen Handeln, im Sich-zu-sich-Verhalten und im Verhalten zu
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anderen Personen lehrt. Hegel nennt aber das Christentum hier nicht mit Namen. Er zieht vielmehr aus der idealistischen Überschätzung des allgemeinen Denkens mit seinen ebenso hehren wie tautologischen Appellen an allerlei Ideale und der ebenso langweiligen Kritik an der Unbeweisbarkeit von allgemeinem Wissen im Skeptizismus samt seinem Hinweis auf die Di=erenz zwischen Ideal und Wirklichkeit folgenden Schluss: Zur logischen Form des Bewusstseins gehört ab jetzt die schon erwähnte einsichtige Anerkennung der Spannung zwischen subjektiver Gewissheit und objektivem Wissen bzw. einer subjekttranszendenten Wahrheit. Diese Anerkennung führt zu einer neuen Gestalt des Bewusstseins, zu einem neuen Niveau des Selbstbewusstseins. Es enthält ein Wissen um die Grenzen unseres Wissens und Könnens. Dieses ist für sich, also seinem eigenen Selbstverständnis zufolge, insofern immer ›gedoppelt‹, als es weiß, dass das unwandelbare und sichselbstgleiche Allgemeine der idealen Formen oder Inhalte der Wahrheit einer verwirrenden Vielfalt der realen perzipierten Welt gegenübersteht. »Im Stoizismus ist das Selbstbewußtsein die einfache Freiheit seiner selbst; im Skeptizismus realisiert sie sich, vernichtet die andere Seite des bestimmten Daseins, aber verdoppelt sich vielmehr und ist sich nun ein Zweifaches. Hierdurch ist die Verdopplung, welche früher an zwei einzelne, an den Herrn und den Knecht, sich verteilte, in Eines eingekehrt; die Verdopplung des Selbstbewußtseins in sich selbst, welche im Begri=e des Geistes wesentlich ist, ist hiemit vorhanden, aber noch nicht ihre Einheit und das unglückliche Bewußtsein ist das Bewußtsein seiner als des gedoppelten, nur widersprechenden Wesens.« (143 f. | 121)
Der Stoiker redet sich bloß frei, wie alle reinen ›Kompatibilisten‹. Seine Gedankenfreiheit bleibt weltleer. Der Skeptiker realisiert Freiheit, als reine Willkür, indem er die abstrakten Wahrheiten des Stoikers nicht als Wahrheiten anerkennt, sondern sich unmittelbar zur Welt verhält. Genauer betrachtet, verdoppelt sich das skeptische Selbstbewusstsein. Der Skeptiker kennt, anders als Platon oder der Stoizismus, keinen herrschenden Geist, der
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einem zu beherrschenden Leib gegenüber steht, sondern will Denken und Tun beide als Tun des je einen Menschen verstehen. Aus seiner Subjektivität heraus ignoriert der Skeptiker aber die Spannung, die sich aus dieser Einsicht in die freie Spontanität des Denkens und Handelns ergibt. Würde er darüber nachdenken, gelangte er unmittelbar zu der Position, die Hegel als das »unglückliche Bewusstsein« apostrophiert. Es ist das Wissen, dass wir als geistige Wesen immer in der Spannung oder dem ›Widerspruch‹ zwischen normativem Sollen und realem Tun, zwischen einem von uns abstrakt oder verbal anerkannten Ideal des Guten und seinen unvollkommenen Realisierungen in der realen Welt leben. Immerhin werden nach dem Durchgang durch die skeptische Kritik der Geist und der Leib, der Herr und Knecht, nicht mehr einfach als zwei Entitäten vorgestellt, sondern müssen als Momente oder Aspekte einer einzigen Person begri=en werden. Dass eben diese Anerkenntnis der Einheit von Seele und Leib bei gleichzeitiger Anerkennung der Spannung zwischen Ideal und Realität die Großleistung christlicher Philosophie ist, dürfte in dieser Form noch kaum als erkannt gelten. Im Übrigen wäre es verfehlt, den Satz, dass die Verdopplung des Bewusstseins »früher an zwei Einzelne, den Herrn und den Knecht, sich verteilte« notwendigerweise so zu lesen, als spräche er von zwei einzelnen Personen. Die Verteilung der Rollen der Herrschaft und Knechtschaft geschieht ebenso dort, wo ein Gott als Herr des Wahren und Richtigen vorgestellt wird und wir uns als Diener unterordnen, wie dort, wo die Seele die Herrin sein soll und das Leibliche mit seinen Begierden und Trieben als Knecht untergeordnet wird. Es geht also nach wie vor um zwei einzelne Momente eines einzigen Lebens. Es geht um Geist und Leib, um das Verhältnis zwischen einem durch das Denken bestimmten Willen und einer leiblich vorgegebenen Begierde.
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25. Die Verlagerung des Guten, Schönen und Wahren in ein Jenseits »Dieses unglückliche, in sich entzweite Bewußtsein muß also, weil dieser Widerspruch seines Wesens sich ein Bewußtsein ist, in dem einen Bewußtsein immer auch das andere haben und so aus jedem unmittelbar, indem es zum Siege und zur Ruhe der Einheit gekommen zu sein meint, wieder ausgetrieben werden. Seine wahre Rückkehr aber in sich selbst oder seine Versöhnung mit sich wird den Begri= des lebendig gewordenen und in die Existenz getretenen Geistes darstellen, weil an ihm schon dies ist, daß es als ein ungeteiltes Bewußtsein ein gedoppeltes ist: es selbst ist das Schauen eines Selbstbewußtseins in ein anderes, und es selbst ist beide, und die Einheit beider ist ihm auch das Wesen; aber es für sich ist sich noch nicht dieses Wesen selbst, noch nicht die Einheit beider.« (144 | 122)
Spätestens jetzt ist klar, dass Hegel die ganze Zeit nur von einer einzigen Person generisch gesprochen hat. Das sich in seiner Verdoppelung entzweiende Bewusstsein ist unglücklich, weil es die geistigen Ideale und Normen des Richtigen und Guten, wie sie von ihm selbst dem unmittelbaren subjektiven und eben damit üblichen Sein und Tun entgegengestellt werden, nicht als die seinen erkennt. Betrachten wir uns also bloß erst im Modus dieses ›Selbstbewusstseins‹, bemerken wir noch nicht, dass und wie die Geltung und Verfassung der Normen des Richtigen, der Vernunft, durch uns selbst, freilich nicht bloß als Einzelsubjekte, gesetzt sind, und zwar zur guten realen Orientierung unseres gemeinsamen und einzelnen Lebens, also nicht etwa ›bloß‹ als hier in der Welt kaum zu erfüllende Pflicht, die uns bloß abstrakt so gegenübersteht, wie wenn sie ein von einem Gott erlassenes Gesetz wäre. Solange die Trennung zwischen dem ideal Allgemeinen und dem konkreten Einzelnen nicht überwunden ist, zerfallen sie weiterhin in das jenseitige Ideal und die diesseitige Welt mit allen ihren Unvollkommenheiten und Widersprüchen. Dem unglücklichen Bewusstsein zerfällt alles in das Jammertal des Diesseits
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und einen transzendenten Himmel im Jenseits, im Paradies der als erfüllt gedachten Ideale. 208
»Indem es zunächst nur die unmittelbare Einheit beider ist, aber für es nicht beide dasselbe, sondern entgegengesetzte sind, so ist ihm das eine, nämlich das einfache unwandelbare, als das Wesen; das andere aber, das vielfache wandelbare, als das Unwesentliche. Beide sind für es einander fremde Wesen; es selbst, weil es das Bewußtsein dieses Widerspruchs ist, stellt sich auf die Seite des wandelbaren Bewußtseins und ist sich das Unwesentliche; aber als Bewußtsein der Unwandelbarkeit oder des einfachen Wesens muß es zugleich darauf gehen, sich von dem Unwesentlichen, d. h. sich von sich selbst zu befreien. Denn ob es für sich wohl nur das Wandelbare, und das Unwandelbare ihm ein Fremdes ist, so ist es selbst einfaches und hiemit unwandelbares Bewußtsein, dessen hiemit als seines Wesens sich bewußt, jedoch so, daß es selbst für sich wieder nicht dies Wesen ist. Die Stellung, welche es beiden gibt, kann daher nicht eine Gleichgültigkeit derselben gegeneinander, d. i. nicht eine Gleichgültigkeit seiner selbst gegen das Unwandelbare sein; sondern es ist unmittelbar selbst beide, und es ist für es die Beziehung beider als eine Beziehung des Wesens auf das Unwesen, so daß dies letztere aufzuheben ist; aber indem ihm beide gleich wesentlich und widersprechend sind, ist es nur die widersprechende Bewegung, in welcher das Gegenteil nicht in seinem Gegenteil zur Ruhe kommt, sondern in ihm nur als Gegenteil sich neu erzeugt.« (144 f. | 122)
Das Selbstbewusstsein im Modus des ›unglücklichen Bewusstseins‹ stellt sich das ›empirische‹ und ›subjektive‹ Einzelwissen als wandelbar und unwesentlich vor, jedenfalls gegenüber einer unwandelbaren ›ewigen Wahrheit‹. Die Vorstellung, dass dem endlichen Sein des Subjekts ein unendliches geistiges Wesen (eine unsterbliche Seele bzw. ein unendlicher Gott) gegenübersteht, ist am Ende freilich falsch und wahr zugleich. Es ist falsch, insofern dabei der Geist als uns fremd vor- oder dargestellt wird. Richtig daran ist, dass das menschliche Wesen durch die Spannung zwischen geistigen bzw. normativen Ansprüchen und dem realen Leben geprägt ist. ›Versöhnung‹ bedeutet hier Einsicht in
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die Fundiertheit des Geistigen, besonders aller Normideale des Richtigen in unserem eigenen Leben. Besonders wichtig aber ist die Einsicht, dass ›das Absolute‹ nicht ein uns fremder Geist, sondern wir selbst sind – und das durchaus in unserem je endlichen Dasein, wie wir noch genauer sehen werden. »Es ist damit ein Kampf gegen einen Feind vorhanden, gegen welchen der Sieg vielmehr ein Unterliegen, das eine erreicht zu haben vielmehr der Verlust desselben in seinem Gegenteile ist. Das Bewußtsein des Lebens, seines Daseins und Tuns ist nur der Schmerz über dieses Dasein und Tun, denn es hat darin nur das Bewußtsein seines Gegenteils, als des Wesens, und der eignen Nichtigkeit. Es geht in die Erhebung hieraus zum Unwandelbaren über. Aber diese Erhebung ist selbst dies Bewußtsein; sie ist also unmittelbar das Bewußtsein des Gegenteils, nämlich seiner selbst als der Einzelnheit. Das Unwandelbare, das in das Bewußtsein tritt, ist ebendadurch zugleich von der Einzelnheit berührt und nur mit dieser gegenwärtig; statt diese im Bewußtsein des Unwandelbaren vertilgt zu haben, geht sie darin immer nur hervor.« (145 | 122 f.)
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Aus der Spannung zwischen dem individuellen Leben, wie es ist, und dem idealen, wie es sein soll, ergibt sich ein unaufhörlicher (innerer) Kampf, wobei als der Feind, als das Böse immer noch die leiblichen ›Neigungen‹ erscheinen. Jeder ›Sieg‹ wird dabei zu einem ›Sieg über sich selbst‹. Das aber heißt, dass im entsprechenden Selbstzwang ich als freies Subjekt nicht etwa siege, sondern immer unterliege – so dass am Ende alles, was ich tue, selbst das einigermaßen gute Tun, als völlig ›nichtig‹ erscheint. Dabei beurteile ich mich sogar dann immer bloß selbst, wenn ich die Normen und Formen dieser Selbsturteile einem unwandelbaren Gesetz eines Gottes zuschreibe. »In dieser Bewegung aber erfährt es eben dieses Hervortreten der Einzelnheit am Unwandelbaren und des Unwandelbaren an der Einzelnheit. Es wird für es die Einzelnheit überhaupt am unwandelbaren Wesen und zugleich die seinige an ihm. Denn die Wahrheit dieser Bewegung ist eben das Einssein dieses gedoppelten Bewußtseins. Diese Einheit wird ihm aber zunächst selbst eine solche, in welcher
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noch die Verschiedenheit beider das Herrschende ist. Es ist dadurch die dreifache Weise für dasselbe vorhanden, wie die Einzelnheit mit dem Unwandelbaren verknüpft ist; einmal geht es selbst sich wieder hervor als entgegengesetzt dem unwandelbaren Wesen, und es ist in den Anfang des Kampfes zurückgeworfen, welcher das Element des ganzen Verhältnisses bleibt. Das andremal aber hat das Unwandelbare selbst an ihm die Einzelnheit für es, so daß sie Gestalt des Unwandelbaren ist, an welches hiemit die ganze Weise der Existenz hinübertritt. Das drittemal findet es sich selbst als dieses Einzelne im Unwandelbaren. Das erste Unwandelbare ist ihm nur das fremde, die Einzelnheit verurteilende Wesen; indem das andre eine Gestalt der Einzelnheit wie es selbst ist, so wird es drittens zum Geiste, hat sich selbst darin zu finden die Freude und wird sich, seine Einzelnheit mit dem Allgemeinen versöhnt zu sein, bewußt.« (145 f. | 123)
Das Unwandelbare ist die Normativität des Richtigen. Es ist der Inhalt des Begri=lichen. In der ›Erhebung zu Gott‹, also der Betrachtung des Guten an sich in seinem Anspruch an mich im Vollzug, wird klar, dass das generisch Richtige im Einzelnen zu zeigen ist. Der Handelnde ist dabei selbst immer nur als Einzelner zu begreifen und dem Unwandelbaren unterworfen. Wir können jetzt drei Beziehungen des Einzelnen zum Allgemeinen festhalten. Erstens gibt es die Entgegensetzung des Einzelnen zur ewigen Form oder zum Wesen, sowohl in unserem personalen Leben als auch in jedem Lebewesen, dann auch in jedem Verhältnis von innerweltlicher und damit endlicher Realisierung und einer ewigen, platonischen, Formidee bzw. einer aristotelischen Lebensform, als Bestimmung des Guten. Im Fall des Versuchs der Realisierung der Form ist dies ein ewiger Kampf. Zweitens wird das Unwandelbare, die ewige Welt der perfekten Formideen oder der substantiellen Lebensform, insgesamt als eine Einzelheit, als Gotteswelt oder ›Himmel‹ angesehen, als eigentliche wahre Existenz, wie in der neuplatonischen Lektüre des Seins des Parmenides und des Ideenhimmels Platons, die zugleich eine christliche ist. Drittens aber findet sich das mitwissende Selbstbewusstsein insofern selbst ›im Unwandelbaren‹,
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als das ›ewige‹ Wissen die begri=liche Form je meines Wissens, der ›ewige‹ Geist die Idealform je meines geistigen Wesens ist. Das ahnen schon alle Platoniker und die christliche Philosophie, allerdings ohne auf die kulturgeschichtliche Konstitutionsform ihrer Ahnungen zu achten. Im ersten Verhältnis zu den ewigen Formen und Normen des Richtigen erscheint jedes Einzelne als mangelhaft. Indem der Neuplatonismus das Allgemeine wie eine Einzelheit betrachtet, sogar als eine Art personales Du anspricht, wird der Weg frei, in sich selbst als Einzelperson das Allgemeine zu finden und so das ewige ›Unwandelbare‹ mit dem Endlichen, Zeitlichen, zu versöhnen. »Was sich hier als Weise und Verhältnis des Unwandelbaren darstellt, ergab sich als die Erfahrung, welche das entzweite Selbstbewußtsein in seinem Unglücke macht. Diese Erfahrung ist nun zwar nicht seine einseitige Bewegung, denn es ist selbst unwandelbares Bewußtsein, dieses hiemit zugleich auch einzelnes Bewußtsein, und die Bewegung ebensowohl Bewegung des unwandelbaren Bewußtseins, das in ihr so sehr wie das andere auftritt; denn sie verläuft sich durch diese Momente, einmal Unwandelbares dem Einzelnen überhaupt, dann selbst Einzelnes dem andern Einzelnen entgegengesetzt und endlich mit ihm Eins zu sein. Aber diese Betrachtung, insofern sie uns angehört, ist hier unzeitig [d. h. es ist ein Vorgri=, PSW], denn bis itzt ist uns nur die Unwandelbarkeit als Unwandelbarkeit des Bewußtseins, welche deswegen nicht die wahre, sondern noch mit einem Gegensatze behaftete ist, nicht das Unwandelbare an und für sich selbst entstanden; wir wissen daher nicht, wie dieses sich verhalten wird. Was hier sich ergeben hat, ist nur dies, daß dem Bewußtsein, das hier unser Gegenstand ist, diese angezeigten Bestimmungen an dem Unwandelbaren erscheinen.« (146 | 123)
Die ganze Überlegung ist insofern bloß erst formal, als es sich um eine abstrakte Auflösung der Spannung zwischen allgemeinen Formen und Normen des Wahren und Guten einerseits, den einzelnen Realisierungen andererseits handelt, wie sie sich aus einer Reflexion ergibt, welche gewissermaßen auf dem Weg zu
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einem Selbstbewusstsein des Guten sich befindet. Gesucht ist ein bewusstes Wissen über den Status transpersonaler und zeitallgemeiner Normativität. Das ist notwendig für ein Wissen über sich selbst als geistiges Wesen. Alles, was zur Konstitution des ›Unwandelbaren‹ und ›Allgemeinen‹ bisher gesagt wurde, ist daher noch »unzeitig«, also wohl als Vorgri= auf spätere Schritte der Analyse zu verstehen. Das Selbstbewusstsein, das soweit gekommen ist, sich zur Betrachtung des Allgemeinen und Unwandelbaren zu erheben, ›weiß‹ also noch nicht, was das Allgemeine und Unwandelbare wirklich ist. Es kennt insbesondere noch nicht dessen Geschichtlichkeit. 212
»Aus diesem Grunde behält also auch das unwandelbare Bewußtsein in seiner Gestaltung selbst den Charakter und die Grundlage des Entzweit- und des Fürsichseins gegen das einzelne Bewußtsein. Es ist hiemit für dieses überhaupt ein Geschehen, daß das Unwandelbare die Gestalt der Einzelnheit erhält; so wie es sich auch ihm entgegengesetzt nur findet und also durch die Natur dies Verhältnis hat; daß es sich endlich in ihm findet, erscheint ihm zum Teil zwar durch es selbst hervorgebracht oder darum Statt zu haben, weil es selbst einzeln ist; aber ein Teil dieser Einheit, als dem Unwandelbaren zugehörend, sowohl nach ihrer Entstehung, als insofern sie ist; und der Gegensatz bleibt in dieser Einheit selbst. In der Tat ist durch die Gestaltung des Unwandelbaren das Moment des Jenseits nicht nur geblieben, sondern vielmehr noch befestigt; denn wenn es durch die Gestalt der einzelnen Wirklichkeit ihm einerseits zwar nähergebracht zu sein scheint, so ist es ihm andererseits nunmehr als ein undurchsichtiges sinnliches Eins mit der ganzen Sprödigkeit eines Wirklichen gegenüber; die Ho=nung, mit ihm eins zu werden, muß Ho=nung, d. h. ohne Erfüllung und Gegenwart bleiben; denn zwischen ihr und der Erfüllung steht gerade die absolute Zufälligkeit oder unbewegliche Gleichgültigkeit, welche in der Gestaltung selbst, dem Begründenden der Ho=nung, liegt. Durch die Natur des seienden Eins, durch die Wirklichkeit, die es angezogen, geschieht es notwendig, daß es in der Zeit verschwunden, und im Raume ferne gewesen ist und schlechthin ferne bleibt.« (146 f. | 123 f.)
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Zwar wird durch die ›Erhebung‹ des Bewusstseins in der (traditionell religiösen) Kontemplation des unwandelbar Wahren das Verhältnis zwischen Allgemeinem und Einzelnem durchaus explizit thematisiert. Aber das geschieht, ohne dass es schon voll begri=en wäre, und zwar gerade weil es, verdinglichend, als göttliches Reich der Ideen ›in der Zeit verschwunden‹ und im Raum von jedem Hiersein und Dasein entfernt wird und damit insgesamt welttranszendent bleibt. Das hat, wie wir sehen werden, die unglückliche Folge, dass der ho=ende ›Glaube‹ an die Formen und Normen des allgemeinen Wahren und Guten in seiner konkreten Ausprägung rein zufällig und subjektiv willkürlich wird. »Wenn zuerst der bloße Begri= des entzweiten Bewußtseins sich so bestimmte, daß es auf das Aufheben seiner als einzelnen und auf das Werden zum unwandelbaren Bewußtsein gehe, so hat sein Streben nunmehr diese Bestimmung, daß es vielmehr sein Verhältnis zu dem reinen ungestalteten Unwandelbaren aufhebe und sich nur die Beziehung auf den gestalteten Unwandelbaren gebe. Denn das Einssein des Einzelnen mit dem Unwandelbaren ist ihm nunmehr Wesen und Gegenstand, wie im Begri=e nur das gestaltlose, abstrakte Unwandelbare der wesentliche Gegenstand war; und das Verhältnis dieses absoluten Entzweitseins des Begri=s ist nun dasjenige, von welchem es sich wegzuwenden hat. Die zunächst äußere Beziehung aber zu dem gestalteten Unwandelbaren als einem fremden Wirklichen hat es zum absoluten Einswerden zu erheben.« (147 | 124)
Die Rede vom entzweiten Bewusstsein meinte zunächst, dass sich das bloß subjektive Meinen in ein objektives Wissen zu verwandeln hat, das bloß zufällige Tun aber in ein nachhaltig richtiges Handeln. Jetzt geht es darum, ein di=uses Verhältnis zu einer ewigen Wahrheit in einen konkreten Begri= des Wahren als dem ›gestalteten Unwandelbaren‹ zu verwandeln. Nur so können ausdi=erenzierte Idealbegri=e und generische Wahrheiten unser Urteilen und Handeln wirklich und konkret orientieren. Außerdem sind die Erfüllungen aus einem vorgestellten Jenseits in die diesseitige Welt zurückzuholen.
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»Die Bewegung, worin das unwesentliche Bewußtsein dies Einssein zu erreichen strebt, ist selbst die dreifache, nach dem dreifachen Verhältnisse, welches es zu seinem gestalteten Jenseits haben wird: einmal als reines Bewußtsein, das andremal als einzelnes Wesen, welches sich als Begierde und Arbeit gegen die Wirklichkeit verhält, und zum dritten als Bewußtsein seines Fürsichseins. – Wie diese drei Weisen seines Seins in jenem allgemeinen Verhältnisse vorhanden und bestimmt sind, ist nun zu sehen.« (147 | 124)
Die Denkbewegung, durch welche das Einzelsubjekt sich eine gestaltete Welt des Unwandelbaren aneignen möchte, durchläuft drei Schritte oder Stufen. Auf der ersten Stufe steht das Gefühl des ›reinen Bewusstseins‹ im Vollzug, also die Vorstellung, es gäbe eine unmittelbare Wissensbeziehung zur Realität und Wirklichkeit. Auf der zweiten Stufe verhalten wir uns instrumentell handelnd zu unserer Umwelt und damit indirekt zu uns selbst, gerade indem wir eine unmittelbare Begehrensmotivation in ein zielgerichtetes Handeln (in ›Arbeit‹) verwandeln. Die dritte Stufe ist die Selbstbeziehung des Bewusstseins im ›Fürsichsein‹ des Selbstbewusstseins, in welchem verschiedene Aspekte des personalen Selbstseins als verschiedene Momente einer Einheit zu begreifen sind. 215
»Zuerst also es als reines Bewußtsein betrachtet, so scheint der gestaltete Unwandelbare, indem er für das reine Bewußtsein ist, gesetzt zu werden, wie er an und für sich selbst ist. Allein wie er an und für sich selbst ist, dies ist, wie schon erinnert, noch nicht entstanden. Daß er im Bewußtsein wäre, wie er an und für sich selbst ist, dies müßte wohl von ihm vielmehr ausgehen als von dem Bewußtsein; so aber ist diese seine Gegenwart hier nur erst einseitig durch das Bewußtsein vorhanden und eben darum nicht vollkommen und wahrhaftig, sondern bleibt mit Unvollkommenheit oder einem Gegensatze beschwert.« (147 f. | 124 f.)
Der Unwandelbare ist Gott. Da jede Gewissheit, wer oder was Gott ist, bei uns liegt, müsste Gott selbst zu uns sprechen, wenn wir verhindern wollen, dass wir nur über unser Gottesbild mit uns selbst sprechen. Das ist eine nicht aufhebbare Paradoxie. Sich
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selbst als reines Bewusstsein oder reines Selbstbewußtsein im Vollzug des reinen Ich aufzufassen, ist richtig und falsch. Alles Wissen und alles Geistige gibt es nämlich nicht rein, als Idealform, sondern nur als geformten Vollzug. Auch wenn wir formal über den Kontrast von Wissen und Gewissheit geredet haben, ist damit noch kein einziger konkreter Gehalt begri=en, schon gar nicht, wie die Spannung zwischen Vollzug und Form aufzuheben ist. Was also sind konkrete Erfüllungen? »Obgleich aber das unglückliche Bewußtsein also diese Gegenwart nicht besitzt, so ist es zugleich über das reine Denken [hinaus], insofern dieses das abstrakte von der Einzelnheit überhaupt wegsehende Denken des Stoizismus und das nur unruhige Denken des Skeptizismus – in der Tat nur die Einzelnheit als der bewußtlose Widerspruch und dessen rastlose Bewegung – ist; es ist über diese beide hinaus, es bringt und hält das reine Denken und die Einzelnheit zusammen, ist aber noch nicht zu demjenigen Denken erhoben, für welches die Einzelnheit des Bewußtseins mit dem reinen Denken selbst ausgesöhnt ist. Es steht vielmehr in dieser Mitte, worin das abstrakte Denken die Einzelnheit des Bewußtseins als Einzelnheit berührt. Es selbst ist diese Berührung; es ist die Einheit des reinen Denkens und der Einzelnheit; es ist auch für es diese denkende Einzelnheit oder das reine Denken, und das Unwandelbare wesentlich selbst als Einzelnheit. Aber es ist nicht für es, daß dieser sein Gegenstand, das Unwandelbare, welches ihm wesentlich die Gestalt der Einzelnheit hat, es selbst ist, es selbst, das Einzelnheit des Bewußtseins ist.« (148 | 125)
Das unglückliche Bewusstsein hat zwar die unmittelbare Selbstgewissheit verloren, welche das so genannte ›reine Bewusstsein‹ postuliert und wie es im Stoizismus zu einem Rückzug auf das reine Denken, im Skeptizismus zu einem selbstwidersprüchlichen Kollaps in den bloßen Vollzug führt. Dafür ist es sich der Spannung zwischen Normform und ihrer Realisierung bewusst. Was das Selbstbewusstsein im Modus des ›unglücklichen Bewusstseins‹ anstrebt, ist das Wissen darum, dass und wie die Formen und Normen des Allgemeinen wirklich sind oder werden. Es weiß dabei aber zunächst nur, wie wichtig diese für ein volles perso-
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nal-geistiges Sein sind. Daher verhält es sich zur Normativität zunächst im Modus des Glaubens, der subjektiven Überzeugung und Gewissheit, nicht des selbstbewussten Wissens. 217
»Es verhält sich daher in dieser ersten Weise, worin wir es als reines Bewußtsein betrachten, zu seinem Gegenstande nicht denkend, sondern indem es selbst zwar an sich reine denkende Einzelnheit und sein Gegenstand eben dieses, aber nicht die Beziehung aufeinander selbst reines Denken ist, geht es sozusagen nur an das Denken hin und ist Andacht. Sein Denken als solches bleibt das gestaltlose Sausen des Glockengeläutes oder eine warme Nebelerfüllung, ein musikalisches Denken, das nicht zum Begri=e, der die einzige immanente gegenständliche Weise wäre, kommt. Es wird diesem unendlichen reinen inneren Fühlen wohl sein Gegenstand, aber so eintretend, daß er nicht als begri=ener und darum als ein Fremdes eintritt. Es ist hierdurch die innerliche Bewegung des reinen Gemüts vorhanden, welches sich selbst, aber als die Entzweiung schmerzhaft fühlt, die Bewegung einer unendlichen Sehnsucht, welche die Gewißheit hat, daß ihr Wesen ein solches reines Gemüt ist, reines Denken, welches sich als Einzelnheit denkt; daß sie von diesem Gegenstande ebendarum, weil er sich als Einzelnheit denkt, erkannt und anerkannt wird. Zugleich aber ist dies Wesen das unerreichbare Jenseits, welches im Ergreifen entflieht oder vielmehr schon entflohen ist. Es ist schon entflohen; denn es ist einesteils das sich als Einzelnheit denkende Unwandelbare, und das Bewußtsein erreicht sich selbst daher unmittelbar in ihm, sich selbst, aber als das dem Unwandelbaren entgegengesetzte; statt das Wesen zu ergreifen, fühlt es nur und ist in sich zurückgefallen; indem es im Erreichen sich als dies Entgegengesetzte nicht abhalten kann, hat es, statt das Wesen ergri=en zu haben, nur die Unwesentlichkeit ergriffen. Wie es so auf einer Seite, indem es sich im Wesen zu erreichen strebt, nur die eigne getrennte Wirklichkeit ergreift, so kann es auf der andern Seite das Andere nicht als Einzelnes oder als Wirkliches ergreifen. Wo es gesucht werde, kann es nicht gefunden werden; denn es soll eben ein Jenseits, ein solches sein, welches nicht gefunden werden kann. Es als Einzelnes gesucht, ist nicht eine allgemeine, gedachte Einzelnheit, nicht Begri=, sondern Einzelnes als Gegenstand
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oder ein Wirkliches; Gegenstand der unmittelbaren sinnlichen Gewißheit und ebendarum nur ein solches, welches verschwunden ist. Dem Bewußtsein kann daher nur das Grab seines Lebens zur Gegenwart kommen. Aber weil dies selbst eine Wirklichkeit und es gegen die Natur dieser ist, einen dauernden Besitz zu gewähren, so ist auch diese Gegenwart des Grabes nur der Kampf eines Bemühens, der verloren werden muß. Allein indem es diese Erfahrung gemacht, daß das Grab seines wirklichen unwandelbaren Wesens keine Wirklichkeit hat, daß die verschwundene Einzelnheit als verschwundene nicht die wahre Einzelnheit ist, wird es die unwandelbare Einzelnheit als wirkliche aufzusuchen oder als verschwundene festzuhalten aufgeben, und erst hierdurch ist es fähig, die Einzelnheit als wahrhafte oder als allgemeine zu finden.« (148 f. | 125 f.)
Die abstrakte und vage Einsicht in die Bedeutung des Allgemeinen und Begri=lichen in der Konstitution des menschlichen Geistes tritt zunächst noch gar nicht als Wissen auf, sondern erst bloß als kollektives Gefühl. Dieses äußert sich als Andacht, etwa im Rahmen der liturgischen Feier, die sich als ›Gottesdienst‹ präsentiert und in gemeinsamer Naivität sich des Geistes so erinnert, als sei dieser Gott und sein Inhalt fremdes Gebot. Diese Beziehung ist eine noch unbegri=ene Selbstbeziehung des Menschen. Sie ist eine bloß erst ahnende, mantische, Beziehung des subjektiven Geistes auf den allgemeinen Geist. Ein anderes Problem ist das spannungsvolle Verhältnis zwischen den per se logischen Gegenständen des Denkens und den ephemeren, dauernd entstehenden und vergehenden, Einzelheiten des Augenblicks und der Perzeption. Entsprechendes gilt für das substantielle Ich-Sein an sich über die Zeit hinweg und meiner je gegenwärtigen, empirischen, Lage. »Zunächst aber ist die Rückkehr des Gemüts in sich selbst so zu nehmen, daß es sich als Einzelnes Wirklichkeit hat. Es ist das reine Gemüt, welches für uns oder an sich sich gefunden [hat] und in sich ersättigt ist, denn ob für es in seinem Gefühle sich wohl das Wesen von ihm trennt, so ist an sich dies Gefühl Selbstgefühl, es hat den Gegenstand seines reinen Fühlens gefühlt, und dieser ist es selbst; es tritt also
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hieraus als Selbstgefühl oder für sich seiendes Wirkliches auf. In dieser Rückkehr in sich ist für uns sein zweites Verhältnis geworden, das der Begierde und Arbeit, welche dem Bewußtsein die innerliche Gewißheit seiner selbst, die es für uns erlangt hat, durch Aufheben und Genießen des fremden Wesens, nämlich desselben in der Form der selbständigen Dinge bewährt. Das unglückliche Bewußtsein aber findet sich nur als begehrend und arbeitend; es ist für es nicht vorhanden, daß, sich so zu finden, die innere Gewißheit seiner selbst zum Grunde liegt, und sein Gefühl des Wesens dies Selbstgefühl ist. Indem es sie für sich selbst nicht hat, bleibt sein Innres vielmehr noch die gebrochne Gewißheit seiner selbst; die Bewährung, welche es durch Arbeit und Genuß erhalten würde, ist darum eine ebensolche gebrochne; oder es muß sich vielmehr selbst diese Bewährung vernichten, so daß es in ihr wohl die Bewährung, aber nur die Bewährung desjenigen, was es für sich ist, nämlich seiner Entzweiung findet.« (150 | 126 f.)
Immerhin ist die gefühlsmäßige Andacht schon insofern eine Vorform echten Selbstbewusstseins, als sie – ohne dass ihr das klar ist – Selbstgefühl ist. Es ist nämlich der Geist, das Vermögen, am allgemeinen Wissen und Können teilzunehmen, der Gegenstand dieses Gefühls, obgleich der bloß Gläubige in seiner Andacht das noch keineswegs weiß. Er empfindet sich bloß als auf ein allgemeines Ideal hinarbeitend, ohne zu bemerken, dass Erfüllungen von anerkannten Zielsetzungen immer auch Selbsterfüllungen sind. Wir selbst also sind es, welche das Ziel der Arbeit für uns bestimmen. Dieses Ziel ist keineswegs ein ›Jenseits‹. Die bloße Subjektivität der momentanen Einzelbefriedigung von Begierden ist freilich auch nicht ausreichend. Ihr gegenüber ist das allgemeine Projekt gemeinsamer Arbeit transzendent. Das unglückliche Bewusstsein der christlichen Philosophie begreift also noch nicht die Funktion unserer eigenen ›Vorsätze‹, ›Prinzipien‹ und ›Ideale‹ für unser eigenes Selbstverhältnis hier in der Welt. 219
»Die Wirklichkeit, gegen welche sich die Begierde und die Arbeit wendet, ist diesem Bewußtsein nicht mehr ein an sich Nichtiges, von ihm nur Aufzuhebendes und zu Verzehrendes, sondern ein solches, wie es selbst ist, eine entzweigebrochene Wirklichkeit, welche nur
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einerseits an sich nichtig, andererseits aber auch eine geheiligte Welt ist; sie ist Gestalt des Unwandelbaren, denn dieses hat die Einzelnheit an sich erhalten, und weil es als das Unwandelbare Allgemeines ist, hat seine Einzelnheit überhaupt die Bedeutung aller Wirklichkeit.« (150 | 127)
Immerhin ahnt das andachtsvolle Selbstgefühl, dass es ihm um sich selbst geht – und dies in der Spannung zwischen dem ›Endlichen‹ des bloß empirisch Einzelnen und dem ›Unwandelbaren‹ des allgemeinen Wahren und Guten. »Wenn das Bewußtsein für sich selbständiges Bewußtsein und ihm die Wirklichkeit an und für sich nichtig wäre, würde es in der Arbeit und in dem Genusse zum Gefühle seiner Selbständigkeit gelangen, dadurch daß es selbst es wäre, welches die Wirklichkeit aufhöbe. Allein indem diese ihm Gestalt des Unwandelbaren ist, vermag es nicht, sie durch sich aufzuheben. Sondern indem es zwar zur Vernichtung der Wirklichkeit und zum Genusse gelangt, so geschieht für es dies wesentlich dadurch, daß das Unwandelbare selbst seine Gestalt preisgibt und ihm zum Genusse überläßt. – Das Bewußtsein tritt hierin seinerseits gleichfalls als Wirkliches auf, aber ebenso als innerlich gebrochen, und diese Entzweiung stellt sich in seinem Arbeiten und Genießen dar, in ein Verhältnis zur Wirklichkeit oder das Fürsichsein und in ein Ansichsein sich zu brechen. Jenes Verhältnis zur Wirklichkeit ist das Verändern oder das Tun, das Fürsichsein, das dem einzelnen Bewußtsein als solchem angehört. Aber es ist darin auch an sich; diese Seite gehört dem unwandelbaren Jenseits an; sie sind die Fähigkeiten und Kräfte, eine fremde Gabe, welche das Unwandelbare ebenso dem Bewußtsein überläßt, um sie zu gebrauchen.« (150 f. | 127)
Wäre das Wirkliche bloß das je jetzt real Einzelne, die Erfüllung bloß die Befriedigung von präsentischen Begierden, gäbe es die Spannung nicht zwischen dem, was mich befriedigt, und dem, was eine allgemeine Bedingung des Wahren oder Guten erfüllt. Insofern ist, wie jetzt schon häufig gesagt wurde, die Erfüllung von Bedingungen des Wahren, das Wissen des Wirklichen und das Tun des Guten von der bloßen Selbstgewissheit oder dem
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bloßen Selbstgefühl der Befriedigung zu unterscheiden. Das Richtige übersteigt das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Es ist für jeden Einzelnen ›transzendent‹. In der uns gegebenen und von uns entwickelten Fähigkeit zur ›Arbeit‹, das heißt zur vorsatzorientierten Handlung, brauchen wir ›das Allgemeine‹, das begri=liche Wissen und die eidetischen Normen des Richtigen. Dabei zergliedert sich das Richtige in die Sphären des epistemisch Wahren, ästhetisch Schönen und ethisch Guten, samt der Gerechtigkeit und des Rechts der ›sozialen‹ Welt. 221
»In seinem Tun ist demnach das Bewußtsein zunächst in dem Verhältnisse zweier Extreme; es steht als das tätige Diesseits auf einer Seite und ihm gegenüber die passive Wirklichkeit; beide in Beziehung auf einander, aber auch beide in das Unwandelbare zurückgegangen und an sich festhaltend. Von beiden Seiten löst sich daher nur eine Oberfläche gegeneinander ab, welche in das Spiel der Bewegung gegen die andre tritt. – Das Extrem der Wirklichkeit wird durch das tätige Extrem aufgehoben; sie von ihrer Seite kann aber nur darum aufgehoben werden, weil ihr unwandelbares Wesen sie selbst aufhebt, sich von sich abstößt, und das Abgestoßene der Tätigkeit preisgibt. Die tätige Kraft erscheint als die Macht, worin die Wirklichkeit sich auflöst; darum aber ist für dieses Bewußtsein, welchem das Ansich oder das Wesen ein ihm Andres ist, diese Macht, als welche es in der Tätigkeit auftritt, das Jenseits seiner selbst. Statt also aus seinem Tun in sich zurückzukehren und sich für sich selbst bewährt zu haben, reflektiert es vielmehr diese Bewegung des Tuns in das andere Extrem zurück, welches hierdurch als rein Allgemeines, als die absolute Macht dargestellt ist, von der die Bewegung nach allen Seiten ausgegangen, und die das Wesen sowohl der sich zersetzenden Extreme, wie sie zuerst auftraten, als des Wechsels selbst sei.« (151 | 127 f.)
Da die Kriterien der Beurteilung der Erfüllung von Richtigem, der Wahrheit von Aussagen oder der Güte von Handlungen nicht durch den Einzelnen willkürlich gesetzt, sondern ihm vorgegeben sind, erscheinen alle diese Normen als eine von ihm losgelöste Macht bzw. durch eine solche Macht erlassen. Allgemeine Normen des Richtigen tätig richtig zu erfüllen, ist selbst eine Fähigkeit, die
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ich mir nicht willkürlich zusprechen kann. Ob ich sie habe, und ob ich sie angemessen aktualisiere, muss o=enbar ein externer Schiedsrichter über meine Selbstgewissheit hinaus beurteilen. Der oberste Scorekeeper in diesen Dingen heißt traditionell »Gott«. Leider gibt es ihn nur im Mythos, in unserer Form, über uns in der Welt zu reden. – Es ergibt sich für den Einzelnen, der auf diese seine ›geistigen‹ Fähigkeiten reflektiert, dass er sich bei der absoluten Macht, bei Gott also oder der Welt mit einer wohltätigen Natur (der Mythos sagt nicht wo), für alles Gute und Richtige und seine Fähigkeiten wie für eine Gabe oder Begabung bedanken sollte. Das ist die Haltung des Augustinus, welche einerseits die Bedeutung des Geistigen anerkennt, andererseits seine Herkunft und Seinsweise nicht weiter befragt, sondern einfach als von Gott gegeben ansieht. »Daß das unwandelbare Bewußtsein auf seine Gestalt Verzicht tut und sie preisgibt, dagegen das einzelne Bewußtsein dankt, d. h. die Befriedigung des Bewußtseins seiner Selbständigkeit sich versagt und das Wesen des Tuns von sich ab dem Jenseits zuweist, durch diese beiden Momente des gegenseitigen Sich-Aufgebens beider Teile entsteht hiemit allerdings dem Bewußtsein seine Einheit mit dem Unwandelbaren. Allein zugleich ist diese Einheit mit der Trennung a;ziert, in sich wieder gebrochen, und es tritt aus ihr der Gegensatz des Allgemeinen und Einzelnen wieder hervor. Denn das Bewußtsein entsagt zwar zum Scheine der Befriedigung seines Selbstgefühls [sic!, PSW], erlangt aber die wirkliche Befriedigung desselben [sic!, PSW]; denn es ist Begierde, Arbeit und Genuß gewesen; es hat als Bewußtsein gewollt, getan und genossen [sic!, PSW]. Sein Danken ebenso, worin es das andre Extrem als das Wesen anerkennt und sich aufhebt, ist selbst sein eignes Tun [sic!, PSW], welches das Tun des andern Extrems aufwiegt und der sich preisgebenden Wohltat ein gleiches Tun entgegenstellt; wenn jenes ihm seine Oberfläche überläßt, so dankt es aber auch und tut darin, indem es sein Tun, d. h. sein Wesen selbst aufgibt, eigentlich mehr als das andere, das nur eine Oberfläche von sich abstößt. Die ganze Bewegung reflektiert sich also nicht nur im wirklichen Begehren, Arbeiten und Genießen, sondern sogar selbst im Danken, worin
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das Gegenteil zu geschehen scheint, in das Extrem der Einzelnheit [d. h. alles ist performativer Vollzug, eigene Haltung, zentriert im Absoluten des personalen Subjekts, PSW]. Das Bewußtsein fühlt sich darin als dieses einzelne [sic!, PSW] und läßt sich durch den Schein seines Verzichtleistens nicht täuschen [der Fromme weiß z. B. allzu gut, dass er fromm ist, PSW], denn die Wahrheit desselben ist, daß es sich nicht aufgegeben hat [sic!, PSW]; was zu Stande gekommen, ist nur die gedoppelte Reflexion in die beiden Extreme, und das Resultat [ist] die wiederholte Spaltung in das entgegengesetzte Bewußtsein des Unwandelbaren und in das Bewußtsein des gegenüberstehenden Wollens, Vollbringens, Genießens und des auf sich Verzichtleistens selbst, oder der fürsichseienden Einzelnheit überhaupt.« (151 f. | 128)
Der Dank für unser menschliches Sein und menschliches Leben einem vorgestellten Schöpfer gegenüber korrespondiert immer auch einer Selbstpreisgabe des allgemeinen Bewusstseins, das sich dann bloß noch in einer Art Gesinnung, also einer in seiner Gestalt nur zum Teil selbst begreifenden Selbstkontrolle darstellt. Denn ich verzichte damit auf den Gedanken, dass ich selbst das Richtige oder Falsche in Erfüllungsversuchen kontrolliere. Ich glaube, dass ›nur Gott‹ oder eine andere ›absolute Macht‹ die ›wirkliche Instanz‹ der Kontrolle des Richtigen ist. – Bewusstsein ist die Verwandlung der Begehrensstruktur in die Kontrolle der Erfüllung von Absichten im handelnden Tun. Augustinus dankt in seinen Bekenntnissen Gott für alle seine menschlichen Fähigkeiten in der Form eines Gebets. Ein solcher Dank ist allerdings ebenso seine eigene Tat, seine eigene Haltung zu seinem eigenen Geist. Ein solches Danken, das inhaltlich die Anerkennung dessen ist, dass meine Fähigkeiten nicht eigentlich meine sind, ist im Vollzug gerade je mein Tun. Gerade im Dankgebet gibt sich das Selbstbewusstsein nicht auf, sondern findet sich selbst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der augustinisch-cartesische Gedanke des ›ich denke‹, also ›ich existiere als denkendes Wesen‹, eine zentrale Stelle im großen Werk Gottesstaat des Augustinus einnimmt. Dem Leser jedenfalls sollte klar sein, dass auch das Du des angesprochenen Gottes in den Bekenntnissen des Augustinus
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ein Du des Augustinus ist. Das Dankgebet der Bekenntnisse ist also in Wirklichkeit eine Art meditatives Selbstgespräch, Expression einer Haltung, auch Appell zur Nachfolge. – Indem die Transzendenz des Allgemeinen als Du angesprochen ist, wird sie immerhin schon in einem ersten Schritt aufgehoben. Sie wird als ein sich selbst gegenübergestelltes allgemeines geistiges Selbst erkennbar. »Es ist damit das dritte Verhältnis der Bewegung dieses Bewußtseins eingetreten, welches aus dem zweiten als ein solches hervortritt, das in Wahrheit durch sein Wollen und Vollbringen sich als selbständiges erprobt hat. Im ersten Verhältnisse war es nur Begri= des wirklichen Bewußtseins oder das innre Gemüt, welches im Tun und Genusse noch nicht wirklich ist; das zweite ist diese Verwirklichung, als äußeres Tun und Genießen; hieraus aber zurückgekehrt ist es ein solches, welches sich als wirkliches und wirkendes Bewußtsein erfahren, oder dem es wahr ist, an und für sich zu sein. Darin ist aber nun der Feind in seiner eigensten Gestalt aufgefunden. Im Kampfe des Gemüts [sic!, PSW] ist das einzelne Bewußtsein nur als musikalisches, abstraktes Moment; in der Arbeit und dem Genusse, als der Realisierung dieses wesenlosen Seins, kann es unmittelbar sich vergessen, und die bewußte Eigenheit in dieser Wirklichkeit wird durch das dankende Anerkennen niedergeschlagen. Dieses Niederschlagen ist aber in Wahrheit eine Rückkehr des Bewußtseins in sich selbst, und zwar in sich als die ihm wahrhafte Wirklichkeit.« (152 f. | 128 f.)
Beim ›Kampf des Gemüts‹ ist im Grunde immer noch die Auseinandersetzung zwischen einem unmittelbar subjektiven, gerade auch begehrensgesteuerten Verhalten und einem vorsatzbestimmten Handeln das Thema. Das einzelne Bewusstsein ist zunächst nur »musikalisches, abstraktes Moment« in der gefühlsmäßigen Selbstkontrolle der Erfüllung der Bedingungen des Vorsatzes. In der Fokussierung auf die Spannung zwischen Arbeit und Genuss vergisst sich das Bewusstsein in seiner Eigenheit, und zwar indem es seine eigenen geistigen Fähigkeiten einer fremden Macht denkend und dankend zuschreibt: Ein Gott hat uns Menschen mit einer denkenden Seele begabt. Dieses Selbstverständnis, so irreführend es ist, bedeutet gerade in seiner mythischen Antwort
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auf die Frage, woher das Allgemeine stammt, in Wahrheit, dass die Frage noch o=en ist, was denn Denken ist, dass wir als Einzelne immer selbst denken und dass wir als generische Menschheit auch die Inhalte, die Bedingungen des Richtigen im Denken und Handeln bestimmen. 224
»Dies dritte Verhältnis, worin diese wahrhafte Wirklichkeit das eine Extrem ist, ist die Beziehung derselben auf das allgemeine Wesen als der Nichtigkeit; und die Bewegung dieser Beziehung ist noch zu betrachten.« (153 | 129)
Die drei Verhältnisse des Allgemeinen zum Einzelnen sind diese: Im ersten Verhältnis wird das Allgemeine bloß als »inneres Gemüt«, als »Begri= des wirklichen Bewusstseins« aufgefasst, so als wäre es noch völlig unabhängig von unserem realen Tun und unseren wirklichen Erfüllungen bzw. Befriedigungen (›im Genusse‹). Im zweiten Verhältnis ist im Tun und Genießen das Allgemeine »als wirkliches und wirkendes Bewusstsein erfahren«. Das unmittelbare Sein im Bewusstsein der leiblichen Regungen aber erscheint jetzt als der ›Feind‹, den es ›im Kampfe‹ zu besiegen gilt – so dass die ›Arbeit‹ als das vorsätzliche gute Handeln einem begierdegeleiteten ›leiblichen‹ Leben gegenübersteht. Dieses ›platonische‹ Bild, dem gerade auch Kant anhängt, hebt die Spannung zwischen dem scheinbar abstrakten Allgemeinen, einer bloß idealen Nichtigkeit des schönen Redens, und der Nichtigkeit der je bloß präsentischen Befriedigungen im ›Genuss‹ noch nicht angemessen auf. Wir brauchen ein drittes Verhältnis in einer Art Balance von allgemeiner Norm und individueller Erfüllung. 225
»Was zuerst die entgegengesetzte Beziehung des Bewußtseins betri=t, worin ihm seine Realität unmittelbar das Nichtige ist, so wird also sein wirkliches Tun zu einem Tun von Nichts, sein Genuß Gefühl seines Unglücks. Hiemit verlieren Tun und Genuß allen allgemeinen Inhalt und Bedeutung, denn dadurch hätten sie ein An- und Fürsichsein, und beide ziehen sich in die Einzelnheit zurück, auf welche das Bewußtsein, sie aufzuheben, gerichtet ist. Seiner als dieses wirklichen Einzelnen ist das Bewußtsein sich in den tierischen Funktionen [sic!, PSW] bewußt. Diese, statt unbefangen als etwas, das an und für sich
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nichtig ist und keine Wichtigkeit und Wesenheit für den Geist erlangen kann, getan zu werden, da sie es sind, in welchen sich der Feind in seiner eigentümlichen Gestalt zeigt, sind sie vielmehr Gegenstand des ernstlichen Bemühens, und werden gerade zum Wichtigsten. Indem aber dieser Feind in seiner Niederlage sich erzeugt, das Bewußtsein, da es sich ihn fixiert, vielmehr statt frei davon zu werden, immer dabei verweilt und sich immer verunreinigt erblickt, zugleich dieser Inhalt seines Bestrebens statt eines Wesentlichen das Niedrigste, statt eines Allgemeinen das Einzelnste ist, so sehen wir nur eine auf sich und ihr kleines Tun beschränkte und sich bebrütende, eben so unglückliche als ärmliche Persönlichkeit.« (153 f. | 129)
Unglücklich ist das unglückliche Bewusstsein gerade deswegen, weil es seinem ursprünglichen Subjektivismus, der Absolutheit der Subjektivität in allem Urteilen und Handeln, entkommen will, aber natürlich nicht entkommen kann. Gegen die Logik anzukämpfen, ist unmöglich: Das ist die ironische Kritik an einer Anleitung zum Unglücklichsein, welche den vermeintlichen Feind des egoistischen Eigenwillens überwinden will. – Wie entwickelt sich nun die Vorstellung von einer Balance zwischen Einzelperson und allgemeinem Wesen? Zunächst erscheint im Selbstgefühl der Nichtigkeit meines Daseins (als einer extremen Form von Bescheidenheit) mein je eigenes Tun als ganz unwichtig und nichtig, obwohl es in Wirklichkeit absolutes Zentrum aller meiner Urteile und Haltungen zur Welt und zu mir selbst ist und bleibt. Doch jeder Genuss, auch jeder Stolz auf Leistungen, werden durch diese (übergroße) Demut zu einem Gefühl des Unglücks, der höheren Unerfülltheit. Es verkehrt sich damit Erfüllung in Unerfülltheit, gerade indem ich skeptisch werde, ob mein Erfüllungsgefühl auch wirklich schon zureichendes Anzeichen für wirkliche Erfüllung ist. Religiöse Denker sprechen hier von Erlösung. Als wirkliches Einzelwesen bin ich mir meiner selbst also durchaus über die ›animalischen‹ Funktionen des Fühlens und der Befriedigung von Begierden bewusst. Doch diese sind nur präsentisch gegenwärtig. Diese Awareness ist noch kein volles Selbstwissen, kein volles Selbstbewusstsein. Das ist die Wahrheit
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dieser ›demütigen‹ Haltung zur möglichen ›Nichtigkeit‹ meiner gefühlsartigen Selbstbeurteilungen. – Andererseits kann die Befriedigung von Begehrungen nicht einfach unbefangen als ›nichtig‹ gelten oder als unwichtig für den Geist, da gerade sie es sind, die es zu behandeln und zu steuern gilt. Sie sind ›der Feind‹ im Kampf um Anerkennung höherer Absichten und werden gerade dadurch »zum Wichtigsten«. In meinem Kampf gegen das animalisch-subjektive Begehren erzeugt sich der »Feind in seiner Niederlage« selbst insofern, als die Beurteilung, ob ich erfolgreich die Bedingungen des Richtigen erfüllt habe, selbst immer nur über Befriedigungsgefühle unmittelbar kontrollierbar ist. Die Folge ist, dass wir uns vom Begehren und dem Genuss der Befriedigung nicht frei machen können. Im Gegenteil, all unser Tun ist ›verunreinigt‹ durch die vermeintlich ›eitle‹ Selbstbeurteilung, das Selbstische. Das ist anzuerkennen und nicht idealutopisch wegzureden. Analoges gilt für die Spannung zwischen Selbstgewissheit und Demut, die als allzu bewusste, ausgestellte, Demut zur Niedertracht wird, eine Entwicklung, die sich auch darin zeigt, dass das Wort »Niedertracht« früher für Demut stand. 226
»Aber an beides, das Gefühl seines Unglücks und die Ärmlichkeit seines Tuns, knüpft sich ebenso das Bewußtsein seiner Einheit mit dem Unwandelbaren. Denn die versuchte unmittelbare Vernichtung seines wirklichen Seins ist vermittelt durch den Gedanken des Unwandelbaren und geschieht in dieser Beziehung. Die mittelbare Beziehung macht das Wesen der negativen Bewegung aus, in welcher es sich gegen seine Einzelnheit richtet, welche aber ebenso als Beziehung an sich positiv ist und für es selbst diese seine Einheit hervorbringen wird.« (154 | 129)
Das unglückliche Gefühl der Unerfüllbarkeit des ganz selbstlosen Richtigen und Guten ist spätestens seit Siddharta Buddha bekannt. Das gilt auch für das Nichtwissen, ob das selbstlos Richtige erfüllt ist, und das Wissen darum, dass hier auch gestufte Selbstbespiegelungen nicht weiterhelfen. Schon weniger bekannt ist, dass die Fokussierung auf die Sache Abhilfe scha=t. Dabei ist
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mit dem Wissen um die Ärmlichkeit all meines Tuns begri=lich notwendig das weitere Wissen verbunden, dass meine Selbstkontrollen, mein Bewusstsein der con-scientia oder des Gewissens, längst schon an das Allgemeine, ›Unwandelbare‹, Richtige gebunden sind. »Diese mittelbare Beziehung ist hiemit ein Schluß, in welchem die sich zuerst als gegen das Ansich entgegengesetzt fixierende Einzelnheit mit diesem andern Extreme nur durch ein drittes zusammengeschlossen ist. Durch diese Mitte ist das Extrem des unwandelbaren Bewußtseins für das unwesentliche Bewußtsein, in welchem zugleich auch dies ist, daß es ebenso für jenes nur durch diese Mitte sei und diese Mitte hiemit eine solche, die beide Extreme einander vorstellt und der gegenseitige Diener [sic!, PSW] eines jeden bei dem andern ist [es handelt sich um eine erworbene Haltung, eine hexis oder ein habitus, PSW]. Diese Mitte ist selbst ein bewußtes Wesen, denn sie ist ein das Bewußtsein als solches vermittelndes Tun; der Inhalt dieses Tuns ist die Vertilgung, welche das Bewußtsein mit seiner Einzelnheit vornimmt.« (154 | 129 f.)
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›Das Bewusstsein‹, das seine subjektive Einzelheit vertilgen und ›seinen Egoismus‹, seine ›Selbstliebe‹ und sein Begehren überwinden will, ist das Bewußtsein als Gewissen und Selbstkontrolle, die con-scientia. Dieses Gewissen ist als Mit-Wissen der Mittler zwischen dem Allgemeinen des Normativen und dem Einzelnen der handelnden Person. Das Bewusstsein als gewissenhafte Selbstkontrolle weiß, dass die Befriedigung eines Begehrens die wahre Erfüllung von Bedingungen des Richtigen verhindern kann. Bewusstsein als gewissenhafte ›Selbstkritik‹ ist daher die Vermittlung zwischen dem allgemein Richtigen und der leiblichen Begehrensstruktur, die sich in gewisser Weise je als dem anderen dienend dargestellt haben: Der Leib ist Knecht der Seele und die Seele ist Dienerin des guten Lebens. Vermittelt ist das aber durch eine verleiblichte Gesamthaltung. »In ihr also befreit dieses sich von dem Tun und Genusse als dem seinen, es stößt von sich als fürsichseiendem Extreme das Wesen seines Willens ab und wirft auf die Mitte [die charakterliche Haltung,
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oder den Diener [das Leibliche samt der Begehrensstruktur des Lebens, PSW] die Eigenheit und Freiheit des Entschlusses und damit die Schuld seines Tuns [sic!, PSW]. Dieser Vermittler, als mit dem unwandelbaren Wesen in unmittelbarer Beziehung, dient mit seinem Rate über das Rechte [das ist schon das Gewissen, PSW]. Die Handlung, indem sie Befolgung eines fremden Beschlusses ist [das Gewissen wird noch als Hören auf eine fremde Stimme vorgestellt, PSW], hört nach der Seite des Tuns oder des Willens auf, die eigne zu sein [sic!, PSW]. Es bleibt aber noch ihre gegenständliche Seite dem unwesentlichen Bewußtsein, nämlich die Frucht seiner Arbeit und der Genuß. Diesen stößt es also ebenso von sich ab und leistet wie auf seinen Willen so auf seine in der Arbeit und Genusse erhaltene Wirklichkeit Verzicht [daher rührt die Motivation des Asketen, PSW]; auf sie teils als auf die erreichte Wahrheit seiner selbstbewußten Selbständigkeit, indem es etwas ganz Fremdes, ihm Sinnloses vorstellend und sprechend sich bewegt; teils auf sie als äußerliches Eigentum, – indem es von dem Besitze, den es durch die Arbeit erworben, etwas abläßt; teils auf den gehabten Genuß, – indem es ihn im Fasten und Kasteien auch wieder ganz sich versagt [sic!, PSW].« (154 f. | 130)
Es ist kein Zufall, dass ›religiöse‹ Bewegungen von Indien bis Europa Praktiken der Unterwerfung des Leibes unter die Macht des Geistes in der Form von Fasten und Kasteiungen etablieren, um die Herrschaft des Geistes gegen das Begehren des Leibes durchzusetzen. Die Forderung, auf jeden Besitz zu verzichten, hat hier zunächst keineswegs (bloß) sozialpolitische Motive, sondern hängt eng damit zusammen, dass sich der Geist loslösen soll von allem Selbstischen und Materiellen, also von jeder Abhängigkeit von einem Haben- oder Besitzen-Wollen, um (vermeintlich) ganz frei und bei sich zu sein. Der Verzicht auf den Eigen-Willen scheint ein Weg zu sein, sich von den Abhängigkeiten des Leibes, dem bloßen Diener oder Knecht des Guten, zu befreien. Dieser ist in diesem Denkmodell an allem Bösen schuld. Noch Kant sieht in den natürlicherweise selbstischen bzw. ich-zentrierten Neigungen (fälschlicherweise) das radikale Böse. Der natürliche
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Egoismus ist aber als solcher weder gut noch schlecht (oder gar böse), wie Hegel erkennt. Das begierdegeleitete Leben des Leibes wird nur scheinbar zur Ursache von allem Schlechten, während die allgemeinen Normen des allgemein Richtigen, verdichtet in der Vorstellung eines personalen Gottes, als Grund von allem Guten angesehen werden. Die Handlung wird zur Befolgung einer ›fremden‹ Verpflichtung, wenn ich den ›Beschluss‹, was richtig ist, nicht als meinen autonomen ›Entschluss‹ begreife. Damit ist sie aber partiell nicht mehr die meinige. Die religiöse Formel dafür lautet: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Mein Wille soll sich Gottes Willen unterordnen. Der Verzicht auf die gegenständlichen Ergebnisse meiner Handlungen in der Askese radikalisiert nur diese Selbstenteignung, die Hegels Kritik aber als in sich widersprüchlich, verlogen, ja als niederträchtigen (Selbst-)Betrug durchschaut und kritisiert, lange bevor Nietzsche in seiner Auseinandersetzung mit dem selbsternannten Buddhisten Schopenhauer erkennt, dass der verbale Willenskritiker nicht anders als der Asket im Geheimen unbändig nach Selbstmacht strebt und das nur durch Worte verbrämt. »Durch diese Momente des Aufgebens des eignen Entschlusses, dann des Eigentumes und Genusses, und endlich das positive Moment des Treibens eines unverstandenen Geschäftes nimmt es sich in Wahrheit und vollständig das Bewußtsein der innern und äußern Freiheit, der Wirklichkeit als seines Fürsichseins; es hat die Gewißheit, in Wahrheit seines Ich sich entäußert und sein unmittelbares Selbstbewußtsein zu einem Dinge, zu einem gegenständlichen Sein gemacht zu haben. – Die Verzichtleistung auf sich konnte es allein durch diese wirkliche Aufopferung bewähren; denn nur in ihr verschwindet der Betrug [sic!, PSW], welcher in dem innern Anerkennen des Dankens durch Herz, Gesinnung und Mund liegt [sic!, PSW], einem Anerkennen, welches zwar alle Macht des Fürsichseins von sich abwälzt [sic!, PSW] und sie einem Geben von oben zuschreibt [sic!, PSW], aber in diesem Abwälzen selbst sich die äußere Eigenheit in dem Besitze, den es nicht aufgibt, die innere aber in dem Bewußtsein des Entschlusses,
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den es selbst gefaßt [sic!, PSW], und in dem Bewußtsein seines durch es bestimmten Inhalts, den es nicht gegen einen fremden, es sinnlos erfüllenden umgetauscht hat, behält [sic!, PSW].« (155 | 130)
Man betrügt sich selbst, wenn man einerseits alle Machtansprüche als Einzelperson von sich abwälzt und erklärt, nur den Pflichten ›von oben‹ Folge zu leisten, aber auf der inneren Selbstgewissheit beharrt, gegebene Normen objektiv richtig zu erkennen und wenigstens zu versuchen, sie zu erfüllen. Alle Selbstkritik und Demut hilft nicht weiter, solange diese sich gläubig sicher wähnt, das Richtige zu wollen, wenn auch nicht immer zu tun, und zwar gerade dadurch, dass der Eigenwille einem vermeintlichen Willen Gottes von mir selbst untergeordnet wird. Indem ich so mein »unmittelbares Selbstbewusstsein« zu einem gegenständlichen Sein mache und mich selbst im Blick auf eine mir vermeintlich vorgegebene Normativität des Richtigen und Guten beurteile, erkläre ich mich selbst für unfrei und heteronom – und betrüge mich eben darin, dass die allgemeinen Normen, an die ich appelliere, immer nur die von mir anerkannten Normen sein können. Wir sehen damit, dass die Selbstaufopferung immer auch einen Selbstbetrug enthält und die zur Schau getragene Demut eines Tartu=e die größte Niedertracht ist. Würde Nietzsche nur das zeigen wollen, wäre jede Kritik an seiner Moralkritik obsolet. Schon Hegel sieht: Jede vermeintliche Selbstaufopferung ist ein Selbstbetrug. Der Märtyrer steht immer schon in der Gefahr, ein Selbstmordattentäter zu sein, und wenn auch nur im Attentat auf sich selbst. Das freilich ist nicht ganz leicht einzusehen. Das heißt nicht, dass es keine wirklichen Aufopferungen einer Person für andere Personen oder auch für das Gute gäbe. Es bedeutet aber, dass die Struktur einer echten Selbstaufopferung logisch höchst komplex ist – gerade wenn es darauf ankommt, sie vom Betrug der Niedertracht und verlogenen Demut zu unterscheiden. Schon die Unterwerfung meines Willens unter einen fremden Willen oder eine Pflicht ist zunächst immer logisch ambivalent: Die Unterwerfung ist nämlich ein voll verantwortlicher Akt mei-
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nes eigenen Willens. Ich kann daher die Verantwortung für den ›Inhalt‹ der Pflicht gar nicht von mir weg auf etwas anderes, die allgemeine Pflicht oder Gott als ihren Urheber etwa, nicht einmal auf ›die Vernunft‹ im Allgemeinen abschieben. Ich bleibe verantwortlich für meine Anerkennung der Pflicht, so wie jeder Täter in einem diktatorischen Regime verantwortlich bleibt für das, was er als ›bloße Befolgung seiner Pflicht‹ ausgibt. Einen ›Befehlsnotstand‹ in dem Sinn, dass die Verantwortung für das Befohlene von ausführenden Befehlsempfänger auf diejenigen überginge, welche den Befehl geben, kann es nur insofern und insoweit geben, als wir in einer Institution wie einer Armee diesen Übergang der Verantwortung vom gemeinen Soldaten auf die Befehlshaber allgemein anerkennen. Das aber tun wir immer nur in einem beschränkten Maße. Allerdings gibt es verstehbare Entschuldigungen, wenn wir etwa die Zumutung, die angedrohten Sanktionen einer Befehlsverweigerung zu dulden, für zu groß, für ›übermenschlich‹, halten. Das rechtfertigt aber per se noch nichts. In Bezug auf eine bloß gesinnungsartig vorgestellte ›moralische Pflicht‹ kann es aber, und das ist der Punkt, eine Verschiebung der Verantwortung nie geben. Niemand kann sich und sein Tun dadurch rechtfertigen, dass er auf ein »deus lo vult«, »Gott will es«, verweist. Jeder derartige Verweis ist niederträchtiger Betrug und Selbstbetrug, das glatte Gegenteil religiöser Frömmigkeit. »Fromm« heißt ja eine Person, welche ›reinen Herzens‹ den göttlichen Willen befolgt oder jedenfalls nach Kräften zu befolgen sucht. Das Problem ist natürlich, woher die Person weiß, was ›der göttliche Wille‹ ist, und dass sie ihn wirklich zu befolgen sucht und nicht etwa ihre eigenen Willkürwillen hinter der Rede von einem göttlichen Willen und der vorgeschobenen Frömmigkeit in niederträchtiger Weise bloß verbirgt. Unglücklicherweise kann sich diese Niedertracht der Demut auch im kollektiven Konsens bigotter Religiosität äußern, und tut es bis heute. Das alles ist zunächst logisch zu verstehen – und wird hier von Hegel in einer
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phänomenologisch-dialektischen Logik analysiert, nicht in einer Art erbaulichen Predigt. 230
»Aber in der wirklich vollbrachten Aufopferung [sic!, PSW] hat an sich, wie das Bewußtsein das Tun als das seinige aufgehoben [hat], auch sein Unglück von ihm abgelassen. Daß dies Ablassen an sich geschehen ist, ist jedoch ein Tun des andern Extrems des Schlusses, welches das ansichseiende Wesen ist. Jene Aufopferung des unwesentlichen Extrems war aber zugleich nicht ein einseitiges Tun, sondern enthielt das Tun des andern in sich. Denn das Aufgeben des eignen Willens ist nur einerseits negativ, seinem Begri=e nach oder an sich, zugleich aber positiv, nämlich das Setzen des Willens als eines Andern [sic!, PSW] und bestimmt des Willens als eines nicht einzelnen, sondern allgemeinen. Für dies Bewußtsein ist diese positive Bedeutung des negativ gesetzten einzelnen Willens der Willen des andern Extrems, der ihm, weil er eben ein anderes für es ist, nicht durch sich, sondern durch das Dritte, den Vermittler, als Rat wird. Es wird daher für es sein Willen wohl zum allgemeinen und an sich seienden Willen, aber es selbst ist sich nicht dies an sich; das Aufgeben des seinigen als einzelnen ist ihm nicht dem Begri=e nach das Positive des allgemeinen Willens. Ebenso sein Aufgeben des Besitzes und Genusses hat nur dieselbe negative Bedeutung, und das Allgemeine, das für es dadurch wird, ist ihm nicht sein eignes Tun [sic!, PSW]. Diese Einheit des Gegenständlichen und des Fürsichseins, welche im Begri=e des Tuns ist und welche darum dem Bewußtsein als das Wesen und Gegenstand wird, – wie sie ihm nicht der Begri= seines Tuns ist, so ist ihm auch dies nicht, daß sie als Gegenstand für es wird, unmittelbar und durch es selbst, sondern es läßt sich von dem vermittelnden Diener diese selbst noch gebrochne Gewißheit aussprechen, daß nur an sich sein Unglück das verkehrte, nämlich sich in seinem Tun selbstbefriedigendes Tun oder seliger Genuß [sic!, PSW], sein ärmliches Tun [sic!, PSW] ebenso an sich das verkehrte, nämlich absolutes Tun, dem Begri=e nach das Tun nur als Tun des Einzelnen überhaupt Tun ist. Aber für es selbst bleibt das Tun und sein wirkliches Tun ein ärmliches und sein Genuß der Schmerz und das Aufgehobensein derselben in der positiven Bedeutung ein Jenseits. Aber in diesem Gegenstande, worin
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ihm sein Tun und Sein, als dieses einzelnen Bewußtseins, Sein und Tun an sich ist, ist ihm die Vorstellung der Vernunft geworden, der Gewißheit des Bewußtseins, in seiner Einzelnheit absolut an sich oder alle Realität zu sein.« (155 f. | 131)
Die Haltung des unglücklichen Bewusstseins ist absolut: Es will und muss unglücklich sein, ohne zu wissen, dass es das will und muss, nämlich aus seinem falschen Kampf gegen die eigene, unaufhebbare, absolute Subjektivität heraus. Der schwierige Übergang von den Analysen der Selbstaufopferung, des Selbstbetrugs und der echten Unterwerfung des eigenen Willens unter einen allgemeinen Willen wird nun klarer. Wir sehen jetzt nämlich, was die zentrale Formel Hegels bedeutet, Vernunft sei die »Gewissheit des Bewusstseins, in seiner Einzelheit absolut an sich oder alle Realität zu sein«: Das Selbstbewusstsein im Modus der Vernunft übernimmt im Unterschied zum unglücklichen Bewusstsein christlicher Seelen- und Gewissenslehren die volle Verantwortung für alle seine Urteile und Handlungen, samt der Anerkennungen der Inhalte. Für das ›religiöse‹ Selbstbewusstsein desaströs ist dabei die Einsicht Hegels, welche mit der Kants übereinstimmt, dass eine ›wirklich vollbrachte Aufopferung‹ des Eigenwillens gerade nicht darin besteht, sich einer fremden Verpflichtung unterzuordnen, sondern Verantwortung für die Normativitäten des Allgemeinen zu übernehmen und jede Pflicht in der Autonomie der Vernunft zu gründen, nicht in einem auf einen Gott verweisenden und uns scheinbar von einem solchen Gott geo=enbarten, irgendwie also gottgegebenen Mythos einer Religion. Bei Kant besteht Autonomie im Setzen der Identität des eigenen Willens und der allgemeinen Normativität. Dies geschieht bei Kant aus der Perspektive des Subjekts, also soweit die Normativität je von mir anerkannt ist. Wir werden sehen, ob diese ›Kohärenz‹ zwischen (der Wahl) der Maxime der eigenen Handlung und der subjektiven Anerkennbarkeit ihres Forminhalts als allgemeines Gesetz ausreicht, um die Spannung zwischen dem Selbst der Selbstgesetzgebung und dem Ich als Subjekt, das die-
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sem allgemeinen Gesetz unterworfen ist, aufzuheben und zu einem ›vernünftigen praktischen Selbstbewusstsein‹ zu gelangen. Es geht im Folgenden zunächst um eine realistische Selbstbeobachtung in Psychologie, Physiologie und Gehirnforschung, dann um ethisch-praktische Vernunft, um die Frage also, wie autonome Vernunft praktisch wird, und wie ethische Normen sich auf die Autonomie des vollen Personseins gründen. Die Frage nach der Beurteilung von Wahrheit und Wissen ist der Form nach gar nicht anders als die nach der Beurteilung des moralisch Richtigen. Für uns hier, an der Stelle des Übergangs vom Selbstbewusstsein im Modus des unglücklichen Bewusstseins christlicher Philosophie zur vernünftigen Selbständigkeit in Kants kritischer Philosophie der Aufklärung, reicht es zu sehen, dass es keine Alternative zu diesem Schritt, zur Einsicht in die Absolutheit des Eigenurteils und damit zur Grundeinsicht jeder Philosophie der Vernunft gibt, wenn man ein sacrificium intellectus, die Selbstaufopferung des Verstandes vermeiden möchte. Diese ist in ihrer scheinbaren Demut Selbstbetrug. Sie ist gerade nicht, wie der dogmatische Christ meint, Abwehr der tiefsten aller Sünden wider den Heiligen Geist, die angeblich in der Selbstanmaßung des eigenen Urteils besteht. Radikaler als mit den Argumenten, die Hegel hier vorträgt, kann man die christliche Philosophie des unglücklichen Bewusstseins von Augustinus bis Luther nicht kritisieren. Alle evolutionsbiologischen Argumente gegen eine göttliche Schöpfung z. B. sind vollständig läppisch dagegen.
Teil 3 Vernunftappell und Vernunftkritik
(C.) = (AA) Vernunft Kapitel V Gewissheit und Wahrheit der Vernunft 26. Vernunft als Einsicht in die Freiheit des Urteilens Mit dem Vorwurf, die Philosophie von Kant bis Hegel sei bloß erst ›Bewusstseinsphilosophie‹, wird den Autoren unterstellt, sie hielten das Bewusstsein, insbesondere ihr je eigenes Selbstbewusstsein, für gegeben und irgendwie transzendental aufweisbar. Die Ausdrücke »Bewusstsein« und »Selbstbewusstsein« werden dabei als Gegenstandnamen missdeutet, sozusagen als bloße Umbenennung einer selbst schon fehlgedeuteten Rede von der Seele oder auch der Person, dem Subjekt, dem Ich. Doch damit werden die logischen Analyseleistungen eines Kant, Fichte und Hegel von vorneherein unterschätzt. Hegel jedenfalls erkennt die relationalen und prozessualen Momente in der Ausdrucksform ›sich einer beliebigen Sache bewusst zu sein‹ völlig klar. Insbesondere erkennt er, dass Sinn und Bedeutung, Ansichsein und Fürsichsein, Vollzugsinhalt und Bezug der Wörtchen »sich« und »selbst«, dann auch von »mich«, »mir« und »ich« in der Ausdrucksform »ich bin mir bewusst, dass ich selbst . . . « absolut nicht trivial sind. Im Kontext der Rede über Vollzugsformen erkennt Hegel dann auch die besondere Logik von Titelwörtern für Prozesse wie »Sein« und »Leben« und deckt die logische Naivität in der verdinglichenden Vorstellung auf, der Unterschied zwischen einem lebenden Leib und einem toten Leichnam ließe sich ›erklären‹ durch einen möglicherweise sogar nach Gewicht (sagen wir: 35 Gramm) quantitativ messbaren Lebenshauch oder durch eine irgendwie wirkende
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Lebenskraft oder Energie. Hierher gehört etwa auch die Frage, ob man einem Roboter nicht doch möglicherweise ›Leben einhauchen‹ könne. Als formale (rein verbale) Möglichkeit klingt das plausibel, wenn man meint, das Leben bestehe nur darin, dass sich eine Körpergestalt durch Selbstbewegungen selbst zu reproduzieren vermag. Das wäre auch für herstellbare Geräte formalbegri=lich durchaus vorstellbar. Dass wir hier aber auch beurteilen müssen, mit welchen wirklichen Möglichkeiten wir rechnen sollten, mit welchen nicht, was also sinnvollerweise zu erwarten ist, was dagegen rein verbale Utopie purer science fiction ist, wird dabei unterschlagen. Ob wir uns nicht selbst verdummen würden, wenn wir je Geräte wie lebende Wesen behandelten, ist z. B. alles andere als klar. Materialbegri=lich ist Leben das, was wir als Leben kennen, wobei wir inzwischen wissen, dass in gewissem Sinn alles Leben miteinander genetisch verwandt ist, dass es also nur ein einziges Leben gibt – nun, soweit wir rein hypothetische, spekulative Möglichkeiten ausschließen und das einzige Leben betrachten, das wir kennen, nämlich das auf unserer Erde. Unseren begri=lichen Urteilen korrespondieren gerade die wirklichen Möglichkeiten, im Kontrast zu bloß formalen oder verbalen Möglichkeiten, also etwa zu bloß formallogisch konsistenten Satzmengen als vermeintlichen Repräsentanten möglicher Welten. Der Streit der Philosophie um begri=liche Notwendigkeiten ist daher immer auch schon ein Streit darum, mit welchen Möglichkeiten wann und wie sinnvoll zu rechnen ist, mit welchen nie. Dabei geht viel zu viel an Subtilität des Denkens in die an sich am Ende ebenso einfache wie folgenlose Betrachtung rein formaler Möglichkeiten und viel zu wenig in eine robuste Beurteilung, woran wir uns orientieren sollten. Zunächst aber muss der Sinn traditioneller Rede von einer Seele oder res cogitans in ihrer logischen Form aufgedeckt werden. Hier transformiert Hegel die Ergebnisse der Anfänge der transzendental- bzw. präsuppositionslogischen Formenanalyse bei Descartes, des Neubegründers der Philosophie in der Neuzeit,
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in die Einsicht in die Absolutheit der Subjektivität: Am Vollzug meines Lebens bzw. Urteilens kann ich nicht zweifeln, jedenfalls nicht so, wie ich daran zweifeln kann, ob ein Satz der Art »da drüben steht ein Baum« wahr ist. Aus der damit erkannten Absolutheit der Performation des Seins im Leben folgt freilich noch lange nicht, dass wir schon wüssten, wer wir sind, also als was wir existieren. Wir wissen damit auch noch nicht, was es heißt, ein geistiges Wesen zu sein, also urteilen und denken zu können. Immerhin beginnt die Vernunftphilosophie, wie sie über Leibniz bis zu Kant und Fichte führt, bei Descartes mit der Einsicht in die Absolutheit des Vollzugs des Denkens. Damit kommen wir erst in die Lage den Inhalt des folgenden, von Hegel in vielen Variationen wiederholten, Kernsatzes des Vernunftkapitels begreifbar zu machen: »Das Bewußtsein geht in dem Gedanken, welchen es erfaßt hat, daß das einzelne Bewußtsein an sich absolutes Wesen ist, in sich selbst zurück.« (157 | 132)
Es geht o=enbar darum, dass das einzelne Bewusstsein im Vollzugssinn des Sich-seines-Lebens-bewusst-Seins oder des praktischen Selbstwissens im Vollzug des Lebens in folgendem Sinn absolut ist: Dieser Vollzug ist, wie er ist. Das ist er sogar in jeder falschen Selbstgewissheit, auch im falschen Glauben, dass der eigentliche Gegenstand unseres absoluten (Selbst-)Wissens eine vielleicht sogar unsterbliche res cogitans oder geistige Seele sei. Unser Kernsatz des Vernunftkapitels ersetzt das ›cogito ergo sum‹ des Descartes. Und er klammert den irreführenden Schluss ›sum res cogitans‹ aus. Das geschieht dadurch, dass nicht das denkende Subjekt, das ich angeblich bin, mit absoluter Gewissheit als meinem Denkvollzug präsuppositional zugrundeliegend erschlossen wird, sondern, erstens, das eigene Sein und Leben und, zweitens, das Denken selbst, die tätige Teilnahme an einem Mit-Wissen. Diese Teilnahme ist ein Prozess. Zu ihr gehören auch die Kontrollen von Geltungsansprüchen. Die Teilnahme am gemeinsamen Denken ist dabei absoluter Ausgangspunkt jeder Reflexion auf die Existenz von Gegenständen und auf die Wahr-
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heit von Geltungsansprüchen. Das ist so, unangesehen der Frage, wie gut und erfolgreich der Versuch der Teilnahme ist, ob also das je beanspruchte Wissen am Ende wirkliches Wissen, also wahr ist. Daran lässt sich in der Tat nicht zweifeln. Denn jedes Zweifeln selbst ist nur im Rahmen eines solchen Vollzugs möglich. Hegel fährt nun in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse des Selbstbewusstseinskapitels so fort: 231 b
»Für das unglückliche Bewußtsein ist das Ansichsein das Jenseits seiner selbst.« (157 | 132)
Das bedeutet unter anderem: Das, was wirklich wahr, gut und schön ist, also was die in unseren Reflexionen immer idealisiert dargestellten Kriterien des Urteilens in den Dimensionen des Wissens, der Ethik und der Ästhetik erfüllen würde, erscheint dem unglücklichen Bewusstsein, das sich seiner Endlichkeit nur allzu bewusst ist, als etwas, was uns als Einzelnen angeblich nie zugänglich sei. Das unglückliche Bewusstsein ist dabei, wir erinnern uns, das neuplatonische und christliche Denken. Aber auch das zerrissene Denken neuzeitlicher Wissenschaft zählt dazu. Dieses schwankt bekanntlich zwischen Großmannssucht und Wissensskepsis haltlos hin und her, formal nicht anders als im Grunde auch das unglückliche Bewusstsein. Dessen Grundirrtum liegt in der ontischen Hypostasierung von Wahrheit und Wirklichkeit, und damit in der Missachtung der Tatsache, dass es sich bei den entsprechenden Wörtern nur um kategoriale Titel handelt der reflexionslogischen Aussageformen »die Aussage, dass φ, ist wahr« bzw. »es ist wirklich so, dass φ«. Diese sind praktisch nie so gemeint, dass irgendwelche idealen, unendlichen oder gar transzendenten, Kriterien ohne jede Anpassung an die Endlichkeiten des real Möglichen als erfüllt ausgewiesen wären. Sie sind immer nur so zu verstehen, dass wir selbst die relevanten endlichen Erfüllungsbedingungen in der realen Welt auffinden und zusammen mit diesem vernünftigen Verstehen als erfüllt oder nicht erfüllt beurteilen. Dabei kann sich jeder eben deswegen täuschen, weil sein Urteilsvollzug lokal, frei und perspektivisch, kurz: subjektiv ist.
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Anlass für die Rede von einer Transzendenz des Wahren oder der Wirklichkeit geben also immer nur die Di=erenz zwischen Gewissheit und Wissen (1), die Di=erenz zwischen endlichen Erfüllungen und ›perfekten‹ oder ›idealen‹ Wahrheiten (2) – und natürlich die Di=erenz zwischen Einzelurteilen einzelner Subjekte und den gemeinsamen Richtigkeitskontrollen der Erfüllung von vorausgesetzten normativen Wahrheits- oder Geltungskriterien (3). Bei rechtem Verständnis führt das alles aber wieder in das Diesseits unseres realen Seins und Lebens zurück, das als solches immer zentriert bleibt im Leben der je einzelnen Lebewesen bzw. Menschen. »Aber seine Bewegung hat dies an ihm vollbracht, die Einzelnheit in ihrer vollständigen Entwicklung, oder die Einzelnheit, die wirkliches Bewußtsein ist, als das Negative seiner selbst, nämlich als das gegenständliche Extrem gesetzt, oder sein Fürsichsein aus sich hinausgerungen und es zum Sein gemacht zu haben; darin ist für es auch seine Einheit mit diesem Allgemeinen geworden, welche für uns, da das aufgehobne Einzelne das Allgemeine ist, nicht mehr außer ihm fällt und, da das Bewußtsein in dieser seiner Negativität sich selbst erhält, an ihm als solchem sein Wesen ist.« (157 | 132)
Das rechte Verständnis dessen, was Bewusstsein oder Wissen bzw. Selbstbewusstsein ist, beruht auf der Einsicht, dass, perfomativ gesehen, das Subjekt in seinem Urteilen und Handeln frei und insofern in einem gewissen Sinne absolut ist. Und umgekehrt: Es ist frei, weil es absolut ist. Das bedeutet, dass auch noch unsere Kriterien und Ideale selbst, nicht bloß die Bewertung ihrer bürgerlichen Erfüllung, nur durch uns in unseren freien Urteilen existieren. Bewusstsein oder Wissen gibt es nur im Vollzug. Und dieser setzt sich selbst die generischen Kriterien des Wissens (der Wahrheit) oder des Vollkommenen (des Schönen oder Guten), auch wenn er sie sich als Ideale gegenständlich gegenüberstellt und das Setzen zum Anerkennen wird. Wirkliches Selbstbewusstsein verlangt zumindest, unsere idealen Kriterien zu kennen und die notwendige Endlichkeit aller ihrer realen Erfüllung zu erkennen. Hinzu kommt das Wissen über die Perspektivität und
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Fallibilität der Kontrolle der Erfüllung unserer eigenen Wahrheitskriterien oder Geltungsansprüche. 231 d
»Seine Wahrheit ist dasjenige, welches in dem Schlusse, worin die Extreme absolut auseinander gehalten auftraten, als die Mitte erscheint, welche es dem unwandelbaren Bewußtsein ausspricht, daß das Einzelne auf sich Verzicht getan, und dem Einzelnen, daß das Unwandelbare kein Extrem mehr für es, sondern mit ihm versöhnt ist. Diese Mitte ist die beide unmittelbar wissende und sie beziehende Einheit, und das Bewußtsein ihrer Einheit, welche sie dem Bewußtsein und damit sich selbst ausspricht, [ist] die Gewißheit, alle Wahrheit zu sein.« (157 | 132)
Bei dem Schluss handelt es sich um die schon früher vorgreifend artikulierte Einsicht, dass das Ich ein generisches Wir und dass das Wir ein Ich ist: Letzteres sagt, je ich muss urteilen, schließen und handeln. Die Richtigkeit des Inhalts aber kann ich nicht allein beurteilen. Die zunächst unerhörte Rede von der »Gewissheit, alle Wahrheit zu sein«, sollte gerade in diesem Sinn jetzt als absolute Selbstverständlichkeit begri=en werden können. Jedes meiner Urteile bleibt mein Urteil. Jeder Versuch, etwas richtig zu machen, kann scheitern; die Gewissheit, etwas richtig gemacht zu haben, kann sich ebenfalls als trügerisch erweisen. 232 a
»Damit, daß das Selbstbewußtsein Vernunft ist, schlägt sein bisher negatives Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine Selbständigkeit und Freiheit zu tun gewesen, um sich für sich selbst auf Kosten der Welt oder seiner eignen Wirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten.« (157 | 132)
Bisher ging es bloß erst darum, das Selbstbewusstsein in seiner problematischen Form zu analysieren. Jetzt geht es darum, das Selbstbewusstsein als Vernunft zu begreifen, und das heißt, die Aussageform »ich bin mir dessen gewiss, dass φ« zu betrachten und den Übergang zu »es ist vernünftig zu urteilen, dass φ«. Man kann dann natürlich diese Vernunft weder gegen das ›Weltliche‹ noch gegen die eigene ›Subjektivität‹ des Sprechers rein halten.
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»Aber als Vernunft, seiner selbst versichert, hat es die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen; denn es ist seiner selbst als der Realität gewiß, oder daß alle Wirklichkeit nichts anderes ist als es; sein Denken ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; es verhält sich also als Idealismus zu ihr.« (157 | 132)
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Wir hatten gesehen, dass an der Anerkennung der Bedeutung der subjektiven Gewissheit kein Weg vorbei führt. Keine Anrufung Gottes und keine Selbstunterwerfung hilft hier weiter. Die Rede von einem Idealismus verführt Leser immer wieder dazu anzunehmen, es werde hier die wirkliche Welt zu einer bloßen Vorstellung erklärt. Es geht aber um die Vernunft bzw. das wirkliche Selbstbewusstsein in folgendem Sinn: Selbstbewusste Vernunft weiß von sich, dass es keine jenseitige Vernunft und keine überwirkliche Seele gibt, sondern dass wirkliche Vernunft in nichts anderem besteht als im selbstbewussten Vollzug des Denkens und vernünftigen Urteilens gemäß der oben skizzierten Urteilsform. Vernunft besteht also im Urteilen und Schließen, unter Einschluss des konsequenten Handelns. Dazu muss man aber die Absolutheit der selbstgewissen Vollzüge anerkennen und zugleich den rein subjektiven Ich-Modus des bloßen Gewissheitsgefühls oder der subjektiven Befriedigung (auch der Stillung aller Unruhe und Unsicherheit in einer nur irgendwie selbst erzeugten Ataraxia) überwinden. Das hat im Man-Modus des gemeinsam vernünftigerweise anerkennbaren und im guten Fall auch faktisch gemeinsam anerkannten Urteilens zu geschehen. In jedem Fall aber führt das alles aus jedem Jenseits in das Diesseits zurück. »Es ist ihm, indem es sich so erfaßt, als ob die Welt erst itzt ihm würde; vorher versteht es sie nicht; es begehrt und bearbeitet sie, zieht sich aus ihr in sich zurück und vertilgt sie für sich und sich selbst als Bewußtsein – als Bewußtsein derselben als des Wesens, so wie als Bewußtsein ihrer Nichtigkeit.« (157 f. | 132)
Die transzendentale Grundeinsicht des Descartes besteht darin, dass jeder kognitive Weltbezug des Menschen Selbstgewissheit und begri=liches Denken schon im Rücken hat, also präsupposi-
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tionslogisch voraussetzt. Bevor wir uns das explizit vergegenwärtigen, gehen wir zwar empraktisch bewusst mit der Welt und uns selber um. Aber wir verstehen noch nicht selbstbewusst, was die Rede von »Welt« und »Wirklichkeit« bedeutet, und was ›Wahrheit‹ sein soll. Jetzt sin die objektive Welt, der kategoriale Begri= der Wahrheit und Wirklichkeit und unsere Bezugnahme auf die Welt Gegenstände der Reflexion auf der Ebene ›der Vernunft‹, nachdem wir schon gesehen haben, dass alle unsere Urteile in subjektiver Performation und Gewissheit fundiert sind. Das heißt gerade nicht, die Welt sei bloße Vorstellung. Es heißt aber, dass wir uns der Nichtigkeit einer bloß hypostasierten Hinterwelt bewusst sind: Wir wissen damit, dass wir von unserem realen Weltbezug nie einfach abstrahieren können. Es gibt auch keine ontische Seele. 232 d
»Hierin erst, nachdem das Grab seiner Wahrheit verloren, das Vertilgen seiner Wirklichkeit selbst vertilgt und die Einzelnheit des Bewußtseins ihm an sich absolutes Wesen ist, entdeckt es sie als seine neue wirkliche Welt, die in ihrem Bleiben Interesse für es hat, wie vorhin nur in ihrem Verschwinden; denn ihr Bestehen wird ihm seine eigne Wahrheit und Gegenwart; es ist gewiß, nur sich darin zu erfahren.« (158 | 132 f.)
Von Hegel wird regelmäßig behauptet, er habe keinen Humor und kenne keine Ironie. Das kann nur jemand sagen, der ihn gar nicht oder nicht verständig liest oder die versteckten Bosheiten und Anspielungen übersieht oder einfach nicht versteht. Die Rede von dem Grab seiner Wahrheit spielt zum Beispiel zumindest auch auf das Ostermysterium an. Sie verweist darauf, dass die Idee einer transzendenten Welt hinter unseren Erfahrungen, dabei aber auch die Idee der Existenz einer unsterblichen Einzelseele verloren gegangen ist. Indem wir begreifen, dass die je präsentisch reale Einzelheit des sich seiner selbst gewissen Bewusstseins im Vollzug absolutes Wesen ist, entdecken wir die Welt als unsere Welt neu. Vielleicht spielt Hegel auch auf das bekannte orakelartige Gnomon »s¯oma, s¯ema« an: s¯oma ist der Leib, s¯ema bedeutet »Zeichen«, aber auch »Grab«, so dass der Leib zugleich Zeichen als auch Grab der (im Gedanken zu ergänzenden) Seele wäre.
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Der scheinbar idealistische Satz, dass sich die Vernunft gewiss ist, nur sich in der Welt zu erfahren, bedeutet dabei zunächst nur, dass wir selbst mit den Beurteilungswörtern »wahr«, »wirklich« oder »Tatsache« von uns gedachte Möglichkeiten emphatisch bewerten, indem wir sagen, dass sie ernst zu nehmen sind. Die Welt zeigt sich nur so in unserem bewerteten Wissen, gerade wo sie über die gegenwärtig wahrgenommene Umwelt hinausreicht. Daher, aber auch nur daher, regiert der Nous, die Vernunft, die Welt. Es gibt keine Welt jenseits dieser Welt, in der wir leben, und das ist nicht etwa bloß räumlich gemeint. Zentral ist dabei, dass jede Wirklichkeit eine von uns als bestehend bewertete Möglichkeit ist und daher das begri=liche Denken des Möglichen voraussetzt. Diese logische Form wird bei Wittgenstein im bloß erst noch logisch-empiristischen Tractatus deswegen noch nicht klar, weil der Kontrast zwischen empirischen Konstatierungen und wissenschaftlichen Aussagen bzw. generischen Wahrheiten dort gar nicht gesehen wird. Es wird daher noch gar nicht analysiert, dass und wie allgemeine Wahrheiten, wie wir sie in den Wissenschaften entwickeln, als materialbegri=liche Normalfallinferenzen in unseren sprachlichen Darstellungen von wirklichen Möglichkeiten fungieren und in theoretischen Erklärungen der wirklichen Geltung von weltbezogenen Aussagen immer schon gebraucht werden. Diese Aussagen sind nämlich in ihrem Inhalt längst schon materialbegri=lich bestimmt und keineswegs reine Konstatierungen im Sinne des Begri=s des empirisch sinnvollen Satzes im Tractatus. Das formallogische Deduzieren auf der Basis einer formalen Wahrheitswertsemantik für formallogisch komplexe Sätze, wie wir sie seit Frege aus der Logik der Arithmetik kennen, reicht daher bei Weitem nicht aus, um das gültige Schließen zu erläutern und damit den materialen Begri= der Richtigkeit des Urteilens. »Die Vernunft ist die Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein; so spricht der Idealismus ihren Begri= aus.« (158 | 133)
Man sollte sich durch Hegels partielle Unterstützung des »Idealismus« Fichtes oder Kants nicht verwirren lassen. Damit unterstützt er nicht einfach Berkeleys »esse est pericipi«, die Iden-
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tifikation der Existenz mit der Perzipierbarkeit, oder einen naiven Glauben, die Welt sei irgendwie unsere geistige Vorstellung. Bei Hegel ist das Wort »Idealismus« vielmehr Signal dafür, dass er sich in der Denk- und Analysetradition Kants, Fichtes und Schellings platziert und diese als die Erben des Descartes, aber auch Lockes und Humes begreift. Die Formel, dass die Vernunft ›alle Realität‹ sei, bedeutet demnach zwar in der Tat die Einsicht, dass die Welt in gewissem Sinn immer (auch) meine Welt ist, dass wir selbst über Wahrheit und Falschheit befinden müssen. Sie bedeutet zugleich, dass wir, wenn wir etwas als wirklich behaupten, damit nichts anderes sagen, als dass die entsprechende Aussage vernünftigerweise als wahr oder richtig anzuerkennen ist: Das Wirkliche ist das Vernünftige. Und das, was wir als vernünftige Orientierung bewerten, nennen wir auch »wirklich« oder »wahr«. Eine wirkliche Möglichkeit ist z. B. (nur) dadurch gegeben, dass wir uns in unseren Erwartungen und Schlüssen vernünftigerweise an dem entsprechenden Möglichkeitsurteil orientieren. Hegels Deutung der Wahrheit des Idealismus der Vernunftphilosophie besteht am Ende in der einfachen Einsicht in die Absolutheit subjektiver Gewissheiten. 233 b
»Wie das Bewußtsein, das als Vernunft auftritt, unmittelbar jene Gewißheit an sich hat, so spricht auch der Idealismus sie unmittelbar aus: Ich bin Ich, in dem Sinne, daß Ich, welches mir Gegenstand ist, nicht wie im Selbstbewußtsein überhaupt, noch auch wie im freien Selbstbewußtsein, dort nur leerer Gegenstand überhaupt, hier nur Gegenstand, der sich von den Andern zurückzieht, welche neben ihm noch gelten, sondern Gegenstand mit dem Bewußtsein des Nichtseins irgendeines andern, einziger Gegenstand, alle Realität und Gegenwart ist.« (158 | 133)
Der tautologische Satz »ich bin ich« sagt natürlich gar nichts, es sei denn, man liest ihn als Hinweis auf eine Satz- bzw. Aussageform, nämlich auf die, welche wir hier durch die Formel `ich φ(ich) darstellen. In dieser wird an der ersten Stelle auf den Sprecher selbst verwiesen, an der zweiten auf eine durch das Personalpronomen »ich« vertretene variable Kennzeichnung meiner
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selbst. Es ergibt sich eine Aussage von mir über mich. In der Tat haben Selbstaussagen diese logische Form. Damit ist das Selbstbewußtsein überhaupt, also ganz allgemein, formal charakterisiert. Wenn Hegel von der Leere des Gegenstandes spricht, verweist er gerade auf das Tautologische im Wortlaut »ich bin ich« oder in der Formel »Ich = Ich«. Ähnlich tautologisch wäre ein Satz der Form »ich bin hier«. Das freie Selbstbewusstsein war Thema des Stoizismus, Skeptizismus und des unglücklichen Bewusstseins. Dabei wird zunächst nur auf das reine Vollzugssein des Sprechers verwiesen, also auf das bloße ›ich bin‹, gewissermaßen unter Absehung von allen unterscheidenden Aussagen über die Welt oder mich selbst. Wenn wir nun zur Vernunft übergehen, so scheint dies eine gewisse positive These vom Nichtsein irgendeines anderen Gegenstandes zu involvieren: Die Vernunft ist alle Wirklichkeit. Der katachrestische Satz ist wahrer, als es scheint. Er besagt, dass Wirklichkeit eine Möglichkeit ist, mit der wir vernünftigerweise zu rechnen haben. Jede solche sinnvoll von mir behauptbare Wirklichkeit wird sich oder muss sich irgendwie auf die Gegenwart meines realen Seins beziehen. Das Wie freilich ist noch ganz o=en und kann unendlich vermittelt sein. Es gibt dabei Sachen, die sind so weit von mir weg wie der Urknall. »Das Selbstbewußtsein ist aber nicht nur für sich, sondern auch an sich alle Realität erst dadurch, daß es diese Realität wird oder vielmehr sich als solche erweist.« (158 | 133)
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Der Satz passt voll und ganz zu unserer Gesamtdeutung. In gewissem Sinn ist es eine triviale Tatsache, dass ich sozusagen meine Erfahrungen und meine Welt bin. Schon weniger trivial ist, dass sich alle Realität oder Wirklichkeit nur in der Form einer (am Ende kollektiven, gemeinsamen) Erfahrung im Vollzug, nicht bloß im Perzipieren und Reden zeigt. Alles Weltwissen ist insofern Selbstwissen. Und alles Selbstwissen ist Weltwissen. »Es erweist sich so in dem Wege, worin zuerst in der dialektischen Bewegung des Meinens, Wahrnehmens und des Verstandes das Anderssein als an sich [als bloße Objekte, PSW] und dann in der Bewe-
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gung durch die Selbständigkeit des Bewußtseins in Herrschaft und Knechtschaft [im Selbstbezug!, PSW], durch den Gedanken der Freiheit [der Stoa, PSW], die skeptische Befreiung [von rein dogmatischen, bloß redenden Gewissheiten, PSW] und den Kampf der absoluten Befreiung des in sich entzweiten Bewußtseins [als Spannung zwischen Gewissheit und Wahrheit, PSW] das Anderssein, insofern es nur für es ist, für es selbst verschwindet.« (158 | 133)
Gerade der Denkweg der Reflexion ist Vollzug oder Gang des Nachdenkens. Im Denken über das Denken ergibt sich folgende dialektische Bewegung: Man beginnt mit einem Meinen (einer doxa) im Sinne des Für-wahr-Haltens einer Aussage, etwa als Folge einer Perzeption. Im Wahrnehmen wird die sich aus der Perzeption ergebende Meinung geprüft. In der Phänomenologie des Geistes war das ein Ergebnis der ersten beiden Kapitel. Man erkennt dann, dass nur der Verstand Zugang haben kann zu einer Wirklichkeit ›an sich‹, also zur Unterscheidung zwischen Erscheinung (bzw. Schein) und dem, was das Ding oder die Sache in Wirklichkeit sein soll. Das behandelt das dritte Kapitel. Im vierten Kapitel wurde gezeigt, wie sich aus der Einsicht in die Selbständigkeit des Verstandes bzw. des seiner selbst gewissen Bewusst-Seins und in die Absolutheit des Vollzugs des Denkens die Frage ergibt, ob es eine Art Herrschaft der res cogitans oder der Seele über den Leib als dem Anderen des Denkens gibt. Doch dieser Gedanke der absoluten Freiheit bzw. Spontaneität des Denkens führt in die Paradoxie des Stoizismus und Skeptizismus: Auf der eine Seite steht die Überschätzung leeren Redens und damit eine Art linguistischer Idealismus. Auf der anderen Seite steht der Kollaps in ein gedanken- und urteilsfreies Benehmen eines reinen Behaviorismus, also eine Selbstanimalisierung auf beliebig hohem (oder niedrigem) Niveau. Das in sich entzweite Bewusstsein dagegen stellt sich seine eigenen Ideale des Denkens und der Kriterien des Urteilens in einem Jenseits oder Himmel gegenüber und übersieht, dass bzw. inwiefern es selbst Urheber dieser Ideale ist oder wenigstens Teilnehmer an deren Gebrauch. Damit verkennt man aber auch die Funktion all unserer Ideale.
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»Es traten zwei Seiten nach einander auf, die eine, worin das Wesen oder das Wahre für das Bewußtsein die Bestimmtheit des Seins, die andere[, worin es] die hatte, nur für es zu sein. Aber beide reduzierten sich in eine Wahrheit, daß, was ist, oder das Ansich nur ist, insofern es für das Bewußtsein, und was für es ist, auch an sich ist.« (158 | 133)
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Wenn man Hegel unbedingt in eine Tradition einer Bewusstseinsphilosophie nach Descartes einreihen will, so findet man jetzt einen Grund. Während jeder Gegenstand des Wissens in seinem formalen bzw. logischen ›Ansichsein‹ abhängt vom Verstand aufgrund der Relativität seiner begri=lichen Bestimmung, und während alles, was so vom Bewusstsein abhängt, formal ein gegenständliches Ansichsein ist, ist das Bewusst-Sein qua Vollzug des Mit-Wissens bzw. als Gewissheit nicht relational. In diesem Sinn ist es absolut. Es existiert als Vollzug auch nicht ›gegenständlich‹, sondern ›prozessual‹. Es ist aus begri=lichen Gründen an sich, also generisch oder der Gattung gemäß, was es für sich ist. Und es ist für sich, was es an sich ist, was sich also in seinen tätigen Selbstbezügen, der Autopoiesis des lebendigen Individuums und der Person in ihrem geistigen Sein und Leben zeigt. »Das Bewußtsein, welches diese Wahrheit ist, hat diesen Weg im Rücken und vergessen, indem es unmittelbar als Vernunft auftritt, oder diese unmittelbar auftretende Vernunft tritt nur als die Gewißheit jener Wahrheit auf. Sie versichert so nur, alle Realität zu sein [sic!, PSW], begreift dies aber selbst nicht; denn jener vergessene Weg ist das Begreifen dieser unmittelbar ausgedrückten Behauptung. Und ebenso ist dem, der ihn nicht gemacht hat, diese Behauptung, wenn er sie in dieser reinen Form hört – denn in einer konkreten Gestalt macht er sie wohl selbst – unbegreiflich [sic!, PSW].« (159 | 133)
Die Rede von der Vernunft in der jetzt von Hegel selbst kritisierten Bewusstseins-, Reflexions- oder Vernunftphilosophie etwa bei Kant oder Fichte hat diese Gedankengänge zwar im Hintergrund, aber vergessen. Als Resultat finden wir daher bloß den Appell an eine unbegri=ene und eben damit sogar unbegreifliche Vernunft. Das ist der Grund für den Restdogmatismus in den
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›Resultaten‹ der sich selbst »kritische« Philosophie nennenden Analysen Kants, aber auch Fichtes. 234 a
»Der Idealismus, der jenen Weg nicht darstellt, sondern mit dieser Behauptung anfängt, ist daher auch reine Versicherung [sic!, PSW], welche sich selbst nicht begreift, noch sich andern begreiflich machen kann. Er spricht eine unmittelbare Gewißheit aus, welcher andere unmittelbare Gewißheiten gegenüberstehen, die allein auf jenem Wege verloren gegangen sind.« (159 | 133 f.)
Nicht nur, aber besonders der Idealismus Fichtes und dann fast die gesamte Philosophie von Kant bis heute operieren appellativ mit den Wörtern »vernünftig« und »rational«, als wäre klar, wie zwischen Rationalem und Irrationalem zu unterscheiden ist und was für ein Bewertungswort das Wort »vernünftig« gerade auch im Kontrast zu »bloß verständig« oder eben »rational« ist. Noch der so genannte Logische Empirismus und die Analytische Philosophie sind selbstverständlich für das Gute und Rationale, ohne ihre eigene Entgegensetzung einer angeblich wissenschaftlichen Rationalität oder Vernunft und einer traditionellen Metaphysik (seit Platon und Aristoteles) überhaupt zu verstehen, und zwar weil man die Tradition nur bildzeitungsartig kennt. 234 b
»Mit gleichem Rechte stellen daher neben der Versicherung jener Gewißheit sich auch die Versicherungen dieser andern Gewißheiten. Die Vernunft beruft sich auf das Selbstbewußtsein eines jeden Bewußtseins: Ich bin Ich, mein Gegenstand und Wesen ist Ich, und keines wird ihr diese Wahrheit ableugnen. Aber indem sie sie auf diese Berufung gründet, sanktioniert sie die Wahrheit der andern Gewißheit, nämlich der: es ist Anderes für mich. Anderes als Ich ist mir Gegenstand und Wesen, oder indem Ich mir Gegenstand und Wesen bin, bin ich es nur, indem Ich mich von dem Andern überhaupt zurückziehe und als eine Wirklichkeit neben es trete. – « (159 | 134)
Der Bezug auf Fichte ist jetzt eindeutig: Niemand wird die Wahrheit der Aussage »ich bin ich« leugnen, und zwar sogar dann, wenn man sie über die leere Tautologie hinaus so deutet: Im Selbstwissen bin ich mir meiner nicht nur gewiss, ich weiß, dass ich bin, lebe, existiere und denken (sprechen) kann. Ich bin mir
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Gegenstand und Wesen. Das heißt, es wird (von mir) das Objekt der Reflexion mit meiner Seinsweise identifiziert. Das geschieht als begri=lich denkendes Wesen zunächst freilich bloß irgendwie vage. Formal ist aber auch an diesem Satz, als Paradigma und Vertreter für derartige Selbstaussagen, unverkennbar, dass der logische Gegenstand, also das, was ich mir als Eigenschaft oder Fähigkeit zuschreibe, von mir, wie ich bin, unterschieden ist. Wir sind also wieder zur Form des Aussagens gelangt, die immer die Form hat: Ich stehe für die Wahrheit des Inhalts der Aussage ein, auch wenn es eine Aussage über mich, meine Vergangenheit und Gegenwart ist, oder eine Prognose bzw. ein Entschluss in Bezug auf mein zukünftiges Sein, die erst später wahr zu machen sind. Wir erkennen dann auch die Spannung wieder zwischen einer statischen Rede von Gegenständen mit Eigenschaften und einer dynamischen Rede über Vollzüge. Wir sehen aber insbesondere, dass das Wort »ich« den Kontrast zu einem »du«, »wir«, »sie«, »man«, »es« und damit zu anderen Personen, Lebewesen und Dingen längst schon als bekannt voraussetzt. »Erst wenn die Vernunft als Reflexion aus dieser entgegengesetzten Gewißheit auftritt, tritt ihre Behauptung von sich nicht nur als Gewißheit und Versicherung, sondern als Wahrheit auf; und nicht neben andern, sondern als die einzige. Das unmittelbare Auftreten ist die Abstraktion ihres Vorhandenseins, dessen Wesen und Ansichsein absoluter Begri=, d. h. die Bewegung seines Gewordenseins ist. – « (159 | 134)
Es ist ein tiefer Satz, dass wir erst dann über die bloße Form der »Gewißheit und Versicherung« hinauskommen, wenn wir die Kategorie der Vernunft im Urteil der Form »es ist vernünftig anzuerkennen, dass (es richtig ist, dass) φ« als Reflexionsurteil und damit auf der Ebene der Wesenslogik begreifen, und zwar im Kontrast zur Aussageform »ich bin mir gewiss, dass φ« oder auch »ich meine oder glaube, dass φ«. Wahrheit ist selbst ein wesenslogischer Reflexionsbegri=. Inwiefern aber ist eine bewusste Reflexion auf allgemeine Geltungsansprüche schon weit mehr als bloße Selbstgewissheit im Vollzug? Dazu ist der Begri= der Wahrheit von Selbstaus-
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sagen zu klären. Das wiederum geschieht nicht etwa neben der Klärung anderer Wahrheiten, sondern mit ihnen. Wir haben nämlich gesehen, dass gerade wegen der inneren Reflektiertheit aller Geltungen Weltaussagen immer auch Selbstaussagen sind und Selbstaussagen immer auch Weltaussagen. Die subjektive Selbstgewissheit auf der Meta-Ebene der Reflexion reicht nun freilich nicht für die Wahrheit irgendeiner objektiven Selbstaussage aus. Es könnte sich ja bloß um die Wiederholung der objektstufigen Gewissheiten oder Meinungen handeln. Immerhin wird klar, dass der generische Inhalt jeder Aussage und jedes Wissensanspruchs in einer Bewegung gestufter Reflexionen (über das Ansichsein oder das Wesentliche des relevanten Genus) besteht, die als geschichtliche Vielstimmigkeit des Urteilens über vernünftige Kriterien und Schlüsse jedem Einzelurteil schon vorhergeht. 234 d
»Das Bewußtsein wird sein Verhältnis zum Anderssein oder seinem Gegenstande auf verschiedene Weise bestimmen, je nachdem es gerade auf einer Stufe des sich bewußt werdenden Weltgeistes steht. Wie er sich und seinen Gegenstand jedesmal unmittelbar findet und bestimmt, oder wie er für sich ist, hängt davon ab, was er schon geworden oder was er schon an sich ist.« (159 f. | 134)
Schnelle Leser werden die nominalisierte Rede vom Weltgeist auf’s Korn nehmen. Doch mit diesem Ausdruck werden nur die Entwicklungen des Wissens (das hier pars pro toto in Vertretung aller humanen Kultur steht) bis zur jeweiligen Gegenwart überschrieben. Der Weltgeist ist damit gerade kein eschatologischer Gott des Futurs, sondern eher der Geist der Menschheit einer Gegenwart, wie sie sich aus der Vergangenheit ergibt. Damit werden alle Zuschreibungen einer hinter unserem Rücken angeblich teleologischen Geschichtsphilosophie im Falle Hegels zur reinen Makulatur. Das Titelwort »Weltgeist« ist also ganz analog zu lesen wie Montesquieus Titel »Der Geist der Gesetze« und unser Wort »Zeitgeist«. Letzteres ist Ausdruck für die nur je zu einer Epoche gehörigen, das Urteilen und Handeln der Zeitgenossen bloß
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aktuell leitenden, Verständnisse bzw. Selbstverständnisse. Der Weltgeist ist historisch tiefer und im Umfang weiter, indem er alle die humanitas tragenden Urteils- und Praxisformen, Institutionen und sozialen Bindungen mitumfasst. Der in seiner geheimen Ironie regelmäßig unter-, wie dann auch überschätzte Spruch Hegels von Napoleon als dem Weltgeist bzw. der Weltseele zu Pferde nennt daher zunächst nur die epochalen neuen Möglichkeiten der Ordnung europäischer Politik, von denen Napoleon nach 1806 leider nicht die besten ergri=en hat. Hier aber geht es immer noch um die Wahrheit des Anspruchs auf ein Selbstwissen, mit dem ich eine Art Selbstbild mir gegenüberstelle. Dabei ist mein Selbsturteil performativ frei, inhaltlich aber nur wahr, wenn ich (wirklich) so bin, wie ich sage, oder wenn ich das tätig verwirkliche, was meine deklarierten Absichten oder Versprechen erfüllt. Wer ich im Blick auf meine Fähigkeiten bin, hängt dabei immer auch von der geschichtlichen Situation ab, etwa von meinen Selbstbildungsmöglichkeiten, aber auch davon, welche ich wirklich aufgreife.
27. Die Kategorie »Die Vernunft ist die Gewißheit, alle Realität zu sein. Dieses Ansich oder diese Realität ist aber noch ein durchaus allgemeines, die reine Abstraktion der Realität. Es ist die erste Positivität, welche das Selbstbewußtsein an sich selbst, für sich ist, und Ich daher nur die reine Wesenheit des Seienden oder die einfache Kategorie.« (160 | 134)
Hegel führt hier den Ausdruck »die Kategorie« als einen schwierigen Super-Titel ein. Er verweist auf »kategorein«, das griechische Wort für ›aussagen‹. Die allgemeine Grundform der Aussage ist dabei gerade: ›Ich sage, dass es sich so und so verhält‹. Dabei steht das ›ich sage, dass‹ zunächst nicht für eine Selbstaussage, sondern für die performative Haltung des Aussagens selbst. Hegel wird gleich die bloßen ›Versicherungen‹ des je nachfolgenden Inhalts thematisieren (Nr. 235e).
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›Die Kategorie‹ korrespondiert nach meiner Lesart also gerade der Formel `ich φ, wobei φ einen Satz (als Ausdruck einer möglichen Aussage) vertritt und der Index »ich« eigentlich überflüssig ist, sofern der Kontext klar macht, wer spricht. Um diese Abhängigkeit vom Sprecher dennoch auch in der Schriftform explizit zu machen, ist der Index zu notieren. 235 b
»Die Kategorie, welche sonst die Bedeutung hatte, Wesenheit des Seienden zu sein, unbestimmt des Seienden überhaupt oder des Seienden gegen das Bewußtsein, ist itzt Wesenheit oder einfache Einheit des Seienden nur als denkende Wirklichkeit [sic!, PSW]; oder sie ist dies, daß Selbstbewußtsein und Sein dasselbe Wesen ist; dasselbe nicht in der Vergleichung, sondern an und für sich. Nur der einseitige schlechte Idealismus läßt diese Einheit wieder als Bewußtsein auf die eine Seite und ihr gegenüber ein Ansich treten. – « (160 | 134)
Unter einer Kategorie stellt man sich allgemein eine Art oberste Gattung der Gegenstände vor, als einen (sortalen) Bereich aller Gegenstände eben einer ›Kategorie‹ wie etwa der Zahlen, reinen Mengen, Dinge, geometrischen Formen usf. Man unterstellt sie als ontisch gegeben, nämlich als reine Objektivität »gegen das Bewußtsein«. Wir sehen jetzt aber, dass alle derartigen Bereiche im Denken und Sprechen konstituiert sein müssen. Den Gegenstandsbereichen korrespondieren Aussagenbereiche mit den zugehörigen Wörtern (Grundnamen und Grundprädikaten) und Satzbildungen, zusammen mit den zugehörigen Definitionen logisch komplexer Prädikate zur Artikulation nicht-unendlicher, also kategorien-interner Unterscheidungen. Die Einheit des Ich besteht dann in der Rolle, die ich in der Aktualisierung meiner Gedanken bzw. Urteile spiele: Ich als geistiges Wesen bin sozusagen mein Denken. Und mein Denken hat die logische Sprechhandlungsform `ich φ, die Kategorie. In eben diesem Sinn und nur in ihm bin ich die Kategorie. In der Kategorie fallen in gewissem Sinn Selbstbewußtsein und Sein in eins. Genauer, ich bin meine Selbstgewissheiten. Diese Identität liegt noch vor jedem kontrollierenden Vergleich
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von Aussage-Inhalt und Welt, nämlich im Vollzug der Anerkennung des Urteils. Hegel wehrt sich gegen die bis heute übliche Vorstellung eines ›schlechten Idealismus‹, demzufolge je mein Bewusstsein dem Sein oder Seienden gegenübergestellt wird. In Wirklichkeit geht es nicht um eine absolute Trennung des performativen Moments `ich vom Inhalt (von) φ, da das keineswegs möglich ist. Jede Gegenüberstellung wahrer Inhalte gegen falsche setzt das Urteilen und damit die Kategorie voraus. Wie sind dabei reflexionslogische Bewertungen der Urteile oder Versicherungen etwa auch in einem Scorekeeping als Kontrolle der Erfüllung von Geltungsansprüchen zu verstehen? »Diese Kategorie nun oder einfache Einheit des Selbstbewußtseins und des Seins hat aber an sich den Unterschied; denn ihr Wesen ist eben dieses, im Anderssein oder im absoluten Unterschiede unmittelbar sich selbst gleich zu sein. Der Unterschied ist daher, aber vollkommen durchsichtig, und als ein Unterschied, der zugleich keiner ist. Er erscheint als eine Vielheit von Kategorien.« (160 | 134)
Ich identifiziere die »einfache Einheit des Selbstbewußtseins und des Seins« mit der Aussage, genauer, der Performation der Sprechhandlung. Diese hat als Aussage den Unterschied an sich oder in sich, eben indem man Unterscheidungen tri=t. Hier wird o=enbar zugleich das (transzendentale) Ich (Kants und Fichtes) mit der Aussage- oder Denkform `ich φ identifiziert. Das führt zu einer gewissen Umdeutung des Prinzips der so genannten transzendentalen Apperzeption Kants. Ihm zufolge muss jetzt nicht etwa ein irgendwie zu einer Einheit ausgebildetes mentales Ich oder Bewusstsein (etwa mit seinen besonderen Erinnerungen wie bei Locke) jede (meiner) Vorstellungen begleiten können, wohl aber mein (mögliches) Urteilen (Unterscheiden) und Schließen. Nur vor diesem Hintergrund ist die sonst völlig obskure Formel zu verstehen, dass das Wesen (des Ich bzw. des Ich denke) darin bestehe, »im Anderssein oder im absoluten Unterschiede unmittelbar sich selbst gleich zu sein.« Ich bin sozusagen mein Unterscheiden und mein durch Begri= und Urteil bestimmtes Handeln.
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Der Unterschied existiert, so würde ich sagen, als das, was das Unterscheiden glücken lässt. »Er erscheint als eine Vielheit von Kategorien.« Denn eine Vielheit von Kategorien entsteht erstens aus der Vielheit der Formen des Aussagens. Unter diesen Obertitel fallen hier z. B. empirische Konstatierungen, Vorschläge einer begri=lichen Norm, Explikationen begri=licher Unterscheidungen und Inferenzen, dann auch: Versprechen, Expressionen einer Absicht durch Deklarationen eines Vorsatzes usf. Zweitens gibt es eine Vielheit von Teilmomenten des Satzes, also von Teilsatzformen wie Subjekt, Kopula und Prädikat, Junktoren wie »und« und Operatoren wie »nicht«, »einige« oder »möglicherweise« usf. Drittens gibt es verschiedene Redebereiche. Da sind zunächst empirische Dinge, Eigenschaften und Sachverhalte wie etwa der Stuhl da, seine Mängel und dass er rot ist. Dann haben wir generische Gegenstände und Seinsformen wie etwa den Menschen und dass er ein vernünftiges Wesen ist oder sein kann. Es gibt rein abstrakte Gegenstände und deren fixierte Prädikatsysteme in vollsortalen und ewigen Redebereichen wie in der Rede über reine Zahlen oder geometrische Formen mit den für sie definierten abstrakten Relationen und Eigenschaften. Und schließlich sind alle Formen der nominalisierenden Reflexion auf den Sinn von Wörtern, Sätzen, Aussagen, Unterscheidungsformen, Handlungen, Praxisformen und Institutionen zu beachten wie z. B. »das Bewusstsein« als Titel für den Kontrast zu allem nicht bewussten oder unkontrollierten Tun, oder »die Vernunft«, »der Geist« usf., aber auch nominalisierende Operatoren in ihrem kontrastiven Gebrauch wie »die Möglichkeit / der Sachverhalt / die Tatsache / das Ereignis / der Prozess, dass die Scheune abbrannnte« o. ä. Diese kategorialen Unterschiede zu kennen und zu beherrschen ist das Mindeste, was man in einer sinnkritischen logischen Analyse und damit in der Philosophie braucht. Das Rechnen in aussagen- und quantorenlogischen Kalkülen und axiomatischen Systemen reicht da nirgends hin. Kant hat als innere Grobgliederung des Satzes nur das betrachtet, was schon Platon entwickelt und Aristoteles für seine
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Taxonomien der Biologie ausformuliert hat, also die drei groben Satzteilbereiche Subjekt, Kopula und Prädikat, wobei die Verneinung traditionell als Prädikatverneinung rekonstruiert wird. Hinzu kommen Konjunktionen, Disjunktionen und Subjunktionen von Sätzen und Modaloperatoren wie »es ist möglich / es ist notwendig / es ist kontingent, dass φ«. Nur das wird traditionell benutzt, um den Inhalt einer möglichen Aussage φ zu analysieren. In einem Satz kann ja ein Name N vorkommen oder es können mehrere Namen N, M vorkommen. Wir notieren das heute in der Tradition Freges in der Form φ(N) bzw. φ(N, M) und schreiben φ(x), wenn wir den Namen in eine Variable verwandeln und damit aus der Aussage eine Eigenschaft E = λxφ(x) bilden, oder auch kurz E = E(x) = φ(x): Damit ergeben sich aus der Namen-Prädikat-Struktur der Satzform ›N ist ein E‹ bzw. ›N ε E‹ zunächst die Urteilsfunktionen und dann die (übrigens wegen der Probleme überzeitlicher Dingidentität bloß halbsortalen) Gegenstandsbereiche der Dinge und die sie konstituierenden Kategorien Kants. Ein in einem Bereich definiertes Prädikat E kann positiv, normal verneint und unendlich verneint sein. Im letzten Fall wird ein kategoriales Problem artikuliert. Die Nominalphrase kann ein einfacher Name, ein Allquantor oder ein Existenz- oder Einige-Quantor sein. Hieraus ergeben sich die Kategorien der Quantität und Qualität als notwendige transzendentallogische Bestimmungsstücke des aussagenden Weltbezugs: Man muss sagen, über welche Gegenstände gesprochen wird und wie die Qualitäten bzw. Eigenschaften in der Erfahrung bestimmt sind. Dazu brauchen wir Kriterien der Erfüllung von Bedingungen der syntaktischen und semantischen Wohlgeformtheit von singulären Termen für Dinge und von Dingprädikaten, und dann selbstverständlich auch der Wahrheit oder Richtigkeit der Dingaussagen. Im Blick auf die Nominalphrase (das grammatische Subjekt) geht es zum Beispiel darum, was als Name oder als singulärer Term (wie etwa »Napoleon«, der auch einen Hund oder Stallhasen nennen kann) im Redebereich zählt. So sind z. B. Hasengestalten
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oder Hasenphasen noch keine Hasen. Nur wenn das geklärt ist, weiß man, worüber ein Quantor (wie etwa in »manche Hasen«) quantifiziert. Die Verbalphrase ist dann ein komplexes, eventuell auf die eine oder andere Weise verneintes, Prädikat (wie in »7 ist ungerade«). In der Modalität der Gesamtaussage unterscheiden wir, ob eine Aussage bloß möglicherweise oder wirklich wahr ist oder eine allgemeine Notwendigkeit artikuliert. Hinzu kommt der relative Status einer Proposition in Disjunktionen, Konjunktionen oder Bedingungsgefügen, in denen die Geltung einer Aussage notwendige oder hinreichende Bedingung für die Geltung anderer Aussagen sein kann. Es wäre interessant, Kants Modalitäten zu vergleichen mit Hegels wesens- bzw. reflexionslogischen Kategorien qua Expressionsformen der Art: »es ist wirklich so« oder »es ist vernünftigerweise anzuerkennen, dass . . . « bzw. dann auch »es ist notwendigerweise so«. Die Kategorie enthält nun bei Hegel zumindest alle kantischen Kategorien – als Bedingungen sinnvollen Weltgehalts der Aussageformen. Doch Hegel sieht, dass Kant nur eine Dingsprache kennt. Neben den sortalen Namen-Eigenschafts-Bereichen für Dinge sprechen wir aber zum Beispiel in der Chemie über Sto=e wie Wasser und benutzen dabei Massenterme (Quines mass terms). Oder wir sprechen über Prozesse, Ereignis- und Geschehenstypen, Dispositionen, Kräfte, Energien, Wellen, Elektrizität und magnetische Felder. Damit wird die Annahme relativiert, es ließe sich ein abschließendes endliches System solcher Kategorien für unseren Weltbezug angeben. Wir reden eben nicht bloß über Körper, ihre Relationen und Bewegungen, wie der Dingatomismus und eine Korpuskularmechanik suggerieren. Kants Liebe zu den Dingen korrespondiert daher einer allzu provinziellen Logik sortaler Gegenstandsbereiche, die man sich bis heute nach dem Muster der Arithmetik vorstellt. Diese Logik ist das Ergebnis einer eher zufälligen Wahl der Perspektive: Es wird einfach die Oberflächensatzform ›N ist P‹ in der ganz besonderen Deutung, nämlich als Ausdruck einer Klassifikation von sortalen Gegenständen, zum
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Ausgangspunkt der Analyse gemacht, ohne auch nur darüber nachzudenken, ob und wann diese Oberflächenstruktursemantik für eine Inhaltsanalyse überhaupt hilfreich oder ausreichend ist. Damit wird klar, dass »die Kategorie« bei Hegel die allgemeine Möglichkeit des Denkens überschreibt. Sie ist nicht einfach auf Kants Kategoriensystem mit ihrer Ausrichtung auf einen als sortal aufgefassten Bereich von Dingen in der Welt der Erscheinungen zu reduzieren. Und sie ist dennoch durch eine einfache Form ganz allgemein darstellbar, nämlich in Formeln `ich φ und `ich φ(ich) als Kommentierungen der von Fichte für eben diesen Zweck erfunden Formeln »Ich = Nicht-Ich«, »Ich = Ich« und »Ich = (Ich = Ich)«. »Indem der Idealismus die einfache Einheit des Selbstbewußtseins als alle Realität ausspricht, und sie unmittelbar, ohne sie als absolut negatives Wesen – nur dieses hat die Negation, die Bestimmtheit oder den Unterschied an ihm selbst – begri=en zu haben, zum Wesen macht, so ist noch unbegreiflicher als das erste dies zweite, daß in der Kategorie Unterschiede oder Arten seien.« (160 | 134 f.)
Hegel distanziert sich hier vom subjektiven Idealismus Kants. Seine Identifikation der einfachen Einheit des Selbstbewusstseins mit dem Ganzen der Realität ist zwar nicht einfach ein Solipsismus. Gesagt ist nicht, dass alles, was es gibt, in meiner Welt existiert. Aber es wird die Konstitution der Gegenstände durch Kategorien allzu unmittelbar behauptet, ohne dass die Kategorien ausgewiesen wären. Es ist das Ich als das ›absolut negative Wesen‹ noch nicht begri=en. Es ist nicht vorgeführt, wie das Subjekt in seinem Unterscheiden alle ›Bestimmtheit oder den Unterschied an ihm selbst‹ hat. Kant hat auch nicht befriedigend gezeigt, woher er seine Kategorien nimmt. Hegel selbst erkennt zwar den Zusammenhang mit den oben von mir geschilderten Momenten des Satzes wie Nominalphrase und Verbalphrase. Aber er beklagt, erstens, dass die traditionellen syntaktosemantischen Formen der Rede über sortale Gegenstandsbereiche keineswegs alle Formen unseres Urteilens umfassen. Zweitens versichert uns Kant am Ende bloß, dass seine 12 Kategorien alle apriorisch voraus-
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gesetzten kategorialen Bedingungen des begri=lich bestimmten Weltbezugs explizit machten. Sie werden dabei obendrein in ganz obskurer Weise irgendwie a priori ›ins Subjekt‹ gesetzt: 235 e
»Diese Versicherung überhaupt, so wie die Versicherung von irgendeiner bestimmten Anzahl der Arten derselben, ist eine neue Versicherung, welche es aber an ihr selbst enthält, daß man sie sich nicht mehr als Versicherung gefallen lassen müsse. Denn indem im reinen Ich, im reinen Verstande selbst der Unterschied anfängt, so ist damit gesetzt, daß hier die Unmittelbarkeit, das Versichern und Finden aufgegeben werde und das Begreifen anfange. Die Vielheit der Kategorien aber auf irgendeine Weise wieder als einen Fund, z. B. aus den Urteilen, aufnehmen und sich dieselben so gefallen lassen, ist in der Tat als eine Schmach der Wissenschaft anzusehen; wo sollte noch der Verstand eine Notwendigkeit aufzuzeigen vermögen, wenn er dies an ihm selbst, der reinen Notwendigkeit, nicht vermag?« (160 f. | 135)
Man könnte sich zwar mit der von Hegel in ihrer Herkunft völlig richtig erkannten Abhängigkeit der Kategorien Kants von der logischen Satz- bzw. Urteilsform ›N ist P‹ erst einmal zufrieden geben. Dann aber wäre die ganze Analyse nur pars pro toto zu lesen, also im Modus eines zentralen Paradigmas, das der dinglichen Gegenstandsbereiche. Sie passt dann eben nur so weit, wie sie eben passt. Anderseits hat Hegel Recht, dass es weit mehr Aussageformen und Aussagemodi gibt, als bei Kant auftreten. Ein wirklich gravierendes Problem teilt Kants Logik übrigens mit der neueren Logik nach Frege: In diesen zwar übersichtlichen, aber keinesfalls vollständigen Systemen werden, wie schon bei Aristoteles, nur Klassifikationen in sortalen Gegenstandsbereichen behandelt und Relationen auf parametrisierte Klassifikationen zurückgeführt. Das alles ist rein statisch, so statisch, wie eben die ganze Mathematik statisch ist und als Darstellungssystem idealgenerischer Formen ja auch sein muss. Prozesse gibt es keine. Das heißt, es fehlt jede Logik der Verben und des Tempus, also der Zeit. Und es fehlt jede Logik der Aussage, also der Sprechhandlung, samt dem (auch noch in der Sprechakttheorie Searles nicht genügend analysierten) Kontrast zwischen Sprechakt als
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einzelner Aktualisierung und der generischen Handlungsform mit ihren Normalfallnormen. Geht Hegel in seiner Kant-Kritik nun zu weit, indem er Kants transzendentale Deduktion der Kategorien oder reinen Verstandesbegri=e irgendwie überbieten will? Oder protestiert Hegel nur dagegen, dass Kant seine Kategorien aus dem Satz φ entwickelt, dabei aber das Performative der Aussage unterschätzt und damit die Einheit der Kategorie `ich φ und das nachhaltige Problem subjektiver Gewissheit zugunsten seiner formalen Kategorienliste aus den Augen verliert? »Weil nun so der Vernunft die reine Wesenheit der Dinge, wie ihr Unterschied, angehört, so könnte eigentlich überhaupt nicht mehr von Dingen die Rede sein, d. h. einem solchen, welches für das Bewußtsein nur das Negative seiner selbst wäre. Denn die vielen Kategorien sind Arten der reinen Kategorie, heißt, sie ist noch ihre Gattung oder Wesen, nicht ihnen entgegengesetzt. Aber sie sind schon das Zweideutige, welches zugleich das Anderssein gegen die reine Kategorie in seiner Vielheit an sich hat. Sie widersprechen ihr durch diese Vielheit in der Tat, und die reine Einheit muß sie an sich aufheben, wodurch sie sich als negative Einheit der Unterschiede konstituiert.« (161 | 135)
Hegels Ausdrucksweise ist hier hochgradig obskur. Es geht aber o=enbar um die Frage, wie kategoriale Formen des Aussagens und des Bezugs zu bestimmen sind. Dabei stimmt Hegel Kant zu: Dinge sind nicht einfach die vorgegebenen Referenten im epistemischen Dingbezug. Sie sind vielmehr durch die Möglichkeit der Bezugnahme in ihrer Existenz bestimmt. So kann und sollte man Kants Analyse lesen. In diesem Sinn gehört der Vernunft, also dem vernünftigen Unterscheiden und Nichtunterscheiden, die Wesensbestimmung der Dinge an. Damit sind die »vielen Kategorien« der Dingaussagen »Arten der reinen Kategorie«. Das heißt, dass das wirkliche Sein der Dinge als der Inhalt der als wahr bewerteten Wissensansprüche im Bereich unserer Dingunterscheidungen zu verstehen ist. Und es heißt, dass die vielen Kategorien einen zweideutigen Status im Verhältnis zur
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reinen Kategorie haben: Sie sind erstens als Momente der Bezugnahme auf Welt über die Satzteile von der Gesamtaussage unterschieden. Dennoch müssen sie sich in die »reine Einheit« der Kategorie »aufheben«, also als performative Bezugnahmen deuten lassen. Nur über diesen Vollzug der Bezugnahmen begreifen wir die »negative Einheit der Unterschiede«. Das Performative der Denkform `ich φ schlägt also durch auf alle Teilmomente von φ, auf das Benennen und Prädizieren, das Negieren oder Schließen. Das gilt auch, wenn φ für wahr oder möglich erklärt wird. 236 b
»Als negative Einheit aber schließt sie ebensowohl die Unterschiede als solche sowie jene erste unmittelbare reine Einheit als solche von sich aus; und ist Einzelnheit, eine neue Kategorie, welche ausschließendes Bewußtsein, d. h. dies ist, daß ein anderes für es ist.« (161 | 135)
Die Einzelheit des Urteilens, vollzogen durch die urteilende Person, ist eine ganz andere Kategorie als die Einzelheit eines besprochenen Einzelgegenstandes. Es geht hier also um die allgemeine Kategorie »ich sage, dass φ und dass nicht φ∗ «. Diese Kategorie führt zur Einsicht in die Bedeutung des »ich« und der subjektiven Gewissheit. Ich bin, was zu mir gehört. Damit ist, was zu ihm oder dir gehört, (in gewissem Sinn) von mir ausgeschlossen. Ich bin (insbesondere leiblich) ein Individuum der (›neuen‹) Kategorie der Einzelheit, und zwar gerade auch als ›ausschließendes Bewußtsein‹, also im Kontrast meines Ich-Seins zu deinem Du-Sein und seinem Es-Seins. Du und Es sind je anderes für mich. Max Stirner wird diese Einsicht in die Form der Absolutheit des subjektiven Lebens, Urteilens und Handelns in seinem mit Recht sowohl berühmten als auch berüchtigten Buch Der Einzige und sein Eigentum übernehmen. Auch wenn seine Deutung über die Grenzen des Sinnvollen hinausgeht, wird er zum Vorläufer Nietzsches, um über die lange Auseinandersetzung von Marx mit »Sankt Max« gar nicht weiter zu reden. 236 c
»Die Einzelnheit ist ihr Übergang aus ihrem Begri=e zu einer äußern Realität, das reine Schema, welches ebensowohl Bewußtsein,
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wie damit, daß es Einzelnheit und ausschließendes Eins ist, das Hindeuten auf ein Anderes ist.« (161 | 135)
Gerade meine Einzelheit ist durch die unteilbar-individuelle Leiblichkeit bestimmt. Diese ist die materialbegri=liche Bestimmung des Ich, also je von mir, in meiner äußeren Realität. Das ist das »reine Schema« der Rückbindung jeder realen (also nicht fiktional gemeinten) Äußerung von »ich« an den Leib des Sprechers. Als dieser bin je ich »ebensowohl Bewußtsein« wie »ausschließendes Eins«, auf das ich und andere eben als auf den Leib »hindeuten« und von anderen äußeren Dingen und Lebewesen unterscheiden können. Das bedeutet keineswegs, dass der Bezug von »ich« immer nur mein Leib hier und jetzt wäre. »Aber dies Andere dieser Kategorie sind nur die andern ersten Kategorien, nämlich reine Wesenheit und der reine Unterschied, und in ihr, d. h. eben in dem Gesetztsein des Andern, oder in diesem Andern selbst [ist] das Bewußtsein ebenso es selbst. Jedes dieser verschiedenen Momente verweist auf ein anderes; es kommt aber in ihnen zugleich zu keinem Anderssein.« (161 | 135)
Das Andere (Fichtes Nicht-Ich) dieser Kategorie des Ich(-Seins) sind zunächst »nur die anderen ersten Kategorien« nämlich »reine Wesenheit und der reine Unterschied«, bestimmt durch die Unterscheidungsformen: »er/es ist« und »er/es ist anders (als ich)«. Das Gesetztsein des anderen entstammt dem vollen Urteil der Form (∗) `ich (er/es ist anders (als ich)), oder dann auch (∗∗) `ich (du bist anders (als ich)). Der Satz »in diesem Anderen selbst [ist] das Bewußtsein ebenso es selbst« bedeutet dann, dass die Unterscheidung zwischen mir und einem anderen Sprecher, also dir, zunächst bloß in der Form meines Urteils über dich auftritt, so dass ich dir zunächst bloß gewisse Urteile zuspreche. Damit ist die Kategorie des Du im Wir noch keineswegs voll erkannt oder anerkannt. Denn du als bloße andere Person bist in dieser Form für mich bloß erst Gegenstand. Dem entsprechen die bekannten Überlegungen auch noch bei Husserl und Carnap, wie denn aus einer
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cartesischen Ich-Perspektive heraus das Fremdpsychische zu beweisen sei. Die Frage ist natürlich falsch gestellt, da es ein Ich nur im Kontrast zum Du gibt. Hier aber haben wir sozusagen noch nicht die Mittel, sie zu beantworten. Denn wir diskutieren im Vernunftkapitel bloß erst die Formen unserer Selbst- und Welt-Gewissheiten aus der (freilich schon allgemeinen, generischen) Perspektive der ersten Person. In diesem Sinn kommt es hier wegen der Abhängigkeit der bisherigen Überlegung vom transzendentalen Ich, also dem performativen Kontext aus der generischen Ich-Perspektive, noch nicht zu einem vollen »Anderssein«. Denn es wird von allen realen Beziehungen zu Dir und Uns abgesehen. Daher finden wir bei Kant auch keine Analyse der Unabhängigkeit der anderen Personen in ihren völlig gleichwertigen Urteilen. 236 e
»Die reine Kategorie verweist auf die Arten, welche in die negative Kategorie oder die Einzelnheit übergehen; die letztere weist aber auf jene zurück; sie ist selbst reines Bewußtsein, welches in jeder sich diese klare Einheit mit sich bleibt, eine Einheit aber, die ebenso auf ein anderes hingewiesen wird, das, indem es ist, verschwunden und, indem es verschwunden, auch wieder erzeugt ist.« (161 | 135)
Am besten liest man den Ausdruck »die negative Kategorie« als Kategorie ›des je anderen‹, und zwar in meiner ›Binnendi=erenzierung‹ zwischen ›mir als Einzelnem‹ und ›dem anderen als Einzelnem‹. Das alles bleibt zunächst abhängig von der Form des ›reinen Bewußtseins‹, nämlich im Urteil (∗ ∗ ∗) `ich (ich 6= du), das o=enbar nur eine Notionsvariante von (∗∗) ist. Interessant ist dann noch die Ausdrucksform »wir sind verschieden«, mit der ich (∗ ∗ ∗) ebenfalls artikulieren könnte. Die schwierige Phrase, nach welcher für das andere in meinem Urteil gilt, dass es, »indem es ist, verschwunden und, indem es verschwunden, auch wieder erzeugt ist«, bedeutet dann, dass die Binnenanerkennung des Unterschiedes zwischen meiner Welt und der Welt jenseits des Ich (etwa deiner Welt) hier noch nicht artikulierbar ist. Das erklärt die Nähe zum subjektiven Idealis-
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mus Berkeleys, wie sie noch bei Hume, Kant oder dem frühen Wittgenstein zu spüren ist. »Wir sehen hier das reine Bewußtsein auf eine gedoppelte Weise gesetzt, einmal als das unruhige Hin- und Hergehen, welches alle seine Momente durchläuft, in ihnen das Anderssein vorschweben hat, das im Erfassen sich aufhebt; das andremal vielmehr als die ruhige, ihrer Wahrheit gewisse Einheit. Für diese Einheit ist jene Bewegung das Andere, für diese Bewegung aber jene ruhige Einheit; und Bewußtsein und Gegenstand wechseln in diesen gegenseitigen Bestimmungen ab. Das Bewußtsein ist sich also einmal das hin- und hergehende Suchen und sein Gegenstand das reine Ansich und Wesen; das andremal ist sich jenes die einfache Kategorie und der Gegenstand die Bewegung der Unterschiede. Das Bewußtsein aber als Wesen ist dieser ganze Verlauf selbst, aus sich als einfacher Kategorie in die Einzelnheit und den Gegenstand überzugehen und an diesem diesen Verlauf anzuschauen, ihn als einen unterschiedenen aufzuheben, sich zuzueignen, und sich als diese Gewißheit [sic!, PSW], alle Realität, sowohl es selbst als sein Gegenstand zu sein, auszusprechen.« (161 f. | 136)
In der eigenen Unterscheidung zwischen mir und allem anderen gehen wir sozusagen unruhig hin und her zwischen dem Gedanken, dass die objektive Welt doch immer bloß unsere Welt ist, und dem Gedanken, dass sie uns in ihrer Objektivität entgegensteht. Diesem Schwanken steht hinwiederum die ruhige Gewissheit der Wahrheit des Idealismus gegenüber, nämlich dass sich alles Wahre in unserem Vollzug des Seins und Lebens zeigt bzw. dort zu zeigen ist. In der Reflexion auf das Wissen von der Welt erscheinen unsere Wissensansprüche einmal als »das hin- und hergehende Suchen und sein Gegenstand das reine Ansich und Wesen«, das andere Mal als »einfache Kategorie« `ich φ oder selbstgewisse Anerkennung des Urteilsinhalts φ. Der Gegenstand der Bewertung als wahr ist dann die ganze »Bewegung der Unterschiede«. Eben das haben wir ja gesehen: Die mögliche Entgegensetzung von Schein und Sein hört auf keiner Reflexionsstufe einfach auf, so wie die Selbstbewertung der Akkuratheit meines Regelverständnisses
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und der Richtigkeit der Regelbefolgung auf keiner Meta-Ebene objektiv aufhört, sondern nur in einer subjektiven Selbstgewissheit zur Ruhe kommt. Damit erschließt sich der schwierige logische Gehalt der Aussage, dass das Bewusstsein »dieser ganze Verlauf selbst« ist, »aus sich als einfacher Kategorie in die Einzelheit und den Gegenstand überzugehen«, »diesen Verlauf anzuschauen, . . . sich zuzueignen, und sich als diese Gewißheit, alle Realität, sowohl es selbst als sein Gegenstand zu sein, auszusprechen.« Man beachte aber, dass es hier bloß um eine Vorführung der logischen Gründe geht, die für die Position des Idealismus, sogar Solipsismus sprechen, etwa die Position Max Stirners. Hegel wird sich weiterhin klar von dieser Position distanzieren. 238 a
»Sein erstes Aussprechen ist nur dieses abstrakte leere Wort, daß alles sein ist. Denn die Gewißheit, alle Realität zu sein, ist erst die reine Kategorie. Diese erste im Gegenstande sich erkennende Vernunft [man denke z. B. an den Nous des Anaxagoras oder dann schon auch an den homo-mensura-Satz des Protagoras, PSW] drückt der leere Idealismus aus, welcher die Vernunft nur so auffaßt, wie sie sich zunächst ist, und darin, daß er in allem Sein dieses reine Mein des Bewußtseins aufzeigt [sic!, PSW] und die Dinge als Empfindungen oder Vorstellungen ausspricht, es als vollendete Realität aufgezeigt zu haben wähnt. Er muß darum zugleich absoluter Empirismus sein [sic!, PSW], denn für die Erfüllung des leeren Meins, d. h. für den Unterschied und alle Entwicklung und Gestaltung desselben, bedarf seine Vernunft eines fremden Anstoßes, in welchem erst die Mannigfaltigkeit des Empfindens oder Vorstellens liege.« (162 | 136)
Die Spekulationen der Seinsphilosophie des Parmenides betre=en das leere Sein, die reine Form des »es ist (so)«. Die reine Vernunft des Anaxagoras ist nicht weniger abstrakt und formal. 238 b
»Dieser Idealismus wird daher eine ebensolche sich widersprechende Doppelsinnigkeit als der Skeptizismus [das ist die Entwicklung von Berkeley zu Hume, PSW], nur daß, wie dieser sich negativ, jener sich positiv ausdrückt, aber ebensowenig seine widersprechenden Gedanken des reinen Bewußtseins als aller Realität und ebenso des fremden Anstoßes oder des sinnlichen Empfindens und Vorstellens als einer
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gleichen Realität zusammenbringt, sondern von dem einen zu dem andern sich herüber und hinüberwirft und in die schlechte, nämlich in die sinnliche Unendlichkeit geraten ist. Indem die Vernunft alle Realität in der Bedeutung des abstrakten Mein, und das Andere ihm ein gleichgültiges Fremdes ist, so ist darin gerade dasjenige Wissen der Vernunft von einem Andern gesetzt, welches als Meinen, Wahrnehmen und der das Gemeinte und Wahrgenommene auffassende Verstand vorkam. Ein solches Wissen wird zugleich, nicht wahres Wissen zu sein, durch den Begri= dieses Idealismus selbst behauptet; denn nur die Einheit der Apperzeption [ jetzt ist ganz o=enbar Kant im Spiel, PSW] ist die Wahrheit des Wissens.« (162 f. | 136)
Die Aporie sowohl des Empirismus als auch der Transzendentalphilosophie Kants ergibt sich gerade daraus, dass zunächst alles Sein in die Wahrnehmung, Meinung und Gewissheit der Einzelperson gelegt wird. Das Subjekt wird also zum Maß aller Dinge erklärt. Ob es sie gibt oder nicht, soll rein empirisch in der Sinnesempfindung entschieden werden. Zugleich aber soll das subjektive Wissen, also die Gewissheit, doch nicht wahres Wissen sein. Denn »die Einheit der Apperzeption« verlangt, dass das Wahrnehmungsurteil nicht bloß wahr zu sein scheint, sondern wahr ist. Wie ist aber das Verhältnis zwischen der Aussage, dem ›Ist‹, und dem, was die Aussage sagt, der Wirklichkeit oder Welt, zu verstehen? Eine erste Antwort gibt der ›leere‹ linguistische Idealismus. Diesem zufolge bedeutet eine Aussage der Form ›es ist wahr, dass φ‹ dasselbe wie ›φ‹ und das bedeutet zunächst einfach, dass der jeweilige Sprecher ›φ‹ zu sagen beliebt. Es wird dabei die Vernunft oder das Urteilen nur so aufgefasst, wie sie sich selbst zunächst erscheint, nämlich als reine Versicherung oder Meinung des Sprechers. Mancher meint sogar, es ginge dabei um einen Bericht dazu, was er als Subjekt empfindet, also in sich findet oder was er sich imaginativ vorstellt. Dabei müsste er seine Einfälle wohl erst noch dem Filter der Kontrolle normativer Richtigkeit unterziehen. Gerade in seiner Selbstgewissheit meint ein Sprecher allzu häufig, seine Meinung repräsentiere schon die ›vollendete Realität‹. Die Formel, dass die Welt mei-
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ne Welt sei, wird in dieser Haltung zur Formel des vollendeten Subjektivismus. Zu diesem gehören sowohl der ›metaphysische Solipsismus‹ Berkeleys, als auch jeder empiristische Solipsismus und ›Skeptizismus‹ wie der Humes. Der empiristische Idealist wähnt nur, etwas zu wissen. Der Skeptizist verzweifelt am Begri= des Wissens. In Wirklichkeit benehmen sich beide in ihrer Subjektivität wie ein Tier, dem sich alles Reale auf das reduziert, was ihm gerade empfindend zugänglich ist. Die bekannte Kritik am absoluten Empirismus Russells oder des frühen Carnap beim späteren Wittgenstein, die im Grunde wesentlich Selbstkritik ist, wiederholt der Form nach Hegels Argument: Der empiristische Solipsist meint, die Erfüllung seiner Urteilsbedingungen läge im ›Gegebenen‹, das heißt, in der ihm als Empfindungswesen zugänglichen ›Mannigfaltigkeit des Empfindens und Vorstellens‹. Instabil ist der Empirismus, weil er notorisch zwischen einem skeptizistischen Sinnesdatenempirismus und einem dogmatischen Physikalismus schwankt, was sich bei Russell, Carnap und Quine im 20. Jahrhundert sichtbar wiederholt. Der Empirismus stürzt sozusagen in die schlechte sinnliche Unendlichkeit von Empfindungen und ein subjektives bzw. ›intuitives‹ Aussagen ab. Eine andere ›Wahrheit‹ als die des unmittelbaren Scheins gibt es nicht mehr. Die ›Ursachen‹ des Gegebenen, der Sinnesempfindungen, werden mystifiziert. Humes Skeptizismus unterstellt eine Transzendenz der Welt der Ursachen und ist eben damit zugleich ein impliziter ontologischer Dogmatismus. Hume ist der Philosoph des 20. Jahrhunderts. Die Konstitution der Erklärungen gemeinsam kontrollierter Erscheinungen durch Formen ›des Verstandes‹ wird dabei noch nicht begri=en. Es bedeutet nun eine explizite Anerkennung der Leistung von Kants kritischer Philosophie, dass Hegel an die ›Einheit der Apperzeption‹ als der ›Wahrheit des Wissens‹ in Bezug auf die real wahrgenommenen Sachlagen und Dinge der Welt erinnert. Es sind also die Fehldeutungen des (subjektiven) Idealismus Berkeleys und des bloß behavioralen, regularistischen, nur scheinbar pragma-
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tisch-handlungstheoretischen Skeptizismus Humes abzuwehren. Und es ist Kants kritische Philosophie kritisch fortzuführen. »Die reine Vernunft dieses Idealismus wird also durch sich selbst, um zu diesem Andern, das ihr wesentlich, d. h. also das Ansich ist, das sie aber nicht in ihr selbst hat, zu gelangen, an dasjenige Wissen zurückgeschickt, das nicht ein Wissen des Wahren ist; sie verurteilt sich so mit Wissen und Willen zu einem unwahren Wissen und kann vom Meinen und Wahrnehmen, die für sie selbst keine Wahrheit haben, nicht ablassen. Sie befindet sich in unmittelbarem Widerspruche, ein gedoppeltes schlechthin Entgegengesetztes als das Wesen zu behaupten, die Einheit der Apperzeption und ebenso das Ding, welches, wenn es auch fremder Anstoß oder empirisches Wesen oder Sinnlichkeit oder das Ding an sich genannt wird, in seinem Begri=e dasselbe jener Einheit Fremde bleibt.« (163 | 136 f.)
Wenn Fichte von der transzendentalen Voraussetzung einer gewissen Absolutheit des Ich ausgeht, ist an diesem subjektiven Individualismus des Sinnverstehens und Intentionalismus des Meinens die begri=liche Selbstverständlichkeit zu verteidigen, dass es zu jedem realen Urteil einen konkreten Sprecher gibt, der für die Richtigkeit der Aussage bzw. seiner Sprechhandlung einsteht, und das ho=entlich ehrlich und in angemessener Akkuratheit oder reflektierter Selbstkontrolle. Falsch ist die Unterstellung, es seien damit auch schon die Inhalte und Geltungskriterien klar. Es wird insbesondere die unendliche Möglichkeit übersehen, jedes Urteil und Meta-Urteil von sich und von anderen kritisch infrage zu stellen, eine Möglichkeit, die der griechische Skeptizismus klar gesehen hat, aber dann freilich die falsche Folgerung zieht, sich jedes Urteils zu enthalten. Das geschah, wie wir gesehen haben, nicht im Streben nach Wahrheit, sondern aus Angst vor ihr und aus Rechthaberei: Zugunsten der eigenen Gewissheit wird auf den ewigen Streit in Geltungskontrollen verzichtet. Der empiristische Skeptiker zieht sich auf sich zurück und verwechselt Autismus mit Autonomie. Die reine Vernunft des kantischen Idealismus und sein transzendentales Ich geraten ebenfalls in das Problem, dass alle ihre
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Urteile zunächst bloße Gewissheiten und Versicherungen sind. Der Bezug auf etwas anderes, das Fichte als »Nicht-Ich« bezeichnet, ist zunächst bloß gewissheitsintern, geht bloß auf Erscheinungen. Kann das aber schon als ein »Wissen des Wahren« gelten? Die Identifikation von Gewissheit mit Wissen von Descartes über Hume bis Kant »verurteilt« das Wissen »zu einem unwahren Wissen und kann vom Meinen und Wahrnehmen, das für sie selbst keine Wahrheit hat, nicht ablassen«. In der Tat ist der Schluss von (1) »ich bin mir absolut gewiss, dass p« zu (2) »der Inhalt von p kann als ein wahres Wissen gelten« nur im Skopus der Sprechergewissheit gültig, und das auch nur, weil »ich weiß, das p« inhaltlich gar nichts anderes sagt, als »ich bin mir gewiss, dass p«. Die Aussageform (2) ist nun gerade deswegen zweideutig, weil das »ich« und damit die Explikation des Skopus des Sprechers im Ausdruck getilgt ist. Daher kann (2) auch von dir, ihm oder uns allen ausgesagt werden, womit sich aber der Charakter der Aussage verändert. Denn meine oder unsere Anerkennung deiner Gewissheit als ein zureichendes (wahres) Wissen ist wesentlich etwas anderes als bloß deine Versicherung. Oder von mir her gesagt: Wenn man meine Gewissheiten als zielführend und wahr anerkennt, ist das etwas anderes, als wenn ich bloß auf ihnen beharre, so ehrlich und akkurat ich die Erfüllung von Geltungsbedingungen aus meiner Sicht auch überprüft zu haben glaube. Die Di=erenz ist so groß wie die zwischen meiner Versicherung, dass man so und so urteilt, und der Tatsache, dass man wirklich so urteilt. Hinzu kommt der Widerspruch zwischen der Einheit der Apperzeption im Sinne eines im Denken kontrollierten Weltbezugs mit begri=lich gefassten Erfüllungsbedingungen auf der einen Seite, der Vorstellung, das Ding bzw. die Dingwelt verursache die Perzeption und Wahrnehmung, auf der anderen Seite. Hegel diagnostiziert diese Spannung leider bloß in nominaler Form. Er spricht von einem fremden Anstoß und der unklaren Unterscheidung zwischen dem empirischen Wesen der Ding-Erscheinungen in der Sinnlichkeit und dem, was das Ding an sich genannt wird. Immerhin sagt er, und das ist ebenso tief wie korrekt, dass in
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Kants Analyse die Welt an sich und die Ermäßigungswahrheiten der Erscheinungen sozusagen per definitionem auf ewig getrennt bleiben, was aber nur heißt, dass der Realbegri= des Wissens und der der Wahrheit gerade nicht schon im Kontrast zu Gewissheit und Glauben begri=en sind. Damit scheitert Kants Transzendentalphilosophie an zentraler Stelle, und das auf unbezweifelbare Weise. Wie tief das Problem ist, sieht man daran, dass bis heute der Kontrast zwischen Wissen und Gewissheit nicht begri=en ist und die Aussageform »ich weiß, dass φ« als Form des Wissens und nicht bloß der Gewissheit gedeutet wird. »Dieser Idealismus ist in diesem Widerspruche, weil er den abstrakten Begri= der Vernunft [aus einer bloß generischen Perspektive des transzendentalen Ich, Man oder Wir, PSW] als das Wahre behauptet; daher ihm unmittelbar ebensosehr die Realität als eine solche entsteht, welche vielmehr nicht die Realität der Vernunft ist, während die Vernunft zugleich alle Realität sein sollte; diese bleibt ein unruhiges Suchen, welches in dem Suchen selbst die Befriedigung des Findens für schlechthin unmöglich erklärt. – So inkonsequent aber ist die wirkliche Vernunft nicht; sondern nur erst die Gewißheit [sic!, PSW], alle Realität zu sein, ist sie in diesem Begri=e sich bewußt, als Gewißheit, als Ich [sic!, PSW] noch nicht die Realität in Wahrheit [sic!, PSW] zu sein, und ist getrieben, ihre Gewißheit zur Wahrheit zu erheben und das leere Mein [sic!, PSW] zu erfüllen.« (163 | 137)
Hegels relativ einfacher argumentativer Schachzug, mit dem er alle subjektiven Idealismen Matt setzt, ist einfach dieser: Während es durchaus richtig ist, in der logischen Reflexion auf die Begri=e der Wahrheit und Wirklichkeit von unseren Beurteilungen auszugehen, also mit unseren zunächst selbstgewissen Behauptungen bzw. Geltungsansprüchen, deren expressiven Betonungen als korrekt, richtig oder wahr und deren expliziten Bewertungen wieder als wahr zu beginnen, wäre es absurd, bei der unmittelbaren Selbstgewissheit der spontanen Performation von Aussagen stehen zu bleiben. Dass der Ausgangspunkt richtig ist, das zeigt die Absolutheit des ›ich denke‹ im Vollzug. Es handelt sich um die transzendentale Apperzeption, wenn man sie richtig versteht,
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nämlich als (mögliche) Begleitung jeder (bestimmten) Vorstellung (auch jeder Wahrnehmung) durch ein Urteil der Form `ich φ. Doch wir können unsere individuelle oder konsensuelle Gewissheit nicht schon selbst zum Wahrheits- oder Geltungskriterium machen. Am Ende wäre dann alles das wahr oder richtig, was uns als wahr oder richtig erscheint, von dem wir also bloß meinen, dass es wahr oder richtig sei. Die einzige Kontrolle, die Kant anbietet, ist die Kontrolle innerer Kohärenz. Kontrolliert wird nur, ob ich mir implizit widerspreche. Aber gerade so kollabiert der Kontrast zwischen einem (bloß begri=lichen Konsistenzbedingungen unterworfenen) Glauben und einem Wissen. Die Folge des Kantianismus ist ein Agnostizismus, den ein philosphischer Dilettant wie Lenin o=enbar klarer gesehen hat als alle Kant-Experten in ihrer Kant-Begeisterung. In Wahrheit geht es um allgemein als erfüllt zu wertende Inhalte. Das geht über das bloße ›leere Meinen‹ hinaus. Es heißt auch, dass subjektive Befriedigungen noch nicht ausreichen für die Erfüllungen der objektiven Bedingungen der Inhalte. Damit wird der zentrale Unterschied weiter zu diskutieren sein zwischen Gewissheit und Wissen, zwischen Meinungsinhalt und seiner Wahrheit, auch zwischen Möglichkeiten als abstrakten Redegegenständen an sich und wirklichen Dingen, Tatsachen und Taten. Es geht darum, einen konkreten Begri= des realen Wissens mit weltbezogenen Erfüllungsbedingungen im Kontrast zu einem bloßen Glauben und selbstgewissen Meinen zu entwickeln, über die abstrakte Reflexionsform idealer Wahrheit und einer bloß formalen Unterscheidung zwischen Gewissheit und Wissen hinaus. Insbesondere dürfen die Ebenen nicht verwechselt werden. So wie es keine idealen Kreise in der realen Welt gibt, so auch kein ideales Wissen. Das aber heißt nur, dass reales, bürgerliches, Wissen, wie reale Kreise, kategorial anders verfasst sind als die abstrakten Reflexionsgegenstände der reinen Logik bzw. der reinen Geometrie.
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A. Beobachtende Vernunft 28. Leibbezug als Dingbezug »Dieses Bewußtsein, welchem das Sein die Bedeutung des Seinen hat, sehen wir nun zwar wieder in das Meinen und Wahrnehmen hineingehen, aber nicht als in die Gewißheit eines nur Andern, sondern mit der Gewißheit, dies andere selbst zu sein.« (164 | 137)
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Es ist von einiger Bedeutung, Hegel nicht als subjektiven Idealisten, Konstruktivisten oder Empiristen zu lesen. Ein solcher meint, dass die Welt sozusagen dasselbe ist, was je meine Welt ist, und dass nur das existiert, was je ich oder je wir als existent anerkennen. Hegel anerkennt zwar die absolute Position von je mir qua Subjekt. Es gibt keine Aussage ohne Sprecher. Es gibt keinen Wert ohne Wertung. Es gibt keinen Unterschied ohne Unterscheidung. Aber Hegel wird die überzogene Position der ›Vernunft‹ als falsche Verabsolutierung des Einzelsubjekts gerade in diesem Kapitel kritisieren. Es ist also nicht Hegels These, dass alles Sein die Bedeutung des Meinen habe im Sinn des je von mir Gedachten oder Wahrgenommenen. Dennoch ist zu klären, was es heißt, das Folgende zu sagen: Alles, von dem wir mit Recht sagen können, dass es existiert oder wahr ist, ist begleitet durch die Gewissheit, dass darin immer auch ein Selbstwissen zum Ausdruck kommt. Die Gegenstände des Wissens, auch die Tatsachen der Welt, sind daher nicht einfach etwas anderes, als das, was wir selbst sind. Jeder Weltbezug ist immer auch Teil eines Selbstbezugs. Und jeder Selbstbezug enthält einen mannigfachen Weltbezug. »Früher ist es ihm nur geschehen, manches an dem Dinge wahrzunehmen und zu erfahren; hier stellt es die Beobachtungen und die Erfahrung selbst an.« (164 | 137)
Es war die Betrachtung des Menschen oder der Menschen aus bloß beschreibender oder erklärender Perspektive gewesen, derzufolge die Empfindungen als Gegebenes erschienen und wir angeblich kausal auf externe Ursachen reagieren. Diese Betrachtung ›sideways on‹ haben wir jetzt durchschaut und überwunden.
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Jetzt wissen wir, was der Mangel dieses objektivistischen oder naturalistischen bzw. ambivalent-empiristischen Zugangs zur conditio humana im Allgemeinen, zum Begri= des menschlichen Wissens und Denkens im Besonderen ist: Es wurde bzw. wird ohne Selbstkontrolle davon abgesehen, dass jedes Urteil über die Welt, auch jedes Urteil über uns selbst, immer ein (spontanes) Handeln ist und nicht einfach ein (rezeptives) Widerfahrnis. Sowohl der sensualistische als auch der physikalistische Empirismus sind in ihrem Status unverstandene Theorien subjektiven Empfindens. Jetzt geht es darum, die aktive Tätigkeit im begri=lichen Erfassen des Wahrgenommenen beim Beobachten in das Zentrum der Reflexion zu stellen – womit der Erfahrungsbegri= in Di=erenz zu jeder bloß passiven Reaktion auf vermeintliche Sinnesdaten und in Abhebung von bloßen durch äußere Ursachen hervorgebrachten Wirkungen allererst begreifbar wird. 240 c
»Meinen und Wahrnehmen, das für uns früher sich aufgehoben, wird nun von dem Bewußtsein für es selbst aufgehoben; die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wissen, was für das Meinen und Wahrnehmen ein Ding ist, als Begri= zu finden, d. h. in der Dingheit nur das Bewußtsein ihrer selbst zu haben.« (164 | 137)
Dem Empirismus erscheint alles Meinen und Wahrnehmen als ein passives Geschehen, das der empiristische Theoretiker in völliger Selbstvergessenheit scheinbar objektiv beschreiben bzw. erklären möchte. ›Wir‹ haben dieses für uns aufgehoben. Das heißt, in den ersten vier Kapiteln wurde dies kritisiert und eine richtige Analyse der Verhältnisse vorgelegt. Dass es nun von dem Bewusstsein für es selbst aufgehoben wird, bedeutet, dass unsere Analyse sich von den noch relativ naiven Vorstellungen eines Locke oder Hume und deren Nachfolgern bis Carnap oder Quine über die Grundlagen des Wissens in die Richtung der schon viel anspruchsvolleren, weil selbstbewussteren, Vernunftphilosophie Kants bewegt. Denn jetzt geht es darum zu wissen und zu begreifen, was unsere eigene, reflexionslogische, Rede über Wahrheit und Realität, Wirklichkeit und Erfahrung überhaupt bedeutet. Im naiven Empirismus, auch mit der formallogischen Hochrüstung
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des 20. Jahrhunderts nach Russell, war das bloß präsuppositional unterstellt geblieben. Es geht, wie gerade auch Wilfrid Sellars sieht, um die Einsicht in das Begri=liche und Spontane, damit den gemeinsamen Handlungscharakter und die impliziten Kooperationsformen in unseren Welt- und Dingbegri=en und unserem Welt- und Dingbezug. Die Rede von der Dingheit meint dabei die Konstitutionsform eines möglichen bzw. erfolgreichen Dingbezugs. Kant erkennt immerhin schon, dass diese Dingheit keine unmittelbare Eigenschaft der Dinge sein kann, sondern relational auf unseren epistemischen Zugang zur Welt und die von uns implizit mitgesetzten Erfüllungs- oder Geltungsbedingungen zu begreifen ist. Hegel erkennt, dass Kants System als erster Schritt einer Entwicklung der Einsicht in unsere und dabei nicht etwa bloß meine Vollzugsform in jedem möglichen bzw. wirklichen (d. h. als geglückt zu wertenden) Dingbezug zu deuten ist. »Die Vernunft hat daher itzt ein allgemeines Interesse an der Welt, weil sie die Gewißheit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder daß die Gegenwart vernünftig ist [sic!, PSW].« (164 | 137)
Die Gegenwart ist nicht in allem vernünftig. Die meisten Leser Hegels tun sich schwer, die logische Form spekulativer Sätze zu begreifen. Das sind solche Sätze, die unter Verwendung von Nominalisierungen wie »die Vernunft« oder »die Gegenwart« etwas zur Form eines vernünftigen Selbstverständnisses über unseren wissenden Weltbezug sagen. Dabei wissen wir, wenn wir nur hinreichend nachdenken, ganz genau, wie solche Nominalisierungen im Sprechmodus des Singulare Tantum zu verstehen sind. So spricht der Satz, dass der Wille frei sei, nicht, wie man bis heute fälschlicherweise meint, über eine Kraft in einem mystifizierten Innern, sondern über den freien Prozess der Handlungsplanung im Überlegen, was zu tun ist, im Kontrast zu passiven Reaktionen auf fremde Ursachen. Es geht darum, dass Handlungen als »frei« zu beurteilen sind. Bloße Widerfahrnisse aber begründen wie äußerer Zwang den Gebrauch des Wertungswortes »unfrei«. Entsprechend geht es auch um den Kontrast zwischen einem
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bewussten Verhalten, im (Mit-)Wissen um die Form(en) und Norm(en) des rechten Tuns auf der einen Seite, einem unbewussten Benehmen ohne weitere Selbst-Kontrolle auf der anderen Seite. Die Wörter haben, wie Hegel ganz allgemein weiß, nur im Allgemeinen und in einem je nach Kontext besonders zu spezifizierenden Kontrast ihren Sinn. Daher ist der Wunsch nach universal-schematischen oder auch formal-logischen Definitionen von Freiheit und Bewusstsein erstens sinnlos und zweitens schon ein Zeichen eines naiven, unaufgeklärten, Verständnisses von sprachlicher Bedeutung und begri=lichem Inhalt. Die Rede von der Handlungsfreiheit bzw. einer Willkür des Kürwillens spricht über die Wahlfreiheit und daher über die möglicherweise willkürlichen Einzelentscheidungen im Tun. Hegel ist sich der Logik dieser Reflexionsaussagen völlig bewusst. Er kommentiert sie selbst, während seine Leser im Allgemeinen noch nicht einmal bemerken, wo er in seinen Ausdrucksformen in ironische Distanz zum wörtlich Gesagten geht, oder wie er Metaphern, Analogien, Metonymien und andere figurative Redeformen in seinen logischen Reflexionen nicht zuletzt auch aus artikulationspraktischen und mnemotechnischen Gründen gebraucht, wo er sie selbst thematisiert und ihr rechtes Verständnis von irreführenden Deutungen abzuheben versucht. Insgesamt krankt die übliche Rezeption an einem Mangel an Einsicht in die Tatsache, dass es überhaupt keine logische Analyse gibt, die nicht selbst schon Gebrauch macht von figurativen Ausdrucksformen, etwa von metaphorischen Modellbildungen oder auch Metonymien. Man denke etwa an Freges Reden von der Sättigung eines Begri=s oder an alle Vorstellungen von einer logischen Tiefenstruktur. Eine Erinnerung an Platons Einsicht, dass alle logischen und begri=lichen Analysen eidetisch, also im weitesten Sinne metaphorisch sind, und an seinen dialektischen Umgang mit der sokratischen Ironie würde gerade auch heute und nicht nur der Philosophie gut tun. Diese Ironie ist in gewissem Sinn notwendig gerade angesichts der absoluten ›Freiheit‹ des Urteilens und damit des Verstehens bzw. Missverstehens von
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Inhalten. Denn gegen den, der nicht frei an einer gemeinsamen Praxis des Urteilens teilnehmen will, hilft nur die dialektische Ironie. Das ist deswegen so, weil man an ihr frei, mit Vorwissen und Urteilskraft, teilnehmen, und dies auch wollen muss. Andernfalls schließt man sich selbst als vernunftresistent aus dem Kreis der Angesprochenen aus. Eben das tun interessanterweise auch alle diejenigen, die den Vorwurf des Kannitverstan gegen freie Überlegungen erheben. Das Argument »ich verstehe das nicht« wird dabei nicht in seiner Ambivalenz begri=en, sondern als unmittelbare Kritik am Sprecher ausgelegt. Man meint, diesen dafür kritisieren zu können, dass die einzelne Person sich noch nicht gezwungen fühlt, das Gesagte als wenigstens interessant, wenn nicht richtig anzuerkennen. In freier Rede und Argumentation kann es nie einen derartigen Zwang geben. Es gibt nur Versuche zu verstehen. Hauptursache dafür, dass man das nicht sieht, ist die falsche Meinung, wenigstens im mathematischen Beweisen gäbe es solche Zwänge oder Notwendigkeiten. Doch auch hier sind diese bloß relativ zu einem gemeinsamen freien Verstehen und Können. Übrigens ergibt sich die scheinbare Härte von Hegels Kritik aus dem berechtigten Bemühen, die relevanten Kontraste deutlich hervortreten zu lassen. Da es ihm dabei nie um eine Kritik an Personen geht, tilgt er alle Namen – so dass wir Leser es sind, welche eine Kritik als Kritik an Fichte, Kant, Hume oder Locke deuten, was auch ich hier tue, jetzt aber, um die Argumentationsbezüge klarer zu machen, nicht etwa deswegen, weil es mir um eine Kritik der Personen geht. Daher stehen die Personennamen hier nicht etwa für alles, was diese Autoren je gesagt oder geschrieben haben, sondern für zentrale Einsichten oder Irrtümer. Der Ausdruck »die Vernunft« steht o=enbar für »das vernünftige Selbstbewusstsein«. Ein Satz der Art, dass die Vernunft ein Interesse an der Welt habe, ist jetzt einfach zu verstehen. Wer selbstbewusst und vernünftig urteilen und schließen möchte, nimmt immer schon erkenntnisinteressiert in der Gegenwart an einem allgemeinen Weltwissen und einer vernünftigen Reflexion auf das Weltwissen teil. Der cartesische Neubeginn kritisch reflek-
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tierender Philosophie untermauert dazu die Gewissheit, dass alles vernünftige Urteilen und Schließen performativ in der Gegenwart zentriert bleibt. 240 e
»Sie [die Vernunft, PSW] sucht ihr Anderes, indem sie weiß, daran nichts anderes als sich selbst zu besitzen; sie sucht nur ihre eigne Unendlichkeit.« (164 | 137)
Besonders wenn spekulative Ausdrucksformen auch religiöse oder theologische Konnotationen haben, sind sie für heutige Leser schwer aufzuschlüsseln. Dabei gibt es durchaus ein allgemeines Entschlüsselungsverfahren. Man muss dazu nur wissen, dass jede Rede über einen Ideen-Himmel oder eine Unendlichkeit als Rede im Modus idealer Reflexion zu begreifen ist. Paradigma ist wieder das System der reinen Formen der idealen Geometrie. Wenn wir die Konstitutionsformen und Anwendungsbedingungen der Reden über abstrakt-ideale Gegenstände auf die wirkliche Welt mitberücksichtigen, wissen wir, in welchem Sinn wir hier nicht über eine transzendente Hinterwelt sprechen. Umgekehrt gilt aber auch: Wer etwas über die logische Form begri=lichen Weltbezugs wissen will, sucht die eigene Unendlichkeit, wie Hegel sagt. Er interessiert sich dann für eine relativ situationsinvariante, nicht bloß empirische Form der Teilhabe am Weltwissen. 241 a
»Zuerst sich in der Wirklichkeit nur ahndend, oder sie nur als das ihrige überhaupt wissend, schreitet sie [die Vernunft, PSW] in diesem Sinne zur allgemeinen Besitznehmung des ihr versicherten Eigentums und pflanzt auf alle Höhen und in alle Tiefen das Zeichen ihrer Souveränität. Aber dieses oberflächliche Mein ist nicht ihr letztes Interesse; die Freude dieser allgemeinen Besitznehmung findet an ihrem Eigentume noch das fremde Andre, das die abstrakte Vernunft nicht an ihr selbst hat. Die Vernunft ahndet sich als ein tieferes Wesen, denn das reine Ich ist und muß fodern, daß der Unterschied, das mannigfaltige Sein, ihm als das seinige selbst werde, daß es sich als die Wirklichkeit anschaue [sic!, PSW] und sich als Gestalt und Ding gegenwärtig finde [sic!, PSW].« (164 | 137 f.)
Man übersehe nicht die ironische Distanz zu den Eroberungsgesten der Vernunft. Die ahnende Selbstgewissheit ›der Vernunft‹,
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dass alle Realität und Wirklichkeit im Rahmen vernünftigen Urteilens zu begreifen ist, reicht natürlich nicht aus. Wir wollen wissen, was an diesem vernünftigen Urteilen und Schließen das unsere ist – und was in unserem Eigenen des Lebens, Urteilens und Handelns im Vollzug immer auch als ›fremdes Andere‹ aufzusuchen und zu finden ist. Dabei ahnt ›die Vernunft‹ auch schon, dass das subjektive Denken gerade nicht autonom ist, sondern ›sich selbst‹ zu objektivieren hat. Es geht jetzt also um die Wirklichkeit der Vernunft, nicht bloß um die allgemeine Einsicht, dass in allem Urteilen normative Kriterien des Vernünftigen und Richtigen irgendwie schon transzendentalsemantisch vorausgesetzt werden. In jeder konkreten Selbstreflexion müssen wir uns nun zunächst in unserer Leiblichkeit beobachten. Eine solche Selbstbeobachtung ist in der Tat ein wichtiges Moment in der Entwicklung von Selbstbewusstsein. »Aber wenn die Vernunft alle Eingeweide der Dinge durchwühlt, und ihnen alle Adern ö=net, daß sie sich daraus entgegenspringen möge, so wird sie nicht zu diesem Glücke gelangen, sondern muß an ihr selbst vorher sich vollendet haben, um dann ihre Vollendung erfahren zu können.« (164 | 138)
Indem ›die Vernunft‹, also wir, wenn wir uns selbst in unserer Vernunft thematisieren, ›die Adern ö=nen‹ und ins Innere von Kopf und Körper blicken, werden wir ›die Vernunft‹ nicht finden. Denn ›die Vernunft‹ ist kein Besitztum einzelnen Lebens, schon gar nichts Inneres im Leib. Die Rede vom Inneren ist bloße Metapher, nicht anders als die Metapher Hegels vom ›Glück‹ der Selbstbeobachtung, das ironisch die Ho=nung auf Erfüllung von Wahrheitsbedingungen anspricht: Empirische Beobachtungen werden die Vernunft oder den Geist nie finden. Dieses Argument der Transzendentalphilosophie von Descartes bis Kant bleibt unumstößlich richtig: Um die Erfüllungen vernünftiger Geltungsansprüche kontrollieren zu können, muss die empraktische Kenntnis dieser Geltungsansprüche, der Erfüllungsbedingungen selbst, schon vorausgesetzt werden.
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»Das Bewußtsein beobachtet [sic!, PSW], d. h. die Vernunft will sich als seienden Gegenstand, als wirkliche, sinnlich-gegenwärtige Weise finden und haben [sic!, PSW].« (164 | 138)
Die Wende von der transzendentalen Reflexion zur phänomenologischen Beobachtung der realen Erscheinungen des vernünftigen Lebens ist etwas abrupt. Es geht hier aber erst noch um den Vergleich der zwei Wege der Selbstsuche der Vernunft. Der Ausdruck »die beobachtende Vernunft« nennt den Modus dieser vernünftigen Selbstbeobachtung, in der wir unser geistiges Leben in seiner wirklichen Weise konkret begreifen wollen. Indem wir uns und die Welt so zu Objekten der Beobachtungen machen, scheint es aber so, als wollten wir das Wesen der Dinge, wie sie sind, und nicht etwa uns selbst erfahren, wie wir im Vollzug sind: 242 b
»Das Bewußtsein dieses Beobachtens meint und sagt wohl, daß es nicht sich selbst, sondern im Gegenteil das Wesen der Dinge als der Dinge erfahren wolle. Daß dies Bewußtsein dies meint und sagt, liegt darin, daß es Vernunft ist, aber ihm die Vernunft noch nicht als solche Gegenstand ist [sic!, PSW]. Wenn es die Vernunft als gleiches Wesen der Dinge und seiner selbst wüßte, und daß sie nur in dem Bewußtsein in ihrer eigentümlichen Gestalt gegenwärtig sein kann, so würde es vielmehr in seine eigne Tiefe steigen und sie darin suchen als in den Dingen. Wenn es sie in dieser gefunden hätte, würde sie von da wieder heraus an die Wirklichkeit gewiesen werden, um in dieser ihren sinnlichen Ausdruck anzuschauen, würde aber ihn sogleich wesentlich als Begri= nehmen. Die Vernunft, wie sie unmittelbar als die Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein, auftritt, nimmt ihre Realität in dem Sinne der Unmittelbarkeit des Seins und ebenso die Einheit des Ich mit diesem gegenständlichen Wesen in dem Sinne einer unmittelbaren Einheit, an der sie die Momente des Seins und des Ich noch nicht getrennt und wieder vereinigt, oder die sie noch nicht erkannt hat. Sie geht daher als beobachtendes Bewußtsein an die Dinge, in der Meinung, daß sie diese als sinnliche, dem Ich entgegengesetzte Dinge [sic!, PSW] in Wahrheit nehme; allein ihr wirkliches Tun widerspricht dieser Meinung, denn sie erkennt die Dinge, sie
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verwandelt ihre Sinnlichkeit in Begri=e, d. h. eben in ein Sein, welches zugleich Ich ist [sic!, PSW], das Denken somit in ein seiendes Denken oder das Sein in ein gedachtes Sein, und behauptet in der Tat, daß die Dinge nur als Begri=e Wahrheit haben. Für dies beobachtende Bewußtsein wird darin nur dies, was die Dinge sind, für uns aber, was es selbst ist; das Resultat seiner Bewegung aber wird dies sein, für sich selbst dies zu werden, was es an sich ist.« (164 f. | 138)
In vergegenständlichender Weise ist nicht das vernünftige Sein im Vollzug Gegenstand der Beobachtung oder Reflexion, sondern bloß erst etwas anderes, der Leib vielleicht oder das Gehirn, oder es sind genetische Prädispositionen oder Lernmöglichkeiten. Die Metapher, in der von einer ›eigenen Tiefe‹ die Rede ist, meint dabei gerade nicht eine mystische Seele, sondern die Rekursivität in der reflexionslogischen Thematisierung von Formen des Vollzugs im vernünftigen Leben. Es kann ja jede dieser Thematisierungen selbst thematisch werden. Dabei ist jede Vergegenständlichung in ihrem Vollzug auf Sinn und Grenze zu befragen. Jede dieser Formen muss dann auch wieder in ihren realen Repräsentationen im individuellen und kollektiven Handeln, Benehmen oder Verhalten aufgewiesen werden. Was wir dabei beobachten, muss dann selbst wieder in seiner allgemeinen Form begri=en werden. Das führt zurück zur Reflexion auf das Begri=liche oder den Begri= bzw. die eidetischen Formen des vernünftigen Lebens. Damit hebt sich jede Unmittelbarkeit der Gewissheit der Vernunft, alle Realität zu sein, wieder auf und wird zum Wissen der Vermitteltheit allen vernünftigen Urteilens, besonders auch der ›Objektivität‹ der Sachen und Dinge als den Gegenständen beobachtender Vernunft. Diese verwandeln sich nicht so ›in Begri=e‹, wie dies ein Ideenplatonismus oder Begri=sidealismus vermeint, wohl aber so, dass in allem empirischen Welt- und Selbstbezug das Begri=liche schon vorausgesetzt ist. Was im Modus beobachtenden Wissens als Sachen und Dinge, wie sie sind, dargestellt wird, wird damit im Modus reflektierender Vernunft zu einer Einsicht in das, was wir selbst sind und wer wir sind, die wir die Welt und uns selbst beob-
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achten, etwas über das Beobachtete aussagen, für wahr erklären und vom Falschen oder einem vermeintlichen oder wirklichen Irrtum unterscheiden. Das sind hier bloß orientierende Vorgri=e auf die Überlegungen, die folgen. Interessant aber ist die Methodenlehre beobachtender Phänomenologie im Kontrast zu einer empirischen Theorie: Phänomenologie beobachtet immer auch das Äußere des Empirie- und Theorienbetriebs und setzt damit nicht, wie der Empirismus, naiv voraus, sein Inneres begri=en zu haben, teilt aber auch nicht die Meinung der Transzendentalphilosophie, dieses Innere durch instinktive Reflexion dingfest machen zu können. Wir müssen schon hinschauen, was wir real tun. 243
»Das Tun der beobachtenden Vernunft ist in den Momenten seiner Bewegung zu betrachten, wie sie die Natur, den Geist und endlich die Beziehung beider als sinnliches Sein aufnimmt und sich als seiende Wirklichkeit sucht.« (165 | 138)
Es ist jetzt das Tun, also der Vollzug, der beobachtenden Vernunft zu betrachten, und zwar in seiner Vollzugsform. Es sind deren ›Momente‹ zu explizieren als Teile einer Art ›Gesamtbewegung‹ qua Prozess, in dem wir uns befinden, wenn wir uns als geistige oder vernünftige Wesen in unserer Wirklichkeit konkret begreifen wollen. Dabei ist mit der Beobachtung der Natur zu beginnen. Es soll ja das Innerweltliche, Äußere des Geistes begri=en werden, im Wissen, dass man nur so das Innere, den Inhalt, versteht. Und es soll zwischen einer phänomenologischen Betrachtung der (logischen) Formen des Geistes von einer unmittelbaren Selbstbeobachtung und der Fassung der allgemeinen Ergebnisse in einer ›naturwissenschaftlichen‹ Theorie ggf. als Stütze für eine Technik medizinischer und anderer Interventionen in unser leibliches Sein unterschieden werden.
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a. Beobachtung der Natur 29. Das Leben »Wenn das gedankenlose Bewußtsein das Beobachten und Erfahren als die Quelle der Wahrheit ausspricht, so mögen wohl ihre Worte so lauten, als ob es allein um ein Schmecken, Riechen, Fühlen, Hören und Sehen zu tun sei; es vergißt in dem Eifer, womit es das Schmecken, Riechen usf. empfiehlt, zu sagen, daß es in der Tat auch ebenso wesentlich den Gegenstand dieses Empfindens sich schon bestimmt hat, und diese Bestimmung ihm wenigstens soviel gilt als jenes Empfinden. Es wird auch sogleich eingestehen, daß es ihm nicht so überhaupt nur ums Wahrnehmen zu tun sei, und z. B. die Wahrnehmung, daß dies Federmesser neben dieser Tabaksdose liegt, nicht für eine Beobachtung gelten lassen. Das Wahrgenommene soll wenigstens die Bedeutung eines Allgemeinen [sic!, PSW], nicht eines sinnlichen Diesen haben.« (166 | 139)
In der ›gedankenlosen Selbsterfahrung‹ (schon der Ausdruck ist ironisch) scheint es so zu sein, als ginge es um die Sinnesorgane und ihre Tätigkeiten, wenn wir wissen wollen, was menschliches Erkennen und Wissen sind und wie sie ›funktionieren‹. In dem Eifer der Fokussierung auf das Thema des Erkennens als Relation zwischen Subjekt und Objekt, Person und Welt, vergisst der beobachtende Kognitionswissenschaftler, dass er schon vorausgesetzt hat, dass er längst schon weiß, was Schmecken, Riechen, Hören oder Sehen sind und wie sich die inneren Gegenstände des Schmeckens, Riechens, Hörens oder Sehens, der Geschmack, Geruch, das Gehörte und Gesehene, unterscheiden und ggf. mit einem sie ›verursachenden‹ Ding oder Prozess verbinden lassen. Man vergisst also leicht die gesamte Sphäre materialbegri=lichen Vorwissens – nicht zuletzt deswegen, weil man diese nicht wahrnehmen kann, sondern voraussetzen muss. In partieller Anerkennung dieses Bedenkens wird uns der kognitive Psychologe am Werktag sofort zugestehen, dass es ihm bloß um besondere physiologische und ›psychische‹ Phänomene gehe, die
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während des Prozesses des Wahrnehmens im Leib oder Gehirn ablaufen, dass er also bloß ein lokales Wissen anstrebt. Leider vergisst er das am Sonntag wieder, wenn er publikumswirksam deklariert, seine Wissenschaft könne den menschlichen Geist erklären. Natürlich geht es dabei nie um die Wahrnehmung konkreter Dinge und Sachlagen, etwa dass gewisse Rauchutensilien auf dem Schreibtisch liegen, sondern um allgemeine Abläufe im Wahrnehmen und Perzipieren. Entsprechend geht es einer auf die Dinge und Sachen der Welt gerichteten Beobachtungswissenschaft nicht um Einzelnes: Man will wissen, wie sich ganze Arten und Gattungen von Dingen verhalten und was in typischen Sachlagen der Fall ist, nicht bloß, wie ein einzelner Fall zu berichten oder ein einzelnes Ding zu beschreiben ist. Doch wie gelangen wir von einer Beobachtung des Einzelnen zu allgemeinen Aussagen? 245 a
»Dies Allgemeine ist so nur erst das sich gleich Bleibende [sic!, PSW]; seine Bewegung nur das gleichförmige Wiederkehren [sic!, PSW] desselben Tuns.« (166 | 139)
Das Allgemeine ist zunächst das, was sich reproduziert oder reproduzierbar ist. In der Reproduktion zeigen sich allgemeine Formgleichheiten, so dass das Allgemeine selbst (auch als so genannter Inhalt) eine Form ist. 245 b
»Das Bewußtsein, welches insofern im Gegenstande nur die Allgemeinheit oder das abstrakte Mein findet, muß die eigentliche Bewegung desselben auf sich selbst nehmen; indem es noch nicht der Verstand desselben ist, wenigstens sein Gedächtnis sein, welches das, was in der Wirklichkeit nur auf einzelne Weise vorhanden ist, auf allgemeine Weise ausdrückt. Dies oberflächliche Herausheben aus der Einzelnheit, und die ebenso oberflächliche Form der Allgemeinheit, worein das Sinnliche nur aufgenommen wird, ohne an sich selbst Allgemeines geworden zu sein, das Beschreiben der Dinge hat noch in dem Gegenstande selbst die Bewegung nicht; sie ist vielmehr nur in dem Beschreiben. Der Gegenstand, wie er beschrieben ist, hat daher das Interesse verloren; ist der eine beschrieben, so muß ein anderer vorgenommen, und immer gesucht werden, damit das Beschreiben nicht ausgehe. Ist es nicht so leicht mehr, neue ganze
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Dinge zu finden, so muß zu den schon gefundenen zurückgegangen werden, sie weiter zu teilen, auseinander zu legen, und neue Seiten der Dingheit an ihnen noch aufzuspüren.« (166 | 139)
Jedes Wissen, welches in einem Einzelfall etwas Allgemeines findet, muss gewisse Wiederherstellbarkeiten behaupten. Sofern es noch keine theoretische Erklärung des Einzelnen in verstandesmäßigen Schematisierungen ist, ist ein solches Wissen ›Gedächtnis‹, Wiedererinnerung, welche vom Einzelnen zu etwas Allgemeinem führt. Doch eine solche bloß subjektive Erinnerung an ›dasselbe‹ ist noch ganz oberflächlich. Das Allgemeine existiert dann zunächst ›nur in dem Beschreiben‹. Das heißt, der Beobachter erzeugt die Gleichheiten der Dinge und Sachen, an die er sich subjektiv zu erinnern meint, indem er sie auf die gleiche Weise beschreibt. Man beachte dann aber: Die bloße Reproduktion der beschreibenden Sätze erzeugt möglicherweise bloß oberflächliche Gleichheiten, so wie eine erinnerte Ähnlichkeit, die nur subjektiv behauptet oder ausgesagt wird, noch ganz oberflächlich und unwesentlich sein kann. Das Fürsichsein des Gegenstandes würde bei einem solchen Vorgehen verkannt. Er selbst würde jede eigenbestimmte Identität verlieren. Statt zu prüfen, ob die Beschreibungen der Erinnerungen in einem allgemeinen Sinn wahr oder verlässlich sind, würde man von einer Beschreibung zur nächsten stolpern, wie manche von einer Behauptung zur nächsten gehen, ohne je darüber nachzudenken, wie viel Willkür in den Beschreibungen und Versicherungen steckt. Im Übrigen führen empirische Narrationen noch nicht zu einem Wissen und Verstehen. Sie vermitteln Kenntnisse im Modus bloßer historia. »Diesem rastlosen, unruhigen Instinkte kann es nie an Material gebrechen; eine neue ausgezeichnete Gattung zu finden, oder gar einen neuen Planeten, dem, ob er zwar ein Individuum ist, doch die Natur eines Allgemeinen zukommt, zu finden, kann nur Glücklichen zu teil werden. Aber die Grenzen dessen, was wie der Elefant, die Eiche, das Gold auszeichnet, was Gattung und Art ist [sic!, PSW], geht durch viele Stufen in die unendliche Besonderung der chaotischen
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Tiere und Pflanzen, der Gebirgsarten, oder der durch Gewalt und Kunst erst darzustellenden Metalle, Erden usf. über [es gibt unendlich viele Einzelheiten als Varianten der je allgemeinen Typen, PSW]. In diesem Reiche der Unbestimmtheit des Allgemeinen, worin die Besonderung wieder der Vereinzelung sich nähert, und in sie hie und da auch wieder ganz herabsteigt, ist ein unerschöpflicher Vorrat fürs Beobachten und Beschreiben aufgetan. Hier aber, wo ihm ein unübersehbares Feld sich erö=net, an der Grenze des Allgemeinen kann es vielmehr statt eines unermeßlichen Reichtums nur die Schranke der Natur und seines eignen Tuns gefunden haben [d. h. die Welt und die sinnvollen Möglichkeiten generischer Theorien bestimmen das allgemeine Wissen, PSW]; es kann nicht mehr wissen, ob das an sich zu sein Scheinende nicht eine Zufälligkeit ist [sic!, PSW]; was das Gepräge eines verwirrten oder unreifen, schwachen und der elementarischen Unbestimmtheit kaum sich entwickelnden Gebildes an sich trägt, kann nicht darauf Anspruch machen, auch nur beschrieben zu werden.« (166 f. | 139 f.)
In der Wissenschaft geht es um allgemeine Sätze. Die Tätigkeit des narrativen bzw. empirischen Beschreibens kann dagegen auf vielfältige Weise beliebig fortgesetzt werden: Man sagt, man möchte genauer beschreiben, teilt dazu die Dinge und Sachen auf, spürt neue Aspekte auf – und erklärt jede gegebene Beschreibung für ›zu oberflächlich‹. Diesem Verfahren, samt der Zerlegung der Erinnerungen selbst, »kann es nie an Material gebrechen«. Damit ist zugleich die leere Tautologie einer entsprechenden willkürlichen Kritik an etablierten allgemeinen oder generischen Aussagen artikuliert. Dass wir immer feiner di=erenzieren können, ist trivial, wie wir schon gesehen haben. Was dagegen wirklich schwer ist, ist eine wesentliche, also wichtige, neue Gattung oder Art etwa von Tieren oder einen neuen Planeten zu finden. Hier ist im Unterschied zu willkürlichen Unterscheidungen schon gemeinsam und allgemein bestimmt, was als Gattung oder Art zählt, so wie es nur wenige Sonnenplaneten gibt. Analoges gilt für eine neue physikalische Kraft, eine wichtige neue chemische Verbindung oder neue subatomare Partikel. Die Erfülltheit von entsprechend
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allgemeinen Erfüllungsbedingungen durch faktische Beobachtungen nachzuweisen, ist echte wissenschaftliche Sacharbeit – im Unterschied zur Tautologie von willkürlichen Di=erenzierungen und Identifizierungen. Es gibt also eine schlechte Unendlichkeit im ›Reiche der Unbestimmtheit des Allgemeinen‹, die man durchaus auch als das Reich einer noch unbegri=enen und ohne Ziel und Zweck operierenden rein deskriptiven ›Phänomenologie‹ der Sachen und Dinge kritisieren kann. Die Suche nach einer Beschreibung der Sachen selbst, wie sie in der Husserl-Nachfolge versucht wird, ist überall dort ho=nungslos, wo sie sich im Beliebigen verliert, und zwar wenn es keinen Unterschied mehr gibt zwischen zufälliger Willkür im Beschreiben von Besonderheiten und relevanten Allgemeinheiten. Daher wird eine deskriptive Phänomenologie auch schnell zu einer Caféhausphilosophie. »Wenn es diesem Suchen und Beschreiben nur um die Dinge zu tun zu sein scheint, so sehen wir es in der Tat nicht an dem sinnlichen Wahrnehmen fortlaufen, sondern das, woran die Dinge erkannt werden, ist ihm wichtiger als der übrige Umfang der sinnlichen Eigenschaften, welche das Ding selbst wohl nicht entbehren kann, aber deren das Bewußtsein sich entübrigt. Durch diese Unterscheidung in das Wesentliche und Unwesentliche [sic!, PSW] erhebt sich der Begri= aus der sinnlichen Zerstreuung empor, und das Erkennen erklärt darin, daß es ihm wenigstens ebenso wesentlich um sich selbst als um die Dinge zu tun ist [sic!, PSW]. Es gerät bei dieser gedoppelten Wesentlichkeit in ein Schwanken, ob das, was für das Erkennen das Wesentliche und Notwendige ist, es auch an den Dingen sei [sic!, PSW]. Einesteils sollen die Merkmale nur dem Erkennen dienen, wodurch es die Dinge von einander unterscheide; aber andernteils nicht das Unwesentliche der Dinge erkannt werden, sondern das, wodurch sie selbst [sic!, PSW] aus der allgemeinen Kontinuität des Seins überhaupt sich losreißen, sich von dem Andern abscheiden und für sich [sic!, PSW] sind.« (167 f. | 140)
Wesensbewertungen sind zunächst Bewertungen der Beschreiber. Die Frage, was für das Beschriebene wesentlich, was unwe-
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sentlich ist, ist also nicht einfach. Man muss dazu insbesondere die Zufälligkeiten der ›sinnlichen Zerstreuung‹ und des willkürlichen Scheins subjektiver Erinnerungen überwinden. Was also ist wesentlich für die Dinge und Sachen selbst? Die Frage lässt sich nicht beantworten, indem man sie einer ›reinen Beobachtung‹ überlässt. 246 b
»Die Merkmale sollen nicht nur wesentliche Beziehung auf das Erkennen haben, sondern auch die wesentlichen Bestimmtheiten der Dinge, und das künstliche System [sic!, PSW] dem Systeme der Natur selbst gemäß sein [sic!, PSW], und nur dieses ausdrücken. Aus dem Begri=e der Vernunft ist dies notwendig, und der Instinkt derselben – denn sie verhält sich nur als solcher in diesem Beobachten – hat auch in seinen Systemen diese Einheit erreicht, wo nämlich ihre Gegenstände selbst so bescha=en sind, daß sie eine Wesentlichkeit oder ein Fürsichsein an ihnen haben, und nicht nur Zufall dieses Augenblicks oder dieses Hier sind. Die Unterscheidungsmerkmale der Tiere z. B. sind von den Klauen und Zähnen genommen; denn in der Tat unterscheidet nicht nur das Erkennen dadurch ein Tier von dem andern; sondern das Tier scheidet sich dadurch selbst ab; durch diese Wa=en erhält es sich für sich, und gesondert von dem Allgemeinen. Die Pflanze dagegen kommt nicht zum Fürsichsein, sondern berührt nur die Grenze der Individualität [der Unteilbarkeit der Tiere, PSW]; an dieser Grenze, wo sie den Schein der Entzweiung in Geschlechter aufzeigt [also in Männliches und Weibliches, PSW], ist sie deswegen aufgenommen und unterschieden worden. Was aber weiter hinuntersteht, kann sich nicht mehr selbst von anderem unterscheiden, sondern geht verloren, indem es in den Gegensatz kommt. Das ruhende Sein, und das Sein im Verhältnisse kommt in Streit miteinander, das Ding ist in diesem etwas anders als nach jenem, da hingegen das Individuum dies ist, im Verhältnisse zu anderem sich zu erhalten. Was aber dies nicht vermag, und chemischerweise ein anderes wird, als es empirischerweise ist, verwirrt das Erkennen, und bringt es in denselben Streit, ob es sich an die eine und andere Seite halten soll, da das Ding selbst nichts Gleichbleibendes ist, und sie an ihm auseinanderfallen.« (168 | 140 f.)
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Schon Aristoteles hat vorgeführt, dass wir an Tieren teils solche Eigenschaften unterscheiden, die relevant für uns sind, etwa ob sie wohlschmeckend sind oder nicht, teils solche, die relevant für das Leben und Überleben der Tiere selbst sind, wie etwa das Gift der Schlange oder die Zähne des Tigers. In diesem Sinn ist zu verstehen, dass sich die Tierarten selbst voneinander unterscheiden. In einem gewissen o=enkundigen Sinn ist dieser Unterschied ganz unabhängig von ›unserer‹ Willkür oder unserem Unterscheidungsinteresse. Tiere erhalten sich dabei ja auch selbst als Individuen und Arten. In Bezug auf Pflanzen ist die Unterscheidung, wann die eine beginnt und die andere endet, oft nicht einfach zu beantworten, nicht ohne ›konventionelle‹, oft sogar partiell willkürliche Unterscheidungen und Identifikationen. Es lassen sich zwar Bäume schon ganz gut für sich unterscheiden. Weniger klar ist dies bei Gras oder bei Pilzen. Noch weniger klar ist es, wie bloß physische Körperdinge ohne Bezugnahme auf unsere Interessen ›für sich‹ zu identifizieren bzw. zu unterscheiden sind, zumal Dinge nach einiger Zeit auseinanderfallen. Sie sind auch keineswegs immer durch Sto=identitäten bestimmt, wie das Beispiel von Theseus’ Schi= zeigt, dem man auf hoher See die Planken ersetzt, das aber als Schi= im Dienst bleibt. Wir sehen auch: Kein Ding existiert ewig. Dinge entstehen und vergehen, sind also endlich. »In solchen Systemen des allgemeinen sich Gleichbleibenden hat also dieses die Bedeutung, ebensowohl das sich Gleichbleibende des Erkennens wie der Dinge selbst zu sein. Allein diese Ausbreitung der gleichbleibenden Bestimmtheiten, deren jede ruhig die Reihe ihres Fortgangs beschreibt, und Raum erhält, um für sich zu gewähren, geht wesentlich ebensosehr in ihr Gegenteil über, in die Verwirrung dieser Bestimmtheiten; denn das Merkmal, die allgemeine Bestimmtheit, ist die Einheit des Entgegengesetzten, des Bestimmten und des an sich Allgemeinen; sie muß also in diesen Gegensatz auseinandertreten. Wenn nun die Bestimmtheit nach einer Seite das Allgemeine, worin sie ihr Wesen hat, besiegt, so erhält dieses dagegen auf der andern Seite ebenso sich seine Herrschaft über sie, treibt die
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Bestimmtheit an ihre Grenze, vermischt da ihre Unterschiede und Wesentlichkeiten. Das Beobachten, welches sie ordentlich auseinanderhielt und an ihnen etwas Festes zu haben glaubte, sieht über ein Prinzip die andern herübergreifen, Übergänge und Verwirrungen sich bilden, und in diesem das verbunden, was es zuerst für schlechthin getrennt nahm, und getrennt, was es zusammenrechnete; so daß dies Festhalten an dem ruhigen, sich gleichbleibenden Sein sich hier gerade in seinen allgemeinsten Bestimmungen, z. B. was das Tier, die Pflanze für wesentliche Merkmale habe, mit Instanzen geneckt sehen muß, die ihm jede Bestimmung rauben, die Allgemeinheit, zu der es sich erhob, zum Verstummen bringen, und es aufs gedankenlose Beobachten und Beschreiben zurücksetzen.« (168 f. | 141)
In unseren Systemen der Identifikation und Unterscheidung sowohl von einzelnen Sachen als auch von Arten und Typen ist also zunächst o=en, was von unserem Interesse bestimmt und was den Sachen selbst zuzuschreiben ist. Jedes Merkmal für das Identifizieren oder Unterscheiden ist dabei allgemein und muss auf Einzelnes von uns angewandt werden – wobei das Allgemeine, wie zu sehen sein wird, gemeinsam überprüfbar sein muss. Das Beobachten allein kann hier nicht weiterhelfen. Unglücklicherweise gibt es im Einzelnen unendlich viele Abweichungen von ›allgemein gültigen‹ Merkmalen und Eigenschaften oder generischen Normalitäten. Daher meint man, im Interesse einer ›exakten‹ Behandlung der Einzelfälle auf die vermeintlich ›ungenauen‹ oder, wie der heutige Zeitgeist etwa mit Nietzsche meint, lügenhaften Allgemeinaussagen (ob über den Löwen oder über den Menschen, ob über das Atom oder über den Staat) verzichten zu müssen. Die Folge dieser verfehlten Kritik an generischallgemeinen Redeformen ist, dass die empirische Wissenschaft (wenigstens in ihrem verfehlten Selbstverständnis, wenn nicht sogar in der Praxis) in ein gedankenloses Beobachten und ungeordnetes Beschreiben zurückfällt. 248 a
»Dieses sich auf das Einfache einschränkende oder die sinnliche Zerstreuung durch das Allgemeine beschränkende Beobachten findet also an seinem Gegenstande die Verwirrung seines Prinzips, weil das
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Bestimmte durch seine Natur sich in seinem Gegenteile verlieren muß; die Vernunft muß darum vielmehr von der trägen Bestimmtheit, die den Schein des Bleibens hatte, zur Beobachtung derselben, wie sie in Wahrheit ist, nämlich sich auf ihr Gegenteil zu beziehen, fortgehen.« (169 | 141 f.)
Beobachtung ist bei Hegel in gewissem Sinn eine auf allgemeine Kontraste und Inferenzen abzielende und begri=lich ganz bewusst kontrollierte Wahrnehmung und Anschauung. Anschauung war bei Kant der subjektiven Perspektive der wahrnehmenden Person zugeschrieben worden. Das lässt es so erscheinen, als wäre das Objekt der Anschauung bloß ein innerer Gegenstand und nicht einfach ein irgendwie widerständiges Ding, das einige Zeit lang mit sich identifiziert ist und daher nicht bloß von mir, sondern von vielen von uns beobachtet werden kann oder könnte. Wenn wir Dinge beobachten und dabei unsere Aufmerksamkeit auf die relevante Sache fokussieren, geht es nicht um das Einzelding. Es zählt vielmehr als Paradigma oder Prototyp für eine Gattung oder Art. In der Beobachtung suchen wir nach Arteigenschaften und Gattungsformen, die sich typischerweise oder normalerweise wiederholen. Dabei kann der einzelne beobachtete Gegenstand selbst das Projekt der Fokussierung verwirren, und zwar weil er schlecht gewählt sein kann, kein guter Prototyp ist usf. Die Beobachtung, wie die Dinge in Wahrheit sind, zeigt übrigens, dass sie selbst bloße Momente im Werden, im Prozess des Entstehens und Vergehens sind. Ihre Identität ist kategorial an Zeitepochen gebunden. Ein Berg kann durch Erosion zu einem Hügel oder gar zu einer Ebene abgeflacht werden. ›Das Gegenteil‹ eines Dinges ist dann die Nichtexistenz als ein Ding des betre=enden (halb-)sortalen Gegenstandsbereiches. So entsteht ein Stuhl aus etwas, was noch kein Stuhl ist. Und er zerfällt wieder in Bestandteile, die schon als Sägespäne kaum mehr Dinge sind. Lebewesen entstehen aus Spermien und Eiern, die als solche noch keine selbständigen Lebewesen sind – wobei die Generationenfolge dafür sorgt, dass Leben nur aus Leben entsteht. Im Tod wird Lebendiges zu etwas, das wenigstens zum Teil nicht
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mehr lebendig ist. Jedes Ding entsteht aus etwas, das nicht schon ein (halb-)sortal so und so bestimmtes Ding ist. Und es vergeht entsprechend. Aphoristisch gesagt: Alles entsteht aus nichts und wird zu nichts. Genauer gilt: Es wird zum ›kategorialen Gegenteil‹ dessen, was es als Ding gattungsmäßig ist. Wenn wir daher vernünftig nachdenken, dann müssen wir den ›Schein des Bleibens‹ der Dinge durchschauen. 248 b
»Was wesentliche Merkmale genannt werden, sind ruhende Bestimmtheiten, welche so, wie sie als einfache sich ausdrücken und aufgefaßt werden, nicht das, was ihre Natur ausmacht, verschwindende Momente der sich in sich zurücknehmenden Bewegung zu sein, darstellen. Indem itzt der Vernunftinstinkt dazu kömmt, die Bestimmtheit ihrer Natur gemäß, wesentlich nicht für sich zu sein, sondern in das Entgegengesetzte überzugehen, aufzusuchen, sucht er nach dem Gesetze und dem Begri=e desselben; zwar nach ihnen ebenso als seiender Wirklichkeit, aber diese wird ihm in der Tat verschwinden, und die Seiten des Gesetzes zu reinen Momenten oder Abstraktionen werden, so daß das Gesetz in der Natur des Begri=es hervortritt, welcher das gleichgültige Bestehen der sinnlichen Wirklichkeit an sich vertilgt hat.« (169 f. | 142)
Was man traditionell als wesentliche Merkmale (idion) eines Gegenstandes in einem Gegenstandsbereich angesprochen hat (etwa, dass ein Stuhl eine Lehne hat), sind keine bloß empirischen ›Eigenschaften‹ (symbebekos) der einzelnen Gegenstände (etwa, dass der Stuhl rot ist). Im ersten Fall geht es um generische Eigenschaften der Gegenstände einer zugehörigen Gattung. Im Fall der akzidentellen Bescha=enheit wird schon bei der Identifikation die Gattung vorausgesetzt. Ein Stuhl, auf dem man nicht sitzen kann, ist zum Beispiel bestenfalls der Gestalt nach ein Stuhl. Ein Lebewesen, das nicht mehr lebt, ist kein Lebewesen mehr, sondern ein Leichnam oder Kadaver. Die wesentlichen Eigenschaften (idion) sind dabei oft auch dispositionelle oder modale Inferenzbegri=e, nicht bloß Gestaltunterscheidungen.
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29.1 Gegenstandsbereiche und generische Geltung Die ›ruhenden Bestimmtheiten‹, welche einen Gegenstand zu einem Element seiner Gattung machen, sind generische Voraussetzungen, welche ›die Natur‹ oder ›das Sein‹ bzw. ›die Existenz‹ des betre=enden Gegenstandes allererst bestimmen. Eben daher können derartige ›Merkmale‹ gar keine klassifikatorischen Eigenschaften in sortalen Gegenstandsbereichen sein, sondern sie sind ›verschwindende Momente‹ im Werden und Vergehen der dinglichen, körperlichen, im Falle von Lebewesen leiblichen Gegenstände in der Welt, auf die wir uns in der Beobachtung beziehen. Zur Verfassung der Dingheit gehört: Dinge sind ›beobachtbar‹ und dabei ›lokalisierbar‹. Für abstrakte Gegenstände gilt beides nicht.79 Da wir z. B. auch Laute und Töne lokalisieren, sind sie keine rein abstrakten Gegenstände. Dabei lokalisieren wir sie an den verursachenden Dingen oder physischen Prozessen. Der ›Vernunftinstinkt‹ besteht nun darin, Gesetze der Übergänge im Entstehen und Vergehen bzw. der Bewegung von Dingen zu suchen. Solche Gesetze sind als Gesetze situationsinvariant formuliert. Sie sind als solche nicht dem Werden und Vergehen unterworfen. Dasselbe gilt für die begri=lichen Di=erenzen und Inferenzen qua typische oder generische. Das, was die Gesetze artikulieren, sind wirkliche Formen sich reproduzierender Abläufe, Abstrakte Gegenstandsbereiche wie die natürlichen Zahlen sind ebenfalls nicht durch Eigenschaften definiert, nicht einmal durch die so genannten Peano-Axiome als einem System von solchen Eigenschaften: Man kann sie nicht primordial durch ›Aussonderung‹ aus anderen Gegenstandsbereichen definieren, auch wenn sie in andere einbettbar sind, etwa in den Bereich der reellen Zahlen. Zahlen sind als solche weder Mengen noch Wertverläufe. Für sie sind nur solche Aussagen definiert, die sich auf der Grundlage der elementaren Zahlrelationen x < y, x + 1 = y, x + y = z und x · y = z durch aussagen- und quantorenlogische ›Zusammensetzungen‹ definieren lassen. Die Aussageform, dass ein x ein Element einer Zahl z sein könnte, also x ∈ z, gehört z. B. nicht dazu. 79
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wenn sie denn ›wahr‹ sind. Aber in der Anwendung auf das Beobachtbare verschwindet die Situationsunabhängigkeit der Gesetze insofern wieder, als die Dinge selbst nicht ›ewig‹ bestehen und die Prozesse selbst bloß Teilprozesse in einem ganzen Weltprozess sind. Eben daher sind die Gesetze ›Abstraktionen‹ oder reine, also ideale ›Momente‹ im Prozess des Werdens und der Bewegungen. Gesetze sind immer auch künstliche (material-)begri=liche Setzungen. In ihnen wird jedes bloß präsentische Bestehen sinnlicher Wirklichkeit ›an sich vertilgt‹, d. h. es wird nur etwas Allgemeines über alle ›gleichgültigen‹ Fälle gesagt. 249 a
»Dem beobachtenden Bewußtsein ist die Wahrheit des Gesetzes in der Erfahrung, als in der Weise, daß sinnliches Sein für es ist; nicht an und für sich selbst. Wenn aber das Gesetz nicht in dem Begri=e seine Wahrheit hat, so ist es etwas Zufälliges [sic!, PSW], nicht eine Notwendigkeit, oder in der Tat nicht ein Gesetz. Aber daß es wesentlich als Begri= ist [sic!, PSW], widerstreitet nicht nur dem nicht, daß es für die Beobachtung vorhanden ist, sondern hat darum vielmehr notwendiges Dasein, und ist für die Beobachtung.« (170 | 142)
Beobachtung zielt nicht auf narrative empirische Einzelkenntnis ab. Was Herr Meier an einem bestimmten Datum in seinem Labor gesehen hat, ist als solches noch keine Beobachtung. Beobachtung zielt auf allgemeine Erfahrung. Aber auch wenn es sehr häufig passiert, dass, wenn A beobachtet wird, nach einiger Zeit oder an einem gewissen anderen Ort gewisse Folgen B eintreten, könnte das bloß erst ›Zufall‹ sein, ein ›Gesetz ohne jede Notwendigkeit‹, also bloß erst eine statistische Korrelation. Das Problem liegt nicht darin, dass Gesetze ›erfahrungsunabhängige‹ Geltung haben sollen. Hegel erklärt uns hier vielmehr, dass der Status, ein Gesetz zu sein, ein begri=licher Status ist: Das Gesetz gilt begri=lich. Es ist als eine begri=liche Norm gesetzt. Was das heißt, ist noch genauer zu klären. Zunächst ist nur wichtig, dass dies der Anwendbarkeit der Gesetze in der Empirie nicht widerspricht. Im Gegenteil. Gerade aufgrund seines begri=lichen Status kann ein Gesetz allgemein in und auf Beobachtungen angewendet werden. Das Wort »allgemein« bedeutet dabei aber gerade nicht dassel-
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be wie »immer und gedankenlos«. Es bedarf in der Anwendung vernünftiger subsumtiver Urteilskraft. »Das Allgemeine, im Sinne der Vernunftallgemeinheit, ist auch allgemein in dem Sinne, den jener an ihm hat, daß es für das Bewußtsein sich als das Gegenwärtige und Wirkliche, oder daß der Begri= sich in der Weise der Dingheit und des sinnlichen Seins darstellt; – aber ohne darum seine Natur zu verlieren, und in das träge Bestehen oder die gleichgültige Aufeinanderfolge hinabgefallen zu sein. Was allgemein gültig ist, ist auch allgemein geltend; was sein soll, ist in der Tat auch [sic!, PSW], und was nur sein soll, ohne zu sein, hat keine Wahrheit [sic!, PSW].« (170 | 142)
Das Allgemeine des Begri=s bzw. des Gesetzes ist eine ›Vernunftallgemeinheit‹. Das bedeutet, es ist allgemein in dem Sinn, als wir entsprechend begri=lich unterscheiden und schließen ›sollen‹ bzw. ›dürfen‹, und die Gesetze sagen, was wir schließend ›erwarten‹ sollen und dürfen (nicht bloß faktisch erwarten!). Das Begri=liche der Gesetze, der generischen Inferenzen, zeigt sich allgemein am Gegenwärtigen und Wirklichen, am Verhalten der Dinge, wie diese und die weiteren Prozesse sinnlich erfahrbar sind. Dennoch bleibt das Wesen des Begri=lichen und Gesetzesartigen allgemein, löst sich also nicht einfach in statistische Einzelereignisfolgen auf. Was bedeutet das? Hegel erklärt sinngemäß, was allgemein gültig sei, mache sich auch in der realen Wirklichkeit allgemein geltend. Was aber heißt das? Noch dunkler scheint der Satz »was sein soll, ist in der Tat auch«. Es ist dies eine Vorform des Satzes, die Wirklichkeit sei vernünftig und das Vernünftige wirklich. Ist das nicht Unsinn? Nur etwas versöhnlicher stimmt der Folgesatz, ein bloßes Sollen, das kein Sein sei, sei nicht wahr. In welchem Sinn aber artikulieren Gesetze ein Sollen, das ›Wahrheit hat‹ und ›Wirklichkeit ist‹? Wie soll eine von uns gesetzte Norm, die sagt, was sein soll, zugleich sagen, was wirklich ist? Es liegt mehr als nahe zu vermuten, dass wir das, was wir erwarten sollen oder dürfen, an das anpassen, was im Allgemeinen wirklich zu erwarten ist. Wirklichkeit ist das, was eine bewährte
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allgemeine Theorie sagt. Daher ist, was wir als wirklich bewerten, auch nicht unmittelbar dasselbe wie das, was wir real, phänomenal, perzipieren oder subjektiv wahrnehmen, ohne dass das schon heißen muss, dass wir uns im Perzipieren täuschen. Der geknickte Stab im Wasser sieht wirklich, nicht bloß scheinbar, geknickt aus. Aber in der Wirklichkeit des weiteren Umgangs mit ihm erweist er sich als gerade. Katzen haben wirklich oder eigentlich vier Beine. Sehe ich, dass die Katze Emily drei Beine hat, so kann ich mich täuschen oder Emily hatte einen Unfall, jedenfalls einen Mangel. Die dreibeinige Katze Emily widerlegt nicht die generische, auf ihre Art bezogene, Wirklichkeit, dass Katzen vier Beine haben. Sie widerlegt eher den logischen Aberglauben, dass allgemeine Aussagen allquantifizierte Aussagen über eine sortale Menge von Einzelgegenständen sind. Katzen sollen vier Beine haben. Das ist kein leeres Sollen, wie es etwa der Wunsch wäre, dass eine Katze mit ihrem Frauchen freundlicher umgehen sollte. Das erste ist ein Sollen des Wesens der Katze, so wie es zur Natur oder zum Wesen des Menschen gehört, dass er die Möglichkeit hat, seine Sprach- und Denkfähigkeit zu entwickeln und er das daher auch tun soll. Damit ist selbstverständlich die Frage noch nicht beantwortet, wie weit das wesenhafte Sollen unsere Zuschreibung ist und wie weit es wirklich die Natur des entsprechenden (Lebe-)Wesens ausmacht. O=enbar steht »Wesen« dabei manchmal für »Natur der Sache«, manchmal für die Sache selbst. Hegel geht es hier um Di=erenzierungen, nicht um dogmatische Behauptungen über Natur und Wesen. Dass es wichtig ist, zwischen einem bloß zugeschriebenen, möglicherweise leerem Sollen (bzw. Können) und einem wirklichen Sollen (bzw. wirklichen Möglichkeiten und Fähigkeiten) zu unterscheiden, steht dabei nicht infrage. 249 c
»Hieran bleibt der Instinkt der Vernunft mit Recht seinerseits fest hängen, und läßt sich nicht durch die Gedankendinge, die nur sein sollen [sic!, PSW], und als Sollen Wahrheit haben sollen, ob sie schon in keiner Erfahrung angetro=en werden [sic!, PSW], – durch die Hypothesen so wenig als durch alle andere Unsichtbarkeiten eines
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perennierenden Sollens irre machen; denn die Vernunft ist eben diese Gewißheit, Realität zu haben, und was nicht als ein Selbstwesen für das Bewußtsein ist, das heißt, was nicht erscheint [sic!, PSW], ist für es gar Nichts.« (170 | 142)
Es geht um die doppelte Einsicht, dass wir die Gesetze geben und sie uns nicht aus der Beobachtung bzw. der Empirie von zufälligen Einzelerfolgen von Einzelereignissen geben lassen, dass wir das aber immer schon in Anpassung an die wirklichen Erscheinungen und nicht willkürlich tun. Der ›Instinkt der Vernunft‹ ist dabei so etwas wie das, was man heute eine Intuition nennen würde. Er hält daran fest, dass Gesetze sagen, wie die Wirklichkeit ist, nicht, wie sie unseren bloßen Wünschen oder einem willkürlichen Gerede, einer rein fingierten Utopie gemäß sein soll. Das gilt sogar für Rechtsgesetze, deren Geltung ja nicht davon abhängt, was wir uns von anderen Menschen wünschen oder was diese unserer Meinung nach tun sollen, sondern wie wir Menschen sind, wie wir erfahrungsgemäß einigermaßen friedlich und sogar kooperativ gut zusammenleben können. Natürlich muss ein Handeln, das sich z. B. an einem rechtlichen Grund orientiert, auf eine bestimmte Weise vorgehen. Und es sind bloß kontrafaktische, utopische, ›Gedankendinge‹, die ›nur sein sollen‹, zu unterscheiden von wirklicher Existenz und Geltung. Bloße Hypothesen müssen auf ihre ›Wirklichkeit‹ überprüft werden, indem man kontrolliert, ob man mit ihnen weiter ›rechnen‹ soll. Die Vernunft befähigt sozusagen zum Setzen und Verstehen von Begri=en und Gesetzen, welche die Wirklichkeit bestimmen, ja sie besteht in der Teilnahme an eben dieser Praxis. Hegel sagt es hier noch einmal, die Vernunft ist die Gewissheit, dass unsere Begri=e und Gesetze in der Erfahrung Realität haben, und dass die Wirklichkeit eine von uns bewertete normale Möglichkeit ist. Was dabei nicht den begri=lichen Unterscheidungen und gesetzlichen Inferenzen entspricht, ist vielleicht etwas Mangelhaftes oder ein bloß zufälliger Einzelfall: Es gehört zum Begri= des Allgemeinen, dass es manche Abweichungen geben kann und darf. Es gibt aber durchaus auch ein Wissen darüber, was es (sicher)
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nicht gibt. Natürlich ist nicht alles, was es gibt, schon in allen Details ausformuliert und vorsortiert. Aber es muss in seiner Art bestimmbar, von anderem unterscheidbar sein. Sonst wüssten wir nicht, wovon wir reden. 250 a
»Daß die Wahrheit des Gesetzes wesentlich Realität ist, wird zwar diesem bei dem Beobachten bleibenden Bewußtsein wieder zu einem Gegensatze gegen den Begri=, und gegen das an sich Allgemeine, oder ein solches, wie sein Gesetz ist, ist ihm nicht ein Wesen der Vernunft; es meint darin etwas Fremdes zu erhalten. Allein es widerlegt diese seine Meinung durch die Tat, in welcher es selbst seine Allgemeinheit nicht in dem Sinne nimmt, daß alle einzelnen sinnlichen Dinge ihm die Erscheinung des Gesetzes gezeigt haben müßten, um die Wahrheit desselben behaupten zu können.« (170 f. | 142 f.)
Wir begründen das Allgemeinwissen allgemeiner Erfahrung nicht einfach induktiv und erwarten nicht einfach, dass nach 12 weißen Schwänen auch der 13. Schwan weiß ist. Aber wir widerlegen ein Allgemeinwissen auch nicht einfach dadurch, dass sich in einzelnen Beobachtungen Abweichungen von Normalerwartungen zeigen, wie Paul Feyerabend und Imre Lakatos (letzterer wohl auch aufgrund seiner Hegellektüre) bekanntlich noch gemeinsam gegen Poppers Falsifikationstheorie geltend machen. Allgemeinwissen hat selten oder nie die Form eines Allsatzes, der keine Ausnahmen zulässt. Das gilt auch für das Allgemeinwissen, das in formalen Theorien artikuliert ist: Hier muss unbedingt zwischen theorie-internen, mathematischen, Allsätzen und deren weltbezogenen Anwendungen unterschieden werden. Der Anwendungsfilter erlaubt immer Ausnahmen, welche die theorieinternen Regeln nicht widerlegen, sondern dadurch bestätigen, dass sie als Ausnahmen gelten dürfen und entsprechend markiert werden. So gehen wir realiter mit formalen Theorien um. Es wäre nett, wenn die Wissenschaftsphilosophie vom Konstruieren oder Basteln idealer mathematischer Stukturbilder auch einmal ablassen und realistische Phänomenologie des Wissens und der Wissenschaft betreiben könnte. Verbleibt man in den formalen und abstrakten Redeformen der Theorien über den Theorienbetrieb, begreift man
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schon das Projektionsproblem ihres Weltbezugs nicht: Eben das kritisiert Hegel als Formalismus. Die Kritik gilt insbesondere noch für die formalanalytische Philosophie des 20. Jahrhunderts. Alle gebastelten mathematischen Modelle sollten doch wohl etwas Wirkliches darstellen oder vernünftig gebrauchbar sein. In einem Geltungsanspruch, der sich auf Einzelnes, bloß von mir Wahrgenommenes beziehen möchte, mag ich zwar meinen, dass es gar keine Wirklichkeit gäbe, die den allgemeinen Gesetzen des generischen Unterscheidens und Schließens voll entspricht, zumal das Allgemeine als solches gar nicht wahrnehmbar ist. Doch ein solcher Anspruch widerlegt sich selbst. Denn schon jede Einzelwahrnehmung von etwas kontrastiv zu anderem Bestimmten ist in Bezug auf den inferentiellen Gehalt, das normalerweise Erwartbare, längst schon begri=lich gefasst. Die dabei in Anschlag kommende Allgemeinheit ist aber o=enbar nicht mit einer universellen Geltung zu verwechseln. Das folgende Beispiel zeigt noch einmal, dass die Geltung allgemeiner Gesetze von anderem Typ und anderer Herkunft ist als eine Quantifikation über alle Einzelfälle einer vorfixierten Art: »Daß die Steine, von der Erde aufgehoben und frei gelassen, fallen, dazu fodert es gar nicht, daß mit allen Steinen dieser Versuch gemacht werde [sic!, PSW]; es sagt vielleicht wohl, daß dies wenigstens mit sehr vielen [sic!, PSW] müsse versucht worden sein, woraus dann auf die übrigen mit größter Wahrscheinlichkeit [sic!, PSW], oder mit vollem Rechte nach der Analogie geschlossen werden könne. Allein die Analogie gibt nicht nur kein volles Recht [sic!, PSW], sondern sie widerlegt, um ihrer Natur willen, sich so oft, daß, nach der Analogie selbst zu schließen, die Analogie vielmehr keinen Schluß zu machen erlaubt. Die Wahrscheinlichkeit, auf welche sich das Resultat derselben reduzieren würde, verliert gegen die Wahrheit allen Unterschied von geringerer und größerer Wahrscheinlichkeit; sie sei so groß, als sie will, ist sie nichts gegen die Wahrheit.« (171 | 143)
Es ist allgemein wahr, dass Dinge auf die Erde fallen, wenn sie nicht, wie Raketen, in eine Erdumlaufbahn oder sogar ins Weltall geschossen werden. Man weiß es aus vielen Fällen. Aber
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das erschließt man nicht einfach per analogiam, also durch einen willkürlichen Übergang von einer kleinen Anzahl typischer Fälle. Wie aber setzen wir das Gesetz, dass alle Körper-Dinge der Erdanziehungskraft unterworfen sind? Und wie unterscheiden wir die Wahrheit eines solchen Gesetzes von einer bloßen Wahrscheinlichkeit, sowohl als Wahrheitsähnlichkeit oder verisimilitudo als auch als stochastische Probabilität, also probabilitas, mit welcher wir relative Häufigkeiten generisch beurteilen? Die Frage zeigt erstens, dass hier die Di=erenzen zu beachten und nicht einzuebnen sind, zweitens, dass es nicht immer einfach ist, die Di=erenzierungen zu begreifen und urteilend zu bewahren. Drittens macht sie klar, dass des Status des allgemein Wahren weder auf der Basis einzelner Beobachtungen noch durch einzelne Personen verliehen wird. Wie wir alle wissen, ist die Ballistik von Raketen und Erdsatelliten gesetzesartig bestimmt. Die Bewegungsformen sind dabei nicht bloß wahrscheinlich im Sinne einer allgemein prognostizierten hohen relativen Häufigkeit. Die Wirkung der Gravitationskräfte ist so allgemein und wirklich, wie überhaupt etwas allgemein und wirklich ist, wenn wir nur beachten, dass mit ihnen dennoch noch nichts ›ganz Genaues‹, nämlich nicht alles darüber gesagt wird, wie denn diese ›Kräfte‹ neben anderen Kräften wirken und für den Einzelfall quantitativ, rechnerisch, exakt zu bestimmen sind. Die ballistischen Gesetze enthalten z. B. noch nichts dazu, was genau passiert, wenn im Sateliten zufälligerweise ein Brand ausbricht. Was als vernünftige allgemeine Darstellungsform des Wirklichen gesetzt ist, ist Ergebnis einer komplexen Geschichte der Praxisform menschlichen Wissens und der Institution Wissenschaft, nicht ein bloß subjektiver Schluss aus rein empirischen Beobachtungen. 250 c
»Der Instinkt der Vernunft nimmt aber in der Tat solche Gesetze für Wahrheit an, und erst in Beziehung auf ihre Notwendigkeit, die er nicht erkennt [weil der Status notwendiger Aussagen bzw. wahrer Gesetze dem bloß empirischen Beobachten und daher dem empiristi-
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schen Denken etwa eines Hume als transzendent oder im schlechten Sinn metaphysisch erscheint, PSW], gerät er in diese Unterscheidung, und setzt die Wahrheit der Sache selbst zur Wahrscheinlichkeit herab [das gilt bis heute, PSW], um die unvollkommene Weise, in welcher die Wahrheit für das Bewußtsein, das die Einsicht in den reinen Begri= noch nicht erreicht hat, vorhanden ist, zu bezeichnen; denn die Allgemeinheit ist nur als einfache unmittelbare Allgemeinheit vorhanden. Aber zugleich um ihrer willen hat das Gesetz für das Bewußtsein Wahrheit; daß der Stein fällt, ist ihm darum wahr, weil ihm der Stein schwer ist, das heißt, weil er in der Schwere an und für sich selbst die wesentliche Beziehung auf die Erde hat, die sich als Fall ausdrückt. Es hat also in der Erfahrung das Sein des Gesetzes, aber ebenso dasselbe als Begri=, und nur um beider Umstände willen zusammen ist es ihm wahr; es gilt darum als Gesetz, weil es in der Erscheinung sich darstellt, und zugleich an sich selbst Begri= ist.« (171 | 143)
Normalerweise akzeptieren wir die materialbegri=lichen Gesetze unserer erklärenden Theorien als notwendig wahr. Da wir aber, wenn wir auf den Begri= des Notwendigen reflektieren, zunächst nicht erkennen, woher denn ein Wissen über Notwendigkeiten – und damit über den Ausschluss von zu betrachtenden Möglichkeiten – stammen sollen, geraten wir in Verwirrung. Wir schwächen daher die notwendige Geltung der Gesetze ab und sagen, sie würden bloß mit großer Wahrscheinlichkeit gelten. Mit dieser Ermäßigung der Begri=e des Gesetzes oder der Notwendigkeit lassen wir sozusagen eine Art Schlupfloch für die Möglichkeiten, dass die Gesetze in gewissen Fällen nicht gelten. Dasselbe tun wir, wenn wir sagen, die Gesetze gelten bloß ceteris paribus oder prima facie, nämlich so, dass noch zusätzliche Bedingungen hinzukommen oder weitere Gesetze wie etwa die der Reibung berücksichtigt werden müssen. Das wiederum heißt, dass alle unsere Gesetze generische Defaultgesetze oder Normalfallgesetze sind. Das zu sagen, berücksichtigt unser Wissen um das ›Unvollkommene‹ unserer realen begri=lichen Unterscheidungen und gesetzlichen Inferenzen, deren Ordnung in der Tat immer entwicklungsfähig und der Entwicklung bedürftig bleibt.
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Andererseits ist die Tatsache, dass alle begri=lichen Unterscheidungen und alle Gesetze immer bloß generisch, also allgemein, zu verstehen sind, und immer auch gewisse ›Ausnahmen‹ zulassen und daher in der Anwendung Urteilskraft voraussetzen, nicht zu verwechseln mit ihrer falschen Deutung, die besagt, dass die Gesetze bloße Hypothesen seien oder bloß in einer gewissen Wahrscheinlichkeit gälten oder selbst bloß Probabilitäten zum Ausdruck brächten. Ihr Gebrauch gemäß einer ›Logik des Aber‹80 oder einer ›Logik der Privation‹ (steresis) ist von ganz anderem Typ als der Gebrauch von bloß stochastischen Gesetzen, die ihrerseits Allgemeines über relative Häufigkeiten in großen Fallpopulationen aussagen. Wir dürfen intern die Di=erenz zwischen bloß probalistischen Gesetzen und anderen Gesetzen nicht aufheben, zumal auch alle stochastischen Theorien generische Aussagen artikulieren, in denen wir ganz allgemein erwartete relative Häufigkeiten durch so genannte Apriori-Wahrscheinlichkeiten darstellen. Ohne jede Stochastik gilt aber schon allgemein, dass Säugetiere vier Extremitäten (Beine) haben (nun ja, man muss dann eben auch die Flossen von Meeressäugern berücksichtigen). Einzelne Säugetiere wie die versehrte Katze Emily können dennoch bloß drei Beine oder weniger haben. Und es gibt Fehlbildungen. Es gibt Menschen mit 6 Fingern und Kälbchen mit 2 Köpfen. Die Meinung, die wahren Begri=e und Gesetze seien bisher weder erkannt noch je wirklich endgültig erkennbar, unsere Begri=e und Gesetze seien daher bloß ›wahrscheinlich‹ richtig bzw. bloße Wahrscheinlichkeitsgesetze, erweckt dann schon sehr den Verdacht, dass man den Begri= des Begri=s und des Gesetzes noch nicht voll erfasst hat. Denn sowenig es ein ›unbewusstes Bewusstsein‹ geben kann (außer als neuen katachrestisch verfassten Begri=), so wenig kann es unerkennbare Gesetze und Begri=e geben. Gesetze und Begri=e sind immer unsere Formen des Erkennens und Wissens. Es ist ein Fehler, sie in eine von uns und unserem Weltbezug absolut losgelöst gedachte Welt (›an sich‹ im 80
Vgl. Stekeler-Weithofer 2009a.
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unklaren Sinn Kants) zu versetzen. Die Entwicklung der Begri=e und Gesetze kann auch nicht einfach als ›Entdeckung‹ verstanden werden. Wohl aber gibt es ›Verbesserungen‹ unseres begri=lichen und gesetzesartig verfassten Weltbezugs in der Erfahrung. Das gilt gerade auch für die Begri=e der Körperdinge, der Erdenschwere und der Gravitation, samt aller zugehörigen Teil-Gesetze. »Der Vernunftinstinkt dieses Bewußtseins [also die Intuition des empirischen Wissenschaftlers, PSW] geht, weil das Gesetz zugleich an sich Begri= ist, notwendig, aber ohne zu wissen, daß er dies will, selbst darauf, das Gesetz und seine Momente zum Begri=e zu reinigen [sic!, PSW]. Er stellt Versuche über das Gesetz an [sic!, PSW]. Wie das Gesetz zuerst erscheint, stellt es sich unrein, umhüllt von einzelnem sinnlichem Sein, der Begri=, der seine Natur ausmacht, im empirischen Sto= versenkt dar [sic!, PSW].« (171 f. | 143)
Der Vernunftinstinkt, also die vage Vorstellung von unserem Vorgehen in der üblicherweise »empirisch« genannten (aber in Wirklichkeit kulturgeschichtlichen) Entwicklung von Begri= und Gesetz, zielt selbst notwendigerweise darauf ab, »das Gesetz und seine Momente zum Begri=e zu reinigen«, also die Allgemeinheit der Geltung materialbegri=licher Inferenzen möglichst schematisch handhabbar zu machen. Es ist aber der empiristischen Intuition selbst nicht klar, dass es darum geht. In empirischen Versuchen präzisieren wir so die Anwendbarkeiten der Gesetze durch je an die Inferenzen angepasste Unterscheidungen bzw. an die Unterschiede angepasste Inferenzen. Empirie als Kontrolle der guten Anwendbarkeit von Gesetzen oder von Gesetzesvorschlägen (Hypothesen) ist zu unterscheiden von einer vollen Begründung ihrer Kanonisierung als den bestmöglichen Ordnungen gesetzesartiger Darstellungen oder Erklärungen zu einer gegebenen Zeit. Wie ein Gesetz uns zunächst erscheint, ist es ›unrein‹. Dasselbe gilt für begri=liche Unterschiede, die zunächst als empirischallgemeine erscheinen. Allerdings gibt es hier zwei Arten von ›Reinigung‹, die beschriebene der detailgenaueren Beobachtung empirischer Di=erenzen und Inferenzen, etwa aufgrund von
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Experimenten, und die noch zu betrachtende der idealen Formulierung, am liebsten im Rahmen von mathematisierten Modellen. 251 b
»Der Vernunftinstinkt geht in seinen Versuchen darauf, zu finden, was unter diesen und jenen Umständen erfolge. Das Gesetz scheint hiedurch nur um so mehr in sinnliches Sein getaucht zu werden; allein dies geht darin vielmehr verloren. Diese Forschung hat die innere Bedeutung, reine Bedingungen des Gesetzes zu finden [sic!, PSW]; was nichts anderes sagen will, wenn auch das Bewußtsein, das sich so ausdrückt, meinen sollte, es sage damit etwas anderes, als das Gesetz ganz in die Gestalt des Begri=s zu erheben [sic!, PSW], und alle Gebundenheit seiner Momente an bestimmtes Sein [also an empirische Einzelsituationen der erzählten Vergangenheit, statt an allgemeine und wenigstens in Umrissen explizit gemachte Bedingungen, PSW] zu tilgen.« (172 | 143)
Hegel beschreibt zunächst die Rolle von Versuchen bei der Präzisierung der Bestimmung generischer Folgen generischer Umstände, wie ich hier sagen möchte. Das Gesetz scheint dabei ›nur um so mehr in sinnliches Sein getaucht zu werden‹, als bloß empirische Korrelationen dargestellt sind. Doch in Wirklichkeit liegt die Sache umgekehrt. Denn über unsere Experimente verfeinern wir die Gesetze als Gesetze und verwandeln sie gerade nicht in empirische Häufigkeiten. Wir verbessern unsere begri=lichen Schematisierungen des Di=erenzierens und Inferierens. Die Wissenschaft ist auch gerade nicht an der Erweiterung empirischer Einzelkenntnisse, bloßer historia oder Anekdoten interessiert, sondern ist Arbeit am Begri= und Gesetz. Sie ist nomothetisch, nicht idiographisch. Das gilt (und das ist gegen Neukantianer wie Windelband und Rickert gesagt) für jede Wissenschaft, nicht bloß für die Natur-, sondern auch die Geschichts-, Sozial- und Geisteswissenschaft, obgleich letztere kaum ›Zukunftsgesetze‹ formulieren, eher allgemeine Aussagen über Vergangenheiten. Hegel erläutert die Dinge jetzt an damals relevanten Beispielen: 251 c
»Die negative Elektrizität, zum Beispiel, welche etwa zuerst als Harzelektrizität so wie die positive als Glaselektrizität sich ankündigt,
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verliert durch die Versuche ganz diese Bedeutung, und wird rein zur positiven und negativen Elektrizität, deren jede nicht einer besonderen Art von Dingen mehr angehört; und es hört auf, gesagt werden zu können, daß es Körper gibt, die positiv elektrisch, andere, die negativ elektrisch sind.« (172 | 143 f.)
Das von Hegel geschilderte Beispiel stammt aus der Entwicklung der Elektrizitätslehre. Es wäre absurd, ein allgemeines Wissen allzu sehr an besondere Fälle erster Beobachtung zu binden. Im Fall der Erzeugung elektrostatischer Spannungen durch Reibung und ihrer Entladungen (sozusagen im Gleichstromfluss) war z. B. die ›Harzelektrizität‹ zunächst als negative und die ›Glaselektrizität‹ als positive angezeichnet worden. »So macht auch das Verhältnis von Säure und Base und deren Bewegung gegeneinander ein Gesetz aus, worin diese Gegensätze als Körper erscheinen. Allein diese abgesonderten Dinge haben keine Wirklichkeit; die Gewalt, welche sie auseinander reißt, kann sie nicht hindern, sogleich in einen Prozeß wieder einzutreten; denn sie sind nur diese Beziehung. Sie können nicht wie ein Zahn oder eine Klaue für sich bleiben, und so aufgezeigt werden. Daß dies ihr Wesen ist, unmittelbar in ein neutrales Produkt überzugehen, macht ihr Sein zu einem an sich aufgehobenen, oder zu einem allgemeinen, und Säure und Base haben Wahrheit nur als Allgemeine. Wie also Glas und Harz ebensowohl positiv als negativ elektrisch sein kann, so ist Säure und Base nicht als Eigenschaft an diese oder jene Wirklichkeit gebunden, sondern jedes Ding ist nur relativ sauer oder basisch; was dezidierte Base oder Säure zu sein scheint, erhält in den sogenannten Synsomatien die entgegengesetzte Bedeutung zu einem andern. – Das Resultat der Versuche hebt auf diese Weise die Momente oder Begeistungen als Eigenschaften der bestimmten Dinge auf, und befreit die Prädikate von ihren Subjekten. Diese Prädikate werden, wie sie in Wahrheit sind, nur als allgemeine gefunden; um dieser Selbstständigkeit willen erhalten sie daher den Namen von Materien, welche weder Körper noch Eigenschaften sind, und man hütet sich wohl, Sauersto= usf. positive und negative Elektrizität, Wärme usw. Körper zu nennen.« (172 f. | 144)
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Möglicherweise ist Hegels Kommentar zu Säuren und Basen wissenschaftlich überholt. Es geht aber ohnehin nur um Beispiele für eine Form. Wir sagen daher, was an dem Text wohl haltbar bleibt: Säuren und Basen sind keine Dinge, sondern Sto=arten, die als Arten relativ zueinander durch die chemische Reaktion von Säuren mit Basen und damit über ein allgemeines Gesetz definiert sind. Allerdings kennen wir heute die chemischen Strukturformeln. Sto=e sind keine Dinge. Wärme ist kein Sto=, sondern ein Zustand der Materie. Elektrizität wiederum ist wie Magnetismus weder Sto= noch Zustand, sondern als ›statische‹ Elektrizität eine Art Disposition und, wenn ›Strom fließt‹, ein Prozess. In den Experimenten geht es um reproduzierbare Handlungsmöglichkeiten und eben damit um allgemeine Gesetze. Dabei werden bestimmte Sto=e, Arten, Eigenschaften usf. zu Bedingungen gesetzesartiger Inferenzen. Es wird keineswegs überall bloß etwas über die Bewegungsform von Körperdingen zueinander wie in der klassischen Mechanik ausgesagt. Mit anderen Worten, Hegel versucht zu sagen, dass es völlig verfehlt wäre zu behaupten, ›eigentlich‹ gäbe es ›nur‹ die Gesetze der Mechanik, alle anderen Gesetze müssten sich auf diese ›reduzieren‹ lassen. Dieser Glaube ist selbst als ›Hypothese‹ völlig aus der Luft gegri=en, also absolut unbegründet. Ihrer realen Form nach bleiben unsere Begri=e und Gesetze keineswegs an Dingunterscheidungen und Bewegungsformen kleben. 252
»Die Materie ist hingegen nicht ein seiendes Ding, sondern das Sein als allgemeines, oder in der Weise des Begri=s [gerade der Begri= des chemischen Sto=es ist konstituiert im Rahmen der Praxis der Kontrolle chemischer Reaktionen als Prozesse, PSW]. Die Vernunft, welche noch Instinkt, macht diesen richtigen Unterschied ohne das Bewußtsein, daß sie, indem sie das Gesetz an allem sinnlichen Sein versucht, eben darin sein nur sinnliches Sein aufhebt, und, indem sie seine Momente als Materien auffaßt, ihre Wesenheit ihm zum Allgemeinen geworden [sic!, PSW], und in diesem Ausdrucke als ein unsinnliches Sinnliches, als ein körperloses und doch gegenständliches Sein ausgesprochen ist.« (173 | 144)
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Die Materie, von der man sagt, dass die Dinge aus ihr bestehen, ist selbst kein Ding, sondern Sto=, ja physisches ›Sein‹ als Prozess der Verwandlung von Sto= und Energie. Die ›Konstanz‹ der Materie existiert »in der Weise des Begri=s«. Das gilt schon für den Begri= des chemischen Sto=s, der aus der Äquivalenz der Sto=gleichheit entsteht. Es gilt erst recht für die modalen Dispositionsbegri=e der Energie. Soweit die Reflexion auf den Status des Begri=s der materiellen Physis oder des sto=lichen und energetischen Seins der Dinge bloß erst mantisch, ahnend, wie eine Art Instinkt verfasst ist, wird der Unterschied zwischen Ding und Materie, Körper und Kraft noch ohne Bewusstsein oder Wissen um die Form der Unterscheidung gemacht. Indem dann aber die Gesetze der Kräfte, der chemischen Sto=umwandlung oder der Wirkung von Energie in Bewegungen, Formveränderungen und am Ende im Entstehen und Vergehen von dinglichen Gegenständen oder individuellen Lebewesen direkt dem ›sinnlichen Sein‹ zugeschrieben werden, übersieht man die geistige Konstitution von allem Gesetzesartigen in unserem Wissen. Man meint, die Gesetze lägen unmittelbar in den wahrnehmbaren Dingen. Durch die Zuschreibung von Kräften über entsprechende Gesetze ist das bloß sinnliche Sein der Gegenstände längst schon aufgehoben: Die Dinge werden zu Zentren von Wirkmächten. Indem man aber die Teilaspekte oder Momente Materien zuschreibt, wird das ›Wesen‹ des Gegenstandes oder Dinges, auch des Lebewesens, zu etwas Allgemeinem. Das Wesen ist das, was generische Aussagen über einen Typus von Gegenständen, etwa über ein Genus oder eine Art von Lebewesen aussagen. Das Generische des Genus ist wie das Allgemeine einer besonderen Art etwas Unsinnliches. Auf diese Weise entsteht eine Spannung zwischen dem sinnlichen erfahrbaren Einzelnem und dem gesetzesartig Allgemeinen. Wenn dieses in nominalisierender Rede als das Wesen dieser Gegenstände ausgesprochen wird, erscheint es als mystische Kraft, beim Tier als seelenartige Lebenskraft, beim Menschen als Seele oder Geist. Kraft, Seele und Geist werden als »körperloses und doch gegenständ-
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liches Sein« angesprochen, sie korrespondieren aber modalen Inferenzen. Einige Bemerkungen zum Begri= der Materie könnten noch hilfreich sein. Materien im Sinne der chemischen Sto=e sind keine ›Dinge‹. Dennoch würden wir heute nicht sagen, Sto=e seien »das Sein als allgemeines«. Möglicherweise denkt Hegel einfach daran, dass Sto=e durch eine Äquivalenzrelation der Sto=gleichheit definiert sind: Ganz verschieden geformte Dinge, aber auch Flüssigkeiten und Gase heißen sto=gleich (bzw. sto=verschieden), wenn sie sich in ›chemischen‹ Reaktion zu anderen Sto=en gleich (resp. verschieden) verhalten. Sto=e gibt es also nur ›in der Weise des Begri=s‹, also per Abstraktion: Es wird von den Formen der Dinge und den Aggregatzuständen abstrahiert. Auch Formen sind begri=lich bestimmt, nämlich per Abstraktion relativ zur Äquivalenzbeziehung der Formgleichheit von Dingen. Sto=e sind wie Formen gewissermaßen in verschiedene Äquivalenzklassen aufgeteilt, die sich je auf verschiedene Weise real zeigen, so wie Wasser etwa als Eisberg, als Wasserdampf oder als flüssiges Wasser. Solange wir bloß in ahnender Weise über die Formen unserer Unterscheidungen und Identifikationen nachdenken, bemerken wir zwar, dass die Begri=e der Form und der sto=lichen Materie die je konkrete sinnliche Erscheinung aufheben, die wir auch als empirische ›Gestalt‹ ansprechen könnten. Aber wir erkennen damit noch nicht unsere Abstraktionsmethode im Umgang mit der Welt der Erscheinungen. Das zeigt sich klar am naiven Materialismus, der die Sto=e der Welt als unmittelbar und für sich existent unterstellt. Er meint, aus diesen Sto=en sei alles, was es gibt, so gebildet, wie man etwa aus Plastik alle möglichen Formen bilden kann. Damit übersieht man, dass es in der Welt weit mehr als Körperdinge und Sto=e gibt, etwa elektromagnetische Prozesse oder, wie man heute weiß, allerlei Quantenphänomene und subatomare ›Mechanismen‹. Und man übersieht erst recht die besondere Seinsweise von Lebewesen. Der Materialismus mystifiziert daher die Welt. Er ist keine Wissenschaft, sondern ein falsches Bild.
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Chemische Sto=e sind, als reine Sto=e gedacht, ebenso wie geometrische Formen ›unsinnlich sinnlich‹. Die Reinheit der Sto=e ergibt sich, wie die aller anderen Formen, in einem Denkprozess der Ideation: Es gibt sie als Sto=e nur in einer realiter höchst erfolgreichen Praxis der Sto=bestimmung, der chemischen Gesetze der Sto=umwandlung, der chemischen Reaktionen. Diese sind zu einem Teil experimentell herstellbar und kontrollierbar. Die ideale Theorie ›postuliert‹ dabei reine Sto=e, um ›reine Gesetze‹ artikulieren zu können, formal nicht anders, als wir in der Geometrie von den unreinen Gestalten zu den reinen Formen übergehen, und zwar um mathematisch und damit nomologisch (bzw. nomothetisch) über geometrische Formen und durch deren Vermittlung erst über allgemeine Verhältnisse im Bereich der geometrischen Gestalten sprechen zu können. Dies tun wir situationsinvariant und zeitallgemein, noch dazu gemäß exakten, also schematischen Regeln des formellen, theorie- und damit sprachinternen Unterscheidens und Schließens.81 »Es ist nun zu sehen, welche Wendung für ihn sein Resultat nimmt, und welche neue Gestalt seines Beobachtens damit auftritt. Als die Wahrheit dieses versuchenden Bewußtseins sehen wir das reine Gesetz, welches sich vom sinnlichen Sein befreit, wir sehen es als Begri=, der im sinnlichen Sein vorhanden, aber in ihm selbstständig und ungebunden sich bewegt, in es versenkt frei davon und einfacher Begri= ist.« (173 | 144)
Wenn wir unsere eigene geistige Formkraft als Moment oder Bestandteil der Subsumtion von Dingen und Sto=en unter Gesetze beachten, entsteht eine neue Form des beobachtenden Weltbezugs. Dasselbe gilt für die Zuschreibung eines generischen Wesens im Falle von Lebewesen oder die Zuordnung geistiger Fähigkeiten zu personalen Individuen. Das reine Gesetz gilt dabei als die Wahrheit oder Erfüllung der experimentell kontrollierten empirischen Zur Konstitution der reinen Redeformen der Geometrie im Ausgang von ›beobachtenden‹ Redeformen über Gestalten vgl. noch einmal Stekeler-Weithofer 2008. 81
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Hypothesen. Das ›versuchende Bewusstsein‹ ist gerade die experimentelle Kontrolle von Hypothesen. Jedes reine System von (am liebsten mathematisch formulieren) Gesetzen ist als ideale Theorie vom Einzelfall der Empirie relativ losgelöst oder ›befreit‹. Allerdings wird gesagt, dass das Gesetz im sinnlichen Sein ›vorhanden‹ sei. Das besagt: Es wird das Gesetz nicht unserer Form der Darstellung, sondern den Objekten selbst zugeschrieben. Die Kräfte werden entsprechend in die Gegenstände versetzt. Die durch die Gesetze der Physik, Chemie und dann auch der Biologie von uns in die physischen Dinge und Lebewesen ›versenkten‹, also diesen zugeschriebenen, Kräfte und dynamischenergetischen Fähigkeiten, ›bewegen‹ sich in diesen, aber bloß gemäß unserer Darstellung ›selbständig und ungebunden‹. Diese Gesetze werden als frei oder unabhängig vom sinnlichen Einzelnen sowohl auf der Seite des Beobachters als auch auf der Seite des beobachteten Einzelgegenstandes aufgefasst. Denn Gesetze gelten, wie gesagt, allgemein, situationsinvariant. Gesetze sind generische Wahrheiten. Sie gelten immer im Modus des Allgemeinen für ein ganzes Genus, nicht bloß für ein einzelnes Exemplar. Gesetze gehören gerade daher, wie alle Momente des Theoretischen, zum Gebiet des Begri=lichen, kurz ›zum Begri=‹. 253 b
»Dies, was in Wahrheit das Resultat und Wesen ist, tritt für dies Bewußtsein nun selbst, aber als Gegenstand auf, und zwar indem er eben für es nicht Resultat und ohne die Beziehung auf die vorhergehende Bewegung ist, als eine besondere Art von Gegenstand, und sein Verhältnis zu diesem als ein anderes Beobachten.« (173 | 144 f.)
Was in Wahrheit, also in der vollen Reflexion auf die Seinsweise von Kräften und Gesetzen, das Resultat einer Analyse unserer begri=lichen und theoretischen Konstruktionen ist, welche auf das rechte Verständnis unserer realen Reden von einem ›Wesen‹ eines Gegenstandes einer gewissen Art abzielt, wird nun aber in der bloß ahnenden, instinktartigen Reflexion als ein für sich oder unabhängig von Begri= und Theorie existierender Gegenstand aufgefasst. Dass es einer Antwort auf die Frage nach der generischen Form von Erklärungen eines typischen Verhaltens der
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Gegenstände bedarf, wird einfach vergessen. Man möchte jetzt, sozusagen, die Kräfte und Gesetze ›direkt‹ beobachten, welche zu den sinnlichen beobachtbaren Prozessen führen. Das gilt – und wir dürfen diesen Kontext nicht aus dem Blick verlieren – gerade auch für unsere eigenen Kräfte und Fähigkeiten im Kontext des Wissens um uns selbst. Die besondere Form des ›inneren‹ Beobachtens wird, aus der subjektiven Perspektive der Einzelperson gesehen, »Introspektion« genannt. Durch diese Form des ›inneren Beobachtens‹ wollen wir erkennen, was wir als psychische und geistige Wesen sind. Doch leider wird sich dieses innere Beobachten als irreführende ›Methode‹ herausstellen: Ein solches ›neuartiges‹ oder ›andersartiges‹ Beobachten des inneren Lebens, der Psyche, des Geistes, gibt es nicht. Es gibt nur die Möglichkeit der Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Empfindungen und Gefühle. Damit aber greife ich auf ein Ergebnis vor. Ich tue dies nur, um über das Ziel den Weg der Argumentation zu charakterisieren. »Solcher Gegenstand, welcher den Prozeß in der Einfachheit des Begri=es an ihm hat, ist das Organische. Es ist diese absolute Flüssigkeit, worin die Bestimmtheit, durch welche es nur für anderes wäre, aufgelöst ist. Wenn das unorganische Ding die Bestimmtheit zu seinem Wesen hat, und deswegen nur mit einem andern Dinge zusammen die Vollständigkeit der Momente des Begri=s ausmacht, und daher in die Bewegung tretend verloren geht; so sind dagegen an dem organischen Wesen alle Bestimmtheiten, durch welche es für anderes o=en ist, unter die organische einfache Einheit gebunden; es tritt keine als wesentlich auf, welche sich frei auf anderes bezöge; und das Organische erhält sich daher in seiner Beziehung selbst.« (173 | 145)
Ein Körper, der tatsächlich ein Innenleben hat und in gewissem Maße, wenn auch bloß figurativ, ein ›inneres Beobachten‹, nämlich Empfinden, erlaubt, ist ein Lebewesen. Lebewesen haben ein (mentales, empfindendes, fühlendes) Inneres und ein leibliches Äußeres. Hegel spricht hier vielleicht schon allzu allgemein von allem Organischen. Es reicht für uns, an Tiere zu denken, also an animalische Lebewesen mit Empfindungen. Empfindungen
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und Perzeptionen stehen dabei immer schon im Kontext einer Orientierung der Selbstbewegung des Lebewesens in Bezug auf andere Dinge und seinen Ort in der Welt. Lebewesen sind damit für anderes o=en. Als Menschen sind wir o=en für die Welt der Lebewesen und Dinge, aber natürlich auch für die Welt(en) der anderen Menschen und Personengruppen – oder sollten dies sein.
29.2 Selbstbezugnahmen des Lebendigen im Selbsterhalt Für das ›Organische‹ steht hier wohl das Paradigma der Seinsweise eines animalischen Lebewesens. Als solches ist es Fürsichsein, Selbstbezug, und zwar tätig, im Perzipieren und SichBewegen, in der Nahrungsaufnahme und in der empfindenden Selbstkontrolle, etwa auch im Sto=wechsel. Lebewesen erhalten sich selbst. Das Wesen der Lebewesen ist die Autopoiesis. Das organische Leben ist, figurativ gesprochen, »absolute Flüssigkeit«, Prozess des Lebens, dessen ›Leib‹ sich materiell dauernd erneuert, aber in gewissem Sinn eine Form über die Zeit des Lebens hinweg bewahrt bzw. erfüllt. Ein Lebewesen ist, was es ist, nicht bloß für andere Dinge oder Wesen, etwa in Relation zu uns Menschen und unseren Interessen, wie dies ein Stuhl wäre oder auch ein Stein. Es lebt für sich. Seine Identität ist nicht willkürlich durch uns bestimmt, sondern durch sein Sein und Leben selbst. Ein Lebewesen steht zuerst und zuvörderst in einer Beziehung zu ihm selbst. Das heißt, im Prozess des Lebens des Lebewesens geht es dem Lebewesen um sich im Sinne des Daseins oder Weiterleben-Könnens. Jedes andere Ding ist (durch uns) immer nur in einem System der Relationen zu anderen Dingen bestimmt. Wir sind Beobachter, die an dem Ding aus vielerlei Gründen interessiert sind. Aber schon Tiere, nicht erst Menschen, sind sich selbst Zweck, jedenfalls in einem gewissen Ausmaß und Sinn, freilich nur, wenn wir aus dem allgemeinen Begri= des Zwecks die bewusste Repräsentation seines Inhalts, seiner Erfüllungsbedin-
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gungen, ausschließen. Letztere gibt es nur für Menschen. Wenn es das gewesen wäre, was Kant hatte sagen wollen, als er den Tieren einen wahren teleogischen Zweckbezug absprach, behielte er Recht. Aber er hat zugleich die genuine Form nicht bewusst kontrollierter Teleologie im Leben von Lebewesen übersehen oder zumindest zunächst infrage gestellt. »Die Seiten des Gesetzes, auf dessen Beobachtung hier der Vernunftinstinkt geht, sind, wie aus dieser Bestimmung folgt, zunächst die organische Natur und die unorganische in ihrer Beziehung aufeinander. Diese letztere ist für die organische eben die ihrem einfachen Begri=e entgegengesetzte Freiheit der losgebundenen Bestimmtheiten, in welchen die individuelle Natur zugleich aufgelöst, und aus deren Kontinuität sie zugleich sich absondert und für sich ist.« (174 | 145)
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Wir selbst sind Lebewesen. Wir selbst erhalten unser Leben. Die Beobachtung von uns selbst führt uns daher zunächst zur Beobachtung unseres realen ›zoologischen‹ oder ›biologischen‹ Lebens, unserer ›organischen Natur‹ in ihrer Beziehung auf die unorganische Natur der physischen Umwelt, aber auch in Bezug auf andere Lebewesen. Dies führt zur Unterscheidung zwischen je mir und je uns, je uns und anderen Lebewesen. Es führt auch zur Unterscheidung des Lebens von allen bloß physischen und bloß chemischen Prozessen in der Welt: Die individuelle Natur eines jeden Lebewesens unterscheidet sich ja gerade in ihrem Fürsichsein und ihrer Autopoiesis von ihrer Umwelt. Dieses allgemeine Rahmenwissen ist Voraussetzung für alle unsere materialbegri=lichen Unterscheidungen in der Welt. Es macht wenig Sinn, hier weitere ›Gründe‹ für das Unterscheiden einzufordern. »Luft, Wasser, Erde, Zonen und Klima sind solche allgemeine Elemente, die das unbestimmte einfache Wesen der Individualitäten ausmachen, und worin diese zugleich in sich reflektiert sind. Weder die Individualität ist schlechthin an und für sich noch das Elementarische, sondern in der selbstständigen Freiheit, in welcher sie für die Beobachtung gegeneinander auftreten, verhalten sie sich zugleich als wesentliche Beziehungen, aber so, daß die Selbstständigkeit und Gleichgültigkeit beider gegeneinander das Herrschende ist, und nur
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zum Teil in die Abstraktion übergeht. Hier ist also das Gesetz, als die Beziehung eines Elements auf die Bildung des Organischen vorhanden, welches das elementarische Sein einmal gegen sich über hat, und das andremal es an seiner organischen Reflexion darstellt.« (174 | 145)
Luft, Wasser, Klimazonen sind geophysische Umweltbedingungen, welche die Typik von Individuen, also die Seins- und Lebensformen von Tierarten und Menschengruppen mitbestimmen (können). Es gibt eine Art Wechselwirkung zwischen Umwelt und Lebenstypik. Dabei geht es nicht um spezifische Thesen dazu, nur um die allgemeine Tatsache. Es gibt eine Balance zwischen einer ›selbständigen Fähigkeit‹ und den ›wesentlichen Beziehungen‹ zwischen der Seinsweise der Lebewesen und ihrer Umwelt. In der von Niklas Luhmann extensiv gebrauchten Rede von einem Verhältnis zwischen ›System‹ und ›Umwelt‹ ist dabei bloß die unklare Bestimmung der Identität und Grenzen des ›Systems‹ und seiner Umwelt das Problem. Hegel sagt, es herrsche eine gewisse Gleichgültigkeit zwischen Lebewesen und Umwelt, die nur zum Teil ›in die Abstraktion übergehe‹. Das ist wohl ein metaphorischer Ausdruck gerade dafür, dass die Grenzen dessen, was zu mir selbst gehört, und was für mich Umwelt ist, viel weniger scharf gezogen sind, als wir normalerweise denken. Es ist ja nicht einfach meine Außenhaut die Grenze. In gewissem Sinn gehört alles Meinige zu mir. Schon das gefangene Tier oder die Beute ›gehört‹ in einem gewissen Sinn dem Raubtier, kann ihm aber von anderen auch weggenommen werden. Auch dies sind keine empirischen Aussagen, sondern Ergebnisse typischer Beobachtungen, die längst zur Logik unserer Unterscheidungen gehören. Andererseits kann ich viele Teile meines eigenen Leibes als mir äußerlich betrachten, so wie ein in einem Felsspalt gefangener Bergsteiger seinen eigenen Arm abschneiden kann, um sich zu befreien, wie man ganz richtig sagt – wobei das »sich« jetzt den Arm ausschließt, anders als im Fall, in dem meine Hand etwas wegnimmt und ich als ganze Person damit zum Dieb werde. Es gibt hier natürlich Gesetze, welche das Verhältnis des Seins eines Lebewesens zu seiner biologischen und physischen Umwelt
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bestimmbar machen: Tiere brauchen in der Regel Sauersto= und Licht, Nahrung und Wärme bzw. regulieren einen Teil selbst, etwa in Bezug auf Körpertemperatur oder Druckausgleich. Im Tier laufen chemische Prozesse ab. Und es gibt biologisch zu beschreibende Prozesse, etwa der Reproduktion des eigenen Körpers im Sto=wechsel und der Art der Gattung in der Generationenfolge. Wie tief die Abhängigkeit eines Lebewesens von seiner Umwelt reicht, ist durchaus o=en. »Allein solche Gesetze, daß die Tiere, welche der Luft angehören, von der Bescha=enheit der Vögel, welche dem Wasser, von der Beschaffenheit der Fische sind, nordische Tiere ein dickbehaartes Fell haben und so fort, zeigen sogleich eine Armut, welche der organischen Mannigfaltigkeit nicht entspricht [d. h. man kann die Gestalten der Tiere und ihre Lebensformen nicht e;zienzkausal direkt aus ihren geographischen Umwelten erklären, PSW]. Außer dem daß die organische Freiheit diesen Bestimmungen ihre Formen wieder zu entziehen weiß, und notwendig allenthalben Ausnahmen solcher Gesetze oder Regeln [sic!, PSW], wie man sie nennen wollte, darbietet, so bleibt dies an denjenigen selbst, welche unter sie fallen, eine so oberflächliche Bestimmung, daß auch der Ausdruck ihrer Notwendigkeit nicht anders sein kann [sic!, PSW], und es nicht über den großen Einfluß hinausbringt; wobei man nicht weiß, was diesem Einflusse eigentlich angehört, und was nicht. Dergleichen Beziehungen des organischen auf das elementarische sind daher in der Tat nicht Gesetze zu nennen [sic!, PSW], denn teils erschöpft, wie erinnert, eine solche Beziehung, ihrem Inhalte nach, gar nicht den Umfang des Organischen, teils bleiben aber auch die Momente der Beziehung selbst gleichgültig gegeneinander, und drücken keine Notwendigkeit aus.« (174 f. | 145 f.)
Die Unterscheidung zwischen System und Umwelt ist nicht spezifisch für das Leben des Organischen. Es ist eine allgemeine logische Form, die als solche nichts ›besagt‹. Wir können insbesondere nicht aus den Umweltbedingungen direkt auf die Körperund Lebensformen schließen. In der Arktis haben Tiere ein dickes Fell: Sie müssen ja die Wärme halten. Aber das gilt nicht allgemein; Menschen in der Arktis z. B. benutzen ›Techniken‹. Es
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gibt eine große Vielfalt der Möglichkeiten, sich an die Umweltbedingungen anzupassen. Es gibt auch immer Ausnahmen. Dabei sind die Beziehungen des Organischen auf das ›Elementarische‹, also zwischen biologischem Leben und nicht-biologischer Umwelt, nicht als starre Gesetze formulierbar, auch wenn es gewisse Notwendigkeiten für die Möglichkeiten des Erhalts des Lebens einer Art in bestimmten Umwelten durchaus gibt. Es geht bei allen diesen Beispielen immer noch um die Frage nach dem begrenzten Status von kausalen Gesetzen und der Warnung davor, allgemeine logische Rahmenbeziehungen schon als spezifische Erklärungen zu lesen. 255 d
»Im Begri=e der Säure liegt der Begri= der Base, wie im Begri=e der positiven die negative Elektrizität; aber so sehr auch das dickbehaarte Fell mit dem Norden, oder der Bau der Fische mit dem Wasser, der Bau der Vögel mit der Luft zusammen angetro=en werden mag, so liegt im Begri=e des Nordens nicht der Begri= dicker Behaarung, des Meeres nicht der des Baues der Fische, der Luft nicht der des Baus der Vögel. Um dieser Freiheit beider Seiten gegeneinander willen gibt es auch Landtiere, welche die wesentlichen Charaktere eines Vogels, des Fisches haben usf. Die Notwendigkeit, weil sie als keine innere des Wesens begri=en werden kann, hört auch auf, sinnliches Dasein zu haben, und kann nicht mehr an der Wirklichkeit beobachtet werden, sondern ist aus ihr herausgetreten. So an dem realen Wesen selbst sich nicht findend, ist sie das, was teleologische Beziehung genannt wird [sic!, PSW], eine Beziehung, die den bezogenen äußerlich, und daher vielmehr das Gegenteil eines [e;zienzkausalen, PSW] Gesetzes ist. Sie ist der von der notwendigen Natur ganz befreite Gedanke, welcher sie verläßt, und über ihr sich für sich bewegt.« (175 | 146)
Die Beziehungen zwischen Säure und Base, positivem und negativem Pol sind begri=lich fundamental für einen Teil der Chemie bzw. den Magnetismus und die Elektrizität. Das ökologische Verhältnis zwischen physischer Umwelt und Anpassung oder Adaption des Habitus der jeweiligen Arten von Lebewesen ist von ganz anderem Typ. Noch ganz anders ist die teleologische Beziehung im Leben von Einzelwesen. Diese ›Teleologie‹ des
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Selbsterhalts gibt es wirklich, auch wenn sie nicht mit bewusster Intentionalität zu verwechseln ist, wie sie nur begri=sbegabten Menschen o=ensteht. Das eigentliche Problem ist hier die Anerkennung der Tatsache, dass wir viele Prozesse, besonders Lebensprozesse, nur dadurch von anderen unterscheiden können, dass wir auf ihr normales Ende Bezug nehmen. Das liegt nicht an unserem mangelhaften Wissen, sondern daran, dass die Welt so ist und sich uns so zeigt. Es ist also keineswegs immer ein Mangel unseres Vorherwissens, wenn wir vieles nicht e;zienzkausal erklären können. Dass ein Vorgri= auf Ziele und Enden des Verhaltens etwa von Tieren nötig ist, um auf der Basis unseres Wissens über normale Lebensverläufe und Seinsweisen überhaupt unterscheidend beschreiben zu können, was es gerade tut, ist eine allgemeine Tatsache. In ihr zeigt sich, wie die Welt ist. »Wenn die vorhin berührte Beziehung des Organischen auf die elementarische Natur das Wesen desselben nicht ausdrückt, so ist es dagegen in dem Zweckbegri=e [der teleogischen Seinsform der Lebewesen, PSW] enthalten. Diesem beobachtenden Bewußtsein zwar ist er nicht das eigne Wesen des Organischen, sondern fällt ihm außer demselben [sic!, PSW], und ist dann nur jene äußerliche, teleologische Beziehung. Allein wie vorhin das Organische bestimmt worden, ist es in der Tat der reale Zweck selbst [sic!, PSW]; denn indem es sich in der Beziehung auf Anderes selbst erhält [sic!, PSW], ist es eben dasjenige natürliche Wesen, in welchem die Natur sich in den Begri= reflektiert [sic!, PSW], und die an der Notwendigkeit auseinandergelegten Momente einer Ursache und einer Wirkung, eines Tätigen und eines Leidenden, in eins zusammengenommen; so daß hier etwas nicht nur als Resultat der Notwendigkeit auftritt; sondern, weil es in sich zurückgegangen ist, ist das Letzte oder das Resultat ebensowohl das Erste, welches die Bewegung anfängt, und sich der Zweck, den es verwirklicht [sic!, PSW]. Das Organische bringt nicht etwas hervor, sondern erhält sich nur [sic!, PSW], oder das, was hervorgebracht wird, ist ebenso schon vorhanden, als es hervorgebracht wird [sic!, PSW].« (175 f. | 146)
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Das Verhältnis zwischen einem Lebewesen und seiner Umwelt stellt noch nicht die Natur oder das Wesen des Lebewesens dar. Wie schon angedeutet, liegt dieses Wesen darin, dass das Leben oder Sein des Lebewesens für dieses Selbstzweck ist. In einer bloßen Wahrnehmung des Verhaltens tritt zwar der Begri= des Selbstzwecks gar nicht auf. Es verlangt sogar schon mehr als Beobachtung, um das teleologische Wesen des Lebewesens zu erfassen: Wir müssen hier sozusagen schon unser Wissen über unsere eigene Subjektivität investieren, etwa über Begierden und deren Befriedigung. Aus der Sicht reiner Empirie erscheint das Teleologische, die Zweckdienlichkeit des Verhaltens im Leben des Lebewesens, bloß als etwas Äußerliches, als bloß von uns zugeschrieben. Das ist erstens so, weil wir nicht in die Subjektivität eines Tieres schlüpfen können, zweitens, weil man in der bloß präsentischen Wahrnehmung trivialerweise die Zukunft nicht ›sehen‹ kann. Die causa finalis im Verhalten des Tieres kennt man nur allgemein. Dennoch ist es ganz falsch zu sagen, der Zweck sei etwas, was wir dem Lebewesen nur zuschreiben, ohne dass die Lebewesen selbst in ihrem Verhalten durch den Zweck bestimmt wären. Es ist zwar, wie gesagt, wirklich so, dass Tiere sich keine ›bewussten Zwecke‹ in dem Sinn setzen können, in welchem wir beliebige Möglichkeiten in beliebigen Zukünften sprachlich ausmalen, uns damit vergegenwärtigen, ›vorstellen‹ oder repräsentieren und unser Tun daran ausrichten können. Dennoch verhalten sich Tiere zielorientiert, auch wenn sie sich diese Ziele aus der je gegenwärtigen Situation, in der sie sich befinden, sozusagen direkt geben lassen (müssen). Hunger ist so eine ›Situation‹. Die empiristische ›Sparsamkeit‹ in Sachen Teleologie, welche Ziele bloß als Zuschreibungen zulassen will, wird dramatisch falsch in der Unterstellung, jeder von uns würde auch anderen Personen Zwecke bloß zuschreiben oder zusprechen. Die Di=erenz zwischen zugeschriebenen Zwecken und dem Haben von Zwecken wäre dann nicht mehr artikulierbar oder gar verstehbar. Analoges gilt für biologische Prozesse und die Di=erenz zwischen einer willkürlichen Zuschreibung von Zielbestimmungen und
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einem generischen Telos, das sich im allgemeinen Verhalten der Gattung zeigt. So wie das Leben von Lebewesen bestimmt ist, ist es in der Tat ein Prozess, indem es dem Wesen wirklich um seinen Selbsterhalt, um das Leben selbst als Zweck an und für sich geht. Das ist Teil des Begri=s des Lebewesens und Lebens selbst, nicht eine Projektion, die wir als bloße Beobachter in die Lebewesen hineinlegen. Es wäre hilfreich, wenn die neuere Biologie diese definitorische Bestimmung festhalten könnte und den Begri= des Lebens nicht an die biologischen Hilfswissenschaften der Physik, Chemie und Physiologie verlöre. Deren Beschreibungsformen sind übrigens schon zeitlich anders strukturiert als die der Biologie. Sie lehren uns, was in gewissen Situationen aufgrund von Vorgängerereignissen e;zienzkausal geschieht. Schon in der Bewegung des Tieres ist aber der genaue Weg zum Ziel nicht vorab beschreibbar – und es wird das Ziel oft auch nicht erreicht, so dass weitere Versuche folgen, es zu erreichen. Hegels Formel ist: Ein Lebewesen ist ein natürliches Wesen, »in welchem die Natur sich in den Begri= reflektiert«. Die Formel ist schwierig. Sie besagt nämlich das Gegenteil dessen, was man zumeist in sie hineinliest. Sie besagt nicht, dass ein mystischer Begri= in den Tieren wirkt. Sie besagt, dass das, was wir in unserer begri=lichen Fassung der Zielgerichtetheit des Verhaltens der Tiere an Teleologie in unseren Darstellungen ihres Lebens investieren, das Wesen oder die Seinsweise des Lebens der Lebewesen selbst tri=t. Das Leben selbst ist teleologisch, nicht bloß unsere Darstellung des Lebens der Lebewesen. Im Leben eines Lebewesens sind also Ursache und Wirkung nicht voneinander getrennt wie im Fall der Bewegung eines ›toten‹ Billardballes durch den Anstoß eines anderen. Die Wirkung, das Ziel, ist Ursache für das Tun, das seinerseits das Ziel erfüllt. Das (erho=te) Resultat des Tuns ›bewirkt‹ hier das Tun auf ganz andere Weise als die bloß mechanische Ursache einer Billardbewegung: Das Ziel oder Telos wird durch das Tun verwirklicht. Das Organische, das Lebewesen, erhält sich dabei aber nur. Es bringt
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also nicht etwas Neues hervor. Es ist als Wesen vielmehr schon da, samt seiner ›Formgestalt‹ und ›Lebensform‹. 257 a
»Diese Bestimmung ist, wie sie an sich und wie sie für den Vernunftinstinkt ist, näher zu erörtern, um zu sehen, wie er sich darin findet, sich aber in seinem Funde nicht erkennt. Der Zweckbegri= also, zu dem die beobachtende Vernunft sich erhebt, wie es ihr bewußter Begri= ist, ist eben so sehr als ein Wirkliches vorhanden [sic!, PSW]; und ist nicht nur eine äußere Beziehung desselben, sondern sein Wesen [sic!, PSW]. Dieses Wirkliche, welches selbst ein Zweck ist, bezieht sich zweckmäßig auf anderes, heißt, seine Beziehung ist eine zufällige, nach dem, was beide unmittelbar sind; unmittelbar sind beide selbstständig, und gleichgültig gegeneinander. Das Wesen ihrer Beziehung aber ist ein anderes, als sie so zu sein scheinen, und ihr Tun hat einen andern Sinn, als es unmittelbar für das sinnliche Wahrnehmen ist; die Notwendigkeit ist an dem, was geschieht, verborgen, und zeigt sich erst am Ende, aber so, daß eben dies Ende zeigt, daß sie auch das Erste gewesen ist [in der rechten Befriedigung der Begierde zeigt sich ihre teleologische Struktur, PSW]. Das Ende aber zeigt diese Priorität seiner selbst [bzw. der Befriedigung als empfundene Erfüllung eines Ziels, PSW] dadurch, daß durch die Veränderung, welche das Tun vorgenommen hat, nichts anders herauskommt, als was schon war. Oder wenn wir vom Ersten anfangen, so geht dieses an seinem Ende oder in dem Resultate seines Tuns nur zu sich selbst zurück; und eben hiedurch erweist es sich, ein solches zu sein, welches sich selbst zu seinem Ende hat, also als Erstes schon zu sich zurückgekommen, oder an und für sich selbst ist. Was es also durch die Bewegung seines Tuns erreicht, ist es selbst; und daß es nur sich selbst erreicht, ist sein Selbstgefühl [sic!, PSW].« (176 | 146 f.)
Was eine zielbestimmte Selbstbeziehung an sich ist, in unserer generischen Darstellung also, ist nun genauer zu untersuchen, und zwar wie sie für sich im Lebewesen wirklich und wirksam ist. Ab jetzt ersetze ich bei Tieren das Wort »Zweck« durch »Ziel«. Das dient der Warnung vor einem Anthropomorphismus: Ziele müssen nicht explizit repräsentiert sein, wie es menschliche Zwecke normalerweise sind. Der ›Vernunftinstinkt‹ ist wieder ein
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bloß erst ahnendes (Selbst-)Wissen, epistemisches Gefühl. Wie aber findet sich die Vernunft in der Ahnung unseres Selbstseins, ohne dass wir schon erkennen würden, was es ist, das wir dabei erahnen? Hegel wiederholt noch einmal, dass die Ziele im Verhalten von Tieren und die Zwecke im Handeln von Menschen beide wirklich wirksam sind. Sie sind nicht bloß als äußere Beziehungen zwischen dem Verhalten und dem Ergebnis von uns post hoc zugeschrieben. Zielgerichtetes Verhalten gehört zum Wesen des Lebens. Dabei bezieht sich das Lebewesen auf anderes, auf Dinge oder anderes Organisches, auch auf anderes tierisches Leben. An dieser Beziehung ist zufällig, was jeweils als Umwelt dem Lebewesen gegeben ist; sein Selbsterhalt aber ist nicht akzidentell, sondern ›notwendig‹. Abzuwenden ist die Not der Gefährdungen des Selbstseins, des Lebens. Zwar zeigt sich die Befriedigung eines Bedürfnisses, die Erfüllung eines Zwecks, zeitlich erst später, nach Ablauf des Prozesses, der ein Verhalten sein kann oder beim Menschen ein Handeln. Was das Lebewesen im Prozess der Befriedigung von Bedürfnissen als Aufhebung eines Mangels also erreicht, ist es selbst, sein Leben. Und die Kontrolle, dass eben das erreicht ist, geschieht auf der Ebene der Empfindung im Selbstgefühl. Das gilt für alle animalischen Lebewesen, je nach ihrer Art, besonders aber für uns Menschen. »Es ist hiemit zwar der Unterschied dessen, was es ist, und was es sucht, vorhanden, aber dies ist nur der Schein eines Unterschieds, und hiedurch ist es Begri= an ihm selbst.« (176 | 147)
Durch die zeitliche Trennung des Strebens nach Erfüllung und der Befriedigung des Strebens bzw. Stillung des Bedürfnisses ist das Lebewesen, das noch strebt und begehrt, unterschieden von dem, welches das Gesuchte findet und das Ziel erreicht hat: Das Tier, das noch hungert, verhält sich anders, als das Tier, das satt ist. Doch es ist dasselbe Tier. Der Begehrenszustand verweist auch schon begri=lich auf seine Befriedigung oder Erfüllung, selbst dort, wo es sich noch nicht um bewusste Zwecke, also um Absichten im Handeln, sondern bloß erst um Begierden handelt. Das
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Begehren des Lebewesens nach Leben ist der allgemeine Begri= des Lebens an ihm und für es selbst. Die Lebensform eines Tieres z. B. ist der Begri= des Tieres, die Art (oder Gattung), das eidos an ihm selbst. 258
»Ebenso ist aber das Selbstbewußtsein bescha=en, sich auf eine solche Weise von sich zu unterscheiden, worin zugleich kein Unterschied herauskömmt. Es findet daher in der Beobachtung der organischen Natur nichts anders als dies Wesen, es findet sich als ein Ding, als ein Leben, macht aber noch einen Unterschied zwischen dem, was es selbst ist, und was es gefunden, der aber keiner ist [sic!, PSW]. Wie der Instinkt des Tieres das Futter sucht und verzehrt, aber damit nichts anders herausbringt als sich [sic!, PSW], so findet auch der Instinkt der Vernunft in seinem Suchen nur sie selbst. Das Tier endigt mit dem Selbstgefühle [sic!, PSW]. Der Vernunftinstinkt hingegen ist zugleich Selbstbewußtsein [sic!, PSW]; aber weil er nur Instinkt ist, ist er gegen das Bewußtsein auf die Seite gestellt, und hat an ihm seinen Gegensatz. Seine Befriedigung [sic!, PSW] ist daher durch diesen entzweit, er findet wohl sich selbst, nämlich den Zweck, und ebenso diesen Zweck als Ding. Aber der Zweck fällt ihm erstlich außer dem Dinge, welches sich als Zweck darstellt. Dieser Zweck als Zweck ist zweitens zugleich gegenständlich [d. h. er ist objektiv bestimmt, PSW], er fällt ihm daher auch nicht in sich als Bewußtsein, sondern in einen andern Verstand [d. h. die Erfüllungen werden nicht bloß als Befriedigungsgefühle kontrolliert, PSW].« (176 f. | 147)
So wie das Leben sich auf sich selbst tätig bezieht, bezieht sich das Selbstwissen und die vernünftige Selbstbestimmung immer auch auf sich selbst. Dazu muss es sich von sich unterscheiden. Und es ist doch immer auch schon es selbst. Es ist an sich Wissen vom Wissen, an und für sich ist es je mein Wissen von mir und je unser Wissen von uns selbst. Das Selbstwissen oder Selbstbewußtsein, das sich in beobachtender Weise auf die organische, also animalische Natur des wissenden Menschen selbst richtet, findet sich zunächst als leibliches Lebewesen. Formal unterscheidet diese Art des Selbstwissens noch zwischen dem Wissenden und dem Gewussten, als wäre eine
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Geistseele das Subjekt und der Leib das Objekt. Wie also ein Tier instinktmäßig Nahrung sucht und sich selbst dabei reproduziert, so findet auch eine instinktartige Selbstreflexion, sogar noch die transzendentale Intuition bei Descartes oder bei Kant, immer bloß die eigene Vernunft, freilich zunächst nur erst im mantischen Modus der Ahnung. Der Vernunftinstinkt ist dementsprechend ein noch unvollkommener Modus des Selbstbewusstseins. Es ist die Ahnung, dass wir Vernunftwesen sind, ohne schon zu wissen, was das heißt. Unvollkommen ist dabei insbesondere die vermeintliche Trennung zwischen dem denkenden und beobachtenden Subjekt und dem Leib als dem Gegenstand der Selbstbeobachtung. Außerdem wird der bloß gedachte Zweck dem Zweck in der realen Verfolgung der Erfüllung und der Kontrolle der Erfüllung so gegenübergestellt, dass die durchgängige Leiblichkeit sowohl des Tiers als auch der Erfüllungsurteile von Personen noch nicht explizit klar ist. Hegels Text bestätigt unsere Lesart mit dem Satz »Das Tier endigt mit dem Selbstgefühle«. Hegels Rede vom Körper oder Leib als ›Ding‹ ist gewöhnungsbedürftig. Es ist wohl nur eine drastische Betonung des Physischen am Leben im Kontrast zum ›Seelischen‹. Dieses wird sich als Form und Formerhalt herausstellen. Zunächst ist auch noch unklar, in welchem Sinn der Zweck als Zweck nicht einfach bloß in je mein Bewusstsein fällt, sondern ›in einen anderen Verstand‹. Gemeint ist wohl, dass Zwecke als Zwecke begri=lich bestimmt sind und ihre rechte Erfüllung aus mir einen anderen macht, als ich es vor der Erfüllung bin, dass aber diese Erfüllung nicht bloß vom eigenen Selbstgefühl her kontrolliert wird, so wie die wirkliche Erfüllung von Absichten immer auch von anderen Personen mitbeurteilbar sein muss, wie wir noch genauer sehen werden. »Näher betrachtet, so liegt diese Bestimmung ebensowohl in dem Begri=e des Dinges [gemeint ist der lebendige Leib, PSW], daß es Zweck an ihm selbst ist. Es nämlich erhält sich; d. h. zugleich, es ist seine Natur, die Notwendigkeit zu verbergen und in der Form zufälliger Beziehung darzustellen; denn seine Freiheit oder Fürsichsein ist eben dieses, sich gegen sein Notwendiges als ein Gleichgültiges zu
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verhalten; es stellt sich also selbst als ein solches dar, dessen Begri= außer seinem Sein falle.« (177 | 147 f.)
Als lebendiger Mensch bin je ich Zweck an mir selbst. Das bin ich leiblich, als Leib und damit, wie Hegel sich ausdrückt, als Ding. Es ist aber die Natur oder das Wesen bewusster und autonomer Selbstzweck-Setzung, dass die Notwendigkeiten des leiblichen Selbsterhalts beliebigen Zwecksetzungen neben- und nachgeordnet werden können. Damit wird der Charakter der ›Notwendigkeit‹ der Selbstbeziehungen des leiblich-lebendigen Selbsterhalts gewissermaßen wieder verborgen: Es scheint jetzt so, als ließe sich die Seele vom Leib, der Selbstbezug des Geistes vom Selbsterhalt des Leibes abtrennen – was aber bloß verbal geht: 259 b
»Ebenso hat die Vernunft die Notwendigkeit, ihren eignen Begri= als außer ihr fallend, hiemit als Ding anzuschauen, als ein solches, gegen das sie, und das hiemit gegenseitig gegen sie und gegen seinen Begri= gleichgültig ist. Als Instinkt bleibt sie auch innerhalb dieses Seins oder der Gleichgültigkeit stehen, und das Ding, welches den Begri= ausdrückt, bleibt ihm ein anderes als dieser Begri=, der Begri= ein anderes als das Ding. So ist das organische Ding für sie nur so Zweck an ihm selbst, daß die Notwendigkeit, welche in seinem Tun als verborgen sich darstellt, indem das Tuende darin als ein gleichgültiges für sich Seiendes sich verhält, außer dem Organischen selbst fällt. – Da aber das Organische als Zweck an ihm selbst sich nicht anders verhalten kann denn als ein solches, so ist auch dies erscheinend und sinnlich gegenwärtig, daß es Zweck an ihm selbst ist, und es wird so beobachtet. Das Organische zeigt sich als ein sich selbst Erhaltendes und in sich Zurückkehrendes und Zurückgekehrtes.« (177 | 148)
Die Teleologie des Lebens etwa von Tieren ist nicht bloß eine Rede im Modus des ›als ob‹, sondern die reale Form des Lebens. Aber auch das vernünftige Selbstbewusstsein beim Menschen ist nur am leiblichen Wesen zu beobachten: Es hat sich in seiner leiblichen Wirklichkeit zu zeigen. Das hat zur Folge, dass die geistigen Fähigkeiten in ihrem leiblichen Vollzug beobachtet werden können (und müssen). Leider werden sie dann oft gleich so verstanden, als korrespondierten ihnen Leibzentren,
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welche die Aktualisierung der Fähigkeiten im Tun ähnlich ›steuern‹ wie handelnde Personen ihr Gesamttun. Es entsteht das Bild von modularen homunculi im Kopf oder im Gehirn. Eine solche ›Theorie‹ leiblicher ›Agentien‹ liegt nahe, wenn man die Rede vom Bewusstsein und seiner Einheit hypostasiert, also gegenständlich über ›es‹ redet, als wäre ›es‹ eine ›Entität‹. Oder es liegt das Bild von ›Modulen‹ nahe – etwa im Sehen, Fühlen, Sprechen, Sprachverstehen usf. Das ist die tiefe Ursache für die soghafte Tendenz zur ›Verdinglichung‹ aller geistigen Fähigkeiten, wie sie nicht bloß den Mentalismus, sondern bis heute die empirischen Kognitionswissenschaften prägt. »Aber in diesem Sein erkennt dies beobachtende Bewußtsein den Zweckbegri= nicht, oder dies nicht, daß der Zweckbegri= nicht sonst irgendwo in einem Verstande, sondern eben hier existiert, und als ein Ding ist. Es macht einen Unterschied zwischen dem Zweckbegri=e, und zwischen dem Fürsichsein und sich selbst Erhalten, welcher keiner ist. Daß er keiner ist, ist nicht für es, sondern ein Tun, das zufällig und gleichgültig gegen das, was durch dasselbe zustande kommt, erscheint, und die Einheit, welche doch beides zusammenknüpft – jenes Tun und dieser Zweck fällt ihm auseinander.« (177 f. | 148)
Eine gegenläufige Verdinglichung findet statt, wenn sich im dualistischen Mentalismus die Vernunft selbst wie ein geistiges Ding dem Leib und seinem Leben entgegenstellt: Das Leben des Leibes wird dann zwar als Selbstzweck des leiblichen Lebens anerkannt. Aber der vermeintlich körperliche Geist distanziert sich als Seele sozusagen von diesem scheinbar bloß leiblichen Bedürfnis nach Selbsterhaltung. Diese Selbstdistanzierung wird vom Christentum und dann auch wieder von Schopenhauer positiv bewertet. Am Ende handelt es sich um eine logische Geisteskrankheit. Wir können und sollten uns nicht davon distanzieren, dass wir animalische Lebewesen sind und es uns immer auch um uns selbst und unser Seinkönnen oder weiteres Leben geht. Diese Grundtatsache des Lebens als ›Egoismus‹ oder ›Erbsünde‹ oder als das ›Böse‹ des Eigenwillens zu verdammen, ist begri=licher Humbug.
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Zentral ist die (aristotelische) Einsicht, dass eigentlich über die Form des (geistigen) Lebensprozesses selbst die Rede ist, wenn von der (Geist-)Seele die Rede ist. Dabei ist zwischen implizit in das präsentische Verhalten eingelassenen Zwecken (Zielen) des Tuns und expliziten Zwecksetzungen im Handeln zu unterscheiden. 260
»Was in dieser Ansicht dem Organischen selbst zukommt, ist das zwischen seinem Ersten und Letzten mitten inne liegende Tun, insofern es den Charakter der Einzelnheit an ihm hat. Das Tun aber, insofern es den Charakter der Allgemeinheit hat, und das Tuende demjenigen, was dadurch hervorgebracht wird, gleichgesetzt, das zweckmäßige Tun als solches, käme nicht ihm zu. Jenes einzelne Tun, das nur Mittel ist, tritt durch seine Einzelnheit unter die Bestimmung einer durchaus einzelnen oder zufälligen Notwendigkeit. Was das Organische zur Erhaltung seiner selbst als Individuums, oder seiner als Gattung tut, ist daher diesem unmittelbaren Inhalte nach ganz gesetzlos, denn das Allgemeine und der Begri= fällt außer ihm. Sein Tun wäre sonach die leere Wirksamkeit ohne Inhalt an ihr selbst; sie wäre nicht einmal die Wirksamkeit einer Maschine, denn diese hat einen Zweck, und ihre Wirksamkeit hiedurch einen bestimmten Inhalt. So verlassen von dem Allgemeinen würde sie Tätigkeit nur eines Seienden als Seienden, d. h. eine nicht zugleich in sich reflektierte sein, wie die einer Säure oder Base ist; eine Wirksamkeit, die von ihrem unmittelbaren Dasein sich nicht abtrennen, noch dieses, das in der Beziehung auf sein Entgegengesetztes verloren geht, aufgeben, sich aber erhalten könnte. Das Sein aber, dessen Wirksamkeit die hier betrachtete ist, ist gesetzt als ein in seiner Beziehung auf sein Entgegengesetztes sich erhaltendes Ding; die Tätigkeit als solche ist nichts als die reine wesenlose Form seines Fürsichseins, und ihre Substanz, die nicht bloß bestimmtes Sein, sondern das Allgemeine ist, ihr Zweck fällt nicht außer ihr; sie ist an ihr selbst in sich zurückgehende, nicht durch irgendein Fremdes in sich zurückgelenkte Tätigkeit.« (178 | 148 f.)
Was ein Lebewesen im Einzelfall alles tut, um sich selbst als Einzelwesen zu erhalten oder um die Arterhaltung zu sichern,
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kann man gesetzesartig nur allgemein vorhersagen oder ›erklären‹. Denn das Allgemeine, das Wesen der gesamten Art, wie wir dieses in generischen Aussagen über die Artform, das ›normale‹ Leben eines ›typischen‹ Vertreters der Art, artikulieren oder explizieren, fällt nicht einfach mit dem Sein und Leben des einzelnen Wesens zusammen. Würde es aber ganz aus dem Rahmen des Artwesens fallen, wäre alle Wirkung des Tuns zufällig. Das Lebewesen wirkt auch nicht einfach so, wie eine Maschine funktioniert, deren Zweck vom Konstrukteur der Maschine für den Gebrauch als Maschine festgesetzt ist. Die Zielgerichtetheit oder ›Zweckmäßigkeit‹ des Lebens ist eine solche des Fürsichseins, nicht des Für-uns-Seins. Ohne Bezug auf die Realisierung eines Artwesens wäre das Tun eines Lebewesens ziellos (›zwecklos‹). Es ähnelte dem gleichgültigen Verhalten unbelebter Körperdinge oder den Reaktionen chemischer Sto=e. Von einem tätigen Selbsterhalt könnte dann einfach gar keine Rede sein. Doch so ist das Leben nicht zu verstehen. Die Seinsweise animalischer und damit auch menschlicher Wesen ist anders. Diese leben im Modus des Selbsterhalts. Was dabei erhalten wird, ist nicht bloß ›das Leben‹, sondern die Artform, welche das gute Leben eines Einzelnen der Art bestimmt. Die Artform zu erhalten ist demnach der eigentliche Zweck der Tätigkeit des Selbsterhalts des Lebewesens bzw. des Menschen. Dabei ist der Ausdruck »Artform« unser Ausdruck für die allgemeine Lebensform der Art, welche weit mehr ist als bloß eine Gestalt des Körpers. (Unmittelbar nach meinem Tod hat mein Körper noch fast die gleiche Gestalt wie kurz vorher.) Der Erhalt der Form des Lebens der Art ist freilich nicht bloß Erhalt des Leibes als lebendem ›Ding‹, sondern des Lebensprozesses z. B. eines gesunden Leibes. Es geht, wie gesagt, um das gute Leben und gute Weiterlebenkönnen. Das allgemeine gute Leben als personaler Mensch fällt nicht in eine Sphäre, die außerhalb meines eigenen Lebens läge, sondern ist zugleich mein eigenes konkretes Leben. Mein Interesse am ›Selbsterhalt‹ ist Interesse an mir und umgekehrt. Das Interesse
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am Erhalt der allgemeinen Form der Art oder Gattung (bei Menschen auch: der Familie oder eines Volkes) kann dem Interesse an mir nicht entgegengesetzt werden. Im Gegenteil. Das Interesse am Selbsterhalt von mir und meiner Vernunft ist immer auch Interesse an meinem Leben im Gesamtkontext des Mitseins mit anderen (Heidegger). Die aristotelische ›Substanz‹ oder ›ousia‹, das Wesen des Lebewesens Mensch, ist auch nicht getrennt von je meinem Wesen; es ist generisch und gehört zum normativen Typ von uns gerade im Blick auf ›das Gute‹, die Idee oder Form der guten und richtigen Lebensführung. Eine solche ist beim Menschen immer schon ›sozial‹, ›kooperativ‹: Die Moral des guten Zusammenlebens gehört zum Wesen, zur Natur, des Menschen. 261
»Diese Einheit der Allgemeinheit und der Tätigkeit ist aber darum nicht für dies beobachtende Bewußtsein, weil jene Einheit wesentlich die innre Bewegung des Organischen ist, und nur als Begri= aufgefaßt werden kann; das Beobachten aber sucht die Momente in der Form des Seins und Bleibens [sic!, PSW]; und weil das organische Ganze wesentlich dies ist, so die Momente nicht an ihm zu haben und nicht an ihm finden zu lassen, verwandelt das Bewußtsein in seiner Ansicht den Gegensatz in einen solchen, als er ihr gemäß ist.« (178 f. | 149)
Wenn Hegel von der Einheit der Allgemeinheit und der Tätigkeit spricht, bezieht er sich auf die Relation der eidetisch beschriebenen Gattung, der Artform (eidos, genos) eines Lebewesens und seiner normalen Lebenskraft und zielgerichteten Lebenstätigkeit (energeia und entelecheia). Es geht also erstens um eine ›aristotelische‹ Einsicht in das Verhältnis zwischen generischen ›Eigenschaften‹ der Gattung und den individuellen ›Fähigkeiten‹ einzelner Individuen der betre=enden Art. Zwar zielt Beobachtung anderer Lebewesen, auch anderer Menschen auf die Artform. Diese aber lässt sich nicht unmittelbar wahrnehmen. Denn sie ist »wesentlich die innere Bewegung« des Lebewesens, bestimmt durch die Lebensform. Als solche kann diese nur begri=lich dargestellt werden. Das geschieht in generischen Aussagen über die (Möglichkeiten der Realisierung der) Normalform des guten Lebens eines Exemplars der Art. Im Fall der Menschen spre-
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chen wir dabei über ein normales gutes Leben im Kontrast zu (den Möglichkeiten der Realisierung von) einem schlechten Leben oder mangelhaften Sein. Diese Normalform betri=t immer auch zeitlich ausgedehnte Prozesse mit allerlei Variationen und Möglichkeiten. Sie ist daher gerade in der modalen Überzeitlichkeit kein unmittelbarer Gegenstand der immer bloß präsentischen Wahrnehmung. In der Wahrnehmung kontrollieren wir nur empirische Gestalten, reale Präsentationen ›des Seins und Bleibens‹ – mit der Folge, dass rein ›empirisches‹ Wissen, die historia reiner Konstatierungen oder Narrationen, blind ist für langdauernde Prozesse und erst recht blind für zugehörige Möglichkeiten, Dispositionen, Fähigkeiten. Beobachtung ist Hegels terminus technicus für Platons epagog¯e, in der wir an einem gut gewählten Beispiel eine allgemeine Form zeigen können. Im Dialog Menon erläutert das Platon an der Verdoppelung der Fläche des Quadrats durch diagonale Zerlegung und neue Zusammenlegung der halben Quadrate. Wer das einmal gesehen oder gemacht hat, kann es immer. Die Betrachtung erklärt die halbierte Vernunft des Empirismus, der in seinen bloß empirisch-historischen Konstatierungen natürlich auch keinen Begri= des Guten erkennen kann. Das ist ein logisch-methodologisches Problem schon der Biologie, dann aber besonders der Sozialwissenschaften, wenn sie sich auf empiristische Methoden reiner Statistik zurückziehen. Das wird in der Philosophie und den Geisteswissenschaften noch dramatischer durch die Meinung, das Gute eines guten Lebens ergäbe sich aus den willkürlichen je präsentischen Präferenzen der einzelnen Individuen. Aber allein schon die logisch-grammatische Tatsache, dass wir viele rein unwillkürliche Begierden und rein willkürlich gesetzte Präferenzen und Wünsche als schlecht beurteilen, insbesondere ihre unmittelbare Verfolgung im Verhalten und Tun, zeigt, dass diese Weltsicht erstens in den Folgen problematisch und zweitens logisch unaufgeklärt ist. Soweit die Philosophie von Philippa Foot und Michael Thompson diese Tatsache zeigen, behalten sie ohne jeden Zweifel recht.
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Das Ganze eines Organismus, besonders eines höheren Lebewesens, ist nur über die Möglichkeiten eines guten Lebens im Kontrast zu den Möglichkeiten eines schlechten Lebens bzw. den Gefahren von Mangel und Tod zu begreifen. Was unmittelbar empfunden wird, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Selten oder nie charakterisieren Empfindungen, auch Wahrnehmungen, den ganzen Lebensprozess. Die Idee der scheinbaren Klarheit unmittelbarer Perzeption führt daher in die Irre. Sie ist eine Ursache für eine Art ›deformation professionelle‹, die bis tief in die Weise unseres Redens und Denkens eingreift, als wären etwa Fähigkeiten, weil sie nicht direkt wahrnehmbar sind, etwas Mystisches: 262
»Es entsteht ihm auf diese Weise das organische Wesen als eine Beziehung zweier seiender und fester Momente – eines Gegensatzes, dessen beide Seiten ihm also einesteils in der Beobachtung gegeben zu sein scheinen, andernteils ihrem Inhalte nach den Gegensatz des organischen Zweckbegri=s und der Wirklichkeit ausdrücken; weil aber der Begri= als solcher daran getilgt ist, auf eine dunkle und oberflächliche Weise, worin der Gedanke in das Vorstellen herabgesunken ist. So sehen wir den ersten ungefähr unter dem Innern, die andere unter dem Äußern gemeint, und ihre Beziehung erzeugt das Gesetz, daß das Äußere der Ausdruck des Innern ist.« (179 | 149)
Das allgemeine Urbild oder Grundparadigma der Form unserer sprachlichen Darstellungen (in der Satzform »N ist P«) ist die Klassifikation von gegebenen Dingen bzw. die Zuschreibung von festen Eigenschaften zu ›substantiell‹ als bleibend vorgestellten Gegenständen. An der Überschätzung dieser semantischen Form der Deutung unserer Sätze liegt es, dass wir auch am Leben eines Lebewesens das Leibliche vom Seelischen trennen und die Seele als eine Art Kraft des Lebens auffassen – als gäbe es hier »eine Beziehung zweier seiender und fester Momente«. Die kaum ausrottbare Vorstellung von einem äußeren Wahrnehmen und Selbstempfinden (als wäre das ein inneres Beobachten) hängt mit diesem Bild eng zusammen. Doch die Wörter »ich« und »selbst« benennen keine Gegenstände. Zugleich wird der Seele die Fähigkeit zugeschrieben, teleologisch auf Ziele oder Zwecke
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ausgerichtet zu sein. Der Leib dagegen erscheint in diesem Bild als das beharrende, sozusagen störrische Moment. Das Bild ist teils dunkel, teils oberflächlich. Es ist zugleich ein vages Bild dafür, dass »das Äußere der Ausdruck des Inneren ist«. »Dies Innere mit seinem Entgegengesetzten und ihre Beziehung aufeinander näher betrachtet, ergibt sich, daß vors erste die beiden Seiten des Gesetzes nicht mehr wie bei frühern Gesetzen lauten, worin sie als selbstständige Dinge, jede als ein besonderer Körper, erschienen, noch auch fürs andere so, daß das Allgemeine irgend sonst außer dem Seienden seine Existenz haben sollte. Sondern das organische Wesen ist ungetrennt überhaupt zu Grunde gelegt, als Inhalt des Innern und Äußern, und für beide dasselbe; der Gegensatz ist dadurch nur noch ein rein formeller, dessen reale Seiten dasselbe Ansich zu ihrem Wesen, zugleich aber, indem Inneres und Äußeres auch entgegengesetzte Realität und ein für das Beobachten verschiedenes Sein sind, scheinen sie ihm jedes einen eigentümlichen Inhalt zu haben. Dieser eigentümliche Inhalt, da er dieselbe Substanz oder organische Einheit ist, kann aber in der Tat nur eine verschiedene Form derselben sein; und dies wird von dem beobachtenden Bewußtsein darin angedeutet, daß das Äußere nur Ausdruck des Innern ist. – Dieselben Bestimmungen des Verhältnisses, nämlich die gleichgültige Selbstständigkeit der Verschiedenen, und in ihr ihre Einheit, worin sie verschwinden, haben wir an dem Zweckbegri=e gesehen.« (179 f. | 149f.)
Schon Leibniz zweifelte daran, dass es Kausalgesetze geben könnte, welche das Innere mit dem Äußeren, die Innenwelt der Monaden oder Individuen mit den äußeren Verhältnissen zwischen den Dingen, Lebewesen und Monaden nomologisch und allgemein verknüpfen könnten. Wie also verhält sich die mentale Innenwelt zur leiblichen Außenwelt? Hegel erkennt, dass die Beziehung insofern keine ›e;zienzkausale‹ sein kann, als die beiden Ebenen, das Psychische und das Physische, gar keine in der Welt selbständig existierenden Gegenstandsbereiche sind, so wenig wie der Charakter einer Person und ihre realen Handlungen. Die Beziehungen zwischen Absicht und Handlung einer Person, oder zwischen Charakter und typischer Handlungsweise,
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sind begri=liche, keine kausalen, Beziehungen, sofern wir das Wort »kausal« für die Anzeige von Wirkursachen reservieren und das Wort »Grund« als Übersetzung der Ausdrücke »logos« resp. »ratio« begreifen, also für die Angabe begri=licher Beziehungen. Dabei haben Gründe, wie auch Absichten, zwar reale Folgen im Handeln. Genauer gilt das für das Haben von Gründen und das Fassen von Absichten. Die Beziehung zwischen Grund und Folge, Grund und Schluss ist aber trotz der zugehörigen WirkKausalität im Handeln eine logisch-begri=liche. Der Weg, der vom Wollen (etwa einem Vorsatz) zur vollständigen Ausführung der Absicht führt, ist kein e;zienzkausaler, sondern vermittelt durch (viele) freie Teil-Urteile und Teil-Handlungen, gerade auch in der Selbstkontrolle der Erfüllungen von Zwischenzielen. Es wirkt hier kein geistiges Ereignis oder gar Ding, keine gegenstandsartige Seele, auf ein leibliches Ding. Lebewesen als lebendige heißen nur »beseelt«; die Seele gibt es als Gegenstand nur in der gegenständlichen Fokussierung auf die Form des Lebens, also vermöge unserer Sprachform der Nominalisierung und damit der reflexionslogischen Topikalisierung : Wir heben in der Rede über die Seele das Moment der Lebensfähigkeit, der energeia und entelecheia der Lebenskraft hervor, oder das Moment des nous, der Intelligenz oder sapientia. Das alles war schon ein Wissen des Aristoteles gewesen. Das bedeutet nicht, dass wir das Seelische ausschließlich als ›theoretische Entität‹ zu betrachten hätten. In der Erklärung des leiblichen Verhaltens gibt es die Seele ebenso wirklich, wie es in der physischen Natur Kräfte gibt. Es gibt aber keine ›Selbstbeobachtung‹ der Seele. Es gibt vielmehr die Di=erenz zwischen dem Vollzug aus der Perspektive der ersten Person, samt aller Eigenempfindungen, zu dem, was wir am Verhalten von uns selbst bzw. der Dinge, Lebewesen und anderen Menschen wirklich beobachten können. ›Das Innere‹ steht also bei Hegel, wie schon bei Leibniz, immer auch für die Perspektivität des realen Lebens, wie sie raumzeitlich und körperlich zentriert ist im leiblichen Sein des Einzelnen.
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Der ›eigentliche‹ Inhalt des Inneren kann aber, weil es sich um den Inhalt des gleichen Wesens handelt, das ich insgesamt für mich selbst bin, nur »eine verschiedene Form« von mir selbst als ›aristotelischer Substanz‹ oder ousia, also als (menschliches) Lebewesen sein. Ich verwende hier das Pronomen »ich« generisch, da es sich ja um das Innere der ersten Person, um mein Inneres, mein (Selbst-)Bewusstsein, meine Seele handelt, und damit darum, wie jede Rede je über mich selbst zu verstehen ist. Das Wissen, das ein rein beobachtendes oder ›empirisches‹ Selbstwissen sein will, ahnt schon dieses logische Verhältnis von Psyche und Leib, Seele und Körper, Innerem und Äußerem, z. B. wenn gesagt wird, das Äußere sei nur »Ausdruck des Inneren«. Dabei haben wir ein ähnliches Problem schon behandelt, als wir die begri=liche Beziehung zwischen Kraft und Äußerung oder dann auch dem je präsentischen Zustand eines Lebewesens und einem von diesem losgelöst gedachten Ziel betrachtet haben: Diese Gegenüberstellung wäre bloß formal, wenn die Lebensform nicht selbst als zweckgerichtet zu verstehen wäre. Doch Lebewesen können Ziele tätig verfolgen. Ein Ziel oder Telos gibt es aber in der ›entelecheia‹ als Moment des Verhaltens und Tuns selbst. Das gibt es ohne mystische ›Vorwegnahme‹ der Zukunft. Es geschieht im präsentischen Bezug auf die Befriedigung von Begehrungen bei Tieren. Von anderem Typ sind die Erfüllungen von Wünschen und Absichten bei Menschen. »Es ist nun zu sehen, welche Gestalt das Innere und Äußere in seinem Sein hat. Das Innere als solches muß ebensosehr ein äußeres Sein und eine Gestalt haben, wie das Äußere als solches, denn es ist Gegenstand oder selbst als Seiendes und für die Beobachtung vorhanden gesetzt.« (180 | 150)
Was ist also das, was wir als das Innere vom Äußeren unterscheiden? Und wie ist die Realität des so genannten Inneren bestimmt? Dazu gilt zunächst, dass das Innere selbst eine Gestalt oder Form haben muss. Es muss allgemein in seiner Typik nicht bloß beredbar, sondern über das Reden oder Zusprechen von psychischen Eigenschaften und Fähigkeiten hinaus auch wirk-
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lich, also doch auch in gewissem Sinn äußerlich wirksam sein. Nur dann kann es sinnvoller Gegenstand einer Wissenschaft der Psychologie und ihrer ›Beobachtungen‹ sein. 265
»Die organische Substanz als innere ist sie die einfache Seele, der reine Zweckbegri= [sic!, PSW] oder das Allgemeine [sic!, PSW], welches in seiner Teilung ebenso allgemeine Flüssigkeit bleibt, und daher in seinem Sein als das Tun oder die Bewegung der verschwindenden Wirklichkeit erscheint; da hingegen das Äußere entgegengesetzt jenem seienden Innern in dem ruhenden Sein des Organischen besteht. Das Gesetz als die Beziehung jenes Innere[n] auf dies Äußere drückt hiemit seinen Inhalt, einmal in der Darstellung allgemeiner Momente oder einfacher Wesenheiten, und das anderemal in der Darstellung der verwirklichten Wesenheit oder der Gestalt aus. Jene ersten einfachen organischen Eigenschaften, um sie so zu nennen, sind Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion. Diese Eigenschaften, wenigstens die beiden ersten, scheinen sich zwar nicht auf den Organismus überhaupt, sondern nur auf den animalischen zu beziehen [das wurde oben schon vermerkt, PSW]. Der vegetabilische drückt auch in der Tat nur den einfachen Begri= des Organismus aus, der seine Momente nicht entwickelt; daher wir uns in Ansehung ihrer, insofern sie für die Beobachtung sein sollen, an denjenigen halten müssen, der ihr entwickeltes Dasein darstellt [sic!, PSW].« (180 | 150)
Der Ausdruck »organische Substanz« klingt uns heute fremd. Er meint die ousia, die bleibende Form des Lebewesens, sozusagen die gesamtleibliche ›Seele‹ oder lebendige Psyche. Als ›innere Substanz‹ steht sie der äußeren, dem Leib in seiner Kontinuität gegenüber, dies aber bloß als ›reiner Zweckbegri=‹ oder als ›das Allgemeine‹. Das Leben des Lebewesens ist Selbstzweck und besteht im immanenten und impliziten, beileibe nicht immer bewussten, Streben nach einem guten Leben als Lebewesen der betre=enden Art. Das Leben als Prozess erscheint dabei als ein Tun ›der verschwindenden Wirklichkeit‹, als Vollzug. Es ist Vollzug des Lebewesens als ein Ganzes, nicht einer seelenartigen Entität hinter den Kulissen des Leibes. Andererseits scheint der äußere Körper ruhend und fest. Alles Innere erscheint in dauern-
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der Bewegung und ›flüssig‹. Die Beziehung zwischen Innen und Außen ist hier eher Überschrift über alle generischen Aussagen, welche die allgemeine Lebensform der Art charakterisieren und damit das Artwesen als innere Form (oder eidos). Sofern hier von einem Gesetz die Rede sein kann, meint das nur dies: Das Leben des Einzelnen läuft so ab, wie es die Artform oder Lebensform der Gattung bestimmt. Es erscheint in der entsprechenden Erklärungsform des Äußeren durch das Innere dann so, dass letzteres wie eine innere Kraft sich im Lebensprozess äußert. Das Innere aber ist bloß die Metapher für die Artform, wie wir inzwischen schon ganz allgemein wissen – so wie auch Kräfte ›in die Dinge‹ gelegt werden, das aber keineswegs ›willkürlich‹, sondern in Anpassung an ein allgemeines Wissen generischen Geschehens. Wir zerlegen – im Grunde seit Aristoteles – die basalen Lebensfähigkeiten in Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion. Dabei ist die Sensibilität eine innere Reaktion auf die Umgebung. Die Irritabilität ist die enaktive Perzeption. Sie ist die durch ›Wahrnehmung‹ im weitesten (animalischen) Sinn gesteuerte Selbstbewegung. Die Reproduktion ist der Sto=wechsel des Einzelwesens sowohl, als auch die Reproduktion der Art in der Generationenfolge. Beim Menschen gehört die Reproduktion der geistigen Lebensformen dazu: Erziehung und Bildung. Hegel selbst weist dabei darauf hin, dass der Unterschied zwischen Leben überhaupt, also einem Organismus, und dem Leben eines animalischen Lebewesens hier in gewissem Sinn unterbelichtet bleibt: Es wird vom Tier her gedacht. Das bloß ›vegetative‹ Leben wird als ›defizitär‹ aufgefasst, das ›seine Momente nicht entwickelt‹. Die schwierige Frage nach den Stufen des Organischen – vom Bakterium über Pflanzen zum Tier, sozusagen – und den Di=erenzen der Lebensformen von Einzellern, Pflanzen, ›niederen‹ und ›höheren‹ Tieren kann hier durchaus o=en bleiben. Überall aber finden wir die Prozesse des Selbsterhalts, der Durchsetzung der eigenen Lebensformen gegen die Umwelt, eine gewisse innere Reaktion auf die Umwelt (etwa durch Steuerung des Innendrucks oder der Bewegung) und Reproduktion. Das
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alles sollte als Selbstverständlichkeit gelten, als Rahmen unserer konkreten Unterscheidungen in der Welt. 266
»Was nun sie [die Momente, PSW] selbst betri=t, so ergeben sie sich unmittelbar aus dem Begri=e des Selbstzwecks. Denn die Sensibilität drückt überhaupt den einfachen Begri= der organischen Reflexion in sich, oder die allgemeine Flüssigkeit desselben aus; die Irritabilität aber die organische Elastizität, sich in der Reflexion zugleich reagierend zu verhalten, und die dem ersten ruhigen in sich Sein entgegengesetzte Verwirklichung, worin jenes abstrakte für sich Sein ein Sein für anderes ist. Die Reproduktion aber ist die Aktion dieses ganzen in sich reflektierten Organismus, seine Tätigkeit als Zwecks an sich oder als Gattung, worin also das Individuum sich von sich selbst abstößt, entweder seine organischen Teile, oder das ganze Individuum erzeugend wiederholt. In der Bedeutung der Selbsterhaltung überhaupt genommen drückt die Reproduktion den formalen Begri= des Organischen oder die Sensibilität aus; aber sie ist eigentlich der reale organische Begri=, oder das Ganze, das als Individuum entweder durch die Hervorbringung der einzelnen Teile seiner selbst oder als Gattung durch die Hervorbringung von Individuen in sich zurückkehrt.« (180 f. | 150 f.)
Die drei Funktionsmomente der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion ergeben sich unmittelbar aus der Tatsache, dass Leben Selbstzweck ist. Es wäre falsch, diese Aussage etwa so zu verstehen, als hätte ein Schöpfer die Lebewesen nach einem ›intelligenten‹ Plan entworfen und dabei festgestellt, dass er sie mit den betre=enden Fähigkeiten ausstatten müsse, wenn er diese Wesen so scha=en möchte, dass deren Sein Selbstzweck und ihr Leben Autopoiesis, Selbsterhalt, ist. Die Aussage sagt vielmehr, dass das, was wir als den Selbsterhalt des Lebendigen kennen, in diese drei Momente logisch bzw. materialbegri=lich gliederbar ist. Das Begri=liche ist dabei nicht willkürlich bestimmbar, sondern appelliert an eine allgemeine Erfahrung. Wegen ihrer Allgemeinheit ist sie nicht als rein empirische oder einzelne misszuverstehen, also auch nicht einfach als allquantifizierte Aussage über alle Einzelwesen (einer Klasse).
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Die Sensibilität charakterisiert Hegel grob als ›organische Reflexion in sich‹. Ich habe sie als ›innere Reaktion‹ auf die Umwelt skizziert – und denke als Beispiel etwa an das, was eine Pflanze als Reaktion auf Licht und Feuchtigkeit ›tut‹, was also in der Pflanze geschieht. Hegel spricht metaphorisch von der »allgemeinen Flüssigkeit« des Organismus – womit er durchaus den zentralen Fall im Auge haben mag, dass Lebewesen ihren Innendruck durch ihre innere »Flüssigkeit« kontrollieren. Es handelt sich also klarerweise um den Vorbegri= der Homöostase, der durch physiologische Kreisprozesse erzielte »Gleichgewichtszustand der Organismen, der zur Erhaltung ihres Daseins erforderlich ist«, wie der Begri= 1932 von W. B. Cannon geprägt wurde82, 70 Jahre nach C. Bernard83, gegen dessen Definition des Lebens als »Konstanthaltung des inneren Milieus« bekanntlich Dostojewski in seinem Buch Die Brüder Karamasow anschreibt. »Bernard« wird bei ihm sozusagen zum Synonym für einen biologischen Atheismus, der angeblich ein Nihilismus ist. Dostojewski hätte in seiner überschwänglichen Form der Kritik am Naturalismus ebenso gut Darwin oder Hegel nennen können. Hegels nichtphysikalistische Verweltlichung der Rede von Seele und Geist ist freilich bisher noch nicht als solche begri=en, schon gar nicht der Zusammenhang der begri=lichen Arbeit Hegels mit den Entwicklungen evolutionärer Biologie der späteren Zeit. Die Irritabilität nennt Hegel »organische Elastizität« und spricht hier explizit von einem reagierenden Verhalten. Der Ausdruck »Reflexion in sich« meint dabei natürlich nicht das »reflectere animum« des Nachdenkens über sich, sondern die Rückkopplung von Perzeption und Reaktion. Das ruhige In-sich-Sein des Leibkörpers wird sozusagen verlassen und das Lebewesen reagiert auf bestimmte Dinge in seiner Umgebung, etwa durch Selbstbewegung. Die Reproduktion wird dann explizit, erstens, als Sto=wechsel, Vgl. W. B. Cannon, The wisdom of the body, London 1932. Claude Bernard, Einführung in das Studium der experimentellen Medizin 1865, (aus d. Französ. 1961). 82
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als Austausch der Materien des Lebewesens erläutert – wieder unter Verwendung des manchen Leser möglicherweise in die Irre führenden Ausdrucks einer »Reflexion in sich« –, zweitens, als Erzeugung von Nachkommen. Dabei erkennt Hegel auch, dass die Reproduktion in gewissem Sinn auch das Ganze des Selbsterhalts sowohl der Einzelindividuen wie der Arten überschreibt. Er benutzt dabei das Bild von einer ›Rückkehr in sich‹ durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt hindurch im Fall des Sto=wechsels, auch der Nahrungsaufnahme, und über den Tod des Einzelindividuums hinaus im Fall der Generationenfolge einer Art. Im ersten Fall verhält sich der Einzelorganismus, das Einzelwesen, zu sich. Im zweiten Fall verhält sich die Art über die Vermittlung des Lebens der Individuen zu sich. In beiden Fällen gibt es ein intrinsisches Telos, das nicht bloß von uns dem Wesen oder der Art ›zugesprochen‹ wird: Das Leben sowohl der Individuen als auch der Arten ist Zweck für sich selbst und scheint das nicht bloß zu sein. Im Biologismus seit dem 19. Jahrhundert meint man darüber hinaus, das Überleben der Art sei Zweck des Einzellebens. Damit wird aber nun doch ein Zweck auf falsche Weise hypostasiert – so als wäre das Einzelleben kein Selbstzweck, sondern erfülle nur seine Aufgabe im Kontext des Überlebens der Art. Das Gerede vom egoistischen Gen ist Spätfolge dieses begri=lichen Denkfehlers. Es ist der Denkfehler, gegen den auch Nietzsche mit Recht argumentativ zu Felde zieht. Der ›Sozial-Darwinismus‹ im Sinne eines überzogenen Interesses an einem ›massenhaften‹ Leben wird damit von Nietzsche mit gutem Grund kritisiert. 267
»Die andere Bedeutung dieser organischen Elemente, nämlich als des Äußern, ist ihre gestaltete Weise, nach welcher sie als wirkliche, aber zugleich auch als allgemeine Teile oder organische Systeme vorhanden sind; die Sensibilität etwa als Nervensystem, die Irritabilität als Muskelsystem, die Reproduktion als Eingeweide der Erhaltung des Individuums und der Gattung.« (181 | 151)
Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion sind nur Funktionsmomente im Prozess des Selbsterhalts von Organismen und Lebewesen. Als Funktionen sind sie aber bloß etwas Allgemeines,
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Begri=liches, und ›Inneres‹. Sie werden konkret und äußerlich in den ›Organen‹, welche die Funktionen (zu einem wesentlichen Teil) in und für den Gesamtorganismus ausführen, umsetzen oder realisieren. Der Sensibilität entspricht, wie zu erwarten, beim Tier das Nervensystem. Der Irritabilität entsprechen das Muskelsystem und der Bewegungsapparat. Zur Reproduktion gehören die ›Eingeweide‹, von der Lunge bis zum Darm, vom Magen bis zu den Geschlechtsorganen. »Eigentümliche Gesetze des Organischen betre=en demnach ein Verhältnis der organischen Momente in ihrer gedoppelten Bedeutung, einmal ein Teil der organischen Gestaltung, das andremal allgemeine flüssige Bestimmtheit zu sein, welche durch alle jene Systeme hindurchgeht. In dem Ausdrucke eines solchen Gesetzes hätte also zum Beispiel eine bestimmte Sensibilität als Moment des ganzen Organismus ihren Ausdruck an einem bestimmt gebildeten Nervensystem [sic!, PSW], oder sie wäre auch mit einer bestimmten Reproduktion der organischen Teile des Individuums oder Fortpflanzung des Ganzen verknüpft [sic!, PSW], und so fort. – Die beiden Seiten eines solchen Gesetzes können beobachtet werden [sic!, PSW]. Das Äußere ist seinem Begri=e nach das Sein für anderes; die Sensibilität hat z. B. in dem sensibeln Systeme ihre unmittelbar verwirklichte Weise; und als allgemeine Eigenschaft ist sie in ihren Äußerungen ebenso ein Gegenständliches. Die Seite, welche das Innere heißt, hat ihre eigne äußere Seite, die unterschieden ist von dem, was im Ganzen das Äußere heißt.« (181 | 151)
Aufgrund der Unterscheidung zwischen den allgemeinen oder abstrakten Funktionen und ihrer je unterschiedlichen Realisierung durch Organe bei den verschiedenen Lebewesen kann man gesetzesartige oder nomologische Erklärungen auf verschiedenen Ebenen formulieren. Die konkrete Ebene ist die der ›organischen Gestaltung‹, etwa in einem bestimmten Nervensystem wie dem der Säugetiere oder einer bestimmten Form der Verdauung wie der der Wiederkäuer oder der Spinnen. Die funktionelle Ebene betri=t die »allgemeine flüssige Bestimmtheit«, wobei das Wort »flüssig« hier die Variabilität der Einzelgestaltungen in ver-
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schiedenen Systemen der Realisierung der Funktionen meint. Beobachten können wir beide Teile: die Funktionen im Rahmen der Gesamtprozesse des Lebens, besonders der Reproduktion, die Organe im Rahmen ihrer dinglichen Realisierung und ihrer materiellen ›Arbeit‹, etwa als Orte chemischer Prozesse oder als Vernetzungen des Blutkreislaufes oder der ›Informationen‹ im Nervensystem und Gehirn. Die Organe stehen dabei in äußeren Beziehungen zueinander und zum Gesamtleib des Lebewesens. Das Innere ist das Allgemeine, Funktionale, das je seine äußere Seite der konkreten Verwirklichung hat. Es gibt kein eigenes Inneres, außer das räumliche Innere; jedenfalls nicht als gegenständliche Seele, es sei denn als façon de parler über das Ganze des Lebensprozesses. Es ist also einfach nichts Neues, wenn man ›das Innere‹ mit dem Gesamtleben identifiziert und damit mit der Gesamtleiblichkeit. 269
»Die beiden Seiten eines organischen Gesetzes wären also zwar wohl zu beobachten, allein nicht Gesetze der Beziehung derselben; und die Beobachtung reicht nicht darum nicht zu, weil sie, als Beobachtung, zu kurzsichtig wäre [den ironischen Satz hätte Lewis Carroll sagen können und er sagt ihn fast so, PSW], und nicht empirisch verfahren, sondern von der Idee [also der Rede über Formen, PSW] ausgegangen werden sollte; denn solche Gesetze, wenn sie etwas Reelles wären, müßten in der Tat wirklich vorhanden, und also zu beobachten sein; sondern weil der Gedanke von Gesetzen dieser Art keine Wahrheit zu haben sich erweist.« (181 f. | 151)
Wir können die beiden Seiten, die Organe und die Lebensfunktionen-im-Vollzug oder im Lebensprozess, sehr wohl beobachten, beginnend mit der Anatomie auf der einen Seite, mit der Physiologie und Neurophysiologie auf der anderen Seite. Hinzu kommt dann aber noch das Gesamtverhalten, die Ethologie, sozusagen, und beim Menschen die Psychologie als Mikrosoziologie, samt Bildung und Kultur, die Formung des ›geistigen‹ Menschen. Das alles geschieht in der Kooperation mit anderen im Rahmen einer Vernunftkultur.
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Dabei gibt es keine strikten ›Gesetze‹ der Beziehung zwischen den Funktionen und Organen: Wie sich die Funktionen in den Arten realisieren, ist historisch kontingent, nicht generisch-allgemein, schon gar nicht e;zienzkausal erklärbar. Die Beobachtung reicht insbesondere nicht aus, um hier Gesetze zu entdecken. Dem ist nicht deswegen so, weil wir ›kurzsichtig‹ wären, also noch nicht die rechte ›Mikroskopie‹ haben, sondern weil die Beziehung gar keine unmittelbar ›wahrnehmbare‹ Beziehung ist. Wir müssen in jedem Fall von der Idee, der Gesamtform des Lebens des Lebewesens bzw. der betre=enden begri=lichen Fassung ausgehen. Sollte es hier Gesetze geben, müssten sie sich in der beobachtbaren Realität insgesamt als geltend erweisen. Das Problem ist, dass schon der Gedanke von einem (Kausal-) Gesetz, das zwischen Funktion und Organ vermittelt, materialbegri=lich sinnlos ist. Das ist zwar zunächst bloß eine Versicherung, wird sich aber bei näherem Nachdenken als richtig erweisen. »Es ergab sich für ein Gesetz das Verhältnis, daß die allgemeine organische Eigenschaft an einem organischen Systeme sich zum Dinge gemacht und an ihm seinen gestalteten Abdruck hätte, so daß beide dasselbe Wesen wären, das einmal als allgemeines Moment, das andremal als Ding vorhanden. Aber außerdem ist auch die Seite des Innern für sich ein Verhältnis mehrerer Seiten, und es bietet sich daher zuerst der Gedanke eines Gesetzes an, als eine Beziehung der allgemeinen organischen Tätigkeiten oder Eigenschaften auf einander. Ob ein solches möglich ist, muß sich aus der Natur einer solchen Eigenschaft entscheiden [sic!, PSW]. Sie ist aber, als eine allgemeine Flüssigkeit [das ist hier wohl Metapher für den Lebensprozess, PSW], teils nicht etwas, das nach der Weise eines Dinges beschränkt und in dem Unterschiede eines Daseins sich hält, das seine Gestalt ausmachen sollte, sondern die Sensibilität geht über das Nervensystem hinaus, und durch alle andere Systeme des Organismus hindurch [sic!, PSW] – teils ist sie allgemeines Moment, das wesentlich ungeschieden und unzertrennlich von Reaktion oder Irritabilität und Reproduktion ist. Denn als Reflexion in sich hat sie schlechthin die Reaktion an ihr.« (182 | 151 f.)
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Es ist also zu überlegen, was für ein Gesetz es geben könne, demzufolge eine allgemeine organische Funktion sich sozusagen sein ausführendes Organ gebildet haben soll – etwa gemäß der Devise »form follows function«, jetzt aber in Gestalt der Variante, dass sich das Organ zur notwendigen Lebensfunktion schon finden werde. Gäbe es ein solches nomologisches Verhältnis, könnte man Funktionen an den Organen wahrnehmen und die Organe wären sozusagen vergegenständlichte Funktionen. So einfach aber liegen die Dinge nicht. Es ist oft sogar umgekehrt: Ein Organ erhält eine neue Funktion. Das erste Problem besteht darin, dass schon die funktionalen Unterscheidungen die Tätigkeiten, Eigenschaften und Fähigkeiten im ›Inneren‹ des Lebewesens weder scharf trennen noch in einer nomologischen Beziehung zueinander stehen. So geht z. B. das, was wir allgemein »Sensibilität« nennen, über die Leistungen des reinen Nervensystems hinaus. Es lässt sich auch nicht rein abtrennen von der ›nach außen‹ gerichteten »Irritabilität« bzw. der »Reproduktion«. Es handelt sich bloß um Grobeinteilungen von Momenten des gesamten Lebensprozesses. 270 b
»Nur in sich Reflektiertsein ist Passivität, oder totes Sein, nicht eine Sensibilität, so wenig als Aktion, was dasselbe ist als Reaktion, ohne in sich Reflektiertsein Irritabilität ist. Die Reflexion in der Aktion oder Reaktion, und die Aktion oder Reaktion in der Reflexion ist gerade dies, dessen Einheit das Organische ausmacht, eine Einheit, welche mit der organischen Reproduktion gleichbedeutend ist. Es folgt hieraus, daß in jeder Weise der Wirklichkeit dieselbe Größe der Sensibilität – indem wir zuerst das Verhältnis derselben und der Irritabilität zu einander betrachten – vorhanden sein muß als der Irritabilität, und daß eine organische Erscheinung ebensosehr nach der einen als nach der andern aufgefaßt und bestimmt, oder wie man will, erklärt werden kann. Dasselbe, was der eine etwa für hohe Sensibilität nimmt, kann ein anderer ebenso gut für hohe Irritabilität, und Irritabilität von derselben Höhe betrachten. Wenn sie Faktoren genannt werden, und dies nicht ein bedeutungsloses Wort sein soll, so ist eben damit ausgesprochen, daß sie Momente des Begri=s sind,
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also der reale Gegenstand, dessen Wesen dieser Begri= ausmacht, sie auf gleiche Weise an ihm hat, und wenn er auf die eine bestimmt wird, als sehr sensibel, er ebenso auf die andere, als ebensosehr irritabel auszusagen ist.« (182 f. | 152)
Es gibt keine Empfindung ohne einen realen Prozess, an dem allerlei Leibliches beteiligt ist. Empfindungen lassen sich allerdings nie ganz exakt lokalisieren – was sich nicht zuletzt in Phantomschmerzen zeigt. Sensibilität ist also ein Begleitmoment der Irritabilität, empfindende Kontrolle des eigenen Erlebens, nicht bloß sinn- und richtungsleeres ›in sich Reflektiertsein‹. Entsprechend ist das Empfinden beim Menschen untrennbar mit dem Fühlen, das Fühlen mit dem impliziten Urteilen, das implizite Urteilen mit dem expliziten Urteilen, dem Denken und Reden verbunden. Das Bild von einer modularen Gesellschaft von klar getrennten mentalen Funktionen einer Society of Mind84 mit unabhängigen organischen Modulen der Verarbeitung diverser Informationen führt hier eher in die Irre. Die so genannten ›Faktoren‹ in einer Kompetenz sind vielmehr Momente einer Gesamtform des Vollzugs. Als Momente verweisen sie auf ein Ganzes. Das liegt am ›Holismus‹ der Lebensvollzüge und Lebensformen. Dieser wird nicht ausgehebelt dadurch, dass es Mängelerscheinungen in notwendigen Teilmomenten des Normalvollzugs geben kann, vom Ausfall des Gedächtnisses oder der Sprech- und Verstehens-Kompetenz bis zu Störungen von Synästhesien, von Tast- oder Hörsinn, sogar der Propriozeption. Aber solche momentbezogenen Ausfälle bedeuten noch nicht, dass sich das Gesamtvermögen bausteinartig aus modularen Bestandteilen aufbaut. Ein solches modulares System ist eher der Traum des Technikers als die Realität des Lebens. Dem widerspricht nicht, dass sich durch die Beeinträchtigung gewisser Regionen im Gehirn konkrete Ausfälle im Mentalen erzeugen lassen. Das Wahrnehmen eines Menschen, der sich begri=liche Möglichkeiten spontan in Selbst- und Fremdgesprächen repräsentie84
Minsky 1988.
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ren kann, ist funktional ganz anders in dessen Lebensführung eingebettet, als es bei einem Lebewesen auch nur vorstellbar ist, welches sich die naheliegenden Möglichkeiten aus der präsentisch perzipierten Umgebung sozusagen rein passiv geben lassen muss. Analoges gilt für die Di=erenz zwischen unmittelbaren Begierden und begri=lich vermittelten Wünschen. 271 a
»Werden sie [die Momente, PSW] unterschieden, wie notwendig ist, so sind sie es dem Begri=e nach, und ihr Gegensatz ist qualitativ. Aber außer diesem wahren Unterschiede auch noch als seiend, und für die Vorstellung, wie sie Seiten des Gesetzes sein könnten, verschieden gesetzt, so erscheinen sie in quantitativer Verschiedenheit. Ihr eigentümlicher qualitativer Gegensatz tritt somit in die Größe, und es entstehen Gesetze der Art, daß zum Beispiel Sensibilität und Irritabilität in umgekehrtem Verhältnisse ihrer Größe stehen, so daß wie die eine wächst, die andere abnimmt; oder besser gleich die Größe selbst zum Inhalte genommen, daß die Größe von etwas zunimmt, wie seine Kleinheit abnimmt. – « (183 | 152)
Wenn wir Faktoren in der Ausübung einer Fähigkeit unterscheiden – was für jede Artikulation gerade von ›Gesetzen‹ des ›Innenlebens‹ nötig wäre – so handelt es sich zugleich um ›theoretische‹ Aspektunterscheidungen (›dem Begri=e nach‹), die trotz allem ›Mehr- oder Weniger‹ als solche nicht etwa quantitativ, sondern rein qualitativ-funktional sind. Erst wenn man sie ›reifiziert‹, erscheinen sie ›in quantitativer Verschiedenheit‹ – etwa wenn man das Denken gegen das Wollen stellt oder das Fühlen gegen das Urteilen bzw. den Gedanken als Gegenstand gegen den Willen als Subjekt oder das Gefühl als Subjekt gegen ›den Kopf‹ als vermeintlichen Vollzug des denkenden Urteilens. Ein Gesetz der Art, dass Sensibilität und Irritabilität oder, in unserem Beispiel, Fühlen und Denken ›in umgekehrtem Verhältnis ihrer Größe‹ stünden, so dass, wenn das eine zunimmt, das andere abnimmt, wäre bestenfalls vage Metapher. Brauchbare Gesetze dieser Art kann es nicht geben. 271 b
»Wird diesem Gesetze aber ein bestimmter Inhalt gegeben, etwa so, daß die Größe eines Loches zunimmt, je mehr das abnimmt, was
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seine Erfüllung ausmacht [die Ironie ist mit Händen zu greifen, PSW], so kann dies umgekehrte Verhältnis ebenso in ein gerades verwandelt und ausgedrückt werden, daß die Größe des Loches in geradem Verhältnisse der Menge des weggenommenen zunimmt; – ein tautologischer Satz, er mag als direktes oder umgekehrtes Verhältnis ausgedrückt werden, der in seinem eigentümlichen Ausdrucke nur dieses heißt, daß eine Größe zunimmt, wie diese Größe zunimmt. Wie das Loch und das, was es erfüllt und weggenommen wird, qualitativ entgegengesetzt, aber wie das Reale derselben und dessen bestimmte Größe in beiden ein und dasselbe, und ebenso Zunahme der Größe und Abnahme der Kleinheit dasselbe ist, und ihre bedeutungsleere Entgegensetzung in eine Tautologie hinausläuft, so sind die organischen Momente gleich unzertrennlich in ihrem Realen und in ihrer Größe [sic!, PSW], die die Größe desselben ist; eines nimmt nur mit dem andern ab und nimmt nur mit ihm zu, denn eines hat schlechthin nur Bedeutung, insoweit das andere vorhanden ist; – oder vielmehr es ist gleichgültig, eine organische Erscheinung als Irritabilität oder als Sensibilität zu betrachten, schon überhaupt, und ebenso wenn von ihrer Größe gesprochen wird. So gleichgültig es ist, die Zunahme eines Lochs als Vermehrung seiner als der Leerheit oder als Vermehrung der herausgenommenen Fülle auszusprechen. Oder eine Zahl, z. B. drei, bleibt gleich groß, ich mag sie positiv oder negativ nehmen; und wenn ich die drei zu vier vergrößere, so ist das Positive wie das Negative zu vier geworden; – wie der Südpol an einem Magnete gerade so stark ist als sein Nordpol, oder eine positive Elektrizität oder eine Säure gerade so stark als ihre negative oder als die Base, worauf sie einwirkt. – Ein solches Großes als jene drei, oder ein Magnet usf. ist ein organisches Dasein; es ist dasjenige, das vermehrt und vermindert wird, und wenn es vermehrt wird, werden beide Faktoren desselben vermehrt, so sehr als beide Pole des Magnets, oder als die beiden Elektrizitäten, wenn ein Magnet usf. verstärkt wird, zunehmen. – « (183 f. | 152 f.)
Wie immer man Hegels Artikulationskunst hier im Detail beurteilt, der Kern des Arguments besteht zweifellos darin, dass es keine sinnvollen ›quantitativen‹ Aussagen über Faktoren oder
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Momente funktionaler Fähigkeiten eines Organismus, animalischen Lebewesens oder der Menschen gibt. Das gilt für den ganzen Bereich des ›Psychischen‹ oder ›Geistigen‹, die ganze ›mentale‹ Innenwelt. Es gibt z. B. Gefühle nur dort, wo es Empfindungen und Urteile gibt. Es gibt Empfindungen nur dort, wo es Perzeptionen und Reaktionen auf das Perzipierte gibt. Wie eine ›Quantität‹ der Sinnesaufnahme zu ermitteln sein soll, ist also kategorial unklar. Es handelt sich nicht darum, dass hier ein Gesetz nur noch nicht entdeckt wäre. Dennoch wissen wir, dass ›primitivere‹ Lebewesen auf viel ›weniger‹ Umweltaspekte reagieren können als ›höhere‹ Tiere. Hegel kritisiert hier gewisse Tautologien und Kategorienfehler in formalen Quantifizierungen ohne kriteriale Ordnungen oder Maßeinheiten, samt der Metaphorik in der Rede von einem Mehr und Weniger. 271 c
»Daß beide eben so wenig nach Intension und Extension verschieden sein, das eine nicht an Extension ab-, dagegen an Intension zunehmen kann, während das andere umgekehrt seine Intension vermindern, dagegen an Extension zunehmen sollte, fällt unter denselben Begri= leerer Entgegensetzung; die reale Intension ist ebenso schlechthin so groß als die Extension, und umgekehrt.« (184 | 153)
Es hilft auch nicht, von den Quantitäten der Extensionen zu ›Intensionen‹ oder Intensitäten überzugehen. Auch hier gibt es keine klaren Trennbarkeiten und gesetzesartig oder regelartig artikulierbare Beziehungen zwischen den skizzierten Momenten des ›mentalen‹ Bereichs des Innenlebens bzw. der Funktionen des Lebens. Die Rede von Funktionen ist hier eben nur als vages Bild sinnvoll. Jede Nähe zu mathematischen Funktionen ist leere Konnotation, also rein oberflächlich. Das ist eine tiefe Kritik an jedem biologistischen Funktionalismus. Das mathematische Vokabular wird hier zur reinen Metapher. Man kann sich mit ihm zufrieden geben, weiß dann aber nicht, welches Bedürfnis eigentlich gestillt ist. 272
»Es geht, wie erhellt, bei diesem Gesetzgeben eigentlich so zu, daß zuerst Irritabilität und Sensibilität den bestimmten organischen Ge-
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gensatz ausmacht; dieser Inhalt verliert sich aber, und der Gegensatz verläuft sich in den Formalen des Zu- und Abnehmens der Größe, oder der verschiedenen Intension und Extension – ein Gegensatz, der die Natur der Sensibilität und der Irritabilität weiter nichts mehr angeht, und sie nicht mehr ausdrückt. Daher solches leeres Spiel des Gesetzgebens nicht an die organischen Momente gebunden ist, sondern es kann allenthalben mit allem getrieben werden, und beruht überhaupt auf der Unbekanntschaft mit der logischen Natur dieser Gegensätze [sic!, PSW].« (184 | 153)
Die gesamte Argumentation richtet sich gegen allzu einfache Vorstellungen davon, eine gesetzesartige ›Psychologie‹ oder Theorie des ›funktionalen Innenlebens‹ aufzubauen. Dabei braucht uns nicht weiter zu interessieren, auf welche zeitgenössischen Theorien Hegel hier argumentativ reagieren mag. »Wird endlich statt der Sensibilität und Irritabilität die Reproduktion mit der einen oder der andern in Beziehung gebracht, so fällt auch die Veranlassung zu diesem Gesetzgeben hinweg; denn Reproduktion steht mit jenen Momenten nicht in einem Gegensatze, wie sie gegeneinander; und da auf ihm dies Gesetzgeben beruht, so fällt hier auch der Schein seines Stattfindens hinweg.« (184 | 154)
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Die Unmöglichkeit einer gesetzesartigen Theorie der Lebensfunktionen wird noch klarer, wenn man die Reproduktion hinzunimmt, da diese holistisch die Sensibilität und enaktive Reaktion auf Perzeptionen in gewissem Sinn mitumfasst. »Das so eben betrachtete Gesetzgeben enthält die Unterschiede des Organismus in ihrer Bedeutung von Momenten seines Begri=s, und sollte eigentlich ein apriorisches Gesetzgeben sein. Es liegt aber in ihm selbst wesentlich dieser Gedanke, daß sie die Bedeutung von Vorhandenen haben, und das bloß beobachtende Bewußtsein hat sich ohnehin nur an ihr Dasein zu halten. Die organische Wirklichkeit hat notwendig einen solchen Gegensatz an ihr, als ihr Begri= ausdrückt, und der als Irritabilität und Sensibilität bestimmt werden kann, sowie sie beide wieder von der Reproduktion verschieden erscheinen. – Die Äußerlichkeit, in der die Momente des organischen Begri=s hier betrachtet werden, ist die eigne unmittelbare Äußerlichkeit des In-
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nern, nicht das Äußere, welches Äußeres im Ganzen und Gestalt ist, und mit welchem das Innre nachher in Beziehung zu betrachten ist.« (185 | 154)
Die Momente der Sensibilität oder Empfindungsfähigkeit, Irritation oder der reaktiven Verhaltenskompetenz und der Reproduktion sind gerade auch als Fähigkeiten bloß begri=liche Teilaspekte holistischer Fähigkeiten, so dass nomologische Beziehungen zwischen ihnen begri=lich-apriorischer Art sein müssten. Für eine empirische Wissenschaft des funktionalen ›Inneren‹ des Lebewesens müssten sie, wie gesagt, als Momente, nicht als Module verstanden werden. Das verlangt schon die Methodik eines sich auf beobachtende ›Erfahrung‹ stützenden ›empirischen‹ Wissens. Die ›organische Wirklichkeit‹, also das reale Leben, ›besitzt‹ diese funktionalen Momente durchaus. Die titelartigen Unterscheidungen tre=en also die Realität des Lebens eines Lebewesens durchaus richtig. Allerdings verführt uns die Rede vom Inneren und der ›Äußerlichkeit‹ des beobachtenden Zugangs dazu, die materialbegri=lichen Momente des Lebens zu hypostasieren, statt als Aspektbetonungen zu lesen. Die »unmittelbare Äußerlichkeit des Inneren« wird dann missverstanden.85 275
»Aber den Gegensatz der Momente so aufgefaßt, wie er an dem Dasein ist, so sinken Sensibilität, Irritabilität, Reproduktion zu gemeinen Eigenschaften herunter, die gegeneinander ebenso gleichgültige Das Verhältnis zwischen der in unseren reflexionslogischen Reden über eine (mentaIe oder geistige) Innenwelt und der Außenwelt des Physischen kann kein nomologisch bestimmtes sein. Es kann hier keine kausale;zienten Gesetze geben. Die generische Artform wird hier bloß metaphorisch in das Lebewesen gesetzt, wie Hegel mit Aristoteles sieht. Trotzdem gibt es Beziehungen zwischen Empfindungen und der äußeren Welt des Seh-, Hör-, Riech- und Betastbaren. Die Anomalität des Verhältnisses von Mentalem und Physischem ergibt sich aber auch hier schon daraus, dass die mentale Innenwelt gar nicht ›objektiv‹ beredbar ist: Die psychischen Unterscheidungen führen nicht zu sortalen Gegenstandsbereichen, so dass Frege richtig sagt, dass der Bereich des Psychologischen ›wirklich‹, aber nicht ›objektiv‹ ist. 85
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Allgemeinheiten sind als spezifische Schwere, Farbe, Härte, und so fort. In diesem Sinne kann wohl beobachtet werden, daß ein Organisches sensibler, oder irritabler, oder von größerer Reproduktionskraft sei als ein anderes; – so wie daß die Sensibilität usf. des einen der Art nach von der eines andern verschieden sei, eins sich gegen bestimmte Reize anders verhalte als ein anderes, wie das Pferd anders gegen Hafer als gegen Heu, und der Hund wieder anders gegen beide, usf., so sehr als beobachtet werden kann, daß ein Körper härter ist als ein anderer, und so fort. – Allein diese sinnlichen Eigenschaften, Härte, Farbe, und so fort, so wie die Erscheinungen der Reizempfänglichkeit für Hafer, der Irritabilität für Lasten, oder der Anzahl und Art, Junge zu gebären, auf einander bezogen und mit einander verglichen, widerstreiten wesentlich einer Gesetzmäßigkeit. Denn die Bestimmtheit ihres sinnlichen Seins besteht eben darin, vollkommen gleichgültig gegeneinander zu existieren, und die des Begri=s entbundne Freiheit der Natur vielmehr darzustellen als die Einheit einer Beziehung, vielmehr ihr unvernünftiges Hin- und Herspielen auf der Leiter der zufälligen Größe zwischen den Momenten des Begri=s als diese selbst.« (185 | 154)
Insgesamt charakterisieren die Titel der Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion also ein Empfindungswesen, Reaktionswesen und autopoietisches Wesen und damit jeweils höchst allgemeine Dimensionen für die ›Eigenschaften‹ der Lebewesen, ähnlich wie »Schwere, Farbe, Härte« für die Körperdinge. In beiden Fällen gibt es Verschiedenheiten: Körper sind verschieden schwer. Lebewesen sind verschieden robust in Bezug auf Umweltschwankungen usf. Und sie reagieren verschieden auf das, was ihrem Leben zuträglich oder abträglich ist. Wir beobachten: Das Pferd etwa mag Hafer. Die Kuh mag Heu. Hafer und Heu sind dem Hund gleichgültig. Die allgemeinen Aussagen der Biologie über das generische Wesen etwa einer Tiergattung werden daher im Englischen unter den Titel einer ›natural history‹ oder ›Naturgeschichte‹ gebracht. Doch diese ist längst schon typisierte, schon ins Generische verwandelte, Ethologie, angepasst an die Taxonomie der Arten und Gattungen. Als solche ist sie nicht historia, sondern
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längst schon theoria. Michael Thompsons generische »natural historical judgments« etwa über das Leben des Berglöwens86 sind daher am Ende doch schon naturtheoretische Aussagen über das Normalverhalten der Arten (als Reproduktionsgemeinschaften von Lebewesen). Sie beruhen aber, das ist natürlich zuzugeben, nicht auf einem in wichtigen Aspekten apriorisch konstruierten Darstellungsrahmen, der eine bestimmte mathematische Artikulierbarkeit garantiert, wie die Mechanik Newtons, sondern auf einem weitgehend ›deskriptiven‹ Zugang: Das Zusammentragen vieler systematischer Beobachtungen, nicht bloß einzelner empirischer Wahrnehmungen, bildet hier die Grundlage materialbegri=licher Lebensformdarstellungen. Hegels irritierende Rede von einem »unvernünftigen Hin- und Herspielen auf der Leiter der zufälligen Größe« oder des Umfangs an Empfindsamkeit, Reaktionsvermögen und Selbsterhaltungskompetenz in einer Art Stufenleiter des Lebendigen meint nun nicht etwa, dass die Natur des Lebendigen ›unvernünftig‹ wäre, sondern dass es hier keine apriorisch von uns konstruierte Ordnung der Darstellung wie in der geometrischen Kinematik und der Dynamik der Bewegung von Körpern in Abhängigkeit von Massenzahlen geben kann. Nur der Welt der Bewegung toter Körperdinge können wir unseren Darstellungsrahmen gemäß unseren Interessen und bevorzugten mathematischen Formen in einem gewissen Ausmaß willkürlich aufprägen. Animalische Lebewesen dagegen haben eigene Subjektivität, und schon Pflanzen bewegen sich nicht wie Kugeln oder Planeten. Kurz, Hegel erklärt hier implizit, warum bzw. in welchem Betracht es keinen ›Newton des Grashalms‹ geben kann. Das heißt nicht, dass es kein gesetzesanaloges Wissen etwa auch in Bezug auf organisch implementierte Funktionen bei Lebewesen der je gegebenen Arten und Gattungen geben kann oder geben soll. Sie sind nur von anderem Typ. Wir müssen insbesondere die teleologischen Prozesse beachten. 86
Thompson 2008.
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»Die andere Seite, nach welcher die einfachen Momente des organischen Begri=s mit den Momenten der Gestaltung verglichen werden, würde erst das eigentliche Gesetz geben, welches das wahre Äußere als Abdruck des Innern ausspräche. – Weil nun jene einfachen Momente durchdringende flüssige Eigenschaften sind, so haben sie an dem organischen Dinge nicht einen solchen ausgeschiedenen realen Ausdruck, wie das ist, was ein einzelnes System der Gestalt genannt wird. Oder wenn die abstrakte Idee des Organismus in jenen drei Momenten nur darum wahrhaft ausgedrückt ist, weil sie nichts Stehendes, sondern nur Momente des Begri=s und der Bewegung sind, so ist er dagegen als Gestaltung nicht in solchen drei bestimmten Systemen befaßt, wie die Anatomie sie auseinander legt. Insofern solche Systeme in ihrer Wirklichkeit gefunden, und durch dies Finden legitimiert werden sollen, muß auch erinnert werden, daß die Anatomie nicht nur drei dergleichen Systeme, sondern viel mehrere aufweist. – « (186 | 154 f.)
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Erst wenn wir nach einer taxonomischen Gliederung der vorhandenen Lebensformen die Implementierung der Lebensfunktionen durch die ›physische‹ Arbeit der Organe untersuchen, können wir eine gesetzesartige Darstellung des Äußeren, also beobachtbaren Verhaltens, als »Abdruck des Inneren« geben. Die drei Momente aller ›Sinnenwesen‹, die Sensibilität, die Irritabilität und der Selbsterhalt, sind Momente der allgemeinen und als abstraktidealen Idee entsprechend aufgegliederten Form des Lebens. Die Organe lassen sich diesen ›Funktionen‹, wie schon mehrfach gezeigt, nicht unmittelbar zuordnen: Praktisch alle Organe werden irgendwie ›lebensnotwendig‹ – wenn wir von überflüssigen Wurmfortsätzen ohne Funktion wie dem Blinddarm absehen. Hegel selbst spricht hier von der Anatomie. Diese führt zu einer anderen Einteilung des Körperlichen als die funktionale in der Rede vom Empfindungs-, Reaktions- und Reproduktionssystem. »Alsdenn muß abgesehen hievon überhaupt das sensible System etwas ganz anderes bedeuten als das, was Nervensystem genannt wird, so das irritable System etwas anderes als das Muskelsystem, das reproduktive System etwas anders als die Eingeweide der Repro-
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duktion. In den Systemen der Gestalt als solcher ist der Organismus nach der abstrakten Seite der toten Existenz aufgefaßt; seine Momente so aufgenommen gehören der Anatomie und dem Kadaver, nicht der Erkenntnis und dem lebendigen Organismus an.« (186 | 155)
Andererseits reicht eine bloß ›statische‹ bzw. ›anatomische‹ Untersuchung z. B. des Nervensystems, also der Nervenbahnen, keineswegs aus, um die Funktionsweise der innerleiblichen Informationsübertragungen im Vollzug verstehen und erklären zu können. Wir sind hier heute viel weiter gekommen. Hegel geht es aber um die allgemeine Ortsbestimmung dessen, was überhaupt rein anatomisch erfasst werden kann. Analoges gilt für die physiologische, d. h. physikalische und chemische Funktionsweise der Muskeln – gerade auch im Kontext ihrer Steuerung durch das Nervensystem. Rein anatomisch betrachtet gibt es ja (fast) gar keinen Unterschied zwischen dem gerade verstorbenen oder haltbar gemachten Leichnam und dem lebendigen Leib. 276 c
»Als solche Teile haben sie vielmehr aufgehört, zu sein, denn sie hören auf, Prozesse zu sein [sic!, PSW]. Da das Sein des Organismus wesentlich Allgemeinheit oder Reflexion in sich selbst ist, so kann das Sein seines Ganzen wie seine Momente nicht in einem anatomischen Systeme bestehen, sondern der wirkliche Ausdruck und ihre Äußerlichkeit ist vielmehr nur als eine Bewegung vorhanden, die sich durch die verschiedenen Teile der Gestaltung verläuft, und worin das, was als einzelnes System herausgerissen und fixiert wird, sich wesentlich als fließendes Moment darstellt, so daß nicht jene Wirklichkeit, wie die Anatomie sie findet, als ihre Realität gelten darf, sondern nur sie als Prozeß [sic!, PSW], in welchem auch die anatomischen Teile allein einen Sinn haben.« (186 | 155)
Es sind also die Prozesse des Lebens zu verstehen. Diese sind zeitlich geformt und als solche teleologisch-modal ausgerichtet auf ein weiteres ›funktionstüchtiges‹ Seinkönnen. Die Anatomie, auch die Physiologie, unter Einschluss der Neurophysiologie auch des Gehirns, liefert daher noch keine zureichende ›Erklärung‹ des Lebens. Eine solche muss den Prozess der ›Bewegung‹ und
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›Selbstbewegung‹ der lebenden Organismen, wie sie in der Welt beobachtbar vorgefunden werden, möglichst umfänglich generisch darstellen und dadurch ›erklären‹. »Es ergibt sich also, daß weder die Momente des organischen Innern für sich genommen Seiten eines Gesetzes des Seins abzugeben fähig sind; indem sie in einem solchen Gesetze von einem Dasein ausgesprochen, von einander unterschieden, und nicht jede auf gleiche Weise anstatt der andern sollte genannt werden können; noch daß sie, auf die eine Seite gestellt, in der andern an einem festen Systeme ihre Realisierung haben; denn dies letztere ist so wenig etwas, das überhaupt organische Wahrheit hätte, als es der Ausdruck jener Momente des Innern ist. Das Wesentliche des Organischen, da es an sich das Allgemeine ist, ist vielmehr überhaupt, seine Momente in der Wirklichkeit ebenso allgemein, das heißt, als durchlaufende Prozesse zu haben, nicht aber an einem isolierten Dinge ein Bild des Allgemeinen zu geben.« (187 | 155)
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Weder die abstrakten Titel der »Sensibilität« oder »Autopoiesis« noch die Betrachtung der äußeren und inneren Körperteile reichen also aus, das Leben eines Lebewesens genau zu charakterisieren; auch die Rede von »Funktionen« und »Organen« betri=t zunächst bloß die Unterscheidung von Momenten des Gesamtprozesses des Lebens. Ähnlich wie sich die allgemeine Lebensform der Gattung oder Art zum besonderen Leben eines Einzelwesens der Gattung verhält, verhält sich das Leben eines Individuums im Gesamtverlauf in der Zeit als das Allgemeine zu besonderen Teilprozessen hier und jetzt. »Auf diese Weise geht an dem Organischen die Vorstellung eines Gesetzes überhaupt verloren. Das Gesetz will den Gegensatz als ruhende Seiten auffassen und ausdrücken, und an ihnen die Bestimmtheit, welche ihre Beziehung aufeinander ist. Das Innere, welchem die erscheinende Allgemeinheit, und das Äußere, welchem die Teile der ruhenden Gestalt angehören, sollten die sich entsprechenden Seiten des Gesetzes ausmachen, verlieren aber so auseinandergehalten ihre organische Bedeutung; und der Vorstellung des Gesetzes liegt gera-
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de dies zum Grunde, daß seine beiden Seiten ein für sich seiendes gleichgültiges Bestehen hätten, und an sie die Beziehung als eine gedoppelte sich entsprechende Bestimmtheit verteilt wäre. Jede Seite des Organischen ist vielmehr dies an ihr selbst, einfache Allgemeinheit, in welcher alle Bestimmungen aufgelöst sind, und die Bewegung dieses Auflösens zu sein.« (187 | 156)
Die Form kausale;zienter Gesetze ist verschieden von der Form der Darstellung von Lebensformen. Schon deswegen, weil wir von der schlichten Tatsache der objektiven Gegebenheit der verschiedenen Arten oder Lebensformen im Reich des Lebendigen ausgehen müssen, lässt sich ›das Leben‹ nicht im Rahmen einer Gesetzeswissenschaft wie der Chemie oder Physik erklären. Das mag als ein ›zu großer‹ Satz gelten für den, der entweder noch nicht darüber nachgedacht hat, was »erklären« heißt, oder noch davon träumt, jenseits der evolutionären Entwicklung der Gesamtfamilie des Lebens, also aller realen Organismen auf der Erde, auch noch künstliche Organismen basteln zu können. Die Evolutionsgeschichte erklärt aber nichts, sondern stellt nur fest. Dabei darf dann allerdings der Fall der intervenierenden Veränderung der Lebensformen und Lebensprozesse nicht mit der Herstellung von Leben außerhalb des allgemeinen Reproduktionszusammenhangs des Lebendigen verwechselt werden. Kurz, Hegel geht es darum, die schiere Tatsache des Lebens als solche auf die rechte Weise herauszustellen. Und dazu ist es nötig, die Grenzen kausalgesetzlicher Erklärungen der e;zienzkausalen Art des Prädeterminismus zu klären. Es geht dabei um Gesetze der experimentell-beobachtenden Form der beliebigen technischen Herstellung von Anfangszuständen, gefolgt von einem Selbstlauf des Systems nach den fixen Gesetzen, die wir in unseren Theorien zur Darstellung dieses Selbstlaufs aufgestellt haben. Denn Gesetze wollen ›ruhende‹ Verhältnisse darstellen. In der Geometrie sind das Verhältnis der Lage und Passbarkeit, in der Kinematik und Dynamik reproduzierbare Bewegungsformen, unter Einschluss der Zeitabläufe (Geschwindigkeiten und Beschleunigungen). Dabei sind die dynamischen ›Kräfte‹ und
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›Energien‹ in der Physik als theoretische Entitäten zu begreifen, also als (relativ) a priori von uns gesetzte Momente der Gesamterklärung der Bewegungsformen. Wenn wir nun die Sensibilität und Irritabilität als modale ›Dispositionen‹ oder ›Lebenskräfte‹ auffassen möchten, welche das äußere Verhalten der Lebewesen auf ähnliche Weise erklären, wie die physikalischen und chemischen Kräfte, geraten wir o=enbar an eine ganz typische Grenze dieser Analogie. Eben diese Tatsache arbeitet Hegel hier heraus. Die Di=erenz besteht darin, dass die skizzierten ›Lebenskräfte‹ ganz anders ›funktionieren‹ als die zu den Massen und momentanen relativen Bewegungsformen bzw. Entfernungen proportionalen Kräfte. Sie lassen sich insbesondere nicht quantitativ fassen. Die Lebenskräfte sollen das Innere allgemein charakterisieren, das sich je nach Umständen gemäß den Gesetzen im Lebensvollzug äußern soll. Doch wenn wir so das Innere vom Äußeren trennen, wird es mangels eines allgemeinen Gesetzes funktionslos. Wir haben bloß erst Titel für Momente des Gesamtprozesses ohne prognostisch-erklärenden Gehalt. Demgegenüber verlangt die Idee einer gesetzesartigen Erklärung, wie im Fall einer Erklärung von Formen der Bewegung bzw. Beschleunigung durch Kräfte in der Physik, die relativ unabhängige Bestimmbarkeit oder ›Größe‹ der Kräfte. Diese Größen werden angepasst an die Bewegung einerseits, an die konkreten physischen Körper als den ›Kraftzentren‹ andererseits. Die vermittelnde Größe für die Gravitation ist die Masse. Wie man sieht, betrachtet Hegel viel genauer als jeder Physikalist, was wir wirklich tun, wenn wir etwas durch physikalische Naturgesetze erklären. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass es uns hier um zureichende Erklärungen des Lebens geht, nicht nur um notwendige Bedingungen, wie etwa bei der bloßen Betrachtung der chemischen Prozesse der Verdauung. Ohne diese gibt es kein Leben. Aber sie alleine reichen nirgends hin. Die Vorstellung ist nun, man brauche eben alle notwendigen Bedingungen. Das aber führt, wie Hegel sieht, zu einer Tautologie: Leben ist, wenn alle notwendigen Bedingungen des Lebens er-
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füllt sind. Das entspricht einer Molière-Erklärung: Jemand schläft ein, wenn die vis dormitiva groß genug ist. Die ›Erklärungen‹ des Lebens durch die modalen Dispositionen der Empfindungs-, Reaktions- und Reproduktionsfähigkeit sind tatsächlich von ganz anderem Typ als die Kausalerklärungen in den physikalischen und chemischen Wissenschaften. Die Biologie ist zwar eine besondere Naturwissenschaft. Sie lässt sich aber nicht auf die Physik reduzieren, was immer ein Glaube an eine zukünftige science fiction anderes sagen möchte. Hegels Wissenschaftsanalyse ist hier ganz o=enbar realistisch, nicht gläubig – und unterscheidet sich von den Ho=nungen und Versprechungen eines von sich selbst allzu überzeugten »wissenschaftlichen Fortschritts« in den Naturwissenschaften, dem alle Grenzen der realen Erklärbarkeitsbegri=e abhanden gekommen sind, nur weil inzwischen einige Phänomene wie die der Wärme sich ›thermodynamisch‹ erklären und in einer ›statistischen Wärmelehre‹ auf die Beweglichkeit von Molekülen zurückführen lassen. 279
»Die Einsicht in den Unterschied dieses Gesetzgebens gegen frühere Formen wird seine Natur vollends aufhellen. – Sehen wir nämlich zurück auf die Bewegung des Wahrnehmens und des darin sich in sich reflektierenden und seinen Gegenstand hiedurch bestimmenden Verstandes, so hat dieser dabei an seinem Gegenstande die Beziehung dieser abstrakten Bestimmungen, des Allgemeinen und Einzelnen, des Wesentlichen und des Äußerlichen, nicht vor sich, sondern ist selbst das Übergehen, dem dieses Übergehen nicht gegenständlich wird. Hier hingegen ist die organische Einheit, d. h. eben die Beziehung jener Gegensätze, und diese Beziehung ist reines Übergehen, selbst der Gegenstand. Dies Übergehen in seiner Einfachheit ist unmittelbar Allgemeinheit, und indem sie in den Unterschied tritt, dessen Beziehung das Gesetz ausdrücken soll, so sind seine Momente als allgemeine Gegenstände dieses Bewußtseins, und das Gesetz lautet, daß das Äußere Ausdruck des Innern sei. Der Verstand hat hier den Gedanken des Gesetzes selbst erfaßt, da er vorher nur überhaupt Gesetze suchte, und die Momente derselben ihm als ein bestimmter
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Inhalt, nicht als die Gedanken derselben vorschwebte. – In Ansehung des Inhalts sollen hiemit hier nicht solche Gesetze erhalten werden, welche nur ein ruhiges Aufnehmen rein seiender Unterschiede in die Form der Allgemeinheit sind, sondern Gesetze, die unmittelbar an diesen Unterschieden auch die Unruhe des Begri=es, und damit zugleich die Notwendigkeit der Beziehung der Seiten haben. Allein weil eben der Gegenstand, die organische Einheit, das unendliche Aufheben oder die absolute Negation des Seins mit dem ruhigen Sein unmittelbar vereinigt, und die Momente wesentlich reines Übergehen sind, so ergeben sich keine solche seiende Seiten, als für das Gesetz erfodert werden.« (187 f. | 156)
Hegel selbst spricht vom Unterschied der erho=ten Gesetze der Biologie und den früher betrachteten Formen der Gesetze der Physik und Chemie und sagt, dass die folgende Überlegung das Besondere des Lebens »vollends aufhellen« soll. Dazu erinnert Hegel an die Anfangskapitel zur (menschlichen) Wahrnehmung, zum (menschlichen) Verstand und zur kausalen Erklärung wahrgenommener Dingbewegungen durch Kräfte. Der gesetzesartige Übergang von den ›Prämissen‹, welche die Ausgangszustände beschreiben, zu den ›Konklusionen‹ als den Beschreibungen der Endzustände des natürlich-mechanischen Ablaufs geschieht ›im Verstand‹, der in der ausgereiften Version die Form des rechnenden Schließens in einer mathematisierten Theorie annimmt. Hier, im Bereich des Ablaufs von Lebensprozessen, ist der Gesamtverlauf des Lebens selbst der Gegenstand, nicht bloß die Relation zwischen Anfangs- und Endzustand. Das einzige ›Gesetz‹, das wir hier haben, lautet: Das »Äußere ist Ausdruck des Inneren«. Das aber drückt nur die allgemeine Idee oder Form von etwas Gesetzesartigen aus, ohne dass es konkrete Gesetze gäbe, die sich angeben ließen. Wir sind also nicht weiter gelangt als bis zur Vorstellung, dass es Gesetze geben solle – ohne irgendwelche konkreten Gesetze mit konkreten Inhalten zu haben. Solche stehen auch nicht in Aussicht, und zwar in dem Maße nicht, in welchem ›das Innere‹ oder ›Allgemeine‹ der ›Lebenskräfte‹ gar nicht unabhängig vom äußeren Prozess in Bestimmung und Grö-
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ße unterscheidbar bzw. beobachtbar ist. Solange wir aber noch keine Trennung von experimentell herstellbaren oder in der Beobachtung feststellbaren Anfangszuständen und den sich aus diesen ›gesetzesartig‹ ergebenden Endzuständen vorliegen haben, haben wir noch gar keine gesetzesartige Erklärung der Prozesse des Lebens. Man denke etwa fiktiv an die technische Herstellung eines homunculus vor Einhauchen einer Seele, die, wie man so redet, Qualia empfindet, oder an chemische Sto=e, die plötzlich zu leben anfangen. Das Kontrafaktische dieser Fiktion liegt natürlich darin, dass sie der großen Naturtatsache widerspricht, dass alles Leben aus Lebendigem hervorgeht. Es ist diese Vorstellung, die zu der vermeintlich verständlichen Frage führt, wie denn die Entstehung von Leben im Weltall ›zu erklären‹ sei, und wie die Entstehung des Geistes aus der Tierwelt. Alle Antworten sind rekonstruierte Geschichten. Ein ›Gesetz‹, das nur sagte, dass etwas im Inneren so geschieht, wie es der äußeren Beobachtung gemäß geschieht, ist kein Gesetz. Es wäre nicht als situationsinvariante Kausalität formuliert, sondern wäre begri=lich nicht weniger ›flüssig‹, also variabel, wie der Lebensprozess selbst. Die Erklärung wird leer, tautologisch, wie schon in Molières vis dormitiva. Die Bedeutung dieser Einsicht wird besonders klar und brisant in der Gefahr der Tautologie der Erklärung einer Tat durch einen Charakter. 280
»Um solche [Gesetze, PSW] zu erhalten, muß der Verstand sich an das andre Moment des organischen Verhältnisses halten; nämlich an das Reflektiertsein des organischen Daseins in sich selbst. Aber dieses Sein ist so vollkommen in sich reflektiert, daß ihm keine Bestimmtheit gegen anderes übrig bleibt. Das unmittelbare sinnliche Sein ist unmittelbar mit der Bestimmtheit als solcher eins, und drückt daher einen qualitativen Unterschied an ihm aus; wie z. B. Blau gegen Rot, Saures gegen Alkalisches usf. Aber das in sich zurückgekommene organische Sein ist vollkommen gleichgültig gegen anderes, sein Dasein ist die einfache Allgemeinheit, und verweigert dem Beobachten bleibende sinnliche Unterschiede, oder was dasselbe ist, zeigt seine wesentliche Bestimmtheit nur als den Wechsel seiender Bestimmt-
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heiten. Wie sich daher der Unterschied als seiender ausdrückt, ist eben dies, daß er ein gleichgültiger ist, d. h. als Größe. Hierin ist aber der Begri= getilgt, und die Notwendigkeit verschwunden. – Der Inhalt aber und Erfüllung dieses gleichgültigen Seins, der Wechsel der sinnlichen Bestimmungen, in die Einfachheit einer organischen Bestimmung zusammengenommen, drückt dann zugleich dies aus, daß er eben jene – der unmittelbaren Eigenschaft – Bestimmtheit nicht hat, und das Qualitative fällt allein in die Größe, wie wir oben gesehen.« (188 f. | 157)
Wollen wir Lebensprozesse gemäß Gesetzen erklären, die wir einesteils in ihrer verbalinferentiellen Struktur beherrschen, wobei der Verstand das Vermögen der entsprechenden Regeln ist, anderenteils auf die Welt der Erfahrung in ihren Prämissen und Konklusionen projizieren können, so müssen wir ›das Reflektiertsein‹ des lebendigen Daseins ›in sich selbst‹ angemessen beachten, also die tätigen Selbstbeziehungen des Lebewesens im Leben auf sich selbst. Das Problem ist das Erfinden und Finden von Fixpunkten, losgelöst vom Prozess selbst – so, dass der Prozess ›automatisch‹ von einem Zustand zum anderen führt. Solche Fixpunkte oder festen Beobachtungsperspektiven für identifizierbare Ereignisse, die gesetzesartig zu späteren Ereignissen führen, gibt es aber nicht so ohne weiteres. Wohl gibt es Unterschiede wie Nahrungsaufnahme, Verdauung und Sto=wechsel oder Wahrnehmung und Selbstbewegung. Aber diese Unterschiede sind, wie wir gesehen haben, bloß holistisch im Gesamtprozess ganz allgemein bestimmt und definieren keine klaren Grenzen oder bestimmbaren Größen. Je mein sinnliches Sein ist weder Ereignis oder Episode, noch ist es von meinem lebendigen Sein, meinem Leben, trennbar. Allerdings kann man vieles am Lebensverlauf durch technische Intervention verändern. Die Gentechnologie ist dafür nur ein besonders wichtiges Beispiel. Dabei wird vieles in der kausalen Form der Art »wenn man das macht oder wenn das passiert, dann geschieht das« erklärt. Dennoch bleibt das Leben als Ganzes in seinem Ablauf eine Art Kontinuum. Es geht nicht so, dass man
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erst eine Leibgestalt herstellt und dann in sie Leben haucht. Das Kontinuum des Lebens zeigt sich vielmehr als ein generisch durch die Lebensform der Art bestimmter »Wechsel seiender Bestimmtheiten«. In den Ereignisfolgen kann man zwar immer noch viele Unterschiede ausmachen. Aber es gibt z. B. einen großen Spielraum für den Blutdruck, ohne dass es notwendigerweise für das Leben gefährlich wird. Mit anderen Worten, es gibt unendlich viele ›gleichgültige‹ Varianten physikalischer und chemischer ›Größen‹, welche ein Weiterleben erlauben. Und es gibt allerlei notwendige Bedingungen, wie z. B. dass der Blutalkoholgehalt oder die Temperatur nicht zu hoch sein darf. Wie immer man die recht opaken Sätze dieses Paragraphen genauer auslegen mag, das allgemeine Argument besagt, dass das Leben als holistischer Gesamtprozess sich nicht in eine ›Summe‹ unabhängiger physikalischer und chemischer Teilmomente zerlegen lässt, die man nur in der rechten Mischung zusammenrühren muss, um ›künstliches Leben‹ zu erscha=ten. Wer das meint, verkennt den Status der Zerlegung der Lebensprozesse in Teilmomente, Faktoren, Funktionen und Organe. 281 a
»Ob also schon das Gegenständliche, das als organische Bestimmtheit aufgefaßt wird, den Begri= an ihm selbst hat, und sich hiedurch von dem unterscheidet, das für den Verstand ist, der sich als rein wahrnehmend bei dem Auffassen des Inhaltes seiner Gesetze verhält, so fällt jenes Auffassen doch ganz in das Prinzip und die Manier des bloß wahrnehmenden Verstandes darum zurück, weil das Aufgefaßte zu Momenten eines Gesetzes gebraucht wird; denn hiedurch erhält es die Weise einer festen Bestimmtheit, die Form einer unmittelbaren Eigenschaft oder einer ruhenden Erscheinung, wird ferner in die Bestimmung der Größe aufgenommen, und die Natur des Begri=s ist unterdrückt. – « (189 | 157)
Es ist ganz richtig, dass das körperliche Wesen, das als ›organische Bestimmtheit‹, also als ein Lebewesen einer bestimmten Art, verstanden werden kann, »den Begri=«, nämlich gerade ein Lebewesen der bestimmten Art zu sein, ›an ihm selbst‹ hat und nicht bloß aufgrund unserer Praxis der Subsumtion unter unsere
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Darstellungsformen. Dadurch unterscheiden sich Lebewesen von Verstandesbestimmungen, mit deren Hilfe wir die Bewegungen ›toter‹ Dinge darstellen, und zwar in Abhängigkeit von unserem Interesse an der gesetzesartigen Darstellung der als relevant erkannten Formen (Gestalten) der Körper und Raumrelationen. Ansonsten verhält sich der Verstand ›rein wahrnehmend‹, wo es um die Anwendung der Gesetze geht, also bei der Kontrolle des Bestehens der ›Prämissen‹ (Ausgangssituationen), aus denen sich die weiteren Bewegungen von selbst ergeben. Dennoch fassen wir – von außen her – das Lebewesen und sein Verhalten bloß als sich bewegenden Körper auf. Descartes meint entsprechend, alles Äußere, die gesamte res extensa, unter Einschluss meines eigenen Leibes oder Körpers, bewege sich wie eine Maschine ›rein mechanisch‹. Das Besondere des Menschen bestehe nur darin, dass er denken könne, dass daher ein denkender und wollender Geist sozusagen in das Räderwerk der Maschine eingreifen könne, jedenfalls ›prinzipiell‹. Hegel argumentiert dahingehend, dass schon das Leben von Tieren und anderen Organismen nicht rein mechanisch erklärbar ist – wenn wir nicht in einen kontrafaktischen Glauben an entsprechende angebliche Reduktionsmöglichkeiten ohne reale Grundlage in der Welt abdriften wollen, was bedeuten würde, einen wissenschaftlichen Realismus einzutauschen für eine science fiction, also einen romanartigen Glauben. Zugleich zeigt Hegel, warum wir hier dauernd in eine Denkfalle tappen: Es stellt sich uns das Verhalten der anderen Lebewesen (auch der anderen Menschen!) zunächst in der Wahrnehmung immer bloß als Körperbewegung dar. Daher meinen wir, es sollte sich auch als Körperbewegung erklären lassen – nach der »Manier des bloß wahrnehmenden Verstandes«, der alles Wahrgenommene zu »Momenten eines Gesetzes« gebrauchen möchte. Doch eben damit wird »die Natur des Begri=s« des Lebewesens (Hegel vergisst leider oftmals explizit zu sagen, dass es dieser Begri= ist, um den es die ganze Zeit geht) ›unterdrückt‹. Das heißt, das Lebewesen, auch die anderen Menschen, werden dann wie bloße Körperdinge be-
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trachtet bzw. behandelt; von dem relevanten begri=lichen und faktischen Unterschied zu ›toter Materie‹ wird einfach ›abstrahiert‹. Um das reale Leben eines Lebewesens angemessen zu begreifen, ist die besondere Innerlichkeit und Perspektivität anzuerkennen, samt der zugehörigen Unterscheidung zwischen der ›Innenwelt‹ des Selbsterhalts, der Empfindungen und der aktiven Reaktionen auf die Umwelt, und der ›Außenwelt‹. Dazu ist an unsere eigenen subjektiven Erfahrungen zu appellieren, ohne welche wir die Perspektivität des Lebens auch der anderen Lebewesen nie voll begreifen können. Diese Subjektivität ist eine materialbegri=liche Tatsache, so wirklich, wie nur irgendetwas in der Welt wirklich ist. Freilich ist sie nicht einfach als Objekt zu behandeln oder zu verdinglichen – so dass Hegel auf interessante Weise mit Frege in der logischen Analyse übereinstimmt, dass wir das Objektive, das gegenstandsförmig beredbar ist, nicht mit dem Wirklichen identifizieren dürfen. Dabei ist die wirkliche aber nicht objektive Subjektivität bei uns Menschen immer auch schon die Subjektivität eines animalischen Lebewesens. 281 b
»Die Umtauschung eines bloß Wahrgenommenen gegen ein in sich Reflektiertes, einer bloß sinnlichen Bestimmtheit gegen eine organische verliert also wieder ihren Wert, und zwar dadurch, daß der Verstand das Gesetzgeben noch nicht aufgehoben hat.« (189 | 157)
Er ergibt sich, dass wir, wenn wir das, was wir an Körpern und Körperbewegungen bzw. Verhalten wahrnehmen können, bloß ergänzen dadurch, dass wir sagen (und gesagt haben), Lebewesen verhielten sich autopoietisch, also so, dass ihr Tun dem Selbsterhalt dient, und dadurch ›in sich reflektiert‹ ist, noch keineswegs wirklich weiter gekommen sind in unserem Verständnis des Lebens und der Subjektivität der Lebewesen. Das liegt daran, dass »der Verstand das Gesetzgeben noch nicht aufgehoben hat«, also weil wir alles Beobachtete nomologisch durch Bewegungsgesetze erklären wollen, ohne zu begreifen, dass hier der ›Sache‹ nach das Gesetzgeben schon an eine Grenze gekommen ist.
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Es wird sich später auch explizit herausstellen, dass und warum nur animalische Lebewesen denken können.87 »Um die Vergleichung in Ansehung dieses Umtausches an einigen Beispielen anzustellen, so wird etwa etwas, das für die Wahrnehmung ein Tier von starken Muskeln ist, als tierischer Organismus von hoher Irritabilität, oder was für die Wahrnehmung ein Zustand großer Schwäche ist, als Zustand hoher Sensibilität oder, wenn man lieber will, als eine innormale A=ektion, und zwar eine Potenzierung derselben (Ausdrücke, welche das Sinnliche, statt in den Begri=, ins Lateinische – und zwar noch dazu in ein schlechtes – übersetzen) bestimmt. Daß das Tier starke Muskeln habe, kann vom Verstande auch so ausgedrückt werden, das Tier besitze eine große Muskelkraft – wie die große Schwäche als eine geringe Kraft. Die Bestimmung durch Irritabilität hat vor der Bestimmung als Kraft voraus, daß diese die unbestimmte Reflexion in sich, jene aber die bestimmte ausdrückt, denn die eigentümliche Kraft des Muskels ist eben Irritabilität – und vor der Bestimmung als starke Muskeln, daß wie schon in der Kraft die Reflexion in sich zugleich darin enthalten ist. So wie die Schwäche oder die geringe Kraft, die organische Passivität bestimmt durch Sensibilität ausgedrückt wird.« (189 f. | 157 f.)
Als Beispiele für die Zuschreibung von autopoietischen Funktionalitäten im Ausgang von beobachtbaren Körperteilen nennt Hegel Sachen, die für uns heute merkwürdig klingen. Er sagt, dass man aus starken Muskeln auf hohe Irritabilität schließt – was aber wenig besage. Als höchst sensibel gelten ›schwache‹ Naturen, die sozusagen ihren eigenen A=ekten passiv unterworfen bleiben. Hegel polemisiert hier auch noch gegen den Gebrauch der Wörter »A=ektion«, »Potenz« und »Potenzierung«, nicht bloß wegen des schlechten Lateins, sondern wegen der begri=lichen Unklarheit – was sich vielleicht gegen Schelling richten mag. Insgesamt helfen diese Redeweisen nicht weiter. Vgl. dazu auch die große Dissertation von Wolfram Gobsch, Warum nur Tiere denken können. Universität Basel 2011. 87
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»Aber diese Sensibilität so für sich genommen und fixiert, und noch mit der Bestimmung der Größe verbunden, und als größere oder geringere Sensibilität einer größern oder geringern Irritabilität entgegengesetzt, ist jede ganz in das sinnliche Element und zur gemeinen Form einer Eigenschaft herabgesetzt, und ihre Beziehung nicht der Begri=, sondern im Gegenteil die Größe, in welche nun der Gegensatz fällt, und ein gedankenloser Unterschied wird. Wenn hiebei zwar das Unbestimmte der Ausdrücke von Kraft und Stärke und Schwäche entfernt wurde, so entsteht itzt das ebenso leere und unbestimmte Herumtreiben in den Gegensätzen einer höhern und niedern Sensibilität, Irritabilität in ihrem Auf- und Absteigen an- und gegeneinander. Nicht weniger als Stärke und Schwäche ganz sinnliche gedankenlose Bestimmungen sind, ist die größere oder geringere Sensibilität, Irritabilität die gedankenlos aufgefaßte und ebenso ausgesprochene sinnliche Erscheinung. An die Stelle jener begri=slosen Ausdrücke ist nicht der Begri= getreten, sondern Stärke und Schwäche durch eine Bestimmung erfüllt worden, die für sich allein genommen auf dem Begri=e beruht und ihn zum Inhalte hat, aber diesen Ursprung und Charakter gänzlich verliert. – Durch die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit also, in welcher dieser Inhalt zur Seite eines Gesetzes gemacht wird, und durch die Größe, welche das Element des Unterschiedes solcher Bestimmungen ausmacht, behält das ursprünglich als Begri= seiende und gesetzte Wesen die Weise des sinnlichen Wahrnehmens, und bleibt von dem Erkennen so entfernt, als in der Bestimmung durch Stärke und Schwäche der Kraft, oder durch unmittelbare sinnliche Eigenschaften.« (190 | 158)
Der lange Text sagt im Grunde bloß noch einmal, dass die ›Größen‹ der ›Kräfte‹ als modale Fähigkeiten an dem real ausgeführten Werk zu bemessen wären, dieses also gar nicht erklären könnten, so wie die Größe der geistigen Kräfte sich bloß daran bemisst, wie wir die Werke ordnen. Weil wir die Werke Mozarts oder Beethovens, Newtons oder Einsteins hoch schätzen, werten wir deren geistige Kraft hoch. Es gibt aber keinen unabhängigen Zugang zu dieser Kraft – obgleich viele an die IQ-Werte glauben, welche ja in der Tat ein klein wenig signifikant sind, weil ohne hin-
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reichendes Gedächtnis selten geistig anspruchsvolle Leistungen erreicht werden. Es gibt aber viele Menschen mit hohem IQ, die nie etwas Neues und Interessantes leisten. Diese Beispiele dürften klarer sein als die Hegels, um zu sagen, warum die Rede von inneren Kräften und Fähigkeiten bei Lebewesen und Menschen wenig oder nichts kausalgesetzlich erklärt, sondern bestenfalls die Form des Lebensvollzugs und die real erbrachten Leistungen im Ganzen darstellt. »Es ist itzt auch noch dasjenige für sich allein zu betrachten übrig, was das Äußere des Organischen ist, und wie an ihm der Gegensatz seines Innern und Äußern sich bestimmt; so wie zuerst das Innere des Ganzen in der Beziehung auf sein eignes Äußeres betrachtet wurde.« »Das Äußere für sich betrachtet ist die Gestaltung überhaupt, das System des sich im Elemente des Seins gliedernden Lebens, und wesentlich zugleich das Sein des organischen Wesens für ein anderes – gegenständliches Wesen in seinem für sich Sein. – Dies Andere erscheint zunächst als seine äußere unorganische Natur. Diese beiden in Beziehung auf ein Gesetz betrachtet, kann, wie wir oben sahen, die unorganische Natur nicht die Seite eines Gesetzes gegen das organische Wesen ausmachen, weil dieses zugleich schlechthin für sich ist, und eine allgemeine und freie Beziehung auf sie hat.« (190 f. | 158 f.)
Das Äußere ist das Leibliche und das Verhalten zu anderen Körpern bzw. zu Teilen des eigenen Körpers. Während die nicht belebte Natur unter mechanische Kausalgesetze fällt, gibt es keine Gesetze derselben Art für das Verhalten von Lebewesen ihrer Umwelt gegenüber: Die generischen Normalitäten des Lebens sind zwar allgemein, aber nie ›universal‹. Das liegt an der besonderen Seinsweise des Lebendigen, des Lebens, und der ›freien‹ Bezugnahme schon der animalischen Lebewesen auf ihre Umwelt. Die größere Freiheit der Menschen im individuellen und kollektiven Handeln ergibt sich dann ›nur‹ durch die weiteren Möglichkeiten von Umsicht und Voraussicht, welche möglich werden dadurch, dass wir Mögliches spontan sprachlich repräsentieren können, ohne es irgendwie schon präsentisch ›sehen‹ zu müssen. Die relevante ›Voraussicht‹ ist daher das gerade Ge-
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genteil eines bloß perzeptuellen ›Sehens‹. Dasselbe gilt für die Umsicht. 285 a
»Das Verhältnis dieser beiden Seiten aber an der organischen Gestalt selbst näher bestimmt, so ist sie also nach einer Seite gegen die unorganische Natur gekehrt, auf der anderen aber für sich und in sich reflektiert. Das wirkliche organische Wesen ist die Mitte, welche das für sich Sein des Lebens mit dem Äußern überhaupt oder dem Ansichsein zusammenschließt. – « (191 | 159)
Das Leben findet nicht etwa jenseits der physikalischen und chemischen Prozesse im Lebewesen statt. Dennoch steht das Leben als Prozess den physikalischen und chemischen Prozessen, welche für das Weiterleben oder Nicht-Weiterleben des Lebewesens relevant sind, durchaus auch gegenüber: Jene sind ihm Umwelt, bis hin zu den Prozessen im Magen und Darm oder in der Versorgung des Gehirns mit Sauersto=. Nur das Leben ist ›in sich reflektiert‹, ›autopoietisch‹, auch wenn uns diese Titelwörter, wie eben erläutert, alleine noch nicht sehr viel weiterbringen. Appellativ aber nennen sie etwas, was wir schon kennen und wissen. Es bedarf dazu keiner Definition des Lebens, zumal schon die Aussageform »das Ding x lebt, genau wenn Y für x gilt« kategorialer Unsinn ist: Lebendiges lässt sich nicht aus den toten Dingen aussondern, sondern bildet einen Wesensbereich sui generis. Was heißt es nun, wenn Hegel sagt, das wirkliche lebendige Lebewesen sei »die Mitte«, welche »das für sich Sein des Lebens mit dem Äußern überhaupt oder dem Ansichsein zusammenschließt«? Gemeint ist, dass das lebendige Lebewesen, wie wir alle wissen, in gewissem Sinn sich gerade dadurch selbst erhält, dass es sich die äußere Umwelt entsprechend zunutze macht, in der ›tätigen‹ Verfolgung des Zwecks der Selbsterhaltung – was keineswegs ›immer bewusst‹ geschieht. Das »oder« in der Formel ist schwierig zu verstehen. Es könnte ein und/oder sein. Denn das Individuum ›verbindet‹ auch das Ansichsein des Gattungslebens mit seinem Einzelleben auf je besondere Weise konkret. Alle diese Sätze sagen nicht wesentlich mehr, als dass jedes Leben sich im Leben von Einzellebewesen (bei höheren Tieren: von
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Individuen) realisiert. Das ist wieder eine materialbegri=liche Grundtatsache, die als solche anzuerkennen ist. Sie enthält den weiteren begri=lichen Truismus, dass jedes Einzelleben von anderem Einzelleben herstammt, es am Ende einen einzigen ›Baum des Lebens‹ gibt – eine Einsicht, welche den Kern der Evolutionsbiologie ausmacht oder ausmachen sollte, weit über Detailfragen der Ausdi=erenzierung der Gattungen und Arten in langen Zeiträumen durch genetische Variation und Selektion hinaus. Der Physikalismus denkt nicht evolutionsbiologisch genug.
29.3 Die Freiheit lebendiger Subjektivität und das Innere als Person »Das Extrem des Fürsichseins ist aber das Innere als unendliches Eins, welches die Momente der Gestalt selbst aus ihrem Bestehen und dem Zusammenhange mit dem Äußern in sich zurücknimmt, das Inhaltslose, das an der Gestalt sich seinen Inhalt gibt, und an ihr als ihr Prozeß erscheint. In diesem Extreme als einfacher Negativität oder reiner Einzelnheit hat das Organische seine absolute Freiheit, wodurch es gegen das Sein für anderes und gegen die Bestimmtheit der Momente der Gestalt gleichgültig und gesichert ist.« (191 | 159)
In der ›Spannung‹ zwischen einzelnem Wesen und seiner Umwelt einerseits, seiner allgemeinen Art oder seinem Gattungswesen andererseits ist der eine ›Extrempol‹ der Selbstbeziehung des Fürsichseins »das Innere als unendliches Eins«. Das bedeutet, dass das Subjekt, beim Menschen: das Ich, wie bei Leibniz die Monade, das Gesamt ›seiner Welt‹ ist, in welcher sogar die Umwelt als je meine Welt sozusagen ›enthalten‹ ist. Unendlich ist dieses Eins, diese ›Monade‹, gerade weil sie sich als eine ganze Welt für das ›Subjekt‹ oder ›für das Ich‹ darstellt.88 Zu mir gehört auch mein Leib, aber bloß als ›Teil‹, samt aller physischen und Vgl. noch einmal Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 5.63. 88
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chemischen ›Bestandteile‹. Zu mir gehören meine Empfindungen, meine Gefühle, Wahrnehmungen, Urteile, Tätigkeiten: Alles dieses wird zu einem Teil von mir, Teil meines ›Innern‹. Hegel legt hier o=enbar Leibniz aus, ohne dessen bloß abstrakte Struktur der Monadologie zu übernehmen. Stattdessen deutet er sie als konkrete Reflexion auf die ›subjektive‹ Seinsweise lebendiger Wesen. Dies steht im Kontrast zu vitalistischen Theorien und zu anthropomorphen Reden über Körperdinge, als hätten diese eine Subjektivität oder Perspektive. Richtig ist allerdings, dass wir so etwas wie Sehepukte kontrafaktisch fingieren können. Das Subjekt ist ›einfache Negativität‹, das Ich ist ›reine Einzelheit‹ oder realisierte Form personaler Individualität und Identität. Das heißt, dass alles Äußere formal von ihm selbst unterschieden wird und alles Seinige irgendwie der ›reinen Innerlichkeit‹ als der Form des Selbstseins zugerechnet wird. Diese Form der (verbalen, denkenden) Gegenüberstellung also (und nichts sonst) ist die ›Ursache‹ dafür, dass ich mich von allen ›Äußerlichkeiten‹ meines eigenen Leibes und meines eigenen Verhaltens scheinbar distanzieren, als ›Seele‹ all diesem gegenübersetzen kann. Zugleich erscheint mir mein Leben, also das eigene Sein, nicht als ein mir fremder Prozess. Nicht bloß das personale Subjekt als ein Wesen, das schon »ich« und »denke« sagen und denken kann, sondern schon jedes Lebewesen als Subjekt oder ›einfache Negativität‹ in der Unterscheidung zwischen ihm selbst und seiner Umwelt hat »seine absolute Freiheit«. Das mag merkwürdig klingen, ist aber nur das Resultat unserer begri=lichen Analyse. Es besagt nicht, dass etwa das Tier tun könne, was immer es wolle – zumal unklar ist, was das heißen soll, da kein Tier etwas (wünschend) wollen und tätig einen Wunsch erfüllen kann. Es besagt auch nicht, dass alle die Teilprozesse im Leben des Tieres oder dann auch des Menschen, welche im Körper oder Leib als chemische oder physikalische ablaufen, nicht unter die Kausalgesetze der entsprechenden Wissenschaften fallen. Für das Tier oder den Menschen sind diese Prozesse immer auch als Widerfahrnisse, nicht als eigene Tätigkeit aufzufassen. Das Leben selbst ist aber
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nicht auf diese rein durch chemische und physikalische Gesetze ›determinierten‹ Prozesse zu reduzieren – wenn wir nur realistisch genug die Tatsache des Lebens berücksichtigen und von utopischer science fiction Abstand nehmen. Die Freiheit, von der hier die Rede ist, besteht in nichts anderem als in der Möglichkeit und Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen den reinen Widerfahrnissen des Lebewesens, das ja z. B. auch von anderen Körpern gestoßen werden kann, und dem eigenen tätigen Tun. Wer sagt, er könne hier nicht (nie) unterscheiden, sagt mehr, als was er ernsthaft meinen kann. Denn er unterscheidet dauernd. Mehr ist aber nicht nötig, um die Existenz der Freiheit nachzuweisen: Sie existiert, so wie das Gerechte und das Vernünftige existiert. Denn in vielen Fällen können wir das Ungerechte oder Unvernünftige sicher vom Gerechten und Vernünftigen unterscheiden. Dass es manchmal schwierig wird, macht die Unterscheidung nur interessanter. Im eigenen Tun, jenseits bloßer Widerfahrnisse, ist jedes lebendige Subjekt gegen bloß passive Bestimmungen auch der ›Momente‹ der eigenen Gestalt und Prozessform in einem gewissen Ausmaß ›gleichgültig‹: Eben darin besteht die ›Freiheit‹ seines Verhaltens, welche beim Menschen zu einem ›freien Handeln‹ wird, indem umsichtige und voraussichtige Planungen die Eigentätigkeit bestimmen. Diesen Kontrast zwischen einem ›freien‹ Verhalten und Handeln auf der einen Seite, ›unfreien Widerfahrnissen‹ auf der anderen zu bezweifeln, oder den Unterschied als unwesentlich zu negieren, ist nicht etwa besonders klug, sondern töricht und kurzsichtig. Der Unterschied mag im Einzelfall nicht sehr scharf sein, etwa so wie der zwischen Grün und Gelb. Aber das ist angesichts der Kontinuitäten der Welt absolut kein gutes Argument dafür, auf die Unterscheidung zu verzichten. Das meint die etwas kurze, dafür umso schärfere Rede Hegels davon, dass die Freiheit und das Individuum dagegen ›gesichert‹ seien, dass ›alles‹ an ihm bloß Widerfahrnis sein soll. Und in der Tat, das widerspräche schon dem Begri= und der Tatsache der Selbstbewegung animalischer Lebewesen.
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»Diese Freiheit ist zugleich Freiheit der Momente selbst, sie ist ihre Möglichkeit, als daseiende zu erscheinen und aufgefaßt zu werden, und wie gegen Äußeres sind sie darin auch gegen einander befreit und gleichgültig, denn die Einfachheit dieser Freiheit ist das Sein oder ihre einfache Substanz. Dieser Begri= oder reine Freiheit ist ein und dasselbe Leben, die Gestalt oder das Sein für anderes mag in noch so mannigfaltigem Spiele umherschweifen; es ist diesem Strome des Lebens gleichgültig, welcher Art die Mühlen sind, die er treibt. – « (191 | 159)
Hegel erweist sich hier als der Philosoph der Freiheit, weit über Kant hinaus. Er richtet sich gegen die Unterstellung einer angeblichen Unfreiheit des empirischen Verhaltens des Menschen angesichts eines vermeintlich transzendentalen Kausalprinzips, nach welchem alle Erscheinungen wenigstens im Prinzip (was immer das sagt) aus Vorgänger-Ereignissen mit kausaler Notwendigkeit erklärbar sein sollen. Der Glaube an einen derartigen Kausalnexus ist der Aberglaube, wie auch Wittgenstein sagt.89 Er ist völlig unbegründet. An ihn zu glauben ist reine Willkür. Mehr ist dazu nicht zu sagen, wenn wir begri=en haben, dass kein reiner Willkürglaube von einer realistischen Debatte um wirkliches Wissen wirklich ernsthaft als Möglichkeit zu diskutieren ist. Das freilich ist o=enbar schwer einzusehen. Man bemerkt nicht einmal, dass man in seinem rein willkürlichen Urteilen die Freiheit selbst bestätigt. Die Freiheit des Selbstbezugs des Lebewesens im Verhalten ist zugleich Freiheit von Teilmomenten dieser Selbstbeziehung im Vollzug: im Empfinden, Fühlen, Wahrnehmen, Urteilen, Handeln. Das ist nicht so gemeint, dass wir beliebige Wünsche gerade auch in Bezug auf unsere Umwelt durch unser Begehren allein erfüllen könnten. Die Umwelt bleibt widerständig. Aber sie ist nicht bloß widerständig. Es sind große Sätze, die Hegel hier schreibt: Die Einfachheit Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 5.136; vgl. auch 6.32, 6.343, 6.36, 6.37, 6.371. 89
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der Freiheit ist das Sein. Sie ist ihre einfache Substanz. Reine Freiheit und Leben sind dasselbe. Es ist dem »Strome des Lebens gleichgültig, welcher Art die Mühlen sind, die er treibt«. Die Sätze sind alle heraklitische Orakel. Dabei ist schon die Rede vom Sein höchst bemerkenswert, handelt es sich doch nicht um die Nominalisierung der Kopula »ist«, sondern um das Vollzugs-Sein des Lebens des Lebewesens bzw. des Menschen, dann also um eine Nominalisierung des »(ich) bin«, was durchaus etwas ganz anderes ist als die Kopula oder auch die dingliche Vorhandenheit als Deutung des Existenzquantors im Bereich der nicht bloß möglichen, sondern realen dinglichen Objekte. Die einfache aristotelische Substanz ist das Lebewesen, insofern es die Lebensform seiner Art realisiert. Freiheit gehört schon zur generischen Seinsweise von (animalischen) Lebewesen. Die Freiheit von Menschen ist dabei schon Freiheit des wollenden Handelns. Dabei ergreift schon das animalische Lebewesen im Prozess seines Lebens alles Mögliche, was ihm zum Leben dient. Der ›Grad‹ des ›Erkennens‹ des Lebensdienlichen ist bei verschiedenen Arten und verschiedenen Individuen unterschiedlich. Wissen aber gibt es nur bei Menschen. Tiere haben Bewusstsein bloß als Gewahrnehmen und Aufmerken, nicht als Mit-Wissen. Tiere erkennen, indem sie sich auf der Basis von ›Instinkt‹ und ›Eigenerfahrung‹ gerichtet verhalten – wie wir Menschen manchmal auch. Zwar kommen bei Menschen Umsicht und Voraussicht hinzu, aber nicht in der Form einer bloßen Addition, sondern als Umformung von animalischen Formen der ›Reflexion‹, des Empfindens (im urteilenden Gefühl), des Wahrnehmens (im urteilenden Beobachten), des Begehrens (im urteilenden Wünschen und Beabsichtigen) und des Verhaltens (im selbstkontrollierten auf bloß mögliche Zwecke ausgerichteten Handeln). »Vors erste ist nun zu bemerken, daß dieser Begri= [der Freiheit des Inneren, PSW] hier nicht wie vorhin bei der Betrachtung des eigentlichen Innern in seiner Form des Prozesses oder der Entwicklung seiner Momente aufzufassen ist, sondern in seiner Form als einfaches
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Innres, welches die rein allgemeine Seite gegen das wirkliche lebendige Wesen ausmacht, oder als das Element des Bestehens der seienden Glieder der Gestalt; denn diese betrachten wir hier, und an ihr ist das Wesen des Lebens als die Einfachheit des Bestehens.« (191 f. | 159)
Die Rede vom ›monadischen‹ Innern des freien Subjekts oder Ich ist nun nicht, wie zuvor, als Gesamt innerer Geschehnisse im Leib (etwa im Kopf) zu deuten, sondern als das reine Subjekt oder, bei Personen, das reine Ich. Dieses ist bloße Form. Es ist »einfaches Inneres« in formaler Entgegensetzung zu äußerem. Was ich »mein freies Ich« nennen mag, ist daher wie in unserer Rede von der Person im Ganzen weder meine gerade schreibende Hand noch mein gerade vielleicht angestrengt nachdenkendes (und wegen seiner Durchblutung sich tatsächlich warm anfühlendes) Gehirn. Wie es dort drinnen im wörtlichen (räumlichen) Sinn aussieht, das sehen wir nur über einen Gehirnscanner. Das bedeutet, dass ich, beobachtend, denkend und urteilend, mir jeden Körperteil zum Äußeren machen kann. Daraus aber folgt nicht, dass es mich jenseits meines Leibes gäbe, obwohl der mögliche ›Umfang des Ich‹ weit über meinen präsentischen Leib hinausreicht, diesen also durchaus auch in vielerlei Weise ›transzendiert‹. Hegels Text holt hier gewissermaßen unsere früheren vorgreifenden, Überlegungen wieder ein. 285 e
»Alsdenn ist das Sein für anderes oder die Bestimmtheit der wirklichen Gestaltung in diese einfache Allgemeinheit aufgenommen, die ihr Wesen ist, eine ebenso einfache allgemeine unsinnliche Bestimmtheit, und kann nur die sein, welche als Zahl ausgedrückt ist. Sie ist die Mitte der Gestalt, welche das unbestimmte Leben mit dem wirklichen verknüpft, einfach wie jenes, und bestimmt wie dieses. Was an jenem, dem Innern, als Zahl wäre, müßte das Äußere nach seiner Weise als die vielförmige Wirklichkeit, Lebensart, Farbe und so fort ausdrücken, überhaupt als die ganze Menge der Unterschiede, welche in der Erscheinung sich entwickeln.« (192 | 159 f.)
Der »Einfachheit des Inneren« korrespondiert die »Einfachheit des Bestehens« oder des Lebens des Lebewesens, des Subjekts oder des personalen Ich: Wir reden sozusagen ›punktförmig‹
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über die Person als ganzes Wesen. In meinem Gebrauch des Wortes »Person« erläutere ich hier das, was Hegel »die Mitte der Gestalt« nennt. Dabei stellen wir uns selbst als Personen in gewisse Relationen des Andersseins zu anderen Subjekten oder Personen. Für Relationen dieser Kategorie des »Sein für anderes« gilt x R y ⇒ x 6= y, wie wir schon gesehen haben. Die Gleichheit hier artikuliert die Identität der ganzen Person. Die Identität der Person ist zunächst durch die leibliche Unteilbarkeit des Individuums bestimmt. Diese definiert die Eins oder Einheit des Zählens von Personen, so dass Dr. Jekyll und Mister Hyde natürlich eine Person sind. Schizophrenie und so genannte Spaltungen der Persönlichkeit sind psychische Mängel einer Person. Lockeanische Umdefinitionen der Person nach Maßgabe der Kohärenz des Gedächtnisses sind irreführend: Es gibt nicht mehrere Personen in einem Individuum. Wohl kann eine Person viele Rollen spielen. Man kann, wenn man will, diese dann doch auch wieder zu Bündeln zusammenfassen und über verschiedene Personalitäten in einer Person oder einem Individuum reden. Die Sprache ist dehnbar und geduldig. Aber über dieses hinaus gibt es keinen fact of the matter, d. h. es gibt nichts Allgemeines über die Anzahl der Persönlichkeiten (sagen wir Napoleon Bonapartes) zu entdecken: Wer will, kann den Feldherrn vom Politiker unterscheiden und den einen loben, den anderen tadeln. Wer das nicht so sagen will, kann es lassen. Das einzige, was objektiv feststeht, ist die Leibidentität der Person. Über sie zählen wir Personen oder, wie bei Gogol, noch lebende oder schon tote Seelen (als Vermögen von Gutsbesitzern). Anders gesagt, wenn wir ›Mengen‹ von Personen bilden, bilden die leiblichen Individuen die Zähleinheiten. Wie eine Zahl durch viele Repräsentanten repräsentiert ist, so auch die Person. Und wie nur eigens definierte Zahlrelationen und Zahleigenschaften für Zahlen zugelassen sind, so gibt es auch für volle Personen zulässige gesamtpersonale Unterscheidungen und Eigenschaften. Relationen zwischen Teilen oder Momenten oder Zeitphasen einer und derselben Person sind logisch von
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anderer Art. Als abstrakte Einheit (oder Eins) ist aber die ganze Person durch beliebige ihrer ›Teile‹ oder ›Momente‹ repräsentierbar, sofern diese eben (ggf. lokal) ausreichen, das Individuum zu bestimmen. Wir sagen daher schlimmstenfalls auch schon mal so etwas wie: »Das bin ich« (ich zeige auf ein Bild aus meiner Jugend oder strecke meine Hand hoch oder zeige auf meine Nase). Ich bin also, nach unserer Grammatik, nicht bloß mein Gehirn, sondern auch meine Rollen, meine Vergangenheit usf. In sinnvollen Aussagen tre=en dann personale Eigenschaften keine feineren Unterscheidungen, als die kontextbedingt relevante personale Identität der Individualität oder Unteilbarkeit des Leibes vorsieht. So hat eine Person normalerweise z. B. die personale Eigenschaft, männlich zu sein, ein Leben lang, wenn sie denn männlich ist. Ausnahmen wie bei Hermaphroditen und Geschlechtsumwandlungen zeigen, dass es auch hier begri=liche Sonderprobleme geben kann, ohne dass dabei die Person anders als in einem metaphorischen Sinn gespalten würde. Die für die Person nicht zeitallgemeine Eigenschaft, Schüler der Schule X zu sein, ist wegen der Beschränkung auf eine Zeitphase schon keine gesamtpersonale Eigenschaft mehr, so wenig wie die ganz o=enbar temporale Eigenschaft, dass mir gerade der Kopf schmerzt. Die Ausdrucksform »die Person X hat (zeitallgemein) die personale Eigenschaft Y« spricht dagegen über die ganze Person, die damit fast so abstrakt wird eine wie Zahl. Sie kann auch, wie eine Zahl, durch viele verschiedene Sachen repäsentiert werden, nur sind diese natürlich von anderem Typ als bei Zahlen. 286 a
»Die beiden Seiten des organischen Ganzen – die eine das Innere [in meinem Explikationsvorschlag: die Person, samt der Psyche und dem Charakter, PSW], die andere aber das Äußere [der Leib, PSW], so daß jede wieder an ihr selbst ein Inneres und Äußeres hat [der Leib ein räumliches Innere, die Seele ein verhaltensartiges Äußeres, PSW] – nach ihrem beiderseitigen Innern verglichen, so war das Innere der ersten der Begri= [die Besonderung der Lebensform des Personseins, PSW], als die Unruhe der Abstraktion [was wohl auf die
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Aktualisierungen der Formen verweist, PSW]; die zweite aber hat zu dem ihrigen die ruhende Allgemeinheit, und darin auch die ruhende Bestimmtheit, die Zahl [bestimmt durch die Leibidentität des Individuums, PSW].« (192 | 160)
Wie jede reine Zahl n, sagen wir 7, als abstrakter Gegenstand ein Gegenstand ist, dem eine indefinite Vielheit von n-elementigen, in unserem Beispiel: 7-elementigen, Mengen korrespondieren, und außerdem eine Vielzahl symbolischer Repräsentationen derselben Zahl, wie z. B. 6 + 1 oder 10 − 3, zugeordnet werden kann, so ist auch das Subjekt selbst oder das Ich als das abstrakte ›Innere‹ der Person ein bloß begri=liches Inneres, also nicht etwas Beobachtbares. Deswegen kann man zwar das Gehirn beobachten, nicht aber das Subjekt oder das Ich, das für alles steht, was das Subjekt präsentiert oder repräsentiert. Und so, wie reine Zahlen nichts kausalgesetzlich bewirken können, können auch das reine Subjekt oder Ich und die ihm zugeschriebenen ›Eigenschaften‹ nichts kausalgesetzlich bewirken. Das ist so, weil die zeitallgemeinen Aussagen über die Gesamtperson ja abstrakt sind: Hier ist alle »Bewegung und Beziehung erloschen«: »Wenn daher jene [Seite, die Seite der gesamten Person als Psyche oder Charakter, PSW], weil in ihr der Begri= seine Momente entwickelt, durch den Schein von Notwendigkeit der Beziehung täuschend [etwa psychophysische, PSW] Gesetze verhieß, so tut diese [Seite der Person als Individuum, PSW] sogleich Verzicht darauf, indem sich die Zahl als die Bestimmung der einen Seite ihrer Gesetze zeigt. Denn die Zahl ist eben die gänzlich ruhende, tote und gleichgültige Bestimmtheit, an welcher alle Bewegung und Beziehung erloschen ist, und welche die Brücke zu dem Lebendigen der Triebe, der Lebensart und dem sonstigen sinnlichen Dasein abgebrochen hat.« (192 | 160)
Das klingt zunächst höchst obskur. Gemeint ist wohl, dass die Abstraktheit der Redeform, in der über die Seele, den Charakter, die Person oder Persönlichkeit eines menschlichen Individuums die Rede ist »die Brücke zu dem Lebendigen der Triebe« immer schon abgebrochen hat. Das heißt, es wird vom begri=lichen Zusammenhang zwischen allgemeiner Person und dem konkreten
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sich in der Zeit und im Raum ausdehnenden und bewegenden, sich auch in Gestalt und Verhalten verändernden Leib, dem »sinnlichen Dasein«, abstraktiv abgesehen. 287
»Diese Betrachtung der Gestalt des Organischen als solcher und des Innern als eines Innern bloß der Gestalt ist aber in der Tat nicht mehr eine Betrachtung des Organischen. Denn die beiden Seiten, die bezogen werden sollten, sind nur gleichgültig gegeneinander gesetzt, und dadurch die Reflexion in sich, welche das Wesen des Organischen ausmacht, aufgehoben. Sondern es wird hier vielmehr auf die unorganische Natur die versuchte Vergleichung des Innern und Äußern übergetragen; der unendliche Begri= ist hier nur das Wesen, das inwendig verborgen, oder außen in das Selbstbewußtsein fällt, und nicht mehr, wie am Organischen, seine gegenständliche Gegenwart hat. Diese Beziehung des Innern und Äußern ist also noch in ihrer eigentlichen Sphäre zu betrachten.« (192 f. | 160)
Die Rede über ein personales Subjekt bzw. die konkrete Verbindung der abstrakten Person mit dem einzelnen Individuum referiert dann oft nicht mehr auf das konkrete Leben je hier und jetzt, auch nicht auf den Leib des Lebewesens, sondern abstrahiert von allem Konkreten des Organischen. Man spricht damit irgendwie über das Leben des Individuum im Ganzen, oft schon im Vorgri= auf die Zukunft. Das Innere eines physischen Körpers ist dagegen einerseits das räumliche Innere, das sich als Volumen und Masse messen lässt, andererseits aber auch die von unseren Erklärungen oder Theorien in die Körper gesetzten Dispositionen und Kräfte, die aber von anderem Typ sind als die in die Personen gesetzten Charaktere, und zwar weil wir etwa über den Massenvergleich der Körperdinge die Kräfte zahlenmäßig und damit abstrakt vorherbestimmen können, also bevor die Kräfte ihre Wirkung zeigen.
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29.4 Gesetze für das Nichtlebendige vs. Aktualisierung von Formen »Zuerst ist jenes Innere der Gestalt als die einfache Einzelnheit eines unorganischen Dinges, die spezifische Schwere. Sie kann als einfaches Sein ebensowohl wie die Bestimmtheit der Zahl, deren sie allein fähig ist, beobachtet oder eigentlich durch Vergleichung von Beobachtungen gefunden werden, und scheint auf diese Weise die eine Seite des Gesetzes zu geben. Gestalt, Farbe, Härte, Zähigkeit und eine unzählige Menge anderer Eigenschaften würden zusammen die äußere Seite ausmachen, und die Bestimmtheit des Innern, die Zahl, auszudrücken haben, so daß das eine am andern sein Gegenbild hätte.« (193 | 160)
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Bei Körperdingen sind die ›inneren Kräfte‹ der Gravitation als proportional zur Masse gesetzt und diese zählt zum ›Wesen‹ des Körpers: Jeder Körper hat Masse, »ist schwer«, und zwar aus begri=lichen Gründen. Denn jeder bewegt sich relativ zu manchen anderen und das so, dass man zumindest Teilmomente der Relativbewegung unter Rückgri= auf Massenzahlen rechnerisch erklären kann. Trotz der vorsichtigen Formulierung, die von einem Schein des Gesetzes der Gravitation spricht, zweifelt Hegel nicht an dessen Bedeutung, wohl aber daran, dass sich auf seiner Grundlage alle äußeren Eigenschaften der Dinge wie »Gestalt, Farbe, Härte, Zähigkeit und eine unzählige Menge anderer Eigenschaften« erklären lassen. »Weil nun die Negativität hier nicht als Bewegung des Prozesses, sondern als beruhigte Einheit oder einfaches für sich Sein aufgefaßt ist, so erscheint sie vielmehr als dasjenige, wodurch das Ding sich dem Prozesse widersetzt, und sich in sich und als gleichgültig gegen ihn erhält. Dadurch aber, daß dies einfache Fürsichsein eine ruhige Gleichgültigkeit gegen anderes ist, tritt die spezifische Schwere als eine Eigenschaft neben andere; und damit hört alle notwendige Beziehung ihrer auf diese Vielheit, oder alle Gesetzmäßigkeit auf. – « (193 | 160 f.)
Die zur Masse proportional gesetzte Bewegungskraft der Gravitation wird als eine der wesentlichen ›Ursachen‹ der Relativ-
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bewegung angesehen, in der der Körper in seiner Wirkung auf andere auf relevante Weise involviert ist. Sie unterscheidet sich aber von der Bewegung selbst dadurch, dass Masse bzw. Kraft als situationsinvariante Dauereigenschaft, als ›beruhigte Einheit‹ dem Körper bzw. seinem (gedachten) Zentrum (als Punktkörper) zugeschrieben wird. Der Masse korrespondiert auch die Trägheit als ein Maß der Kraft, welche zur (Richtungs-)Beschleunigung aufgewendet werden müsste. Wenn man von der Funktionalität der Massen- und Kraftbestimmung in der Erklärung bzw. Darstellung der Bewegungen der Körper absieht und so tut, als wären Massen und Kräfte unmittelbare ›Eigenschaften‹ der Körper, so wie etwa Farbe und Geruch, begreift man den notwendigen begri=lichen Zusammenhang zwischen Kraft und Bewegung nicht mehr: Die Kraftwirkung erscheint dann als ›empirische‹, ›kontingente‹ Wirkung, nicht als begri=lich notwendige Folge unserer quantitativen, an den Massen- und Volumenzahlen festgemachten, situationsübergreifenden ›Erklärungen‹ typischer, also reproduzierbarer oder sich reproduzierender Bewegungsformen. 289 b
»Die spezifische Schwere als dies einfache Innere hat nicht den Unterschied an ihr selbst, oder sie hat nur den unwesentlichen; denn eben ihre reine Einfachheit hebt alle wesentliche Unterscheidung auf. Dieser unwesentliche Unterschied, die Größe, müßte also an der andern Seite, welche die Vielheit der Eigenschaften ist, sein Gegenbild oder das Andere haben, indem er dadurch überhaupt erst Unterschied ist. Wenn diese Vielheit selbst in die Einfachheit des Gegensatzes zusammengefaßt, und etwa als Kohäsion bestimmt wird, so daß diese das für sich im Anderssein, wie die spezifische Schwere das reine Fürsichsein ist, so ist diese Kohäsion zuerst diese reine im Begri=e gesetzte Bestimmtheit gegen jene Bestimmtheit, und die Manier des Gesetzgebens wäre die [tautologische, PSW], welche oben bei der Beziehung der Sensibilität auf die Irritabilität betrachtet worden. – Alsdenn ist sie ferner als Begri= des Fürsichseins im Anderssein nur die Abstraktion der Seite, die der spezifischen Schwere gegenüber steht, und hat als solche keine Existenz. Denn das Fürsichsein im Anderssein ist der Prozeß, worin das Unorganische sein
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Fürsichsein als eine Selbsterhaltung auszudrücken hätte, welche es dagegen bewahrte, aus dem Prozesse als Moment eines Produkts herauszutreten. Allein dies eben ist gegen seine Natur, welche nicht den Zweck oder Allgemeinheit an ihr selbst hat. Sein Prozeß ist vielmehr nur das bestimmte Verhalten, wie sein Fürsichsein, seine spezifische Schwere sich aufhebt. Dies bestimmte Verhalten, worin seine Kohäsion in ihrem wahren Begri=e bestehen würde, aber selbst und die bestimmte Größe seiner spezifischen Schwere sind ganz gleichgültige Begri=e gegeneinander. Wenn die Art des Verhaltens ganz außer Acht gelassen und auf die Vorstellung der Größe eingeschränkt würde, so könnte etwa diese Bestimmung gedacht werden, daß das größere spezifische Gewicht, als ein höheres Insichsein, dem Eingehen in den Prozeß mehr widerstände als das geringere. Allein umgekehrt bewährt die Freiheit des Fürsichseins sich nur in der Leichtigkeit, mit allem sich einzulassen und sich in dieser Mannigfaltigkeit zu erhalten. Jene Intensität ohne Extension der Beziehungen ist eine gehaltlose Abstraktion, denn die Extension macht das Dasein der Intensität aus. Die Selbsterhaltung aber des Unorganischen in seiner Beziehung fällt, wie erinnert, außer der Natur derselben, da es das Prinzip der Bewegung nicht an ihm selbst hat, oder da sein Sein nicht die absolute Negativität und Begri= ist.« (193 f. | 161 f.)
Die Überlegungen Hegels in dem Abschnitt sind wieder im Detail höchst obskur. Der allgemeine Inhalt ist wohl dieser: Das ›spezifische Gewicht‹ eines Sto=es, aus dem man über das Volumen die Gesamtmasse erhält, ist selbst – etwa über den Impulssatz – nur im Kontext der Relativbewegungen und (Richtungs-) Beschleunigungen definiert, an denen entsprechende Körper beteiligt sind. Es gibt keine unabhängige Eigenschaft der Sto=e oder Körper, aus der sich das spezifische Gewicht bzw. die Masse bestimmen ließe. Die Kohäsion eines Körpers aber lässt sich nicht durch Gravitationskräfte erklären – hier sind andere Kräfte am Werk. Sollte nun jemand denken oder sagen, die Kohäsionskräfte seien in Analogie zum Selbsterhalt von Lebewesen zu lesen, so ist das ganz irreführend. Denn es gibt kein Prinzip des Selbst-
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erhalts von nicht lebendigen Körpern, selbst dort, wo aufgrund von Elastizität eine Körperform ›von selbst‹ wieder entsteht, wenn Kräfte aufhören zu wirken, die zeitweise eine ›Verformung‹ verursachten. 290
»Diese andre Seite des Unorganischen dagegen nicht als Prozeß, sondern als ruhendes Sein betrachtet, so ist sie die gemeine Kohäsion, eine einfache sinnliche Eigenschaft auf die Seite getreten gegen das freigelassene Moment des Anderssein, welches in vielen gleichgültigen Eigenschaften auseinander liegt, und unter diese selbst, wie die spezifische Schwere, tritt; die Menge der Eigenschaften zusammen macht dann die andre Seite zu dieser aus. An ihr aber, wie an den andern ist die Zahl die einzige Bestimmtheit, welche eine Beziehung und Übergang dieser Eigenschaften zu einander nicht nur nicht ausdrückt, sondern eben wesentlich dies ist, keine notwendige Beziehung zu haben, sondern die Vertilgung aller Gesetzmäßigkeit darzustellen, denn sie ist der Ausdruck der Bestimmtheit als einer unwesentlichen. So daß also eine Reihe von Körpern, welche den Unterschied als Zahlenunterschied ihrer spezifischen Schweren ausdrückt, durchaus nicht einer Reihe des Unterschieds der andern Eigenschaften parallel geht, wenn auch, um die Sache zu erleichtern, von ihnen nur eine einzelne oder etliche genommen werden. Denn in der Tat könnte es nur das ganze Konvolut derselben sein, was in dieser Parallele die andere Seite auszumachen hätte. Dieses in sich zu ordnen und zu einem Ganzen zu verbinden, sind die Größenbestimmtheiten dieser vielerlei Eigenschaften für die Beobachtung einerseits vorhanden, andererseits aber treten ihre Unterschiede als qualitativ ein. Was nun in diesem Haufen als positiv oder negativ bezeichnet werden müßte und sich gegenseitig aufhöbe, überhaupt die innre Figuration und Exposition der Formel, die sehr zusammengesetzt sein würde, gehörte dem Begri=e an, welcher eben in der Weise, wie die Eigenschaften als seiende daliegen und aufgenommen werden sollen, ausgeschlossen ist; in diesem Sein zeigt keine den Charakter eines Negativen gegen die andere, sondern die eine ist so gut als die andere, noch deutet sie sonst ihre Stelle in der Anordnung des Ganzen an. – Bei einer Reihe, die in parallelen Unterschieden fortläuft – das Verhältnis möchte als auf beiden
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Seiten zugleich steigend, oder nur auf der einen und auf der andern abnehmend gemeint werden –, ist es nur um den letzten einfachen Ausdruck dieses zusammengefaßten Ganzen zu tun, welches die eine Seite des Gesetzes gegen die spezifische Schwere ausmachen sollte; aber diese eine Seite, als seiendes Resultat, ist eben nichts anders, als was schon erwähnt worden, nämlich einzelne Eigenschaft, wie etwa auch die gemeine Kohäsion, neben welcher die andern, und darunter auch die spezifische Schwere, gleichgültig vorhanden sind, und jede andre mit dem gleichen Rechte, d. h. mit dem gleichen Unrechte zum Repräsentanten der ganzen andern Seite gewählt werden kann; eine wie die andre würde das Wesen nur repräsentieren, auf deutsch: vorstellen, aber nicht die Sache selbst sein. So daß der Versuch, KörperReihen zu finden, welche an der einfachen Parallele zweier Seiten fortliefen, und die wesentliche Natur der Körper nach einem Gesetze dieser Seiten ausdrückten, für einen Gedanken genommen werden muß, welcher seine Aufgabe und die Mittel, wodurch sie ausgeführt werden sollte, nicht kennt.« (194–196 | 162 f.)
Ein Körper, wenn man ihn von allen Bewegungskontexten isoliert betrachtet, ist selbst nur die Kohäsion aller seiner Teile – solange er eben nicht zerfällt. Auch das zeigt, dass neben der Masse die Kohäsion zu betrachten ist. Von einer ›Anzahl‹ von Teildingen ist dabei nicht eigentlich die Rede. Wir können Dinge virtuell in ›unendlich‹ viele Teile teilen, gesetzt, wir überwinden die Kräfte der Kohäsion. Nun ja, die Anzahl bestimmter physikalischer Teilchen, die es ›in‹ einem Körperding gibt, etwa die der Atome, kann wirklich endlich bestimmbar sein. Diese Anzahl bleibt allerdings schon wegen der Di=usion nicht über die Zeit hinweg konstant. Hegels Artikulationsform ist hier allerdings weiterhin hochgradig idiosynkratisch und obskur; vielleicht denkt er sich, die Dinge bestünden aus ›kontinuierlicher‹ Materie, nicht aus atomaren Teilchen. In jedem Fall wird klar, dass das Bild des ›Atomismus‹, nach welchem es kleinste über die Zeiten hinweg mit sich identische und beständige Atome und subatomare Partikel gibt, die sich im Raum nur bewegen, zunächst eher eine Rahmenformatierung für ein Forschungsprogramm
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ist, das sich als Programm zwar in einem weiten Ausmaß in der Chemie und Atomphysik als exhaurierbar und damit als äußerst fruchtbar erwiesen hat, aber möglicherweise der Ergänzung durch andere Rahmenformate bedarf. Ein solches neues Rahmenformat ist die Quantenphysik mit ihrer Welle-Teilchen-Komplementarität und anderen vorher unausdenkbaren Abweichungen vom mechanistischen Erklärungsparadigma sich bewegender Substanzen. 291 a
»Es wurde vorhin die Beziehung des Äußern und Innern an der Gestalt, welche der Beobachtung sich darstellen soll, sogleich zu der Sphäre des Unorganischen herübergenommen; die Bestimmung, welche sie hieher zieht, kann itzt näher angegeben werden, und es ergibt sich von da noch eine andere Form und Beziehung dieses Verhältnisses. Bei dem Organischen nämlich fällt überhaupt das hinweg, was bei dem Unorganischen die Möglichkeit einer solchen Vergleichung des Innern und Äußern darzubieten scheint. Das unorganische Innere ist ein einfaches Inneres, das für die Wahrnehmung als seiende Eigenschaft sich darbietet; seine Bestimmtheit ist daher wesentlich die Größe, und es erscheint als seiende Eigenschaft gleichgültig gegen das Äußere oder die vielen andern sinnlichen Eigenschaften.« (196 | 163)
Das Innere eines unorganischen, nicht lebendigen, Dinges ist also erstens, was räumlich innerhalb dessen sich befindet, das als die äußere Grenze des Dinges gilt, wobei Körperdinge mittlerer Größe einen gewissen (›dreidimensionalen‹) Raum einnehmen. Zweitens zählen wir zum ›Inneren‹ des Körpers die nicht an dem Körper völlig isoliert, also ohne Betrachtung der relativen Bewegungseigenschaften, bestimmbaren Trägheits- und Gravitationskräfte bzw. die sie bestimmenden Massen resp. Gewichte. Drittens zählen wir zum Inneren die Kohäsionskräfte des Körpers. Zum ›Inneren‹ des Lebendigen gehört dagegen das Leben als ›Selbsterhalt‹, das man nicht, wie im Fall der Masse oder auch der Kohäsion, gewissermaßen auf die (materiellen) Teile des Dinges verteilen kann. Leben ist etwas, was dem ganzen Lebewesen zukommt, nicht den Teilorganen: In eben diesem Sinn sind (höhere animalische) Lebewesen unteilbare Individuen.
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»Das Fürsichsein des Organisch-lebendigen aber tritt nicht so auf die Seite gegen sein Äußeres, sondern hat das Prinzip des Andersseins an ihm selbst.« (196 | 163)
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Das Fürsichsein eines Lebewesens ist das Gesamt seiner Selbstverhältnisse. Diese sind von völlig anderem Typ als die ›inneren‹ Verhältnisse von Teilen eines ›toten‹, also nicht-lebendigen, Dinges – vermittelt etwa durch Kohäsionskräfte zwischen den räumlich bestimmbaren Teilen des Dinges. Was die Rede von dem »Prinzip des Andersseins« genau besagt, ist unklar. Vielleicht ist gemeint, dass sich das lebende Individuum erhält, indem es durch Sto=wechsel anderes inkorporiert, zu dem Seinigen macht, zugleich sich von anderen Lebewesen und toten Dingen als Individuum unterscheidet und sich dem Anderssein als Subjekt sozusagen entgegenstellt: Das Lebewesen ist immer von sich her, was es ist und wie es ist. Es ist in seinem Wesen subjektiv. Sein Sein ist Subjekt-Sein im Vollzug des Lebens. Und das heißt, dass es sich selbst von allem anderen, allen ›Objekten‹, auch allen KoSubjekten, unterscheidet. Das tut das Lebewesen für sich selbst. Der Unterschied ist also nicht ein von uns Menschen bloß aus unserer Sicht zu unseren Zwecken gesetzter Unterschied. Es ist ein Fürsichsein am Lebewesen und ein Anderssein des Lebewesens selbst gegen alles andere. »Bestimmen wir das Fürsichsein als einfache sich erhaltende Beziehung auf sich selbst [sic!, PSW], so ist sein Anderssein die einfache Negativität [des Andersseins und der Unterscheidung, PSW], und die organische Einheit ist die Einheit des sichselbstgleichen sich auf sich Beziehens [sic!, PSW] und der reinen Negativität [des Unterschieds zu anderem, PSW].« (196 | 163)
Das Fürsichsein des Selbstverhältnisses des Lebewesens kann als Selbsterhalt verstanden werden. Sein Anderssein ist dann als »einfache Negativität« all das, was aus diesem Prozess des Selbsterhalts herausfällt, als widerständiges Objekt, nicht erreichtes Futter, als gegnerischer Artgenosse oder gefährliches Raubtier. Die Einheit des Lebewesens ist durch das Leben bestimmt. Und dieses ist eine Einheit des »sichselbstgleichen sich auf sich Beziehens
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und der reinen Negativität«, letztere als Selbstabgrenzung von allem, was je nicht ›mein‹ ist – beim Tier: was nicht zu ›seiner‹ Welt gehört, ihm ›nicht passt‹. Diese ›Einheit‹ ist ›das Innere‹ des Lebewesens: Von ihr sprechen wir, wenn wir vom individuellen Subjekt und seiner Welt sprechen, wobei je meine Welt das je andere meiner selbst ist, insoweit es mein Anderes ist. Das so als Einheit aufgefasste ›Innere‹ des Lebewesens ist, wie wir jetzt endgültig sehen, auf keinen Fall zu verwechseln mit dem, was sich in seinem Leib als einem lebendigen Körper befindet. Denn es ist (an sich oder allgemein gefasst) das Artwesen, die Gattung. 291 d
»Diese Einheit ist als Einheit das Innere des Organischen; dies ist hiedurch an sich allgemein, oder es ist Gattung. Die Freiheit der Gattung gegen ihre Wirklichkeit aber ist eine andere als die Freiheit der spezifischen Schwere gegen die Gestalt. Die der letztern ist eine seiende Freiheit, oder daß sie als besondere Eigenschaft auf die Seite tritt. Aber weil sie seiende Freiheit ist, ist sie auch nur Eine Bestimmtheit, welche dieser Gestalt wesentlich angehört, oder wodurch diese als Wesen ein Bestimmtes ist.« (196 | 163)
Das Artwesen oder die Artform ist dadurch bestimmt, wie das Leben eines Lebewesens der Art, wenn es gut läuft, normalerweise abläuft. Dies entspricht der Auffassung des Aristoteles von der zweiten ousia, dem allgemeinen Wesen eines Lebendigen: Es ist das eidos, die Form oder eben Art bzw. Gattung als Lebensform. Diese Lebensform ist frei »gegen ihre Wirklichkeit« in dem Sinn, als ›sie‹ sich gegen Umweltgegebenheiten durchsetzt – indem sich das Lebewesen durchsetzt. Diese relative Unabhängigkeit der Artform von ihrer Umgebung ist von ganz anderer Art als die der Masse eines toten Körpers im Vergleich zu seiner zufälligen Gestalt bzw. auch gegenüber den je konkreten Verhältnissen zu anderen relativ zu ihm bewegten Körpern. Es ist sicher etwas unklar, was es heißen soll, dass die Freiheit des reinen Körperdings eine ›seiende‹ Freiheit sei. Möglicherweise spricht Hegel von den ›Freiheitsgraden‹ der Bewegbarkeit in Abhängigkeit von den gegebenen Umgebungen.
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»Die Freiheit der Gattung aber ist eine allgemeine, und gleichgültig gegen diese Gestalt oder gegen ihre Wirklichkeit. Die Bestimmtheit, welche dem Fürsichsein des Unorganischen als solchem zukommt, tritt daher an dem Organischen unter sein Fürsichsein; wie sie an dem Unorganischen nur unter das Sein desselben tritt; ob sie daher schon an diesem zugleich nur als Eigenschaft ist, so fällt ihr doch die Würde des Wesens zu, weil sie als das einfache Negative dem Dasein als dem Sein für anderes gegenübersteht; und dies einfache Negative ist in seiner letzten einzelnen Bestimmtheit eine Zahl.« (196 f. | 163)
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Die Betonung der Zahl im letzten Satz scheint mir wie oben auch im Wesentlichen als ein Hinweis auf die besondere Individualität und Identität von Lebewesen zu lesen zu sein. Tote Dinge kann man immer beliebig teilen und sie bleiben Dinge, auch wenn sie aufhören mögen, brauchbare Stühle zu sein oder dergleichen. Teilungen von Lebewesen führen im Normalfall zu etwas Totem – was natürlich nicht für Zellteilungen gilt. Wie dem auch sei, die Gattung, das eidos, die Artform ist auf andere Weise frei als das Individuum, nämlich allgemeinfrei: Die konkrete Gestalt der Umwelt spielt nur eine bedingte Rolle, jedenfalls soweit sie das Überleben der Einzelnen noch zulässt. Das Lebewesen ist daher sozusagen ›von Innen her‹ durch die Artform bestimmt, im Verlauf und Vollzug des Lebens, im Wachsen und Gedeihen. Das tote Ding aber ist in dem, was und wie es ist, vollständig durch seine rein sto=lichen Teile, deren Lage und seiner Raumumgebung bestimmt. Immerhin hat auch das Ding eine Art ›Wesen‹: Es hat eine ›Masse‹, die sich zahlenmäßig bestimmen lässt, und eine geometrische ›Form‹ – sofern und soweit es zeitlich, also in seiner Bewegung, formstabil ist. »Das Organische aber ist eine Einzelnheit, welche selbst reine Negativität und daher die fixe Bestimmtheit der Zahl, welche dem gleichgültigen Sein zukommt, in sich vertilgt. Insofern es das Moment des gleichgültigen Seins und darin der Zahl an ihm hat, kann sie daher nur als ein Spiel an ihm, nicht aber als das Wesen seiner Lebendigkeit genommen werden.« (197 | 163)
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Jedes Lebendige lebt als Einzelheit. Höheres Lebendiges ist Individuum. Dieses ist ›reine Negativität‹ im Sinne des selbstbezüglichen tätigen Unterscheidens des Subjekts zwischen dem Seinen und dem je Anderen, also (je von mir her gesagt) zwischen dem, was je für mich mein eigen ist, und dem, was je für mich etwas Anderes ist. Beides, das Meinige meiner Welt und das Andere meiner Welt sind Momente meiner Welt. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen der Welt und meiner Welt. So ist z. B. deine Welt nicht umittelbar meine Welt. Wir leben aber dennoch in einer einzigen Welt. In unserem Weltbezug ist diese Einheit allerdings allererst koordiniert darzustellen. Was es heißt, dass die fixe Bestimmtheit der Zahl, das rein Quantitative, im qualitativen Leben des Lebewesens von diesem in seinem Sein vertilgt werde, bleibt wieder obskur. Gemeint ist wohl, dass die rein mathematischen Gesetze der Physik für die Körperbewegung im Innern zwar gelten, aber nicht ausreichen, um Leben zu erklären. 292 a
»Wenn nun aber schon die reine Negativität, das Prinzip des Prozesses, nicht außer dem Organischen fällt, und es sie also nicht als eine Bestimmtheit in seinem Wesen hat, sondern die Einzelnheit selbst an sich allgemein ist, so ist doch diese reine Einzelnheit nicht in ihren Momenten als selbst abstrakten oder allgemeinen an ihm entwickelt und wirklich. Sondern dieser Ausdruck tritt außer jener Allgemeinheit, welche in die Innerlichkeit zurückfällt, und zwischen die Wirklichkeit oder Gestalt, d. h. die sich entwickelnde Einzelnheit und zwischen das organische Allgemeine, oder die Gattung, das bestimmte Allgemeine, die Art.« (197 | 164)
Die ›reine Negativität‹ ist insofern ›das Prinzip des Prozesses‹ des Lebens, als es sich – so ist Hegels titelartige Redeform wohl zu verstehen – um die Entgegensetzung, Ausgrenzung, des ihm fremden Anderen vom Subjekt bei gleichzeitiger aktiver Bezugnahme auf seine bzw. je meine Umwelt im Selbsterhalt handelt. Die ›Negation‹ der Welt der anderen Dinge ist Selbstaneignung in dem Sinn, als immer auch alles andere zu je meiner Welt gehört. Das Meine ist dabei immer bloß dasjenige in meiner Welt, das ich
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von dem, was in meiner Welt ›mein‹ Anderes ist, unterscheide. Indem ich es als meines anerkenne, negiere ich also, dass es ein mir fremdes Anderes sei. Man spricht entsprechend von einer Aneignung, auch von einer Identifikation: Man kann sich Fremdes auf vielfältige Weise aneignen. Das Paradigma des Falles, in dem sich ein Tier seine Nahrung aneignet, lässt sich analogisch ausweiten auf die Aneignung von Formen des Verhaltens, Urteilens und Handelns, von Wissen und Begri=. Die Negation der Aneignung oder des Mein-Machens von Anderem fällt in das Leben selbst. Es ist die Form des Lebensvollzugs selbst. Daher ist die Prozessform des Selbsterhaltes keine ›Eigenschaft‹ eines Körpers. Sondern das einzelne Lebewesen ist in seinem Selbsterhalt, in der Art seiner Realisierung der Lebensform der Art, »selbst allgemein«. Die ›reine Einzelheit‹ oder Subjektivität ist nun aber, obwohl sie völlig allgemeine Seinsform des Lebens ist, das es ja nur als das Leben von Einzelwesen gibt, dennoch nicht als solche im einzelnen Lebewesen selbst entwickelt. Das heißt, ein einzelnes animalisches Lebewesen verhält sich der Form nach so, wie es die Artform bestimmt, ohne dass es sich seiner Individualität im Vollzug dieser Form oder auch nur des Kontrastes zwischen Einzelnem und Allgemeinem ›bewusst‹ wäre. Nur der Mensch vermag sich zur ›reinen‹, damit personalen Subjektivität zu erheben. Nur als Person wird er selbstbewusstes Individuum. Nur der Mensch kennt seine Artform, jedenfalls in gewissen Umrissen, Teilen oder Typiken. Das Tier ›fällt‹, wie sich Hegel figurativ und wohl allzu blumig ausdrückt, ›in die Innerlichkeit‹ zurück. In ironischer Doppeldeutigkeit identifiziert Hegel diese mit der Konventionalität des instinktartigen Lebens. Das Tier lebt nach vorgeprägten Schemata. Das Leben des Tieres ist in seiner Form durch die besondere Tierart, die Artform des Tieres ›bestimmt‹, nicht durch ein selbsterzeugtes Streben des Tieres, als Individuum und Subjekt sein eigenes Leben zu führen: Ein solches Streben gibt es nur beim Menschen. Die Di=erenz zwischen allgemeiner Gattung und besonderer Art wird hier nur insofern relevant, als das ›Individuelle‹ des Tieres sozusagen die
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Art, nicht das Einzelwesen ist: Individueller kann ein Tier nicht werden, als es der Verhaltenstyp bestimmt, den es realisiert. Noch einmal: Nur der Mensch weiß, dass er Individuum ist. Und er verhält sich zu diesem Wissen, etwa indem er sich der Endlichkeit seines Seins bewusst ist. Er verhält sich sogar aktiv und bestimmend zu seiner Artform. 292 b
»Die Existenz, zu welcher die Negativität des Allgemeinen oder der Gattung gelangt, ist nur die entwickelte Bewegung eines Prozesses, welcher sich an den Teilen der seienden Gestalt verläuft. Hätte die Gattung an ihr als ruhender Einfachheit die unterschiedenen Teile, und wäre somit ihre einfache Negativität als solche zugleich Bewegung, welche sich durch ebenso einfache, unmittelbar an ihnen allgemeine Teile verliefe, die als solche Momente hier wirklich wären, so wäre die organische Gattung Bewußtsein.« (197 | 164)
»Gattung« bei Hegel bedeutet wie schon »genos« (und »eidos«) bei (Platon und) Aristoteles, nicht bloß eine Klasse oder Menge von Lebewesen, sondern diese zusammen mit der Form des Lebens der Lebewesen der betre=enden Gattungsklasse, der Lebens- oder Artform. Die Selbstbewegung eines animalischen Lebewesens ist schon von einer proto-bewussten Form, nämlich im Sinne des wachen (vigilanten) Gewahrseins und der Aufmerksamkeit, aber noch nicht im Sinne des freien Mit-Wissens der conscientia. Diese ist am Ende als Kontrolle einer Normativität des Richtigen (Wahren, Guten) das zentrale Merkmal der Di=erenz von Tier und Mensch: Menschliches Bewusstsein ist Kontrolle der Erfüllung ›normativer‹ Richtigkeiten. Dazu bedarf es keiner leibfreien Seele und keines gespenstartigen Geistes. Geistseele, Vernunft oder psych¯e no¯etik¯e sind ›eigentlich‹ nichts anderes als Titelwörter, die das formale Subjekt unserer kenntnisgestützten Teilnahme an den Praxisformen der allgemeinen Lebensform des Gattungswesens im (möglichst richtigen) Vollzug nennen. Die Rede vom Menschen, seiner humanitas und sapientia, spricht eigentlich von eben dieser Lebensform und der Normativität der zu ihr gehörigen Praxisformen. Das Leben des Einzellebewesens vollzieht sich im Umgang mit
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der dinglichen Umwelt. Es prägt sich dabei eine Besonderheit ›der seienden Gestalt‹ etwa des Leibes aus. Das aber geschieht und wird vom Tier nicht selbsttätig und bewusst zielgerichtet ›hergestellt‹. Hegels Sprechweise ist etwas gewöhnungsbedürftig. Was nämlich soll es heißen, dass »die organische Gattung Bewußtsein« wäre, wenn die Gattung »an ihr als ruhender Einfachheit die unterschiedenen Teile« hätte? Dann wäre »ihre einfache Negativität als solche zugleich Bewegung«. Und diese wäre von der Form, dass sie »durch« diese »Teile verliefe«, die als »Momente« »wirklich wären«. Es geht in diesen Überlegungen aber o=enbar immer noch darum, dass sich nur der Mensch zu seiner Artform aktiv verhält. Eben das ist das Wesen seines Bewusstseins, seines Wissens. Es wird (nur) möglich durch das symbolische Handeln, die (bild-)sprachliche Vergegenwärtigung von Formen der Welt und des Handelns. Für das bewusste Handeln ist es absolut zentral, dass die Formen des Handelns nicht bloß im Tun reproduziert werden, sondern vergegenständlicht werden können: zunächst im Zeigen, dann durch titelartige Nennung und schließlich durch Beschreibung. »So aber ist die einfache Bestimmtheit, als Bestimmtheit der Art, an ihr auf eine geistlose Weise vorhanden [der Gedanke ist extrem wichtig: zunächst benehmen wir uns normenkonform, ohne schon explizit zu wissen, was wir da können und empraktisch wissen, PSW]; die Wirklichkeit fängt von ihr an, oder was in die Wirklichkeit tritt, ist nicht die Gattung als solche [d. h. nur der Mensch kann etwas als etwas bestimmen, PSW], d. h. überhaupt nicht der Gedanke. Diese als wirkliches Organisches ist nur durch einen Repräsentanten vertreten [sic!, PSW]. Dieser aber, die Zahl, welche den Übergang aus der Gattung in die individuelle Gestaltung zu bezeichnen und der Beobachtung die beiden Seiten der Notwendigkeit, einmal als einfache Bestimmtheit, das anderemal sie als entwickelte zur Mannigfaltigkeit herausgeborne Gestalt zu geben scheint, bezeichnet vielmehr die Gleichgültigkeit und Freiheit des Allgemeinen und Einzelnen gegeneinander, das von der Gattung dem wesenlosen Unterschiede der Größe preisgegeben wird, selbst aber als Lebendiges von diesem
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Unterschiede sich ebenso frei erweist. Die wahre Allgemeinheit, wie sie bestimmt worden, ist hier nur innres Wesen; als Bestimmtheit der Art ist sie formale Allgemeinheit, und dieser gegenüber tritt jene wahre Allgemeinheit auf die Seite der Einzelnheit, die dadurch eine lebendige ist, und sich durch ihr Inneres über ihre Bestimmtheit als Art hinwegsetzt. Aber diese Einzelnheit ist nicht zugleich allgemeines Individuum, d. h. an dem die Allgemeinheit ebenso äußere Wirklichkeit hätte, sondern dies fällt außer dem Organisch-lebendigen. Dieses allgemeine Individuum aber, wie es unmittelbar das Individuum der natürlichen Gestaltungen ist, ist nicht das Bewußtsein selbst; sein Dasein als einzelnes organisches lebendiges Individuum müßte nicht außer ihm fallen, wenn es dieses sein sollte.« (197 f. | 164)
Im Fall des animalischen Lebens geschieht die Selbststeuerung völlig holistisch. Sie ist durch die Artform vorgeprägt. Die Di=erenz zwischen Art und Individuum ist dem animalischen Individuum gar nicht ›bekannt‹. Das Individuum vollzieht die Artform ohne ›Bewusstsein‹ der ›Negativität‹ oder Di=erenz. Was im Vollzug wirklich wird, »in die Wirklichkeit tritt«, ist allerdings nicht »die Gattung als solche«, nicht als allgemeine begri=ene Lebensform. Als solche wäre sie schon Gedanke. Im animalischen Leben präsentiert und repräsentiert nur der Vollzug selbst die Form. Es gibt keinen Bezug auf sie, keine doppelte Vertretung der Form: einmal im gegenwärtigen Vollzug, dann aber auch in einer eigenen gedanklichen Vergegenwärtigung, etwa durch Sprache und Bild. Bewusstes Handeln gibt es nur in der Verdoppelung. Handeln ist sich handelnd denken (S. Rödl) und denkend handeln. In der bloßen Beobachtung erscheint die Gattung als bloße Zahl, d. h. als Menge von Einzellebewesen mit zufälligen gemeinsamen Eigenschaften. Die Artform der Gattung wird als »inneres Wesen« zur Erklärung des Verhaltens in die Einzeltiere gesetzt. Hegels Ausdrucksweisen sind besonders im Umgang mit den Wörtern »Schluss« und »Mitte«, wie etwa in der folgenden Passage, für uns heute sehr schwer nachvollziehbar. 293
»Wir sehen daher einen Schluß, worin das eine Extrem das allgemeine Leben als allgemeines oder als Gattung, das andre Extrem aber
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dasselbe als Einzelnes oder als allgemeines Individuum ist; die Mitte aber ist aus beiden zusammengesetzt, das erste scheint in sie sich als bestimmte Allgemeinheit oder als Art, das andre aber als eigentliche oder einzelne Einzelnheit zu schicken. – Und da dieser Schluß überhaupt der Seite der Gestaltung angehört, so ist unter ihm ebenso dasjenige begri=en, was als unorganische Natur unterschieden wird.« (198 | 164 f.)
In Schlüssen werden, so sagt Hegel, ›Extreme‹ zusammengeschlossen. Das ist eine wörtliche Übersetzung aus der aristotelischen Syllogistik, zumal die »horoi« oder »Termini« die ›Endpunkte‹ oder ›Extreme‹ im Satz sind, während die Kopula, das »ist« oder »kommt immer/manchmal zu«, die Mitte ist. In den Sätzen »A ist B« und »B ist C« sind etwa A, B und C solche Termini, Extreme, Endpunkte. Im Schluss auf »A ist C« werden die Extreme A und C zusammengeschlossen. Dieses Bild vom ›Schließen‹ wendet Hegel hier auf zunächst obskure Weise auf die Extreme des allgemeinen Lebens ›als Gattung‹ und das Einzelne »als allgemeines Individuum« an. Die Mitte, sagt er, sei aus beidem zusammengesetzt, aus dem besonderen Arttypus einerseits, aus der durch die Art wesensbestimmten Einzelheit andererseits. Das figurative Bild, das entsteht, verweist nicht einfach auf einen schematischen Schluss der Form: Ein Einzelwesen X ist von der Art Y, welche zur Gattung Z gehört, daher gehört X zur Gattung Z. Woran ist aber sonst zu denken? Hegel erläutert, dass es in diesem Schluss um die Form der Gestaltung – wohl des Lebens – gehe. Und er sagt, unter ihm sei auch das einbegri=en, was wohl auch vom Lebewesen selbst (also nicht bloß von uns) als ›unorganische Natur‹ unterschieden wird. Mir scheint jetzt folgende Deutung nahezuliegen: Das bloß organische Lebewesen schließt die Artform oder die generische Form des Lebensprozesses so mit seinem eigenen Vollzug des Lebens zusammen, dass ein typischer subjektiver Lebensvollzug entsteht, und zwar als Reaktion auf seine zum Teil rein physische Umwelt. Eine andere, bewusste Form der Subjektivität, die eigentliche Einzelheit eines Individuums, verlangt dagegen schon Wissen und
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Bewusstsein in einer Teilung zwischen Einzelnem, Typischem und Allgemeinem, also im Urteil. Leider sagt das Hegel so nicht; so dass die Interpolation mit Recht als Interpretation zu lesen ist. Ein unmittelbares Verstehen ohne ein derartiges Deuten gibt es aber hier nicht. Besonders die Rede von den Zahlen und Zahlreihen macht kaum überwindliche Schwierigkeiten: 294 a
»Indem nun das allgemeine Leben als das einfache Wesen der Gattung von seiner Seite die Unterschiede des Begri=s entwickelt, und sie als eine Reihe der einfachen Bestimmtheiten darstellen muß, so ist diese ein System gleichgültig gesetzter Unterschiede, oder eine Zahlreihe. Wenn vorhin das Organische in der Form der Einzelnheit diesem wesenlosen Unterschiede gegenübergesetzt wurde, der ihre lebendige Natur nicht ausdrückt und enthält – und wenn in Ansehung des Unorganischen nach seinem ganzen in der Menge seiner Eigenschaften entwickelten Dasein ebendies gesagt werden muß –, so ist es itzt das allgemeine Individuum, welches nicht nur als frei von jeder Gliederung der Gattung, sondern auch als ihre Macht zu betrachten ist.« (198 | 165)
Das allgemeine Leben ist das Leben des Einzelwesens, soweit es eine allgemeine Lebensform aktualisiert. Als »das einfache Wesen der Gattung« wurde es sozusagen mit der psych¯e, der im Lebewesen wirkenden Lebensform oder Lebenskraft als dem ›Inneren‹ des Lebewesens identifiziert, der Form seines subjektiven Selbsterhalts. Als wirkende Kraft ist diese psych¯e oder Lebensform das eidos. Sie ist die ousia, das allgemeine Wesen des Lebewesens, konkretisiert im Einzellebewesen. Es ist die sich zeigende Form des Lebensvollzugs oder des sich selbst erhaltenden Lebens selbst. Der Begri= des Lebewesens, die Gattung, also dass es das Leben eines Löwen oder A=en oder Menschen ist, wird in der Form entwickelt: Der Begri= ist die Darstellung der Lebensform. Als solcher ist er unsere Darstellung. Wir Menschen, und nur wir Menschen, haben einen Begri= von den Lebensformen der Tiere. Nur wir haben einen Begri= von unserer eigenen Lebensform. Dieser Begri= wird in einer Reihe einfacher Bestimmtheiten von uns dargestellt – und zwar so, wie diese sich im Vollzug des Lebens
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dem Beobachten selbst darstellen. So entsteht, so scheint Hegel sagen zu wollen, ein System von Unterschieden. Dasselbe gilt für das allgemeine Individuum. Dieses wird als ›frei von der Gliederung und Gattung‹ betrachtet, so, als wären die wesentlichen, durch die Gattung oder Lebensform bestimmten, Eigenschaften, dem Einzelwesen äußerlich und kontingent. Sie sind es natürlich nicht. Mehr noch, es wird das einzelne Lebewesen so angesehen, als wäre die Gattung eine zufällige Ansammlung von Einzelnem mit bestimmten Gattungseigenschaften, die wir, als Beobachter, mehr oder weniger willkürlich definieren. Es sollte klar sein, dass das logisch nicht geht. Eben das will Hegel hier zeigen. Er tut das aber auf eine Weise, welche den Leser dazu verführt, Hegel selbst die Meinung zuzuschreiben: So seien die Individuen zu betrachten, sie hätten ›die Macht‹ über ihre Gattung, als wäre nicht umgekehrt die Gattung qua Lebensform ›die Macht‹, die sie zu Individuen macht. »Die Gattung, welche sich in Arten nach der allgemeinen Bestimmtheit der Zahl zerlegt, oder auch einzelne Bestimmtheiten ihres Daseins, z. B. die Figur, Farbe usf. zu ihrem Einteilungsgrunde nehmen mag, erleidet in diesem ruhigen Geschäfte Gewalt von der Seite des allgemeinen Individuums, der Erde, welches als die allgemeine Negativität, die Unterschiede, wie sie dieselben an sich hat und deren Natur um der Substanz willen, der sie angehören, eine andere ist als die Natur jener, gegen das Systematisieren der Gattung geltend macht. Dieses Tun der Gattung wird zu einem ganz eingeschränkten Geschäfte, das sie nur innerhalb jener mächtigen Elemente treiben darf, und das durch die zügellose Gewalt derselben allenthalben unterbrochen, lückenhaft und verkümmert wird.« (198 f. | 165)
Hegel scheint in diesem Abschnitt hypothetisch zu argumentieren: Wären Gattungen von der Art, dass sie sich in Arten ›nach der allgemeinen Bestimmtheit der Zahl‹ zerlegen, also so wie sich Klassen oder Mengen beliebig in Subklassen und Submengen einteilen lassen, so würden die Gattungen ›in diesem ruhigen Geschäfte‹ der reinen mengentheoretischen Einteilung »Gewalt von der Seite . . . der Erde« erleiden. Die Erde ist »das
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allgemeine Individuum« in dem Sinne, als sie den unmittelbaren Bereich aller Umwelten allen Lebens bestimmt. Die Erde ist zugleich »allgemeine Negativität« insofern, als sie ganz unterschiedliche Lebensumgebungen bietet, manchmal auch ganz lebensfeindliche. Die Umgebungen sind etwa als geographische per se nicht auf das ›Interesse‹ der Lebewesen bezogen, sondern einfach Unterschiede von Weltgegenden, wie Arktis und Tropen, Land und Meer. Gattung und Arten von Tieren sind nicht definiert durch Bezugnahme auf ihr geographisches Vorkommen. Wir haben also zu sehen, dass der Selbsterhalt der Gattungen sich gegen die Probleme der Umwelt durchsetzen muss – und durch die Umweltbedingungen bzw. Naturgewalten eingeschränkt ist. Durch die »zügellose Gewalt« des Einflusses der Umwelt wird daher die Tendenz zur Ausbreitung der Arten und Gattungen unterbrochen, ›lückenhaft‹, und es gibt ›verkümmerte‹ Formen des Lebens – man denke etwa an Krüppelkiefern im Hochgebirge. Wogegen sich das Systematisieren der Gattung geltend macht – der Satz scheint übrigens verderbt zu sein – ist unklar. Irgendwie scheint Hegel sagen zu wollen, dass wir in einer bloß beobachtenden Klassifikation von Einzelwesen nach ihren äußeren Erscheinungen keine vernünftigen Einteilungen in Gattungen und Arten erhielten. Es gäbe dann auch keinen Begri= des Mangels oder eines verkümmerten Lebens einer Art, den wir aber brauchen, um zu verstehen, was artgerechtes Leben auf der Erde ist, ja was es überhaupt heißt, dass Leben als Streben nach Selbsterhalt Probleme der Umweltbedingungen ›lösen‹ muss und dass die verschiedenen Arten dies auf verschiedene Weise tun, unabhängig von ihrem bloßen Aussehen, also einer oberflächlichen Klassifikation aufgrund von kontingenten Eigenschaften wie Figur oder Farbe. Kurz, es bleibt uns nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass es wesensbestimmende Formen des Lebens im Reich des organischen Lebens gibt. Diese sind keineswegs bloß das Ergebnis unserer zufälligen Klassifikationen. Denn es handelt sich um für sich daseiende Lebewesen und für sich daseiende Arten.
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Die Vorstellung, die Taxonomie der Arten selbst sei rein unsere Leistung, nicht bloß die ihrer Artikulation, ist in der Tat logischer Widersinn. Arten sind keine bloß menschlichen Konstruktionen. Dasselbe gilt für Artformen, das inferentiell Normale im Leben eines Lebewesens einer Art. Manche bringen diese Einsicht unter die großen Worte »Ontologie« und »Essentialismus«, die ich hier lieber vermeide, da sie in allerlei Verwirrungen führen. Richtig ist nur, dass es darum geht, zwischen wesentlichen, also das Artwesen von Lebewesen bestimmenden, und zufälligen ›Eigenschaften‹ zu unterscheiden. Es ist zuzugeben, dass die Seinsweise keines einzigen Lebewesens begreifbar ist ohne Bezugnahme auf seine Gattung und Art, auf das Gattungswesen und die Artform ›an und für sich‹. Die Definitionen von Gattungen und Arten sind also keine zufälligen Klassifikationen der Tiere und Pflanzen durch uns, etwa danach, ob das Fleisch wohlschmeckend ist oder ob das Tier genügend Milch gibt. »Es folgt hieraus, daß der Beobachtung an dem gestalteten Dasein nur die Vernunft als Leben überhaupt werden kann, welches aber in seinem Unterscheiden keine vernünftige Reihung und Gegliederung an sich selbst wirklich hat, und nicht ein in sich gegründetes System der Gestalten ist. – « (199 | 165)
Hegels Argumentation zielt darauf ab zu zeigen, dass die bloße Beobachtung von zufällig ausgewählten Einzelwesen nicht ausreicht, um das typische Leben einer Art in seiner Form zu verstehen – so merkwürdig er diese Einsicht auch in seinen sperrigen Sätzen ausdrückt, und zwar immer auch wegen der teils überkomplexen, teils unklaren anaphorischen Rückbezüge: Bloße Beobachtung von Gestalten und Verhalten führt noch zu keiner vernünftigen Gliederung. Dazu brauchen wir ein holistisches Wissen um das Gesamtsystem des Lebendigen, und, was noch wichtiger ist, um die (›perspektivische‹) Subjektivität des Lebens, die jeder von uns nur aus der Binnenperspektive des Vollzugs des Lebens als solche kennt. Wir müssen also von uns ausgehen, wenn wir das Leben wirklich verstehen wollen. Ironischerweise verkennt ein bloß beobachtender und nicht auch schon denkender Zugang
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die Wirklichkeit der Subjektivität des Lebens. Und er kann die Di=erenz zwischen materialbegri=lichen Wesensformaussagen über das idion eines Lebewesens und bloß kontingenten Eigenschaften von einzelnen Exemplaren in Gestalt und Verhalten nicht erkennen. 295 b
»Wenn im Schlusse der organischen Gestaltung die Mitte, worein die Art und ihre Wirklichkeit als einzelne Individualität fällt, an ihr selbst die Extreme der innern Allgemeinheit und der allgemeinen Individualität hätte, so würde diese Mitte an der Bewegung ihrer Wirklichkeit den Ausdruck und die Natur der Allgemeinheit haben, und die sich selbst systematisierende Entwicklung sein. So hat das Bewußtsein, zwischen dem allgemeinen Geiste und zwischen seiner Einzelnheit oder dem sinnlichen Bewußtsein, zur Mitte das System der Gestaltungen des Bewußtseins, als ein zum Ganzen sich ordnendes Leben des Geistes – das System, das hier betrachtet wird, und welches als Weltgeschichte sein gegenständliches Dasein hat.« (199 | 165)
Eine »sich selbst systematisierende« Entwicklung eines Lebewesens liegt dann vor, wenn ›die Mitte‹, also das Kontrollzentrum des Lebens, die ›innere Allgemeinheit‹ des typischen Lebensvollzugs (wie er sozusagen von selbst abläuft) und die ›allgemeine Individualität‹ auseinanderhalten kann. Ich als Mensch kann gerade so Form und Vollzug selbst ›zusammenstellen‹ (das eben bedeutet das griechische »syntith¯emi«) und mich so aktiv auf mich beziehen. Zum Auseinanderhalten gehört dabei o=enbar der neue Zusammenschluss, der sich in der ›organischen Gestaltung‹, also im tätigen Lebensvollzug realisiert. Die Mitte oder das Zentrum der Selbstbestimmung findet dann in ihrem ›eigenen‹ Verhalten, der willkürlichen Bewegung des Leibes, »den Ausdruck und die Natur der Allgemeinheit«. Ich selbst also, der ich mein Tun erstens ausführe und zweitens in der Spannung von allgemeiner Form bzw. Norm das Gute und Richtige in individuellen Performationen beurteile und kontrolliere, kenne eben dadurch das Allgemeine, die Formen und Normen des guten und richtigen Lebens. Das ist so, selbst wenn ich eigenwillig subjektiv bloß meine Einzelheit realisiere, also rein willkürlich ›die beiden Extreme‹ in meinem realen Tun zusammenschließe. Der Schluss ist also
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o=enbar ein Tun, in welchem die Teilmomente der Allgemeinheit der Lebensform und der allgemeinen Subjektivität oder Individualität sich auf konkrete Weise äußern. Der bewusste Schluss ist der kontrollierte Zusammenschluss. Auf eben diese Weise hat das allgemeine Bewusstsein oder Wissen, das wir im Strukturbild zwischen dem allgemeinen Geist und dem sinnlichen Einzelbewusstsein, dem bloßen Gewahrsein, ansiedeln, als Mitte oder zentralen Kontrollort »das System der Gestaltungen des Bewusstseins«. Dieses System ist das »Leben des Geistes«, das sich zu einem Ganzen ordnet. Als gesamtes System, das hier betrachtet wird, ist es die kulturelle Weltgeschichte, die Geistes- und Ideengeschichte, also die Geschichte der Ideen und Institutionen. Themen sind die realen Gestalten des »Lebens des Geistes«. In der Geistes-Kultur liegt daher die zentrale Vermittlung von allgemeinem Wissen und individuellem Bewusstsein. Wir können an dem Beispiel auch Hegels Artikulationstechnik explizieren: Das logische Bild von der Mitte zwischen zwei Extremen und die zugehörige Rede von der Vermittlung bedeutet in unserem Kontext, dass in jedem Leben oder Handeln, das eine allgemeine Form hat, die allgemeine Form sich im individuellen Tun ausprägen muss. Dabei ist die individuelle Subjektivität des Lebens selbst eine allgemeine Form. Das ›Wissen‹ des ›Bewusstseins‹ besteht wesentlich darin, dass diese Ausprägung nicht ›automatisch‹ geschieht, dass sich also im Tun und Leben des Einzelwesens nicht einfach ›von selbst‹ im einfachen Sinne des bloßen Verhaltens die allgemeine Artform ausdrückt, sondern Form und Realisierung sich im Urteilen trennen und im bewusst tätigen Schließen auf kontrollierte Weise wieder zusammenfügen. Das Schließen führt über weitere Urteile zu einem urteilenden und schließenden Handeln. Vermittelt wird das Urteilen und Schließen seinerseits durch eine allgemeine Kultur der Vernunft: die Welt- oder Geistesgeschichte. Denn diese (allein) gibt der einzelnen Person die Formen und Normen des ›richtigen‹ Urteilens und Schließens an die Hand, an welchen sie sich orientieren kann bzw. sollte, sofern sie dies kann und will. Es ist dann auch nicht
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jede beliebige, willkürliche, Performation im Verhalten oder Handeln ›richtig‹, schon gar nicht ›perfekt‹ oder mängelfrei. Nicht alles reale Tun ist vernünftig, intelligent, oder auch bloß geistvoll bzw. bewusst. Urteilen und Schließen sind freie Handlungen. Sie sind zugleich durch Gründe gebunden, wenn sie richtig, wahr und gut sein sollen. Diese Dialektik von Freiheit und Bindung an Gründe gilt es zu verstehen. Es ist die Struktur der menschlichen sapience. Dabei liefert die Geschichte sowohl die Gründe als auch die begri=lich repräsentierten Möglichkeiten, welche eine freie Wahl im Urteilen und Schließen erst möglich machen. 295 c
»Aber die organische Natur hat keine Geschichte; sie fällt von ihrem Allgemeinen, dem Leben, unmittelbar in die Einzelnheit des Daseins herunter, und die in dieser Wirklichkeit vereinigten Momente der einfachen Bestimmtheit und der einzelnen Lebendigkeit bringen das Werden nur als die zufällige Bewegung hervor, worin jedes an seinem Teile tätig ist und das Ganze erhalten wird, aber diese Regsamkeit ist für sich selbst nur auf ihren Punkt beschränkt, weil das Ganze nicht in ihm vorhanden ist, und dies ist nicht darin vorhanden, weil es nicht als Ganzes hier für sich ist.« (199 | 165 f.)
Die bloß organische Natur, das rein animalische Leben, ist ein Geschehen, hat aber keine Geschichte. Geschichte haben ist etwas anderes als Gegenstand einer narrativen historia zu sein. Geschichte haben nur Menschen. In dem von Hegel entwickelten Strukturbild lässt sich sagen, dass das Tier im Vollzug seines Lebens ohne Vermittlung durch ein Urteilen, Schließen, ohne explizite Bezugnahme auf Formen und Normen des Richtigen, wie sie sich im gemeinsamen Leben des Menschen geschichtlich ausgeprägt haben, »unmittelbar« von der allgemeinen Lebensform des Tieres, die wir »Artform« genannt haben, in die »Einzelnheit des Daseins« herunterfällt, welche wir »Einzelvollzug« genannt haben. Im Leben des Tieres ist jeder Teil tätig. Es wird das Ganze erhalten. Aber die Form des Lebens ist nicht für das Tier in seinen Teilmomenten ›vorhanden‹ bzw. ›bewusst‹. Die psych¯e des Tieres ist gewissermaßen rein punktförmig. Die ›Seele‹ oder
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das ›Innere‹ des Menschen ist dagegen eine Vielheit, gerade weil sie sich als Form in viele Teilformen zerlegt, in Momente teilen lässt und diese in ihren Relationen zueinander beurteilen und tätig zusammenschließen lassen. Die Momente oder Teile dieser Form aber zu kennen, setzt Teilnahme an der geschichtlichen Entwicklung des Geistes voraus und am Ende an einem Wissen über diese Geschichte. Es ist die Geschichte der Menschengattung. Zwar ist der tätige Lebensvollzug eines Tieres kein reines Widerfahrnis. Er ähnelt einem nicht bewusst kontrollierten Verhalten beim Menschen. Aber er ist doch ›akzidentell‹, ›zufällig‹ insofern, als die Reaktionen auf die perzipierte Umwelt sozusagen ›schematisch‹ hervorgebracht werden. Die allgemeine Form der enaktiven Perzeption ist durch die Artform gegeben. Der Perzeption folgen ›automatisch‹ die Tätigkeiten der relevanten Teile des Organismus, des Leibes. Das einzelne animalische Subjekt hat keine weitere Kontrolle über sein eigenes Tun. Das ist ein begri=licher, kein empirischer Satz. Er betri=t die materialbegri=liche Di=erenz zwischen der Lebensform personaler Menschen und der Lebensform bloßer Tiere. »Außerdem also, daß die beobachtende Vernunft in der organischen Natur nur zur Anschauung ihrer selbst als allgemeines Leben überhaupt kommt, wird ihr die Anschauung seiner Entwicklung und Realisierung nur nach ganz allgemein unterschiedenen Systemen, deren Bestimmung, ihr Wesen nicht in dem Organischen als solchem, sondern in dem allgemeinen Individuum liegt; und unter diesen Unterschieden der Erde nach Reihungen, welche die Gattung versucht.« (199 f. | 166)
Die bloß beobachtende Vernunft kann sowohl am Leben der Tiere als auch am eigenen Leben nur das Äußere der Vollzugsformen erkennen. Sogar noch das Sprechen wird dann als bloße Lautäußerung behavioral aufgefasst. Daraus ergibt sich zwar eine allgemeine Typik der Schemata der Abfolgen von Sprechverhaltungen, sozusagen ein deskriptive Syntax. Aber die Ebene der kontrollierten Performation der Formen fällt in gewissem Sinn aus dem bloß ›wahrnehmenden‹ Blick heraus.
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Die Folge ist, dass jede Form bloßer Selbst-Beobachtung die Wirklichkeit spontaner Subjektivität übersieht. Übersehen werden die Formmomente, die wir nach Belieben kontrolliert aktualisieren können. Erst dieses Können macht uns zu personalen Subjekten mit Bewusstsein, was Descartes und die ihm nachfolgende ›Reflexionsphilosophie‹ bis hin zu Kant schon ahnt. Doch das reicht noch nicht, um zu verstehen, wer oder was mit dem Wort »ich« ›benannt‹ ist und was Denken ist. Selbstbeobachtung führt bestenfalls zur Anschauung meiner selbst als »allgemeines Leben überhaupt«. Beobachtet werden dabei nur Reihen von Dingen und Prozessen im und um das Leben der lebendigen Individuen auf der Erde, und diese werden irgendwie klassifiziert, eingeteilt. Man meint, ›willkürlich‹ Gattungen und Arten von Dingen durch Zuschreibungen von allerlei Typischem definieren zu können. Doch eine solche ›Zuschreibungstheorie‹ von Typiken kann nicht begreifen, was die Lebewesen wirklich an und für sich sind. Man schwankt zwischen der Meinung, ›innere Zustände‹ seien ›nichts anderes‹ als Selbstzuschreibungen etwa von Absichten, Meinungen, Überzeugungen, Wissensansprüchen, Gefühlen, oder sie seien unmittelbar empfundene Qualia wie Schmerzen. 297
»Indem also in seiner Wirklichkeit die Allgemeinheit des organischen Lebens sich, ohne die wahrhafte fürsichseiende Vermittlung, unmittelbar in das Extrem der Einzelnheit herunterfallen läßt, so hat das beobachtende Bewußtsein nur das Meinen als Ding vor sich; und wenn die Vernunft das müßige Interesse haben kann, dieses Meinen zu beobachten, ist sie auf das Beschreiben und Hererzählen von Meinungen und Einfällen der Natur beschränkt. Diese geistlose Freiheit des Meinens wird zwar allenthalben Anfänge von Gesetzen, Spuren von Notwendigkeit, Anspielungen auf Ordnung und Reihung, witzige und scheinbare Beziehungen darbieten. Aber die Beobachtung kommt in der Beziehung des Organischen auf die seienden Unterschiede des Unorganischen, die Elemente, Zonen und Klimate, in Ansehung des Gesetzes und der Notwendigkeit nicht über den großen Einfluß hinaus. So auf der andern Seite, wo die Individualität nicht die Bedeutung der Erde, sondern des dem organischen Leben
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immanenten Eins hat, dies aber mit dem Allgemeinen in unmittelbarer Einheit zwar die Gattung ausmacht, aber deren einfache Einheit ebendarum nur als Zahl sich bestimmt, und daher die qualitative Erscheinung freiläßt, – kann es die Beobachtung nicht über artige Bemerkungen, interessante Beziehungen, freundliches Entgegenkommen dem Begri=e hinausbringen. Aber die artigen Bemerkungen sind kein Wissen der Notwendigkeit, die interessanten Beziehungen bleiben bei dem Interesse stehen, das Interesse ist aber nur noch die Meinung von der Vernunft; und die Freundlichkeit des Individuellen, mit der es an einen Begri= anspielt, ist eine kindliche Freundlichkeit, welche kindisch ist, wenn sie an und für sich etwas gelten will oder soll.« (200 | 166)
Die empirisch beobachtende Vernunft will dem Einzelnen gegenüber freundlich sein. Sie will hererzählen, was es alles im Einzelnen gibt. Sie will sogar auf den Tisch legen, dass alle ihre Klassifikationen und Ordnungen bloß ihre eigene Ordnung und Meinung seien. Sie will damit also ganz besonders wahrhaftig, ehrlich und ›klar‹ sein, was ihre Methode betri=t. Dass dies alles »kindlich« ist, erscheint zunächst als ein höchst harsches Urteil. Hegel setzt einen drauf und erklärt, das Verfahren als kindisch. Wie kommt er dazu? Ist nicht das Verfahren der Beobachtung, des wahren Berichts, der quantitativen, klassen- und zahlenmäßigen Darstellung von Gattungen von Dingen und Lebewesen bzw. der von messbaren Größen abhängig gemachten typischen, reproduzierbaren oder sich reproduzierenden Bewegungen das eigentliche, wesentliche, wahre Verfahren der empirischen Wissenschaft? Ist es nicht eine Unverschämtheit, die wissenschaftliche Methode »kindisch« zu nennen? In der Tat müssen wir erst einmal die Provokation als Provokation begreifen, um dann zu sehen, warum sie gar keine bloße Provokation ist, sondern einfach eine sachliche Diagnose in Bezug auf die übliche, einfältige Auffassung von Wissenschaft und wissenschaftlicher Methode. Es ist Kritik an dem Empirismus, der zwischen Selbstempfindung und einem Glauben an quantitative Theorien schwankt, die angeblich Wirklichkeit unmittelbar darstel-
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len und erklären. Kindlich und kindisch ist der ›Positivismus‹ der ›beobachtenden Vernunft‹ darin, dass schon die (logische, sprachformative) Verfassung des Bereichs des Quantitativen, der Zahl, der Mathematisierung, gar nicht begri=en ist. Den Pythagoräismus in Mystifizierungen der Mathematik und im ›Physikalismus‹ ordnet Hegel auch in einer Anmerkung zum Potenzenverhältnis in den Kapiteln zur Quantität der Wissenschaft der Logik mit völligem Recht einer »Kindheit des Philosophierens« zu. Die abschließende Passage unseres Abschnittes ist also eine Abrechnung mit einer Wissenschaft, die eine Vermengung von historia, dem narrativen Bericht von Einzelnem, mit einer nicht genauer begri=enen quantitativen theoria ist. Wilde Klassifikationen ohne System und der Schein der mathematischen Form erzeugen populäre Pseudowissenschaften. Die Kontrolle, ob die Größen, mit denen man rechnet, auch wirklich wiederholbar messbare Größen sind, wäre das mindeste, was zu leisten wäre. Hinzu kommt der Glaube, dass eine Theorie die Wirklichkeit unmittelbar darstelle und die Phänomene erkläre. Hier ist das Wissen um die Konstruiertheit der Theorien und der zugehörigen Rede von der Wirklichkeit, nicht freilich der real erfahrenen Realität, absolut notwendig für ein selbstbewusstes Wissen. Dazu gehört auch das Wissen um die Vermittlung des Beobachtens und des Klassifizierens durch das Begri=liche, das Verständnis der Rolle des Begri=s schon in der Beobachtung, erst recht in der Mathematisierung und der ›Erklärung‹. Fehlt dieses, dann befinden wir uns bloß erst im Bereich des Schülerhaften einer bloß erst ›angelernten‹ Wissenschaft. Gerade selbsternannte Aufklärer zeigen häufig eine solche kindische Selbstsicherheit, wo sie sich in ihrem naiven Glauben an die Wissenschaft gegen philosophische Kritik wehren.
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b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheit und seiner Beziehung auf äußere Wirklichkeit; logische und psychologische Gesetze 30. Behaviorale Erklärungsformen »Die Naturbeobachtung findet den Begri= in der unorganischen Natur realisiert, Gesetze, deren Momente Dinge sind [es geht um Gesetze der Bewegung von Körpern, PSW], welche sich zugleich als Abstraktionen verhalten [die Gesetze sind für ideale Punktkörper mit Massenzahlen formuliert, PSW]; aber dieser Begri= ist nicht eine in sich reflektierte Einfachheit [sondern gehört zu unserer Form der Darstellung, PSW]. Das Leben der organischen Natur ist dagegen nur diese in sich reflektierte Einfachheit [es ist so für sich, nicht bloß für uns, PSW]; der Gegensatz seiner selbst, als des Allgemeinen und des Einzelnen, tritt nicht im Wesen dieses Lebens selbst auseinander; das Wesen ist nicht die Gattung, welche in ihrem unterschiedslosen Elemente sich trennte und bewegte und in ihrer Entgegensetzung für sich selbst zugleich ununterschieden wäre. Die Beobachtung findet diesen freien Begri=, dessen Allgemeinheit die entwickelte Einzelnheit ebenso absolut in ihr selbst hat, nur in dem als Begri= existierenden Begri=e selbst oder in dem Selbstbewußtsein.« (201 | 167)
Hegels Sätze sind o=enbar zugleich völlig obskur und genialisch verdichtet. So artikuliert der zunächst schwierige Satz »Die Naturbeobachtung findet den Begri= in der unorganischen Natur realisiert« die naheliegende Meinung, die Kräfte, die wir als Erklärungen der Relativbewegungen in die Körperdinge setzen, seien bei Beobachtung der Bewegungen unmittelbar empirisch zugänglich, so wie Newton angeblich nur das Fallen des Apfels beobachten musste, ohne irgendeine Hypothese über Kräfte zu fingieren. In Wirklichkeit schreiben wir den Körpern dispositionelle Energien zu. Wir versetzen Kraftzentren in die Dinge. Die Wirkung des Körpers auf andere Körper ist also zugleich in ihren Aktualisierungen unmittelbar beobachtbar und eine theoretische Konstruktion, nämlich auf der generischen Ebene allgemeiner
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Dispositionen. Das entsprechende System der materialbegri=lichen Normalitäten ist keine »in sich reflektierte Einfachheit«, also nicht etwas, was ganz ohne unsere Setzungen verstehbar ist. Diese Setzungen können z. B. so sein, dass sie eine mathematisierte Naturwissenschaft ermöglichen: Wir setzen die Gesetze so, dass insgesamt eine gute Darstellung der beobachtbaren Bewegungen entsteht. Das Leben von Lebewesen, ihre Vollzugsformen, sind dagegen, wie sie sind. Sie sind nicht ›bloß‹ das, was wir als Formen den Lebewesen zuschreiben. Es wär absurd, das zu leugnen. Im Leben eines Tieres, auch von anderen Organismen, gibt es jedoch noch nicht die gleiche Spannung zwischen allgemeiner Form und Einzelheit wie im Fall des Menschen. Unsere Artform realisiert sich nicht einfach instinktartig. Die typische menschliche Negativität besteht vielmehr in einer Art willkürlichen Unterscheidbarkeit zwischen Normalformen und Einzelperformationen, z. B. auch zwischen dem, was zu tun insgesamt gut ist, und dem, was zu tun vom Einzelwesen gerade zufälligerweise gewollt wird. Damit wird ein ›bewusstes‹ Selbstverhältnis und eine kontrollierte Selbstbestimmung möglich. Diesen ›freien‹ Begri= der sich selbst als ›absolut‹ in ihrem subjektiven Vollzug begreifenden Person gibt es nur vermöge des sprachlich explizit gemachten Begri=s. Durch das Begri=liche und damit die sprachliche Explikation sind wir uns selbst kontrollierende Wesen. 299 a
»Indem sie sich nun in sich selbst kehrt und auf den als freien Begri= wirklichen Begri= richtet, findet sie zuerst die Gesetze des Denkens. Diese Einzelnheit, welche das Denken an ihm selbst ist, ist die abstrakte, ganz in die Einfachheit zurückgenommene Bewegung des Negativen, und die Gesetze sind außerhalb der Realität. – Sie haben keine Realität, heißt überhaupt nichts anderes, als sie sind ohne Wahrheit. Sie sollen auch zwar nicht ganze, aber doch formelle Wahrheit sein. Allein das rein Formelle ohne Realität ist das Gedankending oder die leere Abstraktion ohne die Entzweiung an ihr, welche nichts anderes als der Inhalt wäre. Auf der andern Seite aber, indem sie Gesetze des reinen Denkens sind, dieses aber das an sich Allgemeine
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und also ein Wissen ist, welches unmittelbar das Sein und darin alle Realität an ihm hat, sind diese Gesetze absolute Begri=e und ungetrennt die Wesenheiten der Form wie der Dinge.« (201 | 167)
Wir sagen mit vollem Recht, dass das Fürsichsein von Lebewesen, Tieren und Menschen durch ihren Selbsterhalt bestimmt ist. Auf der Suche nach dem Selbst findet man aber im Modus der Beobachtung zunächst nur den Leib, eigentlich sogar nur den Körper. Im Modus des denkenden Selbstwissens aber findet man das Denken. Das zeigt die cartesische Meditation. Doch dieses Denken ist selbst zunächst ganz abstrakte Vollzugsform. Hegel bezeichnet diese als die »in die Einfachheit zurückgenommene Bewegung des Negativen«. Das Negative ist das Unterschiedene. Das von mir nicht Unterschiedene bin ich selbst. Vorausgesetzt sind dabei das Leben und die Möglichkeit urteilender und tätiger Unterscheidungen. Das Positive ist das, was den Sinnen irgendwie gegenständlich als ›gegeben‹ gegenübersteht, worauf das Perzipieren sozusagen ›rezeptiv reagiert‹. Das Unterscheiden am Gegebenen ist insofern noch nicht vom Vorwurf des Mythos des Gegebenen betro=en, als damit nicht schon vorausgesetzt ist, dass stabile Unterschiede wiedererkannt werden: Das Unterscheiden ist zunächst nur ein irgendwie di=erentielles Verhalten, sozusagen bloß der Versuch, Unterscheidungen zu tre=en, ohne das schon klar wäre, ob es stabile Unterschiede gibt. Im Wahrnehmen ist dann aber schon eine begri=liche Di=erenzierung enthalten. Als bloßes Verhalten ist das Unterscheiden dagegen bloß ein Moment oder Teilaspekt des vollen menschlichen Wahrnehmens. Die ›Selbstbewegung des Inneren‹ ist leises Denken, stilles Operieren mit Symbolen, mit Sprache oder Bildern. Die Regeln, Normen oder Gesetze dieses Denkens liegen »außerhalb der Realität«. Denn »Realität« ist das, was man sehen oder spüren, also sinnlich wahrnehmen kann. Formen und Normen fallen aus diesem Bereich heraus, eben weil sie allgemein und frei reproduzierbar sind und damit nicht in den Bereich der Rezeptivität, sondern der Spontaneität fallen. Weil nun aber die Gesetze des Denkens ›keine Realität‹ haben, wie wir
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gesehen haben, denn man kann sie nicht sehen, weil das Denken ein freies, aber geformtes Tun ist, scheinen sie zunächst »ohne Wahrheit« zu sein. In welchem Sinn Gesetze des Denkens normativ sind, also sagen, was wir frei tun sollen, wissen wir sozusagen noch nicht. Es ist das Ziel der Überlegung. Die Leitfrage fragt nach dem Status begri=licher Normen und Regeln des Unterscheidens und Schließens. Wenigstens sollen diese Gesetze »formelle Wahrheit« sein. Hier wird deutlich, dass Hegel ›dialogisch‹ mit einer zweiten ›inneren Stimme‹ argumentiert, nicht anders als der spätere Wittgenstein. Eine rein formelle Wahrheit nun, so scheint es weiter, ist ›leere Abstraktion‹, ›Gedankending‹, reiner ›Inhalt‹. Andererseits sind die begri=lichen Normen des (inferentiellen) Denkens generischallgemeines Wissen. Diese ›Gesetze‹ sind ›absolute Begri=e‹ insofern, als wir sie im sich vollziehenden Inhaltsverstehen transzendental voraussetzen. Als materialbegri=liche Wahrheiten stellen sie die Form, das Wesen der Sachen dar und gehören zur relevanzoder wesenslogischen Bestimmung der jeweiligen Begri=e. 299 b
»Da die sich in sich bewegende Allgemeinheit der entzweite einfache Begri= ist, hat er auf diese Weise Inhalt an sich, und einen solchen, welcher aller Inhalt, nur nicht ein sinnliches Sein ist. Es ist ein Inhalt, der weder im Widerspruche mit der Form noch überhaupt von ihr getrennt, sondern vielmehr wesentlich sie selbst ist; denn diese ist nichts anderes als das in seine reinen Momente sich trennende Allgemeine.« (201 f. | 167)
Wieder ist Hegels Ausdrucksweise mehr als deutungs- und gewöhnungsbedürftig. Er spricht von einer »sich in sich bewegenden Allgemeinheit« und sagt, diese sei »der entzweite einfache Begri=«. Kein Wunder, dass manche Leser hier ungeduldig werden: Was soll ein entzweiter unentzweiter Begri= anderes sein als ein hölzernes Eisen? Wie bei jeder Katachrese ist auch hier die Aufforderung unverkennbar, aus dem o=enbar Unsinnigen über eine autonome, selbständig nachdenkende Interpretation Sinn zu schlagen, notfalls wie Feuer aus einem harten Stein.
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Vielleicht meint die sich in sich bewegende Allgemeinheit ein System materialbegri=licher Inferenzen, oder was dasselbe ist, ein Regel- und Relationenmodell, in dem man sich so bewegen kann, wie es die Regeln oder Relationen erlauben. Gerade weil ›der Begri=‹ sich zerlegt in ein ganzes System von begri=lichen Beziehungen oder Inferenzen, ist er als Begri= ›einfach‹ und zugleich ›vielfältig‹: Nur so hat er Inhalt. Begri=e sind Formen einer di=erentiellen und inferentiellen Praxis. Zu ihr gehören verbalsprachliche, schriftsprachliche oder bildsprachliche Artikulationen und metastufig-reflektierende Explikationen ›des Begri=s‹, also des begri=lichen Inhalts. Anders gesagt, Wörter und Bilder sind zwar sinnlich real, aber als solche willkürlich reproduzierbare und weitgehend konventionelle Repräsentationsformen der Begri=e qua Di=erenz- und Inferenzformen. Dabei ist auch der materiale Inhalt selbst schon eine Form, und zwar das »in seine reinen Momente sich trennende Allgemeine«. »Rein« bedeutet, dass wir von konkreten Einzelanwendungen abstrahieren – so wie wir das im Fall der reinen Formen der Geometrie im Kontrast zu den ›unreinen‹, dafür realen, Figuren tun. Letztere sind räumliche Gestalten von, an oder zwischen Körpern. Das Allgemeine trennt sich in Momente, weil es eine inferentielle Struktur ist. Es ist sozusagen eine ›Theorie‹, wenn man diese als Artikulation eines Strukturmodells liest, das sich auf der einen Seite durch ›reine Sätze‹ beschreiben lässt und auf der anderen – ho=entlich – irgendwie auf die reale Welt projizieren bzw. ›anwenden‹ lässt. »Wie aber diese Form oder Inhalt für die Beobachtung als Beobachtung ist, erhält sie die Bestimmung eines gefundenen, gegebenen, d. i. nur seienden Inhalts. Er wird ruhiges Sein von Beziehungen, eine Menge abgesonderter Notwendigkeiten, die als ein fester Inhalt an und für sich, in ihrer Bestimmtheit, Wahrheit haben sollen und so in der Tat der Form entzogen sind. – Diese absolute Wahrheit fixer Bestimmtheiten oder vieler verschiedener Gesetze widerspricht aber der Einheit des Selbstbewußtseins oder des Denkens und der Form überhaupt.« (202 | 167 f.)
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Die Einfachheit des »ich denke« liegt in der einheitlichen Gesamtform dessen, was Hegel die Kategorie nennt, nämlich die Denkform »ich sage (von mir), dass φ«, also ` φ oder `ich φ(ich), wie ich Fichtes Formel »Ich = Ich« hier ausdrücke. Die Einheit des Ich oder des Bewusstseins besteht in meinem Denken, in der Kategorie, der Form meines Aussagens oder Urteilens, zu der, wie schon gesagt, mein Fragen und Zweifeln schon hinzugerechnet wird. 300 b
»Was für [ein] festes, an sich bleibendes Gesetz ausgesagt wird, kann nur ein Moment der sich in sich reflektierenden Einheit sein, nur als eine verschwindende Größe auftreten. Aus diesem Zusammenhang der Bewegung aber von der Betrachtung herausgerissen und einzeln hingestellt, fehlt ihnen nicht der Inhalt, denn sie haben einen bestimmten Inhalt, sondern sie entbehren vielmehr der Form, welche ihr Wesen ist. In der Tat nicht darum, weil sie nur formell sein und keinen Inhalt haben sollen, sondern vielmehr aus dem entgegengesetzten Grunde, weil sie in ihrer Bestimmtheit oder eben als ein Inhalt, dem die Form genommen ist, für etwas Absolutes gelten sollen, sind diese Gesetze nicht die Wahrheit des Denkens. In ihrer Wahrheit, als in der Einheit des Denkens verschwindende Momente, müßten sie als Wissen oder denkende Bewegung, nicht aber als Gesetze des Wissens genommen werden. Das Beobachten aber ist nicht das Wissen selbst und kennt es nicht, sondern verkehrt seine Natur in die Gestalt des Seins, d. h. faßt seine Negativität nur als Gesetze desselben auf. – Es ist hier hinreichend, die Ungültigkeit der sogenannten Denkgesetze aus der allgemeinen Natur der Sache aufgezeigt zu haben. Die nähere Entwicklung gehört in die spekulative Philosophie, worin sie sich als dasjenige zeigen, was sie in Wahrheit sind, nämlich einzelne verschwindende Momente, deren Wahrheit nur das Ganze der denkenden Bewegung, das Wissen selbst ist.« (202 | 168)
Hegel argumentiert hier ersichtlich ›destruktiv‹, im Modus negativer Dialektik: Man meint, man fände in der Beobachtung des denkenden Sprechens oder sprechenden Denkens ein ›ruhiges‹ System von Relationen und ›notwendigen Schlussfolgerungen‹, die einen ›festen Inhalt‹ ausmachen und ›wahr‹ sein sollen. Wäre
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das Denken von dieser Form, wäre es insofern »der Form entzogen«, als wir Inhalte unmittelbar erfassen könnten. Doch die Vorstellung oder Unterstellung einer »absoluten Wahrheit fixer Bestimmtheiten« und zwingender Notwendigkeit im Denken ist in sich widersprüchlich. Urteilen ist immer frei. Notwendig ist nur, dass wir die kooperativen Normen einhalten, wenn wir im Zusammenleben erfolgreich sein, uns verstehen wollen. Die logischen Gesetze, auf welche Hegels Titel des Abschnitts hinweist, sind explizierte Regeln des kompetenten, leisen oder lauten Sprechhandelns. Sie sind normativ, weil sie sagen, wie wir denken sollen, wenn wir richtig, d. h. nachvollziehbar, denken wollen. Der Genitivausdruck »Gesetze des Wissens« ist dann durchaus zweideutig. Es geht sowohl um Regeln des Wissens als auch um Denkgesetze als Gegenstand des Wissens vom Denken. Die Beobachtung von Welt ohne vorausgesetztes begri=liches Wissen und ohne die zugehörigen ›Gesetze‹ des nomologischen Schließens wäre noch kein Wissen. Beobachtung allein findet noch nicht zum Wissen. Das gilt gerade auch für die Beobachtung des Vollzugs des Denkens. Im Beobachten gibt es die Tendenz, dass das vorausgesetzte nomologisch-begri=liche Vorwissen über das ›Wesen der Sachen‹ unter der Schwelle der Selbstkontrolle sozusagen automatisch ›in die Gestalt des Seins‹ verkehrt wird: Man meint, am Einzelnen das Allgemeine unmittelbar ›sehen‹ zu können – was im metaphorischen Sinn durchaus so ist: Im vollen Beobachten mit begri=licher Orientierung können wir wesentliche Formen in der Tat erfahren. Aber das geschieht nur implizit, empraktisch, als reproduzierbare Form des Vollzugs. Das Begri=liche und Nomologische der Gesetze wird dann implizit in die Dinge ›projiziert‹. – Das Denken projizieren viele Kognitionswissenschaften auf eben diese Weise ins Gehirn. Man meint, die leisen Trägerhandlungen des Denkens für sich betrachten zu können. Doch damit verkennt man schon, dass die Trägerhandlungen (etwa das leise Murmeln eines Wortes wie »Hund«) für sich noch gar keinen Inhalt haben. Das
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Inhaltsverstehen gibt es nur im Rahmen der kommunikativen und kooperativen Formen des Denkens. Das detailliert zu zeigen, ist Aufgabe der ›spekulativen Philosophie‹, also der von Hegel damals längst schon geplanten, aber erst später fertig geschriebenen Logik. Für jetzt reicht es einzusehen, dass es keine festen Denkgesetze gibt, die wir durch reine Beobachtung erforschen oder durch Introspektion intuitiv wissen könnten. Willkürlich setzen können wir solche Denkgesetze aber auch nicht. Es ist dabei nicht das individuelle (empirische, psychologische) ›Denken‹, sondern das allgemeine ›Wissen‹ zu betrachten. Denn es wird sich herausstellen, dass die Denkgesetze als begri=liche Inferenzregeln bzw. Formen des Di=erenzierens und di=erentiellen Schließens, soweit sie nicht bloß lokale syntaktische Umformungsregeln und Verwandlungen stenographischer Kurzschrift in Langschrift etwa in der Form der Deduktion von Theorien aus Axiomen sind, als materiale generische Wahrheiten und damit als Thema und Resultat gemeinsamen allgemeinen Wissens zu begreifen sind. 301
»Diese negative Einheit des Denkens ist für sich selbst, oder vielmehr sie ist das Fürsichselbstsein, das Prinzip der Individualität, und in seiner Realität tuendes Bewußtsein. Zu ihm als der Realität jener Gesetze wird daher das beobachtende Bewußtsein durch die Natur der Sache fortgeführt. Indem dieser Zusammenhang nicht für es ist, so meint es, das Denken in seinen Gesetzen bleibe ihm auf der einen Seite stehen, und auf der andern Seite erhalte es ein anderes Sein an dem, was ihm itzt Gegenstand ist, nämlich das tuende Bewußtsein, welches so für sich ist, daß es das Anderssein aufhebt und in dieser Anschauung seiner selbst als des Negativen seine Wirklichkeit hat.« (202 f. | 168)
Die Selbstbezugnahme ist ein besonderer Fall des allgemeinen Fürsichseins, das ja die kategoriale Klasse aller Relationen R meinte, für die gilt, dass aus R(x, y) (oder, wie man auch schreibt: x R y) folgt, dass x = y: Eine (tätige) Relation R ist eine Selbstbezugnahme von mir auf mich, wenn gilt: aus R(ich, Z) folgt ich = Z oder ich bin Z. Dabei ist natürlich die relevante Gleichheit auszuwählen.
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Deskriptive Psychologie
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Die individuelle Subjektivität zeigt sich in der Performation. Jede einzelne Person muss etwas tun, wenn sie denkt oder spricht. Denken und Sprechen sind Aktualisierungen von Handlungsformen. Die Realität der Denkgesetze findet sich daher notwendigerweise im Individuum. So jedenfalls scheint es für das ›beobachtende Bewusstsein‹ zu sein. Das ›empirische‹ Wissen über das Denken und Wissen betrachtet daher den Einzelnen. Man verwandelt relativ apriorische Normen dann in angeblich angeborene oder sich automatisch entwickelnde Verhaltensschemata. Man stellt sie sich als im Körper des Individuums implementierte Programme vor. Das ist eine höchst problematische Deutung des kantischen Apriorismus. Sie existiert bis heute. Die Di=erenz zwischen mir und meinem Leib bleibt dennoch ebenso merkwürdig wie ihre Verneinung im Satz »Ich bin mein Leib«.
31. Deskriptive Psychologie »Es erö=net sich also für die Beobachtung ein neues Feld an der handelnden Wirklichkeit des Bewußtseins [sic!, PSW]. Die Psychologie enthält die Menge von Gesetzen, nach welchen der Geist gegen die verschiedenen Weisen seiner Wirklichkeit, als eines vorgefundenen Andersseins, sich verschieden verhält; teils diese in sich zu empfangen und den vorgefundenen Gewohnheiten, Sitten und Denkungsart, als worin er sich als Wirklichkeit Gegenstand ist, gemäß zu werden, teils gegen sie sich selbsttätig zu wissen, mit Neigung und Leidenschaft nur Besonderes daraus für sich herauszugreifen und das Gegenständliche sich gemäß zu machen, – dort sich gegen sich selbst als Einzelnheit, hier gegen sich als allgemeines Sein negativ zu verhalten. – « (203 | 168 f.)
Das empirisch beobachtende Selbstwissen ist als sich entwickelnde Wissenschaft die Humanpsychologie. Sie entwickelt Gesetze oder (weiche) nomologische Erklärungen für das ›psychische Leben‹, das Verhalten und Handeln. Diesen ›Gesetzen‹ zufolge verhält sich ›der Geist‹, also die Person als das Geistwesen
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Mensch, zu sich selbst regelmäßig auf entsprechende Weisen, wobei dieses ›Selbst‹ aus verschiedenen Weisen der Wirklichkeit des leiblichen Lebens besteht, das aber, in dieser Betrachtung, als ›vorgefundenes‹, gegebenes, Anderssein, als ›mein Leben‹ zum Gegenstand der Beobachtung gemacht wird. Es wäre dabei interessant, Mängel in diesem Selbstverhältnis, die aus einem mangelhaften Begreifen der Logik des Personseins herrühren, von bildungsbezogenen, physiologischen oder noch anders gearteten ›Geisteskrankheiten‹ zu unterscheiden. Formen des Verhaltens, die wir uns dabei lernend anzueignen oder anzutrainieren haben, sind habituelle Gewohnheiten, Sitten, auch eine tradierte, kollektive, Denkungsart oder Sichtweise. In einem Selbst-Training machen wir uns dabei selbst den vorgegebenen Formen gemäß. Im Einzelfall erfüllen wir die Normen – oder eben nicht. Auch diesem selbsterzieherischen Sich-zu-sich-Verhalten ordnet Hegel das Adjektiv »negativ« zu, da es sich ja um eine Umformung des vorherigen ›natürlichen‹ Verhaltens handelt, oder, falls man sich den Anforderungen der Selbstbildung widersetzt, um die Negation der geschichtlich gegebenen Formen und Normen einer Kultur der Vernunft. 302 b
»Die Selbständigkeit gibt dem Vorgefundenen nach der ersten Seite nur die Form bewußter Individualität überhaupt und bleibt in Ansehung des Inhalts innerhalb der vorgefundenen allgemeinen Wirklichkeit stehen; nach der andern Seite aber gibt sie ihr wenigstens eine eigentümliche Modifikation, die ihrem wesentlichen Inhalte nicht widerspricht, oder auch eine solche, wodurch das Individuum als besondere Wirklichkeit und eigentümlicher Inhalt sich ihr entgegensetzt – und zum Verbrechen wird, indem es sie auf eine nur einzelne Weise aufhebt, oder indem es dies auf eine allgemeine Weise und damit für alle tut, eine andere Welt, anderes Recht, Gesetz und Sitten an die Stelle der vorhandenen bringt.« (203 | 169)
In der Aneignung eines Habitus, eines partiell schon schematischen Verhaltens, welcher den Formen und Normen tradierter Sitten und des Ethos eines Volkes bzw. dem Wesen des Menschen, der Humanität, gemäß ist, gibt man der eigenen Individualität
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eine Form in einer je eigentümlichen Modifikation. In der Entgegensetzung gegen die Anmutungen teils der besonderen Sitte, teils des allgemeinen Ethos der humanitas, der ›Sittlichkeit‹, kann sowohl ein Mangel an Selbstbildung entstehen als auch eine eigensinnige Verbildung zum – Verbrecher. Letzteres geschieht, indem sich der Einzelne ein eigenes Gesetz gibt und das gegebene Recht oder Richtige gemeinsamer Sittlichkeit nicht anerkennt, sondern meint, dieses zugunsten seines vermeintlichen Eigenrechtes brechen zu ›können‹, zu ›dürfen‹ oder gar zu ›müssen‹. »Die beobachtende Psychologie, welche zuerst ihre Wahrnehmungen von den allgemeinen Weisen, die ihr an dem tätigen Bewußtsein vorkommen, ausspricht, findet mancherlei Vermögen, Neigungen und Leidenschaften, und indem sich die Erinnerung an die Einheit des Selbstbewußtseins bei der Hererzählung dieser Kollektion nicht unterdrücken läßt, muß sie wenigstens bis zur Verwunderung fortgehen, daß in dem Geiste, wie in einem Sacke, so vielerlei und solche heterogene, einander zufällige Dinge beisammen sein können, besonders auch da sie sich nicht als tote ruhende Dinge, sondern als unruhige Bewegungen zeigen.« (203 f. | 169)
Die beobachtende oder empirische Psychologie geht in ihren Betrachtungen der psych¯e, unserer mentalen Verhaltensformen (im Gefühlsleben) narrativ vor. Sie betreibt also zunächst historia. Sie berichtet allerlei Einzelfälle. Dabei spricht sie oft allzu schnell von allgemeinen Weisen des Verhaltens bzw. ›Denkens‹. Sie findet »mancherlei Vermögen, Neigungen und Leidenschaften«. Zu den geistigen Kompetenzen gehören die Vermögen, zu sprechen, urteilen, schließen, denken, überlegen und entsprechend zu handeln. Neigungen sind Strebungen nach Befriedigung etwa bei Hunger, Durst, um von einem Trieb einer Sucht gar nicht weiter zu reden. Leidenschaften sind Passionen wie Liebe, Eifersucht, Hass, Ehrgeiz oder auch Herrschsucht. Wie die Beispiele zeigen, kennen wir die begri=lichen Gliederungen schon, bevor in Einzelerzählungen Momente des Verhaltens oder des ganzen Charakters von Personen ihnen zugeordnet werden. Wir kennen sie aus typischen Fällen, nicht aus einer bloß narrativen »Her-
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erzählung« oder Aufzählung beliebiger Beispiele, die von uns willkürlich klassifiziert wären. Hier, wenn irgendwo, folgen wir einer Paradigmen- oder Prototypensemantik und können daher den Geizigen oder den Zornigen, den Eifersüchtigen oder den Hinterhältigen oder auch den cholerischen, sanguinischen, melancholischen oder phlegmatischen Charaktertyp generisch klar und deutlich darstellen, ohne deswegen schon klare und deutliche klassifikatorische Unterscheidungskriterien für beliebige Personen zu besitzen. Sagen wir, dass es die Charaktertypen gibt, dann können wir damit nur meinen, dass man die Typiken gelegentlich anwenden kann. Die üblichen Forderungen nach ›exakten Definitionen‹ der Charaktertypen ist schon deswegen sinnlos, weil es sich bloß um sehr grobe Orientierungen handelt. Die ›historische‹ oder ›narrative‹ Methode in der Psychologie mit entsprechenden Grobtypen erzeugt schnell den irreführenden Eindruck, es gäbe in der menschlichen Seele, im ›Geist‹ der Person, wie in einem dunklen Sack verschiedenste, auch heterogene Dinge, die man etwa durch eine Tiefenpsychologie entdecken und ans Tageslicht holen könnte. Zwar hat diese Sackmetapher Karriere gemacht. Im Grunde aber legen schon Autoren wie z. B. Flaubert, Dostojewski oder auch Nietzsche die Motive ihre Protagonisten o=en aus. Ganz analog waren schon die Typenkarikaturen der Komödie, von Plautus und Terenz bis zu Shakespeare und Molière zu verstehen. Doch auch im realistischen Roman des 19. Jahrhunderts sind die Figuren typische Rollen, welche von den Personen gespielt werden. Eben dieses ›mikrosoziologische‹ Verständnis von weiten Teilen der Humanpsychologie macht Hegel in der Phänomenologie explizit. Ein solches ist an introspektiver Esoterik wie etwa im sexfixierten Hype der Psychoanalyse weniger interessiert als an den Rollenspielen der Personen, die sich sogar zur Produktion von allerlei Selbstbildern sozusagen überreden (lassen) können. Gerade die Psychologie steht mit ihren theoretischen Spekulationen in der Gefahr, derlei Bilder und psychische PseudoMechanismen zu erfinden. Wittgenstein wirft ihr (und damit
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auch Sigmund Freud) daher vor, begri=liche Verwirrungen mit empirischer Methode und diese mit romanhafter Willkür zu verbinden – daher der Sigmund-Freud-Preis für populäre Wissenschaft. Das Problem ist die Allianz von Verhaltensbeobachtung mit unbegri=ener Theorie. »In der Hererzählung dieser verschiedenen Vermögen ist die Beobachtung in der allgemeinen Seite; die Einheit dieser vielfachen Fähigkeiten ist die dieser Allgemeinheit entgegengesetzte Seite, die wirkliche Individualität. – Die unterschiedenen wirklichen Individualitäten wieder so aufzufassen und zu erzählen, daß der eine Mensch mehr Neigung zu diesem, der andere mehr zu jenem, der eine mehr Verstand als der andere habe, hat aber etwas viel Uninteressanteres, als selbst die Arten von Insekten, Moosen usf. aufzuzählen; denn diese geben der Beobachtung das Recht, sie so einzeln und begri=los zu nehmen, weil sie wesentlich dem Elemente der zufälligen Vereinzelung angehören. Die bewußte Individualität hingegen geistlos als einzelne seiende Erscheinung zu nehmen, hat das Widersprechende, daß ihr Wesen das Allgemeine des Geistes ist. Indem aber das Auffassen sie zugleich in die Form der Allgemeinheit eintreten läßt, findet es ihr Gesetz und scheint itzt einen vernünftigen Zweck zu haben und ein notwendiges Geschäft zu treiben.« (204 | 169)
Eine kausale Erklärung des unterschiedlichen Verhaltens verschiedener Menschen durch ihre di=erierenden Neigungen, Charaktere oder Dispositionen wäre weitgehend leer, wenn ihrem Verhalten nur ganz vage Titelwörter wie »Hass« und »Liebe« zugeordnet werden. Wenn es dann aber konkret wird, ist es, wie Hegel leicht ironisch sagt, bei weitem interessanter, die verschiedenen Arten von Moosen aufzulisten, die es immerhin wirklich gibt. Denn im Fall von ›psychischen Charakteren‹ verlaufen wir uns ins Beliebige. Wir können zwar narrativ darstellen, wie eine einzelne Person besonders urteilt, denkt, handelt usf. Aber wir müssen dazu den jeweiligen Inhalt des Urteils, die Denk- und Handlungsform usf. als eine im Prinzip uns allen bekannte und von uns allen reproduzierbare Form begreifen. Charaktertypen sind ohnehin nichts Unveränderliches: Niemand ist als Heiliger
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oder Verbrecher geboren. Praktisch jeder kann sich zum Heiligen oder Verbrecher machen. Wir müssen also anerkennen, dass eine Person vieles frei tun und zugleich frei lassen kann oder könnte, wobei manches bei manchen eine (manchmal zu) lange Zeit braucht, bei anderen nicht. Dabei lassen sich besondere ›Mischungen‹ oder ›Ausprägungen‹ allgemeiner Typiken des Denkens und Handelns als Erklärungen den narrativen Erzählungen des Verhaltens und Tuns der Einzelpersonen zuordnen. Wenn wir eine individuelle Person in ihren besonderen psychischen und geistigen Formen darstellen, gebrauchen wir zwar paradigmatische Formen personaler Individualität (als ihr ›Gesetz‹). Diese machen aber bloß vage verstehbar, welche vermeintlich oder wirklich vernünftigen Zwecke die handelnde Person verfolgt bzw. warum in ihrem Verhalten auch schon mal jede Vernunft und Zielgerichtetheit zusammenbricht, wie etwa bei Willensschwachen, Unerzogenen oder in einer Depression bzw. Angstneurose. 305
»Die Momente, die den Inhalt des Gesetzes ausmachen, sind einerseits die Individualität selbst, andererseits ihre allgemeine unorganische Natur, nämlich die vorgefundenen Umstände, Lage, Gewohnheiten, Sitten, Religion usw.; aus diesen ist die bestimmte Individualität zu begreifen [nämlich in ihrer Besonderheit, PSW]. Sie enthalten Bestimmtes ebensowohl als Allgemeines [sic!, PSW] und sind zugleich Vorhandenes, das sich der Beobachtung darbietet und sich an der andern Seite in der Form der Individualität ausdrückt.« (204 | 169 f.)
Das erste Teilmoment des ›Gesetzes‹ personaler Individualität ist die Gebundenheit der Psyche und des subjektiven Geistes an den Leib und die Lebensgeschichte der Person von der Geburt bis zum Tod. Es ergibt sich daraus das zweite Teilmoment, bestehend aus Umwelt, Umständen, Lagen, Sitten, Zeit- und sogar Weltgeschichte. Die psychisch-geistige Individualität der Person, also die abstrakte, typisierte Persönlichkeit, ergibt sich dabei durch Bildung (Formation) und Selbstbildung. Berichte auf der Grundlage von ›Beobachtung‹ stellen dabei zwar das Vorhandene empirisch dar, aber schon in der vorausgesetzten Prägung
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des personalen Subjekts, Hegels »bewusste Individualität«, kurz: der Person im Sinne eines kompetenten Teilnehmers an der gemeinsamen Praxis des Personseins. Für das Wissen und das Handeln gibt es für eine solche Person normative Bestimmungen des Richtigen und Falschen. Dieser Kontrast wird im Fall von Wissensansprüchen durch die Wörter »wahr« und »falsch« ausgedrückt. Im Fall von Handlungen gebrauchen wir die Wörter »gut« und »schlecht«. Eine Handlung kann dabei richtig oder ›gut‹ im instrumentellen Sinn, zugleich aber auch schlecht oder böse im ethisch-sittlichen Sinn sein. Der Kategorische Imperativ Hegels lautet entsprechend: »Sei eine Person«. Er nennt die Verpflichtung der Selbstbildung und Selbstkontrolle. Hinzu kommt die Anerkennung aller anderen Menschen als Personen, in ihrer Würde, selbst wenn sie nicht mit uns zusammenarbeiten, und in ihrer Freiheit, wenn wir mit ihnen kommunizieren und kooperieren. »Das Gesetz dieses Verhältnisses der beiden Seiten müßte nun dies enthalten, was diese bestimmten Umstände für eine Wirkung und Einfluß auf die Individualität ausüben. Diese Individualität aber ist gerade dies, ebensowohl das Allgemeine zu sein und daher auf eine ruhige unmittelbare Weise mit dem vorhandenen Allgemeinen, den Sitten, Gewohnheiten usf. zusammen zu fließen und ihnen gemäß zu werden, als sich entgegengesetzt gegen sie zu verhalten und sie vielmehr zu verkehren – sowie gegen sie in ihrer Einzelnheit ganz gleichgültig sich zu verhalten, sie nicht auf sich einwirken zu lassen und nicht gegen sie tätig zu sein. Was auf die Individualität Einfluß und welchen Einfluß es haben soll – was eigentlich gleichbedeutend ist –, hängt darum nur von der Individualität selbst ab; dadurch ist diese Individualität diese bestimmte geworden, heißt nichts anderes als sie ist dies schon gewesen. Umstände, Lage, Sitten usf., welche einerseits gezeigt werden als vorhanden und andererseits in dieser bestimmten Individualität, drücken nur das unbestimmte Wesen derselben aus, um welches es nicht zu tun ist. Wenn diese Umstände, Denkungsart, Sitten, Weltzustand überhaupt nicht gewesen wären, so wäre allerdings das Individuum nicht geworden, was es ist; denn
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diese allgemeine Substanz sind alle, welche in diesem Weltzustande sich befinden. – « (204 f. | 170)
Jede ›nomologische‹ Erklärung der ›Geistseele‹ der Einzelperson, also ihrer geistigen Fähigkeiten und Tätigkeiten, verwandelt sich am Ende in eine Geschichte, wie sie diese Fähigkeiten erworben hat. Ihr Erwerb wiederum wird erst möglich vor dem Hintergrund der Verfügbarkeit von Formen des individuellen und kooperativ-kollektiven Handelns und der entsprechenden Lebensführung. Die Formen des Geistes sind dem Einzelnen in seiner Kultur und der Geistesgeschichte vorgegeben. Andererseits hängt es von der Einzelperson ab, was sie an Möglichkeiten ergreift, welche sie bei sich und dann allgemein entwickelt, zunächst indem sie sich bildet. Sie ist dabei keineswegs rein passiv, und das sozusagen von Kindesbeinen an: 306 b
»Wie er sich aber in diesem Individuum – und ein solches soll begri=en werden – partikularisiert hat, so müßte er sich an und für sich selbst partikularisiert und in dieser Bestimmtheit, welche er sich gegeben, auf ein Individuum eingewirkt haben; nur so hätte er es zu diesem bestimmten gemacht, das es ist. Wenn das Äußere sich an und für sich so bescha=en hat, wie es an der Individualität erscheint, wäre diese aus jenem begri=en.« (205 | 170)
Wie sich in einer Einzelperson die Formen des geistigen Lebens ausprägen – das soll ja begri=en und erklärt werden – dafür gibt es kein allgemeines Gesetz. Es gibt keine Kausalität der Art, wie wir sie in der Wirkung von ›Kräften‹ für die Bewegungsformen toter Dinge entwickeln. Das liegt am Ende daran, dass jede Selbstformation immer auch ein freies Handeln ist und nicht e;zienzkausal auf die Lebensumstände zurückgeführt werden kann. Diese bestimmen zwar die Möglichkeiten, die ergri=en werden können, nicht aber, was ergri=en wird. Wer das nicht anerkennt, begreift die Logik der Bildung zur Person bzw. Persönlichkeit (also Hegels geistige Individualität) nicht. Eine kausale;ziente Erklärung müsste sagen können, wie sie vor dem Hintergrund der skizzierten Umstände zu ›partikularisieren‹ ist, wie etwa die Umstände auf den Einzelmenschen
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›einwirken‹, wie wir unglückerweise sagen, und ihn zu der Person machen, die er dann ist. Die Bestimmtheiten der Kulturtradition lassen sich aber nicht so voneinander trennen oder ›lokalisieren‹ wie die verschiedenen Größenbestimmungen und Kräfte der Physik. Schon das Leben der Lebewesen lässt sich nicht rein durch e;zienzkausale Gesetze erklären. Es gibt auch keine geschichtlichen Gesetze, keine Kausalerklärung kultureller Entwicklungen. Karl Popper rennt hier ironischerweise gerade die von Hegel weit geö=neten Türen ein. Alles, was sinnvollerweise als ›Gesetz‹ anerkannt werden kann, müsste ein real artikulierbares Gesetz sein, das auf einen realen Phänomenbereich passt.90 Die Rede von transzendenten Gesetzen hinter unserem möglichen Wissen hat keinen (klaren) Sinn. Das heißt nicht, dass man nicht nach möglichen Gesetzen weiter suchen kann. Aber man kann oft etwas über die Grenzen der Suche wissen. Im Fall der ›Gesetze‹ einer empirischen Entwicklungspsychologie kommen wir z. B. im allgemeinen nicht über notwendige Bedingungen des Lernens bestimmter geistiger Formen und Fähigkeiten hinaus. Die konkrete Entwicklung der personalen Individualität lässt sich nicht ›kausal‹ erklären. Der nächste Satz sagt, worauf das hinaus liefe: »Wir hätten eine gedoppelte Galerie von Bildern, deren eine der Widerschein der andern wäre; die eine die Galerie der völligen Bestimmtheit und Umgrenzung äußerer Umstände, die andere dieselbe übersetzt in die Weise, wie sie in dem bewußten Wesen sind; jene die Kugelfläche, dieses der Mittelpunkt, welcher sie in sich vorstellt.« (205 | 170)
Zwar sagen wir, dass es Gesetze wie die der klassischen Mechanik unabhängig davon gebe, dass sie schon formuliert sind. Das liegt daran, dass sie zeitallgemein gelten. Und dennoch kann man erst wissen, dass es ein solches Gesetz gibt, wenn man es kennt. Hier, wenn irgendwo, muss der Existenzquantor e=ektiv sein, da der Wunsch, ein Gesetz zu finden, nicht für das Wissen ausreicht, ob es findbar ist. 90
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Die Rede von einer doppelten Galerie von Bildern ist eine schöne Wiedergabe der Idee eines psychophysischen Parallelismus, wie wir sie bei Leibniz finden. Auf der einen Seite sollen alle äußeren Umstände und Körperbewegungen kausal durchgängig bestimmt bzw. ›determiniert‹, ja ›prädeterminiert‹ sein. Auf der anderen Seite werden diese »übersetzt in die Weise, wie sie in dem bewussten Wesen sind«, also je mir als wissensbegabter ›Monade‹ bekannt sind, soweit sie mir eben bekannt sind, bzw. soweit ich sie in mein psychisch-geistiges Sein, ggf. auch ohne Selbstgewahrsein, aufgenommen habe. Hegels Bild von der Monade ist ebenfalls unmittelbar eingängig: Das Äußere entspricht einer Kreisfläche bzw. dem Rauminhalt einer Kugel; das Innere dem zugehörigen Mittelpunkt, von dem her alles ›außen‹ ist. Das ganze (dualistische oder parallelistische) Bild ist irreführend. Es gibt kein gegenständliches Bewusstsein. Alle Vollzüge sind leiblich getragen. Aber der Leib selbst ist kein bloß von anderen Körpern bewegter Körper. 307
»Aber die Kugelfläche, die Welt des Individuums, hat unmittelbar die zweideutige Bedeutung, an und für sich seiende Welt und Lage, und Welt des Individuums entweder insofern zu sein, als dieses mit ihr nur zusammengeflossen wäre, sie so, wie sie ist, in sich hineingehen lassen und gegen sie sich nur als formelles Bewußtsein verhalten hätte, – oder aber Welt des Individuums so zu sein, wie das Vorhandene von ihm verkehrt worden ist. – Da um dieser Freiheit willen die Wirklichkeit dieser gedoppelten Bedeutung fähig ist, so ist die Welt des Individuums nur aus diesem selbst zu begreifen, und der Einfluß der Wirklichkeit, welche als an und für sich seiend vorgestellt wird, auf das Individuum, erhält durch dieses absolut den entgegengesetzten Sinn, daß es entweder den Strom der einfließenden Wirklichkeit an ihm gewähren läßt oder daß es ihn abbricht und verkehrt. Hiedurch aber wird die psychologische Notwendigkeit ein so leeres Wort, daß von dem, was diesen Einfluß soll gehabt haben, die absolute Möglichkeit vorhanden ist, daß es ihn auch hätte nicht haben können.« (205 f. | 170 f.)
Hier spricht Hegel selbst von der Welt des Individuums, von meiner Welt. Würden wir nur alles dem Inneren zuschreiben,
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was wir im äußeren Verhalten erfahren, so wäre eine Erklärung des Äußeren durch das Innere leer, tautologisch. Der Kreisfläche oder Kugel korrespondiert je meine Welt, »die Welt des Individuums«. Diese Rede von (je meiner) Welt ist zweideutig: Sie ist meine Umwelt und Lage. Und sie wird in meinem Weltbezug zu einem Selbstbezug so, dass sie zu einer Art Teilmoment meines eigenen Seins wird – ganz gemäß der schon zitierten Formel Wittgensteins »ich bin meine Welt«.91 Die Welt ist daher nur von mir her zu begreifen, auch wenn die Welt meine Welt ist – nämlich soweit sie für mich Welt ist. Andererseits lässt sich über die ›objektive‹ Welt auch personen- und perspektivenkovariant reden. Und es lässt sich der Einfluss dieser objektiven Welt auf mich thematisieren. Diese objektive Welt wird »als an und für sich seiend vorgestellt«, also als Gegenstand. Der Einfluss dieses Gegenstandes je auf mich wiederum wird so gedacht, als würde ich ihn vollständig gewähren lassen, als wäre ich also der Welt ausgeliefert. An diesem Bild ist vieles richtig und vieles schief. Hegel fasst diese Gedankenführung, die er bloß erst als plausibel schildert und später beurteilt, so zusammen: Die Rede von einer psychologischen Notwendigkeit wird ganz leer, wenn wir uns nur manchmal von den gegebenen Einflüssen beeinflussen lassen, manchmal aber Widerstand leisten. Der Fall ist analog zu dem Gerede, wir würden durch Werbung ›manipuliert‹: Es steht außer Zweifel, dass wir Werbung ignorieren können, ihrem Einfluss also gerade nicht ›mit Notwendigkeit‹ unterworfen sind. Dasselbe gilt für unsere eigenen Begierden, soweit sie kontrollierbar sind; und das sind sie, im längeren Verlauf, fast alle irgendwie. Hegel durchschaut damit den Widerspruch in allen psychologischen Erklärungen, welche der jeweiligen Person die Freiheit und Selbstverantwortung für ihre eigene Verhaltens- und Charaktertypik, für ihr Tun und zum Teil auch für ihr Können absprechen und dem Handeln die Charakteristik des freien Tuns rauben. Logisch gesehen sind die Verhältnisse dagegen recht einfach, obwohl 91
Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 5.63.
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dieses Einfache selten konsequent genug anerkannt ist: Erstens gibt man sich allzu schnell mit bloßen Entschuldigungen und Rechtfertigungen zufrieden, welche die eigene Verantwortung verkleinern. Zweitens werden notwendige Bedingungen eines Tuns, auch des Erwerbs von Fähigkeiten, gern verwechselt mit hinreichenden kausalen Erklärungen. Der Fehlschluss wird vertuscht durch das Gerede davon, dass, wenn »alle« notwendigen Bedingungen vorlägen, hinreichende Kausalerklärungen entstünden. Das Wort »alle« macht hier leider keinen Sinn. Das übersieht man deswegen so leicht, weil der besondere Fall wirklich hinreichender Kausalbedingungen wie im Fall der Ballistik von Billardkugeln nicht scharf genug unterschieden wird von dem trivialen Fall, dass es für jede Aussage p und jedes Geschehen immer eine hinreichende Bedingung gibt, nämlich die Geltung von p bzw. das faktische Geschehen selbst. Wenn wir das, was später geschieht, auf tautologische Weise in einem fingierten ›Charakter‹ oder einer ›Disposition‹ verstecken, welche zu einer Teil-›Ursache‹ dafür verbal erklärt wird, was später geschieht, kann man alles, was je geschieht, ›pseudokausal‹ erklären. Es ist – post hoc – determiniert. ›Praeter hoc‹ wäre es nur dann prä-determiniert, wenn nicht noch die handelnde Entscheidung hinzukommen müsste, ob wir uns so oder anders beeinflussen lassen. Eben darauf weist Hegel hier hin. 308
»Es fällt hiemit das Sein hinweg, welches an und für sich wäre und die eine, und zwar die allgemeine Seite eines Gesetzes ausmachen sollte. Die Individualität ist, was ihre Welt als die ihrige ist; sie selbst ist der Kreis ihres Tuns, worin sie sich als Wirklichkeit dargestellt hat, und schlechthin nur Einheit des vorhandenen und des gemachten Seins; eine Einheit, deren Seiten nicht wie in der Vorstellung des psychologischen Gesetzes als an sich vorhandene Welt und als für sich seiende Individualität auseinanderfallen; oder wenn sie so jede für sich betrachtet wird, so ist keine Notwendigkeit und Gesetz, ihrer Beziehung füreinander vorhanden.« (206 | 171)
Den Grund, warum es keine e;zienzkausalen psychologischen und psychophysischen Gesetze geben kann, erkennen wir jetzt darin, dass es gar kein unabhängiges ›Sein‹ gibt, welches ›an
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und für sich‹ das geistige Leben prädeterminieren könnte. Das aber wäre nötig, um in einem Verlaufsgesetz eine von der Folge unabhängige Anfangsbedingung bestimmen zu können. Hegels Satz »Die Individualität ist, was ihre Welt als die ihrige ist« ist sinngleich zu Wittgensteins Satz »Ich bin meine Welt«. Hegel erklärt weiter, dass ich als Person selbst ›Kreis meines Tuns‹ sei, worin ich mich ›als Wirklichkeit darstelle‹. Die Transposition in die erste Person macht das, was der Satz sagt, schon klarer. Ich bin die Einheit meines vorhandenden und von mir tätig veränderten Seins bzw. Lebens. Die Momente oder Seiten, etwa die Fähigkeiten oder Dispositionen und das Tun, sind dabei nicht einfach so von mir trennbar, dass eine kausalgesetzliche Erklärung für mein Tun und Handeln entstünde. Es gibt keine psychologischen Gesetze analog zu denen der physikalischen Mechanik. Das ist kein Mangel an Wissen. Es ist ein positives, allgemeines, materialbegri=liches, damit relativ apriorisches Wissen über die Grenzen des sinnvoll Wissbaren. Es grenzt nicht nur sinnvolle Geltungsansprüche ein, sondern auch Versprechungen oder Ho=nungen, auch einen sinnvollen Glauben, was die Menschheit vielleicht so alles wissen und können wird. Durch Erforschungen des Gehirns erfahren zu wollen, was den menschlichen Geist ausmacht, wäre z. B. analog dazu, mit dem Mikroskop danach zu suchen, was ein Stück Papier zu einem Geldschein macht.
c. Beobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre 32. Schädelmessung und Gehirnforschung Die empirische Psychologie findet nicht zufälligerweise, sondern aus ganz allgemeinen, materialbegri=lichen Gründen kein allgemeines Gesetz in Bezug auf die Beziehung »des Selbstbewusstsein zu der Wirklichkeit«. Das ist das Resultat der Über-
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legungen des vorangegangenen Abschnitts. Es gibt also keine streng e;zienzkausalen physikopsychischen oder psychophysischen Gesetze. Wer anderes glaubt, betreibt nicht bloß reine science fiction. Er versteht das logische Verhältnis zwischen Geist und Leib nicht, also zwischen allgemeinen und gemeinsamen Formen des Denkens und Handelns auf der einen Seite, ihren Verleiblichungen im Einzelleben auf der anderen Seite. Das ist keine Frage eines möglicherweise besseren Wissens über das Innere, sondern eine Frage der Ontologie oder Seinsweise des Geistigen selbst, als Form des Lebensvollzugs. 309
»Die psychologische Beobachtung findet kein Gesetz des Verhältnisses des Selbstbewußtseins zu der Wirklichkeit oder der ihm entgegengesetzten Welt und ist durch die Gleichgültigkeit beider gegeneinander auf die eigentümliche Bestimmtheit der realen Individualität zurückgetrieben, welche an und für sich selbst ist oder den Gegensatz des Fürsichseins und des Ansichseins in ihrer absoluten Vermittlung getilgt enthält. Sie ist der Gegenstand, der itzt der Beobachtung geworden oder zu dem sie übergeht.« (206 | 171)
Es gibt aber in der Tat eine Art Wirkung des handelnden Selbstbezugs auf meinen eigenen Leib, sogar auf meine Physiognomie, meinen Gesichtsausdruck. Das geschieht z. B. über Habitualisierungen. Daher erscheint es möglich, dass es ein Wissen der Schädellehre oder Kraniologie bzw. der Gehirnforschung oder Phrenologie geben könnte, die zunächst aus Kopfformen, dann aus Hirngestaltungen auf gewisse geistige Fähigkeiten zurückschließen möchten. Die Fragen des Abschnitts betre=en die begri=lichen Bedingungen der Möglichkeit eines empirischen Wissens über gewisse psychophysische Wechselwirkungen und entsprechende Rückschlüsse aus der Physiologie auf eine typische ›Denkpsychologie‹ des Individuums. Die »eigentümliche Bestimmtheit« personaler Subjektivität betri=t die Individualität des jeweiligen Menschen gerade auch in seinen geistigen Fähigkeiten und Taten. Der Gegensatz zwischen allgemeiner Artform samt dem Ethos einer Kultur und ihrem verleiblichten Fürsichsein ist eben durch die Bildung und Selbstbildung der Person, die Inkorpo-
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rierung des ›Geistigen‹ getilgt. Die gebildete Person, der geistvolle Mensch, ist ab jetzt Gegenstand der (Selbst-)Beobachtung. »Das Individuum ist an und für sich selbst: es ist für sich, oder es ist ein freies Tun; es ist aber auch an sich, oder es selbst hat ein ursprüngliches bestimmtes Sein, – eine Bestimmtheit, welche dem Begri=e nach dasselbe ist, was die Psychologie außer ihm finden wollte. An ihm selbst tritt also der Gegensatz hervor, dies Gedoppelte, Bewegung des Bewußtseins und das feste Sein einer erscheinenden Wirklichkeit zu sein, einer solchen, welche an ihm unmittelbar die seinige ist. Dies Sein, der Leib der bestimmten Individualität [sic!, PSW], ist die Ursprünglichkeit derselben, ihr nicht getan Haben. Aber indem das Individuum zugleich nur ist, was es getan hat, so ist sein Leib auch der von ihm hervorgebrachte Ausdruck seiner selbst [sic!, PSW]; zugleich ein Zeichen, welches nicht unmittelbare Sache geblieben, sondern woran es nur zu erkennen gibt, was es in dem Sinne ist, daß es seine ursprüngliche Natur ins Werk richtet.« (206 f. | 171 f.)
Wir können in der Tat an Händen und Gesicht einiges über die Charaktertypik und Bildung einer Person ablesen, aber nie vieles oder gar alles. Im 20. Jahrhundert tun sich viele Philosophen, besonders in der Nachfolge Merleau-Pontys, einiges darauf zugute, den Leib in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gerückt zu haben, gerade wo es um die ›große Vernunft‹ geht (Nietzsche) oder um das Spüren des eigenen leiblichen Seins (Hermann Schmitz). Der Leib als ›Spiegel‹ der Seele und als geformter Träger des Geistes ist aber längst schon Gemeinplatz. Er wird gerade von Hegel entsprechend hervorgehoben. Ich bin in einem gewissen Ausmaß mein Leib, auch wenn der Satz aus schon genannten Gründen eine Katachrese ist. Ich falle aber nicht mit ihm zusammen. Sonst würde auch die Grammatik unverständlich, nach der ich meinen Leib bilden kann. Es ist ja der Sportler, der den Leib trainiert, nicht der Leib des Sportlers sich selbst. Das Leibliche ist die (jeweils präsentische) Ursprünglichkeit je meiner (gegenwärtigen) personalen Individualität. Es ist ihr »nicht getan Haben«. Das merkwürdige Wort verweist auf die Gegebenheit meiner leiblichen Möglichkeiten, mir geistige Fä-
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higkeiten anzueignen. Jedes Handeln reicht dabei schon von Kindesbeinen weit über das bloß ursprüngliche leibliche Sein, insbesondere über die bloß leiblichen Prozesse des animalischen Lebens hinaus. Daher ist ein Leben, das sich ganz den zufälligen Begierden und Trieben und deren bloß ›automatischen‹ Befriedigungen unterwirft, angesichts der weit besseren Möglichkeiten der Führung eines guten personalen Lebens absolut defizitär. Des Menschen bloß zufällig-momentaner Wille ist eben doch nicht sein Himmelreich. Ohne freie Kontrolle der bloß prima facie gespürten Präferenzen oder Pro-Attitüden geht es nicht. Soweit diese Kontrolle und Selbstkritik (im Blick auf ein allgemeines Gutes) in den methodisch-individualistischen und naturalisierenden philosophischen Handlungstheorien des 20. Jahrhunderts unterbelichtet bleiben, sind diese strukturlogisch defizitär. Meine heutige Leibverfassung ist immer auch schon zum Teil Folge meines früheren Handelns. Ich bin daher als volle Person immer schon das, was ich getan habe, also wie ich mich und meine Welt geformt und entwickelt (oder verbildet und unterentwickelt) habe. Alles, was ich getan habe, nicht nur das, woran ich mich erinnere, gehört zu mir als personalem Individuum. Mein Leib, wie er sich mir und anderen heute darbietet, ist eben daher auch nie ›ursprünglich‹, sondern zumindest zum Teil das Ergebnis meines früheren Handelns, meiner Selbstbildung und Selbstdisziplin, oder eines entsprechenden Mangels an diesen Momenten des Selbstbezugs. Der Leib ist in eben diesem Sinn Ausdruck der Seele, die jetzt als das gesamte bisherige leibliche Leben aufgefasst werden kann. 311
»Betrachten wir die hier vorhandenen Momente in Beziehung auf die vorhergehende Ansicht, so ist hier eine allgemeine menschliche Gestalt oder wenigstens die allgemeine eines Klimas, Weltteils, eines Volkes, wie vorhin dieselben allgemeinen Sitten und Bildung [sic!, PSW]. Hiezu kommen die besonderen Umstände und Lage innerhalb der allgemeinen Wirklichkeit; hier ist diese besondere Wirklichkeit als besondere Formation der Gestalt des Individuums [sic!, PSW]. – Auf der andern Seite, wie vorhin das freie Tun des Individuums und die
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Wirklichkeit als die seinige gegen die vorhandne gesetzt war, steht hier die Gestalt als Ausdruck seiner durch es selbst gesetzten Verwirklichung [sic!, PSW], die Züge und Formen seines selbsttätigen Wesens [sic!, PSW]. Aber die sowohl allgemeine als besondere Wirklichkeit, welche die Beobachtung vorhin außer dem Individuum vorfand, ist hier die Wirklichkeit desselben, sein angeborner Leib [sic!, PSW], und in eben diesen fällt der Ausdruck, der seinem Tun angehört. In der psychologischen Betrachtung sollte die an und für sich seiende Wirklichkeit und die bestimmte Individualität aufeinander bezogen werden; hier aber ist die ganze bestimmte Individualität Gegenstand der Beobachtung; und jede Seite seines Gegensatzes ist selbst dies Ganze. Zu dem äußern Ganzen gehört also nicht nur das ursprüngliche Sein, der angeborne Leib, sondern ebenso die Formation desselben [sic!, PSW], die der Tätigkeit des Innern [im metaphorischen Sinne, PSW] angehört; er ist Einheit des ungebildeten und des gebildeten Seins und die von dem Fürsichsein durchdrungne Wirklichkeit des [ jetzt schon personalen, PSW] Individuums. Dieses Ganze, welches die bestimmten ursprünglichen festen Teile und die Züge, die allein durch das Tun entstehen, in sich faßt, ist, und dies Sein ist Ausdruck des Innern, des als Bewußtsein und Bewegung gesetzten Individuums. – Dies Innre ist ebenso nicht mehr die formelle, inhaltlose oder unbestimmte Selbsttätigkeit, deren Inhalt und Bestimmtheit, wie vorhin, in den äußern Umständen läge, sondern es ist ein an sich bestimmter ursprünglicher Charakter, dessen Form nur die Tätigkeit ist [sic!, PSW]. Zwischen diesen beiden Seiten also wird hier das Verhältnis betrachtet, wie es zu bestimmen und was unter diesem Ausdrucke des Innern im Äußern zu verstehen ist.« (207 f. | 172)
Es geht jetzt explizit um das Verhältnis zwischen angeborenen und erworbenen Fähigkeiten und Eigenschaften. Während die empirische Psychologie das bloße Verhalten des einzelnen Individuums betrachtet und dieses entweder über eine fragwürdige Methode der theoretischen Zuschreibung innerer Kräfte und Mächte erklären möchte oder im Rückzug auf reine Deskriptionen und Historien auf jede weitere Erklärung verzichtet, wird jetzt das Innere durch allerlei äußere Gegebenheiten ›erklärt‹.
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Ein Moment ist dabei das Klima, ein anderes das Volk, das hier immer als Kulturvolk zu verstehen ist. Rassen haben übrigens absolut keine Bedeutung für Geist und Kultur. Das dramatische Elend des szientistischen Biologismus bestand und besteht darin, diese o=enkundige Tatsache nicht anzuerkennen. Etwas anderes ist es, wenn wir die »besondere Formation der Gestalt des Individuums« betrachten, also das körperliche Aussehen. In diesem soll sich angeblich das Innere, die ›Seele‹, spiegeln: Das Äußere der Gestalt und des Ausdrucks soll nicht bloß vages Symbol des Inneren sein. Hegel wird im Folgenden sinnkritisch bestimmen, was daran richtig sein mag und was falsch ist. Zunächst sollte man hier wissen, was das Wort »innen« bedeutet. Es soll das ganze Individuum Thema und »Gegenstand der Beobachtung« sein. So gut ein solcher holistischer Ansatz zunächst erscheint, so problematisch erweist er sich in der Durchführung. Denn es gibt jetzt keine Trennung mehr zwischen dem angeborenen Leib und dessen Bildung oder Formation in einer (Selbst-)Disziplinierung. Der Leib wird als allzu unmittelbare »Einheit des ungebildeten und gebildeten Seins« aufgefasst. Der Vorteil dieses holistischen Ansatzes ist, dass an der Existenz des Leibes und seinem Verhalten in seiner Individualität von der Geburt bis zum Tod kein sinnvoller Zweifel herrschen kann. Wer in christlicher oder cartesischer Tradition an dieser materialbegri=lichen Tatsache zweifelt, etwa weil er meint, seinem Denken näher zu sein als seinem Leib, der begreift noch nicht, was hier überhaupt ein transzendentallogisches Argument sein kann. Denn der Vollzug des Denkens setzt, wie jeder andere Vollzug, den Leib voraus, aber auch die Form und den allgemeinen Inhalt des Denkens, der im Denkakt erfasst wird (oder erfasst werden soll). Das ›Innere‹, die ›Seele‹, wird in der ›physiologischen‹ Betrachtung nun zu einem bestimmten Charakter, »dessen Form nur die Tätigkeit ist«. Das heißt, es gibt gar keinen bestimmbaren Charakter über das hinaus, wie er sich im Verlauf des Lebens zeigt. Wir schreiben den Menschen also post hoc ihren Charakter zu – und erklären damit wenig bis nichts. Noch Kant scheint zu meinen, man
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könne im Prinzip oder an sich das Verhalten von Menschen aus ihrem (empirischen) Charakter kausal erklären, es gäbe hier nur epistemische Probleme: Wir wissen nicht genug. Doch was die Floskel »im Prinzip« oder »an sich« besagt, wäre dazu erst einmal zu klären. Denn dass eine solche Erklärung auf rein formale Weise ›denkbar‹ ist, also in einem gewissen Betracht als formallogisch ›konsistent‹ erscheint, besagt noch gar nichts dazu, ob sie wirklich möglich ist. Hegel erkennt klar, dass das, was bloß an sich oder im Prinzip möglich ist, in Wirklichkeit unmöglich ist. Es erscheint nämlich an sich viel zu viel als ›konsistent‹ oder möglich, obwohl es materialiter unmöglich, begri=lich widersprüchlich ist, und zwar weil es grundsätzlichem generischem Wissen widerspricht. So ist z. B. der Gedanke an eine Unsterblichkeit von Leib und Seele konsistent in Bezug auf eine bloße formale Logik, da die deduktiven Regeln für den inferentiellen Gehalt der Wörter »nicht«, »und« und »für alle« naturgemäß unabhängig sind von der Semantik der Wörter »sterblich« oder »Seele«. Daher erscheint im Lichte der bloßen Konsistenz der ›formalen Logik‹ die Eigenschaft, sterblich zu sein, als empirisch kontingente, nicht notwendige, Eigenschaft von Lebewesen oder Menschen. Dennoch widerspricht diese Eigenschaft ›sich selbst‹ insofern, als die Lebewesen und Menschen, für die sie überhaupt ›definiert‹ sein soll, von vornherein ›Sterbliche‹ sind, also Individuen, deren Individualität durch ihr ›Sein‹ und ›Leben‹ bloß von der Geburt bis zum Tod definiert ist. In ähnlicher Weise ›in sich widersprüchlich‹ sind z. B. die Reden von einer Reise in die Vergangenheit oder in die Zukunft. Als konsistent erscheinen sie nur solange, wie wir uns bloß in mathematischen Modellen bewegen und noch überhaupt keine materialbegri=lichen Schlüsse ziehen, in welchen die reale Form der Zeit und damit die Bewegung von Körpern eine Rolle spielen. Hier und im Folgenden leiten uns aber zunächst immer noch die Fragen: Was ist das Innere? Was ist das Äußere? Und wie verhalten sie sich zueinander? »Dies Äußere macht zuerst nur als Organ das Innere sichtbar [sic!, PSW] oder überhaupt zu einem Sein für anderes [auch andere Perso-
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nen, PSW]; denn das Innere, insofern es in dem Organe ist, ist es die Tätigkeit selbst. Der sprechende Mund, die arbeitende Hand [sic!, PSW], wenn man will auch noch die Beine dazu, sind die verwirklichenden und vollbringenden Organe, welche das Tun als Tun oder das Innere als solches an ihnen haben; die Äußerlichkeit aber, welche es durch sie gewinnt, ist die Tat als eine von dem Individuum abgetrennte Wirklichkeit. Sprache und Arbeit sind Äußerungen, worin das Individuum nicht mehr an ihm selbst sich behält und besitzt, sondern das Innere ganz außer sich kommen läßt und dasselbe Anderem preisgibt [sic!, PSW]. Man kann darum ebensosehr sagen, daß diese Äußerungen das Innere zu sehr, als daß sie es zu wenig ausdrücken; zu sehr, – weil das Innere selbst in ihnen ausbricht, bleibt kein Gegensatz zwischen ihnen und diesem; sie geben nicht nur einen Ausdruck des Innern, sondern es selbst unmittelbar [sic!, PSW]; zu wenig, – weil das Innere in Sprache und Handlung [sic!, PSW] sich zu einem Anderen macht, so gibt es sich damit dem Elemente der Verwandlung preis, welches das gesprochene Wort und die vollbrachte Tat verkehrt und etwas anderes daraus macht, als sie an und für sich als Handlungen dieses bestimmten Individuums sind. Nicht nur verlieren die Werke der Handlungen durch diese Äußerlichkeit von dem Einwirken anderer den Charakter, etwas Bleibendes gegen andere Individualitäten zu sein; sondern indem sie sich zum Innern, das sie enthalten, als abgesondertes gleichgültiges Äußeres verhalten, können sie als Inneres durch das Individuum selbst ein anderes sein, als sie erscheinen, – entweder daß es sie mit Absicht für die Erscheinung zu etwas anderem macht, als sie in Wahrheit sind, oder daß es zu ungeschickt ist, sich die Außenseite zu geben, die es eigentlich wollte, und sie so zu befestigen, daß ihm von andern sein Werk nicht verkehrt werden kann. Das Tun also, als vollbrachtes Werk [sic!, PSW], hat die doppelte, entgegengesetzte Bedeutung, entweder die innere Individualität und nicht ihr Ausdruck, oder als Äußeres eine von dem Innern freie Wirklichkeit zu sein, welche ganz etwas anderes ist als jenes. – Um dieser Zweideutigkeit willen müssen wir uns nach dem Innern umsehen, wie es noch, aber sichtbar oder äußerlich an dem Individuum selbst ist. Im Organe aber ist es nur als unmittelbares Tun selbst, das seine Äu-
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ßerlichkeit an der Tat erlangt, die entweder das Innere vorstellt oder auch nicht. Das Organ, nach diesem Gegensatze betrachtet, gewährt also nicht den Ausdruck, der gesucht wird.« (208 f. | 173)
Das Innere ist Sprache und Handlung. Klarer kann man es nicht sagen. Wir brauchen also nicht auf den linguistic turn nach Frege und den pragmatic turn im 20. Jahrhundert zu warten. Wir haben ihn schon hier, beeinflusst durch Kant, Herder, Hamann, und Fichte. Wenn wir als das Äußere die Leibgestalten ansehen, dann sollen sich, so denkt man, in diesen, den ›Organen‹, das Innere, also die Tätigkeiten selbst, ausprägen und äußern. Hegel selbst sagt, woran er denkt; erstens nämlich an den Mund, wie er spricht, lacht und lächelt und sich am Ende habituell in seinen Winkeln nach unten zieht, etwa wenn die Person generell griesgrämig urteilt. Er denkt zweitens an die Hand, der man den Intellektuellen ansieht, welcher nicht mit der Hand arbeitet, oder den zupackenden Handwerker oder Bauern. In Sprache und Arbeit lässt die Person »das Innere ganz außer sich kommen«. Hier zeigt sich auch anderen Personen, wer die Person ist, wobei der Fall der Lüge und Täuschung natürlich noch eigens zu behandeln ist. Außerdem ist das Verhältnis zwischen der Person zu betrachten, die ich in meinem Reden und Handeln für andere bin oder zu sein scheine, und der Person, die ich an mir selbst bin oder zu sein scheine. Es gibt dann auch zu einfache Vorstellungen vom Verhältnis des Inneren und Äußeren, etwa wenn man meint, das Äußere zeige das Innere unmittelbar. Ebenso falsch ist es zu meinen, kein gesprochenes Wort und keine vollbrachte Tat könne das wahre Innere, die wahre Absicht, ausdrücken, etwa gemäß dem nicht bloß damals geflügelten Wort Schillers »Spricht die Seele, so spricht, ach, die Seele nicht mehr«.92 Zwar unterscheiden sich Schillers Werke, Nationalausgabe Bd. 1, Weimar 1943, S. 302, auch Bd. 2, S. 322. Vgl. dazu auch W. Franzen, »Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr. Einige Erwägungen«, in W. Hogrebe (Ed.), Subjektivität, München 1998, S. 87–103. 92
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Absicht und Ausführung. Doch die Absicht ist weit mehr als ein bloß reines Denken oder Wünschen. Sie zeigt sich normalerweise am klarsten und deutlichsten in der Tat selbst. Wir müssen uns, sagt Hegel dazu, »nach dem Innern umsehen, wie es noch, aber sichtbar und äußerlich an dem Individuum selbst ist.« Es geht also darum, die wahre Außenwelt der wahren Innenwelt aufzufinden und die wahre Innenwelt der Außenwelt: Das Erste kann nicht einfach das reale Tun und Verhalten selbst und unmittelbar sein. Das Zweite besteht nicht einfach in meinen Selbstbildern. Es ist nicht durch Introspektion zu erreichen, aber auch nicht einfache Zuschreibung oder Selbstzuschreibung. 313
»Wenn nun die äußere Gestalt nur, insofern sie nicht Organ oder nicht Tun, hiemit als ruhendes Ganzes ist, die innere Individualität ausdrücken könnte, so verhielte sie sich also als ein bestehendes Ding, welches das Innere als ein Fremdes in sein passives Dasein ruhig empfinge und hiedurch das Zeichen desselben würde; – ein äußerer, zufälliger Ausdruck, dessen wirkliche Seite für sich bedeutungslos, – eine Sprache, deren Töne und Tonverbindungen nicht die Sache selbst, sondern durch die freie Willkür mit ihr verknüpft und zufällig für sie sind.« (209 | 173 f.)
Lange vor der Humpty-Dumpty-Theorie der Bedeutung in Lewis Carrolls Alice in Wonderland und Wittgensteins paralleler Kritik am semantischen Intentionalismus ironisiert Hegel hier die Vorstellung, man könne Beliebiges innerlich meinen und seine Intentionen dann durch freie Willkür mit irgendwelchen Wörtern verbinden. Eine allzu weite Trennung von Ausdruck und Gehalt führte zum Kollaps des Begri=es des Gehalts oder Sinns. Das gilt für Wörter wie für Handlungen, für Gesten wie für unsere Mimik. 314
»Eine solche willkürliche Verbindung von solchen, die ein Äußeres für einander sind, gibt kein Gesetz. Die Physiognomik soll sich aber von andern schlechten Künsten und heillosen Studien dadurch unterscheiden, daß sie die bestimmte Individualität in dem notwendigen Gegensatze eines Innern und Äußern, des Charakters als bewußten Wesens und ebendesselben als seiender Gestalt betrachtet und diese Momente so auf einander bezieht, wie sie durch ihren Begri= aufein-
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ander bezogen sind und daher den Inhalt eines Gesetzes ausmachen müssen. In der Astrologie, Chiromantie und dergleichen Wissenschaften hingegen scheint nur Äußeres auf Äußeres, irgendetwas auf ein ihm Fremdes bezogen zu sein. Diese Konstellation bei der Geburt und, wenn dies Äußere näher auf den Leib selbst gerückt wird, diese Züge der Hand sind äußere Momente für das lange oder kurze Leben und das Schicksal des einzelnen Menschen überhaupt. Als Äußerlichkeiten verhalten sie sich gleichgültig zueinander und haben nicht die Notwendigkeit füreinander, welche in der Beziehung eines Äußern und Innern liegen soll.« (209 f. | 174)
Eine vermeintliche ›wissenschaftliche‹ Physignomik erhebt nun den Anspruch, vom Gesicht auf den Charakter zu schließen. Sie übersieht dabei schon in ihrer Prämisse die reine Willkür der Deutung äußerer Gestalten als angeblichen Zeichen innerer Inhalte oder Bedeutungen. Andererseits gibt es keinen unabhängigen Zugang zum Inneren, es sei denn über das Äußere. Nur ist das Äußere nicht die Gestalt, auch nicht die des Gesichts, sondern das reale Tun der Person im Ganzen. Während die Astrologie und Chiromantie über ein Verhältnis von Einzelnem zu Einzelnem ohne anerkennbares Gesetz spekuliert, möchte die Physiognomik als nomologische Physiologie echte wissenschaftliche Gesetze liefern. Sie kommt aber viel weniger weit, als sie verspricht. »Die Hand freilich scheint nicht so sehr etwas Äußeres für das Schicksal zu sein, sondern vielmehr als Inneres zu ihm sich zu verhalten. Denn das Schicksal ist auch wieder nur die Erscheinung dessen, was die bestimmte Individualität an sich als innere ursprüngliche Bestimmtheit ist. – Zu wissen nun, was sie an sich ist, dazu kommt der Chiromante wie auch der Physiognomiker auf eine kürzere Weise als z. B. Solon, der erst aus und nach dem Verlaufe des ganzen Lebens dies wissen zu können erachtete [sic!, PSW]; er betrachtete die Erscheinung, jene aber das Ansich [d. h. Solon verweist auf das reale Leben, das man erst vom Ende her im Ganzen beurteilen kann, während der Mantiker meint, es an sich schon aus der Hand oder dem Gesicht ablesen zu können, PSW]. Daß aber die Hand das Ansich
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der Individualität in Ansehung ihres Schicksals darstellen muß, ist leicht daraus zu sehen, daß sie nächst dem Organ der Sprache am meisten es ist, wodurch der Mensch sich zur Erscheinung und Verwirklichung bringt. Sie ist der beseelte Werkmeister seines Glücks; man kann von ihr sagen, sie ist das, was der Mensch tut, denn an ihr als dem tätigen Organe seines sich selbst Vollbringens ist er als Beseelender gegenwärtig, und indem er ursprünglich sein eignes Schicksal ist, wird sie also dies Ansich ausdrücken.« (210 | 174)
Wer die Zukunft eines Menschen aus der Hand liest, könnte sich immerhin darauf stützen, dass Handlungen gerade das sind, was wir selbst tun, und gerade keine Widerfahrnisse des Schicksals sind. Nur zeigt sich an der Hand kaum, was für Handlungen mit ihr ausgeführt wurden, sondern eher am Reden. Daher sagt ihre Gestalt auch wenig über die Zukunft oder das Schicksal. Der Physiognomiker meint, der Charakter des Menschen sei an Gesichtsformen erkennbar. Während ein Weiser wie Solon noch wusste, dass man, um eine Person als Ganze zu kennen, mindestens ihr Ende abwarten müsse, kürzen Chiromantiker und Physiognomen das Verfahren ab und erzählen uns Zukunftsromane, die sie angeblich auf ihre Beobachtungen der Gesalt von Hand und Gesicht stützen. Die Kritik scheint trivial zu sein. Brisanter wird es, wenn wir sehen, dass sie sich auch auf Überschätzungen der Hirnphysiologie anwenden lässt. Dann geht es um die Unterscheidung zwischen echter Wissenschaft und leeren Versprechungen.
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»Aus dieser Bestimmung, daß das Organ der Tätigkeit ebensowohl ein Sein als das Tun in ihm ist oder daß das innere Ansichsein selbst an ihm gegenwärtig [ist] und ein Sein für andere hat, ergibt sich eine andere Ansicht desselben als die vorherige. Wenn nämlich die Organe überhaupt darum nicht als Ausdrücke des Innern genommen werden zu können sich zeigten, weil in ihnen das Tun als Tun gegenwärtig, das Tun als Tat aber nur Äußeres ist und Inneres und Äußeres auf
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diese Weise auseinander fällt und fremde gegen einander sind oder sein können, so muß nach der betrachteten Bestimmung das Organ auch wieder als Mitte beider genommen werden, indem eben dies, daß das Tun an ihm gegenwärtig ist, zugleich eine Äußerlichkeit desselben ausmacht, und zwar eine andere, als die Tat ist; jene nämlich bleibt dem Individuum und an ihm. – Diese Mitte und Einheit des Innern und Äußern ist nun fürs erste selbst auch äußerlich; alsdenn aber ist diese Äußerlichkeit zugleich in das Innere aufgenommen; sie steht als einfache Äußerlichkeit der zerstreuten entgegen, welche entweder nur ein einzelnes, für die ganze Individualität zufälliges Werk oder Zustand oder aber als ganze Äußerlichkeit das in eine Vielheit von Werken und Zuständen zersplitterte Schicksal ist. Die einfachen Züge der Hand also, ebenso Klang und Umfang der Stimme als die individuelle Bestimmtheit der Sprache, – auch dieselbe wieder, wie sie durch die Hand eine festere Existenz als durch die Stimme bekommt, die Schrift, und zwar in ihrer Besonderheit als Handschrift – alles dieses ist Ausdruck des Innern, so daß er als die einfache Äußerlichkeit sich wieder gegen die vielfache Äußerlichkeit des Handelns und des Schicksals, sich als Inneres gegen diese verhält. – Wenn also zuerst die bestimmte Natur und angeborene Eigentümlichkeit des Individuums zusammen mit dem, was sie durch die Bildung geworden, als das Innere, als das Wesen des Handelns und des Schicksals genommen wird, so hat es seine Erscheinung und Äußerlichkeit zuerst an seinem Munde, Hand, Stimme, Handschrift so wie an den übrigen Organen und deren bleibenden Bestimmtheiten; und alsdann erst drückt es sich weiter hinaus nach außen an seiner Wirklichkeit in der Welt aus.« (210 f. | 174 f.)
Alle ›geistigen‹ Tätigkeiten und alle ›Inhalte‹ sind durch ein ›Tun‹ und damit durch Aktivitäten von Organen vermittelt: Das sinnvolle Sprechen braucht Zunge, Mund und Ohren, das leise Denken und Vorstellen bedarf eines funktionstüchtigen Gehirns, das Handeln bedarf zumeist einer Hand, sofern es nicht durch Bewegungen anderer Körperteile ausgeführt wird usf. Es braucht dabei nicht geleugnet zu werden, dass manches Typische einer Person an ihrer Hand und Handschrift abzulesen ist. Insbesonde-
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re kann man am Reden und Handeln die (innere) Bildung einer Person erkennen, jedenfalls manche Unbildungen und Mängel. Was einer alles nicht sagt oder tut, lässt aber immer noch vieles o=en, was er trotzdem weiß oder tun kann. Das Problem ist, dass Chiromantiker und Physiognomen aus einem bloßen Teil des Leibes und seinem Aussehen etwas über die gesamte Person, insbesondere auch über ihr in der Zukunft liegendes Tun für aussagbar halten. Die Physiologie und Neurophysiologie unserer Zeit ist hier glücklicherweise bescheidener geworden als die Physiognomik damals. Denn auch wenn sich einige Charaktereigenschaften aus der Handschrift oder dem Gesicht ablesen lassen, viel ist es am Ende nicht. Es wird insbesondere unterschätzt, dass ein Wissen über viele notwendige Bedingungen sine qua non sich nicht einfach zu einem Wissen über hinreichende Bedingungen aufsummiert. Das Problem wird besonders relevant im Bereich des Sinnverstehens symbolischen Handelns, Redens und Denkens. Denn kein noch so gesundes Gehirn hilft weiter ohne eine Kulturtradition einer Sprach- und Wissensvermittlung, deren holistische Vernetzungen und geschichtliche Tiefendimension jede zeitlokale un e;zienzkausale Erklärung des Verstehens, das kein bloßes schematisches Operieren mit Zeichen ist, in das Reich des Mythos, des leeren Redens, verweist. 317
»Weil nun diese Mitte sich als die Äußerung bestimmt, welche zugleich ins Innere zurückgenommen ist, ist ihr Dasein nicht auf das unmittelbare Organ des Tuns eingeschränkt; sie ist vielmehr die nichts vollbringende Bewegung und Form des Gesichts und der Gestaltung überhaupt. Diese Züge und ihre Bewegung sind nach diesem Begri=e das zurückgehaltene, an dem Individuum bleibende Tun und nach seiner Beziehung auf das wirkliche Tun das eigne Beaufsichtigen und Beobachten desselben, Äußerung als Reflexion über die wirkliche Äußerung. – Das Individuum ist zu und bei seinem äußern Tun darum nicht stumm, weil es dabei zugleich in sich reflektiert ist, und es äußert dies in sich Reflektiertsein; dies theoretische Tun oder die Sprache des Individuums mit sich selbst darüber ist auch vernehm-
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lich für andere, denn sie ist selbst eine Äußerung [sic!, hier wird noch einmal ganz klar, dass Denken wesentlich Rede ist, PSW].« (211 | 175)
Die ›Mitte‹ in der Vermittlung von Inhalt und Tun ist nicht bloß ein Teilorgan wie Zunge oder Hand, sondern der gesamte Leib und sein gesamtes Tun. Die Äußerung des Inneren kann sich nur im Tun der gesamten Person zeigen. Dennoch will man im Gesicht den allgemeinen Charakter der Person ergründen. Richtig ist dabei immerhin dieses: Der Gesichtsausdruck ist (oft) »Äußerung als Reflexion über die wirkliche Äußerung«. Denn wir müssen häufig auch das Mienenspiel beobachten, um zu sehen, ob eine Aussage ›ernst‹ oder ›ironisch‹ gemeint ist. Die Miene ist also zum Teil vom Sprecher intendiert. Daher gehört auch diese Form der Performation zum Denken und Inhalt des Sprechens, sogar zur ›Sprache des Individuums mit sich selbst‹ – und ist, soweit das Mienenspiel nicht bloß geschauspielert ist, selbst ein Teil der sprachlichen Äußerung. Eine philosophische oder auch linguistische Semantik, die von diesen performativen Haltungen abstrahierte und nur Sätze oder gar bloß mathematisierte Satzschemata betrachtete, bliebe systematisch halbiert, sozusagen provinziell. Sie würde die Bedeutsamkeit der Di=erenz zwischen Vollsprache (mit ›Physiognomik‹), bloßer Lautsprache und Schrift nicht ernst genug nehmen. Es gibt also sowohl ein ›Lügen‹ auf der Ebene des Sagens als auch auf der Ebene der ›Physiognomik‹, also des Mienenspiels, unter Einschluss etwa der Handbewegungen. Die entsprechenden Äußerungen sind selbst schon ein symbolisches Handeln gemäß allgemeinen, sozialen Formen. »An diesem Innern, welches in seiner Äußerung Inneres bleibt, wird also das Reflektiertsein des Individuums aus seiner Wirklichkeit beobachtet, und es ist zu sehen, welche Bewandtnis es mit dieser Notwendigkeit hat, die in dieser Einheit gesetzt ist. – Dies Reflektiertsein ist zuerst verschieden von der Tat selbst und kann also etwas anderes sein und für etwas anderes genommen werden, als sie ist; man sieht es einem am Gesicht an, ob es ihm Ernst mit dem ist, was er sagt oder tut [sic!, PSW]. – Umgekehrt aber ist dieses, was Ausdruck des Innern
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sein soll, zugleich seiender Ausdruck und fällt hiemit selbst in die Bestimmung des Seins herunter, das absolut zufällig für das selbstbewußte Wesen ist [sic!, man kann etwa das Mienenspiel vorgetäuschten Ernstes für das Theater willkürlich zu produzieren lernen, PSW]. Es ist daher wohl Ausdruck, aber zugleich auch nur wie ein Zeichen, so daß dem ausgedrückten Inhalte die Bescha=enheit dessen, wodurch es ausgedrückt wird, vollkommen gleichgültig ist. Das Innere ist in dieser Erscheinung wohl sichtbares Unsichtbares, aber ohne an sie geknüpft zu sein; es kann ebensowohl in einer andern Erscheinung sein, als ein anderes Inneres in derselben Erscheinung sein kann. – Lichtenberg sagt daher mit Recht: Gesetzt, der Physiognom haschte den Menschen einmal, so käme es nur auf einen braven Entschluß an, sich wieder auf Jahrtausende unbegreiflich zu machen. – Wie in dem vorhergehenden Verhältnisse die vorliegenden Umstände ein Seiendes waren, woraus die Individualität sich das nahm, was sie vermochte und wollte, entweder sich ihm ergebend oder es verkehrend, aus welchem Grunde es die Notwendigkeit und das Wesen der Individualität nicht enthielt, – ebenso ist hier das erscheinende unmittelbare Sein der Individualität ein solches, das entweder ihr Reflektiertsein aus der Wirklichkeit und ihr Insichsein ausdrückt oder das für sie nur ein Zeichen ist, das gleichgültig gegen das Bezeichnete [ist, PSW] und darum in Wahrheit nichts bezeichnet; es ist ihr ebensowohl ihr Gesicht als ihre Maske, die sie ablegen kann. – Sie durchdringt ihre Gestalt, bewegt sich, spricht in ihr; aber dies ganze Dasein tritt ebenso als ein gleichgültiges Sein gegen den Willen und die Handlung über; sie tilgt an ihm die Bedeutung, die es vorhin hatte, ihr Reflektiertsein in sich oder ihr wahres Wesen an ihm zu haben, und legt es umgekehrt vielmehr in den Willen und in die Tat.« (211 f. | 176)
Gerade weil auch die Mimik Handlung ist, lässt sie sich sowohl formen als auch, wenn man es kann, beliebig reproduzieren. Daher wissen wir, dass sich alle möglichen je explizit gemachten physiognomischen Gesetze und Vorhersagen widerlegen lassen: So gut schauspielern können wir am Ende alle. Das Argument ist von der Form her hochbedeutsam. Es betri=t nämlich jeden Versuch der prognostischen Erklärung eines
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Handelns durch angebliche äußerlich feststellbare Ursachen. Hier sieht und schließt der Physiker Lichtenberg klarer als alle Physikalisten der späteren Zeit: Jede derartige Prognose kann man handelnd konterkarieren. Also sind die Prognose und die vorgebliche Kausalerklärung falsch. Heute hält man diesen absolut richtigen und robusten Schluss für einen Fehlschluss, und zwar weil man die nominalisierenden Reden von Ursachen transzendent so hypostasiert, dass sie abgelöst werden von realen Erklärungen, die man bloß epistemisch liest, statt als die einzige Realität der Kausalität (im Sinne einer causa e;ciens). Dass man damit eine am Sonntag gepredigte empiristische Metaphysikkritik am Werktag seines eigenen Argumentierens schon wieder vergessen hat, bemerkt man nicht. Auf der anderen Seite wird dem Aussehen etwa des Gesichts oft allzu viel an ›Information‹ zugeschrieben. Man meint, an der Physiognomie den Halunken oder Verbrecher erkennen zu können. Die Dummheit dieses Glaubens geht tiefer, als man glaubt. Sie ist selbst ein Verbrechen, wie Hegel mit Georg Christoph Lichtenberg weiter unten sagen und zeigen wird, und zwar gerade weil man die realen Taten der Person nicht gegen die eigenen Vorurteile ins Feld führt. Diese verbrecherische Torheit in Bezug auf ein ganzes Volk, die Juden, und ihre angebliche Physiognomie grassierte zwar in ganz Europa, führte aber nur in Deutschland zu der Katastrophe des Holocaust. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Aufklärer Lichtenberg leider zu den ersten rassistischen (biologischen) Antisemiten in unserem Land zählt. Das zeigt, dass allgemeine Einsichten vor besonderen Fehlurteilen keineswegs schützen: Lichtenberg kritisiert zwar die Physiognomik als unwissenschaftlich, ist aber selbst Antisemit93 und lässt physiognomische Vorurteile hier sogar explizit zu. In unserem »Die Juden, die sich in die Gesellschaft aller Völker eingeschachert haben. Dieses verrät schon das Ungeziefermäßige«, G. C. Lichtenberg, Schriften und Briefe I–IV, Hg. Wolfgang Promies, München (Carl Hanser) 1968, Band I, S. 903; vgl. auch S. 934 und 942. 93
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Kontext zitiert Hegel Lichtenberg für die Einsicht, dass wir jedes vermeintliche Wissen über die physiognomische Erkennbarkeit des ›eigentlichen‹ Wesens, des Charakters, immer auch schauspielernd unterlaufen könnten. Wir können eben auch mimisch Rollen spielen, wozu die Doppeldeutigkeit von ›persona‹ als durchtönende Theatermaske und als Trägerin echter Rollen passt. 319
»Die Individualität gibt dasjenige in sich Reflektiertsein auf, welches in den Zügen ausgedrückt ist, und legt ihr Wesen in das Werk. Hierin widerspricht sie dem Verhältnisse, welches von dem Vernunftinstinkte, der sich auf das Beobachten der selbstbewußten Individualität legt, in Ansehung dessen, was ihr Inneres und Äußeres sein soll, festgesetzt wird. Dieser Gesichtspunkt führt uns auf den eigentlichen Gedanken, der der physiognomischen – wenn man so will – Wissenschaft zum Grunde liegt. Der Gegensatz, auf welchen dies Beobachten geraten, ist der Form nach der Gegensatz von Praktischem und Theoretischem, beides nämlich innerhalb des Praktischen selbst gesetzt, – von der sich im Handeln, dies im allgemeinsten Sinne genommen, verwirklichenden Individualität und derselben, wie sie in diesem Handeln zugleich daraus heraus, in sich reflektiert und es ihr Gegenstand ist. Das Beobachten nimmt diesen Gegensatz nach demselben verkehrten Verhältnisse auf, worin er sich in der Erscheinung bestimmt. Für das unwesentliche Äußere gilt ihm die Tat selbst und das Werk, es sei der Sprache oder einer befestigteren Wirklichkeit, – für das wesentliche Innere aber das Insichsein der Individualität. Unter den beiden Seiten, welche das praktische Bewußtsein an ihm hat, dem Beabsichtigen und der Tat – dem Meinen über seine Handlung und der Handlung selbst – wählt die Beobachtung jene Seite zum wahren Innern; dieses soll seine mehr oder weniger unwesentliche Äußerung an der Tat, seine wahre aber an seiner Gestalt haben. Die letztere Äußerung ist unmittelbare sinnliche Gegenwart des individuellen Geistes; die Innerlichkeit, die die wahre sein soll, ist die Eigenheit der Absicht und die Einzelnheit des Fürsichseins; beides der gemeinte Geist. Was das Beobachten zu seinen Gegenständen hat, ist also gemeintes Dasein, und zwischen solchem sucht es Gesetze auf.« (212 f. | 176 f.)
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Man hätte die Kritik am Intentionalismus vielleicht besser ohne die Verbindung mit der Physiognomik diskutiert. Aber um eine solche Kritik geht es hier. Wir können sprachlich lügen und mimisch schauspielern. Daher bedarf es der begri=lichen Unterscheidung zwischen dem wirklich gemeinten Inhalt und dem, was dem bloßen Anschein nach unsere Äußerungen, auch die Mienen oder das Gesicht bzw. die Körperhaltung ›ausdrücken‹. Wie ist nun dieses Verhältnis zwischen Ausdruck und Meinung, oberflächlichem Zuschreiben von Gehalten und dem wahren ›geistigen Zustand‹ zu verstehen? Als drastischen Prototypen des Fehlers betrachtet Hegel die Attraktivität der Physiognomik als einer ›Wissenschaft‹: Man möchte erstens formal das Verhalten der Leute erklären und vorhersagen und wünscht sich zweitens einfach einen absolut sicheren ›Lügendetektor‹. Hier finden wir auch eine interessante Verbindung zwischen der Pseudowissenschaft Physiognomik des 18. Jahrhunderts und den etwas ausschweifenden Versprechungen, wie man sie in manchen Selbstdarstellungen moderner Kognitionswissenschaften immer noch findet. Man verspricht, direkt ins Gehirn zu sehen und dort die Gedanken lesen zu können. Dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass man leise Repräsentationen von Sätzen sehbar machen kann: Leise zu reden bedarf ebenso eines Trägermediums wie das laute Sprechen. Was aber jenseits der Möglichkeiten liegt, rein physiologisch erfahrbar zu werden, ist die semantische Beziehung zwischen Ausdruck und Inhalt. Diese ist, wie Hegel sieht, erstens normativ und zweitens als solche kooperationstheoretisch konstituiert und eben damit, drittens, geschichtlich verfasst. Die Implementierung der Verbindung von Denken und Tun kann bei jeder Person ohnehin anders sein, zumal es ›Geheimsprachen‹ gibt. Es gibt o=ensichtliche Probleme, von den Wörtern oder Sätzen bloß als Figuren auf den Inhalt zu schließen, da es hier auch noch der Beurteilung von Kontext, dann doch auch der besonderen Redeabsichten und Sprechaktmodi, etwa der Metapher und Analogie, besonders aber der möglichen Ironie bedarf. Trotz die-
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ser Tatsache, welche eng mit der Di=erenz zwischen Satz und Sprechakt zusammenhängt, sollen schon in Indien gehirnphysiologische ›Verfahren‹ des mind-reading in Gerichtsverfahren Eingang finden – was weniger als Zeichen des Fortschritts als eines falschen Glaubens an die Wissenschaft zählen sollte. Denn es bleibt richtig, dass man hier jedes vermeintliche Gesetz der Deutung oder Vorhersage, wenn es denn explizit artikuliert ist, entweder unmittelbar oder über kurz oder lang frei handelnd unterlaufen kann. Daran ist nicht sinnvoll zu zweifeln. Immerhin liegt dem Ansatz der Beobachtung der Äußerungen von Inhalten der richtige Standpunkt zugrunde, dass sich jedes Wissen und insbesondere jedes geistige Wesen irgendwie äußert. Die Ambivalenz besteht darin, dass die Äußerung – etwa aufgrund von Argumenten wie dem eben vorgetragenen – als das Unwesentliche gilt. Die Intention, die innere Meinung oder das Denken, der Inhalt gilt als das Wahre. Doch auch das ist falsch. Denn Inhalte gibt es nicht ohne Trägerhandlungen. Auch der ›psychologische‹ Zustand kann nicht ohne Bezugnahme auf Verhaltens- und Handlungsformen als solcher begri=en werden. Es ist daher unmöglich, eine Innerlichkeit als ›Absicht‹ zu deuten, zu der man über direkte Beobachtung durchstoßen möchte. Wenn man das beobachtbare ›praktische‹ Tun nicht unter Rückgri= auf unser Wissen über die Rolle der Aktualisierung von Vollzugsformen versteht, sondern unter Zuschreibung ›theoretischer‹ Erklärungen als kausal hervorgebracht begreifen möchte, droht nicht bloß die Gefahr von Kategorienfehlern und damit von Unwissenschaft, sondern Schlimmeres, nämlich die systematische Missachtung des freien Könnens und Handelns von Personen. 320
»Das unmittelbare Meinen über die gemeinte Gegenwart des Geistes ist die natürliche Physiognomik, das vorschnelle Urteil über die innere Natur und den Charakter ihrer Gestalt bei ihrem ersten Anblicke. Der Gegenstand dieser Meinung ist von der Art, daß es in seinem Wesen liegt, in Wahrheit etwas anderes zu sein als nur sinnliches unmittelbares Sein. Es ist zwar auch eben dieses im Sinnlichen aus ihm in sich Reflektiertsein, was gegenwärtig, die Sichtbarkeit als
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Sichtbarkeit des Unsichtbaren, was Gegenstand des Beobachtens ist. Aber eben diese sinnliche unmittelbare Gegenwart ist Wirklichkeit des Geistes, wie sie nur für die Meinung ist; und das Beobachten treibt sich nach dieser Seite mit seinem gemeinten Dasein, mit der Physiognomie, Handschrift, Ton der Stimme usf. herum. – Es bezieht solches Dasein auf eben solches gemeintes Inneres. Es ist nicht der Mörder, der Dieb, welcher erkannt werden soll, sondern die Fähigkeit, es zu sein; die feste abstrakte Bestimmtheit verliert sich dadurch in die konkrete unendliche Bestimmtheit des einzelnen Individuums, die nun kunstreichere Schildereien erfordert, als jene Qualifikationen sind. Solche kunstreichen Schildereien sagen wohl mehr als die Qualifikation durch Mörder, Diebe, oder gutherzig, unverdorben usf., aber für ihren Zweck, das gemeinte Sein oder die einzelne Individualität auszusprechen, bei weitem nicht genug, so wenig als die Schildereien der Gestalt, welche über die flache Stirne, lange Nase usf. hinausgehen. Denn die einzelne Gestalt wie das einzelne Selbstbewußtsein ist als gemeintes Sein unaussprechlich. Die Wissenschaft der Menschenkenntnis, welche auf den vermeinten Menschen, so wie [die] der Physiognomik, die auf seine vermeinte Wirklichkeit geht und das bewußtlose Urteilen der natürlichen Physiognomik zu einem Wissen erheben will, ist daher etwas End- und Bodenloses, das nie dazu kommen kann, zu sagen, was es meint, weil es nur meint und sein Inhalt nur Gemeintes ist.« (213 f. | 177 f.)
Beobachtet wird in ›physiognomischen‹ Wissensansprüchen etwas gegenwärtig Vorhandenes, durch welches etwas Unsichtbares sichtbar gemacht werden soll. Doch die unsichtbare eigentliche ›Meinung‹ wird den Personen nur zugeschrieben und ist daher bloß je die Meinung der Zuschreiber, welche die Physiognomie, Handschrift, den Ton der Stimme zum Anlass für ihre weitgehend arbiträren Zuschreibungen nehmen. Ein kontrolliertes Wissen entsteht so nicht. Verdeckt wird diese Tatsache durch die vagen Zuschreibungen von Dispositionen, Neigungen, Möglichkeiten und angeblich bloß zufällig nicht ergri=enen oder aktualisierten Fähigkeiten. Man sagt, jemand sei dispositionell ein Lügner oder Mörder oder Dieb, obwohl er nie jemanden betrogen, getötet oder
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bestohlen hat; aber er ›würde‹, wären die Umstände anders als sie sind, das Verbrechen begehen. Man meint, das an seiner Physiognomie zu sehen oder an seiner Haltung ablesen zu können. Oder es wird seiner Herkunft oder Rasse zugeschrieben, wie wir nur allzu schmerzlich wissen. Analoges gilt für eine vermeintliche Gutherzigkeit, die sich leider nur nie äußern konnte usf. Eine derartige Zuschreibung von Dispositionen, die ›tiefer‹ in das Wesen gesetzt werden als die bloße Beobachtung des realen Tuns, erweist sich in ihrer Willkür als bodenlos: Jeder Inhalt ist vom Zuschreiber bloß ›vermeint‹. Er meint, er sei dem Inneren auf der Spur. Mancher meint dann oft selbst, sich selbst allerlei Fähigkeiten zuschreiben zu können.94 Dass die Physiognomik des 18. Jahrhunderts eine Pseudowissenschaft ist, ist weniger interessant, als warum sie es ist: 321
»Die Gesetze, welche diese Wissenschaft zu finden ausgeht, sind Beziehungen dieser beiden gemeinten Seiten und können daher selbst nichts als ein leeres Meinen sein. Auch da dies vermeinte Wissen, das mit der Wirklichkeit des Geistes sich zu tun macht, gerade dies zu seinem Gegenstande hat, daß er aus seinem sinnlichen Dasein heraus sich in sich reflektiert, und das bestimmte Dasein für ihn eine gleichgültige Zufälligkeit ist, so muß es bei seinen aufgefundenen Gesetzen unmittelbar wissen, daß nichts damit gesagt ist, sondern eigentlich rein geschwatzt oder nur eine Meinung von sich gegeben wird; ein Ausdruck, der die Wahrheit hat, dies als dasselbe auszusprechen, – seine Meinung zu sagen und damit nicht die Sache, sondern nur eine Meinung von sich beizubringen. Dem Inhalte nach aber können diese Beobachtungen nicht von denen abweichen: ›Es regnet allemal, wenn wir Jahrmarkt haben, sagt der Krämer; und auch allemal, wenn ich Wäsche trockne, sagt die Hausfrau.‹« (214 | 178) Die Gefahren dieser Zuschreibungen und Selbstzuschreibungen zeigen sich schön im psychoanalytischen Rede-Spiel, das eine ganze Epoche für ›wissenschaftlich‹ gehalten hat, während es heute weitgehend aus der ›wissenschaftlichen Mode‹ gekommen ist. 94
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Schöner kann diese Art, ›empirisch‹ Wissenschaft zu treiben, nicht ironisiert werden. Durch Zuschreibungen von geistigen Dispositionen auf der Basis bloß relativer Häufigkeiten, die man mehr oder minder zufällig beobachtet hat, entstehen wissenschaftliche Pseudoerklärungen, in denen nichts gewusst, sondern bloß geschwatzt wird. Eben das zeigt die geniale Parallele zum Gespräch des Krämers mit der Hausfrau: Dieser beklagt sich, dass es ›immer‹ regne, wenn Jahrmarkt sei; jene erwidert, und das nicht einmal ironisch, ihr gehe es beim Wäschetrocknen ähnlich. »Lichtenberg, der das physiognomische Beobachten so charakterisiert, sagt auch noch dies: ›Wenn jemand sagte, du handelst zwar wie ein ehrlicher Mann, ich sehe es aber aus deiner Figur, du zwingst dich und bist ein Schelm im Herzen; fürwahr eine solche Anrede wird bis ans Ende der Welt von jedem braven Kerl mit einer Ohrfeige erwidert werden.‹ – Diese Erwiderung ist deswegen tre=end, weil sie die Widerlegung der ersten Voraussetzung einer solchen Wissenschaft des Meinens ist, daß nämlich die Wirklichkeit des Menschen sein Gesicht usf. sei. – Das wahre Sein des Menschen ist vielmehr seine Tat [sic!, PSW]; in ihr ist die Individualität wirklich, und sie ist es, welche das Gemeinte in seinen beiden Seiten aufhebt. Einmal das Gemeinte als ein leibliches ruhendes Sein; die Individualität stellt sich vielmehr in der Handlung als das negative Wesen dar, welches nur ist, insofern es Sein aufhebt. Alsdenn hebt die Tat die Unaussprechlichkeit der Meinung ebenso in Ansehung der selbstbewußten Individualität auf, welche in der Meinung eine unendlich bestimmte und bestimmbare ist. In der vollbrachten Tat ist diese schlechte Unendlichkeit vernichtet. Die Tat ist ein einfach Bestimmtes, Allgemeines, in einer Abstraktion zu Befassendes; sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen [sic!, PSW], sondern die Sache selbst. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist; in der Einfachheit dieses Seins ist er für andere seiendes, allgemeines Wesen und hört auf, nur Gemeintes zu sein. Er ist zwar darin nicht als Geist gesetzt; aber indem von seinem Sein als Sein die Rede und einerseits das gedoppelte Sein, der Gestalt und der Tat, sich
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gegenübersteht und jene wie diese seine Wirklichkeit sein soll, so ist vielmehr nur die Tat als sein echtes Sein zu behaupten, – nicht seine Figur, welche das ausdrücken sollte, was er zu seinen Taten meint [sic!, PSW], oder was man meinte, daß er tun nur könnte [sic!, PSW]. Ebenso indem andererseits sein Werk und seine innere Möglichkeit, Fähigkeit oder Absicht [sic!, PSW], entgegengesetzt werden, ist jenes allein für seine wahre Wirklichkeit anzusehen, wenn auch er selbst sich darüber täuscht und, aus seiner Handlung in sich gekehrt, in diesem Innern ein anderes zu sein meint als in der Tat. Die Individualität, die sich dem gegenständlichen Elemente anvertraut, indem sie zum Werke wird, gibt sich damit wohl dem preis, verändert und verkehrt zu werden. Aber den Charakter der Tat macht eben dies aus, ob sie ein wirkliches Sein ist, das sich hält, oder ob nur ein gemeintes Werk [sic!, PSW], das in sich nichtig vergeht. Die Gegenständlichkeit verändert nicht die Tat selbst, sondern zeigt nur, was sie ist, d. h. ob sie ist, oder ob sie nichts ist. – Die Zergliederung dieses Seins in Absichten [sic!, PSW] und dergleichen Feinheiten, wodurch der wirkliche Mensch, d. h. seine Tat, wieder in ein gemeintes Sein zurückerklärt werden soll [sic!, PSW], wie er wohl selbst auch sich besondere Absichten über seine Wirklichkeit erscha=en mag [sic!, PSW], müssen dem Müßiggange der Meinung überlassen bleiben, der, wenn er seine tatenlose Weisheit ins Werk richten, den Charakter der Vernunft am Handelnden ableugnen und ihn auf diese Weise mißhandeln will, daß er statt der Tat vielmehr die Figur und die Züge für das Sein desselben erklären will, die obige Erwiderung zu befahren hat, die ihm erweist, daß Figur nicht das Ansich ist, sondern vielmehr ein Gegenstand der Behandlung sein kann.« (214–216 | 177–179)
Derselbe Lichtenberg, der es sich verbittet, dass seine Werke ins Hebräische übersetzt werden, weil er den Juden einen Charakter der Unfähigkeit zu moralischer Kooperation andichtet, was den geradezu niederträchtigen Kern jedes Antisemitismus ausmacht, sieht im parallelen individuellen Fall erstaunlich klar. Man kann mit einer Person nicht weiter diskutieren, wenn diese so argumentiert: Es sieht zwar nach allem, was du tust, so aus, als tätest du es ehrlich, aber in Wirklichkeit zwingst du dich bloß
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dazu, damit es so scheine, in Wirklichkeit bist du ›in dem Herzen‹ oder ›im Inneren‹ ein Schelm. Im Fall der willkürlichen Verdächtigung, sogar bei guten Taten, empfehlen Lichtenberg und Hegel also ›den Stock‹, das argumentum ad baculum, nicht etwa eine Widerlegung des ›Arguments‹. Es kann allerdings trotzdem sein, dass jemand bloß vor sich und anderen fromm und gerecht erscheinen möchte, es aber nicht ist. In jedem Fall aber müssen wir mit Dispositionsaussagen sehr vorsichtig umgehen. Daher wird hier auch nur ein Argument als unsäglich abgelehnt und angegri=en, das schematisch mit ›theoretischen‹ Möglichkeiten rechnet und das Bestehen allgemeiner Gesetze (auch des Wahrscheinlichen) unmittelbar aus einem äußeren Anschein ableitet. In der Tat entsteht aus einer Überschätzung des äußeren Anscheins und unser Theorien über die Charaktere der Menschen eine völlig falsche Haltung zum Verhältnis wirklich beobachteter Taten und der Zuschreibung von ethischen Haltungen und ›Absichten‹. Gegen eine Hermeneutik des Verdachts, eine nichtnachsichtige Deutung der ›Motive‹ der Menschen, eine ›böse Motive‹ suggerierende ›Genealogie‹ der Moral als einer angeblich bloß angeblichen ›Tugend‹ hilft kein theoretisches Argument. Es hilft oft nur, derartige Leute unter sich zu lassen bzw. auf die reine Willkür ihrer Meinungen zu verweisen. Der Glaube an Außerirdische und an Verschwörungstheorien bestätigt nur die subjektive Absolutheit freien Urteilens. Leider hat Lichtenberg nicht gemerkt, dass sein eigenes Argument auch seinen Antisemitismus tri=t. Es sind also die Taten, nicht die willkürlich zugeschriebenen ›Motive‹ und ›Absichten‹ zu beurteilen. Von den Taten kann gesagt werden, was sie sind, jenseits von bloßen ›Meinungen‹, also bloßen Zuschreibungen von Dispositionen. Das heißt nicht, dass nicht auch die Rede über Vorsätze und Absichten wichtig wird. Es bedeutet aber, dass wir vorsichtig sein müssen, wenn wir mit Zuschreibungen hantieren. Wir werden allerdings noch sehen, dass auch Selbstzuschreibungen problematisch werden können, dass es also nur eine bedingte Autorität der ersten Person gibt, wo
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es um die Frage geht, was denn ihre wirkliche Intention gewesen ist oder ist. Wahre Intentionen werden sozusagen ausgehandelt. Hegel spricht mit Recht höchst ironisch von subtilen ›Feinheiten‹ der psychologischen und physiognomischen Zuschreibungen von Dispositionen, Fähigkeiten und Absichten jenseits robuster Tatsachen und von einem »Müßiggange der Meinung«. Mancher leugnet die Ehrlichkeit der ›Tugend‹ überhaupt, ein anderer zweifelt an der Existenz ethischer Vernunft. Gerade auch Nietzsche fällt der ›Hermeneutik des Verdachts‹ zum Opfer und sieht nicht, dass beliebige freie Zuschreibungen von Intentionen immer möglich sind. Nicht besser steht es mit der These des Prädeterminismus. Gerade in der Neuropsychologie und der philosophy of mind der Gegenwart ist zwischen Wissen, Glauben und Aberglauben noch nicht klar genug geschieden. 323
»Sehen wir nun auf den Umfang der Verhältnisse überhaupt, in welchen die selbstbewußte Individualität zu ihrem Äußern stehend beobachtet werden kann, so wird eines zurück sein, welches die Beobachtung sich noch zu ihrem Gegenstande machen muß. In der Psychologie ist es die äußere Wirklichkeit der Dinge, welche an dem Geiste ihr sich bewußtes Gegenbild haben und ihn begreiflich machen soll. In der Physiognomik dagegen soll er in seinem eignen Äußern als in einem Sein, welches die Sprache – die sichtbare Unsichtbarkeit [sic!, PSW] seines Wesens – sei, erkannt werden. Noch ist die Bestimmung der Seite der Wirklichkeit übrig, daß die Individualität an ihrer unmittelbaren, festen, rein daseienden Wirklichkeit ihr Wesen ausspreche. – Diese letzte Beziehung unterscheidet sich also von der physiognomischen dadurch, daß diese die sprechende Gegenwart des Individuums ist, das in seiner handelnden Äußerung zugleich die sich in sich reflektierende und betrachtende darstellt, eine Äußerung, welche selbst Bewegung ist, ruhende Züge, welche selbst wesentlich ein vermitteltes Sein sind. In der noch zu betrachtenden Bestimmung aber ist endlich das Äußere eine ganz ruhende Wirklichkeit, welche nicht an ihr selbst redendes Zeichen [ist], sondern getrennt von der selbstbewußten Bewegung sich für sich darstellt und als bloßes Ding ist.« (216 f. | 179 f.)
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»Sichtbare Unsichtbarkeit« ist ein schöner Ausdruck für die Sprache, die das Wesen von etwas darstellt, und dabei immer auch missverstanden werden kann. Wenn wir das Gesamt der Verhältnisse betrachten, in welcher je ich an einem Selbst-Wissen das Äußere des je meinigen, also eigenen, Seins zu beobachten habe, so ist noch ein Punkt o=en. In der empirischen Psychologie soll das Mentale oder der Geist eine Art Gegenbild zum äußeren Verhalten sein. In der Physiognomik soll die Äußerung des Geistes, wie sie sich in Gesichtszügen und Haltungen zeigt, auf geistige und mentale Dispositionen zurückzuschließen erlauben. In beiden Fällen wird eine psychophysische Wechselwirkung unterstellt: Im ersten Fall erklärt man das Verhalten durch geistige oder mentale Prozesse. Im zweiten erklärt man eine habituelle Mimik, ein einzelnes Verhalten oder auch einen Habitus durch Zuschreibung von dispositionellen Charakteren. In beiden Fällen schließt man aus der Beobachtung auf das Psychische bzw. auf eine Erklärung des Beobachtbaren durch eine Zuschreibung von psychischen Prozessen oder Zuständen. Im ersten Fall stammt die Kenntnis des Inneren aus einer Art Selbstbeobachtung. Im zweiten stammt sie aus einer Art theoretischen Fremd- oder Selbstzuschreibung. Im Hintergrund stehen mentale oder psychische Theorien. Hegel möchte jetzt einen dritten Fall betrachten, dem zufolge sich die ›Individualität‹ oder das Besondere des psychisch-geistigen ›Charakters‹ oder ›Wesens‹ einer Person unmittelbar in einer stabilen Realität der Wirklichkeit ihres allgemeinen Verhaltens und Handelns ohne Vermittlung arbiträrer Theorien zeigt. Im Sprechen zeigen sich die erklärten Absichten und im Handeln zeigen sich die wirklichen Absichten. Auf hypothetische bzw. hermeneutisch-zugeschriebene Absichten, Wünsche oder andere mentale Zustände und Dispositionen wird nach Möglichkeit verzichtet. Zugleich werden das bloß äußere Verhalten und die bloße Körpergestalt, die beide ganz verschiedene Ursachen haben können, nicht schon unmittelbar als Zeichen eines inneren Wesens verstanden, sondern man bleibt sich dessen bewusst, dass wir,
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wenn es uns um das Wissen um die Wünsche und Absichten einer anderen Person geht, sie danach fragen müssen und diese nicht zu ›erraten‹ versuchen sollen. Zwar kann der Befragte lügen. Aber er ist in der Frage immerhin schon als Person anerkannt. Damit rücken die Expressionen von Absichten im dialogischen Sprachgebrauch und reflektorischen Selbstgespräch in das Zentrum der Betrachtung. Auch das Denken wird dabei zurückverwandelt in das, was es ist: Es besteht im Vollziehen lauter oder leiser Sprech- oder Denkakte, in der expressiven Aktualisierung von Sprech- oder Denkhandlungen, jenseits bloßer Zuschreibungen von Inhalten. Expressive Vollzüge sind unmittelbar absolut. Das gilt selbst für das Lügen. Die Inhalte sind relational zur Geltung der Aussagen. Expressionen als solche aber sind Wahrmacher: Wenn ich lüge, mache ich mich zum Lügner. Das gilt für Zuschreibungen und Selbstzuschreibungen von Inhalten, Meinungen oder Absichten o=enbar gerade nicht. Das ›Haben‹ von Gedanken beginnt also mit dem wirklichen expressiven Vollzug, nicht mit der Zuschreibung von Dispositionen oder mentalen Zuständen. 324
»Zunächst erhellt über die Beziehung des Innern auf dies sein Äußeres, daß sie als Verhältnis des Kausalzusammenhangs begriffen werden zu müssen scheint, indem die Beziehung eines an sich Seienden auf ein anderes an sich Seiendes, als eine notwendige, dies Verhältnis ist.« (217 | 180)
Wenn wir das äußere Verhalten durch die inneren Zustände erklären, scheint es so zu sein, als wären letztere kausale Ursachen. Man meint, es gäbe Gesetze, welche mentales Geschehen an sich, also qua Typ, mit einem äußeren typischen Verhalten an sich auf notwendige Weise verbinden. Das setzt voraus, dass die Bestimmungen des ›Inneren‹ tatsächlich unabhängig wären von dem, was äußerlich beobachtbar ist. Aber es ist nicht einmal klar, ob es ein eigenes mentales Geschehen gibt. Vielmehr ist die Beziehung zwischen dem inhaltlichen bzw. theoretischen Inneren und dem Äußeren gar kein Kausalverhältnis, sondern ein logisches Verhältnis, ähnlich wie wir das am Verhältnis zwischen Kräften
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und ihren Wirkungen einerseits, und zwischen Absichten und Handlungen andererseits schon gesehen haben. Der dramatische Fehler liegt in der Identifikation des räumlichen Inneren (des Gehirns) teils mit dem semantischen Inneren der Inhalte, teils mit dem theoretischen Inneren dispositioneller Erklärung. »Daß nun die geistige Individualität auf den Leib Wirkung habe, muß sie als Ursache selbst leiblich sein [sic!, PSW]. Das Leibliche aber, worin sie als Ursache ist, ist das Organ [etwa das Gehirn, PSW], aber nicht des Tuns gegen die äußere Wirklichkeit, sondern des Tuns des selbstbewußten Wesens in sich selbst, nach außen nur gegen seinen Körper [es geht um Steuerungen des eignen Bewegungsapparats, PSW]; es ist nicht sogleich abzusehen, welches diese Organe sein können [dass das Gehirn gemeint sein könnte, war also ein Vorgri= des Lesers, PSW]. Würde nur an die Organe überhaupt gedacht, so würde das Organ der Arbeit überhaupt leicht bei der Hand sein, ebenso das Organ des Geschlechtstriebes und so fort. Allein solche Organe sind als Werkzeuge oder als Teile zu betrachten, welche der Geist als ein Extrem zur Mitte gegen das andere Extrem, das äußerer Gegenstand ist, hat. Hier aber ist ein Organ verstanden, worin das selbstbewußte Individuum als Extrem gegen seine eigne, ihm entgegengesetzte Wirklichkeit sich für sich erhält, nicht zugleich nach außen gekehrtes, sondern in seiner Handlung reflektiertes, und woran die Seite des Seins nicht ein Sein für anderes ist. In der physiognomischen Beziehung wird das Organ zwar auch als in sich reflektiertes und das Tun besprechendes Dasein betrachtet; aber dies Sein ist ein gegenständliches, und das Resultat der physiognomischen Beobachtung ist dieses, daß das Selbstbewußtsein gegen eben diese seine Wirklichkeit als gegen etwas Gleichgültiges gegenübertritt. Diese Gleichgültigkeit verschwindet darin, daß dies in sich Reflektiertsein selbst wirkend ist; dadurch erhält jenes Dasein eine notwendige Beziehung auf es; daß es aber auf das Dasein wirkend sei, muß es selbst ein aber nicht eigentlich gegenständliches Sein haben, und als dies Organ soll es aufgezeigt werden.« (217 | 180)
Wenn es einen wirkenden Kausalzusammenhang zwischen dem (›geistigen‹) Inneren und dem äußeren Verhalten geben
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soll, dann müsste die Ursache selbst schon leiblich sein. Dies ist eine Einsicht, auf welche die Hirnforschung der Gegenwart mit Recht großen Wert legt. Sie wird hier klarerweise akzeptiert. Diese leibliche Ursache wiederum müsste ein Geschehen in einem leiblichen Organ wie dem Gehirn oder im hirngesteuerten Nervensystem sein. Da wir die Ursache indes als Inneres von der Wirkung auf das Äußere, also vom Verhalten oder von der Bewegung des Körpers unterscheiden müssen, erscheint das innere Geschehen zugleich als ein Tun »des selbstbewussten Wesens in sich selbst« – also als das, was ›das Gehirn‹ denkt oder begehrt, erkennt oder will, als eine Art ›Haltung des Gehirns‹ gegen den Rest des Körpers, etwa den Bewegungsapparat. Hegel sagt zwar, es sei nicht sofort zu sehen, dass das Gehirn dieses relevante Organ ist. Denn die Tradition setzte das Innere teils in das Zwerchfell (phren), teil in das Herz und erst viel später in das Gehirn (wieder phren) – so dass die Phrenologie, die Hirnkunde, sozusagen eine nach oben gerutschte Bauchkunde ist. Dass das Gemüt im Bauch liegt, spürt man etwa daran, dass etwas auf dem Magen liegt. Aber auch Freuds Sexualtheorie legt alles Begehren irgendwie ins Sexuelle, wobei interessanterweise auch Hegel den Geschlechtstrieb an hervorgehobener Stelle nennt. Als Organ der Arbeit aber nennt er die Hand. Die Hand ist Werkzeug und doch nie bloß Werkzeug. Analoges gilt für den restlichen Bewegungsapparat. Ist es nun wirklich das Gehirn, worin sich »das selbstbewusste Individuum« »für sich erhält« und sich selber formt, abbildet und bildet, wie das zum Beispiel Thomas Metzinger in seinen Versicherungen zur Selbstmodellierung des Gehirns dem Publikum glauben macht?95 Wäre das so, dann wäre das Sein des Gehirns nicht (bloß) ein »Sein für Anderes«. Man könnte sich dann ›vorstellen‹, heißt das, dass es Gehirne im Tank mit Selbstbewusstsein gibt, ohne dass diese Gehirne etwas tun. Oder man könnte sich ›vorstellen‹, dass sich das Zentralorgan von einem Menschen in ein anderes Lebewesen verpflanzen oder nach Art einer Software 95
Vgl. Metzinger 1993, 2003.
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kopieren lässt, wie in dem Science-Fiction-Film Avatar. Doch Avatare sind Fabelwesen wie sprechende Hunde und Geister in Bäumen. Es ist eben, wie Hegel hier betont, ganz falsch, die Fähigkeiten eines Lebewesens mit einem statischen Körperzustand, etwa auch des Zentralorgans Gehirn, zu identifizieren. Sie hängen als (potentielle) Prozesse mit der ganzen Seinsweise der vollen Person mit Hand und Herz, Augen, Ohren und Mund, auch Gefühl und Sex, erst recht aber mit seinem ethologischen Verhalten und sozialkooperativen Handeln eng zusammen. Das Absurde des Versuchs, am Kopf den Geist zu erkunden, ist deswegen klarer als der analoge Versuch, dies über die Beobachtung von Gehirnströmen und Anregungszuständen (Potentiale) zu tun, weil der Schädel ganz o=enbar für sich ein bloßer Knochen ist, der als solcher nichts tut und gegen fast alle Lebensprozesse gleichgültig ist. Doch wenn man in die inneren Prozesse des Gehirns ›blickt‹, scheint man dem wirkenden Geschehen auf der Spur zu sein. Die Visualisierung der Aktivitäten im Gehirn in bildgebenden Verfahren, auch wenn diese selbst noch statistisch sind, also Durchschnittsbildungen enthalten, scheint hier den von Hegel noch für unmöglich gehaltenen Fortschritt in der Hirnforschung zu verbürgen. Das Gehirn wird jetzt nicht mehr bloß hypothetisch, wie bei Descartes, als Zentralorgan aufgefasst, das alle leiblichen Prozesse steuert. Wir wissen, so scheint es, dass es das ist. Hegel selbst hatte bisher übrigens das Gehirn und seine Prozesse noch gar nicht genannt, sondern erinnert nur erst daran, dass man früher den Zorn in die Leber verlegt hat, den Ärger in die Galle, so wie heute bestimmte Gehirnregionen (angeblich ausschließlich) für das Sehen, Sprechen, Fühlen oder gar den Gottesglauben verantwortlich gemacht werden: »Im gemeinen Leben nun wird der Zorn z. B., als ein solches inneres Tun, in die Leber verlegt; Plato gibt ihr sogar noch etwas Höheres, das nach einigen sogar das Höchste ist, zu, nämlich die Prophezeiung oder die Gabe, das Heilige und Ewige unvernünftiger Weise auszusprechen. Allein die Bewegung, welche das Individuum
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in der Leber, dem Herzen usf. hat, kann nicht als die ganz in sich reflektierte Bewegung desselben angesehen werden, sondern sie ist darin vielmehr so, daß sie ihm schon in den Leib geschlagen ist und ein animalisches, heraus gegen die Äußerlichkeit sich wendendes Dasein hat.« (217 f. | 180)
Bei Platon war die Leber das Organ der mantisch-ahnenden Erfahrung des Heiligen und Numinosen. Es erübrigt sich, auf die Ironie in dieser Darstellung noch genauer hinzuweisen. Ernster wird der Gedanke, dass weder die Leber noch das Gehirn in sich reflektiert sein kann, dass es also einfach gedanklicher Unsinn ist zu sagen, die Leber oder das Gehirn wisse etwas von sich oder der Person. Eine Person weiß von sich, aber kein Gehirn. Als Person weiß ich etwas von meiner Leber oder meinem Gehirn; inzwischen kann ich sie sogar über bildgebende Verfahren selbst anschauen. Aber das Gehirn allein schaut gar nichts an. Zwerchfell, Leber, Herz, auch das Gehirn gehören erstens zum Leib und unterstützen zweitens als Organe zunächst unser animalisches Dasein. Das ›Leben des Geistes‹ verlangt weit mehr als eine funktionstüchtige Leber oder ein funktionstüchtiges Gehirn. 327 a
»Das Nervensystem hingegen ist die unmittelbare Ruhe des Organischen in seiner Bewegung. Die Nerven selbst sind zwar wieder die Organe des schon in seine Richtung nach außen versenkten Bewußtseins; Gehirn und Rückenmark aber dürfen als die in sich bleibende – die nicht gegenständliche, die auch nicht hinausgehende – unmittelbare Gegenwart des Selbstbewußtseins betrachtet werden.« (218 | 180 f.)
Schon näher an dem, was wir suchen, liegt das Nervensystem zusammen mit dem Gehirn, wenn wir nicht bloß die Nerven als Stränge, sondern den neurophysiologischen Prozess der (Selbst-) Steuerung betrachten. Es klingt daher plausibel, mit Descartes die Steuerung des Bewegungsapparats durch neurophysiologische Informationsübertragungen zu erklären. Insofern nennt Hegel selbst »Gehirn und Rückenmark« die »unmittelbare Gegenwart des Selbstbewusstseins«. Ist damit Metzinger ein Hegel-Nachfolger bzw. Hegel ein Vorläufer Metzingers?
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»Insofern das Moment des Seins, welches dies Organ hat, ein Sein für anderes, Dasein ist, ist es totes Sein, nicht mehr Gegenwart des Selbstbewußtseins. Dies in sich selbst Sein ist aber seinem Begri=e nach eine Flüssigkeit, worin die Kreise, die darein geworfen werden, sich unmittelbar auflösen und kein Unterschied als seiender sich ausdrückt.« (218 | 181)
Hegels relativ positives Urteil über die Hirnforschung betri=t zunächst nur die Verbesserung der Betrachtungsart, die von der Leber und dem Herzen zum Gehirn und Nervensystem führt und die oberflächlichen Pseudowissenschaften der Physiognomie und Schädelvermessung methodisch schon weit hinter sich lässt. Doch Hegel denkt auch schon über die Grenzen dieses Fortschritts nach. Und in der Tat, wir können etwas über diese Grenzen vorherwissen, wie wir in jeder wohlkonstituierten Wissenschaft etwas über die Grenzen der Forschungs- und Darstellungsmethoden wissen, und das aus logischen Gründen, was im Grundsatz schon Aristoteles wusste. Wir können zwar nicht wissen, was wir alles einmal wissen werden. Aber wir wissen, dass wir mit einem Teelö=el nicht das Meer ausschöpfen können. Dabei sind sogar so erfolgreiche Theorien wie die Gravitationstheorie bloße Teelö=el. Alle neurophysiologischen Ereignisse sind funktional und dabei notwendige Bedingungen für das äußere Verhalten – gerade das meint der Titel »Sein für Anderes«. Das gilt gerade auch für Wahrnehmungen, die aber als solche schon inhaltlich bestimmt, begri=lich informiert und geformt sind. Sie selbst allein sind aber doch noch nicht die »Gegenwart des Selbstbewusstseins«. Das Insichselbstsein ist vielmehr »Flüssigkeit«. Das ist zunächst als ein Orakel zu lesen. Das heißt, die Rede von einer Flüssigkeit ist eine Metapher. Das Bild steht wohl für das, was man heute als neuronale Prozesse kennt. Doch trotz der Anerkennung seiner Bedeutung wird die Vorstellung zurückgewiesen, der reine leibliche Prozess im Gehirn, Rückenmark und dem restlichen Nervensystem sei schon das Ganze des geistigen Lebens und Handelns. Das geht schon deswegen nicht, weil die Beziehung zwischen einem Prozess, der in uns widerfahrensartig geschieht, etwa so wie der
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Transport von Sauersto= im Blut, und einem geistigen Inhalt nie direkt sein kann: Sinn und Bedeutung im Sinn eines geistigen Inhalts (nicht von bloß funktionalen Rollen der automatischen Art, wie sie auch ein Thermostat haben kann) haben nur symbolische Handlungen und andere freie Handlungen, keine innerleiblichen oder außerkörperlichen Geschehnisse, die als solche widerfahrensartig ablaufen. Wer das bezweifelt, vergisst, dass er längst schon weiß, dass wir nur bei Handlungen ihren Sinngehalt im Vollzug verstehen und über ihre Bedeutung in der Reflexion (ggf. gegenstandsartig) sprechen können. 327 c
»Inzwischen, wie der Geist selbst nicht ein Abstrakt-Einfaches ist, sondern ein System von Bewegungen, worin er sich in Momente unterscheidet [es geht also um den Aspekt der Darstellung der Gründe des Handelns, PSW], in dieser Unterscheidung selbst aber frei bleibt [sic!, PSW], und wie er seinen Körper überhaupt zu verschiedenen Verrichtungen gliedert, und einen einzelnen Teil desselben nur Einer bestimmt, so kann auch sich vorgestellt werden [so scheint es zunächst, PSW], daß das flüssige Sein seines Insichseins [also der Prozess der Selbststeuerungen selbst, PSW] ein gegliedertes ist; und es scheint so vorgestellt werden zu müssen, weil das in sich reflektierte Sein des Geistes im Gehirn [sic!, PSW] selbst wieder nur eine Mitte seines reinen Wesens [die nicht räumlich, sondern metaphorisch, als Reflexion auf unsere Form des Redens zu verstehen ist, PSW] und seiner körperlichen Gliederung [sic!, PSW] ist, eine Mitte, welche hiemit von der Natur beider und also von der Seite der letzteren auch die seiende Gliederung wieder an ihr haben muß.« (218 | 181)
Zunächst meint man, sich vorstellen zu können, dass leiblichen Prozessformen unmittelbar geistige Prozesse entsprechen, und umgekehrt. Um Gehalte zu erkennen, brauchen wir ja die Vermittlung durch (sprachliche und bildliche) Repräsentationen. Wir brauchen also das Gehirn notwendigerweise, um denkende Wesen zu sein. Aber das Gehirn produziert nicht die Formen des Denkens, sondern wir erlernen diese. Sie existieren als Formen jenseits der bloß individuellen Aktualisierung – so wie wir eben auch andere Formen erfassen und reproduzieren können, geo-
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metrische etwa oder grammatische, bildliche oder sprachliche. Die ›Verleiblichung‹ beim Lernen von Formen in einer Habitualisierung verläuft bei jeder Person anders. Die wiedererkennbaren Typiken der neurophysiologischen Prozesse im Gehirn und Nervensystem sind eben daher mit einiger Sicherheit nicht anders als die Gestalten von Schädel und Gesicht unendlich viel zu grob, um Sinngehalte oder geistige Charaktere genau genug individuieren zu können. Aus logischen Gründen ist es auch nicht nötig und aus Erfahrungsgründen gar nicht möglich, an einem typischen inneren Prozess als einem Geschehen oder Widerfahrnis, wie gut auch immer dieser durch bildgebende Verfahren darstellbar wäre, die Gehalte des Denkens und Wünschen, Wollens abzulesen. Und erst recht können wir nicht den zeitlichen Moment des Beginns einer freien Handlung dingfest machen. Man muss sich von der naiven Vorstellung einer Schubsertheorie oder Impulssequenzentheorie des Handelns endlich verabschieden. Es ist einfach falsch, apriorisch zu glauben, das ›spätere‹ äußere Tun müsse aus dem inneren Widerfahrnisprozess im Gehirn generisch vorhergesagt werden können, wenn man nicht an die Existenz einer äußeren Seele als freien Impulsgeber glaube. Die Alternative ist schon sprachlich, logisch, verkehrt. Es stellt sich am Ende sowohl der Glaube an eine christliche Seele oder cartesianische res cogitans et volens als leibfreies Subjekt des Denkens und Wollens, als auch der Glaube an eine prädeterminierte Impulssequenz des Verhaltens als Aberglaube heraus, zumal letztere im Widerspruch steht zu unserer robusten Unterscheidung zwischen einem freien Handeln, auch Sprechhandeln, und reinen Widerfahrnissen oder rein reaktiven Verhaltungen. Aber könnten nicht doch psychophysische Gesetze ›gefunden‹ werden? Woher wissen wir, dass das nicht möglich sei? Kann man hier nicht vielleicht sogar ›zufällig‹ etwas finden? Ist es nicht bloß eine Frage der Verfeinerung und Verbesserung des Wissens? Was wissen wir vorher über später aufgefundene Gesetze? Die Fragen zeigen, wie schwer es ist, zu unterscheiden zwischen einem robusten Wissen über die Grenzen des Wissbaren und damit
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über die Grenzen dessen, was es gibt und an was man daher sinnvollerweise glauben kann auf der einen Seite, reiner science fiction und willkürlichem Aberglauben auf der anderen. Die Frage betri=t o=enbar die Di=erenz zwischen dem Urteil Wittgensteins, kein Mensch komme je auf den Mond, und den Märchen von sprechenden Hunden. 328 a
»Das geistig-organische Sein hat zugleich die notwendige Seite eines ruhenden bestehenden Daseins; jenes muß als Extrem des Fürsichseins zurücktreten und diese als das andere Extrem gegenüber haben, welches alsdenn der Gegenstand ist, worauf jenes als Ursache wirkt. Wenn nun Gehirn und Rückenmark jenes körperliche Fürsichsein des Geistes ist [sic!, PSW], so ist der Schädel und die Rückenwirbelsäule das andere ausgeschiedne Extrem hinzu, nämlich das feste ruhende Ding [sic!, PSW]. – Indem aber jedem, wenn er an den eigentlichen Ort des Daseins des Geistes denkt, nicht der Rücken, sondern nur der Kopf einfällt, so können wir uns in der Untersuchung eines Wissens, als das vorliegende ist, mit diesem – für es nicht zu schlechten – Grunde begnügen [sic!, PSW], um dies Dasein auf den Schädel einzuschränken [sic!, PSW]. Sollte einem der Rücken insofern einfallen, als auch wohl zuweilen durch ihn Wissen und Tun zum Teil ein-, zum Teil aber ausgetrieben wird [man beachte die Ironie, PSW], so würde dies dafür, daß das Rückenmark mit zum inwohnenden Orte des Geistes und seine Säule zum gegenbildlichen Dasein genommen werden müsse, darum nichts beweisen, weil es zuviel bewiese; denn man kann ebenso sich erinnern, daß auch andere äußerliche Wege, der Tätigkeit des Geistes beizukommen, um sie zu erwecken oder zurückzuhalten, beliebt werden. – Die Rückenwirbelsäule fällt also, wenn man will, mit Recht hinweg; und es ist so gut, als viele andere naturphilosophische Lehren, konstruiert, daß der Schädel allein zwar nicht die Organe des Geistes enthalte. Denn dies wurde vorhin aus dem Begri=e dieses Verhältnisses ausgeschlossen und deswegen der Schädel zur Seite des Daseins genommen; oder wenn nicht an den Begri= der Sache erinnert werden dürfte, so lehrt ja die Erfahrung, daß, wie mit dem Auge als Organe gesehen, so nicht mit dem Schädel gemordet, gestohlen, gedichtet usw. wird. – « (218 f. | 181)
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Hegels Argumentationsweise zeigt sich hier besonders schön. Zunächst stellt er den relativen Sinn der Hirnforschung heraus und die Plausibilitäten, welche sogar für eine Schädelvermessung sprechen, um dann die Grenzen dieser Ansätze auszuloten. Das »geistig-organische Sein« muss über die bloß je aktuellen Prozesse hinaus auch ein »ruhendes Dasein« haben. Wir zerfallen ja nicht in bloß momentane Augenblicke oder gegenwärtige Vollzüge, sondern bilden eine ›geistige‹ Individualität oder Personalität aus. In gewissem Sinn bin ich als Person dann doch auch ›Ursache‹ meiner äußeren Erscheinungsformen. Gehirn und Rückenmark sind wesentliche Teile des leiblichen Fürsichseins des Geistes in dem Sinn, als sie die Realisierung aller geistigen Vollzüge vermitteln, wobei wir, wie gesagt, vom Rückenmark absehen können, obgleich ein gebeugter Rücken die Folge einer schlechten Haltung beim Lernen sein kann. In der ironischen Bemerkung sagt Hegel also, dass wir das Rückenmark vernachlässigen können: Manchem Schüler muss zwar über den verlängerten Rücken Wissen sozusagen eingebläut und es müssen Fehlhaltungen ausgebläut werden. Wer aber bloß mit dem Rücken und nicht mit dem Kopf denkt, den brauchen wir in einer Untersuchung der Seinsweise geistiger Kompetenzen auch nicht weiter zu berücksichtigen. Und es ist klar, dass das Gehirn allein nicht mordet, stiehlt oder dichtet. Dennoch dürfen wir eine besondere Bedeutsamkeit der Gehirn›funktionen‹ in diesen Prozessen anerkennen. Und es mag sogar manche Zeichen der Physiognomie geben, welche vage Rückschlüsse auf die Geistesfähigkeiten einer Person erlauben. Ernster als all das ist die Beobachtung, dass auch die Reduktion auf Gehirn und Kopf o=ensichtlich eine abstraktive Konstruktion ist – zur ›Vereinfachung‹ der Darstellung und Untersuchung. »Es ist sich deswegen auch des Ausdrucks Organ für diejenige Bedeutung des Schädels zu enthalten, von welcher noch zu sprechen ist. Denn ob man gleich zu sagen pflegt, daß es vernünftigen Menschen nicht auf das Wort, sondern auf die Sache ankomme, so ist daraus doch nicht die Erlaubnis zu nehmen, eine Sache mit einem ihr nicht zugehörigen Worte zu bezeichnen; denn dies ist Ungeschicklichkeit
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zugleich und Betrug, der nur das rechte Wort nicht zu haben meint und vorgibt und es sich verbirgt, daß ihm in der Tat die Sache, d. h. der Begri= fehlt; wenn dieser vorhanden wäre, würde er auch sein rechtes Wort haben [sic!, PSW]. – « (219 | 181 f.)
Es ist reiner Betrug, wenn man sagt, das Gehirn denke. Was das Verhältnis von Gehalt und Ausdruck, also etwa auch von Sinn und Wort angeht, so ist zwar wahr, dass ein vernünftiger Mensch inhalts- oder bedeutungsäquivalente Ausdrucksweisen als gleichgültig anzuerkennen hat, wenn er auf die Sache fokussiert. Aber die Sache oder den Inhalt hat er nur dann, wenn ihm mindestens eine der möglichen sachlich passenden Repräsentationen zur Verfügung steht oder die Sache wenigstens zeigen kann. Weder kann oder darf einer daher mit Worten meinen, was ihm beliebt – das wäre die Humpty-Dumpty-Theorie des Meinens –, noch kann oder darf er behaupten, er ›besitze‹ einen Inhalt, ›habe‹ einen Gedanken, ohne dass er (je) sagen oder zeigen könnte, wie der Inhalt oder Gedanke di=erentiell und inferentiell streng zu repräsentieren ist: Jede derartige Behauptung ist leer oder Betrug, so wie in einer Prüfung auf eine Frage nicht behauptet werden kann, man wisse die Antwort, sie falle einem bloß gerade nicht ein. Der Fall, dass ein praktisches Können nicht verbal vollständig artikulierbar ist, ist von anderem Typ, aber auch der Fall, in dem wirklich bloß momentan die Worte fehlen, sie aber in vielen anderen Situationen ö=entlich zur Verfügung stehen. Hier geht es darum, die Meinung ad absurdum zu führen, man könne mit dem Wort ›Gehirn‹ alle ›geistigen Prozesse‹ meinen. 328 c
»Zunächst hat sich hier nur dies bestimmt, daß wie das Gehirn der lebendige Kopf, der Schädel das caput mortuum ist.« (219 | 182)
Wir sollen die Wörter »Gehirn«, »Kopf«, »Schädel« in dem semantischen Bezirk lassen, wo sie hingehören: In die Teile des Leibes von Tier und Mensch, ohne sie mit ›Geist‹ oder ›Vernunft‹ sinnwidrig aufzuladen. Das gilt auch noch für die Neurophysiologie der Gegenwart. 329 a
»In diesem toten Sein hätten also die geistigen Bewegungen und bestimmten Weisen des Gehirns ihre Darstellung äußerer Wirklich-
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keit, die jedoch noch an dem Individuum selbst ist, sich zu geben. Für das Verhältnis derselben zu ihm, der als totes Sein den Geist nicht in sich selbst inwohnen hat, bietet sich zunächst das oben festgesetzte, das äußere Mechanische dar, so daß die eigentlichen Organe – und diese sind am Gehirne – ihn hier rund ausdrücken, dort breit schlagen oder platt stoßen, oder wie man sonst diese Einwirkung darstellen mag.« (219 f. | 182)
Die Vorstellung, es würden sich über lange Zeiten des besonderen Gebrauches besonderer Teile des Gehirns diese so vergrößern, dass sie als Verformungen des Schädels sichtbar werden, ist abwegig. Dass sich allerdings bei intensivem Gebrauch tatsächlich gewisse Hirnregionen besonders entwickeln und relativ größer werden könn(t)en, braucht man damit nicht in Abrede zu stellen: »Selbst ein Teil des Organismus, muß in ihm zwar, wie in jedem Knochen, eine lebendige Selbstbildung gedacht werden, so daß, hiernach betrachtet, er von seiner Seite vielmehr das Gehirn drückt [sic!, PSW] und dessen äußere Beschränkung setzt; wozu er auch als das Härtere eher das Vermögen hat [sic!, PSW]. Dabei aber würde noch immer dasselbe Verhältnis in der Bestimmung der Tätigkeit beider gegeneinander bleiben; denn ob der Schädel das Bestimmende oder das Bestimmte ist, dies änderte an dem Kausalzusammenhange überhaupt nichts, nur daß dann der Schädel zum unmittelbaren Organe des Selbstbewußtseins gemacht würde, weil in ihm als Ursache sich die Seite des Fürsichseins fände.« (220 | 182)
Im Vergleich zwischen Gehirnphysiologie und Schädellehre ist erstere methodisch bei weitem avancierter. Am Schädel lässt sich überhaupt gar nichts über das Denken ablesen, an den Gehirnprozessen schon einiges mehr. Dennoch gibt es keinen gesetzesartigen, nomologischen, Kausalzusammenhang, wie wir ihn bräuchten, um aus dem leisen oder lauten Denken qua Inhaltserfassung unmittelbar auf die Gestalten der Gehirnströme als Trägertätigkeiten (ihrer Form nach) schließen zu können oder umgekehrt von einem bestimmten Gehirnstrommuster auf das Denken eines bestimmten Gehaltes. Grob mag es da Korrelationen geben, insbesondere da wir die Trägerzeichen leise artikulieren,
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also innerlich repräsentieren. Dabei denkt man heute gerne an eine ›Software‹ und den Lauf eines Programms als vermittelnde Instanz. Doch dieses Bild vom Gehirn als Computer würde nur helfen, wenn irgendwie plausibel wäre, dass das menschliche Denken völlig nach schematisch geregelten Verfahren operierte, also so, wie wir Rechenmaschinen und ihre Codierungen selbst ›mathematisch‹ und technisch eingerichtet haben. Das zu glauben ist eher willkürlicher Aberglaube. Wichtig ist, dass nicht die Inhalte direkt ›gespeichert‹ werden, sondern ö=entliche Symbole unserer Zeichen- und Bildsprachen. Deren Semantik ist ö=entlich, nicht privat. Und sie ist das in der Form von Kooperationsformen der Verständigung. 329 c
»Allein indem das Fürsichsein als organische Lebendigkeit in beide auf gleiche Weise fällt, fällt in der Tat der Kausalzusammenhang zwischen ihnen hinweg [sic!, PSW]. Diese Fortbildung beider aber hinge im Innern zusammen und wäre eine organische prästabilierte Harmonie [der Hinweis auf den Parallelismus von Leibniz ist hier eindeutig, PSW], welche die beiden sich aufeinander beziehenden Seiten frei gegeneinander und jeder ihre eigne Gestalt läßt, der die Gestalt der andern nicht zu entsprechen braucht; und noch mehr die Gestalt und die Qualität gegeneinander, – wie die Form der Weinbeere und der Geschmack des Weines frei gegeneinander sind. – Indem aber auf die Seite des Gehirns die Bestimmung des Fürsichseins, auf die Seite des Schädels aber die Bestimmung des Daseins fällt, so ist innerhalb der organischen Einheit auch ein Kausalzusammenhang derselben zu setzen; eine notwendige Beziehung derselben als äußere füreinander, d. h. eine selbst äußerliche, wodurch also ihre Gestalt durch einander bestimmt würde.« (220 | 182 f.)
Zwar mag sich bei der Entwicklung des Gehirns und des Schädels eine Art Wechselwirkung ergeben. Daraus lässt sich aber wenig folgern. Eine »organische prästabilierte Harmonie« reicht jedenfalls nicht schon in die Entwicklung und Bildung der geistigen Fähigkeiten und ihren Aktualisierungen hinüber. Und schon gar nicht wächst der Geist von selbst, wie Gehirn und Schädel von selbst wachsen. Die Semantik aller Sprachen muss, wie ihre
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Syntaktik, gelernt werden. Wie das, was dabei gelernt wird, ganz genau verleiblicht oder implementiert wird, dafür gibt es keine personeninvarianten Gesetze; und es ist nicht zu erwarten, dass man solche auf nicht bloß willkürliche Weise erfindet. »In Ansehung der Bestimmung aber, in welcher das Organ des Selbstbewußtseins auf die gegenüberstehende Seite tätige Ursache wäre, kann auf mancherlei Weise hin und her geredet werden; denn es ist von der Bescha=enheit einer Ursache die Rede, die nach ihrem gleichgültigen Dasein, ihrer Gestalt und Größe betrachtet wird, einer Ursache, deren Inneres und Fürsichsein gerade ein solches sein soll, welches das unmittelbare Dasein nichts angeht.« (220 f. | 183)
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Nur zu sagen, es gäbe hier zwar Gesetze, aber wir könnten sie nicht finden, ist semantischer Unsinn. Das freilich verstehen all die nicht, welche nicht begreifen, dass für eine Aussage der Form »es gibt ein x mit der Eigenschaft E« zumindest der Bereich der möglichen x und damit die möglichen Repräsentanten eines solchen x schon bestimmt sein müssen. Über völlig unbekannte Gegenstandsbereiche kann man nicht quantifizieren, keine sinnvollen Existenzaussagen bilden, ohne rein leer zu reden. »Die organische Selbstbildung des Schädels ist zuerst gleichgültig gegen die mechanische Einwirkung [sic!, PSW], und das Verhältnis dieser beiden Verhältnisse ist, da jenes das sich auf sich selbst Beziehen ist, eben diese Unbestimmtheit und Grenzenlosigkeit selbst. Alsdenn, wenn auch das Gehirn die Unterschiede des Geistes zu seienden Unterschieden in sich aufnähme und eine Vielheit innerer, einen verschiedenen Raum einnehmender Organe wäre – was der Natur widerspricht, welche den Momenten des Begri=s ein eignes Dasein gibt, und daher die flüssige Einfachheit des organischen Lebens rein auf eine Seite und die Artikulation und Einteilung desselben ebenso in seinen Unterschieden auf die andere Seite stellt, so daß sie, wie sie hier gefaßt werden sollen, als besondere anatomische Dinge sich zeigen –, so würde es unbestimmt sein, ob ein geistiges Moment, je nachdem es ursprünglich stärker oder schwächer wäre, entweder in jenem Falle ein expandierteres, in diesem ein kontrahierteres Gehirnorgan besitzen müßte, oder auch gerade umgekehrt. – Ebenso
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ob seine Ausbildung das Organ vergrößerte oder verkleinerte, ob es dasselbe plumper und dicker oder feiner machte [sic!, PSW]. Dadurch, daß es unbestimmt bleibe, wie die Ursache bescha=en ist, ist es ebenso unbestimmt gelassen, wie die Einwirkung auf den Schädel geschieht [sic!, PSW], ob sie ein Erweitern oder Verengern und Zusammenfallenlassen ist. Wird diese Einwirkung etwa vornehmer als ein Erregen bestimmt, so ist es unbestimmt, ob es nach der Weise eines Kantharidenpflasters auftreibend, oder eines Essigs einschrumpfend geschieht. – Für alle dergleichen Ansichten lassen sich plausible Gründe vorbringen, denn die organische Beziehung, welche ebensosehr eingreift, läßt den einen so gut passieren als den andern, und ist gleichgültig gegen allen diesen Verstand.« (221 | 183)
Über die Untersuchung von Erregungen von Gehirnregionen ist auch die heutige gehirnphysiologische Kognitionsforschung im Blick auf das semantische Inhaltsverstehen keineswegs hinaus. Hegel geht es hier aber ebenfalls weniger um eine Widerlegung der Schädellehren und Physiognomiken, als um die Einsicht in die relative Unabhängigkeit von Schädelformen, Funktionalitäten des Gehirns und geistigen Fähigkeiten. Es geht also um die Kritik an überschwänglichen Unterstellungen kausalgesetzlicher Beziehungen. Die Willkür der ›Erklärungen‹ und das Ungenaue und Utopische zeigen, dass es am Ende gar keine Erklärungen sind, die über Fälle hinausreichen, in denen sehbare Defekte des Gehirns die Ausübung von sonst normalen mentalen und geistigen Fähigkeiten verhindern oder behindern. 331 a
»Dem beobachtenden Bewußtsein ist es aber nicht darum zu tun, diese Beziehung bestimmen zu wollen. Denn es ist ohnehin nicht das Gehirn, was als animalischer Teil auf der einen Seite steht [sic!, PSW], sondern dasselbe als Sein der selbstbewußten Individualität. – « (221–220 | 183)
Das beobachtende oder rein empirische Wissen über das Gehirn kann die Beziehung zum Denken und Handeln gar nicht bestimmen. Denn was das Gehirn als solches leistet, ist ohnehin bestenfalls verantwortlich für die ›animalischen‹ Momente des Verhaltens, nicht aber für die zentrale Di=erenz zwischen Tier
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und Mensch: nämlich das geistige Können, den Zugri= auf Möglichkeiten und Zukünfte, die nicht direkt durch die präsentische Perzeption naheliegen. Kurz, keine reine Beobachtung des Gehirns kann irgend verständlich machen, was überpräsentisches Wissen und transperzeptives Selbstwissen ist, und zwar weil der gesamte Bereich der spontanen Formungen von Sprechhandlungen und anderen Zeichenhandlungen als Repräsentanten von Möglichkeiten und der gesamte Bereich des freien Urteilens als ein Anerkennen der Formen in der eigenen Selbstorientierung aus dem Fokus der Betrachtung fällt. Auch wenn wir allerlei Gehirnprozesse und Gehirnaktivitäten visualisieren und dabei allerlei messen können, ohne die Fähigkeiten zur spontanen Reproduktion von Formen zu berücksichtigen, sind die folgenden Fragen nicht zu beantworten: Was macht personale Fähigkeiten aus? Wie ist der Unterschied zu einem bloßen animalischen Verhalten darzustellen und zu erklären? »Sie als stehender Charakter und sich bewegendes bewußtes Tun ist für sich und in sich, diesem Für und Insichsein steht ihre Wirklichkeit und Dasein für Anderes entgegen; das Für- und Insichsein ist das Wesen und Subjekt, welches am Gehirne ein Sein hat, das unter es subsumiert ist und seinen Wert nur durch die inwohnende Bedeutung erhält.« (222 | 183)
Die personale Individualität nicht bloß in ihrer empfindenden und erlebenden, sondern schon geistigen und denkfähigen Subjektivität ist, soweit schon im Fühlen inhaltliches Wissen involviert ist, nur über die personalen Beziehungen von Personen zu einander bestimmt. Denn die Formen des Geistigen müssen von den Einzelindividuen gelernt, verleiblicht, werden. Das aber heißt, es gibt sie als zu lernende Formen schon im sozialen Bereich: Andere Personen beherrschen die Formen schon und wir können uns ihre Beherrschung aneignen – oder es sein lassen. Die anderen Personen urteilen dann auch darüber, wie gut wir als Mitspieler taugen. Auch unser je besonderer Charakter ist nur bestimmbar im Kontext der Klassifikation und Typisierung von Personen. Das ist ein logisch absolut fundamentaler Kommentar
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zum Begri= des (personalen) Charakters: Unsere Rede über Charaktere kategorisiert nicht etwa bloß biologische ›Fähigkeiten‹. Dasselbe gilt für das bewusste Tun, also das denkend kontrollierte Handeln, das sich natürlich in irgendwelchen Selbstbewegungen und Handlungen, auch Sprechhandlungen zeigt. Worin besteht nun dieses Für-sich-sein der Person, das Selbstwissen und die Selbstbestimmung? Zunächst ist sie keine Relation zwischen verschiedenen Redegegenständen. Das »sich« zeigt an, dass ich mich nur dann selbst bestimme, wenn keine andere Person mich bestimmt: Damit ist eine Fremdbestimmung ausgeschlossen, also etwa, dass mich eine andere Person zwingt oder fesselt. Da Gott keine Person ist (sondern nur eine von uns vorgestellte Überperson) und auch die Natur nicht, würden deren Einflüsse auf mich übrigens meine Selbstbestimmung nicht einschränken: Es gibt keine Freiheit über das hinaus, was uns die Welt erlaubt, frei zu tun und zu lassen. Es ist andererseits logisch absurd zu behaupten, dieser Freiheitsspielraum reduziere sich auf das, was nachher faktisch getan wird. Freilich wäre ich auch dann schon durch mich selbst bestimmt, wenn meine Gesamt-Physiologie für mein Verhalten voll ›verantwortlich‹ wäre. Doch auch das ist nicht der Fall, wie wir allgemein wissen, wenn wir nur genau genug nachdenken: Physiologische Manipulationen an mir können mich nur in Sonderfällen wie der Hypnose dazu bringen, den Willen einer anderen Person so auszuführen, als wäre er mein eigener, oder als müsste ich gehorchen, ohne die Möglichkeit zu haben, den Gehorsam zu verweigern. Wenn man gedanklich alles Leibliche von mir abtrennt, weil ja auch meine Hand oder Auge, meine Zunge oder Gehirn formal etwas anderes ist als ich als ganze Person, dann gilt andererseits aus tautologischen Gründen, dass es keine ›Selbst‹-Bestimmung mehr gibt. In diesem Fall ist alles, was ›ich‹ tue, durch ›etwas anderes‹ bestimmt als ich bin. Das ist dann aber nur eine ganz langweilige Folge dessen, auf diese Art zu reden. Denn das ›Selbst‹ oder ›sich‹ im Für-sich-selbst-sein muss immer vieles ›andere‹ wie Hände, Zunge, Gehirn, seine Teile usf. umfassen.
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Wir brauchen also gar nicht zu leugnen, dass das »Für- und Insichsein« der Person, also je mein Selbst, »das Wesen und Subjekt« ist, »welches am Gehirn ein Sein hat«. Im Gegenteil. Hegel anerkennt ganz explizit das Prinzip, auf welches die moderne Kognitionswissenschaft so pocht und stolz ist: Alle geistigen Akte und Handlungen haben in leiblichen Prozessen, vorzugsweise in Gehirnprozessen, ihre körperlichen Träger. Wenn also eine Person denkt, geschieht etwas in ihrem Gehirn. Daraus folgt aber keineswegs, dass man durch die Beobachtung eines typischen Prozesses im Gehirn hinreichend sicher darauf schließen könnte, was die Person inhaltlich denkt. Das Gehirn ist in genau diesem Sinne »unter die Person subsumiert«, so wie meine Hände oder meine Zunge auch. Seine Funktionstüchtigkeit ist notwendige Bedingung des Denkens. Aber das ist bei weitem nicht hinreichend. Vom Gehirn her war Kaspar Hauser, jedenfalls der Erzählung zufolge, völlig ›normal‹. In einem anspruchsvollen Sinn denken konnte er aber solange nicht, als er nicht sprechen konnte und daher sprachlich nichts oder sehr wenig ›wusste‹. Er konnte sprachlich nichts spontan sagen und konnte keine leisen Einfälle erwägen. »Die andere Seite der selbstbewußten Individualität aber, die Seite ihres Daseins ist das Sein als selbständig und Subjekt oder als ein Ding, nämlich ein Knochen; die Wirklichkeit und Dasein des Menschen ist sein Schädelknochen. – Dies ist das Verhältnis und der Verstand, den die beiden Seiten dieser Beziehung in dem sie beobachtenden Bewußtsein haben.« (222 | 183 f.)
Wenn wir nun aber die Personalität oder selbstbewusste Individualität der personalen Kompetenz für sich betrachten, also von den körperlichen Trägern abstrahieren, zumal manche von diesen durch andere (etwa auch Prothesen) ersetzbar sind, dann stellen wir ›das Sein‹ der geistigen Fähigkeiten dem Sein des bloß animalischen Subjekts oder Körpers gegenüber und erhalten, im Extremfall, den Gegensatz von Seele und Leichnam, von Geist und Schädel samt seinem räumlichen Inhalt, dem Gehirn. Dann erscheint es als ein Rätsel, wie die Seele den Leichnam beleben,
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der Geist das Gehirn steuern sollte. Es ist daher reine Ironie, wenn Hegel sagt, dass für eine so abstrahierende physikalischempirische Beobachtung des Menschen »die Wirklichkeit und das Dasein des Menschen« sein Schädel, ein toter Knochen, sei. Dieser Ironie entgeht man keineswegs, wenn man es im Gehirn elektrisch blitzen lässt. Das Problem dieses bloß beobachtenden, empirischen, und bloß scheinbar ›verständigen‹ Zugangs zu uns selbst als bloßem Körper, in dem allerlei prozessartige Sachen geschehen, abstrahiert ganz o=enbar von allen Vollzugsformen des Lebens und Handelns und ihren Aktualisierungen. Man erzeugt ein Rätsel, indem man das, was man kennt, verrätselt: Es ist das Rätsel des Lebens, wenn man fragt, wie ein Leichnam ›belebt‹ werden kann: Bekanntlich ist das unmöglich. Wir kriegen ihn nicht wieder so in Gang, wie wir eine kaputte Maschine in Gang bekommen können. Das ist eine Tatsache, die es zu akzeptieren gilt: »So ist es«, sagt dazu Hegel, und drückt damit aus, dass absolute allgemeine Tatsachen dieser Art begri=s- und formenbestimmend sind. Wer sich im Gerede über sie hinwegsetzt, erklärt nichts, sondern treibt sich in leeren ›Reflexionen‹ herum, rechnet also mit bloß verbalen Möglichkeiten und redet rein mythisch, märchenhaft, fabelhaft. Ironischerweise redet man dann im Brustton des Szientismus nicht anders daher als diejenigen, welche sich Gespenster in Bäume und Tiere hineindenken: Aus logischer Sicht begehen Naturalismus und Supernaturalismus ironischerweise dieselben Fehler, sie projizieren ihre Vorstellungen in die Dinge. Echte Wissenschaft muss konkret, realistisch, robust insbesondere mit basalen Tatsachen umgehen. Diese sind nicht zu ›erklären‹. Sie sind auch nicht als ›Rätsel‹ zu mystifizieren. Sie sind schlicht zu akzeptieren. Sie sind transzendentale allgemeine Tatsachen. Als solche sind sie von empirischen Einzelsachverhalten unbedingt zu unterscheiden. Das gilt für die Tatsache der Besonderheit des Lebens und, im Kontrast zum Tier, für die Besonderheit menschlichen Denkens und Handelns ebenso wie für die Tatsache, dass es kein Perpetuum Mobile gibt, keine Reise in
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die Vergangenheit und keine Bewegung schneller als das Licht. Und so wie man die allgemeine Tatsache der Gravitation anzuerkennen hat, bevor man einzelne Bewegungen durch Anziehungsund Fliehkräfte erklären kann, so ist auch die besondere Fähigkeit der menschlichen Kooperation in Deixis und Anschauung erst einmal anzuerkennen. Man kann sie dann gern genauer kontrastiv beschreiben. Dasselbe gilt für die besondere Fähigkeit des Erwerbs der Kompetenz eines geformten Zeichen- und Sprachgebrauchs, der Wiedererkennung und Reproduktion zunächst syntaktischer Formen und dann auch semantischer Formen des Di=erenzierens und Inferierens, Unterscheidens, Nennens und Schließens. Das alles ist schlicht anzuerkennen, wie auch die geschichtlichen Gesamttatsachen menschlicher Sprachformenentwicklung. »Diesem [dem Verstand, PSW] ist es nun um die bestimmtere Beziehung dieser Seiten zu tun; der Schädelknochen hat wohl im allgemeinen die Bedeutung, die unmittelbare Wirklichkeit des Geistes zu sein. Aber die Vielseitigkeit des Geistes gibt seinem Dasein eine ebensolche Vieldeutigkeit [sic!, PSW]; was zu gewinnen ist, ist die Bestimmtheit der Bedeutung der einzelnen Stellen, in welche dies Dasein geteilt ist, und es ist zu sehen, wie sie das Hinweisen darauf an ihnen haben.« (222 | 184)
Im Allgemeinen ist also das Folgende ganz richtig: Ohne Schädel gibt es keinen Schädelinhalt und ohne Schädelinhalt gibt es kein Denken. Ohne Gehirnprozesse gibt es kein Wahrnehmen, Verstehen oder Handeln. Aber es gibt unendlich vielfältige Weisen der Verleiblichung geistiger Inhalte. Es müssen dazu nur die Formen des Urteilens, Schließens und Handelns hinreichend richtig reproduziert werden. Der Fehler der Phrenologie oder Kraniologie besteht einfach darin, dass notwendige Bedingungen des Denkens mit hinreichenden verwechselt werden. Der logische Fehler ist also extrem krude. Am Ende ist es fast unglaublich, dass eine ganze Wissenschaft, samt der zugehörigen ö=entlichen Meinung, einfach darin irrt, dass sie ein Bedingungsgefüge der Form »wenn p, dann q« mit einem Gefüge der Form »wenn q, dann p« verwechselt: Ohne Verleiblichung gibt es kein Denken.
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Aber der Leib allein bestimmt das Denken und seinen Inhalt keineswegs. Man kann aus der Form der Verleiblichung den Inhalt des Denkens nicht ablesen. Dieser Inhalt ist sozialkulturell, in den Relationen zwischen den Personen und in der Bildungsgeschichte der Menschheit und der Person realisiert, nicht unmittelbar im Gehirn der einzelnen Menschen. 333 a
»Der Schädelknochen ist kein Organ der Tätigkeit, noch auch eine sprechende Bewegung; es wird weder mit dem Schädelknochen gestohlen, gemordet usf., noch verzieht er zu solchen Taten im geringsten die Miene, so daß er sprechende Gebärde würde. – « (222 | 184)
Völlig absurd werden Folgerungen aus der Schädelbeobachtung dort, wo aus dem Knochen der geistige Charakter erschlossen werden soll. Wer an diese Möglichkeit glaubt, dem ist kaum mehr zu helfen. Mit robustem Wissen hat ein solcher Glaube nichts mehr zu scha=en. Leider wird der Kontrast zwischen möglichem und unsinnigem Glauben fahrlässig in Gefahr gebracht. Das wird noch schlimmer, wenn man robustes Wissen selbst als reine Hypothese oder als bloße Überzeugung darstellt. Dies gilt besonders für ein robustes Wissen über das, was viele Autoren »Alltagspsychologie« nennen – der sie eine angeblich wissenschaftlichere Psychologie entgegenstellen, ohne zu merken, was hier bloßer Glaube und was echtes Wissen ist. Der Angri= auf die ›folk-psychology‹ ist ein Zug der Selbstmystifizierung wissenschaftlich verbrämten Aberglaubens. Es ist die verkehrte Welt einer die Methoden der Naturwissenschaft falsch auf den Geist anwendenden ›Wissenschaft‹. 333 b
»Noch hat auch dieses Seiende den Wert eines Zeichens. Miene und Gebärde, Ton, auch eine Säule, ein Pfahl, der auf einer öden Insel eingeschlagen ist, kündigen sich sogleich an, daß noch irgend etwas anderes damit gemeint ist als das, was sie unmittelbar nur sind. Sie geben sich selbst sogleich für Zeichen aus, indem sie eine Bestimmtheit an ihnen haben, welche auf etwas anderes dadurch hinweist, daß sie ihnen nicht eigentümlich angehört. Man kann sich wohl auch bei einem Schädel, wie Hamlet bei Yoricks, vielerlei einfallen lassen, aber der Schädelknochen für sich ist ein so gleichgültiges, unbefan-
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genes Ding, daß an ihm unmittelbar nichts anderes zu sehen und zu meinen ist als nur er selbst; er erinnert wohl an das Gehirn und seine Bestimmtheit, an Schädel von anderer Formation, aber nicht an eine bewußte Bewegung, indem er weder Miene und Gebärde noch etwas an ihm eingedrückt hat [sic!, PSW], das [als] von einem bewußten Tun herkommend sich ankündigte; denn er ist diejenige Wirklichkeit, welche an der Individualität eine solche andere Seite darstellen sollte, die nicht mehr sich in sich reflektierendes Sein, sondern rein unmittelbares Sein wäre.« (222 f. | 184)
Es gibt viele Dinge, die wir sofort als natürliche Zeichen deuten können. Bei anderen ist es sinnlos. Wir brauchen über das Schädelinterpretieren jetzt nicht weiter zu reden: Mit Wissenschaft hat es nichts zu tun. »Da er ferner auch nicht selbst fühlt, so scheint sich eine bestimmtere Bedeutung für ihn etwa noch so ergeben zu können, daß bestimmte Empfindungen durch die Nachbarschaft erkennen ließen, was mit ihm gemeint sei; und indem eine bewußte Weise des Geistes bei einer bestimmten Stelle desselben ihr Gefühl hat, wird etwa dieser Ort in seiner Gestalt sie und ihre Besonderheit andeuten. Wie z. B. manche bei dem angestrengten Denken oder auch schon beim Denken überhaupt eine schmerzliche Spannung irgendwo im Kopfe zu fühlen klagen, könnte auch das Stehlen, das Morden, das Dichten usf. jedes mit einer eigenen Empfindung begleitet sein, die außerdem noch ihre besondere Stelle haben müßte. Diese Stelle des Gehirns, die auf diese Art mehr bewegt und betätigt wäre, würde wahrscheinlich auch die benachbarte Stelle des Knochens mehr ausbilden; oder diese würde aus Sympathie oder Konsensus auch nicht träge sein, sondern sich vergrößern oder verkleinern oder, auf welche Weise es sei, sich formieren. – Was jedoch diese Hypothese unwahrscheinlich macht, ist dies, daß das Gefühl überhaupt etwas Unbestimmtes ist und das Gefühl im Kopfe als dem Zentrum das allgemeine Mitgefühl alles Leidens sein möchte, so daß sich mit dem Diebs-Mörders-DichtersKopf-Kitzel oder -Schmerz andere vermischen und sich von einander so wie von denen, die man bloß körperlich nennen kann, so wenig unterscheiden lassen würden, als aus dem Symptome des Kopfwehs,
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wenn wir seine Bedeutung nur auf das Körperliche einschränken, sich die Krankheit bestimmen läßt.« (223 | 184 f.)
Es ist nicht zu leugnen, dass Denken, Fokussieren, spürbar anstrengend sein kann. Und es graben sich Dauerstimmungen wie das Lächeln des Fröhlichen oder der Pessimismus der Melancholikerin in die Gesichtszüge ein, aber nicht in den Schädel. Doch sogar hier ist es zumeist nicht möglich, vom Aussehen auf die Denkhaltung zu schließen. Die gleiche Mimik kann verschiedene Ursachen haben. Es ist die Suche nach einer Region im Gehirn absurd, die verantwortlich sein soll für einen religiösen (Gottes-)Glauben, oder für das Diebische, Mörderische, Dichterische usf. Schon der Glaube an absolut sichere Lügendetektoren grenzt an Aberglauben, obgleich wir oft mit bloßem Auge sehen können, wenn eine Person aufgeregt, gestresst ist – etwa weil sie lügt. 335 a
»Es fällt in der Tat, von welcher Seite die Sache betrachtet werde, alle notwendige gegenseitige Beziehung so wie deren durch sich selbst sprechende Andeutung hinweg. Es bleibt, wenn denn die Beziehung doch statt finden soll, eine begri=lose freie prästabilierte Harmonie der entsprechenden Bestimmung beider Seiten übrig und notwendig; denn die eine soll geistlose Wirklichkeit, bloßes Ding sein. – « (223 f. | 185)
Begri=los sind die Schlüsse vom Aussehen auf den Geist, weil es keine generischen Normalfälle gibt. Solche Verhältnisse können keine ›kausalen‹ Verhältnisse sein. Daher helfen hier auch keine allgemeinen Postulate wirklich weiter. Es handelt sich ohnehin bestenfalls um zufällige Korrelationen, wobei insbesondere die Vorstellung irreführt von einem durchgängigen Kausalnexus mentaler Prozesse, über die anerkennbare durchgängige Kontinuität hinaus. Im Blick auf ›beliebig feine‹ Typisierungen oder Bestimmungen einerseits von Inhalten, andererseits von beobachtbaren Schädelformen bzw. von Prozessgestalten des Gehirns, die heute durch Gehirnscanner beobachtbar werden, ergibt sich das Folgende: Weder gibt es ein allgemeines Inferenzwissen dazu, wie ein Inhalt
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(sagen wir: das sich erinnernde Denken an den Großvater) im Gehirn realisiert, noch ein Inferenzwissen, das vom ggf. beobachtbaren Gehirnprozess zum Inhalt führt. Es hilft nichts, hier die Wörtchen »an sich« oder »im Prinzip« hinzuzufügen und zu sagen: »Im Prinzip« gäbe es entsprechende notwendige Gesetze, nur seien diese leider wegen der Komplexität der Materie nicht eruierbar. In solchen Reden wird die logische Form des ›an sich‹ oder ›im Prinzip‹ klarerweise missbraucht. Denn in einem nicht bloß verblasenen, leeren, Sinn, muss jede Aussage, die ›an sich‹ gelten soll oder eben ›im Prinzip‹, sich als real-robuste Allgemeinaussage bewähren. Solche Aussagen gibt es aber nicht – und es ist, wie die Protagonisten der Gehirnforschung selbst zugeben – auch nicht zu erwarten, dass es sie je geben wird. Was es nur gibt, ist ein Wissen über organisch-funktional notwendige Bedingungen ›geistiger‹ und ›psychischer‹ (animalischer) Fähigkeiten. »Es stehen also eben auf einer Seite eine Menge ruhender Schädelstellen, auf der andern eine Menge Geistes-Eigenschaften, deren Vielheit und Bestimmung von dem Zustande der Psychologie abhängen wird. Je elender die Vorstellung von dem Geiste ist, um so mehr wird von dieser Seite die Sache erleichtert; denn teils werden die Eigenschaften um so weniger, teils um so abgeschiedener, fester und knöcherner, hierdurch Knochenbestimmungen um so ähnlicher und mit ihnen vergleichbarer. Allein obzwar durch die Elendigkeit der Vorstellung von dem Geiste vieles erleichtert ist, so bleibt doch immer eine sehr große Menge auf beiden Seiten; es bleibt die gänzliche Zufälligkeit ihrer Beziehung für die Beobachtung. Wenn von den Kindern Israels aus dem Sand am Meere, dem sie entsprechen sollen, jedes das Körnchen, dessen Zeichen es ist, sich nehmen sollte, so ist diese Gleichgültigkeit und Willkür, welche jedem das seine zuteilte, ebenso stark als die, welche jeder Seelenfähigkeit, Leidenschaft und, was hier gleichfalls betrachtet werden müßte, den Schattierungen von Charakteren, von welchen die feinere Psychologie und Menschenkenntnis zu sprechen pflegt, ihre Schädelstätten und Knochenformen zuweist. – « (224 | 185)
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Je oberflächlicher die Vorstellung von einer redenden Intelligenz ist, desto überzeugender ist das Computermodell des Geistes. Das zentrale und bis heute gültige Argument Hegels ist die reine Kontingenz der Art der Speicherung symbolischen Wissens im stillen Reden oder Denken. Bei verschiedenen Personen kann diese im Einzelnen ganz unterschiedlich im Gehirn realisiert sein. Gleich sind nur die Wörter und die Formen unseres Gebrauchs. 335 c
»Der Schädel des Mörders hat dieses – nicht Organ, auch nicht Zeichen, sondern diesen Knorren; aber dieser Mörder hat noch eine Menge anderer Eigenschaften sowie andere Knorren und mit den Knorren auch Vertiefungen; man hat die Wahl unter Knorren und Vertiefungen. Und wieder kann sein Mordsinn, auf welchen Knorren oder Vertiefung es sei, und hinwiederum diese, auf welche Eigenschaft es sei, bezogen werden; denn weder ist der Mörder nur dies Abstraktum eines Mörders, noch hat er nur eine Erhabenheit und eine Vertiefung. Die Beobachtungen, welche hierüber angestellt werden, müssen darum gerade auch so gut lauten als der Regen des Krämers und der Hausfrau am Jahrmarkte und bei der Wäsche. Krämer und Hausfrau konnten auch die Beobachtung machen, daß es immer regnet, wenn dieser Nachbar vorbeigeht oder wenn Schweinsbraten gegessen wird. Wie der Regen gegen diese Umstände, so gleichgültig ist für die Beobachtung diese Bestimmtheit des Geistes gegen dieses bestimmte Sein des Schädels. Denn von den beiden Gegenständen dieses Beobachtens ist der eine ein trockenes Fürsichsein, eine knöcherne Eigenschaft des Geistes, wie der andere ein trockenes Ansichsein; ein so knöchernes Ding, als beide sind, ist vollkommen gleichgültig gegen alles andere; es ist dem hohen Knorren eben so gleichgültig, ob ein Mörder in seiner Nachbarschaft, als dem Mörder, ob die Plattheit in seiner Nähe ist.« (224 f. | 185 f.)
Hier wird die Schwäche gefühlter Statistik mit einer Ironie, die mit Händen zu greifen ist, bloßgestellt. Die gefühlten Häufigkeiten des Krämers und der Hausfrau, nach welchen es immer regnet, wenn Markt oder Waschtag ist, lassen sich von den Korrelationen der Kraniologie und Phrenologie methodisch überhaupt nicht unterscheiden. Würde man diese Ironie ernst nehmen,
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könnte der Wissenschaftsbetrieb viel Geld sparen. Es wäre dann zwischen Forschungen mit leeren Versprechungen und ernsthaften Forschungen zu unterscheiden. Es gäbe dann aber nicht so viele schöne, neue Ergebnisse im Feuilleton. »Es bleibt allerdings die Möglichkeit, daß mit irgend einer Eigenschaft, Leidenschaft usf. ein Knorren an irgend einer Stelle verbunden sei, unüberwindlich übrig [wir haben aber schon gesehen, dass die Frage zentral ist, von welcher Art eine solche die Möglichkeit ist, PSW]. Man kann sich den Mörder mit einem hohen Knorren hier an dieser Schädelstelle, den Dieb mit eine[m] dort vorstellen [sic!, PSW]. Von dieser Seite ist die Schädelwissenschaft noch großer Erweiterung fähig [das ist schon pure Ironie, PSW]; denn zunächst scheint sie sich nur auf die Verbindung eines Knorren mit einer Eigenschaft an demselben Individuum, so daß dieses beide besitzt, einzuschränken. Aber schon die natürliche Schädelwissenschaft – denn es muß so gut eine solche als eine natürliche Physiognomik geben, geht über diese Schranke hinaus; sie urteilt nicht nur, daß ein schlauer Mensch einen faustdicken Knorren hinter den Ohren sitzen habe, sondern sie stellt auch vor, daß die untreue Ehefrau nicht selbst, sondern das andere eheliche Individuum Knorren an der Stirne habe. – Ebenso kann man sich auch den, der mit dem Mörder unter einem Dache wohnt, oder auch seinen Nachbar und weiter hinaus seine Mitbürger usf. mit hohen Knorren an irgend einer Schädelstelle vorstellen, so gut als die fliegende Kuh, die zuerst von dem Krebs, der auf dem Esel ritt, geliebkost und hernach usf. wurde. – « (225 | 186)
Hegels Sarkasmus wird spätestens mit der Anspielung auf die ›Hörner‹ beim Ehebruch klar. Er bekämpft in ihm ›wissenschaftliche Vorstellungen‹ und tri=t nicht etwa nur ›naive‹ Versionen der Schädelkunde, sondern auch die vermeintliche Präzisionswissenschaft Neuro- und Hirnphysiologie, jedenfalls dort, wo die Erklärungsansprüche die Grenzen kategorialer Logik und damit der wissenschaftlichen Methode sprengen: Vorstellen lässt sich alles Mögliche und Unmögliche, etwa dass sich der mörderische Charakter einer Person oder ihr religiöser Glaube an einem ›Knorren‹ oder einem Auswuchs bzw. einem Flackern in einer Region
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des Gehirns verrät. Vorstellen lässt sich auch, dass man in der Zukunft oder der Vergangenheit wiedergeboren wird. Was lässt sich nicht alles so ›vorstellen‹. Mit einer derartigen Möglichkeit zu rechnen, ist aber absurd. Wir sollten sie eher als Unmöglichkeit bewerten. Wer jetzt sagt, aber das ›wüssten‹ wir doch nicht, verwendet das Wort »wissen« nicht robust genug. Wir wissen es so gut, wie wir nur irgendetwas wissen. Nur in diesem ironischen Sinn ist die Schädelwissenschaft »noch großer Erweiterung fähig«. Der Glaube an die Wissenschaft wird am Ende zum gefährlichsten aller Aberglauben, gerade wenn der Alltagsverstand ausgeschaltet wird, so dass der Angri= einer vermeintlichen Expertenwissenschaft auf eine ›folk psychology‹ in seiner interessanten Ambivalenz durchschaubar wird. 336 b
»Wird aber die Möglichkeit nicht im Sinne der Möglichkeit des Vorstellens, sondern der innern Möglichkeit oder des Begri=s genommen, so ist der Gegenstand eine solche Wirklichkeit, welche reines Ding und ohne dergleichen Bedeutung ist und sein soll und sie also nur in der Vorstellung haben kann.« (225 | 186)
Die Möglichkeit des Begri=s ist das, was materialbegri=lich möglich ist. Die Möglichkeit des Vorstellens ist, was man so alles scheinbar widerspruchsfrei redend oder bildlich sich vorstellen kann – unter Absehung materialbegri=licher Konsequenzen. So ist es z. B. einfach materialbegri=lich ›unmöglich‹, dass eine Kuh fliegt – wenn man sie nicht in die Luft schießt oder aus großer Höhe fallen lässt. Das ist am Ende keine bloß ›empirische‹ Tatsache, und zwar weil es den Begri= des Fliegens betri=t. 337 a
»Schreitet, ungeachtet der Gleichgültigkeit der beiden Seiten, der Beobachter jedoch ans Werk, Beziehungen zu bestimmen, teils frisch gehalten durch den allgemeinen Vernunftgrund, daß das Äußere der Ausdruck des Innern sei, teils sich unterstützend mit der Analogie von Schädeln der Tiere – welche zwar wohl einen einfacheren Charakter haben mögen als die Menschen, von denen es aber zugleich um ebenso schwerer zu sagen wird, welchen sie haben, indem es nicht der Vorstellung eines jeden Menschen so leicht sein kann, sich in die Natur eines Tieres recht hineinzubilden [sic!, PSW] –, so findet
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der Beobachter bei der Versicherung der Gesetze, die er entdeckt haben will, eine vorzügliche Hülfe an einem Unterschiede, der uns hier notwendig auch einfallen muß. – « (225 f. | 187)
Gehirnphysiologische Untersuchungen des subjektiven Innenlebens von Tieren sind, wie Hegel hier sieht, noch schwieriger als bei Menschen, und zwar weil wir die Empfindungen der Tiere nur aus dem Verhalten, nicht aus einer Kommunikation mit ihnen kennen. Allgemein ist es zwar richtig zu sagen, das Äußere sei Ausdruck des Inneren. Doch man muss dann immer noch die richtigen Äußerlichkeiten den richtigen Inhalten zuordnen, und umgekehrt. So werden Inhalte vorzüglich sprachlich ausgedrückt. Absichten zeigen sich vornehmlich im Zusammenhang von Sprechhandlungen und Handlungen, und zwar freien Handlungen, während meine Widerfahrnisse keine kognitiven und volitiven Gründe haben, jedenfalls sofern meine Person betro=en ist. Widerfahrnisse haben physische Ursachen. Es ist, wie gesehen, oft nicht klar, worüber quantifiziert wird, wenn jemand sagt »es gibt ein Gesetz, welches dieses oder jenes Phänomen erklärt, aber wir kennen nichts von ihm.« Noch vorsichtiger sollten wir sein, wenn jemand erklärt, er habe ein neues Gesetz ›entdeckt‹, welches Gehirnzustände oder Gehirnprozesse mit Überzeugungen oder Denkprozessen oder ›Charakteren‹ angeblich allgemein, generisch, kausal-erklärend verbinde. »Das Sein des Geistes kann wenigstens nicht als so etwas schlechthin Unverrücktes und Unverrückbares genommen werden. Der Mensch ist frei [sic!, PSW]; es wird zugegeben, daß das ursprüngliche Sein nur Anlagen sind, über welche er viel vermag oder welche günstiger Umstände bedürfen, um entwickelt zu werden [so dass wir zwischen den Möglichkeiten, gewisse Fähigkeiten zu entwickeln, und den ausgebildeten, gediegenen, Kompentenzen und dann auch deren Gebrauch unterscheiden müssen, PSW]; d. h. ein ursprüngliches Sein des Geistes ist ebenso wohl als ein solches auszusprechen, das nicht als Sein existiert.« (226 | 187)
Wir haben schon hervorgehoben, was bei Hegel jetzt dasteht: Menschen können ihre geistigen Fähigkeiten frei entwickeln.
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Jeder von uns kann vieles lernen, oder es bleiben lassen. Das heißt, dass bei keiner Person die geistigen Fähigkeiten ›stabil‹ oder ›fest‹ sind, weder, was sie denken und planen kann, was ihr als Möglichkeiten so alles einfällt, noch wie sie die erwartbaren Zukünfte abschätzt und wie gut sie dabei ist. Daher ist es falsch, den geistigen ›Charakter‹ eines Menschen als einen fixierten ›Prägestempel‹ oder feste Programmierung aufzufassen. »Der Mensch ist frei«. Das meint insbesondere, dass er frei ist, sich zu einer erweiterten Freiheit zu bilden. Die Versicherung, es sei je mein angeborener Charakter und mein unglückliches Schicksal, das mich so töricht macht, wie ich bin, etwa wenn ich mein Leben nicht unter Kontrolle bringe, ist sicher sehr leicht. Warum andere Personen mir glauben sollen, ist damit ebenso wenig geklärt, wie die Frage, ob meine Torheit nicht wesentlich in diesem Glauben an die ›Determiniertheit‹ besteht, genauer, in der selbstverschuldeten Unfreiheit, welche sich aus diesem Gerede und diesen Versicherungen ergibt. Zuzugeben ist allerdings, dass nicht jeder alles lernen kann, was andere Personen lernen können. Es gibt gute Anlagen. Und es gibt günstige Umstände. Entsprechend gibt es Mängel und ungünstige Umstände. Das sollte man aber nicht zu allerlei Entschuldigungen von allem und jedem missbrauchen. 337 c
»Widersprächen also Beobachtungen demjenigen, was irgend einem als Gesetz zu versichern einfällt, – wäre es schön Wetter am Jahrmarkte oder bei der Wäsche, so könnten Krämer und Hausfrau sprechen, daß es eigentlich regnen sollte und die Anlage doch dazu vorhanden sei; ebenso das Schädelbeobachten, – daß dies Individuum eigentlich so sein sollte, wie der Schädel nach dem Gesetze aussagt, und eine ursprüngliche Anlage habe, die aber nicht ausgebildet worden sei; vorhanden ist diese Qualität nicht, aber sie sollte vorhanden sein. – « (226 | 187)
Hegel treibt die Ironie weiter. Wer an ein Gesetz glaubt, auch wenn es allen Tatsachen widerspricht, kann immer noch sagen, eigentlich sollte es sich so verhalten, wie sein Gesetz es sagt. Die Person sollte so handeln, wie der Charakterknorren es anzeigt,
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aber zufälligerweise hat sie anders gehandelt: Eigentlich ist er ein Mörder oder Ehebrecher. Eigentlich sollte es regnen. Im Prinzip ist der Mord physikalisch erklärbar. Nur wissen wir zufälligerweise zu wenig. Hegel zeigt, dass alle diese Reden einen Missbrauch der Sprache und des Denkens darstellen, wenn die Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind, welche nötig sind, um mit Recht die Sprachform »eigentlich sollte dieses geschehen, aber zufälligerweise ist es nicht eingetreten« verwenden zu dürfen. Wir sehen, dass für die logische Analyse das ansonsten veraltete Beispiel der Physiognomik und Schädelmessung nicht veraltet ist. Es ist freilich nicht immer einfach zu unterscheiden, ob jemand eine wirkliche Anlage hat, die er nicht ausgebildet hat, oder ob man willkürlich sagt, die Anlage sollte vorhanden sein, ohne irgend einen Grund dafür zu haben. Das bedeutet nur, dass wir vorsichtig sein müssen mit ›Zuschreibungen‹ von Möglichkeiten, die sich nicht generisch als normale Möglichkeiten einer Klasse von Dingen, Lebewesen oder Personen ausweisen lassen. »Das Gesetz und das Sollen gründet sich auf das Beobachten des wirklichen Regens und des wirklichen Sinnes bei dieser Bestimmtheit des Schädels; ist aber die Wirklichkeit nicht vorhanden, so gilt die leere Möglichkeit für ebenso viel. – Diese Möglichkeit, d. i. die Nichtwirklichkeit des aufgestellten Gesetzes und hiemit ihm widersprechende Beobachtungen müssen eben dadurch hereinkommen, daß die Freiheit des Individuums und die entwickelnden Umstände gleichgültig gegen das Sein überhaupt sind, sowohl gegen es als ursprüngliches inneres wie als äußeres knöchernes, und daß das Individuum auch etwas anderes sein kann, als es innerlich ursprünglich und noch mehr als ein Knochen ist.« (226 | 187)
Leere oder bloß formale Möglichkeiten sind materialbegri=liche Unmöglichkeiten. Die Freiheit der Person, die Möglichkeit des lernenden Erwerbs der Fähigkeiten, spontan und willkürlich diese oder jene Denkform, Urteilsform, Schlussform und/oder Handlungsform zu aktualisieren und die ›Richtigkeit‹ der Formund Normerfüllung zu kontrollieren, widerspricht der Möglichkeit, das zukünftige Verhalten der Person kausal auf der Grundlage der
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Beobachtung ihres ›Knorren‹, des Schädels, oder seines Inhalts, des Gehirns ›vorherzusagen‹. Wer an dieser Aussage zweifelt, weiß nicht einmal, was er tut. Hinzu kommt, dass man oft meint, die Attitüde des Zweifels bräuchte keine guten Gründe. Doch dem ist nicht so: Der ›Zweifel‹ braucht ebenso Gründe wie der ›Glaube‹ und das ›Wissen‹. Und diese Gründe sind in allen Fällen ebenso ›bürgerlich‹, grob, robust, wie das, was sie begründen. Entscheidend ist jetzt, dass kein Wissen über notwendige physiologische Bedingungen dafür, etwas lernen zu können oder praktizieren zu können, je dazu ausreichen kann, die Möglichkeiten des Lernens und die Freiheiten des Könnens infrage zu stellen. Schon im Lernen gibt es dabei ein Moment der freien Selbstbestimmung. 338
»Wir erhalten also die Möglichkeit, daß dieser Knorren oder Vertiefung des Schädels sowohl etwas Wirkliches als auch nur eine Anlage, und zwar unbestimmt zu irgend etwas, daß er etwas Nichtwirkliches bezeichne; wir sehen es einer schlechten Ausrede wie immer ergehen, daß sie wider dasjenige, dem sie aufhelfen soll, selbst zu gebrauchen steht. Wir sehen das Meinen durch die Natur der Sache dahin gebracht, das Gegenteil dessen, aber gedankenlos, selbst zu sagen, was es festhält; – zu sagen, es wird durch diesen Knochen irgend etwas angedeutet, aber eben so gut auch nicht.« (226 | 187)
Erweiterungen unseres allgemeinen Wissens sind Erweiterungen des allgemeinen Könnens und damit der Freiheitsspielräume des Handelns und Urteilens. Wer Schwimmen, Fahrrad fahren oder Klavier spielen lernt, kann nachher mehr und anderes, als der, welcher das nicht tut. Wer weiß, vor welchen psychologischen Gefahren der Selbstentmächtigung man sich hüten muss, erweitert ebenfalls seine Selbstmacht, wenigstens potentiell. Dazu gehört z. B. die Entwicklung einer gewissen Skepsis gegen die Erklärungen von angeblichen Wissenschaften in diesem Bereich. Dabei sind mein Schädel und mein Gehirn wirklich etwas Reales, Wirkliches. Aber sie bestimmen je für mich bloß notwendige Vorbedingungen etwa in der Form einer Anlage, einer Möglichkeit der weiteren Entwicklung des Verhaltens und Tuns. Sie bestimmen nur in einem gewissen Rahmen, was ich zu tun probieren
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oder lernen kann, aber nicht, was ich erfolgreich tun oder lernen werde. Es ist daher im Allgemeinen eine schlechte Ausrede, wenn jemand sagt, er hätte nicht anders handeln können. Wenn es ein handelndes Tun war und kein bloßes Geschehen wie die Verdauung, dann konnte man wirklich anders handeln. Das gilt nicht für ein erzwungenes Verhalten, sei es in einem somnambulen Zustand unter Hypnose, sei es durch Manipulation von Gehirnströmen, soweit es das in dieser ›Präzision‹ der Einflussnahme auf ein handlungsanaloges Verhalten überhaupt geben kann. Mit anderen Worten, wir müssen trotz aller Übergänge auf robuste Weise die innerweltlichen Unterscheidungen nachhaltig anerkennen zwischen Ursachen und Gründen. Wo uns Gründe angeblich ›zwingen‹, herrscht längst schon ›Handlungsfreiheit‹, können wir also immer schon anders handeln. Wo uns dagegen e;zienzkausale Ursachen ›zwingen‹, etwa weil uns jemand schubst, also als Körper bewegt, oder, zur Verhinderung von derartigen Bewegungen, fesselt, herrscht keine Handlungsfreiheit. Wir sehen zugleich, dass die Unterscheidung zwischen Faselei und ernsthafter Erwägung nicht ohne Erfahrung und Urteilskraft möglich ist; sie geht über einen bloß schematisch denkenden Verstand hinaus. Das Wesen der Sophistik besteht in der Reduktion von freier Vernunft auf den rechnenden Verstand. Gerade in dieser Einsicht greift Hegel nach 2200 Jahren den Faden einer Wissenschaftskritik von Sokrates und Platon wieder auf, welche sich unter anderem auch gegen die Überschätzung mathematisierten Wissens richtet, zugleich aber auch gegen die Überschätzung empirischer Anekdoten. Wenn es um den praktischen Umgang mit Denkinhalten geht, lassen sich Gehirnforscher immer auch dazu bringen, etwas zu sagen, was ihren o;ziellen Meinungen faktisch widerspricht, aber so, dass sie diesen Widerspruch nicht merken, eben weil sie in beiden Fällen gedankenlos reden, also ohne genaue Kontrolle der di=erentiellen und inferentiellen Gehalte ihres eigenen Redens. Man sagt etwa, dass das Aussehen von Kopf oder Gehirn einen Charakter oder typischen Gedankeninhalt bedeutet – aber dann
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doch nicht so, wie Wörter und Sätze etwas bedeuten, und zwar weil man aus dem Aussehen des Gehirns und seiner Ströme ohne zusätzliches Wissen um die Person, ihr Denken und Reden, doch auf nichts Bestimmtes schließen kann: 339 a
»Was der Meinung selbst bei dieser Ausrede vorschwebt, ist der wahre, sie gerade vertilgende Gedanke, daß das Sein als solches überhaupt nicht die Wahrheit des Geistes ist. Wie schon die Anlage ein ursprüngliches Sein ist, das an der Tätigkeit des Geistes keinen Anteil hat, ein eben solches ist seinerseits auch der Knochen. Das Seiende ohne die geistige Tätigkeit ist ein Ding für das Bewußtsein und so wenig sein Wesen, daß es vielmehr das Gegenteil desselben und das Bewußtsein sich allein wirklich ist durch die Negation und Vertilgung eines solchen Seins. – « (227 | 187 f.)
Das Gehirn und die Muster der Gehirnströme sollen das Denken und Handeln verursachen; zugleich wird zugegeben, dass das physiologische und neuronale Geschehen nicht »die Wahrheit des Geistes« ist, dass es also das geistige Geschehen beim Denken und Handeln gar nicht voll erfasst. Doch damit widerspricht sich die Meinung selbst. Es soll das neurophysiologische Geschehen etwas verursachen, was es gar nicht voll verursachen kann. Es wird die Kategorie des Verursachens mit der Kategorie des handlungsbezogenen und urteilenden Begründens vermengt. Kein Grund ist voll kausale;zient verursacht. Genauer wäre zu sagen: Keine Anerkennung eines Grundes ist so verursacht. Gründe stützen sich, wie alle semantischen Inhalte, immer auf die gesamte Tiefe der allgemeinmenschlichen Erfahrung, also auf die Menschheitsgeschichte oder Geistesgeschichte im Ganzen. Das gilt schon für das Verstehen von so einfachen Begri=en wie ›Mensch‹ und ›Tier‹. Es ist absurd anzunehmen, dass diese Inhalte unmittelbar im Gehirn einer einzelnen Person dargestellt werden könnten; wohl aber spielt das Gehirn eine gewisse Rolle bei der Repräsentation der Gehalte. Eben damit beschäftigt sich Hegel jetzt: Was ist alles Ausdruck eines Inhalts? Die bloße Lernfähigkeit ist noch kein Inhaltsverstehen. Dass nur Menschen Inhalte verstehen, reicht noch nicht aus, um zu verstehen, was es
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heißt, ›geistige‹ Inhalte zu verstehen. Und dass man dafür den Kopf notwendigerweise braucht, reicht nicht aus, um zu behaupten, das Denken oder Inhaltsverstehen geschehe im Kopf, also nur im Gehirn. Ein Grund ist übrigens etwas Zeitinvariantes und Transsubjektives, im Unterschied zum Geben oder Anerkennen von Gründen: Diese sind Handlungen. Daher ist ein guter Grund etwas anderes als eine gute Begründung oder Rechtfertigung. Letztere bleibt an die subjektive Situation und Perspektive des Sprechers gebunden. Die beste Rechtfertigung und Begründung kann sich als unzureichend darstellen. Über Gründe sprechen wir immer schon normativ, ideal und von der Seite. Das heißt, sie sind als Gründe Gegenstand der Reflexion, und zwar als gut bewertete Begründungsformen. Im Vollzug werden Begründungen gegeben, die als solche möglicherweise noch keine (hinreichend guten) Gründe sind. Ähnlich sprechen wir von einem Wissen, und müssen daher die reflexionslogische Rede unterscheiden von der Beanspruchung eines Wissens und der Anerkennung oder Kritik eines solchen Anspruchs. In den faktiven Redeformen der Reflexion wird das Subjektive, Expressive, Deklarative und perspektivisch Fallible von Wissensansprüchen, Begründungen oder Begründungsbewertungen, der Vollzug sozusagen, verschluckt. Die ding- oder körperartigen Substrate des Inhaltsverstehens, der Kopf, das Gehirn, die Gehirnströme sind selbst bloß Gegenstände unseres objektbezogenen Wissens. Das Wesen des Wissens, Geistes oder Bewusstseins selbst lässt sich durch dieses Beobachten des Substrats, durch das Wissen über die Gehirnprozesse, nicht erfassen. Denn ein Inhalt ist immer nur durch Abstraktion relativ zur Inhaltsäquivalenz verschiedener Repräsentationen als solcher bestimmt und wirklich. Indem wir also unterschiedliche Repräsentationen oder Äußerungen als inhaltsäquivalent bewerten, lösen wir die Inhalte von den (ggf. leiblichen) Trägerhandlungen und Trägerprozessen im Gehirn, auf der Zunge, an den Händen usf. ab. In genau diesem Sinn gibt es Inhalte wirklich nur »durch die Negation und Vertilgung«
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rein dinglicher Repräsentationen. Zu diesen gehört, was wir so alles reden, schreiben oder als Bildnisse darstellen. Dazu gehören vielleicht auch Handbewegungen – und alles, was wir als stille Planungen mental simulieren oder als mögliche Handlung vorbereiten bzw. uns still vorstellen. Dabei gibt es sicher Verlaufsprozesse ›im Kopf‹, wie wir in solchen Fällen sagen. Aber diese sind beim leisen Lesen oder Sprechen in gewissem Sinn formgleich zum lauten Lesen und Reden. Die Inhalte jedenfalls sind über die äußerbaren Formen vermittelt; deren mentale Vorstellungen, etwa in einem versuchsweisen verbal planning, sind sekundär. 339 b
»Es ist von dieser Seite für völlige Verleugnung der Vernunft anzusehen, für das wirkliche Dasein des Bewußtseins einen Knochen auszugeben; und dafür wird er ausgegeben, indem er als das Äußere des Geistes betrachtet wird, denn das Äußere ist eben die seiende Wirklichkeit.« (227 | 188)
Der Angri= gegen die Schädelvermessung ist ein overkill. Aber die Argumente tre=en auch eine überschwänglich ausgedeutete Gehirnforschung. Gerade wenn wir darüber nachdenken, was es heißt, Inhalte zu verstehen und zu urteilen, ist es inhaltsfreies Gerede ohne jedes Bewusstsein oder Mitwissen um den Inhalt des Geredes, wenn gesagt wird, das »wirkliche Dasein des Bewusstseins« sei der Gehirnprozess oder gar der Gehirnzustand. Die Hirnphysiologie ist natürlich methodisch viel avancierter als die Schädelkunde. Man betrachtet die Gehirnprozesse als »das Äußere des Geistes«. Das Problem bleibt das logische Verhältnis zwischen dem Inneren des Inhalts und dem Inneren der äußeren Repräsentationsprozesse im leisen Reden, Lesen, Bildvorstellen usf. im Gehirn. Gerade im Blick auf Prozesse ist es naiv zu sagen, das physikalische Äußere allein sei ›die seiende Wirklichkeit‹, also das einzige, was es wirklich gibt. 339 c
»Es hilft nichts zu sagen, daß von diesem Äußern nur auf das Innere, das etwas anderes sei, geschlossen werde, das Äußere nicht das Innere selbst, sondern nur dessen Ausdruck sei. Denn in dem Verhältnis beider zueinander fällt eben auf die Seite des Innern die
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Bestimmung der sich denkenden und gedachten, auf die Seite des Äußern aber die der seienden Wirklichkeit. – « (227 | 188)
Wenn ein Gehirnforscher von seinen äußeren Beobachtungen der Gehirnprozesse auf Inhalte ›schließen‹ möchte, muss er erst einmal zugeben, dass der Inhalt ›etwas anderes‹ ist als das, was er beobachtet, da das, was er beobachtet, bloßer Ausdruck, also Repräsentation, des Inneren, des Inhalts, ist. Denn wenn wir das Verhältnis zwischen Ausdruck und Inhalt betrachten, dann besteht das Denken darin, inhaltlich richtig mit Ausdrücken umzugehen. ›Beobachtet‹ wird beim Zuhören wie beim Blick ins Gehirn nur, wie sich jemand faktisch äußert und ausdrückt. Der Gedanke selbst aber wird nicht beobachtet. Er ergibt sich aus einer allgemeinen und gemeinsamen Beherrschung der Formen und Normen des rechten Umgangs mit Zeichen, Ausdrücken, Äußerungen, und zwar laut oder leise, gesprochen oder geschrieben, gemalt oder nachgemacht. Die variablen Gleichgültigkeiten für die realen Äußerungen desselben allgemeinen Gehalts verhindern nun geradezu eine schematische, gesetzesartige, Verknüpfung von ›physischem‹ Ausdruck und ›geistigem‹ Inhalt. Dabei ist das Geistige, der Gedanke, der Inhalt, selbst dennoch nichts wesentlich Anderes als das, was form- und normrichtig willentlich und frei reproduzierbar ist, so wie sich ja auch das ›geistige Eigentum‹ immer nur auf Reproduktionsrechte von allerlei Formen bezieht – zu denen auch alle ›Verwertungsrechte‹ (etwa des Lesens) gehören. Daher ist ja auch ›geistiges‹ Eigentum etwas völlig anderes als jeder bloß ›dingliche‹ Besitz. Diese logische Di=erenz zwischen Körperprozessen und tätigen Reproduktionen geistiger Inhalte wäre von einer logisch und methodisch aufgeklärten Neurophysiologie und Neuropsychologie ernst zu nehmen. »Wenn also einem Menschen gesagt wird: du (dein Inneres) bist dies, weil dein Knochen so bescha=en ist; so heißt es nichts anderes als: ich sehe einen Knochen für deine Wirklichkeit an. Die bei der Physiognomik erwähnte Erwiderung eines solchen Urteils durch die Ohrfeige bringt zunächst die weichen Teile aus ihrem Ansehen und Lage und erweist nur, daß diese kein wahres Ansich, nicht die
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Wirklichkeit des Geistes sind; – hier müßte die Erwiderung eigentlich so weit gehen, einem, der so urteilt, den Schädel einzuschlagen, um gerade so greiflich, als seine Weisheit ist, zu erweisen, daß ein Knochen für den Menschen nichts an sich, viel weniger seine wahre Wirklichkeit ist.– « (227 | 188)
Hegels Sarkasmus steigert sich hier auf kaum erträgliche Weise. Wenn ein Gehirnphysiologe oder Psychologe einer Person sagt, sie habe eben den schlechten Charakter, wie ihr Kopf und Gehirn bzw. das Muster der messbaren Gehirnprozesse ›beweist‹, so sagt er nichts anderes, als dass er selbst gewillt sei, die Person nur so zu behandeln, wie seine eigene Theorie ihn anleitet. Das heißt, er anerkennt schon kaum mehr, was die Person selbst über sich, ihre Urteile, Schlüsse und Handlungen sagt und zeigt. Man muss nicht an den Rassismus und seine Körpervermessung erinnern, um das Unsägliche eines solchen Vorgehens zu bemerken. Die so beurteilte Person kann sich am Ende gegen diese Anmaßung nur dadurch wehren, dass sie dem Physiologen oder Psychologen sozusagen eine Ohrfeige gibt, also ihn seinerseits nicht mehr als Person anerkennt. Hegels Ironie wird richtig grimmig, wo er sagt, dass die Ohrfeige beim Physiognomen die weichen Teile des Gesichts aus ihrer Lage wirft und damit klar macht, dass das Gesichtsfleisch »nicht die Wirklichkeit des Geistes« ist. Dem Kraniologen müsse man, sagt Hegel mit Lichtenberg (was sich allerdings zugleich gegen dessen Antisemitismus richtet), wohl den Schädel einschlagen. Denn dann wäre klar gezeigt, wie Gehirn und Schädel wirklich verformt werden. Und es würde der Person handgreiflich klar, dass sie eine Person ist. Denn sie würde mit Sicherheit an ihren moralischen und rechtlichen Status appellieren und nicht etwa bloß geltend machen, dass sie nicht möchte, dass ihr Schädelknochen oder ihre Gehirnströme mehr oder weniger arg verändert werden. 340 a
»Der rohe Instinkt der selbstbewußten Vernunft wird eine Schädelwissenschaft unbesehen verwerfen, – diesen andern beobachtenden Instinkt derselben, der zur Ahndung des Erkennens gediehen, es auf die geistlose Weise, daß das Äußere Ausdruck des Innern sei,
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erfaßt hat. Aber je schlechter der Gedanke ist, desto weniger fällt es zuweilen auf, worin bestimmt seine Schlechtigkeit liegt, und desto schwerer ist es, sie auseinanderzulegen. Denn der Gedanke heißt um so schlechter, je reiner und leerer die Abstraktion ist, welche ihm für das Wesen gilt. Der Gegensatz aber, auf den es hier ankommt, hat zu seinen Gliedern die ihrer bewußte Individualität und die Abstraktion der ganz zum Dinge gewordenen Äußerlichkeit, – jenes innere Sein des Geistes als festes geistloses Sein aufgefaßt, eben solchem Sein entgegengesetzt. – « (228 | 188)
Ein gesund denkender Alltagsmensch wird die Anmutungen und Behauptungen einer sich überschätzenden Wissenschaft sofort als anmaßend und falsch verwerfen, und zwar unbesehen, ohne überhaupt die Statistiken und Messungen oder dann auch Laborberichte zu lesen, auf welche sich die Behauptungen stützen. Dabei hat der Alltagsmensch methodologisch sogar Recht; denn keine bloß empirisch-beobachtende, also bloß statistische Wissenschaft kann ein allgemeines Wissen und Können widerlegen. Jedes echte Wissen kann unser allgemeines ›Alltags‹-Wissen und ›Alltags‹-Können immer nur verfeinern. Allerdings ändert sich die Lage, wo experimentelles Können zu neuen Techniken führt: Gegen das neue Können ist ein alter Glaube, etwas könne man nicht können, machtlos: das Können zeigt sich. Leider verschlucken allzu vage Gebrauchsweisen der Wörter »empirisch« und »experience« die relevanten Unterschiede. Je schlechter im Allgemeinen ein Gedanke ist, desto weniger wird unter Umständen im Einzelnen begri=en, dass er schlecht ist. Das liegt daran, dass man meint, das ›grobe‹ Wissen des Alltags durch das ›exakte‹ der Wissenschaft widerlegen zu können, ohne zu bemerken, dass alles wissenschaftliche Wissen, wenn es nicht selbst genügend grobkörnig-allgemein ist, gar kein Wissen, sondern leeres Gerede ist. Das freilich ist manchmal sehr schwer im Detail auseinanderzulegen. Dabei heißt ein Gedanke insbesondere dann schlecht, wenn er ein praktisch leeres Möglichkeitsurteil ist, etwa der Art, dass es doch sein könnte, dass man schneller als das Licht reisen könnte, oder dass es mehrere Stämme des Lebens
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geben könnte, auf dem Mars etwa oder dem Sirius. ›Denkbar‹ im Sinne von beschwatzbar ist alles, auch die Unsterblichkeit einer mit der individuellen Person irgendwie verknüpften Seele. Doch es ist nicht bloß extrem ›unwahrscheinlich‹, dass sich irgendeine dieser rein verbalen Pseudomöglichkeiten als wirklich erweisen wird. Es ist unvernünftig, so zu urteilen oder zu handeln, als wäre mit derartigen Möglichkeiten realiter zu rechnen. Die Unvernunft ähnelt der Naivität der NASA, auf ihren Raumschi=en Menschen abzubilden, damit die möglichen Außerirdischen erfahren, dass es uns auf der Welt gibt. Anzunehmen, dass es Wesen gibt, welche mit derartigen Bildern etwas anfangen können, ist etwa so sinnvoll, wie anzunehmen, dass Flöhe und Läuse verstehen, was ihr Wirt spricht und denkt, oder, um in die Fabeln und Mythen der Tradition überzuwechseln, davon zu reden, dass Bäume und Tiere sprechen und Sprache verstehen können. Wir wissen, dass das nicht geht – wie wir irgendetwas wissen. Alles reale Wissen besteht in einem urteilsmächtigen kontrastiven Schließen in der realen Welt auf der Basis allgemeiner Kenntnisse, nicht auf der Basis willkürlicher Vorstellungen. Glaubensüberzeugungen aber sind sinnvoll nur als ehrliche und gewissenhafte Gewissheiten, nicht als bloß willkürlich gesetzte oder gar bloß als formal möglich behauptete Meinungen. 340 b
»Damit scheint aber auch die beobachtende Vernunft in der Tat ihre Spitze erreicht zu haben, von welcher sie sich selbst verlassen und sich überschlagen muß; denn erst das ganz Schlechte hat die unmittelbare Notwendigkeit an sich, sich zu verkehren. – « (228 | 188)
In der These von der Identität von Geist und Gehirn bzw. geistiger Handlungen und Hirnprozessen treibt es der Versuch, durch ›Selbstbeobachtung‹ das Phänomen des Geistes zu ergründen, auf die Spitze. Dabei ›überschlägt‹ sich die Methode insofern, als sie sich selbst nicht mehr begreift: Was soll denn Beobachtung sein, wenn nicht ein Teil der Begründung eines Urteils? Und wie will die Methode das Urteil begründen, dass die Gehirnprozesse ›identisch‹ seien mit den inhaltlichen Urteilen und Schlüssen? Denn es bedarf hier einer generischen, typischen, Gleichheit.
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Das Gerede von einer Token-Identität hilft, wie gesehen, nicht weiter, und zwar weil jeder Gegenstand eines sinnvollen Bezugs eine Festlegung seines Ansichseins und Fürsichseins voraussetzt. (Kausal-)Gesetze gelten ohnehin immer nur für Typisches. Aus dieser Logik des Erklärens ergibt sich, dass reine empirische Beobachtung gar keine zureichende Methode sein kann, um das Generische geistiger Inhalte auch nur im Ansatz zu begreifen. Das gilt für die naive Populärwissenschaft von Lavaters ›Physiognomik‹ genauso wie für die hochtechnisierte Neuro- und Hirnforschung. Zu den seriösen Wissenschaften gehört diese nur dort, wo sie ihren begrenzten Zweckbereich, etwa den der möglichen medizinischen Therapien bei (neuro-)physiologisch bedingten Ausfällen normaler Kompetenzen, voll anerkannt hat. Ein analoges Problem bestand für die Psychoanalyse: Solange und soweit sie als Gesprächstherapie heilsam ist und nützt, ist alles gut: Gegen die Mode, sich säkulare Beichtväter in der Form von Psychoanalytikern privat zu halten, ist wenig einzuwenden. Als theoretisch-wissenschaftliche ›Erklärung‹ versagt die psychoanalytische Methode aber durchaus. Ihr Fall ist analog zu dem der Homöopathie oder der klassischen chinesischen Medizin: In vielen Fällen haben auch diese eine sehr heilsame Wirkung, möglicherweise gerade aufgrund des Verzichts auf fachärztliche (medikamentöse oder sonstwie interventionistische) Behandlung. Die Wirkung von Placebos aber ist eine Tatsache, welche hier zu berücksichtigen ist.96 »Wie von dem jüdischen Volke gesagt werden kann, daß es gerade darum, weil es unmittelbar vor der Pforte des Heils stehe, das verworfenste sei und gewesen sei; was es an und für sich sein sollte, diese Selbstwesenheit ist es sich nicht, sondern verlegt sie jenseits seiner; Die Kritik Adolf Grünbaums in Die Grundlagen der Psychoanalyse, Stuttgart (Reclam) 1984 an der Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse ist z. B. durchaus ernst zu nehmen: Was in einer Therapie wirkt, kann auch ein Placebo sein und insgesamt ganz anders funktionieren, als die Theorie sagt. 96
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es macht sich durch diese Entäußerung ein höheres Dasein möglich, wenn es seinen Gegenstand wieder in sich zurücknehmen könnte, als wenn es innerhalb der Unmittelbarkeit des Seins stehengeblieben [wäre], weil der Geist um so größer ist, aus je größerem Gegensatze er in sich zurück kehrt; diesen Gegensatz aber macht er sich in dem Aufheben seiner unmittelbaren Einheit und in der Entäußerung seines Fürsichseins. Allein wenn ein solches Bewußtsein sich nicht reflektiert, ist die Mitte, worin es steht, die unselige Leere, indem dasjenige, was sie erfüllen sollte, zum festen Extreme geworden ist. So ist diese letzte Stufe der beobachtenden Vernunft ihre schlechteste, aber darum ihre Umkehrung notwendig.« (228 | 188 f.)
Die Analogie zum Judentum zeigt nicht nur, wie ein ganzes Zeitalter dachte, sondern benennt hier auch ein Strukturproblem. Hegel will sagen, dass die größten Irrtümer sich gerade dadurch ergeben, dass man vermeint, »unmittelbar vor der Pforte des Heils« zu stehen. Diese Selbstgewissheit ist als religiöse Selbstgerechtigkeit geradezu der Gegenbegri= zu jeder echten Religion oder jedem wahren religiösen Selbstbewusstsein. Auf analoge Weise ist weniger derjenige, der ein von ihm anerkanntes Gesetz bricht, der wahre Böse, als derjenige, welcher vermeint, etwa auf der Grundlage einer kantianischen oder auch utilitaristischen ›Theorie‹ der Moral gegen die faktischen Traditionen historisch und kollektiv anerkannter Sittlichkeiten sein Gesetz der ›Moral‹ und des ›Rechts‹ als angeblich für alle geltend und ›vernünftig‹ behaupten zu können. Kurz, die Selbstgerechtigkeit ist die tiefste aller ›Sünden‹, ja sie ist die Ur-Sünde schlechthin. Sie definiert geradezu die Di=erenz zwischen dem bloß Schlechten, als dem Mangel an Guten, und dem Bösen. Ihr entspricht die Di=erenz zwischen einem Fehler oder einem Verbrechen auf der einen Seite, einer Sünde auf der anderen. Nur jemand, der meint, seine eigenen Fehler und Verbrechen seien gering und sie sich damit selbst vor sich selbst ›entschuldigt‹, sündigt. Wer dagegen nur schlecht ist, das weiß und am Ende die gerechtfertigte Strafe anerkennt, ist bloß schlecht. ›Sünde‹ ist damit als religiöse Kategorie zugleich eine reflexionslogische Kategorie. Das Böse ist als Sünde anders
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zu verstehen, als es die in ihrer Logik allzu erbaulichen Priester und Pastoren bisher tun. Es wäre falsch, auf den Antijudaismus in Hegels Ausführungen mit einem bedingten Reflex zu reagieren. Denn in der Skizze der Analogie zwischen dem Umschlag vom nationalen Judentum zum internationalen Christentum und dem Umschlag von einer sich allzu selbstsicheren Gehirnwissenschaft zu einer Kulturtheorie des Geistes geht in beiden Fällen eine relative Anerkennung des hohen Niveaus der Ausgangspositionen dieser Wendungen voraus. Es wird also anerkannt, dass das Judentum die höchstentwickelte Religion ihrer Zeit gewesen war. Und es wird anerkannt, dass im Vergleich zu einer mystischen Seelenlehre die Gehirnforschung immerhin sehr nahe an die Einsicht heranrückt, dass es um das Verhältnis zwischen Ausdruck und Inhalt geht. In beiden Fällen aber sind sich die Protagonisten des ›vorletzten‹ Standpunkts ihrer Sache allzu sicher. »Denn die Übersicht der bisher betrachteten Reihe von Verhältnissen, welche den Inhalt und Gegenstand der Beobachtung ausmachen, zeigt, daß in ihrer ersten Weise, in der Beobachtung der Verhältnisse der unorganischen Natur ihr schon das sinnliche Sein verschwindet, die Momente ihres Verhältnisses stellen sich als reine Abstraktionen und als einfache Begri=e dar, welche an das Dasein von Dingen fest geknüpft sein sollten, das aber verloren geht, so daß das Moment sich als reine Bewegung und als Allgemeines erweist. Dieser freie in sich vollendete Prozeß behält die Bedeutung eines Gegenständlichen, tritt aber nur als ein Eins auf; im Prozesse des Unorganischen ist das Eins das nicht existierende Innere; als Eins aber existierend ist er das Organische. – Das Eins steht als Fürsichsein oder negatives Wesen dem Allgemeinen gegenüber, entzieht sich diesem und bleibt frei für sich, so daß der Begri=, nur im Elemente der absoluten Vereinzelung realisiert, in der organischen Existenz seinen wahrhaften Ausdruck, als Allgemeines da zu sein, nicht findet, sondern ein Äußeres oder, was dasselbe ist, ein Inneres der organischen Natur bleibt. – Der organische Prozeß ist nur frei an sich, ist es aber nicht für sich selbst, im Zwecke tritt das Fürsichsein seiner Freiheit ein, existiert als ein
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anderes Wesen, als eine ihrer selbst bewußte Weisheit, die außer jenem ist. Die beobachtende Vernunft wendet sich also an diese, an den Geist, den als Allgemeinheit existierenden Begri= oder als Zweck existierenden Zweck, und ihr eignes Wesen ist ihr nunmehr der Gegenstand.« (228 f. | 189)
Das Problem der ›vorletzten‹ Stufe ist dasselbe wie das der ›letzten Menschen‹ Nietzsches: Es ist ihre Selbstzufriedenheit, Selbstsicherheit und Selbstgewissheit, auf Englisch: ihre ›complacency‹. Diese ist als solche sinnleer, verkrustet, selbstverliebt, künstlerisch tot und wissenschaftlich tot, leere Meinung, blasiertes Besserwissen. Im Fall der Selbstbeobachtung entsteht das Problem so: Zwar scheint der Gegenstand der empirischen Beobachtung ein Einzelnes zu sein. Der ›Inhalt‹ der Beobachtung aber ist allgemein. Das gilt schon für die Beobachtung von toten Dingen, erst recht für die Beobachtung von Lebewesen, also der organischen Natur in ihren Lebensprozessen. Was wir aus der Beobachtung an Urteilen ziehen, ist immer schon abstrakt-allgemein und begri=lich gefasst. Das reine ›sinnliche Sein‹ verschwindet sozusagen im allgemeinen Urteil. Gleichzeitig tun und reden wir so, als seien diese begri=lichen Allgemeinheiten oder Typen fest an das einzelne Dasein geknüpft, das wir beobachten. In die Beobachtung vertieft, vergessen wir aber das Begri=liche. Wir achten nicht auf die begri=lichen Präsuppositionen in unseren Urteilen, die sich auf die entsprechenden Beobachtungen stützten. Es ist also eine Art begri=sbestimmte Bewegung, die uns in der Beobachtung eines gegenständlichen Dinges und seines Verhaltens zu empirischen Aussagen über den Gegenstand führt. Nur höhere Lebewesen sind von ihrer Geburt bis zum Tod eine unteilbare Einheit, ein festes Eins. Zu ihrem Fürsichsein oder Selbstbezug im Selbsterhalt gehört alles, was zur Einheit der Lebewesen gehört. Zugleich realisieren die Einzelwesen die allgemeine Lebensform der Gattung bzw. der Art – je auf ihre Weise, die als mehr oder weniger ›gut‹ oder ›mangelhaft‹ beurteilt werden kann, sofern und soweit man sich auf die Norm eines
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Normfalls beziehen kann. Das Leben eines Lebewesens ist ein organischer Prozess, und jeder organische Prozess ist Teilmoment eines Lebensprozesses. Das Leben eines jeden Lebewesens ist insoweit »frei«, als es sich selbst gegen die unorganische (oder andersorganische) Umwelt durchsetzt (sofern das Lebewesen weiterlebt). Die Freiheit des Lebewesens besteht in Form und Ausmaß seiner Selbstunterscheidung von seiner Umwelt. Das klingt nach Niklas Luhmann, ist aber ein begri=lich allgemeiner Satz und keine besondere These. Frei für sich ist nur menschliches Handeln und daher eine menschliche Person. Erst eine Person bezieht sich begri=lich auf sich selbst. Im Handeln verfolgen wir auf eigenkontrollierte Weise frei von uns selbst gesetzte oder frei anerkannte Zwecke. Zwecke für sich gibt es nur dort, wo ein Handeln sich an vorab repräsentierten Zweckinhalten orientiert. Die Inhalte müssen also repräsentiert oder repräsentierbar sein. In der reinen Selbstbeobachtung kann man nun aber gar keine Inhalte, also auch keine Zwecke, als solche sehen, spüren oder wahrnehmen. Inhalte kann man nicht sehen, sondern muss sie denken. Daher ist es unmöglich, dass man sich selbst als denkendes und wollendes Wesen rein beobachtend voll erfassen kann. »Sie [die beobachtende Vernunft, PSW] wendet sich zuerst an seine Reinheit [des Geistes, PSW]; aber indem sie Auffassen des in seinen Unterschieden sich bewegenden Gegenstandes als eines Seienden ist, werden ihr Gesetze des Denkens, Beziehungen von Bleibendem auf Bleibendes; aber da der Inhalt dieser Gesetze nur Momente sind, verlaufen sie sich in das Eins des Selbstbewußtseins. – Dieser neue Gegenstand ebenso als Seiendes genommen, ist das einzelne, zufällige Selbstbewußtsein; das Beobachten steht daher innerhalb des gemeinten Geistes und des zufälligen Verhältnisses von bewußter Wirklichkeit auf unbewußte. Er an sich selbst nur ist die Notwendigkeit dieser Beziehung; die Beobachtung rückt ihm daher näher auf den Leib und vergleicht seine wollende und tuende Wirklichkeit mit seiner in sich reflektierten und betrachtenden Wirklichkeit, die selbst gegenständlich ist. Dieses Äußere, obzwar eine Sprache [sic!, PSW]
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des Individuums, die es an ihm selbst hat, ist zugleich als Zeichen [sic!, PSW] etwas Gleichgültiges gegen den Inhalt [sic!, PSW], den es bezeichnen sollte, so wie das, welches sich das Zeichen setzt, gleichgültig gegen dieses.« (229 f. | 190)
In der Selbstbeobachtung will man sich selbst in aller Reinheit, d. h. ohne alle Vorbeurteilungen und Vorurteile so erfahren, wie man ›wirklich‹ ist. Doch leider übersieht man dabei die begri=lichen Präsuppositionen der Beobachtungsurteile selbst. Man unterstellt Gesetze des Denkens als Relationen zwischen ›Bleibendem‹, also zwischen scheinbaren ›Substanzen‹, die es außerhalb unseres abstrakten Denkens gar nicht gibt und die man gar nicht beobachten kann – und dreht sich damit im Kreis, ohne es zu merken. Der Inhalt jedes Gesetzes artikuliert selbst immer nur ein Teilmoment eines Gesamtgeschehens. Die Einheit der Gesetze scheint in der Einsicht des Selbstbewusstseins zu liegen – so dass wir o=enbar dieses zum Gegenstand der Reflexion machen sollten. Doch in seinem Dasein ist dieses je mein Selbstwissen rein zufällig, kontingent, ja kaum ein Wissen, sondern bloß erst Meinung von mir über mich (und den Rest der Welt). Dasselbe gilt auch für meine Beobachtungsurteile und die Schlüsse, die ich aus ihnen zu ziehen beliebe. All das geschieht teils unbewusst, unkontrolliert, teils in der Selbstgewissheit, es sei bewusst und kontrolliert, ohne dies notwendigerweise schon wirklich zu sein. Denn dazu müsste voll verstanden werden, was man hier schließen darf und kann. Die bloße Meinung oder Intuition dazu, was je ich zu schließen bereit bin, reicht nirgends hin. Immerhin rücke ich mir in der Selbstbeobachtung auf den Leib. Ich vergleiche meine gedanklichen Selbstzuschreibungen mit dem, was ich wirklich tue. Das ist ein Fortschritt. Aber es besteht die Gefahr, dass wir den Inhalt der Gedanken und Absichten dabei ganz übersehen und nur noch blinde Körperbewegungen und leibliche Prozesse beobachten. Das Äußere der Körperbewegungen, auch des Ausdrucks, ist zwar »eine Sprache des Individuums«. Im Ausdruck zeige ich mich und mein ›Inneres‹ als Person öffentlich anderen Personen. Und ich zeige mich mir sozusagen
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auch selbst. Doch als Zeichen, das etwas zeigt, ist es auch immer schon »gleichgültig gegen seinen Inhalt«: Ich könnte das Gleiche auch anders zeigen. Und das Zeichen könnte anderes bedeuten. Wie also aus dem Ausdruck der Inhalt zu erhalten ist, ist gar nicht bloß abhängig von einem Schema oder Gesetz, sondern von einer gemeinsamen Praxis: Man deutet und tut dies mehr oder weniger kompetent, willkürlich oder gut und richtig. Die Richtigkeit aber steht immer schon im Bezug auf eine gemeinsame Praxis, welche die Normen des Guten und Richtigen hier bestimmt. Dabei sind ›riesige‹ Freiheitsspielräume gelassen für die Wahl der Trägerhandlungen, des Ausdrucks usf. – auch der ›Genauigkeit‹, mit der man Unterscheidungen tri=t usf. »Von dieser wandelbaren Sprache [sic!, PSW] geht darum die Beobachtung endlich zum festen Sein zurück und spricht ihrem Begri=e nach aus, daß die Äußerlichkeit nicht als Organ, auch nicht als Sprache und Zeichen [sic!, PSW], sondern als totes Ding die äußere und unmittelbare Wirklichkeit des Geistes sei. Was von der allerersten Beobachtung der unorganischen Natur aufgehoben wurde, daß nämlich der Begri= als Ding vorhanden sein sollte, stellt diese letzte Weise so her, daß sie die Wirklichkeit des Geistes selbst zu einem Dinge macht oder, umgekehrt ausgedrückt, dem toten Sein die Bedeutung des Geistes gibt. – « (230 | 190)
Die Sprache der Gebärden, der Mimik, ›Physiognomie‹, aber auch die Sprechsprache ist gerade in Bezug darauf, welche Inhalte jeweils ausgedrückt werden, extrem wandelbar. Es ist daher scheinbar verständlich, dass wir nach unwandelbaren und festen Charakteren jenseits dieser proteusartigen Prozesse suchen. Man sucht ein ›festes Sein‹, einen physischen Abdruck des Charakters, sozusagen den Prägestempel für die Psyche. Kraniologen wie Gall wollten diesen Stempel in der Schädelform finden – und gruben dafür Haydn aus dem Grabe aus, um den Kopf des musikalischen Genies zu vermessen. Man meinte, noch am Schädel einen MusikKnorren entdecken zu können. So krude denkt man heute nicht mehr. Doch viele meinen immer noch, an den groben Bildern der aktivierten Hirnregio-
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nen nicht bloß das räumliche Innere der Trägerprozesse etwa des leisen Redens mit sich selbst im Gehirn durch bildgebende Verfahren sichtbar machen, sondern auch das metaphorische Innere der Gedankeninhalte als rein passive Verarbeitungsprozesse verstehen zu können. Doch damit verbleibt man in der materialistischen Vorstellung vom Gehirn als der eigentlichen Steuerzentrale der Person. Diese ist nicht weniger verdinglichend als die traditionelle Rede von einer (meinetwegen von Gott erscha=enen) fixfertigen Seele. Ob man einem Gespenst in einem animalischen Leib die Trägerschaft der geistigen Person zuspricht oder dem Neuronengewitter eines brainstorms, ist am Ende einerlei, denn beides ist falsch, übersieht, wenn man es kurz und grob sagen will, die Momente der kollektiven Kooperation und der gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen in jedem (guten) Verstehen von Bedeutungen oder semantischen Gehalten. Von manchen wird dabei das Gehirn selbst als Geist angesehen und seine Prozesse oder die Ereignisse im Gehirn direkt als mentales Geschehen oder geistige Prozesse angesprochen. Das sind unklare Reden. Der lateinische Ausdruck »mens« und die Rede vom Mentalen, dem englischen »mind«, bildet obendrein die nebelverhangene Brücke, auf welcher man meint, von physikalischen Beobachtungs- und Redeformen auf der einen Seite zu geistigen Inhalten auf der anderen Seite hinüberwechseln zu können oder von dorther zurück.
34. Geistige Formen im Vollzug und als Gegenstände reflektierender Rede 343 b
»Die Beobachtung ist damit dazu gekommen, es auszusprechen, was unser Begri= von ihr war, daß nämlich die Gewißheit der Vernunft sich selbst als gegenständliche Wirklichkeit sucht. – Man meint zwar dabei wohl nicht, daß der Geist, der von einem Schädel vorgestellt wird, als Ding ausgesprochen werde; es soll kein Materialismus, wie man es nennt, in diesem Gedanken liegen, sondern der Geist vielmehr noch etwas anderes als diese[r] Knochen sein; aber er ist, heißt
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selbst nichts anderes als: er ist ein Ding. Wenn das Sein als solches oder Dingsein von dem Geiste prädiziert wird, so ist darum der wahrhafte Ausdruck hiervon, daß er ein solches wie ein Knochen ist. Es muß daher für höchst wichtig angesehen werden, daß der wahre Ausdruck davon, daß vom Geiste rein gesagt wird, er ist, sich gefunden hat. Wenn sonst vom Geiste gesagt wird, er ist, hat ein Sein, ist ein Ding, eine einzelne Wirklichkeit, so wird damit nicht etwas gemeint, das man sehen oder in die Hand nehmen, stoßen usf. kann, aber gesagt wird ein solches; und was in Wahrheit gesagt wird, drückt sich hiemit so aus, daß das Sein des Geistes ein Knochen ist.« (230 | 190)
Sätze der Art, dass ich Bewusstsein habe und in meinem Denken und Handeln subjektiver Geist bin, oder schon philosophietechnisch gesprochen: dass der Geist ist oder existiert, müssen erst einmal richtig verstanden werden. In unserer methodischen Überlegung zur Selbstbeobachtung haben wir jetzt die Erfahrung gemacht, dass wir selbst leiblich existieren. Zugleich wollen wir Gehirn und Geist unterscheiden, obwohl sie irgendwie auch identisch sind. Das Geistige soll mentales Erleben oder inhaltliches Denken sein, also immer noch etwas anderes als das Gehirn und seine Ströme. Aber es soll auch ein Prozess sein, den man beobachten kann. Allerdings ist das Inhaltsverstehen, Schließen und Urteilen weder ein physisch-physiologischer, noch ein elektrischer Prozess. Das Geistige gibt es nur im ›Leben des Geistes‹, also in der personalen Interaktion, Kommunikation und Kooperation von Menschen und dann in den vorgestellten Selbstgesprächen und Rollenspielen, in denen wir uns selbst unsere eigenen Rollen oder personalen Momente gegenüberstellen, uns also sozusagen von uns selbst unterscheiden. »Dies Resultat hat nun eine doppelte Bedeutung: einmal seine wahre, insofern es eine Ergänzung des Resultats der vorhergehenden Bewegung des Selbstbewußtseins ist. Das unglückliche Selbstbewußtsein entäußerte sich seiner Selbständigkeit und rang sein Fürsichsein zum Dinge heraus.« (230 | 190)
Während wir zuvor schon eingesehen haben, dass es eine Spannung gibt zwischen der unmittelbaren Selbstgewissheit und
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einem sich auf ein Ideal des Guten hin selbst bestimmenden Selbstwissen, sehen wir jetzt ein, dass sich das ›unglückliche Selbstbewusstsein‹, etwa im Christentum, das Gute und Schöne bloß als transzendente, jenseitige, Utopie gegenüberstellt und im Grunde an der einzig realen Wirklichkeit in diesem ›Jammertal‹ verzweifelt. Die utopische Ho=nung auf ein Jenseits hält diese ethischen Pessimisten sozusagen trotz alledem am Leben – so dass der existentialistische Trotz eines Albert Camus nur ein entgöttlichtes Christentum ist. Dem gegenüber erreicht die ›Aufklärung‹ der ›beobachtenden Vernunft‹ des psychophysischen Empirismus immerhin dieses Positive: Die reale Existenz des Geistes hängt an leiblichen Vollzügen und zeigt sich im realen Verhalten und Handeln. Allerdings geht diese Bewegung zu weit, indem sie den Geist rein körperlich verdinglicht. Ihr eigentliches und festzuhaltenden Resultat aber ist, dass jede Selbstbeobachtung auf Aussagen aus ist, die der kategorialen Form »es ist so« angehören und ausgesprochen werden vom Sprecher selbst. Damit aber anerkennt ›die beobachtende Vernunft‹ den apriorischen Vorrang ›der Kategorie‹, der »Einheit des Ich und des Seins«, also der Aussageform `ich φ(ich): 344 b
»Es kehrte dadurch aus dem Selbstbewußtsein in das Bewußtsein zurück, d. h. in das Bewußtsein, für welches der Gegenstand ein Sein, ein Ding ist; – aber dies, was Ding ist, ist das Selbstbewußtsein; es ist also die Einheit des Ich und des Seins, die Kategorie. Indem der Gegenstand für das Bewußtsein so bestimmt ist, hat es Vernunft. Das Bewußtsein, so wie das Selbstbewußtsein, ist an sich eigentlich Vernunft; aber nur von dem Bewußtsein, dem der Gegenstand als die Kategorie sich bestimmt hat, kann gesagt werden, daß es Vernunft habe; – hiervon aber ist noch das Wissen, was Vernunft ist, unterschieden. – « (230 f. | 191)
Der Ausdruck »die Kategorie« steht bei Hegel, wie wir inzwischen wissen, für die Aussage-Form »ich stehe dafür ein, dass φ«, bzw. »ich sage, dass es sich so und so (mit mir) verhält«. Wenn ich selbst der ›Gegenstand‹ der Aussage bin, dann lautet die Form »ich stehe dafür ein, dass die Eigenschaft E = φ(x) von mir selbst
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gilt bzw. gelten wird«, falls ich etwa eine Absicht deklariere oder ein Versprechen gebe. Es ist klar, dass derartige performative Akte keine bloßen empirischen Selbstbezüge etwa der Selbstbeobachtung, sondern Momente der Selbstbestimmung sind, mit klarem Bezug auf denjenigen, der ich sein will, und dasjenige, was von mir später als wahr gelten soll. So gelangen wir ganz o=enbar aus einem vermeintlich unmittelbaren Selbstbewusstsein zu einem praktischen Selbstbezug und einem Wissen, dass wir sowohl als Subjekte als auch als Objekte darin zeitlich sind und dass unsere Zukunft zu uns gehört. Das gegenwärtige und vergangene äußere Sein des Leibes und der leiblichen Prozesse ist dabei nur ein Moment. Das Selbst des Ich reicht dagegen in die Zukunft und ist daher mehr als das bloß präsentische Subjekt des Wissens und des Tuns im Vollzug. Die »Einheit des Ich und des Seins« ist dabei gerade die Kategorie, die Form der Aussage über mich und meine Welt, über die Form meines tätigen Handelns oder das Handeln selbst. Erst wer weiß, dass jede Aussage über die Welt eigentlich auch schon eine Selbstaussage ist (und umgekehrt), und dass sich in jeder Handlung eine Haltung zu sich und zur Welt zeigt, ist sich seiner selbst bewusst und weiß um den Status des vernünftig reflektierenden Denkens. Das heißt ›der Vernünftige‹ weiß ›um die Kategorie‹, die Form der (Selbst-)Aussage, und dass Handlungen Selbstbestimmungen sind. Damit weiß er um die Performativität, subjektive Perspektivität und durchaus auch schon die Normativität aller derartiger Bezugnahmen auf sich und die Welt. »Die Kategorie, welche die unmittelbare Einheit des Seins und des Seinen ist, muß beide Formen durchlaufen, und das beobachtende Bewußtsein ist eben dieses, dem sie sich in der Form des Seins darstellt. In seinem Resultate spricht das Bewußtsein dasjenige, dessen bewußtlose Gewißheit es ist, als Satz aus, – den Satz, der im Begri=e der Vernunft liegt. Er ist das unendliche Urteil, daß das Selbst ein Ding ist, – ein Urteil, das sich selbst aufhebt. – Durch dieses Resultat ist also bestimmt zur Kategorie dies hinzugekommen, daß sie dieser sich aufhebende Gegensatz ist.« (231 | 191)
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Es ist ungrammatisch zu sagen, ich sei mein Gehirn, oder ich sei mein Leib. Und es ist ein mnemotechnischer Kalauer, wenn Hegel sagt, die Kategorie sei »Einheit des Seins und des Seinen«. Er sagt aber etwas Tiefes und Wahres. In beiden Fällen kommt die unmittelbare Leiblichkeit des Sprechervollzugs zum Ausdruck. Wir können jetzt das logische Problem der ›Selbstbeobachtung‹ bzw. des »beobachtenden Bewusstseins« klar erkennen. Es ist seine zeitlich provinzielle, enge, halbierte, Perspektive. In den zugehörigen Urteilen oder Aussagen scheint es so, als nenne der Satzgegenstand N in φ(N), also »ich« in φ(ich), den substantiellen Körper, also bloß den Leib von der Geburt bis heute oder nur heute. Das ist ein durch die Dingsprache induziertes Missverständnis. Damit wird von der zeitlichen Ausdehnung des Lebens, dem Zukunftsbezug des Handelns und überhaupt vom Vollzug des Lebens abstrahiert. Man schließt sozusagen die Augen, was den Prozess angeht, und betrachtet bloß das Ding. Doch ich bin, der ich bin, immer (nur) als Lebensprozess im Wandel sowohl meiner selbst als auch der Umwelt, wobei sich auch das Verhältnis von mir zur Umwelt wandelt, selbst wenn einiges an mir und an meiner Umwelt fest bleibt. Spreche ich also von mir, so spreche ich von meinem Werden und Wandel in der Zeit. Es erübrigt sich zu bemerken, dass Heidegger in Sein und Zeit diese Gedanken Hegels neu denkt und damit zeigt, dass und wie sie sich aus einer Auseinandersetzung mit Kants Rede von einem transzendentalen Ich und einer transzendentalen Apperzeption ergeben. In der Selbstbeobachtung achten wir immerhin schon auf Typisches und Bleibendes im Wandel und artikulieren, was wir beobachten, unter Verwendung generischer Ausdrucksformen. Wir achten auf ein generisches Aussehen, auf generische Prozessformen oder Muster des Feuerns von Neuronen etc. Wir ›berichten‹ also keineswegs bloß Einzelnes, sondern sprechen über ›Allgemeines‹, drücken so auch Beobachtetes durch allgemeine Sätze aus. Damit verwandelt sich eine ›bewusstlose Gewissheit‹ in eine ›vernünftige‹ Selbstaussage.
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Hegel nennt nun die Aussage, dass »das Selbst ein Ding ist«, ein »unendliches Urteil« und erklärt, dass ein solches Urteil »sich selbst aufhebt«. Es ist unendlich falsch in genau dem Sinn, indem es kategorial falsch ist. Das heißt seine Falschheit ist von der Art der Falschheit des Satzes »Caesar ist eine Primzahl«. Auch der Satz: »Ich bin mein Gehirn« hebt sich selbst auf, gerade weil mein Gehirn nicht spricht, nicht einmal meine Zunge, oder meine schreibende Hand, sondern ich spreche als ganze Person, und das nur im Rahmen der personalen Rolle als Sprecher, die ich dabei aktualisiere. Mein Gehirn allein kann diese Rolle nicht spielen. Unendliche Urteile sind generell als falsche Aussagen zu begreifen, welche logische Kategorienfehler enthalten. Neben Identifizierungen von Körperbewegungen mit Handlungen sind auch die folgenden Aussagen Beispiele dieser Art von Falschheit: Farben sind Wellenlängen. Aussagen sind bloße Laute. Institutionen bestehen aus kollektiven Körperbewegungen. In gewissem Sinn enthält die Kategorie der personalen Selbstaussage `ich φ(ich) selbst schon der Form nach eine Art Kategorienfehler, und zwar weil das Objekt, auf das man sich dabei bezieht, etwa wenn man es beobachtet, nie die ganze Person ist. Auf analoge Weise ist in jeder Rede über eine Institution nie die ganze Institution Thema. Man sagt etwa, die Deutschen oder Deutschland habe den Krieg erklärt – und es war der Reichskanzler. Man sagt, dort sei die Universität, und es ist bloß das Hauptgebäude, worauf bekanntlich auch Gilbert Ryle verweist. Ich kann auch für einen Fehler verantwortlich gemacht werden, obwohl ich nichts von ihm gewusst habe, z. B. wenn ich der Präsident einer Institution bin und ein Mitglied sich in deren Namen verfehlt hat. Andererseits vertritt mich meine Hand, wenn sie stiehlt, mein Kopf, wenn er an einer Formulierung arbeitet. Dass es (fast) unausweichliche Kategorienfehler gibt, das kennen wir schon aus unserem Reden über abstrakte Gegenstände wie Zahlen. Wir sagen, die rationale Zahl 3/4 und die rationale Zahl 6/8 seien identisch – als sprächen wir von zwei Zahlen, die in einer bestimmten Relation der Gleichheit stehen. In Wirklichkeit
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sprechen wir von einer Zahl und verschiedenen Repräsentationen, also von zwei äquivalenten Brüchen, die sich auf gleichgültige Weise auf dieselbe Zahl beziehen. Wir sagen auch sonst, dass Novalis und Friedrich von Hardenberg die gleiche Person sind, weil das syntaktische Satzsubjekt das semantisch richtigere »ist« verbietet. Es wäre übrigens zu wenig zu sagen, dass es sich nur um zwei Namen derselben Person handelt. 344 d
»Die reine Kategorie, welche in der Form des Seins oder der Unmittelbarkeit für das Bewußtsein ist, ist der noch unvermittelte, nur vorhandene Gegenstand, und das Bewußtsein ein eben so unvermitteltes Verhalten.« (231 | 191)
Die reine Kategorie ist bloß die Form des »Ich bin ich« bzw. `ich φ(ich) mit variablen φ. In der Form des Seins aber bin ich physischer Leib. Als solcher bin ich leiblich unmittelbarer Gegenstand meines präsentischen Selbstbewusstseins oder Selbstwissens. Das scheine ich ganz unvermittelt zu sein. Ich bin so der vorhandene Körper. Und mein Bewusstsein ist, so scheint es, ein unmittelbares Verhalten, das als Selbstbewusstsein sich irgendwie zu sich selbst verhält. 344 e
»Das Moment jenes unendlichen Urteils ist der Übergang der Unmittelbarkeit in die Vermittlung oder Negativität. Der vorhandene Gegenstand ist daher als ein negativer bestimmt, das Bewußtsein aber als Selbstbewußtsein gegen ihn, oder die Kategorie, welche die Form des Seins im Beobachten durchlaufen hat, ist itzt in der Form des Fürsichseins gesetzt; das Bewußtsein will sich nicht mehr unmittelbar finden, sondern durch seine Tätigkeit sich selbst hervorbringen [sic!, PSW]. Es selbst ist sich der Zweck seines Tuns, wie es ihm im Beobachten nur um die Dinge zu tun war.« (231 | 191)
Das unendliche Urteil, dass ich mein Leib und dabei besonders mein Gehirn bin, ist dann eine Art Übergang aus der ›gefühlten‹ Unmittelbarkeit des Selbstseins oder Selbstlebens in die kategoriale Selbstaussage, in der sich das Vollzugs-Ich vom Bezugs-Ich unterscheidet, wobei das letztere zunächst als dinglicher Gegenstand, als Körper, Leib oder Gehirn angesprochen wird. Diese Unterscheidung in der kategorialen Aussageform `ich φ(ich) trägt
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bei Hegel den Titel »Negativität«, und zwar weil es eine Art ›Vermittlung‹ zwischen Vollzugs-Ich und Bezugsgegenstand bedarf, einer ›Identifikation‹ des Urteilsgegenstands mit mir als Vollzugswesen. Das »ich« im Index des Aussageperformators steht daher als Selbstbewusstsein ›gegen‹ das Aussage- und Satzsubjekt, über das ich etwas aussage. Die Kategorie der Selbstaussage wird so zu einem Fürsichsein, einer relationalen Selbstbeziehung. Indem wir dieses begreifen, wissen wir, dass wir uns im Selbstwissen nie ›unmittelbar‹ finden (können), dass es also gar kein unmittelbares Selbstbewusstsein gibt, wie noch Descartes, Kant und Fichte glauben oder sich und uns glauben machen, sondern dass jedes Selbstbewusstsein ein tätiges Selbstverhältnis ist, vom Selbsturteil bis zur absichtsbestimmten handelnden Selbstbestimmung. Dass Hegel diesen Gedankengang geht, zeigt sich gerade in dem sonst scheinbar unvermittelten Übergang zur Rede von Zwecken. Inhaltlich sagt er, jetzt in die Redeform der ersten Person transponiert: Ich selbst bin in jedem Selbsturteil immer schon Zweck meines redenden, urteilenden, schließenden und am Ende handelnden Tuns. Im Beobachten geht es mir aber nur erst um ein Geschehen, und zwar selbst dann, wenn ich mein eigenes Aussehen, meine Bewegungen oder die Muster meiner eigenen Gehirnströme anschaue: Im Beobachten geht es in diesem Sinn immer nur um Dinge und physische, chemische oder (neuro-) physiologische Prozesse. »Die andere Bedeutung des Resultats ist die schon betrachtete des begri=losen Beobachtens. Dieses weiß sich nicht anders zu fassen und auszusprechen, als daß es unbefangen den Knochen, wie er sich als sinnliches Ding findet, das seine Gegenständlichkeit für das Bewußtsein nicht zugleich verliert, für die Wirklichkeit des Selbstbewußtseins aussagt. Es hat aber auch darüber, daß es dies sagt, keine Klarheit des Bewußtseins und faßt seinen Satz nicht in der Bestimmtheit seines Subjekts und Prädikats [sic!, PSW] und der Beziehung derselben, noch weniger in dem Sinne des unendlichen, sich selbst auflösenden Urteils [sic!, PSW] und des Begri=s. – « (231 f. | 191)
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Wenn man nicht auf die begri=lichen Probleme achtet und meint, man könne sich unmittelbar selbst beobachten, wie man eigentlich und wesentlich ist, so erscheinen wir uns als Knochen und Haut, als Schädel und Körper, und, seit wir in den Kopf schauen können, als Gehirn und Gehirnprozesse. Indem man dann sagt, der Geist oder das Bewusstsein sei das Gehirn, entsteht aber keineswegs ein klares Wissen von einem selbst. Man versteht vielmehr den Sinn dieses – völlig ungrammatischen – Satzes überhaupt nicht, ist vielmehr bewusstlos irgendwie mit ihm zufrieden, ohne zu wissen, was sein Inhalt ist, also was alles aus ihm folgen würde, wenn er denn richtig oder wahr wäre, bzw. was sich aus ihm an Konsequenzen ergibt, soweit er richtig oder wahr ist. Das heißt, man versteht den Sinn der Subjekt-Prädikat-Relation in dem Satz noch nicht. Und man weiß noch nicht, inwiefern sich die Selbstaussage, wie oben geschildert, selbst auflöst, und zwar weil in ihr unendliche Urteile, also Kategorienfehler enthalten sind. 345 b
»Es verbirgt sich vielmehr aus einem tiefer liegenden Selbstbewußtsein des Geistes, das hier als eine natürliche Honnetetät erscheint, die Schmählichkeit des begri=losen nackten Gedankens, für die Wirklichkeit des Selbstbewußtseins einen Knochen zu nehmen, und übertüncht ihn durch die Gedankenlosigkeit selbst, mancherlei Verhältnisse von Ursache und Wirkung, von Zeichen, Organ usw., die hier keinen Sinn haben, einzumischen und durch Unterscheidungen, die von ihnen hergenommen sind, das Grelle des Satzes zu verstecken.« (232 | 191)
Man meint, in dem grellen, weil katachrestischen, Satz, der Geist sei das Gehirn, etwas Tiefes zu sagen, zumal das Gehirn ja etwas mit dem Denken irgendwie zu tun hat. Der Kategorienfehler des Satzes wird übertüncht durch ein gedankenfreies Gerede über Ursachen und Wirkungen der Art, dass irgendwelche Impressionen das Gehirn verändern und dieses auf sie reagiere, indem es allerlei Körperbewegungen veranlasse – so dass der Vorstellung zufolge das Gehirn den Restkörper so in Bewegung hält wie der Puppenspieler den Hampelmann. Dass dieses Bild von Aktionen im Ausgang von beobachtenden Wahrnehmungen in
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Geistige Formen
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einem zweckorientierten Handeln keinen Sinn hat, wird schlicht ignoriert. Es wird insbesondere nicht begri=en, wie sich die Unterscheidungen, welche sich als Prämissen für kausale Gesetze eignen, zu Unterscheidungen verhalten, die als Prämissen für ein begründetes Handeln taugen. Es sind andere Unterschiede, zumal die Unterschiede im Begründen immer schon mehr oder minder bewusste Unterscheidungen sind, nicht bloß mögliche Unterscheidungen. »Gehirnfibern u. dgl., als das Sein des Geistes betrachtet, sind schon eine gedachte, nur hypothetische, – nicht daseiende, nicht gefühlte, gesehene, nicht die wahre Wirklichkeit; wenn sie da sind, wenn sie gesehen werden, sind sie tote Gegenstände und gelten dann nicht mehr für das Sein des Geistes. Aber die eigentliche Gegenständlichkeit muß eine unmittelbare, sinnliche sein, so daß der Geist in dieser als toten – denn der Knochen ist das Tote, insofern es am Lebendigen selbst ist – als wirklich gesetzt wird. – « (232 | 192)
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Hegel selbst hatte bisher bloß vom Kopf oder Schädel gesprochen. Dennoch war es keine Willkür, dass ich das Argument gleich übersetzt habe in die Betrachtungsart der heutigen Hirnforschung, wie seine Rede von den »Gehirnfibern« eindeutig belegt und sein Kommentar zur Identitätsthese zwischen Hirnprozessen und einem ›mentalen Geschehen‹ oder dann auch geistigen Handlungen. Das gilt auch dann, wenn inzwischen das, was Hegel als bloße Hypothese einklammert, inzwischen als Tatsache bekannt ist, nämlich dass alle Denkprozesse durch Gehirnprozesse begleitet sind, obgleich wir kaum generische oder typische Gesetze kennen, welche von den Geschehensmustern des Gehirns die Inhalte des Denkens erschließen ließen. Immerhin ist zuzugestehen, dass Hegels Argument selbst noch zu krude ist, zumal er sich heute nicht mehr darauf zurückziehen könnte, dass die Hirnprozesse ›Hypothesen‹ seien, sie also nicht unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden können. Gerade diese Wahrnehmbarkeit wird ja in den modernen bildgebenden Verfahren hergestellt! »Der Begri= dieser Vorstellung ist, daß die Vernunft sich alle Dingheit, auch die rein gegenständliche, selbst ist; sie ist aber dies
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im Begri=e, oder der Begri= nur ist ihre Wahrheit, und je reiner der Begri= selbst ist, zu einer desto alberneren Vorstellung sinkt er herab, wenn sein Inhalt nicht als Begri=, sondern als Vorstellung ist, – wenn das sich selbst aufhebende Urteil nicht mit dem Bewußtsein dieser seiner Unendlichkeit genommen wird, sondern als ein bleibender Satz, und dessen Subjekt und Prädikat jedes für sich gelten, das Selbst als Selbst, das Ding als Ding fixiert und doch eins das andere sein soll. – « (232 | 192)
Der wichtige und schwierige Unterschied zwischen einem Vorstellungsbild von etwas und dem Begri= von etwas besteht darin, dass wir bei Vorstellungen irgendwelche Beispiele oder Metaphern heranziehen, um metastufig kommentierend über eine Praxis nachzudenken oder zu sprechen, während das Begri=liche selbst in der Form von schon empraktisch bekannten Normen des rechten Unterscheidens und Schließens vorliegt, die es zunächst zu lernen und zu beherrschen gilt, und die man im guten Fall durch explizite Regeln oder auch nur titelartige Prinzipien artikuliert. Letztere nennen Normen oder Momente an ihnen eher bloß erinnernd. Das gilt zum Beispiel auch für das Prinzip des Kategorischen Imperativs, wenn man die Formeln richtig versteht. Sie sind nämlich keine Verfahrensregeln. Die Standardformel nennt nur ein Prinzip der Kohärenz des Handelns und Redens, wie noch zu sehen sein wird. Um zu begreifen, was es mit der am Begri=lichen vorbei redenden Vorstellung auf sich hat, der Geist ›sei‹ das Gehirn und das Erleben und Denken ›bestehe‹ in Gehirnprozessen, müssen wir logisch eine Stufe höher steigen und darüber nachdenken, was es heißt, entsprechende Aussagen für wahr zu halten und mit ihnen urteilend und schließend zu ›rechnen‹, sie also etwa in Argumentationen zu verwenden. Wenn wir die Dinge auf dieser Ebene betrachten und den Handlungscharakter jedes Urteils gemäß der Kategorie `ich φ(ich) klar machen, dann ist unbestreitbar, dass alle Dingheit im Sinne der Bestimmungen eines physischen Körpers in seiner Identität die Teilhabe am vernünftigen Unterscheiden, Schließen und Handeln voraussetzt. Nur dies sagt der
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Geistige Formen
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metalogische und zugleich zum Zweck des besseren Aufmerkens und Erinnerns verdichtet verfasste Satz: »Alle Dingheit ist die Vernunft selbst«. Seine Erweiterung lautet: »Die Dingheit ist Vernunft vermittels des Begri=s«. Dass der Begri= die Wahrheit ist, bedeutet natürlich, dass es generisch-begri=liche Aussagen sind, die unsere empirischen Urteile und Schlüsse leiten. Reinen Begri=en korrespondieren Formen des Urteilens und Schließens. Je reiner oder formaler die begri=lichen Bestimmungen sind, desto absurder wird es, wenn man sie ohne projektive Urteilskraft rein schematisch anwendet. Das Problem zeigt sich z. B. in den pythagoräistischen Vorstellungen, in mathematischen Strukturen könnten wir die Wirklichkeit hinter den Erscheinungen und Erfahrungen direkt abbilden und das Reale e;zienzkausal ›erklären‹, statt sie als Bestandteile unserer Techniken einer gemeinsamen Darstellung von Welt und des ›Rechnenden Vorhersagens‹ zu begreifen. Daher ist es am Ende so abstrus, wenn die Freunde der empirischen Schädel- und Gehirnforschung die ›unendlichen‹ Kategorienfehler einfach ignorieren, welche in der ›Vorstellung‹ oder ›Meinung‹ liegen, der Geist sei das Gehirn, ich sei mein Gehirn, und das Gehirn entwerfe Modelle seiner selbst. Das Gehirn tut einfach nichts dergleichen. Das Selbst oder das Ich ist nicht das Gehirn. Das Gehirn ist nicht das Selbst oder das Ich. Das bedeutet nicht, es gäbe ein Ich oder Selbst jenseits der leiblichen Abläufe. Es bedeutet, dass die Wörter »ich« und »selbst« eine ganz andere Rolle spielen, als die vagen Vorstellungen der so genannten Identitätstheorien unterstellen. »Die Vernunft, wesentlich der Begri=, ist unmittelbar in sich selbst und ihr Gegenteil entzweit, ein Gegensatz, der eben darum ebenso unmittelbar aufgehoben ist. Aber sich so als sich selbst und als ihr Gegenteil darbietend und festgehalten in dem ganz einzelnen Momente dieses Auseinandertretens, ist sie unvernünftig aufgefaßt; und je reiner die Momente desselben sind, desto greller ist die Erscheinung dieses Inhalts, der allein entweder für das Bewußtsein ist oder von ihm unbefangen allein ausgesprochen wird. – « (232 | 192)
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Logische und psychologische Gesetze
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Die Vernunft ist wesentlich Begriff. Das bedeutet, dass alles vernünftige Urteilen und Schließen sich an den generischen Aussagen und Regeln bzw. den praktischen Normen des rechten Unterscheidens und Schließens zu orientieren hat, welche wir als »begriffliche« Aussagen und Regeln setzen oder kodifizieren. Beispiele derartiger (material-)begrifflicher Aussagen und Schlüsse haben wir schon viele kennengelernt. Am Umstrittensten sind dabei Aussagen, welche das Besondere des menschlichen Geistes betreffen, z. B. die Fähigkeit, eine volle Symbolsprache mit ihren Benennungen und Prädikaten, ihren allgemeinen Nennungen und Merksätzen zu verstehen bzw. angemessen im Urteilen, Schließen und Handeln zu beherrschen, wozu insbesondere die Formen des vernünftigen dialogischkooperativen Sprachverstehens gehören. Symbolsprachen zu verstehen, ist übrigens gerade im dialogischen Gespräch weit mehr als ein bloß kalkülmäßiges Rechnen mit Notationen, wie es auch ein Computer tun kann. Wir sollten übrigens auch die Signalsysteme von Ameisen und anderen sozialen Tieren möglichst nicht als »Sprachen« ansprechen, um Verwirrungen zu vermeiden. 346 d
»Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewußtsein treibt und es in diesem stehen läßt, – und die Unwissenheit dieses Bewußtseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, – und des Organs des Pissens naiv ausdrückt. – « (233 | 192)
Hegels Darstellungsweise lässt hier an Drastik kaum Wünsche o=en. Im vorliegenden Paragraphen parallelisiert er auf exemplarische Weise das scheinbare Gefälle zwischen den scheinbaren Höhen des Denkens und den scheinbaren Niederungen des Lebens zum Gefälle zwischen den beiden Gebrauchsweisen des Penis zum Geschlechtsverkehr oder zur Ausscheidung von Urin: Damit wird auf der einen Seite das erotische Pathos und das Pathos der Geistigkeit des Menschen auf den Boden
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Geistige Formen
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der Tatsachen zurückgeholt; auf der anderen Seite wird das Kindliche erkennbar in der These, es gäbe hier nur die eine Funktion. Es ist also einerseits das Denken viel weniger tief, als es ein mystifizierender Cartesianismus darstellt. Es ist aber auch viel weniger oberflächlich, als es der materialistische oder neurophysiologische Anti-Cartesianismus will. Das vulgäre ›Wissen‹ über das Gehirn als Organ des Denkens ähnelt also verdächtig dem des Jungen, der bloß erst die Funktion des Penis als Organ zur Selbsterleichterung beim Urinablassen kennt. Die Ironie ist tief: Es wird damit die Funktion bestenfalls hälftig, im Gesamtzusammenhang erotischen Lebens gar nicht begri=en. »Das unendliche Urteil als unendliches wäre die Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens; das in der Vorstellung bleibende Bewußtsein desselben aber verhält sich als Pissen.« (233 | 192)
Gerade wenn wir das Katachrestische, Ungrammatische, unendlich Falsche an den Urteilen der Form `ich φ(ich) über uns begreifen, gelangen wir zu einem vertieften Verständnis von uns selbst, am Ende zur »Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens«. Denn alle Urteile über sich enthalten in gewissem Sinn Kategorienfehler, allein schon wegen der nahe gelegten Verwechslung von Widerfahrnisprozessen mit symbolischen Trägerhandlungen und der sinnrepräsentierenden Trägerhandlungen mit einem Inhaltsverstehen. Insgesamt verhält sich die Vorstellung vom Gehirn als dem Geist und von den Gehirnströmen als dem Denken dennoch bloß so wie das Pissen zur Erotik.
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Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins 233 | 193
B. Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst 35. Selbstbildung durch Verleiblichung dispositioneller Formen 347 a
»Das Selbstbewußtsein fand das Ding als sich, und sich als Ding; d. h. es ist für es, daß es an sich die gegenständliche Wirklichkeit ist.« (233 | 193)
Überall, wo es um die Frage geht, wer ich bin, sind die folgenden Antworten ungrammatisch: Ich bin mein Leib. Das lebende Wesen ist das individuelle Ding. Dennoch sind die Aussagen wahr. 347 b
»Es ist nicht mehr die unmittelbare Gewißheit, alle Realität zu sein, sondern eine solche, für welche das Unmittelbare überhaupt die Form eines Aufgehobenen hat, so daß seine Gegenständlichkeit nur noch als Oberfläche gilt, deren Inneres und Wesen es selbst ist. – « (233 | 193)
Mein jetziger Leib und seine Teile sind nur das gegenwärtige Äußere. Mein Wesen besteht, so pflegen wir zu reden, in einem Inneren. Dieses Wesen ist aber nichts anderes als die zeitliche Seinsweise einer Person im Vollzug dessen, was es heißt, ein personaler Mensch zu sein. 347 c
»Der Gegenstand, auf welchen es sich positiv bezieht, ist daher ein Selbstbewußtsein; er ist in der Form der Dingheit, d. h. er ist selbständig ; aber es hat die Gewißheit, daß dieser selbständige Gegenstand kein Fremdes für es ist; es weiß hiemit, daß es an sich von ihm anerkannt ist; es ist der Geist, der die Gewißheit hat, in der Verdopplung seines Selbstbewußtseins und in der Selbständigkeit beider seine Einheit mit sich selbst zu haben. Diese Gewißheit hat sich ihm nun zur Wahrheit zu erhoben; was ihm gilt, daß es an sich und in seiner innern Gewißheit sei, soll in sein Bewußtsein treten und für es werden.« (233 | 193)
Ich bin leiblich mein Selbstbewusstsein, insofern ich als Leib eine Art Antwort bin auf die Frage, wer ich bin. Oder, anders gesagt, wenn ich mich selbst erkennen will, muss ich mich zunächst selbst als leiblich lebendes Wesen, als Menschen und als Person erkennen. Der Leib im Leben ist dann aber zugleich auch
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Selbstbildung durch Verleiblichung
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als Subjekt und Objekt des Selbstwissens zu begreifen. Das Wort »Geist« nennt dabei die Form des Wissens, an der ich teilnehme, auch wenn ich über mich selbst etwas weiß. Zunächst aber und realiter erscheint dieses Selbstwissen als eine bloße Selbstgewissheit, und zwar weil die Wahrheit eines Wissensanspruchs von mir über mich nicht einfach von mir allein bestätigbar ist. Alle meine Urteile gelten bloß erst für mich in der Haltung der Gewissheit, im Modus der (Selbst-)Versicherung. »Was die allgemeinen Stationen dieser Verwirklichung sein werden, bezeichnet sich im allgemeinen schon durch die Vergleichung mit dem bisherigen Wege. Wie nämlich die beobachtende Vernunft in dem Elemente der Kategorie die Bewegung des Bewußtseins, nämlich die sinnliche Gewißheit, das Wahrnehmen und den Verstand wiederholte, so wird diese auch die doppelte Bewegung des Selbstbewußtseins wieder durchlaufen und aus der Selbständigkeit in seine Freiheit übergehen. Zuerst ist diese tätige Vernunft ihrer selbst nur als eines Individuums bewußt und muß als ein solches seine Wirklichkeit im andern fodern und hervorbringen – alsdenn aber, indem sich sein Bewußtsein zur Allgemeinheit erhebt, wird es allgemeine Vernunft und ist sich seiner als Vernunft, als an und für sich schon anerkanntes bewußt, welches in seinem reinen Bewußtsein alles Selbstbewußtsein vereinigt; es ist das einfache geistige Wesen, das, indem es zugleich zum Bewußtsein kommt, die reale Substanz ist, worein die früheren Formen als in ihren Grund zurückgehen, so daß sie gegen diesen nur einzelne Momente seines Werdens sind, die sich zwar losreißen und als eigne Gestalten erscheinen, in der Tat aber nur von ihm getragen Dasein und Wirklichkeit, aber ihre Wahrheit nur haben, insofern sie in ihm selbst sind und bleiben.« (233 f. | 193)
Wir haben zwischen dem Geltungsanspruch einer konkret und inhaltlich bestimmten Selbstgewissheit und der objektiven Erfüllung des Anspruchs, der objektiven Wahrheit der bloß subjektiven Gewissheit, zu unterscheiden. Das eigentliche Subjekt dieser Unterscheidung bin nicht je ich, sondern das Wir der allgemeinen Vernunft. Das geistige Wesen ist die Seinsweise dieses Wir oder Man als generischer Form, an der die einzelnen Indi-
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Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins 234 | 194
viduen, soweit sie Personen sind und vernünftig urteilen und handeln können, bloß teilnehmen, auch wenn es die kollektive Vernunft nicht außerhalb des Urteilens und Handelns der Einzelnen gibt. 349 a
»Nehmen wir dieses Ziel, das der Begri= ist, der uns schon entstanden – nämlich das anerkannte Selbstbewußtsein, das in dem andern freien Selbstbewußtsein die Gewißheit seiner selbst und eben darin seine Wahrheit hat –, in seiner Realität auf oder heben wir diesen noch innern Geist als die schon zu ihrem Dasein gediehene Substanz heraus, so schließt sich in diesem Begri=e das Reich der Sittlichkeit auf.« (234 | 194)
Der Geist und das Reich des Ethos, der gemeinsamen Sittlichkeit, sind ein und dasselbe. 349 b
»Denn diese [die Sittlichkeit, das Ethos, PSW] ist nichts anderes als in der selbständigen Wirklichkeit der Individuen die absolute geistige Einheit ihres Wesens; ein an sich allgemeines Selbstbewußtsein, das sich in einem andern Bewußtsein so wirklich ist, daß dieses vollkommene Selbständigkeit hat oder ein Ding für es, und daß es eben darin der Einheit mit ihm sich bewußt ist und in dieser Einheit mit diesem gegenständlichen Wesen erst Selbstbewußtsein ist. Diese sittliche Substanz in der Abstraktion der Allgemeinheit ist nur das gedachte Gesetz; aber sie ist eben so sehr unmittelbar wirkliches Selbstbewußtsein, oder sie ist Sitte. Das einzelne Bewußtsein ist umgekehrt nur dieses seiende Eins, indem es des allgemeinen Bewußtseins in seiner Einzelnheit als seines Seins sich bewußt, indem sein Tun und Dasein die allgemeine Sitte ist.« (234 | 194)
Real wird die Sittlichkeit in der Sitte, den institutionalisierten Praxisformen des ethischen Handelns und Urteilens. 350
»In dem Leben eines Volks hat in der Tat der Begri= der Verwirklichung der selbstbewußten Vernunft, in der Selbständigkeit des Andern die vollständige Einheit mit ihm anzuschauen oder diese von mir vorgefundene freie Dingheit eines Andern, welche das Negative meiner selbst ist, als mein für mich Sein zum Gegenstande zu haben, seine vollendete Realität. Die Vernunft ist als die flüssige allgemeine Substanz, als die unwandelbare einfache Dingheit vorhanden, welche
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ebenso in viele vollkommen selbständige Wesen wie das Licht in Sterne als unzählige für sich leuchtende Punkte zerspringt, die in ihrem absoluten Fürsichsein nicht nur an sich in der einfachen selbständigen Substanz aufgelöst sind, sondern für sich selbst; sie sind sich bewußt, diese einzelnen selbständigen Wesen dadurch zu sein, daß sie ihre Einzelnheit aufopfern und diese allgemeine Substanz ihre Seele und Wesen ist; so wie dies Allgemeine wieder das Tun ihrer als Einzelner oder das von ihnen hervorgebrachte Werk ist.« (234 f. | 194)
Die Sprache spekulativer Meta-Logik ist, wie wir hier erneut klar sehen, immer selbst schon metaphorisch und macht daher von reflektierenden Vorstellungen einen kommentarartigen Gebrauch. Allgemeine Praxisformen oder Institutionen gibt es nur, wenn es genügend viele Einzelpersonen gibt, die diesen Formen gemäß handeln bzw. urteilen. Anderseits entsteht durch eine bloß zufällige Übereinstimmung im Handeln und Urteilen noch keine Praxisform oder Institution. Während also das Handeln und Urteilen der Einzelnen notwendige Bedingung für die Fortexistenz einer Institution ist, ist die Bestimmung der Form des Urteilens und Handelns der Einzelnen nicht eine bloße Sache der Einzelnen. »Das rein einzelne Tun und Treiben des Individuums bezieht sich auf die Bedürfnisse, welche es als Naturwesen, d. h. als seiende Einzelnheit hat.« (235 | 194)
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Als Einzelwesen sind wir Bedürfnis- und Begierdewesen, geleitet in unserem Tun durch tätige Versuche, unmittelbare Bedürfnisse und Begierden zu befriedigen, später dann auch sprachlich vorweggenommene Wünsche zu erfüllen. »Daß selbst diese seine gemeinsten Funktionen nicht zunichte werden, sondern Wirklichkeit haben, geschieht durch das allgemeine erhaltende Medium, durch die Macht des ganzen Volks. – « (235 | 194)
Nur wenn man genauer über den Begri= des Wünschens und Zwecks, des Handelns und der Vorwegnahme möglicher Handlungsfolgen nachdenkt, wird man sich dessen bewusst, dass es der Beherrschung begri=lichen Allgemeinwissens bedarf, damit wir überhaupt zielgerichtet leben und auf bloße Möglichkeiten
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Bezug nehmen können. Dieses Können wiederum verdanken wir nicht unseren eigenen Erfahrungen, wie es der Empirismus will, sondern der Arbeit am Begri=. Diese ist eine kollektive Arbeit und bestimmt unser Handlungsvermögen. Die ›Macht des Volkes‹ ist hier also nicht als Zwangsmacht gemeint, nicht als potestas, sondern als potentia, als individuelle oder kollektive Kompetenz. 351 c
»Nicht nur aber diese Form des Bestehens seines Tuns überhaupt hat es in der allgemeinen Substanz, sondern eben so sehr seinen Inhalt; was es tut, ist die allgemeine Geschicklichkeit und Sitte aller. Dieser Inhalt, insofern er sich vollkommen vereinzelt, ist in seiner Wirklichkeit in das Tun aller verschränkt. Die Arbeit des Individuums für seine Bedürfnisse ist eben so sehr eine Befriedigung der Bedürfnisse der andern als seiner eignen, und die Befriedigung der seinigen erreicht es nur durch die Arbeit der andern. – Wie der Einzelne in seiner einzelnen Arbeit schon eine allgemeine Arbeit bewußtlos vollbringt [sic!, PSW], so vollbringt er auch wieder die allgemeine als seinen bewußten Gegenstand; das Ganze wird als Ganzes sein Werk, für das er sich aufopfert und eben dadurch sich selbst von ihm zurückerhält. – Es ist hier nichts, das nicht gegenseitig wäre [sic!, PSW], nichts, woran nicht die Selbständigkeit des Individuums sich in der Auflösung ihres Fürsichseins, in der Negation ihrer selbst, ihre positive Bedeutung, für sich zu sein, gäbe. Diese Einheit des Seins für Anderes oder des sich zum Dinge Machens und des Fürsichseins [sic!, PSW], diese allgemeine Substanz [sic!, PSW] redet ihre allgemeine Sprache in den Sitten und Gesetzen seines Volks; aber dies seiende unwandelbare Wesen ist nichts anderes als der Ausdruck der ihr entgegengesetzt scheinenden einzelnen Individualität selbst [sic!, PSW]; die Gesetze sprechen das aus, was jeder Einzelne ist und tut; das Individuum erkennt sie nicht nur als seine allgemeine gegenständliche Dingheit, sondern eben so sehr sich in ihr, oder als vereinzelt in seiner eignen Individualität und in jedem seiner Mitbürger. In dem allgemeinen Geiste hat daher jeder nur die Gewißheit [sic!, PSW] seiner selbst, nichts anders in der seienden Wirklichkeit zu finden als sich selbst [da all mein Wissen von mir her bloße Gewissheit ist, PSW]; er ist der andern so gewiß als seiner.– « (235 f. | 194 f.)
Selbstbildung durch Verleiblichung
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Die Existenzform der Inhalte, der Normen des richtigen Di=erenzierens und Schließens, ist nicht von der Art, dass man die Einzelpersonen, ihr Gehirn oder ihr Benehmen zu betrachten hätte, sondern die Allgemeinheit, die ›allgemeine Substanz‹, das bleibende Ethos des jeweiligen Volkes. Ich ersetze hier die Wörter »Ethos« und »Sittlichkeit« durch »humane Lebensform« als Titel für alle personalen Praxisformen und Institutionen. Der Inhalt einer symbolischen Handlung oder sonstigen Handlung ›vereinzelt‹ sich dann immer dadurch, dass die Einzelpersonen in der entsprechenden Form urteilen und handeln. Wie schon Platon sieht, und dann auch Adam Smith, ist die Arbeit der Einzelperson, obgleich diese ihre eigenen Bedürfnisse verfolgt, erstens, immer schon belehrt durch ein allgemeines Wissen, zweitens, auch immer schon ein (guter oder schlechter) Beitrag zu einer allgemeinen und gemeinsamen Arbeit und dient eben daher, drittens, möglicherweise immer auch schon der »Befriedigung der Bedürfnisse der Anderen«, wenn und soweit die kooperative Arbeitsteilung entsprechend gut eingerichtet ist. Das Individuum merkt das aber nicht immer, wie schon Bernard Mandeville erläutert. Es kann also auch ein Tun gemäß reinem Privatinteresse ein Beitrag zum Allgemeinwohl sein. Viertens ist eine Handlung schon in ihrem Zweck, Ziel oder ›Gegenstand‹ des Tuns inhaltlich allgemein bestimmt: Die Bedingungen der Erfüllungen sind etwas Allgemeines. Fünftens kann das Allgemeine und Ganze ein bewusstes Ziel seiner gemeinsamen Entwicklung sein. Im menschlichen Handeln und Arbeiten ist am Ende alles gegenseitig. Mit der Selbständigkeit der Einzelperson ist es daher viel weniger weit her, als man denkt. Noch der einsamste Trapper in der Prairie musste wie Robinson auf seiner Insel einige Techniken, etwa der Jagd, von anderen gelernt haben und – verkauft am Ende seine Felle. Eine Person zu sein, besteht daher darin, eine Rolle in einem Kooperationszusammenhang zu spielen. Das Ethos als Ganzes bestimmt diese Rollen und den personalen Status der Person in fast jedem Betracht, in frei moralischen oder familialen ebenso wie in gesellschaftlichen, politischen und recht-
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lichen Bezügen. Geist und Intelligenz zu haben, ist am Ende die Kompetenz, mit o=enen Augen in der Welt und in der Gemeinschaft der Menschen ein menschliches Leben zu führen. Hegel betont außerdem, dass jeder von uns so viel von der Welt und von sich als Gegenstand wissen kann, wie jeder andere. Das heißt nicht, dass ein anderer meine Empfindungen haben könnte. Es heißt aber, dass die Gewissheit, dass die Anderen wie ich denken, urteilen und handeln können, ebenso unmittelbar und ebenso vermittelt ist, wie die Gewissheit meiner selbst. Die scheinbar unmittelbare Selbstgewissheit des einzelnen denkenden Subjekts ist in ihrer Form nur aus der Perspektive ›des allgemeinen Geistes‹, also der allgemein vermittelten Inhalte zu verstehen: Jeder von uns weiß eigentlich immer schon, dass er sich in jedem Bezug auf die Welt der Wirklichkeit auch auf sich selbst bezieht, dass jeder Anspruch auf ein Weltwissen Selbstbewusstsein voraussetzt, dass dieses aber als solches schon ein Wissen von mir über mich und uns ist. Daher bin ich mir meiner selbst immer nur so weit gewiss und bewusst, wie ich mir auch der anderen Personen gewiss und bewusst bin. Selbstwissen ist daher nicht in der Form der Introspektion oder ›Intuition‹, sondern in der Form des Redens und Zusammenlebens mit anderen Personen voranzutreiben. 351 d
»Ich schaue es in allen an, daß sie für sich selbst nur diese selbständigen Wesen sind, als Ich es bin [sic!, PSW]; Ich schaue die freie Einheit mit den andern in ihnen so an, daß sie wie durch Mich, so durch die Andern selbst ist, – Sie als Mich, Mich als Sie [sic!, PSW].« (236 | 195)
Jede Person ist formal so selbständig wie jede andere. Jede Person ist formal abhängig von anderen Personen. Das Personsein ist ein relationaler Begri=. Aber auch jede Person ist auf die gleiche Art frei von bestimmten Abhängigkeiten, gerade weil sie teilnimmt am allgemeinen Wissen über Möglichkeiten und an einem allgemeinen technischen Können, welches ein freies Handeln ermöglicht. Diese Freiheit oder Selbständigkeit besteht in der relativen Unabhängigkeit von den bloß faktisch-zufälligen präsentischen Umgebungen, wie sie über Empfindung und
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enaktive Perzeption das Verhalten der Tiere rein instinktiv und implizit anleiten. In menschlicher Wahrnehmung ist das alles längst schon überformt durch ein inhaltsbestimmtes Urteilen, Schließen und Handeln. Die Inhalte aber sind immer etwas Allgemeines. In diesem Wissen ›sehe‹ ich sozusagen unmittelbar, dass die anderen Menschen Personen sind. Ich weiß, dass sie selbständig urteilen (können). Und ich lerne ihre Inhalte, indem ich mit ihnen spreche und kooperativ zusammenlebe. Ich bin Person, indem ich durch sie als Person (an)erkannt bin. Und sie sind Personen, indem sie sich je als Person, als ein Ich, erkennen und anerkennen. Daher ist die 3. Person Plural, wie schon die 2. Person, das »Ihr«, sekundär zum »Wir«. Das gilt aber schon für das »Ich«. Auch dieses ist sekundär zum Wir des Ich und Du. »In einem freien Volke ist darum in Wahrheit die Vernunft verwirklicht; sie ist gegenwärtiger lebendiger Geist, worin das Individuum seine Bestimmung, d. h. sein allgemeines und einzelnes Wesen, nicht nur ausgesprochen und als Dingheit vorhanden findet, sondern selbst dieses Wesen ist und seine Bestimmung auch erreicht hat. Die weisesten Männer des Altertums haben darum den Ausspruch getan: daß die Weisheit und die Tugend darin bestehen, den Sitten seines Volks gemäß zu leben.« (236 | 195)
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Das, was die Vernunft als System der Normen des Vernünftigen oder Richtigen im Urteilen und Schließen bestimmt, existiert in einem freien Volk. Das Leben der Einzelperson ist, wenn es richtig geführt und vernünftig bewertet wird, immer schon auf diese Allgemeinheit bezogen, ob das der Person bewusst ist oder nicht. Schon der Vollzug des Lebens selbst ist so geformt – so dass die Person diese Form nicht bloß in einer Selbstbeobachtung in der »Dingheit vorhanden findet«, »sondern selbst dieses Wesen ist«. »Aus diesem Glücke aber, seine Bestimmung erreicht zu haben und in ihr zu leben, ist das Selbstbewußtsein, welches zunächst nur unmittelbar und dem Begri=e nach Geist ist, herausgetreten, oder auch, – es hat es noch nicht erreicht; denn beides kann auf gleiche Weise gesagt werden.« (236 | 195)
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Während es zunächst ganz richtig ist zu sagen, dass es das Beste ist, den impliziten Normen der je mir gegebenen Lebensform als besonderem System von Praxisformen gemäß zu leben, erkennt das moderne Selbstbewusstsein, dass wir immer schon teilhaben an der Entwicklung und Verbesserung des ethischen Gesamtrahmens unseres Lebens, und dass wir mit der bloß in unserem Volk, in unserer Umgebung, überkommenen Kultur nie zufrieden sein können und dürfen. Denn das tradierte Ethos eines Volkes (eines Stammes oder einer Nation) ist nur ›an sich‹ der Geist der Gesetze und Normen des Rechten und Richtigen. Es ist nie schon vollkommen, zumal in der betulichen Begrenzung auf Stamm, Volk oder Nation die Freiheit der Personen noch nicht voll entwickelt ist: Der Kampf um die Selbstbestimmung eines Einzelvolkes kippt schnell in eine absurde Verteidigung von Provinzialität oder in weit Schlimmeres. 354
»Die Vernunft muß aus diesem Glücke [reiner complacency, PSW] heraustreten; denn nur an sich oder unmittelbar ist das Leben eines freien Volks die reale Sittlichkeit, oder sie ist eine seiende, und damit ist auch dieser allgemeine Geist selbst ein einzelner, das Ganze der Sitten und Gesetze, eine bestimmte sittliche Substanz, welche erst in dem höheren Momente, nämlich im Bewußtsein über ihr Wesen, die Beschränkung auszieht und nur in diesem Erkennen ihre absolute Wahrheit hat, nicht aber unmittelbar in ihrem Sein [ein bloß tradierter Vollzug ohne Reflexion ist provinziell, engstirnig, selbstgerecht, PSW]; in diesem ist sie teils eine beschränkte, teils ist die absolute Beschränkung eben dies, daß der Geist in der Form des Seins ist.« (236 f. | 196)
›Vernunft‹ ist mehr als bloß ein System von Normen des Richtigen. Sie enthält die Form der Entwicklung der Formen des guten Zusammenlebens. Wir können uns daher mit dem bloß gegebenen sittlichen moralischen und rechtlichen Urteilen nie zufrieden geben. Andererseits dürfen wir die Realität der bisherigen Entwicklung des Ethos nicht zugunsten einer luftigen Utopie aufgeben. Es bedarf daher immer der Balance zwischen der Anerkennung gegebener Traditionen und einer ›konservativen‹ Entwicklung der immer auch noch mängelbehafteten Institutionen. Eine solche
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Entwicklung ist vernünftig, wenn die Probleme aufgehoben werden unter Bewahrung der guten Leistungen und ›Funktionen‹, wenn uns also Erfahrung leitet. Diese Lesart widerspricht der These, Hegel sei strukturlogisch konservativ. Der Geist existiert in der Form des Seins. Das bedeutet, es gibt ihn immer nur als Vollzug in realen Institutionen. Zu diesen Einrichtungen gehören Sprache und Begri=ssystem, Staat und arbeitsteilige Gesellschaft, Recht und Moral, Schule und Wissenschaft als Entwicklung inhaltlich-allgemeinen Wissens. In den Wissenschaften entwickeln wir unsere Begri=ssysteme, nicht bloß historische Kenntnis oder technisches Können. »Ferner ist daher das einzelne Bewußtsein, wie es unmittelbar seine Existenz in der realen Sittlichkeit oder in dem Volke hat, ein gediegenes Vertrauen, dem sich der Geist nicht in seine abstrakten Momente aufgelöst hat und das sich also auch nicht als reine Einzelnheit für sich zu sein weiß. Ist es aber zu diesem Gedanken gekommen, wie es muß, so ist diese unmittelbare Einheit mit dem Geiste oder sein Sein in ihm, sein Vertrauen verloren [sic!, PSW]; es für sich isoliert ist sich nun das Wesen, nicht mehr der allgemeine Geist. Das Moment dieser Einzelnheit des Selbstbewußtseins ist zwar in dem allgemeinen Geiste selbst, aber nur als eine verschwindende Größe, die, wie sie für sich auftritt, in ihm ebenso unmittelbar sich auflöst und nur als Vertrauen zum Bewußtsein kommt [sic!, PSW]. Indem es sich so fixiert – und jedes Moment, weil es Moment des Wesens ist, muß selbst dazu gelangen, als Wesen sich darzustellen –, so ist das Individuum den Gesetzen und Sitten gegenübergetreten; sie sind nur ein Gedanke ohne absolute Wesenheit, eine abstrakte Theorie ohne Wirklichkeit; es aber ist als dieses Ich sich die lebendige Wahrheit.« (237 | 196)
Hegel spricht hier selbst explizit von der Entwicklung des Geistes des Vertrauens, da ja »gediegen« dasselbe wie »entwickelt« bedeutet – so dass Robert Brandom die Phänomenologie des Geistes mit vollem Recht unter den Titel »A Spirit of Trust« bringen kann: Das einzelne Bewusstsein im Vollzug vertraut jeweils auf die Verlässlichkeit des gelernten Wissens. Entsprechend präsupponieren sittliche Urteile die gegebene Sittlichkeit qua Gesamtinstitution
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des Ethos des je eigenen Volkes – wie weit auch immer dieses ›Volk‹ reicht. Mit der Einsicht in die möglichen Mängel der gegebenen Tradition hebt sich nun aber das unmittelbare Vertrauen immer auch partiell auf. Die individuelle Einzelperson beginnt, die gegebene Sittlichkeit zu kritisieren. Das ist ein wichtiges, aber einseitiges, Moment der Entwicklung eines selbständigen Selbstbewusstseins. Denn jetzt erfährt sich die Einzelperson in ihrer absoluten Zentralität, was alle realen Lebensvollzüge angeht. Dieses kann zur Selbstüberschätzung verführen in Bezug auf die Normativität von Normen, Formen und Inhalten: Die moderne Subjektivität, die Gewissheit, alle Realität zu sein, wird ambivalent: Als Einsicht in die Absolutheit des Vollzugs ist sie vernünftig. Als Autonomismus der Normensetzung zerstört sie die Kultur kooperativer Vernunft. In der Überzeugung, der Einzelne oder eine Kleingruppe, oder dann auch ein Volk wie das der Deutschen, Japaner oder Chinesen sei auch nur für sich selbst das Maß aller Dinge, kollabiert die Vernunft in die Willkür eines teils tradierten, teils willkürlichen, teils individuellen bzw. subjektiven, teils kollektivsubjektiven Meinens. Gerade auch in Revolutionen ist die Selbstüberhebung der Revolutionäre die größte aller Gefahren. 356
»Oder das Selbstbewußtsein hat dieses Glück noch nicht erreicht, sittliche Substanz, der Geist eines Volks zu sein. Denn aus der Beobachtung zurückgekehrt, ist der Geist zuerst noch nicht als solcher durch sich selbst verwirklicht; er ist nur als inneres Wesen oder als die Abstraktion gesetzt. – Oder er ist erst unmittelbar, unmittelbar seiend aber ist er einzeln; er ist das praktische Bewußtsein, das in seine vorgefundene Welt mit dem Zweck einschreitet, sich in dieser Bestimmtheit eines Einzelnen zu verdoppeln, sich als Diesen, als sein seiendes Gegenbild zu erzeugen und [sich] dieser Einheit seiner Wirklichkeit mit dem gegenständlichen Wesen bewußt zu werden. Es hat die Gewißheit dieser Einheit; es gilt ihm, daß sie an sich oder daß diese Übereinstimmung seiner und der Dingheit schon vorhanden ist, nur ihm noch durch es zu werden hat, oder daß sein Machen ebenso das Finden derselben ist. Indem diese Einheit Glück heißt,
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Selbstbildung durch Verleiblichung
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wird dies Individuum hiemit sein Glück zu suchen von seinem Geiste in die Welt hinausgeschickt.« (237 f. | 196)
Dennoch bildet die Einzelperson, und eben mit ihr das allgemeine Menschsein, das Zentrum allen vernünftigen Urteilens. Indem sich aber die Einzelperson die sittliche Tradition, in der sie lebt, als etwas gegenüberstellt, das es bloß zu kritisieren und zu verbessern, nicht etwa zunächst anzuerkennen gilt, hat sie die Fülle eines guten Lebens im Ethos der Gemeinschaft noch nicht erreicht. Die Kritik, die zu einem selbstergri=enen Selbstwissen und zu einer vernünftigen Selbstbestimmung führen sollte, kann schnell umschlagen: Die Institutionen des Allgemeinen werden dann nicht etwa reformiert, sondern lösen sich in Dauerrevolutionen oder auch nur hektischen Dauerreformen auf. Die Dauerklage wird zur Anleitung für das Unglück eines moralisierenden Besserwissens. Glück als beatitudo besteht hier immer in einer Art Versöhnung des Eigenen mit dem Allgemeinen. »Wenn also die Wahrheit dieses vernünftigen Selbstbewußtseins für uns die sittliche Substanz ist, so ist hier für es der Anfang seiner sittlichen Welterfahrung. Von der Seite, daß es noch nicht zu jener geworden, dringt diese Bewegung auf sie, und das, was in ihr sich aufhebt, sind die einzelnen Momente, die ihm isoliert gelten. Sie haben die Form eines unmittelbaren Wollens oder Naturtriebs, der seine Befriedigung erreicht, welche selbst der Inhalt eines neuen Triebes ist. – « (238 | 197)
Für uns, die wir die Analyse so weit vorangetrieben haben, ist schon klar, dass der inhaltliche Kern jedes vernünftigen Selbstbewusstseins das reale Ethos der Gemeinschaft ist, welche jedem von uns ein personales und nicht bloß animalisches Leben ermöglicht. Für das einzelne Subjekt beginnt das Selbstwissen dagegen mit je seiner subjektiven »sittlichen Welterfahrung«. Gerade soweit, als ihm dies selbst nicht bewusst ist, ist das subjektive Selbstbewusstsein durch das reine Man, die tradierte Sittlichkeit bestimmt. Das heißt, das Bestehen auf je meiner Intuition ist immer zugleich ein rein traditionales Urteilen, Reden und Sichverhalten.
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Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins
Das einzelne Individuum überformt im Erwerb der Formen und Normen des Urteilens, Schließens und Handelns, welche ihm die Sittlichkeit anbietet, seine ›natürliche‹ Wahrnehmungs- und Begierdestruktur. Diese Überformung im Lernen und der Selbstbildung hebt das unmittelbare Reagieren auf Empfindungen und Perzeption auf. Es gibt danach kein ›unmittelbares Wollen‹ im Sinne eines reinen ›Naturtriebes‹ mehr, und zwar weil in allen Fällen, in denen wir einen solchen Trieb zum Zuge kommen lassen, obwohl er kontrollierbar ist, wir selbst es sind, welche auf die Möglichkeit der Triebkontrolle verzichtet haben. Ein Naturtrieb oder reine Begierde wird, wie wir gesehen haben, befriedigt dadurch, dass das Begehren aufhört. In der Überformung der Begierde durch ihre Verwandlung z. B. in ein inhaltlich bestimmtes Wünschen und Wollen ist die Bedingung der Erfüllung dagegen durch den Inhalt bestimmt, und zwar so, dass ein Subjekt zwar befriedigt sein kann, ohne dass die Bedingung erfüllt ist. Diese Stuktur ist die Bedingung der Möglichkeit von Irrtum und Selbsttäuschung. Wir kontrollieren allerdings die Erfüllung von Erfüllungsbedingungen auch weiterhin immer durch Empfindungsgefühle der Befriedigung. Das führt dazu, dass alle Selbstkontrollen bestenfalls bei ehrlichen und gewissenhaften Selbstgewissheiten enden. Insoweit wäre es richtig zu sagen, dass komplexe Selbstbestimmungen durch ›sublimierende‹ Aufhebung von ›niederen‹ Befriedigungen konstituiert sind, so wie sich die animalische Sexualität in höhere Erotik und Liebe bis hin zur Liebe zu Gott sublimiert, wenn wir mit ihr entsprechend umzugehen gelernt haben. Es ist daher logisch absurd, diese Formen der Sublimation als ›unnatürlich‹ oder ›widernatürlich‹ zu verdächtigen, auch wenn oder gerade weil anzuerkennen ist, dass alle ›höheren‹ Erfüllungen durch Umformungen ›niederer‹ Befriedigungen entstehen. Es ergibt sich geradezu als Selbstverständlichkeit, dass der eine sich noch mit schlechtem Essen zufrieden geben mag, mit schlechten Büchern oder schlechter Musik, wobei dem Wort »schlecht« dann durchaus häufig das schlichtere Gemüt der weniger gebildeten Person entspricht. Allerdings heißt das nicht, dass
Verlust instinkthafter Intuition
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nicht auch manchmal das Schlichte gut sein kann. Entsprechendes gilt für ›schlechten Sex‹, ›schlechtes Lob‹, ›schlechten Ruhm‹. Sie stehen dennoch in Kontrast zu echter Liebe, berechtigtem Lob, verdienter Ehre und allem Streben nach Perfektion samt der entsprechenden Erfüllungen und Befriedigungen.
36. Zum Verlust instinkthafter Intuition »Von der Seite aber, daß das Selbstbewußtsein das Glück, in der Substanz zu sein, verloren, sind diese Naturtriebe mit Bewußtsein ihres Zwecks als der wahren Bestimmung und Wesenheit verbunden; die sittliche Substanz ist zum selbstlosen Prädikate herabgesunken, dessen lebendige Subjekte die Individuen sind, die ihre Allgemeinheit durch sich selbst zu erfüllen und für ihre Bestimmung aus sich zu sorgen haben. – In jener Bedeutung also sind jene Gestalten das Werden der sittlichen Substanz und gehen ihr vor; in dieser folgen sie und lösen es für das Selbstbewußtsein auf, was seine Bestimmung sei; nach jener Seite geht in der Bewegung, worin erfahren wird, was ihre Wahrheit ist, die Unmittelbarkeit oder Roheit der Triebe verloren und der Inhalt derselben in einen höheren über, nach dieser aber die falsche Vorstellung des Bewußtseins, das in sie seine Bestimmung setzt. Nach jener ist das Ziel, das sie erreichen, die unmittelbare sittliche Substanz, nach dieser aber das Bewußtsein derselben, und zwar ein solches, das sie als sein eignes Wesen weiß; und insofern wäre diese Bewegung das Werden der Moralität, einer höheren Gestalt als jene. Allein diese Gestalten machen zugleich nur eine Seite ihres Werdens aus, nämlich diejenige, welche in das Fürsichsein fällt oder worin das Bewußtsein seine Zwecke aufhebt, – nicht die Seite, nach welcher sie aus der Substanz selbst hervorgeht. Da diese Momente noch nicht die Bedeutung haben können, im Gegensatze gegen die verlorene Sittlichkeit zu Zwecken gemacht zu werden, so gelten sie hier zwar nach ihrem unbefangenen Inhalte, und das Ziel, nach welchem sie dringen, ist die sittliche Substanz. Aber indem unsern Zeiten jene Form derselben näher liegt, in welcher sie erscheinen, nachdem das
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Bewußtsein sein sittliches Leben verloren und es suchend jene Formen wiederholt [sic!, PSW], so mögen sie mehr in dem Ausdrucke dieser Weise vorgestellt werden.« (238 f. | 197)
Indem die personalen Subjekte den unmittelbar erworbenen Normen des (ethisch) Richtigen misstrauen und sich selbst als Normensetzer und Normenkontrolleure begreifen, verlieren sie die unmittelbare und unbefangene Selbstgewissheit der ›intuitiven‹ Erfüllungsgefühle, gewinnen aber scheinbar oder wirklich an Selbstbewusstsein. Aufklärung gerade auch über die animalische Herkunft von Trieben und Begehrenserfüllungen scheint in einer Kriminalgenealogie der Moral die wahre »Bestimmung und Wesenheit« aller Befriedigungen kritisch aufzudecken. Das sittliche Ethos erscheint als abstrakte Norm oder als ›selbstloser‹ Wert im doppelten Wortsinn, nämlich so, dass die Selbstlosigkeit als positiver Wert erscheint oder in der Rede von der Erfüllung von Werten die Befriedigungen der Einzelsubjekte angeblich keine Rolle mehr spielen. Es klingt dann so, als wäre die Anmutung, das allgemein Richtige und Gute zu tun, irgendwie von außen gegeben, als käme es vom Himmel über eine mystische O=enbarung auf die Erde. Das gilt durchaus auch für die Normen des Utilitarismus, die auf nette Weise verlangen, das sich die Subjekte der Allgemeinheit oder einem Sozialismus aufopfern. Dabei ist klar, dass wir selbst je angesprochen sind und für die Erfüllung der Normen zu sorgen haben. O=en ist nur ihre Herkunft, Begründung und die am Ende doch nicht triviale Frage, warum wir uns durch sie binden lassen sollen, nachdem uns die absolute Zentriertheit unseres eigenen Lebens klar bewusst ist. Diese Frage nach dem Woher, Warum und Wozu jedes Sollens erhält in der Gegenwart die etwas irreführende und thematisch lokale Form »why be moral«? Es gibt dabei o=enbar ganz verschiedene Normativitäten des Richtigen, die sagen, was man tun muss, um etwas gut zu machen, etwa auch um wahr zu urteilen. Viele gehen dem Erwerb der Fähigkeiten vorher, das Richtige zu tun und das Tun als richtig zu beurteilen. Sie sind damit Bedingung der Möglichkeit einer
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entsprechenden Kompetenz und müssen von den Personen sowohl praktisch als auch im reflektierenden Urteilen anerkannt werden, wenn diese den Anspruch erheben, etwas Entsprechendes zu können, und das auf bewusste Weise. So muss man z. B. Rechnen lernen. Dadurch werden die Personen zu den ›Herren‹ der Normen – aber nur in der Normenkontrolle, nicht in der Normensetzung. Niemand kann neue Regeln der Arithmetik setzen. Im Fall moralischer Normen scheinen die Dinge anders zu liegen. Hier scheint die Tradition ihr Recht und ihre Autorität gegen die jeweils hier und jetzt lebenden Subjekte zu verlieren. In einem traditionalen Ethos ist die Erfüllung der gegebenen Normen das höchste Ziel. Eine sich ihrer Rolle als Normsetzerin selbstbewusste Person meint dagegen, dass sie selbst über das Richtige und Falsche frei urteilen könne. Aber o=ensichtlich sind beide Positionen einseitig: Die unmittelbare Unterwerfung unter eine gegebene Sittlichkeit ebenso wie die unmittelbare Gegenposition, welche meint, aus eigener Machtvollkommenheit gegen die Tradition das Gute oder Bessere zu kennen. Weder hat der reine Konservative Recht noch der Revolutionär. Weder können wir uns in einer gegebenen Sittlichkeit warm einrichten, noch wissen wir alles besser als die Tradition. Weder sind wir der Tradition, welche uns zu dem gebildet hat, was wir je sind, völlig ausgeliefert, noch können wir sie, trotz aller vermeintlichen Selbständigkeit, je ganz überwinden. Weder sind wir nur Kinder unserer Zeit, noch dürfen wir glauben, dass wir, anders als die Menschen früherer Zeiten, nicht immer auch unserem eigenen Zeitgeist verfallen sind. Noch der ärgste Kritiker des Wilhelminismus, Friedrich Nietzsche, ist in Form und Ton, seinem Pathos und seiner Neuromantik Wilhelminist. Es ist daher Hegel sowohl aus seiner Zeit heraus zu lesen und zu verstehen als auch über die Zeiten hinweg. Dass man damals dieses oder jenes konkrete gesetzesartige Wissen nicht gekannt hat, ist irrelevant. Es geht in einer logisch-philosophischen Analyse, wie sie Hegel betreibt, nie bloß um ›Details‹, sondern um kategoriale Formen, um ihre paradigmatischen Exemplifizierungen und die Unterscheidung
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zwischen ihrem richtigen oder angemessenen Verständnis und naheliegenden Missverständnissen oder Fehldeutungen. 358
»Das Selbstbewußtsein, welches nur erst der Begri= des Geistes ist, tritt diesen Weg in der Bestimmtheit an, sich als einzelner Geist das Wesen zu sein, und sein Zweck ist also, sich als einzelnes die Verwirklichung zu geben und als dieses in ihr sich zu genießen.« (239 | 197)
Hegels metalogische Sätze verdienen immer mal wieder, dass man ihre Denkstruktur im Detail auseinanderlegt. Was heißt es zum Beispiel, das Selbstbewusstsein nur erst als den Begri= des Geistes zu betrachten? Die Antwort liegt nur dann auf der Hand, wenn man sich an den gesamten Kontext der Überlegung erinnert. Es geht ja darum, das relativ unmittelbare Selbstverständnis des Strebens nach Selbstbewusstsein zu erläutern. Als solches will es Wissen von sich selbst, bewusste Subjektivität sein, wie der Ausdruck selbst begri=lich sagt. Aber in diesem rein analytischbegri=lichen Verständnis von Selbstbewusstsein scheint es sich um das unmittelbare Selbstwissen und Selbstgewahrsein des Einzelsubjekts zu handeln, sein unmittelbares (Selbst-)Erleben. Und es scheint so zu sein, dass sein Wesen der ›einzelne Geist‹ sei, also das, was auf Latein »mens«, auf Englisch »mind« heißt. Aus diesem Selbstverständnis heraus scheint es je bloß um mich zu gehen, so dass es als Sinn und Zweck des selbstbewussten und selbstbestimmenden Lebens erscheint, sich als einzelne Person zu verwirklichen und die Selbstformung seines je eigenen Einzellebens je als einzelnes Individuum zu genießen. Eben das ist der allzu enge Denkrahmen der ›Subjektivität‹ der Moderne (und Postmoderne). 359
»In der Bestimmung, sich als für sich Seiendes das Wesen zu sein, ist es die Negativität des Andern; in seinem Bewußtsein tritt daher es selbst als das Positive einem solchen gegegenüber, das zwar ist, aber für es die Bedeutung eines nicht an sich Seienden hat; das Bewußtsein erscheint entzweit in diese vorgefundene Wirklichkeit und in den Zweck, den es durch Aufheben derselben vollbringt und statt jener vielmehr zur Wirklichkeit macht. Sein erster Zweck ist aber sein unmittelbares abstraktes Fürsichsein, oder sich als dieses Ein-
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zelne in einem Andern oder ein anderes Selbstbewußtsein als sich anzuschauen. Die Erfahrung, was die Wahrheit dieses Zwecks ist, stellt das Selbstbewußtsein höher, und es ist sich nunmehr Zweck, insofern es zugleich allgemeines ist und das Gesetz unmittelbar an ihm hat. In der Vollbringung dieses Gesetzes seines Herzens erfährt es aber, daß das einzelne Wesen hierbei sich nicht erhalten, sondern das Gute nur durch die Aufopferung desselben ausgeführt werden kann, und es wird zur Tugend. Die Erfahrung, welche sie macht, kann keine andere sein, als daß ihr Zweck an sich schon ausgeführt ist, das Glück unmittelbar im Tun selbst sich findet und das Tun selbst das Gute ist. Der Begri= dieser ganzen Sphäre, daß die Dingheit das Fürsichsein des Geistes selbst ist, wird in ihrer Bewegung für das Selbstbewußtsein. Indem es ihn gefunden, ist es sich also Realität als unmittelbar sich aussprechende Individualität, die keinen Widerstand an einer entgegengesetzten Wirklichkeit mehr findet und der nur dies Aussprechen selbst Gegenstand und Zweck ist.« (239 | 197 f.)
Die Spannung des vernünftigen Selbstverhältnisses und der moralisch-ethischen ›Aufopferung‹ für eine fremde Pflicht in einem dezentrierten Begri= der Tugend wird weiter zu untersuchen sein. Fürs Erste reicht es zu sehen, dass das Gute immer schon im Tun liegt, dass also »das Glück unmittelbar im Tun selbst sich findet«. Das heißt, die Erfüllung liegt im Handeln, eher als im erreichten dinglichen Ziel. Aber auch hier ist eine Balance zwischen Selbstbewertung und Fremdbewertung des Tuns herzustellen, aber auch eine Balance zwischen Tun und Zweck. Denn ohne reales Ergebnis nützt das bestbewertete Tun gar nichts. Daher reicht ein bloßes ›Aussprechen‹ nicht, sondern wird zum bloßen Gerede – wenn der Widerstand einer sich dem Handeln entgegensetzenden Wirklichkeit nicht tätig von uns überwunden wird und wir uns unserer Leistungen bewusst werden. Damit ist das Thema der folgenden Passagen fixiert: Wie verhalten sich die Lust der Befriedigungsgefühle zu den Notwendigkeiten, welche die Erfüllung der Formen und Normen des Richtigen definieren und schwierig machen?
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a. Die Lust und die Notwendigkeit 37. Selbststeuerung durch Gefühle und der Einfluss von Normen 360 a
»Das Selbstbewußtsein, welches sich überhaupt die Realität ist, hat seinen Gegenstand an ihm selbst, aber als einen solchen, welchen es nur erst für sich hat und der noch nicht seiend ist; das Sein steht ihm als eine andere Wirklichkeit, denn die seinige ist, gegenüber; und es geht darauf, durch Vollführung seines Fürsichseins sich als anderes selbständiges Wesen anzuschauen. Dieser erste Zweck ist, seiner als einzelnen Wesens in dem andern Selbstbewußtsein bewußt zu werden oder dies Andere zu sich selbst zu machen; es hat die Gewißheit, daß an sich schon dies Andere es selbst ist. – « (240 | 198)
Insofern ich mir im Selbstgefühl des Erlebens, Fühlens, der Selbstgewissheit und dann auch des Denkvollzugs meiner Realität gewiss bin, bin ich dies bloß erst für mich und eben damit bloß abstrakt. Wer ich konkret bin, ist mir dabei noch keineswegs klar, noch weniger, wer ich als Person, als ›homo noumenon‹ in Kants Sinn bin. Die Frage, wer ich als Person bin, fragt dabei immer auch, wie ich wirklich in personalen Relationen zu anderen Personen stehe, über meine Selbstbilder oder Zuschreibungen hinaus. Nicht bloß mein Leib, auch mein Selbstbild steht mir dabei wie »eine andere Wirklichkeit« gegenüber. Erst »durch Vollführung seines Fürsichseins«, also im Vollzug einer tätigen Selbstbestimmung, kann sich eine Person »als selbständiges Wesen« anschauen. Dieses ›andere‹ Wesen bin ich aber selbst oder soll bzw. will ich selbst sein, um es genauer zu sagen. Es geht also immer noch nicht um zwei Personen, sondern um die innere Beziehung des Ich-Seins oder Selbst, wie man nominal sagt. Es sind Beziehungen zwischen dem Empfinden, Fühlen, Denken, Handeln und der Erfüllungskontrolle. Der erste Zweck, den sich ein sich seiner selbst bewusstes personales Wesen setzt, ist nun eben dies, das, was es sein will, wirklich zu machen, zu realisieren, also das für sich zu werden, was es bloß erst an sich ist bzw. an sich sein soll oder sein will. Dieser
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Zweck der realen Selbstbildung lässt sich auch so artikulieren, dass ich die allgemeine Form der Bildung zur Person und die Perfektionierung meiner Selbstbildung als Person mir zum Zweck mache. Am Ende sollte ich von mir wissen können, dass ich jenes andere Selbstbewusstsein zunächst ›an sich‹ schon bin, also der Möglichkeit nach, obgleich ich diese Möglichkeit allererst zu einer realen Fähigkeit entwickeln muss. Hegels Formulierung, nach welcher ein Individuum sich in einem anderen Selbstbewusstsein bewusst werden möchte, ist irritierend. Noch irritierender ist der bestimmte Artikel. Denn Hegel spricht von dem anderen Selbstbewusstsein und diesem Anderen, so dass o=ensichtlich nicht irgendeine andere Person gemeint sein kann. Gemeint sind vielmehr zwei Formen des Selbstbewusstseins, das bloß empraktische des reinen ›ich-denke‹, ›ich-fühle‹ und ›ich-tue‹ im Vollzug und das explizit reflektierte in Kommentaren zu einem schon inhaltlich bestimmten Fürsichsein oder Selbstverhältnis. Das empraktische Selbstbewusstsein ist dabei schon längst durch die gegebene Sittlichkeit bestimmt. Damit wird im Rückblick auf den vermeintlichen Kampf zweier Selbstbewusstseine im Selbstbewusstseins-Kapitel noch einmal klar, dass sich dort zwei Formen des Selbstbewusstseins gegenüber stehen, die Form des bloß reflektierenden Selbstdenkens wie in der Stoa und die spannungsgeladene Form des autonomen Handelns im Blick auf ein Ideal der Perfektion des personalen Subjekt-Seins in einer humanen Lebensführung. Dazu ist erstens der wahrheits- und handlungsdefätistische Skeptizismus zu überwinden, zweitens das unglückliche Bewusstsein als Fehldeutung unserer eigenen Perfektionsideale. Weitere Spannungen entstehen aus dem Wissen darum, dass wir Form und Inhalt unserer Denk- und Handlungsfähigkeit zunächst der gegebenen Sittlichkeit verdanken und nicht einfach uns selbst. Es gibt viele falsche Vorstellungen, die man sich zu dieser in der Tat transzendentalen Tatsache macht. Manche von ihnen führen zu einem unverstandenen Glauben an einen transzendenten Schöpfergott, der Welt,
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Lust und Notwendigkeit
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Erde, Tiere und Menschen mit ihren Seelen samt den Normen des Guten erscha=en haben soll. Dem Unterschied zwischen einem bloß empraktischen und einem reflektierten Selbstbewusstsein korrespondiert grob der Unterschied zwischen dem bloßen Ich-Gefühl und der bewussten Übernahme von personalen Rollen. Diese personalen Rollen stehen mir als allgemeine Handlungsformen gegenüber. Diese muss ich mir aneignen und dann konkret realisieren. Jeder von uns hat die abstrakte Möglichkeit, die Sprache und das Wissen des jeweiligen Volkes, in dem er lebt, in allen möglichen Tiefen und Höhen zu lernen und zu beherrschen. Aber es gibt auch illusionäre Selbstzuschreibungen von Kompetenzen, die man noch gar nicht erworben hat. Der ewige Anfängerkünstler träumt davon, ein großer Künstler zu sein. Andere träumen sich in je ihre Walhalla und unterschätzen, was sie alles selbst tun müssten, um überhaupt erst ihre Rollen kompetent, selbstbewusst und selbstbestimmt auszufüllen. 360 b
»Insofern es aus der sittlichen Substanz und dem ruhigen Sein des Denkens zu seinem Fürsichsein sich erhoben, so hat es das Gesetz der Sitte und des Daseins, die Kenntnisse der Beobachtung und die Theorie als einen grauen, eben verschwindenden Schatten hinter sich; denn dies ist vielmehr ein Wissen von einem solchen, dessen Fürsichsein und Wirklichkeit eine andere als die des Selbstbewußtseins ist. Es ist in es statt des himmlisch scheinenden Geistes der Allgemeinheit des Wissens und Tuns, worin die Empfindung und der Genuß der Einzelnheit schweigt, der Erdgeist gefahren, dem das Sein nur, welches die Wirklichkeit des einzelnen Bewußtseins ist, als die wahre Wirklichkeit gilt. ›Es verachtet Verstand und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Gaben – es hat dem Teufel sich ergeben und muß zugrunde gehn.‹« (240 | 198 f.)
Hegels Gedankengänge sind hier im Detail nicht allzu klar und deutlich gegliedert. Denn einerseits spricht er davon, dass sich das Individuum selbständig machen möchte. Andererseits hat das rudimentär gebildete Individuum »das Gesetz der Sitte«, also die Normen des Richtigen »hinter sich«, und das heißt, die je ein-
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zelne Person unterstellt diese Formen und Normen des richtigen Urteilens und Schließens als ihm selbstverständlich. Zugleich stellt sich die Person die tradierten ethischen Gesetze und die Inhalte des Wissens bzw. begri=lichen Formen etwa in der Form einer idealen Theorie so gegenüber, dass die ›himmlischen‹ Ideale als transzendent erscheinen. Die Person denkt ›realistisch‹, was wiederum heißt, dass sie zunächst nur das als real annimmt, was sie unmittelbar empfindet. Die Person tritt mit dieser Tendenz zur gefühlsartigen Unmittelbarkeit aus den relationalen Beziehungen mit den anderen Personen heraus und reduziert sich auf sich als bloßes Subjekt. Das ist die Haltung des solipsistischen Empirismus. Die entstehende Ich-Zentrierung geht über die anzuerkennende Absolutheit des Subjekts weit hinaus. Sie wird durch das Goethe-Zitat kritisch kommentiert: Ein bloß unmittelbares Leben missachtet oder verachtet die Sphäre des allgemeinen Wissens. Man setzt bloß auf Empfindungen, Gefühl und Triebbefriedigung, die Befriedigung von Begierden. Der Teufel, dem sich der Solipsist ergibt, ist der »Erdgeist«. Zugrunde geht die Idee der Perfektion der Person. Übrig bleibt die natürliche Subjektivität. Das ist wieder die ReAnimalisierung seiner selbst auf hohem Niveau, von der hier schon öfter die Rede war. »Es stürzt also ins Leben und bringt die reine Individualität, in welcher es auftritt, zur Ausführung. Es macht sich weniger sein Glück, als daß es dasselbige unmittelbar nimmt und genießt. Die Schatten von Wissenschaft, Gesetzen und Grundsätzen, die allein zwischen ihm und seiner eignen Wirklichkeit stehen, verschwinden als ein lebloser Nebel, der es nicht mit der Gewißheit seiner Realität aufnehmen kann; es nimmt sich das Leben, wie eine reife Frucht gepflückt wird, welche eben so sehr selbst entgegenkommt, als sie genommen wird.« (240 | 199)
Der skeptische Genießer meint, selbständig zu sein, und lebt doch ohne Wissen, was sein Leben ermöglicht. Er lebt wie ein Wohlstandsbürger, ein Philister, wie man im 19. Jahrhundert gesagt hätte. Er ist abgeklärt. Er erscheint sich selbst als weise. Die
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harte Zweideutigkeit der Phrase »Er nimmt sich das Leben« ist o=enkundig. 362 a
»Sein Tun ist nur nach einem Momente ein Tun der Begierde; es geht nicht auf die Vertilgung des ganzen gegenständlichen Wesens, sondern nur auf die Form seines Andersseins oder seiner Selbständigkeit, die ein wesenloser Schein ist; denn an sich gilt es ihm für dasselbe Wesen oder als seine Selbstheit.« (240 f. | 199)
Das Tun dessen, der sich selbst wie ein solipsistischer Empirist zur Welt und zu den anderen Menschen verhält, ist freilich immer nur unter gewissen Aspekten unmittelbar begierde- und triebgeleitet. Denn anders als bei einem wirklichen Tier, welches das, was es zum Leben braucht, sich einfach einverleibt, handelt unser Empirist durchaus schon instrumentell und denkt strategisch; er weiß bloß (noch) nicht, woher er dieses Können und Wissen hat. Im instrumentell-strategischen Handeln formt er die Dinge um, macht sie sich seinen Wünschen gefügig und lebt gerade so, dass die ganze Welt seine Welt ist. Er fasst damit also die ganze Umwelt als ein Mittel für seine Zwecke auf. Nichts um ihn herum gilt ihm als Eigenzweck. Alles wird ihm zu einer ›wesenslosen‹ Äußerlichkeit, in diesem Sinn zu einem ›Schein‹. Nur er selbst ist wirklich. Sein Tun und sein Leben erscheinen ihm als das absolute Zentrum des wirklichen Seins und Wesens. Das gilt auch für seine Urteile dazu, wie die anderen sein sollten, wenn sie denn vernünftig wären. Dabei ist an dieser Zentrierung auf das Vollzugssubjekt und in der Einsicht in die Absolutheit des je eigenen Lebens durchaus vieles richtig. Falsch ist die Missachtung der Umwelt und der Welt im Ganzen, die als solche eben nicht bloß je meine Welt ist. Die Welt ist meine Welt bloß in Bezug auf mich. Der Empirismus überdreht diesen relationalen und epistemischen Bezug dahingehend, dass er die wesensartige Objektivität der Dinge und Lebewesen, des eigenen leiblichen Seins und sogar der eigenen (in einer gemeinsamen Allgemeinheit geprägten) Lebensform übersieht. 362 b
»Das Element, worin die Begierde und ihr Gegenstand gleichgültig gegeneinander und selbständig bestehen, ist das lebendige Dasein;
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der Genuß der Begierde hebt dies, insofern es ihrem Gegenstande zukommt, auf. Aber hier ist dies Element, welches beiden die abgesonderte Wirklichkeit gibt, vielmehr die Kategorie, ein Sein, das wesentlich ein vorgestelltes ist; es ist daher das Bewußtsein der Selbständigkeit – sei es nur das natürliche oder das zu einem System von Gesetzen ausgebildete Bewußtsein –, welches die Individuen jedes für sich erhält.« (241 | 199)
Die Begierde ist ein Zustand des Leibes, des lebendigen Daseins. Dasselbe gilt auch für die Befriedigung der Begierde. In der Erfüllung der Wünsche eines empiristisch und solipsistisch denkenden und handelnden Subjekts, einer egoistischen Person in ihrem instrumentellen Denken, hört aber nicht einfach eine Begierde auf und wandelt sich in die Lust der Befriedigung der Begierde. Denn die vermittelnde Instanz ist die Kategorie, also das Urteil der Form `ich φ(ich), in dem ich die rechte Erfüllung je meines Wunsches beurteile. Die Erfüllung des Wunsches ist also ein von mir vorgestelltes, beurteiltes, Sein, so wie der Wunsch selbst Vorstellung war, ein Sein im Modus der Repräsentation, nicht, wie die Begierde, im Modus des präsentischen rein leiblichen Zustandes. Die Erfüllung von Wünschen (als explizierbare ›desires‹ oder ›pro-attitudes‹ im Unterschied zu bloßen ›animal appetites‹) geschieht also im ›Bewusstsein der Selbständigkeit‹, gerade auch im Blick auf die Beurteilung der Erfüllung. Wir, als reflektierende Beobachter, kennen und wissen dies schon aus unserer Erfahrung im Umgang mit Kindern. Diese wissen es noch nicht – obwohl sie praktisch entsprechend ›handeln‹ und praktisch auch um ihre Selbständigkeit ›wissen‹. Denn ein Kind ›weiß‹ durchaus in einem gewissen Grade, dass es sich mit etwas zufrieden geben kann oder mehr oder weniger willkürlich, eben damit aber auch selbständig, erklären kann, dass sein Wunsch nicht ausreichend befriedigt sei. Das gilt für die Erfüllung ›natürlicher‹ Bedürfnisse ebenso wie für die Erfüllung gesetzesartiger ›Normen‹ des Richtigen – so dass es immer auch eine Phase in der Entwicklung des Kindes gibt, in der dieses willkürlich bestimmen möchte, was ihm als ›richtig‹ erscheint. Das Kind muss also
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die Grenzen dieser Selbstbeurteilung der Erfüllungen durchaus erst lernen. Ein Kind, das dies nicht lernt, bleibt sozusagen ein ›unerzogener Empirist‹ – und umgekehrt. 362 c
»Diese Trennung ist nicht an sich für das Selbstbewußtsein, welches als seine eigne Selbstheit das andere weiß. Es gelangt also zum Genusse der Lust, zum Bewußtsein seiner Verwirklichung in einem als selbständig erscheinenden Bewußtsein oder zur Anschauung der Einheit beider selbständigen Selbstbewußtsein[e]. Es erreicht seinen Zweck, erfährt aber eben darin, was die Wahrheit desselben ist. Es begreift sich als dieses einzelne fürsichseiende Wesen, aber die Verwirklichung dieses Zwecks ist selbst das Aufheben desselben, denn es wird sich nicht Gegenstand als dieses Einzelne, sondern vielmehr als Einheit seiner selbst und des andern Selbstbewußtseins, hiemit als aufgehobenes Einzelnes oder als Allgemeines.« (241 | 199)
Die Unterscheidung zwischen dem willkürlich gesetzten ›Richtigen‹ des Einzelindividuums und den allgemeinen Normen oder Gesetzen des Richtigen, welche ein individuelles Wissen, Bewusstsein und Selbstbewusstsein allererst möglich machen, wird vom bloß subjektiven, empiristischen, Selbstbewusstsein noch gar nicht als solche begri=en. Denn ein sozusagen bloß erst halbpersonales oder kindliches Subjekt ›weiß‹ um die Normativität des Richtigen bloß erst im Modus seiner eigenen Selbstheit, also indem es sich dessen gewahr ist, dass es selbst so und so urteilt oder dieses und jenes als zureichende Erfüllung von Bedingungen anerkennt, anderes nicht. Dabei werden die Erfüllungen durch unmittelbare Lustgefühle geleitet. Der Modus der subjektiven Erfüllung ist gerade das Befriedigungsgefühl, und zwar gerade auch, wo es um entsprechende Urteile der Formen `ich φ bzw. `ich φ(ich) geht. Dieses Gefühl ist das Bewusstsein im Sinne des Gewahrseins der Verwirklichung des jeweiligen Begehrens, Wünschens bzw. der jeweiligen Erfüllungsbedingung. Da es sich aber um die Beurteilung einer Aussage über die Erfüllung einer Bedingung handelt, also um ein Urteil der Form `ich φ(ich), ist das Erfüllungsgefühl eine Art ›Anschauung‹ oder ›Intuition‹ der Einheit oder des Zusammenfalls von mir als Empfindungs- und
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Gefühlswesen mit mir als dem von mir beurteilten Wesen: Ich urteile darüber, ob mein Wunsch erfüllt ist, oder, wenn es sich um eine Absicht handelt, ob mein Tun diese Absicht richtig erfüllt. Dasselbe gilt für das Urteil über die Wahrheit einer möglichen Aussage. Diese Urteile über die Erfüllung der Absicht oder die Wahrheit auch meines eigenen Urteilens sind zunächst expressive oder deklarative Selbstzuschreibungen – so dass das Problem entsteht, ob diese Selbstzuschreibungen wahr sind oder bloße Selbstillusionen. Eben daher ist die Einheit der beiden Selbstbewusstseine, der gefühlsartigen Befriedigung und der von mir selbst als objektiv angesehenen Erfüllung objektiver Bedingungen selbst zunächst bloß eine subjektive Einheit. Da sich die Befriedigung einstellen muss, erfahre ich doch auch, dass ich mir die Befriedigung nicht einfach selbst zuschreiben kann. Ich erfahre zumindest eine subjektive Spannung zwischen einer bloß willkürlichen Selbstbeurteilung im Blick auf die erwünschte Erfüllung und einer wirklichen Befriedigung. Menschen, die sich durch verbale Selbstüberredungen selbst langanhaltend in einer Sache täuschen, etwa in Bezug auf ihr Verhältnis zu ihren Partnern, spüren diese Spannungen häufig durchaus, und wenn am Ende bloß in der Form von psychischen Erkrankungen. Der Unterschied zwischen bloß momentanen ›subjektiven‹ Befriedigungen gerade auch in Bezug auf bloße Selbstzuschreibungen und transtemporale ›objektive‹ Erfüllungen ist unter anderem durch diese Spannungen bedingt. Wir wissen dabei zunächst vielleicht bloß ahnenderweise um die Unterscheidungen zwischen a) einem bloß momentanen Befriedigungsgefühl, b) einer bloßen Selbstzuschreibung einer Erfüllung, c) einer wirklich nachhaltigen Erfüllung. Die Bedingungen der wirklichen Erfüllungen sind allgemein. Ihre Erfüllung ist in der Regel nicht bloß von mir, sondern potentiell gemeinsam zu beurteilen. Ich muss daher zu einem Urteil übergehen der Form: »Man kann von mir sagen, dass ich die Bedingung φ erfülle«. In diesem Urteil bleibe ich zwar der Sprecher, aber es wird zugleich an ein Man oder ein Wir appelliert. Dieses Man oder Wir hebt das Ich
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sozusagen auf. Damit aber hebt sich auch der solipsistische Empirismus auf. Denn mein Urteil wird falsch, wenn man anders urteilt, partiell schon dann, wenn wir nicht einmütig urteilen. Die Möglichkeit dialektischer Widersprüche ergibt sich unmittelbar aus der Möglichkeit dieser Nichteinmütigkeit. 363 a
»Die genossene Lust hat wohl die positive Bedeutung, sich selbst als gegenständliches Selbstbewußtsein geworden zu sein, aber eben so sehr die negative, sich selbst aufgehoben zu haben [sic!, PSW]; und indem es seine Verwirklichung nur in jener Bedeutung begri=, tritt seine Erfahrung als Widerspruch in sein Bewußtsein ein, worin die erreichte Wirklichkeit seiner Einzelnheit sich von dem negativen Wesen vernichtet werden sieht, das wirklichkeitslos jener leer gegenübersteht und doch die verzehrende Macht desselben ist. Dieses Wesen ist nichts anderes als der Begri= dessen, was diese Individualität an sich ist. Sie ist aber noch die ärmste Gestalt des sich verwirklichenden Geistes; denn sie ist sich erst die Abstraktion der Vernunft oder die Unmittelbarkeit der Einheit des Fürsich- und des Ansichseins, ihr Wesen ist also nur die abstrakte Kategorie. Jedoch hat sie nicht mehr die Form des unmittelbaren einfachen Seins, wie dem beobachtenden Geiste, wo sie das abstrakte Sein oder, als Fremdes gesetzt, die Dingheit überhaupt ist. Hier ist in diese Dingheit das Fürsichsein und die Vermittlung getreten. Sie tritt daher als Kreis auf, dessen Inhalt die entwickelte reine Beziehung der einfachen Wesenheiten ist.« (241 f. | 199 f.)
In einem lustvollen Befriedigungsgefühl, etwa über das wirklich oder vermeintlich durch mich selbst Geleistete, vermittelt durch eine (zumeist implizite) Selbstaussage oder Selbstbeurteilung der Form `ich φ(ich), bin ich mir selbst zu einem ›gegenständlichen Selbstbewusstsein‹ geworden: Ich selbst urteile über mich und weiß, dass ich über mich urteile; und das, worüber ich urteile, bin ich selbst als Leib und als das, was ich leiblich getan habe oder noch tue. Dieser ›positiven‹ Bedeutung steht die ›negative‹ gegenüber, dass ich mich selbst beurteile und bloß unmittelbares Selbstgefühl bin. Diese Spannung ist nicht wegzuerklären, sondern auszuhalten und in ihren Konsequenzen zu
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begreifen. Es handelt sich um den ›Widerspruch‹, dass zwar ich selbst über mich urteilen muss, dass aber mein Urteil nicht ausreicht, da es als perspektivisches, fallibles, partiell willkürliches, selbstisch-narzisstisches, weil zunächst bloß selbstgewisses, nicht unmittelbar volle inhaltliche Wahrheit beanspruchen kann. Von der objektiven Erfüllung einer objektiven Bedingung kann soweit noch keine Rede sein. So verständlich daher das Streben nach Selbständigkeit und Autonomie in selbstbewussten Selbstbeurteilungen ist, so schwierig wird es, wenn man seine allgemeinen begri=lichen Rahmenbedingungen beachtet. Denn die Inhalte, die Bedingungen der Erfüllung selbst, scheinen mir jeweils als fremde Pflicht und Anmutung, ja als abstraktes und ideales Sollen gegenüberzustehen. Dasselbe gilt auch für die Urteile anderer über mich und mein Tun. Und doch sind sie »die verzehrende Macht« des (Selbst-)Bewusstseins selbst. Personalität gibt es nur in dieser Spannung. Individualität ist bloß erst unmittelbare, unbewusste, Einheit von personalem Ansichsein und leiblichem Fürsichsein. Es ist der Person noch nicht bewusst, dass die Inhalte immer erst im sozialen Kontext konkret bestimmt sind. Analog ist mir unmittelbar mein Leib je jetzt immer bloß als Körper präsent und ich bin mir meiner selbst zunächst empfindend und fühlend, nicht wissend in meiner Zeitlichkeit bewusst. Es ergibt sich daraus eine Art Kreisbewegung oder besser Spiralbewegung im Hin und Her zwischen Unmittelbarkeit des Selbstgefühls und der Vermittlung durch allgemeine Bedingungen, die in Selbsturteilen je von mir und je von uns als erfüllt kontrolliert werden. Die Kreis- oder Spiralbewegung wird von Hegel als eine ›reine‹ Beziehung angesprochen. Es ist die Form der Relationen von mir als konkret leiblichem Wesen zu mir als Vollzugswesen. Als solches versuche ich die Formen und Normen des allgemein Richtigen zu aktualisieren. Zunächst beurteile ich dann auch die Richtigkeit der Aktualisierung erst einmal selbst, sozusagen als erster Schiedsrichter in einer ho=entlich ehrlichen und gewissenhaften Selbstkontrolle. Diese Selbstkontrolle ist das subjektive personale Selbstbewusstsein.
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Es muss dann aber auch diese Beurteilung selbst als richtig beurteilt werden, wie wir gesehen haben. Die Spiralbewegung ist daher zugleich eine Art unendlicher Progress. Er steht als solcher immer in der Gefahr, in eine leere Zirkularität zu kollabieren, nämlich wenn sich der Kreis der Beurteiler nicht jeweils ausdehnt, von mir zu dir und uns, von uns zu euch, die zu uns dazukommen und dann auch zu jenen, die wir am Ende auch noch zu uns hinzunehmen (müssen). Diese Ausweitungen willkürlich abzubrechen, ist eine Krankheit des Geistes. Es ist zugleich die Provinzialität derer, die sich mit dem Wir bloß ihrer zufälligen Peer-Group oder ihres zufälligen Volkes zufrieden geben. Man kreist dann in zu engen Zirkeln um sich selbst. 363 b
»Die erlangte Verwirklichung dieser Individualität besteht daher in nichts anderem, als daß sie diesen Kreis von Abstraktionen aus der Eingeschlossenheit des einfachen Selbstbewußtseins in das Element des Für-es-Seins oder der gegenständlichen Ausbreitung herausgeworfen hat. Was dem Selbstbewußtsein also in der genießenden Lust als sein Wesen zum Gegenstande wird, ist die Ausbreitung jener leeren Wesenheiten, der reinen Einheit, des reinen Unterschiedes und ihrer Beziehung; weiter hat der Gegenstand, den die Individualität als ihr Wesen erfährt, keinen Inhalt. Er ist das, was die Notwendigkeit genannt wird; denn die Notwendigkeit, das Schicksal u. dgl., ist eben dieses, von dem man nicht zu sagen weiß, was es tue, welches seine bestimmten Gesetze und positiver Inhalt sei, weil es der absolute, als Sein angeschaute reine Begri= selbst ist, die einfache und leere, aber unaufhaltsame und unstörbare Beziehung, deren Werk nur das Nichts der Einzelnheit ist. Sie ist dieser feste Zusammenhang, weil das Zusammenhängende die reinen Wesenheiten oder die leeren Abstraktionen sind; Einheit, Unterschied und Beziehung sind Kategorien, deren jede nichts an und für sich, nur in Beziehung auf ihr Gegenteil ist und die daher nicht auseinanderkommen können. Sie sind durch ihren Begri= aufeinander bezogen, denn sie sind die reinen Begri=e selbst; und diese absolute Beziehung und abstrakte Bewegung macht die Notwendigkeit aus. Die nur einzelne Individualität, die nur erst den reinen Begri= der Vernunft zu ihrem Inhalte
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hat, statt aus der toten Theorie in das Leben sich gestürzt zu haben, hat sich also vielmehr nur in das Bewußtsein der eignen Leblosigkeit gestürzt und wird sich nur als die leere und fremde Notwendigkeit, als die tote Wirklichkeit zu Teil.« (242 | 200)
Im empiristischen Selbstverständnis ist alles Verstehen und Intendieren ein unmittelbarer Zustand des Individuums. Das gilt sogar noch für das Überzeugtsein und Urteilen. Daher beginnt und endet alle empiristische Ethik mit den (aggregierten) subjektiven Präferenzen, der genießenden Lust. Aber auch alle Urteile werden im Empirismus rein instrumentell-pragmatisch gedeutet, als Teil eines Verfahrens der ›Maximierung‹ subjektiver Lusterfüllungen – wobei es im Grunde egal ist, ob wir nur ein Einzelindividuum betrachten oder eine kleine oder große Wir-Gruppe. Alle ›Notwendigkeit‹, auch alle objektive Wahrheit, scheint jetzt rein transzendent zu sein. Was unabhängig von unserem Begehren und Wünschen, unseren Befriedigungen und Frustrationen in der Welt (an sich) geschieht, das lasse sich nie wissen und sagen. Wir können uns angeblich immer nur an einen praktischinstrumentellen Glauben, eben an subjektive Überzeugungen halten. Unser ›Wissen‹ diene also nur unseren ›Begehrungen‹. Doch die These, dass es ein Wissen über die Welt, wie sie ist, nicht gibt, verkennt den realen, innerweltlichen, Sinn unserer Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen. Damit wird der ›Skeptizismus‹ wie der Empirismus zum Opfer einer tiefen logischen Naivität. Es ist die Naivität, welche die kategoriale Di=erenz zwischen einer reflexionslogischen Rede über ideale Ideen und deren konkreten weltbezogenen Anwendungen nicht begreift. Es ist daher kein Wunder, dass Protagoras und Hume sowohl in dem Urteil übereinstimmen, dass es die idealen Gegenstände der Geometrie nicht gibt, als auch in dem Urteil, dass es kein Wissen, sondern nur ein Glauben gibt. Damit wird die logische Funktion idealer Redeformen in ihren bürgerlichen Anwendungen, etwa in der weltbezogenen Di=erenzierung zwischen Kreisen und Vielecken oder eben auch zwischen Wissen und Glauben einfach nicht begri=en.
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Aber auch die Meinung ist falsch, dass wir weder wahre Gesetze noch die wahre Wirklichkeit der Einzeldinge je kennen könnten. Denn was im bürgerlichen Sinn als wahr zählt, ist bestätigtes immanentes Wissen im Kontrast zu einem bloßen Glauben. Aber sogar ein Glauben ist immer bloß relativ zu schon gegebenen, bekannten und anerkannten Kriterien der zureichenden Erfüllung von Wissensansprüchen, jetzt in Bezug auf Möglichkeiten. Sogar die Rede von möglichen Gesetzen muss so von uns konstituiert sein, dass wir schon grob wissen, was es heißen würde, dass ein solches Gesetz als wahr anzuerkennen wäre. Die Praxis der Beurteilung kanonischer Theorien ist dabei als gegeben und bekannt vorauszusetzen. Aus empiristischer Sicht erscheinen alle Gesetze als rein willkürliche begri=liche Setzungen. Die Einheit etwa eines Dinges oder Lebewesens erscheint als ebenso willkürliche Zusammensetzung vieler verschiedener Phänomene wie die Einheit der Person, die in viele unterschiedene Phasen zerfällt. Auch die Unterschiede und Relationen erscheinen als willkürlich durch uns gesetzt: Ihnen entspricht, so scheint es dem Empirismus, nichts an und für sich. Es gibt sie nur im Kontrast und als logische Formen, wie sie von uns begri=lich, also im Sprachgebrauch, gesetzt sind. Diese ›analytischen‹ Notwendigkeiten werden vom Empirismus durchaus anerkannt. Nicht als solches erkannt und anerkannt ist das generische, materialbegri=liche Wissen. Sein Status und die geschichtliche Form seiner Kanonisierung sind nicht begri=en. Der Empirismus führt stattdessen zu einem rein subjektiven Konstruktivismus der Gesetze und zu einem Solipsismus der Ethik. Das gilt sogar noch für seine utilitaristischen Varianten. Denn es geht dort um reine Wohlfühlquantitäten und die Maximierung von zufälligen Präferenzerfüllungen. Dem reinen Empirismus wird am Ende sogar alles zum Zufall. Doch die Rede vom Zufall markiert bloß eine Grenze des Normalfallwissens. Man setzt dieses eben damit stillschweigend voraus und widerspricht sich in der Nichtanerkennung generischen Wissens daher selbst.
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»Der Übergang geschieht aus der Form des Eins in die der Allgemeinheit, aus einer absoluten Abstraktion in die andere, aus dem Zwecke des reinen Fürsichseins, das die Gemeinschaft mit andern abgeworfen, in das reine Gegenteil, das dadurch ebenso abstrakte Ansichsein. Dies erscheint hiemit so, daß das Individuum nur zugrunde gegangen und die absolute Sprödigkeit der Einzelnheit an der ebenso harten, aber kontinuierlichen Wirklichkeit zerstäubt ist. – Indem es als Bewußtsein die Einheit seiner selbst und seines Gegenteils ist, ist dieser Untergang noch für es, sein Zweck und seine Verwirklichung, sowie der Widerspruch dessen, was ihm das Wesen war und was an sich das Wesen ist; – es erfährt den Doppelsinn, der in dem liegt, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm das Leben, aber vielmehr ergri= es damit den Tod.« (242 f. | 200 f.)
Das Wortspiel um den Ausdruck »sich das Leben nehmen«, schon oben o=ensichtlich absichtlich, wird hier wiederholt. Dem Empirismus sind alle theoretischen Notwendigkeiten tote Buchstaben, willkürlich gesetzte verbale Regeln. Alles Ansichsein ist ihm rein abstrakt. Was es gibt, sind bloße Einzelheiten; ja es lösen sich alle Dinge in einzelne Phänomene auf, sogar das Individuum selbst, nämlich in seine Phasenmomente. Damit ist die Person selbst »an der ebenso harten . . . Wirklichkeit zerstäubt«. Diese Aufspaltung der Person in präsentistische Episoden ist im Grunde schon bei Locke zu finden, obwohl Locke eher an so etwas wie einen Erinnerungszusammenhang denkt. Wer das Gedächtnis verloren hat, dem brechen ja in der Tat gewisse Kontinuitäten weg. In die Richtung einer Vervielfachung der Person argumentiert z. B. auch Derek Parfit in Reasons and Persons.97 Man kann in der Tat niemanden daran hindern, die Welt und sich selbst durch eine solche in tausend Bruchstücke zersplitterte Brille anzusehen. Es fragt sich nur, ob dies vernünftig ist und der Wirklichkeit gerecht wird, zumal die Einheit des personalen Subjekts dabei selbst untergeht. Es ist jetzt auch kein Wunder, dass der Empirismus mit dem Wort »Wesen« nichts mehr anzufangen weiß. Denn wesentlich ist, 97
Parfit 1984.
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was allgemein notwendig oder generisch normal ist. Das aber gibt es in einer völligen Vereinzelung aller Phänomene nicht mehr. Ironischerweise kollabiert daher der Empirismus, der doch das je eigene Leben und die Autorität der ersten Person begreifen wollte, und zwar weil ihm alles, sogar das personale Subjekt selbst, in willkürliche Unterschiede und Zufälligkeiten ohne jede innere Notwendigkeit und Wesenheit auseinander fällt. 365
»Dieser Übergang seines lebendigen Seins in die leblose Notwendigkeit erscheint ihm daher als eine Verkehrung, die durch nichts vermittelt ist. Das Vermittelnde müßte das sein, worin beide Seiten eins wären, das Bewußtsein also das eine Moment im andern erkennte, seinen Zweck und Tun in dem Schicksale und sein Schicksal in seinem Zwecke und Tun, sein eigenes Wesen in dieser Notwendigkeit. Aber diese Einheit ist für dies Bewußtsein eben die Lust selbst [sic!, PSW] oder das einfache einzelne Gefühl [sic!, PSW], und der Übergang von dem Momente dieses seines Zwecks in das Moment seines wahren Wesens [ist] für es ein reiner Sprung in das Entgegengesetzte; denn diese Momente sind nicht im Gefühle enthalten und verknüpft, sondern nur im reinen Selbst, das ein Allgemeines oder das Denken ist [sic!, PSW]. Das Bewußtsein ist sich daher durch seine Erfahrung, worin ihm seine Wahrheit werden sollte, vielmehr ein Rätsel geworden, die Folgen seiner Taten sind ihm nicht seine Taten selbst [sic!, PSW]; was ihm widerfährt [sic!, PSW], [ist] für es nicht die Erfahrung dessen, was es an sich ist; der Übergang nicht eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens, einmal vorgestellt als Inhalt und Wesen des Bewußtseins, das andremal als Gegenstand oder angeschautes Wesen seiner selbst. Die abstrakte Notwendigkeit gilt also für die nur negative unbegri=ene Macht der Allgemeinheit, an welcher die Individualität zerschmettert wird.« (243 | 201)
Dem empirischen Bewusstsein wird alles zum bloßen Widerfahrnis, sogar das eigene Tun. Es werden dabei sogar rein willkürlich Notwendigkeiten gesetzt, ohne dass man die Sinnleere dieses Vorgehens begreift. Eine unmittelbar in einer Theorie ausgemalte Welt an sich hinter dem realen Leben unserer Erfahrungen führt eben so in dogmatische Metaphysik. Sie ist der Sprung in
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eine transzendente Hinterwelt, die der konkreten Erfahrungswelt entgegengesetzt wird. Es bedarf stattdessen einer angemessenen Projektion unserer Theorien auf die konkret erfahrene Welt. Die intuitiven Meinungen oder Gefühle der Einzelpersonen helfen da nicht weiter. Bei falscher Deutung unserer Theorien werden außerdem die Begri=e der Wirklichkeit, der Wahrheit und des Wissens mystifiziert, zu einem Rätsel, wobei man sich, wie wir gesehen haben, in ihrer Grammatik verheddert. Das hat gravierende Folgen. So erscheinen uns z. B. unsere eigenen Taten als rein zufällige Widerfahrnisse. Der Unterschied zwischen einem unwillkürlichen Benehmen, aktiven Verhalten und zielgerichteten Handeln wird hinfällig und leer. Im Grunde kollabiert alles Verstehen in ein Unverständnis, alles Wissen in ein Nichtwissen und bloßes Meinen. Die Suche nach Selbständigkeit und Selbstbestimmung wird zur reinen Verzweiflung eines praktizistischen Skeptizismus, sofern man nicht, was nahe liegt, alle logischen Konsequenzen seines empiristischen Denkens fahren lässt und wie der Renegat in den Schoß der Kirche zum Physikalismus zurückkehrt. Der Weg von Hobbes über Locke führt trotz der von Berkeley zum Teil übernommenen scharfsinnigen Kritik bei Hume zu Hobbes und Locke zurück und damit in einen netten Kreis. »Bis hierher geht die Erscheinung dieser Gestalt des Selbstbewußtseins; das letzte Moment ihrer Existenz ist der Gedanke ihres Verlustes in der Notwendigkeit oder der Gedanke ihrer selbst als eines sich absolut fremden Wesens. Das Selbstbewußtsein an sich hat aber diesen Verlust überlebt; denn diese Notwendigkeit oder reine Allgemeinheit ist sein eignes Wesen. Diese Reflexion des Bewußtseins in sich, die Notwendigkeit als sich zu wissen, ist eine neue Gestalt desselben.« (243 f. | 201)
Bis jetzt haben wir den Begri= des Bewusstseins analysiert, wie er der empiristischen Reflexion von Locke bis Hume erscheint. Es handelt sich um eine Auffassung des Bewusstseins als Gewahrsein, Begehren, Perzipieren, samt der unmittelbaren Befriedigungsgefühle im Kontext der je eigenen Aussagen über die Welt
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und über sich selbst. Der letzte Entwicklungsschritt in dieser kritischen Analyse empiristischer Selbstverständnisse besteht in der Einsicht, dass es über bloß kontingente Geschehnisse und willkürliche Urteile bzw. zufällige Befriedigungen hinaus zu verstehen gilt, was notwendigerweise gilt oder was gesetzesartig oder regelartig richtig ist – im Unterschied zu dem, was ein Subjekt jetzt gerade für richtig hält. Dabei erscheinen Regeln und Gesetze dem Einzelsubjekt als ein ihm fremdes Wesen. Dennoch müssen wir diesen Begri= des Notwendigen, Gesetzesartigen, Allgemeinen begreifen, wenn wir denn je unser eigenes Urteilen begreifen wollen. Bisher hat bloß das Selbst-Wissen an sich die Kritik an der möglichen Willkür bloß subjektiven Urteilens und Aussagens überlebt. Was wir zu begreifen haben, ist die Realität der Normen, der Regeln, des Allgemeinen, jenseits bloß subjektiver Willkür, kurz des Notwendigen im Kontrast zum bloß Akzidentellen oder Zufälligen. In gewissem Sinn markiert Hegel hier den Übergang von Hume zu Kant, vom Empirismus zum transzendentalen Idealismus. Letzterer anerkennt nämlich die Bedeutung des Normativen und erkennt auch, dass alle Notwendigkeiten unsere Notwendigkeiten sind. Allerdings verkennt er, was das konkret heißt, wie wir gleich sehen werden. Denn im Kantianismus kollabieren die Notwendigkeiten am Ende doch wieder in eine gewisse Willkür der Setzung von Normen und Regeln, sodass trotz der generischen Rede über ein transzendentales Ich der di=erentielle Fortschritt zum Empirismus viel kleiner ist, als er zunächst ausschaut.
b. Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels 38. Probleme des autonomistischen Intuitionismus 367 a
»Was die Notwendigkeit in Wahrheit am Selbstbewußtsein ist, dies ist sie für seine neue Gestalt, worin es sich selbst als das Notwendige ist; es weiß, unmittelbar das Allgemeine oder das Gesetz in sich zu haben, welches um dieser Bestimmung willen, daß es unmittel-
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bar in dem Fürsichsein des Bewußtseins ist, das Gesetz des Herzens heißt.« (244 | 202)
Das Problem des Gesetzes des Herzens ist die Selbstgerechtigkeit jedes bloßen Intuitionismus, die bis hin zum Terrorismus von Robespierre oder von Selbstmordattentätern reichen kann. »Diese Gestalt ist für sich als Einzelnheit Wesen wie die vorige; aber sie ist um die Bestimmung reicher, daß ihr dies Fürsichsein als notwendiges oder allgemeines gilt.« (244 | 202)
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Immerhin wird im Intuitionismus anerkannt, dass es ein Gesetz geben muss. Es ist aber kein schon aus der Tradition übernommenes Gesetz, sondern soll mein eigenes Gesetz sein. Die autonome Gesetzgebung des Herzens ist, sozusagen, Kant gelesen mit der Brille Jacobis. Für sie gibt es kein fremdes Gesetz, das ohne selbständige Prüfung Anspruch auf Anerkennung durch mich erheben könnte. Ich bin mir autonomer Gesetzgeber. Erst als autonom anerkanntes, als mögliches Gesetz des Herzens, erhält eine tradierte Moral ihren Wert und ihre Würde. Das ist der Modernismus und Subjektivismus der Aufklärung in der Selbstgewissheit der Vernunft, alle Realität zu sein. Kant ist in seiner Praktischen Philosophie ihr Prophet. Das Problem ist, dass die notwendige Bedingung der eigenen Anerkennung des Gesetzes der Moral (und dann auch des Rechts) keine zureichende Bedingung ist: Echte Geltung geht über jede noch so ehrliche subjektive Anerkennung hinaus. Hegels Darstellung der Sache lässt sich übrigens mit gutem Recht auf Kants eigene reflexionslogische Darstellung gar nicht ein. Hegel fragt nicht, was ich tun soll, sondern wie man hier zu denken hat. Und er benutzt schon von Beginn an die ironischdistanzierte Rede von einem Gesetz des Herzens, um die Form dieses moralischen Intuitionismus schon im Titel zu skizzieren – samt der Gefahr des Umschlags von Selbstgewissheit in Selbstgerechtigkeit. »Das Gesetz also, das unmittelbar das eigne des Selbstbewußtseins ist, oder ein Herz, das aber ein Gesetz an ihm hat, ist der Zweck, den es zu verwirklichen geht. Es ist zu sehen, ob seine Verwirklichung
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diesem Begri=e entsprechen und ob es in ihr dies sein Gesetz als das Wesen erfahren wird.« (244 | 202)
Meine Selbsturteile sollen so sein, wie es der Begri= des Geistes als Praktischer Vernunft jetzt in den Beurteilungssphären der Moral und des Rechts verlangt. Wir sehen daher zwar eine Di=erenz zwischen dem, der ich je bin, und dem, der ich gemäß meinem eigenen Selbstbild sein sollte. Aber es ist bloß eine interne Di=erenz, bloß eine Frage des Zusammenstimmens des leisen Redens oder Denkens und Tuns, also der Konsistenz und Kohärenz. 369 a
»Diesem Herzen steht eine Wirklichkeit gegenüber; denn im Herzen ist das Gesetz nur erst für sich, noch nicht verwirklicht und also zugleich etwas anderes, als der Begri= ist.« (244 | 202)
Der Standpunkt der Vernunft kritisiert aus seiner Selbstgewissheit heraus, alle Realität des normativen Urteilens selbst zu sein, eine Wirklichkeit, die sich nicht an diese Normativität hält. Er steht dem gegenüber, was man bloß je faktisch und zufällig für richtig, wahr oder gut hält. Das betri=t nicht bloß das Tun der anderen Personen, sondern auch das eigene. Eine Idee oder Form des Vernünftigen wird dabei als implizit anerkannte Norm des Guten oder Wahren schon präsupponiert. Sie soll vom Urteilenden selbst begri=en und ergri=en, erkannt und autonom anerkannt werden. Autonomie aber heißt Selbstgesetzgebung. Kants Praktische Philosophie will eben dieses Selbstbewusstsein und diese Selbstbestimmung in der Moral explizieren. Grundthese ist, dass der Kern der Moral im guten Willen liegt. Da schon in der Sprache der Kinder klar ist, dass ehrlich zu sein im Wesentlichen dasselbe ist wie guten Willens zu sein, wird damit der Gute mit dem Ehrlichen und Redlichen, die Moral mit der Redlichkeit identifiziert. Hegel zeigt, was daran völlig schiefläuft. Es ergibt sich eine Kritik an Kants subjektivem Idealismus, deren fundamentale Bedeutung für eine Moral bloßer Redlichkeit und das intuitive Philosophieren der Gegenwart kaum überschätzt werden kann. 369 b
»Dieses Andere bestimmt sich dadurch als eine Wirklichkeit, die das Entgegengesetzte des zu Verwirklichenden, hiemit der Widerspruch des Gesetzes und der Einzelnheit ist.« (244 | 202)
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Der Widerspruch zwischen Sollen und Sein besteht dem Intuitionismus zufolge in der Di=erenz zwischen (implizit oder gar explizit) schon anerkannten allgemeinen Kriterien des Guten oder Wahren und dem einzelnen Tun oder Urteil. Dabei sieht Kant (mit Pascal) durchaus, dass auch das eigene Urteil sich als bloß scheinbar ehrlich und redlich herausstellen kann. Es ergibt sich ein Regress der Kontrolle, ob der Ehrliche wirklich ehrlich ist. Die Unendlichkeit dieses Regresses kommt erst in einer Betrachtung meines Herzens sub specie aeternitatis an ein Ende. Gott, der Herzenskundige und Herzenskündiger, wie Kant sich so schön ausdrückt, ist diese Unendlichkeit. Anders gesagt, Pascal und Kant sehen (immerhin) große Probleme in der Vorstellung, man könne selbst seine eigene Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit abschließend beurteilen. Der Einzelne kann mit fester subjektiver Gewissheit glauben, er sei redlich und gewissenhaft – und ist es doch nicht, jedenfalls nicht genug. »Sie ist also einerseits ein Gesetz, von dem die einzelne Individualität gedrückt wird, eine gewalttätige Ordnung der Welt, welche dem Gesetze des Herzens widerspricht, – und andererseits eine unter ihr leidende Menschheit, welche nicht dem Gesetze des Herzens folgt, sondern einer fremden Notwendigkeit untertan ist. – « (244 | 202)
Wenn nun die Wirklichkeit nicht so ist, wie sie sein soll, kann das daran liegen, dass von uns die Normen des Richtigen nicht erfüllt werden, die sozusagen von außen den Anspruch erheben, von uns anerkannt zu werden. Man kann aber auch auf die immer leidende Menschheit verweisen, die, wie es zunächst scheint, unserer Hilfe bedarf. Ob diese Hilfe aber wirklich erwünscht ist, ist keineswegs immer klar. Man denke als drastisches Beispiel nur an den Paternalismus des Imperialismus. Oder man denke an die Selbstermächtigungen derer, die dem Ruf nach Befreiung, Freiheit und Revolution Folge leisten und gegen angebliche, nur manchmal auch wirkliche, Feinde der Menschheit kämpfen. Die subjektive Ehrlichkeit der Selbstgewissheit reicht hier o=enbar nicht aus, gerade wenn sie ›helfen‹ will.
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Normen erscheinen tatsächlich oft als etwas Fremdes, ja als etwas, das Menschen unterdrückt. Das Gesetz des Herzens will nur auf sich hören, nicht auf Sitte und Tradition, geltende Regeln oder gar ›bloße Konvention‹. 369 d
»Diese Wirklichkeit, die der itzigen Gestalt des Bewußtseins gegenüber erscheint, ist, wie erhellt, nichts anderes als das vorhergehende entzweite Verhältnis der Individualität und ihrer Wahrheit, das Verhältnis einer grausamen Notwendigkeit, von welcher jene erdrückt wird. Für uns tritt die vorhergehende Bewegung darum der neuen Gestalt gegenüber, weil diese an sich aus ihr entsprungen, das Moment, woraus sie herkommt, also notwendig für sie ist; ihr aber erscheint es als ein Vorgefundenes, indem sie kein Bewußtsein über ihren Ursprung hat und ihr das Wesen ist, vielmehr für sich selbst oder das Negative gegen dies positive Ansich zu sein.« (244 f. | 202)
Die Gegenüberstellung der objektiven Normen des Gesetzes und der subjektiven Ehrlichkeit des Gesetzes des Herzens stammt daher, dass wir den Status der Anerkennung des Allgemeinen und seinen Grund vergessen haben. Dem Einzelnen erscheint das allgemeine Gesetz als bloß zufällig Vorgefundenes. Er meint, in sich, im Gesetz des Herzens und der Aufrichtigkeit seines guten Glaubens, die wahre Vernunft zu finden. Es gibt eine große Klasse von Philosophen – und Theologen – die nach dem Gesetz des Herzens philosophieren. 370 a
»Diese dem Gesetze des Herzens widersprechende Notwendigkeit sowie das durch sie vorhandene Leiden aufzuheben, darauf ist also diese Individualität gerichtet. Sie ist hiemit nicht mehr der Leichtsinn der vorigen Gestalt, die nur die einzelne Lust wollte, sondern die Ernsthaftigkeit eines hohen Zwecks, die ihre Lust in der Darstellung ihres vortre=lichen eignen Wesens und in der Hervorbringung des Wohls der Menschheit sucht.« (245 | 202 f.)
Eben weil der subjektiv Aufrichtige sein eigenes Gesetz des Herzens als ein allgemeines ausgibt und vermeintlich das Wohl der Menschheit will, übersieht er das latent Terroristische seiner Denkweise. Die Moderne krankt an dieser Blindheit, bis in die
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Meinung hinein, es könnte religiöse Gründe für Krieg und Terror geben. Die hat es nie gegeben. »Was sie verwirklicht, ist selbst das Gesetz, und ihre Lust daher zugleich die allgemeine aller Herzen. Beides ist ihr ungetrennt, ihre Lust das Gesetzmäßige, und die Verwirklichung des Gesetzes der allgemeinen Menschheit Bereitung ihrer einzelnen Lust. Denn innerhalb ihrer selbst ist unmittelbar die Individualität und das Notwendige eins; das Gesetz, Gesetz des Herzens. Die Individualität ist noch nicht aus ihrer Stelle gerückt und die Einheit beider nicht durch die vermittelnde Bewegung derselben, noch nicht durch die Zucht [gemeint sind Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, PSW] zu Stande gekommen. Die Verwirklichung des unmittelbaren ungezogenen Wesens gilt für Darstellung einer Vortre=lichkeit und für Hervorbringung des Wohls der Menschheit.« (245 | 202 f.)
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Jeder Einzelne meint, sein Gesetz des Herzens sei allgemeines Gesetz. Hier reagiert Hegel wohl auch auf Friedrich Heinrich Jacobi. »Alle sollen so urteilen wie ich«. Das meinen gerade Gutmenschen und schöne Seelen, welche sagen, alle sollen nach ihrer, der Sprecher, façon selig werden. Ähnliches sagt leider auch der bloß scheinbar liberale Pluralismus: Alle dürfen (nur) so plural sein, wie ich es bin. Das alles ist nur Unbildung und Unerzogenheit. Der bloß Aufrichtige ist oft bloß erst undiszipliniert. Hegels Reflexionen sind so schwer, wie es schwer ist, erwachsen zu sein. »Das Gesetz dagegen, welches dem Gesetze des Herzens gegenübersteht, ist vom Herzen getrennt und frei für sich. Die Menschheit, die ihm angehört, lebt nicht in der beglückenden Einheit des Gesetzes mit dem Herzen, sondern entweder in grausamer Trennung und Leiden oder wenigstens in der Entbehrung des Genusses seiner selbst bei der Befolgung des Gesetzes und in dem Mangel des Bewußtseins der eignen Vortre=lichkeit bei der Überschreitung desselben. Weil jene gewalthabende göttliche und menschliche Ordnung von dem Herzen getrennt ist, ist sie diesem ein Schein, welcher das verlieren soll, was ihm noch zugesellt ist, nämlich die Gewalt und die Wirklichkeit.« (245 f. | 203)
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Der Aufstand der Aufrechten gegen das scheinbar fremde Gesetz hebt mit dessen Anspruch auf Geltung auch jede Wirklichkeit des Gesetzes auf. Man erachtet das Gesetz als nichts – mit der Folge, dass es keine gesetzesartige Ordnung des Guten und Wahren mehr gibt. 371 b
»Sie mag in ihrem Inhalte wohl zufälligerweise mit dem Gesetze des Herzens übereinstimmen, und dann kann sich dieses sie gefallen lassen; aber nicht das Gesetzmäßige rein als solches ist ihm das Wesen, sondern daß es darin das Bewußtsein seiner selbst, daß es sich darin befriedigt habe. Wo der Inhalt der allgemeinen Notwendigkeit aber nicht mit dem Herzen übereinstimmt, ist sie auch ihrem Inhalte nach nichts an sich und muß dem Gesetze des Herzens weichen.« (246 | 203)
Die Ehrlichkeit des subjektiven guten Wollens wird scheinbar zum obersten Gesetz. Es entsteht ganz o=enbar die Gefahr, dass andere anderes als das vermeintlich für alle Gute wollen und wir entsprechend gegeneinander urteilen und handeln. Die Folge ist, dass je wir wollen, dass die anderen dasselbe vermeintlich allgemeine Gute wie wir wollen sollen. Oder wir meinen, dass sie es wollen würden, wenn sie nur nach Maßgabe unseres Gesetzes des Herzens guten Willens sind. Wer nicht mit uns, den Guten, ist, scheint demnach nicht bloß gegen uns zu sein, sondern erscheint uns als nicht gutwillig. Die Folge ist ein neuer Krieg der vermeintlich Guten und Willigen gegen die, die vermeintlich nicht gutwillig sind. 372 a
»Das Individuum vollbringt also das Gesetz seines Herzens; es wird allgemeine Ordnung, und die Lust zu einer an und für sich gesetzmäßigen Wirklichkeit. Aber in dieser Verwirklichung ist es ihm in der Tat entflohen; es wird unmittelbar nur das Verhältnis, welches aufgehoben werden sollte. Das Gesetz des Herzens hört eben durch seine Verwirklichung auf, Gesetz des Herzens zu sein. Denn es erhält darin die Form des Seins und ist nun allgemeine Macht, für welche dieses Herz gleichgültig ist, so daß das Individuum seine eigne Ordnung dadurch, daß es sie aufstellt, nicht mehr als die seinige findet. Durch die Verwirklichung seines Gesetzes bringt es daher nicht sein
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Gesetz, sondern, indem sie an sich die seinige, für es aber eine fremde ist, nur dies hervor, in die wirkliche Ordnung sich zu verwickeln, und zwar in sie als eine ihm nicht nur fremde, sondern feindliche Übermacht. – « (246 | 203)
Wer sein Gesetz des Herzens zum Gesetz macht, verwandelt es, macht es allgemein. Als solches wird es zu etwas, was den anderen Personen als äußere Zumutung und, da sie wissen, dass diese von Einzelpersonen stammt, als äußerste Zumutung erscheinen muss. Das Gesetz, das eine Person als Einzelperson gibt oder setzt, muss ja als tyrannisch erscheinen. Es ist jetzt übrigens kein Zufall, dass gerade revolutionäre Bewegungen in sich selbst die blutigsten Kämpfe darum führen, wer denn der neue Gesetzgeber sein darf. »Durch seine Tat setzt es sich in oder vielmehr als das allgemeine Element der seienden Wirklichkeit, und seine Tat soll selbst nach seinem Sinne den Wert einer allgemeinen Ordnung haben. Aber damit hat es sich von sich selbst frei gelassen, es wächst als Allgemeinheit für sich fort und reinigt sich von der Einzelnheit; das Individuum, welches die Allgemeinheit nur in der Form seines unmittelbaren Fürsichseins erkennen will, erkennt sich also nicht in dieser freien Allgemeinheit, während es ihr zugleich angehört, denn sie ist sein Tun. Dies Tun hat daher die verkehrte Bedeutung, der allgemeinen Ordnung zu widersprechen, denn seine Tat soll Tat seines einzelnen Herzens, nicht freie allgemeine Wirklichkeit sein; und zugleich hat es sie in der Tat anerkannt, denn das Tun hat den Sinn, sein Wesen als freie Wirklichkeit zu setzen, d. h. die Wirklichkeit als sein Wesen anzuerkennen.« (246 | 204)
Der innere Widerspruch der bloß Aufrichtigen ergibt sich also daraus, dass sie ihr eigenes Gesetz als allgemeines anerkannt wissen wollen oder für allgemein anerkennbar ausgeben, aber gleichzeitig jede Zumutung allgemeiner Anerkennung durch andere, ›fremde‹, Gesetze ablehnen, soweit diese nicht zufällig mit ihrem Gesetz des Herzens übereinstimmen. Eine Art Religionskrieg ist die notwendige Folge dieser ›Vernunftmoral‹ der Herzensgesinnung, nur dass es jetzt nicht die traditionellen Religionen sind, welche zu den Kriegen führen, sondern der Miss-
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brauch des Religiösen im Rahmen eines Konzeptes des Gesetzes des Herzens, der Selbstgerechtigkeit von kleinen und großen Sektierern. Jeder ist hier gleich (un)berechtigt, von den anderen zu verlangen, seinem Gesetz des Herzens zu folgen. Alle verbeiben in der bloßen Subjektivität des aufrichtigen Glaubens an das, was sie für das Rechte halten. Hegels Kritik an einer derartigen Gesinnungspolitik ist radikal. Max Weber wird nicht radikaler sein. 373
»Das Individuum hat durch den Begri= seines Tuns die nähere Weise bestimmt, in welcher die wirkliche Allgemeinheit, der es sich angehörig gemacht, sich gegen es kehrt. Seine Tat gehört als Wirklichkeit dem Allgemeinen an; ihr Inhalt aber ist die eigne Individualität, welche sich als diese einzelne, dem Allgemeinen entgegengesetzte erhalten will. Es ist nicht irgend ein bestimmtes Gesetz, von dessen Aufstellung die Rede wäre, sondern die unmittelbare Einheit des einzelnen Herzens mit der Allgemeinheit ist der zum Gesetze erhobene und geltensollende Gedanke, daß in dem, was Gesetz ist, jedes Herz sich selbst erkennen muß. Aber nur das Herz dieses Individuums hat seine Wirklichkeit in seiner Tat, welche ihm sein Fürsichsein oder seine Lust ausdrückt, gesetzt. Sie soll unmittelbar als Allgemeines gelten, d. h. sie ist in Wahrheit etwas Besonderes und hat nur die Form der Allgemeinheit: sein besonderer Inhalt soll als solcher für allgemein gelten [sic!, PSW]. Daher finden in diesem Inhalte die andern nicht das Gesetz ihres Herzens [sic!, PSW], sondern vielmehr das eines andern vollbracht; und eben nach dem allgemeinen Gesetze, daß in dem, was Gesetz ist, jedes sein Herz finden soll, kehren sie sich ebenso gegen die Wirklichkeit, welche es aufstellte, als es sich gegen die ihrige kehrte [sic!, PSW]. Das Individuum findet also, wie zuerst nur das starre Gesetz, itzt die Herzen der Menschen selbst seinen vortre=lichen Absichten entgegen [sic!, PSW] und zu verabscheuen.« (247 | 204)
Ein Mensch, der nach dem Gesetz des Herzens lebt, meint, authentisch zu sein. Den Inhalt seiner Orientierungen nimmt er aus sich selbst, aus seiner bloß eigenen Individualität. Diese seine Meinungen über das je Rechte und Richtige sind einer bloß ›allgemeinen Meinung‹ wenigstens partiell entgegengesetzt. Dabei ist nicht von einer bestimmten Norm die Rede, sondern
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von einer grundsätzlichen Haltung zu Normen. Die Haltung, die in Frage steht, ist also die Vorstellung von einer unmittelbaren »Einheit des einzelnen Herzens«, also je meiner ›Gesinnung‹, mit dem allgemein Richtigen und Guten. Wie steht es aber mit der Vorstellung, dass jeder Einzelne, wenn er nur nach bestem Wissen und Gewissen über das Gute und Allgemeine nachdenkt und entsprechend konsequent handelt, mit jeder anderen Person übereinstimmen werde, welche entsprechend ehrlich und redlich, in diesem bloß subjektiven Sinn moralisch denkt? Handelt derjenige schon richtig, der wollen kann, dass seine Maximen zu allgemeinen Erlaubnisgesetzen werden? Kant sieht in jedem Fall aber klar, dass jeder Handelnde mit seinem Tun sozusagen zugleich behauptet, dass man so handeln darf oder sogar so handeln soll. Das muss er nicht eigens sagen. Daher widerspricht sich jeder, der eine Handlung ausführt, aber seine Maxime dabei geheim halten muss, weil er weiß, das man so nicht handeln darf, also die anderen seine Maxime für schlecht halten. Die Frage ist, welche Form der Konsistenz oder Kohärenz dafür ausreicht, dass ein Handeln moralisch erlaubt ist. Die Übereinstimmung von Reden und Tun ist ein gutes Prinzip, hebt aber nur solche Widersprüche auf, welche darin bestehen, dass einer anderen Wasser predigt, selbst aber Wein trinkt. Kant fordert also mit Recht, dass niemand sich selbst aus seinen ›Regeln‹ ausnimmt. Das ist zwar eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung dafür, ethisch richtig und moralisch gut zu handeln. Denn es ist eine Illusion zu glauben, dass ›alle Wohlgesinnten‹ mit je unseren Vorstellungen von einer guten Regel oder Norm für alle übereinstimmen werden. Das zu glauben ist nicht nur eine materiale Selbsttäuschung, sondern auch eine moralisch höchst fragwürdige Haltung zur Normativität überhaupt. Denn diese betri=t zwar in der Tat (nur) die Formen und Regeln des menschlichen Zusammenlebens in der Welt. Aber sie ist in ihrer konkreten Ausprägung je aus unserer eigenen Kulturgeschichte uns vorgegeben. Sie ist als solche, wie alle gegebenen Institutionen, von jedem von
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uns erst einmal anzuerkennen. Diesen Normen das bloß eigene Gesetz des Herzens einfach entgegenzustellen, bedeutet höchste Selbstgerechtigkeit; es ist Anmaßung und moralische Hybris. Die Selbstgerechtigkeiten der Revolution(en), Europas, des Christentums, der Sozialismen usf. sind alle der Meinung, dass die Welt je nach ihrer façon selig werden solle, also dem Gesetz des Herzens der jeweiligen Bewegung und ihrem vermeintlichen Vernunftkonsens folgen müsse. Die Regionalität des je eigenen Urteilens und der lokalen Formen der Kooperation mit anderen Personen wird dabei nicht erkannt oder anerkannt. Daraus entsteht die schwer aufzudeckende Provinzialität eines vermeintlich universalistischen Denkens. Das Problem ist nicht der Wunsch nach einem Konsens, sondern die allzu harmlose Vorstellung, es ließe sich bei gutem Willen aller durch den zwanglosen Zwang des vernünftigen Arguments jeder reale Dissens einfach aufheben. Die Attraktion einer ›Moral‹ des Gesetzes des Herzens besteht darin, dass die einzelne Person scheinbar unmittelbar selbst beurteilen kann, ob sie nach der kantianischen Meta-Maxime urteilt. Zwar versucht Kant selbst, die sich o=enbar ergebende Gefahr der Selbstgerechtigkeit durch seine Doktrin zu unterlaufen, der zufolge wir unsere wirklichen Motive im Handeln niemals mit Sicherheit kennen können. Doch damit mystifiziert er, ohne es zu merken, den Bereich der ›Kausalität aus Freiheit‹ wieder, und das auf durchaus unheilvolle Weise. Denn die Logik der Selbstbeurteilung ist zwar schwierig, aber nicht so psychologistisch zu deuten, wie Kant oder sein selbsternannter Schüler Schopenhauer lehren – und zuvor schon Blaise Pascal. Wer nämlich ›ehrlich‹ nach dem ›Gesetz des Herzens‹ handelt, weiß das auch. Und in seinem ›konsequenten Handeln‹ drückt sich seine Lust aus, wie Hegel klipp und klar und völlig illusionslos diagnostiziert. Das heißt, der Handelnde beurteilt sich selbst als moralisch gut und genießt dieses Erfüllungsgefühl, wie Hegel nicht ohne tiefe Ironie sagt. Kants Aufforderung, ohne Streben nach ›Genuss‹ moralisch gut zu handeln, scheitert hier schon im Ansatz. Moral geht nicht
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ohne Widersprüche ab, erst recht nicht, wenn die vermeintliche Pflicht aus autonomer Selbstverpflichtung stammen soll. Die Verdächtigungen Pascals und Kants, dass sich die Person, die sich so ihrer moralischen Integrität freut, gerade aufgrund ihrer Selbstgerechtigkeit doch nicht so moralisch ist, ist zwar völlig berechtigt. Das Problem aber liegt nicht am Selbstgefühl, an der Befriedigung, welche die gute Tat der Person gewährt, sondern an der falschen Vorstellung, die Person selbst könnte im Prinzip die Güte der Tat allein beurteilen, wenn sie nur tief genug in ihr eigenes Herz blicken könnte. Gott als der Herzensverkündiger wird in dieser Mystifizierung des Gesetzes des Herzens deswegen nötig, weil die Spannung zwischen dem, was bloß je ich für allgemein richtig halte, und dem, was wirklich als allgemein richtig anerkannt wird, je in mein eigenes Herz verlegt wird. Der Kampf Pascals und Kants gegen die Selbstgerechtigkeit braucht einen Gott – und muss eben deswegen scheitern. Dabei braucht Kant Gott, wie wir noch sehen werden, auch noch wegen des Postulats der Richtungsgleichheit von moralischem Leben und glücklichem Leben. Ein bloß ehrliches und redliches Handeln nach dem Gesetz des Herzens ist in Wirklichkeit aus folgendem Grund noch nicht per se ein gutes und richtiges Handeln: Die je besondere Norm, die je ich für allgemein anerkennungswürdig halte und an der ich, wenn ich subjektiv redlich bin, mein Handeln orientiere, soll als solche allgemein gelten. Doch unglücklicherweise urteilen die je anderen Personen über mein Handeln jeweils anders als ich: Sie mögen sehen, dass ich danach handle, was ich für richtig halte, was aber nicht (immer) mit dem übereinstimmt, was sie für richtig halten. Der ehrliche Utilitarist, der mit ›kantianischer Konsequenz‹ so handelt, dass sein Tun möglichst viele Menschenleben rettet, kann von mir kritisiert oder gar verachtet werden dafür, dass er, um ehrlich seinem Prinzip zu folgen, willentlich einen unschuldigen Menschen opfert. Er wiederum wird erklären, dass Handlungen und Unterlassungen auf die gleiche Weise zu beurteilen seien, so dass derjenige, welcher den Unschuldigen nicht opferte, für den
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Tod der anderen Menschen verantwortlich sei. Man denkt häufig an Situationen der Art wie u. a. von Philippa Foot geschildert, dass ein Waggon auf eine Gruppe Arbeiter zurollt und es besteht die Möglichkeit, ihn auf eine kleinere Gruppe umzulenken. Wie wenig klar das Paradigma ist, warum es also kein guter Prototyp für eine allgemeine Form des guten Handelns sein kann, zeigt sich bei der Frage, ob ich mein Kind retten darf, auch wenn ich so viele andere Menschen nicht rette (natürlich darf ich das, ich muss es sogar). Außerdem gehört die Situation zum gleichen Typ, in welcher wir Menschen dadurch retten können, dass wir andere Menschen töten. Man muss dabei nicht bloß an das Verpflanzen von Organen denken: Die Kriege des letzten Jahrhunderts sind alle und auf allen Seiten utilitaristisch gerechtfertigt worden, trotz aller eingeflochtenen Lügen. Es ist o=enbar gar nicht einfach, die Verantwortungen für ein Handeln und Unterlassen so zu verteilen, dass wir einerseits das sinnvoll Machbare im Blick behalten, andererseits zu gemeinsamen Urteilen über das Rechte gelangen. Kantianismus und Utilitarismus gemeinsam ist dabei das Gesetz des Herzens und die Missachtung tradierter Formen und Institutionen der allgemeinen Zuordnung von Verantwortung, die übrigens mit anerkennungswürdigem Grund so verfasst sind, dass Tun und Unterlassen fast nie symmetrisch sind, also die Verantwortungen für ein Unterlassen von ganz anderer Art sind als für ein aktiv intervenierendes Tun. Die Prinzipienethiken des utilitaristischen Konsequentialismus wie die des Kantianismus sind dagegen beide axiomatische Gesinnungsethiken der Form des ›Gesetzes des Herzens‹. Beide ›kehren sich gegen die Wirklichkeit‹ einer etablierten und tradierten Sittlichkeit, und das mit dem besten ›Gewissen‹ (besser: Gesinnung) der Welt. Beide merken nicht, wie latent terroristisch sie sind. Nur gegenseitig verabscheuen sie sich, so wie sie »das starre Gesetz« bloß tradierter Sittenkodizes verabscheuen und erklären, dass der je andere je meinen ›vortre=lichen Absichten entgegen‹ handele. Den realen Widerspruch in seinem Gesetz des Herzens erkennt der Gutmensch nicht. Er wird sogar jede
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Kritik am Gutmenschentum verdächtigen, als ginge es ihr darum, unredlich zu sein, und nicht bloß darum, die Grenzen der bloßen Redlichkeit und Ehrlichkeit aufzuzeigen. Es gibt die Gefahr, dass Praktische Ethik zur Gesinnungsethik verkommt. Jede Logik der Berechnung des Guten führt zu sophistischer Selbstgerechtigkeit.
39. Die Selbstgerechtigkeit der Gesinnungsethik »Weil dies Bewußtsein die Allgemeinheit nur erst als unmittelbare und die Notwendigkeit als Notwendigkeit des Herzens kennt, ist ihm die Natur der Verwirklichung und der Wirksamkeit unbekannt, daß sie als das Seiende in ihrer Wahrheit vielmehr das an sich Allgemeine ist, worin die Einzelnheit des Bewußtseins, die sich ihr anvertraut, um als diese unmittelbare Einzelnheit zu sein, vielmehr untergeht; statt dieses seines Seins erlangt es also in dem Sein die Entfremdung seiner selbst. Dasjenige, worin es sich nicht erkennt, ist aber nicht mehr die tote Notwendigkeit, sondern die Notwendigkeit als belebt durch die allgemeine Individualität. Es nahm diese göttliche und menschliche Ordnung, die es geltend vorfand, für eine tote Wirklichkeit, worin wie es selbst, das sich als dieses für sich seiende, dem Allgemeinen entgegengesetzte Herz fixiert, so die ihr angehören, das Bewußtsein ihrer selbst nicht hätten; es findet sie aber vielmehr von dem Bewußtsein aller belebt und als Gesetz aller Herzen. Es macht die Erfahrung, daß die Wirklichkeit belebte Ordnung ist, zugleich in der Tat eben dadurch, daß es das Gesetz seines Herzens verwirklicht; denn dies heißt nichts anderes, als daß die Individualität sich als Allgemeines zum Gegenstande wird, worin es sich aber nicht erkennt.« (247 f. | 204 f.)
Eine Moral des Gesetzes des Herzens ist dasselbe wie das, was Max Weber als ›Gesinnungsethik‹ kritisiert. Allerdings erkennen Weber und seine Anhänger nicht, dass auch eine konsequentialistische utilitaristische Ethik zur Gesinnungsethik zählt, und zwar weil bzw. solange der Utilitarist sein Handeln nur erst selbst beurteilt aus seiner bloß subjektiven Absicht heraus, das allgemein
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Richtige und Gute zu tun. Das Wesen der »Verwirklichung und der Wirksamkeit« wirklich allgemeiner Normen des Richtigen in Unterscheidung zu bloß vorgestellten Allgemeinheiten und bloß abstrakten Prinzipien sind einem Gesinnungsethiker unbekannt. Konkret allgemein und nicht bloß an sich allgemein können Normen und Regeln erst aufgrund traditionaler Instituierungen werden und allgemeiner Anerkennungen. Die subjektive Anerkennung der gegebenen Institutionen durch die Einzelnen ist daher im Normalfall erst einmal zu fordern. Ethische Autonomie bedeutet daher zunächst nur, dass das Allgemeine im besonderen Fall auf der Basis des kompetenten und erfahrenen Urteils des Einzelnen richtig angewendet wird. Sie besteht also zunächst in der bestimmenden ethischen Urteilskraft. Erst in zweiter Linie kommt die reflektierende ethische Urteilskraft hinzu. Diese besteht in der selbständigen Entwicklung gegebener Normen durch Auffinden einer möglicherweise neuen Regel oder Norm für typische Fälle, die der Handelnde für anerkennungswürdig hält. Das Problem besteht jetzt aber in der Selbstgewissheit, welche das Subjekt in Bezug auf seinen eigenen Normvorschlag entwickelt. Es ist zwar richtig, dass der Handelnde nie etwas anderes tun kann, als nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen und zu handeln. Aber die Beurteilung der Güte der Handlung insgesamt, unter Einschluss seiner eigenen personalen Kompetenz, muss er am Ende doch auch den anderen Personen überlassen. Und er kann sich nicht einfach der Tradition des faktisch Anerkannten entgegenstellen. Die Normen und Regeln, welche wir im Einzelfall unter Einsatz der besten uns verfügbaren ethisch-reflektierenden Urteilskraft entwickeln, sind immer bloß Vorschläge. Sie bedürfen der Anerkennung durch andere Personen. Instituiert werden sie durch faktische Anerkennung, die im Fall ›moralischer‹ Vorschläge der genannten Art aber immer frei bleibt, also vom Einzelsubjekt nicht vorbeurteilbar ist. Jeder, der meint, was er für richtig hält, müsse von den anderen anerkannt werden, begeht daher schon den Fehler der Selbstgerechtigkeit. Er verkennt eben damit den
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allgemeinen und kooperationsbezogenen Status des ethischen Richtigen. Er verkennt außerdem die notwendige perspektivische Subjektivität ›der Kategorie‹, also jeder Urteilsform `ich φ, die gerade auch ethische Beurteilungen betri=t. Immerhin erkennt die Gesinnungsethik die ›Notwendigkeit‹ des ›autonomen‹ Urteilens und damit das Prinzip der ›allgemeinen Individualität‹. Sie verkennt dabei aber die Tradition der ›göttlichen und menschlichen Ordnung‹, etwa eines familienförmigen freien Ethos der Geschwisterlichkeit und einer rechtsstaatlichen verfassten freien Gesellschaft, wenn sie diese als bloß ›tote Wirklichkeit‹ auffasst, also als bloße Vergangenheit, der sich eine lebendige Gegenwart immer auch entgegenstellen müsse. Das Pathos ethischer Authentizität und Autonomie wird insbesondere in einer kollektiven Selbstgerechtigkeit terroristisch. Das gilt auch für revolutionäre Bewegungen gegen angeblich verkrustete Ordnungen. Der Gegensatz zwischen einer Avantgarde und angeblich antiquierten Konservativen ist zumeist selbst provinziell. Analoges gilt für die Apologetik rein zufälliger Mehrheitsmeinungen. Die Minderheiten Andersdenkender sind in ihr nie zureichend geschützt. Es gibt immer Menschen, welche eine etwas andere Lebensform als wir selbst pflegen und für richtig halten. Es ist daher nicht bloß der Schlaf der Vernunft, der Ungeheuer gebiert. Die Zerstörung eines tradierten Ethos durch eine autonomistische Moral tut das auch. Wahre Vernunft muss zumindest zunächst mit den etablierten Institutionen und der Tatsache diverser und nicht schon kohärent gemachter Praxisformen in verschiedenen Gruppen und Völkern zusammengehen. »Was also dieser Gestalt des Selbstbewußtseins aus ihrer Erfahrung als das Wahre hervorgeht, widerspricht dem, was sie für sich ist. Was sie aber für sich ist, hat selbst die Form absoluter Allgemeinheit für sie, und es ist das Gesetz des Herzens, welches mit dem Selbstbewußtsein unmittelbar eins ist. Zugleich ist die bestehende und lebendige Ordnung ebenso sein eignes Wesen und Werk, es bringt nichts anderes hervor als sie; sie ist in gleich unmittelbarer Einheit mit dem Selbstbewußtsein. Dieses ist auf diese Weise, einer gedoppelten entgegen-
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gesetzten Wesenheit angehörend, an sich selbst widersprechend und im Innersten zerrüttet. Das Gesetz dieses Herzens ist nur dasjenige, worin das Selbstbewußtsein sich selbst erkennt; aber die allgemeine gültige Ordnung ist durch die Verwirklichung jenes Gesetzes ebenso ihm sein eignes Wesen und seine eigne Wirklichkeit geworden; was in seinem Bewußtsein sich also widerspricht, ist beides in der Form des Wesens und seiner eignen Wirklichkeit für es.« (248 | 205)
Das, was wirklich allgemein anzuerkennen ist, ist im Allgemeinen nicht dasselbe wie das, was Einzelpersonen als allgemein richtig anerkennen, und zwar selbst dann, wenn sie in einer Population von Personen überwältigende Mehrheiten bilden. Das Richtige und Wahre als System der Normativität existiert zwar nicht unabhängig von faktischen Anerkennungen der Normen, Unterscheidungskriterien und Inferenzregeln, samt ihrer kompetenten und konsequenten Anwendung. Aber es existiert über die bloße Einzelanerkennung hinaus als generische Allgemeinheit oder tradierte Institution. So schön die Idee der unmittelbaren Einheit von individuellem Urteil und allgemeiner Richtigkeit daher ist, so falsch ist der Gedanke, dass sie unmittelbar erreichbar und kontrollierbar wäre. Die Anerkennung der dialektischen Spannung von Einzelnem und Allgemeinem ist daher Grundvoraussetzung jeder echten Wissenschaft und jeder wahren Moral. Das aber heißt, dass jedes echte Selbstbewusstsein keine bloß ehrlich-redliche Selbstbeurteilung mehr sein kann, sondern zu einer gemeinsamen Unternehmung, einer gemeinsamen ›Politik‹, des Wissens und der Sittlichkeit werden muss, ganz im Sinne der Kunst des kooperativ Möglichen. Die Wirklichkeit guter Kooperation verlangt, dass jeder notwendigerweise auftretende Dissens aufzuheben oder auszuhalten ist. Daher ist eine selbstgerechte Moral und jedes Gutmenschentum tief in sich und im Innersten zerrüttet. Denn es wird das Allgemeine entweder nicht als solches erkannt oder nicht anerkannt. Die Einzelnen meinen, wie gegenwärtige Wutbürger, unmittelbar das Allgemeine und Richtige und nicht bloß eine Partei unter vielen möglichen zu vertreten. Nicht die Spannungen
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und Widersprüche sind das Problem, auch nicht der Dissens, sondern deren Nichtanerkennung in einer sich ihrer selbst allzu sicheren Gesinnungsethik und Gutbürgermoral. »Indem es dies Moment seines sich bewußten Untergangs und darin das Resultat seiner Erfahrung ausspricht, zeigt es sich als diese innere Verkehrung seiner selbst, als die Verrücktheit des Bewußtseins, welchem sein Wesen unmittelbar Unwesen, seine Wirklichkeit unmittelbar Unwirklichkeit ist. – Die Verrücktheit kann nicht dafür gehalten werden, daß überhaupt etwas Wesenloses für wesentlich, etwas Nichtwirkliches für wirklich gehalten werde, so daß das, was für den einen wesentlich oder wirklich ist, es für einen andern nicht wäre und das Bewußtsein der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit oder der Wesenheit und Unwesenheit auseinander fielen. – Wenn etwas in der Tat für das Bewußtsein überhaupt wirklich und wesentlich, für mich aber nicht ist, so habe ich in dem Bewußtsein seiner Nichtigkeit zugleich, da ich Bewußtsein überhaupt bin, das Bewußtsein seiner Wirklichkeit, – und indem sie beide fixiert sind, so ist dies eine Einheit, welche der Wahnsinn im allgemeinen ist. In diesem ist aber nur ein Gegenstand für das Bewußtsein verrückt, nicht das Bewußtsein als solches in und für sich selbst. In dem Resultate des Erfahrens, das sich hier ergeben hat, ist aber das Bewußtsein in seinem Gesetze sich seiner selbst als dieses Wirklichen bewußt; und zugleich, indem ihm ebendieselbe Wesenheit, dieselbe Wirklichkeit entfremdet ist, ist es als Selbstbewußtsein, als absolute Wirklichkeit sich seiner Unwirklichkeit bewußt, oder die beiden Seiten gelten ihm nach ihrem Widerspruche unmittelbar als sein Wesen, das also im Innersten verrückt ist.« (248 f. | 205 f.)
Ein bewusster Selbstbezug, in welchem das bloße Einzelsubjekt sich der tradierten Sittlichkeit gegenüberstellt in der Meinung, in Bezug auf die Inhalte autonom urteilen zu können, ist ›verrückt‹; und zwar so verrückt wie Humpty Dumpty, der meint, den Wörtern bloß vermöge beliebiger Absichten die von ihm intendierten ›Bedeutungen‹ geben zu können. Ein solches Selbstbewusstsein ist verrückt deswegen, weil es das tradierte Ethos, die gegebenen Kooperationsformen und Institutionen, als unwesentlich ansieht
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oder als bloß konventionell kritisiert, ohne in ihnen sein eigenes Wesen zu erkennen. Die Verrücktheit besteht nicht darin, dass verschiedene Personen Verschiedenes als wesentlich oder wirklich beurteilen, sondern dass der Begri= des Wesentlichen und Wirklichen nicht verstanden ist. Von anderem Typ ist der Wahnsinn bzw. Wahnsinnige, der etwas Unwirkliches für wirklich oder etwas Wirkliches für unwirklich hält. Im Innersten verrückt ist ein Individuum, welches die Tatsache, dass es immer selbst urteilt, schließt und handelt, zum Anlass nimmt, das Urteilen, Schließen und Handeln der freien Willkür zu überlassen. Dabei reicht es auch nicht, gewisse logische Konsistenzen und begri=liche Kohärenzen zu beachten. Die Normativität des Ethos erscheint ihm dann immer noch als bloße Tradition oder rein konventionelle Sitte. Die Sittlichkeit, die es erst zu einer Person macht, wird als etwas Fremdes angesehen. Es ist die logische Verrücktheit unserer empiristischen und subjektivistischen Zeiten mit ihren übrigens immer bloß scheinbar großzügigen Pluralismen, Toleranzen, Erlösungsversprechen und Weltbeglückungsmoralen. 377 a
»Das Herzklopfen für das Wohl der Menschheit geht darum in das Toben des verrückten Eigendünkels über, in die Wut des Bewußtseins, gegen seine Zerstörung sich zu erhalten, und dies dadurch, daß es die Verkehrtheit, welche es selbst ist, aus sich herauswirft und sie als ein Anderes anzusehen und auszusprechen sich anstrengt. Es spricht also die allgemeine Ordnung aus als eine von fanatischen Priestern, schwelgenden Despoten und für ihre Erniedrigung hinabwärts durch Erniedrigen und Unterdrücken sich entschädigenden Dienern derselben erfundne und zum namenlosen Elende der betrognen Menschheit gehandhabte Verkehrung des Gesetzes des Herzens und seines Glücks. – « (249 | 206)
Der Gutbürger wird zum Wutbürger. Zu dessen Verrücktheit gehört, dass er die ganze Welt gemäß seinen eigenen Vorstellungen des Richtigen reformieren oder revolutionieren möchte – und das in der besten ›Gesinnung‹, in heldenhaftem Kampf für das Wohl der Menschheit. Die Selbstgerechtigkeit des Gesetzes des Herzens wird so zur superbia, zum Hochmut und Eigendünkel.
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Es ist zwar in der Tat notwendig, selbst zu denken. Doch das darf nicht zum Anlass genommen werden, eine vermeintlich schlechte Tradition unmittelbar abzuscha=en. Man kämpft in diesem Fehlglauben etwa gegen Kirche und Kapital, gegen Bischöfe und Banken, gegen einen vermeintlichen religiösen Aberglauben und für ein vermeintliches Licht der Vernunft. Man erklärt sich zur Avantgarde des Proletariats, zur Speerspitze der neuen Kunst, zur Exzellenzbewegung. Das alles wäre bloß lächerliche Anmaßung, läge es nicht so nahe bei einem latenten Terrorismus und einer merkwürdigen Vorliebe für eine Dauerrevolution, wie sie gerade unser Land auszeichnet, das von sich glaubt, konservativ zu sein. »Das Bewußtsein spricht in dieser seiner Verrücktheit die Individualität als das Verrückende und Verkehrte aus, aber eine fremde und zufällige. Aber das Herz oder die unmittelbar allgemeinseinwollende Einzelnheit des Bewußtseins ist dies Verrückende und Verkehrte selbst und sein Tun nur die Hervorbringung dessen, daß dieser Widerspruch seinem Bewußtsein wird. Denn das Wahre ist ihm das Gesetz des Herzens, – ein bloß Gemeintes, das nicht, wie die bestehende Ordnung, den Tag ausgehalten hat, sondern vielmehr, wie es sich diesem zeigt, zugrunde geht. Dies sein Gesetz sollte Wirklichkeit haben; hierin ist ihm das Gesetz als Wirklichkeit, als geltende Ordnung Zweck und Wesen; aber unmittelbar ist ihm ebenso die Wirklichkeit, eben das Gesetz als geltende Ordnung, vielmehr das Nichtige. – Ebenso seine eigne Wirklichkeit, es selbst als Einzelnheit des Bewußtseins ist sich das Wesen; aber es ist ihm Zweck, sie seiend zu setzen; es ist ihm also unmittelbar vielmehr sein Selbst als Nichteinzelnes das Wesen oder Zweck als Gesetz, eben darin als eine Allgemeinheit, welche es für sein Bewußtsein selbst sei. – Dieser sein Begri= wird durch sein Tun zu seinem Gegenstande; sein Selbst erfährt es also vielmehr als das Unwirkliche und die Unwirklichkeit als seine Wirklichkeit. Es ist also nicht eine zufällige und fremde Individualität, sondern eben dieses Herz nach allen Seiten in sich das Verkehrte und Verkehrende.« (249 f. | 206)
Der Einzelne, der seinen eigenen Ort in der Kulturtradition gemeinsamer Vernunft nicht begreift, sondern aufgrund der Ab-
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solutheit des Vollzugs gemäß der kategorialen Grundform des Urteilens und Handelns sich selbst zum letzten Schiedsrichter von allem Richtigen und Guten macht, ist es dabei selbst, welcher die Verrückung ausführt. Solange wir die Personalität nicht begreifen, erscheint es uns so, als läge die hier geschilderte Form der Verrücktheit bloß am Einzelnen, etwa an Robespierre oder Lenin, an Stalin oder Mussolini. Doch die Verrücktheit ist sozusagen endemisch. Sie resultiert aus der Vorstellung, für das Gemeinwohl utilitaristisch und konsequentialistisch Opfer zu verlangen – natürlich auch von anderen, nicht nur von sich selbst. Alle, die nicht mit uns sind, sind dann wohl als Gegner einer vermeintlichen Humanität anzugreifen. Solche Gegner verdienen kaum zu leben. Diese Art von Terror ist am Ende die logisch konsequente Folge einer Ethik des Herzens. Die sentimentale Moral des Utilitarismus ist daher keineswegs harmlos. Das klingt zwar unfair gegen Jeremy Bentham und erst recht J. St. Mill, der doch immerhin den Wert der Freiheit höher hängt als jede Befriedigung von Bedürfnissen. Doch auch hier gilt: Das Gute zu wollen ist bei Weitem nicht genug. 378
»Indem aber die unmittelbar allgemeine Individualität das Verkehrte und Verkehrende ist, ist nicht weniger diese allgemeine Ordnung, da sie das Gesetz aller Herzen, d. h. des Verkehrten ist, selbst an sich das Verkehrte, wie die tobende Verrücktheit es aussprach. Einmal erweist sie sich in dem Widerstande, welchen das Gesetz eines Herzens an den andern Einzelnen findet, Gesetz aller Herzen zu sein. Die bestehenden Gesetze werden gegen das Gesetz eines Individuums verteidigt, weil sie nicht bewußtlose leere und tote Notwendigkeit, sondern geistige Allgemeinheit und Substanz sind, worin diejenigen, an denen sie ihre Wirklichkeit hat, als Individuen leben und ihrer selbst bewußt sind; so daß, wenn sie auch über diese Ordnung, als ob sie dem innern Gesetze zuwiderlaufe, klagen und die Meinungen des Herzens gegen sie halten, [sie] in der Tat mit ihrem Herzen an ihr als ihrem Wesen hängen und, wenn diese Ordnung ihnen genommen wird oder sie selbst sich daraussetzen, sie alles verlieren. Indem hierin eben die Wirklichkeit und Macht der ö=entlichen Ordnung be-
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steht, erscheint also diese als das sich selbst gleiche allgemein belebte Wesen und die Individualität als die Form derselben. – Aber diese Ordnung ist ebenso das Verkehrte.« (250 | 206 f.)
Auch eine allgemeine Ordnung, die sich auf das Gesetz des Herzens, also bloß auf die Mehrheitsmeinungen in einer Population stützen möchte, ist verrückt. Die Verrücktheit zeigt sich in der Spannung zwischen der Meinung jedes Einzelnen, dass sein Gesetz des Herzens ihm sage, was alle Herzen für richtig finden sollten, auf der einen Seite, der Tatsache, dass die anderen Herzen durchaus andere Vorstellung haben, auf der anderen Seite. Kurz, jeder meint, für alle zu sprechen, wenigstens für die Guten, der grüne Atommeilergegner ebenso wie der Nuklearingenieur, der kapitalismuskritische Prediger wie der Unternehmer und Bankmanager, und am Ende sogar der Faschist und Nationalsozialist, deren Niedertracht gerade darin besteht, ihren Gegnern die Urteilsform kooperativer Vernunft abzusprechen. Doch die Minderheiten, welche dabei ausgeschlossen werden, haben nicht weniger Recht, die Mehrheitsmeinungen nach ihrem Gesetz des Herzens für falsch zu halten. Eine stabile gemeinsame Ordnung kann so nicht entstehen, bestenfalls eine Zeit lang durch Gewaltanwendung gegen Minderheiten aufrecht erhalten werden – es sei denn, man betreibt ›Säuberungen‹ unter Verwendung von Lagern, Ausbürgerungen, Vertreibungen oder Massentötungen, wobei die maoistische ›Gehirnwäsche‹ der 1950er Jahre vielleicht noch das kleinste dieser unsäglichen Übel war. Eine solche Ordnung ist verkehrt, gerade weil sie die Di=erenzen der je subjektiven Urteile einerseits nicht anerkennt, andererseits die gemeinsame Arbeit an einer allgemeinen guten Ordnung in der je gegebenen sittlichen Tradition nicht erkennt und nicht fortsetzt. »Denn darin, daß sie das Gesetz aller Herzen ist, daß alle Individuen unmittelbar dieses Allgemeine sind, ist sie eine Wirklichkeit, welche nur die Wirklichkeit der für sich seienden Individualität oder des Herzens ist. Das Bewußtsein, welches das Gesetz seines Herzens aufstellt, erfährt also Widerstand von andern, weil es den eben so einzelnen Gesetzen ihres Herzens widerspricht, und diese tun in ihrem
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Widerstande nichts anderes, als ihr Gesetz aufstellen und geltend machen. Das Allgemeine, das vorhanden ist, ist daher nur ein allgemeiner Widerstand und Bekämpfung aller gegeneinander [sic!, PSW], worin jeder seine eigne Einzelnheit geltend macht, aber zugleich nicht dazu kommt, weil sie denselben Widerstand erfährt und durch die andern gegenseitig aufgelöst wird. Was ö=entliche Ordnung scheint, ist also diese allgemeine Befehdung [sic!, PSW], worin jeder an sich reißt, was er kann, die Gerechtigkeit an der Einzelnheit der andern ausübt und die seinige festsetzt, die ebenso durch andere verschwindet. Sie ist der Weltlauf, der Schein eines bleibenden Ganges, der nur eine gemeinte Allgemeinheit und dessen Inhalt vielmehr das wesenlose Spiel der Festsetzung der Einzelnheiten und ihrer Auflösung ist.« (250 f. | 207)
Es läuft dabei die Idee eines reinen Mehrheitsdemokratismus ohne das Projekt der gemeinsamen Entwicklung einer gemeinsam anerkennungswürdigen sittlichen Ordnung mit ihren Praxisformen und Institutionen nicht etwa auf eine Pluralität der Meinungen hinaus, vielmehr auf eine ›allgemeine Befehdung‹, worin jeder den Besitz und die Macht an sich reißt, soweit er kann – zumeist sogar im Glauben, dem Gesetz des eigenen Herzens zu folgen. Jeder hält sein Urteil und seine Handlungen für richtig, setzt seine Regeln und hält die der anderen für falsch, ohne zu bemerken, dass er sich damit implizit doch auch schon selbst widerspricht: Seine Verrücktheit besteht darin, dass er von anderen verlangt, seine Gesetze als gültig anzuerkennen, dabei aber nicht weiter kommt als bis zur Willkür dieses Verlangens. Es entsteht so der Weltlauf. Das Wort ist bei Hegel Titel für Dauerreformen und Dauerrevolution von Verhältnissen ohne ein zureichendes metastufiges Bewusstsein über Sinn und Ziel. Wir finden in ihm allerlei Gesetzgebungen und Gesetzesaufhebungen. Das erzeugt den »Schein eines bleibenden Ganges«. Es scheint sich dabei viel zu bewegen. Aber man dreht sich eher im Kreis. Ein sich derart ungerichtet bewegender Weltlauf ist gerade das Gegenteil einer Vernunftkultur. Und er hält sich doch in erbaulichen Predigten für die wahre Moderne. Man denke nur an die gegenwärtige Bildungs-, Schul- und Universitätspolitik in unserem Land.
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Das alles geschieht unter Anrufung einer bloß »gemeinten Allgemeinheit« in einem »wesenlosen Spiel der Festsetzung von Einzelheiten und ihrer Auflösung«. Der Verlust einer nachhaltigen Sinnorientierung ist unübersehbar, zumal diese ein gemeinsames Projekt der Entwicklung einer aus unseren Traditionen überkommenen Vernunftkultur voraussetzen würde. In den lärmenden Reaktionen auf den letzten Skandal oder die letzte Statistik kann es eine solche Kontinuität gar nicht geben. »Betrachten wir beide Seiten der allgemeinen Ordnung gegen einander, so hat die letztere Allgemeinheit zu ihrem Inhalte die unruhige Individualität, für welche die Meinung oder die Einzelnheit Gesetz, das Wirkliche unwirklich und das Unwirkliche das Wirkliche ist. Sie ist aber zugleich die Seite der Wirklichkeit der Ordnung, denn ihr gehört das Fürsichsein der Individualität an. – Die andere Seite ist das Allgemeine als ruhiges Wesen, aber eben darum nur als ein Inneres, das nicht gar nicht, aber doch keine Wirklichkeit ist und nur durch Aufhebung der Individualität, welche sich die Wirklichkeit angemaßt hat, selbst wirklich werden kann. Diese Gestalt des Bewußtseins, sich in dem Gesetze, in dem an sich Wahren und Guten nicht als die Einzelnheit, sondern nur als Wesen zu werden, die Individualität aber als das Verkehrte und Verkehrende zu wissen und daher die Einzelnheit des Bewußtseins aufopfern zu müssen, ist die Tugend.« (251 | 207)
Es ist die Tugend, welche an dieses Manko erinnert und an die gute Tradition appelliert. Tugend, wie sie hier verstanden wird, ist die freie und selbstbewusste Unterordnung unter die Tradition. Sie ist das Gegenextrem des Gesetzes des Herzens. Als solches ist sie nicht dessen vernünftige Aufhebung. Tugendhaft sind dogmatische Konservative. So wie in der Form des Urteilens, der Kategorie, die subjektive Performation des Einzelsprechers bzw. einer zufälligen Wir-Gruppe dem abstrakten und allgemeinen Inhalt des beurteilten Satzes bzw. der Aussage gegenübersteht, stehen die bloßen Meinungen von wenigen oder vielen Einzelpersonen einer substantiellen Allgemeinheit gegenüber. Immerhin korrespondiert den Meinungen die Realität bzw. das ›Fürsichsein‹ der Individuen als wirklicher Beziehung der Personen zu sich und
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zu einander. Das Allgemeine erscheint dagegen bloß als etwas Inneres, als Inhalt der Herzen, als Anspruch, der zumeist utopisch, wortlos, unwirklich und wirkungslos bleibt. Daher ist die Frage unabweisbar, wie wir eine angemessene Verbindung zwischen der subjektiven Individualität der Einzelvollzüge und der Allgemeinheit von Inhalten bzw. der allgemeinen Entwicklung allgemeiner Formen und Normen des Richtigen und Guten herstellen können. Der Begri= der Tugend steht für die Anerkennung einer Normentradition. Tugend ist demnach ein Urteilen, Schließen und Handeln, das sich in gewissem Sinn einem Werte-Konservativismus unterwirft und die Subjektivität autonomer Moralgesetzgebung angesichts der eben vorgetragenen Argumente bewusst aufopfert: Das bloß subjektive Meinen ist ihm das Verkehrte, das es zu vermeiden und in die Objektivität der Allgemeinheit umzukehren gilt. Dieser Begri= der Tugend ist o=enbar nicht einfach als Übersetzung der altgriechischen Aret¯e zu lesen, sondern bedeutet eben das, was das Wort im Deutschen bedeutet: ein Verhältnis der Unterordnung des Einzelnen unter ein ihm gegenübergestelltes Allgemeines nach Art der Unterordnung unter ›den Willen Gottes‹. Die antike Aret¯e war dagegen einfach männliche Tüchtigkeit, also Kompetenz, das Rechte zu tun. Hegels Begri= enthält dagegen schon die moderne (das heißt: christliche und post-christliche) Selbst-Unterwerfung des Einzelsubjekts unter eine allgemeine Ordnung, wie sie in dieser Form bei Platon und Aristoteles noch nicht explizit mitgedacht ist. Wir werden sehen, was an dieser Vorstellung von Tugend logisch mangelhaft ist, und zwar gerade in ihrem Schwanken zwischen einer willkürlichen Selbstunterwerfung und dem Mangel an eigenständiger Kontrolle dessen, was an der Tradition als allgemein richtig und gut zu erhalten ist, was als Normen des Wahren und Guten gilt, oder auch, wie mit der tradierten Rede von Gott einerseits, von einer autonomen Vernunft andererseits sinnrichtig umzugehen ist. Doch zunächst ist die ›Schaukelpolitik‹ in der Entgegensetzung von Tugend und Weltlauf zu betrachten, also von Konservativen und Revolutionären, welche alle möglichen Räder neu erfinden wollen.
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c. Die Tugend und der Weltlauf 40. Der moralische Einzelne und das unmoralische Ganze »In der ersten Gestalt der tätigen Vernunft war das Selbstbewußtsein sich reine Individualität, und ihr gegenüber stand die leere Allgemeinheit. In der zweiten hatten die beiden Teile des Gegensatzes jeder die beiden Momente, Gesetz und Individualität, an ihnen; der eine aber, das Herz, war ihre unmittelbare Einheit, der andere ihre Entgegensetzung. Hier im Verhältnisse der Tugend und des Weltlaufs sind beide Glieder, jedes Einheit und Gegensatz dieser Momente, oder eine Bewegung des Gesetzes und der Individualität gegeneinander, aber eine entgegengesetzte. Dem Bewußtsein der Tugend ist das Gesetz das Wesentliche und die Individualität das Aufzuhebende, und also sowohl an ihrem Bewußtsein selbst als an dem Weltlaufe. An jenem ist die eigne Individualität in die Zucht unter das Allgemeine, das an sich Wahre und Gute, zu nehmen; es bleibt aber darin noch persönliches Bewußtsein; die wahre Zucht ist allein die Aufopferung der ganzen Persönlichkeit [sic!, PSW] als die Bewährung, daß es in der Tat nicht noch an Einzelnheiten festgeblieben ist. In dieser einzelnen Aufopferung wird zugleich die Individualität an dem Weltlaufe vertilgt, denn sie ist auch einfaches, beiden gemeinschaftliches Moment. – In diesem verhält sich die Individualität auf die verkehrte Weise, als sie am tugendhaften Bewußtsein gesetzt ist, nämlich sich zum Wesen zu machen und dagegen das an sich Gute und Wahre sich zu unterwerfen. – « (251 f. | 208)
Der Tugend ist das gegebene Gesetz das Wesentliche. Der Tugendhafte enthält sich der Reformation und Revolution von Gesetzen oder Institutionen, der Gesetzeskritik und der Prüfung der Güte gegebener Praxisformen. Wie der brave Zögling befolgt er die Gesetze oder versucht wenigstens, sie nach Kräften zu befolgen. Er ordnet sich in Disziplin und Selbstdisziplin unter. Der Tugendhafte arbeitet an der Vertilgung seiner Individualität, wie es der Buddhismus praktisch und Schopenhauer verbal fordert. Es soll die Individualität aus dem Weltlauf getilgt werden, so wie
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Tugend und Weltlauf
im Streben nach Wissen und Wahrheit scheinbar alle Subjektivität und Perspektivität des Urteilenden vertilgt werden soll. Die Moderne erscheint diesem Tugendhaften als absolute Verkehrung und zwar wegen ihres Prinzips der Individualität und Subjektivität. Daher steht schon das altfränkische Wort »Tugend« für eine vormoderne Position der Subjektivitätskritik. Hegel hört hier völlig genau auf die deutsche Sprache. Wir sollten aber auch auf den theoretischen Bereich und den Begri= der Wahrheit blicken. Hier ist die naive Unterstellung eines absoluten Wahrheitsbegri=s vormodern. Es ist die Vormoderne eines Platonismus, der im Grunde ein Pythagoräismus ist: Man unterstellt dabei, dass die Wahrheit weltbezogenen Wissens in der gleichen Weise perspektiven- und sprecherinvariant schon bestimmt sei, wie wir die Wahrheitswerte der Sätze der Arithmetik und euklidischen Geometrie ein für allemal theorieintern festgelegt haben. Es ergibt sich die tiefe Ironie, dass die wissenschaftliche Weltanschauung der Aufklärung, der Materialismus und Naturalismus noch von Hobbes und damit dann auch des physikalistischen Empirismus vormodern ist. Denn sie spricht von einer objektiven Wahrheit, ohne deren konkrete Verfassung zu bedenken. Hier erö=net erst Kant die neuen Perspektiven der Moderne. Aber auch bei Kant werden die unaufhebbar endlichen und perspektivischen Vollzüge des Urteilens, Schließens und Handelns der Einzelpersonen nicht genügend betrachtet. Und es werden inhaltliche Normen des Richtigen gerade dadurch unbedacht vorausgesetzt, dass es so erscheint, als seien sie unhintergehbare Voraussetzungen subjektiver Vernunft. Damit ist zwar ihre transzendentale Rolle in einer präsuppositionalen Stufung von Sinnbedingungen erfasst, auch ihre zeitallgemeine Form, aber nicht der geschichtliche Status ihrer Geltung in der Form von materialbegri=lichen Sätzen. Diese sind instituiert und kanonisiert. Sie gelten nicht einfach absolut a priori. Das gilt sogar für den konkreten inhaltlichen Gebrauch fester syntaktischer Formen wie der Subjekt-Prädikat-Struktur der Sätze oder der Modalwörter, die wie der Ausdruck »ist wahr« manchmal Performatoren sind (im
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Sinne von »ich halte es für möglich/wahr/notwendig«), manchmal schachtelbare Satzoperatoren (wie in »es ist wahr, dass Peter möglicherweise schläft«), manchmal beurteilende Prädikate (»das und das ist möglich/wahr/wirklich«). Und auch Namen benennen am Ende nur in der Idealform mathematischer Rede sortale Gegenstände, die durch (einstellige) Prädikate klassifiziert werden und für die Relationen R(x, y, . . . ) so definiert sind, dass die Variablen beliebigen Gegenständen von G zugeordnet werden können. Ansonsten nennen namenartige Ausdrücke auch Themen, sind also Titel oder Labels, oder sie nennen Gegenstände in bloß lokal und situationsabhängig bestimmten halbsortalen Bereichen wie z. B. den Dingen oder gewissen Sachen. Allein schon, dass die Frage ohne eigene Abmachung vorher nicht klar beantwortbar ist, wie viele Dinge oder gar Sachen es in diesem Raum gibt, zeigt, welchen Punkt mein Ausdruck »halbsortal« hier anspricht. Den Begri= des Möglichen als Unterscheidung von Sätzen oder als Operatoren gibt es in der Mathematik eigentlich gar nicht, da er den Kontrast zwischen kontingenter empirischer Wahrheit und allgemeiner Geltung voraussetzt: Jeder mathematische Satz gilt mit Notwendigkeit, wenn er gilt. Die Erwägung epistemischer Möglichkeiten, also in der Form »ich halte es für möglich, dass es einen größten Primzahlenzwilling gibt«, ist dagegen von ganz anderem Typ. »Der Weltlauf ist ferner ebenso für die Tugend nicht nur dies durch die Individualität verkehrte Allgemeine, sondern die absolute Ordnung ist gleichfalls gemeinschaftliches Moment, an dem Weltlaufe nur nicht als seiende Wirklichkeit für das Bewußtsein vorhanden, sondern das innere Wesen desselben. Sie ist daher nicht erst durch die Tugend eigentlich hervorzubringen, denn das Hervorbringen ist, als Tun, Bewußtsein der Individualität, und diese vielmehr aufzuheben; durch dieses Aufheben aber wird dem An sich des Weltlaufs gleichsam nur Raum gemacht, an und für sich selbst in die Existenz zu treten.« (252 | 208)
Wir betrachten den Konservativen, für den es die Kriterien des Wahren oder des Guten einfach schon gibt, hier nur für den
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besonderen Fall des Guten, da das Problem dabei klarer wird: Der entsprechende Tugendhafte meint, in den Normen der Tradition, den O=enbarungen einer göttlichen Religion etwa, eine feste Ordnung dem Schwanken des Weltlaufs gegenüberstellen zu können. Er appelliert an diese absolute Ordnung und bewertet die Zufälligkeiten des Weltlaufs in diesem Rahmen. Diese Ordnung erscheint ihm vielleicht sogar als das geheime Wesen oder Gesetz des Weltlaufs, betrachtet sub specie aeternitatis. Man kann dazu z. B. eine Erlösungsgeschichte erzählen. Diese Erlösung ereignet sich der Erzählung zufolge auf eine Weise, die jenseits unseres endlichen menschlichen Wollens und Tuns liege. Eine solche Geschichtsphilosophie wird oft Hegel selbst zugeschrieben. Bei genauerem Lesen gibt es dafür jedoch absolut keinen Anlass, da Hegels Weltgeschichte klarerweise immer in der jeweiligen Gegenwart endet. Aber auch die Position der Tugend steht im Folgenden unter dem Beschuss von Hegels Kritik, so dass die These von Hegels angeblichem Normenkonservativismus ebenfalls nicht haltbar ist. 382
»Der allgemeine Inhalt des wirklichen Weltlaufs hat sich schon ergeben; näher betrachtet ist er wieder nichts anderes als die beiden vorhergehenden Bewegungen des Selbstbewußtseins. Aus ihnen ist die Gestalt der Tugend hervorgegangen; indem sie ihr Ursprung sind, hat sie sie vor sich; sie geht aber darauf, ihren Ursprung aufzuheben und sich zu realisieren oder für sich zu werden. Der Weltlauf ist also einerseits die einzelne Individualität, welche ihre Lust und Genuß sucht, darin zwar ihren Untergang findet und hiemit das Allgemeine befriedigt. Aber diese Befriedigung selbst, sowie die übrigen Momente dieses Verhältnisses, ist eine verkehrte Gestalt und Bewegung des Allgemeinen. Die Wirklichkeit ist nur die Einzelnheit der Lust und des Genusses, das Allgemeine aber ihr entgegengesetzt, eine Notwendigkeit, welche nur die leere Gestalt desselben, eine nur negative Rückwirkung und inhaltsloses Tun ist. – Das andere Moment des Weltlaufs ist die Individualität, welche an und für sich Gesetz sein will und in dieser Einbildung die bestehende Ordnung stört; das allgemeine Gesetz erhält sich zwar gegen diesen Eigendünkel und tritt nicht
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mehr als ein dem Bewußtsein Entgegengesetztes und Leeres, nicht als eine tote Notwendigkeit auf, sondern als Notwendigkeit in dem Bewußtsein selbst. Aber wie es als die bewußte Beziehung der absolut widersprechenden Wirklichkeit existiert, ist es die Verrücktheit; wie es aber als gegenständliche Wirklichkeit ist, ist es die Verkehrtheit überhaupt. Das Allgemeine stellt sich also wohl in beiden Seiten als die Macht ihrer Bewegung dar, aber die Existenz dieser Macht ist nur die allgemeine Verkehrung.« (252 f. | 208 f.)
Die Tugend ist die Gegenrevolution gegen die revolutionäre Moderne. Woher aber kennt die Tugend das Gesetz und seine Geltung? Wie kann der Tugendhafte verhindern, dass er einem bloß zufällig als geltend gesetztem Gesetz dient, und damit trotz aller vermeintlichen Selbstaufgabe nicht weniger verkehrt, verrückt, selbstgerecht, ja am Ende sogar hochmütig urteilt und handelt wie der von ihm so bekämpfte Individualismus der Moderne? »Von der Tugend soll es nun seine wahrhafte Wirklichkeit erhalten durch das Aufheben der Individualität, des [angeblichen, PSW] Prinzips der Verkehrung [sic!, PSW]; ihr Zweck ist, hierdurch den verkehrten Weltlauf wieder zu verkehren und sein wahres Wesen hervorzubringen. Dies wahre Wesen ist an dem Weltlaufe nur erst als sein Ansich, es ist noch nicht wirklich; und die Tugend glaubt es daher nur. Diesen Glauben geht sie zum Schauen zu erheben, ohne aber der Früchte ihrer Arbeit und Aufopferung zu genießen. Denn insofern sie Individualität ist, ist sie das Tun des Kampfes, den sie mit dem Weltlaufe eingeht; ihr Zweck und wahres Wesen aber ist die Besiegung der Wirklichkeit des Weltlaufs; die dadurch bewirkte Existenz des Guten ist hiemit das Aufhören ihres Tuns oder des Bewußtseins der Individualität. – Wie dieser Kampf selbst bestanden werde, was die Tugend in ihm erfährt, ob durch die Aufopferung, welche sie über sich nimmt, der Weltlauf unterliege, die Tugend aber siege, – dies muß sich aus der Natur der lebendigen Wa=en entscheiden, welche die Kämpfer führen. Denn die Wa=en sind nichts anderes als das Wesen der Kämpfer selbst, das nur für sie beide gegenseitig hervortritt. Ihre Wa=en haben sich hiemit schon aus dem ergeben, was an sich in diesem Kampfe vorhanden ist.« (253 | 209)
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Das Projekt der Tugend ist es, durch den Kampf gegen alle Individualität dem Allgemeinen und Guten Platz zu machen. Dann werde sich das wahre Wesen wie eine Art göttlicher Wille schon von selbst durchsetzen. Doch der Tugendhafte kann etwas derartiges o=enbar bloß glauben. Ein Wissen um das Allgemeine, Notwendige, seine Verfassung und Wirklichkeit hat er nicht und hält es sogar für unmöglich. Ob aber der bloß gewollte Verzicht auf innerweltliche Befriedigungen das Gute befördern kann, ist so fragwürdig wie der Gedanke, die Welt könne durch einen selbsterklärten, alles umfassenden Altruismus und Utilitarismus erlöst werden. Hegel erkennt hier schon lange vor Nietzsche die tiefen Probleme aller Individualismuskritik und Verzichtspredigten. Diese finden sich im Buddhismus ebenso wie im Christentum, säkularisiert bei Arthur Schopenhauer oder auch Richard Wagner. Nicht besser steht es mit den vermeintlichen Gegnern, den utilitaristischen Weltbeglückungsethiken von Jeremy Bentham bis Wladimir Iljitsch Lenin. Die Frage, ob am Ende die Tugend dem Weltlauf unterliegt, also kurz: die Tradition der Moderne, ist am Ende die falsche Frage. Denn sollte die Tugend gewinnen, war sie am Ende selbst nur Partei im Kampf um die Macht, also um die Bestimmung dessen, wie der Weltlauf weiter von uns zu beeinflussen sei. 384
»Das Allgemeine ist für das tugendhafte Bewußtsein im Glauben oder an sich wahrhaft, noch nicht eine wirkliche, sondern eine abstrakte Allgemeinheit; an diesem Bewußtsein selbst ist es als Zweck, an dem Weltlaufe als Inneres. In eben dieser Bestimmung stellt das Allgemeine sich auch an der Tugend für den Weltlauf dar; denn sie will das Gute erst ausführen und gibt selbst es noch nicht für Wirklichkeit aus. Diese Bestimmtheit kann auch so betrachtet werden, daß das Gute, indem es in dem Kampf gegen den Weltlauf auftritt, damit sich darstellt als seiend für ein anderes; als etwas, das nicht an und für sich selbst ist, denn sonst würde es nicht durch Bezwingung seines Gegenteils sich erst seine Wahrheit geben wollen. Es ist nur erst für ein anderes, heißt dasselbe, was vorher von ihm in der entgegengesetzten Betrachtung sich zeigte, nämlich es ist erst eine
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Abstraktion, welche nur in dem Verhältnisse, nicht an und für sich, Realität hat.« (253 f. | 209 f.)
Das, was allgemein richtig ist, gibt es für den Tugendhaften noch nicht als von den Menschen anerkannte Form und Norm ihres Handelns, sondern bloß erst ›an sich‹: Er glaubt, dass es die Normen gibt, obwohl sie heute bloß erst abstrakt bekannt sind, im Modus göttlicher O=enbarung oder, moderner, im Modus eines utopischen Denkens. Das Gute ist also erst noch zu erreichen. Es existiert noch nicht als Wirklichkeit. Entsprechendes gilt für das Wahre und das Wissen: Wir sind auch hier bloß erst strebend auf der Suche. Das Gute im Kampf mit dem realen Weltlauf ist eben damit allerdings bloß relational definiert, »denn sonst würde es nicht durch Bezwingung seines Gegenteils sich erst seine Wahrheit geben wollen«. Das aber heißt, dass wir uns wieder bloß in der immanenten Kritik an faktischen Verhältnissen befinden, in denen die jeweils herrschenden Meinungen als die verkehrten bekämpft werden. Wir setzen nur unsere eigenen inneren Vorstellungen, nach dem Gesetz des Herzens, jetzt allerdings im Modus einer gewissen Form der Selbstunterwerfung unter eine als gegeben betrachtete, vermeintlich konservative, Utopie (wie etwa im Islamismus), gegen die vermeintliche böse Welt, den Weltlauf des Egoismus und Machtstrebens der jeweils anderen, die ihrerseits bloß als jeweils Einzelne angesehen werden. »Das Gute oder Allgemeine, wie es also hier auftritt, ist dasjenige, was die Gaben, Fähigkeiten, Kräfte genannt wird. Es ist eine Weise des Geistigen zu sein, worin es als ein Allgemeines vorgestellt wird, das zu seiner Belebung und Bewegung des Prinzips der Individualität bedarf und in dieser seine Wirklichkeit hat. Von diesem Prinzip, insofern es am Bewußtsein der Tugend ist, wird dies Allgemeine gut angewendet, von ihm aber, insofern es am Weltlauf ist, mißbraucht, – ein passives Werkzeug, das von der Hand der freien Individualität regiert, gleichgültig gegen den Gebrauch, den sie von ihm macht, auch zur Hervorbringung einer Wirklichkeit mißbraucht werden kann, die seine Zerstörung ist; eine leblose, eigner Selbstän-
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digkeit entbehrende Materie, die so oder auch anders und selbst zu ihrem Verderben geformt werden kann.« (254 | 210)
Es ist klar, dass Hegel hier die Protagonisten erst einmal so schildert, wie sie scheinbar vernünftig für ihre Position argumentieren: Das Gute wird vom Tugendhaften als Gabe aufgefasst, auch als gegebene Fähigkeit der Person, welche ihre Talente, Gaben, Fähigkeiten gut, aber auch schlecht entwickeln und anwenden kann. Der Mensch erscheint als mit Geist und Vernunft begabt. Vielleicht glaubt man, ein Gott habe uns diese Gaben geschenkt. Jedenfalls soll der Tugendhafte, wie der Tüchtige auch sonst, seine Gaben aktiv entwickeln und gut gebrauchen, nicht, wie es im Fall des Kampfes um die Macht im Weltlauf bei derartigen Kämpfen geschieht, missbrauchen. Hier berührt sich die platonisch-aristotelische Vorstellung von der Aret¯e mit Hegels Begri= der Tugend. Diese Vorstellung von Talenten und Begabungen betrachtet diese als reine Mittel und Werkzeuge, die man so oder so gebrauchen kann, zum Guten wie zum Bösen. Doch so verhält es sich keineswegs. Erstens kommen die Fähigkeiten nicht von ›oben‹, einem himmlischen Gott, noch von ›unten‹, aus einer sich blind selbst entfaltenden Natur. Sondern sie sind selbst schon das Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit an einer gemeinsamen Kultur der Vernunft, besonders am Begri=. Sie entstammen dem System des allgemein richtigen Urteilens, Schließens und konsequenten Handelns. Daher setzt jedes instrumentelle Denken längst schon ein Ethos der Entwicklung des Guten und Wahren voraus. 386 a
»Indem dies Allgemeine dem Bewußtsein der Tugend wie dem Weltlaufe auf gleiche Weise zu Gebote steht, so ist nicht abzusehen, ob, so ausgerüstet, die Tugend das Laster besiegen werde. Die Wa=en sind dieselben; sie sind diese Fähigkeiten und Kräfte. Zwar hat die Tugend ihren Glauben an die ursprüngliche Einheit ihres Zwecks und des Wesens des Weltlaufs in den Hinterhalt gelegt, welche dem Feinde während des Kampfes in den Rücken fallen und an sich ihn vollbringen soll, so daß hierdurch in der Tat für den Ritter der Tugend sein eignes Tun und Kämpfen eigentlich eine Spiegelfechterei ist, die er nicht für Ernst nehmen kann, weil er seine wahrhafte Stärke darein
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setzt, daß das Gute an und für sich selbst sei, d. h. sich selbst vollbringe, – eine Spiegelfechterei, die er auch nicht zum Ernste werden lassen darf. Denn dasjenige, was er gegen den Feind kehrt und gegen sich gekehrt findet und dessen Abnutzung und Beschädigung er sowohl an ihm selbst als seinem Feinde daran wagt, soll nicht das Gute selbst sein; denn für dessen Bewahrung und Ausführung kämpft er; sondern was daran gewagt wird, sind nur die gleichgültigen Gaben und Fähigkeiten. Allein diese sind in der Tat nichts anderes als eben dasjenige individualitätslose Allgemeine selbst, welches durch den Kampf erhalten und verwirklicht werden soll. – « (254 f. | 210)
Wäre die Lage wirklich so symmetrisch, wie man sich das vorstellt, so wäre völlig o=en, ob »die Tugend das Laster besiegen werde«. Hegels Argument ist hier so zu rekonstruieren, dass das Wissen um die Formen und Normen des Guten nicht etwa in der Zukunft liegen, sondern sozusagen in der Vergangenheit: Gerade weil wir schon urteilen und schließen, instrumentell und kooperativ handeln können, wissen wir schon um die Normen des Richtigen, wenigstens implizit und empraktisch. Es geht daher nicht in erster Linie um einen Kampf der Tugend gegen das Laster. Es geht um die Einsicht in die normativen Präsuppositionen unserer eigenen Fähigkeiten. Dabei glaubt die tugendhafte Person, dass sozusagen hinter dem Rücken ihres Kampfes gegen die Weltlichkeit der Welt ›das Gute‹ siegen werde. Daher ist in dem Kampf nichts ganz ernst gemeint. Sonst kämpfte ja der Tugendhafte bloß um Macht und wäre nicht besser als alle Weltlichen in der Welt. »Es ist aber zugleich durch den Begri= des Kampfes selbst unmittelbar bereits verwirklicht, es ist das Ansich, das Allgemeine, und seine Verwirklichung heißt nur dieses, daß es zugleich für ein anderes sei. Die beiden oben angegebenen Seiten, nach deren jeder es zu einer Abstraktion wurde, sind nicht mehr getrennt, sondern in und durch den Kampf ist das Gute auf beide Weisen zumal gesetzt. – Das tugendhafte Bewußtsein tritt aber in den Kampf gegen den Weltlauf als gegen ein dem Guten Entgegengesetztes; was er ihm hierin darbietet, ist das Allgemeine, nicht nur als abstraktes Allgemeines, sondern als ein von der Individualität belebtes und für ein anderes seiendes oder
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das wirkliche Gute. Wo also die Tugend den Weltlauf anfaßt, tri=t sie immer auf solche Stellen, die die Existenz des Guten selbst sind, das in alle Erscheinungen des Weltlaufs, als das Ansich des Weltlaufs, unzertrennlich verschlungen ist und in der Wirklichkeit desselben auch sein Dasein hat; er ist also für sie unverwundbar [das ist nicht ohne Ironie gesagt, PSW]. Eben solche Existenzen des Guten und hiemit unverletzliche Verhältnisse sind alle Momente, welche von der Tugend selbst an ihr darangesetzt und aufgeopfert werden sollten. Das Kämpfen kann daher nur ein Schwanken zwischen Bewahren und Aufopfern sein [sic!, PSW]; oder vielmehr kann weder Aufopferung des Eignen noch Verletzung des Fremden stattfinden. Die Tugend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit darum begonnen, die Wa=en zu bewahren; und nicht nur kann sie die ihrigen nicht gebrauchen, sondern muß auch die des Feindes unverletzt erhalten und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle Teile des Guten, für welches sie in den Kampf ging.« (255 f. | 210 f.)
Nicht Hegels Kampfmetaphorik, das Selbstbewusstsein des Tugendhaften selbst verheddert sich hier argumentativ und gerät in Aporien. Die Unterstellung, der Weltlauf und die in ihm Mächtigen seien böse und zu bekämpfen, oder wenigstens, es sei der Individualismus der Moderne zu bekämpfen, ist insofern in sich widersprüchlich, als schon ›die Wa=en‹, also die Fähigkeiten zu urteilen, zu schließen, zu kritisieren, zu handeln und Handlungen zu bewerten, wesentliche Momente der personalen Individualität sowohl des Tugendhaften als auch dessen sind, den er bekämpft. Im vermeintlichen Kampf gegen die Individualität des Subjekts kämpft daher der Tugendhafte nicht bloß gegen ›das Böse‹, sondern auch gegen sich selbst und ›das Gute‹. »Das Kämpfen kann daher nur ein Schwanken zwischen Bewahren und Aufopfern sein«. Und da dieses Schwanken willkürlich ist, ist es mit der Tugend und ihrer Kritik am Individualismus der Moderne nicht so weit her, wie sie selbst glaubt. 387
»Diesem Feinde dagegen ist nicht das Ansich, sondern die Individualität das Wesen; seine Kraft also das negative Prinzip, welchem
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nichts bestehend und absolut heilig ist, sondern welches den Verlust von allem und jedem wagen und ertragen kann. Hierdurch ist ihm der Sieg eben so sehr an ihm selbst gewiß als durch den Widerspruch, in welchen sich sein Gegner verwickelt. Was der Tugend an sich ist, ist dem Weltlaufe nur für ihn, er ist frei von jedem Momente, das für sie fest und woran sie gebunden ist. Er hat ein solches Moment dadurch, daß es für ihn nur als ein solches gilt, das er ebenso wohl aufheben als bestehen lassen kann, in seiner Gewalt und damit auch den daran befestigten tugendhaften Ritter [man beachte die Ironie, PSW]. Dieser kann sich davon nicht als von einem äußerlich umgeworfenen Mantel loswickeln und durch Hinterlassung desselben sich frei machen; denn es ist ihm das nicht aufzugebende Wesen.« (256 | 211)
Die Tugend sieht, wie etwa auch Charles Taylor, in der Individualität den Feind. Leider ist dieser das absolute Wesen. Man kann von der subjektiven Individualität nicht abstrahieren. Der bekämpfte Subjektivismus übersieht dagegen seinerseits, dass die geistige Personalität gar nicht vom Subjekt selbst stammt, sondern Teilhabe an einer tatsächlich gegebenen Allgemeinheit ist. Der moderne Mensch täuscht sich daher selbst, wenn er glaubt, dass ihm nichts als ›heilig‹, ›sakrosankt‹ oder ›unberührbar‹ gilt. Denn es gilt ihm nicht nur seine eigene leibliche Individualität und körperliche Integrität als unantastbar, sondern auch seine geistige Persönlichkeit. Er täuscht sich also, wenn er meint, dass er im Kampf mit Traditionalisten und Tugendbolden »den Verlust von allem und jedem wagen und ertragen kann«. Er hat zwar darin Recht, dass sich der Vertreter einer traditionellen Tugend in innere Widersprüche verwickelt – und das sind gerade diejenigen, welche Nietzsche in seiner moralkritischen Genealogie der Moral noch einmal herausarbeiten wird. Doch der moderne Mensch wird durch seine ironische Distanzierung von jeder Tradition und jeder normativen Autorität zum ›letzen Menschen‹ in Nietzsches Sinn, dem nichts mehr ernst ist und der eben deswegen auch nicht mehr ernst zu nehmen ist. Die unabhängige Freiheit des letzten Menschen des bloßen Weltlaufs, nach dem geschieht, was eben geschieht, ist zugleich die reine Zufälligkeit und Sinnlosigkeit.
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Damit kollabiert die Idee, dass es Normen und Gesetze bloß je für mich gibt, da ich in meinem Urteil alle Normen und Gesetze kritisieren und aufheben oder wieder einsetzen und anerkennen kann, ebenso wie die Idee des tugendhaften Ritters, an eine von ihm unmittelbar erkannte und uns angeblich unmittelbar bekannte Norm gebunden zu sein. Dieser allerdings kann sich, anders als sein ›moderner‹ Widersacher, nicht von diesen Normen wie von einem bloß übergezogenen Mantel frei machen: »denn es ist ihm das nicht aufzugebende Wesen«. In diesem Punkt behält der Tugendhafte Recht, aber anders als er glaubt. Denn er meint, damit nicht selbständig die tradierten Normen ihrerseits beurteilen zu müssen. Kurz, der Tugendhafte ist ebenso bewusstlos tugendhaft wie sein Widersacher, das freie Individuum, bewusstlos meint, von aller gegebenen Normativität frei und ledig und selbst der Herr aller Normensetzung und Normenerfüllungskontrolle zu sein. 388
»Was endlich den Hinterhalt betri=t, aus welchem das gute Ansich dem Weltlaufe listigerweise in den Rücken fallen soll, so ist diese Ho=nung an sich nichtig. Der Weltlauf ist das wache, seiner selbst gewisse Bewußtsein, das nicht von hinten an sich kommen läßt, sondern allenthalben die Stirne bietet; denn er ist dieses, daß alles für ihn ist, daß alles vor ihm steht. Das gute Ansich aber, ist es für seinen Feind, so ist es in dem Kampfe, den wir gesehen haben; insofern es aber nicht für ihn, sondern an sich ist, ist es das passive Werkzeug der Gaben und Fähigkeiten, die wirklichkeitslose Materie; als Dasein vorgestellt, wäre es ein schlafendes und dahinten, man weiß nicht wo, bleibendes Bewußtsein.« (256 | 211 f.)
Der Hinterhalt der Verteidiger der Tugend gegen das moderne Individuum ist nicht so wirksam, wie er zunächst scheint. Es handelt sich um das präsuppositionale tu-quoque-Argument, nach welchem auch der moderne Mensch an die impliziten allgemeinen Notwendigkeiten des Guten und Richtigen appellieren müsste. Eine Variante dieses Arguments ist, dass die moderne Gesellschaft, gerade auch der moderne Rechtsstaat, auf traditionalen Fundamenten beruhe, die er selbst nicht durch seine Form
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der Setzung positiver Rechte ›einholen‹ könne. Gegen derartige Argumente – weithin hochgelobt und mit Personen wie Robert Spaemann und Ernst-Wolfgang Böckenförde verbunden – setzt nun schon Hegel folgendes Gegenargument: Die Moderne ist wach auch für ihre Vergangenheit, selbstbewusst auch in Bezug auf ihre Herkünfte und wehrt sich zu Recht gegen mystische und mythische Appelle eines reinen Konservatismus. Sie lässt daher Präsuppositionsargumente nur soweit zu, als diese explizit anerkannt werden können. Der Konservative aber erträumt sich Gründe in einer unbekannt und unzugänglich gehaltenen Hinterwelt. Und in der Tat: Wir wollen alles Hinterhältige explizit machen und alles Hintergründige vor uns stellen, soweit das eben geht. Appelle an eine hinterweltliche Transzendenz, wie sie der Verteidiger der Tugend vorträgt, werden als solche nicht anerkannt. Das muss noch nicht bedeuten, dass alles und jedes gegenständlich beredet werden kann. Es kann auch vieles ein empraktisch tradiertes Können sein. Nur: Ein solches bleibt in der Welt und fällt in keine Transzendenz hinter ihr. Es wird also weiterhin darum gehen, die Allgemeinheit und Notwendigkeit von Normativität ohne Appell an ein »Dahinten« explizit zu begreifen. Transzendenz ist nicht gefragt, zumal der Glaube an sie zu beliebiger Willkür wird. Selbstaufopferung ist ebenfalls weder sinnvoll noch wirklich möglich. »Die Tugend wird also von dem Weltlaufe besiegt, weil das abstrakte unwirkliche Wesen in der Tat ihr Zweck ist und weil in Ansehung der Wirklichkeit ihr Tun auf Unterschieden beruht, die allein in den Worten liegen. Sie wollte darin bestehen, durch Aufopferung der Individualität das Gute zur Wirklichkeit zu bringen [sic!, PSW], aber die Seite der Wirklichkeit ist selbst nichts anderes als die Seite der Individualität [sic!, PSW]. Das Gute sollte dasjenige sein, was an sich und dem, was ist, entgegengesetzt ist, aber das Ansich ist, nach seiner Realität und Wahrheit genommen, vielmehr das Sein selbst. Das Ansich ist zunächst die Abstraktion des Wesens gegen die Wirklichkeit; aber die Abstraktion ist eben dasjenige, was nicht wahrhaft, sondern nur für das Bewußtsein ist; d. h. aber, es ist selbst dasjenige,
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was wirklich genannt wird; denn das Wirkliche ist, was wesentlich für ein Anderes ist, oder es ist das Sein. Das Bewußtsein der Tugend aber beruht auf diesem Unterschiede des Ansich und des Seins, der keine Wahrheit hat. – Der Weltlauf sollte die Verkehrung des Guten sein, weil er die Individualität zu seinem Prinzip hatte; allein diese ist das Prinzip der Wirklichkeit [sic!, PSW]; denn eben sie ist das Bewußtsein, wodurch das Ansichseiende eben so sehr für ein Anderes ist; er verkehrt das Unwandelbare, aber er verkehrt es in der Tat aus dem Nichts der Abstraktion in das Sein der Realität.« (256 f. | 212)
Die ›Tugend‹ und ihr latenter oder o=ener Konservativismus werden durch die Moderne und ihren Individualismus besiegt. Grund dafür sind die unabweisbare Subjektivität und die unaufhebbare Autonomie des je eigenen Urteilens, Denkens und Handelns. ›Die Seite der Wirklichkeit ist die Seite der Individualität‹. Der Fehler der tugendhaften Kritik an Moderne und Gegenwart liegt gerade darin, dass der Unterschied zwischen Sollen und Sein von der kritisierenden Person selbst rein subjektivindividuell gesetzt wird. Die Moderne, die bei Hegel auf nette Weise »der Weltlauf« heißt, ist nicht deswegen »Verkehrung des Guten«, weil sie Individualität und Subjektivität anerkennt. Die Analyse der Grundform des Urteilens und Handelns in der ›Kategorie‹ zeigt, dass sich hier die Moderne nur einer unaufhebbaren Logik bewusst geworden ist. Dieses Selbstbewusstsein als Wurzel des Übels auszugeben, wäre so falsch, wie die Ursünde des Menschen in ihrem Wissen, im Verlassen des Tierreichs sehen zu wollen. Daher nützen uns abstrakte Appelle an ein göttlich-ideales Gutes und Wahres nie und nirgends weiter. Es bedarf des Wissens um die innerweltliche Realität der Normativität in wirklichen Praxisformen, Kooperationsformen, Institutionen, welche wir als unsere Formen und gemeinsame Normen nicht bloß implizit anerkennen, sondern auch explizit erkennen können, im Wissen um alle Kompromisse und Spannungen. Es gilt dazu, die Spannung zwischen der Autonomie des Individuums und der Normativität der Tradition aufzuheben, nicht, wie der konservative Vertreter einer traditionalen Tugend, für die Normativität der Tradition
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Moderne Subjektivität
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gegen das Automiebestreben der Moderne und des modernen Menschen zu kämpfen. Das Projekt dieser Aufhebung steht bei Hegel immer auch unter dem Titel einer ›Versöhnung‹ zwischen Ich und Man, zwischen Autonomie und Tradition, aber auch zwischen Moderne und Antike, unter Einschluss des Mittelalters.
41. Moderne Subjektivität und antike Tugend »Der Weltlauf siegt also über das, was die Tugend im Gegensatze gegen ihn ausmacht; er siegt über sie, der die wesenlose Abstraktion das Wesen ist. Er siegt aber nicht über etwas Reales, sondern über das Erscha=en von Unterschieden, welche keine sind, über diese pomphaften Reden vom Besten der Menschheit und der Unterdrückung derselben, von der Aufopferung fürs Gute und dem Mißbrauche der Gaben; solcherlei ideale Wesen und Zwecke sinken als leere Worte zusammen, welche das Herz erheben und die Vernunft leer lassen, erbauen, aber nichts aufbauen; Deklamationen, welche nur diesen Inhalt bestimmt aussprechen, daß das Individuum, welches für solche edle Zwecke zu handeln vorgibt und solche vortre=liche Redensarten führt, sich für ein vortre=liches Wesen gilt, – eine Aufschwellung, welche sich und andern den Kopf groß macht, aber groß von einer leeren Aufgeblasenheit. – « (257 | 212)
Dass die Moderne über die Tugend siegt, klingt nur dem merkwürdig, der das Betuliche, Erbauliche, Aufgeblasene in dem Ausdruck »tugendhaft« nicht mithört. Hegels Kritik ist aber keine Kritik an Worten und Konnotationen. Kritisiert wird die leere Deklamation des Guten, der Appell an einen utopischen Konsens, gerade wenn er der Bemühung um einen immer bloß falliblen und prekären Kompromiss entgegensteht. Kritisiert wird die leere Erhebung der Herzen von Gutmenschen, ohne Folgen für eine echte, als solche immer umstrittene, Aufbauarbeit. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Aber wir sollten solche Sprüche lieber lassen.
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Tugend und Weltlauf
257 f. | 212 f.
»Die antike Tugend hatte ihre bestimmte sichere Bedeutung, denn sie hatte an der Substanz des Volks ihre inhaltsvolle Grundlage und ein wirkliches, schon existierendes Gutes zu ihrem Zwecke; sie war daher auch nicht gegen die Wirklichkeit als eine allgemeine Verkehrtheit und gegen einen Weltlauf gerichtet. Die betrachtete aber ist aus der Substanz heraus, eine wesenlose Tugend, eine Tugend nur der Vorstellung und der Worte, die jenes Inhalts entbehren. – Diese Leerheit der mit dem Weltlaufe kämpfenden Rednerei würde sich sogleich aufdecken, wenn gesagt werden sollte, was ihre Redensarten bedeuten; – sie werden daher als bekannt vorausgesetzt. Die Forderung, dies Bekannte zu sagen, würde entweder durch einen neuen Schwall von Redensarten erfüllt oder ihr die Berufung auf das Herz entgegengesetzt, welches innerhalb sage, was sie bedeuten; d. h. die Unvermögenheit, es in der Tat zu sagen, würde eingestanden. – Die Nichtigkeit jener Rednerei scheint auch auf eine bewußtlose Art für die Bildung unseres Zeitalters Gewißheit erlangt zu haben, indem aus der ganzen Masse jener Redensarten und der Weise, sich damit aufzuspreizen, alles Interesse verschwunden ist; ein Verlust, der sich darin ausdrückt, daß sie nur Langeweile machen.« (257 f. | 212 f.)
Hegel selbst verweist hier auf die schon angesprochene Di=erenz zwischen dem Begri= der Tugend in der deutschsprachigen Moderne und der antiken Tugend, der Aret¯e oder virtus. Damit ist auch der konservative Begri= der Tugend, den Hegel hier darstellt, von der englischen virtue, der italienischen virtú oder dem französischen Begri= zu unterscheiden. Begri=e sind ja nie völlig unabhängig vom Wort und seinen speziellen Inferenzformen; auch wenn es jeweils hinreichend gute, aber selten oder nie rein schematische, in diesem Sinn rein wörtliche, Übertragungen gibt. Hegel erklärt, dass die Aret¯e in der faktischen anerkannten Sittlichkeit ihre Grundlage hat und nicht auf ein utopisches Ideal abzielt, einen eschatologischen Gottesstaat etwa, sondern das gute Leben in einer als gut anerkannten politischen Ordnung. Daher konnten sich die griechische Aret¯e und die römische virtus im Leben von Personen wirklich zeigen. Die heutige ›Tugend‹ aber gibt es nur in einem »Schwall von Redensarten«, welche »Lange-
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Moderne Subjektivität
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weile« erzeugen, gerade weil sie sich gegen den Weltlauf, also die reale Gegenwart, so stellen, als sei diese der Zustand der vollständigen Sündigkeit (J. G. Fichte), der eine teils in der Vergangenheit verlegte, teils in der Zukunft erwartete gute Ordnung utopisch entgegengestellt wird. Hegel erkennt damit, dass die übliche Kritik an den realen Verhältnissen oder am bösen Individualismus und Subjektivismus der Moderne selbst kritikbedürftig ist. Der Fall ist formal analog, nur jetzt ganz o=enbar inhaltlich seitenverkehrt zu dem Fall, dass wir unsere Skepsis zunächst eher gegen den Skeptizismus als gegen das tradierte Wissen richten müssen. »Das Resultat also, welches aus diesem Gegensatze hervorgeht, besteht darin, daß das Bewußtsein die Vorstellung von einem an sich Guten, das noch keine Wirklichkeit hätte, als einen leeren Mantel fahren läßt. Es hat in seinem Kampfe die Erfahrung gemacht, daß der Weltlauf so übel nicht ist, als er aussah; denn seine Wirklichkeit ist die Wirklichkeit des Allgemeinen. Es fällt mit dieser Erfahrung das Mittel, durch Aufopferung der Individualität das Gute hervorzubringen, hinweg, denn die Individualität ist gerade die Verwirklichung des Ansichseienden; und die Verkehrung hört auf, als eine Verkehrung des Guten angesehen zu werden, denn sie ist vielmehr eben die Verkehrung desselben, als eines bloßen Zwecks, in die Wirklichkeit: die Bewegung der Individualität ist die Realität des Allgemeinen.« (258 | 213)
Es ergibt sich, dass wir die Rede von einem an sich Guten jenseits der realen Normen unserer schon etablierten Praxisformen aufgeben müssen. Die Moderne und Gegenwart sind so übel nicht, dass wir ihr utopische Vergangenheiten oder Zukünfte, Hinterwelten oder ferne Planetenwelten gegenüberstellen müssten. Alle interessanten Möglichkeiten und Alternativen sind Möglichkeiten und Alternativen, die sich aus der schon im Großen und Ganzen anerkannten Ordnung unserer personalen Praxis- und Kooperationsformen, Institutionen und den sie bestimmenden Normen des Richtigen, Gerechten und Wahren ergeben, sozusagen ›bloß‹ als Verbesserung von Mängeln, nicht als idealische Revolution der Verhältnisse oder, was am Ende dasselbe ist, als Restitution einer alten (altrömischen, altdeutschen oder sonstwie
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Tugend und Weltlauf
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altfränkischen) Tugend. Insbesondere wird die Vorstellung obsolet, das Gute durch Aufopferung der Individualität erreichen zu können – eine Einsicht, zu welcher auf anderweitig verschlungenen Wegen auch Nietzsche in seiner Kritik an der christlichen, utilitaristischen und sozialistischen Moral gelangen wird. Der Unterschied zwischen Nietzsche und Hegel besteht dann aber darin, dass ein bloß egozentrischer Wille zum Wollen und Machen alles andere als die Lösung und Versöhnung von Autonomie und gutem Leben ist. Hegel will stattdessen zeigen, dass »die Bewegung der Individualität«, also der Prozess der Selbstbildung und Selbstentwicklung von Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung selbst »die Realität des Allgemeinen« ist. Das heißt, ein recht verstandenes ›Ich‹ und ›Selbst‹ ist von vornherein an der Erfüllung des allgemein Guten und Richtigen interessiert und daher den entsprechenden Normativitäten verpflichtet. Das aber gilt es im Detail erst noch zu zeigen. 392
»In der Tat ist hiemit aber ebenso dasjenige besiegt worden und verschwunden, was als Weltlauf dem Bewußtsein des Ansichseienden gegenüberstand. Das Fürsichsein der Individualität war daran dem Wesen oder Allgemeinen entgegengesetzt und erschien als eine von dem Ansichsein getrennte Wirklichkeit. Indem aber sich gezeigt hat, daß die Wirklichkeit in ungetrennter Einheit mit dem Allgemeinen ist, so erweist sich das Fürsichsein des Weltlaufs ebenso, wie das Ansich der Tugend nur eine Ansicht ist, auch nicht mehr zu sein. Die Individualität des Weltlaufs mag wohl nur für sich oder eigennützig zu handeln meinen; sie ist besser als sie meint, ihr Tun ist zugleich ansichseiendes, allgemeines Tun. Wenn sie eigennützig handelt, so weiß sie nur nicht, was sie tut; und wenn sie versichert, alle Menschen handeln eigennützig, so behauptet sie nur, alle Menschen haben kein Bewußtsein darüber, was das Tun ist. – Wenn sie für sich handelt, so ist dies eben die Hervorbringung des nur erst Ansichseienden zur Wirklichkeit; der Zweck des Fürsichseins also, der dem Ansich sich entgegengesetzt meint, – seine leere Pfi;gkeit sowie seine feinen Erklärungen, die den Eigennutz überall aufzuzeigen wissen, sind ebenso verschwunden als der Zweck des Ansich und seine Rednerei.« (258 f./213)
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Individualität
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Es ist bloß eine subjektive Ansicht, dass der Weltlauf insgesamt schlecht ist und wir ihn als die tugendhaften Kämpfer für das Gute revolutionieren müssen, oder, wenn uns das zu viel ist, wie zumeist, wir uns in die Ecke setzen und über die böse Welt schmollen. Dass das allgemein Gute im kooperativen Handeln nicht von selbst entsteht, ist andererseits wahr. Mehr noch, es ist prekär. Es lebt vom Vertrauen und dem Mut, sich auf andere zu verlassen, ihnen zu trauen. Doch die Welt und die anderen Menschen haben nicht auf uns zu warten gehabt, um sich das sagen zu lassen. Das wissen sie schon selbst. Man weiß auch, dass man das Richtige deswegen noch lange nicht tut und daher das meiste Elend, das man sich und der Welt, auch der Natur als Umwelt antut, sich selbst zuzuschreiben hat. Selbst wenn wir das oft nur ahnen. »Es ist also das Tun und Treiben der Individualität Zweck an sich selbst, der Gebrauch der Kräfte, das Spiel ihrer Äußerungen ist es, was ihnen, die sonst das tote Ansich wären, Leben gibt, das Ansich nicht ein unausgeführtes, existenzloses und abstraktes Allgemeines, sondern es selbst ist unmittelbar diese Gegenwart und Wirklichkeit des Prozesses der Individualität.« (259 | 214)
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Die Zentriertheit des Lebens im einzelnen Lebewesen, im Selbst, ist dabei unbedingt anzuerkennen, allerdings ohne in Überinterpretationen zu geraten, wir wir sie etwa bei Max Stirner oder dann auch Nietzsche finden.
C. Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist 42. Zur Absolutheit des eigenen Lebens »Das Selbstbewußtsein hat itzt den Begri= von sich erfaßt, der erst nur der unsrige von ihm war, nämlich in der Gewißheit seiner selbst alle Realität zu sein, und Zweck und Wesen ist ihm nunmehr die sich bewegende Durchdringung des Allgemeinen – der Gaben und Fähigkeiten – und der Individualität.« (259 | 214)
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Hegel macht nun noch einmal die doppelte Überlegungsebene klar, nämlich die Di=erenz zwischen der Analyse-Ebene mit dem auf ihr angesiedelten Begri= des Selbstbewusstseins, wie er uns, den Lesern des Textes, schon explizit klar ist, und der Entwicklung des Selbstbewusstseins bzw. Selbstwissens selbst, das lange dazu braucht, die ›Position der Vernunft‹ zu erreichen, also die Einsicht, dass alles Wissen ein Wissen von Personen ist und dass alle Wissensansprüche gerade deswegen perspektivisch sind, weil das Person- oder Subjektsein der logischen Form der Kategorie gemäß performativ absolut ist. Das wiederum heißt, dass der Vollzug im Tun nicht relational ist, auch wenn er natürlich abhängt von der Wahrheit unserer Aussagen über die Welt oder über uns selbst. Der Vollzug selbst als Tun ist absolut, gerade weil er frei ist, und er ist frei, weil er absolut ist. Heidegger wird viel später in anderen, keineswegs einfacher zu verstehenden, Worten diese Absolutheit des Seins des Daseins, also der Subjekte im Vollzug, wieder erkennen. Alles bloße empirische Wahrnehmen und alle Präsuppositionen und Wahrheitsfragen des Aussagens über abstrakte Gegenstände der Rede und konkrete Dinge hat diese logische Di=erenz zwischen performativem Sein und sprachlich vergegenständlichtem Seienden schon im Rücken. Diese ›ontologische Di=erenz‹ zwischen der Aktualisierung von Vollzugsformen und Bezugsformen, zwischen Dasein und Ding, Leben und Leib, Sein und Seiendem sowohl im empirischen als auch reflektierenden Urteilen ist das tiefste und wichtigste Erbe der Vernunft- und Transzendentalphilosophie Kants. Sie ist zugleich in ihrer Entwicklung die Leistung der Klassischen Deutschen Philosophie und der Romantik, die von Jacobi und Fichte über Schelling und Hegel einerseits, über Hölderlin, Novalis und Friedrich Schlegel bis zu Nietzsche und Heidegger, auch Adorno, andererseits reicht. Auf der Ebene der geschichtlichen Entwicklung des Selbstwissens befinden wir uns jetzt in der nachkantischen Ära der Vernunftphilosophie, die manche bis heute irreführenderweise »Bewusstseinsphilosophie« nennen. Das Problem ist, das Allge-
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Absolutheit des eigenen Lebens
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meine der Vernunft, also die allgemeinen Bedingungen dafür zu begreifen, dass etwas als »vernünftig« bewertet werden kann. Das aber verlangt eine Klärung des Verhältnisses zwischen einer reflexionslogisch und damit gegenstandsförmig dargestellten allgemeinen Vernunft und dem vernünftigen Urteilen und Handeln der einzelnen Personen. Es geht dabei zugleich um das Verhältnis zwischen idealen Bezugs- und realen Vollzugsformen der Vernunft bzw. des Geistes, wobei schon jetzt zu sagen ist, dass der Titel »der Geist« bei Hegel gerade die Einsicht in dieses Verhältnis überschreibt. Die Vernunft erweist sich als Gesamt von Vollzugsformen kollektiver Institutionen, also als Vollzugsformen einer Praxis des di=erentiellen und inferentiellen Urteilens und Handelns. »Die einzelnen Momente dieser Erfüllung und Durchdringung vor der Einheit, in welche sie zusammengegangen, sind die bisher betrachteten Zwecke. Sie sind als Abstraktionen und Chimären verschwunden, die jenen ersten schalen Gestalten des geistigen Selbstbewußtseins angehören und ihre Wahrheit nur in dem gemeinten Sein des Herzens, der Einbildung und der Reden haben, nicht in der Vernunft, die itzt an und für sich ihrer Realität gewiß, sich nicht mehr als Zweck im Gegensatze gegen die unmittelbar seiende Wirklichkeit erst hervorzubringen sucht, sondern zum Gegenstande ihres Bewußtseins die Kategorie als solche hat.« (259 f. | 214)
Das Bewusstsein der Kategorie ist das Wissen um die (Bedeutung der) Urteilsform `ich φ(ich). Der bisherigen Position zufolge ist das Vernünftige durch die rationale Verfolgung subjektiv anerkannter Zwecke bestimmt. Diese können aber nicht einfach subjektiv durch das Gefühl etwa einer sentimentalen Moral nach Hutcheson, Hume oder auch Adam Smith bestimmt sein. Denn das Vernünftige darf nicht bloß der subjektiven Absicht nach und ansonsten bloß zufällig oder bloß durch verbale Appelle gesichert, es muss allgemein sein. Die Gemeinsamkeit seiner Bestimmung muss ›institutionell‹ vermittelt werden, von der allgemeinen Bildung (paideia) der Einzelindividuen bis zu den ausdi=erenzierten Systemen der Wissenschaften, der Politik im weitesten Sinn (von
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der Ökonomie bis zu Recht und Staat) und der freien Religion (ggf. unter Einschluss aller Kunst und Philosophie). 394 c
»Es ist nämlich die Bestimmung des für sich seienden oder negativen Selbstbewußtseins, in welcher die Vernunft auftrat, aufgehoben; es fand eine Wirklichkeit vor, die das Negative seiner wäre und durch deren Aufheben es erst sich seinen Zweck verwirklichte. Indem aber Zweck und Ansichsein als dasselbe sich ergeben hat, was das Sein für Anderes und die vorgefundene Wirklichkeit ist, trennt sich die Wahrheit nicht mehr von der Gewißheit [sic!, PSW] – es werde nun der gesetzte Zweck für die Gewißheit seiner selbst und die Verwirklichung desselben für die Wahrheit oder aber der Zweck für die Wahrheit und die Wirklichkeit für die Gewißheit genommen –, sondern das Wesen und der Zweck an und für sich selbst ist die Gewißheit der unmittelbaren Realität selbst, die Durchdringung des Ansich- und Fürsichseins, des Allgemeinen und der Individualität; das Tun ist an ihm selbst seine Wahrheit und Wirklichkeit, und die Darstellung oder das Aussprechen der Individualität ist ihm Zweck an und für sich selbst.« (260 | 214)
Indem wir die Formen der Erfüllungen von Sinn und Wahrheit der Aussagen thematisieren, also ›die Kategorie‹, bemerken wir, dass wir im Vollzug nur vernünftig sind, insoweit wir uns an die Formen des Richtigen halten. Wir sind als Individuen Personen nur insofern, wie wir dieses tun. Es gibt daher gar nicht den vermeintlichen Gegensatz zwischen fremden Zumutungen an uns, die ausgehen von einer uns irgendwie als Macht oder gar Gewalt irgendwie entgegengesetzten Vernunft, und einem sich selbst angemessen begreifenden Selbstbewusstsein. Wohl aber gibt es eine Spannung zwischen dem, was wir bloß als Einzelne zu tun oder zu sagen belieben, und dem, was wir selbst als zu tun oder zu sagen einsehen bzw. welche Urteile wir selbst als vernünftig, welche wir als unvernünftig bewerten. Kurz, es gibt eine Spannung zwischen je mir und je uns. 395 a
»Mit diesem Begri=e ist also das Selbstbewußtsein aus den entgegengesetzten Bestimmungen, welche die Kategorie für es und sein Verhalten zu ihr als beobachtendes und dann als tätiges hatte, in
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sich zurückgegangen. Es hat die reine Kategorie selbst zu seinem Gegenstande, oder es ist die Kategorie, welche ihrer selbst bewußt geworden.« (260 | 215)
In der Reflexion auf die Kategorie wird die Kategorie nun als Form des Urteilens und Aussagens zum Gegenstand des Bewusstseins oder Wissens. Dabei stellen wir, was eigentlich und wesentlich Vollzugsform ist, in der Form eines uns gegenüber stehenden Systems von Normen des Richtigen dar. Hegels Sprechform ist zugleich als Metonymie und Synekdoche anzusehen. Es wird z. B. der Ausdruck »die Kategorie« weiterhin immer auch im generischen Singular verwendet, der besondere Kategorien der Aussageformen durchaus zulässt. Dabei steht das analysierende Reflexionsurteil im Hintergrund, dass »Bewusstsein« und »Wissen« in gewissem Sinn auf dasselbe verweisen wie »Kategorie« und »Begri=«, nämlich auf die basalen Formen, welche als Bedingung der Möglichkeit jedes Mit-Wissens und Mit-Urteilens, auch Mit-Schließens und Mit-Handelns im Wahrnehmen und Tun zum Thema der Transzendentalphilosophie Kants geworden war. »Die Rechnung ist dadurch mit seinen vorherigen Gestalten abgeschlossen; sie liegen hinter ihm in Vergessenheit, treten nicht als seine vorgefundene Welt gegenüber, sondern entwickeln sich nur innerhalb seiner selbst als durchsichtige Momente.« (260 | 215)
395 b
Wir erfahren nicht durch empirische Beobachtung, wer wir sind, soweit es um unsere vernünftigen bzw. geistigen Fähigkeiten geht, sondern nur durch so etwas wie eine transzendentalbegri=liche Reflexion auf die Kategorie, also das Gesamt der logischen Formen aller unserer praktischen Möglichkeiten des Ausdrucks, der Kommunikation und der Repräsentation von theoretischen und praktischen Möglichkeiten und Wirklichkeiten im Vollzug. »Doch treten sie noch in seinem Bewußtsein als eine Bewegung unterschiedener Momente auseinander, die sich noch nicht in ihre substantielle Einheit zusammengefaßt hat. Aber in allen hält es die einfache Einheit des Seins und des Selbsts fest, die ihre Gattung ist.« (260 | 215)
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Die einfache Einheit des Seins und des Selbsts als denkendem Wesen ist die Kategorie im generischen Singular, also die logische Form des Denkens, welche in einem leicht metaphorischen Sinn der griechischen Wörter »genos« und »eidos« die Gattung aller Einzelformen des Logischen ist. 396 a
»Das Bewußtsein hat hiemit allen Gegensatz und alle Bedingung seines Tuns abgeworfen; es geht frisch von sich aus, und nicht auf ein Anderes, sondern auf sich selbst. Indem die Individualität die Wirklichkeit an ihr selbst ist, ist der Sto= des Wirkens und der Zweck des Tuns an dem Tun selbst. Das Tun hat daher das Ansehen der Bewegung eines Kreises, welcher frei im Leeren sich in sich selbst bewegt, ungehindert bald sich erweitert, bald verengert und vollkommen zufrieden nur in und mit sich selbst spielt.« (260 f. | 215)
Indem sich das Bewusstsein als Kategorie oder als logische Form der Selbstaussage selbst zum Thema macht, scheint es von allen empirischen Äußerlichkeiten abstrahieren zu können. In einer Art transzendentaler Introspektion scheint es von sich selbst ausgehen zu können. Es scheint sich unmittelbar selbst zum Thema machen zu können. Die Ironie in Hegels Darstellung ist unüberhörbar. Sie bezieht sich darauf, dass noch nicht begri=en ist, was das nur scheinbar harmlose Wort »selbst« in der Rede von einem Selbstbezug oder auch von einer Selbstschöpfung oder Autopoiesis überhaupt bedeuten kann. Wer das nicht klären kann, verfehlt das zentrale Ziel jeder logischen Analyse des Selbstbewusstseins im Besonderen, der Philosophie als Formenanalyse im Allgemeinen. 396 b
»Das Element, worin die Individualität ihre Gestalt darstellt, hat die Bedeutung eines reinen Aufnehmens dieser Gestalt; es ist der Tag überhaupt, dem das Bewußtsein sich zeigen will. Das Tun verändert nichts und geht gegen nichts; es ist die reine Form des Übersetzens aus dem Nichtgesehenwerden in das Gesehenwerden, und der Inhalt, der zu Tage ausgebracht wird und sich darstellt, nichts anderes, als was dieses Tun schon an sich ist. Es ist an sich: dies ist seine Form als gedachte Einheit; und es ist wirklich: dies ist seine Form als seiende Einheit, es selbst ist Inhalt nur in dieser Bestimmung der
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Einfachheit gegen die Bestimmung seines Übergehens und seiner Bewegung.« (261 | 215)
Die Apotheose des Selbstbewusstseins, figurativ gesprochen, ist der klare Blick. Der Idee der transzendentalen Logik zufolge ist diese selbst bloß Explikation schon irgendwie im Bewusstsein vorhandener logischer bzw. begri=licher Formen. Doch eben damit wird die Spannung zwischen der empraktischen Seinsweise des Denkens als Prozess und der gegenständlichen Darstellung der Formen ebenso unterschlagen wie das Paradox der Analyse, der zufolge keine Explikation von Formen und Normen des Handelns und Urteilens das Handeln und Urteilen einfach so lässt, wie es ist. Eben damit scha=t es die Transzendentalphilosophie in der Tat noch nicht, den Status ihrer logischen Analysen befriedigend klar zu machen. Soweit die Philosophien der Evolutionsbiologie und Evolutionssoziologie diese Kritik an Kant von Hegel übernehmen, allerdings ohne zu wissen, dass sie das tun, haben sie durchaus Recht. Sie verkennen dabei aber die sich ergebenden Probleme für ihre eigenen Reden über den Selbsterhalt von Lebewesen und über die Selbstbeziehungen des Bewusstseins, zumal der Begri= des Bewusstseins dabei notorisch so naiv verwendet wird, als wäre es schon ein Fortschritt, das Wort »Geist« einfach durch das Wort »das Bewusstsein« zu ersetzen. Dieser Schachzug ist hochproblematisch. Schon im Empirismus und Kantianismus wird so das Bewusstsein und Wissen rein dem Individuum zugeordnet. Zugleich ersetzt man dabei das ebenfalls an das Einzelsubjekt gebundene Wort »Seele« im Englischen durch das di=use Wort »mind«. Im Deutschen entsteht eine zusätzliche Mehrdeutigkeit dadurch, dass das Wort »Bewusstsein« eigentlich prozessual zu deuten ist. Wie das Wort »mind« wird es aber auch in einer räumlichen Metapher zum Gefäß aller Inhalte ›im Bewusstsein‹, ›in the mind‹. Zugleich meinen wir dann, es gäbe einen Ort im Gehirn ›im Kopf‹, an dem der Prozess des Bewusstseins oder Erkennens oder Wissens stattfindet. Das Bewusstsein wird dabei gegenstandsartig angesprochen. Das Bewusstsein (the mind) ›tut‹ diesen Reden zufolge allerlei und ›hat‹ allerlei Eigenschaften. Im-
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merhin betont die Vernunftphilosophie Kants das Selbstdenken, damit den Vollzug und die zentrale Rolle der einzelnen Personen mit Recht, übersieht ›nur‹ den geschichtlich gewordenen gemeinsamen Status der allgemeinen Inhalte.
a. Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst 43. Die personale Kompetenz des zweckbezogenen Handelns 397
»Diese an sich reale Individualität ist zuerst wieder eine einzelne und bestimmte; die absolute Realität, als welche sie sich weiß, ist daher, wie sie derselben sich bewußt wird, die abstrakte allgemeine, welche ohne Erfüllung und Inhalt, nur der leere Gedanke dieser Kategorie ist. – « (261 | 216)
Abstrakt gesprochen, ist es ganz richtig, die reale Individualität des denkenden Subjekts als einzelnes Bewusstsein zu bestimmen. Es muss nur klar sein, dass noch unklar ist, was es heißt: sich einer Sache oder gar seiner selbst bewusst zu sein oder etwas (von sich) zu wissen. Darüber hinaus ist unklar, was es ist, dessen sich das transzendentale Selbst- oder Formbewusstsein bewusst werden soll oder will. Zunächst haben wir als Gegenstand nur den noch relativ leeren Gedanken der Kategorie oder der logischen Form des Aussagens. 397 b
»Es ist zu sehen, wie dieser Begri= der an sich selbst realen Individualität in seinen Momenten sich bestimmt und wie ihr ihr Begri= von ihr selbst in das Bewußtsein tritt.« (261 | 216)
Zu klären ist insbesondere, wie sich die Allgemeinheit der Kategorie oder logischen Form zur Individualität des Bewusstseins verhält und wie sich der Begri= des individuellen Bewusstseins diesem selbst logisch erschließt. 398 a
»Der Begri= dieser Individualität, wie sie als solche für sich selbst alle Realität ist, ist zunächst Resultat; sie hat ihre Bewegung und Realität noch nicht dargestellt und ist hier unmittelbar als einfaches Ansichsein gesetzt. Die Negativität aber, welche dasselbe ist, was als
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Personale Kompetenz
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Bewegung erscheint, ist an dem einfachen Ansich als Bestimmtheit; und das Sein oder das einfache Ansich wird ein bestimmter Umfang. Die Individualität tritt daher als ursprüngliche bestimmte Natur auf: als ursprüngliche Natur, denn sie ist an sich, – als ursprünglich-bestimmte, denn das Negative ist am Ansich, und dieses ist dadurch eine Qualität. Diese Beschränkung des Seins jedoch kann das Tun des Bewußtseins nicht beschränken, denn dieses ist hier ein vollendetes sich auf sich selbst Beziehen; die Beziehung auf Anderes ist aufgehoben, welche die Beschränkung desselben wäre.« (261 f. | 216)
Es ist zwar in der Tat ein wichtiges Ergebnis, dass alles Wissen und alle Wahrheit den Vollzug des denkenden Urteilens und Tuns der einzelnen Person präsuppositional oder transzendental voraussetzen. Das ist anzuerkennen. Sonst steigt man aus der logischen Reflexion bzw. philosophischen Analyse von Welt- und Selbstbezug, also auch von Wissen und Wirklichkeit aus. Doch damit sind wir noch kaum über die cartesische Einsicht in das ›ich denke‹ und das ›ich bin ich‹ Fichtes hinausgekommen. Zu klären bleibt immer noch, was hier »ich« und »denken« bedeutet, was ein Selbstbezug sein kann und wie er sich von einem Bezug auf etwas anderes unterscheidet. Dabei ist der Verweis auf die natürliche Individualität, die Leibidentität der Einzelperson, deswegen nicht ausreichend, weil es ja immer auch um den Erwerb und die Entwicklung geistiger Fähigkeiten, sozusagen um die Verleiblichung des Geistes, also seine ›Enkulturation‹ geht. Das ist gerade das Gegenteil einer so genannten ›Naturalisierung‹ des Geistes. Es ist die Vergeistigung der Natur, die Entwicklung des Wesens des Menschen, seiner zweiten Natur als Kulturwesen. Der natürliche Leib als solcher ist nur an sich, also der Möglichkeit nach, eine vernünftige Person. Personale Individualität ist daher weit mehr und anderes als die Körperidentität eines menschlichen Lebewesens oder bloß biologischen Menschen. »Die ursprüngliche Bestimmtheit der Natur ist daher nur einfaches Prinzip, – ein durchsichtiges allgemeines Element, worin die Individualität ebenso frei und sich selbst gleich bleibt, als sie darin ungehindert ihre Unterschiede entfaltet und reine Wechselwirkung
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mit sich in ihrer Verwirklichung ist. Wie das unbestimmte Tierleben etwa dem Elemente des Wassers, der Luft oder der Erde und innerhalb dieser wieder bestimmteren Prinzipien seinen Odem einbläst, alle seine Momente in sie eintaucht, aber sie jener Beschränkung des Elements ungeachtet in seiner Macht und sich in seinem Eins erhält und als diese besondere Organisation dasselbe allgemeine Tierleben bleibt.« (262 | 216)
Die Bildung und Selbstbildung von Leib und Geist in der Enkulturation stehen in einer gewissen Wechselwirkung: Am Ende des Bildungsprozesses steht sozusagen ein anderer Leib mit anderen geistigen Fähigkeiten als am Anfang, so wie einer, der Lesen und Schreiben oder Rechnen und Beweisen lernt, am Ende etwas anderes kann als am Anfang. Das Verhältnis zwischen menschlichem Leib und Geistseele kann nun durchaus in eine Analogie gestellt werden zum Verhältnis zwischen den chemischen Sto=en und dem lebendigen Organismus eines Lebewesens. Chemische Prozesse ändern ihren Charakter, wenn sie zu Teilen des Lebensprozesses werden. Wasser, Luft und Erde stehen dabei selbst seit alters metaphorisch für die Sto=e der Chemie, wobei das ›Feuer‹ schon bei Heraklit für den Umwandlungsprozess selbst steht. Das sind nur alte Bilder. 399 a
»Diese bestimmte ursprüngliche Natur des in ihr frei und ganz bleibenden Bewußtseins erscheint als der unmittelbare und einzige eigentliche Inhalt dessen, was dem Individuum Zweck ist; er ist zwar bestimmter Inhalt, aber er ist überhaupt Inhalt nur, insofern wir das Ansichsein isoliert betrachten; in Wahrheit aber ist er die von der Individualität durchdrungene Realität, die Wirklichkeit, wie sie das Bewußtsein als einzelnes an ihm selbst hat und zunächst als seiend, noch nicht als tuend gesetzt ist.« (262 | 216 f.)
Wir entwickeln geistige Fähigkeiten aus Entwicklungsmöglichkeiten. In Zuschreibungen von Dispositionen klassifizieren bzw. unterscheiden wir sozusagen nur die Dinge, Sachen oder Personen, nämlich im Bezug darauf, was von ihnen ›normalerweise‹ zu erwarten ist. Man sollte also keine tieferen, mystischen, dispositionellen Eigenschaften hypostasieren. Wohl gibt es immer gute oder
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Personale Kompetenz
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schlechte Gründe für die mit einer Unterscheidung verbundene Zuschreibung von erwartbaren Folgen. So sollten wir einer Person, die nie Klavier zu spielen gelernt hat, die Fähigkeit des Klavierspiels nicht zuschreiben: Sie kann es nicht. Wohl aber kann sie es lernen: Sie hat daher die Möglichkeit, die Fähigkeit zu erwerben. »Für das Tun aber ist einesteils jene Bestimmtheit darum nicht Beschränkung, über welche es hinauswollte, weil sie als seiende Qualität betrachtet die einfache Farbe des Elements ist, worin es sich bewegt; andernteils aber ist die Negativität Bestimmtheit nur am Sein; aber das Tun ist selbst nichts anderes als die Negativität; an der tuenden Individualität ist also die Bestimmtheit aufgelöst in Negativität überhaupt oder den Inbegri= aller Bestimmtheit.« (262 | 216 f.)
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Erst im Tun erfüllt sich die zunächst bloß potentielle Unterscheidung zwischen den zu dem Tun fähigen und den unfähigen Personen. Jemand kann daher sozusagen immer nur auf Verdacht in die Klasse der Fähigen eingeordnet werden, solange er die Fähigkeit nicht im realen Tun zeigt. Zeigt er sie im Tun, erweist sich die Einordnung als richtig. Dies ist der zentrale Satz von Hegels logischer Demythisierung und Säkularisierung aller Reden von Fähigkeiten. »Die einfache ursprüngliche Natur nun tritt in dem Tun und dem Bewußtsein des Tuns in den Unterschied, welcher diesem zukommt.« (262 | 217)
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Erst im realen Tun bestätigen sich die zugeschriebenen Dispositionen und Kräfte, bei anderen Lebewesen wie bei uns selbst, auch bei Sto=en und Dingen. »Es ist zuerst als Gegenstand, und zwar als Gegenstand, wie er noch dem Bewußtsein angehört, als Zweck vorhanden und somit entgegengesetzt einer vorhandenen Wirklichkeit. Das andere Moment ist die Bewegung des als ruhend vorgestellten Zwecks, die Verwirklichung, als die Beziehung des Zwecks auf die ganz formelle Wirklichkeit, hiemit die Vorstellung des Überganges selbst oder das Mittel. Das dritte ist endlich der Gegenstand, wie er nicht mehr Zweck, dessen das Tuende unmittelbar als des seinigen sich bewußt ist, sondern wie er aus ihm heraus und für es als ein Anderes ist. – « (262 f. | 217)
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Handeln muss als Ausführung einer generischen Handlung begri=en werden. Es ist Aktualisierung eines wiederholt aktualisierbaren Handlungsschemas. Sonst wäre es möglicherweise bloß ein zufälliges Verhalten oder gar bloßes Widerfahrnis. Zur generischen Handlung als ganzer gehört die Erfüllung des Ziels der Handlung, der Zweck des Tuns. Vor dem Tun ist der Zweck noch erst entgegengesetzt zu einer vorhandenen Wirklichkeit. Das heißt, er ist noch nicht erfüllt. Das Ziel ist noch nicht erreicht. Man denke etwa an das Herstellen eines Dinges. Das ist der Fall der sogenannten Poiesis des Aristoteles. Diese endet mit dem Vorhandensein des Dinges, sagen wir des Werkzeugs eines Werkzeugmachers. Das zweite Moment ist das zielgerichtete Tun selbst. Dieses ist Mittel zur Verwirklichung des Zwecks. Das Mittel wird realisiert in der Aktualisierung der perfektiv, im Blick auf das Endziel beschriebenen, generischen Handlung. Das Tun ist kinesis, Bewegung. Der Zweck, die generische Handlung, wird dagegen als ruhend vorgestellt. Er ist als solcher zunächst gedachter oder symbolisch repräsentierter Zweck. Er kann z. B. ein erho=ter bzw. erwünschter Gegenstand sein. Auch die Absicht des Tuns gehört dazu. Die vollbrachte Tat ist dabei nicht mehr nur ein Tun auf dem Weg des Versuchs der Erfüllung einer Absicht oder der Verfolgung eines Zweckes bzw. Zieles, wie man sagt, sondern die objektiv erfüllte Absicht, der objektiv erreichte Zweck. 400 c
»Diese verschiedenen Seiten sind nun aber nach dem Begri=e dieser Sphäre so festzuhalten, daß der Inhalt in ihnen derselbe bleibt und kein Unterschied hereinkommt, weder der Individualität und des Seins überhaupt, noch des Zwecks gegen die Individualität als ursprüngliche Natur, noch gegen die vorhandene Wirklichkeit, ebenso nicht des Mittels gegen sie als absoluten Zweck, noch der bewirkten Wirklichkeit gegen den Zweck oder die ursprüngliche Natur oder das Mittel.« (263 | 217)
Im absichtlichen Handeln fallen alle Momente einer gewollten und geplanten Handlung zusammen. In der beabsichtigten Tat sind der Inhalt, die Erfüllungsbedingung der Absicht und die
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Personale Kompetenz
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generische Handlung ein und dasselbe. Sie sind die aktualisierte Handlung oder vollbrachte Tat selbst. »Vors erste also ist die ursprünglich bestimmte Natur der Individualität, ihr unmittelbares Wesen noch nicht als tuend gesetzt und heißt so besondere Fähigkeit, Talent, Charakter usf. Diese eigentümliche Tinktur des Geistes ist als der einzige Inhalt des Zwecks selbst und ganz allein als die Realität zu betrachten.« (263 | 217)
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Zunächst ist, wie schon gesagt, die Zuschreibung von geistigen Fähigkeiten samt aller Talente der Lernfähigkeit und aller angeborenen und erworbenen Grundhaltungen der Einzelpersonen eine Vorabklassifikation der Subjekte vor dem Tun. Das gilt insbesondere für jede Rede von einem Charakter der Person. Die Realität des Geistes zeigt sich dabei immer nur im inhaltlich bestimmten Tun, samt dem zugehörigen Urteilen, Folgern und Bewerten der Erfüllung oder Nichterfüllung von Bedingungen, welche durch die Zwecke oder Handlungsformen bestimmt sind. »Stellte man sich das Bewußtsein vor als darüber hinausgehend und einen andern Inhalt zur Wirklichkeit bringen wollend, so stellte man es sich vor als ein Nichts in das Nichts hinarbeitend. – « (263 | 217)
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Wer die Rede über Fähigkeiten anders deutet und meint, es gäbe eine Art inneres Bewusstsein oder auch Unter-Bewusstsein, aus dem heraus sich angeblich auf mystische Weise Inhalte entwickeln sollen, die irgendwie nach Äußerung in verbalen Akten oder im Tun streben, der meint, aus nichts, genauer, aus den leeren Worten »Bewusstsein« oder »Unterbewusstsein«, könne man sich tätig in nichts, nämlich das Noch-Nicht einer bestimmten Tat durch ein mehr oder weniger unmittelbares Tun oder gar bloß zufälliges Verhalten hineinbewegen. »Dies ursprüngliche Wesen ist ferner nicht nur Inhalt des Zwecks, sondern an sich auch die Wirklichkeit, welche sonst als gegebener Sto= des Tuns, als vorgefundene und im Tun zu bildende Wirklichkeit erscheint. Das Tun ist nämlich nur reines Übersetzen aus der Form des noch nicht dargestellten in die des dargestellten Seins; das An-
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sichsein jener dem Bewußtsein entgegengesetzten Wirklichkeit ist zum bloßen leeren Scheine herabgesunken.« (263 | 217)
Der Inhalt des Zwecks, der generischen Handlung und der Absicht sind ein und dasselbe, nämlich die generische Handlung H selbst. Sie werden nur verschieden angesprochen als Momente der wirklichen Gesamthandlung h als einer erfolgreichen konkreten Aktualisierung des Handlungsschemas H. Diese muss also das Ziel oder Ergebnis der perfektiv begri=enen Handlung H erreichen bzw. H insgesamt erfüllen. H ist in diesem Sinn das telos, der Gesamtzweck, von h, sein Ende unter Einschluss (des Erreichens) des Ziels, falls das Tun durch ein Ziel perfektiv charakterisiert ist und nicht die Handlung in ihrem Gesamtverlauf selbst ohne ein besonderes dingliches Endergebnis das telos oder Ende des Tuns ist. So ist zum Beispiel das gute Leben selbst bis zu seinem Ende der teleologische Zweck des guten Lebens, nicht etwa sein zeitliches Ende, der Tod. Der figurative und damit homonyme Gebrauch der Wörter »Ende«, »Ziel« und auch »Zweck« (bzw. »telos« und »finis«) kann hier das Denken leicht in Verwirrung stürzen, wie schon Aristoteles weiß. Denn entweder verwechselt man das Ende des Weges bzw. den Tod mit dem Zweck der Begehung des Weges bzw. des Lebens in all den Fällen, in denen, wie schon Konfuzius sagt, der Weg das Ziel ist. Es ist das gute Leben in der Tat selbst der Zweck. Oder man sucht noch nach einem weiteren, transzendenten, Ziel, das irgendwie über den immanenten Zweck des Ganges des guten Lebens hinausreicht. Andererseits kollabiert in der ›bloßen Absicht‹ das Ansichsein der generischen Handlung H überall dort in einen bloßen Schein, ein leeres Zusprechen der Absicht, wo die Person in ihrem Tun nicht H aktualisiert, also nicht h tut, sondern etwas anderes. Vielleicht sagt die Person nur, sie wolle eigentlich h bzw. H tun. Damit gelangen wir schon in die Nähe der Analyse der (Selbst-)Täuschung durch (Selbst-)Zuschreibung einer ›eigentlichen‹ Sache selbst, die man mit seinem Tun angeblich verfolgen will, nur eben nicht tut. Dabei gibt es sicherlich Fälle, in denen eine Person mit bester Absicht und allen Kräften H zu tun versucht und trotzdem
Personale Kompetenz
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scheitert. Das und die zeitliche Ausgedehntheit jedes konkreten Tuns in der kinesis, der Selbstbewegung des Vollzugs, ist der Grund, warum wir formal in Einzelfällen das Moment der Absicht (zusammen mit dem unter Umständen schon explizit in einem Vorsatz repräsentierten und anerkannten Handlungsplan H) vom Moment der tätigen Erfüllung des Zwecks, also wieder der generischen Handlung H, logisch trennen (müssen). Wenn das einzelne Tun kontingenterweise scheitert, sagen wir entsprechend, oft in Korrektur einer vorherigen Darstellung der Handlung in ihrer Verlaufsform, dass die Person nur versuchte, den Vorsatz, also die Handlung H auszuführen oder ihre Absicht H durch Tun von h in die Tat umzusetzen. Der klarste Fall ist der des versuchten Mordes, der aus allerlei Zufällen scheitern kann, wenn nämlich das Opfer gegen alle Erwartungen überlebt, so dass der Mordvorsatz, auch in gewissem Sinn die Mordabsicht, bestehen bleibt, nicht aber der Mord als Tatbestand. Allerdings kann eine Person in einem solchen Fall, wenn eine Wiederholung möglich ist, von einem Mordvorsatz Abstand nehmen, die Absicht ändern. So jedenfalls liegen die Dinge nach der logischen Grammatik. Es ist im Allgemeinen wichtig, im Einzelfall aber schwierig, den Fall des Scheiterns einer Handlungsabsicht zu unterscheiden von dem Fall, in dem einer seine Absicht ändert, also gar nicht H, sondern H∗ als Zweck in seinem Tun verfolgt. Dieser Fall wiederum unterscheidet sich von dem dritten Fall, in dem einer bloß von sich wünscht, H zu tun, aber faktisch gar nicht in der Lage ist, H zu tun, oder seinen Fähigkeiten nach zwar H tun könnte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes, etwa H∗ , tut, aber von sich weiterhin glaubt, H tun zu wollen. In jedem Fall ist Hegels Analysemethode von zentraler Bedeutung, den Sinn dieser Wörter strukturell zu erläutern. Der Wille im Beabsichtigen wird völlig leer, wenn er zum bloßen Wunsch kollabiert. Dramatisch kennen wir dies vom Fall des Drogenabhängigen, der bloß wünscht, nicht mehr zu trinken oder zu rauchen oder von anderen Drogen loszukommen, aber nicht die dafür nötigen Schritte unternimmt, sich selber aber und anderen verbal versichert, dass er die besten Absichten habe,
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aber leider sei es unmöglich, seiner ›Krankheit‹ zu entkommen. Manche glauben auch von sich, dass sie das nächste Mal alle ihre Willenskraft anspannen würden, um auf den Alkohol, das Nikotin oder andere Drogen zu verzichten. Es sind diese Fälle, die Hegel hier kommentiert. In gewisser Weise, also mit einem großen Korn Salz gesagt, sind es diese Fälle, die sich zum zufälligen Scheitern eines normalerweise erfolgreich verfolgbaren Zwecks bzw. einer normalerweise ausführbaren Absicht spiegelbildlich verhalten. 401 d
»Dies Bewußtsein, indem es sich zum Handeln bestimmt, läßt sich also durch den Schein der vorhandenen Wirklichkeit nicht irre machen, und ebenso hat es sich aus dem Herumtreiben in leeren Gedanken und Zwecken auf den ursprünglichen Inhalt seines Wesens zusammenzuhalten. – « (263 | 217 f.)
Schon der anaphorische Bezug des Satzes ist nicht ganz klar. Womöglich spricht Hegel hier davon, dass das bloß empirische Tun, wenn es zufälligerweise im Blick auf den Zweck H scheitert, noch nicht ausreicht, um von mir oder einem anderen zu sagen, dass H nicht Zweck oder Absicht des Tuns war. Andererseits sind aber Absichten und Zwecke immer ›mehr‹ als bloß verbale (Selbst-)Zuschreibungen. 401 e
»Dieser ursprüngliche Inhalt ist zwar erst für das Bewußtsein, indem es ihn verwirklicht hat, der Unterschied aber eines solchen, das für das Bewußtsein nur innerhalb seiner [ist], und einer außer ihm an sich seienden Wirklichkeit ist hinweggefallen.« (263 | 218)
Die konkrete Wahrheit der Absicht, der ursprüngliche Inhalt H der Handlung, zeigt sich normalerweise in der konkreten Tat h, also in der Verwirklichung. Das bedeutet aber nicht, dass wir unser Tun post hoc durch nachträgliche Zuschreibungen von passenden Absichten oder Zwecken bloß rationalisieren, wie Donald Davidson zu meinen scheint. Nach erfolgter Tat fällt allerdings der Unterschied zwischen der vorherigen Repräsentation von H etwa durch einen Vorsatz und der Präsentation von h in der Aktualisierung von H weg. Beide sind dann Momente der gleichen Handlung. H ist dabei die generische Handlung oder der Gesamtzweck; h ist das reale Tun.
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»Nur daß für es sei, was es an sich ist, muß es handeln, oder das Handeln ist eben das Werden des Geistes als Bewußtsein.« (263 f. | 218)
401 f
Jedes Bewusstsein oder Wissen ist am Ende ein Können. Und das Können zeigt sich nirgends als im Tun. Das An-und-Fürsichsein der Vernunft oder des Geistes, auch des Bewusstseins oder Wissens ist immer die konkrete Realisierung eines Ansichseins, das als solches bloß generische Möglichkeit ist. An sich können wir vernünftig urteilen und handeln; aber nur indem wir das Können im Tun aktualisieren, sozusagen nur in der Performanz der konkreten Akte, wird die für den Einzelnen bloß potentielle Vernunft, der Geist, zum realen subjektiven ›Bewusstsein‹, zu einem (Selbst-)Wissen und einer Selbstbestimmung. Sie ist dann präsentisch-tätige Demonstration des Könnens der Person. »Was es an sich ist, weiß es also aus seiner Wirklichkeit. Das Individuum kann daher nicht wissen, was es ist, ehe es sich durch das Tun zur Wirklichkeit gebracht hat. – « (264 | 218)
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Die Selbstbilder verbaler Wünsche, cineastischer oder auch chiliastischer Träume werden nur im Tun wahr gemacht und lassen sich als wahr nur im Tun zeigen. In gewissem Sinn ist daher mein Selbstwissen nicht unmittelbar, sondern kann durch andere, durch ihre Kritik an meinem realen Tun und Handeln, korrigiert und verbessert werden. Die Autorität der ersten Person in Urteilen über sich selbst ist also viel weniger wert und viel weniger weit reichend, als man das gerne glaubt. Sie reicht im Grunde nur so weit, wie andere nicht wissen können, was ich leise ins O= sage. Würde ich das alles auf den Tisch legen, was ich mir imaginiere, dann wüssten die anderen am Ende sogar weit mehr über mich als ich selbst. Denn sie sehen mich auch noch von außen. Insgesamt genommen, wissen die anderen ja auch zusammen weit mehr über die Welt als ich allein. »Es scheint aber hiemit den Zweck seines Tuns nicht bestimmen zu können, ehe es getan hat; aber zugleich muß es, indem es Bewußtsein ist, die Handlung vorher als die ganz seinige, das heißt, als Zweck vor sich haben [sic!, PSW].« (264 | 218)
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Es ist ein logisch grundlegender Sachverhalt, dem zufolge der Inhalt der Absicht und das Wissen um diesen Inhalt in der einen oder anderen Weise dem Handeln vorhergeht, sonst wäre es kein Handeln, sondern ein Widerfahrnis oder unbewusstes Verhalten. Diese Tatsache wird regelmäßig falsch verstanden. Es bedeutet nicht, dass jede Fingerbewegung durch einen Satz der Art »jetzt bewege ich den Finger« begleitet oder gar durch dessen Aktualisierung hervorgebracht ist. Es bedeutet aber sehr wohl, dass die Absicht erst im Handeln wirklich wird. Wenn sie nämlich nicht ausgeführt wird, hebt sie sich (im Normalfall) als Absicht auf und wird zum bloßen Selbstwunsch, wenn nicht zu leerem Gerede. Das verführt nun aber wieder zur Vorstellung, Selbstzuschreibungen von Absichten rationalisierten erst post hoc, nach der Tat, unser handelndes Tun. In seltenen Fällen mag das so sein. Donald Davidsons These, dass es immer so sei, missachtet die logische und zeitliche Form des konsequent zweckorientierten Handelns. Es scheint jetzt so, als wüssten wir immer erst post hoc, was wir getan haben. Eine freie Handlung kann es dann aber nicht mehr geben. Damit wird nicht nur die zeitliche Ausdehnung des Handelns in ihrer Bedeutung übersehen. Es wird die Rolle der Möglichkeit einer vorherigen Repräsentation möglicher generischer Zwecke H unterschlagen, an denen ich mein Tun handelnd orientiere. Im Übrigen ist, wie gesehen, zwischen bloß askriptiven Möglichkeiten, die einem Wesen bzw. einer Welt von außen zugeschrieben werden, und wirklichen Fähigkeiten zu unterscheiden. Entsprechend ist zwischen einer rationalisierenden Zuschreibung einer Absicht und dem Haben einer Absicht zu unterscheiden. Dennoch müssen wir das Problem anerkennen, dass es nicht leicht ist, hier richtig zu urteilen. 401 i
»Das ans Handeln gehende Individuum scheint sich also in einem Kreise zu befinden, worin jedes Moment das andere schon voraussetzt, und hiemit keinen Anfang finden zu können, weil es sein ursprüngliches Wesen, das sein Zweck sein muß, erst aus der Tat kennenlernt, aber, um zu tun, vorher den Zweck haben muß [sic! PSW]. Ebendarum aber hat es unmittelbar anzufangen und, unter welchen Umständen
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es sei, ohne weiteres Bedenken um Anfang, Mittel und Ende zur Tätigkeit zu schreiten; denn sein Wesen und ansichseiende Natur ist alles in einem, Anfang, Mittel und Ende [sic!, PSW]. Als Anfang ist sie in den Umständen des Handelns vorhanden, und das Interesse, welches das Individuum an etwas findet, ist die schon gegebene Antwort auf die Frage: ob und was hier zu tun ist. Denn was eine vorgefundene Wirklichkeit zu sein scheint, ist an sich seine ursprüngliche Natur, welche nur den Schein eines Seins hat; einen Schein, der in dem Begri=e des sich entzweienden Tuns liegt, aber als seine ursprüngliche Natur sich in dem Interesse, das es an ihr findet, ausspricht. – Ebenso ist das Wie, oder die Mittel, an und für sich bestimmt.« (264 | 218)
Das Interesse ist das Involviertsein mit den Sachen der Welt, um die es zu tun ist. – Eine Einzelperson, die in Verfolgung einer bestimmten Absicht H handeln möchte, scheint sich in folgendem Denkkreis zu drehen: Um der Absicht H gemäß zu handeln, muss sie, so scheint es (formalistisch gedacht), h schon getan haben. Um h aber absichtlich zu tun, genauer, um H in der Absicht, die Handlungsform H auszuführen, durch h zu aktualisieren, muss sie den Zweck oder die Absicht, etwas von der Art H zu tun, vorher ›haben‹. Um aus dieser und anderen Zirkularitäten des bloßen Nachdenkens über mögliche andere oder weitere Absichten oder Zwecke auszubrechen, muss die handelnde Person o=enbar einfach den Vorsatz entschlossen in die Tat umsetzen. Die konkrete Handlung der Person verbindet alle Momente: den Anfang der Umstände, das Interesse der Person, die Antwort auf die Frage, was – im Blick auf Interesse und Zweck – zu tun ist, und die Umsetzung der Antwort in die Tat. Es wäre dabei falsch, das Tun aus einer der Person vorgegebenen ›fremden‹ Wirklichkeit ›kausal erklären‹ zu wollen. Das tätige Handeln selbst ist das Wesen und die Seinsweise des personalen Individuums in seiner Handlungsfähigkeit und in seinem Handeln im Blick auf Interessen und Zwecke. Auch das Wie des Handelns und die Mittel sind im Gesamtkontext des absichtlichen Handelns im Kontrast zu ursächlich hervorgerufenen Widerfahrnissen der bloßen Verhaltungen bestimmt – wobei wir »kausal« und »ursächlich« hier
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im Sinne der E;zienzkausalität verstehen, nicht im Sinne der teleologischen Finalkausalität, oder der Kausalität aus Gründen. Wir unterscheiden also Handlungen von Nichthandlungen und einige Momente an Handlungen, ohne die Handlungen aus den Momenten bausteinartig aufzubauen oder kausal zu erklären. 401 j
»Das Talent ist gleichfalls nichts anderes als die bestimmte ursprüngliche Individualität, betrachtet als inneres Mittel oder Übergang des Zwecks zur Wirklichkeit. Das wirkliche Mittel aber und der reale Übergang ist die Einheit des Talents und der im Interesse vorhandenen Natur der Sache; jenes stellt am Mittel die Seite des Tuns, dieses die Seite des Inhalts vor, beide sind die Individualität selbst, als Durchdringung des Seins und des Tuns. Was also vorhanden ist, sind vorgefundene Umstände, die an sich die ursprüngliche Natur des Individuums sind; als denn das Interesse, welches sie eben als das seinige oder als Zweck setzt; endlich die Verknüpfung und Aufhebung dieses Gegensatzes im Mittel.« (264 | 218)
Fähigkeiten, die sich systematisch entwickeln lassen, werden unter dem Titel des »Talents« thematisiert. Verwirklicht wird Talent immer erst im willentlichen Handeln. Zuvor schreiben wir Talente als dispositionelle Möglichkeiten der Person zu – aber wie im Fall des Charakters oft erst post hoc, nachdem sich die Verwirklichung des Talents im talentvollen Können gezeigt hat. Diese Grammatik der Zuschreibung von Dispositionseigenschaften bedeutet allerdings nicht, dass Talente und Charaktere nicht selbst handelnd zu entwickeln sind. Die Freiheitsspielräume des Handelns lassen sich damit grob unterscheiden, z. B. im Blick darauf, dass nicht alle Menschen gleich gut und schnell sind im Erwerb besonderer Fähigkeiten. 401 k
»Diese Verknüpfung fällt selbst noch innerhalb des Bewußtseins, und das soeben betrachtete Ganze ist die eine Seite eines Gegensatzes. Dieser noch übrige Schein von Entgegensetzung wird durch den Übergang selbst oder das Mittel aufgehoben, – denn es ist Einheit des Äußern und Innern, das Gegenteil der Bestimmtheit, welche es als inneres Mittel hat; es hebt sie also auf und setzt sich, diese Einheit des Tuns und des Seins, ebenso als Äußeres, als die wirklich gewordene In-
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dividualität selbst, d. i. die für sie selbst als das Seiende gesetzt ist. Die ganze Handlung tritt auf diese Weise weder als die Umstände, noch als Zweck noch Mittel, noch als Werk aus sich heraus.« (265 | 218 f.)
Was also ist die konkrete Handlung h, wenn sie sich weder e;zienzkausal aus den Umständen ergibt, noch einfach aus dem Zweck an sich, also aus der Handlungsform H, noch einfach als Mittel im realen Tun, noch sich aus dem ggf. hergestellten Werk rückwirkend ›erklären‹ lässt? Die Antwort lautet: Die konkrete Handlung ist das gesamte Tun, sozusagen als Gesamtprozess. Zu diesem gehören, je nachdem, was als relevant an ihm zu betrachten ist, auch typische Umstände. Zu ihm gehören ebenfalls besondere Fähigkeiten und Zwecke, samt der ins Werk gesetzten Mittel, die im Einzelfall so, wie es der Normalfall will, zur Erfüllung des die Handlung leitenden Zwecks führen mögen. »Mit dem Werke aber scheint der Unterschied der ursprünglichen Naturen einzutreten; das Werk ist wie die ursprüngliche Natur, welche es ausdrückt, ein Bestimmtes, denn vom Tun frei entlassen als seiende Wirklichkeit, ist die Negativität als Qualität an ihm.« (265 | 219)
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Das Werk ist Ergebnis wirklichen Tuns in der Welt. Es ist als solches äußerlich beobachtbar. Die ›Negativität‹ der Aufhebung einer bloßen Möglichkeit ist dabei seine wesentliche Qualität oder Eigenschaft im Unterschied zu einem bloßen Geschehen. Ein Werk handelnd zu vollbringen, setzt also immer die Möglichkeit voraus, dass es auch nicht verwirklicht werden könnte, dass der Handelnde frei etwas anderes hätte tun können, sodass das Werk unterlassen worden wäre. Und es setzt voraus, dass der Handelnde im Normalfall das Werk qua Typ reproduzieren könnte, da es sonst nicht sein Werk wäre. Ohne die Grammatik der rationalen Fähigkeit gibt es kein Handeln und kein Werk.98 »Das Bewußtsein aber bestimmt sich ihm gegenüber als dasjenige, welches die Bestimmtheit als Negativität überhaupt, als Tun, an ihm hat; es ist also das Allgemeine gegen jene Bestimmtheit des Werks, Das ist eine wichtige Einsicht der philosophischen Überlegungen von Andrea Kern in Kern 2006. 98
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kann es also mit andern vergleichen und hieraus die Individualitäten selbst als verschiedene fassen; das in seinem Werke weiter übergreifende Individuum entweder als stärkere Energie des Willens oder als reichere Natur, das heißt, eine solche, deren ursprüngliche Bestimmtheit weniger beschränkt ist, – eine andere hingegen als eine schwächere und dürftigere Natur.« (265 | 219)
Das Wissen um das Handeln und Können betri=t o=enbar immer auch das Allgemeine, nicht bloß das kontingente reale Tun ohne allen weiteren Kontext. Nur als etwas Reproduzierbares, Allgemeines, beurteilen wir die Aktualisierung einer Handlungsform, wobei wir zwischen den Fähigkeiten von Personen unterscheiden, gerade auch im Blick auf die ›Energie des Willens‹, also ihre eingeübte Selbstdisziplin in der tätigen Umsetzung von Zielvorstellungen, oder auf ihre Phantasie und Urteilsfähigkeit bzw. ihr Wissen. 402 c
»Gegen diesen unwesentlichen Unterschied der Größe würde das Gute und Schlechte einen absoluten Unterschied ausdrücken; aber hier findet dieser nicht statt. Was auf die eine oder andere Weise genommen würde, ist auf gleiche Weise ein Tun und Treiben, ein sich Darstellen und Aussprechen einer Individualität, und darum alles gut; und es wäre eigentlich nicht zu sagen, was das Schlechte sein sollte. Was ein schlechtes Werk genannt würde, ist das individuelle Leben einer bestimmten Natur, die sich darin verwirklicht; zu einem schlechten Werke würde es nur durch den vergleichenden Gedanken verdorben, der aber etwas Leeres ist, da er über das Wesen des Werks, ein sich Aussprechen der Individualität zu sein, hinausgeht und sonst, man weiß nicht was, daran sucht und fodert. – Er könnte nur den vorhin angeführten Unterschied betre=en; dieser ist aber an sich, als Größenunterschied, ein unwesentlicher, und hier bestimmt darum, weil es verschiedene Werke oder Individualitäten wären, die miteinander verglichen würden; aber diese gehen einander nichts an; jedes bezieht sich nur auf sich selbst. Die ursprüngliche Natur ist allein das Ansich oder das, was als Maßstab der Beurteilung des Werks und umgekehrt zugrunde gelegt werden könnte; beides aber entspricht sich einander, es ist nichts für die Individualität, was nicht
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durch sie, oder es gibt keine Wirklichkeit, die nicht ihre Natur und ihr Tun, und kein Tun noch Ansich derselben, das nicht wirklich ist, und nur diese Momente sind zu vergleichen.« (265 f. | 219–210)
Es kann o=enbar immer ein Mehr oder Weniger an Talent oder Fähigkeit geben. – In der Beurteilung der Handlung als gut oder schlecht gibt es nun eine Ambiguität. Soweit wir nur auf das Können und seine Aktualisierung achten, ist jede Fähigkeit gut. Die Handlungsform kann aber moralisch oder rechtlich als schlecht zu werten sein. Es ist also zu unterscheiden, ob einer etwas gut kann, oder ob, was er kann und tut, gut im Sinne der Moral oder des Rechts ist. Die Einsicht, dass eine Grundform des Wortes »gut« im komparativen Gebrauch »x ist ein besseres Z als y« liegt, kennt schon Platon, nicht erst Peter Geach. Im Blick auf das technische Können kann es dann (hinreichend) gut sein, zu wissen, wie H gut zu tun ist, auch wenn es im Blick auf das rechtliche und moralische Sollen und Dürfen in vielen Kontexten falsch sein mag, H überhaupt zu tun. Es mag zum Beispiel wichtig sein, um die verschiedenen Formen des Lügens zu wissen. Jemand kann etwa ein guter Lügner sein. Das heißt keineswegs, dass es im Normalfall gut wäre, selbst zu lügen. Ansonsten ist der Person immer nur das zuzuschreiben, was sie zugleich allgemein fähig ist zu unterlassen und zu tun. Das, was ihr zufälligerweise widerfährt, ist ihr nicht zuzuschreiben. Dafür ist sie nicht verantwortlich. Daher spielt für die Bewertung der Moralität und der rechtlichen Verantwortung das Können der Person eine so wichtige Rolle, wobei allerdings häufig die Vorgeschichte in die Bewertung eingeht, zum Beispiel Akte der Selbstentmündigung oder ein Mangel an Selbstbildung. »Es findet daher überhaupt weder Erhebung, noch Klage, noch Reue statt; denn dergleichen alles kommt aus dem Gedanken her, der sich einen andern Inhalt und ein anderes Ansich einbildet, als die ursprüngliche Natur des Individuums und ihre in der Wirklichkeit vorhandene Ausführung ist. Was es sei, das es tut und ihm widerfährt, dies hat es getan und ist es selbst; es kann nur das Bewußtsein des reinen Übersetzens seiner selbst aus der Nacht der Möglichkeit in
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den Tag der Gegenwart, des abstrakten Ansich in die Bedeutung des wirklichen Seins und die Gewißheit haben, daß, was in diesem ihm vorkommt, nichts anderes ist, als was in jener schlief [sic!, PSW]. Das Bewußtsein dieser Einheit ist zwar ebenfalls eine Vergleichung, aber was verglichen wird, hat eben nur den Schein des Gegensatzes; ein Schein der Form, der für das Selbstbewußtsein der Vernunft, daß die Individualität an ihr selbst die Wirklichkeit ist, nichts mehr als Schein ist. Das Individuum kann also, da es weiß, daß es in seiner Wirklichkeit nichts anderes finden kann als ihre Einheit mit ihm oder nur die Gewißheit seiner selbst in ihrer Wahrheit, und daß es also immer seinen Zweck erreicht, nur Freude an sich erleben.« (266 | 220)
Insoweit eine Person in ihrem Tun sich selbst verwirklicht und damit ihr Tun faktisch als gut bewertet, kann eigentlich weder Reue noch Klage über das, was ich selbst getan habe, stattfinden. Man kann über die vollbrachte Tat der Form nach ›nur Freude an sich erleben‹. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Warum gibt es dennoch Reue und Klage? Es geht hier also auch darum, wie Willensschwäche möglich ist. Hegel selbst erläutert, dass Klage und Reue eine Di=erenz zwischen dem Wunsch, dieser und jener oder so und so zu sein, und dem faktischen Wollen und Tun voraussetzen. Ohne diese Di=erenz wäre alles, was ich tue, das, was ich will und wünsche. Aus dieser Sicht erscheint alles Klagen über das eigene Tun fehlerhaft. Würde ich also nicht zerfallen in den, der ich zu sein wünsche, und den, der ich als Folge meines Wollens und Tuns nachher bin, wäre ich ganz eins mit mir, wie man so sagt. (Unglückliche Widerfahrnisse und der rechte Umgang mit ihnen sind hier freilich erst einmal ausgeklammert.) Nur daher, weil wir faktisch nicht immer das tun, was wir an sich tun wollen und sollen, d. h. von uns wünschen, dass wir es tun, gibt es Reue. Da das aber dauernd vorkommt, bereuen wir unsere mangelhaften Taten. Wir sagen sogar, man müsse solche schlechten Taten bereuen, auch wenn man es oft nicht tut, sondern eben tun sollte.
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44. Zufällige, vermeintliche und wirkliche Erfüllungen im Handeln »Dies ist der Begri=, welchen das Bewußtsein, das sich seiner als absoluter Durchdringung der Individualität und des Seins gewiß ist, von sich macht; sehen wir, ob er sich ihm durch die Erfahrung bestätigt und seine Realität damit übereinstimmt. Das Werk ist die Realität, welche das Bewußtsein sich gibt; es ist dasjenige, worin das Individuum das für es ist, was es an sich ist, und so, daß das Bewußtsein, für welches es in dem Werke wird, nicht das besondere, sondern das allgemeine Bewußtsein ist; es hat sich im Werke überhaupt in das Element der Allgemeinheit, in den bestimmtheitslosen Raum des Seins hinausgestellt. Das von seinem Werke zurücktretende Bewußtsein ist in der Tat das allgemeine – weil es die absolute Negativität oder das Tun in diesem Gegensatze wird – gegen sein Werk, welches das bestimmte ist; es geht also über sich als Werk hinaus und ist selbst der bestimmtheitslose Raum, der sich von seinem Werke nicht erfüllt findet.« (266 f. | 220)
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Natürlich unterscheidet sich das ideale Selbstbewusstsein im tätigen Leben und Handeln vom realen. Im realen Handeln anerkenne ich eine allgemeine Handlungsform durch die Tat. Häufig aber möchte ich dann die Folgen nicht anerkennen. Oder mich ärgert die Bewertung der Tat als schlecht. Dadurch entsteht die Spannung, die schon Platons Sokrates kennt: Niemand wünscht wissentlich das für ihn selbst Schlechte und will es daher nicht tun. Man tut es häufig doch, weil das wirklich allgemeine Gute einer Handlung h als Realisierung einer Handlungsform H im Kontrast stehen kann zu einem bloßen Schein des Guten, so wie das Wahre oder wahre Wissen sich unterscheiden kann vom Glauben. Mein eigenes Werk, allgemein betrachtet, geht auch weit über das hinaus, als was es mir als dem Handelnden im Tun erscheint. Mir scheint etwas gut (für mich), aber es kann schlecht sein (auch für mich, nicht bloß für andere). »Wenn vorhin im Begri=e sich doch ihre Einheit erhielt, so geschah dies eben dadurch, daß das Werk als seiendes Werk aufgehoben
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wurde. Aber es soll sein, und es ist zu sehen, wie in seinem Sein die Individualität seine Allgemeinheit erhalten und sich zu befriedigen wissen wird. – « (267 | 220)
Das Werk ist die wirkliche Erfüllung einer Absicht im Tun. Die Absicht sagt, das Werk soll sein. Und es soll so sein, wie die Absicht sagt. Mit der rechten Erfüllung dieses Sollens geht das Werk über die bloß subjektive Befriedigung hinaus. Der Inhalt der Absicht ist weder rein privat, noch lässt sich die Absicht beliebig ändern. Wünsche oder Präferenzen lassen sich vor ihrer Erfüllung beliebig ändern. Wenn aber andere dabei sind, unsere erklärten Wünsche zu erfüllen, schon dann können bzw. dürfen wir nicht mehr beliebig sagen, dass wir jetzt etwas anderes wünschen – sonst verstehen wir noch nicht zu wünschen. 404 c
»Zunächst ist das gewordene Werk für sich zu betrachten. Es hat die ganze Natur der Individualität mitempfangen; sein Sein ist daher selbst ein Tun, worin sich alle Unterschiede durchdringen und auflösen; das Werk ist also in ein Bestehen hinausgeworfen, worin die Bestimmtheit der ursprünglichen Natur in der Tat gegen andere bestimmte Naturen sich herauskehrt, in sie eingreift wie diese andere in sie und sich als verschwindendes Moment in dieser allgemeinen Bewegung verliert. Wenn innerhalb des Begri=s der an und für sich selbst realen Individualität alle Momente, Umstände, Zweck, Mittel, und die Verwirklichung einander gleich sind [und zwar in Bezug auf den Inhalt, die Erfüllungsbedingung, PSW] und die ursprüngliche bestimmte Natur nur als allgemeines Element gilt, so kommt dagegen, indem dies Element gegenständliches Sein wird, seine Bestimmtheit als solche in dem Werke an den Tag und erhält ihre Wahrheit in ihrer Auflösung. Näher stellt diese Auflösung sich so dar, daß in dieser Bestimmtheit das Individuum als dieses sich wirklich geworden ist; aber sie ist nicht nur Inhalt der Wirklichkeit, sondern ebenso Form derselben, oder die Wirklichkeit als solche überhaupt ist eben diese Bestimmtheit, dem Selbstbewußtsein entgegengesetzt zu sein. Von dieser Seite zeigt sie sich als die aus dem Begri=e verschwundene, nur vorgefundene fremde Wirklichkeit. Das Werk ist, d. h. es ist für andere Individualitäten [also andere Personen, PSW], und für sie eine
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fremde Wirklichkeit, an deren Stelle sie die ihrige setzen müssen, um durch ihr Tun sich das Bewußtsein ihrer Einheit mit der Wirklichkeit zu geben; oder ihr durch ihre ursprüngliche Natur gesetztes Interesse an jenem Werke ist ein anderes als das eigentümliche Interesse dieses Werks, welches hierdurch zu etwas anderem gemacht ist.« (267 f. | 220 f.)
Das Werk als individuelle Erfüllung einer individuellen Absicht ist einesteils das einzelne die Absicht erfüllende Tun. Im Wirklichwerden etwa des dinglichen Ergebnisses zeigen sich anderenteils das Bestehen und die Bestimmtheit des Werks. Diese Bestimmtheit ist Inhalt und Form des wirklichen Werkes als Ergebnis. Sie sind dem Selbstbewußtsein als bloße Selbstgewissheit insofern entgegengesetzt, als die objektive Erfüllung über eine bloß subjektive Befriedigung hinausgeht. Das Ergebnis stellt sich wie eine »vorgefundene fremde Wirklichkeit« dar. Das Werk als Ergebnis existiert nicht bloß für mich, sondern auch für andere Personen. Um es als mein Werk zu verstehen, müssen sich die anderen Personen gedanklich an meine Stelle versetzen, also wissen, dass man das Werk hervorbringen kann und dass ich das Werk hervorgebracht habe, so wie sie es hervorbringen könn(t)en. Das Interesse einer Person an einem Werk, das sie mir als mein Werk zuschreibt, ohne am Werkprozess teilzunehmen, ist immer ein anderes als mein Interesse an meinem Werk: Ich muss dabei (begri=lich) an seiner Herstellung teilnehmen. »Das Werk ist also überhaupt etwas Vergängliches, das durch das Widerspiel anderer Kräfte und Interessen ausgelöscht wird und vielmehr die Realität der Individualität als verschwindend denn als vollbracht darstellt.« (268 | 221)
Als Resultat meines Tuns ist das Werk insofern vergänglich, als es allen anderen und dann auch mir selbst als eine vorfindbare Sache oder als gegebene Tatsache gegenübertritt. Insofern gehört mein Werk mir eigentlich bloß im Prozess der Entstehung, während ich es herstelle. Danach steht es mir, wie z. B. auch dir, objektiv gegenüber. Es kann daher auch von dir angeeignet werden.
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»Es entsteht dem Bewußtsein also in seinem Werke der Gegensatz des Tuns und des Seins, welcher in den früheren Gestalten des Bewußtseins zugleich der Anfang des Tuns war, hier nur Resultat ist. Er hat aber in der Tat gleichfalls zu Grunde gelegen, indem das Bewußtsein als an sich reale Individualität ans Handeln ging; denn dem Handeln war die bestimmte ursprüngliche Natur als das Ansich vorausgesetzt, und das reine Vollbringen um des Vollbringens willen hatte sie zum Inhalte. Das reine Tun ist aber die sich selbst gleiche Form, welcher hiemit die Bestimmtheit der ursprünglichen Natur ungleich ist. Es ist hier wie sonst gleichgültig, welches von beiden Begri= und welches Realität genannt wird; die ursprüngliche Natur ist das Gedachte oder das Ansich gegen das Tun, worin sie erst ihre Realität hat; oder die ursprüngliche Natur ist das Sein ebenso wohl der Individualität als solcher wie ihrer als Werk, das Tun aber ist der ursprüngliche Begri= als absoluter Übergang oder als das Werden. Diese Unangemessenheit des Begri=s und der Realität, die in seinem Wesen liegt, erfährt das Bewußtsein in seinem Werke; in diesem wird es sich also, wie es in Wahrheit ist, und sein leerer Begri= von sich selbst verschwindet.« (268 | 221)
Wir bemerken jetzt den Kontrast zwischen Tun und Ergebnis, zumal das Tun nicht immer das erwartete oder erho=te Ergebnis liefert. Es kann etwas dazwischen kommen. Das meint Hegels Rede von einem »Gegensatz des Tuns und des Seins«. In den »früheren Gestalten des Bewußtseins«, dem bloßen Gewahrsein oder der Gewissheit, war der Gegensatz zwischen Begierde und Befriedigung der »Anfang des Tuns«. Jetzt ist die Spannung zwischen Erfüllung und realem Werk »Resultat«. Der Anfang aber bestimmt nach wie vor das Handeln inhaltlich, dem die Bestimmung als das Ansich seinem Wesen oder seiner Natur gemäß vorausgeht. Es geht um das Vollbringen, die tätige Erfüllung der Bestimmung des Ansich, also der generischen Handlung bzw. ihres Zieles und Zweckes. Das reine Tun ist Aktualisierung einer reproduzierbaren (»sich selbst gleichen«) Form. Im Blick auf das Handeln ist es, wie auch sonst, gleichgültig, ob man die Handlungsform Begri= und die Aktualisierung Realität nennt oder die
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Form als das Wirkliche und die Realisierung als ihr Ergreifen auffasst. Die Natur im Sinne des Wesens des Tuns jedenfalls ist »das Gedachte oder das Ansich gegen das Tun«. In ihm aber hat sie (die Natur als Inhalt) »erst ihre Realität«. Die Spannung zwischen Begri= und Realität im Handeln erfahren wir bewusst am Erfolg oder an den Mängeln unserer Werke. Das logische Verhältnis zwischen mir als dem denkenden Wesen, das sich in Vorsätzen Zwecke setzt, Absichten hat, sich dabei zunächst selbst Absichten und Zwecksetzungen zuschreibt, und mir als performativem Subjekt der gesamten Handlungen ist schwierig. Dabei zeigt sich die Wahrheit einer Selbstzuschreibung von Absichten am Ende im Tun selbst. Es ist daher ein ebenso nahe liegender wie allgemein verbreiteter und oft sogar riesiger Irrtum, wenn man von sich ganz ehrlich meint, gute Absichten zu haben oder gehabt zu haben, und doch nicht das tut, was nötig wäre, um die Absichten mit vollem Erfolg in die Tat umzusetzen. »In diesem Grundwiderspruche des Werks, das die Wahrheit dieser sich an sich realen Individualität ist, treten somit wieder alle Seiten derselben als widersprechend auf; oder das Werk, als der Inhalt der ganzen Individualität aus dem Tun, welches die negative Einheit ist und alle Momente gefangen hält, in das Sein herausgestellt, läßt sie nun frei; und im Elemente des Bestehens werden sie gleichgültig gegeneinander.« (268 | 222)
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Die Spannung zwischen Sein und Sollen im Bezug auf das Werk oder die Handlung betri=t die Di=erenz zwischen dem, was das Werk gerade auch meinen Ho=nungen und Wünschen gemäß allgemein sein soll, und dem, was es real ist, samt allen realen Folgen, die mir am Ende wie bloße Tatsachen erscheinen. Daher kommt es, dass ich häufig mein eigenes Tun nicht mehr als mein eigenes anerkenne oder verstehe. Es ist dies die spannungsgeladene Grundform jeder tätigen Selbstentfremdung. »Begri= und Realität trennen sich also als Zweck und als dasjenige, was die ursprüngliche Wesenheit ist. Es ist zufällig, daß der Zweck wahrhaftes Wesen habe oder daß das Ansich zum Zwecke gemacht werde. Ebenso treten wieder Begri= und Realität als Übergang in die
406 b
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Das geistige Tierreich
268 f. | 222
Wirklichkeit und als Zweck auseinander; oder es ist zufällig, daß das den Zweck ausdrückende Mittel gewählt werde. Und endlich diese inneren Momente zusammen, sie mögen in sich eine Einheit haben oder nicht, – das Tun des Individuums ist wieder zufällig gegen die Wirklichkeit überhaupt; das Glück entscheidet ebenso wohl für einen schlecht bestimmten Zweck und schlechtgewählte Mittel als gegen sie.« (268 f. | 222)
In einem beabsichtigten Zweck trennen sich Begri= und Realität, Erfüllungsbedingung und Erfüllung. – Die ursprüngliche Wesenheit ist das unmittelbare Sein und Leben, das sich einen Inhalt beliebig, auch zufällig, zum Zwecke machen, als (durch es selbst) erfüllt wünschen und entsprechende Mittel wählen kann. Die drei scheinbar voneinander unabhängigen Kontingenzen: die Absicht in der Zwecksetzung, die Mittelwahl und schließlich das reale Tun in einem (manchmal bloß vermeintlichen) Versuch, den Zweck tätig zu realisieren, bilden dennoch im Handeln eine nicht zufällige Einheit, auch wenn im Einzelfall immer auch das Glück entscheidet, ob die Handlung glückt: Es kann immer etwas dazwischen kommen. Daraus folgt nicht, dass Handlungen immer nur zufällig glücken. Es folgt vielmehr, wie ich schon hier hinzufüge, dass wir zwischen Handlungsformen unterscheiden müssen, die im Normalfall glücken und nur im Ausnahmefall scheitern, und bloßen Verhaltensversuchen, die im Normalfall scheitern und nur mit Glück glücken. Im Begri= der Handlung trennen wir also die Begri=smomente des Zwecks Z, des Mittels M, der generischen Handlung H und des konkreten Tuns h, das H realisieren soll. Wäre h ›nur zufällig‹ als Mittel M zur Realisierung eines Wunschzwecks Z gewählt worden und würde h nur zufällig Z realisieren, dann wäre h noch kein Handeln unter der Verfolgung des Zweckes Z. Würden wir alles Tun so betrachten (können oder gar müssen), dann erschiene unser eigenes Tun und Leben insgesamt als zufälliges Unglück oder Glück, als Widerfahrnis der Fortuna und des Fatum, nicht als Selbstverwirklichung. Auch wenn im schwierigen Wortlaut des Textes inzwischen scheinbar aus dem Blick gefallen ist, dass es sich hier um eine begri=liche
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Erfüllungen im Handeln
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Analyse des beabsichtigenden Wollens und Vollbringens handelt, der nächste Satz macht dies wieder klar und betont auch die eben schon erwähnte notwendige Einheit von Zweck, Mittel und Tun: »Wenn nun hiemit dem Bewußtsein an seinem Werke der Gegensatz des Wollens und Vollbringens, des Zwecks und der Mittel und wieder dieses Innerlichen zusammen und der Wirklichkeit selbst wird, was überhaupt die Zufälligkeit seines Tuns in sich befaßt, so ist aber ebenso auch die Einheit und die Notwendigkeit desselben vorhanden; diese Seite greift über jene über, und die Erfahrung von der Zufälligkeit des Tuns ist selbst nur eine zufällige Erfahrung.« (222 | 269)
407 a
Es ist also rein willkürlich, wenn wir das handelnde Tun, weil es manchmal bloß zufällig glückt, allgemein als bloß zufällig glückendes Verhalten betrachten. »Die Notwendigkeit des Tuns besteht darin, daß Zweck schlechthin auf die Wirklichkeit bezogen ist, und diese Einheit ist der Begri= des Tuns; es wird gehandelt, weil das Tun an und für sich selbst das Wesen der Wirklichkeit ist.« (222 | 269)
407 b
Dass wir erfolgreich im Handeln freie Zwecke verfolgen können und dabei Mittelwissen investieren, ist als allgemeine Wirklichkeit anzuerkennen, auch wenn es am bloß einzelnen Tun nicht immer mit absoluter Sicherheit nachgewiesen werden kann: Auch der gute Dart-Spieler kann mal bloß zufällig ins Schwarze tre=en, so wie er zufällig daneben tre=en kann. Einzelne Abweichungen sind kein Argument gegen allgemeine Unterschiede. »In dem Werke ergibt sich zwar die Zufälligkeit, welche das Vollbrachtsein gegen das Wollen und Vollbringen hat; und diese Erfahrung, welche als die Wahrheit gelten zu müssen scheint, widerspricht jenem Begri=e der Handlung. Betrachten wir jedoch den Inhalt dieser Erfahrung in seiner Vollständigkeit, so ist er das verschwindende Werk; was sich erhält, ist nicht das Verschwinden, sondern das Verschwinden ist selbst wirklich und an das Werk geknüpft und verschwindet selbst mit diesem; das Negative geht mit dem Positiven, dessen Negation es ist, selbst zu Grunde.« (222 | 269)
Dass eine Handlung ihr Ziel erreicht, einen Zweck erfüllt, hat zwar immer auch noch ein Moment des Zufalls in sich: Jede noch
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Das geistige Tierreich
so gut geplante und durchgeführte Handlung kann aufgrund widriger Umstände scheitern. In gewissem Sinn widerspricht diese Zufälligkeit dem Wesen der Handlung, da diese ja mit einer gewissen ›Notwendigkeit‹ durch das Tun als das gewählte Mittel die Handlungsform H oder den Zweck erfüllen sollte. Das gilt aber eben immer nur generisch, im Allgemeinen. Im Einzelnen kann ›alles Mögliche‹ passieren. Dennoch wurde zielorientiert gehandelt. Der Fall ist ganz analog zum Wissen. Auch dort gibt es Zufälle, die den Normalfall des Wissens scheitern lassen können. Daraus folgt aber nicht etwa, dass alles vermeintliche Wissen ein bloßes Meinen wäre. Zwar verschwindet das Wissen im Einzelfall, wenn es zufälligerweise falsch ist. Und es verschwindet der Mord, wenn sich herausstellt, dass das vermeintliche Opfer überlebt. Aber gerade deswegen, weil wir sagen müssen, dass der vermeintliche Mord als Tat verschwindet, wenn die Absicht nicht verwirklicht wurde, bestätigt sich der mörderische Wille. Wir beurteilen daher ein Tun immer auch von dem her, was es allgemein ist und im Normalfall wäre, nicht von dem her, was es bloß zufälligerweise ist oder nicht ist. In gleicher Weise beurteilen wir einen Wissensanspruch. Wir schreiben etwa den rein zufälligen Irrtum nicht dem Sprecher, sondern den Umständen zu, es sei denn, der Sprecher hätte sich bei seiner Kontrolle der Umstände nicht sorgfältig genug um eine Prüfung dessen gekümmert, ob denn ›der Normalfall‹ auch ›wirklich vorliegt‹ und was in ihm in allgemein rechtfertigbarer Weise zu erwarten ist. 408
»Dies Verschwinden des Verschwindens liegt in dem Begri=e der an sich realen Individualität selbst; denn dasjenige, worin das Werk oder was an ihm verschwindet und was demjenigen, was Erfahrung genannt worden, seine Übermacht über den Begri=, den die Individualität von sich selbst hat, geben sollte, ist die gegenständliche Wirklichkeit; sie aber ist ein Moment, welches auch in diesem Bewußtsein selbst keine Wahrheit mehr für sich hat; diese besteht nur in der Einheit desselben mit dem Tun, und das wahre Werk ist nur jene Einheit des Tuns und des Seins, des Wollens und Vollbringens [sic!,
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Erfüllungen im Handeln
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PSW].
Dem Bewußtsein ist also um der seinem Handeln zu Grunde liegenden Gewißheit [willen] die ihr entgegengesetzte Wirklichkeit selbst ein solches, welches nur für es ist; ihm als in sich zurückgekehrtem Selbstbewußtsein, dem aller Gegensatz verschwunden ist, kann er nicht mehr in dieser Form seines Fürsichseins gegen die Wirklichkeit werden; sondern der Gegensatz und die Negativität, die an dem Werke zum Vorschein kommt, tri=t hiemit nicht nur den Inhalt des Werks oder auch des Bewußtseins, sondern die Wirklichkeit als solche und damit den nur durch sie und an ihr vorhandenen Gegensatz und das Verschwinden des Werks. Auf diese Weise reflektiert sich also das Bewußtsein in sich aus seinem vergänglichen Werke und behauptet seinen Begri= und Gewißheit als das Seiende und Bleibende gegen die Erfahrung von der Zufälligkeit des Tuns; es erfährt in der Tat seinen Begri=, in welchem die Wirklichkeit nur ein Moment, etwas für es, nicht das Anundfürsich ist; es erfährt sie als verschwindendes Moment, und sie gilt ihm daher nur als Sein überhaupt, dessen Allgemeinheit mit dem Tun dasselbe ist. Diese Einheit ist das wahre Werk; es ist die Sache selbst, welche sich schlechthin behauptet und als das Bleibende erfahren wird, unabhängig von der Sache, welche die Zufälligkeit des individuellen Tuns als eines solchen, der Umstände, Mittel und der Wirklichkeit ist.« (269 f. | 222 f.)
Dem tätigen Selbstbewusstsein erscheint das absichtliche Tun als das Wesentliche, nicht das zufällige Ergebnis. Diese Tatsache kann aber seinerseits zu einer Selbsttäuschung,99 ja zu einem besonders tiefen Selbstbetrug führen, nämlich indem man die gute Absicht gegen das schlechte Tun ins Feld führt, sich diese zuschreibt und das schlechte Ergebnis dem Zufall oder den Umständen oder dem Tun anderer zuschreibt. Der gute Wille erscheint dann als die bleibende Substanz gegen die zufällige Realität. Der Betrug und Selbstbetrug, in der Absicht und dem Willen, nicht im realen Tun und den realen Folgen die Sache selbst, die ›eigentliche‹ Handlung, sehen zu wollen, liegt natürlich darin, dass die Möglichkeit des Scheiterns der guten Absicht vom 99
Vgl. dazu auch Beier 2008.
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Das geistige Tierreich
270 f. | 223
Handelnden nicht genügend anerkannt wird und seine eigene Verantwortung für dieses mögliche Scheitern unterbewertet ist. 409
»Die Sache selbst ist diesen Momenten nur insofern entgegengesetzt, als sie isoliert gelten sollen, ist aber wesentlich als Durchdringung der Wirklichkeit und der Individualität die Einheit derselben; ebensowohl ein Tun und als Tun reines Tun überhaupt, damit eben so sehr Tun dieses Individuums, und dies Tun als ihm noch angehörig im Gegensatze gegen die Wirklichkeit, als Zweck; ebenso ist sie der Übergang aus dieser Bestimmtheit in die entgegengesetzte, und endlich eine Wirklichkeit, welche für das Bewußtsein vorhanden ist. Die Sache selbst drückt hiemit die geistige Wesenheit aus, worin alle diese Momente aufgehoben sind als für sich geltende, also nur als allgemeine gelten, und worin dem Bewußtsein seine Gewißheit von sich selbst gegenständliches Wesen, eine Sache, ist; der aus dem Selbstbewußtsein als der seinige herausgeborene Gegenstand, ohne aufzuhören, freier eigentlicher Gegenstand zu sein. – Das Ding der sinnlichen Gewißheit und des Wahrnehmens hat nun für das Selbstbewußtsein allein seine Bedeutung durch es; hierauf beruht der Unterschied eines Dings und einer Sache. – Es wird eine der sinnlichen Gewißheit und Wahrnehmung entsprechende Bewegung daran durchlaufen.« (270 f. | 223)
Die Kontrolle und Selbstkontrolle des handelnden Tuns geschieht zumeist implizit: In der Fokussierung auf die Sache bemerkt man die Vollzugsform nur dann bewusst, wenn etwas schiefgeht. Das gilt schon für den Kontrast zwischen zuhandenen Dingen oder Sachen und widerständigen Situationen, in denen sich uns die konkrete Dingheit aufdrängt, wie Heidegger in Sein und Zeit schön vorführt. In der abstrakten Aussageform, dass es das Ding d gibt, sehen wir dann schon ab von allen konkreten Erfüllungen unmittelbarer und praktischer Zweckorientierungen. Gerade in der Nichterfüllung der Absicht zeigen sich also sowohl die Widerständigkeiten der Welt als auch des eigenen Körpers, sowohl die Probleme, die zu überwinden sind, als auch die Grenzen der eigenen Fähigkeiten, der vollziehbaren Handlungsformen. In der Erfüllung der Absicht aber zeigt sich die Herrschaft des Selbstbewusstseins. »Auf diese Weise reflektiert sich also das
Erfüllungen im Handeln
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Bewusstsein in sich aus seinem vergänglichen Werke«. Es ergibt sich die ›Behauptung‹ des eigenen Seins als das Bleibende, als eine Art Substanz, gegen die Zufälligkeiten des Tuns und Lebens. Die Wirklichkeit der Welt wird zur Wirklichkeit für das Bewusstsein und Wissen; das heißt, wir bemerken, dass und wie jeder reale Weltbezug praktisch und durch das erlebende und handelnde personale Subjekt vermittelt ist, so dass es nie ein ›unmittelbares‹ Wissen von einer ›rein objektiven Welt‹ geben kann. Die Wirklichkeit der ›objektiven Welt‹ ist immer nur ›ein Moment für das personale Subjekt‹, kein unmittelbares ›Anundfürsich‹, wobei der Widerstand dieser Objektivität im erfolgreichen Handeln verschwindet. Das Sein überhaupt fällt daher in seiner Allgemeinheit mit dem tätigen Leben zusammen. Im Handeln also erfährt sich das so reflektierende Selbstbewusstsein, also jeder von uns, der so nachdenkt, als ›die Sache selbst‹ im Kontrast zu den ›Zufälligkeiten‹ der uns umgebenden empirischen Welt, unter Einschluss der Kontingenzen des individuellen Tuns selbst. Diese Sache selbst verführt nun den Cartesianismus zur Überzeugung, es stehe der Welt der empirischen Dinge eine ontische res cogitans, das Selbstbewusstsein der Person als ewige substantielle Seele gegenüber. Was die Seele selbst sein soll, oder ist, ist damit aber noch lange nicht begri=en, da sie ja nur als Moment oder Teilaspekt im Gesamtprozess des Handelns als eine Art substantielles Ich der ›Außenwelt‹ gegenübergestellt wird. Im Vollzug allein wird alles: das Ich, der Wille, der Widerstand, die Erfüllung, die Selbstkontrolle real. Und das Bleibende oder Substantielle des absichtlichen Tuns erweist sich als der vom personellen Subjekt gesetzte und im Tun praktisch anerkannte Zweck, der als solcher der Inhalt der Absicht und die Zielbestimmung bzw. Erfüllungsbedingung des Tuns ist. Insofern ist die Sache selbst eine ›geistige‹ Wesenheit. Sie ist uns, wenn wir auf sie reflektieren, als solche bewusst, freilich ohne dass uns damit schon klar wäre, was geistige Wesenheiten sind. Zunächst ist ohnehin nur wichtig zu begreifen, dass das Dingliche der Dinge im bewussten Wahrnehmen nur im Kontext der
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Widerständigkeit im intentionalen Handeln als ›wirklich‹ ausgezeichnet ist, im Kontrast zu bloßen Erscheinungen. Terminologisch fasst Hegel diesen Unterschied so, dass Dinge von ›bloßen‹ Sachen unterschieden werden: Dinge kommen in Sachlagen vor. Dinge verursachen Sachen. Alle Dinge sind wirklich wirksam. Sachen aber als solche schweben gewissermaßen zwischen personalem Subjekt und widerständigem Ding, unterscheiden sich also bloß erst holistisch voneinander. Sachen sind das Zuhandene im Vollzug. Dinge sind am Ende das Vorhandene als das dingliche Moment, welches abstraktiv losgelöst gedacht wird vom bloß einzelnen Vollzug.
45. Der Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit: der homo sentimentalis 410 a
»In der Sache selbst also, als der gegenständlich gewordenen Durchdringung der Individualität und der Gegenständlichkeit selbst, ist dem Selbstbewußtsein sein wahrer Begri= von sich geworden, oder es ist zum Bewußtsein seiner Substanz gekommen. Es ist zugleich, wie es hier ist, ein so eben gewordenes und daher unmittelbares Bewußtsein derselben, und dies ist die bestimmte Weise, in welcher das geistige Wesen hier vorhanden und noch nicht zur wahrhaft realen Substanz gediehen ist. Die Sache selbst hat in diesem unmittelbaren Bewußtsein derselben die Form des einfachen Wesens, welches als Allgemeines alle seine verschiedenen Momente in sich enthält und ihnen zukommt, aber auch wieder gleichgültig gegen sie als bestimmte Momente und frei für sich ist und als diese freie einfache, abstrakte Sache selbst, als das Wesen gilt.« (271 | 223 f.)
In unserer Reflexion auf das Verhältnis von Ding und Sache (selbst) erkennen wir auf dem Weg in unserer Bemühung um Selbstwissen, dass der wahre Begri= des Selbstbewusstseins in der ›Sache selbst‹, der ›gegenständlich gewordenen Durchdringung von Individualität und Gegenständlichkeit‹ liegt, also in einer Art substantieller Einheit von Leib und Seele, Körper und Geist,
Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit
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Vernunft und Leben. Als Ergebnis der Reflexion ist diese ›Einheit‹ aber noch nicht begri=en. Das zeigt sich gerade in dem Problem der Autorität der ersten Person, der ›first person authority‹, wenn es zum Beispiel darum geht, zu wissen oder zu ergründen, was denn die ›eigentliche wahre Absicht‹ des personalen Subjekts ist oder war, was die Person ›wirklich gedacht‹ hat und ›wer ich eigentlich bin‹ – und das nicht etwa aus der Perspektive einer anderen Person, sondern in meiner eigenen Selbstreflexion. Was es heißen soll, das geistige Wesen als zur ›wahrhaft realen Substanz gediehen‹ zu verstehen, ist noch o=en. Das heißt, wir befinden uns immer noch bloß auf dem Weg zur Frage, worin denn die geistige Substanz besteht, wer das wahre Subjekt des Denkens ist. Bisher klingt es in dem Text mit langem Atem aufgrund des großen Denkbogens mit enormer Suspension immer wieder oder immer noch so, als wäre diese Substanz eine individuelle Seele irgendwie neben dem Leib. Eben das ist aber falsch. Es handelt sich um eine systematische Täuschung oder Selbsttäuschung. Verursacht ist sie durch eine Reflexion, welche sich selbst erkennen und damit Selbstwissen oder Selbstbewusstsein sein möchte, dabei aber scheitert. Das Scheitern ist verursacht durch die kategorialen Verwirrungen, welche auf die formal notwendigerweise gegenständliche Form der Rede über sich selbst zurückgehen. Die gedankliche bzw. sprachliche Zusammenfassung aller Momente des Denkens und Wissens in ein substanzartiges Wesen muss also immer wieder zerlegt, analysiert, auseinandergelegt werden. »Die verschiedenen Momente der ursprünglichen Bestimmtheit oder der Sache dieses Individuums, seines Zwecks, der Mittel, des Tuns selbst und der Wirklichkeit, sind für dieses Bewußtsein einerseits einzelne Momente, welche es gegen die Sache selbst verlassen und aufgeben kann; andererseits aber haben sie alle die Sache selbst nur so zum Wesen, daß sie als das abstrakte Allgemeine derselben an jedem dieser verschiedenen Momente sich findet und Prädikat derselben sein kann. Sie selbst ist noch nicht das Subjekt, sondern dafür gelten jene Momente, weil sie auf die Seite der Einzelnheit überhaupt fallen, die Sache selbst aber nur erst das einfach Allgemeine ist. Sie
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ist die Gattung, welche sich in allen diesen Momenten als ihren Arten findet und ebenso frei davon ist.« (271 | 224)
Die gegenständliche Reflexionsform auf mich als handelndes Subjekt suggeriert, ich könnte die verschiedenen Momente meiner Person von mir so unterscheiden, als würde ich sie ergreifen und besitzen oder verlieren bzw. aufgeben können, als wäre ich der Herr meiner Zwecke, Mittel, des Tuns selbst und der von mir gewussten Wirklichkeit. Und in der Tat: Manchmal kann ich Absichten, Zwecke und Mittel aufgeben und mich in meinem Tun von allen vorherigen Bestimmungen distanzieren, mich selbst also nicht bloß gegen die bloß kontingente Realität der Welt, sondern auch noch gegen meine früheren Wünsche und bloß anfänglich verfolgten Absichten, nicht bloß gegen meine früheren Begierden, widerständig verhalten. Doch ohne Absichten und einem Wollen, ohne Teilnahme an der denkenden Selbstkontrolle, bin ich gar kein personales Subjekt, sondern bloßes Subjekt. Als solches aber bin ich noch keine Person und noch kein ›Ich‹ (oder keine Person mehr). Das hat zur Folge, dass ich in der abstrakten Gegenüberstellung von mir und den Inhalten meiner Absichten und meines Denkens mich selbst täusche, und zwar gerade so, wie sich der radikale Ironiker (wie nach Hegel Friedrich Schlegel) täuscht, der sich von allen Inhalten frei halten will, sich auch allen Werten gegenüber gleichgültig verhält. Er meint, sich dadurch befreit zu haben. Er hat sich aber nur als Person aufgelöst. Dasselbe geschieht mit dem radikalen Skeptiker oder Empiristen. Sie alle meinen, noch zu ›denken‹. Sie alle merken nicht, dass sie nicht einmal mehr ›wahrnehmen‹ könnten, wenn sie das, was sie sich selbst zuschreiben, wirklich praktizieren würden, nämlich alles Sein bloß ›äußerlich‹, ›empirisch‹ zu untersuchen und ›sich selbst‹ von allen ›Vorurteilen‹ und allem ›Vorwollen‹ frei zu halten. Was das ironische, skeptizistische oder empiristische Denken nicht bemerkt, ist dies: Der Rückzug auf das reine Ich, das allem kontingenten Einzelnen gegenübergestellt wird, ist kein Rückzug auf das Individuum, den Einzelnen, sondern auf das Allgemeine,
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Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit
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›die Gattung‹, das Gattungswesen oder das personale Menschsein. Mit anderen Worten, es bleiben alle generischen und begri=lichen Bestimmungen des Richtigen, Wahren und Guten erhalten. Man kann sich von ihnen nicht distanzieren, ohne sich selbst als Person zu betrügen. Sie sind der einzelnen Person nicht bloß äußerlich. Daher ist auch jeder Versuch, sich ›aller Wertungen zu enthalten‹, nicht nur unmöglich; er ist schon ein Selbstbetrug. »Das Bewußtsein heißt ehrlich [sic!, PSW], welches einesteils zu diesem Idealismus gekommen, den die Sache selbst [sic!, PSW] ausdrückt, und andernteils an ihr als dieser formalen Allgemeinheit das Wahre hat; dem es immer nur um sie zu tun ist [sic!, PSW], das sich daher in ihren verschiedenen Momenten oder Arten herumtreibt und, indem es sie in einem derselben oder in einer Bedeutung nicht erreicht, eben dadurch in dem andern ihrer habhaft wird, somit die Befriedigung [sic!, PSW] in der Tat immer gewinnt, welche diesem Bewußtsein seinem Begri=e nach zuteil werden sollte. Es mag gehen, wie es will, so hat es die Sache selbst vollbracht und erreicht [das ist schon ironisch!, PSW], denn sie ist als diese allgemeine Gattung jener Momente Prädikat aller.« (271 f. | 224)
Es ist wohl ohne unsere Vorarbeiten nicht zu begreifen, dass und warum der bloß Ehrliche unmittelbar vermeint, die Sache selbst ergri=en zu haben, also seinen eigenen guten Absichten gemäß zu handeln bzw. die Bedingungen der Geltung in seinem Urteil zu erfüllen. Dabei spricht Hegel hier selbst, passenderweise, bloß von subjektiver Befriedigung. Ein Mensch ist also »ehrlich«, wenn er erstens das Bewusstsein des ›Idealismus‹ bzw. der ›Subjektivität‹ alles seines Urteilens und Handelns hat, zweitens seiner eigenen Meinung nach konsequent in Übereinstimmung mit seinem Eigenurteil urteilt und so handelt, wie es seinem Urteil nach die Sache selbst verlangt, also wie er es für allgemein richtig ansieht. Ein ehrlicher Mensch urteilt also insbesondere leise und im Privaten nicht anders als in der Ö=entlichkeit. Und er handelt so, wie er urteilt. Kants Moral ist die Moral der Ehrlichkeit. »Es mag gehen wie es will«, der ehrliche Mensch hat »die Sache selbst vollbracht«. Man darf die Ironie hier nicht überlesen. Denn wenn
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es so wäre, wäre die Behauptung der Erfüllung der Geltungsbedingungen leer. Gerade deswegen aber ist der Ehrliche nicht so sehr töricht als selbstgerecht. Der Ehrliche schläft auf dem allzu weichen Ruhekissen der bloß eigenen Ehrlichkeit. Er ist der homo sentimentalis, der doch alles immer nur gut meint. Man denke aber auch an Beispiele der folgenden Art: Jemand ändert einfach seine frühere Absicht so, dass sie zu seinem Tun passt. Dann hat sein Tun auf leere Weise seine Absicht erfüllt. Ehrlichkeit erweist sich damit als bloß momentane Haltung, sogar als bloßes Selbstgefühl. Es ist die Haltung der gefühlsartigen präsentischen Selbstkontrolle des Subjekts aus der Sicht des Subjekts. Und in der Tat: Alles wahrhaftige Urteilen und Handeln muss ehrlich sein. Ehrlichkeit ist notwendige allgemeine Bedingung von Wahrhaftigkeit und Wahrheit. Aber als bloß allgemeine Gattung ist die Ehrlichkeit (sincerity) noch nicht konkrete Wahrhaftigkeit (truthfulness), erst recht noch keine hinreichende Bedingung für Wahrheit. Im nächsten Satz geht Hegel selbst explizit, wieder leicht ironisch-distanziert, auf nachträgliche Änderungen der sich selbst vermeintlich ehrlich zugeschriebenen Absichten ein: 412 a
»Bringt es einen Zweck nicht zur Wirklichkeit, so hat es ihn doch gewollt [sic!, PSW], d. h. es macht den Zweck als Zweck, das reine Tun, welches nichts tut, zur Sache selbst und kann sich daher so ausdrücken und trösten, daß doch immer etwas getan und getrieben worden ist. Da das Allgemeine selbst das Negative oder das Verschwinden unter sich enthält, so ist auch dies, daß das Werk sich vernichtet, selbst sein Tun; es hat die andern dazu gereizt und findet in dem Verschwinden seiner Wirklichkeit noch die Befriedigung, wie böse Jungen in der Ohrfeige, die sie erhalten, sich selbst genießen, nämlich als Ursache derselben. Oder es hat die Sache selbst auszuführen auch nicht einmal versucht und gar nichts getan, so hat es nicht gemocht [man beachte die Ironie gegen diese leere Rechtfertigung, PSW]; die Sache selbst ist ihm eben Einheit seines Entschlusses und der Realität, es behauptet, daß die Wirklichkeit nichts anderes wäre als sein Mögen [sic!, PSW]. – « (272 | 224)
Der Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit beginnt mit der Dis-
Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit
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krepanz zwischen Wollen und Tun: Der Ehrliche sagt, er habe zwar die gute Absicht nicht in die Tat umgesetzt, aber sie doch gewollt. Oder er wolle zwar das Gute tun, es gehe aber über seine Kräfte. Oder er sagt, er habe zwar Schlimmes getan, es aber nicht beabsichtigt. Der Ehrliche sagt auch, er wolle das, was er allgemein für gut hält – auch wenn dies zu schlechten Folgen führt. Diese aber seien nicht gewollt, sondern kontingente Folgen der Umstände oder des zufälligen Tuns der anderen Person. Er sei daher für die Folgen nicht als ehrlich Wollender verantwortlich. Das Allgemeine eines Zwecks oder einer Absicht kann in der Tat manchmal bestehen bleiben, auch wenn der Zweck im Einzelfall nicht erfüllt wird. Das darf dann aber bloß zufällig so sein. Diese Bedingung unterschätzt der Ehrliche (wie übrigens in anderen Kontexten auch der Skeptiker). Der Ehrliche schließt fälschlicherweise, dass es auf die Ausführung nicht im Einzelnen ankomme. Denn gut sei bloß der gute Wille. Was der Ehrliche daher im guten Willen tue, sei das Wesentliche; die Sache selbst sei die gute Absicht, nicht das Tun in seinem zufälligerweise schlechten Ausgang. Das bloß ehrliche Selbstbewusstsein wird eben damit selbstgerecht: Selbst wenn das Tun scheitert, »das Werk sich vernichtet«, kann er sich sagen, er habe das Gute gewollt und das seinem Urteil nach Richtige ehrlich getan. Das ehrliche Selbstbewusstsein des Tuns nach einem subjektiv guten Willen verhält sich, trotz objektiven Scheiterns, in seiner Selbstzufriedenheit zu sich selbst so ambivalent und töricht »wie böse Jungen«, welchen zwar die Ohrfeige für ihre Tat weh tut, die dabei jedoch ›sich selbst genießen‹, nämlich insofern sie wissen, dass sie etwas selbst getan haben. Das geschieht in der Meinung, ihre Untat sei bloß zufällig entdeckt worden, so dass ihnen die Ohrfeige bloß kontingenterweise widerfahren ist. Hegels Beispiel klingt nur insofern verquer, als es erstens verkürzt und zweitens in sich verdreht ist: Während die bösen Buben nach wie vor stolz auf ihre Tat sind und daher die Ohrfeige als kontingentes Scheitern in Kauf nehmen, nämlich insofern sie sich haben erwischen lassen, diskontiert der ehrlich Handelnde seinen Misserfolg unter
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Berufung darauf, dass er einer guten Absicht gemäß gehandelt habe. Der Ehrliche ist einfach nicht gewissenhaft genug. Im alternativen Fall, dass er nicht einmal versucht hat, die beabsichtigte (gute) Handlung auszuführen, erklärt er post hoc, er habe die ehrliche Absicht gehabt, es aber »nicht vermocht«, sie in die Tat umzusetzen. Der ›Ehrliche‹ betrügt sich in beiden Fällen. Im ersten Fall, weil er nicht kontrolliert, ob nicht bloß die ›Absicht‹, sondern auch das Tun in seinen Folgen gut ist, im zweiten, weil er nicht merkt, dass seine vermeintliche Absicht ohne jedes Handeln gar keine Absicht ist und war. Die Sache selbst wird so zu einem bloßen Mögen, das Wollen zu einem bloßen Wünschen, wie ich dies oben schon erläutert habe. Hier findet sich die explizite Bestätigung der Richtigkeit unserer Interpretation. 412 b
»Es ist endlich etwas ihm Interessantes überhaupt ohne sein Zutun geworden, so ist ihm diese Wirklichkeit die Sache selbst eben in dem Interesse, das es daran findet, ob sie gleich nicht von ihm hervorgebracht worden ist [sic!, PSW]; ist es ein Glück, das ihm persönlich widerfahren, so hält es darauf als auf seine Tat und Verdienst [sic!, PSW] – ist es sonst eine Weltbegebenheit, die es weiter nichts angeht, so macht es sie ebenso zu der seinigen, und tatloses Interesse gilt ihm für Partei, die es dafür oder dawider genommen und bekämpft oder gehalten hat [sic!, PSW].« (272 | 224 f.)
Im Fall, dass etwas zufällig glückt, schreibt sich der bloß Ehrliche das Ergebnis gern selbst zu, unabhängig davon, ob er es war, der für das gute Ergebnis verantwortlich ist. Der bloß Ehrliche ist der typische Selbsttäuscher. 413
»Die Ehrlichkeit dieses Bewußtseins sowie die Befriedigung, die es allenthalben erlebt [sic!, PSW], besteht, wie erhellt, in der Tat darin, daß es seine Gedanken, die es von der Sache selbst hat, nicht zusammenbringt. Die Sache selbst ist ihm ebensowohl seine Sache wie gar kein Werk, oder das reine Tun und der leere Zweck, oder auch eine tatlose Wirklichkeit; es macht eine Bedeutung nach der andern zum Subjekte dieses Prädikats und vergißt die eine nach der andern. Itzt im bloßen Gewollt- oder auch im Nichtgemochthaben [sic!, PSW] hat die Sache selbst die Bedeutung des leeren Zwecks [sic!, PSW] und der
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[bloß!, PSW] gedachten Einheit des Wollens und Vollbringens. Der Trost über die Vernichtung des Zwecks, doch gewollt oder doch rein getan, sowie die Befriedigung [sic!, PSW], den andern etwas zu tun gegeben zu haben, macht das reine Tun oder das ganz schlechte Werk zum Wesen; denn dasjenige ist ein schlechtes zu nennen, welches gar keines ist. Endlich beim Glücksfall, die Wirklichkeit vorzufinden, wird dieses Sein ohne Tat zur Sache selbst.« (272 f. | 225)
Der Selbstbetrug bloßer Ehrlichkeit und die Selbstbefriedigung bloßer Selbstgerechtigkeit bestehen darin, dass die betre=ende Person ihre »Gedanken . . . nicht zusammenbringt«. In der tatenlosen Absicht wird die Absicht leer, zum bloßen Mögen oder Wünschen. An die Stelle der verwirklichten »Einheit des Wollens und Vollbringens« wird deren bloße Vorstellung gesetzt. Beim Glücksfall schreibt man sich Erfolge zu, ohne dass das eigene Tun relevant war. »Die Wahrheit dieser Ehrlichkeit aber ist, nicht so ehrlich zu sein, als sie aussieht [sic!, PSW]. Denn sie kann nicht so gedankenlos sein, diese verschiedenen Momente in der Tat so auseinanderfallen zu lassen, sondern sie muß das unmittelbare Bewußtsein über ihren Gegensatz haben, weil sie sich schlechthin aufeinander beziehen. Das reine Tun ist wesentlich Tun dieses Individuums, und dieses Tun ist ebenso wesentlich eine Wirklichkeit oder eine Sache. Umgekehrt ist die Wirklichkeit wesentlich nur als sein Tun sowie als Tun überhaupt; und sein Tun ist zugleich nur wie Tun überhaupt, so auch Wirklichkeit. Indem es ihm also nur um die Sache selbst als abstrakte Wirklichkeit zu tun scheint, ist auch dies vorhanden, daß es ihm um sie als sein Tun zu tun ist. Aber ebenso, indem es ihm nur ums Tun und Treiben zu tun ist, ist es ihm damit nicht Ernst, sondern es ist ihm um eine Sache zu tun und um die Sache als die seinige. Indem es endlich nur seine Sache und sein Tun zu wollen scheint, ist es wieder um die Sache überhaupt oder die an und für sich bleibende Wirklichkeit zu tun.« (273 | 225)
Dass es mit dieser Art von Ehrlichkeit als bloß subjektiver Selbstzuschreibung von Absichten und vermeintlichen Verantwortlichkeiten nicht weit her ist, dürfte jetzt klar sein.
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Das geistige Tierreich
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»Wie die Sache selbst und ihre Momente hier als Inhalt erscheinen, ebenso notwendig sind sie auch als Formen an dem Bewußtsein. Sie treten als Inhalt nur auf, um zu verschwinden, und jedes macht dem andern Platz. Sie müssen daher in der Bestimmtheit, als aufgehobene, vorhanden sein; so aber sind sie Seiten des Bewußtseins selbst. Die Sache selbst ist als das Ansich oder seine Reflexion in sich vorhanden; die Verdrängung der Momente aber durch einander drückt sich an ihm so aus, daß sie nicht an sich, sondern nur für ein Anderes an ihm gesetzt sind. Das eine der Momente des Inhalts wird von ihm dem Tage ausgesetzt und für andere vorgestellt; das Bewußtsein ist aber zugleich daraus in sich reflektiert und das Entgegengesetzte ebenso in ihm vorhanden; es behält es für sich als das seinige. Es ist zugleich auch nicht irgendeines derselben, welches allein nur hinausgestellt, und ein anderes, das nur im Innern behalten würde, sondern das Bewußtsein wechselt mit ihnen ab; denn es muß das eine wie das andere zum Wesentlichen für sich und für die andere[n] machen. Das Ganze ist die sich bewegende Durchdringung der Individualität und des Allgemeinen; weil aber dies Ganze für dies Bewußtsein nur als das einfache Wesen und damit als die Abstraktion der Sache selbst vorhanden ist, fallen seine Momente als getrennte außer ihr und auseinander; und als Ganzes wird es nur durch die trennende Abwechslung des Ausstellens und des Fürsichbehaltens erschöpft und dargestellt. Indem in dieser Abwechslung das Bewußtsein ein Moment für sich und als wesentliches in seiner Reflexion, ein anderes aber nur äußerlich an ihm oder für die andern hat, tritt damit ein Spiel der Individualitäten miteinander ein, worin sie sowohl sich selbst als sich gegenseitig sowohl betrügen [sic!, PSW] als betrogen finden.« (273 f. | 225 f.)
Was eine Sache selbst ausmacht, ihr Inhalt, ist nie bloß durch mich bestimmt; jedes Urteil unterstellt zwar den Inhalt, kann sich aber aufgrund der Subjektivität des Urteilens nur im Modus der Gewissheit der eigentlichen Sache (selbst) vergewissern. Dennoch steht der Inhalt dem Mit-Wissen der Person nicht einfach gegenüber, sondern ist Teil ihrer eigenen Beurteilungen der Sache.
Selbstbetrug der bloßen Ehrlichkeit
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Ich selbst muss urteilen. Das verführt zur falschen Idee, mein ehrliches Urteil bestimme schon, was die Sache selbst sei. Was sie selbst ist, hängt ab von unseren, nicht bloß je meinen Urteilen, und davon, wie die Sache sich zu uns, nicht bloß zu mir verhält. Die Sache selbst ist dieses Ganze unseres Umgangs mit ihr. Dieses Ganze ist aber nicht als einfache Ganzheit zu verstehen, sondern in seiner Vielfalt, so wie das Ding nur in der Vielfalt unserer Bezüge auf es und seiner Wirkungen in der Welt in seiner Einheit zu bestimmen ist. Es liegt also teils an der subjektiven Perspektive, teils an der vergegenständlichenden Sprachform, dass uns die Momente einer Sache oder eines Dinges zugleich auseinanderfallen und die Sache allzu unmittelbar als Einheit oder einfaches Wesen erscheint. In der Abwechslung der Fokussierungen werden einzelne Momente häufig aus dem Zusammenhang des Ganzen gerissen und erscheinen als das Wesen der Sache, wie zum Beispiel die Absicht bzw. der gute Wille, abgetrennt von der wirklichen Tat und ihren wirklichen Folgen, oder das Meinen losgelöst vom Sagen, oder das scheinbar vereinzelte ›atomare‹ individuelle Ding, herausgelöst aus dem gesamten Zusammenhang der Dingwelt, wie sie uns gegenüber tritt und wie wir sie uns gegenüberstellen. Der ›Betrug‹, der sich hier ergibt, ist die objektive Selbsttäuschung einer gerade im Blick auf das Ganze nicht genügenden Gewissenhaftigkeit und Strenge (accuracy, rigor) des Denkens. Ein Mangel an Strenge oder Akkuratheit kann es auch trotz aller formalen Exaktheit (exactitude) geben.100 Denn es reicht nie, vorgegebene oder selbstgesetzte schematische Regeln bloß exakt zu befolgen. Man muss auch immer die Relevanz und Angemessenheit der Regelbefolgung sowohl in Bezug auf die generischen oder typischen Allgemeinfälle als auch in Bezug auf die besonderen Einzelfälle mit erfahrener Urteilskraft und Besonnenheit autonom bestimmen (können). Ein Mangel an Strenge sich selbst gegenüber führt zu einer besonderen Form der ›Selbsttäuschung‹. Diese ist auch eine gewisse ›Unehrlichkeit‹ sich selbst gegen100
Vgl. dazu auch Kambartel 2000.
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Das geistige Tierreich
über. Sie ist aber nicht so zu verstehen, als mache ich mich selbst glauben, etwas sei über mich wahr, von dem ich weiß, dass es nicht wahr ist. Mangel an Gewissenhaftigkeit oder Akkuratheit ist nicht, wie noch Nietzsche und mit ihm viele andere moderne Denker meinen, Mangel an ›Redlichkeit‹. Es ist ein Mangel an praktischer Selbstkontrolle und kognitivem Selbstwissen. Es ist gerade in diesem Sinn ein Mangel an Gewissen, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, eben an con-scientia. Dabei ist das Gewissen des Selbstbewusstseins selbst immer auch bloß erst ›subjektiv‹. Es wird erst objektiv im gemeinsamen Reden über mich und im gemeinsamen Handeln: Wir also, nicht ich allein, beurteilen die ›Qualität‹ je meines Gewissens, je meines Selbstbewusstseins und je meiner Selbstkontrolle am Ende gemeinsam. Es ist daher durchaus zu kurz gedacht, wenn man in der Nachfolge von G. H. Mead bloß auf die Entwicklung von ›Selbstsicherheit‹ und ›Selbstgewissheit‹ achtet, die sich aus einer familialen oder kommunitarischen Umgebung der Anerkennung und des Lobes ergeben soll. Die Folge ist ein verkürzter, sozusagen süßlich-subjektiver, Begri= des Selbstbewusstseins, dem ein nicht weniger frommer Begri= des zufälligen Konsenses der Wohlmeinenden korrespondiert. Das subjektive Festhalten an bloßen Teilmomenten eines Ganzen ist Selbstbetrug. Es ist eine Form des Selbstbetrugs, der sich seiner selbst als Betrug nicht gewahr ist. Er betrügt sich nicht aktiv, sondern durch Unterlassung. Unterlassen wird eine hinreichend strenge Selbstkontrolle oder eine hinreichend strenge gemeinsame ›Kritik‹ an dem, was je ich selbst tue. In eben diesem Sinn gibt es Menschen, die sich völlig sicher und gewiss sind, und sich damit doch betrügen. Ein solches selbst betrügendes Selbstbewusstsein kann gerade aus einem übergroßen Lob, einer übergroßen Anerkennung entstehen. Das Drama des begabten Kindes hat hier seinen logischen Ursprung und damit das Elend vieler ›Wunderkinder‹ und ›Frühentwickelten‹, die zu früh berühmt geworden sind. Ihr eigenes Selbstbild schwankt allzu leicht zwischen allzu selbstsicherer Selbstüberschätzung und all-
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homo rationalis
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zu selbstkritischer Selbstüberforderung. (Die heutigen Medien und das Ruhm-Regime der heutigen ›Wissenschaften‹ und ›Künste‹ produzieren diese Krankheit des Denkens gewissermaßen am Fließband.)
46. Re-Animalisierung auf hohem Niveau: Der homo rationalis »Eine Individualität geht also, etwas auszuführen; sie scheint damit etwas zur Sache gemacht zu haben; sie handelt, wird darin für andere [sic!, PSW], und es scheint ihr um die Wirklichkeit zu tun zu sein. Die Andern nehmen also das Tun derselben für ein Interesse an der Sache als solcher und für den Zweck, daß die Sache an sich ausgeführt sei, gleichgültig, ob von der ersten Individualität oder von ihnen. Indem sie hiernach diese Sache schon von ihnen zustande gebracht aufzeigen oder, wo nicht, ihre Hülfe anbieten und leisten, so ist jenes Bewußtsein vielmehr da heraus, wo sie meinen, daß es sei; es ist sein Tun und Treiben, was es bei der Sache interessiert, und indem sie inne werden, daß dies die Sache selbst war, finden sie sich also getäuscht. – « (274 | 226)
Konkret wird das allgemeine Problem von Betrug und Selbstbetrug im gemeinsamen Handeln: Man schreibt sich oder einer Person gern mehr oder weniger an Verantwortung für eine gemeinsam ausgeführte Sache zu, je nachdem, wie es einem in den Kram passt. Wenn die Sache Erfolg verspricht, rennen alle hinzu und wollen teilhaben, der Sache helfen, wie sie sagen. Es geht ihnen dabei weniger um die Sache, als darum, wichtig dabei zu sein. Oder es stellt sich eine Sache als schlecht heraus. Dann rennen alle weg und niemand hat je mitgemacht. Die Verantwortung für die Untaten des »Dritten Reiches« liegt dann allein bei den politischen ›Eliten‹ und ›Machthabern‹, oder gar nur beim ›verrückten‹ Diktator. Analoges gilt für den Stalinismus und die kommunistische Diktatur: Hier betrügt das Kollektiv sich selbst. Und alle tun mit. Das ist auch dann so, wenn die ›Initiative‹, der
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Anfang des Übels, tatsächlich bei einer bestimmten Gruppe von Personen gelegen haben mag: Es gibt keine politische Macht ohne eine wenigstens relative Duldung durch die Subjekte oder Untertanen. Das sind nur Beispiele, wie man sich aus der Perspektive des Einzelnen in Bezug darauf selbst täuschen kann, wie man mit einer allgemeinen Sache durch sein Tun verbunden ist. 416 b
»Aber in der Tat war ihr Herbeieilen, um zu helfen, selbst nichts anderes, als daß sie ihr Tun, nicht die Sache selbst, sehen und zeigen wollten; d. h. sie wollten das andere auf eben die Weise betrügen, als sie sich betrogen worden zu sein beschweren. – « (274 f. | 226)
Im guten Fall wollen die Guten ihre guten Taten sehen lassen und handeln nicht etwa um der Sache des Guten willen. Eben damit wollen sie andere betrügen – auf die gleiche Weise, wie sie sich beschweren, von denen betrogen zu sein, welchen es angeblich nicht um die Sache, sondern etwa um Geld oder Ruhm gehe. Im schlechten Fall betrügen die Mitläufer sich und andere, indem sie sagen, es sei ihnen nicht um die Sache – den Nationalsozialismus mit seinem Rassismus oder die kommunistische Diktatur mit ihrer Verachtung der Einzelperson – gegangen, sondern ›bloß‹ um das eigene Überleben oder die eigene Karriere. 416 c
»Indem es nun itzt herausgekehrt ist, daß das eigne Tun und Treiben, das Spiel seiner Kräfte, für die Sache selbst gilt, so scheint das Bewußtsein sein Wesen für sich, nicht für die andern, zu treiben und, nur bekümmert um das Tun als das seinige, nicht um es als ein Tun der andern, hiemit die andern ebenso in ihrer Sache gewähren zu lassen. Allein sie irren sich wieder; es ist schon da heraus, wo sie es zu sein meinten. Es ist ihm nicht um die Sache als diese seine einzelne zu tun, sondern um sie als Sache, als Allgemeines, das für alle ist. Es mischt sich also in ihr Tun und Werk, und wenn es ihnen dasselbe nicht mehr aus der Hand nehmen kann, interessiert es sich wenigstens dadurch dabei, daß es sich durch Urteilen zu tun macht; drückt es ihm den Stempel seiner Billigung und seines Lobes auf [sic!, PSW], so ist dies so gemeint, daß es am Werke nicht nur das Werk selbst lobt, sondern zugleich seine eigne Großmut und Mäßigung, das Werk nicht als Werk und auch nicht durch seinen Tadel verdorben
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zu haben. Indem es ein Interesse am Werke zeigt, genießt es sich selbst darin [sic!, PSW]; ebenso ist ihm das Werk, das von ihm getadelt wird, willkommen für eben diesen Genuß seines eignen Tuns, der ihm dadurch verscha=t wird.« (275 | 226 f.)
Es ist dann aber auch sehr scharf beobachtet, dass sich der Kritiker zum Teil unbändig selbst freut, dass er etwas zu kritisieren hat. Er meint damit, über der kritisierten Person zu stehen. Wenn jeder bloß ehrlich auf seine eigenen Absichten und sein eigenes Tun achtet, als wäre die allgemeine Sache selbst nichts über dieses eigene Tun hinaus, scheint sich jeder bloß um das Seinige zu kümmern. In einem solchen Fall sieht es so aus, als ergäben sich die allgemeinen E=ekte ›rein zufällig‹, durch bloße Aggregation, wie im Sozialbild des so genannten methodischen Individualismus. Sein Bild des kollektiven Handelns geht von der Charaktermaske eines homo individualis rationalis oder dem Idealtypus des homo oeconomicus aus, der immer bloß das Seine tut – selbst dann, wenn er einen großzügigen ›Altruismus‹ als das Seine ansieht und sich an seinen ›altruistischen‹ Taten ehrlich und selbstgerecht ergötzt. »Allein, sie irren sich wieder.« Denn auch dem homo rationalis kann es nie bloß um Einzelnes gehen. Als Sache ist das, worum es ihm geht, eine allgemeine Möglichkeit, ein »Allgemeines, das für alle ist«. Das gilt selbst bei der Wahl von Zwecken und Mitteln bloß für mich: Wären diese nicht allgemein, wäre die Wahl selbst und das Tun gar kein zielgerichtetes Handeln. Das Allgemeine »mischt sich« also in jedes handelnde Tun ein, und wenn auch bloß vermöge der allgemeinen Form und der allgemeinen Inhalte jedes Urteilens qua Performation. Ich drücke dabei immer einem allgemeinen Inhalt ›den Stempel‹ meiner ›Billigung‹ auf. Jedes Urteil ›lobt‹ den Inhalt, empfiehlt ihn allgemein. Dasselbe gilt für jedes Handeln. Gerade auch indem ich handle, lobe ich die Tat. Zumeist möchte ich dabei selbst noch gelobt werden, in meiner eigenen »Großmut und Mäßigung«. Ich lobe mich selbst auch dafür, das Werk nicht als Werk verdorben zu haben. Das heißt, im Falle des Mit-Wissens um das Gute der Tat anerkenne ich im Handeln nicht bloß die
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Tat und empfehle sie anderen, sondern stelle mich gegen jeden möglichen Tadel und erkläre, nicht bloß das Allgemeine der Tat sei gut und zu loben, sondern auch, dass ich dieses tue. Dabei begleiten gewisse Befriedigungsgefühle dieses (im naiven Fall: selbstgerechte) Selbstlob. 416 d
»Die aber sich durch diese Einmischung für betrogen halten oder ausgeben, wollten vielmehr selbst auf gleiche Weise betrügen. Sie geben ihr Tun und Treiben für etwas aus, das nur für sie selbst ist, worin sie nur sich und ihr eignes Wesen bezweckten. Allein indem sie etwas tun und hiemit sich darstellen und dem Tage zeigen, widersprechen sie unmittelbar durch die Tat ihrem Vorgeben, den Tag selbst, das allgemeine Bewußtsein und die Teilnahme aller ausschließen zu wollen; die Verwirklichung ist vielmehr eine Ausstellung des Seinigen in das allgemeine Element, wodurch es zur Sache aller wird und werden soll.« (275 | 227)
Wer, wie etwa Nietzsche, eine gute Tat schon deswegen kritisiert, weil der Handelnde sich in ihr selbst lobt, also seinen Lohn der Befriedigung schon erhalten habe und daher unser Lob nicht mehr brauche, der betrügt sich ebenfalls. Er meint, durch den (unvermeidlichen) ›Egoismus‹ des ›Selbstgerechten‹ und ›Ehrlichen‹ betrogen zu sein. Doch damit betrügt er sich selbst, und zwar zunächst »auf gleiche Weise« wie die anderen. Er hält sich für besonders ehrlich und zutiefst für redlich. Er meint, alles Tun, auch sein eigenes, sei immer bloß ein Tun für sich selbst. Doch indem er dies sagt, will er in seinem Urteil allgemein anerkannt werden. Die Ehrlichen und Redlichen wollen also nicht bloß ehrlich und redlich mit sich selbst sprechen, sondern mit allen. Ihre scheinbar eigene Sache wollen sie als Sache aller darstellen. Daher ist auch der ›Zyniker‹, der so ehrlich sein will, den Egoismus aller Menschen anzuerkennen und daraus das Recht ableitet, selbst egoistisch zu sein, ebenfalls verlogen, vielleicht so wie der ach so ›ehrliche‹ Vater der Brüder Karamasow, wie Dostojewski ihn schildert. 417
»Es ist also ebenso Betrug seiner selbst und der andern, wenn es nur um die reine Sache zu tun sein soll; ein Bewußtsein, das eine
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Sache auftut, macht vielmehr die Erfahrung, daß die andern, wie die Fliegen zu frisch aufgestellter Milch, herbeieilen und sich dabei geschäftig wissen wollen, – und sie an ihm, daß es ihm ebenso nicht um die Sache als Gegenstand, sondern als um die seinige zu tun ist. Hingegen, wenn nur das Tun selbst, der Gebrauch der Kräfte und Fähigkeiten oder das Aussprechen dieser Individualität das Wesentliche sein soll, so wird ebenso gegenseitig die Erfahrung gemacht, daß alle sich rühren und für eingeladen halten und statt eines reinen Tuns oder eines einzelnen eigentümlichen Tuns vielmehr etwas, das ebenso wohl für andere ist, oder eine Sache selbst aufgetan wurde. Es geschieht in beiden Fällen dasselbe und hat nur einen verschiedenen Sinn gegen denjenigen, der dabei angenommen wurde und gelten sollte. Das Bewußtsein erfährt beide Seiten als gleich wesentliche Momente und hierin, was die Natur der Sache selbst ist, nämlich weder nur Sache, welche dem Tun überhaupt und dem einzelnen Tun, noch Tun, welches dem Bestehen entgegengesetzt und die von diesen Momenten als ihren Arten freie Gattung wäre, sondern ein Wesen, dessen Sein das Tun des einzelnen Individuums und aller Individuen, und dessen Tun unmittelbar für andere oder eine Sache ist und nur Sache ist als Tun Aller und Jeder [sic!, PSW], das Wesen, welches das Wesen aller Wesen, das geistige Wesen ist [sic!, PSW]. Das Bewußtsein erfährt, daß keins jener Momente Subjekt ist, sondern sich vielmehr in der allgemeinen Sache selbst auflöst; die Momente der Individualität, welche der Gedankenlosigkeit dieses Bewußtseins nacheinander als Subjekt galten, nehmen sich in die einfache Individualität zusammen, die als diese ebenso unmittelbar allgemein ist. Die Sache selbst verliert dadurch das Verhältnis des Prädikats und die Bestimmtheit lebloser abstrakter Allgemeinheit, sie ist vielmehr die von der Individualität durchdrungene Substanz; das Subjekt, worin die Individualität ebenso als sie selbst oder als diese wie als alle Individuen ist, und das Allgemeine, das nur als dies Tun Aller und Jeder ein Sein ist, eine Wirklichkeit darin, daß dieses Bewußtsein sie als seine einzelne Wirklichkeit und als Wirklichkeit Aller weiß. Die reine Sache selbst ist das, was sich oben als die Kategorie [sic!, PSW] bestimmte: das Sein, das Ich, oder Ich, das Sein ist, aber als Denken [sic!, PSW],
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welches vom wirklichen Selbstbewußtsein sich noch unterscheidet [und zwar weil die Konstitution der Inhalte und die transsubjektive Form der Kontrolle ihrer Erfüllung noch gar nicht bedacht ist, PSW]; hier aber sind die Momente des wirklichen Selbstbewußtseins, insofern wir sie seinen Inhalt, Zweck, Tun und Wirklichkeit, wie insofern wir sie seine Form nennen, Fürsichsein und Sein für Anderes, mit der einfachen Kategorie selbst als eins gesetzt, und sie ist dadurch zugleich aller Inhalt.« (275–277 | 227 f.)
Die Kategorie ist Sein, das Denken, und Denken, das Sein ist. Das ist so, weil sie die Aussage- oder Denkform `ich φ ist. Der Betrug der Sache selbst ist die Unterstellung, man könne in der Bezugnahme auf das Objektive ganz von sich abstrahieren und zugleich seine Erfüllung völlig selbständig kontrollieren. Schon das Wort und der Begri= der Autonomie enthält diese Selbsttäuschung. Man meint, selbst Herr des Nomos, der Normativität des Richtigen zu sein. Oder man meint, der Inhalt eines Urteils könne unmittelbar als erfüllt beurteilt werden. Man meint, es könne mir wirklich im Tun rein und allein um die Sache selbst gehen und nicht auch um mich selbst. Das ist sowohl für das Urteil mit Anspruch auf Wissen unmöglich, als auch für das Handeln. Es kann mir aber auch nie allein um mich selbst gehen und nicht auch um eine Sache. Alle Urteile und Handlungen finden vielmehr im subjektiven und sozialen Raum statt, auch im dinglichen Raum der Natur. Im sozialen Raum werden die Urteile und Handlungen ihrerseits beurteilt, kopiert, anerkannt, kritisiert usf. Im Raum der Natur oder dann auch des Zufalls erweisen sie sich als erfolgreich. Es erfüllen sich Wünsche oder Prognosen. Und wir erfüllen Absichten oder scheitern dabei, manchmal sogar, obwohl wir uns mit dem Ergebnis zufrieden geben. Das Performative im Urteilen und Handeln und der Selbstbezug der Performation dürfen daher nie vergessen werden, samt der Tatsache, dass jeder personale Selbstbezug immer schon ein Bezug auf andere Personen ist. Wenn alle ein Urteil oder eine Handlung einer Person beurteilen, geschieht in einem Sinn dasselbe, in einem anderen etwas ganz anderes, wie wenn einer ein
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mögliches Urteil oder eine mögliche Handlung verbal beurteilt bzw. konsequent anerkennt. In beiden Fällen geht es um die Sache selbst. Im zweiten Fall ist dies der Modus des je subjektiven Zugri=s. Im ersten ist die Dimension der Kooperation und damit des Geistes erkannt und anerkannt. Einen unmittelbaren subjektiven Zugri= auf eine Welt wie sie ›an und für sich‹ ist oder sein soll, gibt es nicht, schon gar nicht ›auf die Gedanken Gottes‹. Gott ist hier o=enbar kontrafaktischer Grenzbegri=. Die Natur oder das Wesen der Sache selbst ist also nie »nur Sache«, sondern immer auch schon etwas, ›dessen Sein das Tun der einzelnen Personen‹ ist, also im Vollzug (einer Praxis) bestimmt ist, in der neben den Bezügen auf reale Dinge und mögliche Sachen auch schon personale Beziehungen zwischen den Individuen relevant werden. Dazu gehören teils konsensuelle, teils antagonistische Urteile und Schlüsse. Es gehört aber auch das subjektive Anerkennen und Widersprechen dazu, also die dialektische Dialogik im Gespräch um das Wissen und den Begri=. Indem man sich so unserer Praxis des Urteilens und Handelns bewusst wird, erfährt man, dass im Urteilen und Handeln keines der Momente das ›eigentliche‹ Subjekt ist. Weder ist es das bloß einzelne leibliche Individuum, das unter Gebrauch von Symbolen und Zeichen spricht und denkt, urteilt und dann auch fähig handelt, sofern es denn Person ist und nicht ›zufällig‹ wie ein Automat oder Papagei ›ohne Bewusstsein‹ oder Mit-Wissen oder Selbstkontrolle bloß zu sprechen scheint, noch spricht ›das Allgemeine‹ unmittelbar durch den Mund der Einzelnen oder handelt durch die Tat der Einzelpersonen, auch nicht rein kollektiv, als das Tun einer Menge. Die Person ist individuell und allgemein zugleich. Die ›Sache selbst‹ im Urteilen und Handeln ist nicht bloßes Objekt, bloße Eigenschaft, sondern Vollzugsform und Vollzugsinhalt, wobei Form und Inhalt das ›Besitztum‹ aller Personen sind oder sein könnten.
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Das geistige Tierreich
Die reine Sache selbst ist dabei durch die Kategorie oder die allgemeine Aussageform bestimmt: durch die performative Stellungnahme je von mir oder je von uns zu den je betre=enden Inhalten im Urteilen und Handeln. Hier schon, nicht erst in der Logik, gilt der Titel »das Sein« als gleichbedeutend zu »das Ich« – und zwar wegen der Einheit der Kategorie oder Denkform des »ich sage/denke/tue X«. Es unterscheidet sich der Vollzug dieses Denkens von der wirklichen Form des Selbstbewusstseins darin, dass das X zunächst für jede beliebige Sache und nicht schon für eine Selbstaussage oder einen Selbstbezug steht. Die reine Form des Selbstbewusstseins ist nämlich in der Tat »ich denke/urteile/handle so, dass ich die Aussage von mir als richtig behauptbar mache« – so dass jedes Selbstbewusstsein einen Selbstbezug enthält, aber auch einen Fremdbezug in der Behauptung der normativen Richtigkeit (Wahrheit, Güte, Rationalität, Schönheit) des Selbstbezugs. Zwecke setzen, Inhalte anerkennen, etwas tun und etwas als wirklich behaupten oder anerkennen: Das alles sind Momente eines personalen Selbstbezugs, der zugleich Bezugnahme auf beliebige andere Personen ist. Daher sind Zwecksetzungen und Inhaltserkenntnisse immer zugleich ein ›Fürsichsein‹ oder Selbstverhältnis des denkenden Subjekts, ein Selbstbezug, und eben damit auch ein ›Sein für Anderes‹ in interpersonalen Beziehungen. Der Mangel der subjektiven Zweckrationalität des homo oeconomicus besteht, wie man jetzt sieht, darin, dass dieser es gar nicht ernst meinen kann, wenn er sagt, es sei richtig, dass alle anderen auch Trittbrettfahrer gemeinsamer Institutionen sein sollen. Das aber tut er faktisch schon dann, wenn er die Welt nur aus seiner Perspektive, im Blicke des geistigen Tieres, ansieht und nur seine Interessen maximiert. Er bedenkt dabei nicht, was wir als das gute gemeinsame Handeln ansehen. Der homo oeconomicus weiß daher ganz genau, dass er den anderen seine Handlungsmaxime verheimlichen muss: Nur dann kann er von seinen Strategien profitieren. Kant hat daher Recht, dass die mögliche Verö=entlichung der Maxime ein gutes Zeichen dafür ist, dass sie moralisch gut ist.
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Denn nur Kooperationsformen, die in symmetrischer Weise von allen Beteiligten den Alternativen vorgezogen werden, können auch ö=entlich anerkannt werden. Im Gefangenendilemma ist es ja klar, dass die Kooperation die beste symmetrische Auszahlungsmatrix hat. Die Defektion erscheint nur dann als attraktiv, wenn man als Einzelner, wie man meint, nicht weiß, was die anderen tun werden. Man weigert sich, das Wissen zu benutzen, das sagt, was wir tun sollen, wenn wir die gemeinsame Sache selbst betrachten und nicht bloß unser Interesse maximieren. Eben damit macht man sich zum geistigen Tier.
b. Die gesetzgebende Vernunft 47. Von einem Gesetz in uns zu gemeinsamen Normen »Das geistige Wesen ist in seinem einfachen Sein reines Bewußtsein und dieses Selbstbewußtsein. Die ursprünglich-bestimmte Natur des Individuums hat ihre positive Bedeutung, an sich das Element und der Zweck seiner Tätigkeit zu sein, verloren; sie ist nur aufgehobenes Moment und das Individuum ein Selbst, als allgemeines Selbst. Umgekehrt hat die formale Sache selbst ihre Erfüllung an der tuenden, sich in sich unterscheidenden Individualität; denn die Unterschiede dieser machen den Inhalt jenes Allgemeinen aus. Die Kategorie ist an sich, als das Allgemeine des reinen Bewußtseins; sie ist ebenso für sich, denn das Selbst des Bewußtseins ist ebenso ihr Moment. Sie ist absolutes Sein, denn jene Allgemeinheit ist die einfache Sichselbstgleichheit des Seins.« (277 | 228)
Der Vollzug des ›ich denke dies . . . ‹ und ›ich handle so . . . ‹ ist das Absolute. Das ist nicht so, weil ›das Ich‹ oder ›die Seele‹ losgelöst von der objektiven Welt zu denken wäre, wie in der christlichen Philosophie oder noch bei Descartes, sondern weil jede Bezugnahme auf Welt einen solchen Vollzug voraussetzt. Als Vollzug aber hat das Absolute zwei Momente: das Tun des Einzelnen im Vollzug und die allgemeine Form des Vollzugs. Innere
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und äußere Form des Vollzugs, also Inhalt und Äußerungsform, sind immer schon Typen, eben Handlungsformen, wobei die Inhaltsgleichheit eine andere Äquivalenzbeziehung ist als die äußere Formgleichheit. Die Frage, was der Geist ist, ist seit Descartes eine Frage nach der Möglichkeit des Denkens. Sie fragt nach dem Vermögen, eine ›wahre‹ Sprache im Unterschied zu einem bloßen Signalsystem zu beherrschen. Descartes meint, ein solches geistiges Wesen, veraloquens, sei selbst ein individuelles Wesen, die menschliche Seele, die den Körper, auch die Zunge, über die Zirbeldrüse steuert. Hegel erkennt dagegen, dass das eigentliche Subjekt des Denkens und Sprechens weder das Gehirn noch der ganze Leib, noch auch das ganze einzelne Subjekt ist. Das logisch-grammatische ›Subjekt‹ des Denkens und Sprechens liegt vielmehr gerade als personales sozusagen mittig ›zwischen‹ dem personalen Einzelwesen, den anderen Personen und der ganzen Menschheit. Dieses ›Dazwischen‹ oder diese Mitte zeigt sich in der Form des Urteilens und Handelns, der zufolge je ich urteile, aber immer nur so, dass ich damit etwas Allgemeines tue, nämlich sage oder zeige, dass man so urteilen sollte. Das Ich ist nach dieser Analyse, wenn man den haltbaren Sinngehalt der traditionalen Reden kritisch rekonstruiert, also keine cartesische res cogitans. Die Geistseele wird zur Kategorie: Sie ist die Form des bewussten und damit denkenden bzw. mit-wissenden Handelns und Sprechhandelns. In diesem Sinn hält Hegel fest, dass ›das geistige Wesen‹ des Menschen in seinem einfachen, nicht etwa unmittelbaren, Sein oder Vollzug »reines Bewusstsein« und dieses Selbstbewusstsein sei. Das heißt, es besteht, wie das Wort »rein« immer sagt, aus der Form des Denkens. Diese Form ist zunächst die Form der Aussage, der Teilnahme an sprachlich artikulierbarem Wissen. Sie ist dann die Form des freien, auf allgemeine Richtigkeiten hin kontrollierten und weiter kontrollierbaren Handelns. Und sie ist, in der Performation, ein je durch mich sprechend aktualisiertes Selbstbewusstsein bzw. eine tätig handelnd aktualisierte Selbstbestimmung.
Gemeinsame Normen
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Nicht die ursprüngliche Natur als handlungsfreies Gegebensein des Individuums ist alleiniges Thema von Selbstwissen, sondern in urteilenden Selbstbeziehungen beziehe ich mich auf mich als personales Subjekt. Als Person bin ich mehr als bloß der Leib, der ich gerade bin oder in der Vergangenheit war. Ich bin Person allgemein und über die Zeit hinweg. Auch ein Selbst bin ich nur durch Teilnahme an einer allgemeinen Form der epistemischen oder praktisch-tätigen Selbstbezugnahme, also in der Selbstbeurteilung oder in der Selbstformung, Selbstbildung. Dabei sind Selbsturteile nicht einfach bloß Konstatierungen über sich. Sie enthalten immer auch schon self-fulfilling prophecies, wie man mehr schlecht als recht die Struktur nennt, dass mein Selbsturteil zum Teil die Person erst hervorbringt, auf die es sich bezieht, nämlich vermöge der Handlungsorientierung, die mit dem Urteil verbunden ist. Das eingesehen zu haben, ist eine der Großleistungen von William James, in gewisser Nachfolge Hegels und zusammen mit Charles Sanders Peirce. Umgekehrt gibt es Formen immer erst in ihren Realisierungen oder Verwirklichungen. Jede Selbstbezugnahme besteht in einem Tun. Dessen Inhalt ist als Bedingung der rechten Erfüllung bestimmt. In jeder Selbstbeziehung unterscheide ich mich als der Vollziehende von der Erfüllung der Beziehung durch mich selbst in der Selbstbezugnahme: Das Vollzugs-Ich der Performation einer Selbstaussage der Form `ich φ(ich) ist zwar hier und jetzt leiblich gegeben. Aber nur wenn die Aussage φ auf angemessene Weise auf mich zutri=t, oder, im Falle einer Prognose oder Absicht, zutre=en wird, ist der ›Selbstbezug‹ erfüllt. Ohne diese Unterscheidung zwischen Vollzugs-Ich und Bezugs-Ich einerseits, der Allgemeinheit der ›Relation‹ oder Erfüllungsbedingung φ andererseits, gäbe es keinen Selbstbezug. Die Kategorie ` φ bzw. `ich φ(ich) ist also das Allgemeine des reinen (Selbst-)Bewusstseins, die Form des (Selbst-)Wissens. Dass die Kategorie ›für sich‹ sei, bedeutet gerade, dass jeder Vollzug der Form von ` φ immer je mein Vollzug ist. Gerade daher aber ist er immer auch schon ein Vollzug der Form `ich φ(ich). Denn
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»das Selbst des Bewusstseins ist ebenso ihr Moment«. Und das heißt, dass ich nur etwas weiß oder bewusst so und so handle, wenn ich weiß, dass ich es weiß, bzw. dass ich so und so handle. Das absolute Sein ist also das sich-seiner-selbst-bewusst-Sein im bewussten Weltbezug, qua tätigem Vollzug. Die Allgemeinheit der betre=enden φ-Eigenschaften oder φ-Aussagen ist die einfache ›Sichselbstgleichheit des Seins‹, wie sich Hegel ausdrückt, um auf die Erfüllung der (Selbst-)Aussage hinzuweisen durch das, wie die Sache (selbst) ist. Speziell für die Aussage gilt: ihr Vollzug muss, erstens, die Bedingungen der Ehrlichkeit (sincerity) oder subjektiven Richtigkeit, also des Fremdtäuschungsverbots erfüllen, zweitens, die Kontrollbedingungen der Gewissenhaftigkeit (accuracy), der Verhinderung der Selbsttäuschung nach bestmöglichen Wissen und, drittens, nach Möglichkeit die transsubjektiven Bedingungen der zureichenden Richtigkeit für alle relevanten Folgen in der Kommunikation und im kooperativen Handeln. Um die Abhängigkeit von relevanten Richtigkeiten zu markieren, spreche ich von einer bürgerlichen Wahrheit im Kontrast zu einer bloß abstrakten und idealen Wahrheit. Hegel unterscheidet entsprechend zwischen einem endlichen und damit für Menschen realen Wissen und einem (bloß für eine reflexionslogische Analyse nach Art einer Geometrie idealer Sprach- und Urteilsformen entworfenen) unendlichen Wissen. Bekanntlich hat der (Amerikanische) Pragmatismus diese Unterscheidung in ihrer Brisanz begri=en. Besonders William James hat sie zur Grundlage seiner Kritik an transzendenten Deutungen einer bloß formalen Wahrheit und seiner Überlegungen zum immanenten Barwert der Wahrheit gemacht. Bei Hegel kommen aber die folgenden Unterscheidungen hinzu: erstens das generische Ansichsein des immer allgemeinen, auf Typisches gehenden, Inhalts; zweitens die Besonderheiten des je konkreten Falles, die selbst immer schon allgemein sind; drittens das Fürsichsein der Einzelsache. Dieses besteht in der Bestimmung dessen, was alles als sinnlich erfahrbare Präsentation oder willentlich produzierbare Repräsentation der konkreten Einzelsache, etwa eines Einzeldinges, zählt,
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Gemeinsame Normen
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wozu immer auch die innerweltliche Seinsweise der Sache bzw. des Dinges gehört, bei Menschen, Tieren und anderen Lebewesen z. B. die Vollzugsform ihres Lebens. Das Problem ist aber nach wie vor die Spannung zwischen subjektiver Gewissheit und transsubjektiver Geltung, also auch zwischen der Wohlbegründetheit eines Urteils und seiner Wahrheit. Wissensansprüche zielen über die bloße Rechtfertigung des Anspruchs hinaus auf wirkliche Geltung. Das eben haben wir in der bisherigen Analyse eingesehen. »Was also dem Bewußtsein der Gegenstand ist, hat die Bedeutung, das Wahre zu sein; es ist und gilt in dem Sinne, an und für sich selbst zu sein und [zu] gelten; es ist die absolute Sache, welche nicht mehr von dem Gegensatze der Gewißheit und ihrer Wahrheit [sic!, PSW], des Allgemeinen und des Einzelnen [sic!, PSW], des Zwecks und seiner Realität [hier geht es um Absicht und Handeln, PSW] leidet, sondern deren Dasein die Wirklichkeit und das Tun [sic!, PSW] des Selbstbewußtseins ist;« (277 | 228 f.)
Der Bezugsgegenstand des Wissens ist das Wahre, die volle Erfüllung der betre=enden Bedingung seiner Geltung. Es ist und gilt, sofern es existiert und wahr ist, ›an und für sich‹, also nicht bloß abstrakt an sich, und nicht bloß losgelöst von unserem Zugang. Es ist daher ein von uns nur vorgestelltes Für-sich-sein von einem echten Für-sich-sein zu unterscheiden. Das ›Anundfürsich‹ ist der voll erfüllte Vollzug. Als solcher ist er von uns (nicht im Sinne einer kontingenten Menge von Gläubigen) als richtig anerkannt. Im Vollzug dieses gemeinsamen Tuns des Anerkennens wird der Welt- und Selbstbezug ›absolut‹, also losgelöst vom rein Relativen, weil Relationalen, des einzelnen Meinens, Glaubens oder Dafürhaltens auf der einen Seite, des bloß allgemeinen Ansich als bloßer Möglichkeit eines Für-sich-seins eines ›Objekts‹ auf der anderen Seite. Damit erst löst sich der Gegensatz von bloß subjektiver Gewissheit und transsubjektiver Wahrheit auf. Es löst sich auf im ›erfolgreichen‹ und ›anerkannten‹ Tun, im gemeinsamen Vollzug des Anerkennens. Die Sache der Wahrheit, der Geist selbst, wird zur ›sittlichen Substanz‹. Das geschieht
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ganz gemäß der heraklitischen Formel ›¯ethos anthr¯op¯o daim¯on‹: der Geist und die Sittlichkeit des allgemein und konkret rechten Urteilens und Handelns sind für den Menschen ein und dasselbe. Das (Selbst-)Bewusstsein oder (Nach-)Denken in Bezug auf den Geist oder das Wahre führt daher zur Einsicht in die Identität von wahrem Selbstbewusstsein und sittlichem Bewusstsein: 419 b
»diese Sache ist daher die sittliche Substanz, das Bewußtsein derselben sittliches Bewußtsein. Sein Gegenstand gilt ihm ebenso als das Wahre, denn es vereinigt Selbstbewußtsein und Sein in einer Einheit; es gilt als das Absolute, denn das Selbstbewußtsein kann und will nicht mehr über diesen Gegenstand hinausgehen, denn es ist darin bei sich selbst: es kann nicht, denn er ist alles Sein und Macht, – es will nicht, denn er ist das Selbst oder der Willen dieses Selbsts. Er ist der reale Gegenstand an ihm selbst als Gegenstand, denn er hat den Unterschied des Bewußtseins an ihm; er teilt sich in Massen, welche die bestimmten Gesetze des absoluten Wesens sind. Diese Massen aber trüben den Begri= nicht, denn in ihm bleiben die Momente des Seins und reinen Bewußtseins und des Selbsts eingeschlossen, – eine Einheit, welche das Wesen dieser Massen ausmacht und in diesem Unterschiede diese Momente nicht mehr auseinander treten läßt.« (277 f. | 229)
Das bedeutet nicht, wie manche meinen, dass die Welt unsere Vorstellung sei. Es bedeutet, dass sich jede Wahrheit, selbst eine bloß mögliche oder bloß geglaubte, im gemeinsamen Leben zu zeigen hat. Der Vollzug dieses Lebens ist das Absolute, der absolute Gold-Standard des Wahren und des Wissens, nicht als jenseitig-transzendentes Ideal, sondern als reale Erfüllung der Idee oder Form eines guten, auch erfolgreichen, erfüllten, gemeinsamen Lebens in der Welt. Insofern will das Bewusstsein oder Wissen, nach dieser Einsicht, »nicht mehr über diesen Gegenstand hinausgehen«, denn in diesem ›inneren‹ Gegenstand des realen Wissens ist es schon »bei sich selbst«. Wir können aber auch nicht über dieses reale Vollzugswissen hinausgehen. Denn das Gesamt aller Gegenstände des Wissens und Könnens im Vollzug ist das, was es gibt, alles Sein, alle Macht und alles Können. Das Wissen will, wenn es sich recht versteht, nicht übergehen zu
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Gemeinsame Normen
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einem bloßen Glauben an eine transzendente Hinterwelt. Eine solche ist nicht Gegenstand des Wissens. Sie ist eine bloße Vorstellung. Auch Gott ist ein reiner Grenzbegri=. Damit wird klar, dass ›der Gegenstand‹ des Wissens sich aufteilt in Gegenstände und Momente, bestimmte Gesetze und so fort. Die Einheit der Gegenstände wird ausgedrückt durch Wörter wie »Welt« oder eben »Selbst« und »Ich«, gerade weil alles Welt-Wissen ein SelbstWissen und alles Selbst-Wissen ein Welt-Wissen ist. Das Selbst selbst aber sind am Ende Wir, nicht je bloß ich. Alle Bestimmungen sind Unterschiede in der Welt. Und alle Unterschiede beruhen auf unseren Unterscheidungen, nicht bloß meinen Unterscheidungen. »Diese Gesetze oder Massen der sittlichen Substanz sind unmittelbar anerkannt [sic!, PSW]; es kann nicht nach ihrem Ursprunge und Berechtigung gefragt und nach einem Anderen gesucht werden, denn ein anderes als das an und für sich seiende Wesen wäre nur das Selbstbewußtsein selbst [präsupponierte Formen können nicht sinnvoll bezweifelt, nur explizit gemacht werden, PSW]; aber es ist nichts anderes als dies Wesen, denn es selbst ist das Fürsichsein dieses Wesens, welches eben darum die Wahrheit ist, weil es eben so sehr das Selbst des Bewußtseins als sein Ansich oder reines Bewußtsein ist.« (278 | 229)
Von der einzelnen Person sind die Gesetze oder Normen des Richtigen in ihrer ›naturhaften‹ (wesensbestimmten) Diversifizierung als gegebene Formen zunächst unmittelbar anerkannt. Sie müssen anerkannt werden, da sonst das Rede- und Verhaltenswesen nicht als kompetente Person zählen würde. Im Vollzug der Aktualisierung von Formen kann nach der Herkunft oder der Berechtigung der Normen und Formen selbst also gar nicht gefragt werden. Das zeigt die Sinngrenzen jeder (immer von je heute her konstruierten) Genealogie der Moral, genauer, des Ethos, der Sittlichkeit, oder überhaupt jeder Entstehungsgeschichte von Geltungsbedingungen. Eine solche ist wichtig zur Entprovinzialisierung der Gegenwart. Aber sie kann den normativen Ausgangspunkt unserer Wissensansprüche nicht unterlaufen. In diesem
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Die gesetzgebende Vernunft
Punkt gibt Hegel Kant Recht und wendet sich gegen mögliche relativistische Fehldeutungen, wie sie sich aus Herders prä-darwinianischen Geschichten über den Ursprung des Menschseins ergeben könnten. Der Einzelne vermag es, sofern er kompetent ist, die gegebenen Formen des Richtigen normalerweise, also wenn alles gut geht, hinreichend zu erfüllen. Der Fall ist klar etwa im Fall der Gesetze und Regeln der Arithmetik oder Geometrie: Der Schüler muss dazu den Umgang mit Symbolen und geometrischen Diagrammen erst einmal beherrschen lernen. Dann aber beherrscht er sie gut und kann seinen Erfolg weitgehend selbst kontrollieren. Deswegen lieben alle Freunde einer Identität von Gewissheit und Wissen die Mathematik. Und alle Freunde der Mathematik und einer formalen Logik unterschätzen die Di=erenz in allen weltbezogenen Aussagen. Erst wenn wir sehen, wie Gewissheit und Wissen auseinander fallen, und zwar oft sogar in der Mathematik, erkennen wir, dass noch Kants Appell an eine vorgegebene Vernunftordnung bloß subjektiv bleibt. Die Folge ist, dass die transzendentale Vernunftreflexion selbst immer bloß erst ›relativ‹ ist: Sie bleibt abhängig von den für die jeweilige Person vorgegebenen Normen und Formen des Richtigen, den real schon anerkannten Bedingungen und Kriterien des Sinnvollen, Wahren und Guten. Die transzendentale Vernunftreflexion reflektiert damit immer bloß erst auf die tradierten und gegebenen Formen und Normen einer bestimmten Kultur der Sittlichkeit, welcher sich das einzelne Subjekt damit schon unterworfen hat, gerade indem es als personales Subjekt auftritt. Ironischerweise ist daher Kants transzendentale Reflexion implizit viel ›konservativer‹ als es scheint: Sie setzt z. B. gegebene Formen wie das Eigentum einfach voraus. Hegels transzendentale Stufenanalyse geschichtlicher Entwicklung zielt dagegen auf eine rationale Rekonstruktion einer Herkunftsgeschichte von heute her ab. Ziel ist ein explizites Bewusstsein unserer Lage. Hilfsmittel ist eine Gründegeschichte. Sie produziert Einsichten in die Funktionen der tradierten Normen und Formen, samt einer nicht-dogmatischen Vernunftkritik.
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Gemeinsame Normen
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»Indem das Selbstbewußtsein sich als Moment des Fürsichseins dieser Substanz weiß, so drückt es also das Dasein des Gesetzes in ihm so aus, daß die gesunde Vernunft unmittelbar weiß, was recht und gut ist. So unmittelbar sie es weiß, so unmittelbar gilt es ihr auch, und sie sagt unmittelbar: dies ist recht und gut. Und zwar dies; es sind bestimmte Gesetze, es ist erfüllte inhaltsvolle Sache selbst.« (278 | 229)
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Der Fehler ›der Vernunft‹ ist ihre Unmittelbarkeitsunterstellung. Das Dasein oder die Gegebenheit ›des Gesetzes‹, des Systems der Normen des Richtigen, drückt sich so aus, dass die »gesunde Vernunft« unmittelbar weiß, was recht und gut ist. Diesem unmittelbaren Objekt- und Meta-Wissen über die Normen und Kriterien entspricht ein unmittelbares Urteilen der Form »dies ist recht und gut«. Hier urteilt ›die Vernunft‹, die weiß (zu wissen meint), dass alle Kriterien des Rechten und Guten ihre eigenen sind. Dabei übersieht sie aber leicht die epochale und kulturelle Abhängigkeit ihrer eigenen, wenn auch schon kollektiven, Selbstgewissheiten. Diese hängen ab von der geschichtlichen Gegebenheit der Normen. Eben daher bleibt gerade die Autonomie der Vernunft als Gewissheit, alle Realität und alle Wahrheit zu sein, in gewissem Sinn ›provinziell‹. Und das heißt, sie ist eine ›halbierte‹ Vernunft, gerade weil sie die prekäre Gemeinsamkeit des Anerkennens und die Geschichtlichkeit der geltenden Normen des Richtigen völlig ausblendet. Die Selbstaufklärung subjektiver Vernunft ist nicht genug an Aufklärung. »Was sich so unmittelbar gibt, muß ebenso unmittelbar aufgenommen und betrachtet werden; wie von dem, was die sinnliche Gewißheit unmittelbar als seiend ausspricht, ist auch von dem Sein, welches diese sittliche unmittelbare Gewißheit ausspricht, oder von den unmittelbar seienden Massen des sittlichen Wesens zu sehen, wie sie bescha=en sind. Die Beispiele einiger solcher Gesetze werden dies zeigen, und indem wir sie in der Form von Aussprüchen der wissenden gesunden Vernunft nehmen, haben wir nicht erst das Moment herbeizubringen, welches an ihnen, sie als unmittelbare sittliche Gesetze betrachtet, geltend zu machen ist.« (278 | 229)
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Die gesetzgebende Vernunft
278 f. | 229 f.
Es geht uns um ein volles Selbstbewusstsein. Dazu werden wir alle angeblichen Unmittelbarkeiten und Apriorismen in der Vernunftreflexion kritisch zu betrachten haben. Formal werden sich kritische Reflexionsformen wiederholen, wie wir sie schon aus dem Kontext der scheinbar unmittelbaren sinnlichen Gewissheit kennen; dort war das Thema die scheinbar unmittelbare perzeptive Gewissheit. Jetzt geht es um den Schein der Unmittelbarkeit aller Urteile, auch der sittlichen, im Modus des ›Man‹ und des ›Wir‹, am Ende um die Einsicht in die begri=lich notwendige Offenheit unserer Wahrheits- und Richtigkeitskontrollen. Es folgen Beispiele solcher für unmittelbar geltenden Gesetze oder Normen samt der unmittelbaren Reflexionsformen der sogenannten gesunden Vernunft: 423 a
»›Jeder soll die Wahrheit sprechen.‹ – Bei dieser als unbedingt ausgesprochenen Pflicht wird sogleich die Bedingung zugegeben werden: wenn er die Wahrheit weiß. Das Gebot wird hiemit itzt so lauten: jeder soll die Wahrheit reden, jedesmal nach seiner Kenntnis und Überzeugung davon [sic!, PSW]. Die gesunde Vernunft, eben dies sittliche Bewußtsein, welches unmittelbar weiß, was recht und gut ist, wird auch erklären, daß diese Bedingung mit seinem allgemeinen Ausspruche schon so verbunden gewesen sei, daß sie jenes Gebot so gemeint habe. Damit gibt sie aber in der Tat zu, daß sie vielmehr schon unmittelbar im Aussprechen desselben dasselbe verletzte; sie sprach: jeder soll die Wahrheit sprechen; sie meinte aber, er solle sie sprechen nach seiner Kenntnis und Überzeugung davon; das heißt, sie sprach anders als sie meinte, und anders sprechen, als man meint, heißt die Wahrheit nicht sprechen. Die verbesserte Unwahrheit oder Ungeschicklichkeit drückt sich nun so aus: jeder solle die Wahrheit nach seiner jedesmaligen Kenntnis und Überzeugung davon sprechen. – « (278 f. | 229 f.)
Das erste Beispiel macht dabei klar, dass Hegel sich hier erneut implizit mit Kant auseinandersetzt. Denn für Kant ist das Wahrheitsgebot, genauer, das Gebot der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Aussagen, bekanntlich das Fundament der Tugendlehre und Moral. Hegel repräsentiert diesen zentralen Sonderfall des ›Kategorischen Imperativs‹ – als welchen Kant das Lügenverbot in der
Gemeinsame Normen
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Tat versteht –, indem er ihn nicht als generische Norm, sondern als universalen, allquantifizierten, ›unbedingten‹, Sollensatz notiert: »Jeder soll die Wahrheit sprechen«. Dabei zeigt er, dass wir immer stillschweigend Einschränkungen machen, so, als gäbe es hier so etwas wie eine allgemeine ›ceteris-paribus-Bedingung‹, bestehend aus vielen Einzelbedingungen für den relevanten Fall. Als erste Bedingung nennt Hegel: »wenn« er die Wahrheit weiß. Es ist dies ein Sonderfall des ›ultra posse nemo obligatur‹, über mein Vermögen hinaus kann ich zu nichts verpflichtet sein. Hegel führt nun vor, wie der unbedingte Sollensatz sozusagen durch allerlei Bedingungen zerfleddert wird. Jeder soll also die Wahrheit sagen nach Maßgabe seiner Kenntnis und Überzeugung. So sei der Satz »gemeint« gewesen. Hegels tiefe Ironie beweist sich hier in scheinbar sophistischen Argumenten. Die Kurzform des Prinzips ist ja wörtlich schon unwahr, weil sie etwas anderes sagte, als sie meinte. Der ernste Punkt ist dieser: In jeder konkreten Anwendung auch nach der verbesserten Formel des Lügenverbots werden sich zusätzliche Quisquilien und Bedingungen ergeben, die man nicht einfach schon mitmeinen und schon gar nicht mitsagen kann. Eine dieser Bedingungen ist natürlich die, dass wir auch noch berücksichtigen müssen, ob denn alles Wahre zu sagen ist und wem gegenüber wir verpflichtet sind, die Wahrheit zu sagen. Schon Kant selbst scheitert gegen Benjamin Constant, der zu Recht gezeigt hat, dass es Fälle gibt, in denen wir sogar moralisch verpflichtet sein können zu lügen, etwa wenn ein (Gestapo-)Häscher uns fragt, ob ein unschuldig von den Häschern Verfolgter sich in unserem Haus befindet. Hier hilft auch die von Kant vorgeschlagene Variante der Zeugnisverweigerung nicht weiter: Sie liefert den Häschern zu viel an Information.101 Wir dürfen hier nicht nur die Unwahrheit 101 Immanuel Kant, »Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu
lügen.« Kant hat Recht, dass die Abschätzung der guten (oder schlechten) Folgen eine moralische Norm nicht entkräften kann. Er übersieht aber, dass es immer systematische Ausnahmen gibt, dass kein Gesetz ein univer-
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Die gesetzgebende Vernunft
sagen, wir müssen dies tun. Entscheidend sind hier nicht etwa die ›Menschenliebe‹ und die subjektive Abschätzung utilitaristischer Gründe, etwa im Blick auf die erho=ten und erwartbaren guten Konsequenzen. Entscheidend ist, dass ein ›universal‹ (allquantifiziert, schematisch) gedeutetes Lügenverbot sich hier einfach als falsch erweist. Wir können nicht nur wollen, wir wollen tatsächlich alle, dass ungerechte Häscher nicht in die Lage kommen, mit Hilfe des Wahrheitsgebots Informationen aus uns herauszupumpen, die sie nicht erhalten dürfen. Diese Tatsache wollte oder konnte Kant nicht einsehen – womit seine Ethik im Grundsatz scheitert, und zwar gerade weil sie eine Grundsatz- oder Prinzipienethik sein will, die Prinzipien aber als All-Sätze deutet, nicht als allgemeine Normen. Kant unterschätzt also die generische Logik des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen. 423 b
»Damit aber hat sich das allgemein Notwendige, an sich Geltende, welches der Satz aussprechen wollte, vielmehr in eine vollkommene Zufälligkeit verkehrt. Denn daß die Wahrheit gesprochen wird, ist dem Zufalle, ob ich sie kenne und mich davon überzeugen kann, anheimgestellt; und es ist weiter nichts gesagt, als daß Wahres und Falsches durcheinander, wie es kommt, daß es einer kennt, meint und begreift, gesprochen werden solle. Diese Zufälligkeit des Inhalts hat die Allgemeinheit nur an der Form eines Satzes, in der sie ausgedrückt ist; aber als sittlicher Satz verspricht er einen allgemeinen und notwendigen Inhalt und widerspricht so durch die Zufälligkeit desselben sich selbst. – Wird endlich der Satz so verbessert, daß die Zufälligkeit der Kenntnis und Überzeugung von der Wahrheit wegfallen und die Wahrheit auch gewußt werden solle, so wäre dies ein Gebot, welches dem geradezu widerspricht, wovon ausgegangen wurde. Die gesunde Vernunft sollte zuerst unmittelbar die Fähigkeit haben, die Wahrheit auszusprechen; itzt aber ist gesagt, daß sie sie wissen sollte, d. h. sie saler, allquantifizierter, Satz ist. Das heißt, er erkennt die Bedeutsamkeit seiner eigenen Überlegungen zur bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft in der Kritik der Urteilskraft für die Gesamtanalyse noch nicht richtig.
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Gemeinsame Normen
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nicht unmittelbar auszusprechen wisse. – Von Seite des Inhalts betrachtet, so ist er in der Foderung, man solle die Wahrheit wissen, hinweggefallen; denn sie bezieht sich auf das Wissen überhaupt: man soll wissen; was gefodert ist, ist also vielmehr das von allem bestimmten Inhalte Freie. Aber hier war von einem bestimmten Inhalt, von einem Unterschiede an der sittlichen Substanz die Rede. Allein diese unmittelbare Bestimmung derselben ist ein solcher Inhalt, der sich vielmehr als eine vollkommene Zufälligkeit zeigte und, in die Allgemeinheit und Notwendigkeit erhoben, so daß das Wissen als das Gesetz ausgesprochen wird, vielmehr verschwindet.« (279 f. | 230)
Gewissenhaftigkeit verlangt nicht nur, das zu sagen, was wir gerade zufällig für wahr halten, sondern unser Wissen so zu entwickeln, dass unsere Überzeugungen wahr sind. Wieder geht es um die Di=erenz unmittelbarer Wahrhaftigkeit als Ehrlichkeitsgefühl und einer akkuraten Selbstkontrolle nach genügender Selbstbildung. Und es geht um das Problem der Logik der Allgemeinheit im Kontrast zu immer auch bloß zufälligen, akzidentellen, Allaussagen. Hegel selbst führt den Gedanken so fort: Betrachtet man das Wahrhaftigkeitsgebot als universalen, allquantifizierten Satz, aber mit stillschweigenden Ausnahmebedingungen, dann würde sich das allgemein Notwendige, das die Artikulation der Norm ausdrücken wollte, in die Zufälligkeit der Erfüllung teils explizit genannter, teils nicht genannter Zusatzbedingungen verkehren. Die Zufälligkeit meiner Gewissheiten ist dadurch aufzuheben, dass man sich ganz allgemein dazu verpflichtet, ›die Wahrheit zu wissen‹. Doch die Norm, sich um Wissen zu bemühen, hat bloß eine ›weite Verbindlichkeit‹, wie Kant gesagt hätte. Zweitens reicht die Ehrlichkeit des Meinens und Glaubens nicht aus, wie wir schon gesehen haben. Drittens ist es nie unmittelbar klar, was es heißt, die Wahrheit zu sagen. Das setzte voraus, dass wir die Wahrheit auch wissen und dies nicht bloß meinen. Es ist also zwischen Wahrheit, Wahrheitsliebe als dem Streben nach Wissen und bloßer Redlichkeit als Selbstgefühl der Wahrhaftigkeit zu unterscheiden. Die so genannte gesunde Vernunft, von der man im Frankreich der Aufklärungszeit ganz besonders gern spricht,
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Die gesetzgebende Vernunft
weiß also weder unmittelbar, was wahr ist, noch weiß sie unmittelbar, wann und wem sie ›die Wahrheit‹ sagen muss, und was das je konkret heißt. Denn die Bedingungen des Richtigen sind nicht in ihrer unmittelbaren Macht, anders als das noch Kant suggeriert. Hier geht es aber ohnehin nur erst darum einzusehen, dass die unmittelbare ›vernünftige Einsicht‹ oder ›intuitive Vernunft‹ bzw. das ›gesunde Volksempfinden‹ eines ›common sense‹ nicht ausreicht, um die Gesetze und Normen des Richtigen zu ›geben‹ oder auch nur zu ›artikulieren‹. 424
»Ein anderes berühmtes Gebot ist: Liebe deinen Nächsten als dich selbst. Es ist an den Einzelnen im Verhältnisse zu den Einzelnen gerichtet und behauptet es als ein Verhältnis des Einzelnen zum Einzelnen oder als Verhältnis der Empfindung. Die tätige Liebe – denn eine untätige hat kein Sein und ist darum wohl nicht gemeint – geht darauf, Übel von einem Menschen abzusondern und ihm Gutes zuzufügen. Zu diesem Behuf muß unterschieden werden, was an ihm das Übel, was gegen dies Übel das zweckmäßige Gute und was überhaupt sein Wohl ist; d. h. ich muß ihn mit Verstand lieben; unverständige Liebe wird ihm schaden, vielleicht mehr als Haß. Das verständige wesentliche Wohltun ist aber in seiner reichsten und wichtigsten Gestalt das verständige allgemeine Tun des Staats – ein Tun, mit welchem verglichen das Tun des Einzelnen als eines Einzelnen etwas überhaupt so Geringfügiges wird, daß es fast nicht der Mühe wert ist, davon zu sprechen. Jenes Tun ist dabei von so großer Macht, daß, wenn das einzelne Tun sich ihm entgegensetzen und entweder geradezu für sich Verbrechen sein oder einem andern zuliebe das Allgemeine um das Recht und den Anteil, welchen es an ihm hat, betrügen wollte, es überhaupt unnütz sein und unwiderstehlich zerstört werden würde. Es bleibt dem Wohltun, welches Empfindung ist, nur die Bedeutung eines ganz einzelnen Tuns, einer Nothilfe, die ebenso zufällig als augenblicklich ist. Der Zufall bestimmt nicht nur seine Gelegenheit, sondern auch dies, ob es überhaupt ein Werk ist, ob es nicht sogleich wieder aufgelöst und selbst vielmehr in Übel verkehrt wird. Dieses Handeln also zum Wohl anderer, das als notwendig ausgesprochen wird, ist so bescha=en, daß es vielleicht existieren kann, vielleicht
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Gemeinsame Normen
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auch nicht; daß, wenn der Fall zufälligerweise sich darbietet, es vielleicht ein Werk, vielleicht gut ist, vielleicht auch nicht. Dies Gesetz hat hiemit ebensowenig einen allgemeinen Inhalt als das erste, das betrachtet wurde, und drückt nicht, wie es als absolutes Sittengesetz sollte, etwas aus, das an und für sich ist. Oder solche Gesetze bleiben nur beim Sollen stehen, haben aber keine Wirklichkeit; sie sind nicht Gesetze, sondern nur Gebote.« (280 | 230 f.)
Der Staat ist in Hegels Begri=lichkeit nicht die Regierung, sondern das gesamte System der ö=entlichen Institutionen, unter Einschluss der Rahmen-Struktur von Korporationen und freien Vereinen. Zum Staat gehört also das Recht und die Wissenschaft, die Rahmenregeln des Eigentumschutzes, des Tausches und Kaufes, also auch das Geldwesen als Rahmen für eine moderne Ökonomie. Besonders aber gehört zum Staat das durch Steuern finanzierte Sozialwesen. Diesem gegenüber ist das traditionelle Almosenwesen des Christentums oder Islams nicht etwas Gutes, sondern etwas Schlechtes. Das zeigt Hegel an der Ambivalenz des Gebots der Nächstenliebe, welches fordert, jeden Menschen, der in einem entsprechenden Realbezug zu mir steht, so zu lieben, wie ich mich selbst lieben soll. Ich soll also ihm und mir Gutes tun und Übel abwenden. Das setzt voraus, dass ich weiß, was je für ihn gut und übel ist. Bloß ehrlich empfundene ›Liebe‹ ist keine echte Liebe, schadet oft auch mehr, als sie nützt, wenn sie nicht einhergeht mit dem Wissen, was wirklich gut für die anderen Personen ist. Wenn man aber das rechte Wohltun bedenkt, dann ist die individuelle und zufällige Caritas der Almosenhilfe falsch, die Organisation eines alle in eine gute Sozialordnung einbegreifenden Staates dagegen der rechte Weg. Statt Almosen zu geben sind Steuern zu zahlen! Das ist im Grunde die Einsicht Hegels. Es mag daher zwar provokativ gemeint sein, ist aber nichtsdestoweniger töricht, wenn man zugunsten der subjektiven Befriedigung der Freiwilligenhilfe auf staatliche ›Zwangshilfen‹ zu verzichten vorschlägt, wie das Peter Sloterdijk bekanntlich getan hat und sich damit als ultralibertärer Willkürdenker zu erkennen gibt. Der Kontrast zeigt, wie richtig
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Die gesetzgebende Vernunft
und wichtig Hegels Sozialstaatsidee gegen jeden mittelalterlichen ›Liberalismus‹ ist. Der Zufall der bloßen Freiwilligenhilfe zeigt also den Mangel oder auch nur die Grenze der ›Nächstenliebe‹. Als solche ist sie bloß kommunitarische Ergänzung einer guten, staatlich organisierten, Sozialordnung. Sie ist weder deren Grundlage noch ein zureichender Ersatz. Als freie Empfehlung für das freie kooperative Handeln ist das Gebot der Nächstenliebe auch kein ›Gesetz‹, keine allgemeine ›Norm‹, sondern ein Sollenssatz von weiter Verbindlichkeit, eben ein bloßes ›Gebot‹, wie Hegel sich ausdrückt. Wirklich wird eine gute Sozialordnung nur über Gesetze, also über das Recht, nicht über eine bloß freie ›Tugendlehre‹. Analoges gilt für das freie Gebot, das Allgemeinwohl zu befördern. Auch dieses kann und darf nie als sittliches ›Gesetz‹ oder als moralische ›Pflicht‹ missverstanden werden. Der Utilitarismus ist sogar gerade darin unsittlich oder unethisch, dass er ein entsprechendes ›Gebot‹ als moralische ›Pflicht‹ behauptet und angeblich als unmittelbar einsichtig ausgibt – ohne zu bemerken, dass niemand moralisch ›verpflichtet‹ ist, das Allgemeinwohl auf ›maximale Weise‹ zu befördern, sondern immer nur, die Gesetze des guten Zusammenlebens zu erfüllen. Kurz: Der Utilitarismus verwechselt Supererogatorisches mit moralischer Pflicht. Doch die einzige moralische Pflicht, die es sicher gibt, ist die Kooperativität. Die Auseinandersetzung mit den subtilen Sophistiken des Utilitarismus im Detail ist hier allerdings weder nötig noch möglich. 425
»Es erhellt aber in der Tat aus der Natur der Sache selbst, daß auf einen allgemeinen absoluten Inhalt Verzicht getan werden muß; denn der einfachen Substanz – und ihr Wesen ist dies, einfache zu sein – ist jede Bestimmtheit, die an ihr gesetzt wird, ungemäß. Das Gebot in seiner einfachen Absolutheit spricht selbst unmittelbares sittliches Sein aus; der Unterschied, der an ihm erscheint, ist eine Bestimmtheit und also ein Inhalt, der unter der absoluten Allgemeinheit dieses einfachen Seins steht. Indem hiemit auf einen absoluten Inhalt Verzicht getan werden muß, kann ihm nur die formale Allgemeinheit oder dies, daß es sich nicht widerspreche, zukommen; denn die inhaltslose All-
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Gemeinsame Normen
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gemeinheit ist die formale, und absoluter Inhalt heißt selbst soviel als ein Unterschied, der keiner ist, oder als Inhaltslosigkeit.« (281 | 231)
Aus dem Wesen des Normativen selbst ergibt sich, dass ›die Vernunft‹ des Einzelnen auf die Bestimmung des Inhalts der Normen verzichten muss. Ebenso muss aber auf die Vorstellung verzichtet werden, es gäbe einen ›absoluten Inhalt‹ des Normativen, den es je nur richtig anzuwenden gälte. Denn jede bloß schematische Bestimmung des normativ Richtigen passt nicht zur Idee der ›einfachen Substanz‹, die man hier als gute Form gemeinsamen Lebens konkretisieren darf. Das moralische Gebot sagt, allgemein, dass wir sittlich gut leben sollen, nicht, was das sittlich Gute je konkret ist. Es ist ein formales Prinzip. Die Sittlichkeit des konkreten Zusammenlebens, der rechtlichen und staatlich verfassten Gesetze und der informalen Gebote guten Gemeinschaftslebens geben erst den Inhalt. »Was dem Gesetzgeben übrig bleibt, ist also die reine Form der Allgemeinheit oder in der Tat die Tautologie des Bewußtseins, welche dem Inhalt gegenübertritt und ein Wissen nicht von dem seienden oder eigentlichen Inhalte, sondern von dem Wesen oder der Sichselbstgleichheit desselben ist.« (281 | 231 f.)
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Die Vernunft ›gibt‹ keine konkreten Gesetze, sondern artikuliert bloß die Form der Anerkennung schon gegebener Gesetze. Der Inhalt ist gegeben, das einzelne ›Bewusstsein‹ oder Mitwissen der Einzelperson erkennt sie bewusst an, setzt sie aber nicht. Das Wissen des Inhalts ist nicht unmittelbar, nur die Form der Anerkennung. Der Satz enthält schon eine Fundamentalkritik an Kants kategorischem Imperativ, verstanden als ein Verfahren der Bestimmung oder Setzung von Gesetzen oder Pflichten der Moral. »Das sittliche Wesen ist hiemit nicht unmittelbar selbst ein Inhalt, sondern nur ein Maßstab, ob ein Inhalt fähig sei, Gesetz zu sein oder nicht, indem er sich nicht selbst widerspricht. Die gesetzgebende Vernunft ist zu einer nur prüfenden Vernunft herabgesetzt.« (281 | 232)
Der kategorische Imperativ ist also nicht die Form der autonomen Gesetzgebung praktischer Vernunft, als die ihn Kant
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Gesetzprüfende Vernunft
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ausgibt. Er ist nur eine Form der subjektiven Prüfung, ob ein schon wirkliches Gesetz oder ein von mir vorgeschlagenes Gesetz kohärent bzw. konsistent ist insofern, als es von allen Betro=enen im Tun anerkannt werden könnte. An der Richtigkeit dieser logisch absolut begründeten kritischen Einsicht Hegels gegen Kants Praktische Philosophie ist nicht sinnvoll zu zweifeln. Dem Klang nach ist das Ergebnis der Überlegung dennoch unerhört: Autonomie, also Selbstgesetzgebung der Vernunft, kann es auf der Ebene des Einzelnen gar nicht geben, und das aus allgemeinen logischen Gründen. Der Einzelne muss das Gesetz in seinem Inhalt voraussetzen. Er kann nur noch den Inhalt prüfen, gerade auch der positiven Gesetze, erstens, ob dieser seinem Urteil nach vernünftig ist, zweitens, wie er jeweils vernünftig anzuwenden ist. Die Vernunft des Einzelnen darf sich also nicht zur gesetzesgebenden Instanz aufschwingen, sondern darf und kann bestenfalls gesetzprüfende Instanz sein. Doch auch diese Gesetzesprüfung bleibt höchst beschränkt, wie wir gleich sehen werden.
c. Gesetzprüfende Vernunft 48. Teilnahme an der Entwicklung eines gemeinsamen Ethos 428 a
»Ein Unterschied an der einfachen sittlichen Substanz ist eine Zufälligkeit für sie, welche wir an dem bestimmten Gebote als Zufälligkeit des Wissens, der Wirklichkeit und des Tuns hervortreten sahen.« (281 | 232)
Alle konkreten Ausprägungen von Sittlichkeit sind der Idee nach Varianten des einen Guten. Das heißt nur, dass zwischen dem, was sie leisten sollen, und dem, was sie leisten, immer auch ein kontingentes Verhältnis besteht, so wie zwischen verschiedenen Artikulationen des gleichen Inhalts. Vom Inhalt her gesehen sind also die Di=erenzen der unterschiedlichen Sittlichkeiten bloß ›zufällig‹. Das heißt, es gibt trotz aller Anerkennung
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Gemeinsames Ethos
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von Relativismen eine Idee oder Entwicklungsform des Ethos, der menschlichen Sittlichkeit, deren ›Ziel‹ ein gutes gemeinsames Leben ist. Ganz analog dazu ist das Einzelwissen Einzelner in Bezug auf das gemeinsame Wissen ›kontingent‹ und ›zufällig‹. »Die Vergleichung jenes einfachen Seins und der ihm nicht entsprechenden Bestimmtheit fiel in uns; und die einfache Substanz hat sich darin formale Allgemeinheit oder reines Bewußtsein zu sein gezeigt, das frei von dem Inhalte ihm gegenübertritt und ein Wissen von ihm als dem bestimmten ist.« (281 | 232)
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Es ist je durch uns selbst zu beurteilen, was konkret als Norm gilt und wie das Normative im Sinne des Richtigen anzuwenden ist. Dabei vergleichen wir die Idee des allgemein Guten mit den realen Bestimmtheiten. Die ›einfache Substanz‹ entspricht dabei in etwa einer allgemeinen Norm wie im Artikel 1 des Grundgesetzes von der Würde der Person: In gewissem Sinn ist diese Normidee noch sehr allgemein, fast inhaltsfrei, bloß formal. Sie taugt nur für eine gesetzprüfende Vernunft in Bezug auf Artikulationsform und Anwendung von Gesetzen, wie alle Grundprinzipien ethischen Seins. »Diese Allgemeinheit bleibt auf diese Weise dasselbe, was die Sache selbst war.« (281 | 232)
248 c
Im Umgang mit solchen Prinzipien besteht die Gefahr, dass wir zurückfallen in den bloßen Appell, dass das, was wir epistemisch als die Sache selbst oder normativ als allgemein gültig anerkennen, auch von allen anderen Personen Anerkennung verdiene. Doch immerhin ist jetzt klar, dass die Form der Allgemeinheit erkannt und gewollt ist. »Aber sie ist im Bewußtsein ein anderes; sie ist nämlich nicht mehr die gedankenlose träge Gattung, sondern bezogen auf das Besondere und geltend für dessen Macht und Wahrheit. – « (281 f. | 232)
Gerade aufgrund der Einsicht in die Formalität des Allgemeinen wird jetzt nicht bloß eine abstrakte Allgemeinheit, sondern je etwas Konkretes und damit je Besonderes als geltend oder wahr behauptet bzw. anerkannt oder seine Wahrheit oder Anerkennungswürdigkeit je selbständig geprüft.
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Gesetzprüfende Vernunft
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»Dies Bewußtsein scheint zunächst dasselbe Prüfen, welches wir vorhin waren, und sein Tun nichts anderes sein zu können, als schon geschehen ist, eine Vergleichung des Allgemeinen mit dem Bestimmten, woraus sich ihre Unangemessenheit wie vorhin ergäbe.« (282 | 232)
Wie ist die Di=erenz einer selbständig-vernünftigen Gesetzesprüfung zu den bisher schon betrachteten Urteilsformen zu begreifen? 428 f
»Aber das Verhältnis des Inhalts zum Allgemeinen ist hier ein anderes, indem dieses eine andere Bedeutung gewonnen hat; es ist formale Allgemeinheit, deren der bestimmte Inhalt fähig ist, denn in ihr wird er nur in Beziehung auf sich selbst betrachtet.« (282 | 232)
Der gesetzprüfenden Vernunft geht es um die Frage, ob eine schon etablierte oder real schon als möglich erwiesene allgemeine Handlungsform als allgemeines Gesetz oder allgemeine Regel von uns allen weiterhin gewollt werden könne. 428 g
»Bei unserem Prüfen stand die allgemeine gediegene Substanz der Bestimmtheit gegenüber, welche sich als Zufälligkeit des Bewußtseins, worein die Substanz eintrat, entwickelte.« (282 | 232)
Eine rein subjektive Prüfung der bloßen Konsistenz je meiner Maximen oder subjektiven Handlungsregeln in Bezug darauf, was ich allgemein wollen kann, dass auch alle anderen es als erlaubt, verboten oder geboten anerkennen bzw. tun, reicht nie aus. Geprüft werden jetzt die gegebenen Gesetze, ob wir sie vernünftigerweise weiter anerkennen sollen, ober ob es sinnvoll ist, Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu machen. Dabei darf die Gesetzprüfung die gegebenen Gesetze nicht einfach für ungültig erklären. Tut sie das dennoch, dann ist der Kontrast zwischen faktischer Geltung und Gültigkeit falsch verstanden. 428 h
»Hier ist das eine Glied der Vergleichung verschwunden; das Allgemeine ist nicht mehr die seiende und geltende Substanz oder das an und für sich Rechte, sondern einfaches Wissen oder Form, welche einen Inhalt nur mit sich selbst vergleicht und ihn betrachtet, ob er eine Tautologie ist.« (282 | 232)
Es ist eine konkrete Kritik an tradierten ethischen Institu-
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Gemeinsames Ethos
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tionen von einer frei schwebenden moralischen Autonomie, der Selbstgesetzgebung, zu unterscheiden. Letztere kontrolliert bloß die Konsistenz eines beliebigen, auch utopischen, WollenKönnens. »Es werden Gesetze nicht mehr gegeben, sondern geprüft; und die Gesetze sind für das prüfende Bewußtsein schon gegeben; es nimmt ihren Inhalt auf, wie er einfach ist, ohne in die Betrachtung der seiner Wirklichkeit anklebenden Einzelnheit und Zufälligkeit einzugehen, wie wir taten, sondern bleibt bei dem Gebote als Gebote stehen und verhält sich ebenso einfach gegen es, als es sein Maßstab ist.« (282 | 232 f.)
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Würde sich Kant nicht stillschweigend auf ein tradiertes Ethos stützen, dann würden in Kants Moral irgendwelche Einfälle geprüft. Von der – immer auch kontingenten – Realgeschichte der Entwicklung einer gemeinsamen Sittlichkeit würde völlig abstrahiert. Das bedeutete aber nicht bloß die Missachtung der Arbeit am System freier sittlicher Praxisformen, der zugehörigen Begriffe und der Formen der Bewertung des Richtigen, es bedeutete den Kollaps jeden Ethos, jeder Sittlichkeit. Doch dieses kollabiert auch dann, wenn die selbsterklärte Beurteilung der ›Gültigkeit‹ oder ›Ungültigkeit‹ eines Gesetzes sich unmittelbar über die tradierte ›Geltung‹ erhebt: »Dies Prüfen reicht aber aus diesem Grunde nicht weit; eben indem der Maßstab die Tautologie und gleichgültig gegen den Inhalt ist, nimmt er ebensogut diesen als den entgegengesetzten in sich auf. – « (282 | 233)
Es besteht die Gefahr, dass sich die autonome Moral in leeren Möglichkeiten verfängt. Es ist nicht nur ebenso gut, links wie rechts zu fahren. Idealistisch gedacht, könnten wir auch wollen, dass es kein Eigentum gebe und dass wir uns immer wortlos verstehen. Realistisch betrachtet, wird die höchste moralische Vernunft zu höchster Unvernunft. Das wird sie, gerade weil ein gutes Ethos die Kontingenzen der Realentwicklung praktisch durchgesetzter und anerkannter Sittlichkeit selbst unbedingt anzuerkennen hat:
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Gesetzprüfende Vernunft
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»Es ist die Frage, soll es an und für sich Gesetz sein, daß Eigentum sei: an und für sich, nicht aus Nützlichkeit für andere Zwecke; die sittliche Wesenheit besteht eben darin, daß das Gesetz nur sich selbst gleiche und durch diese Gleichheit mit sich, also in seinem eignen Wesen gegründet, nicht ein bedingtes sei.« (282 | 233)
Hegel kritisiert Kants irreführende Idee, man könne unmittelbar, ohne Reflexion auf eine Institutionengeschichte, prüfen, ob man Deposita zurückgeben, das Eigentum und den Besitz anderer respektieren soll. Aber die Frage, warum wir nichts veruntreuen, stehlen oder rauben sollen, lässt sich nicht durch die bloße Konsistenz eines abstrakten Wollen-Könnens klären. Diese reicht nie aus, um einzusehen oder einsehbar zu machen, dass wir ein entsprechendes, uns schon bekanntes, moralisch-rechtliches Eigentumsregime wirklich wollen. Wir wollen es durchaus auch aus Nützlichkeitsgründen: zur Organisation freier Arbeit in teils freier, teils staatlich und ökonomisch geregelter Kooperation, zur Vermehrung von Wohlstand und zur Ordnung von Verdienst, Lohn und Lob. 429 c
»Das Eigentum an und für sich widerspricht sich nicht; es ist eine isolierte oder nur sich selbst gleich gesetzte Bestimmtheit. Nichteigentum, Herrenlosigkeit der Dinge oder Gütergemeinschaft widerspricht sich gerade ebensowenig. Daß etwas niemand gehört oder dem nächsten Besten, der sich in Besitz setzt, oder allen zusammen und jedem nach seinem Bedürfnisse oder zu gleichen Teilen, ist eine einfache Bestimmtheit, ein formaler Gedanke, wie sein Gegenteil, das Eigentum. – « (282 f. | 233)
Dass das bloße Konsistenz- oder Widerspruchsprinzip nicht ausreicht, um zu begründen, dass ›Eigentum sein solle‹, was ein Gebot wie »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut« erst möglich macht, zeigt sich schon daran, dass sich auch ›Herrenlosigkeit der Dinge und Gütergemeinschaft‹ einer Allmende nicht einfach widersprechen. Sie mögen untunlich sein. Aber sie sind nicht a priori schlecht. Die Idee des Kommunismus, »jedem nach seinem Bedürfnisse«, wäre also, abstrakt gesehen, ein durchaus konsistentes Prinzip, das als solches aber dem Eigen-
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tumsregime widerspricht. Dasselbe gilt für das Prinzip ›jedem zu gleichen Teilen‹. Hegel erkennt hier, dass eine ›Begründung‹ der Anerkennungswürdigkeit von Eigentumsnormen viel komplizierter und geschichtlich komplexer ist, als Kants Moralphilosophie dies suggeriert. »Wenn das herrenlose Ding freilich betrachtet wird als ein notwendiger Gegenstand des Bedürfnisses, so ist es notwendig, daß es der Besitz irgendeines Einzelnen werde; und es wäre widersprechend, vielmehr die Freiheit des Dinges zum Gesetze zu machen [sic!, PSW]. Unter der Herrenlosigkeit des Dinges ist aber auch nicht eine absolute Herrenlosigkeit gemeint, sondern es soll in Besitz kommen nach dem Bedürfnisse des Einzelnen, und zwar nicht um aufbewahrt, sondern um unmittelbar gebraucht zu werden. Aber so ganz nur nach der Zufälligkeit für das Bedürfnis zu sorgen, ist der Natur des bewußten Wesens, von dem allein die Rede ist, widersprechend; denn es muß sich sein Bedürfnis in der Form der Allgemeinheit vorstellen, für seine ganze Existenz sorgen und sich ein bleibendes Gut erwerben. So stimmte also der Gedanke, daß ein Ding dem nächsten selbstbewußten Leben nach seinem Bedürfnisse zufälligerweise zu Teil werde, nicht mit sich selbst überein. – In der Gütergemeinschaft, worin auf eine allgemeine und bleibende Weise dafür gesorgt wäre, wird jedem entweder soviel zu Teil, als er braucht; so widerspricht diese Ungleichheit und das Wesen des Bewußtseins, dem die Gleichheit der Einzelnen Prinzip ist, einander. Oder es wird nach dem letzteren Prinzip gleich ausgeteilt; so hat der Anteil nicht die Beziehung auf das Bedürfnis, welche doch allein sein Begri= ist.« (283 | 233)
Sofern ein herrenloses Ding notwendig wird zur Erfüllung eines Bedürfnisses einer Person, geht es notwendig in den ›Besitz‹ einer solchen Person über, die sich seiner bemächtigt. In einem solchen Fall wäre es widersprüchlich, diese Bemächtigung zu verbieten, also etwa die Norm aufzustellen, die Dinge dürften nicht ›verbraucht‹, etwa ›verzehrt‹ werden, weil sie ›frei‹ verfügbar bleiben sollen. Hegel denkt hier kommunistische Gedanken, ohne schon für sie einzutreten. Denn das Bedenken gegen sie ist dieses: Wir können die Erfüllung der Bedürfnisse durch Be-
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mächtigung der Dinge nicht dem Zufall überlassen, wenn wir an einer allgemein guten Ordnung der Verteilung der Güter und der Produktion von Gütern interessiert sind. Dieses Interesse aber haben wir als Vernunftwesen, die planen können. Auch dass die Person selbst für ihr weiteres Leben Vorsorge tri=t, passt nicht mit einer ›Regel‹ oder ›Norm‹ zusammen, die es unmöglich macht, »sich ein bleibendes Gut« zu erwerben. Daher ist der Gedanke tatsächlich inkonsistent, dass jeder, der ein Gut braucht, es sich beliebig nehmen können soll. In einer kommunistischen Gütergemeinschaft lassen sich außerdem nicht zugleich beide Prinzipien erfüllen: »Jedem nach seinem Bedarf« und »Jedem das Gleiche«. Denn der Bedarf oder das Bedürfnis ist je verschieden, nicht bloß nach Lebenslage und Ort, auch nach Gesundheit und Krankheit, Konstitution und Fähigkeit. Allerdings führt eine rein abstrakte Frage nach absoluter Gleichheit und proportionaler Gerechtigkeit gemäß der Norm des »Jedem das Seine« viel weniger weit, als die moralphilosophischen Debatten bis heute glauben. Denn die konkreten Institutionen des sittlichen Lebens sind längst schon etablierte Systeme des Abgleichs sich formal widersprechender Prinzipien: Solche Prinzipien sind erstens Selbstbestimmung und Selbstvorsorge mit entsprechenden Notwendigkeiten des Eigentumsschutzes. Zu ihnen gehören zweitens Gleichheit und Gleichverteilung mit entsprechenden Notwendigkeiten des Ausgleichs bei zu großen Di=erenzen; drittens Wohlstand und Bedürfnisbefriedigung mit entsprechenden Notwendigkeiten ungleicher Verteilungen gerade auch im Interesse der Incentives oder Motivation im kooperativen Herstellen und Bescha=en von Gütern. Es wird übrigens in Bezug auf die Notwendigkeit einer Ausbalancierung der Prinzipien häufig gelogen, und zwar durch Halbwahrheiten, also durch das Ausblenden von wichtigen Momenten. Das geschieht besonders in der politischen Rhetorik. 430
»Allein wenn auf diese Weise das Nichteigentum widersprechend erscheint, so geschieht es nur darum, weil es nicht als einfache Bestimmtheit gelassen worden ist [sic!, PSW]. Dem Eigentum geht es
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ebenso, wenn es in Momente aufgelöst wird. Das einzelne Ding, das mein Eigentum ist, gilt damit für ein allgemeines, befestigtes, bleibendes; dies widerspricht aber seiner Natur, die darin besteht, gebraucht zu werden und zu verschwinden. Es gilt zugleich für das Meinige, das alle andern anerkennen und sich davon ausschließen. Aber darin, daß ich anerkannt bin, liegt vielmehr meine Gleichheit mit allen, das Gegenteil der Ausschließung. – Was ich besitze, ist ein Ding, d. h. ein Sein für Andere überhaupt, ganz allgemein und unbestimmt nur für mich zu sein; daß Ich es besitze, widerspricht seiner allgemeinen Dingheit. Eigentum widerspricht sich daher nach allen Seiten eben so sehr als Nichteigentum; jedes hat diese beiden entgegengesetzten, sich widersprechenden Momente der Einzelnheit und Allgemeinheit an ihm. – Aber jede dieser Bestimmtheiten einfach vorgestellt, als Eigentum oder Nichteigentum, ohne weitere Entwicklung, ist eine so einfach als die andere, d. h. sich nicht widersprechend. – Der Maßstab des Gesetzes, den die Vernunft an ihr selbst hat, paßt daher allem gleich gut und ist hiemit in der Tat kein Maßstab. – Es müßte auch sonderbar zugehen, wenn die Tautologie, der Satz des Widerspruchs, der für die erkenntnistheoretische Wahrheit nur als ein formelles Kriterium zugestanden wird, d. h. als etwas, das gegen Wahrheit und Unwahrheit ganz gleichgültig sei, für die Erkenntnis praktischer Wahrheit mehr sein sollte [sic!, PSW].« (283 f. | 233 f.)
Der Satz, dass Konsistenzerwägungen für die positive Begründung von inhaltlichen Normen nicht zureichen, ist absolut schlagend. Er tri=t Kants Moralphilosophie ins Mark. Es ist erstaunlich, dass das Kantianer und Post-Kantianer nicht sehen wollen oder nicht sehen können: Aus der formalen Konsistenz einer Satzmenge folgt noch lange keine reale Möglichkeit. Aus der Kohärenz zwischen einem für anerkennbar erklärten allgemeinen Gesetz und dem eigenen Tun folgt noch lange nicht, dass Gesetz und Tun gut sind. Hegel führt hier zum Teil logisch absolut unglaubliche, zum Teil sophistische Denkfehler im Gebrauch des Kategorischen Imperativs vor. Nicht nur im Kontext der ›Begründung‹ neuer
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allgemeiner moralischer Normen (Gesetze, Regeln), auch bei der Gesetzesprüfung versagt das Prinzip. Der Kommunismus z. B., definiert als System ohne Eigentumsregime, also ohne Privateigentum, widerspricht sich nur, weil man das System selbst nicht bloß als generisch-einfache Idee belässt, sondern besondere Bestimmungen hinzufügt, wie das Prinzip der Gleichverteilung oder die Regel »Jedem nach seinem Bedürfnis«. Dasselbe gilt auch für das Eigentumsregime. Denn auch das Privateigentum kann nie ›absolut‹ verteidigt werden, ohne in Widersprüche zu geraten, wenn man weitere Prinzipien hinzufügt, etwa das Prinzip, dass die Ungleichheit der formellen Besitzrechte nicht Ursache für Kriege werden darf. Schon der Verbrauch von Dingen zeigt, dass dingliches Eigentum nicht ›fest‹ bleibt. Und die Anerkennung meiner besonderen Eigentumsrechte durch alle anderen zeigt, dass ich in dieser Anerkennung mit ihnen gleich bin – trotz allem Anspruch auf besondere Besitztümer. Nur vermöge dieser Gleichheit also gesteht man mir die Ungleichheit der Sonderverfügungsrechte über mein Eigentum zu. Anders gesagt, Eigentum ist kein Naturrecht, sondern wird nur zugestanden auf der Basis einer gleichen Anerkennung aller Personen – was, wie oben schon erwähnt, klarerweise zugleich eine massive Einschränkung der Eigentumsrechte bedeutet, also einen ›inneren Widerspruch‹, den es je pragmatisch aufzuheben gilt. Denn wo Eigentumsrechte grundsätzliche Personenrechte infrage stellen, müssen erstere weichen! Das wiederum bedeutet, dass die Gruppe, welche diese Personenrechte infrage stellt, damit rechnen muss, dass die anderen gegen sie kämpfen. Über diesen Krieg kann man sich dann nicht beklagen. Es gibt eben daher kein Eigentum, das nicht allgemein anerkannt wäre. Das allerdings heißt nicht, dass wirklich alle Personen diese Anerkennung explizit geben oder praktisch einhalten. Außerdem variiert der Umgang mit denjenigen stark, die ausscheren. Man denke etwa an die früheren drakonischen Strafen für Diebstahl, besonders für Pferdediebstahl. Man sollte sich außerdem nicht wundern, dass schon die Werbung für einen Kommunismus mit hohen Strafen
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bedroht war, jedenfalls solange, als man sich schon vor der Propaganda und damit vor dem Gespenst des Kommunismus fürchtete. Ganz allgemein gilt: Jedes Ding kann von jedem benutzt werden. Das ›widerspricht‹ schon in gewisser Weise seinem Status als mein ›Sondereigentum‹, das den Ausschluss seines Gebrauchs durch andere Personen bedeutet. Eigentum als Ordnungsprinzip ist daher je nach Betrachtung in sich ebenso ›inkonsistent‹ wie Kommunismus, wenn man die Spannungen zwischen Einzelregelungen und allgemeiner Idee genauer in den Blick nimmt. Als generische, einfache, Idee aber, sozusagen ›mit allen Ausnahmen und Sonderregeln‹, widerspricht sich dagegen weder eine Ordnung mit noch eine Ordnung ohne Privateigentum. Daher ist der kantische Versuch, durch Konsistenzüberlegungen der Art, was wir widerspruchsfrei wollen können, zu begründen, dass Eigentum sein solle und zu schützen sei, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es wäre auch sehr erstaunlich, wenn in praktischen Fragen aus reinen Konsistenzüberlegungen konkrete Normen wie Kaninchen aus einem leeren Hut gezaubert werden könnten. Dasselbe gilt für Fragen des Wissens, und zwar auch schon in Bezug auf ernst zu nehmende Möglichkeiten. »In den beiden soeben betrachteten Momenten der Erfüllung des vorher leeren geistigen Wesens hat sich das Setzen von unmittelbaren Bestimmtheiten an der sittlichen Substanz und dann das Wissen von ihnen, ob sie Gesetze sind, aufgehoben. Das Resultat scheint hiemit dieses zu sein, daß weder bestimmte Gesetze noch ein Wissen derselben statt finden könne. Allein die Substanz ist das Bewußtsein von sich als der absoluten Wesenheit, welches hiemit weder den Unterschied an ihr noch das Wissen von ihm aufgeben kann. Daß das Gesetzgeben und Gesetzprüfen sich als nichtig erwies, hat diese Bedeutung, daß beides, einzeln und isoliert genommen, nur haltungslose Momente des sittlichen Bewußtseins sind; und die Bewegung, in welcher sie auftreten, hat den formalen Sinn, daß die sittliche Substanz sich dadurch als Bewußtsein darstellt.« (284 | 234)
Wir können also ohne Rückgri= auf konkret schon anerkannte Institutionen und Normen des richtigen gemeinsamen Handelns
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gar keine Gesetzesprüfung aus ›reiner praktischer Vernunft‹ vornehmen. Hegel zeigt also, dass Kants Konsistenzüberlegungen in seiner Praktischen Philosophie viel schwächer sind, als Kant meint. Sie zeigen nur, dass ein Sprecher nicht sagen darf, er anerkenne eine Norm als für alle anderen verbindlich, aber nicht für sich. Das reicht aber nicht weit, nicht einmal für eine gesetzesprüfende Vernunft. Dieses Prinzip betri=t nämlich bloß den Ausschluss von Trittbrettfahrern. Der Missbrauch anerkannter Normen durch Einzelpersonen bedeutet denn auch den Selbstausschluss dieser Individuen aus der Gemeinschaft – sofern ihr Tun erkannt, durchschaut und beurteilt wird. Sie verlieren damit einen Teil der Anerkennung als Personen, etwa dadurch, dass man nicht mehr mit ihnen frei kooperiert, und das dann zumeist zu Recht. Das Resultat der kritischen Überlegung ist, dass ›die Vernunft‹ keine bestimmten Gesetze unmittelbar begründen, noch ihre notwendige Form und ihren Inhalt unmittelbar, also ohne geschichtliche Bildung, kennen und wissen kann. Nicht als reine Vernunftwesen, sondern als gebildete Personen wissen wir um die Normen des Richtigen im kooperativen Handeln und im wahren Aussagen. Und dennoch bleibt richtig, dass die Einzelperson in der Anerkennung der gegebenen Normen absolut bleibt, also im Vollzug der ›Gesetzesprüfung‹ zwar nicht von nirgendwo her, wohl aber aus der konkreten Situation heraus ›autonom‹ ist. Richtig bleibt, dass die Selbstkontrolle im Vollzug, also das (Selbst-)Bewusstsein, absolut ist und bleibt. Falsch wäre die Verabsolutierung des Selbstsetzens, Selbstprüfens und Selbstdenkens in Bezug auf konkrete Ausprägungen von Normativität. Verlangt ist daher eine Art Versöhnung zwischen Tradition und Autonomie. 432
»Insofern diese beiden Momente nähere Bestimmungen des Bewußtseins der Sache selbst sind, können sie als Formen der Ehrlichkeit angesehen werden, die, wie sonst mit ihren formalen Momenten, sich itzt mit einem seinsollenden Inhalt des Guten und Rechten und einem Prüfen solcher fester Wahrheit herumtreibt und in der gesun-
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den Vernunft und verständigen Einsicht die Kraft und Gültigkeit der Gebote zu haben meint.« (284 | 234)
Die beiden ›Momente‹, das Gesetzgeben der Autonomie und das Gesetzprüfen der Normenkontrolle, bestimmen ›die Sache selbst‹, also was ›wirklich gilt‹ bzw. ›eigentlich gelten sollte‹. In solchen emphatischen, später als ›wesenslogisch‹ bezeichenbaren, Urteilen praktizieren wir Formen expressiver Ehrlichkeit. Wir äußern ›ehrliche‹ Urteile dazu, was wir für richtig halten. Daraus folgt, wie wir gesehen haben, noch lange nicht, dass das, was wir für richtig halten, auch richtig ist. Wovon ich glaube, dass alle es anerkennen könnten oder sollten, kann nämlich ein anderer glauben, dass es besser nicht anzuerkennen ist, sondern ein ihm widersprechendes Prinzip anerkennbar sein könnte oder sollte. Der Appell an die gesunde Vernunft und das gesunde Volksempfinden hilft, wie gesehen, ebenfalls nicht weiter, zumal die ›verständige Einsicht‹ die gegebenen Normen ungeprüft anerkennt. Wir haben daher die Spannung zwischen tradierten Normensystemen bzw. Institutionen und autonomen Anerkennungen, auch noch in unserer Normenkritik und Normenkontrolle, auf andere Weise als durch bloße Appelle an ›reine praktische Vernunft‹ aufzuheben. »Ohne diese Ehrlichkeit aber gelten die Gesetze nicht als Wesen des Bewußtseins und das Prüfen ebenso nicht als Tun innerhalb desselben; sondern diese Momente drücken, wie sie jedes für sich unmittelbar als eine Wirklichkeit auftreten, das eine ein ungültiges Aufstellen und Sein wirklicher Gesetze und das andere eine ebenso ungültige Befreiung von denselben aus. Das Gesetz hat als bestimmtes Gesetz einen zufälligen Inhalt, – dies hat hier die Bedeutung, daß es Gesetz eines einzelnen Bewußtseins von einem willkürlichen Inhalt ist. Jenes unmittelbare Gesetzgeben ist also der tyrannische Frevel, der die Willkür zum Gesetze macht und die Sittlichkeit zu einem Gehorsam gegen sie, – gegen Gesetze, die nur Gesetze, nicht zugleich Gebote sind. So wie das zweite Moment, insofern es isoliert ist, das Prüfen der Gesetze, das Bewegen des Unbewegbaren und den Frevel des Wissens bedeutet, der sich von den absoluten Gesetzen frei räsoniert und sie für eine ihm fremde Willkür nimmt.« (284 f. | 234 f.)
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Ehrlichkeit ist notwendige Bedingung bewussten ethisch guten Handelns; aber bloße Ehrlichkeit kann einer falschen, ungültigen Gesetzgebung und ungültigen Gesetzkontrolle, ja sogar dem absolut Bösen Vorschub leisten. In gewissem Sinn hat ein Gesetz als etablierte Norm einer Institution immer auch einen kontingenten Gehalt: Man kann immer auch alles anders ›regeln‹, was nicht bedeuten muss, dass die anderen Regeln oder Normen schlechter für eine gute Kooperation wären. Das betri=t, wie gesagt, nicht bloß reine Konventionen wie das Rechts- oder Linksfahren auf unseren oder auf britischen Straßen. Das unmittelbare Gesetzgeben einer Einzelvernunft ohne Berücksichtigung von Traditionen ist ›tyrannischer Frevel‹, der »Willkür zum Gesetze macht« – sofern die positiven Gesetze nicht zugleich anerkannte Gebote sind. Andererseits gibt es den ›Frevel des Wissens‹, der darin besteht, in einer selbst bloß willkürlichen Beurteilung gegebener Gesetze und Gebote diese als fremde Willkür anzusehen und sich damit nicht an sie gebunden zu fühlen. 434
»In beiden Formen sind diese Momente ein negatives Verhältnis zur Substanz oder dem realen geistigen Wesen; oder in ihnen hat die Substanz noch nicht ihre Realität, sondern das Bewußtsein enthält sie noch in der Form seiner eignen Unmittelbarkeit, und sie ist nur erst ein Wollen und Wissen dieses Individuums oder das Sollen eines unwirklichen Gebots und ein Wissen der formalen Allgemeinheit. Aber indem diese Weisen sich aufhoben, ist das Bewußtsein in das Allgemeine zurückgegangen, und jene Gegensätze sind verschwunden. Das geistige Wesen ist dadurch wirkliche Substanz, daß diese Weisen nicht einzeln gelten, sondern nur als aufgehobene; und die Einheit, worin sie nur Momente sind, ist das Selbst des Bewußtseins, welches nunmehr, in dem geistigen Wesen gesetzt, dasselbe zum wirklichen, erfüllten und selbstbewußten macht.« (285 | 235)
In beiden Formen der Willkür, der Gesetzgebung und Gesetzprüfung, gelangen wir bloß erst zu einem Wünschen, Wollen und Sollen als expressive Äußerung der Einzelperson, nicht zu anerkannten oder auch nur anerkennungswürdigen Normen. Wir
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leben heute noch in einer Zeit, in welcher diese Tatsache kaum erkannt und anerkannt ist. Nicht also im Einzelwollen, Einzelsollen und utopischen Wünschen, sondern in den bleibenden Institutionen als der wirklichen Substanz des ›geistigen Wesens‹, der tradierten Sittlichkeit oder, wie man heute lieber sagt, humaner Kultur heben sich die Widersprüche der Willkür in Einzelgesetzgebung und Einzelgesetzprüfung auf. »Das geistige Wesen ist hiemit vors erste für das Selbstbewußtsein als an sich seiendes Gesetz; die Allgemeinheit des Prüfens, welche die formale, nicht an sich seiende war, ist aufgehoben. Es ist ebenso ein ewiges Gesetz, welches nicht in dem Willen dieses Individuums seinen Grund hat, sondern es ist an und für sich, der absolute reine Willen Aller, der die Form des unmittelbaren Seins hat. Er ist auch nicht ein Gebot, das nur sein soll, sondern er ist und gilt; es ist das allgemeine Ich der Kategorie, das unmittelbar die Wirklichkeit ist, und die Welt ist nur diese Wirklichkeit. Indem aber dieses seiende Gesetz schlechthin gilt, so ist der Gehorsam des Selbstbewußtseins nicht der Dienst gegen einen Herrn, dessen Befehle eine Willkür wären und worin es sich nicht erkennte. Sondern die Gesetze sind Gedanken seines eignen absoluten Bewußtseins, welche es selbst unmittelbar hat. Es glaubt auch nicht an sie, denn der Glaube schaut wohl auch das Wesen, aber ein fremdes an. Das sittliche Selbstbewußtsein ist durch die Allgemeinheit seines Selbsts unmittelbar mit dem Wesen eins; der Glaube hingegen fängt von dem einzelnen Bewußtsein an, er ist die Bewegung desselben, immer dieser Einheit zuzugehen, ohne die Gegenwart seines Wesens zu erreichen. – Jenes Bewußtsein hingegen hat sich als einzelnes aufgehoben, diese Vermittlung ist vollbracht, und nur dadurch, daß sie vollbracht ist, ist es unmittelbares Selbstbewußtsein der sittlichen Substanz.« (285 f. | 235)
Das allgemeine Ich der Kategorie ist das Man. Es besagt, dass nicht nur ich, sondern man sagen und urteilen kann, dass φ. Für das Selbstbewusstsein oder autonome Mitwissen der Einzelperson ist also das geistige Wesen der Kultur das schon an sich anerkannte Gesetz; die Prüfung wird zur urteilskräftigen Anwendung und
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Entwicklung statt zur Kritik und Aufhebung der tradierten Normativität. Dieser ›Willen aller‹ ist zwar Übersetzung von Rousseaus ›volonté de tous‹, weist aber schon Aspekte der ›volonté générale‹ auf, also der generischen Form des (am besten dann doch von allen Einzelnen) anerkannten Gemeinwillens. Hegel gibt also Rousseau und Kant insofern Recht, als ich in allen meinen Anerkennungen eines generisch-allgemeinen Inhalts, eines Gesetzes, tatsächlich ›jeden anderen‹ vertrete. Die Gesetze und Gebote aber ›sollen‹ nicht nur gelten, sondern sie gelten wirklich. Indem das reale Gesetz, das System der anerkannten Institutionen in einer Kultur, schlechthin gilt, ist ›der Gehorsam des Selbstbewusstseins‹, also je meine ›compliance‹ mit der gegebenen Normativität dessen, was an Gesetzen und Geboten mich als Person bindet, kein ›Dienst gegen einen mir fremden Herren‹, sondern selbst schon autonomes Urteilen und Handeln. Denn die Normen sind keine Willkürbefehle. Ich selbst als Person bin gar nicht trennbar von der Anerkennung der Normen, welche die Rollenspiele bestimmen, an denen ich personal nur teilnehmen kann, indem ich sie anerkenne. In diesem Sinn sind die Gesetze des Ethos die Gesetze meines eigenes Geistes – und umgekehrt. Dabei ›glaube‹ ich nicht etwa bloß daran, dass die Gesetze gelten. ›Glauben‹ wäre ein bloß willkürliches ›Meinen‹. Ich unterstellte dann bloß, es ginge um ein mir ›fremdes Wesen‹, das Gesetze gibt und von mir verlangt, sie anzuerkennen. Die Lage ist anders: Ich selbst bin Person oder geistiges Wesen nur in und durch ihre Anerkennung, im Rahmen des Mitwissens um die Rollen, die ich spiele, und was es heißt, sie richtig zu spielen. Wer das Wort »Spiel« nicht mag, möge von einem Vollzug oder einer Aktualisierung von Handlungsformen im Rahmen kooperativer Praxisformen sprechen: Es läuft im Wesentlichen auf dasselbe hinaus. Wieder ist Hegels Ziel eine wahre Aufklärung erwachsener Menschen: Wem das Ethos bloß als fremde Pflicht erscheint, ist vielleicht noch zu jugendlich. 436 a
»Der Unterschied des Selbstbewußtseins von dem Wesen ist also vollkommen durchsichtig. Dadurch sind die Unterschiede an dem
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Wesen selbst nicht zufällige Bestimmtheiten, sondern um der Einheit des Wesens und des Selbstbewußtseins willen, von welchem allein die Ungleichheit kommen könnte, sind sie die Massen ihrer von ihrem Leben durchdrungenen Gliederung, sich selbst klare, unentzweite Geister, makellose himmlische Gestalten, die in ihren Unterschieden die unentweihte Unschuld und Einmütigkeit ihres Wesens erhalten. – Das Selbstbewußtsein ist ebenso einfaches, klares Verhältnis zu ihnen. Sie sind, und weiter nichts, – macht das Bewußtsein seines Verhältnisses aus. So gelten sie der Antigone des Sophokles als der Götter ungeschriebenes und untrügliches Recht: nicht etwa itzt und gestern, sondern immerdar lebt es, und keiner weiß, von wannen es erschien.« (286 | 235 f.)
Der Unterschied zwischen dem Selbstbewusstsein im Sinne des autonomen Urteilens gemäß der Kategorie und dem geistigen Wesen, dem Inhalt und Gesetz, ist jetzt vollkommen klar: Performativ bin je ich absolut. Inhaltlich aber bin ich als Person durch vorgegebene Institutionen bestimmt. Wir können alle metaphorischen Reden über ›makellose himmlische Geister‹ weglassen und unmittelbar sagen, dass es die institutionellen Gesetze des Richtigen in einer gemeinsamen Kultur der Vernunft sind, welchen den Inhalt ›des Geistes‹, des Denkens und der Autonomie der Person ausmachen, und zwar in ihrer ganzen Diversität. Diese ›Gegebenheit‹ der Gesetze drückt die Titelfigur in Sophokles’ großer Tragödie Antigone so aus, dass sie von einem ungeschriebenen und untrüglichen Recht der Götter spricht. Das Gesetz wird damit als fest gegeben, wenn man will, substanzartig vorgestellt. Das Problem freilich ist, ob ihr Appell an dieses Recht und Gesetz selbst richtig ist, also den besonderen Fall des Konflikts mit ihrem Onkel Kreon und seinem staatlichen Gesetz ›richtig‹ beantwortet. »Sie sind. Wenn ich nach ihrer Entstehung frage und sie auf den Punkt ihres Ursprungs einenge, so bin ich darüber hinausgegangen; denn ich bin nunmehr das Allgemeine, sie aber das Bedingte und Beschränkte. Wenn sie sich meiner Einsicht legitimieren sollen, so habe ich schon ihr unwankendes Ansichsein bewegt und betrachte sie als etwas, das vielleicht wahr, vielleicht auch nicht wahr für
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mich sei. Die sittliche Gesinnung besteht eben darin, unverrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist, und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückführens desselben zu enthalten. – Es wird ein Depositum bei mir gemacht, es ist das Eigentum eines andern, und ich anerkenne es, weil es so ist, und erhalte mich unwankend in diesem Verhältnisse. Behalte ich für mich das Depositum, so begehe ich nach dem Prinzipe meines Prüfens, der Tautologie, ganz und gar keinen Widerspruch; denn alsdenn sehe ich es nicht mehr für das Eigentum eines andern an; etwas behalten, das ich nicht für das Eigentum eines andern ansehe, ist vollkommen konsequent. Die Änderung der Ansicht ist kein Widerspruch, denn es ist nicht um sie als Ansicht, sondern um den Gegenstand und Inhalt zu tun, der sich nicht widersprechen soll. So sehr ich – wie ich tue, wenn ich etwas wegschenke – die Ansicht, daß etwas mein Eigentum ist, in die Ansicht, daß es das Eigentum eines andern ist, verändern kann, ohne dadurch eines Widerspruches schuldig zu werden, eben so sehr kann ich den umgekehrten Weg gehen. – Nicht darum also, weil ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht. Daß etwas das Eigentum des andern ist, dies liegt zum Grunde, darüber habe ich nicht zu räsonnieren, noch mancherlei Gedanken, Zusammenhänge, Rücksichten aufzusuchen oder mir einfallen zu lassen; weder ans Gesetzgeben noch ans Prüfen zu denken; durch solcherlei Bewegungen meines Gedankens verrückte ich jenes Verhältnis, indem ich in der Tat nach Belieben meinem unbestimmten tautologischen Wissen das Gegenteil ebenso wohl gemäß und es also zum Gesetze machen könnte. Sondern ob diese oder die entgegengesetzte Bestimmung das Rechte sei, ist an und für sich bestimmt; ich für mich könnte, welche ich wollte, und ebensogut keine zum Gesetze machen und bin, indem ich zu prüfen anfange, schon auf unsittlichem Wege. Daß das Rechte mir an und für sich ist, dadurch bin ich in der sittlichen Substanz; so ist sie das Wesen des Selbstbewußtseins; dieses aber ist ihre Wirklichkeit und Dasein, ihr Selbst und Willen.« (286 f. | 236 f.)
Die Gesetze sind. Normativitäten existieren. Sie sind es, die mich erst zu einer Person machen, indem ich teilnehme, so wie
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ich nur Schüler bin, wenn ich in die Schule gehe, oder Torwart, wenn ich mitspiele. Soweit es um die Frage geht, ob ich als Person das und das zu tun habe, ist es, wie bei allen Rollenspielen, falsch, nach der Herkunft der Anforderungen oder Normen zu fragen. Das heißt nicht, dass es keine Genealogie von Sitte, Moral, Recht gibt. Es heißt nur, dass jede Frage nach dem Ursprung uns zunächst selbst weder moralisch oder rechtlich bindet, noch von einer ethischen Bindung löst. Das Problem der Frage nach dem Ursprung der Normen entsteht also nur dadurch, dass sie mit der Frage nach der Berechtigung der tradierten Normen vermengt wird. Man meint, ihre Geschichtlichkeit stelle ihre ›Gültigkeit‹ infrage. Jede ›positive Geltung‹ sei historisch zu erklären und von uns kritisch infrage zu stellen. Daraus entsteht, erstens, die Gefahr, dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob jemand etwas falsch macht oder ob er sich einer anderen Norm unterwirft. Man kann dann zweitens auch nicht mehr zwischen einem Können und einer Unfähigkeit in Bezug auf eine Aktualisierung von Formen im Handeln oder einer Formenreproduktion unterscheiden. Und es setzen sich, drittens, die Urteilenden selbst als ›das Allgemeine‹. Das heißt, sie machen sich zu Normensetzern, Normenprüfern und Richtern. Sie erklären, die tradierten Normen seien etwas Bedingtes und Beschränktes. Damit ist ihre Anerkennung zumindest eingeklammert. Ihr ›unwankendes Ansichsein‹ ist wankend gemacht – als seien sie bloß vielleicht gültig und wahr, oder auch nicht. Aber schon damit bricht ihre Funktion zusammen: Die Kooperation kollabiert. Wir landen wieder in einer geistigen Tierheit. Demgegenüber hält ›sittliche Gesinnung‹ ohne derartige Zweifel am Gesetz fest. Bedeutet das einen Verzicht auf autonome Normenkritik? Ist Traditionskritik etwa verboten? Dürfen wir gegebene Normen nicht hinterfragen? Wir werden in der Analyse echten Selbstbewusstseins im Geistkapitel näher sehen, dass und wie wir das alles dürfen, sollen und müssen. Auf höchst eindrucksvolle Weise kritisiert Hegel dann noch einmal Kants Überlegungen zur Unterschlagung eines Depositums:
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In einer Version anerkenne ich das Eigentum des Anderen, weil es so ist, und gebe es zurück. In einer anderen Version behalte ich das Depositum, anerkenne es nicht mehr als Eigentum des anderen, und begehe damit keinen Widerspruch: »Die Änderung der Ansicht ist kein Widerspruch«. Ich kann ja auch Dinge verschenken, also Eigentumsverhältnisse willentlich ändern, ohne jeden Widerspruch. Ich kann sogar meine Meinung dazu ändern, ob ich das Eigentumsregime überhaupt anerkenne, also will, dass die Eigentumsnormen allgemeines Gesetz sein sollen. Es folgt der wichtige Satz: »Nicht darum also, weil ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht.« Dass etwas Eigentum eines anderen ist und was daraus rechtlich und moralisch folgt, ist mir vorgegeben, nicht von mir durch Räsonnement zu ›begründen‹ oder gar zu ›verändern‹. Persönliche Meinungen sind hier nicht gefragt. Gefragt ist, was gilt und richtig ist, wie wir also, wenn wir die Institution kompetent beherrschen, urteilen und zu urteilen haben. Diese Institution ist schon an und für sich bestimmt. Indem ich hier zu prüfen anfange, bin ich schon auf dem Weg des Abfalls vom Ethos, urteile und handle also ›unsittlich‹ und ›unethisch‹. Das ist heute schwer zu schlucken. Wir sehen aber, dass Hegels Trennung der Sphäre des Verstandes bzw. der Rationalität von der Sphäre der Vernunft, also des Bereichs des richtigen Urteilens und Handelns und der freien Debatte über die Entwicklung von Normen allergrößte Bedeutsamkeit besitzt. Insgesamt ergibt sich: Wir sind Personen, geistige Wesen, nur im tätigen Anerkennen, das ein Handeln unter Leitung ›der Gesetze‹ des Ethos ist. Die Vermittlung von Tradition und Autonomie wird dabei tätig vollbracht. Es wird aber noch zu betrachten sein, in welchem Sinne der Einzelne dennoch Gesetze setzen und prüfen kann, nämlich im Modus des Vorschlags zur Entwicklung von Institutionen. Das geschieht in einem weiteren Teil der Gesamtüberlegung, im großen letzten Teil des Buches. Ich gebe ihm insgesamt den Titel »Das Ethos als Erscheinungsform des
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Geistes«. Er überschreibt den Inhalt des 6., 7. und 8. Kapitels, des Geistkapitels, des Religionskapitels und des Philosophiekapitels, und wird das Thema des 2. Bandes meines Kommentars zu Hegels Phänomenologie des Geistes sein.
Literatur
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Personenregister
Adorno 13, 1126 Alkibiades 415, 634, 678 Anaxagoras 30, 308, 804 Anaximander 64 Andronikos von Rhodos 61, 63 Antigone 21, 32, 1211 Apel 21 Aristoteles 16, 17, 44, 49, 61–64, 66, 69, 77, 84, 87, 130, 137, 142, 164, 184, 188, 228, 295, 332, 333, 387, 408, 470, 486, 552, 569, 603, 606, 788, 794, 798, 827, 870, 873, 886, 922, 926, 993, 1106, 1136, 1138 Armstrong 489, 722 Arndt 16 Augustinus 415, 470, 665, 688, 731, 761–763, 774 Ayer 410, 430 Bach 15 Bacon 356 Bentham 1102, 1112 Berkeley 110, 111, 354, 410, 420, 421, 423, 426, 543, 662, 719, 783, 803, 804, 806, 1081 Bernard 17, 875 Bolzano 17 Bonsiepen 23, 145
Boole 17 Brandom 13, 51–54, 64, 91, 277, 345, 350, 352, 355, 404, 436, 492, 495, 498, 507, 672, 722, 1057 Brentano 361 Bühler 35 Bu=on 150 Caesar 75, 76, 78, 180, 645, 1039 Camus 1036 Cannon 875 Carnap 77, 91, 92, 177, 230, 410, 421, 427, 428, 431, 472, 489, 490, 607, 721, 801, 806, 812 Carroll 34, 231, 878, 970 Cartwright 304 Cicero 731, 735 Clairmont 23, 145 Cohen 25 Darwin 150, 243, 299, 875 Davidson 598, 722, 726, 1140, 1142 Derrida 70, 230, 719 Descartes 16, 86, 87, 90, 110, 111, 113, 115, 122, 149, 163, 201, 219, 239, 279, 307, 336, 337,
1232
Personenregister
353, 354, 356, 358, 405, 411, 415–417, 426, 430, 433, 436, 441, 519, 602, 634, 645, 678, 679, 681, 684, 695, 716–718, 722, 729, 776, 777, 781, 784, 787, 808, 817, 861, 899, 938, 991, 992, 1041, 1179, 1180 Dewey 27 Diogenes Laertios 146 Dostojewski 24, 145, 875, 952, 1174 Einstein 47, 147, 149, 162, 186, 556, 594, 595, 609, 902 Empedokles 731 Engels 452 Eschenmayer 23 Feuerbach 141 Feyerabend 254, 836 Fichte 16, 19, 38, 87, 90, 95, 109–111, 132, 219, 223, 238, 239, 261, 307, 342, 343, 355, 356, 411, 420, 461, 563, 640, 684, 718, 775, 777, 783, 784, 787, 788, 793, 797, 801, 807, 808, 815, 946, 969, 1041, 1123, 1126, 1133 Findlay 277 Förster 20 Foot 867, 1094 Frege 17, 48, 75, 77, 87, 92, 99, 108, 109, 117, 177, 182, 278, 325, 333, 453, 461, 463, 489, 502, 603, 783, 795, 798, 814, 886, 900, 969
Freud
708, 953, 990
Gadamer 382 Geach 1147 Geier 145 Gilbert 719, 1039 Gobsch 901 Görres 23 Goethe 26, 261, 478, 1069 Gontscharow 733 Grice 73 Günther 73 Habermas 21, 51, 83, 262, 411, 708 Hamlet 1008 Hamsun 430, 644 Hare 22 Heidegger 70, 122, 130, 158, 221, 230, 343, 361, 388, 389, 409, 569, 630, 678, 709, 719, 866, 1038, 1126, 1158 Heraklit 16, 24, 32, 45–47, 65, 66, 103, 175, 191, 218, 222, 408, 463, 676, 1134 Hilbert 602, 609 Hobbes 420, 1081, 1108 Hölderlin 222, 1126 Honneth 51, 262, 708, 712 Horstmann 25 Hume 56, 79, 81, 110, 113, 115, 118, 133, 134, 153, 198, 199, 264, 306, 335–337, 341, 342, 354–356, 358, 369, 370, 375, 376, 410, 417, 420, 421, 426, 430, 445,
Personenregister
476, 482, 485, 487, 537, 545, 600, 628, 629, 684, 736, 784, 803, 804, 806–808, 812, 815, 839, 1077, 1081, 1082, 1127 Husserl 38, 70, 410, 569, 630, 801, 825 Hyppolite 24, 26 Jacobi 342, 1083, 1087, 1126 Jaeschke 16 James 403, 482, 569, 1181, 1182 Jesus 130, 611, 646 Kambartel 648, 1169 Kant 15, 16, 19, 21, 25, 26, 30, 31, 38, 50, 54, 56, 69, 75, 79–81, 84, 87, 89, 90, 92, 108–110, 115, 118, 119, 132, 135, 139, 149, 153, 156–158, 173, 187, 197–199, 201, 205, 207, 209, 217, 219, 223, 231, 248, 280, 281, 286, 292, 293, 307, 323, 335–337, 340–342, 351, 353, 354, 356, 358, 362, 364, 369–371, 382, 395, 408, 410, 413, 415, 416, 421, 428, 430, 441, 442, 444, 445, 454, 455, 461– 465, 484, 485, 490, 492, 541, 547, 569, 580, 588, 595, 596, 606, 626, 631, 632, 634, 635, 637, 673, 678, 681, 684, 695, 713–718, 721, 733, 764, 768, 773–775, 777, 783, 784, 787, 788, 793–799, 802, 803, 805– 810, 812, 813, 815, 817, 829, 841, 851, 861, 908, 938, 966,
1233
969, 1038, 1041, 1066, 1082– 1085, 1091–1093, 1108, 1126, 1129, 1131, 1132, 1163, 1178, 1186, 1188–1192, 1195, 1196, 1199– 1201, 1203, 1206, 1210, 1213 Karamasow, Brüder 24, 331, 875, 1174 Kern 271, 1145 Kojève 26, 51, 84, 262, 712 Kopernikus 47, 213 Kreon 21, 32, 1211 Kripke 230, 525 Kuhn 255, 256 Laios 255 LaoTse 174, 175, 184 Lenin 810, 1102, 1112 Lewis 53, 67, 345, 403, 486, 489, 722 Lichtenberg 333, 976–978, 983–985, 1024 Lindemann 179 Linné 150 Locke 56, 103, 115, 198, 336, 337, 369, 410, 417, 420, 421, 430, 445, 629, 684, 784, 793, 812, 815, 1079, 1081 Löwith 27 Lukian 650 Lukács 13, 26, 51, 84, 166, 368, 712 Luther 774 Mandeville 1053 Marx 26, 27, 262, 420, 712, 800
1234
Personenregister
McDowell 15, 30, 88, 164, 181, 464, 479, 481, 542, 702, 722 Mead 262, 708, 719, 1170 Mendelssohn 15 Metzinger 990, 992 Mill 444, 445, 1102 Minsky 881 Mittelstraß 71 Molière 894, 896, 952 Montaigne 732, 742 Mussolini 1102 Nagel 181 Napoleon 57, 107, 431, 432, 501, 791, 795, 911 Neurath 721 Newton 60, 85, 147, 149, 161, 209, 220, 295, 594, 595, 617, 888, 902, 941 Nietzsche 18, 128, 134, 156, 183, 257, 339, 343, 446, 555, 582, 719, 731, 769, 770, 800, 828, 876, 952, 963, 986, 1030, 1063, 1112, 1117, 1124–1126, 1170, 1174 Novalis 26, 108, 490, 1040, 1126 Noë 33, 163 Ödipus
255
Pappus 73 Parfit 1079 Parmenides 16, 34, 66, 74, 175, 188, 290, 307, 331, 387, 388, 410, 750, 804
Pascal 11, 1085, 1092, 1093 Paulus 102, 103 Peirce 357, 358, 569, 1181 Pinkard 26, 426, 702 Pippin 26 Platon 15, 16, 19, 20, 30, 34, 37, 43, 44, 48–50, 59, 61, 63–66, 69, 74, 169, 184, 188, 243, 262, 265, 278, 279, 287, 290, 308, 309, 333, 387, 432, 470, 539, 569, 606, 634, 689, 690, 708, 710, 713, 715–718, 745, 750, 788, 794, 814, 867, 926, 992, 1019, 1053, 1106, 1147, 1149 Plautus 952 Popper 27, 569, 607, 836, 957 Proklus 73 Protagoras 134, 491, 804, 1077 Putnam 525, 526 Pythagoras 276, 278 Quante 26 Quine 15, 92, 97, 403, 417, 420, 421, 426, 428, 429, 431, 439, 482, 486, 489, 490, 512, 629, 722, 796, 806, 812 Robespierre 1083, 1102 Rödl 104, 304, 463, 486, 587, 928 Rorty 350–352, 722 Rousseau 26, 27, 1210 Russell 48, 410, 427, 428, 430, 445, 482, 489, 530, 721, 806, 813
Personenregister
Ryle
75, 719, 1039
Saulus 102, 103 Saussure 363 Schelling 16, 19, 23, 156, 216, 238, 637, 784, 901, 1126 Schiller 261, 736, 969 Schlegel 1126, 1162 Schnädelbach 25, 29, 58 Schneider 326 Schopenhauer 18, 257, 342, 375, 730, 731, 733, 769, 863, 1092, 1107, 1112 Schröder 17 Searle 798 Sellars 54, 419–421, 492, 498, 629, 722, 813 Seneca 731–733, 735 Sextus 736 Shakespeare 952 Siep 25, 26 Smith 1053, 1127 Sokrates 32, 46, 47, 49, 65, 66, 130, 265, 432, 611, 645, 646, 681, 1019, 1149 Sophokles 1211 Spaemann 1119
1235
Spinoza 18, 19, 73, 91, 92, 159, 160, 162, 175, 218, 326, 463, 487, 690, 722 Spitzley 88 Stalin 1102 Stemmer 126, 127, 129 Stirner 800, 804, 1125 Taylor 1117 Terenz 952 Theseus 827 Thompson 302, 867, 888 Trendelenburg 17 Tugendhat 122, 411, 718, 719 Tuomela 114 Wagner 1112 Weber 551, 1090, 1095 Wessels 23, 145 Williams 353, 683 Wittgenstein 18, 24, 34, 75, 79, 88, 92, 112, 117, 127, 140, 177, 191, 199, 216, 223, 230, 290, 325, 375, 376, 427, 435, 444, 489, 503, 783, 803, 806, 905, 908, 944, 952, 959, 961, 970, 996 Wohlrapp 64
Sachregister
Aberglauben 121, 148, 153, 257, 326, 555, 562, 834, 986, 996, 1008, 1010, 1014, 1101
accuracy 353, 393, 437, 683, 1169, 1182 Ästhetik 455, 632, 778 Agnostizismus 216, 339, 354, Absicht 72, 117, 124–128, 132, 810 216, 229, 232, 233, 337, 495, 582, 609, 612–615, 664, 669, Akteur 318, 326, 383, 408, 409, 674–677, 683, 684, 686–690, 614 692, 698, 704–706, 708, Aktualisierung 54, 59, 96, 183, 712–715, 725, 726, 731, 732, 245, 246, 433, 436, 573, 623, 762, 766, 791, 794, 859, 861, 637, 685, 686, 706, 713, 715, 869–871, 938, 968–970, 978, 716, 725, 729, 730, 735, 792, 980, 984–989, 1015, 1032, 799, 863, 913, 915, 941, 949, 1037, 1073, 1090, 1094, 1095, 980, 988, 994, 1000, 1006, 1099, 1127, 1136, 1138–1140, 1075, 1126, 1136, 1138, 1140, 1142, 1143, 1150, 1151, 1153, 1154, 1142, 1146, 1147, 1152, 1185, 1156–1159, 1161–1167, 1169, 1210, 1213 1173, 1176, 1181, 1183 Allmacht 258 das Absolute 27, 58, 69, 154, Allwissenheit 257 156–158, 174, 199, 201, 214– Altruismus 1112, 1173 216, 224–226, 233, 234, 237, An-und-für-sich-sein 107, 110, 238, 265, 297, 338, 339, 369– 313, 540, 631, 644 375, 377, 403, 548, 606, 637, Analogie 27, 73, 77, 91, 126, 656, 749, 762, 946, 1179, 1184 147, 235, 250, 277, 278, 295, 306, 325, 326, 392, 689, 690, der absolute Begri= 614, 617, 702, 708, 814, 837, 893, 917, 710 979, 1014, 1028, 1029, 1134 Absolutheit 69, 307, 765, 774, Andacht 756–758 777, 781, 784, 786, 800, 807, Anekdote 842, 1019 809, 985, 1058, 1069, 1070, Anerkanntsein 688, 699 1101, 1125, 1126, 1194
1238
Sachregister
Anerkennung 32, 38, 46, 47, 51, 52, 54, 58, 117, 118, 128, 129, 143, 144, 149, 151, 152, 159, 175, 181, 185, 202, 204, 232, 254, 261, 262, 264, 265, 273, 344, 360, 361, 391, 410, 482, 580, 610–612, 639, 655, 665, 666, 672, 676, 677, 682–685, 689, 692, 698, 704, 708, 711–714, 724, 725, 729, 737, 740, 745, 746, 762, 766, 771, 773, 781, 793, 803, 806, 808, 821, 855, 955, 993, 1020, 1021, 1029, 1056, 1083, 1086, 1089, 1096, 1098, 1106, 1170, 1195–1197, 1204, 1206, 1207, 1210, 1213 Anschauung 18, 80, 89, 110, 118, 119, 154, 174, 180, 197, 199– 201, 219, 222, 224, 227, 247, 273, 294, 295, 306, 343, 413– 416, 422, 428, 442, 455, 458, 461, 462, 466–468, 470, 472, 473, 478, 479, 493, 494, 497, 526, 547, 552, 632, 637, 706, 829, 937, 938, 948, 1007, 1072 Aporie 30, 190, 312, 692, 805, 1116 Apotheose 1131 Arbeit am Begri= 44, 153, 169, 188, 198, 199, 205, 210, 212, 412, 842, 1052 Arbeitsteilung 48, 206, 1053 aret¯e 1106, 1114, 1122 Artform 232, 308, 364, 454, 865, 866, 873, 886, 922, 923,
925–929, 933, 935–937, 942, 962 Attention 124, 163–165, 242, 433, 491 Aufhebung 29, 36, 46, 51, 55, 69, 70, 76, 79–81, 115, 144, 148, 150, 247, 261, 265, 292, 293, 312, 367, 386, 412, 555, 614, 635, 653, 657, 669–671, 707, 717, 724, 859, 1060, 1105, 1121, 1144, 1145, 1210 Aufklärer 940, 977 Aufmerksamkeit 28, 29, 85, 124, 163–165, 172, 203, 285, 313, 315, 325, 332, 362, 367, 392, 426, 430, 433, 491, 493, 539, 541, 681, 689, 698, 829, 849, 926 Aufopferung 257, 293, 721, 769, 770, 772, 773, 1065, 1107, 1111, 1116, 1119, 1121, 1123, 1124 Autismus 382, 807 Autonomismus 382, 1058 Awareness 124, 163, 242, 433, 765 Axiome 18, 46, 48, 72, 190, 191, 201, 236, 237, 275, 287, 831, 948 Begehren 120, 121, 124, 126, 128, 163, 433, 435, 440, 635, 643, 650, 651, 654–658, 660, 686–688, 690, 695, 698, 704–706, 710, 711, 714, 733, 761, 766–768, 860, 908, 909, 990, 1060, 1072, 1077, 1081
Sachregister
Begierde 30, 31, 120, 121, 124–129, 132, 135, 163–165, 262, 400, 435, 440, 640, 642, 643, 648–651, 653–657, 659–661, 669, 672–674, 686–690, 692, 696–700, 702, 704–706, 708, 709, 713, 731–733, 739, 746, 754, 758, 759, 761, 765, 856, 858, 859, 867, 882, 959, 964, 1051, 1060, 1069–1071, 1152, 1162 Begri=, absoluter 789 Begri=e, dichte 346 Begri=sgeschichte 167 Begründungsverpflichtung 410 Behaviorismus 133, 421, 736, 742, 786 Bescheidenheit 49, 353, 765 Besonderes 305, 387, 405, 949, 1090, 1197 Besonderheit 195, 332, 346, 350, 375, 500, 512, 549, 608, 728, 825, 927, 954, 973, 1006, 1009, 1182 Besserwissen 1030, 1059 Betrug 375, 769–771, 998, 1132, 1157, 1169–1171, 1174, 1176 Bewusstsein, das unglückliche 31, 130, 720, 746–748, 755, 758, 765, 773, 774, 778, 785, 1067 Bewusstseinsphilosophie 110, 374, 410, 412, 732, 775, 1126 Bezugsform 58, 66, 85, 1126 Bezugsobjekt 106, 122, 123, 461 Bildungsstufen des Geistes 165
1239
Bindung 138, 588, 791, 936, 1213 Binnenperspektive 449, 596, 933 Blutrache 610, 611 Buddhismus 1107, 1112 Cartesianismus 38, 86, 111, 113, 426, 433, 475, 1047, 1159 Charakter 35, 107, 130, 139, 245, 507, 513, 524, 526, 527, 554, 555, 566, 577, 625, 626, 640, 642, 678, 724, 752, 808, 854, 862, 864, 869, 896, 902, 912–914, 918, 951, 953, 960, 965–968, 970–972, 974, 975, 978, 980, 984, 985, 987, 995, 1003, 1004, 1008, 1011, 1013–1016, 1019, 1024, 1033, 1134, 1137, 1144 commitment 437 Defaultfall 295 Deismus 218 deklarativ 117, 1021, 1073 Dekonstruktion 15, 70, 115, 230, 718, 719 Demokratie 151 Demut 765, 766, 770, 771, 774 Destruktion 63, 70, 113, 230, 395, 413, 494, 715, 719 Dezisionismus 136 Dialektik der Religion 139 der Vernunft 131, 143 des Geistes 136
1240
Sachregister
Dialogik 53, 1177 Dilemma 425, 521 Dimension 186, 267, 281–283, 347, 505–507, 516, 519, 520, 545, 596, 778, 887, 1177 direction of fit 264 Disziplin 44, 49, 61, 164, 206, 210, 329, 332, 1107 Drama 1170 Dualismus 86, 715 e;zienzkausal 293, 444, 563, 579, 598, 602, 627, 721, 853– 855, 857, 869, 870, 879, 892, 960, 974, 1019, 1045, 1145 Ehre 39, 610, 1061 Ehrlichkeit 986, 1085, 1086, 1088, 1095, 1160, 1163, 1164, 1166, 1167, 1182, 1188, 1191, 1206–1208 eidolon 43 eidos 20, 43, 66, 108, 184, 232, 287, 308, 454, 551, 638, 652, 653, 655, 860, 866, 873, 922, 923, 926, 930, 1130 Eigeninteresse 342, 710 Eigensinn 709, 710, 733 Eigentum 103, 167, 209, 243–245, 247, 251, 259, 266, 331, 768, 769, 800, 816, 1023, 1186, 1199, 1200, 1202–1205, 1212, 1214 Eigentumsregime 1200, 1204, 1214 Einzelgeist 59
Eitelkeit 299, 314, 315, 356, 382, 393 Empirismus 30, 31, 55, 56, 113, 115, 163, 198, 199, 202, 290, 305, 309, 340, 354, 358, 359, 369, 410, 412, 417, 423, 425, 426, 430, 432, 433, 441, 442, 444, 445, 470, 474–476, 485, 537, 568, 570, 740, 788, 804–806, 812, 820, 867, 939, 1036, 1052, 1069, 1070, 1074, 1077–1080, 1082, 1108, 1131 empraktisch 35, 36, 41, 54, 112, 152, 153, 167, 172, 185, 247, 248, 278, 300, 310, 315, 323, 348, 349, 378, 385, 405, 408–410, 416, 433, 442, 460, 462, 479, 542– 544, 550, 563, 633, 641, 642, 725, 782, 817, 927, 947, 1044, 1067, 1068, 1115, 1119, 1131 enaktiv 33, 115, 163, 247, 366, 433, 482, 515, 546, 650, 873, 885, 937, 1055 Endlichkeit 85, 130, 152, 156, 163, 175, 199, 202, 205, 353, 361, 388–390, 703, 704, 778, 779, 926 energeia 538, 866, 870 Engel 451 Entäußerung 1028 entelecheia 866, 870, 871 Entität 77, 422, 534, 572, 599, 604, 607, 680, 746, 863, 870, 872, 893 entitlement 273
Sachregister
Entschuldigung 216, 393, 771, 960, 1016 Entzweiung 219, 558, 618, 619, 645, 647, 756, 758, 759, 826, 942 Enzyklopädie 76, 85, 344, 664 Epoche 65, 97, 148, 253, 254, 360, 463, 470, 486, 505, 522, 527, 534, 582, 741, 790, 982 Epos 141 Erbsünde 863 Erinnerung 20, 103, 115, 146, 192, 209, 230, 243, 325, 416, 653, 712, 793, 814, 823, 824, 826, 951 Erkenntnistheorie 335–338, 340, 353, 355, 357, 359 Erlösung 765, 1110 Ethik 21, 22, 57, 62, 63, 79, 204, 355, 612, 778, 1077, 1078, 1095, 1102, 1190 e¯thos 63, 65, 137, 139, 234, 235, 348, 349, 950, 951, 962, 1050, 1053, 1056, 1058, 1059, 1062, 1063, 1097, 1099, 1100, 1114, 1184, 1185, 1197, 1199, 1210, 1214 Ethos 1196 Evidenz 279, 280, 306 Evolutionsgeschichte 892 Exekutive 151 Existenz 86, 87, 97, 100, 107, 128, 185, 199, 219, 224, 229, 239, 327, 330, 339, 402, 417, 430, 442, 463, 476, 484, 534,
1241
561, 592, 593, 630, 646, 719, 724, 747, 750, 777, 782, 784, 795, 799, 831, 835, 869, 890, 907, 916, 926, 966, 973, 986, 995, 1029, 1036, 1057, 1081, 1109, 1111, 1116, 1201 Explikation 34, 35, 52, 53, 69, 86, 89, 112, 141, 168, 172, 184, 185, 194, 196, 247, 249, 256, 306, 321, 349, 368, 399, 426, 621, 629, 641, 660, 709, 723, 794, 808, 942, 945, 1131 Explizitmachen 172 expressiv 52, 58, 148, 217, 261, 391, 658, 665, 809, 988, 1021, 1073, 1207, 1208 Familie 32, 187, 228, 496, 611, 866 Fatum 1154 Feuilleton 1013 Formalismus 214, 215, 230, 260, 294, 296, 297, 310, 722, 837 Formbezug 338 Formen des Wissens 19, 349, 356, 385, 397, 442 Formenreproduktion 53, 171, 211, 246, 647, 1213 Formieren 706, 707, 709, 724 Freiheit, absolute 70, 737, 742, 786, 905, 906 Frevel 1207, 1208 Frömmigkeit 771
1242
Sachregister
Fürsichsein 96–102, 106–109, 116, 123, 142, 167, 178, 228, 238, 244, 246, 305, 313, 362, 363, 387, 391, 402, 428, 434, 460, 461, 480, 485, 488, 490, 499, 501, 519, 521–523, 527–529, 531, 535, 549–551, 561, 565, 568, 571, 573, 599, 628, 630, 631, 641, 644, 645, 659, 675, 677–680, 682, 684, 687, 688, 691, 695, 696, 699, 700, 702, 703, 705– 707, 724, 726, 727, 729, 752, 754, 759, 764, 769, 772, 775, 779, 823, 826, 850, 851, 861, 863–865, 905, 915–917, 921, 923, 943, 948, 962, 965, 978, 996, 997, 999–1001, 1012, 1027–1030, 1035, 1040, 1041, 1051, 1052, 1061, 1064–1068, 1074, 1075, 1079, 1083, 1089, 1090, 1105, 1124, 1128, 1141, 1157, 1176, 1178, 1182, 1185, 1187 Gefangenendilemma 1179 Gegenständlichkeit 259, 984, 1041, 1043, 1048, 1160 Gegenwart 48, 50, 148, 159, 166, 201, 203, 229, 230, 253, 257, 282, 286, 299, 341, 359, 380, 389–391, 434, 451, 462, 463, 470, 474, 570, 572, 586, 661, 667, 673, 703, 709, 713, 752, 754, 755, 757, 782, 784, 785, 789, 790, 813, 815, 816, 914, 978, 980, 981, 986, 990,
992, 993, 998, 1062, 1084, 1097, 1110, 1120, 1123, 1125, 1148, 1185, 1209 Geist, absoluter 32, 56–59, 256, 257, 311 Geistesgeschichte 26, 661, 935, 956, 1020 Geisteswissenschaften 56–58, 68, 144, 204, 424, 867 Geistwesen 949 Gemeinde 32, 203 Gemeinwillen 1210 Genealogie 985, 1117, 1185, 1213 genos 232, 866, 926, 1130 Gesellschaft 40, 45, 68, 204, 243, 530, 611, 881, 977, 1057, 1097, 1118 Gesinnungsethik 1094–1097, 1099 Gespenst 301, 1006, 1034, 1205 Gewahrsein 29, 71, 124, 163, 392, 407, 479, 493, 650, 656, 681, 689, 698, 702, 704, 926, 935, 1072, 1081, 1152 Gewissenhaftigkeit 438, 1085, 1169, 1170, 1182, 1191 Gewohnheit 46, 145, 169, 189, 216, 249, 314, 324, 365, 394, 713, 949, 950, 954, 955 Glaube 140, 148, 158, 200, 205, 213, 255, 341, 385, 393, 418–420, 536, 607, 721, 753, 844, 894, 908, 940, 985, 995, 1008, 1010, 1013, 1014, 1018, 1025, 1119, 1209
1243
Sachregister
Glaubensphilosophie 154, 190, 312, 333, 489, 607, 722 Gnomen 191 Gottesdienst 757 Gottesstaat 762, 1122 Gottmensch 156 Großmut 1172, 1173 Gutmensch 1087, 1094, 1121 Haltung 14, 69, 70, 83, 85, 90, 131–134, 143, 144, 202, 210, 240, 257, 343, 358, 378, 392, 418, 420, 423, 584, 637, 656, 691, 733, 743, 761–763, 765–767, 773, 791, 806, 975, 982, 985, 987, 990, 997, 1037, 1049, 1069, 1091, 1164 Harmonie 319, 1000, 1010 Herrschaft 26, 124–126, 129, 130, 262, 532, 558, 663, 689–691, 696, 700–704, 712, 716, 732, 733, 739, 740, 746, 768, 786, 827, 1158 Herzenskündiger 1085 hexis 767 Hinterwelt 187, 568, 782, 816, 1081, 1119, 1123, 1185 historia 68, 193, 272, 302, 608, 823, 842, 867, 887, 936, 940, 951 Hochmut 1100 homo oeconomicus 130, 134, 135, 381, 714, 1173, 1178 homo rationalis 134, 1171, 1173 homo sentimentalis 1160
hybris
1092
Hypostasierung 71, 113, 187, 269, 590, 621, 695, 778 Ich = Ich
641, 785
Idealismus 16, 86, 87, 95, 105, 111, 304, 307, 412, 422–424, 521, 543, 570, 606, 662, 734, 741, 781, 783, 784, 786, 788, 792, 793, 797, 802–807, 809, 1082, 1084, 1163 Ideengeschichte Imagination
66, 151, 935
87, 362, 439
Imperativ, kategorischer 51, 955, 1044, 1188, 1195, 1203 Individuum 78, 103, 165, 166, 239, 242–245, 252, 321, 332, 333, 390, 420, 644, 647, 649, 651, 658, 679–681, 688, 693, 707, 722, 723, 787, 800, 823, 826, 864, 874, 876, 877, 891, 904, 907, 911–914, 921, 923–926, 928–932, 937, 949, 950, 955, 956, 958, 959, 962–966, 968, 970, 973–975, 981, 986, 989– 991, 999, 1013, 1016, 1017, 1032, 1049, 1051–1053, 1055, 1057, 1059, 1060, 1064, 1067, 1068, 1077, 1079, 1088–1090, 1100, 1102, 1118, 1120, 1121, 1131, 1134, 1141–1144, 1146–1150, 1154, 1158, 1161, 1162, 1167, 1175, 1177, 1179, 1181, 1208, 1209 Inkommensurabilität
281
1244
Sachregister
Ismen 18, 190, 194, 195, 197, Innerlichkeit 304, 309, 323, 574, 730, 900, 906, 924, 925, 258, 412 978, 980 Insichsein 917, 976, 978, 994, Judentum 141, 1028, 1029 1003, 1005 Institution 39–42, 47, 49, 51, 52, Kanon 212, 344, 581, 582 54–57, 59, 60, 64, 65, 67, 68, Kantianismus 55, 154, 354, 810, 144, 151, 153, 154, 160, 161, 164, 1082, 1094, 1131 Karikatur 733 169, 228, 241, 258, 264, 272, 300, 311, 347–349, 357, 379, 382, Katachrese 73, 94, 235, 270, 385, 403, 408, 409, 424, 608, 944, 963 611, 724, 736, 738, 739, 771, 791, Kategorie 19, 40, 98, 102, 104, 167, 184, 261, 442, 463, 484, 794, 838, 935, 1039, 1051, 1053, 486, 498, 519, 545, 580, 598, 1056, 1057, 1059, 1091, 1094, 626, 644, 654, 679, 721, 789, 1096–1099, 1104, 1107, 1120, 1123, 1127, 1178, 1193, 1198, 791–804, 911, 946, 1020, 1028, 1036–1041, 1044, 1049, 1071, 1202, 1205, 1207–1211, 1214 Interesse 14, 165, 193, 203, 243, 1074, 1076, 1097, 1105, 1120, 1126–1130, 1132, 1175, 1176, 245, 246, 305, 336, 381, 440, 585, 782, 813, 815, 816, 822, 1178–1181, 1209, 1211 827, 828, 850, 865, 866, 876, Kategorienfehler 75, 76, 645, 650, 884, 980, 1039, 1042, 888, 899, 932, 938, 939, 1122, 1045, 1047 1143, 1144, 1151, 1166, 1171, 1173, 1178, 1179, 1202 Kausalerklärung 562, 597, 600, Intuition 48, 49, 119, 154, 191, 894, 957, 960, 977 205, 306, 329, 352, 377, 383, Knechtschaft 26, 663, 689, 835, 841, 861, 1032, 1054, 1059, 690, 701, 702, 710, 712, 732, 1061, 1072 733, 739, 746, 786 Ironie 14, 73, 84, 91, 135, 330, Kohärenz 88, 773, 810, 911, 331, 370, 373, 441, 476, 569, 1044, 1084, 1091, 1100, 1203 574, 602, 610, 733, 744, 782, Kommunismus 1200, 1204, 791, 814, 815, 883, 979, 992, 1205 996, 1006, 1012, 1013, 1016, Kommunitarismus 32 1024, 1047, 1092, 1108, 1116, Komödie 952 1117, 1130, 1163, 1164, 1189 Kompatibilität 496
Sachregister
Kompromiss 734, 1120, 1121 Konsens 21, 45, 47, 129, 135, 162, 221, 238, 345, 348, 607, 771, 1009, 1092, 1121, 1170 Konsequentialismus 1094 Konsequenz 152, 373, 374, 484, 741, 1014, 1042, 1074, 1081, 1093, 1190 Konsistenz 88, 496, 967, 1084, 1091, 1100, 1198–1200, 1203 Konstatierung 16, 199, 230, 272, 376, 385, 581, 582, 637, 783, 794, 867, 1181 Konstitution 37, 54, 109, 134, 151, 375, 379, 460, 489, 509, 530, 572, 621, 721, 752, 757, 797, 806, 845, 847, 1176, 1202 Konstruktion 18, 36, 70, 95, 201, 247, 274, 276, 278, 295, 301, 306, 337, 461, 513–515, 521, 567, 568, 579, 602, 607, 625, 848, 933, 941, 997 Kontemplation 201, 732, 733, 753 Kontingenz 66, 1012, 1154, 1159, 1199 Kooperation 35, 41, 49, 52, 67, 161, 252, 345, 351, 355, 359, 372, 380, 429, 435, 493, 741, 878, 984, 1007, 1034, 1035, 1092, 1098, 1177, 1179, 1200, 1208, 1213 Kooperativität 51, 351, 359, 740, 1194 Koordination 359, 427
1245
Kriterien 42, 48, 148, 149, 211, 275, 290, 298, 302, 344, 346, 353, 360, 370, 385, 390, 393, 394, 397, 400, 401, 412, 414, 419, 484, 538, 582, 628, 679, 680, 685, 727, 760, 778, 779, 786, 790, 795, 817, 1078, 1085, 1109, 1186, 1187 Künstler 1068 Kulturgeschichte 490, 1091 Kulturtradition 51, 957, 974, 1101 Kunstreligion 140, 141 Landkarte 301 Lebensform 20, 58, 59, 135, 137, 141, 193, 299, 302, 308, 649–653, 655, 722–724, 750, 852, 853, 858, 860, 865, 866, 871, 873, 881, 889, 891, 892, 898, 909, 912, 922, 925, 926, 928, 930, 931, 935–937, 1030, 1053, 1056, 1070, 1097 Liebe 70, 153, 157, 198, 199, 202, 203, 221, 222, 226, 233, 234, 358, 796, 951, 953, 1060, 1061, 1192, 1193 linguistic turn 969 Materialismus 140, 231, 307, 420, 489, 521, 529, 570, 634, 846, 1034, 1108 Maxime 14, 21, 22, 135, 138, 382, 714, 773, 1091, 1092, 1178, 1198 Meditation 678, 679, 943
1246
Sachregister
Metalogik 240 Metapher 35, 39, 73, 77, 266, 313, 326, 371, 454, 504, 534, 565, 577, 643, 671, 708, 725, 814, 817, 819, 873, 879, 882, 884, 979, 993, 1044, 1131 Metaphysik 16, 44, 61–63, 69, 84–86, 201, 204, 212, 227, 258, 287, 294, 342, 343, 353, 375, 570, 722, 739, 788, 1080 Metastufe 95, 488 Methode, dialektische 36, 356, 568 Metonymie 73, 814, 1129 Modalität 796 Möglichkeiten 45, 49, 50, 136, 175, 200, 201, 213, 229–232, 257, 268, 274, 280, 308, 336, 338, 341, 359, 361, 364, 365, 384, 385, 403, 442, 465, 502, 503, 525, 526, 540, 547, 558, 568, 570–572, 581, 598, 599, 636, 668, 696, 699, 704, 721, 776, 783, 791, 810, 824, 834, 839, 854, 856, 866–868, 881, 882, 903, 936, 956, 963, 964, 979, 981, 985, 1003, 1006, 1015–1018, 1026, 1051, 1054, 1078, 1109, 1123, 1129, 1142, 1144, 1199, 1205 Moralität 138, 348, 1061, 1147 Moralprinzip 21 Mundizee 70 Mystiker 14
Mythos 974
255, 738, 761, 773, 943,
Naturalismus 37, 45, 293, 508, 555, 570, 629, 875, 1006, 1108 Naturgesetz 298, 575, 588, 893 Naturphilosophie 111 Naturrecht 140, 1204 Negativität 161, 162, 174, 219, 220, 226, 228, 263, 277, 283, 300, 309, 315, 316, 494, 513, 659, 692, 702, 703, 706, 709, 738, 742, 743, 779, 905, 906, 915, 917, 921–924, 926–928, 931, 932, 942, 946, 1040, 1041, 1064, 1132, 1135, 1145, 1149, 1157 Neigung 342, 712–714, 717, 749, 768, 949, 951, 953, 981 Niedertracht 766, 770, 771, 1103 Nihilismus 875 noein 307 Normalfall 80, 92, 161, 271, 295, 296, 313, 493, 511, 677, 923, 1096, 1142, 1145, 1147, 1154, 1156 Normativität 38, 127, 220, 267, 311, 345, 346, 351, 392, 426, 697, 750, 752, 756, 770, 773, 926, 1037, 1058, 1062, 1072, 1084, 1091, 1098, 1100, 1118–1120, 1124, 1176, 1206, 1210, 1212 Normierung 53 Notwendigkeit 66, 71, 125, 194, 195, 198, 202, 205, 226, 244,
1247
Sachregister
256, 257, 278, 282, 291, 302, 303, 310, 311, 340, 367, 383, 390, 394, 402, 425, 444, 460, 507, 528, 544, 562, 580, 581, 590–596, 616, 620, 624, 653, 666, 776, 796, 798, 815, 832, 838, 839, 853–855, 858, 861, 862, 864, 895, 897, 907, 908, 913, 927, 938, 939, 945, 947, 958–960, 971, 975, 976, 1026, 1031, 1065, 1066, 1076–1082, 1085, 1086, 1088, 1095, 1097, 1102, 1109–1111, 1118, 1119, 1155, 1156, 1191, 1202 Objektbewusstsein Objektbezug 338, 461
124
168, 220, 241, 318,
Objektivität 86, 113, 116, 118, 121, 136, 149, 294, 316, 363, 373, 419, 420, 523, 547, 606, 655, 694, 710, 792, 803, 819, 1070, 1106, 1159 Objektstufe Ökonomie
488 349, 1128, 1193
O=enbarung 306, 328, 329, 1062, 1110, 1113 ontisch 79, 104, 255, 326, 341, 480, 483, 568, 595, 607, 628, 685, 695, 792 Operator
106, 599, 794, 1109
Optimismus
358
Orakel 39, 69, 191, 192, 329, 330, 658, 668, 909, 993
Organisation 51, 143, 289, 292, 1134, 1193, 1200 ousia 155, 159, 180, 184, 185, 436, 500, 652, 866, 871, 872, 922, 930 Panegyrik Parabel
204
738
Paradox der Analyse 247, 399, 1131
168, 172,
Paradoxie 73, 75–77, 79, 292, 323, 363, 396, 411, 520, 632, 754, 786 Pathos 169, 170, 1046, 1063, 1097 Perfektionsideal
1067
Persönlichkeit 102, 765, 911, 913, 954, 956, 1107, 1117 Perspektive 56, 91, 119, 176, 178, 181, 212, 272, 290, 303, 389, 390, 406, 425, 434, 436, 438, 455, 456, 459, 466–469, 472, 497, 500, 504, 523, 525, 537, 539, 550, 596, 613, 615, 632, 661, 718, 733, 773, 796, 802, 809, 811, 829, 849, 870, 906, 1021, 1038, 1054, 1108, 1161, 1169, 1172, 1178 Pflanze 28, 60, 131, 139, 146, 150, 157, 194, 231, 232, 298, 650, 738, 824, 826–828, 873, 875, 888, 933 philosophia
43–45, 49, 61, 193
1248
Sachregister
Philosophie, analytische 15, 16, 26, 156, 230, 463, 502, 628, 721, 788 philosophy of mind 55, 56, 391, 986 Physikalismus 231, 258, 417, 418, 422, 423, 438, 570, 634, 721, 806, 905, 940, 1081 Pluralismus 254, 1087 politeia 243, 262, 689 Politik 204, 359, 791, 911, 1098, 1127 Postulate 1010 potentia 1052 prädeterminiert 255, 508, 958, 995 Prädikatenlogik 190, 333 Präferenz 714, 867, 964, 1077, 1150 Pragmatismus 15, 340, 343, 357, 394, 403, 476, 569, 629, 719, 736, 741, 1182 Praxisform 34, 39–41, 43, 51, 52, 57, 59, 64, 65, 67, 68, 79, 144, 151, 168, 169, 174, 177, 196, 200, 225, 228, 238, 259, 267, 272, 308, 311, 347–349, 355–357, 403, 724, 791, 794, 838, 926, 1050, 1051, 1053, 1056, 1097, 1104, 1107, 1120, 1123, 1199, 1210 Primat der Praxis 132, 343 Prinzip 31, 34, 64, 65, 74, 75, 87, 100, 102, 104, 110, 115, 118, 210, 224, 232, 236, 240, 280,
283, 288, 291, 299, 303, 314, 428, 479, 480, 483, 497–500, 510, 523, 550, 563, 575, 587, 605, 610, 698, 721, 730, 793, 828, 898, 908, 917, 921, 924, 948, 953, 967, 1005, 1011, 1017, 1044, 1091, 1093, 1097, 1108, 1111, 1113, 1116, 1120, 1133, 1189, 1195, 1200, 1201, 1204, 1206, 1207, 1212 Propriozeption 114, 516, 881 Prototyp 100, 287, 313, 347, 364, 511, 544, 829, 979, 1094 Prozessform 303, 597, 907, 925, 994, 1038 Psyche 79, 243, 378, 849, 871, 872, 912, 913, 954, 1033 Psychologie 55, 257, 298, 306, 307, 717, 774, 872, 878, 885, 949, 951, 952, 961, 963, 965, 986, 987, 1008, 1011 Pythagoräismus 49, 423, 940, 1108 Rationalismus 31, 86, 216, 621 Rationalität 135, 339, 354, 716, 788, 1178, 1214 Rechtssetzung 348 Redeform 53, 73, 75, 86, 156, 223, 227, 232, 271, 318, 489, 492, 577, 579, 580, 629, 636, 682, 685, 814, 828, 836, 847, 913, 924, 1021, 1034, 1041, 1077 Redlichkeit 1084, 1085, 1095, 1170, 1191
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Sachregister
Reflexionsbegri= 789 Reflexionsform 21, 57, 112, 133, 134, 161, 192, 723, 810, 1162, 1188 Reflexionsphilosophie 110, 369, 394, 684, 938 Reflexionsstufen 113, 137, 693 Reformation 1107 Regress 325, 345, 640, 720, 1085 Reinheit 329, 847, 941, 1031, 1032 Reinigung 572, 841 res cogitans 86, 111, 115, 219, 475, 666, 679, 717, 776, 777, 786, 995, 1159, 1180 Revolution 57, 68, 207, 1058, 1085, 1092, 1107, 1123 Risiko 47, 84, 129, 135, 212, 358, 686 Romantiker 14, 718 Sachwissenschaft 22, 58, 62, 190, 191, 193, 194, 196, 370, 444 Säkularisation 257 Sanktion 345, 771 Sarkasmus 1013, 1024 Schicksal 13, 299, 707, 971–973, 1016, 1076, 1080 Schließen materialbegri