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German Pages [488] Year 2012
Hanns Eisler _ Ein Komponist ohne Heimat ?
Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg am Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg Herausgegeben von Hartmut Krones
Band 6
Hartmut Krones (Hg.) Hanns Eisler _ Ein Komponist ohne Heimat ?
Hanns Eisler Ein Komponist ohne Heimat ?
Herausgegeben von Hartmut Krones
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch die MA 7 – Kulturamt der Stadt Wien – Wissenschafts- und Forschungsförderung, die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie die „Hanns und Steffy Eisler Stiftung“
Redaktion und Layout: Maria Helfgott Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-205-77503-4 Titelbild: Georg Eisler: Hanns Eisler (mit freundlicher Genehmigung durch Alice Eisler) Umschlagrückseite: Enttäuscht und verbittert nach der Berliner Faustus-Debatte, Hanns Eisler bei einem Schiffsausflug auf der Donau, Ende Juli 1953 (Sammlung Jürgen Schebera) Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest
Inhalt Vorwort des Herausgebers ......................................................................................................... 7 HARTMUT KRONES (Wien) Hanns Eisler – Ein Komponist ohne Heimat? ....................................................................... 9 MANFRED WAGNER (Wien) Zum kulturgeschichtlichen Umfeld des jungen Hanns Eisler ............................................ 15 CHRISTIAN MARTIN SCHMIDT (Berlin) „Sonate, que me veux-tu?“. Zu Hanns Eislers Klaviersonaten und deren Vortrag ........ 21 THOMAS AHREND (Berlin) „Mir ist beinah, ich wäre wer…“. Zu Hanns Eislers Palmström, op. 5............................... 35 SIMONE HOHMAIER (Berlin) Die Verfolgung oder Fünfzehn Minuten Irrsinn – Hanns Eisler und Béla Balázs ......... 53 ANNETTE THEIN (Berlin) „Dort wo du nicht bist...“ Das Eigene und das musikalische Erbe am Beispiel von Eislers Liedern im Exil ...................................................................................................... 65 FRIEDERIKE WIßMANN (Berlin) „Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“ Hanns Eisler über seinen Johann Faustus in memoriam Arnold Schönberg ........................................... 83 PETER SCHWEINHARDT (Berlin) Schicksal am Lenkrad – Hanns Eislers Beitrag zum österreichischen Heimatfilm? (Filmausschnitte auf der beiliegenden DVD) ........................................................................ 97 GERD RIENÄCKER (Berlin) „Künftigen Glückes gewiß, gewiß, gewiß“ – fünf Sätze über Eislers „Ernste Gesänge“..................................................................................................................... 109 ANTONIA TEIBLER (Wien) Erstfunde mexikanischer Dokumente zu Hanns Eislers Gastprofessur am Conservatorio Nacional de Música in México D. F. .......................................................... 117 ROBERTO KOLB (México, D. F.) Hanns Eisler, Silvestre Revueltas und die mexikanische Kampfliedkultur (Tonbeispiele auf der beiliegenden CD) ............................................................................... 133 NURIA SCHOENBERG NONO / HARTMUT KRONES Die Erinnerungen von Nuria Schoenberg Nono an Hanns Eisler .................................. 151
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Inhalt
MANFRED MUGRAUER (Wien) „Regelung der Parteiangelegenheit“. Hanns Eisler und die Kommunistische Partei Österreichs...................................................................................... 157 HANNS EISLER An Stelle einer Antwort [an Marcel Rubin] .......................................................................... 186 HARTMUT KRONES (Wien) Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse ............................ 187 WOLFGANG GLÜCK / PETER DEEG 17 Uhr: Besuch von Eislers. Sachen dagelassen. Gespräch über einen Komponisten ohne Heimat .............................................................. 281 HANNES HEHER (Wien) Hanns Eisler und die Wiener Komponistenszene der Nachkriegszeit ........................... 303 STATEMENTS ZUM ROUND TABLE „HANNS EISLER UND DIE DDR“ (Die Statements wurden für die Drucklegung erweitert.) Günter Mayer (Berlin) †: Offener Frevel. Eisler-Rezeption und „Materialschlacht“ in der DDR-Musikwissenschaft vor 1968 .......................................... 319 Jürgen Schebera (Berlin): Wie ich zum Eislerianer wurde. Persönliche Erinnerungen an die Eisler-Rezeption in der DDR ..................................... 327 Gerd Rienäcker (Berlin): Hanns Eisler – ein Sonderfall .................................................... 331 Wolfgang Hufschmidt (Essen): „Zusammengewachsen, was zusammengehört“. Die Internationale Hanns-Eisler-Gesellschaft .................................. 341 TOBIAS FAßHAUER (Berlin) Quellen zu Werk und Leben Hanns Eislers aus dem Besitz von Wolfgang Glück im Berliner Hanns-Eisler-Archiv ............................................................................... 343 PETER DEEG (Rostock/Berlin): Dokumentation „Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht, aber ich kann es nicht ändern“. Das Jahr 1950 in der Korrespondenz von Hilde Glück mit Hanns und Louise Eisler ........ 365 HARTMUT KRONES (Wien) Hanns Eislers Bühnenmusik zu Johann Nestroys Höllenangst. Zu der dem Band beigegebenen CD-Einspielung .............................................................. 453 Die beiliegende CD: J. Nestroy / H. Eisler: „Höllenangst“ sowie Kampflieder von S. Revueltas ................. 474 Die beiliegende DVD: Ausschnitte aus „Schicksal am Lenkrad“ (Musik Hanns Eisler) ...................................... 475 Personenregister ....................................................................................................................... 476 Copyrightvermerke................................................................................................................... 486
Vorwort des Herausgebers Das die Abteilungen „Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis“ sowie „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ vereinigende „Institut für Musikalische Stilforschung“ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien besitzt durch die von ihr besorgte spezielle Verbindung von Wissenschaft und Praxis eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Gesamtspektrums Erforschung und Interpretation von Musik. Sein Hauptanliegen ist es, die Musik der verschiedensten Stilperioden unter den jeweils zeitadäquaten historischen, interpretationsästhetischen sowie auch kulturgeschichtlichen Aspekten zu betrachten; und hier hat sich neben den allgemeinen Bereichen von Alter und Neuer Musik seit vielen Jahren die Musik der Wiener Schule als spezieller Schwerpunkt etabliert. Wurden die stilistisch-aufführungspraktischen Aspekte (auch der Wiener Schule) bis zum Inkrafttreten des Universitätsorganisationsgesetzes im März 2002 von der 1987 gegründeten Lehrkanzel „Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis“ abgedeckt, so legte das 1996 ins Leben gerufene „Arnold-Schönberg-Institut“ der Universität sein Augenmerk ganz speziell (und ausschließlich) auf die Erforschung und stilgerechte Ausführung der Musik Arnold Schönbergs bzw. insgesamt der Wiener Schule. Diese beiden Bereiche wurden dann 2002 in die oben genannten Abteilungen überführt, die im „Institut für Musikalische Stilforschung“ zusammengefaßt sind. Trotz dieser strukturellen Wandlungen war es immer ein Hauptanliegen der genannten „Organisationseinheiten“, Leben und Wirken der Meister der „Wiener Schule“ möglichst umfassend zu dokumentieren sowie vor allem den Studierenden nahezubringen, aber auch dafür Sorge zu tragen, daß die Aufführungslehre der Komponisten und Interpreten der „Wiener Schule“ weiter beachtet und tradiert wird. Wissenschaftliche Symposien, Workshops und Interpretationskurse dien(t)en diesen Zielen in gleicher Weise, wobei bereits 1990 das im Rahmen des Festivals „Wien Modern“ veranstaltete internationale Symposion „Struktur und Freiheit in der Musik des 20. Jahrhunderts“ speziell das „Weiterwirken der Wiener Schule“ in den Blick nahm. Weitere Tagungen hatten Alexander Zemlinsky, Anton Webern (vor allem dessen Funktion im Rahmen der „Arbeiter-Sinfonie-Konzerte“), die Interpretation der Klaviermusik der Wiener Schule, das Schicksal der Komponisten der Wiener Schule sowie ihrer Aktivitäten in den Verbotszeiten von Ständestaat und Nationalsozialismus oder „Die österreichische Symphonie im 20. Jahrhundert“ als Thema. Mittlerweile war 1998 das Wiener „Arnold Schönberg Center“ gegründet worden, in dessen Räumlichkeiten Center und Universität das „Arnold-Schönberg-Institut“ bzw. später das „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ ansiedelten, und seit damals richten die beiden Institutionen jährlich gemeinsam ein bis zwei internationale Symposien aus, die vor allem Arnold Schönberg und seine mannigfaltigen Aktivitäten in den Blick nehmen. Eine Ergänzung finden diese
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Vorwort des Herausgebers
Veranstaltungen durch ausschließlich vom „Wissenschaftszentrum“ organisierte Tagungen, die das Umfeld der Wiener Schule, deren „Zweite Generation“, die Rezeption von deren stilistisch durchaus unterschiedlichen Œuvres sowie die Lebensumstände aller Vertreter der Gruppe in den Blick nehmen, und hier insbesondere auch deren Schicksal im Exil. Ein Komponist, der alle diese Themenkreise „abdeckt“, ist der in Wien aufgewachsene, dann in Berlin wirkende, nach bewegten Exil-Jahren wieder nach Wien zurückkehrende und schließlich in Ostberlin lebende Schönberg-Schüler Hanns Eisler, der seinen Lehrer – im Gegensatz zu der „offiziellen“ ästhetischen Position der DDR-Kulturpolitik – bis zuletzt verehrte und sich zudem immer als Wiener fühlte. Aus diesem Grund hat das „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ in den Jahren 2003 und 2009 zwei internationale Eisler-Symposien veranstaltet, die vor allem die Wiener Wurzeln und das Wiener Umfeld sowie die auf den Grundsätzen der Schönbergschen Lehre basierende Musik des Komponisten zum Gegenstand der Betrachtungen nahmen. Der vorliegende Band versammelt nun die (zum Teil wesentlich erweiterten) Referate der ersten Tagung und ergänzt sie durch umfangreiche Dokumentationen von Quellen, die nicht nur bislang unbekannte Details zur Eislerschen Biographie einbringen, sondern auch seine lebenslange Liebe zu Wien widerspiegeln und die Trauer um den Verlust der „alten“ Heimat als einen wichtigen Grund für die Depressionen seiner späten Jahre vermuten bzw. erkennen lassen. Der Band „Hanns Eisler – Komponist ohne Heimat ?“, der nun zeitgerecht zu den Feierlichkeiten anläßlich des „50. Todestages“ des Meisters erscheint, soll somit nicht zuletzt dazu beitragen, hinter dem Musiker und dessen in seiner Bedeutung immer noch etwas unterschätztem Œuvre vor allem den Menschen Hanns Eisler zu erkennen. Wien, im Juli 2012
Hartmut Krones
HARTMUT KRONES (Wien)
Hanns Eisler – Ein Komponist ohne Heimat ? Hanns Eisler, in Leipzig geboren und in Berlin gestorben, war weder Leipziger noch Berliner, sondern Wiener. Das weiß jeder, der ihn (sei es persönlich, sei es auf Tonkonserve) jemals sprechen gehört hat, das weiß jeder, der (egal wann) mit ihm privat zusammengetroffen ist, das weiß aber auch jeder, der seine Musiksprache in allen ihren (auch semantischen) Details untersucht und verstanden hat. Denn Eisler zog bereits im Alter von zwei Jahren1 nach Wien und lebte dort zunächst 25 Jahre (bis 1925), in welcher Zeit er zunächst die Volksschule und das RasumowskyGymnasium besuchte (das er wegen der im Sommer 1916 erfolgten Einberufung zum k. k. österreichisch-ungarischen Militär verlassen mußte) sowie in Siegfried Bernfelds „Jugendkulturbewegung“ verkehrte (aus der bald die sogenannte „Sprechsaal-Gruppe“ und schließlich die Vereinigung sozialistischer Mittelschüler hervorging2). Nach dem Krieg studierte er am Neuen Wiener Konservatorium (bei Karl Weigl) sowie dann (insbesondere in Mödling) privat bei Arnold Schönberg und feierte auch seine ersten Erfolge als Komponist. In Wien leitete er, u. a. im Rahmen des „Reichsverbandes der Arbeiter=Gesangvereine Deutschösterreichs“ (bzw. ab 1925 „Österreichs“3), Arbeiterchöre, wie dies 25 Jahre zuvor bei Arnold 1
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Wann genau die Familie Eisler nach Wien übersiedelte, ist nach wie vor nicht bekannt. Folgende Daten konnten gesichert werden: Am 31. Dezember 1900 erklärte die Mutter von Hanns, Ida Maria Eisler, beim Magistratischen Bezirksamt Landstraße, Wien III, ihren Austritt aus der evangelisch-lutherischen Glaubensgemeinschaft (Aktzahl 62.802, dokumentiert im Archiv der Wiener Kultusgemeinde). Dem jüdischen Glauben trat Ida Maria Fischer dann am 26. August 1901 bei, als Wohnort ist Wien III, Kolonitzgasse 7, angegeben. Bernfeld gründete Ende 1912 oder Anfang 1913 den „Sprechsaal Wiener Mittelschüler“ (unter „Mittelschule“ verstand man in Österreich bis vor kurzem Schüler der Gymnasial-Stufe, also Schüler zwischen Volksschule und Hochschule), der ab Sommer 1913 im Schoß des „Akademischen Comitees für Schulreform“, A. C. S., weitergeführt wurde. Laut „Bernfelds Rechnung“ hatte diese Vereinigung, die im März 1914 polizeilich aufgelöst wurde, schließlich ca. 500 Mitglieder, davon 450 Juden. Am 10. Jänner 1914 wurde dann ein „Sprechsaal für deutsch-arische Mittelschüler“ gegründet. Siehe Friedrich Scheu, Ein Band der Freundschaft. Schwarzwald-Kreis und Entstehung der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler, Wien– Köln–Graz 1985, S. 23f. Bekanntlich wurde die am 12. November 1918 ausgerufene „österreichische Republik“ offiziell „Deutschösterreich“ genannt und als „Teil der deutschen Republik“ bezeichnet. Am 10. September 1919 mußte im Rahmen des Vertrags von St. Germain aber dem von den Siegermächten gewünschten Staatsnamen „Republik Österreich“ zugestimmt werden. Dieser Name wurde am 21. Oktober 1919, dem Tag der Ratifizierung des Vertrages, offiziell eingeführt. Die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs“ behielt aber bis zu ihrem Verbot am 12. Februar 1934 ihren Namen bei. Ebenfalls entgegen den Bestimmungen des Vertrags von St. Germain verwendete man auch von 1920 bis 1929 die von Staatskanzler Karl Renner (Text) und Wilhelm Kienzl (Musik) geschaffene Hymne „Deutschösterreich, du herrliches Land, wir lieben dich“ als (inoffizielle) Staatshymne Österreichs. (Sie wurde 1929 durch die von Ottokar Kernstock gedichtete, ebenfalls durchaus deutschnationale Hymne „Sei gesegnet ohne Ende, Heimaterde wunderhold“ abgelöst, die zur Melodie von Joseph Haydns „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ gesungen wurde.) – Die Österreichische Arbeiter=Sängerzeitung führte ab dem
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Schönberg und in den 1920er Jahren u. a. bei Anton Webern, Erwin Stein, Georg Knepler, Kurt Pahlen, Paul Amadeus Pisk oder Josef Polnauer der Fall war,4 gab (im sozialdemokratischen „Verein für volkstümliche Musikpflege“) musikalischen Elementarunterricht, wurde bereits 1924 von einem großen Wiener Verlag (der Universal-Edition5) angenommen und erhielt schließlich im Mai 1925 als knapp Siebenundzwanzigjähriger den „Kunstpreis der Stadt Wien“. Bei Schönberg, dem „Vater der Wiener Schule“, dem er seine 1922/23 geschaffene 1. Klaviersonate, op. 1, „in höchster Verehrung und Dankbarkeit“ widmete, lernte Eisler laut eigener Aussage „ein richtiges Verständnis der musikalischen Tradition der Klassiker“, ja „überhaupt erst musikalisches Verständnis und musikalisches Denken“: „Vor allem bewunderte ich erstens den echt musikalischen Tiefsinn, den Schönberg der Tradition, die er besser kannte wie jemand anderer in der Welt ... das bewunderte ich am meisten. Plötzlich fing ich an, wirklich Musik ganz anders zu verstehen. [...] Seine unerbittliche Strenge gegenüber einem Schüler, und er mochte mich, das darf ich sagen, sehr gern, war außerdem sehr eindrucksvoll.“ Und schließlich lernte Eisler bei Schönberg „etwas, was heute gar nicht mehr richtig verstanden wird: Redlichkeit in der Musik, Verantwortlichkeit in der Musik und das Fehlen von jeder Angeberei, um ein Berliner Wort zu nehmen. Ein Musikstück muß erstklassig ausgehört sein. Es muß mit größter Verantwortlichkeit gesetzt sein, ob es nun eine einfache achttaktige Melodie ist oder ein komplizierter Orchestersatz [...].“6 Zusammengefaßt: In Wien wurde Eisler zum Komponisten. Doch auch nach seiner Herbst 1925 erfolgten Übersiedlung in die etwas weltoffenere deutsche (preußische) Hauptstadt Berlin war Eisler in Wien gleichsam „zu hause“ – 1930 etwa lieferte er an Karl Kraus die Musik zu Die letzte Nacht, den Epilog von dessen „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“ Die letzten Tage der Menschheit, und in von Anton Webern und Erwin Stein geleiteten „ArbeiterSinfonie-Konzerten“ wurden regelmäßig Werke von ihm gespielt bzw. gesungen, vor allem von Weberns „Singverein der sozialdemokratischen Kunststelle“ sowie von Steins Arbeitergesangsverein „Freie Typographia“.7 Und nur etwas mehr als
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1. Oktober 1919 (und dies bis 1. Dezember 1924) den Untertitel „Organ des Reichsverbandes der Arbeitergesangvereine Deutschösterreichs“, ehe mit 1. Jänner 1925 (gemeinsam mit der Änderung des Formats sowie der Titelschreibung in Arbeiter-Sängerzeitung) „Deutschösterreichs“ durch „Österreichs“ abgelöst wurde. Im redaktionellen Teil der Zeitung blieb aber immer die seit der ersten Nummer vom 1. April 1902 verwendete Bezeichnung „Verband der Arbeiter-Gesangvereine Oesterreichs“ (bzw. später „Reichsverband“) bestehen. Hiezu siehe Hartmut Krones, Anton Webern, die „Wiener Schule“ und die Arbeiterkultur, in: Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik, hrsg. von Hartmut Krones (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 2), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 51–85. Der Verlag, der sich zunächst primär als Wiener Verlag verstand, schrieb sich noch bis 1955 offiziell mit Bindestrich. Nathan Notowicz, Wir reden hier nicht von Napoleon, wir reden von Ihnen. Gespräche mit Hanns Eisler und Gerhart Eisler, (Ost-)Berlin 1971, S. 45f. Auch Georg Eisler war, zum „Ortswechsel“ seines Vaters von 1925 befragt, der Meinung, dies sei „kein endgültiger Schnitt“ gewesen; „er war ja öfter wieder in Wien. [...] Es war einfach das Wegfahren in einen Bereich, wo es für ihn mehr Möglichkeiten gab.“ Ortswechsel. Zwischen Wien und Berlin. Georg Eisler im
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sieben Jahre nach seiner Übersiedlung nach Berlin sollte ihm Wien wieder Station einer persönlichen Wende werden: Am 19. März 1933 dirigierte Webern im Großen Konzerthaussaal im Rahmen der sozialdemokratischen „Märzfeier“ Eislers Das Lied vom Kampf, „Eine Lied-, Chor- und Sprechmontage nach Dichtungen von Bert Brecht“, mit Nummern aus Die Maßnahme und aus Die Mutter samt abschließendem Solidaritätslied aus Kuhle Wampe. Bereits Mitte Jänner war Eisler über Einladung Weberns nach Wien gefahren, um an den Vorbereitungen des Konzertes mitzuwirken, Mitte Februar reiste er kurz nach Berlin, fuhr vor den Schlußproben wieder nach Wien und kehrte dann nach dem Konzert (das zu einem aufsehenerregenden Protest gegen die Dollfuß-Diktatur und deren offen eingestandene „Absage an den Parlamentarismus“ wurde) wohlweislich nicht mehr in die deutsche Hauptstadt zurück; hatten in Berlin doch die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten seine Wohnung durchsucht und ihn selbst auf die „Schwarze Liste“ gesetzt. Bekanntlich floh Eisler von Wien aus Eisler in die Tschechoslowakei und landete nach weiteren Stationen in Frankreich, England, Dänemark, der USA, der UdSSR sowie in Spanien und Mexiko schließlich endgültig in den USA, aus welchem „Land der Freiheit“ er 1948 – als (angeblicher) Kommunist – schließlich wieder ausgewiesen wurde. In Wien blieb Eisler in den letzten Monaten der auch hier sehr bald zu Ende gehenden Freiheit aber weiterhin präsent: Noch in der März/April-Nummer der sozialistischen Monatszeitschrift Die politische Bühne8 war sein Artikel „Einiges über die Aufgaben der Arbeiterchorbewegung“ erschienen, in dem er das „planvolle Experimentieren“ in den Konzerten der Arbeiterchöre lobte und vor allem „das politische Lehrstück“, „die Chormontage“ und „das einstimmige Singen“ hervorhob. Die Oktober-Nummer der Österreichischen Arbeitersänger-Zeitung9 druckte den Artikel wenig später ebenfalls ab, und Eislers Musik verdankte man dann die letzten Töne, die man in einem Wiener Konzert in Freiheit genießen konnte: Am 11. Februar 1934 dirigierte Erwin Leuchter (der dann 1936 vor den Austrofaschisten nach Argentinien flüchtete) in einem Arbeiter-Sinfonie-Konzert im Großen Musikvereinssaal Werke von Stölzel, Pisk, Bach, Milhaud und Honegger sowie abschließend die Musik zu einem Tonfilm von Hanns Eisler. Sie endete mit dem Solidaritätslied, das von Ausführenden und Publikum stehend gesungen wurde, ehe man – am Vorabend des Bürgerkrieges und der (am 12. Februar dekretierten) gewaltsamen Auflösung der Sozialdemokratischen Partei – gemeinsam zum Parlament zog und gegen die Zerschlagung der Demokratie protestierte. Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, im Oktober 1945, nahm Eisler dann wieder Kontakt mit Erwin Ratz auf, seinem Wiener Freund und Mitstudenten bei Arnold Schönberg, dem es wohl zusammen mit seiner Lebensgefährtin Lizzy Ber-
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Gespräch mit Albrecht Dümling, in: Österreichische Musikzeitschrift 53 (1998), Nr. 7–8, S. 42–51, hier S. 42. Die Politische Bühne 2 (1933), hrsg. von der Sozialistischen Veranstaltungsgruppe, Nr. 3/4, März/April, S. 51–53. Österreichische Arbeiter-Sängerzeitung XXXII (1933), Nr. 10, 1. Oktober 1933, S. 126–128.
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ner auch gelang, die Universal-Edition10 bzw. deren Direktor Alfred Schlee für Eisler zu interessieren.11 Im Frühjahr 1946 kehrten zudem Eislers erste Frau Char10 11
Hiezu siehe u. a. Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil, Wiesbaden–Leipzig–Paris 2006, S. 46f. Am 30. März 1946 schrieb Schlee an Eisler (Adresse: 188 Malibu Beach, Pacific Palisades, California): „Sehr geehrter Herr Eisler ! / Von Erwin Ratz und Lizzy Berner habe ich erfahren, dass Sie viel Neues komponiert haben. Sie werden sich vielleicht noch an mich erinnern, in Berlin habe ich Sie einige Male gesprochen. / Sofort nach Beendigung der Kämpfe haben wir im Verlag trotz der grössten Schwierigkeiten die Arbeit wieder aufgenommen und eines der ersten Werke, die wir noch im Vorjahr herausbrachten, waren Ihre Elegien. / Nun würde es mich sehr interessieren von Ihnen zu hören, ob Sie schon mit einem Verleger bezüglich Ihrer neuen Kompositionen in Verbindung sind, oder uns Ihre Werke einsenden möchten. Besonders bin ich natürlich auf die ,Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben‘ neugierig, da ja schon der Titel sehr verlockend klingt. / Bitte schreiben Sie mir recht bald, wie Sie über diese Dinge denken. / Mit vorzüglicher Hochachtung“. Eisler antwortete am 1. August 1946 aus Malibu Beach: „LIEBER HERR SCHLEE : / VIELEN DANK FUER IHREN BRIEF. SELBSTVERSTAENDLICH ERINNERE ICH MICH AN SIE SEHR GUT. ES HAT MIR GROSSES VERGNUEGEN GEMACHT, ZU HOEREN, DASS IHR WENISGTENS [!] ETWAS VON MIR GEDRUECKT [!] HABT. LASST MIR DOCH EINIGE BELEGEXEMPLARE SCHICKEN. BEVOR ICH IHNEN NEUES SCHICKE, WUERDE ICH IHNEN RATEN.SICH MIT RATZ IN VERBINDUNG ZU SETZEN, DER WIE ICH HOERE,JA BEI IHNEN ARBEITET. ER SOLL VORSCHLAGEN, WAS MAN VON MEINEN ARBEITEN, DIE ER BESITZT WIEDER AUFLEGEN ODER NEUE DRUCKEN KOENNTE. VILLEICHT IN FOLGENDER WEISE: ETWAS KAMMERUND KLAVIERMUSIK, EINIGE ARBEITERCHOERE, LIEDER, KANTATEN, EINIGES AN ORCHESTERMUSIK, AUCH ETWAS AUS MEINER SYMPHONIE. MAN SOLLTE DEN TITEL AENDERN UND AUCH DIE KLEINE SYMPHONIE, DIE IN RUSSLAND GEDRUCKT IST, ABER AUCH KLAVIERSTUECKE FUER KINDER UND KINDERLIEDER,ETZ. ES IST EINE UNMENGE BEI RATZ,MACHT DOCH EINE AUSWAHL, DIE EUEREN BEDINGUNGEN ENTSPRICHT. ES DUERFTE JA IN KURZER ZEIT WIEDER MOEGLICH SEIN, DIESE ARBEITEN AUCH IN ANDEREN LAENDERN ZU VERTREIBEN. SOBALD ICH VON IHNEN GEHOERT HABE, WIE SIE UEBER DIESEN VORSCHLAG DENKEN, WERDE ICH UNTER MEINEN NEUEN ARBEITEN EINE AUSWAHL TREFFEN. ICH MOECHTE ABER VON EUCH DOCH KONKRETER WISSEN, WAS OPORTUN FUER EUCH IST, DA EIN VERLAG JA KEINE ABSTRAKTE ERSCHEINUNG IST, SONDERN AN SEHR KONKRETE BEDINGUNGEN BEBUNDEN [!]. SO IST Z.B. DIE ARBEIT NACH DER SIE SICH ERKUNDIGEN, „VIERZEHN ARTEN DEN REGEN ZU BESCHREIBEN“, EIN AESSERST KOMPLIZIERTES KAMMERMUSIKSTUECK, KURZ UND GUT, BESPRECHEN SIE DAS MIT RATZ UND SCHREIBEN SIE MIR NOCH EINMAL, DANN WERDEN WIR SCHON ZUSAMMENKOMMEN. / ICH WIEDERHOLE, ES HAT MICH SEHR GEFREUT VON IHNEN ZU HOEREN UND WIR DENKEN AN EUCH ALLE MIT DER AEUSSERSTEN ANTEILNAHME. VIELLEICHT IST ES NAECHSTES JAHR WIEDER MOEGLICH ZU REISEN, DANN WERDE ICH BESTIMMT NACH WIEN KOMMEN, UM EUCH ALLE ZU SEHEN. / MIT DEN BESTEN GRUESSEN IHR [handschriftlich:] Hanns Eisler“. Offensichtlich stockte in der Folge der Briefverkehr, jedenfalls urgierte Eisler am 30. September 1947 aus „23868 W. Pacific Coast Hway / Pacific Palisades, Cal“: LIEBER HERR SCHLEE : / SEIT MONATEN HABE ICH EIN PACKET NOTEN FUER SIE VORBEREITET, DASS AN DIE UNIVERSALEDITION ABGESCHICKT WERDEN SOLL. DARUNTER SYMPHONISCHE WERKE WIE DEN „REGEN“ LIEDER UNTER DEM SAMMELNAMEN „DAS HOLLYWOODER LIEDERBUCH“ UND KAMMERWERE [!]. WIE SIE WISSEN, KANN ICH DAS ALLES NICHT NACH WIEN ABSCHICKEN, BEVOR ICH VON DORT NICHT OFFIZIELL EIN ANSUCHUNGSSCHREIBEN BEKOMME, EIN SOLCHES IST NIEMALS HIER ANGEKOMMEN. BITTE VERANLASSEN SIE DOCH, DASS ES MIR SOFORT PER LUFTPOST UND EINGESCHRIEBEN GESCHICKT WIRD. FALLS EIN SOLCHES VERLORENGEANGEN SCHIKEN SIE ES GLEICH WIEDER. / AUCH IST MEIN BUCH „COMPOSING FOR THE FILM“ SOEBEN HIER IN DEM OXFORD UNIVERSALVERLAG
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lotte Demant und der gemeinsame Sohn Georg aus dem englischen Exil nach Wien zurück, und Dezember 1946 lud der damalige (kommunistische) Wiener Stadtrat Viktor Matejka den Komponisten ein, nach Wien zurückzukehren. Eisler antwortete zwar ausweichend, betonte jedoch seine innere Bindung an die Donaumetropole: „Ich hänge besonders an Wien und habe nie aufgehört die Wiener Arbeiter zu bewundern.“12 Bald aber bemühte er sich intensiv um eine Rückkehr nach Wien, um die (erneute) Ausstellung eines österreichischen Reisepasses sowie um eine Professur am Wiener Konservatorium, und eine auf Grund seines Verfahrens vor dem amerikanischen „Committee on un-American Activities. House of Representatives“ („House Un-American Activities Committee“, HUAC) gestartete massive Intervention prominenter österreichischer Musiker13 beim Wiener „Gesandten der Vereinigten Staaten“, Eisler die Ausreise nach Österreich zu ermöglichen, ließ Wien vollends als selbstverständliches Ziel seiner Rückkehr nach Europa erscheinen. Und so suchte Eisler nach seiner am 12. Februar [!] 1948 erfolgten Ausweisung14 aus den USA gleichsam selbstverständlich wieder in seiner Heimatstadt Wien und somit in deren „auch durch zwei Kriege nicht zerstörbare[n] Lieblichkeit“ Zuflucht, wenngleich ihm der damalige Provinzialismus der Donaumetropole durchaus „auf die Nerven“15 ging. Dennoch: Für das am 16. September 1948 mit Nestroys „Höllenangst“ eröffnete „Neue Theater in der Scala“ wurde Eisler und keiner der vielen konservativen Wiener Kollegen mit der Komposition der Bühnenmusik beauftragt, und auch in späteren Jahren gab ihm die „Scala“ immer wieder Aufträge. Zudem wurde seine Musik sowohl im österreichischen Rundfunk als auch in Veranstaltungen kommunistischer und anderer „links“ eingestellter Vereinigungen regelmäßig gespielt.16 Eine Professur und somit eine feste Anstellung allerdings erhielt er (wie
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ERSCHIENEN, ICH WUERDE IHNEN AUCH DAVON EIN EXEMPLAR SCHICKEN, FALLS SIE DAS IM ANSUCHUNGSSCHREIBEN MITTEILEN. SOLLTE FUER DAS BUCH IN OESTERREICH INTERESSE SEIN, KANN ICH IHNEN DAS DEUTSCHE MS. SPAETER AUCH SCHICKEN LASSEN. / MIT DEN BESTEN GRUESSEN IHR [handschriftlich:] Hanns Eisler“. Durchschlag bzw. Brief im Archiv der Universal Edition. Zit. nach Schweinhardt (Anm. 10), S. 49. Franz Salmhofer, Joseph Krips, Joseph Marx, Hans Sittner, Wilhelm Fischer, Paul Weingarten, Hans Erich Apostel, Marcel Rubin und Friedrich Wildgans. Federführend war hier Marcel Rubin. Vgl. Schweinhardt (Anm. 10), S. 79, sowie den Artikel von Hartmut Krones, S. 187–280. „Eisler, ein Oesterreicher und Komponist bekannter Arbeiterlieder, der als einer der bedeutendsten jüngeren Musiker gilt, sollte ursprünglich verhaftet werden. [...].“ Östereichische Volksstimme, 20. Februar 1948 (Genaueres hiezu siehe im Artikel von Hartmut Krones, S. 197). Auch andere Wiener Zeitungen bezeichneten Eisler immer als „österreichischen Komponisten“, lediglich der (von der amerikanischen Besatzungsmacht herausgegebene) Wiener Kurier lag falsch: „Der in Österreich gebürtige Filmkomponist Hans [!] Eisler ist mit seiner Gattin gestern abend auf dem Luftwege aus Prag kommend in Wien eingetroffen. Hans Eisler, dessen Bruder Gerhard leitender Funktionär der Kommunistischen Partei in den Vereinigten Staaten ist, wurde, wie der ,Wiener Kurier‘ bereits gestern berichtete, kürzlich aus den USA ausgewiesen. Hans Eisler hielt sich auf seiner Reise nach Wien eine Woche in Prag auf; er beabsichtigt, in Wien als Lehrer an einer Musikhochschule tätig zu sein.“ Wiener Kurier, 2. April 1948. Brief aus Wien an Lion Feuchtwanger vom 27. April 1948. Zit. nach Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 181. Hiezu siehe die Artikel von Manfred Mugrauer, Hartmut Krones und Hannes Heher in vorliegendem Band.
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so viele andere „fortschrittliche“ bzw. avantgardistische Komponisten) nicht, und so ging er 1949 doch wieder (für 13 Jahre) nach Berlin, und zwar in den der (offiziell am 7. Oktober 1949 gegründeten) „DDR“ zugehörigen Ostteil der Stadt, wenngleich er sich Wien zeit seines Lebens gleichsam als (sehr oft besuchtes) „heimatliches Rückzugsgebiet“ offenhielt. Er hatte dort nicht nur bis gegen Ende 1952 eine eigene Wohnung, sondern hielt sich bis 1955 ähnlich oft in Wien wie in Berlin auf und gab vor allem seine österreichische Staatsbürgerschaft (und seinen 1948 wieder erhaltenen österreichischen Reisepaß) nie zurück. Nicht zuletzt entstanden in (bzw. für) Wien in den Jahren 1948 sowie 1953–1956 sechs Bühnenmusiken für das „Neue Theater in der Scala“ sowie in den Jahren 1953–1955 in den RosenhügelStudios fünf Filmmusiken für die „Wien-Film“. Im Sommer 1953 wurde Eislers österreichische Staatsbürgerschaft zum Mittelpunkt umfangreicher Wiener Zeitungsberichte, als der Komponist am 16. Juli von Westberliner Polizisten „in Schutzhaft“ genommen wurde, „weil er so betrunken war, daß er kaum gehen konnte und mit einem Taxichauffeur in ein Handgemenge geraten war“17. „Eisler, der sich dem West-Berliner Polizeibeamten gegenüber als einen der größten lebenden Komponisten bezeichnete, legitimierte sich mit einem österreichischen Paß und erklärte, er komme öfters nach West-Berlin, um mit Kollegen zu plaudern. Er ist bereits wieder in die Sowjetzone zurückgekehrt.“18 Andere Wiener Zeitungen empörten sich in ähnlicher Weise über den Komponisten, andere (die kommunistischen) hingegen über die Westberliner Polizei, die den „echten Wiener“ in einem kapitalistischen Gefängnis einsitzen ließ. Die amtliche Wiener Zeitung war es dann, die den Sachverhalt am 22. Juli 1953 unter der Überschrift „Hanns Eisler und sein österreichischer Paß“ gleichsam offiziell aufklärte: „Zu der auch von uns gebrachten Meldung, daß sich Hanns Eisler bei seiner Anhaltung in Westberlin mit einem österreichischen Paß ausgewiesen habe, wird der ,Rathaus-Korrespondenz‘ folgendes mitgeteilt: Hanns Eisler hat ebenso wie sein Bruder Gerhart bereits im Jahre 1922 im Sinne des Brünner Vertrages für die österreichische Bundesbürgerschaft optiert. Im August 1925 hat er die österreichische Staatbürgerschaft erworben. Da Hanns Eisler seit 1945, soweit bekannt, keine andere Staatsbürgerschaft erwarb, hat er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren.“ Und, wir wissen es: Hanns Eisler fühlte sich auch „zeitlebens als Wiener“19.
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Die Presse, 17. Juli 1953. Zu diesem Vorfall siehe den Artikel von Hartmut Krones, hier S. 243f. Wiener Tageszeitung, 18. Juli 1953. Georg Eisler, Skizzen. Schriften und Zeichnungen, Wien 1990, S. 12.
MANFRED WAGNER (Wien)
Zum kulturgeschichtlichen Umfeld des jungen Hanns Eisler Das kulturgeschichtliche Umfeld des jungen Hanns Eisler kennt zwei Topographien und dauert, nimmt man das Stichwort Jugend ernst, in etwa bis zum Beginn der Studien bei Arnold Schönberg. Auch wenn die Zeit in Leipzig vom 6. Juli 1898 bis zur Übersiedlung nach Wien nur drei Jahre dauerte, war der Aufenthalt in der Familie mit Vater Rudolf, Mutter Ida Maria, geborene Fischer, und den zwei älteren Geschwistern Elfriede (genannt Fritzi) Fischer, geboren 1895, und Gerhart, schon Eisler, geboren 1897, zweifellos prägend. Der Vater, promovierter Philosoph bei dem berühmten Professor für Psychologie und Philosophie, Wilhelm Wundt, stammte aus einer alten tschechisch-jüdischen Bürgersfamilie, die selbstverständlich auch ästhetisch – konkret musikalisch – gebildet war. Die Mutter kam aus einer schwäbischen Bauernfamilie, ebenfalls musikalisch gebildet im Sinne der damaligen Allgemeinbildung und trotz fehlender Schule durchaus klug und soweit intelligent, daß sie Beiträge für Leipziger Zeitungen verfassen konnte. Es ist sehr wohl anzunehmen, daß in dieser Zeit die Grundlagen für die spätere Musikalität nicht nur genetisch gelegt worden waren, sondern auch frühkindlich gefördert wurden und sei es nur passiv. Die Eltern musizierten, sangen sicherlich Lieder und kannten, was auch als sicher angenommen werden darf, die neuen sozialistischen, aber durchaus volksnahen Agitationsgesänge: Folklore, Volksnähe und bürgerliche Musikkenntnisse vom klassischen Klavierspiel bis zum Zeitgenossen Hugo Wolf oder den allbekannten Opernkomponisten. Im Hinblick auf die beiden älteren Geschwister kann man sogar von einer besonderen Förderungsstufe ästhetischer Informationen ausgehen, weil es nicht nur so etwas wie eine vertikale Transmission von Enkulturation durch die Eltern gab, sondern auch eine horizontale Transmission durch mehr oder weniger Gleichaltrige, wenn man so will, ein Verstärkungsmodell der Lernfähigkeiten, wie wir es beispielsweise auch bei Wolfgang Amadeus Mozart und seiner älteren Schwester Nannerl erfahren haben. Auch wenn in Leipzig von einer aktiven Lernphase musikalischer Kontexte kaum gesprochen werden kann, ist anzunehmen, daß jedenfalls vom ersten embryonalen Stadium des Hörens (ab dem 5. Schwangerschaftsmonat) an der Umgang mit im wesentlichen klassischer und zeitgenössischer Musik, nach deren Regeln ja auch die Volks- respektive Agitationslieder gebaut waren, eine intensive passive Bildung voraussetzte. Der Wechsel nach Wien 1901, also der Heimat des Vaters, verstärkte dieses Phänomen nicht nur, sondern brachte bald auch aktive Lernphasen ein. So in der Volksschule in der Löwengasse im 3. Wiener Bezirk, so bei einer wie üblich „ältlichen“ Klavierlehrerin, was die Kinder nicht sehr goutierten, und schließlich am
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Manfred Wagner
Rasumowsky-Gymnasium in der Sophienbrückenstraße. Daß Eisler dort in den ersten Gymnasialklassen bereits zu komponieren anfing, zeigt nur, wie der allgemeine Standard der musikalischen Bildung aussah. Noten hatte er selbstverständlich in der Volksschulklasse gelernt, mehr an Rüstzeug erwarb er sich durch eine Allgemeine Musiklehre von Hermann Wolff, die in Leipzig 1895 erschienen war und tatsächlich eine sehr vernünftige Elementarlehre darstellte. Wiederum in einer horizontalen Transmission erfolgte der Austausch musikalischen Wissens oder musikalischer Geschicklichkeit mit Klassenkollegen, die das Kind besuchte – und da inzwischen das Klavier vermutlich aus finanziellen Gründen wieder abtransportiert worden war, auf deren Instrumenten es spielte und sich gewiß auch deren musikalische Fertigkeiten anhörte. Daß dieser musikalische Wissensstand in Wien besonders hoch war, hat historische Wurzeln in der Verbindung von Lehrerschaft und Kirchendienst, die ja 1805 von Kaiser Franz I. tatsächlich verfügt worden war. Daher war musikalisches Wissen in der Schulpraxis Alltag. Man sah es als selbstverständlich an, daß jedes Kind Noten lesen konnte, die Bürgerkinder, aber auch andere, in der Regel Klavier spielten und damit Kompositionslehren als Vorlagen besaßen – längst konnte nachgewiesen werden, daß die Klavierschulen in Wien allesamt als Kompositionsschulen ausgewiesen waren. Weder Eislers Vater noch der kleine Eisler selbst scheinen hier eine Ausnahme gebildet zu haben. Dazu kam, daß die Stadt vieles musikalisch anzubieten hatte. Nicht nur ein weltberühmtes Opernhaus, das seit 1897 Gustav Mahler leitete und in dem mit den Bühnenbildern Alfred Rollers ganz neue szenische Grundsätze gelegt wurden und nicht nur das philharmonische Orchester, dessen Programme damals tatsächlich auch den neuesten Querschnitt aus Geschichte und Gegenwart boten, sondern weit mehr. Es gab inzwischen das erste Wiener Volksquartett für klassische Musik, den neuen Wiener Konzertverein mit einem eigenen Berufsorchester, das Wiener Tonkünstlerorchester und die durch David Josef Bach initiierten Symphoniekonzerte für die Arbeiterschaft Wiens. Ein statistisches Verzeichnis1 zählt für die Saison 1907/08 329 Konzerte, die von drei Berufsorchestern sowie 21 Amateurorchestern, in zehn sogenannten Konzertinstituten beheimatet, ausgeführt wurden. Zwei Frauenchorvereinen stehen 239 Männergesangsvereine gegenüber, 45 Kirchenmusikvereine betreuen die Pfarreien, sieben angesehene Kammermusikvereinigungen existieren und immerhin 22 Zithervereine. Neun Militärmusikvereine sind allein in Wien stationiert. Wie wichtig dem Staat selbst diese Pflege des kulturellen Erbes war, ist daraus ersichtlich, daß das 1817 von der Gesellschaft der Musikfreunde begründete Konservatorium 1908 vom Staat übernommen und als k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst weitergeführt wurde. 1898 war das musikhistorische Institut an der Universität Wien gegründet worden, und immerhin existieren nebeneinander die Musiken von Bruckner und Brahms, Johann Strauß und Hugo Wolf, Mahler und 1
Musikbuch aus Österreich, 1907/08.
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Schönberg, Zemlinsky und Joseph Schrammel, von den Operettenpäpsten Franz von Suppé, Carl Millöcker, Carl Michael Ziehrer, Carl Zeller, Richard Heuberger sowie Franz Lehár oder von Franz Schreker, Carl Goldmark und Joseph Hellmesberger allein an der Wiener Staatsoper. Genau dort, wo Hanns Eisler nach eigener Aussage oft am Stehplatz war, konnte er hören, was immer er wollte. Viel Wagner natürlich, aber ebenso Verdi, Puccini, Richard Strauss, ebenso Delibes, d’Albert, Wolf-Ferrari, Saint-Saëns, Goldmark, Bittner, Schreker, Schmidt, Pfitzner oder Zemlinsky und Janáček. Die Wiener Philharmoniker spielten neben den Klassikern Liszt, Schumann, Tschaikowskij, Elgar, Reger, Debussy, Borodin, Glasunow, Chopin, Wolf, Mahler, Dvořák, Sibelius, Smetana, Grädener, Reznicek und gar nicht so wenig Bach, Händel, Rameau, Gluck oder Vivaldi. Auch wenn sich die einzelnen Gruppierungen von Gemeinden und Anhängerschaften, vor allem zwischen den Wagnerianern und Brahminen, wütend bekämpften, bot das musikalische Wien nicht nur einen Abriß seiner glänzenden Vergangenheit, sondern auch die unmittelbare Gegenwart: hochqualitativ, aber ebenso trivial, fortschrittlich wie reaktionär. Aussuchen mußte nur der Konsument. Das philosophische und literarische Wien dürfte Eisler vor allem in der Bibliothek seines Vaters kennengelernt haben. Gewiß aber auch in der Schule, die zwar einerseits kaisertreu und konservativ sein mußte, andererseits aber ebenso die zeitgenössische Literatur pflegte. Man konnte weder an der rapide zunehmenden deutschnationalen Literatur vorbeigehen, die im Gefolge Richard Wagners und des dekadenten Wagnerismus sich virusartig ausbreitete, noch an der aus Frankreich einströmenden Décadence, die Hermann Bahr als Waffe gegen den Naturalismus importierte. Das Nietzsche-Fieber hatte damals ganz Wien ergriffen, genauso wie die Todessehnsucht mit dem aus der Welt oder zumindest aus seiner Welt Treten, durch die vieles erklärbar war: Der reale Schritt vom Leben zum Tod (vollzogen von Otto Weininger, Ferdinand von Saar oder Ludwig Boltzmann), manchmal aber nur symbolisch der Schritt vom gesicherten Beamten zum freischaffenden Schriftsteller (wie von Friedrich Wildgans), vom Maler zum Dichter (wie von Kokoschka und Schiele) oder vom Musiker zum Maler (wie von Schönberg). Der Ort wurde gewechselt wie von Myrbach und Kupka, Hölzel oder Franz Brentano, das Aussteigen aus der Realität in die Metaphysik wurde Mode wie bei Kokoschka oder in Richtung jener „anderen Seite“ (nach dem gleichnamigen Roman von Alfred Kubin), wo das Zerfallen der Materie genußvoll als Todesfortschritt beschrieben wurde. Der Tod wurde wieder einmal zum zentralen Thema und zum Titelhelden wie in Hofmannsthals Tor und Tod oder Tod des Tizian, in Schnitzlers Sterben, in Richard Beer-Hofmanns Tod Georgs, aber auch in jenen Fakultätsbildern Gustav Klimts, die die Mediziner nicht wollten, oder in der radikalen Offenlegung der Seele, die Sigmund Freud den Weg zur Akzeptanz verbaute. Man konnte auch an den Literaten und Schriftstellern gar nicht vorbeigehen, weil sie gewöhnlich auf der ersten Seite der Zeitungen im dreispaltigen Feuilleton die politischen Leitartikel in den Schatten stellten. Ludwig Speidel, Ludwig Hevesi,
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Max Nordau, Theodor Herzl, Felix Salten, Stefan Zweig, Anton Wildgans, Hugo von Hofmannsthal oder Arthur Schnitzler bestimmten, worüber diskutiert wurde. Wien um 1900 hatte sich trotz seines gewaltigen zivilisatorischen Aufschwungs, der noch dazu mit vielen Erfindungen punktete, die wir heute als selbstverständlichen Tribut der Moderne bezeichnen, für die Schau nach innen, und damit für Kunst, Musik, Literatur, Architektur und Theater entschieden und nicht für Naturwissenschaften, Physik oder Technik. Zwar saßen zwei theoretische Physiker auf den Lehrstühlen für Philosophie an der Wiener Universität, Ernst Mach seit 1885 und Ludwig Boltzmann seit 1902, zwar konnte Arnold Schönberg mit seiner Erfindung der Zwölftonlehre ein künstliches System der Musik etablieren, zwar durfte Adolf Loos seinem Purismus frönen und Karl Kraus seine Fackel schreiben, aber wirklicher Erfolg war keineswegs garantiert. Hanns Eisler, der in der Schule eher wenig berauschende Noten erhielt, mit Ausnahme des Turnens vielleicht, und der 1914 aus dem Judentum ausgetreten war, fand ein neues Interessensfeld, das sich ihm als kreative Kraftburg auftat: den Sozialismus. Vom Elternhaus her an die neue politische Trägerschaft der Arbeiter gewöhnt, schloß er sich wie auch Viktor Ullmann dem von Siegfried Bernfeld 1912/13 gegründeten „Sprechsaal“ an, einer linken Jugendbewegung, die in Wien vor allem die Söhne und Töchter der jüdisch-liberalen Bourgeoisie anzog. Bernfeld selbst, 1892 im österreichisch-galizischen Lemberg in der Ukraine geboren, war in Wien aufgewachsen und studierte dann mit einer kleinen Unterbrechung in Freiburg, wo er einem Kreis unter Walter Benjamin angehörte, 1911–1915 an der Universität Wien Biologie, Zoologie und Geologie, daneben aber auch schon Pädagogik, die dann ab 1913 sein Hauptfach wurde, dazu Psychologie, Philosophie und Soziologie. 1915 wurde er mit einer Abhandlung über den Begriff der „Jugend“ promoviert. Zusammen mit Walter Benjamin gab er ab 1913 die Schülerzeitschrift Der Anfang heraus und gründete dann das „Academische Comité für Schulreform“ in Wien, wobei er sich im wesentlichen auf die Jugendbewegung Gustav Wienekens und dessen Gedanken zur Jugendkultur respektive der Jugendkulturbewegung bezog. Sympathisanten dieser Gruppe waren auch Theodor Kramer, Paul Lazarsfeld, selbstverständlich die Geschwister Elfriede und Gerhart Eisler, Norbert Elias, Ernst Krenek oder der Dichter Wieland Herzfelde. Im Gegensatz zu seiner Schwester Elfriede, die 1914 nach Ablegung der Matura der sozialdemokratischen Arbeiterpartei beitreten konnte und sich dem Kreis um Friedrich Adler anschloß, später noch bei der „Freien Vereinigung sozialistischer Studenten“ weiter nach links rückte, um schließlich 1918 Mitbegründerin der kommunistischen Partei Österreichs mit der Mitgliedsnummer 1 zu werden, wurde Hanns Eisler aus seiner Wiener Szene in der 7. Klasse herausgerissen und mußte 1916 zum Felddienst einrücken. Damit war eigentlich das kulturelle Umfeld des jungen Hanns Eisler unter normalen Umständen zu Ende. Er, der im Gegensatz zu vielen Intellektuellen in Wien ebenso wie sein Bruder Gerhart, der es immerhin zum Offizier brachte, nichts vom Krieg hielt und dagegen agitierte, prallte mit der Militärmacht zusammen, wurde als
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Sozialist desavouiert und zweimal wegen Befehlsverweigerung bestraft. Ein schwerer Hautausschlag, der ihn ins Lazarett brachte, öffnete ihm angesichts der schwer verletzten Kameraden ebenso die Augen über das wahre Aussehen des Krieges wie sein Aufenthalt im ungarischen Infanterieregiment, wo vor allem Arbeiter und ungarische Bauern dienten, also Menschen, mit denen er bislang nicht in Berührung gekommen war. Andererseits lieferten ihm eben diese Menschen ihre Volksgesänge, die er sogleich aufschrieb – eine weitere kreative Einflußnahme zugunsten einer allgemeinen Verständlichkeit von Musik auch für einfache Schichten, die er trotz des kompositorischen Anspruchs sein Leben lang nicht preisgeben wollte. Vielleicht sollte auch erwähnt werden, daß die Nähe zum Sozialismus, die Hanns Eisler ja quasi von Geburt an vorwies, seine erworbenen ästhetischen Haltungen durchwegs bestätigen sollte. Die Sozialdemokratie war ja von Anfang an aus einer Kulturbewegung entstanden: aus dem ersten Wiener Arbeiterbildungsverein, gegründet am 15. Dezember 1867, worin sich beide Konstitutiva des späteren Austromarxismus auffinden lassen: die visionäre Seite als ein ethisch-ästhetisches Programm und eine realpolitische Seite als Interessensvertretung der aufstrebenden Arbeiterschaft. Wie wichtig diese ethisch-ästhetische Seite war, ist aus den Reden von Engelbert Pernerstorfer ebenso abzulesen wie aus der Prinzipienerklärung der Sozialdemokratischen Arbeiterschaft von 1888/89: „Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk in Österreich ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung“.
Max Adler versuchte als Neokantianer sozialistische Gesellschaftstheorien und bürgerliche Erkenntnisse von Pädagogik und Psychologie miteinander zu verknüpfen. In seiner 1910 erschienenen Schrift Der Sozialismus und die Intellektuellen definierte er nicht nur das „Kulturinteresse“ des Sozialismus, das er vor das „Klasseninteresse“ reihte, sondern auch, daß es „gar nicht um eine in primärer Beziehung politische, sondern vor allem um eine kulturelle Bewegung gehe“.
Erziehung heißt das Schlagwort Adlers, das er als ein „Tun versteht, das revolutionär ist, wie kaum ein anderes“ und damit auch den Intellektuellen zum wahren Revolutionär befähigt: „Zur Organisierung des Sozialismus ist über die bloße Lehre des Lebens der Gedanke nötig, die sozialistische Idee, die Erweckung des revolutionären Klassenbewußtsein, kurz alles das, was man auch aus Büchern lernen muß und was Engels ‚die Entwicklung des Sozialismus zur Wissenschaft‘ genannt hat. Der Schuster, der nur aus dem Leben lernen wollte, was sich um seine Werkstätte abspielt, wird vielleicht ein politisierender Schuster, aber kein Sozialist.“
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Es tat der Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie gut, daß ihre politischen Führer diese Ansprüche auch auf sich selbst beziehen sollten: Otto Bauer, der später zum Wortführer werden sollte, schrieb Dramen. Der spätere Bundespräsident Karl Renner schrieb Gedichte und war auch der Verfasser der ersten österreichischen Staatshymne, die von Wilhelm Kienzl vertont wurde und bis zur Wiedereinführung der Haydn-Hymne 1929 in Verwendung stand. Ferdinand Hanusch, der die vorbildliche Sozialpolitik bestimmte, war der Verfasser von Romanen wie Die Namenlosen, Auf der Walz und Lazarus. Adelheid Popp, die in der Partei als „Engelsschatzerl“ apostrophiert wurde, war die Verfasserin der im Jahre 1909 anonym erschienen Ausgabe der Autobiographie Jugendgeschichte einer Arbeiterin, für die kein Geringerer als der deutsche Parteiführer August Bebel ein Vorwort geschrieben hatte. Sie alle stehen für die Intellektualität, die zumindest in der Jugendzeit Hanns Eislers in Wien die Sympathien der Intelligenz für die Sozialisten geradezu selbstverständlich machte. Daß andererseits die Stadt viele seiner kreativen Potentiale nicht halten konnte, auch nicht das „Rote Wien“, dürfte damit zusammenhängen, daß Berlin, wohin es die meisten Emigranten der Jahre zwischen 1920–1934 zog, als Mittelpunkt europäischer Moderne gesehen werden konnte (und hierin Paris ablöste). Es war nicht nur innerhalb weniger Jahre zur zweitgrößten Metropole nach London mit knapp vier Millionen Einwohnern geworden, sondern es hatte den Anschluß an die neue Zeit, sprich Amerika, radikal vollzogen: Das Bauen auf Energie, Verkehr und Industrie, ein neues Lebensgefühl der Ruhelosigkeit von „Rhythmus, Rausch und Wogengärung“, wie Gerhard Hauptmann stöhnte, die Begegnung der Avantgarde der Künste mit der Massenkultur, wofür Kino und Tanzpalast standen, der Aufbruch von Expressionismus, Dadaismus, von Kabarett und Revolutionsliteratur, von Karikatur und neuer Sachlichkeit, schließlich der Input der Kroll-Oper, einer in Europa führenden Musikakademie und eines neuen Bildungsaufschwungs in Sachen Ästhetik, den Leo Kestenberg befehligte. Hanns Eisler, der sich Zeit seines Lebens mit den politischen Mächten, gleich wo immer, schwertat, bezeichnete sich immer als Wiener und Österreicher. Vermutlich waren es die eher glücklichen Jugendjahre seines kulturellen Umfeldes, die ihn dazu bewegten und, gekrönt vom Studium bei Arnold Schönberg, aus ihm machten, was er uns heute bedeutet.
CHRISTIAN MARTIN SCHMIDT (Berlin)
„Sonate, que me veux-tu?“ Zu Hanns Eislers Klaviersonaten und deren Vortrag Die erste Klaviersonate von Hanns Eisler entstand zwischen März 1922 und März 1923. Am 10. April 1923 folgt in Prag die Uraufführung durch Eduard Steuermann, und dies im Rahmen des XII. Ordentlichen Vereinsabends des dortigen „Vereins für musikalische Privataufführungen“. Und wiederum ein Jahr später, 1924, erscheint die Komposition als Opus 1 bei der Universal-Edition im Druck und trägt nun die Widmung: „Arnold Schönberg in größter Verehrung“. Dies alles scheint so selbstverständlich und für einen mit den Fixpunkten und Gepflogenheiten des Kreises um Arnold Schönberg Vertrauten keiner weiteren Überlegung bedürftig zu sein: Daß Eisler sein noch in den Lehrjahren 1919 bis 1923 bei Schönberg komponiertes Werk im Druck dem verehrten Lehrer widmet, daß als Verlag die Universal-Edition den Druck übernimmt, daß die Uraufführung von Eduard Steuermann, dem Protagonisten unter den Pianisten der Wiener Schule, gespielt wird, daß diese Uraufführung in einer Konzertinstitution stattfindet, deren Einrichtung Schönberg selbst initiiert hatte – alles schiere Selbstverständlichkeiten. Und doch stellt sich unvermutet und erst nach näherem Hinsehen eine Frage, die allerdings weniger die Umstände der Entstehung als vielmehr das Werk selbst, genauer dessen Gattung betrifft: Was veranlaßte den damals sechsundzwanzigjährigen Eisler dazu – und dies ist alles andere als selbstverständlich –, die Reihe seiner gedruckten Werke ausgerechnet mit einer Klaviersonate, d. h. mit einer Gattung zu eröffnen, die es so recht eigentlich gar nicht mehr gab? Nähern wir uns dem Problem von außen, so ist es hinsichtlich der Besetzung gewiß naheliegend, ein Werk für Klavier zweihändig als Erstling zu wählen, ein Werk für eine gleichsam unproblematische Besetzung also, die dem Komponisten – soweit er auch Pianist ist – im Kompositionsprozeß die Möglichkeit bietet, Klang und musikalischen Gedankengang am Instrument selbst zu erproben; eine Besetzung aber auch, die beim Verlag angesichts ihres geringen Anspruchs das Geschäftsrisiko mindert, mithin die Aufnahme in das Verlagsprogramm beträchtlich erleichtert. Für Eisler kam noch hinzu, daß ihm in der eingeschworenen Gemeinschaft um Schönberg mit Eduard Steuermann ein Pianist von Rang verbunden war, auf dessen angemessene Interpretation seiner Sonate er rechnen konnte. Dies alles indes hätte auch für Klavierstücke gegolten, die keine Sonate waren und sein wollten. Und die Tatsache, daß zum Zeitpunkt der Drucklegung des Opus 1, also 1924, bereits zwei Sammlungen solcher Klavierstücke aus Eislers Feder vorlagen (die immer noch unveröffentlichten Fünf Klavierstücke aus den Jahren 1918 bis 1922 und die Klavier-
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stücke von 1923, die dann 1926 als op. 3 gedruckt wurden), verschärft die Frage, warum es ausgerechnet eine Sonate sein mußte. Die Gattung der Klaviersonate nimmt im Laufe des 19. Jahrhunderts eine merkwürdige und bislang kaum hinreichend erklärte Entwicklung. Nach ihrer großen Blüte am Anfang des Jahrhunderts, namentlich und bekanntlich bei Beethoven und Schubert, bricht sie nach des letzteren Tod im Jahre 1828 abrupt ab – und dies, obwohl ihr formales Konzept auf allen Ebenen in anderen Besetzungen, sei es für Orchester, sei es für Kammermusikensemble, unbeschadet überdauerte. Die Sonate für Klavier aber war kompositorisch obsolet geworden; bereits 1839 konstatiert Robert Schumann, die Klaviersonate sei „eine Musikart, die in Frankreich nur mitleidig belächelt, in Deutschland selbst kaum mehr als geduldet“
werde.1 Obwohl also die Klaviersonate als kontinuierlich weitergeführte Gattung der Klavierkomposition nach Schuberts Tod weitgehend verschwand und rasch neben den Klavier-Variationen vor allem durch das Lyrische Charakterstück abgelöst wurde, behielt der Name „Sonate für Klavier“ aus der klassischen Blütezeit der Gattung einen Nimbus, der seine Überlebenskraft gewiß auch aus der permanenten praktischen Pflege der klassischen Stücke dieses Namens zog. Und so gab es denn sporadisch weiterhin Sonaten für Klavier, dies allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit bestimmten Einschränkungen. Zwei Varianten dieses etwas schiefen Verhältnisses zwischen kompositorischer Faktur, ästhetischem Anspruch und Benennung sollen hier angeführt werden. Die eine bestand darin, daß mit Klavierkompositionen, die nicht in allen Teilen den Kriterien der Gattung entsprachen, dennoch ein so hoher ästhetischer Anspruch erhoben wurde, daß die Titel von Charakterstücken, die kleine Dimension suggerieren, zu niedrig gegriffen erschienen und man in Ermangelung eines besseren Namens auf den der Sonate auswich, der von der Klassik nobilitiert war. Diese Strategie hat beispielsweise Schumann an Chopins b-Moll-Sonate kritisiert: „Daß er es ‚Sonate‘ nannte, möchte man eher eine Caprice heißen, wenn nicht einen Übermut, daß er gerade vier seiner tollsten Kinder zusammenkoppelte, sie unter diesem Namen vielleicht an Orte einzuschwärzen, wohin sie sonst nicht gedrungen wären.“2
Ähnliches gilt aber auch für Liszts freilich ganz anders geartete h-Moll-Sonate, die es als vermeintlicher Vorläufer des formalen Konzepts der Symphonischen Dichtung zumal unter Musikwissenschaftlern zu so großer Berühmtheit gebracht hat. Am Rande erwähnt sei das interessante Phänomen, daß der Name Sonate genau in dem beschriebenen schiefen Sinne auch auf Werke für das zweite große Tastenin1 2
Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker II, hrsg. von Heinrich Simon, Leipzig o. J., S. 235. Ebenda S. 51.
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strument, die Orgel, übergriff. Mendelssohn etwa faßte das Kompendium seiner großen Orgelkompositionen der Jahre 1844/45 in den sechs Sonaten Opus 65 zusammen, obwohl fast alle Sätze als Einzelkompositionen, d. h. ohne Bezug zueinander entstanden waren und die Sonatenhauptsatzform – immerhin ein entscheidendes Kriterium für eine Sonate – in keiner von ihnen eine nennenswerte Rolle spielt. Und auch Julius Reubke nannte seine große Phantasie über den 94. Psalm, eine der bedeutendsten Orgelkompositionen des 19. Jahrhunderts, in direkter Anlehnung an seinen Lehrer „Franz Liszt Sonate“. Die zweite Art, in der die Klaviersonate weiterhin eine Rolle spielte, ist diejenige, die uns im Œuvre von Johannes Brahms entgegentritt: Er eröffnete die Reihe seiner gedruckten Werke in allererster Linie mit Klaviersonaten, und zwar solchen, die dem klassischen Formkonzept vollkommen entsprachen: derjenigen in C-Dur, op. 1, der in fis-Moll, op. 2, der in f-Moll, op. 5, und schließlich dem Scherzo es-Moll, op. 4, aus einer ansonsten verlorenen Sonate. Danach hat er sich nie wieder mit der Klaviersonate beschäftigt, und es gibt kein einziges Zeugnis dafür, daß er je wieder auch nur einen Gedanken an diese Gattung verschwendet hätte. Komponierte er später wieder für Klavier, so wendete er seine Aufmerksamkeit den „zeitgemäßen“ Gattungen der Klavier-Variationen bzw. des Lyrischen Klavierstücks zu. Solche Ausschließlichkeit der Positionierung von Klaviersonaten am Anfang des Gesamtwerkes ist gewiß auf den Kompositionsunterricht zurückzuführen, den Brahms bei Eduard Marxsen genossen hatte, und es wird handgreiflich klar, welch großes Gewicht der Klaviersonate im Unterricht bei dem Hamburger Lehrer zukam. Darüber hinaus aber deutet sich die große Rolle an, die die Klaviersonate im Kompositionsunterricht jener Tage insgesamt gespielt haben muß, und sei es nur zur Vorbereitung auf größere Gattungen wie die Symphonie oder das Streichquartett, die sich aus praktischen Gründen leichter am Klavier bewerkstelligen ließ. Daß aber dann die Resultate eines solchen Unterrichts auch als Werke gedruckt wurden, hat andere Gründe. Sie sind in der konservativen Haltung zu finden, die der Lehrer dem Schüler vermittelte – in der Absicht, sich von allem Anfang an nachdrücklich zur Tradition zu bekennen. Und Brahms, bei dem – wie wir wissen – der Konservatismus Marxsens auf außerordentlich fruchtbaren Boden fiel, akzentuierte das Bekenntnis zur Tradition noch dadurch, daß er es gleichsam programmatisch personalisierte: Er stellte entgegen der chronologischen Folge die C-Dur-Sonate an die Spitze seines Œuvres, um seinen Weg in die Öffentlichkeit mit einem Beethoven-Zitat antreten zu können. Und doch geschah das Bekenntnis zur Tradition noch mit einer gewissen Zurückhaltung, ja Selbstbescheidung. Wie wir aus Schumanns berühmten Artikel Neue Bahnen vom Oktober 1853 wissen, hatte Brahms bei seinem ersten Besuch im Düsseldorfer Haus der Schumanns wenige Wochen zuvor neben Klaviersonaten und Liedern auch „Sonaten für Clavier und Violine“, vor allem aber auch „Quartette für Saiteninstrumente“ vorgeführt, also Werke derjenigen Gattungen, denen im Bereich der Kammermusik seit der Klassik der höchste ästhetische Rang zukam. Aber Brahms – sicher auch unterstützt durch Schumanns Rat – verzichtete darauf, sich
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gleich zu Beginn seiner Karriere mit Werken so hohen Anspruchs in die Öffentlichkeit zu wagen. Er bevorzugte den Kompromiß, indem er mit der Klaviersonate zwar zu einer klassischen Gattung, aber einer Gattung griff, die dank ihres reduzierten ästhetischen Anspruchs ihn nicht zwang, nach den Sternen zu greifen und sich als Komponist allzusehr zu exponieren. Und wie lang es gedauert hat, bis Brahms die großen Gattungen Symphonie, Streichquartett und Violinsonate zu seiner Zufriedenheit bewältigt hat, ist oft genug thematisiert worden. Damit liegen die entscheidenden Argumente bereit zur Beantwortung der oben gestellten Frage, warum Eisler eine Sonate und nicht Klavierstücke an den Anfang seines gedruckten Werkes stellte. Schönberg steht wohl nicht im Verdacht, ein so durch und durch konservativer Musiker gewesen zu sein wie Eduard Marxsen; sein Kompositionsunterricht aber dürfte sich in ähnlichen Bahnen bewegt haben. Auch Schönberg bestand darauf, daß man Neues nur auf der festen Grundlage der Bindung an die Tradition schaffen könne, und was er lehrte, bestand dementsprechend nahezu ausschließlich aus der analytischen Beschäftigung mit den Werken der Meister. Wollten seine Schüler neue Musik, Schönbergs Musik, kennenlernen, so waren sie auf das Selbststudium und auf die Diskussionen außerhalb des eigentlichen Unterrichts angewiesen, die in der Tat in großer Zahl und mit beträchtlicher Intensität geführt wurden. Der Öffentlichkeit gegenüber aber solidarisierten sie sich mit der immer wiederholten Versicherung ihres Lehrers, daß seine Musik unlösbar in der Tradition verwurzelt sei. Und so hatte bereits Alban Berg sein gedrucktes Werk mit einem Opus 1 eröffnet, das er Klaviersonate nannte, und Eisler folgte ihm nun mit einer wirklichen Sonate nach. Exkurs: Lernfähigkeit des Hanns Eisler Nachdem Eisler sich im April 1942 in Los Angeles niedergelassen hatte, konnten ihm die Geldsorgen im Hause Schönberg nicht verborgen bleiben. Er bot Schönberg – gleichsam als späten Dank und Antwort auf die umgekehrten Verhältnisse in den zwanziger Jahren – 300 Dollar als Hilfe an; doch Schönberg zögerte, und Eisler schlug als Gegenleistung einige Kompositionsstunden vor. Schönberg durchschaute natürlich die Scheinhaftigkeit des Vorschlags und antwortete grantig: „Wenn Sies immer noch nicht gelernt haben, kann ichs Ihnen nicht mehr beibringen.“3
Schönberg wußte, wovon er redete; er konnte sich noch gut daran erinnern, welches kompositorische Potential der einundzwanzigjährige Eisler aufzuweisen hatte, als er ihn 1919 als Schüler aufnahm – und wir alle werden dies näher begreifen, wenn in Kürze die frühen Lieder gedruckt vorliegen werden. Auch die Klaviersonate op. 1 zeugt für eine solch frühe Reife und zugleich für deren Akzeptanz durch den Lehrer, ohne dessen Zustimmung das Werk sicher nicht hätte gedruckt werden 3
Zit. nach Hans Heinz Stuckenschmidt, Schönberg. Leben – Umwelt – Werk, Zürich–Freiburg 1974, S. 414.
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können. Überhaupt scheint das übliche Schema, das Musikhistoriker für den Lebensgang von Komponisten entworfen haben: Lehrzeit – Reife – Spätwerk bei Eisler nicht zu verfangen. Von allem Anfang ist die kompositorische Kompetenz weit entwickelt, und das gilt namentlich auch für den Bereich der neuen Ausdrucksformen, die er ja in Schönbergs Unterricht nicht kennenlernen konnte. Zu Recht schreibt Thomas Ahrend im Eisler-Artikel der neuesten MGG: „Die kompositionstechnischen Mittel der Wiener Schule verwendet er bereits in den ersten veröffentlichten Kompositionen souverän.“ 4
Und an dieser kompositorischen Kompetenz hat sich im Laufe seines Lebens wenig geändert, man mag auch sagen: wenig entwickelt. Der Titel der zweiten Klaviersonate, op. 6, die wie Bergs Opus 1 einsätzig ist, scheint eine „contradictio in adjecto“ darzustellen: „Sonate für Klavier in Form von Variationen“. Denn es stellt sich das Problem, wie denn das formale Konzept einer Sonate oder eines Sonatenhauptsatzes mit dem von Variationen, wenn man sie denn als Form ansieht, übereinkommen kann. Und so sind die Versuche, die formale Anlage des Werkes zu erklären, bislang alle in Vordergründigem steckengeblieben. Erst Thomas Ahrend hat es in seiner Dissertation5 verstanden, diejenigen Momente präzise herauszuarbeiten, die den musikalischen Diskurs in ständigem Wechsel des Bezugs der Variationenreihung, der Sonatenhauptsatzform oder dem Sonatenzyklus zuordnen lassen. Es handelt sich also um eine „triple function form“, eine Potenzierung der Lisztschen „double function form“, die ja in Schönbergs Werken eine so prominente Rolle spielt. Aus dieser Vervielfachung des formalen Bezugs leiten sich auch der ästhetische Anspruch und die Berechtigung ab, das Stück „Sonate“ zu nennen. Denn unmißverständlich gehört Eislers Opus 6 zu der oben beschriebenen ersten Variante des Fortlebens der Klaviersonate im 19. Jahrhundert: den Klavierkompositionen nämlich, die nicht in allen Teilen den Kriterien der Gattung entsprachen, mit denen aber dennoch ein so hoher ästhetischer Anspruch erhoben wurde, daß ehemals die Titel von Charakterstücken und jetzt der bloße Titel Klavierstück, der kleine Dimension suggeriert, zu niedrig gegriffen erschien und Eisler in Ermangelung eines besseren Namens auf den der Sonate auswich, der von der Klassik nobilitiert war. Erstaunlich indes ist vor allem die Fähigkeit Eislers, sich bereits 1924 kompetent und produktiv mit einer formästhetischen Grundidee der Wiener Schule auseinanderzusetzen, der Idee der formalen Viel- oder Mehrdeutigkeit, die den Zusammenhang einer Komposition durch den ständigen Wechsel zwischen den formalen Ebenen bestimmt oder überbestimmt. Ähnliches gilt für seine durchaus seriöse Adaption jener neuen Idee Schönbergs, die man später Zwölftontechnik genannt hat. Seine reihentechnischen 4 5
Thomas Ahrend, Hanns Eisler, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher. Personenteil 6, Kassel etc. 2001, Sp. 188–199, hier Sp. 195. Thomas Ahrend, Aspekte der Instrumentalmusik Hanns Eislers. Zu Form und Verfahren in den Variationen (Dissertation, Technische Universität Berlin), Berlin 2006.
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Christian Martin Schmidt
Maßnahmen in op. 6 entsprechen genau dem Stand der Überlegungen, der aus den Diskussionen etwa mit Erwin Stein und Erwin Ratz oder aus der analytischen Beschäftigung mit Schönbergs Fünf Klavierstücken, op. 23, abgeleitet werden konnte. Das Verfahren selbst befand sich noch deutlich in statu nascendi: Noch offen war, ob eine ganze Reihe oder nur Motivfragmente Ausgangspunkt der Komposition sein sollten, ob diese Reihe zwölf oder weniger Töne umfassen sollte, ob in einem Stück nur eine oder mehrere Reihen strukturgebend sein sollten usf. Die dritte Klaviersonate wurde 1943 geschrieben, ein Jahr, nachdem Eisler in Los Angeles wieder in persönlichen Kontakt mit Schönberg getreten war. Sie greift auf die Situation am Anfang der zwanziger Jahre in Wien zurück, persönlich in der Beziehung zu Schönberg, sachlich im Bekenntnis zur kompositorischen Heimat im Kreis der Wiener Schule. Anders als Brahms, der durch seine weitere Entwicklung seine frühen Klaviersonaten als gewiß ernstzunehmende Produkte eines aber noch unfertigen musikalischen Denkens, das überholt war, qualifiziert hatte, rief Eisler die kompositorische Situation während seiner Lehrjahre und danach wieder zurück und deklarierte sie für noch immer aktuell. Das hat eine tiefere Bedeutung als die – wenn ich so sagen darf – Besetzungs-Hommagen an Schönberg etwa in der Kammersymphonie von 1940, die wie Schönbergs Opus 9 fünfzehn wenn auch z. T. andere Stimmen aufweist, oder Die vierzehn Arten den Regen zu beschreiben von 1941, die im Rückgriff auf Palmström, op. 5, die Pierrot-lunaire-Besetzung zitieren. Die dritte Sonate zieht gewissermaßen ein Resumée aus der Anlage von op. 1 und 6. Sie ist wie die erste Sonate mehrsätzig und zehrt satztechnisch bzw. in der motivischthematischen Arbeit von den Erfahrungen, die Eisler bezüglich der Reihentechnik gemacht hat. Sie dokumentiert insofern, wie schwierig es zuweilen ist zu bestimmen, ob eine Komposition „zwölftönig“ ist oder nicht. Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht bei meinen Ausführungen nicht darum, „offene Türen einzurennen“ und die Selbstverständlichkeit, an der niemand zweifelt, zu wiederholen, daß Eislers Komponieren ganz allgemein der Wiener Schule zuzuordnen ist. Ziel ist es vielmehr, die Punkte konkret festzumachen, in denen Eisler substantielle Momente des musikalischen Denkens und Produzierens mit den anderen Komponisten des Kreises um Schönberg teilt und welche Bedeutung diesen Momenten in seinem Œuvre zukommt. Und für diese Intention geben die Klaviersonaten ein besonders gutes Exempel an die Hand. Wie fest die Einbindung Eislers weit über seine Wiener Lehrjahre hinaus in das kompositorische, ja allgemein musikalische Denken der Schule Schönbergs war, läßt sich nun in einem Bereich zeigen, dem man landläufig kaum eine solche Aussagekraft zutraut: der Vortragsbezeichnung. Deutlich wird hier, daß dieser Notationsparameter von den Komponisten keineswegs zufällig oder „on the spur of the moment“ zur Geltung gebracht wird, sondern daß er im Verbund mit anderen Facetten des Tonsatzes häufig genug in die rationale Darstellungsform einer Komposition eingebracht wird.
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„Sonate, que me veux-tu?“
Um dies demonstrieren zu können, sind die Vortragsbezeichnungen aller drei Sonaten in den folgenden Tabellen zusammengestellt. Dabei habe ich mich aus pragmatischen Gründen auf die Anweisungen zur Agogik und zum Ausdruck beschränkt, namentlich also die Dynamik unberücksichtigt gelassen, die angesichts ihrer zuweilen und insbesondere in op. 1 fast ausufernder Bezeichnungsdichte den hier vorgegebenen Rahmen sprengen würde. Ich kann aber versichern, daß eine Betrachtung der Dynamik zu keinen anderen Ergebnissen führen würde als die im folgenden vorgetragenen. Zur Erläuterung noch der Hinweis, daß die Schnittmenge der Anweisungen, die Agogik und Ausdruck zugleich betreffen – so z. B. das in der Wiener Schule sehr beliebte „pesante“ –, ebenso wie diejenigen Angaben, in denen agogische und Ausdrucksbezeichnungen verknüpft sind – wie z. B. „Sehr rasch und heftig“ –, der Spalte Agogik allein zugeordnet sind. Sonate op. 1 (1922/1923) I. Satz (138 Takte) Takt 1 4 bis 5 5 5 9 10 10 18 19 22 23 26 27 bis 28 28 30 33 35 37 40 bis 41 42 45 48 56
Ort im Takt 1. Note 5/16 5/16 4/8 l. H. 2/8 5/16 2. TH
2. TH
2/8 2/4 2/16 r. H. 6/16 l. H. 7/16
Agogik Allegro (Viertel = etwa 116–120) rit. - - Fermate Tempo
(Nicht hetzen!) Breit Tempo rit. - - Tempo II. Etwas ruhiger (aber immer noch fließend) poco rit. - - a tempo accelerando Pesante Tempo II rit. - - Tempo I. (etwas ruhiger) Molto accel.
Ausdruck
ff (heftig) (p) espr. molto espr.
Heftig
fff (mit großer Kraft)
dolce dolce
28 57 59 63 63 64 bis 66 65 70 71 74 76 77 83 bis 84 84 87 88 90 94 95 103 104 108 110 bis 111 111 114 115 116 118 123 124 125 133 bis 134 134
Christian Martin Schmidt
8/16 5/16 5/16 5/16 2. Note 7/16 2. Note 6/16 4/16 5/16 2. TH l. H. r. H. 2. TH 1/8 r. H. 2/8 3/8 2/16 7/16 4/16
Schnell Etwas mäßiger Ruhiger poco rit. - - Tempo II Tempo II Steigernd Pesante Sehr schnell poco rit. --Tempo I Breiter Sehr schnell und heftig Breit Tempo I rit.- - Tempo II Sehr schnell und heftig Zurückhaltend Wieder Tempo II accelerando Breit molto rit. Tempo II rit. - - Presto
dolce molto espr.
molto espr. espr. molto espr. dolce
II. Satz – Intermezzo (65 Takte) Takt 1 5 13 26 27 31
Ort im Takt 1. Note r.H. r. H.
Agogik Andante con moto Sehr zurückhaltend Zart bewegt Nicht eilen
Ausdruck dolce dolce
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„Sonate, que me veux-tu?“
35 37 bis 38 38 39 56 61 64 bis 65
Scherzando poco rit. - - Tempo I nicht schleppen Pesante Heftig, schnell rit. - - -
7/8 3/4 4/4 Ende
III. Satz – Finale (126 Takte) Takt vor 1 2 8 12 12 15 19 bis 20 20 28 29 31 31 bis 32 32 37 39 42a 46 50 52 54 56 60 64 66 67 71 86 91 97 98 106
Ort im Takt 3/8 5/16 3/8 5/16 4/8
4/8 2/8 3/8 5/8 3/16 7/16 2/8 3/16
5/8 7/16 3/8
Agogik Allegro (Viertel = 112) Sehr fließend Vorwärts Breit Tempo Beruhigend rit.- - Fließend Etwas breit Zeit lassen Pesante rit.- - Accelerando Pesante Tempo I Etwas ruhiger Sehr breit Tempo Lebhafter Etwas eilend Breiter Steigernd Tempo I beruhigend Fließend accel. Molto accelerando Sehr drängend
Ausdruck
ff energisch
(Mit Humor) dolce, sehr warm
grazioso ppp
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Christian Martin Schmidt
110
2/8
Lebhaft
115 117 119 121
2/8
accel. Pesante accelerando Sehr schnell und heftig
2/8
energisch
Zweite Sonate (in Form von Variationen) op. 6 (1924), (330 Takte) Takt 1 (Thema) 7 9 13 16 17 (1. Variation) 32
Ort im Takt
5/16 2/4
41 48 (2. Variation) 49 79 [Druck 1988: 78] 80 (3. Variation) 111 112 (4. Variation) 137 139 (5. Variation) 156 bis 159 161 (6. Variation) 163 163 172 174 185 187 195 197 (7. Variation) 208 (8. Variation)
4/16 r. H.
8/8
Agogik Energisch (Achtel = ca. 112) Poco meno Poco pesante a tempo Fermate Scherzo. Poco Presto (Nur etwas mehr Zeit lassen) Poco meno mosso a tempo Trio. Poco meno [Druck 1988: mosso] poco rit. Tempo di Scherzo Fermate Larghetto Pesante Allegretto poco rit. - - Andante Subito Presto Andante (subito) Subito Presto Subito Andante Presto Subito Andante Allegro deciso
Ausdruck
dolce
pp (senza espressione)
31
„Sonate, que me veux-tu?“
214 bis 216 216 (9. Variation) 224 bis 225 225 233 238 bis 240 240 (10. Variation) 247 257 260 bis 261 261 (11. Variation) 279 bis 283 280 (12. Variation) 283 288 300 (13. Variation) 313 315 (14. Variation) 327 bis 330 327 330
5/8
4/8 4/8 3/4
calando - - Martiale e [Druck 1988: ed] energico (Halbe = 70) rit.- - a tempo Etwas Zeit lassen Ritenuto - - Etwas drängend molto accel. calando rit. - - (nicht eilen) Pesante - - Ruhig Lebhaft und energisch (subito)
[Druck 1988: molto rit.] Tempo des Themas Ende Molto pesante schleppen!! letzte Note l. H. Fermate
Dritte Sonate (1943) I. Satz (92) Takte) Takt vor 1 5 5 7 10 bis 11 34 47 55 56 60 63 67 72
Ort im Takt vorletzte Note
2/8 5/16
Agogik Viertel = ca. 96 poco pesante poco rit. a tempo poco accel. rit. - - poco accel. molto accel. rit. poco accel. kräftig, etwas Zeit lassen pesante
Ausdruck
comodo espress.
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Christian Martin Schmidt
73 75 82
a tempo Tempo I
espress.
II. Satz (78 Takte) Takt 1 3 bis 4 4 24 37 bis 39 39 65 75 77
Ort im Takt 6/8 5/8 5/8
3/4
Agogik Adagio (Viertel = 56) rit. - - -
Ausdruck
a tempo più mosso string. - - fließender pesante allarg. a tempo (quasi poco accel.)
III. Satz (127 Takte) Takt 1 9 24 48 73 bis 75 (in Autograph) 76 111 122
Ort im Takt l. H.
Agogik Allegro con spirito ruhiger drängen rit. - - -
Ausdruck marc.
Tempo I (Allegro con spirito) Andante Allegro subito
Diese Listen müssen nun nicht in allen Details durchgegangen werden. Und es geht mir auch nicht um den wohlfeilen Nachweis, wie weitgehend Eislers Nomenklatur und Bezeichnungsweise mit derjenigen in Schönbergs Werken kongruiert (eine Ausnahme stellt wohl nur das „stringendo“ im II. Satz der Dritten Sonate dar). Worauf ich die Aufmerksamkeit vielmehr lenken möchte, ist die fortschreitende Reduktion der Angaben zu Agogik und Ausdruck. Finden sich in op. 1 und insbesondere im I. Satz solche Angaben bisweilen in jedem Takt oder im Abstand weniger Takte, so nimmt bereits in op. 6 die Dichte der Angaben für punktuelle musikalische Ereignisse deutlich ab, und die formfunktionalen Bezeichnungen von Formteilen und -abschnitten gewinnen die Oberhand. Das setzt sich in der dritten Klaviersonate tendenziell fort. Direkt verglichen werden können allerdings wegen der chronologischen Zusammengehörigkeit nur die ersten beiden Sonaten; die dritte
„Sonate, que me veux-tu?“
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Sonate entstand ja erst knapp zwanzig Jahre später und gehört einer Zeit an, in der man generell wieder davon abgekommen war, jedes Detail bezüglich des Ausdrucks und der Bewegung in der Zeit festlegen zu wollen. Paradigmatisch für diesen Wandel sind die beiden Bearbeitungen für Streichorchester, die Schönberg von seinem Streichsextett Verklärte Nacht, op. 4, angefertigt hat: diejenige von 1917 ist ganz in der Bezeichnungstradition von Gustav Mahlers Symphonien in beinahe jedem Detail bestimmt oder überbestimmt; demgegenüber ist die Bearbeitung von 1943 geradezu kärglich bezeichnet und überläßt den Interpreten einen weit größeren Raum zur Entfaltung. Es stellt sich also die Frage, warum in op. 1 die Bezeichnung so dicht und in op. 6 so deutlich reduziert ist. Die Antwort ist wiederum in einer historisch gut belegbaren Maxime der Wiener Schule bezüglich der Satztechnik zu finden, die Eisler hier im praktischen Komponieren beglaubigt. Es wurde darauf hingewiesen, daß op. 1 eine Sonate traditioneller Machart, eine also, deren musikalischer Diskurs auf der Präsentation, Durchführung und Verarbeitung von Themen, Phrasen und Motiven beruht, die Sonate op. 6 dagegen den Versuch Eislers darstellt, sich mit der Reihentechnik auseinanderzusetzen: Die Satztechnik von op. 1 ist also von assoziativer Reihung, diejenige von op. 6 dagegen von konstruktiver Organisation geprägt. Erwin Ratz hat in seiner Einführung in die musikalische Formenlehre, in der er Schönbergs Lehre auf den Punkt gebracht hat, diese Differenz mit dem Kontrastpaar „homophone“ und „polyphone“ Schreibweise umschrieben und für letztere formuliert: „Ein […] Kennzeichen der polyphonen Schreibweise ist […] die Vermeidung von Cäsuren.“6
Der kontrapunktische Satz also, der in op. 6, entfaltet sich in einer kontinuierlichen Bewegung, die Zäsuren vermeidet und kaum detaillierter Vortragsbezeichnungen bedarf, der homophone in op. 1 dagegen ist kleingliedrig, von Zäsuren durchzogen, und wirft nach jeder Zäsur die Frage auf, wie das jeweils neue Glied vorzutragen sei. „Sonate, que me veux-tu“, hatte der französische Philosoph Bernard le Bovier de Fontenelle (1657–1757) etwa 1700 formuliert, um seine Abneigung gegen die seiner Meinung nach „nichts-sagende“ Instrumentalmusik in ein Schlagwort zu fassen, und Jean Jacques Rousseau war nur allzugern bereit, dieses Schlagwort in seinem Dictionnaire de la Musique zu verbreiten. Was die Sonate von Hanns Eisler wollte, läßt sich jetzt wohl erkennen. Als Repräsentantin vieler anderer subtil auskomponierter Instrumentalwerke zog sie ihn in den zwanziger Jahren unwiderruflich in den Bann der eingeschworenen Gemeinschaft um Arnold Schönberg; zwanzig Jahre später ermöglichte sie ihm, sein Bekenntnis zu dessen Schule in aller Deutlichkeit zu erneuern. Auch bei Eisler geht es also – wenn auch natürlich ganz anders gelagert als bei de Fontenelle – um die Spannung zwischen der sprechenden, aussagekräftigen Vokalmusik und der „nichts-sagenden“ Instrumentalmusik. Eislers Vokalmusik, die 6
Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre, Wien 31973, S. 43.
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Christian Martin Schmidt
seit Ende der zwanziger Jahre im Kern immer politische Musik war, suchte die öffentliche Wirkung und damit auch die beträchtlichen Strapazen der öffentlichen Auseinandersetzungen. Mit der Instrumentalmusik dagegen bot sich ihm die unverlierbare Möglichkeit, zu sich selbst, nach Hause zu finden. Mag sein, daß Eisler biographisch ein Komponist ohne Heimat war, kompositorisch aber war er gewiß nicht heimatlos.
THOMAS AHREND (Berlin)
„Mir ist beinah, ich wäre wer…“ Zu Hanns Eislers Palmström, op. 5
Hanns Eislers kompositorische Herkunft ist Arnold Schönbergs Wiener Schule. Dies zeigt sich vor allem und zuerst in den Kompositionen, die Eisler nach der Unterrichtszeit bei Schönberg vor seiner Umsiedlung von Wien nach Berlin 1926 komponierte oder (in bestimmten Fassungen) zu komponieren begann. Unter diesen Kompositionen nimmt Palmström, op. 5, eine besondere Stellung ein, da hier schon rein äußerlich deutlich auf Schönberg Bezug genommen wird: Die Instrumentalbesetzung und der Sprechgesang verweisen auf dessen Pierrot lunaire, op. 21. Die Interpretation dieser offensichtlichen Anknüpfung an Schönberg ist jedoch ambivalent. Ein relativ früh einsetzender Rezeptionsstrang hat gerade den Palmström-Zyklus als Zeichen einer beginnenden Distanzierung von Schönberg interpretiert. Diese Auffassung findet sich – soweit ich sehe – zuerst im Februar 1928 in einem Artikel von Hermann Rudolf Gail im Mainzer Anzeiger: „In [‚Palmström‘] schwenkt Eisler bewußt von der bis dahin betretenen Bahn seines großen Lehrmeisters A r n o l d S c h ö n b e r g ab, ja es klingt wie leise Ironie, wenn Palmström schalkhaft dieses Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer besingt: ‚Es lenzet auch auf unserm Span; – o selige Epoche! – Ein Hälmlein will zum Lichte nahn – aus einem Astwurm-loche! – Es schaukelt bald im Winde hin – und schaukelt bald drin her. – Mir ist beinah, ich wäre [w]er – der ich doch nicht mehr bin!‘ – Dazu kommt noch, daß ganz abgesehen vom gleichen Instrumentalbild, auch ausgiebige Zitate aus Schönbergs ‚Pierrot Lunaire‘ entnommen sind. Eisler parodiert die Schönbergsche Technik derartig konsequent, daß in diesem ‚Palmström‘ zuletzt wenig Eigenschöpferisches [...] übrig bleibt.“1
Hans Heinz Stuckenschmidt setzt diese Perspektive an prominenterer Stelle – in einem Aufsatz für die Musikblätter des Anbruch – einige Monate später fort und ergänzt die Einschätzung Gails durch die Problematisierung der Zwölftontechnik: „Eisler erkennt die zwingende Logik [des Zwölftönesystems, diese strengste aller modernen Kunst-Doktrinen,] sofort, gleichzeitig aber widersetzt seine konkrete Art, musikalisch zu denken, sich ihrer Doktrin. So entstehen die Palmström-Lieder (nach Christian Morgenstern), op. 5, für Gesang, Flöte, Klarinette, Geige und Violoncello. Mit diesem Werkchen überwindet Eislers Natur bewußt den Einfluß Schönbergs, dessen Stil in Besetzung und Technik auf geniale Wei1
Herm.[ann] Rud.[olf] Gail, Hanns Eisler. Skizzen zur Gegenwartsmusik (IV), in: Mainzer Anzeiger, 13. Februar [1928].
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Thomas Ahrend
se parodiert wird. Auch im Text wird der Eingeweihte manche Anspielung finden. Diese Form des Abreagierens war für Eisler höchst zuträglich. Tatsächlich hat er nach diesem Werk seine ureigenste Gestalt erst gefunden. Bis dahin war er Geselle. Nun wird er selbst Meister.“2
Diese Einschätzung Stuckenschmidts provozierte nicht nur Schönberg zu seinen Notizen über Eisler im Juli 1928,3 sondern bestimmte in der Folge – in verschieden differenzierter Form und mit einigen wenigen Ausnahmen – auch die Forschungsliteratur über Palmström, wobei in der Regel die in den Kontext einer vermeintlichen Schönberg-Kritik gestellte Interpretation der Morgenstern-Texte – wie bereits bei Gail und Stuckenschmidt angedeutet – besonderes Gewicht erhält.4 Ich möchte im folgenden neben der Entstehungs- und Editionsgeschichte der Komposition einige Argumente dafür vorstellen, warum sich die Interpretation von Palmström als einer beginnenden Abkehr von Schönberg aus der Perspektive einer immanenten Analyse der Komposition nicht halten läßt. Ohne Frage setzt sich Eisler in Palmström mit der Musik Schönbergs auseinander, aber ob in erster Linie in einem kritischen, distanzierenden Sinn, ist zu bezweifeln. Vor allem sind es zwei für diese Komposition wesentliche Aspekte, die im Hinblick auf Eislers kompositorische Herkunft aus der Schönberg-Schule eine affirmative Funktion erfüllen: die Zwölftontechnik und der Parodie-Charakter. Das Verfahren der Komposition mit zwölf Tönen wird nicht hinterfragt oder kritisiert, sondern experimentell ausgelotet. Und nicht der Pierrot lunaire oder der Stil Schönbergs insgesamt werden parodiert, sondern technische Mittel und groteske Ausdruckscharaktere aus dem Pierrot lunaire werden benutzt, um sowohl den grotesken und parodierenden Elementen der Gedichte Morgensterns auf einer musikalischen Ebene zu entsprechen als auch gängige Muster des Verhältnisses zwischen vertontem Text und Musik zu parodieren.
2 3
4
Hans Heinz Stuckenschmidt, Hanns Eisler, in: Musikblätter des Anbruch 10 (1928), S. 163–167, hier S. 164f. Notizen vom 8. und 13. Juli 1928, zitiert in Albrecht Dümling, Eisler und Schönberg, in: Hanns Eisler (Argument-Sonderband 5), Berlin 1975, S. 57–85, hier S. 70: „Hanns Eisler, der heute ‚Mahler haßt‘, den Pierrot parodiert, an der 12-Tonkomposition neben der Bürgerlichkeit etwas Neueres, noch schwer beurteilbares unmöglich findet: ‚Jene Einstellung (!), die zwischen dem Horizontalen und dem Vertikalen keinen Wesensunterschied erblickt‘… so stellt sich meine Theorie in den Köpfen der kleinen Morizels dar…“ Schönberg bezieht sich hier wohlgemerkt auf das Bild Eislers, das Stuckenschmidt in seinem Aufsatz gibt. Siehe z. B. Albrecht Dümling, Eisler und Schönberg (Anm. 3), S. 64f.; Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 33–36; Jürgen Schebera, Hanns Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz 1998, S. 30f. Eine Ausnahme stellt dar: Reinhard Kapp, Zu Eislers ersten Studien über Zwölftonreihen: Palmström op. 5, in: Harald Goertz (Hg.), Beiträge 2000. Hanns Eisler-Symposion zum 100. Geburtstag von Hanns Eisler, Kassel 2000, S. 56–65.
„Mir ist beinah, ich wäre wer…“
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1. Entstehung Palmström-Gedichte Christian Morgensterns vertonte Eisler bereits vor seinem Unterricht bei Schönberg: 1917 entsteht der Klavierlied-Zyklus von sechs Galgenliedern und im Frühjahr 1918 die Groteske für Klavier, obligate Violine und hohe Stimme Die Mausfalle.5 In einer vermutlich aus dem Jahre 1921 stammenden Notiz aus dem sogenannten „Wiener Tagebuch“ Eislers taucht dann ein Plan für weitere MorgensternVertonungen auf, der bereits zwei der im späteren Zyklus enthaltenen Texte erwähnt: „Palmström wünscht sich manchmal aufzulösen“, also „Venus Palmström“, und als drittes Stück „P.[almström] nimmt Papier aus seinem Schube“, also das in der gedruckten Fassung von Palmström an zweiter Stelle stehende „Notturno“. (Ein weiteres, an zweiter Stelle gedachtes Stück, „2 Trichter wandeln durch die Nacht“, wurde von Eisler bereits 1917 in den erwähnten Galgenliedern vertont, fehlt aber in Palmström.) Als Gattungsbezeichnung für das Projekt schreibt Eisler: „Grotesken, für eine Singstimme und Kammerorchester (In Variationenform)“, und als Instrumentalbesetzung sieht er – soweit zu entziffern – Flöte, Klarinette, Streichquintett und Harmonium vor.6 Die genannten Instrumente verweisen auf den von Schönberg ins Leben gerufenen Verein für musikalische Privataufführungen, in dessen Konzerten die Kombination solistischer Bläser mit Streichquartett oder -quintett sowie Klavier und Harmonium die Grundlage der meisten aufgeführten Bearbeitungen bildete. (Bekanntlich hat Eisler für den Verein zwei Sätze der VII. Symphonie Anton Bruckners in einer vergleichbaren Besetzung bearbeitet.7) Vermutlich verdankt sich die endgültige Besetzung des Palmström-Zyklus einer Anregung Schönbergs, der aus konzertpraktischen Gründen für seinen eigenen, nicht abendfüllenden Pierrot lunaire eine Komposition mit vergleichbarem Instrumentarium wünschte. (Eislers Schüler David Blake erinnert sich, daß ihm Eisler von diesem Zusammenhang 1961 berichtet habe.8 Eisler selbst erwähnt in einem Aufsatz
5 6
7
8
Siehe Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen – Schriften – Literatur, Leipzig 1984, S. 64 und 86. Hanns Eisler, „[Wiener Tagebuch]“ (1921–1922), in: ders., Musik und Politik. Schriften (Addenda), Textkritische Ausgabe von Günter Mayer, Leipzig 1983 (= Gesammelte Werke III/3), S. 10–24, hier S. 12. Die originale, teilweise schwer zu entziffernde Quelle befindet sich im Archiv der Akademie der Künste Berlin, Hanns-Eisler-Archiv 1994, der betreffende Eintrag steht dort auf fol. 5r. Siehe Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen – Schriften – Literatur (Anm. 5), S. 154. Darüber hinaus hat Eisler das Orchesterlied Natur, op. 8,1, von Arnold Schönberg für Gesang, Flöte, Oboe, Klarinette, Harmonium, Klavier und Streichquintett (Arnold Schönberg Center, Wien) und vermutlich zusammen mit Rudolf Kolisch das Violinkonzert A-Dur, op. 101, von Max Reger für Flöte, Klarinette, Horn, Harmonium, Klavier und Streichquintett (Kolisch Papers Houghton Library, Harvard University) bearbeitet. David Blake, The Early Music, in: Hanns Eisler. A Miscellany, hrsg. von David Blake, Luxembourg 1995 (= Contemporary Music Studies 9), S. 11–62, hier S. 28. Erwin Ratz, Hanns Eisler, in: Musikblätter des Anbruch 6 (1924), S. 381–384, hier S. 384, berichtet, daß das Divertimento für Bläserquintett, op. 4 (Ratz rechnet es als „op. 3“ und zählt drei Sätze), den gleichen Zweck mit Blick auf Schönbergs Bläserquintett, op. 26, erfüllen sollte.
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Thomas Ahrend
von 1936 die Anregung Schönbergs ebenfalls, allerdings nicht mit Blick auf die Besetzung, sondern auf die Zwölftontechnik.9) Die Besetzung von Palmström verdankt sich denn auch offenkundig der des Pierrot lunaire, ist jedoch nicht identisch mit dieser. Auffälligster Berührungspunkt zwischen den Kompositionen ist die Sprechstimme. Ihre Ausführung wird in Palmström allerdings nicht genauer erklärt, die Beschreibung in Schönbergs Vorwort zu Pierrot lunaire wird wohl als bekannt vorausgesetzt. Lediglich im letzten Stück, Couplet von der Tapetenblume, ist die ansonsten mit gekreuzten Stielen notierte Sprechstimme zu einer Notation mit Balken verändert worden und mit der Erläuterung versehen: „Als Couplet, wie im Kabaret vorzutragen; halb singend.“ Möglicherweise ist damit eine eher zum Gesang tendierende Ausführung gemeint. (Dies wird durch die Beobachtung gestützt, daß nur in diesem Stück die notierten Tonhöhen der Sprechstimme von der zugrundeliegenden Zwölftonreihe determiniert sind.) Ansonsten verzichtet Eisler auf weitere im Pierrot lunaire anzutreffende Differenzierungen der Sprechstimme, wie z. B. Flüstern, Zischen oder auch herkömmliches Singen für einzelne Worte oder Wortgruppen. Bei den Instrumenten verzichtet Eisler auf das Klavier, das im Pierrot lunaire eine große Rolle spielt. Von den 21 Stücken in Schönbergs Zyklus kommen lediglich vier gänzlich ohne Klavier aus (Nr. 4, 7, 10, 12), von denen wiederum nur eines die identische Besetzung der Stücke aus Palmström bringt (Nr. 10, Raub, mit Ausnahme des zu Nr. 11, Rote Messe, überleitenden Taktes 20, der vom Klavier gespielt wird); eine weitere besitzt eine vergleichbare (Nr. 4, Eine blasse Wäscherin; L’art pour l’art aus Palmström verwendet statt der Flöte eine Piccolo-Flöte). Insgesamt wird die Besetzung und damit die Klangfarbe in Palmström weniger abgewechselt als im Pierrot lunaire, wo sich auch in den Stücken mit Klavier die unterschiedlichsten Kombinationen ergeben. Tatsächlich erinnert Eislers Zyklus im Charakter seines Instrumentalklangs weniger an Schönbergs Pierrot lunaire als an Anton Weberns Sechs Lieder, op. 14, nach Georg Trakl, in denen statt der Flöte eine zweite Klarinette verwendet wird.10 Die erste Erwähnung von Palmström als vollendetes Stück – allerdings noch ohne eigene Opuszahl – stammt von Erwin Ratz in einem im Oktober 1924 in den Musikblättern des Anbruch erschienenen Aufsatz über Eisler.11 Als Untertitel der Kom9
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Hanns Eisler, Präludium und Fuge über B–A–C–H (mit 12 Tönen). Vorbemerkung (1936), in: ders., Musik und Politik. Schriften 1924–1948, Textkritische Ausgabe von Günter Mayer, Leipzig 1973 (= Gesammelte Werke III/1), S. 379–382, hier S. 380 (Fußnote): „Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß ich meine ersten Studien über ‚Zwölfton-Reihen‘ auf Anregungen Schönbergs im Jahre 1925 geschrieben habe. Siehe Palmström-Studien über Zwölfton-Reihen, opus 5; Universal-Edition, Wien.“ Zur Beziehung von Palmström zu Weberns kammermusikalisch begleiteten Liedergruppen op. 13–15 siehe auch Rudolf Stephan, Kleine Beiträge zur Eisler-Kritik, in: Otto Kolleritsch (Hg.), Musik zwischen Engagement und Kunst, Graz 1972 (= Studien zur Wertungsforschung 3), S. 53–68, insbesondere S. 60; Károly Csipák, Probleme der Volkstümlichkeit bei Hanns Eisler, München 1975, S. 25. Erwin Ratz, Hanns Eisler (Anm. 8), S. 384. Ratz’ Aufsatz – die erste überhaupt veröffentlichte Literatur über Eisler – stellt Palmström als eine Auseinandersetzung mit Schönberg ohne eine parodistische Absicht dar (ebenda): „Eine Auseinandersetzung mit dem Stil des ‚Pierrot lunaire‘ sind die ‚Palmström‘Melodramen. Es ist klar, daß gerade dieses Werk Schönbergs […] durch die unerhörte Neuheit der
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position nennt Ratz „Studien über Zwölftonreihen in Form von Melodramen“,12 über Anzahl oder Reihenfolge der enthaltenen Stücke schreibt er allerdings nichts. Da sich neben dem Autograph keinerlei Skizzen, Entwürfe oder sonstige Niederschriften Eislers erhalten haben, läßt sich nicht feststellen, ob die Komposition zum Zeitpunkt der Abfassung des Artikels tatsächlich bereits mit der später veröffentlichten Fassung in allen Aspekten übereinstimmte oder ob es sich um eine frühere Fassung handelt. In einem vom 15. Juni 1925 datierten Vertrag tritt Eisler sein Urheberrecht für Palmström an die Universal-Edition ab.13 Das als Druckvorlage verwendete Autograph und der im April 1926 erscheinende Druck tragen den Untertitel „Studien über Zwölfton-Reihen“, der Innentitel des Drucks enthält darüber hinaus eine Widmung an Karl Rankl. Aufführungen in den Jahren nach der Veröffentlichung, gar zusammen mit Schönbergs Pierrot lunaire, lassen sich nicht nachweisen. Im 1962 erschienenen Band VI der Lieder und Kantaten veröffentlicht Eisler Palmström zum zweiten Mal. Der Untertitel wird hier geändert zu „Parodien“, und die Widmung an Karl Rankl fällt weg. Darüber hinaus verändert Eisler im ersten Stück, Venus Palmström, die enharmonische Schreibweise des 2. Tons der Violine von dis zu es und versieht den 1. Ton a mit einer Fußnote, die auf die Übereinstimmung der Tonbuchstaben mit den Initialen von „A(rnold) S(chönberg)“ hinweist. (Die enharmonisch veränderte Notation tritt allerdings nur in diesem Takt auf – bei den die Grundgestalt der Reihe bzw. das Grundmotiv des den Tritonus enthaltenden Reihensegments ebenfalls artikulierenden Stellen bleibt die Notation des jeweils 2. Tons als dis erhalten.) Der explizite Bezug auf die Initialen Arnold Schönbergs in T. 1 in dieser Edition verdankt sich vermutlich auch der Erinnerung an die Widmung der Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben an Arnold Schönberg zu dessen 70. Geburtstag 1944: Dieser Komposition liegt die gleiche Zwölftonreihe zugrunde, und der 2. Reihenton wird dort (in dieser Transpositionsform) in der Regel immer als es notiert.
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Ausdrucksmittel, den faszinierenden Klang, die merkwürdige Verschmelzung von Groteskem und Lyrischem einen jungen Künstler, der noch dazu von Haus aus auch eine gewisse Neigung zum Grotesken besitzt, dazu reizen mußte. Und nur einer, der eine sehr starke eigene Persönlichkeit besitzt, konnte es wagen, ohne daß einfach eine Kopie daraus wurde, und es gehört schon viel Mut und Selbstvertrauen dazu, sich gerade mit diesem Meisterwerk zu messen. Das Wagnis ist jedoch geglückt. Der ‚Palmström‘ besitzt eine durchaus selbständige Physiognomie und nur an wenigen Stellen ist der Einfluß des ‚Pierrot lunaire‘ fühlbar. […] Auch in kompositionstechnischer Beziehung unterscheidet sich dieses Werk wesentlich vom ‚Pierrot‘, indem die Stücke, der Form nach zwei- und dreiteilige Lieder, nach den Gesetzen der Zwölftonkomposition gearbeitet sind, die in sehr geistreicher Weise angewandt und mit anderen älteren Formprinzipien verbunden wird.“ Ebenda. Stadt- und Landesbibliothek Wien, Verlagsarchiv Universal-Edition. (Eine Photokopie befindet sich im Archiv der Akademie der Künste Berlin, Hanns-Eisler-Archiv 3039.)
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2. „Studien über Zwölfton-Reihen“ Von einer abgeschlossenen „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ oder gar einer als Doktrin formulierten Theorie der Zwölftontechnik kann bei Schönberg um 1924 kaum die Rede sein. In den bis dahin reihentechnisch komponierten Werken findet die Technik eine je unterschiedliche Anwendung: Die Fünf Klavierstücke, op. 23, erschienen im November 1923, die Serenade, op. 24, wurde 1924 publiziert. Die Suite für Klavier, op. 25, und das Bläserquintett, op. 26, wurden dagegen erst 1925 veröffentlicht. Das spätere Erscheinungsdatum der beiden letztgenannten Werke ist von besonderem Belang, da in ihnen die Zwölftontechnik Schönbergs zum ersten Mal in wesentlichen Punkten mit dem übereinstimmt, was heute in der Regel darunter verstanden wird. In den Klavierstücken und der Serenade dagegen sind zwar bereits einige Grundprinzipien erkennbar, im Vergleich zu den beiden später komponierten Werken bleiben die Möglichkeiten der Verfahrensweise, wie sie für Schönberg danach mehr oder minder verbindlich – jedoch nie zur Doktrin – wurden, noch sehr rudimentär. Ein direkter und detaillierter Austausch zwischen Schönberg und Eisler über Zwölftontechnik ist nicht belegt und hat möglicherweise nie stattgefunden. Die Aneignung der Verfahrensweise fand wahrscheinlich durch eigene Analysen sowie durch die Vermittlung dritter Personen statt (möglicherweise: Erwin Ratz oder Eduard Steuermann). Die beiden einzigen Zwölftonkompositionen Schönbergs, die Eisler 1924 – also zu einem Zeitpunkt, zu dem laut Ratz’ Angaben zumindest Teile von Palmström bereits fertiggestellt gewesen sind – mit Sicherheit gekannt hat, sind der Walzer aus den Klavierstücken und das Petrarca-Sonett aus der Serenade. In beiden Stücken werden – wie in Palmström – keine Transpositionen der Reihe verwendet, und beide Stücke sind Teile aus Zyklen, in denen auch Kompositionen ohne Verwendung von Zwölftonreihen vorkommen. Bei der Analyse von Palmström ist also grundsätzlich zu berücksichtigen, daß die neue Technik nicht „unakademischer“14 oder „distanzierter“15 als bei Schönberg verwendet wird. Vielmehr versucht Eisler, sich eine nicht vollständig explizierte Verfahrensweise auf experimentierende Weise anzueignen. Die Beschreibung der neuen Technik in Erwin Steins Aufsatz Neue Formprinzipien aus dem Jahr 1924 gibt einen Eindruck davon, wie offen das Verständnis der Technik und deren Terminologie zu diesem Zeitpunkt noch ist.16 Unter „Zwölftonreihe“ wird von Stein zunächst schlicht die chromatische Skala verstanden. Für eine bestimmte Permutation dieser chromatischen Skala, also eine Zwölftonreihe im heutigen Sprachgebrauch, gibt es keine eigene Bezeichnung. „Grundgestalten“, an denen die bekannten „Um14 15
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Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet (Anm. 4), S. 35. Siehe Albrecht Dümling, Eisler und Schönberg (Anm. 3), S. 65: „Der Untertitel ‚Studien über Zwölftonreihen‘ des Zyklus ebenso wie die Tatsache, daß die Singstimme […] nicht in die Reihenkomposition integriert ist, sie eher kommentiert, weist auf ein distanziertes Verhältnis zur Reihentechnik, die Eisler hier erstmals anwendet, hin.“ Erwin Stein, Neue Formprinzipien, in: Musikblätter des Anbruch 6 (1924), S. 286–303.
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bildungen“ (Umkehrung, Krebs und Umkehrung des Krebses) und Transpositionen vorgenommen werden können, sind Tonreihen unterschiedlicher Länge, die sich zum chromatischen Total ergänzen können, aber nicht müssen.17 Dabei unterscheidet Stein zwischen einem strengen und einem freien Stil der Komposition mit „Grundgestalten“: „Die Durchführung der Grundgestalten kann in einem strengen oder freieren Stil stattfinden. Im strengen kommen alle Töne nur als Bestandteile von jenen vor; wenn einzelne Töne ‚motivfremd‘ sind, erhalten sie auch sozusagen motivische Bedeutung (z. B. im Variationensatz der Serenade: h und a). Zum ‚freien‘ Stil gehört die Mehrzahl der Serenadensätze. Die bekanntesten Umbildungen der Grundmotive gibt es auch hier, daneben aber freiere Variationen und Stimmen. Bei jenen Sätzen, die im strengen Stil geschrieben sind, finden wir nun folgende Fälle: I. Das Stück hat e i n e o d e r m e h r e r e G r u n d g e s t a l t e n. II. Die Grundgestalt enthält g e n a u a l l e z w ö l f T ö n e o d e r w e n i g e r o d e r m e h r. III. Die Grundgestalt bleibt immer a u f d e n s e l b e n T ö n e n (Walzer, Variationensatz, Sonett) o d e r w i r d a u c h t r a n s p o n i e r t a) auf eine b e s t i m m t e Stufe (Suite), b) auf b e l i e b i g e Stufen (3. Klavierstück).“18
Steins (unscharfe) Terminologie bezeichnet sowohl einzelne sich zur „Zwölftonreihe“ zusammensetzende Segmente einer Reihe als „Grundgestalten“ im Plural (dann auch: „Grundmotive“) als auch die Transposition der „Grundgestalt“ der gesamten Zwölftonreihe im Singular „auf eine bestimmte Stufe“. Eislers Verwendung von Zwölftonreihen in Palmström ist ähnlich offen wie Steins Beschreibung der Komposition mit „Grundgestalten“. Zum einen lassen sie sich als Varianten der Anordnung motivischer Konfigurationen begreifen – im Sinne der Interpretation von Steins „Grundgestalten“ als „Grundmotive“ –, die sich zur Zwölftönigkeit ergänzen. Zum anderen stellen sie selbst (zwölftönige) „Grundgestalten“ dar, von denen, laut Stein, selbst in einem „strengen Stil“ auch in einem Stück mehrere verwendet werden können. (Im folgenden verzichte ich, trotz des Zusammenhangs zwischen Steins Terminologie und Eislers Reihentechnik in Palmström, auf die Verwendung des unscharfen Begriffs „Grundgestalten“ und bezeichne die betreffenden Konfigurationen stattdessen immer als „Grundmotive“.) In Palmström finden sich im ersten und zweiten sowie im vierten und fünften Stück je verschiedene Zwölftonreihen (Reihe I, II, IV und V). Die Reihen liegen dem Tonsatz der Instrumentalstimmen zugrunde, lediglich im letzten Stück auch den 17
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Die „Grundgestalt“ im Sinne Erwin Steins kann freilich nicht gleichgesetzt werden mit anderen Verwendungsweisen des gleichen Terminus bei Schönberg selbst und anderen. Siehe hierzu Rudolf Stephan, Zum Terminus „Grundgestalt“, in: ders., Vom musikalischen Denken. Gesammelte Vorträge, hrsg. von Rainer Damm und Andreas Traub, Mainz 1985, S. 138–145. Erwin Stein, Neue Formprinzipien (Anm. 16), S. 302.
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Tonhöhen der Sprechstimme. Im dritten Stück läßt sich auch für den Tonsatz der Instrumentalstimmen keine Zwölftonreihe finden.
Notenbeispiel 1: Strukturverwandtschaften der Zwölftonreihen in Palmström.
Die verschiedenen Zwölftonreihen in Palmström weisen untereinander große strukturelle Ähnlichkeiten auf (siehe Notenbeispiel 1). Die Einzeichnungen haben folgende Bedeutung: vertikale Striche verbinden identische Tonhöhenklassen [pitch classes], die in den verschiedenen Reihen an gleicher Position stehen; Kästchen um Tongruppen zeigen, daß diese in beiden Reihen hinsichtlich ihrer Tonhöhenklassen unverändert vorkommen; Klammern über den Systemen markieren Tongruppen, die in ihrer Abfolge verändert – also permutiert – in beiden Reihen vorkommen, deren Elemente dabei aber nicht transponiert werden; gestrichelte Klammern unter den Systemen markieren Tongruppen, die in veränderten, aber aufeinander beziehbaren Formen in beiden Reihen vorkommen, also als Transpositionen oder Permutationen oder Verbindungen davon [Krebs, Umkehrung]. Zur Bezeichnung der Tongruppen verwende ich die von Allen Forte eingeführte Klassifikation der pitch class sets [Tonklassenmengen, abgekürzt: pcs], die Permutationen, Transpositionen
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und Umkehrungen von Tongruppen mit vergleichbarer Intervallstruktur auf eine Grundform zurückführen.19) Reihe II übernimmt auf verschiedenen Ebenen Hexachord-Strukturen von Reihe I (siehe Notenbeispiel 1a). So bilden der 4.–9. Ton von Reihe II eine auf pcs 6–21 zurückführbare Konfiguration, die sich in ähnlicher, lediglich die Position der ersten drei Töne innerhalb der Sechstongruppe verändernder Form als 5.–10. Ton von Reihe I findet. (Die in diesem Hexachord enthaltene Tonfolge d–c bleibt hinsichtlich ihrer Position in der Zwölftonreihe in beiden Reihen an gleicher Stelle, und die mit pcs 3–6 bezeichnete Dreitongruppe wird um eine Stelle verschoben.) Darüber hinaus bildet der Tonvorrat der zweiten Hälfte von Reihe II eine transponierte Umkehrung der ersten Hälfte von Reihe I (pcs 6–Z36) und – als notwendige Konsequenz einer solchen Struktur – der Tonvorrat der ersten Hälfte von Reihe II eine transponierte Umkehrung der zweiten Hälfte von Reihe I (pcs 6–Z3). Auf den Ebenen unterhalb von Sechstongruppen beginnt Reihe II mit einer Transposition der letzten drei Töne von Reihe I (pcs 3–1) und endet mit einer transponierten Umkehrung der ersten vier Töne von Reihe I (pcs 4–Z29: mit den beiden invarianten Tönen a und cis) – wie auf der Ebene der Reihenhälften werden die Abfolgen dieser Drei- und Viertongruppen innerhalb der gesamten Reihe vertauscht. Die letzten vier Töne von Reihe I finden sich zudem in einer transponierten Umkehrung um eine Position verschoben in Reihe II wieder (pcs 4–1). Reihe IV bezieht sich auf Reihe I vor allem auf der Ebene von Dreitongruppen (siehe Notenbeispiel 1b). Sie beginnt mit der Krebsform des 3.–5. Tons von Reihe I (pcs 3–2). Während in Reihe I vor allem Formen dieser Konfiguration miteinander verschränkt werden und symmetrische Intervallfolgen ausbilden (2.–5. Reihenton: interval class [abgekürzt: ic] +1, –3, +1; 5.–9. Ton: ic –2, –1, –1, –2), wird eine solche in Reihe IV durch die Verschränkung von Formen von pcs 3–2 und pcs 3–5 gebildet (1.–8. Reihenton: ic –1, +3, –6, –5, +6, –3, +1). (Weitere auf die Verschränkung anderer Dreitongruppen zurückführbare symmetrische Intervallfolgen sind in Reihe I der 9.–12. Ton [ic –2, +1, –2] und in Reihe IV der 7.–12. Ton [ic +1, +3, +3, +3, +1].) Daneben findet sich die Tonfolge fis–gis in beiden Reihen um eine Stelle verschoben. Am deutlichsten ist die strukturelle Verwandtschaft zwischen Reihe V und Reihe I (siehe Notenbeispiel 1c). In beiden Reihen finden sich zwei auf pcs 4–1 zurückführbare Konfigurationen, die eine sogar an der gleichen, nämlich der Position der letzten vier Töne. Die ersten acht Töne beider Reihen haben konsequenterweise den gleichen Tonvorrat (pcs 8–1), der in Reihe V nach der in der Position verschobenen Form von pcs 4–1 eine transponierte Umkehrung der ersten drei Töne von Reihe I bringt (pcs 3–5).
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Allen Forte, The Structure of Atonal Music, New Haven 1973. Tonhöhenklassen (pitch classes) bezeichne ich gleichwohl auch als – von ihrer Oktavlage abstrahierte – „Töne“, auf die mit den tradierten Tonbuchstaben (a bzw. heses, b bzw. ais, h bzw. ces usw.) referiert werden kann.
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Die strukturelle Beziehung zwischen Reihe II und Reihe IV entsteht durch Formen von pcs 4–1 und Abfolgen regelmäßiger Intervallfolgen (siehe Notenbeispiel 1d): Die absteigenden großen Sekunden (ic –2) des 5.–9. Tons in Reihe II werden im 8.– 11. Ton von Reihe IV zu kleinen Terzen gespreizt und in ihrer Bewegungsrichtung umgekehrt (ic +3). Dabei bilden sie zusammen mit dem 7. und 12. Ton der Reihe Formen von pcs 3–3, das als Teilmenge auch in pcs 4–1 enthalten ist. Reihe V verschränkt im 1.–5. Ton Formen von pcs 3–1 und pcs 3–2 aus der ersten Reihenhälfte von Reihe II (siehe Notenbeispiel 1e) und übernimmt eine auf pcs 5–1 zurückführbare Konfiguration an gleicher Position, wobei die Rahmentöne dieser Fünftongruppe beibehalten (b und g), die Binnentöne permutiert (ges bzw. fis, as und a) sowie die flankierenden Intervallklassen in ihrer Stellung vertauscht werden (ic 2 und 6). Reihe V versetzt Formen von ic 1 aus Reihe IV (siehe Notenbeispiel 1f) von ihrer Außenposition (1.–2. bzw. 11.–12. Reihenton) um einen Schritt nach innen (2.–3. bzw. 10.–11. Reihenton) und übernimmt den 2. und 8. Reihenton sowie die Verschränkung von Formen von pcs 3–5.
Notenbeispiel 2: Grundmotive in L’art pour l’art.
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Wie bereits erwähnt, liegt dem dritten Stück, L’art pour l’art, keine Zwölftonreihe zugrunde. Notenbeispiel 2 zeigt den auf eine horizontale Ebene reduzierten Tonhöhenvorrat der ersten drei Takte – die instrumentale Einleitung. Faßt man die oberen Wechselnoten der Trillerfigur der Piccolo-Flöte zu Beginn (cis und f, im Notenbeispiel mit kleineren Notenköpfen dargestellt) als zur Tonhöhenorganisation zugehörig und die Wiederholung des Tones cis sowie der Töne gis–d–a aus T. 1 in den ersten vier Tönen der Piccolo-Flöte von T. 2 als unmittelbare Wiederholungen von Tönen bzw. Tongruppen auf, so finden sich mit dem sechsten Ton der Piccolo-Flöte in T. 2 tatsächlich alle zwölf Tonhöhen der chromatischen Skala versammelt. Die Fortsetzung zeigt allerdings keinen zwölftönig begreifbaren Zusammenhang mehr. (So erscheint z. B. der Ton f nach T. 1 erst wieder in T. 5, dagegen wird der Ton c in den ersten drei Takten in verschiedenen Oktavlagen bereits dreimal wiederholt.) Gleichwohl ist auch L’art pour l’art auf die Reihen der anderen Stücke aus Palmström bezogen, und zwar über die in ihnen enthaltenen „Grundmotive“, die ja auch den Bezug der Reihen untereinander bestimmen: Die Trillerfigur der Piccolo-Flöte in T. 1 bringt mit ihren Wechselnoten eine Form von pcs 4–Z15, das sich als eine Variante von pcs 4–Z29 auf die ersten vier Töne von Reihe I beziehen läßt (siehe auch Notenbeispiel 1a). Beide Konfigurationen verbindet strukturell, daß ihre jeweiligen Elemente miteinander potentiell alle Intervalle bilden können (freilich außer der Prim bzw. Oktave), sie also einen Allintervallvektor haben. Die zu Beginn von L’art pour l’art artikulierte Form von pcs 4–Z15 hat darüber hinaus mit der konkreten Form von pcs 4–Z29 in Reihe I die beiden invarianten Töne cis und e gemeinsam. Die beiden Zentraltöne der Trillerfigur bilden ohne ihre oberen Wechselnoten zusammen mit dem (im Tonsatz gleichzeitig erklingenden) ersten Ton der Klarinette ebenso wie die letzten drei Töne der Klarinette in T. 1 Formen von pcs 3–5, also Varianten z. B. der ersten drei Töne von Reihe I (siehe auch Notenbeispiel 1b/c). Die Klarinette bildet ihrerseits zusammen mit dem Ton e der PiccoloFlöte eine Form von pcs 6–21, eine Variante des Tonvorrats des 5.–10. Tons von Reihe I bzw. des 4.–9. Tons von Reihe II (siehe auch Notenbeispiel 1a). Die ersten fünf Töne der Piccolo-Flöte in T. 2 (pcs 5–7) ergeben sich aus der ineinander verschränkten Folge dreier Formen von pcs 3–5 (ein Verfahren, das sich insbesondere in Reihe IV und V wiederfindet: siehe auch Notenbeispiel 1f), die letzten fünf (pcs 5–26) sind eine Teilmenge von pcs 6–21. Alle in T. 2 beteiligten Instrumente münden an seinem Ende in den ersten deutlichen Akkord des Stückes, dessen Tonvorrat den fünftönigen Ausschnitt einer Ganztonskala darstellt (pcs 5–33). Der gleiche Skalenausschnitt findet sich transponiert in Reihe II als 5.–10. Ton (in Notenbeispiel 1d mit einem Bogen markiert). In T. 3 des dritten Stücks bringt die Violine zwei Formen von pcs 3–3. Diese Konfiguration ist eine Teilmenge von pcs 6–21 und stellt dasjenige Struktur-Element dar, das (transponierte) Formen des vorangegangenen Ganzton-Akkords (pcs 5–33) zu Formen von pcs 6–21 ergänzt. Pcs 3–3 ist auch eines der Elemente, die Reihe II und IV miteinander verbinden (siehe auch Notenbeispiel 1d), und wird im dritten Stück – wie auch der sich aus der Kombina-
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tion zweier Formen dieser Tonklassenmenge in Reihe IV entstehende verminderte Septakkord (in Notenbeispiel 1d mit einem Bogen markiert) – nicht nur an dieser Stelle deutlich artikuliert (siehe auch T. 7, 11, 13 und 15). Ohne selbst auf einer Zwölftonreihe zu beruhen, vermittelt so das dritte Stück auf der Ebene der Grundmotive zwischen den untereinander strukturell vergleichsweise locker verbundenen Reihen des zweiten und vierten Stücks. Diese strukturvermittelnde Funktion des dritten Stücks verweist zusammen mit den strukturellen Beziehungen der hier und in den Zwölftonreihen der anderen Teile vorhandenen Grundmotive auf die formale Konzeption des gesamten Zyklus. Die Zwölftonreihen der beiden äußeren sind durch die im Verhältnis zu den anderen Stücken deutlicheren Ähnlichkeiten bzw. Identitäten der in ihnen enthaltenen Grundmotive in einem strukturellen Sinn „fester gefügt“, die mittleren dagegen „lockerer“, der zentrale am „lockersten“. Die Studien durchmessen formal einen Prozeß von fest über locker zu wieder fest gefügten Elementen. Aus der im „Wiener Tagebuch“ notierten ursprünglichen Kompositionsidee hat sich dabei der Aspekt der Variation („Grotesken [...] [i]n Variationenform“) bis in die veröffentlichte Fassung hinein erhalten – nicht im Sinne des Schemas von „Thema mit Variationen“, sondern als variative Materialanordnung aufeinander beziehbarer Grundmotive in verschiedenen Zwölftonreihen.20 Die Idee, aus wenigen Grundelementen einen größeren formalen Zusammenhang zu entwickeln – eine detailliertere Analyse könnte vermutlich zeigen, wie sich der Tonsatz des gesamten Zyklus einschließlich der notierten Tonhöhen der Sprechstimme aus den in Reihe I enthaltenen Konfigurationen ableitet –, ist eine zentrale Gemeinsamkeit der Komponisten von Schönbergs Wiener Schule. Eisler bindet sich auch mit Palmström kompositorisch in diese Schule ein. Dies wird auch deutlich durch die strukturellen Beziehungen der Grundmotive in Eislers Palmström zu der in Schönbergs Serenade op. 24 verwendeten Zwölftonreihe, die offensichtlich als orientierendes Vorbild gedient hat (siehe Notenbeispiel 3): Reihe I aus Palmström übernimmt von Schönbergs Reihe die Gliederung in vier Dreitongruppen, die zwei Formen von pcs 3–1 und eine von pcs 3–2 bilden. In Eislers Reihe I wird die Abfolge der Dreitongruppen verändert und die Abfolge der Bewegungsrichtungen in Umkehrung beibehalten. Die letzte – nicht wie die anderen in ihrer konkreten Ausfaltung lediglich Sekundintervalle bildende – Dreitongruppe aus Schönbergs Reihe kommt in veränderter Form in Eislers Reihe I an den Anfang. Die Bewegungsrichtung wird beibehalten, bei Eisler kommt jedoch das über das Sekundintervall hinausgehende Intervall zuerst (also der Tritonus a–dis, bei Schönberg: die kleine Terz g–b), das Sekundintervall danach (hier die kleine Sekunde dis–e; bei Schönberg: die große Sekunde f–g). Die Tonfolge as–ges bzw. gis–fis findet sich in beiden Reihen um zwei Stellen zueinander verschoben. Der 10.–11. Reihenton (f–g) findet sich in umgekehrter Folge als g–f in Eislers Reihe in direkt 20
Siehe auch Thomas Ahrend, Aspekte der Instrumentalmusik Hanns Eislers. Zu Form und Verfahren in den Variationen, Berlin 2006 (= Musikwissenschaft an der Technischen Universität Berlin 7), insb. Kapitel II.2.
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benachbarter Position als 11.–12. Reihenton wieder, so daß der Ton g in beiden Reihen an 11. Position steht.
Notenbeispiel 3: Strukturverwandtschaften der Zwölftonreihen aus Schönbergs op. 24,3 und Eislers op. 5.
Reihe II aus Palmström beginnt mit der Umkehrungsform der ersten drei Töne der Reihe aus Schönbergs Serenade und bringt vier Töne an gleicher Position (1., 3., 4. und 11. Ton: e, es, h und g). Die benachbarten Töne es und h bilden dabei die
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Außenintervalle einer Konfiguration, die sich auf pcs 4–3 zurückführen läßt und in veränderter Abfolge ihrer Elemente in beiden Reihen in benachbarter Position zu finden ist. Die Konfiguration as–ges–a (eine Form von pcs 3–2) kommt in beiden Reihen vor, auch diese lediglich um eine Stelle in der Position zueinander verschoben. Reihe IV aus Palmström weist die geringste Ähnlichkeit mit der Zwölftonreihe aus Schönbergs op. 24 auf. Der 7. Reihenton ist identisch und die erste und letzte Dreitongruppe ließen sich als chromatische Varianten begreifen, in denen eines der beiden Intervalle beibehalten, das andere um einen Halbton vergrößert (pcs 3–2 verändert eine der beiden in pcs 3–1 enthaltenen kleinen Sekunden zur großen Sekunde) bzw. verkleinert wird (pcs 3–3 verändert die in pcs 3–7 enthaltene große Sekunde zur kleinen Sekunde). Reihe V aus Palmström teilt mit Schönbergs Reihe die Strukturierung in zwei Hexachorde der Form von pcs 6–1. Die Tonvorräte der beiden Reihenhälften sind in diesem Fall jeweils Transpositionen voneinander. Eislers Reihe V übernimmt die Transpositionsformen der beiden Reihenhälften und verändert lediglich die Reihenfolge der in ihnen enthaltenen Töne, wobei sich einige Bildungen erhalten: So stellen die ersten drei Reihentöne eine Transposition sowie der vierte und fünfte die nicht transponierte Krebsform der entsprechenden Töne aus der Reihe Schönbergs dar. (In der zweiten Reihenhälfte kommen die gleichen Ähnlichkeiten zur Reihe aus op. 24 zum Tragen wie in Reihe I aus Palmström.) Neben diesen strukturellen Verbindungen zwischen den Zwölftonreihen aus Palmström und der des Petrarca-Sonetts aus Schönbergs Serenade – aus denen sich eine Vorbildrolle der Schönbergschen Reihe für die Materialbildung von Palmström ableiten läßt – zeigt sich auf der Ebene der generellen Verwendung der Reihentechnik ein weiterer Bezug der beiden Kompositionen: In Schönbergs Serenade wird in dem einzigen Satz, der eine Zwölftonreihe enthält, auch als einziger eine Vokalstimme hinzugenommen. Die Zwölftonreihe wird vollständig ohne Transpositionen und Ableitungsformen nur in der tiefen Männerstimme gebracht (mit Ausnahme der instrumentalen Hauptstimmen in den Passagen ohne Gesang). Die instrumentalen Begleitstimmen nehmen mitunter einzelne Segmente der Zwölftonreihe (Grundmotive) oder Varianten davon auf. Eisler kehrt in Palmström dieses Prinzip tendenziell um, indem er die Vokalstimme in den ersten vier Stücken aus nicht reihengebundenen Grundmotiven bildet, die Instrumentalstimmen im Grundsatz der Reihendetermination unterwirft. Diese Umkehrung der Verhältnisse läßt sich allerdings weniger als eine immanent kompositorische Kritik Eislers an seinem Lehrer verstehen, sondern stellt vielmehr einen vermittelten – möglicherweise auch im Sinne einer „Anxiety of Influence“21–, aber im Grundsatz positiven Bezug zur Serenade her. Eislers Palmström verdankt sich in kompositionstechnischer Hinsicht also nicht nur generell Verfahrensweisen der Schönbergschule, sondern lehnt sich deutlich an Schönbergs Serenade an. 21
Siehe Harold Bloom, The Anxiety of Influence, Oxford 1973.
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3. „Parodien“ Die Änderung des Untertitels von Palmström zu „Parodien“ für den Druck innerhalb des 1962 erschienenen VI. Bandes der Lieder und Kantaten könnte vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten Kritiken von Gail und Stuckenschmidt wie eine späte Bestätigung von deren Interpretation durch den Komponisten erscheinen. Dies umso mehr, als Eisler in einem Text von 1948 gegenüber dem Pierrot lunaire Vorbehalte formuliert hat: „Zu einer wunderbaren Kammermusik werden von einer Sprechstimme Gedichte Albert Girauds, eines schwachen Nachahmers Verlaines, deklamiert. Zu diesen Gedichten, die selbst einem naiven Geschmack kaum Kunst[wert] vortäuschen können, verhält sich Schönbergs Musik konformierend, illustrierend, einfühlend. Die alberne Provinzdämonik Girauds wirkt durch die übertriebene, sich einfühlende Vortragsart der Sprechstimme […] peinlich und lenkt von der Musik ab. Ich habe Schönberg öfters vorgeschlagen, den Text wegzulassen, um die großartige Musik als ‚Charakterstücke‘ zu retten. Er war mit diesem Vorschlag nicht einverstanden.“22
Allerdings scheint mir die mögliche Verknüpfung dieser Kritik mit dem musikalischen Gehalt von Palmström fragwürdig zu sein. Denn abgesehen von der Frage, ob man Eislers ambivalenter Einschätzung von Pierrot lunaire in allen Punkten zustimmen möchte (gerade der Sprechgesang läßt sich durchaus auch als distanzierendes und nicht unbedingt nur als „einfühlendes“ Moment rezipieren), und unabhängig von dem zeitlichen Abstand zwischen der Komposition von Palmström und der hier formulierten Kritik am Pierrot lunaire hätte eine Bestimmung von Schönberg bzw. (einer) seiner Kompositionen als parodierten Gegenstand von Palmström in erster Linie zu zeigen, auf welche spezifisch musikalische Weise die Stücke als Parodie funktionieren. (Eine assoziative Verknüpfung der Morgenstern-Gedichte mit dem biographischen Kontext der Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Schönberg und Eisler leistet diese Aufgabe nicht.) Gleichwohl läßt sich aus der zitierten Passage ein Ansatz gewinnen, der für die Interpretation des Parodiecharakters von Palmström nutzbar gemacht werden kann: die Kritik an der illustrativen Funktion der Musik im Hinblick auf den vertonten Text. (Eine Kritik, die eben nicht nur den Pierrot lunaire von Schönberg treffen müßte, sondern eine Unzahl weiterer Kompositionen – darunter auch Vertonungen von Morgenstern-Gedichten, z. B. die zur Zeit der Komposition von Palmström bereits erschienenen – und bis heute immer wieder neu aufgelegten – Galgenlieder von Paul Graener.23) Als Objekt der Parodie von Eislers Palmström ließe sich aus dieser Per22
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Hanns Eisler, Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik (1948), in: ders., Musik und Politik. Schriften 1948–1962, Textkritische Ausgabe von Günter Mayer, Leipzig 1982 (= EGW III/2), S. 13–25, hier S. 17. Paul Graener, Palmström singt. Sieben Galgenlieder von Christian Morgenstern für Singstimme und Klavier, op. 43[a], Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1917; ders., Neue Galgenlieder von Christian Morgenstern für Singstimme und Klavier, op. 43b, Leipzig (Breitkopf & Härtel) 1922.
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spektive nicht ein bestimmter Komponist oder eine bestimmte Komposition benennen, sondern vielmehr das Verhältnis von Text und Musik, insbesondere bestimmte Formen der Illustration des Textes durch Musik. Ein Vergleich mit einer früheren Morgenstern-Vertonung Eislers mag diesen Interpretationsansatz illustrieren: Galgenbruders Frühlingslied, das Gedicht zum vierten Stück aus Palmström, wurde bereits 1917 als fünftes der Galgenlieder komponiert.24 Die frühe Version reagiert auf die bereits im Gedicht angelegte Parodie romantischpastoraler Lyrik (in der die besungene Jahreszeit einerseits auf einer vermeintlich hohen Stilebene als „selige Epoche“ apostrophiert und andererseits mit dem diminutiven „Hälmlein“ im beinahe ordinären „Astwurmloche“ kurzgeschlossen wird) mit einer Musik im spätromantisch-impressionistischen Idiom, deren ostinate Begleitfiguren im Klavier deutlich auf traditionelle Typen von pastoralem Charakter verweisen. Die parodierende Absicht wird in der Vertonung lediglich durch einige wenige syntaktische Brüche (vor allem am Schluß) und einzelne überdeutliche Betonungen der Singstimme (z. B. bei „Astwurmloche“) deutlich. Durch diese Brüche wird auch die Illustration des im Winde hin und her schaukelnden Hälmleins erst als parodistisch gemeinte erkennbar, die ansonsten (und ohne den Text) auch als gelungene Kopie des parodierten Stils gehört werden könnte. Die Vertonung des gleichen Gedichtes in Palmström unterscheidet sich auf charakteristische Weise. Zwar nimmt sie die Idee einer pastoralen Stimmung (insbesondere durch die Ostinato-Figuren in T. 3–5 und 14–15) und der Schaukelbewegung im Wind (insbesondere durch die wiederkehrende rhythmische Figur der Klarinette in T. 7–11) wieder auf, grenzt sich aber von der lediglich durch Einwürfe gebrochenen Kopie eines klischeehaften Idioms durch die im Grundsatz atonale Musiksprache ab. Als Vorbild hierzu könnte durchaus der Pierrot lunaire Schönbergs gedient haben, den Eisler 1921 – im selben Jahr, aus welchem die erwähnte Notiz zum Kompositionsplan der „Grotesken […] [i]n Variationenform“ stammt – in einer der Aufführungen des Vereins für musikalische Privataufführungen vermutlich zum ersten Mal gehört hat. In Nr. 10, Raub, dem einzigen Stück aus Pierrot lunaire, das, wie bereits bemerkt, die gleiche Besetzung wie die meisten Stücke aus Palmström aufweist, finden sich z. B. in T. 2–3 und 16–17 Ostinato-Texturen, die zwar in einem anderen Zusammenhang stehen – in einem die (vermeintlich) dramatische Situation parodierenden Recitiativo accompagnato werden die sich sträubenden Haare und die durch die Finsternis stierenden Augen illustriert –, aber in technischer und charakteristi-
24
Das Autograph befindet sich im Archiv der Akademie der Künste Berlin, Hanns-Eisler-Archiv 492 fol. 8r–9r. Eine Edition dieses Liedes, zusammen mit anderen vor 1923 komponierten Klavierliedern Eislers, wurde im Rahmen der Hanns Eisler Gesamtausgabe unternommen: Bd. III/1: Lieder für Singstimme und Klavier, 1917–1921, hrsg. von Julia Rittig-Becker und Christian Martin Schmidt, Wiesbaden u. a. 2009. Aufnahmen des Liedes zusammen mit den anderen Galgenliedern existieren mit Roswitha Trexler und Jutta Czapski (NOVA 885 214 [Schallplatte] bzw. Berlin Classics 0093542 [CD]) sowie mit Dietrich Henschel und Axel Bauni (Orfeo 479981 [CD]).
„Mir ist beinah, ich wäre wer…“
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scher25 Hinsicht gleichwohl ein Vorbild für Eislers Pastoral-Ostinati in Galgenbruders Frühlingslied aus Palmström gewesen sein könnten. Jede Parodie läuft Gefahr, dem parodierten Gegenstand entweder nicht ähnlich genug zu werden oder sich von diesem nicht mehr unterscheiden zu lassen. Galgenbruders Frühlingslied aus Palmström ist dem atonalen Idiom von Pierrot lunaire jedenfalls zu ähnlich, um seine Parodie darstellen zu können. Damit ist freilich nicht gesagt, daß das Verhältnis von Eisler zu Schönberg – auch nicht zum Zeitpunkt der Entstehung von Palmström – zumal auf einer biographisch-persönlichen Ebene ungebrochen gewesen sein muß. Die Momente des kompositorischen Anknüpfens an Schönberg scheinen mir aber gerade in Palmström die differierenden Aspekte zu überlagern.26 Abschließend sei auch noch auf eine weitere mögliche Interpretation der Bezeichnung „Parodie“ hingewiesen: Es ist nicht auszuschließen, daß sich Eisler in der DDR noch 1962 davor scheute, ein im Rahmen der Formalismus-Debatten negativ besetztes Schlagwort wie „Zwölftonreihe“ in einem Titel zu sehr in den Vordergrund zu rücken,27 und daher für die Veröffentlichung des Palmström-Zyklus innerhalb der Lieder und Kantaten den Untertitel „Studien über Zwölfton-Reihen“ zu „Parodien“ veränderte. Die alternative Bezeichnung „Parodien“ ließe sich also auch verstehen als Charakterisierung der in Eislers Palmström vertonten Texte (ähnlich z. B. der Bezeichnung des Pierrot lunaire als „Dreimal sieben Gedichte“ aus Albert Girauds gleichnamigem Gedichtzyklus), wobei der Terminus „Parodie“ seinerseits eine – freilich ungenaue – Alternative zum originalen – und unter sozialistischrealistischer Perspektive ebenfalls eher „negativ“ besetzten – Ausdruck „Groteske“ wäre. Die bereits erwähnte Änderung der enharmonischen Notation des 2. Tons der Violine in „Venus Palmström“ von dis zu es kann in diesem Kontext auch als Versuch verstanden werden, den Hinweis auf den kompositionstechnischen Aspekt in versteckter Form durch den Bezug auf die Initialen Arnold Schönbergs zu retten.
25
26
27
Siehe auch Hanns Eisler, Arnold Schönberg (1954), in: ders., Musik und Politik. Schriften 1948–1962 (Anm. 22), S. 320–332, hier S. 327f.: „Schönberg hat die Ausdrucksskala der musikalischen Charaktere erweitert. Die Empfindungen der klassischen und romantischen Musik, die Verklärung, das Erhabene, die Anmut, der Humor, das Kämpfen und Siegen fehlen. […] Humor wird, wie im Pierrot lunaire, zur Groteske.“ Siehe auch Theodor W. Adorno, Notizen über Eisler (1965–1966), in: Frankfurter Adorno Blätter VII, München 2001, S. 121–134, hier S. 123: „Hat Webern ans vorletzte Georgelied, Berg an die 1. Kammersymphonie angeknüpft, so er [Eisler] an den Pierrot lunaire. Palmström, eine der 1. Zwölftonkompositionen außer A[rnold] S[chönberg], noch der Regen. Die tief ambivalente Stellung zum Lehrer. Etwas wie mißglückte Identifikation.“ Zur Brisanz der Zwölftontechnik in der DDR auch noch nach Eislers Tod siehe z. B. Lars Klingberg, Die Debatte um Eisler und die Zwölftontechnik in der DDR in den 1960er Jahren, in: Michael Berg/Albrecht von Massow/Nina Noeske (Hg.), Zwischen Macht und Freiheit. Neue Musik in der DDR, Köln u. a. 2004, S. 39–59.
SIMONE HOHMAIER (Berlin)
Die Verfolgung oder Fünfzehn Minuten Irrsinn – Hanns Eisler und Béla Balázs „Hanns Eisler hat die Komposition einer Pantomime von Béla Balázs vollendet.“ – Zumindest vermelden dies die Musikblätter des Anbruch im Septemberheft 1926 unter der Rubrik „Neue Werke“. Bereits zuvor hatte die Universal-Edition Hanns Eislers „Die Verfolgung, Pantomime von Béla Balázs“ in einer Annonce als „in Vorbereitung“ beworben. Seither sind immer wieder Spekulationen über die Fertigstellung der Komposition angestellt worden, ein definitiver Beweis ist bis dato noch nicht erbracht. Nähere Angaben zum zeitlichen Rahmen der Komposition können zwei in der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen Mitteilungen Eislers an Alban Berg entnommen werden, denen zufolge Eisler die Komposition bereits im Juni 1926 beendet hatte. Auf einer Postkarte aus Paris vom 28. Juni 1926 schreibt er: „Sie sind erstaunt, mich in Paris zu wissen, aber bedenken Sie: das Abenteuerliche ist eines der wenigen Vergnügen, die man sich noch leisten kann. Um hierher zu kommen, mußte ich ein sehr dummes Ballet komponieren, von dem ich jetzt die Partitur mache.“1
Und wenige Tage später, am 5. Juli, heißt es wieder aus Paris: „Wo mein (geradezu idiotisches) Ballet aufgeführt wird weiß ich nicht. Sobald der Klavierauszug in der Druckerei, die Partitur beim Kopisten sein wird interessiert mich diese Arbeit nicht mehr und ich gehe erleichtert an meine nächste.“2
Über die Gründe, warum Eisler Berg gegenüber von einem „dummen“, „geradezu idiotischen“ Ballett spricht, kann nur spekuliert werden. War es die Qualität der Vorlage, auf die er anspielte? Naheliegender ist vielleicht ein anderer Grund. Die Briefe Eislers an Berg sind ohne Zweifel vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Schönberg zu sehen, die im Frühjahr dieses Jahres schriftlich ausgetragen wurde.3 Eisler, dessen Kompositionen sicherlich von Seiten des Meisters und seines engeren Kreises fortan unter verschärfter Beobachtung standen, wollte möglicherweise durch seine Äußerungen die kompositionstechnische Meßlatte für dieses Ballett, vermutlich eine Gelegenheitsarbeit, niedrig halten. Vielleicht handelte es 1 2 3
Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung F21.Berg.686/1-14. Mus. Ebenda. Siehe dazu u. a. Albrecht Dümling, Eisler und Schönberg, in: Das Argument. Sonderband 5. Hanns Eisler, Berlin 1975, S. 57–85, sowie ders., Schönberg und sein Schüler Hanns Eisler. Ein dokumentarischer Abriß, in: Die Musikforschung 1976/4, S. 431–461.
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sich sogar nur um eine Brotarbeit – dies suggeriert zumindest Eislers Formulierung „um hierher zu kommen, mußte ich ein sehr dummes Ballet komponieren“. Ob Eisler das Ballett tatsächlich beendete und zur Aufführung freigab oder ob es gar zu einer Aufführung kam, konnte bislang nicht geklärt werden. Im Hanns-Eisler-Archiv der Akademie der Künste Berlin befinden sich Materialien zur Ballettpantomime Die Verfolgung oder 15 Minuten Irrsinn nach Béla Balázs.4 Es handelt sich im einzelnen um - eine Kopie des Textentwurfs, das Original liegt in der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest - 17 Seiten Partitur, aus denen sich insgesamt 123 Takte Musik ergeben - 29 Seiten mehr oder weniger dicht beschriebene und detailliert ausgearbeitete Skizzen, die zum Teil Vorarbeiten für das in Partiturform Überlieferte darstellen, zum Teil aber auch weiteres Material präsentieren. Wie kam Eisler überhaupt dazu, eine Ballettpantomime Balázs’ zu vertonen? Um es vorwegzunehmen: Die genauen Umstände sind bislang nicht zu klären, weder in den derzeit verfügbaren Briefen und sonstigen Unterlagen Eislers, noch im Nachlaß Balázs’ ist Näheres dazu zu finden. Eisler muß Balázs bereits in Wien kennengelernt haben: Balázs verließ Ungarn nach der Zerschlagung der Räterepublik, in der er als Mitglied des Schriftstellerdirektoriums und als Leiter der literarischen Abteilung des „Volkskommisariats für Unterrichtswesen“ tätig gewesen war, und verbrachte einige Jahre des Exils in Wien. Dort wohnte György Lukács, mit dem Balázs seit langem eine zwar nicht ganz unproblematische, aber immerhin enge Freundschaft verband, 1919 für kurze Zeit wie Eisler in den sogenannten „Wiener Militärbaracken“. In dieser Zeit müssen Eisler und Balázs einander kennengelernt haben. In einem Tagebuch-Eintrag vom 26. Oktober 1920 erwähnt Balázs Eisler. Obwohl Balázs’ (geborener Herbert Bauer) Muttersprache Deutsch war, schrieb er das Tagebuch in Ungarisch, eine Übersetzung steht bis heute leider noch aus. In der relevanten Passage skizziert Balázs eine Szene aus Reichenau: „Schöne Waldspaziergänge mit der Nachtlampe. Große Schatten auf den Gebirgswänden, der Schein der Lampe auf den schlafenden Riesentannen. Elsa Siegers dienender Geliebter, der sonderbare Baron, die fesche Frau Gessmann. Die gewesene Kellnerin Frau Waisnix und ihr hübscher Bube. Das große, goldene Holzkreuz der kleinen Kirche mit grünem Turm, die Frau des blinden Organisten, Eisler, der kleine krumme jüdische Komponist und die Messe mit Musik. Die kleine Blanka Walt und ihr Bruder Ernst, der homosexuelle Tänzer, das Ehepaar Kulka, Gerhart Eisler und Karl Franck und Lizzi.“ 5
Eine illustre Gesellschaft. Mit Gerhart Eisler hatte Balázs damals wohl schon näheren Kontakt, dieser hatte Balázs die Idee zum Filmdrehbuch Tom Brown’s letzter Fang 4
5
Hanns-Eisler-Archiv 958, 960 und 1838. Thomas Ahrend verdanke ich den Hinweis, daß bei der Stuttgarter Antiquariatsmesse 2009 durch das Antiquariat Löcker (Wien) ein Konvolut von Skizzen und Reinschriften Eislers angeboten wurde, das weiteres Material zu den im Eisler-Archiv vorhandenen Teilen enthält. Béla Balázs, Napló 1914–1922, Budapest 1982, S. 428, Übersetzung SH.
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geliefert. Es war dies übrigens Balázs’ erstes Filmexposé und hatte einen Detektiv zum Gegenstand, der im Trancezustand ein Räuber ist, sich selbst verfolgt und sich schließlich auch faßt. Die Motive „Detektiv“, „Trance“ und „Verfolgung“ sollte Balázs später in der Ballettpantomime wieder aufgreifen. Nach dieser doch immerhin für die Wiener Zeit bereits dokumentierten Begegnung sind Eisler und Balázs sicherlich auch in Berlin aufeinandergetroffen. Eisler übersiedelte bekanntlich 1926 nach Berlin, Balázs hatte am 7. April 1926 seine letzte Theaterkritik für den Wiener Tag geschrieben und wenige Tage später seinen Abschied vom Feuilleton genommen. Der genaue Zeitpunkt der Übersiedlung Balázs’ nach Berlin ist nicht bekannt, das erste gesicherte Datum seiner Anwesenheit in Berlin ist ein Vortrag am 9. Juni 1926 über „Filmtradition und Filmzukunft“ beim „Klub der Kameraleute“.6 Eine mögliche Begegnung Eislers und Balázs’ muß also vermutlich im Mai stattgefunden haben, und da die Komposition bereits im Juni beendet gewesen sein soll, ist es wahrscheinlich, daß der Plan dazu bereits in Wien entstand. Neben der Beschäftigung mit dem Film zeigte Balázs in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein besonderes Interesse für Tanzdichtung, auch wenn die vermutlich bekannteste Arbeit, Bartóks Tanzspiel A fából faragott királyfi, op. 13, schon 1913 entstand. Bereits 1925 schrieb Balázs eine Pantomime mit dem Titel Die Mumien, die offenbar nicht vertont wurde. Nach Eislers Die Verfolgung oder 15 Minuten Irrsinn folgten weitere, zum Teil recht erfolgreiche Projekte, u. a. Baby in der Bar, eine absurde, groteske Szene, in der ein Baby in einer Bar ausgesetzt wird, dort in völlig irrationaler Weise wächst, zu tanzen beginnt und sein Umfeld im Chaos versinken läßt. Vertont wurde diese Pantomime 1927 von Wilhelm Grosz.7 Aus dem gleichen Jahr stammt die Pantomime Mammon, die Ernst Krenek vertont hat.8 In der märchenhaften Handlung dieses „choreographischen Bildes“ geht es um die Sehnsucht eines Mädchens nach dem Mammon, durch die allerlei Unrecht geschieht, trotzdem kommt es am Ende zu Läuterung und Vergebung. Das hier zwar märchenhaft gestaltete, aber doch erkennbare soziale Thema fehlt in Balázs’ Vorlage für Eislers Ballettpantomime. Auch hier könnte ein Grund für das Unbehagen Eislers an dem Projekt zu suchen sein. Auf diesen Umstand läßt vor allem Eislers kleine, aber bedeutende Änderung am Text Balázs’ schließen, auch wenn hier selbstverständlich Vorsicht geboten ist, da wir nicht wissen, mit welcher Textvorlage Eisler gearbeitet hat. Balázs’ Entwurf zur Szenerie, dessen Übertragung im Anhang zu sehen ist, faßt Eisler am Beginn des Partiturentwurfs zusammen:
6 7 8
Vgl. zu biographischen Daten Joseph Zsuffa, Béla Balázs, the man and the artist, Berkeley 1987, und Hanno Loewy, Béla Balázs – Märchen, Ritual und Film, Berlin 2003. Universal-Edition Wien, UE 31931. Universal-Edition Wien.
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„Vorhang auf. Vergnügungsplatz in der Vorstadt. Schlecht beleuchtet, sehr ärmlich. Auf einem Postament: Panoptikum. Figuren sehr schäbig angezogen, Modeikonenauslagen etz. [...] Das ganze macht einen trostlosen Eindruck“.9
Im Vergleich dazu liest sich Balázs’ Vorlage bunter, greller, die Vokabeln „ärmlich“ und „schäbig“ kommen bei ihm nicht vor. Diese Szenerieskizze ist leider die längste Szenenanweisung, die in den Noten zu finden ist, allerdings gibt es auch einige kürzere, welche die Zuordnung der erhaltenen Noten zu den einzelnen Szenen erleichtern. Aus dieser Zuordnung ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: Der größte Teil des erhaltenen Notenmaterials ist der ersten von insgesamt vier „Situationen“ zugehörig. Dazu zählen vor allem die 123 Takte Partiturentwurf. Aber selbst diese erste Situation liegt nicht vollständig in Partiturform vor, die letzten Takte, die Eisler mit den Szenenanweisungen „Schüsse in der Kulisse“, „alle blicken erschrocken hin“ und „wilde Flucht“ näher bezeichnet, sind nur im Klaviersatz überliefert. Zur zweiten Situation sind 71 Takte eindeutig durch Szenenanweisungen zuzuordnen, unter anderem durch Eislers Bemerkungen: „Da stürzt ein Apachenpaar herein in wilder Flucht. Bleiben stehen und geben Schüsse ab, die einen ganz lächerlichen Krach machen im Verhältnis zur Größe“
sowie „Hängen sich die Schilder“. Diese Textpartikel sind in der Vorlage Balázs’ enthalten. Es schließen sich direkt Skizzen zur dritten Situation mit der Überschrift „No. 3 Die Detektive“ an. Zu diesem Abschnitt sind immerhin noch über 60 Takte zu rechnen, die allerdings weniger detailliert ausgearbeitet sind. Die neben der Überschrift einzig erhaltene Szenenanweisung lautet: „Sie schleichen schnüffelnd im Kreis herum“. Der vierten und letzten Situation, die Balázs als „Ballet“ bezeichnet hat, sind keine Skizzen unzweifelhaft zuzuordnen, obwohl hier Musik explizit als Szenenmusik im Zentrum steht. In Balázs’ Textentwurf kehren hier die Motive „Detektiv“, „Trance“ und „Verfolgung“ wieder, wobei der Trancezustand ganz eindeutig durch die Musik herbeigeführt wird. Eine umfassende Darstellung der Musik zu Die Verfolgung oder 15 Minuten Irrsinn ist an dieser Stelle kaum möglich und wäre Gegenstand einer größeren Arbeit, einige repräsentative Passagen, die im Hinblick auf das verwendete Material typisch oder in bezug auf die Vertonung der Handlung aufschlußreich sind, möchte ich kurz erwähnen. Zwei Elemente können als charakteristisch für Eislers Tanzpantomimen-Fragment bezeichnet werden: Erstens spielen in linearer wie harmonischer Hinsicht in allen drei erhaltenen Teilen ganztönige Strukturen und große Terzen eine wichtige Rolle, zweitens wird jeder Abschnitt zumindest zu Beginn – zu Situation 2 und 3 ist der weitere Verlauf nicht zu rekonstruieren – von einer Art Kernmotiv getragen. Be9
Hanns-Eisler-Achiv 960.
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reits am Beginn der Komposition, dem ausführlichst ausgearbeiteten Teil, läßt sich dies exemplarisch zeigen. Mit dem fanfarenartigen Motiv der Trompete (in B) wird mit e-d-b-as das Kernmotiv der ersten Situation exponiert, welches nachfolgend in verschiedenen Varianten wiederkehrt. Die konstitutiven Intervalle sind so mit großer Sekunde und großer Terz gleich zu Beginn vorgestellt.
Notenbeispiel 1: Hanns Eisler, Die Verfolgung, T. 1–11.
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Wenige Takte später kehrt das Motiv in rhythmisch völlig veränderter Form wieder (T. 7), um dann am tatsächlichen Beginn der 1. Situation, mit dem Öffnen des Vorhangs, im Fagott (hier 2. System) rhythmisch erneut variiert als Marsch zu erscheinen (T. 10). Eine weitere Variante findet sich in T. 15 in den Streichern:
Notenbeispiel 2: Hanns Eisler, Die Verfolgung, T. 15.
Erst mit Eintritt der von Eisler in einer Verlaufsskizze als „3. Gruppe“ innerhalb der 1. Situation bezeichneten Passage gerät die bislang dominierende Kernzelle in den Hintergrund und wird von einem in seiner 4-taktigen Anlage geradezu traditionellen Thema verdrängt, dessen Intervallstruktur im weiteren wiederum in neuem rhythmischen Gewand wiederkehrt.
Notenbeispiel 3: Hanns Eisler, Die Verfolgung, T. 21–23.
Im Hinblick auf das Tonhöhenmaterial und seine Verarbeitung treffen wir in der leider nur in Skizzenform überlieferten zweiten Situation auf ein ähnliches Verfahren: Zum Handlungsmoment „Da stürzt ein Apachenpaar10 herein in wilder 10
Man muß sich „Apache“ nicht unbedingt als Indianer vorstellen. Ich danke Tobias Faßhauer für den Hinweis, daß „Les Apaches“ im Paris der 1920er Jahre auch eine Bezeichnung für die Mitglieder einer Verbrecherbande war.
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Flucht“ setzt Eisler schnelle, abgerissene Folgen von Terzpaaren, und auch in diesem Abschnitt spielt ganztöniges Material eine Rolle, diesmal in Skalenform.
Notenbeispiel 4: Hanns Eisler, Die Verfolgung, Skizze.
Interessanterweise wird das anfängliche Kernmotiv dieses Abschnitts, fis-d-gis-h, ausgerechnet in jener Passage permutiert, in der sich die Apachen die Schilder umhängen und damit eine andere Identität annehmen: aus fis-d-gis-h wird fis-d-g-b; die Transfiguration findet also auch auf musikalischer Ebene statt, eine engere Verschränkung von Text und Musik darf daher wohl auch für die anderen nicht erhaltenen Teile der Komposition vorausgesetzt werden. Auch in der 3. Situation, „Die Detektive“, herrschen große Terzen vor; gleich zu Beginn ist sehr schön zu beobachten, wie das lineare Material auch harmonisch Verwendung findet: zunächst mit den Zellen g-h-es, dann d-fis-b; letztere Folge kehrt als d-ges-b im darauffolgenden Takt akkordisch wieder.
Notenbeispiel 5: Hanns Eisler, Die Verfolgung, Nr. 3, T. 1–8.
Während die Töne hier am Anfang der Szene noch rhythmisch zerstückelt für Spannung sorgen – schließlich betreten an dieser Stelle Detektive die Bühne –,
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kehrt die Figur, wiederum erneut permutiert, in rhythmisch regelmäßiger Form wieder, wenn die Detektive „schnüffelnd im Kreis herumschleichen“:
Notenbeispiel 6: Hanns Eisler, Die Verfolgung, Nr. 3.
Auch wenn das erhaltene Material spärlich ist, läßt sich doch zumindest schließen, daß Eisler in allen drei „Situationen“ eine ähnliche Verfahrensweise und eng verwandtes Material verwendet. Eine Passage aus der 1. Situation verdient jedoch besondere Aufmerksamkeit. Nach T. 39 markiert ein Doppelstrich einen neuen Abschnitt, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem ersten Stück Leitspruch aus Eislers Tagebuch, op. 9, das immerhin kurz nach der Komposition der Tanzpantomime entstand, aufweist.
Notenbeispiel 7: Hanns Eisler, Die Verfolgung, T. 40 ff., und Tagebuch, op. 9, Leitspruch, T. 6 ff.
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Bedenkt man zudem die Verwandtschaft von Material und Verfahren (große Terzen und einfache Form), so bleibt unverständlich, warum Eisler seine Tanzpantomime als „geradezu idiotisch“ bezeichnete. Anhang Die Verfolgung oder fünfzehn Minuten Irrsinn11 Ballettpantomime von Béla Balázs Szenerie. Ein grotesk-expressionistischer Jahrmarkt. Ein Großstadt-Vergnügungspark. Ganz toll. In der Mitte ein Panoptikum (Waxfigurenkabinett) auf nicht zu hohem Podium. Generäle, Raubmörder, Affenmenschen etz. Jede Figur trägt auf der Brust ein Schild mit der Aufschrift was sie sei. Vor dem Panoptikum steht unbeweglich ein Wachmann. [S. 2:] Links vom Waxfigurenkabinett ein kolossales Gramophon. Weiter links,12 seitwärts das offene Schaufenster eines Damenmodegeschäftes mit lebensgrossen angekleideten Puppen. Teils in grosser Toilette,13 teils in leichten Sommerkleidern und teils in Unterwäsche. Rechts neben dem Panoptikum ein Teil eines Ringelspiels, das sich in den Hintergrund fortsetzt und verliert. (Je nach dem Raum und Möglichkeit und Fantasie des Bühnendekorateurs können auch andere Dingen wie etwa eine Schiessbude mit entsprechenden Figuren aufgestellt werden.) Bunte Lampionen. Lichtreklame die aufflammen und erlöschen. Flattern[d]e Fahnen und kleine bunte Windmühlen – etz.
11
12 13
Hanns-Eisler-Archiv 1838; Photokopie nach Mikrofilm. Original: Magyar Tudományos Akadémia Könyvtára, Budapest, MS 5013/24. Die Textwiedergabe folgt der Vorlage in Orthographie und Zeichensetzung; Hervorhebungen, Streichungen und Einfügungen ( ) werden wiedergegeben, auf eine Übernahme der originalen Schreibraumanordnung wird jedoch weitgehend verzichtet. Die Seitenzahlen sind numeriert. Hinzufügungen der Herausgeberin stehen in eckigen Klammern. „links“ korrigiert aus „Links“. Schreibung von großem und kleinem T (auch im folgenden) nicht zu unterscheiden.
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[S. [3]:] I. Situation Wirre Jahrmarktsmusik mit inartikulierten Geräuschen. Expressionistisch-grotesk kostümiertes Publikum kommt von rechts und von links mit marionetthaften, stilisierten Bewegungen und bleibt vor dem Panoptikum stehen. Allgemeines Staunen auf Takt mit mechanischen Gebärden. Plötzlich wilde Paukenschläge. Trommelwirbel. Das Publikum wendet sich plötzlich jeh 14 nach rechts und blickt erschrocken in die Kulisse. (Alles gleichzeitig auf Takt und grotesk-mechanisch in Gebärde und Gruppierung). Alle zeigen in die Richtung. Dort geht etwas entsetzliches vor. Musik hält inne. Kurze Generalpause. Rechts15 in der Kulisse krachen zwei Schüsse. Das Publikum wendet sich [S. 4:] um und läuft nach links davon. II. Situation 16 Die Bühne ist fünf sekundenlang leer. Da stürzt ein Apachenpaar herein offenbar verfolgt, in wilder Flucht. Sie schaun zurück nach den Verfolgern. Sie halten grosse Messer zwischen den Zähnen und ungeheure Pistolen in der Hand. Sie schaun zurück nach ihren Verfolgern. Jagen dann zweimal einmal wild im Kreis herum. Am selben Platz angekommen wenden sie sich wieder gegen ihre Verfolger (nach der rechten Kulisse) und geben zwei Schüsse ab die einen ganz lächerlich kleinen Krach machen im Verhältnis zur Grösse der Pistolen. Dann laufen sie noch einmal im Kreis herum, wie in die enge getrieben, suchen sie nach einem Schlupfwinkel. Da hat der Mann eine Idee. Er zeigt auf das Panoptikum. Beide springen auf das Podium. [S. 5:] Hängen zw die Brustschilder von einem Raubmörder und einer Giftmischerin ab und sich selber an und stehen nun steif wie Waxfiguren unter den Anderen und tragen die Aufschrift: Der schreckliche Raubmörder soundso. Die schreckliche Giftmischerin soundso. Kaum sind sie damit fertig III. Situation. Kaum sind die beiden auf dem Podium mit ihrem Arrangement fertig – stürzt von rechts der Detektiv mit einer Truppe Wachleuten herein. Alle mit vorgehaltenem Revolver. Der Detektiv in Zivil mit Mütze, Monokel, Matrosenpfeife etz. Die Wachleute in grotesken Uniformen.
14 15 16
Am Zeilenanfang eingefügt. „Rechts“ korrigiert aus Anfangsbuchstaben, nicht lesbar. Im Original umrahmt.
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Die Truppe bleibt verdutz[t] stehen und blickt verwundert nach rechts und links (wieder alles marionettenhaft in mecha- [S. 6:] nischem Takt!) Dann gehen sie einmal auf Fusspitzen schleichend und schnüffelnd im Kreis herum . und b B leiben stehn und schütteln verwundert die Köpfe. Der Detektiv geht zu dem Wachmann der vor dem Panoptikum steht pa[c]kt ihn an der Brust und frägt ihn ob er die Flüchtlinge nich[t] gesehen hat[.] Da er keine Antwort bekommt gibt er ihm einen Stoss. Der Wachmann fällt um. Es ist eine Puppe. Der Detektiv merkt das Panoptikum. Legt den Finger an die Stirne: er hat eine Idee. (Die Polizisten machen alle seine Gebärden automatisch nach.) Der Detektiv zeigt auf das Panoptikum. Schleicht sich vorsichtig hinzu. (Die Polizisten – in einer Reihe – nähern sich auch mit einige zwei Schritten.) Der Detektiv zeigt von einer Waxfigur17 auf die andere als wenn er sie zählen würde. Macht bei den [S. 7:] Figuren die keine Brusttafel haben halt. Sein Verdacht scheint bestätigt. Er springt auf die beiden Figuren los, ergreift sie beide auf einmal. Sie fallen beide vom Podium[.] Es sind Puppen. Der Detektiv kehrt zur Rampe zurück. Legt den Finger auf die Stirne und geht einmal grübelnd auf und ab. (Die Polizisten im Gänsemarsch i[h]m nach.) – Plötzlich bleibt er stehen. Er hat eine Idee. Er treibt seine Polizisten zurück – nach rechts-vorne – wo sie nach vor[n] gebäugt, mit vorgehaltenen Revolvern wie aus dem Hinterhalt, auf der Lauer gespannt warten. Der Detektiv zeigt mit siegreichem Läche[l]n auf das Gramophon. Geht hin und kurbelt es auf. [S. 8:] Das Gramophon ertönt. Eine einstweilen leise gewaltige Jazzband-ShimmyMusik auf der Bühne. Der Detektiv schleicht sich auf den Fusspitzen zu seinen Polizisten zurück und lauernd beobachtet er die Wirkung der Musik auf die Wachsfiguren[.] IV. Situation: Ballet. Die beiden Apachen auf dem Podium können dem Tanzr[h]ythmus nich[t] wiederstehen. Erst rollen sie die Augen – nach dem Rythmus – nach rechts und links. Dann zuckt es in ihren Armen und Beinen. Der Detektiv und die Polizisten strecken heben die Arme und zeigen mit dem Finger auf sie: aha!! Die Apachen beginnen, wiederwillen und sich noch zurückhaltend, noch an einem Ort stehend, zu tanzen an. Die Jazzmusik18 wird immer [S. 9:] lauter und wilder. Der Detektiv kommandiert seine Polizisten zum Angriff[.] Doch die en Polizisten haben ist die Musik auch in die Glieder gefahren und sie beginnen zuckend und wiederwillen z an Ort und Stelle zu tanzen an. 17 18
Erster Buchstabe korrigiert aus „F“. Erster Buchstabe korrigiert aus „M“.
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Der Detektiv wendet sich zu ihnen, neuer Befehl zum Angriff[.] Da fan Die beiden Apachen tanzen – noch immer an Ort und Stelle – aber schon ganz unverholen. Detektiv un[d] Polizisten kommen im Tanzschritt, mit vorgehaltenen Revolvern herangerückt. Die Musik verstärkt sich plötzlich. Alle andern Wachsfiguren beginnen aufeinmal zu zucken mit Händen und Füssen zu zappeln an. Gleicherweise die Schiessbudenfiguren und die Damenmodelle im Schaufenster[.] [S. 10:] Detektiv und Polizisten bleiben verdutzt stehen. Musik steigert sich zu wüstem Fortissimo. Alle Lampions fangen zu leuchten an. Die Damen tanzen aus dem Schaufenster tanz heraus den Polizisten entgegen so dass sie d ihnen den Weg zum Panoptikum verstellen[.] Der Detektiv fuchtelt und schiesst und will durchdringen[.] Mit den Polizisten ist nichts mehr zu machen. Sie tanzen. Die beiden Apachen klettern vom Panoptikum auf das Ringelspiel herüber. Setzen sich auf je ein Pferd. Das Ringelspiel geht los, und in dem alles in einen wüsten Schimmy-Tumult aufgeht, drehn sich die beiden [S. 11:] Apachen tücherschwenkend mit dem Ringelspiel von der Bühne hinaus. Da stürzt der Detektiv zum Gramophon und wirft es um. Plötzlich Generalpause und alles bleibt starr stehen – wie die Figuren eines Wachsfigurenkabinet[t]s. Der Detektiv kommt ganz vor zur Rampe (keine Musik!) schaut kopfschüttelnd und besorgt die starrgewordene Gesellschaft an. Zündet sich die Pfeife an. Kratzt sich bedenklich den Kopf. Zieht einen Federwisch unter dem Rock hervor und beginnt d seine starrgewordenen Polizisten ab zu stauben. Vorhang. / Oder [Text am linken Seitenrand diagonal absteigend:] Oder ein anderes vollkommen irrationales überraschendes und komisches Ende.
ANNETTE THEIN (Kassel)
„Dort wo du nicht bist...“ Das Eigene und das musikalische Erbe am Beispiel von Eislers Liedern im Exil Der Begriff des „Erbes“ In seinem 1937 in Prag für die Weltbühne mit Ernst Bloch geführten Gespräch Die Kunst zu erben fragt Eisler danach, wie das musikalische Erbe lebendig gehalten werden könne. Eisler betont die Wichtigkeit, „Klassik in einem revolutionären Sinne zu interpretieren“.1 Der Begriff der Tradition ist in diesem Gespräch als ein faschistischer verwendet und wird scharf abgegrenzt zum lebendigen, zur Fortführung fähigen Begriff des Erbes. Tatsächlich und in Sonderheit kann diese Intention, das Erbe zu verlebendigen, in Hinsicht auf Eislers Kompositionen in der Zeit des Exils als elementarer kompositorischer Impetus begriffen werden. Dafür mag auch die unmittelbare Nachbarschaft zu einigen der Wortführer der ExpressionismusDebatte in Los Angeles mit initiativ gewesen sein. Daß Hanns Eisler – bezogen auf die musikalischen Koordinaten des Hollywooder Liederbuch – unter dem Begriff Erbe gleichermaßen die damals „allgemeineren“ Kunstgüter subsumiert, also die Tradition des Kunstliedes (Mozarts, Schuberts oder Schumanns), wie auch die in der Expressionismus-Debatte – in deren Zusammenhang das Gespräch mit Bloch ja steht – angefeindeten Entwicklungen Schönbergs, dies soll Gegenstand dieses kleinen Einblicks in den Kosmos der Liedersammlung sein. Das Hollywooder Liederbuch ist zu sehen im Zusammenhang einer Diskussion um die eigene Vergangenheit des Komponisten. Solche Selbstbefragung mag naturgemäß erscheinen in der Fremde, in der Identität, Selbstvergewisserung in verstärktem Maße zur Notwendigkeit wird. Andererseits war Eisler selbst über seine Liebe zu seiner Heimat, wie sie sich hier niederschlug, erstaunt. Eisler selbst spricht von der „Kunst der Erinnerung“; darum sei es ihm gegangen. (Dies formulierte er allerdings erst im Rückblick 1958 gegenüber Bunge.2) Solche „Kunst der Erinnerung“ geht im Zyklus einher mit Aneignung und Anverwandlung; gezeigt wird hier die Technik der Einbindung, zum einen der kompositorischen Mittel des atonalen Liedes, zum anderen jener der Liedtradition, insbesondere Schumanns. 1
2
Hanns Eisler/Ernst Bloch, Die Kunst zu erben, in: Die neue Weltbühne 34/1 (6. Januar 1938), S. 13–18; zit. nach: Hanns Eisler. Musik und Politik. Schriften 1924–1948 (= Gesammelte Werke III/1), hrsg. von Günter Mayer, Leipzig 1973, S. 406–411. Eisler im Gespräch mit Hans Bunge; zit. nach: Drittes Gespräch (25. Mai 1958), in: Hanns Eisler. Gespräch mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht, übertragen und erläutert von Hans Bunge (= Gesammelte Werke III/7), Leipzig 1975, S. 65–66.
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Annette Thein
In der Eisler-Forschung wurde bereits eine Verknüpfung der ExpressionismusDebatte mit dem Liedschaffen im Hollywooder Exil hergestellt, zumeist mit dem Schwerpunkt auf den Hölderlin-Fragmenten, was im historischen Kontext insoweit Bedeutung stiftend ist, als Hölderlin, quasi aus anderer Perspektive, ein Verfemter war, nämlich für die Künstler des Exils aufgrund seiner nationalistischen Vereinnahmung.3 Das Lukacs-Zitat „Für Hölderlin gab es weder in Deutschland noch außerhalb Deutschlands eine Heimat“,
1935 in der Moskauer Zeitschrift Internationale Literatur erschienen,4 ist in dieser Hinsicht nur eine Wegmarke.5 Es ist dies eine der Ideen, die Eisler praktisch, d. h. komponierend umsetzt. Aufgezeigt werden kann auch, daß Eisler im Hollywooder Liederbuch die aktuell debattierten kompositorischen Mittel bereits historisch einbindet – uns seinen ehemaligen Lehrer Arnold Schönberg also quasi auf gleicher Stufe mit dem „angenommenen“ Erbe als Erbgut (als erworbenes Gut, wenn man so will) rezipieren läßt. Der Allianz von „Hölderlin und Marx“ (wie es bei Thomas Mann hieß) entspräche übertragen auf Hanns Eisler diejenige von Schönberg und Schumann. Atonalität am Beispiel von Frühling (Bertolt Brecht) Frühling ist das fünfte Stück des Hollywooder Liederbuchs, dessen gut erstes Drittel, abgesehen von den beiden Pascal-Vertonungen, aus Liedern nach Texten von Bertolt Brecht besteht. Hier die Textvorlage und ihre Adaption von Eisler im Lied in synoptischer Gegenüberstellung: Sonett Bertolt Brecht Finnische Landschaft
Frühling
Fischreiche Wässer! Schönbäumige Wälder! Birken- und Beerenduft!
Fischreiche Wässer, schönbäumige Wälder, Birken und Beerenduft.
3 4 5
Vgl. Claudia Albert, Das schwierige Handwerk des Hoffens. Hanns Eislers „Hollywooder Liederbuch“, Stuttgart 1991, S. 88ff. Georg Lukács, Hölderlins Hyperion, in: Internationale Literatur 5, 1935, H. 6, S. 96–107; zit. nach: ders., Werke, Bd. 7, Neuwied 1964, S. 164–184. Gerade Thomas Mann hat bereits 1921 eine Vereinigung „von kulturellem Erbe und Sozialismus, von Hölderlin und Marx“ propagiert. In seinem Bestreben, das Bürgertum des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart zu retten, da es sonst geistig überständig und geschichtlich verloren sei, formulierte er, wer heute Bürger sein wolle, müsse über diese angestammte Bürgerlichkeit hinaus wachsen ins Soziale. Gipfelpunkt seiner politischen Publizistik war die von rechtsradikalen Störungen getrübte „Deutsche Ansprache“ (Oktober 1930), eine Antwort auf den Wahlerfolg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930. Sie forderte das Bürgertum auf, sich an die Seite der Sozialdemokratie zu stellen: Hölderlin solle Marx lesen.
„Dort wo du nicht bist...“
Vieltoniger Wind, durchschaukelnd eine Luft So mild, als stünden jene eisernen Milchbehälter Die dort vom weißen Gute rollen, offen! Geruch und Ton und Bild und Sinn verschwimmt. Der Flüchtling sitzt im Erlengrund und nimmt Sein schwieriges Handwerk wieder auf: das Hoffen.
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Vieltöniger Wind durchschaukelt eine Luft so mild, als stünden jene eisern’ Milchbehälter, die dort vom weißen Gute rollen, offen. Geruch und Ton und Bild und Sinn verschwimmt. Der Flüchtling sitzt im Erlengrund und nimmt sein schwier’ges Handwerk wieder auf: das Hoffen.
Er achtet gut der schöngehäuften Ähre Und starker Kreatur, die sich zum Wasser neigt Doch derer auch, die Korn und Milch nicht nährt. Er fragt die Fähre, die mit Stämmen fährt: Ist dies das Holz, ohn das kein Holzbein wäre? Und sieht ein Volk, das in zwei Sprachen schweigt.
Ein Flüchtling befindet sich in freier Landschaft. Bei Brecht eindeutig nach Finnland situiert, ist bei Eisler durch die Aufgabe des Titels die nationale Bindung von vornherein offen gelassen. Im Zusammenhang des Hollywooder Liederbuchs weist die Ansiedlung eher auf die eigene Heimat und ist zudem jahreszeitlich präzisiert: es ist Frühling, eine hoffnungsfrohe Zeit. Eisler vertont nur die erste Strophe, so daß deren letzte Zeile zum alleinigen End- und Kulminationspunkt wird. Das Streichen der zweiten Strophe richtet den Fokus auf ein gleichsam allgemeineres Schicksal; die beschriebene Naturschönheit, in der Vorstellung durchhaucht vom Wohlgeruch offen stehender Milchbehälter, bildet den eigentlichen Gegensatz zur Situation des Flüchtlings. „Geruch und Ton und Bild und Sinn verschwimmt“, diese „synästhetisierende“ Natur- und Kunsterfahrung6 gibt den Ansatz für die Vertonung (Notenbeispiel 1). Zwei Gestaltungselemente greifen ineinander: Die am Anfang stehenden einstimmigen Arpeggien, deren Hauptintervall Terzen sind, mögen inhaltlich, gegründet in der Beobachtung ihres ersten Auftretens zum Worttext „Vieltöniger Wind“ (T. 9), primär für die Schilderung der Natur stehen. Sie setzen sich in den Takten 1 und 2 aus jeweils zehn Tonhöhen zusammen und evozieren eine freie Tonalität. (Im Gegensatz zu anderen Liedern des Zyklus, wie beispielsweise den Hollywood-Elegien, kann von einer Reihe im Sinne der Zwölftontechnik hier auch deshalb nicht gesprochen werden, weil die entsprechenden Konstruktionsprinzipien wie Umkehrung, Krebs oder Ähnliches nicht verwendet werden.) Auf nur noch acht Tonhöhen reduziert sich der Tonvorrat in den Takten 3–5 infolge des sich durchsetzenden Achsen-Tones as, wobei die tiefen Töne der Pendelbewegung als ein weiteres 6
Vgl. Albert, Das schwierige Handwerk des Hoffens (Anm. 3), S. 64.
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motivisches Element einen chromatischen Quart-Abstieg ausformen (fes – es – d – des – c – ces).
„Dort wo du nicht bist...“
Notenbeispiel 1: Hanns Eisler, Frühling, in: Lieder für eine Singstimme und Klavier (= Gesammelte Werke I/16), Leipzig, Deutscher Verlag für Musik 1976, S. 80–81.
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Takt 6 setzt als zweites Gestaltelement das zentrale rhythmisch-melodische, nun auch akkordisch verfestigte Motiv dagegen, das den Anfangsrhythmus des Gedichts („Fischreiche Wässer“) vorwegnimmt, später aber auch, auf die ersten drei Impulse reduziert, zum Schlüsselwort „das Hoffen“ erscheinen wird (Takt 23). Die Singstimme fügt eben dieses Motiv quasi träumerisch aufzählend zu zwei fast identischen, im Kleinterz-Abstand hintereinander gesetzten Gliedern zusammen, denen nach Pausenzäsur die vervollständigende dritte Komponente in einer einen Zwischenschluß bildenden Variante sich anschließt. (Takt 6 weist dabei neun, Takt 7 zehn Tonhöhen auf, während Takt 8 als Schlußglied nur sieben Tonhöhen zum Klingen bringt. Quasi-tonale Assoziationen ergeben sich durch die klangliche Lösung der Glieder in den F-Dur-Sextakkord bei „Wässer“, nach des-Moll bei „Wälder“, schließlich zum Des-Dur-Quartsextakkord bei „Beerenduft“.) Die beiden konträren Gestaltungselemente wechseln einander geregelt, jedoch für Strecken unterschiedlicher Länge ab, wobei sie in textausdeutender Absicht auch miteinander verschränkt werden (unterstrichene Taktzahlen): 1–5 6–8 9 – 13 13 – 17 17 – 22 23 – 26 27 – 28 So überlagern einander in Takt 13 die horizontal betonte, terzbestimmte Linie und die textlich auf die Naturschönheit bezogene akkordische Figur beim Wort „offen“ gewissermaßen zu einem „Als ob“, und das an eine Variante des ArpeggioElements gekoppelte Verschwimmen der Eindrücke wächst aus dem weitergesponnenen akkordischen Element gleichsam heraus. Die Anzahl der klingenden Tonhöhen im Takt beträgt dabei weiterhin sieben (Takt 11f., 13f.) oder zehn (Takt 9, 10, 15ff., 18 Mitte–20, 21f.); unverkennbar steht ihr Wechsel im Dienst von Lösung und atmosphärischer Verdichtung, und die konsequent beibehaltene Dichte im Zentrum des Liedes zwischen Takt 15 und 22 ist ganz bewußt eingesetzt. Das in den Takten 4–6 beobachtete Element absteigender Chromatik wirkt an drei Stellen erneut in den Satz ein: Zunächst noch eher unterschwellig präsent im engstufigen Gang des Basses von Takt 12–14, fungiert es mit besonders nachhaltiger Wirkung als Bestandteil der mit Auftakt zu Takt 19 einsetzenden Schlußphrase der Singstimme, wo (in gesteigerter Variante zur Pendelbewegung aus Takt 4f.) die tieferen Töne die Folge as – g / fis / fis – f herausmeißeln; die gedehnten Akkorde des Klaviers unterlegen dabei mit ihren Basistönen b – a – gis – g ebenfalls einen chromatischen Abstieg. Es handelt sich um ein atonales Lied, das potentiell über die Gleichberechtigung der Töne verfügt, diese aber nicht zwangsläufig anwendet. Es wird motivisch gearbeitet; die Art der Verschränkung der musikalischen Motivik mit derjenigen der
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Textinhalte („Fischreiche Wässer“ sind Symbol der „Hoffnung“), aber auch ein Verfahren wie das der wortlosen dreimaligen Wiederholung dieser Motivik in Takt 24ff. sind in der romantischen Liedtradition etablierte und zitierfähige kompositorische Mittel. Dies läßt sich auch für die Chromatik in den Mittelstimmen als textbezogenes Verdeutlichen des „Verschwimmens“ nachweisen, ebenso in der vielfältigen Bezüglichkeit von Melodik und Begleitung. Besonders triftig wirkt die Methode natürlich dadurch, daß mittels der vielfach zugrundeliegenden Terzenschichtung eine bestimmte Entwicklungsstufe der Tonalität (Schumann, Brahms) bzw. ihr Evoziertwerden ganz unmittelbar hörbar werden kann und somit zur im Gedicht beschriebenen Atmosphäre beiträgt. Als ein Blick auf die Natur und ihre Schönheit, aber auch als Heimkehr zu sich selbst wird die motivische Rückkehr zum Arpeggio am Ende des Liedes empfunden, verstärkt durch die Wirkung der Gegensätze von Akkordik zu Linearität, Chromatik zu Terzbestimmtheit. Dieses kurze Aufscheinen mündet allerdings im Clustertriller. Das „Hoffen“ ist das Losungswort, das letztlich ein offenes Ende der Stimmung zuläßt bzw. fordert. Rein musikalisch erbringt dieser Clustertriller die Wirkung eines nicht-abgeschlossenen Prozesses – das Hoffen enthält ein Potential des Noch-nicht-Erreichten, der Utopie. In der Tradition von Robert Schumann und Joseph von Eichendorff Die Positionierung des Liedes Erinnerung an Eichendorff und Schumann im letzten Drittel des Hollywooder Liederbuches zwischen den Anakreontischen Fragmenten und den Hölderlin-Fragmenten ist kalkuliert. Es ist Eisler daran gelegen, seinen Kanon, seinen musikalischen und geistesgeschichtlichen Hintergrund, seine Position gegenüber einer vereinnahmten Tradition zu etablieren. Sowohl Anakreon (insbesondere in der Übertragung Eduard Mörikes) als auch Friedrich Hölderlin gehörten zum kanonisierten Bildungsschatz Nazi-Deutschlands im Sinne deutscher Traditionspflege und wurden entsprechend einseitig rezipiert. Eisler persönlich nahestehende Dichtung solcher Vereinnahmung, die natürlich wesentliche Aspekte ausblendete, zu entreißen, darf als entscheidendes Movens für die Auswahl gerade dieser Textvorlagen für seine Vertonungen gewertet werden. Beide, die Anakreontischen wie die HölderlinFragmente, sind innerhalb des Zyklus in ihrer Tendenz der Fragmentarisierung von Klassikern auf textlicher Ebene vielleicht die zentralen Lieder. Zwischen diesen nun steht die Erinnerung an Eichendorff und Schumann, deren Text ganz unmittelbar, ohne Veränderung, auf die Exilsituation Eislers gemünzt ist. In der Fremde
Erinnerung an Eichendorff und Schumann
Aus der Heimat hinter den Blitzen rot da kommen die Wolken her, aber Vater und Mutter sind lange tot, es kennt mich dort keiner mehr.
Aus der Heimat hinter den Blitzen rot, da kommen die Wolken her, Aber Vater und Mutter sind lange tot, es kennt mich dort niemand mehr. Es kennt mich dort niemand mehr.
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Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit, da ruhe ich auch, da ruhe ich auch, und über mir rauscht die schöne Waldeinsamkeit, die schöne Waldeinsamkeit, und keiner kennt mich mehr hier, und keiner kennt mich mehr hier.
Die Zeit der musikalischen Romantik ist wohl am engsten mit der Gattung des Liedes verbunden – und umgekehrt. Insbesondere im Schaffen Robert Schumanns stellen die Liederzyklen ein Zentrum dar. Seine Bezugnahme auf Texte Eichendorffs ist dabei (von sechs Chören abgesehen) auf sechzehn Lieder beschränkt geblieben, von denen allerdings zwölf den Liederkreis, op. 39, ausmachen, denjenigen der Liederzyklen, den Schumann gegenüber Clara bekanntermaßen als seinen aller-romantischsten bezeichnete. Das Lied In der Fremde (Notenbeispiel 2) eröffnet den Liederkreis: Zeitliches und räumliches Entferntsein von Heimat in jeglichem Sinn ist in ihm Auslöser der Wehmut über die eigene Vergänglichkeit. Auch von dieser Textvorlage verwendet Eisler nur die erste Strophe. Der Aspekt der Vergänglichkeit ist damit verkürzt, wird aber angesichts des hohen Bekanntheitsgrades von Eichendorffs Gedicht und Schumanns Vertonung wahrscheinlich sogar mitrezipiert. Bei beiden Komponisten identisch ist die metrische Behandlung der Textvorlage; alle Betonungen der paarweise alternierenden, meist daktylischen Vier- und Dreiheber entsprechen einander. Eislers Klavier-Satz in Erinnerung an Eichendorff und Schumann (Notenbeispiel 3) läßt sich als noch funktionsharmonisch gebunden bezeichnen, allerdings in der gegenüber dem Lied Schumanns fortgeschrittenen Tonsprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts. (Vgl. die Ausweichung von Takt 18/19 in die entfernteste Tonart, Ges-Dur; deutet man die Tonika als C; bei einem Bezug auf F, was ebenfalls möglich ist, wäre es eine Rückung in den Neapolitaner.7 Auch liegt großes Gewicht auf Vorhalten und Alterationen.) Das gilt bis hin zum gezielt eingesetzten plagalen Schluß, der trotz der Auflösung des Nonenvorhalts offen, durch das Auslaufen ins Ungefaßte letztlich hoffnungsarm wirkt. Auch der chromatische Abstieg des – c – ces – b – a, der in Takt 7/8 als zweitoberste Stimme des Klaviers, d. h. als Konzentrat
7
Daß der „Neapolitaner“ zumeist auf den Tod, auf Todessehnsucht oder auf ein „zu Tode betrübt sein“ weist, ist etwa für Beethoven und Schubert gesichert; siehe Michaela Bálint, Die Bedeutung des Neapolitanischen Sextakkordes im Vokalwerk von Ludwig van Beethoven, Diplomarbeit Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Wien 1990, sowie Richard Böhm, Symbolik und Rhetorik im Liedschaffen von Franz Schubert (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, hrsg. von Hartmut Krones, Band 3), Wien 2006, S. 97–132. Und auch Hanns Eisler steht deutlich in dieser Tradition; siehe Hartmut Krones, Musikalische Semantik in „finsteren Zeiten“. Altes und Neues in Hanns Eislers Liedschaffen, in: Österreichische Musikzeitschrift 53 (7–8/1998), S. 37 und 40, sowie ders., Musikalische Semantik im Dienste politischer, humanitärer und persönlicher Aussage. Zu Hanns Eislers Liedschaffen, in: Beiträge 2000. Hanns Eisler-Symposion [Wien 1998]. Zum 100. Geburtstag von Hanns Eisler, hrsg. von Harald Goertz (= Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 10), Kassel etc. 2000, S. 40–55, hier S. 47.
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des Singstimmenverlaufs, erklingt, ist ein konkretes, quasi semantisches Zitat (des alten Passus duriusculus?).8
8
Er bildet dann auch die strukturelle Folie des absteigend durchmessenen Sextraumes der Schlußphrase. Zur Semantik des chromatischen Abstiegs (im Sinne des rhetorischen „Passus duriusculus“) bei Hanns Eisler siehe Krones, Musikalische Semantik in „finsteren Zeiten“ (Anm. 7), S. 40, sowie ders., Musikalische Semantik im Dienste politischer, humanitärer und persönlicher Aussage (Anm. 7), S. 46ff.
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Notenbeispiel 2: Robert Schumann, In der Fremde, No. 1 aus: Liederkreis, op. 39, in: Sämtliche Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, Leipzig [Frankfurt], Peters o. J., S. 58–59.
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Eisler bezieht in seinem sehr kurz gehaltenen Lied die Singstimme zumindest auf der alludierenden Ebene recht eng auf Schumanns Vertonung. Schon die Punktierung des Anfangs stammt womöglich von dort, und insgesamt mag bei genauerer Betrachtung die Melodieführung als ein Konzentrat der Vorlage erscheinen (man vergleiche etwa die Phrasenenden „Wolken her“ bzw. „keiner (niemand) mehr“ in beiden Vertonungen). Die Intervallik der Sexte und Quarte, die Schumann in der zweiten Strophe zur Erreichung der Spitzentöne cis und e einsetzt (Takt 10ff.), erscheint bei Eisler nach Quarte auf- und Quint abwärts (Va-ter, Takt 10f.) zur Septime mit Sext abwärts (und Mut-ter, T. 11f.) zugespitzt. (Bei Schumann umfaßt die ganze Phrase den Ambitus einer kleinen Septime.)
Notenbeispiel 3: Hanns Eisler, Lieder für eine Singstimme und Klavier (= Gesammelte Werke I/16), Leipzig, Deutscher Verlag für Musik 1976, S. 80–81.
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In diesem Zusammenhang könnte man gar Eislers Rückung in den Ges-DurSextakkord (Takt 18) als „Zitat“ des Schumannschen fis-moll interpretieren; diese Kulmination der harmonischen Ereignisse entspricht im übrigen der ebenso spektakulären Schumanns mit der zweimaligen Überlagerung des Orgelpunktes auf Fis durch den G-Dur-Klang (Takte 22 und 24). Lassen sich also bereits auf dieser Ebene deutliche Querbezüge zu Schumann konstatieren, so verdient der Umstand ganz besonderes Interesse, daß die Klavierbegleitung auf eine andere Eichendorff-Vertonung ebendieses Zyklus als musikalisches Modell verweist, nämlich des Liedes „Mondnacht“ (Notenbeispiel 4).
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Notenbeispiel 4: Robert Schumann, Mondnacht, No. 5 aus: Liederkreis, op. 39, in: Sämtliche Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, Leipzig [Frankfurt], Peters o. J., S. 68–69.
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Bezüge bestehen allgemein zur sich spreizenden Intervallik der Klavierbegleitung, mit der in Schumanns Lied eine Weitung ins Transzendente ausgedrückt werden soll, die textlich mit dem Sich-Ausspannen der Seele ins Unendliche gekoppelt ist, „als flöge sie nach Haus“; doch scheint vor allem die dort in Takt 5 einsetzende, durch Repetition, Sekundreibung und Weitung in die Terz charakteristisch bestimmte Figur in gleichsam harter Variante in die linke Hand von Erinnerung an Eichendorff und Schumann herüber genommen zu sein und so eine semantische Ebene eigenen Rechts zu etablieren. In beiden Vertonungen (wie übrigens auch in In der Fremde, dem ersten Lied des Liederkreises) wirkt somit ein durchgängiger Puls Einheit stiftend, bei Schumann ein Sechzehntelpuls innerhalb eines ruhigen 3/8-, bei Eisler ein Achtelpuls im schnellen 3/4-Takt. (In der Mondnacht verleiht darüber hinaus die Melodieführung der Singstimme, deren Bogen fünfmal – einmal in Abweichung – wiederholt wird, Konstanz.) In Schumanns Mondnacht ist das his zum Wort „Flügel“ (in Takt 50 von insgesamt 68 Takten) von zentraler Bedeutung. Daß auch in Eislers Erinnerung an Eichendorff und Schumann an vergleichbarer Position (Takt 19 von 22) sich die stärkste Tonartenausweitung ereignet – auch bei Eisler äquivalent zur gedanklichen Entgrenzung des Subjekts? –, erscheint genauestens disponiert. Als dritte Vorlage, die am ehesten etwas wie die Ausdruckssphäre des Eislerschen Liedes betrifft, mag aus op. 39 das rätselhaft bis unheimlich, zumindest beunruhigend wirkende Zwielicht angeführt sein (Notenbeispiel 5). Das Lied zeichnet sich aus durch eine Chromatik, deren tonale Konturen sich beinahe auflösen. Ähnlichkeiten mit der Eisler-Vertonung betreffen aber auch die kompositorische Anlage, mit bei Schumann variierter Strophen-, bei Eisler variierter Versform, sowie der Kumulation auf der Schlußaussage in beiden Liedern. Auch in der Punktierung der Melodik liegt eine Ähnlichkeit. Die Vertonungen Robert Schumanns nach Gedichten Joseph von Eichendorffs waren in der Klassischen Moderne längst zu einer Formel geworden, deren Eisler sich hier bedienen konnte, ein Allgemeinplatz sowohl der dichtenden wie der komponierenden Zunft: der Liederkreis, op. 39, galt und gilt als Zeugnis besonderer Wahlverwandtschaft zweier Œuvres, die in ihrer Verbindung die Möglichkeiten der Einzelkünste weithin überschreitet und übertrifft. „Aussondern und präparieren“ hat Eisler selbst als die geeigneten Verfahren betreffs des „Wie der Erbmethode“ von neuen Stoffen benannt.9 Dabei ist bereits Eislers Annäherung an bestimmte Textvorlagen als ein Prozeß innerhalb des Umgangs mit dem Erbe verstehbar, den wir als Anverwandlung und Aneignung beschrieben haben. Eisler hat diesen Arbeitsprozeß wiederholt, auch in den Gesprächen mit Bunge, als im Grundsatz widerspruchsvoll bezeichnet.10 9
10
Eisler/Bloch, Die Kunst zu erben (Anm. 1), S. 407. – Inwieweit sich dies „Wie“ von anderen in der Zeit gängigen Montagetechniken (etwa Strawinskys) unterscheidet, kann im gegebenen Rahmen leider nicht mehr nachgewiesen werden. Vgl. z. B. Bunge-Gespräche (Anm. 2), S. 191: „Ich lese Hölderlin selbstverständlich anders wie ein Spießbürger [...]. Wenn ich zum Beispiel so ein Gedicht komponiere, wähle ich es mir zuerst einmal aus.
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Dann kürze ich es. Ich mache nur Fragmente.[...] Ich habe ihn nicht kritisiert – ich habe ihn zitiert.“ (Achtes Gespräch, 24. August 1961); s. auch S. 218–219, Elftes Gespräch (6. November 1961).
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Notenbeispiel 5: Robert Schumann, Zwielicht, No. 10 aus: Liederkreis, op. 39, in: Sämtliche Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, Leipzig [Frankfurt], Peters o. J., S. 78–79.
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Goethes sprichwörtliches „Erwirb es, um es zu besitzen“ bezeichnet seine Technik gewiß näher, gerade in Abgrenzung zu musikalischen Verfahrensweisen der Zeit. Die Anverwandlung ins Eigene erfolgt nämlich nicht mit den seinerzeit weitverbreiteten Mitteln von Verfremdung und Montage (wie etwa im Neoklassizismus), die Zitate sind im Hollywooder Liederbuch eben keine Versatzstücke; sie werden vielmehr aufgehoben im ihnen gemäßen Zusammenhang, ihre Semantik wird genutzt für eine organische Entwicklung des Eigenen. Dabei ist die Vielfalt der Bezüge, die die Grenze der direkten Wahrnehmung deutlich übersteigt, geradezu lustvoll überhöht. Während in Europa musikalisch eine Tendenz des Objektivismus in der Musik sich Bahn bricht, schreitet Eisler im Exil den Weg des Erbes fort. Heimat im Lied Die beiden Lieder Frühling und Erinnerung an Eichendorff und Schumann haben den Charakter von Selbstvergewisserungen; sie sind Standortbestimmungen, und zwar in einem für Eisler vielleicht immer noch ungewohnt anmutenden subjektiven Maße. Die hier aufgezeigten Beobachtungen jedenfalls lassen sich an anderen Liedern der Sammlung vielfältig in ähnlicher Weise anstellen. Eisler mag es darum gegangen sein, das musikalische Erbe im Exil – sich selbst und einem näheren Umfeld – lebendigzuhalten. Über die Absicht hinaus, diese eigenen Fundamente und Hintergründe in ihrer Auswahl gegenüber der in Deutschland gepflegten Tradition einund abzugrenzen, ist das Hollywooder Liederbuch ganz grundsätzlich ein Bekenntnis, in welchem sich in der Fremde der Begriff der Heimat, mit Sehnsucht und Bitterkeit beladen, in der schlechthin deutschen Gattung Lied in einem Maße Ausdruck verschaffte, das selbst Eisler – auch Brecht und das damalige nähere Umfeld, und schließlich auch uns heute noch – verblüfft. Gerade die auch von Eisler selbst zwischenzeitlich als anachronistisch verschmähte Gattung des Kunstlieds konnte ihm nun dazu dienen, die Beschädigungen seines Exils zu buchstabieren. Die deutsche Sprache, auch die musikalische, wurde ihm Identifikationsfläche, mehr noch, führte zur Selbstfindung in der Situation des Exils. Zur Einordnung und Bewertung dieser einzigartigen Konstellation ist viel gesagt worden – angeführt wird vor allem die Spezifik der Exilsituation, der Alltag des Filmmusik-Schreibens, das den ästhetischen Ansprüchen nicht genügte,11 die neuerliche Nähe zu Schönberg, die Wiederannäherung an Brecht aus anderer Perspektive, das Erleben des Paradieses Hollywood als Hölle.12 Zweifellos ist der künstlerisch-biographische Nährboden des Hollywooder Liederbuchs Kompost aus vielerlei Grün. Es ist zu lesen, Eisler habe keinen Zyklus komponiert, die Zusammenstellung sei mehr oder weniger zufällig, die Kompositionen tagebuchähnliche Gelegenheitsstücke privaten Charakters, durchsetzt von kleineren Binnenzyklen; ein kom11 12
Jürgen Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil, Berlin 1978, S. 87–88; ders., Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz 1998, S. 181–183 und S. 185–187. Die ausführlichste Arbeit im Detail bietet Claudia Albert, Das schwierige Handwerk des Hoffens (Anm. 3).
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positorisches Gesamtkonzept gebe es ebensowenig wie einen inhaltlichen roten Faden.13 Zurückzuführen ist diese Tendenz natürlich auf Eisler selbst, der vor allem in den Gesprächen mit Bunge in seiner bescheidenen Art, die Methode hat, in fast herablassendem Tonfall von „Zeitvertreib“ und „Gelegenheitsarbeit“14 spricht. Das Gegenteil ist wohl treffender. Die kompositorische Heimat Eislers – in dieser spezifischen Situation des USamerikanischen Asyls – ist im Hollywooder Liederbuch bestimmt als eine auf dem Wege von der gegenwärtigen Situation des Hoffenden in die katastrophische Vergangenheit, aus der heraus eine Verarbeitung der musikalischen Tradition erfolgt, deren Schilderung (hierin durchaus Tagebucheintragungen vergleichbar) die Wirkung einer Verarbeitung der Geschehnisse haben kann. Ausgehend von der Gegenwart des ersten Drittels des Zyklus, in dem die Schilderungen des Exil-Alltags in der Lyrik Brechts vorherrschen, schlägt Eisler kursorische Haken, geworfen in die historische und seine künstlerische Vergangenheit. Dabei setzt sich Sehnsucht frei; Sehnsucht nach einem Deutschland, das u. a. in der romantischen Liedtradition seine Existenz fand. Nach dem Muster klassischer Formgebung ist die Zusammenstellung der Lieder gewiß a-zyklisch. Dieser Umgang mit Erfahrung in Vergegenwärtigung, Annäherung und Anverwandlung, wie sie anhand der kleinen Form der beiden Einzeltitel gezeigt wurde, ist – auch im größeren Verlauf – in natürlichen, organischen Prozessen nachzuvollziehen und erinnert an die Form der Erinnerung des menschlichen Gehirns.15 Zutiefst romantisch mutet die Entwicklung einer musikalischen Heimat in der Situation der Heimatlosigkeit aus der Erinnerung heraus an. Der Begriff der Heimat schließt häufig das Gefühl der Zugehörigkeit, der Geborgenheit ein. Im philosophiegeschichtlichen Sinn ist mit Heimat auch der Versuch schrittweiser Überwindung von Fremdheit gemeint; als Identität, als Bei-sich-Sein im Anderen (der Natur oder der Gesellschaft) ist Heimat dem Begriff der Freiheit verwandt.16 Für Hanns Eisler ist es die Erfahrung Hitler, die solche Beschäftigung mit der eigenen Beschädigung möglich machte. Ernst Bloch sagt im Prinzip Hoffnung, Heimat sei „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“17. Sie wird damit zu einer konkreten Utopie, in der die besten Hoffnungen der Menschheit aufgehoben sind. 13 14 15 16
17
Wolfgang Hufschmidt, Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn? Zur Semantik der musikalischen Sprache in Schuberts „Winterreise“ und Eislers „Hollywood-Liederbuch“, Saarbrücken 1992, 21997, S. 10. Vgl. z. B. Bunge-Gespräche (Anm. 2), S. 44–45 und S. 65. Über die großformalen Aspekte, die hier angesprochen sind, muß an anderer Stelle ausführlich eingegangen werden. Marxistisch ist der Heimatbegriff im übrigen so lange ein negativer, als die Trennung des Arbeiters von den Verwirklichungsbedingungen seiner Arbeit nicht aufgehoben, der Verlust der Produktionsmittel nicht wieder wettgemacht ist; vgl. Karl Marx/Friedrich Engels, Die Arbeiter haben kein Vaterland, in: Das kommunistische Manifest (= Werke, Bd. 4), Berlin 41972, S. 479. Friedrich Nietzsche hingegen meinte mit dem Heimatlosen zuletzt seinen Zarathustra, der seine Heimat verläßt, um in der Einsamkeit seiner Höhle eine neue zu finden. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3/Fünfter Teil (Identität), Frankfurt am Main 1967, S. 1628.
FRIEDERIKE WIßMANN (Berlin)
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“ Hanns Eisler über seinen Johann Faustus in memoriam Arnold Schönberg Eisler hat, als er die Nachricht von Arnold Schönbergs Tod erhält, spontan den Text Notizen zu Dr. Faustus1 verfaßt, der seine Beziehung zu Schönberg auf ganz außerordentliche Weise spiegelt. Anhand dieses Textzeugen kann eine Facette der Beziehung zwischen Arnold Schönberg und Hanns Eisler beleuchtet werden, ohne biographische Details, Anekdoten oder kolportierte Bemerkungen emphatisieren zu müssen. Allein aus der Textur der von Eisler niedergeschriebenen Zeilen treten wichtige Aspekte der Lehrer-Schüler-Konstellation hervor: Der Titel Notizen zu Dr. Faustus2 läßt die unmittelbare Zugehörigkeit zu Eislers Operntextkorpus Johann Faustus annehmen, was irreführend ist. Es geht in dem Eislerschen Typoskript, das acht Blätter umfaßt und mit autographen Korrekturen versehen ist, nur am Rande um Eislers Operntext. Eisler notiert hier vielmehr unter dem Faustus-Titel seine Gedanken zum Tod Arnold Schönbergs. Das Typoskript ist jeweils unten rechts foliiert. Die mit Bleistift eingetragenen Textkorrekturen entstammen ausschließlich Eislers Hand. Paginiert ist der Text auf zweierlei Weise: Oben rechts ist das Typoskript durchlaufend mit „1“ bis „7“ numeriert, in der oberen Blattmitte befindet sich zusätzlich die Einzeichnung „17“ bis „23“. Fol. 8 fällt deswegen nicht unter die Paginierung, weil das Blatt nur eine abgebrochene Abschrift der ersten Seite des Konvoluts abbildet. Notizen zu Dr. Faustus ist ein Erinnerungstext ohne stringente Chronologie, geschrieben auf einer Schreibmaschine, die Eisler vielleicht gar nicht selbst bediente. Die Kopie der ersten Seite spricht für eine weitere Schreibkraft. Vorangestellt sind hier einige editionsphilologische Details nicht allein aus quellenkritischer Akribie, sondern es ist eine Bestandsaufnahme aus folgendem Grunde interessant: Eisler wollte an diesem Text noch über die handschriftlichen Eintragungen hinaus weiterarbeiten, zudem hat er die sieben zusammenhängenden Blätter in einen größeren Kontext gestellt, der zumindest 16 vorläufige Seiten wahrscheinlich macht, was die zweite Schicht der Paginierung verdeutlicht. Der vorliegende Text ist also, wie im Umkreis des Eislerschen Faustus keine Seltenheit, ein Fragment. 1 2
Hanns-Eisler-Archiv 2554, 8 Bll., Typoskript mit autographen Eintragungen mit Bleistift. Ebenda.
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Hanns Eisler datiert Notizen zu Dr. Faustus auf Montag, den 16. Juli 1951. Zu Beginn seines Textes rekapituliert er – fast aus der Sicht eines Chronisten – den Zusammenhang zwischen der Entstehung seines Operntextes und dem Tode Arnold Schönbergs. An einem Freitag, dem 13. Juli, gibt Eisler abends das Manuskript Dr. Faustus zur Reinschrift aus der Hand. In eben dieser Nacht vom 13. auf den 14. Juli stirbt Arnold Schönberg im Alter von 76 Jahren (Beispiel 1). Warum betont Eisler gleich zu Beginn eines Textes über sich und seinen verstorbenen Lehrer diese Entstehungsdaten? Ausgerechnet Eisler gerät hier zum Zahlenmystiker, der den entsprechenden zeitlichen Koinzidenzen Gewicht beimißt. Er bemerkt dazu: „Damit schliesst sich in merkwürdiger Weise ein Kreis.“3
Das Bild des Kreises im Kontext Faustscher Motivik führt uns unmittelbar zum Doktor Faustus von Ferruccio Busoni, der mit diesem Bild des Generationen verbindenden Kreislaufs seine Faust-Oper beschließt. Der Schluß von Busonis Doktor Faustus lautet: „Faust legt, von übermenschlichen Kräften ein letztes Mal beschirmt, das Kind in den magischen Kreis, worauf er mit den tröstenden Worten ‚dir vermach’ ich mein Leben [...] So wirk’ ich weiter in dir [...] ich, Faust, ein ewiger Wille‘ stirbt“.
Im nachstehenden Epilog richtet Busoni die Hoffnung an sein Publikum, durch die Weitergabe an die folgende Generation den „Reigen [...] zum vollen Kreise“ schließen zu können. „Von Menschensehnsucht war vor Euren Blicken der Abend durch ein tönend Bild entrollt, von Fausts Verhängnissen und Un-Geschicken Bericht zu geben hat das Stück gewollt. Der ungeheure Stoff, durft’ er mir glücken? Enthält die Mischung auch genügend Gold? Wär’s so, Euch fiele zu, es auszuscheiden: des Dichters Anteil bleibt sein selig Leiden. Noch unerschöpft beharren die Symbole, die dieser reichste Keim in sich begreift, es wird das Werk fortzeugen eine Schule, die durch Jahrzehnte fruchtbar weiter reift, daß jeder sich heraus das Eigne hole, so, daß im Schreiten Geist auf Geist sich häuft: das gibt den Sinn dem fortgesetzten Steigen – zum vollen Kreise schließt sich dann der Reigen.“4 3 4
HEA 2554, fol. 1r. Ferruccio Busoni, Wesen und Einheit der Musik, Neuausgabe der Schriften und Aufzeichnungen Busonis revidiert und ergänzt von Joachim Herrmann, Berlin 1956, S. 108.
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“
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Eisler geht auf die Verbindung zwischen dem Faustuslibretto und dem Tod seines Lehrers nicht näher ein, doch kann er darauf vertrauen, daß teuflischer Pakt, Seelenverkauf und die Verquickung von schöpferischem Elan und tödlichem Verlust auch ganz ohne Erklärung bei der Assoziation des Faust-Stoffs mitschwingen. Bemerkenswert allerdings ist, daß ja gerade Eislers Faustus, anders als die meisten Faust-Adaptionen seit Goethe, im Text selbst ganz ohne Mystizismen und Beschwörungen auskommt. Eislers Protagonist ist, wenngleich historisiert, dennoch Zeitgenosse. Etwas obskur sind in Eislers Konzeption nur die „Schwarzspiele“, die Faust im II. Akt in Atlanta vorführt, doch gleichen selbst diese eher geselligen Zauberstückchen denn parapsychologischen Geisterbeschwörungen. Hanns Eisler sucht auch in seinem Johann Faustus eher seine tatsächlichen Kontexte denn metaphysische Sphären auf. Er kommentiert seine Reaktion auf den Tod Schönbergs, wenn er im Text notiert, daß er auf das tiefste „bewegt“ sei. Doch nimmt er sich hier zurück, wenn er das ursprüngliche Wort „erschüttert“5 revidiert und durch das weniger starke „bewegt“ austauscht. Möglich, daß er sich nicht zu gefühlvoll seiner selbst bewußt werden wollte. Er bricht auch den darauf folgenden Satz „Er war mein Lehrer“ ab, um ein vermeintlich chinesisches Sprichwort zwischen sich und seine unmittelbare, persönliche Erinnerung zu stellen. Während des Schreibens schafft er sich durch das unausgeführte Sprichwort die gewünschte Distanz.
Beispiel 1: Notizen zu Dr. Faustus.
Die Unverbindlichkeit des allgemeinen Sprichworts im Gegensatz zum eigenen Diktum vergrößert sich mit den folgenden Sätzen noch, wenn Eisler nun auch in5
HEA 2554, fol. 1r.
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haltlich unpersönliche Gemeinplätze aufruft. Er schreibt nicht über sich und seinen Lehrer, sondern gibt uns Schönbergs Position in der Musikgeschichte bekannt: „Mit Schönberg ist die spätbürgerliche Musik gestorben. Er war ein Genie, der den Weg der bürgerlichen Kunst bis zum Ende gegangen ist.“ 6
Darauf folgt ein Abstecher zu den „großen Komponisten“ des zwanzigsten Jahrhunderts, zu denen Eisler Bartók, Mussorgskij und Strawinsky zählt. Von der Frage um die musikgeschichtliche Gültigkeit der Eislerschen Einschätzung abgesehen, ist es doch verwunderlich, daß Eisler, wenige Sätze nach Beginn seiner persönlichen Erinnerung an Schönberg, plötzlich zu Strawinskys Opernkomposition überblendet und detailliert über ganz andere Komponisten als Schönberg schreibt. Begann sein Text in Ich-Form, wird im weiteren Verlauf auch der Stil seiner Notizen schon nach wenigen Zeilen seinen Aufsätzen und Kritiken verwandt.7 Wahrscheinlich wäre es Anmaßung, den Text psychoanalytisch ausdeuten zu wollen. Ob Eisler nicht direkt über Schönberg schreiben will, oder ob jene Komponistenvorbilder tatsächlich beim Andenken an Schönberg mitschwingen, soll deswegen auch nicht zu Spekulationen veranlassen. Wohl aber ist die widersprüchliche Faktur des Textes von Interesse. Für wen schreibt Eisler diese Zeilen? Was möchte Eisler dem Papier preisgeben, was verschweigt er? Will Eisler das ihm bekannte Terrain des Kritikers bestellen und den musikhistorischen Vergleich anführen, anstatt – wie zu Beginn des Textes – Persönlichem Raum zu geben? Auch sein zweiter Anlauf im dritten Absatz: „Wenn ich von Arnold Schönbergs Tod spreche und meine Oper ‚Dr. Faustus‘ erwähne“8
mißlingt. Dieser Satz klingt im Anschluß an Musikhistorisches unvermittelt und macht die vorherige Abschweifung nur noch deutlicher. Tatsächlich schreibt Eisler im folgenden Passus wieder nicht über Schönberg, sondern über Thomas Mann und seinen Roman Dr. Faustus. Die Frage scheint gerechtfertigt, ob Eisler den Mannschen Roman als Brücke zurück zu Schönberg anführen will? Sollte die Parallele Leverkühn – Schönberg nicht zum Tode Schönbergs aussagekräftig werden? Selbst die Identifikation Arnold Schönbergs mit der Faust-Figur von Thomas Mann relativiert Eisler sowohl stilistisch wie auch inhaltlich. 6 7
8
Ebenda. Wenn Eisler nach der Nachricht vom Tod Schönbergs am 19. Juli 1951 aus Berlin an dessen Frau schreibt, bleibt neben der aufrichtigen Bewunderung eine gewisse Distanz spürbar. Eisler beansprucht sogar in diesem eigentlich privaten Brief kein dezidiert persönliches Verhältnis zu seinem Lehrer. Er charakterisiert ihn auch hier als „Großen der Musikgeschichte“. „[...] Wenn ein so genialer Musiker wie Schönberg stirbt, dann hält unsere Kunst bestürzt den Atem an. Er war der letzte große Komponist. Mit ihm geht die Epoche der modernen bürgerlichen Musik zu Ende. Sein Platz bleibt leer. Ich war sein Schüler; ich bleibe ihm dankbar. Nun, da sein Name zu den Großen der Musikgeschichte gehört, bleiben uns seine Werke und die lebendige Erinnerung.“ HEA 2554, fol. 1r.
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“
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Eisler konstatiert im selben Passus, daß Leverkühn auch mit Strawinsky und Bartók verwandt sei. Das ist sachlich nicht unrichtig, in diesem Kontext aber stellt Eisler eine als Vorbild dienende Dreierfigur auf, die im Roman nicht gegeben ist. Leverkühn hat zwar viele Gesichter, zuerst aber ist er Komponist, der ein musikalisches System entwickelt, das tatsächlich und ursprünglich der Feder Schönbergs entstammt: Aus „Leverkühn trägt die Züge vor allem von“ wird ein „hat gewisse Züge Schönbergs“9. „Gewisse Züge“ Schönbergs tragen in Romanen des zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche Figuren, steht Schönberg doch vielen künstlerischen Fiktionen jener Epoche als „konservativer Revolutionär“ und als herausragende Künstlerpersönlichkeit Pate. In Thomas Manns Roman sind die Parallelen so offenkundig, daß Vorbild und Autor sich nach einem Briefwechsel, verschiedensten Mißverständnissen sowie der in der Saturday Review of Literature geführten öffentlichen Polemik bis zu einem „klärenden“ Nachwort im Roman und darüber hinaus auseinandersetzen mußten. „Es scheint nicht überflüssig, den Leser zu verständigen, daß die im XXII. Kapitel dargestellte Kompositionsart, Zwölfton- oder Reihentechnik genannt, in Wahrheit das geistige Eigentum eines zeitgenössischen Komponisten und Theoretikers, Arnold Schönbergs, ist und von mir in bestimmtem ideellen Zusammenhang auf eine frei erfundene Musikerpersönlichkeit, den tragischen Helden meines Romans, übertragen wurde. Überhaupt sind die musiktheoretischen Teile des Buches in manchen Einzelheiten der Schoenberg’schen Harmonielehre verpflichtet.“10
Im vorliegenden Faustus-Text geht Eisler präzise auf Thomas Manns Roman ein. Er skizziert die Paktsituation und beschreibt Leverkühns letztes Werk „Dr. Faustus Höllenfahrt“11, gemeint ist Dr. Fausti Wehklag. Thomas Mann erfährt in diesen Zeilen großes Lob, seinen Roman hält Eisler für ein literarisches Meisterwerk, Manns musikalische Beschreibungen charakterisiert er als sachkundig. Arnold Schönberg kehrt zwangsläufig dann in Eislers Text zurück, wenn es um den musikalischen Stil geht. Eisler erinnert hier an den Zwist zwischen Mann und Schönberg, an welchem indirekt auch Theodor W. Adorno Teil hatte, indem er Mann nicht nur die Details der 12-Ton-Komposition kolportierte. Eisler geht auf den Interessenskonflikt zwischen Mann und Schönberg auf Augenhöhe ein und stellt in diesem Kontext die menschlichen Befindlichkeiten über die des Künstlers. „Schönberg fühlte sich einerseits geehrt, dass er und seine Arbeiten im Mittelpunkt des Romans stehen. So war er aber wütend, dass sein Name im Roman nicht vorkommt, „er müsse doch wenigstens als Lehrer von Leverkühn genannt werden“. Mit Leverkühn wollte sich Schönberg aus dem einfachen Grund nicht identifizieren, weil Thomas Mann den Inhalt des Pakts, den Leverkühn mit dem 9 10 11
Ebenda. Thomas Mann, Doktor Faustus, Frankfurt am Main 1990 (1947), S. 672. Siehe fol. 2r.
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Teufel schliesst, als Syphillis konkretisiert hat, die Leverkühn sich nicht ausheilen lässt; (Syphillis regt das Gehirn zu höherer Produktivität [an]).“ 12
Allein die zahlreichen Textkorrekturen (Beispiel 2) lassen ahnen, daß Eisler diese Zeilen besonders mühsam von der Hand gegangen sein müssen.
Beispiel 2: Textkorrekturen.
Der Zusammenhang von zahlreichen Korrekturschichten und der Schwierigkeit, über Schönberg zu schreiben, ist kein singulärer. Außer dem Text Notizen zu Dr. Faustus gibt es eine andere Notiz, die Eisler über Schönberg verfaßt. Ein Manuskript (1 Blatt) liegt uns vor, das, ganz anders als die Notizen zu Dr. Faustus, ausschließlich Eislers persönliches Verhältnis zu Schönberg zum Thema hat. Auch hier läßt Eisler kaum einen Satz unbearbeitet, was zeigt, daß ihm selbst bei einer handschriftlichen Notiz die präzise Formulierung am Herzen lag. Der Charakter beider Textentwürfe zum Tode Schönbergs aber ist grundverschieden. Während in Notizen zu Dr. Faustus Eislers erste – wenngleich etwas allgemeine, doch so wenigstens aus geschichtlicher Perspektive hymnische – Ehrung Schönbergs als spätbürgerlicher Genius noch nachklingt, appliziert Eisler diesen Tonfall auf Thomas Mann: „Thomas Mann ist der letzte grosse bürgerliche Humanist.“13 Anders als zu Schönberg, mit dem laut Eisler die bürgerliche Musik gestorben sei, folgt nach der These zu Thomas Mann eine Konkretisierung, die Eisler auf den 12 13
HEA 2554, fol. 2r. HEA 2554, fol. 3r.
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Roman Dr. Faustus bezieht, und welche die historische Dimension des Werkes einschließt. Ihm gelingt erst über Thomas Mann eine erste Charakterisierung Schönbergs: „Hier deckt sich der Traum Leverkühns mit Thomas Manns skeptische[m] Humanismus, aber nicht mehr mit Schönbergs künstlerischem Bewusstsein. Schönberg, der die Hysterie, Neurose des imperialistischen Zeitalters als erster vorkomponiert hat, glaubte mit gemachter Naivität an die göttliche Gnade; die den Menschen befähigt, [durch] grosse Kunst gegen die Zeit sich zu behaupten. Schönberg ist in diesen Dingen immer sehr verwirrt gewesen.“ 14
Anhand einer Anekdote versucht Eisler Gesagtes näher zu erläutern. Auf die Frage nach seiner so skandalösen wie großen Berühmtheit habe Arnold Schönberg erwidert: „Es ist so: einer hat es sein müssen; keiner hat es sein wollen; da hab ich mich dazu hergegeben.“15
Über diese Anekdote rückt Schönberg endlich in den Vordergrund. Es scheint fast so, als nähme der Witz Eislers bisherige Befangenheit. Der Text wird nun flüssiger, stringenter und etwas mehr auf ein Ziel gerichtet. „Diese Formulierung ist schlau, eitel, verwirrt und ehrlich zur selben Zeit. Ist Schönberg doch ein Urmusikant, der an seinen Wiener Liedern und Johann Strauss Walzern ein unendliches Vergnügen fand, ein leidenschaft[licher] Bewunderer Schuberts, dessen frühen Tod er nicht oft genug beklagen konnte, einer der grössten Kenner des klassischen Erbes.“16
Eisler beginnt sein Schönberg-Portrait also auf Blatt 4 des Typoskripts, indem er ihn als Liebhaber von Strauß-Walzern vorstellt. Allein dieses verrät Eislers tatsächliche Nähe zu Schönberg, denn ein jeder Musikhistoriker würde zuerst von Schönbergs kompositorischen Errungenschaften sprechen und seine 12-Ton-Technik apostrophieren. Eisler aber war direkter Schüler von Schönberg und schätzt ihn als begeisterten Musiker: „Als er noch jünger war, spielte er wöchentlich Kammermusik, und zwar ausschliesslich Heyden [Haydn], Brahms, Mozart, Beethoven, Schubert.“17
Noch ein anderer Aspekt wird deutlich, nämlich daß Eisler hier nicht für eine Öffentlichkeit schreibt, sondern einem spontanen Impuls nachgeht. Lohnend ist an dieser Stelle der Vergleich von Notizen zu Dr. Faustus zu einem Schönberg-Text Eislers, den er anläßlich eines Vortrags am 17. Dezember 1954 in der Akademie der Künste gehalten hat. Veröffentlicht ist der Vortrag in Sinn und Form unter dem Titel 14 15 16 17
Ebenda. HEA 2554, fol. 4r. Ebenda. Ebenda.
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Arnold Schönberg. Anläßlich des Symposions Arnold Schönberg und sein Werk formuliert Eisler solche Sätze, wie wir sie von ihm als Schönberg-Schüler erwarten könnten: „[…] in dem wenigen, das ich über Schönberg zu berichten habe, [wird] seine Methode der Materialbehandlung, seine eigentümliche Kompositionstechnik […] besonders berücksichtigt.“18
In seinem direkten Zugang zu hochkomplexen Phänomenen faßt Eisler hier Schönbergs Schaffen in einfache Worte: „Die Harmonik der atonalen Periode Schönbergs ist nichts Willkürliches; sie entstand aus den musikalischen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts. Die Klänge an sich sind nicht neu. Es sind Septimakkorde, Nonakkorde mit den Umkehrungen, übermäßige Dreiklänge, Ganztonakkorde und Mischformen. Das Neue ist, daß Dissonanzen nicht mehr aufgelöst werden. Die Geschichte der Musik ist die Geschichte der Dissonanz.“
So verschieden die Texte Eislers über Arnold Schönberg auch sind, in manchen Passagen kann man Eisler als Autor beider Zeugnisse durchaus erkennen. So zum Beispiel, wenn Eisler auch im „offiziellen“ Schönberg-Text der Musikalität das Wort redet. Die mechanischen Tonbastler schätzt er gering: „Denn in der Form findet Musik ihre Sprache und ihre Gedanken, und ohne Form schwätzt man, aber man spricht nicht. Historisch wäre also die Entstehung der Zwölftonkomposition durchaus zu begründen. Aber sie enthält eine Menge Ungereimtheiten und Widersprüche, da hilft auch eine abstrakt historische Begründung nicht. Da ist zuerst die Frage des Hörens. Und das ist, wenn es um Musik geht, das Wichtigste. Es ist nicht jedermanns Sache, die Umkehrung eines Krebses zu hören. Hingegen ist es für jeden Klippschüler leicht, eine Zwölftonreihe aufzuschreiben und mechanisch auf dem Papier die anderen drei Grundformen herzustellen.“19
Bevor Eisler Biographisches anführt und sich Schönbergs Lebenslauf vergegenwärtigt, stellt er heraus, was ihm an Schönberg so wichtig war, nämlich die Kenntnis des „klassischen Erbes“ und ein Wissensfundament, das gerade nicht den zeitgenössischen Strömungen unterliegt. Schönbergs Bezugnahme auf musikgeschichtliche Entwicklungen kommt in den umfangreicheren Texten über Arnold Schönberg zum Tragen. Eisler verehrt Schönberg als Musiker mit weitem Horizont. Er schätzt auch Schönbergs charakterlichen Eigensinn, wenn er etwa in Notizen zu Dr. Faustus heiter berichtet, sein Lehrer habe voller Stolz das Privatstipendium von Brahms abgelehnt, um seine Ausbildung selbstständig zu finanzieren. Für Eisler rücken dann Mensch und Meister in eine Person, wenn er Schönbergs herausragende theoretische Leistungen mit dessen Bastelbegabung in Verbindung bringt: 18 19
Hanns Eisler, Gesammelte Werke III/2, Leipzig 1982, S. 322. Ebenda S. 325–236.
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“
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„Seine Genialität auf dem Gebiet der Theorie muß als Fähigkeit beschrieben werden, eine gewohnte Erscheinung ungewohnt neu zu sehen. Im praktischen Leben ist das etwas (denn Schönberg war auch ein grosser Bastler, Buchbinder und hatte immer einen Kasten Werkzeug, mit dem er herumzimmerte), dass er z. B. einen vertrauten Gegenstand, an den wir uns gewöhnt haben, nahm und sagte, warum macht man das eigentlich so und nicht besser.“ 20
Anders als in vorherigen Absätzen ist Eislers Textfluß hier fast ungebrochen. Nur wenige Korrekturen halten ihn in seinem Erinnerungsgang auf, und auch der Sprachgestus vermittelt nun den direkten Kontakt zum Niedergeschriebenen. Eisler beschreibt Schönberg jetzt konkret als seinen Lehrer und erinnert sich an den Schönbergschen Spott: „Er ist besonders stolz, dass die meisten seiner Schüler überhaupt nicht Komponisten geworden sind. ‚Es ist halt das Unglück, dass ich die Fähigkeit habe, zeigen zu können, wie die grossen Meister komponiert haben und damit fast allen Schülern das Komponieren abgewöhnt hab. Die doch Komponist[en] geworden sind haben aber etwas Solides gelernt von mir. Zumindest die Einsicht, daß sie alles Bach, Mozart, Beethoven verdanken.‘ “21
Eislers Verhältnis zu Schönberg trübt ein Schatten, der zunächst jenseits menschlicher oder persönlicher Zuneigung stand: Die politischen Ansichten beider waren unvereinbar. Dies führte bekanntlich zum sogenannten „Bruch“, da Eislers politisches Engagement, seine Überzeugung von der angewandten Musik und sein Komponieren für direkte gesellschaftliche Kontexte der musikalischen Grundidee Schönbergs diametral entgegen zu stehen schienen. Eisler benennt diese Diskrepanz auch anläßlich des Todes Schönbergs. Er wähnt sich noch 1951 im Recht und verurteilt Schönbergs dezidiert apolitische Haltung nicht ohne die Arroganz des gekränkten Schülers: „Hätte er diese tiefe Innensicht, diese klassische Haltung des Strebens, Staunens ‚Warum macht man das nicht besser‘ auf das gesellschaftliche Gebiet anwenden können, er wäre Marxist geworden. Aber vor der Gesellschaftswissenschaft, dem Marxismus, hatte er die Scheu des Kleinbürgers. Er war ein Kleinbürger in Reinkultur, wie er selten vorkommt.“22
Im folgenden erinnert sich Eisler nicht ohne Verdruß, wie Schönberg dem politischen Engagement seiner Schüler grundsätzlich mit Mißachtung begegnete. Als vermeintlich politisch Konservativer provozierte er Eisler und brachte ihn nicht zuletzt mit seinen snobistischen Formulierungen aus der Fassung. 20 21 22
HEA 2554, fol. 4r. HEA 2554, fol. 6r. HEA 2554, fol. 5r.
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„Er wollte uns junge Sozialisten und Kommunisten provozieren; denn er liebte es besonders seine Schüler in einer Schärfe und gutmütig-höhnischen Form zu Leistungen anzueifern.“23
Bemerkenswert erscheint hinsichtlich dieser Sätze, daß Eisler in einer Korrekturschicht den „Meister“ durch den „Marxisten“ austauscht, den „Komponisten“ durch den „Kommunisten“ ersetzt. Bezeichnend sind diese „Verschreiber“ deshalb, weil sie in komprimiertester Form Eislers ambivalentes Verhältnis zu Schönberg darstellen, das in verschiedenen Feldern ganz unterschiedliche Konnotationen aufweist. Ist Eisler Schönberg als Komponist zu unendlichem Dank verpflichtet, muß er sich in seiner politischen Haltung, die ihm eine Lebenseinstellung war, gegenüber Schönberg abgrenzen. Einander in politischen Fragen fremd zu sein, bedeutete in dem historischen Kontext jener aufreibenden Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts weniger eine Haltungsdenn eine Existenzfrage. Für Eisler kann Schönbergs apolitische Einstellung in dieser Zeit nur Entfremdung bedeuten. Daß die janusköpfige Beziehung Eislers zu Schönberg auch menschlich und emotional einander widerstrebende Gefühle verantwortet, ist leicht nachvollziehbar. Doch weiß Eisler auch retrospektiv um die Gunst Schönbergs und darum, daß er ohne Schönbergs Protektion womöglich ganz andere Wege hätte gehen müssen. Nicht selten unterstreicht er seine Dankbarkeit dafür, daß Schönberg ihn überhaupt erst in den Stand des anerkannten Komponisten gehoben hat. Am 13. April 1923, anläßlich der Geburt von Schönbergs Enkelkind, schreibt Eisler als junger Schüler an seinen „Hochverehrte[n] Meister!“, daß er mit seiner ersten Sonate die Universal-Edition als Verlag gewinnen konnte. Voll Überschwang bedankt er sich: „Hochverehrter Meister! Sie können sich denken wie ich mich über alles dies freue. Sie haben sich jahrelang geplagt und geärgert mit mir. Wenn etwas brauchbares aus mir werden wird habe ich das nur Ihnen zu verdanken! Ich bin ja heute noch ein blutiger Anfänger und Patzer, aber was wäre aus mir erst für einer geworden, wenn Sie mich nicht zum Schüler angenommen hätten!!! Und nicht nur musikalisch verdanke ich alles Ihrem Unterricht, Ihren Werken und Vorbild. […] Ich verdanke Ihnen also alles, (vielleicht noch mehr als meinen armen Eltern) und dafür kann ich Ihnen nur das Versprechen geben, daß ich mich sehr bemühen werde Ihnen Freude zu machen und dem Namen ‚Schönbergschüler‘ Ehre. Ich bitte Sie vielmals die Widmung der Klaviersonate op 1 anzunehmen. In höchster Verehrung und Dankbarkeit Ihr sehr ergebener Schüler Hanns Eisler“ 23
HEA 2554, fol. 6r.
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“
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Jene für den Schüler typische Euphorie klingt noch in dem Text nach, den der 53jährige verfaßt. Doch schwankt Eisler zwischen spontaner, direkter Erinnerung des Jugendlichen und der distanzierten Haltung des selbst schon Mittfünfzigers. Eisler wechselt nun in die Perspektive des Lehrers und versucht zu beschreiben, wie Schönberg ihn gesehen haben mag. „Auch das Bach-Vorbild, falsch romantisiert schwebte ihm vor. Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“24
Daß Eisler hier mit Bach zeitlich das 18. Jahrhundert den Humanisten um 1600 gegenüberstellt, soll nicht überfleißige Historiker provozieren. Für Eisler sind jene mitunter „schiefen“ Bilder nicht untypisch. Sie sind manchmal nicht ganz präzise, dafür in ihrer Bildlichkeit stark und für das spezifische Anliegen Eislers überzeugend. Eisler bemerkt selbst, was dem aufmerksamen Leser bei der Lektüre des Textes Notizen zu Dr. Faustus offensichtlich ist, nämlich daß er sein Vorhaben, zum Tod Arnold Schönbergs zu schreiben, immer wieder aus den Augen verliert. Interessant ist, daß Eisler im Schreibvorgang aus dem Geschriebenen heraustritt, um sich selbst wieder zum Thema zu führen. Fast wie eine Ermahnung, „beim Thema zu bleiben“, klingt folgende Zeile: „Ich bin abgeirrt von dem, was mich eigentlich berührte. Ich muss wieder zurück zum Tode Schönbergs.“25
Eisler weiß allzu deutlich: „Sein Tod bedeutet ein Ende.“26 Was dieses für ihn selbst ausmacht, kann er kaum formulieren. Der Versuch, dies in Worte zu fassen, endet im Diffusen. Der Text gerät erneut ins Stocken. Erst eine explizite thematische Zäsur nimmt den Textfluß wieder auf. Hier nun schreibt Eisler über sein Opernvorhaben, doch gibt es keine Überleitung, sondern einen ganz neuen Gedankengang. „Der Tod Schönbergs berührt sich sehr seltsamerweise mit meiner neuen Aufgabe, der grössten und umfangreichsten, die ich mir bis jetzt zu stellen gewagt habe.“27
Die Beschäftigung Eislers mit der Faust-Thematik, so viel tritt durch die genaue Lektüre der Eislerschen Notate hervor, wird durch den Tod Schönbergs intensiviert, emotionalisiert und sogar ein wenig mystifiziert (Beispiel 3): „Mit meiner Oper hoffe ich einen neuen Weg gehen zu können, der uns aus dieser Verwirrtheit herausbringt. Ich kann das nur tun, wenn ich nicht experimentiere, wie mein Freund Brecht, oder gar provoziere und schockiere, wie es ebenfalls Brecht liegt, sondern indem ich mit einer reifen, runden, gültigen Leistung 24 25 26 27
Ebenda. Ebenda. Ebenda. HEA 2554, fol. 7r.
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komme; sie muss begriffen werden von den unerfahrenen Ohren und den erfahrensten, und der Text muss begriffen werden von den unerfahrensten und den gebildetsten.“28
Wie sehr Eislers Faustus-Text provozieren sollte, und daß die sich anschließende Faustus-Debatte zum festen Terminus der DDR-Geschichtsschreibung geriet, hatte Eisler wohl nicht im Sinn. Eislers Text wurde sowohl von den Unerfahrensten wie von den Gebildetsten gründlich mißverstanden. Mit dem letzten Zitat liegt eine Selbsteinschätzung seines Textes vor, die er im folgenden Umriß seiner Faust-Oper noch konkretisiert: „Die Schwierigkeiten dieser Aufgabe sind enorm. Ich muss mich hüten vor dem Witzigen, vor dem sogenannten bunten ‚Einfall‘ und Anspielungen auf unsere Zeit; aber volkstümlicher Witz und Anspielungen muss doch vorhanden sein. Die Handlung muss klar und deutlich auffassbar sein und sich nicht in Seitenwege verlieren und gewissen ‚lokalen‘ Reizen nachgeben. Die Auffassung Fausts scheine ich gefunden zu haben und von Freunden, denen ich sie erklärte, wurde ich ermuntert.“29
Beispiel 3: fol. 6.
Hier schreibt Eisler über seine erste vollständige Fassung. Da die Materialien im Archiv der Akademie der Künste vorliegen, können wir textgenetisch nachvollziehen, daß Eisler seinem Anliegen, den Text zu komprimieren und zu konzentrieren, auch tatsächlich nachgegangen ist. Gerade die burlesken Passagen und Nestroyschen Hanswurstiaden haben beispielsweise keinen Eingang in die Druckfassung gefunden. Die Ausarbeitungen, die Eisler an dem Text vornimmt, sind im späteren Stadium zu großen Teilen Kürzungen, die dem pragmatischen Arbeiten an einem Bühnentext geschuldet scheinen. Im folgenden Passus sind einige konzeptionelle Skizzen erwähnt, die angesichts der wenigen musikalischen Zeugnisse, die es überhaupt von dem musikalischen Plan gibt, umso gewichtiger sind: 28 29
HEA 2554, fol. 6r. HEA 2554, fol. 7r.
„Er war der Bach, ich das Haupt der Florentiner Camerata.“
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„Die musikalischen Aufgaben sind nicht weniger schwierig als die Textformung. Ich habe mindestens 21 geschlossene Nummern zu komponieren, zu denen sich aber immer noch kleinere weniger wichtige musikalische Partien gesellen. In dieser Partitur muss es 6–7 Herzstücke geben, die mit äusserster Sorgfalt komponiert werden müssen, aber von unmittelbarer Wirkung zu sein haben.“ 30 „Wie lange ich an dieser Arbeit arbeiten werde, weiss ich nicht. Man hat Empfindungen, in denen sich Neugierde und Zaghaftigkeit mischen; so ungefähr wie man es vor dem Besteigen hoher Berge hat. Dieses Beispiel vom Besteigen hoher Berge ist von Lenin. Eine ähnliche Technik des Bergsteigens wie Lenin es in seiner Parabel beschreibt, werde ich auch anwenden müssen.“ 31
Zu dem Text Notizen zu Dr. Faustus gibt es keinen Schlußsatz, doch knüpft der letzte Satz an den ersten an. Das Motiv der Kreisschließung wird dadurch im Text selbst aufgerufen. Eislers Versuch, eine Parallele zwischen seinem Faustus und Schönbergs Tod zu ziehen, bleibt im Vagen. Ihm gelingt es kaum, zu begründen, inwiefern Schönberg für seine Faust-Konzeption eine Rolle gespielt hat. Eisler hat, als er von Schönbergs Tod erfährt, kein ruhiges Gefühl, daß mit Schönbergs Ende etwas einen Abschluß gefunden hat, er kann sich nur seiner eigenen Ambiguität vergewissern. Die Notizen zu Dr. Faustus sind gleich in vielerlei Hinsicht Zeugnis jener Unabgeschlossenheit. Im Aufbau ist der Text nicht stringent, Titel und Text klaffen so sehr auseinander, daß die thematisch zusammenhängenden Eingangs- und Schlußsätze fast isoliert erscheinen. Im Schriftbild wird zudem deutlich, an welchen Stellen Eisler um Worte ringt und spontane Formulierungen vor sich selbst nicht gelten läßt. Daß Eisler den Text mit „Notizen“ überschreibt, zeigt schon, daß das Manuskript nicht ausgearbeitet oder zumindest in diesem Stadium für keine Öffentlichkeit formuliert ist. Er äußert sich, wenngleich sehr aufschlußreich, nur an zwei Textstellen zu seinem Faustus, behält sich die Einschätzung seines konkreten Verhältnisses zu Schönberg vor und schafft auch stilistisch eine Distanz zwischen sich selbst und seinem Text. Die Faktur seiner Notizen macht dies auf einer weiteren Ebene sichtbar. Der Text bleibt also auf vielerlei Ebenen widersprüchlich. Eislers Beziehung zu Schönberg ist, mehr noch als die meisten Lehrer-SchülerKonstellationen, durch seine Ambivalenz charakterisierbar, und vielleicht spiegelt der Text Eislers Relation zu seinem Lehrer gerade dadurch, daß er vor allem nach den vielen unausgesprochenen Worten sucht. Eisler spricht hier ganz anders über sich und Arnold Schönberg als in wohldurchdachten Schriftzeugen oder in reflektiert erinnerten Begebenheiten, wie es der Text für den Akademie-Vortrag exemplarisch vorführt. Ohne explizit auf seine Gefühle gegen Schönberg einzugehen, schreibt er doch seine Freude und seine Enttäuschung über diese Verbindung und läßt uns ahnen, wie unausgesprochen viele Konflikte sind. In seinen Notizen zu Dr. Faustus, die in Wahrheit ein Nachruf auf Arnold Schönberg sind, steht Eislers zu30 31
Ebenda. Ebenda.
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Friederike Wißmann
weilen distanzierte Position nur scheinbar im Widerspruch zur wohl aufrichtigen Erschütterung über den Verlust Schönbergs. Die tatsächliche Entsprechung von Faustus-Projekt und Eislers Verhältnis zu Arnold Schönberg ist die Unmöglichkeit, etwas Endgültiges zu postulieren. Daß „Heimat“ nicht nur einen Ort beschreibt, bedarf keiner Erklärung. Deutlich wird an diesem Textzeugen, wie komplex der Begriff der intellektuellen, „geistigen Heimat“ ist – vor allem aber, daß diese ohne eine menschliche Heimat kaum denkbar ist.
PETER SCHWEINHARDT (Berlin)
Schicksal am Lenkrad – Hanns Eislers Beitrag zum österreichischen Heimatfilm?
„Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist eines der dringendsten in der kapitalistischen Welt. Dringend, weil die Jugendkriminalität überhand nimmt und weil es kein vollgültiges Rezept gibt, dieser Gefahr in jener Gesellschaftsordnung zu begegnen. […] In allen Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit zum festen Bestandteil der Wirtschaft gehört, wandern die meisten Jugendlichen gleich von der Schulbank auf die Stempelstellen.“
Dies ist kein Kommentar zum Lehrstellenangebot – sagen wir, zum Beispiel – in weiten Gebieten Ost-Deutschlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sondern ein Ausschnitt aus dem Programmheft zur DDR-Premiere des österreichischen Films Schicksal am Lenkrad aus dem Jahr 1954, eines nicht nur in der Eisler-Forschung nahezu unbekannten Streifens, den ich im folgenden vorstellen und im Hinblick auf Eislers Filmmusikschaffen betrachten möchte.1 Eislers Wiener Filmarbeiten Hanns Eisler gehörte zu den Pionieren der Tonfilmkomposition, er begann mit dem Schreiben von Filmmusik, sobald das eben möglich war, und ließ bis zu seinem Tod kaum je für längere Zeit davon ab. Filmmusik ist eine der stetigsten Gattungen in seinem Gesamtwerk. Von seinen 45 Filmarbeiten entstanden 10 vor seiner Flucht aus Europa, 17 im amerikanischen Exil und 18 nach seiner Rückkehr, zwischen 1948 und 1962 (vgl. Tabelle 1).2
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Die diesem Band beiliegende DVD enthält drei kurze Ausschnitte aus Schicksal am Lenkrad. Diese Ausschnitte, die einen Eindruck der optischen Ebene des Films vermitteln mögen, sind auch Gegenstand der in der zweiten Hälfte dieses Aufsatzes dargestellten analytischen Annäherungen. Eine vollständige und informative Eisler-Filmographie findet sich auf der Website der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft: www.hanns-eisler.com. Meine Zählung berücksichtigt weder für Filme komponierte, dann aber nicht benutzte Arbeiten Eislers, noch die verschiedenen verschollenen oder projektierten Filmmusiken. Zu Eislers Filmarbeiten, insbesondere zu den Wiener Produktionen Fidelio und Herr Puntila und sein Knecht Matti, siehe auch Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien – Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil (= Eisler-Studien, Bd. 2), Wiesbaden 2006; meine dort (S. 137) im Detail abweichende Zählung der Filme in den drei oben genannten Perioden zeigt die Bewegung der Erkenntnis, die gerade im Bereich der Eisler-Filmmusikforschung besteht. Vgl. auch deshalb insbesondere die jüngste Publikation zum Thema: Peter Schweinhardt (Hg.), Kompositionen für den Film – Zu Theorie und Praxis von Hanns Eislers Filmmusik (= Eisler-Studien, Bd. 3), Wiesbaden 2008.
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Peter Schweinhardt BERLIN
Unser täglich Brot (1949; Slatan Dudow) Der Rat der Götter (1949; Kurt Maetzig) Wilhelm Pieck – Das Leben unseres Präsidenten [Dokumentarfilm] (1951; Andrew Thorndike) Frauenschicksale (1952; Slatan Dudow)
[Koproduktion] Geschwader Fledermaus (1958; Erich Engel) Lofter [Fernsehfilm] (1958; Günther Weisenborn) [Koproduktion] Aktion J. [Fernseh-Dokumentarfilm] (1961; Walter Heynowski) Esther [Fernsehfilm] (1962; Robert Trösch) Unbändiges Spanien [Dokumentarfilm] (1962; Jeanne und Kurt Stern)
WIEN
Fidelio [Buch + Bearbeitung] (1953–56; Walter Felsenstein) Schicksal am Lenkrad (1953; Aldo Vergano) Gasparone [Buch + Bearbeitung] (1954; Karl Paryla) Bel Ami (1955; Louis Daquin) Herr Puntila und sein Knecht Matti (1955; Alberto Cavalcanti)
PRAG Křizova Trojka / Kreuz Drei (1948; Vaclav Gajer)
PARIS Nuit et brouillard [Dokumentarfilm] (1955; Alain Resnais) Les Sorcières de Salem (1957; Raymond Rouleau)
La rabouilleuse (1959; Louis Daquin)
Tabelle 1: Hanns Eislers Filmarbeiten 1948–1962 (Entstehungszeit und Regie).
Schicksal am Lenkrad
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Fünf dieser ‚späten‘, sehr unterschiedlichen Filmarbeiten entstanden für die im sowjetischen Sektor Wiens gelegenen Studios am Rosenhügel: zwei musikalische Bearbeitungen bzw. Drehbucheinrichtungen (Fidelio und Gasparone) sowie drei Spielfilmmusiken, darunter als musikalischer Einstand Eislers am Rosenhügel Schicksal am Lenkrad. Ende Dezember 1953, in der Zeit seines langen Wien-Aufenthaltes nach den Berliner Faustus-Diskussionen, berichtet Hanns Eisler in einem Brief an Bertolt Brecht über seine jüngsten Kompositionen. Er schreibt, neben skizzenhaften Versuchen, den Faustus zu komponieren, hätten ihm „andere Arbeiten die größte Mühe gemacht […]. Am schwersten fiel mir eine Filmmusik, die mich zur Verzweiflung brachte. Aber es ging glücklich vorüber; obwohl sie etwas ungewöhnlich ist herrscht allgemeine Zufriedenheit.“3 Die Filmmusik, die Eisler „zur Verzweiflung brachte“, war eben diejenige zu Schicksal am Lenkrad, und es lohnt der Frage nachzugehen, was den Mitarbeitern am Wiener Rosenhügel – und vielleicht auch ihm selbst – an seiner Musik so „ungewöhnlich“ vorgekommen sein mag. Die Handlung Held der Geschichte ist Franzl Pointner, ein 16-jähriger Bauernsohn, der den Hof seines Vaters verlassen möchte, um Automechaniker zu werden. Thema des Films ist Franzls schwierige Suche nach einer Lehrstelle vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme im Nachkriegs-Österreich. Losgetreten wird die Filmhandlung dadurch, daß Franzl nicht widerstehen kann, ohne Nachfrage und Ankündigung mit dem Auto des Großbauern Gruber loszufahren. Gruber erstattet Anzeige. Zwei Figuren werden jetzt für Franzl wichtig: Der Lokalredakteur Simmerl spürt ihn auf, findet die Geschichte des pubertierenden Autonarren lohnend und schreibt einen reißerischen Artikel mit dem Titel „Autodieb aus Leidenschaft“, was Franzls Fall eine kurzzeitige Publicity sichert. Simmerls Freund Dr. Bergmann, der für einen Hygiene- und Kosmetik-Konzern, die Teodol-Werke, tätig ist, bekommt ebenfalls Kontakt mit Franzl und setzt sich – während Franzl schon im Begriff steht, als Straßenkind zu enden – dafür ein, daß er eine Lehrstelle in der Autowerkstatt von Teodol bekommt. Die Sache bekommt jedoch eine eigene Dynamik, und der Film wird kurzfristig zu einer Satire auf die Werbebranche: Der Teodol-Chef (der näselnde Kommerzialrat Kestranek) und seine PR-Abteilung verbuchen die Rettung des Jungen als werbewirksame Wohltätigkeit und inszenieren ihre Zahnpastareklame mit einem strahlend lachenden Franzl. Es kommt aber zum Eklat. Franzl verliert wegen eines Mißverständnisses seine Lehrstelle, und der Konzern läßt ihn als Werbeträger fallen. Gerade jetzt – Franzl ist im Begriff, wieder auf die Straße zurückzukehren – tritt Mario auf den Plan, der mißratene Sohn des Teodol-Direktors. Mario heuert Franzl als Beifahrer für ein 3
Hanns Eisler an Bertolt Brecht, Wien, 27. Dezember 1953 (Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Signatur BBA 971/50–51).
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Peter Schweinhardt
völlig grundlos stattfindendes Autorennen an. Franzl fährt für Mario – der sich auch am Lenkrad als unfähig entpuppt – zum Sieg, was aber geheimgehalten wird: Den Lorbeer erntet Mario. Schon möchte sich der enttäuschte Franzl wieder auf seinen traurigen Weg machen; doch ein schneidig-väterlicher Automechaniker, der die ganze Wahrheit kennt, hält ihn auf und bietet ihm endlich eine richtige Lehrstelle. Im Raum bleiben die Worte der guten Frau Sailer stehen: „In diesem Fall ist es gelungen!“ Obwohl die Handlung des Films teils etwas mühsam zusammengeflickt ist, ist Schicksal am Lenkrad nicht ohne inhaltliche Ambition. Es geht um die ewige Frage nach der Erziehung in einer schwierigen Welt; da prallen die Verfechter von „strenger Zucht“ auf diejenigen, die vor allem „Verständnis“ fordern. Es geht um Typen der österreichischen Nachkriegszeit, um Gewinner und Verlierer in der neuen alten Ordnung: Der Herr Kommerzialrat ist eben nicht nur linkisch, sondern auch zynisch und immer obenauf, Vertreter einer alten neuen Elite wie der Jugendrichter mit seiner ominösen Vergangenheit – sein Name veranlaßt Dr. Bergmann zu dem Ausruf: „Was, den gibt’s noch?“. Auch Bergmann selbst mußte „umsatteln“, um seine Beraterstelle bei Teodol anzutreten, und das mag auch für den Portier gelten, der sich als verkannter Vertreter einer Bildungselite empfindet (nicht ohne ungewollte Komik preist er Franzl etwa Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt an: das hätte nämlich er selbst früher auswendig gekannt; nur „beim Nietzsche“ hätte er immer Probleme gehabt). Auch erscheinen immer wieder Nebenfiguren, bei denen es – um Frau Sailers Diktum aufzugreifen – „nicht gelungen“ ist, etwa Frau Sailers eigener Bruder, von dem man erfährt, er sei vor seinem Elend in die Fremdenlegion geflohen. Heimatfilm? Auf merkwürdige Weise changiert Schicksal am Lenkrad zwischen zwei damals aktuellen filmischen Genres. Zunächst finden sich Elemente des Heimatfilms, der in Deutschland und Österreich in den 50er Jahren einen Boom erlebte. (Im gleichen Jahr wie Schicksal am Lenkrad kam z. B. der ungleich erfolgreichere Heimatfilmklassiker Der Förster vom Silberwald heraus.) Zu den inhaltlichen Mustern des Genres, die Schicksal am Lenkrad beruft und verarbeitet, gehört etwa die Gegenüberstellung von rauher Stadt und tendenziell idyllischem Land, mithin der dramaturgisch gern und vielfältig eingesetzte Widerspruch, der sich durch den ‚Städter auf dem Land‘ bzw. den ‚Landbewohner in der Stadt‘ ergibt. In unserem Fall bricht der forsche Journalist Simmerl übers Land herein. Er ist Repräsentant von Presse und individueller Motorisierung und führt sich unmöglich auf. Franzl, der Landjunge, andererseits, den es in die Stadt verschlägt, droht dort unterzugehen. Weiterhin ist seine schicksalhafte Neigung zu Motoren dem Autoboom der 50er Jahre mitgeschuldet, der wiederum in zahlreichen Heimatfilmen seinen Niederschlag fand, sodaß Erich Kästner dem Genre und seiner Zeit bösartig den Reiz
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eines „motorisierten Biedermeier“ bescheinigte.4 Wolfgang Kaschuba spricht zugespitzt von einer Schilderung des Milieus der kleinen Leute „quasi zwischen Pflug und Volkswagen“.5 Und Klaus Konz erblickt im suggestiven Eindringen solcher technischer Neuerungen ins Massenkino der Zeit sogar den Beginn des „Product Placement“.6 Im Fall von Schicksal am Lenkrad hat das Auto-Motiv nicht nur vom Titel, sondern auch von substanziellen Teilen der Handlung Besitz ergriffen. Allerdings dient es nicht so sehr der Fahrt in die Postkartenidylle, sondern ist von inhaltlicher Relevanz. Wem gehören die Autos? Dem Städter und dem reichen Bauern. Gesellschaftlicher Umbruch der Nachkriegszeit: Das Auto dringt zur Landbevölkerung vor; noch aber muß Franzl in die Stadt, um Mechaniker zu werden. Auf weitere feste Bestandteile des Heimatfilmrepertoires, die sich in Schicksal am Lenkrad wiederfinden, sei nur en passant verwiesen: das Dorffest mit den Volksmusikanten und überhaupt die typisierten Figuren auf dem Land: die Honoratioren, der Dorfpolizist, der reiche dicke Bauer, der arme dürre Bauer. Neorealismus? Zwar spiegeln sich auch in manchen Heimatfilmen der 50er Jahre Probleme der Zeit, etwa die Flüchtlingsproblematik. Die starke sozialkritische Komponente von Schicksal am Lenkrad sowie Eigenheiten der Bildästhetik und Erzählstruktur weisen aber noch auf eine andere filmgeschichtliche Verbindungslinie: diejenige zum italienischen Neorealismus. Der Regisseur des Films, Aldo Vergano (1891–1957), hatte seinen wesentlichen Beitrag zu diesem avantgardistischen Nachkriegsstil mit dem Widerstandsfilm Il sole sorge ancora (Die Sonne geht noch auf, 1946) realisiert. 1948, nach dem Wahlsieg de Gasperis und im Zuge des beginnenden Kalten Krieges, bestimmten restaurative Tendenzen und Antikommunismus zunehmend auch die italienische Politik – womit übrigens auch die Verweigerung eines italienischen Visums für Eisler bei seiner Rückkehr aus den USA in Zusammenhang stehen dürfte. Auch Vergano wurde durch entsprechende Überzeugungen in seinem Heimatland suspekt und mußte zum Arbeiten ins Ausland ausweichen.7 Die unter sowjetischer Verwaltung stehenden Studios am Wiener Rosenhügel boten eine solche Möglichkeit, und so ergab sich über den Regisseur eine direkte Verbindung zum Neorealismus. Die Tradition des Neorealismus äußert sich in Schicksal am Lenkrad in vielen Details der Bildsprache, aber auch in Nebenaspekten wie der teilweisen Besetzung mit 4
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Zitiert aus Wolfgang Kaschuba, Bildwelten als Weltbilder, in: Der deutsche Heimatfilm. Bildwelten und Weltbilder. Bilder, Texte, Analysen zu 70 Jahren deutscher Filmgeschichte, hrsg. vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen, Projektgruppe Deutscher Heimatfilm, Leitung: Wolfgang Kaschuba, Tübingen 1989, S. 7. Ebenda S. 11. Gertrud Koch/Klaus Konz u. a. (Zitat von K. Konz): „Die fünfziger Jahre. Heide und Silberwald“, in: Der deutsche Heimatfilm (Anm. 4), S. 94. Ulrich Gregor/Enno Patalas, Geschichte des Films, Bd. 2: 1940–1960, Reinbek 1976, S. 279.
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Laiendarstellern sowie durch die mit vielen Randfiguren ausgeschmückte Beschäftigung mit politisch-gesellschaftlichen Aspekten der Nachkriegszeit.8 (Daß Vittorio de Sicas bedeutender Beitrag zum Neorealismus, ebenfalls ein Film über die Massenarbeitslosigkeit der Nachkriegszeit, Ladri di biciclette von 1948, ausgerechnet um einen Fahrraddiebstahl kreist – allerdings nicht aus Leidenschaft, sondern aus Selbsterhaltungsgründen –, mag als kurioser, aber thematisch aufschlußreicher Zufall verbucht werden.) Letzten Endes ist Schicksal am Lenkrad weder ein ‚echter‘ neorealistischer Film noch ein ‚richtiger‘ Heimatfilm – das Werk enthält gleichwohl Elemente von beidem und läßt sich als gratwandernder Versuch Aldo Verganos, der Drehbuchautorin Ruth Wieden und Hanns Eislers verstehen, Probleme der Nachkriegsgesellschaft zu zeigen und zugleich einen Unterhaltungsfilm mit ‚Heimat-Touch‘ zu produzieren – letzteres geschah am Rosenhügel damals übrigens im Einklang mit dem ausdrücklichen Wunsch Stalins.9 Das Resultat ist zwischen Wald- und Wiesen-Heimatfilm und neorealistisch nüchterner Sozialkritik anzusiedeln. Zur Musik I: Illustration und Dramaturgie10 Zu den schillernden Begriffen in Eisler/Adornos anregend-schwierigem Buch Komposition für den Film gehören diejenigen des dramaturgischen Kontrapunkts und der musikalischen Illustration. In deutlicher Gegenreaktion auf die damals überwiegende filmmusikalische Praxis galt ihre Ablehnung dem automatisierten „illustrativen Einsatz der Musik“, aus dem sich eine „schädliche Verdopplung“ ergebe.11 Fest steht aber zugleich, daß auch Eislers Filmmusiken über weite Strecken in einem illustrativen Verhältnis zu Bildelementen stehen. Daß sein deutlicher ästhetischer Einspruch sich allein gegen gewisse Erscheinungsformen dieses Verfahrens richtet, erhellt ein selten zitierter Satz aus dem Filmbuch: „Die Frage der musikalischen Illustration steht hier nicht prinzipiell zur Debatte“.12 Hilfreicher für eine normative Bestimmung des Verhältnisses zwischen Musik und Bild erscheint 8
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Auch Walter Fritz rückt Schicksal am Lenkrad in den Zusammenhang einiger weniger österreichischer Versuche in Richtung Neorealismus, die sich vom „üblichen Heurigengedudle“ absetzen wollten: „Diese Filme wurden scheinbar 25 Jahre zu früh gedreht, denn damals gab es kaum ein Echo.“ (Walter Fritz, Kino in Österreich 1945–1983. Film zwischen Kommerz und Avantgarde, Wien 1984, S. 86). Vgl. Gertrud Steiner, Traumfabrik Rosenhügel, Wien 1997, S. 65. Die Tonspur des etwas mehr als 90 Minuten langen Filmes enthält an zwanzig Stellen Musik, wobei die musiklosen Passagen im Verlauf immer breiteren Raum einnehmen. Das Partitur-Autograph befindet sich im Hanns-Eisler-Archiv der Akademie der Künste, Berlin (Signatur HEA 118). Allerdings birgt das Konvolut einiges für den Soundtrack nicht verwendete Material (auf fol. 8r, 17r, 25v, 26r, 27), während die Partitur für vier im Film zu hörende Passagen darin fehlt. Aufschluß über diese Lücken müßte im Stimmenmaterial gesucht werden, das sich im Österreichischen Filmarchiv befindet, vom Verfasser aber nicht eingesehen werden konnte. Auf abstrahierende Darstellungsformen wie Notenbeispiele und Synopsen habe ich mit Blick auf das Vorliegen der besprochenen Filmausschnitte auf beiliegender DVD verzichtet. Hanns Eisler, Gesammelte Werke, Leipzig 1968ff. (im folgenden: EGW), III/4, S. 46. Ebenda.
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schließlich die erklärende Aussage, daß die Musik nicht „die präzisen Vorgänge unpräzis“ mitmachen dürfe und die „Reduplikation alles ohnehin Sichtbaren“ leisten solle, sondern: „Musikalische Illustrationen sollen entweder überdeutlich, gleichsam überbelichtet und damit interpretierend sein oder fortfallen.“13 Ein musikalischer Sinn der Filmpartitur soll also darin bestehen, dem Bild mehr als lediglich seine ‚Verdopplung‘ zuzufügen. Dafür gibt es, so meine Eisler-Exegese, grob gesprochen drei Möglichkeiten: Widerspruch, Übertreibung sowie Illustration des Unsichtbaren. Eine kurze Szene aus Schicksal am Lenkrad vermag diese kompositorische Haltung zu ‚illustrieren‘ (vgl. Filmbeispiel 1: „Franzl fährt mit Grubers Auto davon“). Während eines Dorffestes schleicht Franzl um die geparkten Fahrzeuge der Festgäste und wird wie magisch von Großbauer Grubers Luxuskarosse angezogen. Der Musikeinsatz erfolgt mit einer Nahaufnahme Franzls, dessen Augen auf Grubers Auto ruhen. Der Wagen Grubers bildet für ihn in der Tat ein Objekt sinnlicher Begierde, und Eislers Musik zeigt das. Sie baut zunächst einen weichen StreicherNonenakkord auf. Die Süße des Anblicks, die sich in Franzls Augen und in der Musik spiegelt, ist freilich für Fußgänger schwer nachzuvollziehen und mag von Eisler auch übertrieben gemeint sein. Jedenfalls aber ist die Weichheit des Klangs, der Franzls Annäherung an die Maschine einleitet, mit großer Ernsthaftigkeit komponiert. Die Spannung und das Erstarren des Moments löst sich – musikalisch und filmisch – in ‚Aktion‘ auf. Eisler steuert seine Interpretation des filmischen Vorgangs bei: Mit kurzen, gelenkigen Motiven weist er auf das Spielerische, Ausprobierende von Franzls freundlicher Übernahme des Wagens. Dabei ist die Musik um einiges bewegter, als Verganos Bildästhetik es nahelegen könnte. Als Kulminationspunkt der Szene inszeniert Eislers Musik das Anlassen des Motors: Ein plakativ und vergleichsweise tumultuös dröhnendes Tutti, in dem Blechbläser und Pauke das Regiment übernehmen, im Grunde Maschinenmusik in bester Stummfilmtradition. Ist der Motor erst einmal in Gang, ist der Lärm für den Soundtrack nicht mehr vonnöten: Franzl ist auf großer Fahrt, die Musik wird leicht und spielerisch. Die Passage liefert Illustration und Stimmungsmusik, zweifellos. Doch was wird illustriert? Der illustrative Ausdruck ist auf die Wahrnehmung Franzls gerichtet: Für ihn ist der Augenblick spannend, die Maschine, die er da anwirft, ist in seinem Kopf in der Tat so mächtig wie das Orchester tut, zugleich ist sie ein grandioses Spielzeug, mit dem sich auch Gefühle von Leichtigkeit und Freiheit verbinden. Verganos Bilder, überlegt gefilmte Bilder, vermitteln von all dem wenig, sind eher nüchtern, ruhig und konzentriert. Eislers Musik springt ein, um gewisse Empfindungen Franzls zu interpretieren und zu illustrieren, und genau betrachtet übertreibt sie maßlos. Sie zeigt weniger das reale Motorengeräusch des Autos als vielmehr Franzls Bild des Motors. Das Geräusch des Motors wird annähernd lautmalerisch imaginiert, aber es wird übergroß, eben übertrieben imaginiert. Mit guten Gründen sieht die Planung des Soundtracks hier Musik vor und kein Originalgeräusch, wie an den 13
Ebenda S. 47.
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allermeisten Stellen später im Film, an denen Motoren zu sehen sind. Nur musikalische Gestaltung garantiert hier die Verfremdung des Geräuschs, die ins Reich der Franzlschen Träume reicht. Zur Musik II: Musikalische Form und Filmszene Eines der ästhetischen Probleme, das Eisler filmmusikalisch immer wieder beschäftigt hat, ist das Verhältnis von optisch-dramaturgischer Struktur und musikalischer Form. Obgleich sich dem Komponisten für das Problem der Inkongruenz dieser beiden Schichten in unterschiedlichen Filmgenres – und je nach Produktionsteam – unterschiedliche Lösungschancen boten, liegen doch, solch ungleicher Bedingungen ungeachtet, vielen seiner Filmpartituren recht einfache musikalische Formen zugrunde, die zugleich erstaunlich häufig strukturell eng mit der Bildebene verwoben sind. (Dies gilt übrigens vielfach ebenso für Eislers Bühnenmusiken, obwohl doch gerade auch die Bühnenvorgänge kaum automatisch im Einklang mit musikalischen Strukturen ablaufen.) Recht häufig greift Eisler hierbei auf dreiteilige Liedformen und deren Erweiterungen zurück. Dazu ein Beispiel aus Schicksal am Lenkrad (vgl. Tabelle 2 und Filmbeispiel 2). Formteil Motiv A
Takte
a b c d
1–12 13–28 29–40 41–49
e f
50–55 56–64
a
65–76
b’ c’
77–88 89–95
Überleitung
g
96–110
C
h
111–131
B
A’
Taktzahl Filmgeschehen (grau unterlegt: Simmerls Wagen steht) 40 Simmerls Wagen in Fahrt. Der Wagen hält an (Horn-Akzent). Simmerl steigt aus und schraubt im Motor herum. 23 Simmerl entdeckt den gestohlenen Wagen; musikalische Krimi-Versatzstücke (Fagott-Figur und Streichertremolo).
46
Simmerl steigt in seinen Wagen und fährt in Richtung des gestohlenen Wagens. Der Wagen fährt weiter (T. 65 autographe Eintragung: fährt). Simmerl parkt sein Auto neben Franzls (T. 88/89 autographe Eintragung: Auto bleibt stehn); Simmerl steigt aus. Simmerl schleicht um den gestohlenen Wagen herum und photographiert ihn.
21
Simmerl schleicht um den schlafenden Franzl herum und photographiert ihn; elegischer Streichersatz (Franzls „Schicksal“); Simmerl weckt Franzl.
Tabelle 2: Formale Übersicht über die Musik zur Szene „Simmerl findet Franzl“.
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Angestoßen wird die Musik von einem Motorengeräusch, das in eine ‚Fahrtmusik‘ mündet. (Solche ‚Fahrtmusiken‘ gibt es in Eislers Partituren reichlich. Mit großer Sorgfalt bedenkt er etwa in einem anderen seiner Wiener Filme, Herr Puntila und sein Knecht Matti, Puntilas Wagen mit Musik.) Das Auto des Reporters Simmerl, der die Verfolgung Franzls aufgenommen hat, fährt zwölf Takte lang, dann kommt es durch ein offenbar kleineres, dem Laien nicht ersichtliches Problem im Bereich des Motors und durch einen fpp-Akzent im Horn zum stehen. Die Musik beruhigt sich und gibt Simmerl Zeit zu untersuchen, warum der Wagen liegengeblieben ist: Schlichte, griffige, typisch Eislersche Melodielinien und eingestreute Bläsermotive liefern dieser Szene jene Munterkeit, die auch das wenig überzeugende pantomimische Spiel versucht. Großer Zufall: Simmerl ist gerade an der Stelle steckengeblieben, an der auch Franzls Benzin zur Neige gegangen sein muß, und so entdeckt er – B-Teil – etwas abseits der Straße das gestohlengemeldete Auto. Daß Eislers Partitur dabei wie ein Arsenal aus musikalischen Kriminalfilm-Versatzstücken anmutet, darf angesichts des Leichtgewichts der Bildebene an dieser Stelle durchaus als ein Fall musikalischer Ironie verstanden werden. Es folgt der A’-Teil: Simmerls Wagen kommt wieder in Fahrt, ein erster Unterschied zu Abschnitt A ist, daß der Horn-Akzent, der das Auto vorher gestoppt hat, nunmehr in federnde Horn-Repetitionen aufgelöst wird, denn Simmerl fährt noch ein paar Meter und Takte weiter. Er parkt sein Auto neben dem von Franzl entführten. Franzl schläft, allerdings nicht im Auto, sondern daneben, auf dem Waldboden. Als Simmerl sich Franzl nähert, immer noch munter zu einem recht geschmacklosen Scherz aufgelegt, stiftet die Musik (Formteil C), zum Bild stark kontrastierend, den ‚großen Zusammenhang‘, indem sie auf Franzls ‚Schicksal‘ verweist: Ein deklamatorisch-elegischer Streicherton generiert den Ernst des schlafenden Jungen und seiner Lebenssituation. Betrachtet man als relativ offen zutage liegenden Aspekt formaler Proportionenbildung die Ebene der Taktzahlenverhältnisse, so ergibt sich eine bemerkenswerte Überlagerung des – nicht genau, aber doch in guter Annäherung – dem Verhältnis 2:1:2:1 folgenden Ablaufs A / B / A’ (mit Überleitung) / C durch zwei beinahe gleich lange Abschnitte, deren Gemeinsamkeit weniger im Musikalischen liegt, als vielmehr in einem Sachverhalt des Filmgeschehens: Zwischen Takt 13 und 64 und dann wieder zwischen Takt 88/89 und 131 steht Simmerls Wagen still (in Tabelle 2 grau unterlegt). Der Halt des Wagens fällt im zweiten Fall, anscheinend ohne weitere Koordination von klanglicher und optischer Ebene, zwischen die motivischen Abläufe. Ob die Überlagerung der thematisch-motivisch begründeten Formteile durch diese beiden formal-inhaltlich aufeinander bezogenen und hinsichtlich ihrer Spieldauer annähernd gleichen Abschnitte von Eisler intendiert war oder ob es sich um bloßen Zufall handelt, muß spekulativ bleiben; im ersten Fall allerdings – und nur dessen Annahme ist für die Analyse interessant und relevant – wäre die Komplexität der strukturellen Rückbindung von Filmgeschehen und musikalischen Phänomenen erstaunlich. Daß Eislers musikalisch-konstruktives Denken in starkem Maße von solchen Proportionenbildungen geprägt war, erweist sich jedenfalls auch
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in seiner angewandten Musik immer wieder, und eine in Komposition für den Film formulierte Prämisse untermauert ein solches Verständnis der Kopplung von Musik und Bild: „Dem Filmkomponisten müssen Formen und formale Relationen einfallen, nicht ‚Einfälle‘, wenn er nicht beziehungslos nebenher musizieren will.“14 Zugespitzt läßt sich also sagen, daß die Suche nach solchen formalen Bild-TonRelationen einen wesentlichen Ausgangspunkt Eislerscher Filmkomposition gebildet hat: Ziel war es, musikalische und optische Gestaltungsprinzipien in produktive Interaktion zu versetzen. Zur Musik III: Filmmusik und Personalstil Ein besonderer Fall musikalischer Formgebung spielt auch in der dritten und letzten Szene, die ich vorstellen möchte, eine Rolle (Filmbeispiel 3): Über die Funktion als dramaturgisches Stimmungselement hinaus bildet die Musik hier den Rahmen einer Schlüsselszene des Films. Als Einleitung, dann kurzzeitig als melodramatischer Untergrund dient ein getragener Streichersatz, der nach dem musiklosen Dialog Franzls mit dem Jugendrichter stark verkürzt wiederholt wird. So entsteht gleichsam eine dreigliedrige Form, deren „B-Teil“ dadurch gekennzeichnet ist, daß die Musik schweigt. Für die Anwesenheit eines musikalischen Kalküls für die Gesamtszene stehen erneut auch die Proportionen ein: Die musikalisierten „A-Teile“ sind zusammen genommen ziemlich genau so lang wie der musiklose Mittelteil. Interessanter noch als unter einem formalen Aspekt jedoch ist der Soundtrack dieser Szene als Äußerung eines anderen kompositorischen Projekts Hanns Eislers. Er suchte – nicht nur, aber auch in den 50er Jahren – nach neuen Tönen, nach einem neuen Ton, nach musikalischer Frischware, kurzum: nach einem neuen persönlichen Stil. Es kann in diesem Beitrag nicht um Erfolg oder Mißerfolg dieser Suche gehen; wohl aber bieten auch die Filmmusiken Einblicke in den Suchvorgang, denn hauptsächliches Versuchsfeld des Projekts war, besieht man die bei Eisler vorherrschenden Gattungen in dieser Zeit, natürlich die angewandte Musik. Genauso auffällig wie die zuzeiten geradezu stur erscheinende Verwendung elementarer Formen wie der dreiteiligen Liedform, und genauso sinnfällig wie die Entwicklung (oder Fortführung) eines Vokabulars kleiner, austauschbar erscheinender, im Detail aber sehr eigentümlicher melodischer Floskeln, die sich durch die Partituren der Nachkriegszeit ziehen, ist eine Vorliebe für gewisse Tonfälle. Einer davon ist der elegische Streicherklang, der durch die Gerichtsstube dringt (vgl. Filmbeispiel 3) – und der ähnlich auch, wie oben beschrieben, am Ende von Simmerls FranzlSuche zu hören ist, wenn nämlich der schlafende Franzl ins Bild kommt. Bekannt die Konnotationen und Traditionen etwa von Klage- und Trauermusiken, die solcher Streicherklang aufruft: Es sind die gleichen, die Eisler zuvor gelegentlich in entsprechenden Passagen seiner Hollywood-Musiken beschworen hatte und die er einige Jahre später in den Ernsten Gesängen wieder aufgegriffen hat. Furchtlos und 14
EGW III/4, S. 140.
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kaum grundlos an der Grenze zum Kitsch sich bewegend, setzt er eine eigenwillige Variante dieses Tons wiederholt auch auf der Bühne in Szene – etwa in Winterschlacht. Dieser von Eisler mit Ernst und Bedacht in recht unterschiedliche Kontexte gesetzte Streicherton verleiht z. B. den Opfern von Auschwitz in Nuit et Brouillard sowie dem Schicksal Franzls, das wahrlich keines am Lenkrad ist, gleichermaßen Würde. Die Musik zu Schicksal am Lenkrad mag man nicht als Eislers stärkste Filmmusik bezeichnen. Gleichwohl enthält sie zahlreiche bemerkenswerte Passagen, und außerdem erschien sie ja – wie im eingangs zitierten Eisler-Brief formuliert – als „ungewöhnlich“, ungewöhnlich, wie sich vermuten läßt, für einen österreichischen Heimatfilm, und sei es einen mit sozialkritischem Anspruch, ungewöhnlich überhaupt für damals geläufige Filmmusikklänge. Diese Klänge schöpfen einerseits aus Eislers in den USA erworbenen Erfahrungen als Komponist für den Film, andererseits spiegeln sie seine Suche nach neuen Tonfällen, die sich im ganz eigenen Melos und in der Instrumentation, auch in der Ökonomie des Musikeinsatzes vom damaligen Heimatfilmton drastisch unterschieden. Fine Zuzeiten scheint die Betrachtung von Eislers Musik unter seinen Schriften zu leiden. Die suggestiven und attraktiven Worte sind geeignet, den Blick auf die Noten zu präformieren. So leidet, polemisch gesagt, auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit einer Filmpartitur wie Schicksal am Lenkrad unter einem Buch, nämlich der vieldeutigen Koproduktion Komposition für den Film. Da uns das Buch, ganz im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Eislerschen Filmpartituren, im Druck vorliegt und wir es deshalb gegebenenfalls gründlich rezipieren können, laufen wir Gefahr, ihm und nicht der Musik selbst die Maßstäbe für gelungene oder mißlungene Filmkomposition zu entnehmen.15 Dieses Mißverhältnis erscheint prekär, wenn man bedenkt, daß das Buch weder eine normative Kompositionslehre, noch eine kohärente Ästhetik der Filmmusik bereitstellt, sondern in weiten Teilen eine Kritik der damaligen Filmmusikpraxis sowie Hinweise auf mögliche künstlerische Alternativen. Das ist nicht wenig, und gerade die mit dem Filmmusikprojekt verbundenen praktischen Arbeiten Eislers sind zu Recht Gegenstand aktueller Forschungsbemü-
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Illustrativ in dieser Hinsicht ist etwa die Art und Weise, in der Nicholas Cook unter der zumindest diskussionswürdigen Prämisse, in Komposition für den Film eine ausgearbeitete Filmmusiktheorie vorzufinden, über Eislers Vorgehensweise bei der Komposition von Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben theoretisiert. Cook zieht sehr weitreichende, hier nicht zu diskutierende Schlüsse über Eisler als Filmkomponist und -theoretiker, ohne offenbar sein einziges Filmbeispiel je gesehen zu haben: Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben bespricht er „in so far as one can reconstruct it from reading Composing for the Films“. (Nicholas Cook: Analysing musical multimedia, Oxford 1998, S. 81; Cooks ansonsten lesenswertes Buch ist in weiten Passagen von solider Analyse gestützt, und es ist wiederum aufschlußreich, daß just die Filmmusik Eislers hiervon eine Ausnahme bildet.)
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hungen.16 Für die Untersuchung und ästhetische Diskussion von Eislers filmmusikalischem Gesamtwerk jedoch sollte der Bezug auf seine Exil-Projekte – das Filmbuch und das Rockefeller-Filmmusik-Projekt – lediglich konzeptionelle Formulierungsangebote liefern. Irreführend wäre es hingegen, alle Filmpartituren, die nicht sogleich dem strengen Blick der Adorno/Eislerschen Doppelbrille standhalten, als „Brotarbeiten“ abzutun – ganz abgesehen davon, daß auch das Rockefeller-Projekt nicht zuletzt eine Brotarbeit war, was ja nicht notwendig auf die künstlerische Qualität zurückschließen läßt. Voraussetzung für die gründliche Aufarbeitung der äußerst vielgestaltigen, in weiten Teilen auch den Experten kaum bekannten Filmmusik Eislers erscheint allemal, bald mit deren Edition zu beginnen. (Ein Beispiel für eines der einfacheren Probleme, die mit der Filmmusikedition verbunden sein werden: Die Partitur der elegischen Streicherklänge, die in Filmbeispiel 3 Franzls Schicksal im Gericht begleiten, finden sich so nicht im entsprechenden Konvolut des Eisler-Archivs. Der dort vorliegende und scheinbar für die entsprechende Stelle vorgesehene Tonsatz ist zwar sehr ähnlich komponiert, fehlt aber auf der Tonspur.17) Erst wenn Eislers Partituren und Tonspuren – als Manifestationen komponierter Theorie – an die Seite des Filmmusikbuchs treten, werden wir beginnen können, über sein Werk für die Leinwand zu reden.
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Es sei in diesem Zusammenhang auf die Neuausgabe von Komposition für den Film hingewiesen (Theodor W. Adorno/Hanns Eisler, Komposition für den Film, Frankfurt am Main 2006). Dem Buch ist eine konzertierter wissenschaftlich-künstlerisch-technischer Kraftanstrengung zu verdankende DVD-Edition der im Rahmen des Rockefeller-Filmmusik-Projektes entstandenen Arbeiten Eislers beigefügt (hrsg. von Johannes C. Gall im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft). Die ersten Filmmusik enthaltenden Bände der laufenden Hanns Eisler Gesamtausgabe werden die Partituren zu Hangman Also Die und zu Szenen aus The Grapes of Wrath (hrsg. von Johannes C. Gall, voraussichtlich 2012) und zu Nuit et brouillard (hrsg. von Oliver Dahin, voraussichtlich 2013) sein.
GERD RIENÄCKER (Berlin)
„Künftigen Glückes gewiß, gewiß, gewiß“ – fünf Sätze über Eislers „Ernste Gesänge“ Dreimal das Wort „gewiß“, zweimal in gleicher Tonfolge, das drittemal ausgeweitet durch einen Vorhalt: Warum das Mehrmalige, warum die Steigerung? Der Anrufung sind Fragezeichen eingesenkt. Im musikalischen Tonfall des Singenden, vor allem in dessen Einbettung – mühselig ist die Dominante erreicht, gewiß folgt ihr die Tonika; der Gesang, und mit ihm das ausgerufene „gewiß“, jedoch bleibt vor der Schwelle, auf der Dominante, gleichsam im Auftakt, als ob der Singende „am Ärmel eingehalten werde“ wie das Fischweib in Brecht-Dessaus Oper Die Verurteilung des Lukullus. Dem instrumentalen Nachspiel ist die Tonika überwiesen. Kaum jedoch das vorangehende Crescendo, an dem der Gesang nicht teilhat: Im einfachen Forte wird musiziert, sechzehn Takte später im ppp subito, und nach weiteren sechs Takten bricht das Geschehen ab; der letzte Takt beginnt mit einer Viertelpause, danach erklingt Des unisono, nicht als Dur- oder Moll-Akkord, nicht arco, sondern pizzicato. Fraglos drängt das musikalische Geschehen über die gleichsam auftaktigen Anrufungen des Vokalparts hinaus, von der Dominante zur Tonika, vom Singen zum instrumentalen Nachspiel, dennoch scheint es, als ob das Nachspiel von neuem ansetzt, auf das Gesungene sich nicht einläßt, es sei denn als partielle Zurücknahme. Leider hat die Einspielung mit Günter Leib und der Dresdener Staatskapelle unter Otmar Suitner dies unzureichend berücksichtigt. Statt dessen vereinigen Sänger und Instrumente sich im Crescendo, das im Fortissimo des Nachspiels kulminiert, als ob der Jubel ins Orchester überströmt, als ob das künftige Glück nicht nur kommen würde, sondern schon jetzt erreicht wäre. Dies erinnerte mich an Gedichte von Johannes R. Becher, in denen eine leuchtende Zukunft als gewisse, erreichbare, fast errechte gezeichnet wurde – kein Wunder, daß ich darauf mit Argwohn reagierte, ohnehin auf den satten Des-Dur-Klang, auf die musikalischen „Quadraturen“, d. h. Viertakter nicht gut zu sprechen war. Nur hatte Eisler anderes komponiert, und er würde aufs Neue von „Dummheit in der Musik“ sprechen, hätte er die Uraufführung noch erlebt! Der ersten Zurücknahme folgt die zweite, die dritte: Die zweite nicht nur durchs ppp subito, das allen vorangehenden Steigerungen jäh in die Parade fährt, sie buchstäblich abwürgt, sondern durch den Abbruch des harmonischen Bogens – die zwiefache Dominantkette wird nicht aufgelöst, die erwartete Subdominante ausgespart, statt ihrer winkt, als Rückung, eine neue Zwischendominante; ihr Unerwartetes teilt sich dem schattenhaften Klang mit: Als ob die
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Vision künftigen Glückes nicht nur ungewiß sei, sondern nicht artikuliert werden dürfte. Viererlei ist der dritten, letzten Zurücknahme eigentümlich: Der Abbruch im chromatischen Durchgang der Bässe – der erwarteten Tonfolge As-A-B fehlt der letzte Ton, der Modulation in die Tonikaparallele das Ziel –, die musikalische Stockung durch die Leerzeit zu Beginn des nächsten Taktes, das Unisono anstelle des erwarteten Dur-Klangs, das Pizzicato, dem alle Sinnlichkeit des Streicherklanges zum Opfer fällt. In solchem Beschluß ist das Vorangehende mitnichten aufgefangen, und was es an Hoffnungen oder Fragen enthält, wird abgewürgt, brüsk aus dem Reich der Töne verwiesen, hinaus gekehrt wie die Überreste einer Fastnacht durch den Aschermittwoch. Dieser Schluß, genauer, Nicht-Schluß macht betroffen. Ihn genauer zu befragen verweist auf den ganzen Zyklus, weist darüber hinaus auf Probleme, denen Eisler konfrontiert ist. Sie wirklich auszuschreiten ist dem Kurzreferat versagt. Einige Andeutungen mögen genügen. I.
„Es hat mich ein Jahr gekostet, nebst vielen anderen Arbeiten diese Gesänge zu schreiben. Um es präzise zu sagen: es sind ein Vorspruch und sieben Gesänge. Ich frug mich oft: Warum habe ich das gemacht. Nun, da bin ich schon in größter Verlegenheit. Irgendwie hat es mich angeregt – wie soll man das sagen? – vom Vergangenen zu sprechen und vom Alter zu sprechen. Das Alter ist bei mir eine konkrete Angelegenheit; ich bin vierundsechzig Jahre alt. Das Alter ist mit dem Herbst auch irgendwie verbunden. Und die großartigen Verse Hölderlins haben mich angeregt, Sachen zu beschreiben – man kann auch sagen zu singen –, die identisch sind: nämlich die Rückerinnerung und der Vorblick auf die Zukunft. Das ist für mich identisch. Herbst ist also der menschliche Herbst – wenn Sie wollen auch der Herbst der Politik –, das Zurückschauen und das Vorschauen.“1
Im gleichen Gespräch: „Die Zusammenstellung der Lieder hat mir die größte Mühe gemacht. Es kostete mich ein Jahr, um sieben kleine Stücke in Ordnung zu bringen.“2
„Sieben kleine Stücke“ – es fragt sich, worauf sich das Attribut „klein“ bezieht. Auf die Besetzung, Bariton, Streichorchester? Im Epilog möge das Streichorchester stark besetzt sein. Auf die Kürze? In der Tat währt jeder Satz kaum mehr als zwei, höchsten zweieinhalb Minuten; darin, in der Miniatur, Abbreviatur, im Konzentrat liegt Eislers Begabung; wann immer er sich größeren Formen zuwandte, zerlegte er sie in Miniaturen, oder er scheiterte, wenn es nicht möglich war. Der Miniatur jedoch war anzuvertrauen, in ihr zusammenzufassen, ja, zusammenzudrängen, was 1 2
Hanns Eisler zu Hans Bunge, in: Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht, Leipzig 1975, S. 261. Ebenda.
„Künftigen Glückes gewiß, gewiß, gewiß“
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andernorts weitaus größere Zeiträume beanspruchte; Eislers Vertonung der Kriegsfibel macht dies beredt, sie ist denn auch gelungener als die Deutsche Symphonie. Sieben Sätze enthält der Zyklus, ihnen ist ein Prolog vorangestellt. Ist die Überschrift „Ernste Gesänge“ jenem Liedzyklus entnommen, den Johannes Brahms nicht anders denn weinend vorsingen mochte, so verweist sie erneut aufs Ganze, auf den „Ernst“ der Sache, auf existentielle Fragen. Wiederholt ist in den letzten Gesprächen vom Herbst die Rede,3 latent vom Abschiednehmen, und es fragt sich, worauf der Herbst, der Abschied sich bezieht: Auf Komplikationen der Vergangenheit, die nicht erst seit dem XX. Parteitag im Raume stehen, von denen sich zu lösen schwierig oder gar unmöglich ist – man müsse aber der Vergangenheit ins Auge sehen, wenn man die Zukunft erreichen wolle;4 auf das Altern des Kommunisten und Komponisten Hanns Eisler;5 darauf, daß er nicht allzu lange noch zu leben habe - daß er wenige Wochen später sterben würde, konnte er nicht wissen, vor allem hatte er es nicht vor. Wie in Brahms Liederzyklus ist das Ganze anvisiert. Dazu Hanns Eisler: „Das ist: Besinnung – Überlegung – Depression – Aufschwung – und wieder Besinnung. Also, was man ganz einfach nennen kann: der normale Ablauf einer Empfindung oder eines menschlichen Verhaltens. Das muss halt so gemacht werden, sonst ist es nicht gut.“6
Zuvor, im gleichen Gespräch: „Um die Hoffnung hochzuheben, muß die Verzweiflung sehr tief sein [...].Vor allem ich – ein alter Kommunist! – komponiere plötzlich ‚Die Verzweiflung‘! Das mag einen Sinn haben für Leute, die sich in besseren Zeiten um meine Kunst kümmern.“7
Unverkennbar ist der Blick des Trauernden, unüberhörbar in Eislers Worten, erst recht in den Ernsten Gesängen die Trauer: Sie schließt Verzweiflung ein, und Verzweiflung muß erfahren, durchschritten werden, um heraus zu kommen; dies hatte Brecht den Akteuren im Stück Katzgraben von Erwin Strittmatter auf den Weg gegeben, damit sie die Vorgänge nicht rosarot harmonistisch interpretieren. Unzählige Male hat Eisler Trauer, Verzweiflung komponiert, auch und gerade in seinem Hollywooder Liederbuch; ein Lied daraus wird aufgenommen als vierter Satz, als Zentrum: An die Hoffnung nach Hölderlin, allerdings so vertont, daß von Hoffnung nicht die Rede sein kann, statt dessen von der Frage „Wo bist du?“, davon, daß der Fragende gehetzt durch die Lande getrieben wird. Davor stehen die Gesänge Asyl (nach Hölderlin), Traurigkeit (Berthold Viertel), Verzweiflung (Leopardi), hernach XX. Parteitag (Helmut Richter) – darin die Beschwörung Leben ohne Angst zu haben –, dann Komm ins Offene, Freund (wiederum 3 4 5 6 7
Ebenda S. 227–229 und 261–265. Ebenda S. 264. Ebenda S. 261. Ebenda S. 263. Ebenda S. 262–263.
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Hölderlin aufnehmend) und der Epilog (Stephan Hermlin). Allem voran steht ein Prolog, Vorspiel und Spruch überschrieben: „Viele versuchten umsonst das Freudige freudig zu sagen, hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.“ –
deutlicher könnte Eisler nicht sagen, worum es geht! Trauer ist denn auch den Visionen künftigen Glückes beigemischt, sie entspringt dem Wissen um den Verlust: „Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß“.
Ohne ihn, denn er ist gestorben – Johannes R. Becher, für dessen Tod Eisler das Lied ursprünglich schrieb, als Nänie!, oder Eisler selbst, der das künftige Glück nicht sehen, erleben wird. Vielleicht daß aus solcher Ahnung jene dreifache Zurücknahme im Schluß erwächst! II. Der Miniatur, Abbreviatur, dem Konzentrat gehorcht, daß verschiedene musikalische Sprachgefüge sich versammeln als Wegzeichen des Eigenen. An die Hoffnung ist zwölftönig komponiert, Verzweiflung außerhalb der Dur-Moll-Tonalität – auffällig die Cluster in heftig zufahrender Bewegung –, Asyl, Traurigkeit, XX. Parteitag, Komm ins Offene, Freund jedoch tonal, der Epilog gar auf der Basis dominantischer DurMoll-Tonalität. Und es differieren, sowohl in den Gefilden außerhalb als auch innerhalb des Tonalen, die Sprachgefüge – zwischen Asyl und Traurigkeit, wiederum zwischen Verzweiflung und An die Hoffnung, wiederum zwischen Komm ins Offene, Freund und Epilog, drastischer noch zwischen Asyl und Epilog oder XX. Parteitag, Verzweiflung und An die Hoffnung. Und doch gibt es Vermittlungen. Wenige Motive, genauer, musikalische Gesten, die sowohl den atonalen, zwölftönigen als auch tonalen Gebilden zugrunde liegen – vor allem das Terzpendel und die in Sprüngen und chromatischen Schritten abstürzenden Gebärden, daraus abgeleitet jene fallende Bewegung, die in Bachs Johannespassion Jesu Worten „Es ist vollbracht“, dem Leiden, in Bachs oder Beethovens Musik der Klage, den Tränen zugeordnet ist. Das Unterschiedliche der Sprachgefüge zu verklammern, gehorcht der Einsicht, Material und Verfahrensweisen streben auseinander, und es wäre möglich, alte Materialien durch neue Verfahrensweisen zu bearbeiten – Adorno hat dies im Schönberg-Kapitel der Philosophie der Neuen Musik notiert, Eisler und Adorno kommen in ihrem gemeinsamen Buch Composing for the film zurück, darauf zielt ein Gutteil der filmmusikalischen Experimente; Eislers späten Kompositionen erwächst daraus zumindest die Intention; daß sie nicht durchweg eingelöst wird, liegt jenseits der Absicht. Zum anderen sind den motivischen Klammern Bedeutungen aufgeladen: Jene der Klage, auch der Resignation, des Aufbäumens und Abstürzens, jene der Trauer und Verzweiflung: Ungetilgt noch in den Gebärden des instrumentalen Nachspiels!
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III. Das Material des Epilogs, vor allem des Nachspiels ist, auf den ersten Blick wenigstens, so konventionell wie möglich. Und es scheint, daß Eisler jener Gefahr erliegt, vor der er in den letzten Jahren warnte: Den „eingefahrenen Assoziationen“ des Überkommenen. Satt klingt der Streichersatz, um die Mitte zentriert, ausgeterzt, als ob Johannes Brahms ihn komponiert hätte. Allzu beflissen paradiert die Viertakter-Reihe, mitnichten werden melodisch-harmonische Sequenzen vermieden, denen man in den dreißiger, vierziger Jahren in sogenannten Schmachtfetzen auf der Kinoorgel begegnete – und die mich in frühen Jahren aufs Tiefste berührten! Auch daß die Oberstimme melodieführend sei, gehört zur Sache, und dies, obgleich Eisler gegenüber gängigen Vorstellungen der „Melodik“ argwöhnisch war. Umso wichtiger, auch umso hörbarer sind die Abweichungen: Von den Zurücknahmen im Nachspiel war schon die Rede; sie können gar nicht deutlich genug herausgestellt werden! Ebenso unüberhörbar sind Diskrepanzen zwischen „Wort“ und „Ton“ in der vokalen Vorwegnahme des Nachspiels: Nirgends stimmen textliche und musikalische Gliederung überein; der musikalische Periodenbau straft die strophischen Gefüge durch Mißachtung, als ob es anderes zu sagen, zu singen gäbe als Hermlins Verse. Überdies wird, im Vokalpart, gegen den Takt musiziert – durch Triolierung der Halben, durch Überbindungen; dies verleiht einzelnen Worten, Wortgruppen, Topoi Nachdruck und löst sie aus den strophischen Zusammenhang. Unüberhörbar sind Diskrepanzen zwischen Erwartetem und Realisiertem in der Lautstärke – auch dies hat die Uraufführung vernachlässigt; piano ist dem Sänger, ist dem Streichorchester vorgegeben; kein jubelnder Hymnus soll angestimmt werden, sondern es gilt nachzudenken, als ob der Singende seinen Visionen nachgeht, sie befragt nach Unerledigtem. Und es läßt sich der chromatische Durchgang der Bässe nicht überhören: Hier noch, im Takt 47 erreicht er sein Ziel, b-Moll, im Zwillingsklang Des-B, im jähen forte setzt der Sänger ein, im beschwörenden – verzweifelten? – Tone gilt es den Abschied mit der Vision künftigen Glückes zu vereinen. Im vergeblichen, da ins Leere laufenden Crescendo! Nicht überhören läßt sich, daß der Melodiestimme eine zweite Stimme beigestellt ist; sie enthält jene absinkende Bewegung, die Eisler im „Asyl“ gesetzt hatte; daß sie ein Crescendo enthält (auch dieses läuft ins Leere!), macht sie, wenigstens punktuell, zur eigentlichen Hauptstimme; auch dies hat die Uraufführung vernachlässigt. Das Überkommene, ach, so Vertraute mit all den eingefahrenen Assoziationen, es ist bei genauerem Hinsehen, Hinhören nun doch aufgebrochen, versetzt mit kleinen, aber merklichen Widerständen, vor allem wird es schrittweise zurückgenommen, und das widerfährt selbst dem so beflissenen Periodenbau: Dem vierfachen Viertakter folgt kein weiterer, statt dessen ein Sechstakter im ppp subito; selbst dem Volltakt wird im Schluß das Recht verweigert, die Leerzeit und das Unisono auf der zweiten, nebensächlichen Zählzeit machten ihn gänzlich zunichte.
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Und es können die Zurücknahmen gelesen werden als Chiffren der Verweigerung – der Scham in den sechs Takten vor dem Schlußklang, als halb zaghafte, halb brüske Abwendung im Pizzicato. Wem gilt sie, die Scham, die Abwendung? Dem Gewesenen, Erfahrenen, Reflektierten? Den Visionen künftigen Glückes, die zu artikulieren nicht nur Mühe bereitet, sondern schal im Munde werden könnte? IV. Befremdliches, Zurücknahmen bis an die Grenze der Verweigerung, der Abwehr gibt es nicht erst im Epilog. Sondern im Vorspann, erst recht im instrumentalen Abgesang des vorangehenden Satzes Komm ins Offene, Freund. Und zuvor im XX. Parteitag: Zitiert wird die Wendung „Die Welt verändert sich“ aus den Neuen Deutschen Volksliedern; sie wird geradewegs der Beschwörung „Leben ohne Angst zu haben“ zugeordnet, als ob Lenins Botschaft all die Ängste in sich aufnehmen muß, die nicht nur mit Stalins Wirken zusammenhängen. Der Singstimme jedoch steht nicht ein vollgriffiger Klavier- oder Orchestersatz zur Seite, sondern das col-legnoSpiel der Streicher – ein schattenhafter Klang an der Schwelle zum Geräusch. Darin sind die tonalharmonischen Vorgänge, sind die aufgenommenen Traditionen zurückgenommen. Im ersten, zweiten, sechsten und siebenten Satz werden vokale Gebilde von den Streichern aufgenommen, jedoch nicht arco, sondern pizzicato, versetzt mit widerborstigen Akzenten – als ob das Sinnliche des Gesanges zurückgenommen, ins Klappern, in eisige Kälte verwandelt werden soll! Befremdlich ist auch, daß der Klagegesang im „Asyl“ nur durch starr ausgehaltene Akkorde der Violen und Violoncelli sekundiert, d. h. eben nicht gestützt wird: Soll die Klage ins Leere laufen, dem Abspulen der Tongruppen, dem Absinken fast ohne Punkt und Komma die Gleichgültigkeit des Instrumentalparts beigestellt werden? Gerade dies könnte der Klage allen Nachdruck verleihen – durch Verfremdung! Befremdlich, bedenkenswert ist, schließlich und endlich, Eislers übergreifende Vortragsanweisung: In freundlichem Tone habe der Sänger zu singen, nicht gefühlskalt, aber er möge sein Inneres nicht ausbreiten. Freundlich möge das Unfreundliche, die Klage, die Verzweiflung artikuliert werden – nicht um es zu bagatellisieren, sondern um mit dem Gewesenen so zu leben, daß es die Menschen nicht zu Boden drücke. Das Andere, Bessere ist nicht oder nicht primär den Botschaften eingesenkt, sondern der Art, sie zu formulieren, sie weiterzugeben. Die Freundlichkeit des Tones – viele Male von Eisler nachdrücklich angewiesen – schließt Härte, Grobheit nicht aus; eher ist sie die Ohrfeige aus dem Handgelenk. In den „ernsten Gesängen“ gilt sie dem Nachdenken, in der Hoffnung, es könnte in Vordenken sich wandeln! V. Aufhorchen läßt Eislers vorletztes Gespräch mit Hans Bunge, jenes, das anfangs den Ernsten Gesängen gewidmet ist.8 Nicht nur ist davon die Rede, daß man der Vergangenheit ins Auge sehen muß, davon, daß Verzweiflung, Trauer durchzustehen seien – Eisler habe eben kein „fesches Lied“ komponiert –; sondern es gibt Zweifel am Komponieren überhaupt. Warum denn soll er eine Symphonie schreiben – nur 8
Ebenda S. 261–266.
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weil das Leipziger Gewandhausorchester sie bestellt habe? Und was solle er denn komponieren? Opern, darin sich nur das Unsinnige häuft? Was sonst? Besser wäre es, zu schweigen, und Bunge könne raten, worüber er gerade schweige.9 Diese Äußerung kann gewiß nicht als Abschied ein für allemal genommen werden; Eisler hatte weder sich zurückziehen noch davongehen wollen; am Todestage hatte er eine Probe im Berliner Ensemble; es war der Zorn über Termin- und Ortsänderungen, der den Infarkt auslöste oder beschleunigen half. Und doch ist die Äußerung nicht so dahin gesagt: Warum denn komponieren, wenn die Gattungen, in denen Eisler sich bislang umtat, obsolet geworden sind? Warum komponieren, wenn ein Gutteil jener Werke, die Eisler als bedeutend ansah, unaufgeführt waren in „meiner lieben DDR“?10 Wenn die „Dummheit in der Musik“ zunahm, hüben wie drüben!11 Wenn Eisler der eigenen Gesellschaft jene bitteren Worte nicht ersparen wollte, die er 1953 seinem Tagebuch anvertraute: „Wieviel Heroismus. Und wie viel Dummheit! Welche Errungenschaften! Und welche entsetzlichen Fehler, die die Errungenschaften zunichte machen.“12
Wir sollten, so Eisler zu Bunge, unsere Lage erkennen und nicht so angeben, dann ginge es „uns geschichtlich auch besser.“13 Aber es wurde angegeben, der Mund voll genommen; Eislers Nachdenken drohte unter die Räder zu kommen wie zuvor das Nachdenken von Bertolt Brecht. Dies alles, so meine ich, ist in den Ernsten Gesängen aufgenommen – nicht um der Hoffnungslosigkeit ein für allemal das Wort zu geben; das wäre Eisler fremd. Sondern um Fragezeichen zu setzen für sich und für seine Mitmenschen. Für die Nachwelt!
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Ebenda S. 266. Ebenda S. 190. Ebenda S. 189 und 232–233. Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948-1962, hrsg. von Günter Mayer, Leipzig 1982, S. 265. Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge (Anm. 1), S. 247.
ANTONIA TEIBLER (Wien)
Erstfunde mexikanischer Dokumente zu Hanns Eislers Gastprofessur am Conservatorio Nacional de Música in México D. F. Auf Grund im Jahr 2003 neu aufgefundener Dokumente in Mexikos Archiven kann Hanns Eislers Aufenthalt von April bis August 1939 im südlichen Nachbarland der USA noch detaillierter dokumentiert werden. Das Konservatorium der Stadt Mexiko untersteht dem Ministerium für Erziehung (Secretaría de Educación Pública), welches jährlich Abschlußberichte über seine Aktivitäten an die mexikanische Regierung liefert. In dem Report für den Zeitraum September 1938 bis August 1939 sind die Ziele des Konservatoriums klar umrissen. Neben einer neuen Regelung des pädagogischen Zweiges, Ausschreibung von nationalen Wettbewerben und der Knüpfung von Beziehungen mit anderen Musikinstitutionen des Landes springt ein Punkt besonders ins Auge, welcher Basis für den Unterricht Eislers an dieser Institution ab April 1939 war: Die Leitung des Konservatoriums unter der Führung von Adalberto García Mendoza plant die Einführung analytischer Kurse, vorgetragen von ausländischen Professoren, mit einer Dauer von einem bis drei Monaten.1 Zwei Briefe von García Mendoza geben uns Einblick in die Durchführung dieses Vorhabens. In einem Informationsschreiben des Direktors an die Professoren heißt es unter anderem: „Damit diese Kurse realisiert und von ausländischen Professoren und Künstlern gehalten werden können, müssen Verhandlungen mit der Regierung aufgenommen werden, um die notwendige wirtschaftliche Basis zur Realisation der Einreise und des Aufenthaltes der Gastprofessoren zu gewährleisten.“
und weiters: „Bald werde ich die Namen jener Personen bekanntgeben, die laut meinem Konzept für die Kurse in Frage kommen, um sie dem Rat und den interessierten Institutionen zur Approbation vorzulegen.“ 2
Im zweiten Schreiben, datiert vom 24. März 1939, welches an den mexikanischen Komponisten und Lehrer Manuel Maria Ponce (1882–1948) adressiert ist, informiert der Direktor diesen über seine Vorschläge dreier Gastprofessoren für die neu 1 2
Memoria de la Secretaría de Educación Pública Septiember 1938–Agosto 1939. SEP, México 1939, S. 242f. Brief des Direktors Adalberto García Mendoza an die Professoren und Schüler des Konservatoriums, 3. Jänner 1939, Archivo Muerto des Conservatorio Nacional de Música, México. – Der gesamte Wortlaut der Briefe ist im Anhang in der spanischen Originalfassung mit deutscher Übersetzung abgedruckt.
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gegründeten Zusatzkurse. Als erster scheint der spanische Musiker und Musikkritiker Adolfo Salazar (1890–1958) auf, welcher eingeladen wird, im Juni 1939 Kurse über Musikkritik und Musikgeschichte zu halten. Danach folgt Hanns Eisler, als Vortragender „eines Kurses über Moderne Harmonie, um die Tendenzen zu erklären, welche Schönberg in die zeitgenössische Musik eingeführt hat.“ 3
Als dritte wird die französische Musikpädagogin, Komponistin und Dirigentin Nadia Boulanger (1887–1979) mit dem Kursthema „Moderne Komposition“ als Gastlektorin vorgeschlagen. Als Eislers Visum-Situation in den USA im Frühjahr 1939 problematisch wird, wendet er sich mit der Bitte um ein Visum für Mexiko an Vicente Lombardo Toledano4, einen mexikanischen Schriftsteller, Gewerkschaftsführer und politischen Aktivisten, welcher über Jahrzehnte hinweg die Politik Mexikos stark beeinflußte. Ebenfalls richtet sich Eisler per Telegramm mit seiner Bitte an den Präsidenten Mexikos Lázaro Cárdenas.5 Nachdem Eilser im März 1939 die Erlaubnis erhält, in Mexiko einzureisen, kommt er gemeinsam mit seiner Frau Louise am 12. April 1939 in Mexiko Stadt an. Laut Visum ist es Eisler untersagt, „jeglichen lukrativen oder einträglichen Aktivitäten nachzugehen“6. Der Direktor des Konservatoriums sucht bei der Regierung um Unterstützung an, um die „notwendige wirtschaftliche Basis für den Aufenthalt gewährleisten zu können“.7 Hanns Eisler beginnt Anfang Juni mit den Vorlesungen über „Moderne Instrumentierung“ und „Einführung in die Moderne Harmonie“. In dem Archivo Muerto des Nationalen Konservatoriums für Musik in Mexiko Stadt befinden sich drei maschinschriftliche Seiten des Vortrages Moderne Instrumentierung auf Spanisch sowie Wachsmatrizenabzüge der Seite 5 der Einführung in die Moderne Harmonie mit Notenbeispielen, ebenfalls in spanischer Sprache, welche offensichtlich unter den Zuhörern verteilt wurden. Günter Mayer erwähnt in seinem Buch Hanns Eisler – Musik und Politik – Schriften 1924–1948, daß der erste Teil dieses Vortrages bis Notenbeispiel 12 in spanischer Übersetzung vorliegt.8 Seite 5 fängt mit Notenbeispiel 13 an und stellt somit die bis dato unbekannte Fortsetzung des Vortrages dar. Notenbeispiel 14 und 15 sind ebenfalls auf dieser Seite abgebildet.
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Brief des Direktors Adalberto García Mendoza an Manuel Maria Ponce, 24. März 1939, Archivo Muerto des Conservatorio Nacional de Música, México D.F. Albrecht Betz, Música, cinematografía, música fílmica. Hanns Eisler en México 1939–1940, in: Renata von Hanffstengel/Cecilia Tercero Vasconselo (Hg.), México, el exilio bien temperado, Mexico 1995, S. 298. Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1924–1948 (= Eisler Gesammelte Werke, Bd. III/1, hrsg. von Günter Mayer), Leipzig 1973, S. 453. Visum von Hanns Eisler, Archivo General de la Nación, Schachtel 1 der österreichischen Visa in alphabetischer Ordnung, México. Brief des Direktors Adalberto García Mendoza an die Professoren und Schüler des Konservatoriums, 3. Jänner 1939. Eisler, Musik und Politik (Anm. 5), S. 451.
Erstfunde mexikanischer Dokumente zu Hanns Eislers Gastprofessur
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Beispiel 1: Notenbeispiel 13 aus dem Vortrag Einführung in die Moderne Harmonie.
Beispiel 2: Notenbeispiel 14 aus dem Vortrag Einführung in die Moderne Harmonie.
Beispiel 3: Notenbeispiel 15 aus dem Vortrag Einführung in die Moderne Harmonie.
Von dem Vortrag Moderne Instrumentierung ist der komplette Text der ersten von insgesamt 12 Doppelstunden in spanischer Fassung erhalten. Der Titel dieser dreiseitigen spanischen Version lautet „Instrumentación Comtemporánea, Curso a cargo del Prof. Hanns Eisler. Conservatorio Nacional de Música de México. Junio de 1939“. Danach folgt der Untertitel „Primera Clase“, also „Erste Stunde“. Hierbei handelt es sich um eine vollständige spanische Fassung des Fragments der deutschen Version, die in dem Buch von Günter Mayer abgedruckt ist.9 Es wird Aufgabe zukünftiger Forschungen sein, die noch fehlenden restlichen 11 der insgesamt 12 Einheiten dieser Vortragsreihe sowie weitere Fragmente der Vorlesung Moderner Instrumentierung zu finden. Aus den Briefen, die Eisler und seine Frau Louise aus Mexiko schrieben, geht hervor, daß der Unterricht am Konservatorium erfolgreich verlief. Seine Frau Louise erwähnte im Juni in einem Brief an Charlotte Eisler, daß „Hanns [...] viele Schüler habe, alle Musiker und Komponisten von Mexiko seien in seiner Klasse.“10
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Ebenda S. 455. Die erwähnten Vortragsseiten der spanischen Version sind im Anhang mit deutscher Übersetzung von der Verfasserin abgedruckt. Brief Louise Eisler an Charlotte Eisler, 27. Juni 1939, Hanns-Eisler-Archiv, Berlin.
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Mitte Juli schreibt Eisler an Bertolt Brecht, dass er viel Spaß mit der Konservatoriumsklasse „voller Graubärte“11 hätte. Eislers Einreise und Lehrtätigkeit findet auch in der mexikanischen Presse ihren Niederschlag. Ein Artikel, ohne Datum oder Erscheinungsort, berichtet, daß das Sindicato de Trabajadores de la Educación de la República Mexicana (S.T.E.R.M.), die Arbeitergewerkschaft für Erziehung der mexikanischen Republik, Telegramme an den Präsidenten und das Regierungsministerium, mit der Bitte dem politischen Flüchtling Eisler Gastfreundschaft und Asyl zu gewährleisten, schickte.12 Eine Aktion, die auf Initiative Toledanos zurückzuführen ist, welcher in seiner Funktion als Gewerkschaftsführer und politisch Gleichgesinnter auf das Bittschreiben von Eisler reagiert. Die Zeitung El Universal titelt am 25. März 1939: „Der deutsche Musiker Hanns Eisler kann nach Mexiko kommen“13 und ein Artikel im Excelsior vom 3. Juni 1939 informiert, daß Eisler auf Einladung Abbildung 1: S.T.E.R.M. interessiert des Konservatoriums einen dreimonatigen Kurs, sich für den ausgezeichneten deutschen bestehend aus zwei Materien („Einführung in die Musiker. Zeitungsartikel ohne Angazeitgenössische Harmonie“ und „Moderne Inben. strumentierung“) halten wird. Als Kursbeginn wird der 5. Juni 1939 angegeben.14 Die Themen werden „ausführlich am Klavier und mit Schallplatten dokumentiert. Professor Eisler wird eine Zusammenfassung der musikalischen Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren, unter besonderer Berücksichtigung der Methoden von Arnold Schönberg, geben.“15
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Brief Hanns Eisler an Bertold Brecht, Mitte Juli 1939, Hanns-Eisler-Archiv, Berlin. „Se interesa el S.T.E.R.M por un eminente músico alemán.“ Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Nr. 9 Música (arte) 15 februar de 1938 al 27 de mayo de 1939, México. „Puede venir a México el músico alemán Hans Eisler“, in: El Universal, 25. März 1939, Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Nr. 9 Música (arte) 15 februar de 1938 al 27 de mayo de 1939, México. Offensichtlich kam es zu einer Verzögerung des Kursbeginnes, denn Eisler berichtet in einem Brief an das Ehepaar Joachim und Sylvia Schumacher vom 4. Mai 1939, daß er seinen Unterricht am Conservatorio Nacional „nächste Woche“ mit Übersetzer beginne. Hanns-Eisler-Archiv, Berlin. „El compositor Eisler dará un curso de perfeccionamiento.“ Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Música (arte general) 28. Mai 1939 bis 31. August 1939, México.
Erstfunde mexikanischer Dokumente zu Hanns Eislers Gastprofessur
Abbildung 2: Der deutsche Musiker Hans Eisler kann nach Mexiko kommen. Artikel in El Universal, 25. März 1939.
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Abbildung 3: Der Komponist Eisler gibt einen Perfektionskurs: Artikel in Excelsior, 3. Juni 1939.
Eisler hatte von Juni bis August 1939 eine dreimonatige Gastprofessur am Conservatorio Nacional inne, wie auch aus seinen Vorträgen hervorgeht, die beide mit dem Verweis beginnen, daß er nur 12 Doppelstunden zur Verfügung habe.16 Der Musikwissenschafter Otto Mayer-Serra veröffentlicht am 18. Juni 1939 in der Zeitung El Nacional unter dem Titel „Hanns Eisler in Mexiko“17 ein ausführliches Portrait Eislers, welches die Person und den musikalisch-politischen Werdegang detailliert der interessierten Leserschaft nahe bringt. Abschließend sei erwähnt, daß Eislers Aufenthalt in Mexiko nicht nur anhand von Dokumenten der Kurse am Konservatorium und in der mexikanischen Presselandschaft nachvollziehbar ist. Am 8. und 9. April 1939, drei Tage vor Ankunft des Ehepaars Eisler in Mexiko, singt der Bariton Mordecai Baumann im Rahmen eines Ballettabends der Tanzgruppe von Anna Sokolow im Palacio de Bellas Artes Modest Mussorgskijs Canción del amor del idiota (Lied der Liebe des Idioten) und Eislers 1930
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Im Vortrag Einführung in die moderne Harmonie sagt Eisler im ersten Absatz: „Dieser Kurs dauert nur 12 (24) Stunden [...]“, der Vortrag Moderne Instrumentierung fängt mit folgendem Satz an: „Ich habe nur 24 Stunden Zeit, [...]“, in: Eisler, Musik und Politik (Anm. 5), S. 442 und 454. Otto Mayer-Serra, Hanns Eisler en México, in: El Nacional (18. Juni 1939), Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Música (arte general) 28. Mai 1939 bis 31. August 1939, México.
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komponierten Song Canción de la oferta y de demanda (Song von Angebot und Nachfrage) aus dem Balladenbuch op. 18.18
Abbildung 4: Ankündigung des Ballettabends von Anna Sokolow vom 8. April 1939.
In einem Brief Eislers an das Ehepaar Joachim und Sylvia Schumacher vom 4. Mai 1939 erwähnt dieser unter anderem, daß er an diesem Tag am Abend im Radio sprechen wird19, eine Bemerkung, die zu vielen Spekulationen über das Wie, Wo und Was führte, aber noch kein eindeutiges Resultat in der Eislerforschung brachte. In dem Archiv der Biblioteca de las Artes in Mexiko Stadt finden sich viele Programme verschiedener Radiostationen, welche täglich in den Zeitungen abgedruckt wurden. Eisler sprach nicht in den Sendungen der regionalen Radiostationen XEXX, XEBT, XEQQ. Jedoch wird ab 13. April 1939 ein Radioprogramm mit dem Namen Hora del buen Vecino (Stunde des guten Nachbarn) vom Ministerium für Presse und Propaganda (Departamento de Prensa y Propaganda, DAPP) der Regierung Lázaro Cárdenas ins Leben gerufen. Gesendet werden Kurznachrichten aus Mexiko unter anderem mit Themenschwerpunkten aus Geschichte, Tourismus und Wissenschaft, welche auch für die amerikanischen Hörer von Interesse sind. Weitere Programmpunkte sind Interviews mit bekannten Persönlichkeiten und Musikwerke.20 Das Programm – in spanischer und englischer Sprache gesendet – wird 18
19 20
„Hoy, sábado 8, grandioso debut de Anna Sokolow y su formidable Ballet“. Konzertannonce vom 8. April 1939, Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Nr. 9 Música (arte) 15 februar de 1938 al 27 de mayo de 1939, México. Brief von Hanns Eisler an das Ehepaar Joachim und Sylvia Schumacher, 4. Mai 1939, Hanns-EislerArchiv, Berlin. Die Übertragung von „Die Stunde des guten Nachbarn“, in: El Universal (13. April 1939), Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Nr. 9 Música (arte) 15 februar de 1938 al 27 de mayo de 1939, México.
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von 23 bis 24 Uhr in der Nacht auf den staatlichen Sendern XEDP und XEXA (Kurzwelle) ausgestrahlt. In einer der ersten Ausstrahlungen spricht der amerikanische Dramaturg Clifford Odets (1906–1963), welchen Eisler in Mexiko durch Mordecai Baumann kennen lernt21, über das amerikanische Theater. Ein weiterer Gast ist die Schriftstellerin Martha Dodd (1908–1990), Tochter des Ex-Botschafters der USA in Deutschland und Autorin des Buches Por los Ojos de la Embajada (Through embassy eyes/Mit den Augen der Botschaft).22 Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass Eisler im Rahmen dieses Programms gesprochen hat, da die Stunde des guten Nachbarn jeden Donnerstag auf Sendung ging und die Zielgruppe für Eisler eine interessierte Hörerschaft nicht nur in Mexiko, sondern vor allem in den Vereinigten Staaten war. Da die technische Ausstattung der Radiostationen in Mexiko in jenen Jahren nicht über genügend Kapazitäten verfügte, die gesendeten Programme auf Tonträgern zu archivieren, erklang Eislers Beitrag an jenem Donnerstages des 4. Mai 1939 einmalig über den Äther und ist für die Nachwelt nicht erhalten geblieben.
21 22
Albrecht Betz, Hanns Eisler Musik einer Zeit, die sich eben bildet. edition text + kritik, München 1976, S. 152. Die Übertragung von „Die Stunde des guten Nachbarn“ (s. Anm. 20).
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Anhang: Brief vom 3. Jänner 1939, spanische Originalfassung Conservatorio Nacional de Música Dirección Correspondencia VII-I Proyecto para establecer en el Conservatorio Cursos Analíticos de corta duración, impatidos por especialistas en materias musicales. México D.F., a 3 de enero de 1939 Al H. Consejo de Profesores y Alumnos del Conservatorio Nacional Presente. Tengo el honor de poner a la consideración de esta H. Asamblea el siguiente proyecto que fué formulado en mis peticiones que sirvieron de antecedente al Reglamento actual, para que de aprobarse, sea llevado a la práctica. Con el objecto de favorecer la ampliación de conociemientos musicales en los campos de la técnica, crítica y estética es necesario establecer Cursos Analíticos, fuera del Plan de Estudios regular del Conservatorio cuya duración es variable y cuyo principio puede establecerse en cualquiera época del año. Estos cursos están dedicados a la especialización de las diversas ramas del arte musical y serán dictados por personas de una reconocida y auténtica personalidad musical. Para que estos cursos puedan realizarse en el caso de tratarse de artistas y maestros extranjeros, debe gestionarse con el Estado el traslado de los mismos y la garantía económica necesaria en su estancia en el país. Además, tratándose del punto de vista general, puede abrirse en el Conservatorio la inscripción correspondiente, estableciendo cuotas generales y especiales para alumnos del mismo Plantel, de tal manera que ésta contribución venga a resolver parte de la situación económica del sustentante. En vista de la importancia de estos Cursos Analíticos, es de esperarse que tanto los alumnos del Conservatorio como los de otras Facultades y Escuelas, así somo los de las Academias Particulares ingresen a ellos, y de esta manera sea el Conservatorio un Centro de amplia especulación y divulgación musical. Próximamente daré los nombres de aquellas personas que en mi concepto deben figurar como sustentantes para la debida aprobación, tanto del Consejo como la de todos los organismos interesados en este problema. Atentamente. El Director. Dr. Adalberto García de Mendoza
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Brief vom 3. Jänner 1939, deutsche Übersetzung Projekt zur Einführung von analytischen Kursen kurzer Dauer am Konservatorium, gehalten von Spezialisten in musikalischen Fächern. Mexiko, 3. Jänner 1939 An die verehrte Versammlung der Professoren und Schüler des nationalen Konservatoriums Persönlich. Ich habe die Ehre, dieser Versammlung das folgende Projekt zu unterbreiten, welches von mir bereits in vorhergehenden Gesuchen vorgestellt wurde, um es zu approbieren und in die Praxis umzusetzen. Mit dem Ziel der Erweiterung des musikalischen Wissens auf dem Gebiet der Technik, Kritik und Ästhetik ist es notwendig, analytische Kurse außerhalb des regulären Stundenplanes des Konservatoriums einzuführen, deren Dauer variabel ist und deren Beginn auch unter dem Jahr stattfinden kann. Diese Kurse sollen der Spezialisierung der verschiedenen Zweige des Musikstudiums dienen und werden von anerkannten Musikerpersönlichkeiten gehalten werden. Damit diese Kurse realisiert und von ausländischen Professoren und Künstlern gehalten werden können, müssen Verhandlungen mit der Regierung aufgenommen werden, um die Einreise zu ermöglichen und die notwendige wirtschaftliche Basis für den Aufenthalt der Vortragenden zu gewährleisten. Weiters können Inskriptionsgebühren von den Studenten für diese Kurse eingehoben werden. Diese Einnahmen können zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Vortragenden beitragen. Auf Grund der großen Bedeutung dieser Kurse werden nicht nur Studenten des Konservatoriums teilnehmen, sondern auch Schüler anderer Fakultäten, wodurch sich das Konservatorium zu einem wichtigen musikalisches Zentrum entwickelt. Bald werde ich die Namen jener Personen bekannt geben, die laut meinem Konzept für die Kurse in Frage kommen, um sie dem Rat und den interessierten Institutionen zur Approbation vorzulegen. Dr. Adalberto García Mendoza, Direktor Brief vom 24. März 1939, spanische Originalfassung Dependencia Conservatorio Nacional de Música Sección Dirección Mesa Correspondencia Número del oficio 649/692 Expediente VII-I Asunto Relacionado con la opinión sobre la conferencia que sustentó el suscrito México D.F., 24 de marzo de 1939 Profesor
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Manuel M. Ponce Presente Estimado y fino amigo: He tenido el placer de enviarle a usted la versión taquigráfica de la conferencia que sustenté el día 23 de la actual en nuestro Conservatorio. Apreciando su justa reputación como maestro y artista, le rogaría me diera su parecer sobre dicha conferencia con el objeto de palpar la importancia que ésta pueda tener en el momento actual de nuestra Instutución. Con las gracias y los saludos del amigo, me repito su afectísimo y seguro servidor. El Director Dr. Adalberto García de Mendoza (Rückseite des Briefes) H. Consejo de Profesores: Refiriéndome al Proyecto presentado por mí el 3 de enero del presente año sintéticamente expuesto en los motivos del nuevo Reglamento y Plan de Estudios del Conservatorio, y que se refiere al establecimiento de Cursos Sintéticos desarollados por especialistas de reconocida personalidad artística, me permito someter a esta H. Asamblea tres casos que llenan todas las caracteristicas necesarias para obtener el éxito debido: crítico de fama mundial. El primero se refiere al Señor Adolfo Salazar, que dara un Curso sobre los Caracteres Fundamentales de la Historia de la Música y la naturaleza específica de la crítica musical. Este curso dara principio en el mes de junio y no costará nada al Conservatorio en vista de que el citado crítico ha sido pensionado por el Gobierno y la Casa de España en México. En su oportunidad se enviará el programa respectivo al Conservatorio y podremos tomar este curso como desarollo del tercer año de Historia de la Música, tal como lo establece nuestro plan de estudios. El segundo caso se refiere al Sr. Hans Eisler [mit einem „n“ im Original geschrieben; AT], profesor de los conservatorios de Viena y Nueva York y discípulo de Arnold Schoember [Schönberg; AT] que impartirá un curso de armonía contemporánea, para explicar las tendencias que el mismo Schoember ha impuesto a la cultura musical contemporánea. Facilitada la entrada del citado maestro al país, es de esperarse que en vista de su personalidad y de la importancia que tiene su enseñanza, la subscripción a su Curso sea resforzada por el Gobierno. El tercer caso se refiere a la Srita. de fama también universal que puede venir de Nueva York a impartir conocimientos de Composición moderna y que el Gobierno ya entabla las relaciones necesarias para darle la facilidad de venir y garantizar su estancia en el país. Según las condiciones en que venga dicha dama, la Dirección propondrá lo conducente al financiamiento de sus enseñanzas. Tan pronto como tenga datos seguros sobre la posibilidad de traer a otras personalidades al país con el objeto de que impartan esos Cursos Analíticos, iré informando a esta H. Asamblea de tales actividades para que con toda anticipación sea autorizado para llevar a efecto las negociaciones conducentes. Atentamente.
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Brief vom 24. März 1939, deutsche Übersetzung Betreff: Bezüglich Ihrer Meinung über mein Gesuch Sehr geehrter Freund: Ich habe die Freude, Ihnen eine maschinschriftliche Abschrift des Projektes zu schicken, welches ich am 23. dieses Monats im Konservatorium hielt. Ich bitte Sie auf Grund der Wichtigkeit des Gesuches um Ihre persönliche Meinung. Der Direktor Dr. Adalberto García de Mendoza (Rückseite des Briefes) Rat der Professoren: Bezug nehmend auf das Projekt der Einführung von analytischen Kursen von kurzer Dauer, gehalten von Gastprofessoren, vorgestellt laut neuem Gesetz und Studienplan des Konservatoriums am 3. Jänner dieses Jahres, erlaube ich mir, dieser Versammlung drei Vorschläge zu unterbreiten, welche die Voraussetzungen erfüllen, den gewünschten Erfolg zu erzielen: Der erste bezieht sich auf Herrn Adolfo Salazar, welcher Kurse über Musikgeschichte und Musikkritik halten wird. Dieser Kurs soll Anfang Juni stattfinden. Für das Konservatorium fallen keine Kosten an, da Herr Salazar von der Regierung und dem Casa de España in Mexiko eingeladen wird. Herr Salazar wird zum gegebenen Zeitpunkt das Programm dem Konservatorium bekannt geben und der Kurs kann als dritter Teil der Musikgeschichte laut Studienplan angerechnet werden. Der zweite Vorschlag bezieht sich auf Herrn Hanns Eisler, Professor der Konservatorien in Wien und New York und Schüler von Arnold Schönberg, welcher einen Kurs über Moderne Harmonie halten wird, um die Tendenzen zu erklären, welche Schönberg in die zeitgenössische Musik eingeführt hat. Auf Grund der Hilfe seitens der Regierung bezüglich seiner Einreise, und auf Grund der Wichtigkeit seiner Person und der Bedeutung des Kurses, kann eine Unterstützung für diesen Kurs von Seiten der Regierung erwartet werden. Der dritte Vorschlag bezieht sich auf eine Dame, ebenfalls von internationalem Ruhm, welche von New York kommen kann, um einen Kurs über Moderne Komposition zu halten. Die Regierung hat schon mit dem Prozeß, um eine Einreisebewilligung und der Aufenthaltserlaubnis in diesem Land zu ermöglichen, begonnen. [händisch auf der Seite mit Bleistift notiert: Nadia Boulanger; AT]. Je nach den Gegebenheiten, wird die Direktion die Finanzierung dieses Kurses durchführen. Sobald ich genauere Daten über weitere Personen habe, um diese ins Land zu bringen, damit sie analytische Kurse halten, werde ich die Versammlung informieren, um eine rechtzeitige Approbation zu erhalten. Hochachtungsvoll.
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Seite 5 des Vortrages Moderne Harmonie, spanische Originalfassung (Wachsmatrizenabzug der spanischen Version mit drei Notenbeispielen) Ejemplo XIII Muchas veces encontramos acordes de cuatro sonidos, formados por tonos enteros, que tiene el efecto de un acorde de segunda, como por ejemplo en la òpera Pelleas y Melisande de Debussy: Ejemplo XIV La utilización exagerada de la escala por tonos enteros y sus armonías produce en la música un carácter mórbido, confuso, blando, que hoy día está rechazado, y con toda razón, como un elemento ecléctico, puesto que irrecusablemente nos recuerda e imita el estilo de Debussy. Pero a parte de este eclecticismo, encontrarán Udes. en las partituras de los mejores maestros modernos las pruebas suficientes para el inmenso enriquecimiento de la escritura musical, producido por la aplicación de los tonos enteros a las escalas y la armonía. Este es el caso particularmente en las figuraciones como la siguiente: Ejemplo XV o por una utilización de acordes de seis sonidos en movimiento contrario y numerosísimas otras combinaciones. Una de las combinaciones más frecuentes es la de acordes formados por tonos enteros con acordes de novena alterados. Seite 5 des Vortrages Moderne Harmonie, deutsche Übersetzung Notenbeispiel XIII Sehr oft finden Sie vierstimmige Ganztonakkorde, die eine Sekundakkord-Wirkung haben. Sie werden sich vielleicht an Pelleas und Melisande von Debussy erinnern. Notenbeispiel XIV Eine übertriebene Verwendung der Ganztonskalen und deren Harmonik erzeugt in der Musik einen morbiden, verschwommenen, weichlichen Charakter, der mit Recht heute als eklektisch abzulehnen ist, da er ja unweigerlich Debussy nachahmt. Aber abgesehen von diesem Eklektizismus finden Sie in den Partituren der besten modernen Meister Beweise genug, wie sehr uns die Ganztontechnik bereichert hat. Besonders in Figurationen wie der folgenden: Notenbeispiel XV oder durch eine Verwendung der sechsstimmigen Akkorde in Gegenbewegung und unzählige andere Kombinationen. Eine sehr häufige ist eine Kombination von Ganztonakkorden mit alterierten Nonakkorden. Erste Stunde der Vorlesung Moderne Instrumentierung, spanische Originalfassung (drei maschinschriftliche Seiten der spanischen Version) Instrumentación Contemporánea Curso a cargo del Prof. Hanns Eisler
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Conservatorio Nacional de Música de México Junio de 1939 Primera Clase Solamente tengo unas 24 lecciones para explicarles algunos hechos fundamentales sobre el arte de la instrumentación. Ante todo quiero preguntarles a los aquí presentes sobre su preparación en este terreno para poder ajustarme a los deseos y las necesidades de mi auditorio. Creo que el camino más razonable para llegar a la compenetración con nuestra materia será el de analizar algunas partituras modernas con ayuda del disco. La primera lección, no obstante, la quiero utilizar para darles una introducción general en algunos de los problemas básicos de la instrumentación. Ante todo debo insistir en el hecho de que no existe una técnica de la instrumentación, independiente de la composición musical. Instrumentar bien quiere decir saber componer. Este hecho debe ser considerado como una de las verdades fundamentales sobre el problema en cuestión, lo que no quiere decir, como es natural, que no haya exepciones en este terreno. El conociemiento de la orquesta y de la orquestación es, muy a menudo, cuestión de experiencia. Hay pues gente con más o menos experiencia. Al mismo tiempo existe la tarea del arreglo, es decir la transformación de una pieza originariamente escrita para un instrumento determinado en una pieza para orquesta. Pero este proceso de transformación esta siempre relacionado íntimamente con un trabajo de compositor. Todo lo demás no significa nada más que una coloración mala, superficial y banal. Ejemplos de tal coloración repugnante en nuestro tiempo los constituyen por ejemplo los arreglos desgraciadamente sosos que hizo Stokovski de algunas obras de Bach y que incluso han sido imitados lamentablemente por otros directores de orquesta contemporáneos. Al hablar en los sucesivo de instrumentación me refiero pues a una instrumentación contemporánea, es decir a una instrumentación adecuada a nuestra época y nuestro sentir musical moderno. Lo que nosotros hoy queremos es: claridad, trabajo limpio, vigor y, al mismo tiempo, delicadeza. Lo que rechazamos es una coloración hinchada de la materia sonora, lo que preferimos hoy es una instrumentación que hace conservar a los instrumentos su carácter de solista, en vez de su mezcla pastosa muy corriente en el siglo pasado. Tomemos por ejemplo el efecto de un tema tocado por corno, violoncello, corno inglés y fagot. El resultado sería un efecto sonoro espeso y al mismo tiempo, dulzarrón. Hoy día apenas escribiríamos un tema musical para tal conjunto o lo haríamos exclusivamente en ocasiones determinadas. Este modo de orquestación estaba a su apogeo, por ejemplo, en la obra de Wagner donde fue realizado con mano maestra y correspondió al modo de escritura musical del maestro de Bayreuth. Nuestros actuales metodos de composición, al contrario, han de ser ante todo de absoluta claridad, de un trabajo limpio y basados en la sinceridad.
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Sin duda alguna los diferentes estilos de instrumentación provienen forzosamente de determinados métodos de composición. No obstante hay ciertas experiencias generales que, a través de los siglos, no han perdido su valor. Cuando un compositor trabaja por ejemplo con un material motívico de gran plasticidad y una determinada manera de acompañamiento como la del estilo homófono, se beneficiará de las siguientes reglas: la presentación del tema deberá diferenciarse muy acusadamente de su acompañamiento. Cuando el tema, en este caso se presenta de manera muy legato, su acompañamiento se escribirá preferentemente en un nonlegato o staccato, o sea al reves: el tema staccato, el acompañamiento legato. Esta es una verdad muy sencilla que naturalmente no hay que aceptar de un modo mecánico. Pero al examinar las partituras de principiantes, se fijarán ustedes prontamente en toda una seria de típicas confusiones, provocadas precisamente por la negligencia y el desconocimiento de tales experiencias sencillas del oido musical. Por otra parte, la aplicación de estas reglas no les garantiza una buena instrumentación. Sin embargo servirá de todos modos de base para un trabajo limpio y sincero lo que ya significa mucho para un principiante. Otra experiencia de la música clásica guarda igualmente aun hoy en día toda su utilidad. Cada grupo de instrumentos debe constituir en si mismo un conjunto perfecto de sonoridad, aparte de su efecto sonoro dentro del conjunto de los demás grupos instrumentales. Esta definición de un carácter algo esquemático corresponde exactamente a la sonoridad de una partitura de Beethoven. También en este caso les aconsejo no aplicarla de un modo meramente mecánico. Su beneficio para el principiante es vidente. No le garantiza de ninguna manera una instrumentación genial – mas bien todo lo contrario -, pero ayuda a conseguir cierta seguridad en el efecto sonoro, lo que ya significa mucho para un principiante. La tercera de nuestras verdades fundamentales en este terreno – no la menos curiosa – es el hecho de que un oboe, por ejemplo, o una trompeta no constituyen abstracciones, sino que representan en la mayoría de los casos a un padre de familia con lóbulos del pulmón. Con otras palabras: Udes. le pueden exigir lo que quieran; pero sus exigencias deben tener un sentido y ser ejecutables. Un músico medio ambisioso no se espantará con unas dificultades técnicas, pero sí con arbitrariedades, exigencias faltas de sentido lógico, casualidades e ideas musicales solamente a medio realizadas. Dispongan Udes. pues las voces instrumentales de sus partituras de tal modo que sean interesantes para el ejecutante, que éste siempre sepa exactamente en que instrumento se halla realizada la idea musical principal y cuando él tiene que situarse en segundo plano. Ni en el caso de observar todas estas reglas se convertirán ustedes en instrumentadores geniales, pero habrán conseguido lo que ya significa mucho: una cierta transparencia del efecto sonoro. Otra de nuestras verdades fundamentales: no aspiren ustedes a conseguir efectos que no provienen necesariamente del estilo de la composición misma. No toda la pieza debe ser a toda costa ejecutada con sordina, ni tampoco debe ser siempre
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brillante. No todos los pasajes han de ser “interesantes”. Un tema musical que no haya sido bien construido, no mejora cuando se ejecuta de manera “interesante” o desfigurada. Lo más importante en una partitura son las indicaciones dinámicas. Piano – forte – staccato – nonlegato estas y parecidas indicaciones constituyen los secretos de una instrumentación verdaderamente buena. Además, un conocimiento general de todos los instrumentos, si puede ser la práctica en algunos de ellos, son de grandísimo beneficio para el compositor. El conocimiento de las diferentes maneras de usar el arco, como: arco – arriba – arco abajo – staccato leve – spiccato – etc. es indispensable y exige un estudio cuidadosísimo. Esas son, pues, algunas de las reglas generales de nuestra experiencia en materia de instrumentación. En lo sucesivo trataremos de ampliar nuestros conocimientos sobre la instrumentación moderna por medio de un análisis cuidadoso de algunas obras maestras del repertorio musical. Erste Stunde der Vorlesung Moderne Instrumentierung, deutsche Übersetzung Abbruch der deutschen Version bei:23 Sie garantiert ihm keineswegs eine geniale Instrumentierung – eher das Gegenteil, aber es läßt sich eine gewisse Sicherheit des Klanges... erzielen, was schon viel für einen Anfänger bedeutet. Die dritte unserer fundamentalen Erkenntnisse auf diesem Gebiet – und zwar keine Unbedeutende – ist die Tatsache, daß zum Beispiel eine Oboe oder eine Trompete keine Abstraktionen sind, sondern meistens von einem Familienvater mit Lungenflügeln repräsentiert werden. Mit anderen Worten: Sie können fordern was sie wollen, aber Ihre Forderungen müssen Sinn ergeben und durchführbar sein. Ein halbwegs interessierter Musiker wird sich nicht von einigen technischen Schwierigkeiten abschrecken lassen, sehr wohl aber von Willkür, Forderungen ohne logischen Sinn oder Einfälle und musikalische Ideen, welche nur zur Hälfte ausgeführt wurden. Fügen Sie also die instrumentalen Stimmen der Partituren so zusammen, daß sie für den Ausführenden interessant sind und daß dieser immer exakt weiß in welcher Stimme sich die Hauptmelodie befindet und wann er eine begleitende Funktion einzunehmen hat. Auch wenn sie alle diese Regeln beachten, werden Sie sich nicht in einen genialen Instrumentierer verwandeln, aber Sie werden eine gewisse Transparenz des klanglichen Effekts erreicht haben, was schon viel bedeutet. Eine andere fundamentale Wahrheit: streben sie keine Affekte an, die nicht vom Stil der Komposition ausgehen. Weder muß das ganze Stück unbedingt mit Sordino ausgeführt werden, noch muß es immer brillant sein. Nicht alle Abschnitte müssen 23
Eisler, Musik und Politik (Anm. 5), S. 454–455.
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„interessant“ sein. Ein musikalisches Thema das nicht gut gebaut ist, wird nicht besser, wenn es auf „interessante“ Art ausgeführt oder verarbeitet wird. Das Wichtigste in einer Partitur sind die dynamischen Anweisungen. Piano – forte – staccato – nonlegato. Solche und ähnliche Anweisungen beinhalten die Geheimnisse einer guten Instrumentierung. Dieses sind einige generelle Regeln auf dem Gebiet der Instrumentierung. In den nächsten Stunden werden wir versuchen, unser Wissen über die moderne Instrumentierung durch die eingehende Analyse einiger Meisterwerke des musikalischen Repertoires zu vertiefen. Bibliographie: Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976. Ders., Música, cinematografía, música fílmica. Hanns Eisler en México 1939–1940, in: México, el exilio bien temperado, Renata von Hanffstengel / Cecilia Tercero Vasconselo (Hg.), Mexiko 1995. Fatima Christlieb Fernandez, La radio mexicana centro y regiones, Mexiko 2003. Fritz Hennenberg, Hanns Eisler[.] mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten […], Hamburg 1987. Hartmut Krones, Musikalische Semantik in „finsteren Zeiten“. Altes und Neues in Eislers Liedschaffen, in: Österreichische Musikzeitschrift 53 (1998, 7–8), S. 33–41. Dan Malström, Introducción a la música mexicana del siglo XX, Mexiko 1977. Günther Mayer, Hanns Eisler – Musik und Politik – Schriften 1924–1948. (= Serie 3: Schriften und Dokumente, Bd. 1, Textkritische Ausgabe von Günter Mayer), Leipzig 1973. Fernando Mejia Barquera, La industria de la radio y la televisión y la política del estado mexicano, Mexiko 1989. Jürgen Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil. Zu den politischen, ästhetischen und kompositorischen Positionen des Komponisten 1938–1948, Berlin 1978. Gonzalo Vazquez Vela, Memoria de la Secretaría de Educación Pública Septiembre de 1928 Agosto de 1939 Presentada al H. Consejo de la Unión por el C. Secretario del Ramo Lic. Gonzalo Velazques Vela, Tomo II, Mexiko 1939. Zeitungsartikel: Música (arte general) 28. Mai 1939 bis 31. August 1939, Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Mexiko. Música (arte) Nr. 9, 15. Februar 1939 bis 27 Mai 1939, Fondos Especiales, Biblioteca de las Artes, Mexiko.
ROBERTO KOLB (México, D. F.)
Hanns Eisler, Silvestre Revueltas und die mexikanische Kampfliedkultur Wenn man einige der Kampflieder des Komponisten Silvestre Revueltas hört, so fällt sofort eine Verwandtschaft zu denen Hanns Eislers auf, und man ist gedrängt, über einen möglichen direkten Einfluß des Österreichers auf den Mexikaner zu spekulieren. Diese Verwandtschaft ist allerdings keiner persönlichen Vertrautheit zwischen beiden Komponisten zuzuschreiben. Alles deutet darauf hin, daß Revueltas Eisler erst nach Abfassung seiner Lieder kennenlernte (ein Jahr vor seinem Tod im Jahre 1940). Ein erstes Zusammentreffen mit Eislers Musik muß also in Mexiko stattgefunden haben – sicherlich durch veröffentlichte Sammlungen von Kampfliedern, die offenbar unter den Studenten des Nationalen Konservatoriums zirkulierten, an dem Revueltas Geige unterrichtete.1 Eine weitere Bekanntschaft mit Eislers Kampfliedern ergab sich auf seiner Reise ins republikanische Spanien, wo er mit dem katalanischen Musikwissenschaftler Otto Mayer-Serra Kontakt gehabt zu haben scheint, dem Herausgeber eines revolutionären Liederbuchs, in dem mehrere Kampflieder Eislers und eines von Revueltas selbst enthalten sind.2 Im Gegensatz zu Eisler hat Revueltas nur einige wenige dem Genre des Kampflieds zuzurechnende Partituren verfaßt – eigentlich nur drei, wie wir sehen werden. Während jener mit Wort und Musik die deutschen politischen Organisationen intensiv begleitete, beschränkte sich Revueltas im Grunde aufs Komponieren und wich organisierter und aktiver politischer Tätigkeit in seiner unmittelbaren Umgebung aus.3 Auch wenn das Werk beider Komponisten zutiefst politisch ist, so unterscheidet es sich doch in der Form des musikalischen und sozialen Ausdrucks dieser Qualität. Wel1
2 3
Unter den jüngst digitalisierten Dokumenten aus dem persönlichen Archiv Silvestre Revueltas’ fand sich das Programm eines 1935 von Schülern aus dem „3. Jahrgang der Solfeggier- und Chorgesangsklasse Prof. Pomar“ gegebenen Konzerts, bestehend aus Frente único (Einheitsfront), ein von Pomar selbst verfaßtes Kampflied, ¡Adelante la juventud! (Vorwärts die Jugend!) von P. Arma, Scottsborough Boys von L. E. Swift, Canto de protesta (Protestlied) aus der Sammlung L. Gallerts und zum Beschluß des Konzerts Komintern von Hanns Eisler. Eisler und Revueltas sind in Spanien nicht zusammengetroffen. Eisler besuchte das Land im Jänner 1937, während Revueltas seine Reise Ende Juni desselben Jahres antrat. Von Revueltas gibt es nur wenige Schriften. Im Unterschied zu Eisler hat er keine Texte über Politik und Musik verfaßt. In der Regel handelt es sich um Presseartikel, in denen die Arbeitssituation der Musiker angeprangert wird. Hervorzuheben ist auch die Veröffentlichung von Lobreden auf mexikanische Komponisten in der Presse, darunter auf zwei für die mexikanische Musikszene relativ unbedeutende, die allerdings der militanten Linken angehörten: den schon erwähnten José Pomar und den Ukrainer Jakob Kostakowsky, die eine wichtige Rolle für die Sammlung und Komposition politischer Musik spielten. Wie wir später sehen werden, betätigte Revueltas sich politisch nur außerhalb von Parteien – vor allem als kultureller Aktivist innerhalb des Bundes Revolutionärer Schriftsteller und Künstler (Liga de Escritores y Artistas Revolucionarios, LEAR) sowie im Rahmen der Initiativen internationaler Solidarität gegen den Faschismus und für die Sache der spanischen Republik.
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chen Stellenwert hat also die erwähnte Ähnlichkeit? Wie weit trägt die Parallele und von welchem Punkt ab gilt es, auch die Unterschiede anzumerken? Zweifellos gibt es Übereinstimmungen in der künstlerischen und politischen Persönlichkeit beider sowie aus gemeinsamen politischen und kulturellen Umständen – dem kommunistischen Internationalismus – sich herleitende Zufälle, die die anregende Beziehung erklären. Allerdings bilden diese Umfelder, das persönliche und das kulturelle, auch die Grundlage für die Herausbildung ihrer spezifischen Differenz. Möge diese parallele Interpretation dazu dienen, ein wenig mehr über beide Komponisten zu erfahren. Vor Beginn unserer Untersuchung sollten wir die Spuren gegenseitiger Vertrautheit zwischen beiden Musikern und in ihrer Musik prüfen. Bis vor kurzem wußte man nur insofern von der Beziehung zwischen beiden Komponisten, als Revueltas sich darum bemüht hatte, daß Eisler 1939 einige Vorträge im Nationalen Musikkonservatorium halten konnte.4 (Vor der Gefahr, aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen zu werden, hatte Eisler in Mexiko Zuflucht gesucht, einem damals von einem sozialistischen Präsidenten – General Lázaro Cárdenas – regierten Land.) In diesen Vorträgen erwähnt Eisler übrigens Revueltas, was auf eine gewisse Kenntnis seiner Musik schließen läßt. Revueltas rühmt seinerseits Eisler im Rahmen einer Lobeshymne auf seinen Konservatoriumskollegen, den Pianisten und Komponisten José Pomar, in der Tageszeitung El Nacional.5 Auf den ersten Blick erscheinen die gegenseitigen Lobsprüche etwas hohl; denn Revueltas’ Musik war 1939 nur noch selten zu hören, aus dem Repertoire des Symphonieorchesters Mexikos war sie durch Carlos Chavez (ursprünglich sein Freund und Förderer, nun sein Verleumder) verdrängt worden; er widmete sich damals fast ausschließlich dem Schreiben von Musik für den sich langsam entwickelnden kommerziellen mexikanischen Film;6 und auch Eislers Kompositionen waren in Mexiko nicht über die Linke in Konservatorium und Gewerkschaften hinaus bekannt geworden und im mexikanischen Musikleben wenig präsent. Dennoch gibt es Fakten, die auf etwas mehr als eine nur zufällige Begegnung schließen lassen. Ein Hinweis auf eine mögliche Bekanntschaft ist einem Bericht des oben erwähnten Mayer-Serra zu entnehmen, der 1939 zusammen mit einer sehr zahlreichen Gruppe republikanischer Intellektueller nach Mexiko emigriert war. In der Zeitschrift Romance bespricht Mayer-Serra Revueltas’ jüngste Werke und deren Aufführungen.7 Unter anderem nennt er die Fünf Kinderlieder und zwei weltliche Lieder (1938, die ersteren zu Texten García Lorcas), die mit „riesigem Erfolg“ bei einem von Konservatoriumsstudenten veranstalteten Konzert uraufgeführt wurden. „Kurz danach“, schreibt er, 4 5
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Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 152. Ausgabe vom 18. Jänner 1938. Mit Bezug auf Pomar meint er: „Seine Arbeit gleicht der eines Hanns Eisler. Hanns Eisler ist in der ganzen Welt anerkannt.“ Und vermutlich mit Blick auf die konservativen Kritiker fährt er fort: „Sogar ihr, die Stümper, kennt ihn!“ Hiezu siehe neuerdings Antonia Teibler-Vondrak, Silvestre Revueltas. Musik für Bühne und Film (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 6), Wien–Köln–Weimar 2011. Zeitschrift Romance, Jg. 1, Nr. 1, S. 15, Mexiko, Februar 1940.
Hanns Eisler, Silvestre Revueltas und die mexikanische Kampfliedkultur
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„wurde dieses Konzert wiederholt, zusammen mit Revueltas’ ‚Homenaje a Federico García Lorca‘ für Kammerorchester und der Filmmusik-Suite zu ‚Pete and his Cousins‘ [1939] von Hanns Eisler. [Dieses Konzert war bestimmt für] eine Sendung namens ‚Hora del Buen Vecino‘ [Stunde des guten Nachbarn] der DAPP (Departamento Autónomo de Prensa y Publicidad del Gobierno de México [Unabhängige Presse- und Werbeabteilung der Regierung Mexikos]), die nordamerikanische Hörer ansprechen sollte.“
Leider ist diesem Bericht nicht zu entnehmen, ob Eislers Musik tatsächlich aufgeführt und vielleicht sogar von Revueltas selbst dirigiert oder aber – wie der deutsche Musikwissenschaftler Tobias Faßhauer meint – eher in Gestalt einer damals schon existierenden Schallplattenaufnahme ausgestrahlt wurde.8 Auch wenn es kein Beweis ist, so legt das Vorkommen von „Pete“ in diesem Zusammenhang Vertrautheit und gegenseitigen Umgang zwischen beiden Komponisten nahe. Schließlich ist die Aufnahme eines Werkes Eislers in eine nationale Propagandasendung sehr auffallend und läßt sich wohl nur als politische Aussage im Sinne der Unterstützung eines von den USA verfolgten und nach Mexiko geflohenen Komponisten erklären. Es ist nicht abwegig zu vermuten, daß Revueltas hinter dieser Initiative stand. Sehr wenig weiß man über die Kontakte, die Eisler in der kurzen Zeit – fünf Monaten – seines Asyls in Mexiko zu mexikanischen Musikern knüpfte. Solche Kontakte hat es allerdings gegeben: Faßhauer hat ein Notizbuch aus dieser Zeit ausfindig machen können, das Telephonnummern und Adressen enthält, die nicht nur zu Revueltas, sondern auch zu den Komponisten Luis Sandi, Jakob Kostakowsky und José Pomar führen – alle der mexikanischen Linken zugehörig und die beiden Letztgenannten eifrige Verfasser und Herausgeber von Kampfliedern. Insbesondere die Gestalt Pomars bringt uns auf die Präsenz von Eislers Musik in Mexiko. Er war Herausgeber mehrerer Büchlein mit revolutionären Liedern, darunter einigen des Wieners.9
Abbildung 1: Pomars Kampfliederbüchlein. 8 9
Mündliche Mitteilung Tobias Faßhauers. Eine oberflächliche Suche in der Liederbuchsammlung des Archivs Pomar förderte fast ein Dutzend Lieder Eislers zutage, einige der bekanntesten mehrmals, wie etwa Komintern, Einheitsfrontlied und Solidaritätslied.
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Über die Verwendung und gesellschaftliche Wirkung dieser Veröffentlichungen ist wenig bekannt. Eine umfassende Untersuchung über das „Kampflied“ als kulturelle Erscheinung in Mexiko steht noch immer aus. In unserem Zusammenhang lassen sich als Hintergrund zu den politischen Kompositionen von Pomar, Kostakowsky und Revueltas nur einige allgemeine Hinweise geben. Von den drei Genannten war nur Pomar aktives Mitglied der Mexikanischen Kommunistischen Partei (PCM), und seine Arbeit als Sammler, Übersetzer und Bearbeiter revolutionärer Lieder steht vermutlich im Zusammenhang mit der Propagandaarbeit der Partei. Gegenüber den aus der mexikanischen Revolution hervorgegangenen Regierungen ist die 1919 gegründete PCM immer eine kleine Partei mit geringer Repräsentanz unter den Arbeitermassen geblieben. Das erklärt sich zum Teil dadurch, daß sie fast immer im Untergrund bleiben und beträchtliche Repressalien erdulden mußte. Ihre Diskriminierung ist ferner als Ergebnis des Korporatismus eines monopolistischen und autoritären Staates zu verstehen, der eine sehr wirksame Kontrolle über den Sektor der Bauern und Arbeiter ausübte und deren Führungskader in seine Machtstrukturen integrierte. Paradoxerweise – oder auch nicht – hatte der Diskurs dieser Gewerkschaften und der Regierung einen gemeinsamen, stark linksorientierten Einschlag, demgegenüber die politische Identität der PCM zu verschwinden drohte. Dasselbe geschah, als mit dem Machtantritt des Sozialisten Cárdenas die Partei legal wurde und sich mit der Regierung im Rahmen einer Volksfrontpolitik verbündete. Auch wenn ihre Reihen von da an schnell wuchsen, so führte doch möglicherweise die Schwierigkeit, ihre politische Plattform von der des populären Cárdenas zu unterscheiden, letzten Endes zu einer ernsthaften Schwächung der Partei. Es ist diese Etappe, die uns hier interessiert, da sie mit Eislers Reise und der Abfassung der Kampflieder Revueltas’ und Kostakowskys zusammenfällt. Was diese Partituren atmen, ist eben der Geist des Bündnisses mit der regierenden Macht, d. h. „sich dieser nicht zu widersetzen“. Es genügt, den Präsentationszusammenhang der politischen Musik Kostakowskys zu prüfen, um sich ihrer offiziellen Einbindung bewußt zu werden. Lediglich zwei Werke, Guerra a la guerra. Canto de masas de lucha antiimperialista (Krieg dem Kriege. Antiimperialistisches Massenlied) von 192610 und Protesta (Protest) von 1928, scheinen in die Zeit zu passen, in der die Partei eine echte Agitations- und Bewußtseinsbildungsrolle erfüllte. Der Rest wurde für alle möglichen, ganz offenkundig von der Cárdenas-Regierung organisierten politischen Veranstaltungen geschrieben, auch wenn verschiedene unabhängige politische und gewerkschaftliche Organisationen beteiligt waren. Dies ist das Umfeld, in dem sich auch Revueltas bewegt. Er begibt sich unter den Schutz des Bundes Revolutionärer Schriftsteller und Künstler der „Liga de Escrito10
Guerra a la guerra (Krieg dem Kriege), ein „Lied für Massen“ für Singstimme, Trompete und Marschtrommel, wurde am 26. Februar 1926 im Rahmen eines Antiimperialistischen Kongresses mit Unterstützung durch die „Abend-Kunstschulen für Werktätige Nr. 1, 2 und 3“ uraufgeführt. Vgl. Olga Picún (Hg.), Archivo Musical Jacobo Kostakovsky, in: UNAM, Instituto de Investigaciones Estéticas, Vol. XXVIII, núm. 88, México D. F. 2006, S. 95. Leider ist der in diesem Institut gelagerte Nachlaß José Pomars noch nicht katalogisiert.
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res y Artistas Revolucionarios“ (LEAR), einer Organisation von der PCM nahestehenden, ihr aber nicht notwendig angehörenden Intellektuellen. Gegenüber der Regierung Cárdenas verfolgt die LEAR eine Politik kritischer Zusammenarbeit. Bei deren politisch-kulturellen Veranstaltungen sind möglicherweise einige von Revueltas’ Kampfliedern aufgeführt worden. Weitere Lieder schreibt er aus Solidarität mit den republikanischen Kämpfern Spaniens. Die Regierung Cárdenas unterstützte die Republikaner nicht nur politisch und mit Waffen, sondern gewährte auch Tausenden von ihnen nach dem Scheitern ihres Kampfes Asyl. Auch in diesem Bereich stimmen die Interessen des fortschrittlichen mexikanischen Staates mit den linken Überzeugungen Revueltas’ überein. Die LEAR intendierte letztendlich ein Programm musikalischen Aktivismus’. Eine Anzeige in der Zeitschrift Frente a Frente, dem offiziellen Organ dieses hauptsächlich von Mitgliedern der Mexikanischen Kommunistischen Partei getragenen Vereins, bezeugt, daß die Organisation zumindest den Anspruch einer revolutionären Musikkultur für Mexikos Arbeiterklasse erhob. In dem Inserat ruft die LEAR die „Arbeiter und Arbeiterinnen“ auf, in „unsere Sektion Gesang und Musik“ einzutreten und eigene „Corridos und proletarische Lieder“ einzusenden.11 Dabei überraschen vor allem die „proletarischen Lieder“, weil es in Mexiko, im Gegensatz zu Europa, keine entsprechende Tradition gab. Und es konnte sie auch nicht geben, weil tatsächlich kein echtes Proletariat existierte. Auch wenn bis jetzt keine Untersuchung zu diesem Versuch einer Nachahmung des europäischen Vorbilds vorliegt, kann man doch sein Scheitern annehmen – wenigstens wenn man davon ausgeht, was mit den gleichartigen Experimenten politischen Aktivismus’ unter Muralisten und Graveuren geschah. Octavio Paz hat dazu festgestellt: „Das Nichtvorhandensein eines starken Proletariats oder einer sozialistischen Bewegung von Bedeutung – das heißt, der fehlende Bezug zwischen gesellschaftlicher und geschichtlicher Wirklichkeit und der Malerei, die sie auszudrücken suchte – verlieh dem Muralismus Riveras, Siqueiros’ und anderer einen fatal unglaubwürdigen Charakter.“12
Es ist gut möglich, daß dieser Abgrund zwischen Wirklichkeit und Diskurs Revueltas’ Desinteresse nicht nur an einer organisatorischen Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei, sondern auch an einer Beteiligung am musikalischen Aktivismus der LEAR erklärt – trotz seiner großen Freundschaft mit den Genossen Musikern dieser Organisation, Kostakowsky und Pomar. Nur diese beiden pflegten aktiv das Genre „Kampflied“, und es gibt keine Hinweise auf eine aktive Beteiligung Revueltas’ an der Sammlung, Bearbeitung und Verbreitung europäischer und sowjetischer Kampflieder.13 Eine Anekdote, die der aus Guatemala stammende Kritiker 11 12 13
Anzeige in der LEAR-Zeitschrift Frente a Frente vom November 1934. Octavio Paz, Re/visiones: la pintura mural, in: México en la obra de Octavio Paz. III. Los privilegios de la vista, México 1987, S. 260. In Revueltas’ persönlichem Nachlaß befindet sich ein Brief (in englischer Sprache und undatiert) des Moskauer International Music Buro, unterzeichnet von G. Schneerson und an Revueltas gerichtet, in dem ihm Kampflieder und „theoretische Informationen“ (theoretical data) angeboten werden und er zu
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Cardoza y Aragón erzählt, zeigt eigentlich einen der revolutionären Kultur eher skeptisch gegenüberstehenden Künstler. 1936, als Revueltas die Zeitschrift Frente a frente leitete, nahm er an einer hitzigen Diskussion zwischen jenem Kritiker und den Initiatoren einer von der Zeitschrift veranstalteten Kunstausstellung teil. Wie Eugenia Revueltas, die Tochter des Komponisten, berichtet, wies der Kritiker „auf die ‚fatale Mittelmäßigkeit der Ausstellung‘ hin“ und warnte, „man könne nicht auf Anweisung Kunst machen“, „ein so entstandenes Werk könne noch so orthodox und kämpferisch sein, das bewahre es jedoch nicht davor, schlecht zu sein“.14
Revueltas stellte sich entschieden auf die Seite von Cardoza y Aragón, was ihm innerhalb der LEAR schwere Vorwürfe einbrachte und ihn möglicherweise den Vorsitz kostete, den er damals innehatte. Für Revueltas wie für seine Gesinnungsgefährten in der LEAR und der Kommunistischen Partei war die Russische Revolution ein inspirierender Impuls, eine Quelle umgestaltender Fantasie, und die Sache der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg bewegte Revueltas ganz besonders leidenschaftlich. Wie aber schon festgestellt, reagierte er auf den politischen Aktivismus seiner unmittelbaren Umgebung eher distanziert. Es gibt nur ganz wenige Beispiele für einen konkreten Bezug seines Schaffens zu gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, zu von der Kommunistischen Partei organisierten Veranstaltungen oder zu zivilen politischen Festakten des Staates.15 Die geringe Zahl von ihm verfaßter Kampflieder entspricht dieser relativ unabhängigen Haltung. Hinter dem kompositorischen Schweigen scheint sich allerdings auch eine ästhetische Kritik an diesem Genre abzuzeichnen. Mexiko hat die inspirierenden Wirkungen der sowjetischen „Blauhemden“ mit ihren dynamischen und innovativen politischen Montagen nicht erlebt. An ihrer Stelle kamen revolutionäre Gesänge mit antiquierten Klängen und steifen Texten, mit deren Abfassung gehorsame Arbeiterkünstler des sowjetischen Staates beauftragt worden waren und deren
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einer engen Zusammenarbeit eingeladen wird. Nichts deutet darauf hin, daß Revueltas auf diese Einladung reagiert hat. Sehr wahrscheinlich ist allerdings, daß Pomar und Kostakowsky einen ähnlichen Brief erhielten und daß diese Organisation als Quelle für die von Pomar zusammengestellten und veröffentlichten Sammlungen revolutionärer Lieder diente. Eugenia Revueltas, La Liga de Escritores y Artistas Revolucionarios y Silvestre Revueltas (Der Bund Revolutionärer Schriftsteller und Künstler und Silvestre Revueltas), in: Diálogo de resplandores: Carlos Chávez y Silvestre Revueltas, hrsg. von Yael Bitrán und Ricardo Miranda, Mexico (Conaculta) 2002. Unter den ersteren ist die Einladung zu erwähnen, „unsere Kampfveranstaltung mit etwas ausgewählter und revolutionärer Musik auszugestalten“, die Revueltas im Oktober 1933 von der Gewerkschaft der Eisenbahner der Mexikanischen Republik erhält. Im Sinne eines direkteren Bezugs zur Linie der Mexikanischen Kommunistischen Partei läßt sich nur ein einziges Beispiel angeben: die antitrotzkistischen Verse, die jener Linie entsprechen, die Stalin der MKP vorgegeben hat; Revueltas verfaßte sie für sein Kampflied Frente a frente, auf das weiter unten eingegangen wird. Wie schon erwähnt, hält Revueltas eine relative Distanz zur Regierung: Im allgemeinen stand seine Teilnahme an staatlichen Feierlichkeiten und Festakten im Rahmen der Volksfrontpolitik zwischen der Regierung und der MKP. Revueltas beteiligt sich als LEAR-Mitglied – ein Umkreis, der ihm eine gewisse Unabhängigkeit sowohl gegenüber der MKP als auch gegenüber dem Staat gestattete.
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internationaler Vertrieb den Propagandaapparaten der UdSSR oblag. Sie haben nichts von der Frische – und damit der verwandelnden Kraft – der avantgardistischen Ansätze aus den zwanziger Jahren. Revueltas’ Desinteresse für diese konventionelle Erscheinungsform des Kampflieds überrascht nicht. Trotz seiner Überzeugtheit vom sozialen Gehalt der Musik – sowohl hinsichtlich ihrer Wurzeln wie auch in ihrer Wirkung – leitet Revueltas daraus nicht dieselben praktischen Konsequenzen wie etwa ein Kostakowsky ab, indem er eine Musik erfindet, die eine führende Rolle bei der Sozialisierung der Massen einnimmt und ihre gesellschaftliche Funktion ausschließlich diesem Ziel anpaßt. Wenn auch Revueltas’ Musik einen klaren sozialen Gehalt hatte und tief von Gesten der Volkskultur geprägt war, so verläßt sie doch den Konzertsaal nicht. Hauptsächlich dort findet ihre Konfrontation mit der bürgerlichen Kultur statt: gegen sie richten sich die Ironie und die Satiren ihres Avantgardismus. Für Revueltas stellte der Konzertsaal allerdings gleichzeitig ein erzieherisches Forum für das Volk dar. Sehr viele Programme des Symphonieorchesters Mexikos wurden in „kostenlosen Konzerten für Arbeiter“ und Studenten wiederholt. Revueltas schien überzeugt davon, daß man das Volk an die Kunst heranführen müsse und ihm nicht dadurch entgegenkommen dürfe, daß man die Kunst, um sie ihm zugänglich werden zu lassen, billiger mache. So lassen sich auch seine Vorbehalte gegenüber dem Genre „Kampflieder“ erklären. Revueltas’ wichtigste Kompositionen, vor allem die, die er in seinen letzten Jahren (1935–40) schrieb, sind eindeutig politisch motiviert. Unter diesen sollen die folgenden hervorgehoben werden: Redes (Netze) (1934/35): In ihrer Konzertfassung bildet die Musik zu diesem Film eine symphonische Dichtung sozial-realistischer Machart. Der Film berichtet vom Aufstand eines mexikanischen Fischerdorfes. Sensemayá (1937/38): Frei komponiert nach einem Gedicht des Kubaners Nicolás Guillén, mit dem sich Revueltas im Rahmen der LEAR angefreundet hatte. Sowohl Text wie Musik lassen sich als Allegorie des antiimperialistischen Kampfes deuten. Homenaje a Federico García Lorca (Hommage an F. G. L.) (1936): zum Gedenken an den von Falangisten ermordeten spanischen Surrealisten geschrieben. Itinerarios (Reiserouten) (1938): symphonisches Gedicht über das republikanische Spanien. In einem Entwurf steht als Titel „Dos banderas“ (Zwei Fahnen). Es wurde bei einem Besuch in Morelia verfaßt, wo 500 Kinder aus der spanischen Republik Asyl gefunden hatten, und der Titel meint sicherlich die durch eine gemeinsame Sache verbundenen Fahnen der spanischen Republik und Mexikos. La coronela (Die Obristin) (1940): Ballett. Allegorie der Mexikanischen Revolution. Éste era un rey (Es gab einmal einen König) (ca. 1940): Ballett. Satirische Pantomime auf den Faschismus. Ohne Ausnahme enthalten all diese Werke ein literarisches oder programmatisches Element, das sie als politische bestimmt. Doch nicht nur die Partituren offenkundig politischen Inhalts sind politisch. Neu analysiert, erweisen sich auch etliche der Anfang des Jahrzehnts entstandenen, die bis gestern noch als „nationalistisch“ ein-
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gestuft worden waren, eher als politisch motiviert: Esquinas (Ecken), eins der am wenigsten bekannten, aber überraschendsten modernistischen Werke, ist ganz auf das Geschrei des „armen und zerlumpten“ (Revueltas) Straßenvolks aufgebaut. Ein Werk wie Cuauhnáhuac, bis vor kurzem als neoindianistisches Gemälde interpretiert, erscheint eher als Parodie auf solche musikalischen Landschaften, denn es nährt sich von der chaotischen Tonlandschaft der Straßen, auf denen – so Revueltas – „Touristen nicht verkehren“. Der Aufbau dieser Werke ist freilich komplex, ihre Sprache spröde. Ihr politisches Programm, so sie eines enthalten, ist nicht offensichtlich. So wird hinter dem angeblich „national-folkloristischen Revueltas“ die Gestalt eines sozial engagierten Modernisten sichtbar. Eine Untersuchung der wenigen Kampflieder Revueltas’ legt die Auseinandersetzung offen, die mit dem Sicheinlassen auf dieses Genre in seinem Inneren geführt wird: musikalischer Reichtum oder Funktionalität? Modernität (Polytonie, Polyrhythmie) oder Konvention (Tonalität)? Übernahme der von der europäischen Tradition geheiligten Formeln oder Anpassung des Genres an die lokale Eigenart und ihre Bedingungen? Persönlicher künstlerischer Stempel oder Aufgehen des künstlerischen Ichs in den Normen der Konvention bzw., was fast dasselbe ist, Aktualisierung des Genres oder Bestätigung der Tradition? Das sind Fragen, die auch Eisler sich stellt. 1936: Porras, Politik und Moderne Auf den ersten Blick ist Porras in jeder Hinsicht ein musikalisches Pamphlet. Es entspricht genau dem politischen Kontext der Zeit, denn der Inhalt des Textes paßt gut zur Linie der von der Kommunistischen Partei 1936 propagierten Volksfront.16 Grundsätzlich deutet die Orchestrierung (Blech, Piccoloflöte, Es-Klarinette, Schlagzeug und Militärtrommel) auf ein Ensemble hin, das eine Gruppe Arbeiter bei einer politischen Aktion begleitet.17 Doch da enden bereits die Übereinstimmungen mit den Konventionen dieses Genres, wie sie sich beispielsweise aus den sowjetischen Kampfliedern und ihren mexikanischen Ablegern in den Liederbüchern Pomars ableiten lassen. Wesentlich größer scheinen die Unterschiede zu sein. Porras aufzuführen ist technisch sehr schwierig und offenbar nicht vorstellbar ohne kompetente Sänger und Musiker. Revueltas scheint das Kampflied aufzunehmen unter der Bedingung, ihm modernes musikalisches Leben einflößen zu können, und wählt eine Ausdrucksweise von lokalem Interesse: die „porra“ (Anfeuerungs- oder Kampfrufe), die kein „Gesang“ ist, sondern aus rhythmisierten Rufen ohne Melo16
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Der Text des Kampfrufs lautet: „Einheitsgewerkschaft, Einheitsgewerkschaft, Einheitsgewerkschaft / Friedliebend, antifaschistisch, antiimperialistisch / Zieht euch fest die Hosen an, damit ihr gegen die Fabrikherren gewinnen könnt.“ Es gibt keine Informationen, die mit Gewißheit sagen ließen, wer die Kampflieder Revueltas’ dargeboten hat. Einige Bemerkungen in seinen persönlichen Aufzeichnungen lassen jedoch darauf schließen, daß es sich um Studenten aus dem von Revueltas geleiteten Orchester des Konservatoriums gehandelt haben muß.
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die besteht. Wie Eisler und Brecht nimmt der Komponist die Schreistimme auf, die geeigneter zur klaren und kräftigen Übermittlung einer politischen Botschaft ist – eine Stimme, die sich nicht in einer Interpretation auflöst, welche die „Schönheit“ der Singstimme hervorhebt. Die Kraft, die eine Musik braucht, die Wirksamkeit für ihre intendierte soziale Agitation erstrebt, wird gewöhnlich mit Hilfe formaler Symmetrie, rhythmischer Wiederholung, einfacher und eingängiger Melodien sowie der Verwendung konventioneller musikalischer Gesten erzielt, die rhetorische Topoi evozieren wie „martialisches Wesen“, „Stärke“, Triumph“ o. ä. Diesen Konventionen stellt Revueltas eine formale, metrische und rhythmische Asymmetrie entgegen, auch wenn sie manchmal die Wirksamkeit der agitatorischen Zielsetzung zu sabotieren scheint. Dem Anschein nach legt Revueltas die Forderung nach Funktionalität in den Kampfruf – die Stimmen überlassen sogar die Melodie den Instrumenten –, sowie die Neuartigkeit und das musikalische Interesse in die Musikalisierung – vgl. z.B. die Einleitung, die dem 2/4-Takt des Marsches mit asymmetrischen 8/8- (3+2+3), 7/8- und 5/8-Takten vorausgeht. Zwischen den Stimmen und ihrer Begleitung entfaltet sich eine dreifache Polyrhythmie.
Notenbeispiel 1: Einleitung von Porras (Manuskript des Komponisten).
Spielerisch dreht Revueltas auch die harmonischen Konventionen des Genres um. Statt zwischen Tonika und Dominante zu wechseln, entscheidet er sich für die Unterdominante. Der so entstehende Eindruck einer modernistischen Paraphrase
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des Genres wird noch dadurch verstärkt, daß das Stück in B-Dur gehalten ist, der Baß dagegen in H, ferner, daß man es im Gegentakt hört und es Harmonien gegenübergestellt wird, die nicht zu seiner Tonalität „passen“, und schließlich, daß es den harmonischen Konventionen des Genres nicht gehorcht, da es Tonales mit Nichttonalem konfrontiert. Der Kontrast zu den von Pomar und Kostakowsky komponierten und zusammengestellten Liedern könnte größer nicht sein.
Notenbeispiel 2: Auszug aus Porras.
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Porras legt den Gedanken nahe, daß Revueltas – ebenso wie Eisler – die Idee politischen Fortschritts mit der Idee künstlerischer Avantgarde verbindet. Trotz ihrer vielleicht humoristischen Haltung und der technischen Schwierigkeiten, sie aufzuführen, ist die Partitur eine originelle und positive Aneignung des Genres „Kampflied“. 1937: México en España – Gehorsam und Ressentiment 1937 reist Revueltas als LEAR-Mitglied ins republikanische Spanien. Auf dieser Reise entsteht ein neues Kampflied: México en España (Mexiko in Spanien). Wegen ihres politischen Anliegens ist diese Ehrung der mexikanischen Milizionäre, die an der Seite der Republikaner kämpften, auch unter dem Namen Himno a los combatientes mexicanos en España (Hymnus auf die mexikanischen Kämpfer in Spanien) bekannt geworden.18 Dieses Pamphlet ist überraschend konventionell: Im Unterschied zu den anderen Kampfliedern Revueltas’ ist der Text nicht vom Komponisten selbst verfaßt. Er stammt von dem Spanier Pascual Plá y Beltrán, der auf alle Gemeinplätze zurückgreift, die dieses Genre innerhalb der Linken (und in der Tat auch der Rechten) charakterisieren: die „Morgenröte der Menschheit“, das „Blut“ für „ein Leben ohnegleichen“, der „Marsch in die Zukunft“, der „Triumph der Jugend“.19 Das Lied ist in strengem, martialischem 2/4-Takt komponiert. Die Melodie ist schematisch: ohne irgendeinen Zug der musikalischen Persönlichkeit Revueltas’. Die Form ist dreiteilig (A-B-A), beginnend und endend im Marschrhythmus und, wie es sich gehört, mit einem lyrisch (in diesem Fall eher süßlich) wirkenden Mittelteil. Die Harmonie wechselt gehorsam zwischen Tonika und Dominante. Konventionelle rhetorische Topoi sind in Form lauter Fanfarenklänge präsent.20 18
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Von dieser Komposition ist keine Handschrift erhalten, wir kennen sie nur durch ihre Veröffentlichung (in der Fassung für Chor und Klavier) in: Cancionero Revolucionario Internacional, hrsg. von Otto Mayer beim Commisariat de Propaganda de la Generalitat de Catalunya, 1937. Dort handelt es sich vermutlich um eine – möglicherweise von Mayer selbst verfaßte – Bearbeitung für Klavier. I. „Dejamos las tierras de verde maíz; / del Valle de Anáhuac vinimos aquí, / a ganar con la sangre una vida sin par, / que forje la aurora de la Humanidad. II. No importa en la lucha caer; / la muerte no puede vencer. / Ya España camina al futuro. / No importa en la lucha caer. / ¡La muerte no puede vencer! III. Con paso de carga y al hombro el fusil, / vayamos, marchemos hacia el porvenir. / Bandera de fuego y el pecho de luz; / se acerca ya el triunfo de la juventud.” (I. Wir haben die Ländereien des grünen Mais verlassen, / vom Anahuac-Tal sind wir hierher gekommen, / um mit Blut ein Leben ohnegleichen zu gewinnen, / das die Morgenröte der Menschheit schaffen soll. II. Im Kampf zu sterben bedeutet nichts, / der Tod kann nicht siegen. / Spanien geht bereits der Zukunft entgegen. / Im Kampf zu sterben bedeutet nichts, / Der Tod kann nicht siegen! III. Im Sturmschritt und das Gewehr geschultert / laßt uns der Zukunft entgegenziehen. / Flammende Fahne und strahlende Brust; / schon nähert sich der Triumph der Jugend.) Zu erwähnen ist, daß das Originalmanuskript dieses Stückes nicht erhalten ist. Die Fanfarenklänge werden in der Bearbeitung für Gesangsstimme und Klavier vorgeschlagen, die wahrscheinlich von Otto Mayer-Serra stammt, dem Herausgeber des Albums, in dem sich dieses Kampflied fand: Cancionero Revolucionario Internacional (Anm. 18).
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Wie soll man sich nach den originellen Porras eine solch seltsame Verfahrensweise erklären? Die Schriftstellerin Elena Garro, die in der mexikanischen LEARDelegation mitreiste, berichtet über die ungewöhnliche Entstehung dieses Pamphlets in ihren Memorias de España, 1937 (Erinnerungen aus Spanien, 1937).21 Ich zitiere kurz: „Alles lief ganz hervorragend. Die mexikanische Ausstellung war bereits eröffnet worden und Silvestre Revueltas sollte ‚Mexiko in Spanien‘ schreiben, einen Hymnus auf die mexikanischen Kämpfer [...] Das Orchester war das des Lehrervereins des Orchesters UGT unter der Leitung Revueltas’. Ferner sollte Octavio Paz einen Vortrag über die Musik Silvestre Revueltas’ halten und María Luisa Vera den populären Text von ‚Renacuajo Paseador‘ vortragen, einem von Revueltas vertonten Pantomimenballett für Marionetten. Dieser Vortrag mit Konzert würde am 17. September 1937 im Saal der Spanischen Gesellschaft der Freunde Mexikos in Madrid stattfinden... Die Veranstaltung war etwas sehr Ernstes! Revueltas jedoch, den man im Haus eines spanischen Musikers untergebracht hatte, damit er inspiriert würde, tat nichts! Der spanische Musiker kam verzweifelt ins Haus der Kultur: „Er ist verrückt!... Er ist verrückt!“, verkündete er zur Verzweiflung Paco Gils, der mit großem Ernst das Vortrags-Konzert vorbereitete. Was da geschah, war eigentlich nicht so schlimm: Der spanische Musiker hatte einfach noch nie einen betrunkenen, euphorisch und tragisch gestimmten Mexikaner wie Silvestre erlebt. Die Mexikaner beriefen eine dringende Sitzung ein – man mußte den Genossen Revueltas unter Kontrolle bringen! Sie erteilten Juan de la Cabada den Auftrag, den ‚Verrückten‘ zu bewachen und zu zwingen, seine Musik zu schreiben... Im Haus der Kultur raufte sich Paco Gil die Haare: ‚Der Festakt ist schon programmiert!‘ Plá y Beltrán rief: ‚Die Leute warten in Madrid!‘ Und Silvestre brach Türen auf, fluchte und machte sich davon.“
Aus Revueltas’ Schriften wissen wir, daß ihm nichts ferner lag als Selbstbeweihräucherung. Implizit ist eine solche allerdings enthalten in einem Hymnus, der nicht den republikanischen Spaniern, sondern Mexikanern gewidmet war, die sich wie Revueltas auf der Halbinsel aufhielten, um zu helfen und nicht, um sich selbst Ehre zu erweisen. Porras redet von Zukunft, von gesellschaftlicher Veränderung, und das drückt Revueltas musikalisch dadurch aus, daß er die konventionellen Grenzen des Genres ausschöpft. México en España wiederholt und bestätigt das schon Gewußte und formuliert es musikalisch, indem es die Sitten und Gebräuche des konventionellen Genres bekräftigt. México en España spiegelt Selbstzensur und erzwungenen Gehor21
Elena Garro, Memorias de España. 1937, Mexico 1992.
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sam gegenüber einem Gruppenkodex wider, der in diesem Fall durch die LEARDelegation geltend gemacht wird. 1938: Canto de guerra de los frentes leales und Frente a frente – ausgehandelte Zugeständnisse Im Februar 1938, kurz nach seiner Rückkehr aus Spanien, besucht Revueltas die Stadt Morelia, in der auf Einladung der Regierung Cárdenas die emigrierten „Kinder von Morelia“ Zuflucht gefunden haben. Es waren Kinder republikanischer Kämpfer, die zum Schutz vor den Gefahren des Bürgerkriegs ins Ausland geschickt worden waren. Man erwartet, daß Revueltas zu diesem Anlaß etwas Musikalisches verfaßt, das von den Kindern, Jugendlichen und ihren Betreuern gesungen werden kann. Revueltas wählt einen der unter den spanischen Emigranten populärsten revolutionären Gesänge: ein wunderschönes Lied maurischen Ursprungs, das sich die Republikaner mit Hilfe eines neuen Textes angeeignet hatten, der in seiner poetischen Qualität diejenigen Plá y Beltráns weit übertrifft. Revueltas nennt es Canto de guerra de los frentes leales (Kriegsgesang der loyalen Fronten) und instrumentiert es für ein Oktett aus Blechinstrumenten sowie Klavier. Trotz seiner begleitenden Funktion muß man die Modernität dieser Bearbeitung betonen, die sich in der Verwendung pandiatonischer Techniken niederschlägt – einschließlich einer Coda in Fugenform, die man hier für eine symbolische Geste halten möchte: Diese Melodie (die dem Gedicht zufolge den Kämpfer repräsentiert, der sie anstimmt) bildet somit ein musikalisches wie auch ein semantisches Subjekt. In der Coda vervielfältigt sich dieses, und die daraus resultierenden Subjekte summieren und überlagern sich in einer Art „Allegorie der Einheit“; Polyphonie als Symbol der Stärke des Kollektivs: ein Gedanke, dem Revueltas als Bauprinzip bereits in Esquinas und in Redes nachgegangen war. Wie bei Eisler zeigt sich hier die Verwendung der Form mit bestimmtem politischem Bewußtsein. Auch die Mischung von Modernität mit den Ausdrucksanforderungen des Genres – hier brilliant gelöst – evoziert die kompositorischen Strategien Eislers. Vielleicht ist es kein Zufall, daß bei dieser Bearbeitung mehr als in jedem anderen Kampflied eine Verwandtschaft zwischen beiden Komponisten deutlich wird. Das zweite während des Aufenthalts in Morelia komponierte Lied trägt den Titel Frente a Frente (Stirn an Stirn bzw. Front an Front), und sein Text bezieht sich auf die antifaschistische Sache, die alle dort Versammelten eint.22 Musikalisch gesehen, 22
Der Text lautet: „I. Frente a frente nuestras filas, al combate van resueltas; / con gritos de duelo y protesta. / Frente a frente, convencidas, / a la dura lucha sin tregua final. // II. Ya se acerca, incontenible, fuerte y fiero, / el avance de los leales; / contra todos los fascistas y ladrones del proletario mundial. / Mussolini, Franco, Hitler y pandilla, / mueran / mueran / mueran.“ (I. Stirn an Stirn ziehn unsere Reihen entschlossen zum Kampf / mit Trauer- und Protestgeschrei. / Stirn an Stirn, überzeugt, / zum harten Kampf ohne schließliche Ruhe. // II. Es rückt bereits näher, unaufhaltsam, kraftvoll und wild, / der Vormarsch der Loyalen / gegen alle Faschisten und Räuber am Weltproletariat. / Mussolini, Franco, Hitler und ihre Bande / sollen sterben, / sterben, / sterben.
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ist Frente a frente bei weitem nicht so komplex wie Porras und leicht zu singen, nachzusingen und auswendigzulernen. Wenn man sich diese Melodie in wesentlich langsamerem Tempo vorstellt, erscheint ein typisch mexikanischer, in einen Marsch verwandelter „Corrido“. Das bestätigt ein köstlicher nordmexikanischer Einschlag bei der Verwendung der Blechinstrumente, die an das Spiel von Musikkapellen erinnern.
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Notenbeispiel 3: Canto de guerra de los frentes leales, Coda.
Den letzten Beitrag zum Genre des Kampflieds leistet Revueltas später; er hat mit der Ankunft Leo Trotzkis in Mexiko zu tun. Es handelt sich um ebendieselbe Melodie von Frente a frente, aber mit neuem Titel, Text und Musikalisierung. Revueltas nutzt die in Morelia verfaßte Melodie, entschließt sich jedoch dazu, sie neu zu semantisieren für einen anderen Zweck: einen bissigen Spottgesang auf Trotzki und seine Vierte Internationale.23 Das „neue“ Lied heißt Adivinanza (Rätsel), und sein Text entspricht tatsächlich diesem Genre.24 Nach dem Inhalt der Verse zu urteilen, ist das Ethos der ersten Fassung von Frente a frente, die „Anstiftung zum Kampf“ 23 24
Während seines Exils in Mexiko wurde Trotzki Zielscheibe mehrerer von Agenten Stalins verübter Attentate; das letzte – im Jahr 1940 – war tödlich. Der Text lautet: „I. Ya se estira / ya se encoge, / ya se jala de la piocha, / el Clown de las barbas de Chivo; / ya se para ya se sienta / ya no piensa más / que en su cuarta senil. II. Ya entre ruido y halaraca [sic.]/ se debate con jurados de petate./ Ya se estira, ya se encoge, / ya no piensa más que en su cuarta senil./ ¡A [sic] qué bolas tienes! ¡Con ellas t’entretienes! / Triki / Triki / Triki.“ (I. Schon streckt er sich, / schon duckt er sich, / schon zieht er sich am Spitzbart, / der Clown mit dem Geißbärtchen; / schon steht er auf, schon setzt er sich, / denkt an nichts anderes mehr als an seine senile Vierte [Internationale]. II. Schon zwischen Lärm und Gezeter / schlägt er sich mit Stroh-Geschworenen herum. Schon streckt er sich, / schon duckt er sich, / denkt an nichts anderes mehr als an seine senile Vierte [Internationale]. / Ah, was hast du für Eier! Damit unterhältst du dich! / Triki / Triki / Triki.“
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gegen den Faschismus, ganz anders als das der zweiten: der „Verspottung“ eines Trotzki, der – eingesperrt in einen Käfig und sich den Bart raufend – zum Klang der Musik in den Straßen herumgezeigt wird.25 Sicherlich aus diesem Grund hat der Komponist die der ursprünglichen Melodie zugrunde liegende Musik verändert. Die neue Fassung beginnt mit einer Einleitung, die auf der zum letzten Vers des Rätsels („Ah, was hast du für Eier, mit ihnen spielst du herum“) gehörenden Melodie beruht. Dazu passend bringen die Posaunen lautmalerisch furzähnliche Geräusche hervor, was zur vom neuen Text verlangten karikierenden Wirkung beiträgt. Beide Versionen von Frente a frente passen vollkommen zum beabsichtigten Zweck. So wird eine Art Versöhnung mit dem Kampflied sichtbar. Sie ist allerdings nur flüchtig, denn mit den beiden Liedern verabschiedet sich Revueltas endgültig von diesem Genre. Wie wir bereits haben durchblicken lassen, hat Revueltas im Grunde stets andere Strategien bevorzugt, um seiner Sehnsucht nach revolutionärer Veränderung musikalische und soziale Form zu verleihen. Während seines Aufenthalts in Morelia arbeitete er neben seinen Bearbeitungen und der Abfassung von Frente a Frente hart an seinen Itinerarios (Reiserouten) – deren politischer Gehalt im Innern des musikalischen Textes „versteckt“ ist26 – und den Cinco canciones de niños (Fünf Kinderlieder) zu Texten des von ihm hoch verehrten Federico García Lorca. Kein anderes revolutionäres Lied Revueltas’ hat die Frische, den Humor und die Kühnheit von Porras. Gewiß stellt das, was ein Versuch der Hervorhebung des revolutionären Gehalts eines Kampfrufes durch eine „moderne“ und musikalisch komplexe Markierung zu sein scheint, eine konstruktive, bejahende Aneignung des Genres dar. Doch die auf Porras folgende Entwicklung – das unfreiwillige Zugeständnis an die Konventionen des Genres oder der freiwillige Kompromiß zwischen Revueltas’ musikalischer Persönlichkeit und den Erwartungen seines Publikums, vor allem jedoch die gleichzeitige Entstehung künstlerisch ambitionierter Werke, die über den einengenden Schematismus des Kampflieds hinausgehen (siehe vor allem Sensemayá) – erklärt die endgültige Abkehr von diesem Genre. Die Alternativen, die sich in Revueltas’ Kampfliedern ausdrücken, laden zu einer Reflexion ein, die über sie hinausgeht; denn sie betrifft die Entwicklung seines musikalischen Denkens hinsichtlich seines Werks insgesamt. Wie in der Geschichte der mexikanischen Malerei, die sich zwischen der Intimsphäre der Staffelei und der öffentlichen Kunst der Wandmalereien bewegt, stoßen wir auch in seinen Partituren auf eine Modernität, bei der das politische Element in der Musik eher implizit vorhanden oder eigentlich in der musikalischen Form symbolisiert ist – Esquinas, Alcancías, die Streichquartette –, und dann zum Ende seines Lebens hin eine relativ 25
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Julio Estrada zitiert, wie Ninfa Santos Elena Poniatowska gegenüber erwähnt, bei welcher Gelegenheit diese Fassung von Frente a frente aufgeführt wurde: „La obra política de Silvestre Revueltas“, in: Silvestre Revueltas: sonidos en rebelión, Roberto Kolb/José Wolffer (Hg.), UNAM, México 2006. Der einzige dem Hörer dazu gebotene Schlüssel ist subtil: Itinerarios beginnt mit einer Art Akkord, der nach und nach in Pyramidenform errichtet wird und eine erste verklärte Episode vorbereitet. Diese Episode entspricht der Einleitung zu Canto de Guerra de los Frentes Leales – zweifellos eine beabsichtigte und bedeutsame Anspielung.
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konventionelle Romantik, die das Ergebnis eines Zugeständnisses an kognitive Forderungen bildet, d. h. des Wunsches, die Gefühle des Hörers unmittelbarer zu erreichen – die Grundvoraussetzung der öffentlichen Kunst: Redes, Itinerarios, Hommage an Federico García Lorca, die Lieder zu Texten dieses Dichters und – diese Tendenz auf die Spitze treibend – die Kampflieder mit ihrer vereinfachten Poetik. Diese Entwicklung legt eine Parallele etwa zum futuristischen Avantgardismus des frühen Siqueiros nahe, der der „reinen Plastik“ huldigt, und dem Werk des bolschewistischen Muralisten, der sich schließlich der Ideologie beugt und seine Innovationsfähigkeit verliert; oder zu Diego Riveras frühem Kubismus und der späteren Lehrhaftigkeit der in seinen Wandmalereien festgehaltenen Allegorien. Bei Revueltas weicht die frische musikalische Experimentierfreude in seinen frühen Werken allmählich und ein wenig versteckt einem Akzeptieren der Tonalität – ein von den Forderungen öffentlicher Kunst auferlegtes Zugeständnis. Nach Octavio Paz handelt es sich um „ein doppeltes Gesicht der Kunst in jener Zeit: die öffentliche Kunst und die geheime Poesie, der öffentliche Platz und das Schlafgemach, die Menge und der Spiegel. Umgekehrte Symmetrie. Zwei Extreme, beide unentrinnbar: Welches sollte man wählen?“27
Dies ist zweifelsohne auch das Dilemma, das im politischen Werk Hanns Eislers durchscheint – und das verbindet und unterscheidet gleichzeitig die beiden Komponisten.
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Octavio Paz, Re/visiones: la pintura mural (Anm. 12), S. 267.
Die Erinnerungen von Nuria Schoenberg Nono an Hanns Eisler Telephon-Gespräch mit Hartmut Krones Hartmut Krones: Hier ist Hartmut Krones. Nuria Schoenberg Nono: Ja, Grüß Gott. HK: Grüß Gott. Es tut uns allen sehr leid, daß Sie nicht persönlich zu uns kommen konnten, aber jetzt sind wir schon alle ganz gespannt und hören aufmerksam zu; die Leitungen sind offensichtlich in Ordnung. NSN: Ja, ich möchte zunächst auch sagen, wie leid es mir tut, daß ich nicht dort sein kann. Es gibt einen ganz dicken Nebel hier [in Venedig], die Maschine aus Wien ist nicht angekommen, und man konnte auch in Venedig nicht aus dem Flughafen fliegen. Es tut mir wirklich furchtbar leid. Ich hatte mich schon sehr gefreut auf diese Konversation, aber ich hoffe, daß wir so auch irgendetwas Interessantes sagen können. HK: Ja, da bin ich ganz sicher. Vielleicht holen wir diesen Abend trotzdem noch einmal nach. NSN: Ja, das ist eine schöne Idee. HK: Dann ist zwar die Eisler-Gesellschaft nicht mehr hier, aber wir Wiener könnten wenigstens in den Genuß kommen, „live“ über Eisler zu sprechen. Und nun erzählen Sie uns, wie wir dies vorige Woche abgesprochen haben, einfach ein bißchen über Ihre Erinnerungen an Hanns Eisler. Sie haben ihn ja noch sehr gut gekannt. NSN: Ich war damals natürlich sehr jung, als wir ihn Amerika kannten, aber wir waren öfters mit ihm zusammen: mit Eisler und mit seiner Frau Lou, und sie waren öfters bei uns. Wir haben Sonntags nachmittags unten in der Nähe vom Meer oft eine große Jause für Freunde gehabt. Die Leute gingen vormittags an den Strand, und dann so gegen vier Uhr trafen sie sich bei uns. Wir hatten dann immer sehr schöne Wiener Bäckerei gemacht und guten Kaffee mit Schlagobers, und so hatten wir nachmittags oft sehr viele Gäste. Darunter waren auch die Eislers. Man hat natürlich diskutiert, über Musik, aber auch darüber, was in der Welt los war usw. Man hat auch Ping-Pong gespielt, oder man saß einfach in der Sonne, und es war eigentlich sehr, sehr schön. Mein Vater war sehr froh, glaube ich, Eisler in diesen Jahren nicht nur als Schüler, sondern auch als Freund zu haben, weil das Leben ja nicht so einfach war für ihn. Seine Schüler von der Universität in Los Angeles waren nicht besonders talentiert – es gab sicher ein paar Talentierte, aber nicht von
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dem Niveau, wie er es in Europa gehabt hatte. Es war also sehr schön für ihn, noch ein paar Freunde zu haben, mit denen er wirklich über Musik – und nicht nur über Musiker, sondern überhaupt über kulturelle Angelegenheiten – sprechen konnte. HK: Sie haben einmal gesagt, daß kaum über Politik diskutiert wurde, aber es gab ja hie und da doch – wenn schon nicht Streit – so doch ein paar Auseinandersetzungen über politische Themen zwischen Ihrem Vater und Eisler. War das jemals ein Thema oder war das völlig vergessen? NSN: Sie müssen bedenken, daß ich damals sehr jung war und daß wir Kinder nicht bei allen Diskussionen dabei waren, wenn es sie überhaupt gegeben hat. Aber mein Vater war sehr dankbar, daß er überhaupt in Amerika aufgenommen wurde, daß er eine Position hatte und daß er gut leben konnte mit seiner Familie, und er war sehr dankbar, daß Amerika ihm das ermöglicht hatte. Und so hat er eigentlich nie über Amerika geschimpft. Natürlich war Amerika kulturell nicht auf demselben Niveau, wie das Europa gewesen war, und natürlich hatte er auch viele Probleme, weil er eine neue Sprache lernen mußte. Aber er war nicht einer, der gerne gegen Amerika sprach. HK: Ich habe jetzt eigentlich an den Kommunismus gedacht. NSN: Ja, das war damals eine Zeit, wo es die Kommunisten in Amerika leider sehr sehr schwer gehabt haben, und Eisler war Kommunist, vielleicht nicht in der Partei, aber ich meine, er hat solche Ideen gehabt. Also: Ich glaube, Eisler hat gewußt, mein Vater würde nicht über solche Sachen sprechen. Natürlich hat man über die Nazis gesprochen oder darüber, was in Deutschland und in Österreich passiert oder auch in Italien. Man hat natürlich nicht so viele Informationen gehabt, aber das war natürlich alles schrecklich, und mein Vater hat sehr vielen Leuten geholfen, aus Europa zu fliehen, indem er ihnen ein Affidavit verschaffte – Garantien; er mußte garantieren, daß diese Leute eine Arbeit haben würden und daß sie sich selber ernähren können. Und da hat er sehr viele von diesen offiziellen Papieren ausgestellt – soviel er konnte. Und wenn das nicht mehr möglich war, dann hat er das auch von anderen verlangt. Er wußte natürlich, was in Europa los war, und wollte allen helfen, die es nötig gehabt haben, aus Europa wegzugehen. Aber mit Eisler – ich glaube nicht, daß sie so richtig über Politik gesprochen haben. Sie haben aber wahrscheinlich über die Situation in nazifaschistischen Ländern gesprochen. HK: Was hat denn Ihr Vater gesagt, als man Eisler aus Amerika ausgewiesen hat? NSN: Ja, das tat ihm sehr sehr leid, weil es ein Freund war. Und wir waren ja sehr oft bei den Eislers, wir waren wirklich gut befreundet mit ihm. Das war sehr schade, daß er weg mußte. Ich habe schon oft die Geschichte erzählt, wie das FBI eines Tages bei uns auftauchte und zwei von diesen Herren meinen Vater über Eisler befragt haben. Damals wurde er schon, glaube ich, in Washington verhört [Herbst 1947], und da haben die beiden gefragt, und mein Vater hat gesagt: ja, das ist ein Idealist, das ist ein Künstler, der will nur eine bessere Welt für alle, er wird ja nie-
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manden umbringen; und er wollte ihnen sagen, daß das ein Mensch von hohem Niveau war, also auch intellektuell und kulturell. Und er hat ihnen das philosophische Lexikon von Eislers Vater gezeigt, das ganz berühmt war bei deutschsprachigen Leuten. Und da hat er ihnen das gezeigt: „Sehen Sie, das war sein Vater, er kommt also aus einer sehr großen intellektuellen Familie.“ Und da hat der eine FBIMann zu dem anderen gesagt: „Schau mal nach, ob der Marx in dem Buch genannt wird.“ HK: Und hat er ihn gefunden? NSN: (lacht) Das war das Niveau in Amerika, und wir haben in diesen Tagen natürlich im Fernsehen diese Prozesse verfolgt (ich weniger, weil ich wohl noch zu jung war). Das hat ja eigentlich zum Ende von McCarthy geführt, da die Leute sehen konnten, wie McCarthy und seine Leute diese Intellektuellen (davon auch viele aus Hollywood sowie Schriftsteller usw.) behandelt haben. Das konnte jeder sehen, daß das nicht fair war und daß es eigentlich eine total faschistische Art war. HK: Natürlich, und auch extra ein Schauprozeß. NSN: Ja. Mehr kann ich, glaube ich, dazu aber nicht sagen. HK: Vielleicht doch noch. Später, als Sie in Europa und mit Luigi Nono verheiratet waren – haben Sie da noch mit Eisler Kontakt gehabt bzw. hat Ihr Mann über Eisler gesprochen oder mit ihm Kontakt gehabt? NSN: Ich glaube, er hat keinen direkten Kontakt gehabt. Er hat ihn vielleicht einmal in Ostberlin in der DDR kennengelernt. Mein Mann war ja Mitglied in der Ostakademie der Künste und auch in der vom Westen. Und er ging manchmal zu Versammlungen, und so hat er ihn vielleicht kennengelernt, aber er hat wohl weniger Sympathie für Eisler als zum Beispiel für Dessau empfunden. Ich glaube, weil Eisler in der DDR mehr die populistische Linie vertreten hat als vielleicht Dessau – wenn man an seine Lieder denkt; das war meinem Mann nicht sehr sympathisch. HK: Weil diese Lieder gleichsam „nicht streng genug komponiert“ waren? NSN: Ja, das waren so populäre Kampflieder und nicht Rufe wie „Ami go home“. Das war die eine Seite von Eisler, aber Eisler war ja wirklich ein ernster Komponist – das wissen wir alle, und das war auch die Meinung meines Vaters: ein sehr guter Komponist. Und man weiß, daß er mit seinen Schülern auch über Zwölftonmusik gesprochen hat, obwohl damals in der DDR gesagt und auch geschrieben wurde, man könnte diese Methode vor allem benützen, um häßliche, scheußliche oder traurige Sachen zu schildern. HK: Ja, das war eine durchaus offizielle Meinung. NSN: Aber nicht für Schönes.
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HK: Das wurde übrigens auch in Wien von einigen gesagt. Darüber sprechen wir sicher noch in diesen Tagen. NSN: Oh ja. Und das war natürlich nicht die Meinung meines Mannes. Übrigens, so wie ich Eisler gekannt habe, war er ein sehr freundlicher Mensch und sehr respektvoll gegenüber meinem Vater. Er war wirklich so – man weiß ja, daß die Schüler meines Vaters einen enormen Respekt vor ihm gehabt haben und auch ein bißchen Angst. Ja. HK: Ja, Sie hören, es lachen alle, weil das allgemein bekannt ist. Wir haben in diesem Eisler-Kongreß einmal darüber gesprochen, daß Eisler Ihren Vater, als es ihm einmal finanziell nicht so gut ging, unterstützen wollte – und weil Ihr Vater keine Geschenke annehmen wollte, wollte Eisler für dieses Geld Stunden haben, Unterrichtsstunden. Und da hat Ihr Vater (ungefähr) gesagt: „Na, wenn das bis jetzt nichts genützt hat, dann ist es auch schon egal.“ Wissen Sie von der Geschichte etwas? NSN: Nein, leider nicht. Aber er konnte bei solchen Gelegenheiten schon manchmal ein bißchen schroff sein, weil er sehr feinfühlig war. Ich kenne eine andere Geschichte, die nichts mit Eisler zu tun hat, aber auch so ähnlich ist. Es geht um die Zeit, als mein Vater beim Militär war. Da er ja schon vierzig Jahre alt war, wollte man ihm die schweren Dinge ersparen. Und da hat einer dem Oberst gesagt, dieser Mann könnte für das Bataillon ein Lied schreiben oder einen Chor (oder war’s ein Marsch ?). Da haben die meinen Vater gerufen und gesagt: ja, schreiben Sie einen Marsch für uns. Und haben gefragt: „Wie lange dauert das?“ Und dieser Mann, der meinem Vater helfen wollte, hat gemeint: „Das dauert mindestens eine Woche“, weil er ihm mehr Zeit geben wollte. Mein Vater war jedoch ganz beleidigt und hat gesagt: „Nein, nein, das kann ich ja in wenigen Minuten oder in wenigen Stunden.“ [Gelächter] Er hat also manchmal nicht einmal dann, wenn man ihm helfen wollte, das angenommen. HK: Ich glaube, Sie sollten uns noch die Geschichte mit dem rauchenden Eisler erzählen, weil die nicht so bekannt ist. NSN: Nein, die ist nicht bekannt, ist aber vielleicht auch nicht so wichtig. Mein Vater hat einen großen Fauteuil gehabt, in dem er oft saß. Es gibt Bilder, die auch im Archiv [im ASC] sind, die ihn auf diesem großen Fauteuil zeigen. Er hat von diesem Platz aus auch seine Klassen gegeben; das war einfach sein Platz, der bequem war und wo er gerne saß – sein Thron, sagen wir. Und einmal war Eisler nachmittags bei uns, saß dort auf diesem schönen Fauteuil und hat mit der Zigarette ein Loch hineingebrannt – unabsichtlich natürlich. Vielleicht war er aufgeregt und hat zugehört oder so; er hat also nicht bemerkt, daß seine Zigarette den Fauteuil verbrennt. Das blieb dann eine große Geschichte bei uns, und auch meine Brüder, die viel jünger sind als ich und sich nicht direkt an diese Geschichte erinnern können, wissen: das ist das Loch, das Eisler in den Jahren zuvor mit seiner
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Zigarette in den Fauteuil von Papa gemacht hat. Das ist keine wichtige Geschichte, aber das ist geblieben. HK: Wir sind auf jeden Fall sehr dankbar, daß Sie sich uns am Telephon zur Verfügung gestellt haben, denn es hätte schon sehr viel gefehlt, wenn wir nicht mit Ihnen gesprochen hätten. Gibt es noch irgendeine Begebenheit, die Ihnen eingefallen ist und die Sie uns erzählen könnten? NSN: Wie gesagt, ich kann wirklich nur wenig sagen, weil ich zu der Zeit sehr jung war. Aber manchmal erinnert man sich an die Gefühle, die man gehabt hat, und nicht an die genauen Situationen – und diese Gefühle sagen mir, wie nett es damals immer war, obwohl wir damals wirklich nicht viel Geld gehabt haben. Und Eisler hat natürlich sehr gut beim Film verdient und hatte auch ein schönes Haus am Strand, wo wir oft am Wochenende waren. Da haben wir auch Leute aus der FilmKolonie kennengelernt: den Jazz-Musiker Artie Shaw etwa mit seiner Frau Ava Gardner, das waren eben die großen Stars – das habe ich auch als Kind bemerkt, ohne es zu wissen. Sie haben uns zu Weihnachten immer sehr schöne Geschenke gebracht. Das sind wirklich Erinnerungen von einem Kind, aber gute Erinnerungen, wirklich warme Erinnerungen. Ich erinnere mich auch noch, daß die Eislers in einem Jahr [1945] einen sehr schlimmen Unfall hatten, einen Autounfall. Das war, glaube ich, am Tag vor Weihnachten. Und da weiß ich, daß man gesagt hat, er sei schwer verletzt – es waren beide verletzt, er und seine Frau, und sie lagen auf der Straße. Es ist damals nur eine einzige Ambulanz gekommen, und er wollte, obwohl er etliche Rippen und wer weiß was noch gebrochen hatte, daß man zuerst seine Frau mitnimmt; und dann lag er stundenlang da und wartete auf die zweite Ambulanz. Das hat jetzt nichts mit der Musik zu tun, aber es zeigt, daß er ein guter Mensch war. HK: Das ist aber ganz sicher auch sehr wichtig ! Und nun danken wir alle sehr herzlich für das Gespräch. NSN: Nein, ich danke Ihnen, und ich entschuldige mich nochmals für den Nebel. HK: Na, für den können Sie aber wirklich nichts. Herzlichen Dank und schöne Grüße von uns allen.
MANFRED MUGRAUER (Wien)
„Regelung der Parteiangelegenheit“ Hanns Eisler und die Kommunistische Partei Österreichs* Die Frage der Mitgliedschaft Hanns Eislers in einer politischen Partei wurde in der Forschungsliteratur mehrfach thematisiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der engen Verbindung von Musik und Politik im Schaffen des Komponisten. Eisler war zwar „ein überzeugter Kommunist“,1 der „sich der proletarischen Sache verschrieben“ hatte2 und seine Musik „offensiv in den Dienst der kommunistischen Bewegung“ stellte3 – so der übereinstimmende Befund –, ist jedoch nie Parteimitglied geworden, weder der KPÖ oder der KPD, noch der SED. Auch daran, daß sich Eisler selbst als Marxist und Kommunist sah, kann kein Zweifel bestehen: Er war – wie Eisler seinen Freund Bertolt Brecht charakterisierte – ein „Bolschewik ohne Parteibuch“.4 Vielfältig war das persönliche und politische Beziehungsgeflecht Hanns Eislers zur Kommunistischen Partei Österreichs: Seine beiden Geschwister gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Partei, auch Eisler bewegte sich in seinen frühen Wiener Jahren in Parteikreisen. Alle drei Frauen, mit denen er im Laufe seines Lebens verheiratet war, waren österreichische Kommunistinnen, zwei gehörten der KPÖ als Mitglied an. Mit dem exponierten KPÖ-Politiker Ernst Fischer, dem intellektuellen Aushängeschild der Partei, verband ihn ab 1948 eine langjährige Freundschaft. Nach seiner Rückkehr aus dem US-Exil stand auch Eislers musikalisches Schaffen in Beziehung zur KPÖ: Neben Kompositionen für Theater und Film in den Jahren Manfred Mugrauers Beitrag, der eine Erweiterung seines beim zweiten Eisler-Kongreß („Hanns Eisler – Homo politicus“, 27. und 28. Februar 2009) des „Institutes für Musikalische Stilforschung“ gehaltenen Vortrages darstellt, wurde wegen seiner auch dem vorliegenden Band zugehörigen Thematik bereits hier abgedruckt. Dadurch kommt es zu einigen Duplizitäten mit dem beim ersten Kongreß gehaltenen, hier ebenfalls erweiterten Referat von Hartmut Krones („Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse“, S. 187–280), die aber wegen der jeweils anderen Grundthematik bzw. Blickrichtung nicht eliminiert wurden, nicht zuletzt, um die in beiden Arbeiten herrschende Gesamtchronologie vollständig beizubehalten. * Für zahlreiche Hinweise zu meinem Manuskript danke ich Peter Deeg (Rostock). 1 Günter Mayer, War der „Karl Marx der Musik“ Parteimitglied oder nicht?, in: Hanns Eisler der Zeitgenosse. Positionen – Perspektiven. Materialien zu den Eisler-Festen 1994/95. Im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft e. V. hrsg. von Günter Mayer, Leipzig 1997, S. 67–76, hier S. 76. 2 Jürgen Schebera, Hanns Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz u. a. 1998, S. 48. 3 Eckhard John, Verfehlte Liebe? Hanns Eisler und die politische Musik, in: Maren Köster (Hg.), Hanns Eisler. ’s müßt dem Himmel Höllenangst werden, Hofheim 1998 (Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts, Bd. 3), S. 154–169, hier S. 155. 4 Hans Bunge, Fragen sie mehr über Brecht. Hanns Eisler im Gespräch. Nachwort von Stephan Hermlin, München 1970, S. 107 und 110.
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Manfred Mugrauer
1948 bis 1956 – für das im Parteiumfeld zu verortende „Neue Theater in der Scala“ und die unter sowjetischer Verwaltung stehende „Wien-Film“ am Rosenhügel – sind vor allem Kompositionsaufträge der KPÖ und der Ravag 1948/49 zu nennen, u. a. für das Eröffnungsprogramm des 14. Parteitags im Oktober 1948. Ein Dokument aus dem Zentralen Parteiarchiv der KPÖ gibt nunmehr Aufschluß darüber, daß sich Eisler unmittelbar nach seiner Rückkehr im April 1948 und erneut zu Jahresende 1952 darum bemühte, auch im formalen Sinn Mitglied der KPÖ zu werden. Hinwendung zum Kommunismus Hanns Eisler war zeitlebens österreichischer Staatsbürger. Wenige Jahre nach seiner Geburt übersiedelte seine Familie von Leipzig nach Wien, wo Eisler bis zu seinem 28. Lebensjahr seine Kindheit, die Schulzeit und sein Studium verbrachte. Neben seiner künstlerischen Sozialisation als Schüler Arnold Schönbergs in den Jahren 1919 bis 1923 geht auch Eislers lebenslange Verbindung zur Arbeiterbewegung auf seine frühen Wiener Jahre zurück. So war er ab Ende 1919 für drei Wiener Arbeiterchöre tätig, wobei die Quellenlage keine exakte Rekonstruktion dieser Arbeit zuläßt. Laut Wilhelm Zobls Studie über dessen Wiener Chorarbeit leitete Eisler zunächst den Chor „Stahlklang“ der Siemens-Schuckert-Werke in Floridsdorf, den er bereits nach einem halben Jahr nach Auseinandersetzungen mit dem Vereinsvorstand über das anzustrebende Repertoire verließ, danach den stärker politisch geprägten Karl-Liebknecht-Chor und den Arbeitersängerbund „Elektra“.5 Eisler selbst schrieb 1938 in einem an Ernst Hermann Meyer in London gerichteten biographischen Abriß, daß er 1918 den KP-nahen Arbeitergesangsverein „Karl Liebknecht“ in Floridsdorf leitete sowie den Männergesangsverein „Elektra“ in der Brigittenau, den er der sozialdemokratischen Richtung zurechnete.6 „Stahlklang“ erwähnte Eisler an dieser Stelle nicht. Aus der Erinnerung Joseph Traunecks geht jedoch hervor, daß dieser im Jahr 1920 von Eisler die Leitung von „Stahlklang“ übernommen hat.7 Heinz Alfred Brockhaus wiederum, der sich in seiner frühen Studie über Hanns Eisler mit hoher Wahrscheinlich vor allem auf Angaben des Komponisten selbst stützte, führt allein Eislers Arbeit als „Leiter des Gemischten Chores und Musiklehrer“ für den von ihm gegründeten „revolutionären Gesangsverein ,Karl Liebknecht‘“ und seine Tätigkeit für die Chorvereinigung „Stahlklang“ 5
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Wilhelm Zobl, Einiges zur Arbeit Hanns Eislers in den Wiener Arbeiterchören, in: Forum Musik in der DDR. Hanns Eisler heute. Berichte – Probleme – Beobachtungen, Berlin 1974 (Arbeitshefte. Sektion Musik, Bd. 19), S. 36–41, insbes. 39f.; ders., Hanns Eislers Verhältnis zur Tradition. Aspekte der Ausarbeitung einer marxistischen Erbetheorie in der Musik – dargestellt bis 1933. Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin 1978, S. 140–144; vgl. dazu auch: Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 25f. Archiv der Akademie der Künste, Berlin (AdK), Hanns-Eisler-Archiv (HEA), 6218, Hanns Eisler (New York) an Ernst Hermann Meyer (London), 23. November 1938. Für Hanns Eisler. Beiträge von Freunden, Mitarbeitern und Schülern, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste. Sonderheft Hanns Eisler, Berlin 1964, S. 326–397, hier S. 388.
„Regelung der Parteiangelegenheit“
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ins Treffen.8 1951 bezeichnete sich Eisler gar als Gründer des Arbeitergesangsvereins „Karl Liebknecht“: „Wir sangen wilde Lieder, die zum Teil ich auch komponierte“.9 In Dokumenten aus dem Zentralen Parteiarchiv der KPÖ wird als Gründer dieses Floridsdorfer Chores das Parteimitglied Josef Schweighofer genannt, ein Kupfer- und Kesselschmied, der im 21. Wiener Gemeindebezirk von 1919 bis 1921 als Arbeiterrat tätig war.10 Im Falle des Liebknecht-Chores dürfte sich Eisler im Jahr geirrt haben, nannte doch die Rote Fahne, das Zentralorgan der KPÖ, anläßlich der Gründungsversammlung dieser Floridsdorfer „Musikgruppe“ am 7. März 1920 im Gasthaus Renda in der Brünnerstraße „Gen. Hanns Eisler“ als „Leiter der Gruppe“.11 Die Tatsache, daß Eisler den Gesangsverein „Karl Liebknecht“ organisierte, erwähnt auch der sowjetische Publizist Sergej Tretjakov in einem 1935/36 geschriebenen Beitrag über Eisler.12 Weitgehend „im Dunkel der Geschichte“13 liegt Eislers Tätigkeit für den „A.-G.-V. Elektra“ im 20. Wiener Gemeindebezirk,14 der im Gegensatz zum Floridsdorfer Chor „Stahlklang“ dem Reichsverband der Arbeiter-Gesangsvereine Österreichs angehörte.15 1921 schloß sich auch der „A. S. B Karl Liebknecht“ dem Reichsverband an.16 Ob es sich – wie bei Zobl zu lesen ist – beim 1925 „wegen beharrlicher Verletzung der proletarischen Sangesdisziplin“ ausgeschlossenen „AGV ‚Karl Liebknecht‘ II Hernals“17 um dieselbe Vereinigung handelt, muß offen bleiben, war der Chor doch im 21. Wiener Gemeindebezirk gegründet worden, weshalb es sich bei „Karl Liebknecht II“ allenfalls um einen Ableger im 17. Bezirk (Hernals) handeln könnte. 8 9
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Heinz Alfred Brockhaus, Hanns Eisler, Leipzig 1961 (Musikbücherei für Jedermann, Bd. 19), S. 18f. Hanns Eisler, Notizen zu Dr. Faustus, in: ders., Materialien zu einer Dialektik der Musik, hrsg. von Manfred Grabs, Leipzig 1973 (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 538), S. 204–210, hier S. 208. Daß Eisler tatsächlich Lieder für den Liebknecht-Chor komponierte, konnte von der Forschung nicht verifiziert werden. Zentrales Parteiarchiv der KPÖ (ZPA), Protokoll der Sitzung der Kommission zur Behandlung von Parteiverfahren am 10., 12. und 17. September 1951, Beilage 17; ebenda: Josef Schweighofer: Lebenslauf, 27. März 1953. Versammlungs-Anzeiger, in: Die Rote Fahne, 7. März 1920, S. 8. Sergej Tretjakov, Hanns Eisler, in: ders., Die Arbeit des Schriftstellers. Aufsätze, Reportagen, Porträts, hrsg. von Heiner Boehncke, Reinbek bei Hamburg 1972 (das neue buch, Bd. 3), S. 171–186, hier S. 175. Hartmut Krones, Hanns Eislers frühe Jahre in Wien. Musik und Sozialismus, in: Michael Haas/Wiebke Krohn (Hg.), Hanns Eisler. Mensch und Masse, Wien 2009 (Musik des Aufbruchs), S. 81–86, hier S. 84. Daß Eisler diesen Chor tatsächlich geleitet hat, geht aus der Zeitschrift des Reichsverbandes nicht hervor. Dort wird beispielsweise Ende 1920 Eduard Kolbe als neu gewonnener Chormeister genannt, was darauf hindeuten könnte, daß Eisler zu diesem Zeitpunkt seine dortige Arbeit beendete (Liedertafeln und Konzerte, in: Arbeiter-Sängerzeitung. Organ des Reichsverbandes der Arbeiter-Gesangvereine Deutschösterreichs, 19. Jg., Nr. 12 (177), 1. Dezember 1920, S. 5–7, hier S. 7). Vgl. folgende Auflistung: Adressenverzeichnis der dem Reichsverband der Arbeiter-Gesangvereine Oesterreichs angehörigen Vereine, in: ebenda, 19. Jg., Nr. 5 (170), 1. Mai 1920, S. 7–8. Gauberichte, in: ebenda, 20. Jg., Nr. 4 (181), 1. April 1921, S. 5–7, hier S. 7. Im Juli 1922 wurde „Gen. Schwab“ als Leiter des Gesangsvereins genannt (Proletarischer Kunstabend, in: Die Rote Fahne, 25. Juli 1922, S. 6). Aus dem Reichsverbandsvorstande, in: Arbeiter-Sängerzeitung. Organ des Reichsverbandes der Arbeiter-Gesangvereine Österreichs, 24. Jg., Nr. 3 (228), 1. März 1925, S. 12; Zobl, Einiges zur Arbeit Hanns Eislers in den Wiener Arbeiterchören (Anm. 5), S. 40.
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Manfred Mugrauer
Wie zahlreiche KPÖ-Funktionäre, ausländische Studierende und Künstler lebte Hanns Eisler zu dieser Zeit in einer Notbehelfsiedlung, den so genannten „Grinzinger Baracken“,18 einer „Kommunistengemeinde“ und „Hochburg vorgeschrittenen Intellektuellentums“.19 Eisler war zwar nicht in organisierter Form politisch aktiv, sondern widmete sich vor allem seinem Musikstudium, sympathisierte jedoch „seinem Gefühl und Verstande nach mit der Idee des Kommunismus“, wie Hans Hautmann in seiner Studie über die Frühgeschichte der KPÖ Eislers politischen Standpunkt umreißt.20 Gemäß der Mitteilung seiner Jugendfreunde soll sich Eisler an Flugblattaktionen der Partei beteiligt haben.21 Wesentlich für seine Hinwendung zum Kommunismus war wohl auch die Tatsache, daß seine beiden älteren Geschwister – Elfriede Eisler-Friedländer und Gerhart Eisler – führende Funktionen zunächst in der KPÖ bzw. später in der KPD ausübten: Elfriede Friedländer gehörte 1918 zu den Gründerinnen der KPÖ (damals KPDÖ), ging im August 1919 nach Berlin und stand 1924/25 als Ruth Fischer gemeinsam mit Arkadij Maslow an der Spitze der KPD, aus der sie 1926 ausgeschlossen wurde.22 Gerhart Eisler war 1920/21 als Redakteur der von der KPÖ herausgegebenen Zeitschrift Der Kommunismus. Zeitschrift der Kommunistischen Internationale für die Länder Südosteuropas tätig und folgte 1921 seiner Schwester nach Berlin, wo er fortan in leitenden Positionen der KPD, u. a. als Mitglied des Politbüros, und der Komintern wirkte.23 Er beschrieb später die oppositionelle Einstellung und gelegentliche politische Betätigung seines Bruders Hanns im Jahr 1918 als „noch sehr wenig prinzipiell, gründlich – das war alles noch ein großes Durcheinander“.24
Über seine Geschwister und die „Musikgruppe“ hinaus pflegte Hanns Eisler persönliche Kontakte zu Parteikreisen: 1920 heiratete er die 1894 in Tarnopol (Ostgalizien) geborene Sängerin, Gesangspädagogin und Musikwissenschafterin Charlotte 18 19
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Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 22. Hugo Huppert, Die angelehnte Tür. Bericht von einer Jugend, Halle/S. 1976, S. 520. Zu den „Grinzinger Baracken“ vgl. auch Ilse Korotin/Karin Nusko (Hg.): „… genug Geschichte erlebt.“ Hilde Koplenig (1904– 2002). Erinnerungen, Wien 2008 (biografia. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung, Bd. 6), S. 62–65. Die als „Kommunistenbaracke“ bekannte Baracke 43 wurde 1957 abgerissen (Johann Hoffellner, Grinzinger Allee 7, Baracke 43, in: Festschrift zum vierzigsten Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Österreichs, hrsg. von der Betriebsorganisation Globus der KPÖ, Wien 1958, S. 16). Hans Hautmann, Die verlorene Räterepublik. Am Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs, Wien– Frankfurt a. M.–Zürich 1971 (Europäische Perspektiven), S. 66. Vgl. Zobl, Einiges zur Arbeit Hanns Eislers in den Wiener Arbeiterchören (Anm. 5), S. 37. Zu ihrer Biographie vgl. Einleitung, in: Ruth Fischer/Arkadij Maslow, Abtrünnig wider Willen. Aus Briefen und Manuskripten des Exils, hrsg. von Peter Lübbe, München 1990, S. 1–48, hier S. 5; Sabine Hering/ Kurt Schilde, Kampfname Ruth Fischer. Wandlungen einer deutschen Kommunistin, Frankfurt a. M. 1995; Annelie Schalm, Ruth Fischer – eine Frau im Umbruch des internationalen Kommunismus 1920–1927, in: Michael Buckmiller/Klaus Meschkat (Hg.), Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt, Berlin 2007, S. 129–147. Zur Biographie Gerhart Eislers vgl. Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-EislerBiographie, Berlin 2007. Nathan Notowicz, Wir reden hier nicht von Napoleon. Wir reden von Ihnen! Gespräche mit Hanns Eisler und Gerhart Eisler, Berlin 1971, S. 216.
„Regelung der Parteiangelegenheit“
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Demant, die 1914 mit ihrer Familie nach Wien gekommen war25 und 1925 der KPÖ beitrat.26 Eine Verbindung zur Partei bestand auch über Erwin Ratz, der der KPÖ seit 1920 angehörte. Ratz verkehrte auch im Umfeld der Ärztin und Schriftstellerin Marie Frischauf-Pappenheim,27 die wiederum der KPÖ 1919 beigetreten war, 1927 Vorsitzende der Internationalen Arbeiterhilfe wurde und 1909 für das Bühnenwerk Erwartung von Eislers Lehrer Arnold Schönberg das Libretto verfaßt hatte.28 1924 schrieb Ratz für die Musikblätter des Anbruch, eine der führenden Zeitschriften für moderne Musik, einen ersten Beitrag über den jungen Komponisten Hanns Eisler,29 dieser wiederum widmete seinem Freund Ratz 1926 seine „kleine Kantate“ mit dem Titel Tagebuch des Hanns Eisler.30 Im selben Jahr – Anfang 1926 – beantragte Eisler nach seiner kurz zuvor erfolgten Übersiedlung nach Berlin die Mitgliedschaft in der KPD, eigenen Angaben zufolge soll dieser Antrag jedoch nicht bearbeitet worden und damit ohne Konsequenz geblieben sein.31 Damit gehörte er der KPD zwar de jure nicht an, setzte sich aber de facto loyal für sie ein,32
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Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 26. ZPA, Charlotte Eisler: Fragebogen, o. D. [1946]; ebenda, Bezirksleitung der KPÖ Wien XVII., „Verdiente Genossen“, o. D. [1945/46]; Marcel Rubin, Lotte Eisler zum 60. Geburtstag, in: Österreichische Volksstimme, 5. Jänner 1954, S. 7. Damit ist auch das in der Forschungsliteratur genannte (auf einer Information Georg Eislers beruhende) Beitrittsjahr 1920 zu korrigieren – z. B. Jutta Raab Hansen, NS-verfolgte Musiker in England. Spuren deutscher und österreichischer Flüchtlinge in der britischen Musikkultur, Hamburg 1996 (Musik im „Dritten Reich“ und im Exil. Schriftenreihe, Bd. 1), S. 407; Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 132. Vgl. ZPA, Friedrich Hexmann an die Bezirksleitung der KPÖ Wien III., 10. Mai 1946. ZPA, Marie Frischauf: Lebenslauf, o. D. [Juni 1947]. Erwin Ratz, Hanns Eisler, in: Musikblätter des Anbruch, 6. Jg., Nr. 9 (Oktober 1924), S. 381–384 (auch abgedruckt in: Erwin Ratz, Gesammelte Aufsätze, hrsg. von F. C. Heller. Wien 1975, S. 106–109). Eberhardt Klemm, „Ich pfeife auf diesen Frühling“. Hanns Eislers Übersiedlung nach Berlin, in: Sinn und Form, 39. Jg., Heft 3 (1987), S. 448–456, hier S. 451. Über dieses Werk vgl. Fred Fischbach, Hanns Eisler. Le musicien et la politique, Bern etc. 1999 (Contacts, Série 3 – Etudes et documents, Vol. 47), S. 77–101. Erwin Ratz entfernte sich später von der KPÖ und wandte sich seit 1938 der Antroposophie zu: Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil, Wiesbaden– Leipzig–Paris 2006 (Eisler-Studien – Beiträge zu einer kritischen Musikwissenschaft, Bd. 2), S. 46. Nach der Befreiung 1945 war er als Professor für musikalische Formenlehre an der Akademie für Musik und darstellende Kunst tätig (Karl Heinz Füssl, Prof. Erwin Ratz zum 60. Geburtstag, in: Österreichische Musikzeitschrift, 14. Jg., Heft 1 (1959), S. 18–23, hier S. 19). Über das Engagement von Ratz in der KPÖ vgl. auch: Johannes Kretz, Erwin Ratz – Leben und Wirken, Frankfurt a. M. etc. 1996 (Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs, Bd. 4; zugleich Studien zur Wiener Schule, Bd. 1), S. 42–44. So Hanns Eisler am 24. September 1947 im Verhör vor dem Committee on Un-American Activities – Verhörprotokoll: Hanns Eisler vor dem „Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit“ (24. bis 26. September 1947 in Washington), in: Jürgen Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil. Zu den politischen, ästhetischen und kompositorischen Positionen des Komponisten 1938 bis 1948, Berlin 1978 (Literatur und Gesellschaft), S. 141–201, hier S. 157–159. In späteren, in der DDR verfaßten Lebensläufen aus den Jahren 1950, 1955 und 1956 erwähnt Eisler seinen Aufnahmeantrag nicht (Mayer: „Karl Marx der Musik“ (Anm. 1), S. 75). In der Literatur findet sich auch die falsche Annahme, Eisler sei 1926 der KPD beigetreten – z. B. Wilhelm Zobl, Von Schönberg zu Agitprop. Über Hanns Eislers politische und musikalische Entwicklung, in: Neues Forum, Heft 224, September/Oktober 1972, S. 66–69, hier S. 67; Eberhardt Klemm, Hanns Eisler. Für Sie porträtiert, Leipzig 1973, S. 10; Frithjof Trapp/Werner Mittenzwei/Henning Rischbieter/Hansjörg Schneider (Hg.), Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon der Theaterkünstler, Teil 1: A–K, München 1999, S. 215. Albrecht Betz, Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 83.
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u. a. als Musikkritiker und Feuilletonist für die Rote Fahne in den Jahren 1927/28 oder als Mitglied der kommunistischen Agitationsgruppe Das Rote Sprachrohr. Die enge Bindung Eislers zur österreichischen kommunistischen Bewegung geht auch aus einem von Georg Eisler, dem Sohn von Hanns und Charlotte, für die Organisationsabteilung der KPÖ verfaßten Lebenslauf hervor: „Da beide langjährige Mitglieder der K. P. sind, wuchs ich sozusagen in einem kommunistischen Haushalt auf“,
hielt der Maler 1946 nach seiner Rückkehr aus der englischen Emigration, wo er im Rahmen der österreichischen, dem kommunistischen Exil nahestehenden Jugendorganisation Young Austria aktiv gewesen war, anläßlich seines Beitritts zur KPÖ fest.33 Diese Anmerkung ist vor allem vor dem Hintergrund von Interesse, daß Georg Eisler offenbar davon ausgegangen ist, daß sein Vater in den 1920er Jahren auch in formaler Hinsicht der KPÖ bzw. KPD beigetreten war. Einschränkend muß festgehalten werden, daß Charlotte Eisler ab Ende 1927 kaum mehr in Berlin war, Georg 1928 in Wien zur Welt kam, während sein Vater bis 1933 – bis zu seiner unfreiwilligen Exilierung infolge des Machtantritts der NSDAP – in Berlin blieb. Die Ehe wurde 1935 geschieden.34 Charlotte Eisler ging 1936 mit ihrem Sohn nach Moskau, um für den dortigen Staatlichen Musikverlag (MUSGIS) eine GustavMahler-Edition herauszugeben. Als 1938 ihr Visum nicht mehr verlängert wurde, emigrierte sie nach Prag und 1939 weiter nach Großbritannien. 1947, ein Jahr nach ihrer Rückkehr, erhielt sie eine Lehrstelle für Gesang am Konservatorium der Stadt Wien, die sie bis 1952 an der Musikschule Kagran ausübte.35 Politisch war sie weiter für die KPÖ aktiv, u. a. als Mitarbeiterin des Verbandes der Volkskunstgruppen Österreichs und als Sekretärin der Musiksektion der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft.36 Wien wurde im Jänner 1933 die erste Station des Exils von Hanns Eisler: Anton Webern führte hier am 19. März im Rahmen eines Arbeiter-Symphoniekonzerts37 im Konzerthaus Das Lied vom Kampf auf, eine Lied-, Chor- und Sprechmontage aus Teilen seiner Musiken für Brechts Die Mutter und Die Maßnahme. Neben dem Singverein und dem Sprechchor der sozialdemokratischen Kunststelle wirkten das Wiener Orchesterstudio, Paula Janower, Hans Felden, Heinz Heimböck und Desider
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ZPA, Georg Eisler: Lebenslauf, o. D. [1946]. Georg Eisler verließ die KPÖ Anfang 1969 infolge des Einmarsches der Warschauer Vertragsstaaten in die Tschechoslowakei und der darauffolgenden krisenhaften Entwicklung der Partei (ZPA, Brief von Georg Eisler an das ZK der KPÖ, z. H. Franz Muhri, 26. Jänner 1969). ZPA, Charlotte Eisler: Fragebogen, o. D. [1946]. AdK, HEA, 4979, Georg Eisler an Hanns Eisler, 4. November 1952; Hannes Heher, Die Eislers. Einige Anmerkungen zu Rudolf und Charlotte, in: Haas/Krohn (Hg.), Hanns Eisler (Anm. 13), S. 47–55, hier S. 52f. Rubin, Lotte Eisler (Anm. 26). Zu den Arbeiter-Symphoniekonzerten vgl. Johann Wilhelm Seidl, Musik und Austromarxismus. Zur Musikrezeption der österreichischen Arbeiterbewegung im späten Kaiserreich und in der Ersten Republik, Wien–Köln– Graz 1989 (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge, Bd. 17), S. 113–223.
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Kovacs (Bariton) mit.38 In der Politischen Bühne wurde dieses Konzert als „revolutionäres Erlebnis von ungeheurer Intensität“ gewürdigt: „Hier wurde jene Schwelle überschritten, die von der künstlerischen zur politischen Tat führt. Aus dem ,Konzert‘ wurde eine flammende Kundgebung, bei der die sozialistische Begeisterung die Trennung zwischen Darstellern und Publikum vergessen ließ und alle einigte im leidenschaftlichen Bewußtsein einer unbesiegbaren Idee.“39
Auch im letzten Arbeiter-Symphoniekonzert vor der endgültigen Etablierung der austrofaschistischen Diktatur stand am 11. Februar 1934 im Wiener Musikverein unter der Leitung von Erwin Leuchter ein Werk Eislers auf dem Programm: Seine „Musik zu einem Tonfilm“, konkret ging es um die Orchestersuite Nr. 3 „Kuhle Wampe“, schloß mit dem Solidaritätslied.40 Das Zentralorgan der KPÖ, Die Rote Fahne, war zu diesem Zeitpunkt bereits verboten. Das Konzert im Jänner 1933 hatte hier jedoch ebensowenig einen publizistischen Niederschlag gefunden wie Aufführungen von Brechts Lehrstück Die Maßnahme im eben gegründeten Proletarischen Theater in der Praterstraße am 20. September 1932 und eine Aufführung der Mutter durch eine Gruppe engagementloser Schauspieler/Schauspielerinnen und Musiker im Theatersaal des Hotels Post im Dezember desselben Jahres.41 Anfang März 1933 findet sich ein Hinweis in der Roten Fahne auf die österreichische Erstaufführung der Mutter in einer konzertanten Fassung, die „einen derartigen Erfolg“ hatte, „daß sich der Bund der Freunde der Sowjetunion entschloß, das Drama im Rahmen eines musikalisch-literarischen Abends anläßlich des internationalen Frauentages am Freitag, den 3. d., Wien, VI., Königseggasse 10, nochmals zur Aufführung zu bringen“.42
Damit war wohl eine Vorstellung des KPÖ-nahen Bundes der Sowjetfreunde (BPS) kurz vor dem Abdruck dieser Notiz, und nicht die erwähnte Aufführung im Hotel Post gemeint, die in einer Inszenierung von Maria Gutmann (Die Junge Bühne) szenisch stattgefunden hatte.43 Szenen aus der Mutter standen auch in einem Abend 38
Sozialdemokratische Kunststelle. Das Lied vom Kampf, in: Arbeiter-Zeitung, 26. Februar 1933, S. 8–9, hier S. 8. Zu korrigieren ist die in der Forschungsliteratur anzutreffende Feststellung, daß Hermann Scherchen oder der Komponist selbst dieses Konzert dirigiert hätten. 39 Robert Ehrenzweig, Das Lied vom Kampf, in: Die Politische Bühne, hrsg. von der Sozialistischen Veranstaltungsgruppe, 2. Jg., Nr. 3/4, März/April 1933, S. 66. Eisler bat die Redaktion darauf um die Mitteilung, daß er auf die Zusammenstellung dieser Montage keinen Einfluß nehmen habe können (Das Lied vom Kampf, in: ebenda, 2. Jg., Nr. 5/6, Mai/Juni 1933, S. 88). 40 Arbeiter-Symphoniekonzert, in: Arbeiter-Zeitung, 10. Februar 1934, S. 7; Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 117; Hartmut Krones, Anton Webern, die „Wiener Schule“ und die Arbeiterkultur, in: ders. (Hg.), Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik, Wien–Köln–Weimar 1999 (Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 2), S. 51–85, hier S. 74f. 41 Kurt Palm, Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich, Berlin 1984, S. 21f.; Josef Toch, „Die Mutter“ – 1933. Erinnerungen an eine Wiener Aufführung vor zwanzig Jahren, in: Der Abend, 31. Oktober 1953, S. 5. 42 „Die Mutter“ von M. Gorki, in: Die Rote Fahne, 2. März 1933, S. 7. 43 Jürgen Doll, Theater im Roten Wien. Vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers, Wien–Köln–Weimar 1997 (Literatur in der Geschichte – Geschichte in der Literatur, Bd. 43), S. 226. In der Po-
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des BPS im Bayrischen Hof am 22. April 1933 und bei der Maiveranstaltung der KPÖ am 30. April 1933 in den Sophiensälen auf dem Programm.44 1932 hatte die Wochenzeitung der KPÖ Eisler als derzeit in Berlin lebenden „bekannte[n] österreichische[n] revolutionäre[n] Komponist[en]“ bezeichnet und seinen Beitrag „Unsere Kampfmusik“ abgedruckt.45 Im Exil war Eisler in verschiedenen Ländern Westeuropas, 1935 kurzzeitig auch in der Sowjetunion, tätig. In den Jahren seines Exils in den Vereinigten Staaten – 1938–42 in New York, danach übersiedelte er an die Westküste – sind Kontakte zur österreichischen kommunistischen Emigration nicht belegt,46 wobei zu bedenken ist, daß die amerikanische Einwanderungsgesetzgebung jedem Ausländer unter Androhung der Ausweisung aus dem Land jeglichen Kontakt mit der KP der USA verbat.47 Ein offenes Auftreten der in die USA immigrierten Kommunistinnen und Kommunisten war aufgrund der Bestimmungen der Immigrationsgesetzgebung nicht möglich. Es existierten demgemäß nur „minimale Parteistrukturen“.48 Eislers politisches Engagement war der Kern jener 1947 gegen ihn und seinen Bruder Gerhart einsetzenden antikommunistischen Kampagne, in deren Verlauf er vor den „Kongreßausschuß zur Untersuchung über unamerikanische Tätigkeit“ vorgeladen und im Frühjahr 1948 als „Symbolfigur der kommunistischen Bedrohung“49 aus den USA ausgewiesen wurde.50 Peter Schweinhardt hat in seiner 2005 erschienenen Pionierstudie über Eislers Wiener Arbeiten die Rückkehroptionen des Komponisten nach Europa skizziert – zur Diskussion standen Österreich, Deutschland, Frankreich und die Tschechoslowakei –, wobei er Lizzy Berner als „die wortreichste Informationsquelle über die Wiener Vorgänge“ nach 1945 erwähnt.51 Insgesamt standen Eislers Rückkehrbemühungen nach Österreich in enger personeller und struktureller Verbindung zur KPÖ: Berner gehörte der Partei seit 1935 an, war langjährige Lebensgefährtin von Erwin Ratz und ab 1945 Funktionärin der KPÖ im Bezirks- und Gebietsmaßstab. In den Jahren 1945 bis 1949 arbeitete sie als Direktionssekretärin der Universal-
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litischen Bühne war zu lesen, daß das Stück „von einer Gruppe junger Schauspieler“ sechsmal in verschiedenen Sälen aufgeführt werde (L.: Veranstaltungen der Kunststelle, in: Die Politische Bühne, hrsg. von der Sozialistischen Veranstaltungsgruppe, 1. Jg., Nr. 4, Dezember 1932, S. 73–74, hier S. 74). Brecht – Eisler – Weill. Heute großer revolutionärer Kunstabend, in: Die Rote Fahne, 22. April 1933, S. 3; [Inserat], in: Die Rote Fahne, 26. April 1933, S. 1. Hanns Eisler, Unsere Kampfmusik, in: Illustrierte Rote Woche, Nr. 8, 27. März 1932, S. 14. Auch in einer etwa 50 Namen umfassenden Liste österreichischer kommunistischer Emigrantinnen und Emigranten in den USA scheint Eisler nicht auf (ZPA, [Liste], o. D. [1945]). Zu Eislers Leben und Werk in den USA vgl. Schebera: Eisler im USA-Exil (Anm. 31), insbes. S. 42–138. Simon Loidl, Illegalität im Exil. Österreichische KommunistInnen in den USA, in: Manfred Mugrauer (Hg.), 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs, Wien 2009 (Quellen & Studien, Sonderband 12), S. 169–207, hier S. 169f. Maren Köster, Hanns Eisler, die Literatur und Ernst Fischer, in: Bernhard Fetz (Hg.), Ernst Fischer. Texte und Materialien, Wien 2000, S. 108–122, hier S. 108. Vgl. dazu auch: Hanns Eisler: Meine „unamerikanische“ Tätigkeit, in: Österreichisches Tagebuch, 2. Jg., Nr. 41, 14. November 1947, S. 7. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 46–66, über Wien insbes. S. 46–51, hier S. 46.
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Edition.52 Seit Dezember 1946 bemühte sich der Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka, Mitglied der KPÖ seit April 1945,53 um eine Rückkehr Eislers nach Wien, dieser antwortete zunächst jedoch „zwar höflich, aber doch ausweichend“. Parallel dazu setzten Charlotte und Georg Eisler „die nötigen Räder in Bewegung […], um die formalen Bedingungen einer Remigration von Hanns und Louise nach Österreich zu schaffen“. 54
Nachdem Eisler am 14. Oktober 1947 Matejka um die möglichst rasche Ausstellung von österreichischen Pässen gebeten hatte,55 startete dieser im November 1947, am Höhepunkt der Kampagne gegen Eisler in den USA, gemeinsam mit seinem Musikreferenten, dem Komponisten Friedrich Wildgans, Initiativen beim Unterrichtsministerium und beim Bürgermeister der Stadt Wien, um eine formelle Rückberufung Eislers zu erreichen. Peter Lafite von der Kunstsektion des Unterrichtsministeriums soll auch eine diesbezügliche Zusage erteilt haben. Ob der von Wildgans verfaßte Entwurf eines Schreibens des Wiener Bürgermeisters Theodor Körner an Hanns Eisler tatsächlich abgeschickt worden ist, ist nicht bekannt. Dagegen spricht jedoch, daß Eisler darin eine Lehrstelle am Konservatorium der Stadt Wien angeboten wurde,56 wozu es bekanntlich nicht kommen sollte. Wildgans, der ebenso seit April 1945 der KPÖ angehörte,57 war offenbar auch der Initiator eines Schreibens der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für neue Musik (IGNM) an den österreichischen Gesandten in Washington, in dem Eislers Rückreisebemühungen unterstützt wurden. Neben Wildgans, der als geschäftsführender Vizepräsident der IGNM fungierte,58 war das Schreiben von zahlreichen Prominenten der Wiener Musikszene – u. a. von Franz Salmhofer, Jo52
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ZPA, Lizzy Berner: Fragebogen, 16. August 1952, sowie Lebenslauf, 1. Februar 1954. Daß Berner Kulturreferentin eines Wiener Bezirks war (Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 46), läßt sich anhand der Unterlagen im ZPA der KPÖ nicht nachweisen. Nach ihrer Kündigung bei der UE war Berner Betriebsratsobfrau der Zentrale der Sowjetischen Mineralölverwaltung (SMV) (vgl. Die Uebergabe der Oelbetriebe. Hände weg vom Oel, in: Der Abend, 13. August 1955, S. 1). Manfred Mugrauer, „Angelegenheit Matejka“. Viktor Matejkas KPÖ-Mitgliedschaft im Spannungsfeld von Konflikt und Freiraum, in: Zeitgeschichte, 32. Jg. (2005), Heft 6, S. 371–398, hier S. 372. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 49. Vgl. AdK, HEA, 6419, Magistrat der Stadt Wien, Geschäftsgruppe III, Kultur und Volksbildung, an Hanns Eisler, 24. Oktober 1947. Wien-Bibliothek, Nachlaß Viktor Matejka (ZPH 830), Box 11, Brief des Musikreferats der MA 8, Friedrich Wildgans, an Viktor Matejka, Betrifft: Hanns Eisler, Rückberufung nach Österreich, 14. November 1947. Im Briefentwurf hieß es: „Als Bürgermeister der Stadt Wien lade ich Sie ein, nach Wien zurückzukehren. Das Wiener Musikleben würde durch die Anwesenheit einer so starken und fortschrittlichen Künstlerpersönlichkeit wie Sie sie darstellen, entschieden bereichert und befruchtet werden. Eine Lehrstelle am Konservatorium der Stadt Wien und daneben ihre Tätigkeit als Vortragender würden gewiß ausreichen, um Ihnen für die erste Zeit ein erträgliches Auskommen zu gewährleisten.“ (Ebenda, Beilage: Bürgermeister der Stadt Wien an Hanns Eisler [Entwurf], 14. November 1947). Leopold Brauneiss, Friedrich Wildgans. Leben, Wirken und Werk. Dissertation Universität Wien 1988, S. 74. Wildgans wurde 1950 wegen einer Konzertreise nach Jugoslawien aus der KPÖ ausgeschlossen (Ausschluß aus der Partei, in: Österreichische Volksstimme, 15. Juli 1950, S. 2; Kein Opfer atonaler Musik, in: ebenda, 18. Juli 1950, S. 3). Walter Szmolyan, Wiederbeginn 1945 mit Anton Webern und Rückblick in die dreißiger Jahre, in: Österreichische Musikzeitschrift, 37. Jg. (1982), Heft 11, S. 623–630, hier S. 630; Brauneiss, Wildgans (Anm. 57), S. 137.
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sef Krips, Joseph Marx, Hans Sittner, Hans Erich Apostel und Marcel Rubin – unterzeichnet. Die kommunistische Presse berichtete ebenso wie die KP-nahe Exilpresse in den USA über diese Initiative.59 Neben Erwin Ratz, der das Notenmaterial Eislers in den Kriegsjahren aufbewahrt hatte,60 war Wildgans bereits ab 1945 in seinen verschiedenen Funktionen im Wiener Musikleben um Hanns Eisler bemüht gewesen: Als Funktionär der nach der Befreiung neu gegründeten österreichischen Sektion der IGNM dürfte die Uraufführung zweier Kammerkantaten Eislers – die Kantate auf den Tod eines Genossen und Man lebt von einem Tage zu dem andern – im Rahmen des ersten Kammerkonzerts der IGNM Ende Juni 194561 ebenso auf die Initiative von Ratz und Wildgans zurückgegangen sein wie die Aufführung von Eislers Vier Klavierstücken, op. 3, und seinem Duo für Violine und Violoncello Nr. 1, op. 7, im August 1947 im Rahmen der „Modernen Stunde“ der Ravag,62 die Wildgans gemeinsam mit Herbert Häfner betreute.63 Wildgans erstellte auch den Klaviersatz für Eislers Für Österreichs Freiheit, eine neu textierte Fassung von Komintern für Gesang und Klavier, das zunächst im Rahmen einer Loseblattfolge und 1946 mit weiteren Arbeiterliedern bei der Universal-Edition erschien.64 Der Chorgesang Für Österreichs Freiheit erklang am 29. September 1945 im Rahmen der Gedenkfeier der KPÖ für ihre im antifaschistischen Widerstand gefallenen und hingerichteten Opfer sowie am 1. November 1945 bei der Gedenkstunde der Volkssolidarität für die Opfer des Faschismus, ebenso im Wiener Konzerthaus.65 Die Initiative zur Herausgabe dieser Arbeiterlieder bei der Universal-Edition war 1945 im Einverständnis mit Parteistellen der KPÖ von der als Tänzerin bekannten Hanna Berger ausgegangen.66 Berger berichtet auch, daß bei der „KZKundgebung“ im Wiener Konzerthaus, womit wohl das Konzert am „Tag der Volkssolidarität“ am 17. Juni 1945 gemeint ist,67 der Chor der „Freien Österreichi59
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Oesterreichischer Musiker in Amerika in Gefahr, in: Österreichische Volksstimme, 3. Jänner 1948, S. 2; Für Hanns Eisler, in: Österreichisches Tagebuch, 3. Jg., Nr. 3, 16. Jänner 1948, S. 7; Oesterreichische Musiker protestieren, in: Die Woche, 18.1.1948, S. 4; Austrian American Tribune, Februar 1948, abgedruckt in: Österreicher im Exil – USA 1938–1945. Eine Dokumentation, hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Bd. 2. Wien 1995, S. 747f. Georg Eisler, Intervalle, in: ders., Skizzen. Schriften und Zeichnungen, Wien 1990, S. 15–25, hier S. 16. Den Vokalpart sangen Elisabeth Höngen und Dora With. Das Programm der Aufführung am 28. Juni 1945 im Brahmssaal des Wiener Musikvereins ist abgedruckt in: Thomas Gayda, Zur Auseinandersetzung um Organisation und Ästhetik der zeitgenössischen österreichischen Musik im Konzertleben Wiens in den ersten Jahren nach 1945, Dissertation Universität Wien 1988, S. 162. Die Interpreten waren Herbert Häfner (Klavier), Miklos Hegedüs (Violine) und Richard Matuschka (Violoncello). H. Wolfgang [d. i. Heinz Hollitscher], Hanns Eisler, in: Österreichische Zeitung, 28. August 1947, S. 5. Heinrich Kralik, Zehn Jahre Musik im Wiener Rundfunk, in: Österreichische Musikzeitschrift, 10. Jg. (1955), Heft 1, S. 36–38, hier S. 37; Gayda, Konzertleben (Anm. 61), S. 54–56. Lieder der Freiheit, Folge 4, Wien o. J. [1945]; Lieder der Freiheit. Für Klavier zu zwei Händen. Klaviersatz von Friedrich Wildgans, Wien 1946, S. 15; vgl. dazu auch Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 84. Eine Übersicht aller bis 1952 bei der Universal-Edition verlegten Werke Eislers findet sich in: Die Orchesterwerke der Universal-Edition, Wien o. J. [1952], S. 21. http://konzerthaus.at/archiv/datenbanksuche [1. Oktober 2008]. ZPA, Hanna Berger: Lebenslauf, 20. Oktober 1952, S. 3. Im Zeichen der österreichischen Volkssolidarität, in: Österreichische Zeitung, 19. Juni 1945, S. 2.
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schen Jugend“, der KPÖ-nahen Jugendorganisation, seinen ersten öffentlichen Auftritt mit dem Solidaritätslied Eislers absolvierte.68 Hanna Berger hat ihr Solo Solidarität nach dem Solidaritätslied von Brecht/Eisler in den Folgejahren auch in Berlin mehrmals getanzt.69
Beispiel 1: Hanns Eisler, Für Östereichs Freiheit (1945).
„Genosse Eisler“ Die gescheiterte Etablierung Hanns Eislers in Wien, seine vergeblichen Bemühungen, eine Lehrstelle am Konservatorium der Stadt Wien zu erhalten, sind in der Forschungsliteratur mehrfach dargestellt worden.70 Als Schönberg-Schüler und Kommunist war Eisler der konservativen Musikbürokratie zweifach verdächtig, es blieb ihm vor dem Hintergrund des auch in der Kulturpolitik herrschenden antikommunistischen Klimas verwehrt, in Wien beruflich Fuß zu fassen. Otto Kreilis68 69 70
ZPA, Hanna Berger: Arbeitsbericht 1945–1952, 1. Oktober 1952, S. 2. Andrea Amort, Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand, Wien 2010, S. 76. Wilhelm Zobl, Hanns Eislers Wiener Jahre 1948–50, in: kompAkt 23. eine Wiener Zeitschrift für neue Musik, Heft 2, Oktober 1987, S. 43–45; Renate Göllner, Die dritte Vertreibung Hanns Eislers, in: Hanns-Werner Heister/Karin Heister-Grech/Gerhard Scheit (Hg.), Zwischen Aufklärung & Kulturindustrie. Festschrift für Georg Knepler zum 85. Geburtstag, Bd. III: Musik/Gesellschaft, Hamburg 1993, S. 199–206; Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 210–221; Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), insbes. S. 71–119.
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heim, der 1933 der KPÖ beigetreten war71 und nach seiner Rückkehr aus dem USExil 1947 im Stadtamt Viktor Matejkas arbeitete, berichtet in seinen Erinnerungen, daß Eisler nach einer Vorsprache am Wiener Konservatorium in dessen Büro im Rathaus kam und lachend sagte: „Ich hätte sie fragen sollen, ob sie nicht wenigstens einen kleinen dicken Portier brauchen könnten.“72
Am 15. Juni 1948 mußte Wildgans dem in Prag weilenden Eisler mitteilen, daß Vizebürgermeister Karl Honay den Antrag, Eisler eine Professur am Konservatorium zu verleihen, abschlägig beschieden habe.73 Bereits im Mai 1948 vermittelte der Musiker und Musikwissenschafter Georg Knepler – zu dieser Zeit Kulturfunktionär der KPÖ, mit dem Eisler bereits in Berlin 1932/33 zusammengearbeitet hatte74 – im Rahmen eines Gesprächs mit dem SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck eine Einladung Eislers nach Berlin, die dem Komponisten über den Parteivorsitzenden Johann Koplenig übermittelt wurde.75 „Daß Eisler noch keine seiner Bedeutung entsprechende Lehrstelle an einer österreichischen Musikstätte hat, ist ein eigenes Kapitel in der Geschichte der österreichischen Kulturmisere“,
resümierte Knepler im Mai des Folgejahres die erfolglosen Bemühungen Eislers um eine feste Anstellung am Konservatorium oder an der Akademie.76 Im Juni 1949 übersiedelte Eisler definitiv nach Berlin, wo er 1950 an der von Knepler geleiteten Deutschen Hochschule für Musik eine Professur für Komposition erhielt.77 In der Zeit von April 1948 bis Juni 1949, die er zum Großteil in Wien verbrachte, trat Eisler als kommunistisch orientierter Künstler auch in vielfältiger Weise in Beziehung zur KPÖ: Die Parteipresse begrüßte die Ankunft des „bekannte[n] österreichische[n] Komponist[en], Schriftsteller[s] und Demokrat[en]“ in Wien am 1. April 194878 und berichtete von seiner Absicht, in Wien zu bleiben und als Lehrer für ein Musikinstitut zu arbeiten.79 Eisler sei bereit, „seine Fähigkeiten ganz dem 71 72 73 74
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ZPA, Otto Kreilisheim: Fragebogen, 7. April 1952. Otto Kreilisheim, Ich erinnere mich…, hrsg. vom Bund demokratischer Lehrerinnen und Lehrer, Wien o. J. [1989], S. 57. AdK, HEA, 5815, Magistrat der Stadt Wien, Mag. Abt. 8, Kultur und Volksbildung, Musikreferat, Friedrich Wildgans an Hanns Eisler, 15. Juni 1948, S. 2. Georg Knepler, Erinnerungen an Hanns Eisler, in: Beiträge zur Musikwissenschaft, 11. Jg. (1969), Nr. 1, S. 3– 10, hier S. 3, nachgedruckt in Manfred Grabs (Hg.), Wer war Hanns Eisler. Auffassungen aus sechs Jahrzehnten, Berlin 1983, S. 413–417, hier S. 413. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 218. Georg Knepler, Ein seltenes Ereignis. Ein Hanns-Eisler-Konzert im Radio, in: Österreichische Volksstimme, 21. Mai 1949, S. 4. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 222 und 233. Hans [sic!] Eisler in Prag eingetroffen, in: Österreichische Volksstimme, 1. April 1948, S. 3; Hanns Eisler kommt heute nach Wien, in: Der Abend, 1. April 1948, S. 1. Hanns Eisler in Wien eingetroffen. Oesterreichischer Komponist kehrt heim, in: Der Abend, 2. April 1948, S. 3; K. B. [Kurt Blaukopf], Koloman-Wallisch-Kantate und ein Tagebuch in Liedern. Gespräch mit Hanns Eisler, in: Der Abend, 3. April 1948, S. 7.
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österreichischen Musikleben zur Verfügung zu stellen“, resümierte der kommunistische Musikkritiker Heinz Hollitscher80 ein Interview mit dem Komponisten in der von der sowjetischen Besatzungsmacht herausgegebenen Österreichischen Zeitung.81 Tatsächlich begann Eisler sogleich, im Wiener Musikleben Aktivitäten zu entfalten: Am 3. Mai 1948 dirigierte er für die Ravag, den österreichischen Rundfunk, ein Kammerkonzert mit zwei Suiten für Septett (Streichquartett, Klarinette, Flöte und Fagott), wenige Tage später, am 7. Mai, wurden beide Werke in einem Hauskonzert der Universal-Edition wiederholt, gemeinsam mit fünf Liedern von Eisler aus dem Hollywooder Liederbuch nach Texten von Bertolt Brecht, gesungen von Charlotte Eisler, begleitet von Herbert Häfner. An den Septetten wirkte neben einem Kammerensemble aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker u. a. auch Friedrich Wildgans als Klarinettist mit.82 Seinen für den „II. Internationalen Kongreß der Komponisten und Musikkritiker“ in Prag vorgesehenen Vortrag über „gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik“ präsentierte Eisler vorab im Rahmen einer Veranstaltung des Instituts für Wissenschaft und Kunst (IWK),83 das in diesen Jahren auch kommunistischen Wissenschaftern Möglichkeiten für Forschung und Lehre bot.84 Erwin Ratz gab einleitend „ein Bild des Schaffens Hanns Eislers“.85 Ein weiterer Vortrag am IWK folgte am 7. März 1949 zum Thema „Hörer und Komponist“.86
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Heinz Hollitscher gehörte der KPÖ seit 1945 an, kehrte 1947 aus dem englischen Exil nach Wien zurück und arbeitete zunächst als Musikkritiker für die Österreichische Zeitung, die Österreichische Volksstimme und den Abend. Ab 1950 leitete er die Musikabteilung der „Russischen Stunde“ der Ravag (ZPA, Heinz Hollitscher: Lebenslauf, 10. August 1953). H. W. H. [Heinz Hollitscher], Hanns Eisler erzählt. Aus einem Interview mit dem Komponisten, in: Österreichische Zeitung, 4. April 1948, S. 5. Hanns Eisler in der Ravag, in: Österreichische Zeitung, 29. April 1948, S. 5; Hanns Eisler schreibt Filmmusik – in Prag, in: Der Abend, 3. Mai 1948, S. 4; M. R. [Marcel Rubin], Hanns Eisler in der Ravag, in: Österreichische Volksstimme, 9. Mai 1948, S. 4; K. B. [Kurt Blaukopf], Musik von Hanns Eisler, in: Der Abend, 10. Mai 1948, S. 4; H. W. H. [Heinz Hollitscher], Neue Kammermusik von Hanns Eisler, in: Österreichische Zeitung, 13. Mai 1948, S. 5. Das Programm des Hauskonzerts ist auch abgedruckt in Gayda, Konzertleben (Anm. 61), S. 173. Im Titel des Vortrags ist gegenüber der Prager Fassung von „gesellschaftlichen Grundlagen“ die Rede (Gesellschaftliche Grundlagen der modernen Musik, in: Österreichische Volksstimme, 13. Mai 1948, S. 3; Hanns Eisler, Vom Kult zur Kultur. Gesellschaftliche Grundlagen der modernen Musik, in: Österreichisches Tagebuch, 3. Jg., Nr. 13, Mai 1948, S. 2–4, nachgedruckt als: Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik, in: Eisler, Materialien (Anm. 9), S. 181–194). Zu diesem Vortrag Eislers siehe auch: Maren Köster, Musik-ZeitGeschehen. Zu den Musikverhältnissen in der SBZ/DDR 1945 bis 1952, Saarbrücken 2002, S. 45–54. Vgl. dazu Gerhard Oberkofler/Eduard Rabofsky, Wissenschaft in Österreich (1945–1960). Beiträge zu ihren Problemen, Frankfurt a. M. 1989 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 405), S. 25–55. K. B. [Kurt Blaukopf], Hanns Eisler über moderne Musik. „Die Schönberg-Schule wird geschlossen“, in: Der Abend, 7. Mai 1948, S. 4. K. B. [Kurt Blaukopf], Ein Komponist spricht zum Publikum. Vortrag Hanns Eislers im Institut für Wissenschaft und Kunst, in: Der Abend, 10. März 1949, S. 3; Hanns Eisler, Hörer und Komponist, in: Österreichisches Tagebuch, 4. Jg., Nr. 4, April 1949, S. 7–9. Eisler hatte diesen Vortrag zuvor bereits am 22. Jänner 1949 im Auditorium Maximum der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten (Schebera, Eisler [Anm. 2], S. 221).
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Im Juli 1948 wußte die Österreichische Volksstimme, das Zentralorgan der KPÖ, gar zweimal zu berichten, daß der heimgekehrte „berühmte österreichische Komponist“ Eisler die „musikalische Oberleitung der ab September als Theater wiedereröffneten neuen Scala übernehmen“
werde,87 was zwar in dieser Form nicht zutreffend war, es kamen jedoch bis zur Schließung des der KPÖ nahestehenden Theaters88 1956 zahlreiche Stücke mit von Eisler komponierter Musik zur Aufführung. Schweinhardt hat darauf hingewiesen, daß sich der Plan einer Zusammenarbeit mit den Initiatoren des „Neuen Theaters in der Scala“ sehr schnell ergeben hat.89 Im Juli 1948 sagte Eisler gegenüber dem aus der Schweiz remigrierten kommunistischen Schauspieler Karl Paryla,90 einem der Sozietäre des Theaters, seine definitive Mitarbeit zu.91 Paryla hatte Eisler zuvor gebeten, seinen offenbar bereits zuvor getätigten „Ausruf ,ich arbeite mit Euch!‘ in die Tat um[zu]setzen“, auch um mit diesem „bescheidenen Angebot“ zu verhindern, daß Eisler „unserer Heimat den Rücken“ kehre.92 Am 16. September 1948 wurde die „Scala“ mit einer aktuellen Bearbeitung von Nestroys Posse Höllenangst eröffnet, Hanns Eisler hatte dazu im August die Bühnenmusik komponiert.93 Wolfgang Heinz hatte zwar im Namen der Sozietät Eisler gebeten, die Premiere zu dirigieren,94 die musikalische Leitung übernahm jedoch letztlich Friedrich Wildgans. Unmittelbar nach seiner Rückkehr kündigte Eisler gegenüber der kommunistischen Presse auch die Vollendung einer für österreichische Schulaufführungen vorgesehenen Kantate zu Ehren von Koloman Wallisch an. Dieses „Lehrstück“ über die Exekution des sozialdemokratischen Parteifunktionärs Wallisch nach den Februarkämpfen im Jahr 1934 hatte Eisler nach einem Text von Brecht zur Vertonung für
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Hanns Eisler an der neuen Scala, in: Österreichische Volksstimme, 14. Juli 1948, S. 4; Ein Theater mit Kinopreisen. Die neue Scala gibt ihre Pläne bekannt, in: ebenda, 22. Juli 1948, S. 3. Vgl. dazu Wilhelm Pellert, Roter Vorhang. Rotes Tuch. Das Neue Theater in der Scala (1948–1956). Wien: In Sachen, Heft 8, 1979; Carmen-Renate Köper, Ein unheiliges Experiment. Das Neue Theater in der Scala, Wien 1995. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 286. Evelyn Deutsch-Schreiner, Karl Paryla. Ein Unbeherrschter. Mit einem Vorwort von Otto Schenk, Salzburg 1992, insbes. S. 75–111. „Ich kann nur wiederholen, ich werde mich sehr freuen mit Euch zu arbeiten.“ (AdK, HEA, 5030, Telegramm von Hanns Eisler an Karl Paryla, o. D. [Juli 1948]). AdK, HEA, 5029, Sozietät des Neuen Theaters in der Scala, Karl Paryla an Hanns Eisler [in Prag], 5. Juli 1948, S. 1f. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 216; Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 96; vgl. dazu auch: Hanns Eisler, Wie ich Nestroy verstehe. Über die Musik zu „Höllenangst“, in: Österreichisches Tagebuch, 3. Jg., Nr. 18, Oktober 1948, S. 15, nachgedruckt als: Hanns Eisler, Über die Musik zu Nestroys „Höllenangst“ [1948], in: Sinn und Form, Sonderheft 1964, S. 276–277, sowie in: Eisler, Materialien (Anm. 9), S. 195– 197. AdK, HEA, 5840, Sozietät des Neuen Theaters in der Scala, Wolfgang Heinz an Hanns Eisler [in Prag], 21. Juli 1948.
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Sprecher, Chor, zwei Klaviere und Ziehharmonika vorgesehen.95 Am 8. April 1948, wenige Tage nach den Zeitungsinterviews, schrieb Eisler an Brecht, daß er „gerne nach Zürich kommen [möchte], um die ‚Wallisch-Kantate‘ mit Dir fertig zu machen, die man hier dringendst braucht und die auch schon angezeigt ist“. 96
Dieses Projekt soll jedoch – gemäß einer Mitteilung von Georg Eisler – von Friedl Fürnberg, dem Generalsekretär der Partei, bei einer Besprechung in der Wohnung von Charlotte Eisler als nicht zweckmäßig eingeschätzt worden sein.97 Dies mag zwar vor dem Hintergrund der Zuspitzungen am ersten Höhepunkt des Kalten Krieges und der Tatsache, daß die KPÖ kaum „an einer repräsentativen Kantate mit sozialdemokratischem Helden interessiert“ sein konnte, durchaus realistisch erscheinen. Dennoch ist Schweinhardt zuzustimmen, daß die Vermutung, allein das „Missbehagen der österreichischen Kommunisten an dem Koloman-WallischStoff“ sei letztlich dafür verantwortlich gewesen, „dass Eisler von der Komposition Abstand genommen hat […], spekulativ“ bleiben muß.98 Im Jahresverlauf verband ihn ein Kompositionsauftrag auf das engste mit der Kommunistischen Partei Österreichs: Für den künstlerischen Teil der Eröffnungssitzung des 14. Parteitags, der von 29. bis 31. Oktober 1948 im Wiener Musikverein tagte, fertigte Eisler eine Orchesterfassung des Einheitsfrontliedes an, die von den Wiener Symphonikern unter Leitung des der KPÖ angehörenden Komponisten Marcel Rubin99 und einem Massenchor, zusammengesetzt aus den Mitgliedern von sieben Arbeiterchören – des „Wiener Arbeiterchors“ der KPÖ (des zentralen Parteichors der Wiener Partei), des Chors der „Freien Österreichischen Jugend“ („Wiener FÖJ-Chor“), des „Ersten Arbeiter-Frauenchors der KPÖ“, sowie der Chöre Franz Sebek, Floridsdorf, Sankt Pölten und Viehofen (Niederösterreich) – dargeboten wurde. Darüber hinaus wurden zu diesem Anlaß – neben Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, Massenchören und Volkstänzen – zwei eigens für den Parteitag komponierte Werke Marcel Rubins – Eine österreichische Ouvertüre und das Kampflied Für Freiheit und Frieden nach Worten von Friedl Hofbauer – uraufgeführt. Die Internationale beschloß das Pro95
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Mein Verhör vor dem Hexengericht. Hanns Eisler erzählt über Hollywood, die „Stadt des Terrors“, in: Österreichische Volksstimme, 4. April 1948, S. 4; K. B., Koloman-Wallisch-Kantate (wie Anm. 79); H. W. H., Hanns Eisler erzählt (Anm. 81). Bertolt-Brecht-Archiv, Brecht-Sammlung Victor N. Cohen, Hanns Eisler an Bertolt Brecht, 8. April 1948, zit. nach: Werner Hecht, Brecht-Chronik 1898–1956. Ergänzungen, Frankfurt a. M. 2007, S. 78. Georg Eisler im Rahmen einer Podiumsdiskussion (Podiumsdiskussion über den Zeitgenossen Hanns Eisler, in: Mayer, „Karl Marx der Musik“ (Anm. 1), S. 84–100, hier S. 85); Ortswechsel. Zwischen Wien und Berlin. Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling, in: Österreichische Musikzeitschrift, 53. Jg. (1998), Heft 7–8, S. 42–51, hier S. 48; vgl. dazu auch: Albrecht Dümling, Laßt euch nicht verführen. Brecht und die Musik, München 1985, S. 585f. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 105f. Am 5. Oktober 2002 fand in Bruck an der Mur im Rahmen einer Veranstaltung des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer die österreichische Erstaufführung der Kantate, unterlegt mit Musikstücken Hanns Eislers, statt (ZPA, Programmfolder). Hartmut Krones, Marcel Rubin. Eine Studie, Wien 1975 (Österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts, Bd. 22); ders., Marcel Rubin – Leben, Werk und Wirken, Dissertation Universität Wien 1982.
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gramm.100 Mit seiner „Kampfmusik“ blieb Eisler auch in den Folgejahren bei repräsentativen Parteiveranstaltungen präsent: So erklang das Einheitsfrontlied bei der Festveranstaltung der KPÖ zum 15. Parteitag am 3. November 1951 im Großen Saal des Wiener Konzerthauses, bei der Festversammlung des 16. Parteitags am 13. Mai 1954 stand das Solidaritätslied auf dem Programm. Beide Male dirigierte Marcel Rubin die Wiener Symphoniker und einen aus mehreren Arbeiterchören zusammengesetzten Massenchor.101 Der Vorsitzende der KPÖ Johann Koplenig bedankte sich am 4. November 1948 brieflich bei Eisler für die Orchestrierung des Einheitsfrontliedes, das seiner Meinung nach den „Höhepunkt“ des Parteitagseröffnungsprogramms dargestellt habe, und gab seiner Hoffnung nach „neue[n] Kampflieder[n]“ und einer daraus resultierenden „Belebung des Arbeitergesanges in Österreich und Anregungen für jüngere Komponisten“ Ausdruck.102 In der Tat kam es 1949 zu weiteren Arbeiten Eislers, die für die KPÖ kulturpolitisch „nützlich“ waren: Bei der Maifeier der „Russischen Stunde“ der Ravag, die seit 1945 unter sowjetischer Leitung im Sender Wien der Ravag eingerichtet worden war,103 wurde erstmals die „Wiener Fassung“ des Einheitsfrontliedes dargeboten, eine erneute Bearbeitung des Kampfliedes für eine etwas kleinere Besetzung (für Bläser, Klavier und Kontrabaß). Es sangen ein gemischter Chor der Ravag und Karl Schramek (Bariton), Eisler selbst dirigierte ein Bläserkammermusikensemble der Wiener Symphoniker. Darüber hinaus erklangen bei dieser Gelegenheit zwei neue Chorlieder Eislers nach Texten österreichischer Kommunisten: das anläßlich des im April in Prag und Paris stattfindenden ersten Weltfriedenskongresses komponierte Lied über den Frieden auf einen Text von Ernst Fischer sowie das Lied über die Gerechtigkeit aus der Feder seines Bruders, des Arztes und Redakteurs Walter Fischer,104 der zu dieser Zeit als Bezirksobmann des größten österreichischen Parteibezirks Wien-Favoriten tätig war.105 Eisler war in seinen Wiener Jahren 1948/49 öffentlichkeitswirksam in den Friedenskampf der KPÖ und die Aktivitäten der österreichischen Friedensbewegung eingebunden: Ende August 1948 hatte er – u. a. gemeinsam mit Ernst Fischer, Bruno Frei und Walter Hollit100
ZPA, Programm der Eröffnungssitzung des XIV. Parteitags der Kommunistischen Partei Österreichs, 29. Oktober 1948; Georg Knepler, Das künstlerische Programm der Parteitagseröffnung, in: Österreichische Volksstimme, 3. November 1948, S. 6. 101 ZPA, Programm der Festveranstaltung zum 15. Parteitag der Kommunistischen Partei Österreichs, 3. November 1951; H. Holl [Heinz Hollitscher], Festveranstaltung zum XV. Parteitag der KPOe, in: Österreichische Volksstimme, 6. November 1951, S. 5; ZPA, Programm der Festveranstaltung zum 16. Parteitag der KPÖ, 13. Mai 1954; K., Das künstlerische Programm der Festversammlung zum XVI. Parteitag der KPOe, in: Österreichische Volksstimme, 15. Mai 1954, S. 6. 102 AdK, HEA, 5859, ZK der KPÖ, Johann Koplenig an Hanns Eisler, 4. November 1948. 103 Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945–1955, Diplomarbeit Universität Wien 1998, insbes. S. 222–277. 104 Uraufführung von Hanns Eislers Friedenslied im Radio, in: Österreichische Zeitung, 1. Mai 1949, S. 6; Marcel Rubin, Oesterreichische Lieder von Hanns Eisler uraufgeführt, in: Österreichische Volksstimme, 3. Mai 1949, S. 7. Zu korrigieren ist also, daß es sich bei den Instrumentalisten um Mitglieder der Wiener Philharmoniker gehandelt habe (Köster, Eisler (Anm. 49), S. 110; Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 108). Zur Analyse der beiden Lieder vgl. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 112–119. 105 Genosse Dr. Walter Fischer 50 Jahre, in: Österreichische Volksstimme, 11. Jänner 1951, S. 2.
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scher – als Mitglied der österreichischen Delegation am „Weltkongreß zur Verteidigung des Friedens und der Kultur“ im polnischen Wrocław teilgenommen.106 Die Initiative dazu war von Fischer ausgegangen.107 Anfang April 1949 stimmte das Sekretariat des Zentralkomitees der KPÖ erneut einer Anregung Fischers zu, daß Eisler und Frei auch der Delegation zum Pariser Friedenskongreß angehören sollten.108 Eisler reiste zwar nicht zum vom 20. bis 25. April in Paris und parallel dazu in Prag stattfindenden Kongreß,109 unterzeichnete jedoch gemeinsam mit zahlreichen weiteren österreichischen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst als Mitglied des vorbereitenden Delegiertenkomitees ein Begrüßungstelegramm.110 Ebenso im Rahmen eines von Eisler selbst dirigierten Sonntagabendkonzerts der „Russischen Stunde“ erklang am 29. Mai 1949 die Uraufführung von Die Mutter in einer Kantatenfassung, an der neben dem gemischten Chor der Ravag unter Leitung von Tonja Sontis-Czukovits zahlreiche Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld der KPÖ – Ilona Steingruber (Mezzosopran), Maria Eis, Hortense Raky, Karl Paryla (Rezitation) und Georg Knepler (Klavier) – mitwirkten.111 Jürgen Schebera vermutet, daß die Anregung zu dieser Kantatenfassung von Franz Bönsch, dem kommunistischen Leiter der „Russischen Stunde“, ausgegangen ist, den Eisler Ende 1948 kennengelernt hatte.112 Bei einem Kammerkonzert der IGNM im Musikverein am 13. Mai 1949 war Karl Brix, KPÖ-Mitglied seit 1928113 und in späteren Jahren Musikkritiker der kommunistischen Parteipresse, der Solist der österreichischen Erstaufführung von Eislers Sonate für Violine und Klavier (Reisesonate). Nach der Pause wurden die Kantate auf den Tod eines Freundes, ein Stück aus dem Hollywooder Liederbuch, Kinderlieder auf Texte von Brecht (Sopran: Hilde Rychlink) und erneut die beiden Suiten für Septett (Variationen über amerikanische Kinderlinder und Zirkus) mit dem Swoboda-Quartett, Camillo Wanausek (Flöte), Friedrich Wildgans (Klarinette), Leo Cermak (Fagott) unter Leitung von Herbert Häfner aufgeführt.114 Wenige Tage 106
Kultur ist gleich Friede. Zum internationalen Kongreß der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens in Wroclaw am 25.–28. August 1948, in: Österreichisches Tagebuch, 3. Jg., Nr. 17, September 1948, S. 11. 107 Ernst Fischer, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955, Wien–München–Zürich 1973, S. 247. 108 ZPA, Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK der KPÖ, 4. April 1949. 109 Rüdiger Schlaga, Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950–1979), Münster–Hamburg 1991 (Studien zur Friedensforschung, Bd. 2), S. 54. 110 AdK, HEA, 5070, Hans Thirring an Hanns Eisler, 21. März 1949; Oesterreichische Intellektuelle für Pariser Weltfriedenskongreß, in: Österreichische Volksstimme, 31. März 1949, S. 2; Hanns Eisler, Meine Unterschrift für den Frieden, in: Der Abend, 1. April 1949, S. 1; Wien-Bibliothek, Nachlaß Viktor Matejka (ZPH 830), Box 30, Flugblatt Weltfriedenskongreß, Paris 20. April 1949. 111 Den zweiten Klavierpart spielte Max Kundegraber, die zweite Solopartie sang der Bariton Alfred Poell (Oesterreichische Uraufführung von Hanns Eisler „Die Mutter“ in der Ravag, in: Österreichische Volksstimme, 28. Mai 1949, S. 4). Es handelt sich dabei um die dritte konzertante Fassung der Mutter (Joachim Lucchesi/ Ronald K. Shull, Musik bei Brecht, Berlin 1988, S. 540). 112 Jürgen Schebera, Work in progress: Die Mutter. Ein antiquarischer Fund zu Eislers Kantatenfassung von 1949, in: Eisler-Mitteilungen, 13. Jg., Nr. 41, Juni 2006, S. 17–19, hier S. 17. 113 ZPA, Karl Brix: Fragebogen, 30. Oktober 1946. 114 K. B. [Kurt Blaukopf], „Kammermusik“ für jedermann. IGNM brachte Werke von Eisler, Eckhardt-Gramatté und Palester, in: Der Abend, 17. Mai 1949, S. 6; P-t, Neue Werke von Hanns Eisler. Kammerkonzert der Internationalen Gesellschaft für neue Musik im Musikverein, in: Österreichische Zeitung, 17. Mai 1949, S. 5. Jahre später
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später, am 19. Mai, erklangen in der „Modernen Stunde“ der Ravag erneut kammermusikalische Werke Eislers.115 Das Einheitsfrontlied in der „Wiener Fassung 1949“ und das Österreichische Lied von der Gerechtigkeit erschienen im selben Jahr auch auf einer Schellackplatte des KPÖ-Verlages Globus,116 der insgesamt nur drei Platten auf den Markt brachte. Als Solist fungierte bei dieser Aufnahme Staatsopernsänger Karl Kamann (Bariton), Eisler dirigierte selbst ein nicht näher bezeichnetes Ensemble mit Chor. Das Lied über den Frieden, das „rasch über die Grenzen Österreichs hinaus populär“ werden sollte,117 wurde im selben Jahr in Berlin auf Schallplatte produziert, der Komponist dirigierte hier ebenso selbst, es sang Ernst Busch und der Chor der Deutschen Staatsoper Berlin.118 Aufgenommen wurde es auch in eine von der KPÖ herausgegebene Sammlung von Kampf- und Volksliedern.119
Beispiel 2: Schallplatte mit Eislers Einheitsfrontlied (Wiener Fassung 1949).
Das enge Verhältnis Eislers zur KPÖ kam am 14. Parteitag im Oktober 1948 auch dadurch zum Ausdruck, daß dieser von den Organisatoren in eine Liste der Gastdelegierten aufgenommen wurde, die ausschließlich Parteimitglieder, auch aus den erinnerte sich Brix, daß er vom Komponisten selbst begleitet worden ist (Erinnerungen und Bekenntnisse, in: Forum Musik in der DDR. Hanns Eisler heute. Berichte – Probleme – Beobachtungen, Berlin 1974 (Arbeitshefte. Sektion Musik, Bd. 19), S. 240–249, hier S. 240), verlegt diese Erstaufführung jedoch in das Jahr 1948 im Rahmen eines Hauskonzertes. Beim erwähnten Hauskonzert der Universal-Edition ist die „Reisesonate“ allerdings laut Programmzettel nicht aufgeführt worden. Der Pianist der Aufführung am 13. Mai 1949 wiederum war Herbert Häfner (AdK, HEA, 3329, Programmzettel). 115 Werke von Hanns Eisler im Radio, in: Österreichische Volksstimme, 19. Mai 1949, S. 4; Knepler, Ein seltenes Ereignis (Anm. 76). 116 ZPA, Globus-Schallplatte Nr. 502 und 503. 117 Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 221. 118 Köster, Eisler (Anm. 49), S. 109f. 119 Hundert Kampf- und Volkslieder, Wien 1952, S. 164–167; sowie: Für den Frieden der Welt, Wien 1952 (Hundert Kampf- und Volkslieder in vier Heften, Heft 3), S. 164–167.
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Bereichen Wissenschaft und Kultur, z. B. Leo Stern, Wolfgang Heinz, Karl Paryla, Marcel Rubin, Friedrich Wildgans und Georg Knepler, umfaßte.120
Beispiel 3: Liste der Gastdelegierten beim 14. Parteitag der KPÖ im Oktober 1948. 120
ZPA, 14. Parteitag der KPÖ, Liste der Gastdelegierten, sowie Liste der Delegierten, die nicht gekommen sind. Die Listen der Gastdelegierten umfassen knapp 1.000 Namen, von denen 786 am Parteitag erschienen Fritz Mitterböck, Bericht der Mandatsprüfungskommission, in: Der 14. Parteitag der Kommunistischen Partei Österreichs (Gekürztes Protokoll), hrsg. vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs, Wien o. J. [1948], S. 208–209, hier S. 209.
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Eisler konnte letztlich, da er nicht in Wien anwesend war, am Parteitag nicht teilnehmen, schickte jedoch aus Prag ein Telegramm mit den Worten „Die besten Wuensche zum 14. Parteitag der K.P.Ö. und grossen Erfolg in euerem unermuedlichen Kampf fuer Frieden und gegen Reaktion“.121
Beispiel 4: Telegramm Eislers vom 28. Oktober 1948 an den 14. Parteitag der KPÖ.
Diese beiden Dokumente deuten darauf hin, daß Hanns Eisler zu diesem Zeitpunkt von den verantwortlichen Parteifunktionären offenbar als Mitglied betrachtet worden ist, während Eisler selbst mit der Formulierung von „eurem“ Kampf zum Ausdruck brachte, der KPÖ (noch) nicht als Mitglied anzugehören. Ein im Zentralen Parteiarchiv der KPÖ aufbewahrtes Dokument aus dem Jahr 1953 gibt Aufschluß über die Frage der Parteimitgliedschaft Eislers im Jahr 1948: Demnach haben Hanns Eisler und seine zweite Frau Louise, die er 1933 kennengelernt und 1937 in Prag geheiratet hatte,122 unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus den USA im April 1948 gegenüber der KPÖ ihren Wunsch artikuliert, der Partei beizutreten. „Wir haben dies damals nicht für zweckmäßig gehalten und ihnen vorgeschlagen, einen späteren Zeitpunkt abzuwarten und den Eintritt aus irgendeinem besonderen Anlaß dann zu vollziehen. Dazu ist es nicht gekommen, weil die Genossen in verhältnismäßig kurzer Zeit aus Berufsgründen mit unserem Einverständnis nach Berlin abgereist sind“,
teilte ZK-Sekretär Friedl Fürnberg Jahre später in einem ähnlichen Zusammenhang dem Zentralkomitee der SED mit.123 Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, daß Hanns Eisler, wäre seine berufliche Etablierung in Wien geglückt, auch formal den Beitritt zur Kommunistischen Partei Österreichs vollzogen hätte, und nur die besonderen Umstände seines Lebens und Wirkens in den Jahren 1948/49 diesen Schritt verhinderten. Er wurde in den Folgejahren – nach seiner Übersiedlung nach Berlin – zwar nicht Mitglied der SED, der Komponist der Nationalhymne war jedoch auch in der DDR „für die meisten der ,Genosse‘ Eisler. Von der Sache her.“124 „Wenn man so pro121 122
ZPA, 14. Parteitag der KPÖ, Telegramm von Hanns Eisler, Prag 28. Oktober 1948. Einleitung: Louise Eisler-Fischer. Schriftstellerin – Lebensgefährtin, in: Louise Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe. Texte und Briefe, hrsg. von Maren Köster, Jürgen Schebera und Friederike Wißmann, Wien 2006, S. 7–29, hier S. 9. 123 ZPA, Sekretariat des ZK der KPÖ, Friedl Fürnberg, an ZK der SED, 8. Jänner 1953. 124 Mayer, „Karl Marx der Musik“ (Anm. 1), S. 76.
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Beispiel 5: Brief des Sekretärs des Zentralkomitees der KPÖ Friedl Fürnberg vom 8. Jänner 1953 an das Zentralkomitee der SED.
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duktiv ist für die Sache, gehört man dazu“, bemerkte Paul Dessau in Hinblick auf Brecht, Eisler und Majakowski,125 allesamt Genossen ohne Parteibuch. Auch im parteiinternen Schriftgebrauch von KPÖ und SED wurde der Kommunist Eisler – mit wenigen Ausnahmen126 – als „Genosse“ bezeichnet, so z. B., als das Sekretariat des ZK der KPÖ den Urlaub Ernst Fischers in der DDR ankündigte, den er gemeinsam „mit dem Genossen Eisler und Brecht“ im Ostsee-Bad Ahrenshoop verbringen wollte.127 Johann Koplenig bedankte sich beim „Genosse[n] Eisler“ für dessen Geschenk zu seinem 60. Geburtstag und für seine Glückwünsche zum 70. zehn Jahre später.128 Wenngleich sachlich unrichtig, ist zumindest auf der Wahrnehmungsebene interessant, daß Eisler in einer an Wilhelm Pieck gerichteten Zusammenstellung von Charakteristiken über Mitglieder der Akademie der Künste aus dem Jahr 1950 als „Mitglied der KP Österreichs“ bezeichnet wird.129 „Unzweckmäßiger“ Beitritt zur KPÖ Eisler behielt nach seiner Übersiedlung in die DDR seinen österreichischen Paß und reiste auch in den folgenden Jahren regelmäßig nach Wien. Seine bisherige Wohnung in der Schönburggasse 11 im vierten Wiener Gemeindebezirk vermietete Eisler weiter, im Rahmen seiner Wien-Besuche ab Dezember 1952 bezog er wechselnde Quartiere, z. B. im Dezember 1952 im Hotel Carlton in der Wiedner Hauptstraße, 1953 bis 1954 die Rechte Wienzeile 29 oder 1954 bis 1955 die Waaggasse 5 (alle im 4. Bezirk).130 Schweinhardt hat ermittelt, daß sich zwischen 1948 und 1955 „grob gerechnet, Aufenthaltszeit und kompositorisches Arbeitsvolumen in Berlin und Wien die Waage“
hielten.131 Wien blieb so bis 1955 neben Berlin der nahezu gleichberechtigte Mittelpunkt seines musikalischen Schaffens. Auch Jürgen Schebera spricht in seiner Eisler-Biographie von einem „Pendler-Dasein zwischen Berlin und Wien“.132 125 126
Paul Dessau. Aus Gesprächen, Leipzig 1974, S. 19. Konkret geht es um das Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED am 9. Februar 1955 (Bundesarchiv, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (BA SAPMO), DY 30/J IV 2/3/455, S. 7, abgedruckt in: Mayer: „Karl Marx der Musik“ (Anm. 1), S. 75f.; Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 254), in dem von einem Ausreiseantrag „des Herrn Hanns Eisler nach Österreich“ bzw. seiner erneuten Einreise in die DDR die Rede ist. Unmittelbarer Hintergrund dieses Wandels waren die ihm angelasteten „periodischen Saufereien in Westberlin“. 127 ZPA, Sekretariat des ZK der KPÖ, Rudolf Richter, an ZK der SED, Büro für internationale Zusammenarbeit, z. H. Grete Keilson, 7. Juni 1951. 128 AdK, HEA, 4872, Johann Koplenig an Hanns Eisler, 6. Juni 1951; ebenda, 6134, Johann Koplenig an Hanns Eisler, 26. Mai 1961. 129 BA SAPMO, NY 4036/682, Zusammenstellung von Charakteristiken [Mitglieder der Deutschen Akademie der Künste], 23. März 1950, S. 45. Den Hinweis auf dieses Dokument verdanke ich Maximilian Graf. 130 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Meldedaten Johannes Eisler; vgl. auch AdK, HEA, 8048, Brief-Telegramm von Louise Eisler an Hilde Glück, 5. Dezember 1952; Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung, Autogr. 812/42, Nachlaß Joseph Marx, 812/42–1, Hanns Eisler an Joseph Marx, 3. April 1953; Kurt Dieman, Musik in Wien, Wien–München– Zürich 1970, S. 94. 131 Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 77.
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Schweinhardt hat in seiner bereits mehrfach zitierten Studie über Eislers Arbeiten nach seiner Rückkehr im Jahr 1948 dessen Kompositionen für Film und Bühne ausführlich dargestellt, wobei es ihm gelungen ist, die detaillierte Werkanalyse der Film- und Schauspielmusiken mit einer historiographisch-biographischen Untersuchung der „Wiener Jahre“ des Komponisten zu verbinden.133 Eislers Schaffen war eng mit Institutionen im Umfeld der KPÖ bzw. der sowjetischen Besatzungsmacht verknüpft: Sämtliche österreichischen Filmmusiken Eislers entstanden für die sowjetisch verwalteten „Wien-Film“-Studios am Rosenhügel,134 u. a. die Arbeit am Fidelio-Drehbuch gemeinsam mit dem Intendanten der Komischen Oper Berlin und Regisseur Walter Felsenstein (1953–56), die Musik zum Streifen Schicksal am Lenkrad (1953), das Drehbuch zur Operette Gasparone von Carl Millöcker (1954), zur Neuverfilmung von Bel Ami (1955) und zu Bertolt Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti (1955). Am „Neuen Theater in der Scala“ wurden insgesamt acht Stücke mit einer Bühnenmusik Eislers aufgeführt, bei fünf davon handelte es sich um Originalkompositionen: Höllenangst (Nestroy, 1948), Eulenspiegel (Nestroy, 1953), Volpone (Jonson, 1953), Lysistrata (Aristophanes, 1953) und Hamlet (Shakespeare, 1954). Hinzu kamen drei Stücke Bertolt Brechts: Im Dezember 1948 die Ballade vom Soldaten für Mutter Courage und ihre Kinder (die übrige Musik der Aufführung stammte vom Schweizer Komponisten Paul Burkhard135), im Herbst 1953 Die Mutter mit Helene Weigel und Ernst Busch in den Hauptrollen, sowie als letzte Aufführung vor Schließung des Theaters das Leben des Galilei im Juni 1956. Seit dem Herbst 1951 korrespondierte Lou auch im Auftrag von Hanns Eisler mit Felix Kreissler, dem damaligen Leiter der „Russischen Stunde“, über ein von Eisler dirigiertes Konzert. Die zunächst für den 8. Dezember 1951 in Aussicht gestellte Aufnahme mußte jedoch immer wieder verschoben werden, weil der Komponist nicht nach Wien kommen konnte.136 1953 dirigierte Eisler schließlich eine Rundfunkaufnahme mit dem Großen Orchester und dem Chor der Ravag: Die „Russische Stunde“ sandte am 3. Mai 1953 die Uraufführung seiner Orchesterversion der Ouvertüre zu Nestroys Lustspiel Eulenspiegel, die Eisler für die Aufführung der „Scala“ im April geschrieben hatte, sowie die Ouvertüre zu Nestroys Höllenangst aus 132 133 134
Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 255. Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 120–354. Vgl. dazu Oliver Rathkolb, Die „Wien-Film“-Produktion am Rosenhügel. Österreichische Filmproduktion und Kalter Krieg, in: Hans Heinz Fabris/Kurt Luger (Hg.), Medienkultur in Österreich. Film, Fotografie, Fernsehen und Video in der Zweiten Republik, Wien–Köln–Graz 1988 (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte, Bd. 11), S. 117–132; Bernhard Frankfurter, Die Wien-Film. Ein Beitrag zur Dreieinigkeit von Staat, Film und politischer Kultur in Österreich, in: ebenda, S. 103–116; Martin Prucha, Agfacolor und Kalter Krieg. Die Geschichte der Wien-Film am Rosenhügel 1946–1955, in: Ruth Beckermann/Christa Blümlinger (Hg.), Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos, Wien 1996, S. 53–79. 135 al., Premiere in der Scala: Mutter Courage und ihre Kinder, in: Österreichische Volksstimme, 4. Dezember 1948, S. 5. Dirigent dieser Aufführung mit Therese Giese, Karl Paryla, Emil Stöhr, Maria Gabler und Wolfgang Heinz war Georg Knepler. Regie führte Leopold Lindtberg. 136 AdK, HEA, 4861, Felix Kreissler an Hanns Eisler, 9. Oktober 1951; ebenda, 4862, Lou Eisler an Felix Kreissler, 20. Oktober 1951; ebenda, 4862, Lou Eisler an Felix Kreissler, 23. November 1951; ebenda, 4862, Felix Kreissler an Luise Anna Eisler, 27. Dezember 1951; ebenda, 8126, Lou Eisler an Franz Bönsch, 20. Oktober 1952.
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dem Jahr 1948 und drei Stücke aus der festlichen Kantate Mitte des Jahrhunderts nach Worten von Johannes R. Becher. Darüber hinaus wurden mehrere Lieder Eislers gebracht, gesungen von Hilde Rychlink (Sopran), am Klavier begleitet von Otto Schulhof, sowie von Lilly Schönberg (Mezzosopran) und vom Ravag-FrauenChor.137 Ein ausschließlich Eisler gewidmetes Programm der „Russischen Stunde“ war auch am 5. Juli 1951 ausgestrahlt worden. Als Interpret stand hier Ernst Busch im Mittelpunkt.138 Am 12. Oktober 1952 wurden Lieder und Chöre aus Brechts Mutter in einer Aufnahme mit Mitgliedern des Berliner Ensembles unter Leitung von Adolf Fritz Guhl gesendet.139 Neben seinen Arbeiten für Film und Bühne, die ihn u. a. auf Grund seiner Anwesenheit bei den Proben nach Wien führten, nahm Eisler auch am politischen Leben teil: Ein Photo zeigt ihn bei einer Maidemonstration der KPÖ gemeinsam mit seinem Sohn Georg und dem zu dieser Zeit ebenso kommunistisch orientierten Komponisten und Musikkritiker Karl Heinz Füssl.140 Im Dezember 1952 nahm Eisler in Wien am „Völkerkongreß für den Frieden“, dem dritten Weltfriedenskongreß, teil.141 Die Initiative dazu hatten Eislers offenbar selbst ergriffen: Da Hanns und Lou österreichische Staatsbürger waren und deshalb eine Delegierung von Berlin aus nicht möglich war, leiteten sie über Ernst Fischer eine Einladung des Österreichischen Friedensrates in die Wege.142 Im Kongreßverlauf war Eisler am 18. Dezember im Vortragssaal des Konservatoriums der Stadt Wien bei einer Begegnung von Dmitrij Schostakowitsch mit österreichischen Komponisten und Mu-
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ZPA, NL Heinz Hollitscher, Sendemanuskript 3. 5. 1953, 20.15: 1. Konzert Hanns Eisler; H. W. H. [Heinz Hollitscher], Rundfunkkonzert Hanns Eisler. „Anmut sparet nicht noch Mühe“, in: Der Abend, 6. Mai 1953, S. 5; Marcel Rubin, Ein großer Komponist unserer Zeit, in: Österreichische Volksstimme, 8. Mai 1953, S. 4. 138 ZPA, NL Heinz Hollitscher, Sendemanuskript 5. 7. 1951, 20.15, Hanns Eisler, S. 2–4. 139 Ebenda, Sendemanuskript 12. 10. 1952, 20:15: Die Mutter, S. 1. 140 Peter Schweinhardt, „… Das Hineinprojizieren der eigenen Seele in den Stoff“. Karl Heinz Füssls fragmentarische Eisler-Oper „Johann Faustus“, in: Österreichische Musikzeitschrift, 54. Jg. (1999), Nr. 10–11, S. 45–57, hier S. 45. Füssl war 1950 der KPÖ beigetreten und arbeitete in weiterer Folge u. a. als Musikkritiker des Abend (ZPA, Karl Heinz Füssl: Fragebogen, 13. September 1955). 141 Vgl die Photos in Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 238. Das in der Forschungsliteratur genannte Datum 1. Mai 1951 ist anzuzweifeln, weil sich Eisler zwischen Jänner 1950 bis Dezember 1952 nicht in Wien aufgehalten hat. Ich danke Peter Deeg für diesen Hinweis. 142 „Inzwischen stehe ich im Briefwechsel mit Ernst über eine Einladung des Österreichischen Friedenskomitees an uns zum Kongress. Wir möchten doch beide gern dabei sein. Aber da wir Oesterreicher sind, ist die Einladung nur von Euch aus an uns möglich.“ (AdK, HEA, 8048, Louise Eisler an Hilde Glück, 20. November 1952). Hanns und Lou Eisler zählten jedoch nicht zu den stimmberechtigten 50 österreichischen Kongreßdelegierten, die bereits im November gewählt worden waren (Ernst Fischer, Vorwärts zum Völkerkongreß!, in: Der Funktionär, 2. Jg., Nr. 11, November 1952, S. 204–205, hier S. 205; Die österreichische Delegation beim Völkerkongreß, in: Österreichische Volksstimme, 16. Dezember 1952, S. 5), sondern waren offenbar als Gastdelegierte am Kongreß anwesend. Insgesamt nahmen hunderte Österreicherinnen und Österreicher, die einander täglich abwechselten, als Gäste teil (Ich muß Ihnen von Herzen danken… Oesterreichische Delegierte über den Völkerkongreß, in: Österreichische Friedenszeitung, 4. Jg., Nr. 1/2, Jänner/Februar 1953, S. 3). Zu diesem Kongreß vgl. auch Manfred Mugrauer, Der „Völkerkongress für den Frieden“ in Wien, in: Lynda Morris/Christoph Grunenberg (Hg.), Picasso. Frieden und Freiheit, Köln– Wien 2010, S. 82–85.
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sikschaffenden anwesend, u. a. gemeinsam mit Alfred Uhl, Marcel Rubin, Mitgliedern des Professorenkollegiums und bekannten Wiener Instrumentalisten.143
Beispiel 6: Eisler mit Dmitrij Schostakowitsch und dem Graphiker Heinrich Sussmann (links) beim „Völkerkongreß für den Frieden“ im Dezember 1952 in Wien.
Der längste der Wien-Aufenthalte war von Juli 1953 bis Februar 1954, wobei dessen Dauer von sieben Monaten neben verschiedenen Arbeiten für Theater und Film in engem Zusammenhang zur in der DDR angelaufenen so genannten FaustusDebatte stand.144 Ende Oktober 1952 war im Berliner Aufbau-Verlag Eislers Libretto Johann Faustus erschienen,145 kurz darauf wurde in der Zeitschrift Sinn und Form ein Essay von Ernst Fischer mit einer positiven Einschätzung der Arbeit Eislers veröffentlicht,146 der Monate später gleichermaßen ins Kreuzfeuer der Kritik geriet. Eisler und Fischer hatten ihre Texte jeweils mit Zustimmung des anderen veröffentlicht, dem vorausgegangen waren eine Zusammenarbeit und Diskussionen im Verlauf des Arbeitsprozesses.147 Beide verband ab 1948 eine enge Freundschaft,148 Fischer betrachtete Eisler als den „anregendste[n] Mensch, den ich je gekannt habe“.149 Im Mai und Juni 1953 wurde nicht nur im Rahmen dreier Diskussionsabende an der Berliner Akademie der Künste heftige Kritik an Eislers Operntext geübt, 143
Dmitri Schostakowitsch spricht heute im Konservatorium, in: Österreichische Zeitung, 18. Dezember 1952, S. 8; d. h. [Desider Hajas], Begegnung mit Dmitri Schostakowitsch, in: ebenda, 19. Dezember 1952, S. 8. 144 Zur „Faustus“-Debatte vgl. u. a. Hans Bunge, Die Debatte um Hanns Eislers „Johann Faustus“. Eine Dokumentation, hrsg. vom Brecht-Zentrum Berlin, Berlin 1991 (Reihe „Brecht-Studien“, Bd. 20); Peter Schweinhardt (Hg.), Hanns Eisler „Johann Faustus“. 50 Jahre nach Erscheinen des Operntextes 1952. Symposium, Wiesbaden–Leipzig–Paris 2005 (Eisler-Studien – Beiträge zu einer kritischen Musikwissenschaft, Bd. 1). 145 Hanns Eisler, Johann Faustus. Oper, Berlin 1952; Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 242. Der Text wurde in den 1990er Jahren neu herausgebracht: Hanns Eisler, Johann Faustus. Oper. Mit einer Nachbemerkung von Jürgen Schebera, Leipzig 1996 (Die DDR-Bibliothek, Bd. 11). 146 Ernst Fischer, Doktor Faustus und der Deutsche Bauernkrieg. Auszüge aus dem Essay zu Hanns Eislers FaustDichtung, in: Sinn und Form, 4. Jg. (1952), Heft 6, S. 59–73, nachgedruckt in: Bunge, „Johann Faustus“ (Anm. 144), S. 23–36. Der Text wurde Monate später auch in einem KPÖ-Medium veröffentlicht (Ernst Fischer, Doktor Faustus und der Deutsche Bauernkrieg, in: Tagebuch, 8. Jg., Nr. 8, 11. April 1953, S. 3). 147 Vgl. dazu Köster, Eisler (Anm. 49), insbes. S. 114–120. 148 Fischer, Das Ende einer Illusion (Anm. 107), S. 243; Louise Eisler-Fischer, Mein Leben. Autobiographische Skizze, in: dies., Es war nicht immer Liebe (Anm. 122), S. 30–86, hier S. 73. 149 Ernst Fischer, Hanns Eisler, in: Wiener Tagebuch, Nr. 9, September 1972, S. 26–27, hier S. 27.
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sondern Eisler und Fischer wurden – u. a. im Neuen Deutschland,150 dem Zentralorgan der SED – auch „parteioffiziell“ attackiert. Auf Grund der in der DDR formulierten Kritik wurde Fischers Text auch nicht in seine im KPÖ-eigenen GlobusVerlag erscheinende Essaysammlung Dichtung und Deutung aufgenommen,151 da dies aller Voraussicht nach die Verbreitung des Auswahlbandes in der DDR erschwert bzw. verhindert hätte.152 Jahre später, 1964, konnte Ernst Fischer jedoch seine positive Einschätzung und Interpretation des Faustus-Textes im Eisler-Sonderheft von Sinn und Form „mit abwägender Zurückhaltung, aber nicht minder lobend als zuvor“153 wiederholen.154 Auch der letzte Text155 aus der Feder Fischers beschäftigte sich – anläßlich seines zehnten Todestages – mit Hanns Eisler.156 Vordergründig ging es beim Streit um Eislers Faustus um die Bedeutung des klassischen Erbes, wesentlich waren jedoch die politische Konstellation des Kalten Krieges, Abgrenzungsbemühungen gegenüber dem Westen und die Übernahme der sowjetischen kulturpolitischen Argumentationsmuster. Insofern stellt die FaustusDebatte – neben der Entschließung des 5. Plenums des Zentralkomitees der SED im März 1951, „Der Kampf gegen den Formalismus in der Kunst und Literatur“, die mit einer Verurteilung des „Modernismus“ und avancierter zeitgenössischer Musik einherging157 – den zweiten Ausläufer der seit 1948 in den sozialistischen Ländern forcierten „Formalismus“-Kampagne dar, die eine Reglementierung der Kultur- und Musikpolitik sowie eine Disziplinierung der Künstler und Intellektuellen zur Folge hatte. Die Kampagne gegen sein Faustus-Opernprojekt traf Eisler besonders hart, „sie lähmte seine Arbeitslust, deprimierte und kränkte ihn schwer“.158 In seinem in Wien verfaßten, oftmals zitierten Brief an das ZK der SED vom 30. Oktober 1953 merkte der Komponist an, daß ihm nach dieser kränkenden, vernichtenden Kritik „jeder Impuls, Musik zu schreiben, abhanden gekommen war“, beteuerte aber zugleich, daß er sich seine weitere Arbeit nur in der DDR, „in dem Teil Deutschlands vorstellen [kann], wo die Grundlagen des Sozialismus neu aufgebaut werden“.159 150
Redaktionskollegium „Neues Deutschland“, Das „Faust“-Problem und die deutsche Geschichte. Bemerkungen aus Anlaß des Erscheinens des Operntextes „Johann Faustus“ von Hanns Eisler, in: Neues Deutschland, 14. Mai 1953, nachgedruckt in: Bunge, „Johann Faustus“ (Anm. 144), S. 91–101. 151 Ernst Fischer, Dichtung und Deutung. Beiträge zur Literaturbetrachtung, Wien 1953. 152 ZPA, Globus-Verlag, Tibor Barta, an Sekretariat des ZK der KPÖ, z. H. Friedl Fürnberg, 28. April 1953. 153 Köster, Eisler (Anm. 49), S. 120. 154 Ernst Fischer, Hanns Eisler und die Literatur, in: Sinn und Form, Sonderheft 1964, S. 248–270, hier S. 266. Der Text erschien Jahre später in erweiterter Form (Ernst Fischer, Hanns Eisler und die Literatur, in: ders.: Überlegungen zur Situation der Kunst und zwei andere Essays, Zürich 1971, S. 77–122). 155 Vgl. Ernst Fischer, in: Wiener Tagebuch, Nr. 9, September 1972, S. 2. 156 Fischer, Eisler (Anm. 149). 157 Zur „Formalismus“-Debatte in der DDR 1951/52 vgl. Köster, Musik-Zeit-Geschehen (Anm. 83), S. 67– 85. 158 Georg Eisler, Mein Vater. Einige Erinnerungen an Hanns Eisler, in: Neues Forum, Heft 224, September/Oktober 1972, S. 74–75, hier S. 75, nachgedruckt in: ders.: Skizzen (Anm. 60), S. 10–13, hier S. 13. 159 Der Brief ist abgedruckt in: Bunge, „Johann Faustus“ (Anm. 144), S. 263–264. Den Entwurf zu diesem Schreiben hatte Brecht formuliert – Brief Nr. 1863, An das ZK der SED, Briefentwurf für Hanns Eisler,
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Offenbar war es Eisler ein Anliegen darauf hinzuweisen, daß auch in dieser schwierigen Situation für ihn eine definitive Übersiedlung nach Wien nicht zur Diskussion stehe. Dahingehende Gerüchte waren Walter Ulbricht bereits am 1. April 1953, also im Vorfeld der Faustus-Debatte, mitgeteilt worden: Man gehe davon aus, daß Eisler, der sich auch zu diesem Zeitpunkt kurzfristig in Wien aufhielt, „die Absicht hat nach Österreich zu übersiedeln“, so die Kulturabteilung des ZK der SED an den Ersten Sekretär der Partei.160 Ein Grund für diese Vermutung war womöglich auch der obenerwähnte Brief, mit dem sich Friedl Fürnberg am 8. Jänner 1953 an das ZK der SED gewandt hatte: Darin teilte der ZK-Sekretär der KPÖ mit, daß sich Hanns und Louise Eisler während ihres Aufenthalts in Wien anläßlich des „Völkerkongresses für den Frieden“, der von 12. bis 20. Dezember 1952 in der österreichischen Hauptstadt tagte,161 erneut an die KPÖ mit dem Gesuch um Aufnahme in die Partei gewandt hätten. Sie hätten „bei uns vorgesprochen, um ihre Parteiangelegenheit zu regeln“, so Fürnberg, jedoch habe man „den beiden Genossen erklärt, dass wir es für unzweckmässig halten, wenn sie, die ständig in Deutschland leben, in Österreich der Partei beitreten würden“.
Vielmehr habe man vereinbart, daß der SED mitgeteilt werde, daß beide bereits im April 1948 den Beitritt zur KPÖ vollziehen wollten, wozu es aufgrund ihrer Übersiedlung nach Berlin nicht mehr gekommen sei. „Beide Genossen werden sich zur Regelung ihrer Parteiangelegenheit an Euch wenden, so dass wir es für notwendig gefunden haben, Euch diese Tatsachen zu übermitteln“,
schloß Fürnberg sein Schreiben.162 Zu einer solchen Initiative Eislers in Berlin ist es offenbar nicht gekommen, zumindest sind keine dahingehenden Quellen bekannt. Warum Eisler gerade im Dezember 1952 auf die Frage seiner Parteimitgliedschaft zurückkam und an die KPÖ – und nicht an die SED – herantrat, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Womöglich spielten dabei auch die Ambitionen von Lou Eisler, nach Wien zurückzukehren, um dort mit Ernst Fischer zu leben, eine gewisse Rolle.163 In ihrer Wien, Ende Oktober 1953, in: Bertolt Brecht, Briefe 3. Berlin, Weimar–Frankfurt a. M. 1998 (Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 30), S. 216–218. Brecht mußte Eisler während seines Wiener Aufenthalts anläßlich der Premiere von Die Mutter in der „Scala“ „den Kopf zurechtrücken. In Wien zu versumpfen, wo ihn doch keiner haben will, statt hier den Kampf wieder aufzunehmen, wo wir den Kampf, ach was, wo wir ein Gefecht verloren haben, ach was, wo wir eine Schlappe einstecken mußten.“ (Ernst Schumacher, Mein Brecht. Erinnerungen 1943 bis 1956, o. O. [Berlin] 2006, S. 324). 160 BA SAPMO, DY 30/IV 2/9.06/265, Bl. 196, ZK der SED, Abteilung Schöne Literatur und Kunst, Egon Rentzsch an Walter Ulbricht, 1. April 1953. 161 Völkerkongreß für den Frieden, Wien, vom 12. bis 20. Dezember 1952. Reden und Dokumente. Beilage der „Oesterreichischen Friedenszeitung“, hrsg. vom Österreichischen Friedensrat, Wien o. J. [1953]. 162 ZPA, Sekretariat des ZK der KPÖ, Friedl Fürnberg, an ZK der SED, 8. Jänner 1953. 163 Auf diesen Zusammenhang hat mich Peter Deeg aufmerksam gemacht.
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„autobiographischen Skizze“ erwähnt sie überdies den im November 1952 stattfindenden Slánský-Prozeß in der Tschechoslowakei, die Kritik an Hanns Eislers Faustus-Libretto und die Entmachtung seines Bruders Gerhart als Faktoren dafür, daß beide „jedenfalls […] froh [waren], den Schauplatz zu wechseln“ und im März 1953 nach Wien zu reisen.164 Für die initiative Rolle von Lou Eisler spricht auch, daß sie bereits am 2. Dezember 1952, also vor der Teilnahme am Wiener „Völkerkongreß“, Ernst Fischer brieflich mitteilte, daß die „Sache von Friedel“, also von Friedl Fürnberg, „hier nicht weitergegeben“ worden sei, womit aller Voraussicht nach das Ansinnen um Aufnahme in die KPÖ angesprochen war. „Ich habe mich in der Abteilung für Internat. Ver. [des ZK der SED, Anm.] erkundigt. Dort wusste man überhaupt nichts davon. Wie ist das möglich?“,
so Lou Eisler an den führenden KPÖ-Politiker,165 was verdeutlicht, daß der Vorsprache von Hanns und Lou Eisler während des „Völkerkongresses“ bereits entsprechende Sondierungen über die Achse Lou Eisler und Ernst Fischer vorausgegangen waren. Ungeachtet dieser Rückkehrbemühungen von Lou Eisler nach Wien steht fest, daß es dem Kommunisten Eisler gleich nach seiner Rückkehr aus dem US-Exil ein Anliegen war, auch in formaler Hinsicht Parteimitglied zu werden. Waren es 1948 die Ungewißheiten seiner weiteren beruflichen und privaten Existenz in Wien und die darauffolgende Übersiedlung nach Berlin, so verhinderte Ende 1952 die „Parteidiplomatie“ zwischen KPÖ und SED, konkret die „Nichteinmischung“ der KPÖ in „innere“ Angelegenheiten der SED und DDR, seinen Beitritt zur österreichischen Partei. Neben seiner österreichischen Staatsbürgerschaft erschien ihm womöglich zu diesem Zeitpunkt die Mitgliedschaft in der KPÖ auch deshalb sinnvoller, da deren Kulturpolitik – auch aufgrund ihrer nicht mit der SED vergleichbaren innenpolitischen Bedeutung – ihm gewiß mehr Freiräume eröffnete, während ihn eine formale Mitgliedschaft in der SED zu weiteren Rücksichtnahmen gezwungen hätte. Diesem Aspekt ist vor allem vor dem Hintergrund der obenerwähnten „Formalismus“-Kampagne und der damit einhergehenden Verengung der Diskussionsspielräume in der DDR Beachtung zu schenken. Für diese Annahme spricht auch Eislers im August 1961 gegenüber Hans Bunge formulierte Rechtfertigung, warum Bertolt Brecht nicht in die SED eingetreten ist: „Wir haben darüber nie debattiert. Ich hielt es auch für gar nicht gut, daß Brecht in der Partei wäre. / Der Brecht war nicht ein Mann dieser Art Disziplin. / Das ist ein ernsthafter Schritt. / Das kann man nicht nur machen, sondern da muß man dann auch wirklich sich in einer bestimmten Weise verhalten.“ 166
Womöglich sah sich auch Eisler selbst nicht als ein „Mann dieser Art Disziplin“. 164 165 166
Eisler-Fischer, Mein Leben (Anm. 148), S. 72f. AdK, HEA, 4991, Lou Eisler an Ernst Fischer, 2. Dezember 1952. Bunge, Fragen sie mehr über Brecht (Anm. 4), S. 109.
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1955 verlagerte sich der Arbeits- und Lebensmittelpunkt Eislers ganz nach Berlin: Ausschlaggebend dafür war vor allem die Tatsache, daß nach dem Abschluß des Staatsvertrags und dem daraus resultierenden Abzug der sowjetischen Besatzungsmacht die bisherigen Arbeitsmöglichkeiten Eislers in Wien – die „Wien-Film“ und die „Scala“ – wegfielen. Zudem wurde im März 1955 seine Ehe mit Louise Eisler geschieden, nachdem diese seit 1948 ihr Verhältnis zu Ernst Fischer vertieft hatte. Im Frühjahr 1953 erklärte sie Eisler, definitiv in Wien bei Fischer bleiben zu wollen und nicht nach Berlin zurückzukehren. Im September 1955 heirateten die beiden.167 Eisler wiederum hatte 1948 in einer abendlichen Gesellschaft bei Erwin Ratz Stephanie Wolf, geborene Peschl, kennengelernt.168 Stephanie Peschl war nach ihrer Ausbildung zur Pianistin an der Akademie für Musik und darstellende Kunst im Oktober 1938 in die Schweiz emigriert. Im August 1939 ging sie illegal nach Frankreich, wo sie und ihr erster Mann Otto Wolf im Widerstand tätig waren und 1940/41 Verbindung zur KPÖ erhielten, der sie nach ihrer Rückkehr nach Wien im Juli 1946 beitrat. Nach der Befreiung Frankreichs im Jahr 1944 hatte sie auf künstlerischem Gebiet im „Front National Autrichien“, der „Österreichischen Freiheitsfront“, gewirkt, zuletzt als Kulturreferentin. Nach ihrer Scheidung von Otto Wolf, der unter dem Namen „Peter Loos“ als Theaterkritiker kommunistischer Zeitungen und Zeitschriften arbeitete, heiratete sie den Chefredakteur des KPÖ-Zentralorgans Erwin Zucker-Schilling.169 In den frühen 1950er Jahren war sie als Dolmetscherin bei der „Wien-Film“ tätig, im November 1957 übersiedelte sie nach ihrer Scheidung von Zucker-Schilling nach Berlin, wo sie am 26. Juni 1958 Hanns Eisler heiratete,170 dessen private Beziehungen zu KPÖ-Kreisen durch seine Verbindung mit Stephanie Zucker erneut erweitert wurden. Auch nach 1955/56 war Hanns Eisler mehrmals in Wien zu Besuch, wobei er dabei meist bei Ernst Fischer und seiner früheren Frau Lou wohnte.171 Eine engere Bindung an das Parteileben der KPÖ läßt sich in diesen Jahren nicht nachweisen. Am 8. Februar 1960 erlitt Eisler in Wien einen Herzinfarkt und mußte fast drei Monate im Wiener Hanusch-Krankenhaus verbringen.172 Am 6. September 1962 starb er in Berlin an einer erneuten Herzattacke. Sein Ableben charakterisierte das KPÖZentralorgan als „harten Schlag für das Musikleben“, als „Schlag für die Arbeiterklasse“ und „kommunistische Bewegung, der sein Können, seine Schöpferkraft gehörten“.173
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Einleitung: Louise Eisler-Fischer (Anm. 122), S. 11–13; Fischer, Das Ende einer Illusion (Anm. 106), S. 370. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 214. ZPA, Stephanie Zucker: Lebenslauf, o. D.; dies., Fragebogen, 11. Oktober 1952. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 215f., 255f. und 268. Eisler-Fischer, Mein Leben (Anm. 148), S. 75f.; Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 30), S. 76f. Schebera, Eisler (Anm. 2), S. 272f. Hanns Eisler ist gestorben, in: Volksstimme, 8. September 1962, S. 6. Tags darauf folgte eine Würdigung aus der Feder von Ernst Fischer (Ernst Fischer, In memoriam Hanns Eisler, in: ebenda, 9. September 1962, S. 6).
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Abbildung: Hanns Eisler, „An Stelle einer Antwort“ [an Marcel Rubin], Hanns-Eisler-Archiv, zit. nach Manfred Grabs (Hg.), Wer war Hanns Eisler, Westberlin 1983, S. 214.
HARTMUT KRONES (Wien)
Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse „Hanns Eisler ist gestorben Ein großer Musiker ist von uns gegangen. Hanns Eisler, der Schöpfer der ‚Deutschen Symphonie‘, der Erneuerer des Kampfliedes der Arbeiter, ist im Alter von 64 Jahren in Berlin gestorben. Sein Tod ist ein harter Schlag für das Musikleben, ein Schlag für die Arbeiterklasse, die kommunistische Bewegung, der sein Können, seine Schöpferkraft gehörten. Sein Lebensweg begann in Wien, wohin sein Vater übersiedelte, als Hanns drei Jahre alt war, er schloß in Berlin, der Hauptstadt der DDR, deren Nationalhymne eines seiner Werke ist. Hanns Eisler wurde am 6. Juli 1898 in Leipzig als Sohn des österreichischen Humanisten und Philosophen Rudolf Eisler geboren. Seine Mutter war eine deutsche Arbeitertochter. In Wien [...] begann Hanns Eisler sehr früh zu komponieren und fand den Weg in die Arbeiterklasse. [...] Für seine musikalische Entwicklung wurde sein Lehrer Arnold Schönberg entscheidend, dessen Meisterschüler er bis 1923 war. 1924 erhielt der eigenwillige Komponist den Kunstpreis der Stadt Wien und übersiedelte im selben Jahr nach Berlin, wo er sich immer enger mit der revolutionären Arbeiterbewegung verband. [...]. [...] Bis 1947, als ihn die berüchtigte ‚unamerikanische Kommission‘ verhaften ließ, lebte er in Amerika als Lehrer für Komposition und Schöpfer der Musik für zahlreiche Filme jener Zeit. Aus den USA deportiert, kam Hanns Eisler nach Wien, wo er mit dem Neuen Theater in der Scala eng zusammenarbeitete. 1950 übersiedelte er dann nach Berlin in die Deutsche Demokratische Republik. Das musikalische Werk Hanns Eislers ist von enormer Spannweite, reicht von einem so kunstvoll konstruierten Opus wie ‚Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben‘ bis zu Liedern, die jeder Arbeiter singt, von den grandiosen fünf Orchesterstücken bis zu den Couplets zu Nestroys ‚Höllenangst‘, von der ‚Deutschen Symphonie‘ bis zur Fülle seiner Filmmusik. Eine ausführliche Würdigung Hanns Eislers und seiner Werke aus der Feder Ernst Fischers folgt in unserer nächsten Ausgabe.“1
I. Der erste Nachruf auf Hanns Eisler in der kommunistischen Tageszeitung Volksstimme, dem eines der bekannten Photos des österreichischen Komponisten mit Zigarette folgt, ist zwar nicht gezeichnet, doch sprechen die Diktion sowie die In1
Volksstimme 18 (1962), 8. September, Nr. 207, S. 6. (Bis 21. Februar 1957 hieß das Blatt Österreichische Volksstimme.)
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formiertheit über sein Œuvre deutlich dafür, daß sich hinter dem Autor der damalige Erste Musikkritiker des Blattes verbirgt – Marcel Rubin, der Eisler bzw. seine Wiener Aktivitäten bereits seit dessen Inhaftierung in den USA journalistisch kommentierte; zudem ist anzunehmen, daß er in den Zusammenkünften der Redaktion mitverantwortlich für die rege Anteilnahme am Schicksal des „Paradelinken“, aber auch von dessen erster Frau Charlotte war, die ebenfalls den Weg in die Emigration wählen mußte. Verband Rubin mit den beiden, abgesehen von einem rein musikalischen Interesse, doch auch das gemeinsame Schicksal, vor den Nationalsozialisten geflohen zu sein und erst Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Weg zurück in die Heimat angetreten zu haben. Darüber hinaus waren sowohl Eisler als auch Rubin Kommunisten – Rubin auch „offiziell“ als Parteimitglied, Eisler „nur“ seiner Gesinung nach, da die verschlungenen Wege seiner Biographie und die verschiedenen politischen Umstände einen formalen Beitritt verhinderten.2 Für diejenigen, denen das Leben und Wirken von Marcel Rubin nicht oder nur rudimentär bekannt ist, sei hier ein kurzer Lebenslauf eingefügt.3 Marcel Rubin wurde am 7. Juli 1905 in Wien als Sohn eines hohen Finanzbeamten und einer pianistisch begabten Mutter geboren, besuchte das humanistische Gymnasium und lernte daneben privat Klavier (u. a. bei Richard Robert) und Musiktheorie. 1921–23 belegte er an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst den von Richard Stöhr gehaltenen Lehrgang für Harmonielehre, den er 1923 ebenso wie die Matura bestand. Danach war er neben seinem Jus-Studium (an der Universität Wien) zunächst für zwei Jahre Kontrapunkt-Schüler Franz Schmidts an der Wiener Musikakademie, nachdem er es mit Vehemenz abgelehnt hatte, weiter bei Richard Stöhr oder gar bei Joseph Marx zu studieren. Bis zu seinem Lebensende Franz Schmidt für den profunden, ausgezeichneten Kontrapunkt-Unterricht ebenso wie für viele andere musikalische Eindrücke dankbar, empfand er die Lehre selbst dennoch als Enge und übersiedelte schließlich – gemäß dem Rat von Egon Wellesz – Herbst 1925 nach Paris, wo er für sechs Jahre privater Kompositionsschüler von Darius Milhaud wurde und auch erste große Erfolge als Komponist feierte. 1931 nach Wien zurückgekehrt, vollendete er 1933 sein Jus-Studium, arbeitete dann in einer Rechtsanwaltskanzlei, machte sich aber gemeinsam mit Friedrich Wildgans auch als Organisator einer Konzertreihe neuer Musik („Musik der Gegenwart“) verdient: man konfrontierte die Wiener Öffentlichkeit mit den Schöpfungen der damaligen Avantgarde, u. a. mit Werken von Satie, Berg, Hauer, Milhaud und vielen anderen. Daneben schuf sich Rubin auch als Komponist einen ausgezeichneten 2
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Siehe hiezu den Artikel von Manfred Mugrauer in vorliegendem Band, S. 157–185. Manfred Mugrauer sei an dieser Stelle für mannigfache Hilfe bei der Benützung des Zentralen Parteiarchivs der Kommunistischen Partei Österreichs gedankt. Ausführliche Informationen zu Marcel Rubin in: Hartmut Krones, Marcel Rubin (= Österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts, Bd. 22), Wien 1975, Nachtrag Wien 1989. Siehe auch ders., Rubin, Marcel, in: MGG. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil 14, Kassel etc. 2005, Sp. 583–585.
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Namen, bis ihn das „1000jährige Reich“ einholte. Am 13. März 1938 emigrierte er nach Paris, wo inzwischen seine Schwester Olga den Musikwissenschaftler Marcel Beaufils geheiratet hatte und wohin auch seine Eltern bald nachkamen, richtiger: Vater und Stiefmutter, die die Schwester seiner bereits 1911 verstorbenen Mutter war. In Paris trat er dann der kommunistischen Partei bei. 1939 kam er als „feindlicher Ausländer“ – welche Ironie des Schicksals – in ein französisches Konzentrationslager, wo er u. a. Jura Soyfers „Dachau-Lied“ vertonte, ohne Herbert Zippers „originale“ Musik zu kennen.4 1940 freigelassen, zog er nach Marseille und schließlich 1942 nach Mexiko.5 (Trotz dieser äußeren Wirren hatte er auch in der französischen Emigration komponiert.) In Mexiko gelang es Rubin bald, festen Fuß zu fassen. Er wurde Korrepetitor an der Oper von Mexiko City, war als Liedbegleiter und Dirigent tätig und betreute die Musik-Abteilung einer ständigen ÖsterreichSendung im mexikanischen Rundfunk. Daneben gab er Privatstunden, hielt an der Arbeiteruniversität Vorträge über musikhistorische und musiktheoretische Themen und veröffentlichte in diversesten Zeitschriften einschlägige Artikel; auch als Komponist war er erfolgreich, u. a. dirigierte er selbst im Palacio de las Bellas Artes seine 4. Symphonie.6 Auf der Überfahrt lernte er die Deutsche Hilda Maddalena kennen, die Frau des inhaftierten kommunistischen Reichstagsabgeordneten Max Maddalena, der dann im KZ umkam. Nach seinem Tod heiratete Rubin die Witwe. 1947 kehrte Rubin nach Österreich zurück und widmete sich hier neben der Arbeit als Musikkritiker (der Volksstimme) in verstärktem Maße seinem Schaffen. Daneben war er 1948 bis 1965 (ehrenamtlicher) Sekretär des Österreichischen Komponistenbundes,7 1948 gründete er zusammen mit einigen anderen Komponistenkollegen die Österreichische Gesellschaft für Zeitgenössische Musik, deren Vorstandsmitglied er viele Jahrzehnte war. In der AKM, der staatlich genehmigten Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger, hatte Rubin ab 1957 diverse Funktionen inne, ehe er 1964 in den Vorstand und schließlich 1975 zum Präsidenten der Vereinigung gewählt wurde. Und auch international wurde er einer der aktivsten Vertreter der Komponistenschaft, unter anderem als Präsident des Internationalen Komponistenrates der CISAC (der Dachorganisation der Verwertungsgesellschaften). 1969 trat er (mit vielen anderen) aus der KPÖ aus und zog sich gleichzeitig als Kritiker zurück, stand aber als Präsident der AKM, als welcher er 4
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Siehe Hartmut Krones, Jura Soyfers Dachau-Lied in seinen Vertonungen durch Herbert Zipper und Marcel Rubin, in: Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Constantin Floros, Friedrich Geiger und Thomas Schäfer (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 17), Frankfurt am Main 2000, S. 139–153. Zu Rubins Schicksal in den Jahren 1938 bis 1942 siehe Hartmut Krones, Marcel Rubin in der französischen Emigration, in: Douce France? Musik-Exil in Frankreich. Musiciens en exil en France. 1933–1945, hrsg. von Michel Cullin und Primavera Driessen Gruber, Wien–Köln–Weimar 2008, S. 131–145 sowie S. 379–392. Zu Rubins Jahren in Mexiko siehe Hartmut Krones, Marcel Rubin y la comunidad musical austríaca en México, in: La música del exilio Austriaco en América [Programmbuch des von der Universität Mexico City zu diesem Thema veranstalteten Symposions vom 10. Juni 1999], México 1999, S. 30–34. Vgl. Hartmut Krones, 80 Jahre Österreichischer Komponistenbund, in: Achtzig Jahre Österreichischer Komponistenbund (1913–1993). Festschrift anläßlich des 80jährigen Bestandes des Österreichischen Komponistenbundes, Wien 1993, S. 21–48.
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von 1975 bis 1984 fungierte, noch einige Zeit im Brennpunkt des Musikgeschehens.8 1986 wurde Rubin von der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, die zahlreiche seiner Werke zur Uraufführung gebracht hatte, zu ihrem Ehrenmitglied ernannt. Nahezu bis zuletzt schaffend, starb er am 12. Mai 1995 in Wien. Zu Rubins wichtigsten Schöpfungen zählen die 1973 in der Wiener Volksoper uraufgeführte Oper Kleider machen Leute (nach Gottfried Keller), das Tanzstück Die Stadt (mit Worten von Elias Canetti), vier Oratorien (darunter Ein Heiligenstädter Psalm nach Worten aus Beethovens „Heiligenstädter Testament“ und aus der Heiligen Schrift), 10 Symphonien9, Konzerte für Kontrabaß, Trompete, Fagott, Flöte und Klarinette, zahlreiche weitere Orchesterwerke (darunter die populären Variationen über ein französisches Revolutionslied), Kammermusik verschiedenster Besetzung, Klaviersonaten und zahlreiche Liederzyklen, und zwar in deutscher sowie in französischer Sprache.10 Rubin, der Eisler weder in dessen Wiener Jahren bis 1925 noch im Zuge von Eislers mehrfachen Wien-Besuchen in den späten 1920er Jahren (in denen Rubin in Paris weilte) sowie in den frühen 1930er Jahren persönlich begegnete, war dann – als Mitarbeiter einer kommunistischen Zeitung – im Zuge von Eislers Ausweisungsverfahren aus den USA selbstverständlich sofort in diese Angelegenheit involviert. Wir lesen darüber ausführlich in der Volksstimme vom 3. Jänner 1948: „Oesterreichischer Musiker in Amerika in Gefahr Eine Gruppe namhafter österreichischer Musiker in Gemeinschaft mit Leitern der wichtigsten musikalischen Institutionen Oesterreichs hat, wie die APA berichtet, zugunsten des bekannten österreichischen Komponisten Hanns Eisler ein Schreiben an den amerikanischen Gesandten in Oesterreich gerichtet. Gegen Eisler wurde im Rahmen der Untersuchung gegen Hollywooder Filmkünstler der Vorwurf erhoben, daß er ‚kommunistisch‘ gesinnt sei. Seither wird ihm die Ausreise verboten, ja, er wird mit Deportation in ein Nazilager von Westdeutschland bedroht. In Ihrem Schreiben stellen die österreichischen Musiker fest, daß Hanns Eisler, auf dessen Kopf die Nazi einen Preis ausgesetzt hatten, als österreichischer Musiker für den musikalischen Wiederaufbau Oesterreichs von Wichtigkeit ist. Da Eisler schon vor Beginn der Hollywooder Untersuchung seine Absicht geäußert hatte, nach Oesterreich zurückzukehren, da ferner der Oeffentlichkeit nicht mitgeteilt wurde, daß ein strafbarer Tatbestand gegen ihn erwiesen wurde, bitten die Unterfertigten den Gesandten, seinen Einfluß für die
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Hiezu vgl. Hartmut Krones, Die Geschichte unserer Gesellschaft [AKM], in: 100 Jahre AKM. Autoren Komponisten Musikverleger. 1897[–]1997, Wien 1997, S. 10–31. Hartmut Krones, Zu den Symphonien und symphonischen Werken von Marcel Rubin, in: Die österreichische Symphonie im 20. Jahrhundert, hrsg. von Hartmut Krones (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 5), Wien–Köln–Weimar 2005, S. 119–132. Zu einigen der im Exil entstandenen Lieder Rubins, insbesondere unter dem Aspekt eines stilistischen Vergleichs mit Exil-Liedern von Hanns Eisler, siehe Hartmut Krones, Immer noch „auf der Flucht“ (aus Wien). Zu Liedern von Hanns Eisler und Marcel Rubin, in: Musik im sozialen Raum. Festschrift für Peter Schleuning zum 70. Geburtstag, hrsg. von Freia Hoffmann, Markus Gärtner und Axel Weidenfeld (= Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik, Bd. 3), München 2011, S. 161–187.
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Aufhebung der gesetzlich nicht begründeten Ausreiseverweigerung zugunsten Eislers geltend zu machen. Das Schreiben ist gefertigt von Professor Franz Salmhofer, Direktor der Staatsoper; Professor Joseph Krips; Hofrat Joseph Marx; Dr. Hans Sittner, Leiter der Akademie für Musik und darstellende Kunst; Professor Wilhelm Fischer, Direktor der Musiklehranstalten der Stadt Wien; Hofrat Paul Weingarten; Hans Erich Apostel, Präsident der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik; Dr. Marcel Rubin; Professor Friedrich Wildgans, Musikreferent der Stadt Wien.“11
Die zum Teil wortgleich berichtende Welt am Abend desselben Tages ergänzte noch, daß sich „in den USA für Eisler Copland, Strawinsky, Thomas Mann, Einstein und Chaplin, in Frankreich Picasso, in England der Komponistenbund eingesetzt“12
hätten, während die kommunistische Wochenzeitung Österreichisches Tagebuch (die ab April 1948 monatlich, ab 1950 14tägig erschien) weitgehend die Meldung der Volksstimme übernahm, aber eine Würdigung vorausschickte: „Dem österreichischen Publikum braucht man Hanns Eisler nicht vorzustellen. Weit über die engen Fachkreise hinaus kennt man die Bedeutung dieses österreichischen Komponisten, auf dessen Kopf die Nazi einen Preis gesetzt und den sie zur Flucht nach Amerika getrieben hatten, für unser Musikleben. Die zuständigen staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten verhindern seine Rückreise. Sie stellten ihn vor das berüchtigte Komitee, das die angebliche ‚kommunistische Verseuchung‘ Hollywoods untersucht – wir haben seine Stellungnahme zu dieser Inquisition seinerzeit abgedruckt [...].“13
Diese Stellungnahme Eislers war am 14. November 1947 unter dem Titel „Meine ,unamerikanische‘ Tätigkeit“ erschienen und wurde von einem redaktionellen Vorspann eingeleitet: „Wir bringen im folgenden die Aussage, welche Hanns Eisler vor dem ,Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Betätigungen‘ machen wollte, aber nicht verlesen durfte und die er später in der Presse veröffentlichte.“ „Dieses Verhör ist sowohl unheilvoll als auch lächerlich. Das Komitee ist nicht daran interessiert, ob und welches Zeugnis ich ablege. Das einzige von öffentlichem Interesse über mich ist mein Ansehen als Komponist. Obgleich mein Ruf 11 12
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Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 2, 3. Jänner, S. 2. Vgl. in diesem Band S. 13, Anm. 13. Im Original gesperrt gedruckte Wörter werden hier und im folgenden unterstrichen wiedergegeben. Welt am Abend, 3. Jänner 1948. Dieses Zitat wurde wie einige andere Zitate aus österreichischen Tageszeitungen dem Schnittarchiv der Volksstimme (im Zentralen Parteiarchiv der Kommunistischen Partei Österreichs) entnommen. Dort sind die Ausschnitte jeweils mit Datum, meist aber ohne Paginierung versehen, die, auch angesichts des damals geringen Umfangs der Zeitungen, nicht in allen Fällen nachrecherchiert wurde. – Die Wiener Welt am Abend wurde ab dem 1. Oktober 1946 vom französischen Informationsdienst herausgegeben, am 1. März 1948 von einer SPÖ-nahen Verlagsgesellschaft übernommen und am 30. Oktober 1948 eingestellt. Österreichisches Tagebuch 3 (1948), Nr. 3, 16. Jänner, S. 7.
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international ist, kann ich nicht glauben, daß meine musikalischen Aktivitäten unamerikanisch seien. Ich möchte mit Begeisterung so lange, als dieses Komitee mir gestatten würde, über musikalische Probleme sprechen, denn das sind die einzigen Dinge, über die zu sprechen ich mich befähigt fühle. Da könnte ich zum Beispiel über die technische Entwicklung der letzten Sonaten und Streichquartette Beethovens diskutieren oder die Kunst der Fuge analysieren. Aber ich bezweifle, daß ich hierhergerufen wurde, um solche kulturellen Interessen zu fördern. Im Gegenteil, das Komitee hat mich dazu hergerufen, um mich weiter in der Presse zu beschmutzen, in der Hoffnung, die Künstler im Lande so einzuschüchtern, daß sie sich den politischen Ideen dieses Komitees fügen. Dies ist das zweitemal, daß Sie mich zur Aussage vorgeladen haben. Das erstemal war es vor Ihrem Subkomitee in Hollywood im Mai dieses Jahres. Das Interesse, daß Sie für mich haben, ist sehr schmeichelhaft. Aber es hat keinen wirklichen Zweck. Um das zu beweisen, lassen Sie mich Ihnen, bitte, über meine Aktivitäten in diesem Lande berichten. Ich kam zuerst im Jahre 1935 in die Vereinigten Staaten, unter dem Schutz eines britischen Komitees, an dessen Spitze Lord Marley aus dem Britischen Haus der Lords stand, um Geld für die Kinder der deutschen Antinazi-Flüchtlinge aufzubringen. Ich gab ein Konzert und hielt eine Vortragsreihe in der Dauer von zwei bis drei Monaten. Das Thema meiner Vorträge war die Zerstörung der musikalischen Kultur durch Adolf Hitler. Meine Vorträge wurden in deutscher Sprache gehalten und meinen Zuhörern übersetzt. Ich kam Ende 1935 wieder in die Vereinigten Staaten, um eine Musikprofessur an der Neuen Schule für soziale Forschung in New York City anzunehmen. Dort unterrichtete ich Musik, Komposition und Kontrapunkt. Um diese Zeit wurde am Broadway ein musikalisches Schauspiel, ‚die Mutter‘, aufgeführt, zu dem ich die Musik geschrieben hatte. Anfang 1936 verließ ich die Vereinigten Staaten und kehrte nach England zurück, wo ich die musikalische Leitung für den Film ‚Pagliacci‘ der ‚British International Pictures‘ übernahm. Anfang 1938 kehrte ich nach den Vereinigten Staaten zurück und nahm meine Lehrtätigkeit an der ‚New School‘ wieder auf. Im Mai 1939 fuhr ich nach Mexico City, wo ich Professor für Musik am Staatskonservatorium wurde. Im September 1939 ging ich wieder an die ‚New School‘ zurück. Um diese Zeit komponierte ich die Musik zu einem Film über die New-Yorker Messe. Oktober 1940 wurde ich – Immigrant mit ‚Non quota‘-Visum – als Professor der Musik in die Vereinigten Staaten aufgenommen. Um diese Zeit setzte die Rockefeller-Stiftung einen Betrag von 20.000 Dollar für mich aus, damit ich an der ‚New School‘ eine Forschung über die Beziehung der modernen Musik zum Film durchführe. Das Resultat dieser Studien erscheint in meinem Buch ‚Komponieren für den Film‘ jetzt eben in Oxford University Press. Wenn das Komitee an meinem künstlerischen Glaubensbekenntnis und meinen Prinzipien interessiert ist, so empfehle ich jedem Mitglied des Komitees, dieses Buch zu lesen und es sorgfältig zu studieren. In den letzten fünf Jahren habe ich in Hollywood gelebt, wo ich die Musik zu acht Filmen schrieb, wie: ‚None But the lonely Heart‘, ‚Spanish Main‘, ‚Woman
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on the Beach‘, ‚So well Remembered‘. Ich war auch kurze Zeit Musikprofessor an der Universität für Südkalifornien. Während dieser ganzen Zeit habe ich auch zahlreiche symphonische Werke für Orchester, Kammermusik und Vokalmusik geschrieben. Meine zuletzt aufgeführten Kompositionen umfassen ein Bläserquintett, Sonate Nr. 3 für Klavier, Variationen für Klavier, Kantaten für Alt, zwei Klarinetten, Viola und Cello, ‚Symphonia brevis‘ für Orchester, usw. Viele meiner Kompositionen wurden auf Platten aufgenommen. Dies, meine Herren, sind meine Aktivitäten in den Vereinigten Staaten, und ich nehme an, daß sie es sind, die das Komitee als ‚unamerikanisch‘ betrachtet. Sie sind anscheinend keine Musikkenner. Ich habe in den Vereinigten Staaten mich nie an politischen Aktionen beteiligt und war nie Mitglied einer politischen Partei. Das Komitee weiß das über mich aus Nachforschungen und dem früheren Verhör. Warum bin ich also einer so fanatischen Verfolgung ausgesetzt? Warum hat das Komitee sich übertroffen, meinen Namen seit einem Jahr in den Schmutz zu ziehen? Warum hat man es mir so schwer gemacht, meinen Lebensunterhalt zu verdienen? Warum hat das Komitee das State Department veranlaßt, mich mit einer ungesetzlichen Aktion zu bedrohen, die mich verhindert, Paris zu besuchen, wo ich das Manuskript für einen Französischen Film, ‚Alice im Wunderland‘, schreiben sollte? Die Antwort auf alle diese Fragen ist sehr einfach. Ich bin angeklagt, der Bruder Gerhart Eislers zu sein, den ich liebe und bewundere, und den ich verteidige und immer verteidigen werde. Betrachtet das Komitee Bruderliebe als ‚unamerikanisch‘? Was noch wichtiger ist, das Komitee hofft durch meine Verfolgung viele andere Künstler in Amerika einzuschüchtern, die das Komitee aus irgendwelchen unwürdigen Gründen nicht mag. Das Komitee hofft eine Hetze gegen jeden liberalen, fortschrittlichen und sozialbewußten Künstler in diesem Lande zu inszenieren und deren Werke einer unverfassungsmäßigen und hysterischen Zensur auszusetzen. Es ist schrecklich, zu denken, was aus der amerikanischen Kunst werden soll, wenn das Komitee zu beurteilen hat, welche Kunst amerikanisch und welche unamerikanisch ist. So etwas haben Hitler und Mussolini versucht. Sie haben keinen Erfolg gehabt, und ebensowenig wird ihn das Komitee des Repräsentantenhauses über unamerikanische Tätigkeit haben.“14
In Österreich setzten sich nach dem ersten breiten Protest weitere prominente Vertreter des Kulturlebens für Eisler ein, u. a. der bekannte (nichtkommunistische) Musikkritiker Max Graf, der 1924 in der Jury saß, die Eisler den „Preis der Stadt Wien“ zuerkannte, und der sich nun im Österreichischen Tagebuch unter dem Titel „Für Hanns Eisler“ scharf gegen die Praktiken der USA wandte: „Den Tagesblättern habe ich entnommen, daß Hanns Eisler in den Vereinigten Staaten in die Maschinerie hineingeraten ist, die das große Land durchackert, um 14
Österreichisches Tagebuch 2 (1947), Nr. 41, 14. November, S. 7. Diese am 14. Oktober 1947 in der Zeitschrift New Masses erschienene „Erklärung“ ist in anderer, von Therese Bunge verfaßter Übersetzung abgedruckt in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur. Sonderheft Hanns Eisler 1964, Berlin, S. 17–20.
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Kommunisten zu entfernen, und wie alle derartigen Maschinerien, wenn sie einmal in Bewegung gesetzt sind, nicht leicht zum Stillstand zu bringen ist. Nach diesen Nachrichten ist der Komponist Hanns Eisler, dessen Schicksal Wien angeht, weil er ein Wiener ist, von den Einwanderungsbehörden mit seiner Frau verhaftet worden und soll aus dem Land, das ihn in der Nazizeit gastlich aufgenommen hatte und dem er als Komponist und als Lehrer anerkannte Dienste geleistet hat, deportiert werden. (Deportation bedeutet Uebersiedlung in ein amerikanisches Konzentrationslager in Westdeutschland, zusammen mit Kriegsverbrechern. Die Red.) Bedeutende Männer des amerikanischen Geisteslebens haben ihre Stimme erhoben, um gegen die Deportierung Eislers aus den Vereinigten Staaten zu protestieren, große Künstler, Dichter und Wissenschafter. Es sind Weltnamen, die überall großes Ansehen genießen und die von jedem mit Respekt und Achtung angehört werden, außer von der bürokratischen und politischen Maschinerie, die vor geistiger Größe in keinem Land der Welt haltmacht, wenn ihre Motoren einmal in Bewegung gesetzt sind. Dieser Maschinerie ist Hanns Eisler nahegekommen, weil sein Bruder als einer der Organisatoren der Kommunistischen Partei in den Vereinigten Staaten gilt. (Auch diese Beschuldung ist niemals erwiesen, aber hundertmal widerlegt worden. Die Red.) Der Bruder eines Kommunisten muß für primitives Denken natürlich ein Kommunist sein, und so hat die klappernde Maschine des ‚Untersuchungsausschusses für nichtamerikanische Tätigkeiten‘ im amerikanischen Repräsentantenhaus Hanns Eisler am Rockschoß erfaßt, als er ihr zu nahe getreten war, um zu sehen, was seinem Bruder eigentlich geschehe. Es fällt mir natürlich gar nicht ein, einem Staat das Recht abzusprechen, zu bestimmen, wen er innerhalb seiner Grenzen wohnen lassen will. Jeder, der in die Vereinigten Staaten einreisen oder in ihnen das Bürgerrecht erwerben will, weiß, daß er die Erklärung abgeben muß, daß er kein Kommunist sei. Solange die Bürger des freien Staates das nicht abändern, bleibt es Gesetz. Das hat natürlich Hanns Eisler genau so gewußt wie jeder andere. Allein es handelt sich im Fall Eisler auch nicht um Gesetz oder Nichtgesetz, sondern um Verwaltungsmaschinerie und um Politik, um parlamentarische Kommissionen und Bürokratie. Hanns Eisler ist nicht etwa vor ein Gericht gestellt und verurteilt worden, sondern in das Räderwerk eines politisch-administrativ-bürokratischen Verfahrens hineingeraten, das überdies von reaktionären Politikern frisch geölt worden ist. Jeder Mann, der Freiheit liebt und Geist höher schätzt als administrative Vorschriften, hat also das Recht, in einem solchen Fall seine Stimme zu erheben. Wie immer man über die Kommunistenjagd denken mag, die auf den alten Jagdrevieren der Indianer im Gange ist, ob man sie als eine Staatsnotwendigkeit betrachtet oder als einen Fleck auf der glorreichen Freiheitsfahne des mächtigen Landes, vor einem hat diese Jagd haltzumachen: vor anerkannten Künstlern und vor Männern des Geistes. Ich selbst bin (um auch darüber keinen Zweifel offenzulassen) kein Kommunist. Ich habe als Student von Viktor Adler meine unvergeßlichen Eindrücke empfangen und habe von den Wahlrechtskämpfen an, die wir auf der Ringstraße geführt haben, bis zum Neuaufbau eines sozialistischen Gemeinwesens nach 1918 die ganze Geschichte des österreichischen Sozialismus miterlebt. Was Viktor
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Adler mir als Aufgabe gepredigt hat: ‚den Reibungskoeffizienten zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft herabzusetzen‘, habe ich ehrlich befolgt, und was hätte diesen Reibungskoeffizienten wirksamer verringern können, als die Vertiefung und Ausbreitung der kulturellen Werte, die Mitteilung von Kunst und Wissenschaft an die neue Volksgesellschaft, die Vermehrung der Achtung vor geistigen Führern, vor Dichtern, Musikern, Männern der Wissenschaft. Da Eisler ein bedeutender Musiker ist, habe ich für ihn meine Stimme zu erheben, wie ich es getan habe, als ich im Arbeitersymphoniekonzert Dr. Bachs zum erstenmal hinreißende Chorkompositionen Hanns Eislers gehört habe und als ich ihm als Preisrichter den Komponistenpreis der Stadt Wien verschaffen konnte, ohne ihn persönlich zu kennen. Erst in New York habe ich Hanns Eisler kennengelernt. Er war als Nachfolger Arnold Schönbergs Kompositionslehrer an der Schule, an der ich begonnen hatte, meine Vorträge über Johann Sebastian Bach zu halten, an der ‚New School for Social Research‘, die auf den Theorielehrer Eisler stolz war. Ich habe mich bald überzeugen können, wie sehr die Schüler durch die lebendige und geistreiche Persönlichkeit Hanns Eislers gefesselt worden sind. Eisler hatte die Kraft, Lebendiges zu wecken, Funken aus dem Stein zu schlagen. Er war ein Anreger ersten Ranges. Von Zeit zu Zeit haben die Lehrer der Musikabteilung der Schule, in der von Eisler Schönbergs Geist lebendig erhalten wurde, öffentliche Diskussionen über Fragen der modernen Musik abgehalten. Auch bei diesen Diskussionen war Eisler immer anregend und witzig. So entspann sich zwischen mir und Eisler in New York ein persönlicher Verkehr, der so lange gedauert hat, bis Eisler einen Preis der Guggenheim-Stiftung erhielt, der es ihm ermöglichen sollte, nach Hollywood zu gehen, um die Filmmusik zu studieren, die er selbst mit einer sehr originellen Komposition bereichert hatte. Niemals aber habe ich von Eisler ein Wort über Politik gehört. Niemals hat er ein Wort über Kommunismus fallen lassen. Er war immer ein reiner Künstler, nur mit künstlerischen Fragen beschäftigt und nur durch künstlerische Fragen angeregt. Ich kann das mit einem Eid bekräftigen. Diese künstlerische Haltung Hanns Eislers war um so auffallender, als besonders in Künstler- und Intellektuellenkreisen, in den Kreisen der Universitätsund Kollegestudenten und Lehrer der Kommunismus das Tagesthema war. Die tiefe Unbefriedigung des amerikanischen Intellektuellen kam in solchen Gesprächen zum Ausdruck. Namenlich Mädchen schienen mir eifrig an solchen Diskussionen beteiligt zu sein, die sie mit Leidenschaft geführt haben. Da der Sozialismus der demokratischen Form in den Vereinigten Staaten nur einen kleinen Raum einnimmt, ist seine Ideologie, die für uns als Universitätsstudenten von so großer Bedeutung war, für den intellektuellen Amerikaner von wenig Bedeutung. Ihn interessiert nicht eine Theorie, sondern die große soziale Organisation der russischen Gesellschaft, die Weite des Gesichtskreises, die neuen Probleme des Volkslebens, die Organisation des Kunstlebens. Auch die Lebendigkeit der neuen russischen Musik mag zu diesem Interesse der intellektuellen Gesellschaft beigetragen haben, aber auch die große Aehnlichkeit, die zwischen den Riesenausmaßen Amerikas und Rußlands besteht und alle die sozialen, wirtschaftlichen und technischen Probleme als organisatorische Probleme erscheinen läßt. In
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dieser Gesellschaft der unruhigen Intellektuellen, die alle über Kommunismus debattierten, war Hanns Eisler still. Er war sicherlich kein aktiver Politiker. Sosehr er sich in Gesprächen über allgemeine Kunstfragen oder über das Zwölftonsystem oder die Musikkritik ausgab, Fragen der Politik schienen für ihn nicht zu existieren. Ich will damit nicht sagen, daß er keine politische Gesinnung hatte, vielleicht war er sogar innerlich ein Kommunist, aber er war als Politiker nicht tätig, sie war nicht sein Hauptinteresse, er hat nicht einmal mit einem Freund, als den er mich gekannt hat, über Politik gesprochen, so temperamentvolle Debatten wir auch geführt haben. Der Fall Eisler scheint mir ein typisches Beispiel dafür zu sein, daß nichts künstlerischen Geist weniger versteht als bürokratische Geistlosigkeit. Wird eine solche bürokratische Geistlosigkeit noch dazu der Gehilfe der Politik, der Büttel reaktionärer Bewegungen, der Polizist, der Gesinnungen überwacht und beschnüffelt, kurz ein verächtlicher Handlanger der augenblicklichen politischen Interessen, dann wird sie in jedem Lande kulturschädlich, wie sie es im Falle Eisler gewesen ist. Was für eine schöne Aufgabe würde es für Oesterreich sein, einen Wiener Künstler wie Hanns Eisler in seine Heimatstadt zurückzurufen, hier seine ungewöhnliche Kraft als Lehrer auszunützen, seiner Kraft als Komponist Spielraum zu geben und Wien mit Geist zu bereichern. Nichts könnte besser beweisen, daß Wien eine Stadt der Kultur ist, wie Wien es gezeigt hat, als es Hanns Eisler mit dem Kompositionspreis der Stadt Wien und sich selbst mit der Erteilung dieses Preises geehrt hat.“15
In derselben Nummer erschien übrigens auch ein Artikel Oesterreichische Musikkritiker für österreichischen Komponisten, den Joseph Marx als Präsident sowie „im Auftrag der Vereinigung der Musikreferenten“ unterzeichnete und in dem vehement eine vermehrte Einbeziehung zeitgenössischer österreichischer Musik in die Konzertprogramme der großen Konzertveranstalter gefordert wird. Anschließend an diesen Appell war unter dem Titel „Ein gangbarer Weg“ noch ein Kommentar von Marcel Rubin zu lesen: „Die vorstehende Erklärung der Vereinigung der Musikreferenten stellt die Diagnose einer ersten Krankheit unseres Musiklebens und weist den Weg zu ihrer Heilung. [... die Maxime ‚Mir san mir‘], die selbstzufrieden denjenigen entgegentönt, die warnend auf die Gefahr einer Erstarrung der musikalischen Kultur Oesterreichs und ihrer Ueberholung durch das Ausland hinweisen. Es ist wahr, daß die Verantwortung für diese Gefahr nicht allein die öffentlichen und privaten Verwalter des Musikbetriebes trifft. Auch unsere Komponisten haben sich weitgehend vom Leben und damit von der Kunst isoliert [...]. Aber gerade deswegen ist die Aufgabe derer, die heute über unsere Musikinstitute und in ihnen zu entscheiden haben, doppelt ernst. Sie kann nur gelöst werden, wenn die österreichischen Musiker aktiv in unser Musikleben eingeschaltet werden. Hiermit wird durchaus nicht die Unterstützung gutwilliger Dilettanten gefordert. Beherrschung des Satzes, der Form, der Technik der Instrumente und Singstimmen soll die unerläßliche, von Fachleuten 15
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überprüfbare Voraussetzung sein für die Zulassung eines Komponisten vor die Oeffentlichkeit. Doch ihm, wenn diese Voraussetzung vorliegt, den Zutritt zu den Konzertpodien – und in qualifizierten Fällen zu den Opernbühnen – verweigern, heißt ihn der Hochschule der Kunst, der Erprobung in der Wirklichkeit berauben. Wenn eine solche Kunstpolitik verallgemeinert wird, und sie ist hier bereits verallgemeinert, so heißt dies Oesterreich seines komponierenden Nachwuchses, seiner musikalischen Gegenwart berauben. [...].“16
Zurück zu Hanns Eisler. Bekanntlich hatten die massiven internationalen Interventionen Erfolg, und die Volksstimme konnte am 20. Februar 1948 melden: „Komponist Eisler aus Amerika ausgewiesen Washington (INS): Wie der amerikanische Justizminister Clark bekanntgab, wurde gegen den Bruder des bekannten Kommunisten Gerhard Eisler, Hans [!] Eisler, ein Ausweisungsbefehl erlassen. Wie Clark weiter bekanntgab, wurde Hans Eisler die Bewilligung erteilt, die Vereinigten Staaten bis 16. Februar ‚freiwillig‘ zu verlassen. Eisler, ein Oesterreicher und Komponist bekannter Arbeiterlieder, der als einer der bedeutendsten jüngeren Musiker gilt, sollte ursprünglich verhaftet werden. Oesterreichische, britische und französische Musiker haben dagegen beim amerikanischen Außenamt Protest eingelegt. Eisler hat Einladungen nach Wien und Paris erhalten.“17
Am 2. März 1948 bereits berichtete die Wiener Tageszeitung Der Abend, daß „der Wiener Komponist Hanns Eisler und seine Gattin nach einer Mitteilung ihres weiblichen Anwaltes Miß Carol King die Vereinigten Staaten innerhalb 48 Stunden verlassen“
würden, „um sich über Italien nach Österreich zu begeben“, was dann bekanntlich nicht so schnell der Fall war. Den Tatsachen entsprach hingegen die durchaus von Stolz über das gemeinsame Vorgehen erfüllte Fortsetzung der Meldung: „Ausschließlich dem Protest der bedeutendsten Musiker und Intellektuellen der Welt, dem sich auch Wiener Musiker angeschlossen hatten, ist es zu danken, daß dem bekannten Komponisten die Ausreise nach Oesterreich gestattet wurde.“18
Die Österreichische Volksstimme vom 4. März beschränkte sich auf die Meldung, daß Eisler „vor der Abreise aus Amerika“ stehe, und berichtete zudem, daß auch „Ferdinand Bruckner, der berühmte österreichische Dramatiker, der als Emigrant in Amerika lebt, [...] Mitte April in Wien erwartet“
16 17 18
Ebenda S. 13. Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 43, 20. Februar, S. 3. Der Abend Nr. 6, 2. März 1948, S. 2. Der Abend erschien ab dem 25. Februar 1948 und wies (ohne Numerierung der Ausgaben) lediglich die Angabe(n) „Jahrgang 1948“ etc. auf.
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werde; „Bruckner wird in Paris in Kürze an drei Bühnen zu Wort kommen“, heißt es weiter. Ein allgemeiner Artikel Prominente amerikanische Künstler gegen den Gesinnungsterror in den USA nahm zusätzlich Stellung zu den dortigen Vorkommnissen: „Zweihundert prominente Schriftsteller, Maler und Dramatiker bildeten in New York eine neue Organisation, die sich gegen die reaktionären Uebergriffe auf dem Gebiet des künstlerischen Lebens sowie gegen die Maßnahmen des Repräsentantenausschusses ‚zur Untersuchung antiamerikanischer Tätigkeit‘ zur Wehr setzt. Die Versammlung faßte eine Resolution, in der es heißt, daß unter dem Schlagwort ‚Kommunistenverfolgung‘ eine Kampagne zur Einschüchterung und Terrorisierung der amerikanischen Künstler und Schriftsteller geführt wird. Die Ausfälle gegen die Denkweise von Amerikanern erinnern an Maßnahmen des Goebbels-Ministeriums.“19
Am 27. März konnte die Österreichische Volksstimme dann melden, daß „Hans Eisler auf dem Weg nach Wien“ sei, da er laut dem amerikanischen Justizministerium „mit seiner Gattin gestern im Flugzeug nach Wien abgereist“ sei. Und in der Nummer vom 1. April lesen wir: „Hans Eisler in Prag eingetroffen Hans Eisler, der bekannte österreichische Komponist, Schriftsteller und Demokrat, der aus Amerika ausgewiesen wurde, ist in Prag eingetroffen. Ueber den Grund seiner Ausweisung befragt, erklärte er, seine Antwort, er habe nicht die Ehre, Kommunist zu sein, habe der Thomas-Kommission mißfallen. Hans Eisler beabsichtigt, einige Tage in Prag zu verbringen und dann nach Oesterreich weiterzureisen, um hier auf musikalischem Gebiet tätig zu sein.“20
Eisler reiste bekanntlich schon am 1. April nach Wien weiter und traf laut der Vorausmeldung von Der Abend „um 21 Uhr 20 in Tulln ein“21. Dieselbe Zeitung berichtete dann am 2. April unter dem Titel „Hanns Eisler in Wien eingetroffen. Oesterreichischer Komponist kehrt heim“ ausführlich über die Rückkehr des von den Amerikanern Ausgewiesenen: „Hanns Eisler, der bekannte österreichische Komponist und Dirigent, traf gestern mit dem Flugzeug in Wien ein. Er wurde am Flugfeld von Stadtrat Dr. Viktor Matejka begrüßt. Es besteht die Absicht, den Komponisten als Lehrer für ein Wiener Musikinstitut zu gewinnen. ‚Ich bin glücklich, wieder in Wien zu sein‘, erklärte Hanns Eisler unserem Berichterstatter, ‚denn ich liebe Wien und habe in dieser Stadt viele Freunde‘. Der Komponist bringt in seinem Gepäck eine Anzahl neuer Werke mit und hat auch eine Reihe von Film- und Musikplänen, die er hier verwirklichen will. Hanns Eisler, der seit vielen Jahren in den Vereinigten Staaten lebte, wurde auf Grund einer Entscheidung des berüchtigten ‚Ausschusses für unamerikanische 19 20 21
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 54, 4. März, S. 4. Am 5. März (S. 2) wird dann unter der Überschrift „Amerika – ein Polizeistaat“ vom Hungerstreik Gerhard (!) Eislers berichtet. Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 77, 1. April, S. 3. Der Abend Nr. 31, 1. April 1948, S. 1.
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Betätigung‘ zur Deportation aus Amerika verurteilt und sollte in ein amerikanisches Konzentrationslager in Deutschland überstellt werden. Zahlreiche Persönlichkeiten des amerikanischen öffentlichen Lebens traten an Präsident Truman persönlich heran, um die Aufhebung des Deportationsbeschlusses zu erwirken. Erst als zahlreiche Musiker aus allen Ländern (auch Wiener Musiker beteiligten sich an der Aktion) sich an die amerikanischen Behörden mit der Bitte wandten, Hanns Eisler die Heimkehr in seine Heimat zu gestatten, wurde ihm die Ausreise aus den USA erlaubt. In den vergangenen Jahren hat Hanns Eisler neben seiner Lehrtätigkeit an der ‚Schule für Sozialforschung‘ in New York auch als Filmmusiker gewirkt und wertvolle Forschungsarbeit auf diesem Gebiet geleistet, deren Resultat er in einem grundlegenden Werk ‚Komponieren für den Film‘ niederlegte, das erst vor kurzer Zeit erschien. In Europa ist Hanns Eisler einem breiteren Publikum durch seine zahlreichen populären Kampflieder und Chöre bekannt. Lehrstücke, die er zusammen mit Bert Brecht schrieb, wurden in vielen europäischen Hauptstädten aufgeführt. Von dem Ruf, den Hanns Eisler als Komponist sogar in Amerika, von wo er nun ausgewiesen ist, genießt, gibt das New-Yorker Abschiedskonzert Hanns Eislers eine Vorstellung. Die bekanntesten Komponisten Amerikas (Sessions, Copland, Piston und andere) bereiteten dem österreichischen Komponisten diesen Abschied in der New-Yorker Stadthalle, der zu einem wahren Triumph der Musik Hanns Eislers wurde. Nun ist Hanns Eisler heimgekehrt und Wien wird Gelegenheit haben, den Komponisten und seine jüngsten Werke von neuem kennenzulernen und seine pädagogische Kraft in den Dienst der österreichischen Musikerziehung gestellt zu sehen.“22
Am nächsten Tag folgte unter dem Titel „Koloman-Wallisch-Kantate und ein Tagebuch in Liedern“ ein ausführliches „Gespräch mit Hanns Eisler“, das hier ebenfalls vollständig wiedergegeben sein soll. Das Gespräch führte „K. B.“, hinter welchen Initialen sich der 1947 aus dem Jerusalemer Exil zurückgekehrte Musiksoziologe Kurt Blaukopf (1914–1999) verbirgt, der dann 1965 an der Wiener Hochschule (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst das seit 1989 „Institut für Musiksoziologie“ benannte musikpädagogische Forschungsinstitut gründete und u. a. das Standardwerk Musik im Wandel der Gesellschaft (München 1982) veröffentlichte. „Meine letzte Arbeit war die Begleitmusik zum alten Chaplin-Stummfilm ‚Zirkus‘, berichtet Professor Hanns Eisler, den wir gleich nach seiner Ankunft in Wien um seine Pläne und gegenwärtigen Arbeiten befragen. ‚Aber die übereilte Abreise aus Amerika erlaubte es mir nicht, die Partitur fertigzustellen.‘ Inzwischen hat Eisler die Musik zum Chaplin-Film schon zu einer Kammermusiksuite verarbeitet, die auch in Hollywood als Septett Nr. 2 aufgeführt wurde. ‚Mein erstes Septett führt den Titel ‚Im Kindergarten‘ und wurde 1940 geschrieben. 22
Der Abend Nr. 32, 2. April. 1948, S. 3.
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Bei dem Abschiedskonzert in der New-Yorker Stadthalle wurde es wieder aufgeführt.‘ ‚Haben Sie die Absicht, in Wien auf dem Gebiete der Filmmusik zu wirken?‘ ‚Gerne‘, sagt Hanns Eisler, ‚wenn dazu die Möglichkeiten bestehen.‘ Der Komponist hat ja die nötige Filmmusikerfahrung – nicht bloß aus Hollywood, denn er hat im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte in Moskau, London, Paris und Berlin ebenfalls für den Film geschaffen. Eisler hat zweimal den Filmmusikpreis der Academy of Arts erhalten, und zwar zuerst für den FritzLang-Film ‚Auch Henker sterben‘, und ein andermal für die Musik zu dem Film ‚Nur wer die Sehnsucht kennt‘. ‚Meine theoretische Beschäftigung mit der Filmmusik‘, berichtet Hanns Eisler, ‚begann an der New-Yorker Schule für Sozialforschung, wo ich seit 1935 wirkte. Von der Rockefeller-Stiftung wurde ein Fonds für Untersuchungen über moderne Musik und Film bereitgestellt, der mir eine zweieinhalbjährige Forschungsarbeit ermöglichte.‘ Das Buch, in dem Hanns Eisler die Ergebnisse dieser Forschung niedergelegt hat, ist schon in zahlreichen Sprachen erschienen und soll nun endlich im deutschen Original in Wien herauskommen. Zu den Forschungen über Filmmusik zog Hanns Eisler auch Wiener Künstler des Schönberg-Kreises heran, so den Geiger Rudolf Kolisch, der jetzt an der Madison-Universität unterrichtet, und den Wiener Pianisten Eduard Steuermann, der an der Julliard-School [!] in New York wirkt. Hanns Eisler ist voller Verehrung für seinen Lehrer Arnold Schönberg, dem er auch Experimente der Filmkomposition (‚14 Arten den Regen zu komponieren‘) gewidmet hat. Arnold Schönberg, so erfahren wir von Eisler, lebt nach wie vor in Kalifornien, erfreut sich jedoch keiner guten Gesundheit. Seine jüngsten Werke sind ein von der Harvard-Universität bestelltes Streichtrio und der ‚Kampf im Warschauer Getto‘ für Chor, Sprecher und Orchester, zu dem Schönberg auch selbst den Text schrieb. ‚Werden Sie in Wien bleiben?‘ ‚Ja, denn ich muß endlich wieder mit meinem Verleger Kontakt pflegen und will hier auch zwei Konzerte mit eigenen Werken geben.‘ Unter den neuen Werken, die Hanns Eisler mitbringt, sind zweihundert Lieder – eine Art Tagebuch – und sechs größere Orchesterwerke, davon eine Symphonie. Hanns Eisler hat auch in jüngster Zeit wieder mit Bert Brecht zusammengearbeitet, unter anderem an einer Koloman-Wallisch-Kantate für Sprecher, Chor, zwei Klaviere und Ziehharmonika, die für Schulaufführungen gedacht ist. ‚Woran arbeiten Sie augenblicklich?‘ ‚An einem Violinkonzert für den amerikanischen Geiger Spivakowsky, an einem größeren Kantatenwerk und an einem Heft von Klavierstücken.‘ Hanns Eisler kommt aus New York über Prag, wo derzeit die Aufführung seines zusammen mit Brecht geschaffenen Werkes ‚Galileo und Galilei‘ vorbereitet wird. Mitte Mai wird Eisler wieder in Prag sein, wo er auf dem Internationalen Musikkongreß über die ‚Sozialen Grundlagen der modernen Musik‘ sprechen soll.“23 23
Der Abend Nr. 33, 3. April 1948, S. 7.
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Zu der Koloman-Wallisch-Kantate, die Eisler laut seinem Sohn Georg „für die Wiener Feiern zum 15. Jahrestag des 12. Februar 1934“ fertigstellen wollte, kam es dann nicht: „[...] fand eine Aussprache statt, in meiner Wohnung, mit einem der höchsten Funktionäre der KPÖ, wo meine Vater diese Koloman-Wallisch-Kantate unterbreitete. Es wurde dann irgendwie abgewunken: ,Das muß man nicht unbedingt haben. Der Mann war ja nicht für die Kommunisten.‘ Es bestanden damals schon sehr gespannte Verhältnisse zur Sozialdemokratie.“24
(Der Führer des Schutzbundes von Bruck an der Mur Koloman Wallisch war trotz des von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß den österreichischen Sozialdemokraten für den Fall des Niederlegens der Waffen versprochenen „Pardons“ am 19. Februar 1934 hingerichtet worden. Die Hinrichtung von Koloman Wallisch, der als aufrechter Demokrat 1921 in Bruck an der Mur den von seinem ungarischen PutschVersuch zurückkehrenden letzten Habsburger-Kaiser Karl vor der Lynch-Justiz gerettet hatte, wurde möglich, weil der Justizminister Kurt Schuschnigg, der Nachfolger von Dollfuß als Bundeskanzler, die schon beschlossene Ablaufsfrist des Standrechtes und somit der Todesstrafe für die Steiermark um einige Tage erstreckte.)25 – Ein speziell Eislers Erlebnisse in den USA in den Blick nehmendes Interview erschien dann am 4. April in der Österreichischen Volksstimme, und zwar unter dem Titel „Mein Verhör vor dem Hexengericht. Hanns Eisler erzählt über Hollywood, die ,Stadt des Terrors‘ “: „Wenige Stunden nach seiner Ankunft in Wien sitzen wir dem heimgekehrten Hanns Eisler gegenüber, dem Schöpfer einer großen Zahl von Kampfliedern, die längst Gemeingut der Arbeiterschaft geworden sind. Hanns Eisler, Oesterreicher, von Hitler aus Deutschland und Oesterreich vertrieben, dann Flüchtling in Amerika, wo er sich in Hollywood niederläßt und Werk um Werk schafft, schließlich von der Truman-Regierung aus Amerika vertrieben wird, das ist die kurze Lebensgeschichte der letzten Jahre. Hanns Eisler ist nicht ohne weiteres bereit, über sich zu sprechen. ‚Ich bin ja in alles nur hineingeraten, weil ich zu meinem Bruder, dem bekannten antifaschistischen Journalisten Gerhard Eisler, gehalten habe, wie das unter guten Brüdern üblich ist.‘ Gerhard Eisler wurde unter den nichtigsten Vorwänden zu vier Jahren verurteilt als Opfer der antikommunistischen Hysterie. Ich hatte meine Papiere schon beisammen, um eine Tournee nach Europa zu machen – erzählt Hanns Eisler –, da riefen mich plötzlich die großen New24
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Ortswechsel. Zwischen Wien und Berlin. Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling, in: ÖMZ 53 (1998), Heft 7–8, S. 42–51, hier S. 48. Vgl. Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil, Wiesbaden–Leipzig–Paris 2006, S. 105f. Zum Gedenken an Wallisch verfaßte Bertolt Brecht die Koloman-Wallisch-Kantate, in der es u. a. heißt: „[...] Und als man wollt des christlichen / Kanzlers Meinung hören / Da war halt der Kanzler beim Beten / Da durfte ihn keiner stören. [...] Im Februar vierunddreißig / Der Menschlichkeit zum Hohn / Hängten sie den Kämpfer / Gegen Hunger und Fron / Koloman Wallisch / Zimmermannsohn. [...]“ Bertolt Brecht, Gesammelte Werke. Supplementband IV. Gedichte aus dem Nachlaß 2, Frankfurt am Main 1982, S. 385–395, hier S. 394.
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Yorker Zeitungen an, was ich zu den Meldungen über meinen Bruder zu sagen hätte. Ich ließ mir die Dinge vorlesen über den angeblichen ‚Atomspion‘, den ‚roten Hauptagenten‘ und dergleichen. Ich erklärte sofort mit Nachdruck, Gerhard sei ein Antifaschist und alles andere sei Lüge und Dummheit. Schon am nächsten Tag erschienen Artikel über mich, wie ‚Der rote Komponist lebt heimlich in Hollywood‘ und dergleichen. Ich wurde zu einem ‚geheimen‘ Verhör vor den ‚Kongreßausschuß gegen unamerikanische Tätigkeit‘ in Hollywood und dann nach Washington zitiert, wo ich drei Tage lang in einem überhitzten Saal, ständig im Scheinwerferlicht der Photographen und Kinoreporter, ausgefragt wurde. Um eine Vorstellung von der Art dieses ‚Verhörs‘ zu geben, einige Beispiele: ‚Sind Sie der Komponist des Liedes ,Lob des Lernens‘‘? ‚Ja.‘ ‚Wollen Sie es nicht vorlesen?‘ ‚Nein, Sie haben ja eine bessere Aussprache!‘ Mit großem Pathos verliest der Hauptankläger das Gedicht. Ich muß gestehen, daß es selbst bei diesem Vortrag noch ganz gut geklungen hat: ‚Lerne das Einfachste..., lerne das Abc, es genügt nicht, aber lerne es, denn du mußt die Führung übernehmen.‘ Was soll das heißen: ‚Du mußt die Führung übernehmen?‘ Ich erklärte, es sei eine Dramatisierung von Gorkis ‚Mutter‘, die die Russische Revolution von 1905 behandelt, in der tatsächlich die Arbeiter und die Bauern die Führung übernahmen. ‚Würden Sie heute ein gleiches Lied komponieren?‘ ‚Ja.‘ ‚Das genügt.‘ Dann folgte eine dreistündige Verlesung von Artikeln aus amerikanischen Arbeiterblättern und russischen Zeitungen über das Thema Kunst und Volk. Ich unterbrach, da man damit nur eine Hysterie gegen mich erzeugen wollte. Der Vorsitzende selbst erkundigt sich, worauf die Verlesung eigentlich hinaus soll. Da rückt der Hauptankläger heraus: ‚Ich will nachweisen, daß Hanns Eisler der Karl Marx der Musik ist.‘ Von so viel Dummheit bin ich überrumpelt. Ich bemerke: ‚Es schmeichelt mir zwar, aber das ist doch eine leichte Uebertreibung.‘ Ob ich sagen könne, ob Musik eine politische Waffe sei? Ich erinnerte an eine Anekdote. Als Napoleon die ‚Marseillaise‘ hörte, rief er aus, das sei ihm lieber als zweihundert Kanonen – und Napoleon war ein Artilleriefachmann. Ich fügte hinzu: ‚In der letzten Zeit habe ich allerdings gelernt, daß man mit Liedern allein den Faschismus nicht schlagen kann.‘ Hier eine charakteristische Debatte mit dem Abgeordneten Thomas vom ‚Unamerikanischen Komitee‘. Von Thomas, einem beschränkten Provinzler und kleinen Industriellen aus den Südstaaten, ist bekannt, daß er weder Juden noch Neger und Italiener, weder Europa noch Frau Roosevelt leiden kann. Er haßt alles, was sich nicht in seinen engen Gesichtskreis einfügt. Er durchmustert meine Lieder. Sein Blick bleibt an der Ballade ‚§ 218‘ hängen. ‚Aber das ist doch nicht Kunst, das ist doch fast Pornographie!‘
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‚Ich halte es für ganz gute Kunst. Ich weiß aber nicht, was Sie von Literatur verstehen.‘ Da plustert sich Thomas auf und erklärt zur allgemeinen Heiterkeit: ‚So viel von Kunst verstehe ich noch wie jedes andere Mitglied des Amerikanischen Senats und Repräsentantenhauses.‘ Ich werde gefragt: ‚Sind Sie Mitglied der Kommunistischen Partei?‘ ‚Ich habe leider nicht die Ehre, Mitglied dieser Partei zu sein, für die ich große Achtung habe‘, ist meine Antwort. Es wird beantragt, gegen mich ein Meineids- und Deportationsverfahren einzuleiten. Das Justizministerium aber läßt es bei der Deportation bewenden. Ich werde verhaftet, jedoch gegen Kaution freigelassen und darf schließlich in jedes Land ausreisen, das mir ein Visum erteilt, mit Ausnahme von Mexiko und Kanada. Wer dorthin reisen darf, wird jetzt offenbar schon in Washington bestimmt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich auf die großartige Solidarität meiner amerikanischen Kollegen, der besten amerikanischen Musiker, solcher Wissenschafter wie Einstein und Dichter wie Thomas Mann hinweisen und überhaupt ausdrücklich erklären, daß es auch in Amerika eine große fortschrittliche öffentliche Meinung gibt, die mit dem derzeitigen Kurs Amerikas nichts zu tun hat und ihn bekämpft. Es kamen Telegramme gegen meine Verfolgung auch von den besten Musikern Englands, von führenden Musikern, Gelehrten und Schriftstellern Frankreichs. Besonders dankbar und gerührt war ich über das Schreiben meiner österreichischen Kollegen, die für mich eintraten. Dieser Intervention des Auslandes und meiner Heimat, zusammen mit der fortschrittlichen öffentlichen Meinung Amerikas habe ich es zu danken, daß ich schließlich mit der ‚technischen Deportation‘ davonkam. In der gastfreundlichsten Weise hat mir die tschechoslowakische Regierung als erste ein Einreisevisum erteilt. Die derzeitige italienische und die französische Regierung haben mir trotz Protest der fortschrittlichen Oeffentlichkeit kein Visum gegeben. Ich verließ also Amerika und fuhr nach Prag, wo ich als Gast des Informationsministeriums die herzlichste Aufnahme fand. Es ist wunderbar in Prag. In Amerika rennen die Künstler der Arbeit nach und leben in der Angst, sie zu verlieren. In Prag läuft die Arbeit den Künstlern nach, und sie sind alle voll beschäftigt. Oper und Konzert stehen auf großer Höhe. Die Stadt ist ruhig und friedlich. Polizisten sieht man nur zur Verkehrsregelung, und Soldaten habe ich nur einen getroffen – im Kaffeehaus. Nicht in Prag sah ich Nervosität und Furcht, sondern in Hollywood, der Stadt, die heute unter Terror lebt. Auch New York ist, nach den letzten Reden der Regierungsmitglieder, nervös geworden. Nun freue ich mich wieder, in Wien zu sein. Ich werde hier zwei Konzerte geben, ich werde dann wieder nach Prag fahren, um beim dortigen Musikfest einen Vortrag zu halten. Mehr weiß ich im Moment nicht. Uebrigens hat Hanns Eisler der Jugend seiner Heimat ein Geschenk mitgebracht. Eine ‚Koloman-Wallisch-Kantate‘, die dem Gedächtnis des 12. Februar 1934 gewidmet ist, für Sprecher, Chor, zwei Klaviere und Ziehharmonika, die in
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jeder Schule aufgeführt werden kann. Wir wollen hoffen, daß das bald in recht vielen Schulen der Fall sein wird.“26
Noch ein Interview aus Eislers früher Wiener Zeit verdient unser Interesse; er erschien am 30. April 1948 in dem von 1945 bis 1955 als „Zeitung der Sowjetarmee für die Bevölkerung Österreichs“ fungierenden Organ Österreichische Zeitung unter dem Titel „Musik und Musiker in Amerika“. „Hanns Eisler, der vor wenigen Monaten wegen seiner fortschrittlichen Gesinnung von der Truman-Regierung aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen wurde und sich nun wieder in seiner Heimatstadt Wien niedergelassen hat, stand als Universitätsprofessor und einer der bedeutendsten modernen Komponisten zehn Jahre lang mitten im amerikanischen Musikbetrieb und ist wie kein anderer berufen, die musikalische Szenerie des ‚Landes der unbegrenzten Möglichkeiten‘ zu beleuchten. Um die amerikanische Kunstmusik, ihre verschiedenen Richtungen und Ziele zu verstehen, begann Hanns Eisler, muß man sich zunächst über die monopolkapitalistische Vergnügungsindustrie Klarheit verschaffen, die dem ganzen Musikleben ihren Stempel aufdrückt. Schon 1947, in seinem bei der Oxford University Press, New York, erschienenen Buch ‚Composing for the films‘ (‚Ueber die Komposition von Filmmusik‘), das jetzt gerade in mehrere Sprachen übersetzt wird, wies Eisler nach, daß die amerikanische Vergnügungsindustrie kein neues Phänomen ist. Neu ist nur ihr Monopolcharakter, der sich während der letzten dreißig Jahre breit entfaltet hat. Diese Vergnügungsindustrie drängt die von ihr noch nicht erfaßten Künstler immer mehr an die Wand und beherrscht die mechanischen Reproduktionsmittel, wie Film, Radio, Grammophonindustrie, und das neuerdings immer größere Bedeutung erlangende Fernsehverfahren, welches – weit mehr als der Rundfunk – eine sehr ernst zu nehmende Konkurrenz für Theater und Film zu werden droht. Durch ihre Buchklubs beherrscht die Vergnügungsindustrie ferner den Büchermarkt, durch die Unterhaltungsbeilagen der Presse wird sie zum einflußreichen Partner der Zeitungsmonopole. Auf diese Weise hat sie den Publikumsgeschmack standardisiert, Absetzmärkte organisiert, Riesenprofite erzielt. Ihre Macht, die sie als eines der Tätigkeitsfelder des Finanzkapitals ausübt, ist ungeheuerlich. Selbst die großen Symphoniekonzerte, die in Amerika von der ‚Upper class‘ finanziert werden und vor allem als soziale Repräsentation gedacht sind, stehen unter ihrem Einfluß. Schon beginnen ernste Musiker Operetten zu komponieren, ihre Symphonien werden Filmmusiken immer ähnlicher. Es gibt aber eine ganze Reihe von Komponisten, die sich selbst behaupten und Ausgezeichnetes geleistet haben. Zu ihnen gehören – um nur einige zu nennen – Leonard Bernstein, Aaron Copland, David Diamond, Roy Harris, Roger Sessions, Walter Piston, Randall Thomson. Diese Musiker versuchen, einen neuen symphonischen Stil zu schaffen, indem sie die symphonische Technik mit dem Material amerikanischer Folklore verbinden. Interessant sind auch die Bestrebungen Earl Ro26
Österreichische Volksstimme (1948), Nr. 80, 4. April, S. 4. Vgl. Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling (Anm. 24), S. 43.
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binsons, Marc Blitzsteins, Herbert Haufrechts und anderer, die der Atmosphäre des Konzertsaales zu entweichen trachten, indem sie Musik für Theater und Film, für Arbeiterchöre und Liebhaberorchester schreiben. Diese Gruppe hat ganz bewußt soziale Tendenzen. Ein allgemeines Merkmal der amerikanischen Kunstmusik ist die Tatsache, daß sie entscheidend vom Jazz beeinfluß wird. Es ist bezeichnend, daß die unterdrückteste Rasse der Vereinigten Staaten, die Neger –, wenn auch in den Formen der Tanzmusik – seinerzeit das Originellste, den eigentlichen ‚amerikanischen Stil‘ geschaffen haben. Als bedeutend hat sich in jüngster Zeit der Einfluß der Sowjetmusik auf die amerikanischen Komponisten erwiesen. Es spricht für das gesunde Empfinden und für die demokratische Tradition des amerikanischen Volkes, daß trotz der von Regierung und reaktionärer Presse betriebenen Antisowjethetze die Sowjetmusik beliebt ist und nach wie vor gespielt wird. Trotz derselben Hetze hat auch der viel besprochene Erlaß über die Sowjetmusik bei mehreren amerikanischen Künstlern Verständnis gefunden. Denn die Komponisten der Vereinigten Staaten wissen, daß ihre Kollegen in der Sowjetunion, und nur dort, eine privilegierte Stellung einnehmen. Ihre Werke werden aufgeführt, sie haben keine materiellen Sorgen. Ihre Musik führt kein stiefmütterliches Dasein, sondern steht im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses und öffentlicher Diskussion. In den kapitalistischen Staaten und besonders in Amerika diskutiert man nicht mit den Komponisten. Man wirft sie auf die Straße, wenn sie nicht in die Profitwirtschaft hineinpassen! Dort ist die Kunst zur Ware geworden. Und wenn man schon diskutiert, dann nicht darüber, ob diese oder jene Musik gut und nützlich ist, sondern eher, ob man sie leichter oder schwerer oder am Ende überhaupt nicht verkaufen kann. Daß das Volk und die Regierung der Sowjetunion die Musik zu einer Sache von Diskussionen und Beschlüssen macht, bemerkte Hanns Eisler abschließend, zeigt hingegen gerade die große kulturelle Verantwortung und Verpflichtung, die man im sozialistischen Staat der Kunst gegenüber empfindet.“27
Daß man die „Causa Eisler“ auch ganz anders darstellen und beurteilen konnte, wenn man dies unbedingt wollte, beweist ein Artikel in der Weltpresse, welche Tageszeitung damals von der britischen Besatzungsmacht herausgegeben wurde. Hier erscheinen die Begebenheiten in unzulässig-boshafter (und zum Teil unrichtiger) Weise in einen „Familien-Zusammenhang“ gestellt: „Der Fall der Familie Eisler Wie schwierig der Fall bisweilen gelagert ist, zeigt die Affäre der Wiener Familie Eisler, von der sich vier politisch tätige Mitglieder eines Tages zusammenfanden. Zwei davon, Gerhardt und sein Bruder Hans Eisler, stehen auf der extremen Linken. (Der Komponist Hans Eisler ist inzwischen in Österreich eingetroffen.) Die Kronzeugin gegen die beiden Brüder war ihre Schwester Ruth Fischer geb. Eisler, eine frühere leitende Kommunistin in Europa und heute eine ebenso wü27
H. W. H. [Heinz Wolfgang Hollitscher], Musik und Musiker in Amerika. Aus einem Gespräch mit dem Komponisten Hanns Eisler, in: Österreichische Zeitung Nr. 101 (854), 30. April 1948, S. 5.
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tende Gegnerin Moskaus. Deshalb ist aber sicherlich letztere heute noch nicht auf die amerikanische Weltanschauung eingestellt, sondern vermutlich eine radikale Sozialistin geblieben. Der vierte Eisler ist der Sozialdemokrat Armand Eisler, ein Onkel der genannten drei Eisler, der vermutlich gegen alle drei eingestellt sein dürfte und dessen politische Meinung wiederum eine andere Färbung hat, wenngleich auch sie nicht der herrschenden Grundidee der Vereinigten Staaten entsprechen dürfte. Trotzdem sind im heutigen Augenblick den USA die beiden letzten Eislers als nützlich willkommen, die beiden ersten nicht. Es fragt sich allerdings, wie lange die Meinungen der zeitweiligen Partner übereinstimmen werden. Dieses kleine Beispiel erhellt das Dilemma der heute in Amerika als in ihrem Exilort Wirkenden. Im Gegensatz zu den Immigranten haben diese Personen ihre politischen Bindungen nicht aufgegeben. Sie sind Gäste geblieben. Für sie sind die Vereinigten Staaten keine Endstation, sondern ein Umsteigebahnhof, in dem sie, viele vermutlich vergeblich, auf den Zug ihrer Sehnsucht warten.“28
II. Bevor wir den Blick auf die ersten Begegnungen Hanns Eislers mit Marcel Rubin richten, sollen einige die beiden Komponisten betreffenden Begebenheiten aus den frühen Nachkriegsjahren Erwähnung finden. Unmittelbar nach Kriegsende war es den Wiener antifaschistischen Kräften ein tiefes Bedürfnis, möglichst schnell wieder Werke der verpönten („entarteten“) Komponisten erklingen zu lassen. Neben Gustav Mahler oder Arnold Schönberg galt dieses Interesse auch Hanns Eisler, umso mehr, da sich Freunde wie Erwin Ratz oder Friedrich Wildgans für ihn einsetzten.29 Gustav Mahler war bereits am 3. Juni 1945 zu hören,30 und am 24. Juni 1945 erklangen im Rahmen einer im Wiener Stadttheater abgehaltenen „Akademie der Kommunistischen Partei Österreichs, Bezirksstelle für den 8. Bezirk“ neben Werken von Mahler, Schumann, Schubert (seine 5. Symphonie spielte das „LehrerSymphonieorchester“ unter der Leitung des Schönberg-Schülers Josef Polnauer), Johann Strauß, Millöcker sowie (von dem Komponisten selbst geleitet) Edmund Eysler auch Hanns Eislers Kantate Man lebt von einem Tag auf den andern [sic] sowie die Kantate auf den Tod eines Genossen; Ausführende waren laut dem gedruckten Programm (dessen z. T. falsche Schreibweisen hier beibehalten sind) Dora Wirth (Gesang), Rudolf Jettl (Klarinette), Willy Krause (Klarinette), August Pioro (Bratsche) und Emanuel Brabek (Violoncello). Am 28. Juni 1945 waren diese beiden Kantaten auch im Brahmssaal des Musikvereins in einem Konzert der IGNM, Sektion Österreich, zu hören (diesmal lautete es „Man lebt vom einen Tage zu dem andern“). Schließlich erklang das von der Universal-Edition verlegte Lied Für Österreichs Freiheit (Eislers „Komintern“-Lied mit neuem, auf Österreich gemünztem Text sowie 28 29 30
Weltpresse, 7. Mai 1948. Hiezu siehe auch den Artikel von Manfred Mugrauer in vorliegendem Band, S. 165f. Robert Fanta leitete im Großen Konzerthaussaal eine Aufführung der 1. Symphonie durch die Wiener Philharmoniker.
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einem Klaviersatz von Friedrich Wildgans) ebenso wie sein Solidaritätslied in zahlreichen kommunistischen oder sozialistischen Veranstaltungen.31 Am 16. Februar 1947 gab Charlotte Eisler, Hanns Eislers erste Frau, die „vor kurzer Zeit nach achtjähriger Emigration aus England zurück[kehrte]“32, um 16 Uhr im Brahmssaal des Musikvereins einen Liederabend mit Werken von Beethoven, Schubert, Brahms, Mahler, Wolf, Debussy, Fauré, Warlock und Mussorgskij, und sie war auch die Solistin in dem „5. Kammerkonzert Neue Musik“, das die Wiener Konzerthausgesellschaft gemeinsam mit der IGNM, Sektion Österreich, am 17. März 1947, um 19.30 Uhr im Schubertsaal des Konzerthauses veranstaltete. Sie sang, begleitet von Herbert Häfner,33 Vier Lieder für eine Singstimme und Klavier nach Texten von Matthias Claudius, Klabund und Bethge, daneben erklangen Werke von Paul Amadeus Pisk, Hans Erich Apostel, Arnold Schönberg und Robert Leukauf, dem einzigen „nicht entarteten“ Komponisten (Pisk hatte allerdings schon 1936 vor den Austrofaschisten die Flucht ergriffen). Auch die RAVAG (der Österreichische Rundfunk) wurde für Eisler aktiv: Sie sendete am 25. August 1947 um 22.25 Uhr in der von Friedrich Wildgans gestalteten „Modernen Stunde“ (Programm Wien II) Eislers Vier Klavierstücke, op. 3, sowie das Duo für Violine und Violoncello Nr. 1, op. 7. Und in diesen Tagen trat erstmals auch Marcel Rubin sowohl als Journalist wie auch als Komponist an die Öffentlichkeit: Am 1. März 1947 besprach er ein neues Buch über Anton Bruckner,34 am 11. März strahlte der Sender Wien I um 22.20 Uhr in der von Friedrich Wildgans gestalteten „Modernen Stunde“ Werke von ihm aus, und am 15. März wurde er zum Gegenstand eines Artikels: Friedrich Wildgans stellte ihn in einem ausführlichen Porträt der Öffentlichkeit vor: „Vor wenigen Wochen ist der Komponist Marcel Rubin nach neunjähriger Abwesenheit in seine Heimatstadt Wien zurückgekehrt. [...] sein Bestreben ist ist es vornehmlich, seine Musik so zu halten, daß sie auch breiterem Publikum verständlich wird – mit einem Wort, über alle neuzeitlichen Errungenschaften der Harmonik, Melodik und Instrumentation wieder zu einer neuen Einfachheit zu gelangen. An Hand des 1. Satzes aus Rubins 2. Klaviersonate, den Grete Hinterhofer am 17. März 1947 im Barocksaal des Verlagshauses Doblinger (neben Werken von Egon Kornauth, Hans Erich Apostel, Josef Lechthaler, Gottfried Einem und Ernst Dohnanyi) zur Aufführung brachte, konnte sich das Wiener Publikum von dieser stilistischen Ausrichtung ebenso überzeugen wie am 22. April 1947 im 31
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Zu diesen Veranstaltungen siehe auch den Artikel von Manfred Mugrauer, S. 157–185. Bezüglich des Liedes „Für Österreichs Freiheit“ vgl. Stefan Jena, Zwischen Resignation, Sehnsucht und Sarkasmus. Die Utopie der Freiheit in verbotener Musik, in: Geächtet – verboten – vertrieben. Österreichische Musiker 1934 – 1938 – 1945, hrsg. von Hartmut Krones (= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 1), Wien–Köln– Weimar 2012 (in Vorbereitung). Österreichische Volksstimme 3 (1947), Nr. 36, 12. Februar, S. 5. Zu Häfner siehe auch den Artikel von Hannes Heher in vorliegendem Band, S. 305f. Marcel Rubin, Ein einsamer Symphoniker. Anläßlich eines neuen Bruckner-Buches [Anton Bruckner, Rustic Genius. By Werner Wolff, New York, E. P. Dutton & Co., Inc.], in: Österreichisches Tagebuch 2 (1947), Nr. 7, 1. März, S. 11f.
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Brahmssaal des Musikvereins an Hand seiner Sonatine für Oboe und Klavier (in einer von Friedrich Wildgans erstellten Fassung für Klarinette und Klavier), die Wildgans vortrug (hier erklangen u. a. auch Werke von Egon Wellesz, Alban Berg, Josef Matthias Hauer und S.[ophie] C.[armen] Eckhardt=Gramatté), oder am 30. April 1947 im Brahms-Saal des Musikvereinsgebäudes, wo Louise Brabbée, begleitet von Karl Pilß, ‚Europa 1939, zwei Gedichte von Eva Priester‘ (‚Tschechisches Frühlingslied‘ und ‚Wiegenlied beim Fliegerangriff‘) sang. Am 24. März war in einem vom ‚Griechischen antifaschistischen Komitee Wiens‘ im Großen Konzerthaussaal veranstalteten ‚Griechischen Festkonzert‘ noch der Satz ‚Der Traum von der Freiheit‘ aus seinem Tanzspiel ‚Die Stadt wartet‘ (Worte: Elias Canetti nach Maxim Gorki) erklungen, gespielt vom Großen Wiener Rundfunkorchester unter Max Schönherr. Zuvor hatte der Komponist ab 22. März 1947 die Seite gewechselt: Ab diesem Tag erschien im ‚Österreichischen Tagebuch‘ (relativ) regelmäßig ein von Marcel Rubin zunächst (bis 17. Mai) unter dem Pseudonym Martin Strauß und schließlich (ab 24. Mai) unter eigenem Namen verfaßter Essay, der meist Rezensionen von Konzerten der letzten Woche, aber auch spezielle Betrachtungen zu anderen Komponisten35 oder zu stilistischen Entwicklungen zum Inhalt hatte. Ein großer Artikel über Johann Strauß, den ‚Meister der Lebensfreude‘, ist anläßlich von dessen Todestag am 3. Juni 1899 in der ‚Österreichischen Volksstimme‘36 zu lesen, bittere Klagen über das ‚Wieder-Auftreten‘ der ‚Nazi-Dirigenten‘ Karl Böhm, Herbert von Karajan oder Wilhelm Furtwängler im ‚Österreichischen Tagebuch‘37. In der ‚Volksstimme‘ trat Rubin dann erstmals am 4. Oktober 1947 als Kritiker hervor, und zwar mit einer Rezension der Neuinszenierung des ‚Freischütz‘ in der Volksoper.38 Und auch hier werden nicht nur Karl Böhm und Herbert von Karajan, sondern auch Solisten wie der Pianist Friedrich Wührer oder der Organist Franz Schütz (der vom 16. März 1938 bis 1945 als nationalsozialistischer ‚kommissarischer Leiter‘ der Gesellschaft der Musikfreunde sowie vom 1. September 1938 bis 1945 in gleicher Funktion der Akademie für Musik und darstellende Kunst vorstand) sowohl aus politischen, aber auch aus musikalisch-sachlichen Gründen zum Ziel der Kritik.“39
35
Am 26. April 1947 zu Friedrich Wildgans, am 28. Juni zu Paul Hindemith, am 26. Juli über Béla Bartók. 36 Österreichische Volksstimme 3 (1947), Nr. 126, 1. Juni, S. 5. 37 Zunächst am 21. Juni (S. 11f.), dann insbesondere am 2. Jänner 1948 (S. 11): „Das abgelaufene Jahr ist musikalisch gekennzeichnet durch das massive Wiederauftreten einer Gruppe von Dirigenten, die durch ihre führende Stellung in der künstlerischen Hierarchie des Naziregimes kompromittiert sind und im Zusammenhang damit durch die fast vollständige Verdrängung des neuen österreichischen Musikschaffens aus den Programmen der Gesellschaft der Musikfreunde und der Philharmoniker. [...] Als einziger unter den wieder zugelassenen Dirigenten hat Furtwängler den Nazismus von gestern und seine traurigen letzten Trabanten von heute vor der Wiener Presse abgelehnt. In beharrliches Schweigen aber hüllen sich nach wie vor die Herren Böhm, Karajan, Krauß und Knappertsbusch.“ Vgl. Österreichisches Tagebuch 2 (1947), Nr. 42, 21. November, S. 7f.: Friedrich Wildgans, Furtwängler und die anderen. 38 Österreichische Volksstimme 3 (1947), Nr. 231, 4. Oktober, S. 3. 39 Etwa am 30. Oktober 1947 (S. 3), am 11. November 1947 (S. 5) oder am 19. November 1947 (S. 3), hier unter dem Titel: „Ostmärkisches oder österreichisches Musikleben?“.
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Rubin trat aber auch durch Vorträge hervor, u. a. sprach er am 4. März (18 Uhr) in der Russisch-Österreichischen Gesellschaft (Palais Coburg, I., Seilerstätte 3) bei einem „Vortrags- und Diskussionsabend unter Vorsitz von Professor Josef Marx“ über „Musik und Gesellschaft“.40 Und als Komponist war er – außer in kommunistischen Veranstaltungen, denen wir uns wegen der gleichzeitigen Wiener Präsenz von Hanns Eisler weiter unten zuwenden werden – am 11. April 1948 in einem „Modernen Orchesterkonzert“ der RAVAG durch sein Tanzspiel „Die Stadt wartet“41, am 12. April 1948 in einem Konzert der österreichisch-russischen Gesellschaft „zur Befreiungsfeier“42 durch zwei Sätze aus seiner 4. Symphonie sowie am 16. Juni 1948 im Mozartsaal (im Rahmen des „2. internationalen Musikfestes“ der Konzerthausgesellschaft) in einem Konzert des Wiener Kammerorchesters unter der Leitung von Franz Litschauer mit Ilona Steingruber als Solistin durch seinen Liederzyklus „Gegenwart“ (sechs Lieder nach Goethe und Nietzsche) präsent. III. Am 1. April traf nun Hanns Eisler, aus Prag über Tulln kommend, in Wien ein, und wenige Tage später kam es zu einem ersten Zusammentreffen mit Marcel Rubin. Rubin beschrieb es 1982 im Rahmen eines anläßlich des 20. Todestages von Eisler erscheinenden und mehrere Stellungnahmen prominenter Komponisten einbeziehenden Artikels Gegen die Dummheit in der Musik folgendermaßen: „Mein erster Kontakt mit Hanns Eisler entstand – noch sehr aus der Ferne – 1947, als er vor den ‚Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit‘ zitiert und zusammen mit seiner Frau verhaftet wurde. Ich war damals Mitglied des internationalen Komitees von Künstlern, das sich für die Befreiung Eislers und die Ermöglichung seiner Rückkehr nach Europa einsetzte. Die Aktion hatte Erfolg, Eisler kam frei und kehrte vorerst nach Wien zurück, das seit seinem dritten Lebensjahr die eigentliche Vaterstadt des gebürtigen Leipzigers war. Ich besuchte ihn bald nach seiner Rückkehr im Hotel Carlton und lernte in ihm einen der gescheitesten Menschen kennen, denen ich je begegnet war. Er definierte haarscharf, formulierte druckreif, und ich hatte mit der Fassung seiner Aussagen mein helles Vergnügen selbst dort, wo ich diese Aussagen nicht teilte. Blitzgescheit, doch in einem höheren Sinne, ist auch seine Musik. Ich spreche in diesem Augenblick nicht von seinen Arbeiterliedern, die ihn populär machten, ohne daß er, auch hier, je Konzessionen an die Banalität gemacht hätte. Aber ich denke an die Art, wie er etwa die alte Variationenform erneuerte, in dem Quintett für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier. Auf konventionelle Weise hätte man das Stück ‚Thema mit Variationen‘ nennen können. Eisler betitelte es mit ‚Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben‘. Das geschah nicht etwa in dem Streben, ‚anders‘ zu sein. Jeder echte Künstler ist ohnehin anders und hat 40 41
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 51, 29. Februar, S. 5. Friedrich Wildgans, Modernes Orchesterkonzert der Ravag, in: Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 95, 22. April, S. 4. 42 Friedrich Wildgans, Das Festkonzert zur Befreiungsfeier, in: Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 88, 14. April, S. 3.
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damit genügend Schwierigkeiten der Kommunikation. Es war bei ihm das Streben, konkret zu sein, das ihn Zeit seines Lebens charakterisierte. Der Inhalt seiner meisten Werke freilich war ein gesellschaftlicher, der Arbeiterbewegung weit über das Massenlied hinaus verbundener. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, wie Eisler, der Schönberg-Schüler, die vom Meister übernommene Technik, sie subtil modifizierend, auf einen Themenkreis anwandte, der Schönberg selbst völlig fremd gewesen war. Es war dies eine der vielen – nicht gerade vierzehn – Arten, eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft zu schlagen. Andere mögen die Zukunft anders sehen. Daher die verschiedenen Arten des Brückenschlages. Aber auch Andersdenkende werden das eminente Können Hanns Eislers achten und sein überzeugtes Wollen, das er selbst in die Worte kleidete: die wahre Kunst an die Stelle der Ware Kunst zu setzen.“43
Am 2. April 1948 wurde der 2. Wiener Landesparteitag der Kommunistischen Partei Österreichs im Großen Konzerthaussaal eröffnet, bei dem einige Lieder Marcel Rubins erklangen (sein Lied von der roten Fahne leitete die Veranstaltung ein). Und am 12. April 1948 fand im Großen Musikvereinssaal das von der „Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion“ veranstaltete „Festkonzert zum Jahrestag der Befreiung Wiens“ statt, bei dem die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Jaroslav Krombholc vor der Pause (nach Festreden und Hymnen) die Sätze „Kinderwanderung 1939“ und „Der Befreiungskrieg“ aus Rubins 4. Symphonie spielten. Nach der Pause erklang Dmitrij Schostakowitschs 5. Symphonie, op. 47. Im Abend-Programm finden sich neben den Angaben zu den Stücken und Interpreten auch die komplette Liste der (sehr zahlreichen) Vorstandsmitglieder der Vereinigung (Präsident war der Wiener Bürger-meister Theodor Körner), von denen hier nur (wörtlich zitiert) BurgtheaterDir. Raoul Aslan, Univ.-Prof. Ficker (Präsident der Akademie der Wissenschaften), Nationalrat Ernst Fischer, Generalsekretärin Ruth Fischer, Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleissner, Burgschauspieler Paul Hörbiger, Leopold Kunschak (I. Präsident des Nationalrates), Bundesminister Karl Maisel, Hofrat Univ. Prof. Dr. Joseph Marx, Buchdrucker Karl Rabeneder, Straßenbahner Theodor Rischka, Staatsoperndirektor Prof. Franz Salmhofer und Univ. Prof. Dr. Hans Thirring genannt sein sollen. Vorsitzender der Musiksektion war Hofrat Univ. Prof. Dr. Joseph Marx. – Ob Eisler bei der einen oder der anderen dieser Veranstaltungen anwesend war, ist nicht bekannt, jedenfalls hätte es dort ebenso zu einem Zusammentreffen der beiden Komponisten kommen können wie am 12. Juni 1948 bei dem „Fest43
Marcel Rubin, [Hanns Eisler], in: Volksstimme 38 (1982), Nr. 206, 5. September 1982, Wochenendpanorama, o. p. [S. 10]. Weitere Stellungnahmen steuerten Friedrich Cerha, Wilhelm Zobl und Heinz Karl Gruber bei. Den redaktionellen Artikel hatte Hans Grois mit folgendem Vorspann geschrieben: „Am 6. September jährt sich zum 20. Male der Todestag des Komponisten Hanns Eisler. Wie kaum ein zweiter kämpfte er für eine neue revolutionäre Musik, die bewußt als Mittel im Kampf des Proletariats eingesetzt wurde. Eisler, ein logischer und präziser Denker von faszinierender Schärfe begnügte sich nicht damit, nur am Schreibtisch zu sitzen und zu komponieren – er nahm am gesellschaftlichen Leben und an den Kämpfen der Arbeiterklasse aktiv teil.“
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konzert zum 2. Bundeskongreß der Freien Österreichischen Jugend [...] in der Scala“, das mit Marcel Rubins Lied Wir lieben das Leben (Text: Erich Fried) schloß, das der Komponist „dem Bundeskongreß der FÖJ“ widmete. Auch im Rahmen des 1.Mai-Aufmarsches, an dem Eisler zusammen mit seinem Sohn Georg teilnahm,44 wäre ein Treffen möglich gewesen. Bald wurde Eisler aber auch (zumindest partiell) in das Wiener Musikleben integriert. „Am Montag, den 3. Mai, 18 Uhr 30“ fand in der RAVAG „ein Konzert mit Werken Hanns Eislers unter Leitung des Komponisten statt. Zur Aufführung gelangen zwei Septette für Flöte, Klarinette, Fagott und Streichquartett, von denen das eine amerikanische Kindergartenlieder und das andere die von Eisler zu Charly Chaplins Film ,Der Zirkus‘ komponierte Musik benützt.“45
Außerdem sang Charlotte Eisler, begleitet von Herbert Häfner, fünf Lieder aus dem Hollywooder Liederbuch. (Das Konzert wurde – unter dem Titel „Neue Kompositionen von Hanns Eisler“46 – am 7. Mai als „Hauskonzert“ der Universal-Edition in deren Räumlichkeiten im Musikvereinsgebäude wiederholt.) Und am 5. Mai (18 Uhr) hielt Eisler im Institut für Wissenschaft und Kunst einen Vortrag „Einiges über gesellschaftliche Grundlagen der modernen Musik“47. Über das Konzert berichtete Marcel Rubin mit überschwenglichen Worten: „Zum erstenmal nach Hanns Eislers Rückkehr aus Amerika führte die Ravag zwei seiner hier noch unbekannten Kompositionen auf. Es sind Septette für Flöte, Klarinette, Fagott und Streichquartett, von denen das eine, 1940 komponiert und ‚Der Kindergarten‘ genannt, amerikanische Kinderlieder benützt und das andere, 1947 entstanden, die Musik zu Charlie Chaplins Film ‚Der Zirkus‘ verwendet, die Eisler vor mehr als zwanzig Jahren schrieb. An beiden Werken fällt schon beim ersten Hören die Plastik und Durchsichtigkeit der Vielstimmigkeit auf. Jedes der sieben Instrumente hat etwas zu sagen, spricht seine eigene individuelle Sprache, tauscht unermüdlich seine Gedanken mit den anderen aus und ist doch nur ein Teil eines geordneten Ganzen. So entsteht eine angeregte Musik der guten Laune, die in der thematischen Arbeit, der Sauberkeit der Stimmführung und der Knappheit der Form ihre Herkunft aus der Schönberg-Schule nicht verleugnet, ohne allerdings deren Meister auf den Weg der Zwölftontech44 45 46
Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling (Anm. 24), S. 47. Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 102, 30. April, S. 3. Hiezu siehe den Artikel von Hannes Heher in vorliegendem Band, in dem sich S. 304 auch eine Abbildung der Einladung befindet, der die Namen der mitwirkenden Musiker zu entnehmen sind. Laut verschiedenen Quellen gelangten durch Charlotte Eisler und Herbert Häfner auch noch Eislers Zwei Elegien zu Gehör. 47 Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 102, 30. April, S. 3. Diesen Vortrag hielt Eisler dann auch (zwischen 20. und 23. Mai 1948) im Rahmen des in Prag stattfindenden „II. Internationalen Komponistenund Musik-Kritiker-Kongresses“. Er ist (unter dem Titel „Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik“) abgedruckt in: Hanns Eisler • Musik und Politik. Schriften • 1948–1962. Textkritische Ausgabe von Günter Mayer, Leipzig 1982, S. 13–22. Teilabdruck des Vortrages unter dem Titel „Vom Kult zur Kultur. Gesellschaftliche Grundlagen der modernen Musik“ in: Österreichisches Tagebuch 3 (1948), Nr. 13, Mai, S. 2–4.
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nik zu folgen. Ein Kammerensemble aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker unter Leitung des Komponisten war mit Erfolg um die Wiedergabe der Werke bemüht, die von den Ausführenden äußerste Genauigkeit und Leichtigkeit des Vortrages verlangen.“48
Ähnlich enthusiastisch lobte (in der Österreichischen Zeitung) „H. W. H.“ (= Heinz Wolfgang Hollitscher) Eislers Werke: „‚Der moderne Komponist darf nicht vergessen, daß Musik von Menschen für Menschen gemacht wird!‘ Mit diesen Worten hatte Hanns Eisler vor wenigen Tagen einen Vortrag abgeschlossen. Sein Konzert in der Universal-Edition bewies, daß bei ihm Theorie und Praxis Hand in Hand gehen. Eisler, der aus der strengen Schönberg-Schule kommt, hat seine beiden Septette in der nächsten Nähe seines ehemaligen Lehrers, in Amerika geschrieben. Wenn sie in ihrer Kompositionsweise auch die Herkunft von dem sogenannten ‚Schönberg-Stil‘ nicht verleugnen, so sind sie ihm andererseits doch wieder diametral entgegengesetzt. Konstruktion ist nicht mehr Selbstzweck, das Abstrakte verschwindet und weicht einer musikalischen Sprache, die wieder lebendiges Verständigungsmittel geworden ist. Das Septett Nr. 1 für Flöte, Klarinette Fagott und Streichquartett wurde unter Benutzung von amerikanischen Kinderliedern geschrieben und erhält schon dadurch ein ‚konkretes‘ Gerüst, dessen thematische Entwicklung durch alle Stücke der Suite hindurch und in jedem einzelnen Satz klar zu verfolgen ist. Holzblas- und Streichinstrumente treten in verschiedenen Funktionen auf: als kontrastierende Gruppen, als miteinander vergnügt musizierendes ‚Quodlibet‘ und, immer wieder, mit einem ausgeprägten solistischen Eigenleben, das alle dem betreffenden Instrument innewohnenden Klangwirkungen – und ganz besonders die skurrilen – zum Ausdruck bringt. Eine unerhörte Vitalität, eine unbändige Lust an Späßen steckt in dieser Musik, die dazu formal, melodisch und rhythmisch ungemein abwechslungsreich ist. Da gibt es ebensowenig Angst vor harten Zusammenklängen wie vor breit ausgesungenen ganz ‚tonalen‘ Melodien. ‚Im Kindergarten‘ ist der Beiname des Werkes, das wirklich eine geradezu kindliche Freude verbreitet. Das Septett Nr. 2, in der gleichen Besetzung, stellt ein Exzerpt aus der Musik zur Tonfilmversion von Chaplins ‚Zirkus‘ dar und wurde von Eisler 1947 geschrieben. Aber es ist keine ‚Filmmusik‘ im Sinne einer deskriptiven Nachzeichnung filmischer Vorgänge. Es ist Ausdrucksmusik, die die Stimmung einer Szene, mehr noch, die den Charakter Chaplins und seiner Personifikation wiedergibt. Drei Momente formen dieses Bild: das Skurrile, Lustige – das jedoch nie jene, die Gefühle parodierende, nihilistische Note aufweist, die in manchen Kreisen als besonders ‚modern‘ und ‚fortschrittlich‘ gilt –, das Tänzerische und das Ruhig-Melodische, das Menschliche. Kompositionstechnisch ist das Werk in seiner kunstvoll-durchsichtigen Polyphonie ähnlich gearbeitet wie das erste, wobei die komischen Instrumentaleffekte – dem Thema gemäß – noch deutlicher zum Vorschein treten. 48
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 108, 9. Mai, S. 4.
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In den fünf Liedern aus Eislers ‚Hollywooder Liederbuch‘, nach Texten von Bert Brecht, fällt zunächst der Klaviersatz auf, der einleitend und abschließend, in Vor- und Nachspielen, ein abwechslungsreiches Eigenleben führt, um sich beim Eintreten der Singstimme etwas zurückzuziehen. Die gesangliche Linie ist – der politischen Lyrik Brechts entsprechend – mehr auf scharfe Deklamation als auf Kantabilität bedacht. Bei besonders exponierten Textstellen nähern sich Gesang und Klaviersatz in ihrer Diktion einander oder verschmelzen gerade durch den Dualismus von beton lyrischer Begleitung und einer der Brechtschen Alltagssprache angeglichenen Melodik zu einer höheren Einheit. Charlotte Eisler, begleitet von Herbert Häfner, war die stimmlich und vortragsmäßig gleich eindrucksvolle Interpretin der Lieder. In den Septetten zeigten – unter der Leitung des Komponisten – die Herren Wanausek (Flöte), Wildgans (Klarinette), Cermak (Fagott), Swoboda (erste Geige), Pürkner (zweite Geige), Angerer (Bratsche) und Baer (Cello) ihr großes Können. Das zahlreich erschienene Publikum gab durch besonders herzlichen Beifall seiner Ueberzeugung Ausdruck, einem er bedeutendsten modernen Komponisten wiederbegegnet zu sein.“49
Nicht von allen Werken in gleichem Maße überzeugt war hingegen Kurt Blaukopf, der in Der Abend folgende Kurzkritik schrieb: „Die schon im Radio aufgeführten beiden Septette von Hanns Eisler wurden in einem Hauskonzert der Universal-Edition ein zweites Mal zu Gehör gebracht. Das zweite Septett – nach einer Musik für Chaplins ‚Zirkus‘ – ist offenbar zu sehr mit der Idee des Films verknüpft, als daß es für sich allein genommen schon gänzlich zu wirken vermochte. Das Septett Nr. 1 hingegen zeigt Eislers Meisterschaft in der satzmäßig kammermusikalischen Auswertung volkstümlicher Melodien: dichte Arbeit, die durch Vollkommenheit einen überraschend improvisatorischen Eindruck erweckt. Im Rahmen des Konzertes brachte Lotte Eisler mit künstlerischem Geschmack ein paar ergreifende Lieder Hanns Eislers, nach Texten von Brecht, zu Gehör.“50
Auch Eislers Wiener Vortrag wurde Gegenstand einer lobenden Besprechung, und zwar in der Volksstimme, wobei Inhalt und Wortwahl der Rezension eindeutig Marcel Rubin als Autor erkennen lassen, der von Anbeginn an die „Abkehr“ avantgardistischer Komponisten (aber auch der Komponisten der Wiener Schule) vom „üblichen“ Geschmack und Hörvermögen des Publikums kritisiert und für den Verlust breiter Hörer-Schichten verantwortlich gemacht hatte. Denn letzten Endes ging es Rubin auch in seiner weiter unten im Detail dargestellten Replik gegen Eislers Schönberg-Vortrag auch nicht um Eisler, sondern ausschließlich um ein Unterstreichen dieser seiner „alten“, durchaus dem „sozialistischen Realismus“ entspre-
49
Österreichische Zeitung Nr. 110 (863), 13. Mai 1948, S. 5. In diesem Blatt folgte am 21. Mai 1948 (S. 5) ein größerer allgemeiner Artikel Hollitschers über Hanns Eisler. 50 Der Abend Nr. 62, 10. Mai 1948, S. 4.
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chenden Position. In diesem Sinne fiel auch die Wortwahl seiner Rezension „Gesellschaftliche Grundlagen der modernen Musik“ aus: „Hanns Eisler stellte in einem Vortrag im Institut für Kunst und Wissenschaft über die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Musik fest, daß eine monopolisierte kapitalistische Kulturindustrie auch den Künstler, der sich vor mehr als 150 Jahren aus der Gesindestube der Feudalzeit befreite, nun auf den offenen Markt gestoßen und der ‚freien‘ Konkurrenz ausgesetzt hat. So wurde die wahre Kunst zur Ware Kunst, die ihre natürliche Funktion nicht mehr erfüllen kann: die Einbeziehung des Individuums in eine Gemeinschaft, das Gefühl des Zusammengehörens. Die fortschreitende Lösung des Einzelnen vom Kollektiv ging Hand in Hand mit der Tendenz der Komponisten und ihrer Musik, sich nun mehr an den ‚kultivierten‘ Hörer zu wenden. Sie führte schließlich zur Krankheit des modernen Stils, der die Endphase der bürgerlichen Musik darstellt. Arnold Schönberg und Igor Strawinsky repräsentieren am deutlichsten jenen spätbürgerlichen musikalischen Stil. [...] Der wahrhaft fortschrittliche Komponist von heute wird versuchen müssen, die Musik vom Privaten wieder zum Allgemeinen zurückzuführen. Er darf, so schloß Hanns Eisler, nicht vergessen, daß Musik von Menschen für Menschen gemacht wird !“51
IV. Um Rubins ästhetische Position zu verdeutlichen, müssen hier einige seiner grundsätzlichen Aussagen eine ausführlichere Darstellung erfahren. Kurz nach der zitierten Eisler-Rezension schrieb er in der Rubrik „Musik“ anläßlich der Enthüllung einer Mahler-Büste im Foyer des (damals als Staatsoper dienenden) Theaters an der Wien: „Die Zwölftonmusik ist die letzte, verbissen ausgebaute Verteidigungsstellung der in die Isolierung getriebenen bürgerlichen Komponisten des 20. Jahrhunderts.“52
Und ganz in diesem Sinne und mit den zum Teil selben Worten ließ Rubin Sonntag, den 26. September 1948, in der Volksstimme einen weit ausholenden, durchaus kämpferischen Grundsatz-Artikel folgen, der hier zur Gänze wiedergegeben sein soll: „Warum verstehen wir die moderne Musik nicht? ‚Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?‘ Diesen sehr beherzigenswerten Satz Lichtenbergs, des großen Satirikers aus dem 18. Jahrhundert, haben die zeitgenössischen Snobs gründlich mißverstanden. Ihr Kreis ist zwar zahlenmäßig und geistig beschränkt, aber nicht einflußlos. Manche von ihnen nehmen sogar maßgebende Plätze in den Tempeln und Wechselstuben des bürgerlichen Musiklebens ein, dank dem Um51 52
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 111, 13. Mai, S. 3. Österreichisches Tagebuch 3 (1948), Nr. 14, Juni, S. 30. Ab Mai 1948 erschien das Tagebuch monatlich.
Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse
stand, daß die tüchtigeren Kräfte ihrer Gesellschaftskreise sich längst einträglicheren Geschäften zugewandt haben. Stoßen nun der Kopf eines Snobs und ein Buch oder, um von Musik zu sprechen, ein neues Musikstück zusammen, und es klingt hohl, so prüft er nicht erst, ob der unerfreuliche Klang etwa aus dem Musikstück kommt; er gibt vielmehr sofort und unter allen Umständen die Schuld seinem eigenen Kopf, zu dem er, durchaus mit Recht, kein Vertrauen hat. Nichts fesselt daher die Aufmerksamkeit der Snobs sosehr wie das Absurde. Zu den spärlichen Kenntnissen, die sie sich von der Musikgeschichte angeeignet haben, gehört überdies die vage Erinnerung daran, daß das Geniale oft anfänglich nicht verstanden wurde. Von hier bis zu der Annahme, daß das Unverständliche wahrscheinlich genial sei, ist bei ihnen nur ein Fehlschritt. Kommt noch zu der absurden Verkleidung, die dem dürren künstlerischen Gerippe in ihren Augen den Anschein des Unergründlichen verleiht, ein geheuchelter mystischmetaphysisch-exotischer Ideengehalt, der das Werk als ungefährlich für die bestehende ‚Ruhe und Ordnung‘ deklariert, dann wird der Komponist dem verständnislosen staunenden Publikum durch Presse und Radio kurzerhand als ‚Genie‘ vorgestellt. Sicher ist sicher. Man will auf keinen Fall riskieren, von einer zukünftigen Musikgeschichte zusammen mit denen genannt zu werden, die einst Beethovens Violinkonzert ablehnten. Dies zur Erklärung, wieso es heute – und zwar nur heute! – eine Reihe ‚weltberühmter‘ Komponisten gibt, die in der ganzen Welt kein Publikum finden. Wie kam es aber, daß ein bedeutender Sektor der modernen Komponisten – es gibt in ihm neben hochtrabenden, unfähigen auch hochbegabte, ernste Musiker – sich den Herzen der Menschen entfremdete und nun auf die leeren Köpfe der Snobs angewiesen ist? Der Verfall der bürgerlichen Musik, denn um diesen Sektor der Moderne handelt es sich, hängt eng zusammen mit dem Verfall des Bürgertums selbst. Als die Bourgeoisie im 20. Jahrhundert, voll in Anspruch genommen durch die gigantischen, von ihr verschuldeten Krisen und Kriege, der zeitgenössischen Musik, soweit sie nicht einschläfernd oder aufpulvernd die Wirklichkeit vergessen läßt, die letzte moralische und materielle Unterstützung entzog, da fanden sich die ernsten bürgerlichen Künstler heimatlos in ihrer eigenen Klasse und – mit wenigen Ausnahmen – abgeschnitten vom Volk, von dem sie sich im Gefolge ihrer Klasse längst entfernt hatten. Sie waren nun allein mit sich selbst. Die Vereinsamung, die sie erfuhren, erschien jedem von ihnen als die Tragik seines eigenen persönlichen Schicksals. In der Nacht, in der viele einen Weg suchten, sah und fühlte jeder nur sich selbst. Schließlich schrieb jeder nur noch von sich selbst. Die musikalische Sprache der einzelnen komplizierte sich hierbei von der Originalität bis zur Unverständlichkeit. Denn warum sollten schließlich diejenigen, die zu keiner Gemeinschaft mehr sprachen, sich um Verständlichkeit bemühen? So wurde Arnold Schönberg, der beste Kopf unter den modernen bürgerlichen Komponisten, zum hervorragendsten Vertreter des musikalischen Expressionismus, mit dem der Künstler sich ausdrückt, ohne sich mitzuteilen. Und die von ihm geschaffene Zwölftonmusik wurde zur letzten, verbissen ausgebauten Verteidigungsstellung der in die Isolierung getriebenen bürgerlichen Komponisten des 20. Jahrhunderts.
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In dieser Lage sind fortschrittliche Komponisten und Musikwissenschaftler vieler Länder – es waren neben der Sowjetunion und den Volksdemokratien Brasilien, England, Frankreich, Holland, Oesterreich und die Schweiz vertreten – in Prag zusammengekommen, um gemeinsam die Wege in die Zukunft der Musik zu besprechen. Sie haben die Komponisten aller Nationen, ohne sie an irgendwelche technischen Mittel zu binden, aufgefordert, sich von dem extremen Ichkult zu befreien, die Gefühle und Gedanken der Völker auszudrücken, sich enger an die nationalen Kulturen ihrer Länder anzuschließen und an der musikalischen Bildung der arbeitenden Massen zu arbeiten. Eine internationale Organisation fortschrittlicher Komponisten und Musikwissenschaftler ist in Bildung begriffen. Auch vor den österreichischen Komponisten steht die Aufgabe, die aufbauende Menschlichkeit unserer Zeit in der musikalischen Sprache unseres Volkes auszudrücken. Den Weg und die Ziele der fortschreitenden Menschheit taghell in der Musik zu erleuchten, das bedeutet, die humanistischen Traditionen der österreichischen Klassiker in der Gegenwart zu erneuern und heute große österreichische Musik zu machen. Der Ausgangspunkt unserer neuen Musik wird daher nicht eine neue, den meisten unzugängliche Tonsprache, sondern ein neuer, die meisten berührender Inhalt sein. Gewiß erzeugt der neue Inhalt notwendig eine neue Sprache, und oft wird selbst eine Kunst, die sich an alle wendet, von allen erst nach wiederholtem Hören verstanden werden. Doch muß auch die kühnste Sprache ein Mittel und nicht ein Hindernis der Verständigung sein. Deswegen wird, wer den Menschen Wichtiges zu sagen hat, an die ernsteste Aufgabe des verantwortlichen Künstlers herantreten, ohne seine Persönlichkeit aufzugeben, seine Sprache verständlich zu gestalten. In der Musik von dem aufopfernden Kampf und dem friedlichen Aufbau der fortschrittlichen Menschheit zu sprechen, aber auch von unserem Volk, seiner jahrhundertelangen Not, seinen heiteren Stunden, seinem Ringen nach Brot und Glück und seinem kommenden Sieg, das ist ein Thema unserer Zeit. Daneben werden auch wir Liebeslieder schreiben, und auch aus unserer Musik wird das Rauschen des Bächleins klingen. Denn nahe ist uns die Fröhlichkeit der einzelnen, weil die Freude aller unser Ziel ist. Wenn österreichische Komponisten sich solche Aufgaben stellen werden und das österreichische Volk zu ihrem Publikum wird, dann wird die musikalische Größe unseres Vaterlandes nicht mehr ein Nachklang seiner Vergangenheit, sondern eine Frucht seiner Gegenwart sein.“53
Diese Zeilen schrieb Rubin über sechs Jahre vor seiner Replik gegen Eislers Schönberg-Bild nieder. Und auch knapp sechs Jahre nach dieser Kontroverse blieb sein Standpunkt weitestgehend der gleiche, obwohl Schönbergs fallweise „Rückkehr zur Tonalität“ den Angriffspunkt verschob, und zwar sowohl auf den bis an sein Lebensende konsequentest dodekaphonisch schreibenden Anton Webern als auch insbesondere auf dessen (vor allem „serielle“ und „aleatorische“) Nachfolger, hier explizit Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen und John Cage. Schönberg 53
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 226, 26. September, S. 6.
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hingegen sah Rubin – insbesondere einige weitere Jahre später – nicht zuletzt auch durch dessen persönliches Schicksal gleichsam etwas geläutert: „Dieser Artikel könnte auch ‚Schönberg und die Folgen‘ heißen. [Alois Melichars ‚Schönberg und die Folgen‘ erschien 1960; HK]. Denn verantwortlich für die Verwirrung der musikalischen Sprache, die in einem Teil der Welt durch das Zwölftonsystem hervorgerufen wurde, ist in erster Linie sein Erfinder Arnold Schönberg. Aber Schönberg hat als alter Mann die Möglichkeit zugegeben, daß die Musik der Zukunft nicht konsequent atonal, nicht dodekaphonisch sein würde, sondern zur Tonalität zurückkehren könnte. Als Komponist hat er tonale Elemente in seine ‚Ode an Napoleon‘ und sein Klavierkonzert eingeführt (beide Werke entstanden im Jahre 1942) und hat damit – vom Standpunkt der orthodoxen Zwölftonlehre – einen Kompromiß durchgeführt, den er gelegentlich schon in früheren Jahren, zum Beispiel in der Suite für Streichorchester (1934), hatte ahnen lassen. Als Schriftsteller hat er in einem Artikel, den er kurz vor seinem Tode schrieb und dem er den französischen Titel ‚On revient toujours‘ (man kehrt immer zurück) gab, offen davon gesprochen, daß die von ihm geschaffene Tonsprache möglicherweise nicht die künftige Entwicklung der Musik bestimmen werde und daß eine Rückkehr zur Tonalität, wenn auch unter Berücksichtigung von Erfahrungen der Zwölftonmusik, sehr wohl denkbar sei. [...] Eine ganz andere Stellung in der Entwicklung der Zwölftonmusik nimmt Schönbergs zweiter bedeutender Schüler Anton Webern ein. Er hat, seinem Lehrer unmittelbar folgend, mit seinen Liedern für Gesang, Geige (auch Viola), Klarinette und Baßklarinette op. 17 im Jahre 1924 sein erstes Zwölftonwerk geschrieben und ist den eingeschlagenen Weg, ohne je rückwärts zu blicken, bis zum bitteren Ende gegangen. Bis zu jenem Punkt, an dem die Musik aufhört, Ausdruck von Empfindungen zu sein, und von dem an sie nur noch ein Produkt von Berechnungen ist; also bis zu dem Punkt, an dem die Musik aufhört, Musik zu sein. Hier ist, wie wir sehen werden, der Ausgangspunkt mehrer musikalischer, genauer gesagt: unmusikalischer Richtungen, die in eine trostlose Wüste der Tonkunst führen und deren Vertreter sich alle auf Webern berufen. [...] Zum Ausgleich dieses ungleichen Verhältnisses müßten die Tondauern sich wie 16:15 verhalten. Doch hier versagte die Notenschrift. Da griff der westdeutsche Komponist Karlheinz Stockhausen zur Logarithmentafel. [...] dann ergeben sich für die weiteren Töne der chromatischen Skala in aufsteigender Reihe bis zur Oktave folgende Tempobezeichnungen: 63.6, 67.4 [...]. Eine solche Reihe von Tondauern kann allerdings nicht mehr von Menschen auf Instrumenten dargestellt werden. Sie läßt sich nur elektromechanisch [...] erzeugen. So kamen die seriellen Komponisten zur ‚elektronischen‘ Musik, dem – wie wir sehen werden – vorletzten Schrei einer verröchelnden, unmenschlichen Unmusik. [...] Damit sind wir am Ende einer Entwicklung angelangt, die mit der Organisierung des Chaos durch Berechnungen begann und mit der Herbeiführung des Chaos durch Würfelspiele und Münzenwerfen abschließt. Die letzte Etappe wird in der Tat von den ‚Theoretikern‘ der neuesten Musik die ‚aleatorische‘ genannt, mit Bezug auf das lateinische Wort ‚alea‘, das Würfel bedeutet. Am Anfang dieser Entwicklung standen immerhin noch Musiker, an ihrem Ende treiben Schwindler und Narren ihr Spiel. [...] Ein und derselbe Weg führt von der dodekaphoni-
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schen zur seriellen und von dieser zur aleatorischen Musik. Wenn man die Höhe der Töne organisieren soll, warum dann nicht auch ihre Dauer und Stärke ? Und wenn das Ergebnis ein unorganisiertes Chaos ist, warum dann nicht gleich das unorganisierte Chaos wählen ?54 Als ein erschütterndes Zeitdokument zu werten ist Schönbergs 1947 entstandene Komposition ‚Ein Überlebender in Warschau‘, in der ein Sprecher von seinem Erlebnis im Getto berichtet, bis die Musik, die das Geschehen illustriert (wenn auch in eigengesetzlicher, organisierter Sprache), vom Orchester auf menschliche Stimmen übergreift, die das formal gleichfalls aphoristische, beinahe skizzenhafte Stück im Aufschrei eines hebräischen Gebetes ausklingen lassen. Das Bekenntnis eines Musikers, der geglaubt hatte, sich vom Zeitgeschehen isolieren zu können, bis das Zeitgeschehen ihn über einen Ozean hinweg ergriff und zur Stellungnahme zwang.“55
Zwölf Jahre später nahm Rubin in einer Stellungnahme „Marcel Rubin als Kritiker seiner Kritiken“ viele seiner Vorwürfe zurück bzw. entschärfte sie, wozu seine Abkehr vom Kommunismus und somit wahrscheinlich auch von dessen „realistischer“ Kunstästhetik wesentlich beigetragen haben. Am Beispiel Anton Webern, dessen Fünf Stücke für Orchester, op. 10, er bereits 1969 mit hohem Lob bedacht hatte,56 sei dieser Wandel kurz dargestellt: ‚A propos Webern: Ich glaube auch heute nicht, daß das Zwölftonsystem eine praktische Methode des Komponierens ist. Doch habe ich mich daran gewöhnt, Musik nicht nach der ihr jeweils zugrunde liegenden Kompositionsmethode zu beurteilen, sondern nach dem klingenden Ergebnis. Und ich stehe nicht an, jedes positive Ergebnis auch auf diesem Gebiet anzuerkennen.‘57
V. Zwei Wochen nach Eislers Rückkehr nach Wien hatte die Österreichische Volksstimme erstmals58 kurz von den Plänen berichtet, die „Scala“ wieder als Theater zu eröffnen, und am 16. April lesen wir unter der Überschrift „Die Scala – Theater des Volkes. Pläne und Ziele der Gründer der neuen Bühne“ von dem Vorhaben, das Günther Haenel, Wolfgang Heinz und Karl Paryla im Rahmen einer Pressekonferenz „Neues Theater in der Scala“ vorgestellt hatten: Die Eröffnung sei für den 54
Marcel Rubin, webern und die folgen, in: das tonmagazin. Eine Zeitschrift für alle, die hören, München, Januar/Februar 1961, S. 41–45, hier S. 41 und S. 45. 55 Volksstimme 25 (1969), Nr. 125, 1. Juni, S. 6. 56 „Anton Webern hat den Aphorismus in der Musik kultiviert [...] als konzentrierte Empfindung in einem Minimum von Takten. Das gilt, was den Ausdruck von Empfindungen betrifft, ganz besonders für die Werke seiner atonalen Periode, die der gedanklich organisierten Zwölftonmusik vorangeht. Hiezu gehören die ,Fünf Stücke für Orchester‘, op 10 [...]. In ihnen werden Klänge, die in ständiger Abwechslung von Instrument zu Instrument wandeln, zu Melodien, zu ,Klangfarbenmelodien‘, so daß in wenigen Minuten mehr ,geschieht‘, als in so manchen Monsterschinken symphonischer Dichtungen.“ Ebenda. 57 Marcel Rubin, Marcel Rubin als Kritiker seiner Kritiken, in: Hartmut Krones, Marcel Rubin – Leben, Werk und Wirken, phil. Diss. Univ. Wien 1982, S. 549-552, hier S. 551f. 58 Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 88, 14. April, S. 1.
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1. September 1948 geplant, „die erste Aufführung wird eine Komödie Nestroys sein [...].“59 – Am 1. Mai befand sich Hanns Eisler zusammen mit seinem Sohn Georg bei dem traditionellen 1.-Mai-Aufmarsch der Wiener Sozialdemokratie (siehe oben), am gleichen Tag erschien in der Volksstimme Georg Kneplers Artikel Wie wird Oesterreichs neue Kultur erstehen?60 Am 8. Mai reiste „Professor Hanns Eisler, der österreichische Komponist, der erst kürzlich aus Amerika heimgekehrt ist, [...] nach Prag, wo er am Internationalen Musikkongreß teilnimmt. Wie wir erfahren, wird Hanns Eisler, der einer der bekanntesten Filmmusiker ist und als solcher schon seit vielen Jahren in den großen Studios Europas und Amerikas tätig war, nun auch in Prag als Komponist an einem neuen tschechischen Film mitarbeiten. Es ist bedauerlich, daß die Wiener Filmproduktion sich der Dienste dieses Oesterreichers bisher noch nicht versichert hat.“61
In Prag blieb Eisler mehrere Wochen, ehe er in Wien mit der Arbeit an der für das „Neue Theater in der Scala“ verfaßten Bühnenmusik zu Johann Nestroys Höllenangst begann.62 Unterbrochen wurde sie durch eine Reise nach Breslau, wo Eisler als österreichischer Delegierter am Weltkongreß für den Frieden (25. bis 28. August 1948) teilnahm, ehe er in Wien mit der Vorbereitung der Premiere beschäftigt war, wie wir einem Bericht („Das Spiel kann beginnen. Die Scala vor der Eröffnung“) von den Proben in der „Scala“ entnehmen können: „Im verdunkelten Zuschauerraum sitzen Meister Eisler, der den Großteil der Musik zur ,Höllenangst‘ neu komponiert hat, und Friedrich Neubauer, der Regisseur des Stücks [...].“63
Die Premiere vom 16. September wurde ein großer Erfolg, gelobt wurden sowohl „das neue fortschrittliche Theater“64 als auch Eislers Musik, die der Komponist in einem Artikel „Wie ich Nestroy verstehe. Über die Musik zu ,Höllenangst‘“65 eingehend kommentierte. Ganz im Sinne der hier dargestellten Intentionen lautete es dann auch in einer Rezension: „Hanns Eislers Musik [...] bietet weit mehr als die musikalische Untermalung der Nestroy-Posse; viele Couplets sind eine Bereicherung des Wiener Melodienschatzes, der seit langem einer solchen Bereicherung bedarf.‘“66
59 60 61
Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 90, 16. April, S. 3. Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 103, 1. Mai, S. 10. Der Abend Nr. 57, 3. Mai 1948, S. 4: Hans Eisler schreibt Filmmusik – in Prag. Vor seiner Abreise hatte Eisler am 8. Mai an Alfred Schlee, den Direktor der Universal-Edition, geschrieben: „Lieber Herr Schlee, ich bitte Sie, alle für mich eingehenden Beträge Erwin Ratz zu übergeben / Hanns Eisler.“ Archiv der UE. 62 Hiezu siehe Peter Schweinhardt (Anm. 24), S. 284ff. sowie 292–340. 63 Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 215, 14. September, S. 3. 64 Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 218, 17. September, S. 1. 65 Österreichisches Tagebuch 3 (1948), Nr. 18, Oktober, S. 15. Abgedruckt auf S. 455–457 dieses Bandes. 66 Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 219, 18. September, S. 5.
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Abbildung 1: Programm der Eröffnungssitzung des XIV. Parteitages der KPÖ vom 29. Oktober 1948.
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Der nächste Wiener Auftrag an Hanns Eisler kam von der Kommunistischen Partei Österreichs und galt einem „Kampflied“, worauf der Komponist sein Einheitsfrontlied für Orchester bearbeitete. Die Fassung wurde am 29. Oktober 1948 im Rahmen der „Eröffnungssitzung des XIV. Parteitages der Kommunistischen Partei Österreichs“ im Großen Musikvereinssaal durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Marcel Rubin zur Uraufführung gebracht; Eisler befand sich wohl nicht in Wien, sondern in Prag, wo Aufnahmen seiner Musik zum Film Křizova Trojka stattfanden.67 Die Wiener „Eröffnungssitzung“ (Abbildung 1) hatte – nach diversen Ansprachen – musikalisch mit der Uraufführung von Eine österreichische Ouverture („Komponiert zum XIV. Parteitag der KPÖ“) von Marcel Rubin begonnen, dann folgte nach einem Sprechchor von Liesl Eulau Hans [!] Eislers Einheitsfrontlied. Ausführende waren „Ein Massenchor, zusammengesetzt aus Mitgliedern der Chöre: Wiener Arbeiterchor – KPÖ, FÖJ, Franz Sebek, Erster ArbeiterFrauenchor der KPÖ – St. Pölten und Viehofen N.-Ö., Floridsdorf“. Albin Skoda rezitierte sodann Texte von Johannes R. Becher und Jura Soyfer, danach folgten Teile aus Mozarts „Freimaurer-Kantate“ sowie das Lied von der Reaktion von Friedrich Wildgans. Ein „Massenchor“ („Für Freiheit und Frieden“) von Marcel Rubin, Beethovens „Egmont“-Ouverture sowie die „Internationale“ rundeten das Programm ab. – Georg Knepler fand überaus lobende Worte über „Das künstlerische Programm der Parteitagseröffnung“ und lobte sowohl Rubins Werke als auch Eislers Bearbeitung: „In der gleichen Besetzung wurde Hans [!] Eislers ‚Einheitsfrontlied‘ zu einem stürmischen Erfolg. Man hörte das Lied, das längst zu einem internationalen Arbeiterlied geworden ist, zum erstenmal in der neuen Orchestrierung, die Eisler ihm gegeben hat. Es war hinreißend !“68
Am 21. November 1948 wurde im Großen Musikvereinssaal der „1. BundesKongreß in Wien ,Für Frieden und Freiheit‘“ mit einem Festabend eröffnet; Veranstalter war der „Verband österreichischer KZ’ler und sonst politisch Verfolgter“. Hier erklang neben von den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Rudolf Moralt interpretierten symphonischen Werken auch Rubins „Dachau-Lied“, ausgeführt von Herbert Alsen, vom Komponisten am Klavier begleitet. Eisler befand sich damals wieder in Wien, ob er bei der Veranstaltung anwesend war, ist nicht bekannt.69 Am 2. Dezember 1948 hatte in der „Scala“ Bertolt Brechts Mutter Courage und ihre Kinder Premiere, in deren Rahmen Eislers Ballade vom Soldaten erklang, am 9. Dezember 1948 erschien, diesmal in der Österreichischen Zeitung, ein weiterer (siehe oben) Artikel Eislers „über das heutige Musikleben in Amerika“,70 am 22. Jänner 1949 waren erneut Werke von Eisler und Rubin in einer Veranstaltung der KPÖ vereint (Abbildung 2): Im Hernalser „Volkshaus“ trug die Bezirksorganisation 67 68 69 70
In seinem Nachlaß findet sich allerdings die „Gastkarte“ zu dem Parteitag (AdK Berlin, HEA 3157). Österreichische Volksstimme 4 (1948), Nr. 257, 3. November, S. 6. Der Autor dankt Jürgen Schebera herzlich für Eislers Aufenthalte in Wien betreffende Recherchen. Vgl. Schweinhardt (Anm. 24), S. 99.
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Hernals der Kommunistischen Partei Österreichs ihre Lenin-Feier aus, die mit „Im Kampf für das Volk und die Freiheit“ („Lenins Lieblingslied, aus der Zeit der russischen Revolution 1905“) begann und dann u. a. sowohl Das Lied von der roten Fahne (Musik von Marcel Rubin, Text von Erich Weinert) als auch Das Einheitsfrontlied (Musik von Hanns Eisler, Text von Bertolt Brecht) folgen ließ. Karl Paryla von der „Scala“ rezitierte „aus der Rede J. Stalins auf dem 2. Sowjetkongreß der UdSSR am 26. Jänner 1926“, und schließlich rundeten Rubins Die Stadt wartet („Ein Märchen der Wirklichkeit für Sprechstimme und Orchester“) und die „Internationale“ den Abend ab. (Eisler befand sich damals in Berlin.)
Abbildung 2: Lenin-Feier vom 22. Jänner 1949.
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Am 31. Jänner 1949 wurde Eisler (in Abwesenheit) in den Vorstand der Sektion Österreich der IGNM gewählt, am 4. Februar 1949 fand die Gründungsversammlung der Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik statt, bei der Joseph Marx und Marcel Rubin über die Ziele der Vereinigung berichteten, ehe Alfred Uhl zum Präsidenten, Joseph Marx zum Ehrenpräsidenten sowie Alois Melichar und Marcel Rubin zu Vizepräsidenten gewählt wurden.71 – Am 5. März 1949 war in Der Abend sowohl zu lesen, daß Eisler, der „vor kurzem von einer Konzert- und Vortragsreise von Berlin nach Wien zurückgekehrt zurückgekehrt ist“, am 7. März „im Institut für Kunst und Wissenschaft“ einen Vortrag „Hörer und Komponist“ halten wird (über welches Thema er bereits am 22. Jänner in der Berliner Humboldt-Universität gesprochen hatte) als auch in Berlin von Walter Felsenstein eingeladen wurde, eine Oper an seinem Theater zu inszenieren. Außerdem entstand in Berlin das Projekt zu einer Gemeinschaftsarbeit mit Felsenstein. Es handelt sich um eine Opernfassung der Nestroyschen Komödie ‚Höllenangst‘. Wie erinnerlich hat Eisler die Musik zur ‚Höllenangst‘-Aufführung der Scala geschrieben. Für das neue Werk soll die Wiener Partitur mitbenützt werden. Die Uraufführung des Werkes soll im Herbst in Berlin erfolgen. [...] Ein weiteres Berliner Vorhaben Hanns Eislers ist die Komposition für einen Film, dessen Drehbuch Bert Brecht scheibt und der den Titel ‚Ulenspiegel‘ führen soll. Regisseur des Films wird Erich Engel sein, dessen kürzlich fertiggestellter Streifen ‚Affäre Blum‘ zu einem außerordentlichen Erfolg in Deutschland wurde. Als Hauptdarsteller wurde Ernst Busch gewonnen, dessen Interpretationen von Brecht-Eisler-Liedern schon vor vielen Jahren überaus populär geworden sind. [...] In Berlin hat Eisler zwei Konzerte mit eigenen Kompositionen geleitet und zwei weitere vorbereitet. Im Juni wird dort Eislers Oratorium für Chor, Orchester und Soli nach Texten von Brecht und anderen aufgeführt. Wien hat noch recht wenig von den neuen Werken des Komponisten gehört. Für Anfang April plant nun die Internationale Gesellschaft für Neue Musik ein Wiener Konzert, bei dem Kantaten, eine Violinsonate, ein Streichquartett und ein Septett zur Aufführung gelangen. Hanns Eisler wird auch Oesterreich bei dem Musikfest in Palermo vertreten, wo seine Komposition ‚Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben‘, ein Werk, das seinem Lehrer Arnold Schönberg gewidmet ist, zur europäischen Erstaufführung gelangt.72
Bekanntlich wurde weder das Opern-Projekt der „Höllenangst“ noch das FilmProjekt „Ulenspiegel“ realisiert, Eislers Aktivitäten nahmen einen völlig anderen Verlauf. – Den Wiener Vortrag „Hörer und Komponist“ besprach dann Marcel Rubin in überschwenglicher Weise: „Hanns Eisler sprach im Institut für Wissenschaft und Kunst über das Thema ‚Hörer und Komponist‘, das für die gegenwärtige Entwicklung des Musiklebens 71 72
Österreichische Volksstimme 5 (1949), Nr. 31, 6. Februar, S. 6. Der Abend Nr. 54, 5. März 1949, S. 5.
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von entscheidender Bedeutung ist. In der Tat, noch nie waren, wie Eisler ausführte, die Hörer so unzufrieden mit den Komponisten wie heute, aber auch noch nie waren die Komponisten so wenig befriedigt von ihren Hörern. Nicht alle Forderungen der Hörer, so meinte der Vortragende, seien berechtigt. Unter ‚Melodie‘ zum Beispiel verstünde man die im 19. Jahrhundert mit dem Kunstlied, vor allem mit Schubert in Erscheinung getretene Form der musikalischen Oberstimmenbildung; frühere Zeiten hätten andere Formen der musikalischen Linienführung entwickelt, und auch der Gegenwart müsse man das Recht lassen, neue Wege zu gehen. Auf der anderen Seite müßten die Komponisten von ihrer Gewohnheit, lediglich um der Kunst willen oder gar um des Experiments willen zu schreiben und die Hörer zu ignorieren, abgehen. Eisler erwartet von der ‚angewandten Musik‘ die Lösung der Krise. Die Gattung der Kammermusik scheint ihm in unserer Zeit im Abstieg begriffen. Von den Symphonikern habe Schostakowitsch in der Fünften und Achten Symphonie den Ansprüchen einer neuen, auch musikalisch hochstehenden Volkstümlichkeit entsprochen. Volkstümlich werden heiße heute für den Komponisten, sich zur Arbeiterklasse durchzukämpfen. Das Publikum dankte Hanns Eisler für die geistvollen und prägnanten Formulierungen seines Vortrages mit lebhaftem Beifall und einer angeregten Diskussion.“73
In Wien unterschrieb Eisler auch das „Begrüßungstelegramm“ für den am 20. April 1949 beginnenden Pariser Weltfriedenskongreß, das von einem aus „68 hervorragenden Persönlichkeiten“ – darunter Marcel Rubin – bestehenden „vorbereitenden Delegiertenkomitee“ abgesandt wurde. Das Komitee war von dem Ehrenpräsidenten der österreichischen Friedensgesellschaft Franz Theodor Csokor, Nationalrat Ernst Fischer, Prof. Edwin Rolett und Prof. Hans Thirring gebildet worden, weiters wurde es „von den folgenden Personen nach Kenntnisnahme der Grundsätze des Weltfriedenskongresses unterzeichnet: Hans Erich Apostel, Professor Dr. Ludwig Baldass, Dozent Dr. Engelbert Broda, Otto Basil, Dr. Otto Benesch, Dr. Wolfgang Benndorff, Professor Hanna Berger, Professor Robert Bleichsteiner, Dozent Dr. Josef Blöch, Professor Wilhelm Brandenstein, Chefarzt Dr. Franz David, Professor Josef Dobrovsky, Hanns Eisler, Rudolf Felmayer, Professor Maximilian Florian, Dozent Dr. Viktor Frankl, Dr. Bruno Frei, Dr. Franz Glück, Günther Haenel, Präsident Bernhard Herzmansky, Dr. Walter Hollitscher, Hanns Horak, Professor Dr. Otto Kauders, Professor Wilhelm Kaufmann, Dr. Georg Klaren, Professor Otto König, Dr. Leopold Langhammer, Professor Oskar Laske, Dr. Axl Leskoschek, Professor Leopold Liegler, Dr. Eduard Liszt, Professor Dr. August Loehr, Professor Dr. Wilhelm Marinelli, Hofrat Professor Dr. Josef Marx, Stadrat [!] Dr. Viktor Matejka, Professor Dr.-Ing. E. Melan, Professor Alois Melichar, Leopold Metzenbauer, Erika Mitterer, Adelbert Muhr, Dorothea Neff, Karl Paryla, Professor Sergius Pauser, Hortense Raky, Professor Dr. Hermann Röbbeling, Dr. Marcel Rubin, Dr. Alexander Sacher-Masoch, Ot73
Österreichische Volksstimme 5 (1949), Nr. 62, 15. März, S. 4.
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to R. Schatz, Marianne Schönauer, Dr. Bruno Schönfeld, Professor Otto Schulhof, Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, Johannes Mario Simmel, Karl Skraup, Professor Viktor Th. Slama, Professor Karl Stemolak, Lilly StepanekJust, Professor Otto Storch, Professor Robert Strebinger, Martina Wied, Professor Karl Wiener, Professor Friedrich Wildgans, Professor Fritz Wotruba.‘“74
Eislers Präsenz in Wien schlug sich auch anderweitig nieder. So gab er der Österreichischen Zeitung (bzw. ihrem Mitarbeiter Kurt Blaukopf) anläßlich ihres vierten „Jahrestages“ ein Interview, das am 15. April 1949 unter der Überschrift „Kamerad und Helfer im Kampf um den Frieden“ erschien: „Anläßlich des vierjährigen Bestehens der ‚Oesterreichischen Zeitung‘ gewährte der österreichische Komponist Hanns Eisler einem unserer Mitarbeiter ein Interview, von dem wir nachfolgend einen Auszug veröffentlichen. Frage: Als täglicher Leser der ‚OeZ‘ werden Sie uns gewiß sagen können, was die Lektüre unserer Zeitung für Sie, Herr Professor, besonders interessant macht ? Eisler: Die ‚OeZ‘ ist mir darum besonders wertvoll, weil sie Artikel und sonstiges Material publiziert, die ich sonst in keiner anderen österreichischen Tageszeitung finde. Sie bringt auf kulturellem und ökonomischem Gebiet eine Fülle von Nachrichten aus der Sowjetunion, die für den österreichischen Leser von größtem Interesse sind. Es ist heute besonders wichtig, mit dem Kulturleben der Sowjetunion in Kontakt zu bleiben. Dafür ist die ‚OeZ‘ das beste Mittel. Neben der wertvollen informativen Belehrung, bereiten mir die literarisch stets vorzüglichen Artikel von Ilja Ehrenburg und Saslawski und anderen sowjetischen Autoren, die kraftvolle Analysen in virtuoser Weise mit satirischer Darstellung verbinden, immer ein besonderes Vergnügen. Frage: Als Künstler werden Sie unsere Kulturseite wahrscheinlich mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen ? Eisler: Das ist richtig. Der besondere Vorzug ihrer Kulturseite besteht in der Reichhaltigkeit ihrer Themen, unter denen man alles kulturell Belangvolle, von interessanten Theaterkritiken und Beiträgen zur Musikdiskussion bis zu höchst instruktiven Zusammenstellungen aus den ideologisch und ästhetisch richtungsweisenden Reden A. A. Shdanows findet. Aber auch Berichte von Debatten in der Sowjetunion über wissenschaftliche und künstlerische Fragen werden hier in dankenswerter Ausführlichkeit publiziert sowie auch Neuigkeiten aus dem kulturellen Leben Oesterreichs und des Auslandes, vor allem aus den Volksdemokratien, die man in anderen Blättern vergeblich sucht. Frage: Wie beurteilen Sie den Kampf, den die ‚OeZ‘ auf ihrer Kulturseite gegen rückschrittliche und dekadente Strömungen in der Kunst führt ? Eisler: In dieser Beziehung kann ich immer wieder mit größter Zustimmung fesstellen, daß hier die Ablehnung von Kitsch und Schund, sei es auf dem Gebiet des Theaters, des Films oder der Musik, am weitaus konsequentesten durchgeführt wird. 74
Österreichische Volksstimme 5 (1949), Nr. 76, 31. März, S. 2.
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Mit besonderem Interesse verfolge ich naturgemäß die Musikkritiken auf der Kulturseite, die ich in ihrer kritischen Haltung stets als sachlich begründet, und in der Beurteilung sauber, gerecht und fortschrittlich finde. Ich halte die von ihren Referenten angewandten Grundsätze und Maßstäbe bei der Ablehnung von Kitsch und Epigonentum einerseits, und von verantwortungslosem, modernistischem Experimentieren andererseits durchweg für richtig und zutreffend. Frage: Welchen Beitrag leistet nach Ihrer Meinung die ‚OeZ‘ für die Propagierung der Friedensidee ? Eisler: Jedem, dem es mit dem Kampf um den Frieden ernst ist, findet in der ‚OeZ‘ einen Kameraden und Helfer. Gerade durch ihre informative Tätigkeit fördert sie die Sache des Friedens, denn sie gibt uns österreichischen Intellektuellen die Möglichkeit, uns über die Friedenspolitik der Sowjetunion aus authentischen Quellen ein Urteil zu bilden und zu erkennen, daß die Friedensbewegung schon ein gewaltiges Ausmaß angenommen hat und auf der ganzen Welt in stetem Wachsen begriffen ist. Das zentrale Thema des Fortschritts in unserer Zeit ist aber der Kampf um den Frieden. Die vorbildliche Arbeit, welche die ‚OeZ‘ gerade auf diesem Gebiet bisher geleistet hat und täglich von neuem leistet, muß jeder, der an der Erhaltung des Friedens interessiert ist, begrüßen, und darum bitte ich Sie, den Herausgebern und Mitarbeitern der ‚Oesterreichischen Zeitung‘ zu ihrem vierjährigen Jahrestag meinen herzlichsten Glückwunsch zu übermitteln.“75
Am 1. Mai 1949 sendete die „Russische Stunde“ der RAVAG ein Programm mit Liedern von Hanns Eisler, die zum Teil eigens für diese „Mai-Feier“ geschrieben worden waren. Erneut war es Marcel Rubin, der Eislers Massenlieder-Ästhetik für hervorragend befand und die Werke unter dem Titel „Oesterreichische Lieder von Eisler uraufgeführt“ ungemein lobte: „Ein vorbildlich aufgebautes Programm, das die Russische Stunde der Ravag zur Feier des 1. Mai sendete, brachte ein bemerkenswertes musikalisches Ereignis: die Uraufführung zweier Chorlieder, die Hanns Eisler vor kurzem geschrieben hat. Oesterreichisch ist in der Tat die Atmosphäre des ‚Oesterreichischen Liedes von der Gerechtigkeit‘ (Text von Walter Fischer), das politische Bewußtheit im Kampf um das Recht mit einem geradezu fröhlich-unbeschwerten Optimismus verbindet. Erstaunlich die technische Meisterschaft Eislers in der für ein Ensemble von acht Musikern geschriebenen Begleitung. Hier wird der klassische Variationenstil auf die instrumentale Untermalung eines modernen Kampfliedes angewendet und auf diese Weise, ohne daß der Hörer sich der Kunst der technischen Mittel bewußt wird, eine erfrischende Vielfältigkeit der einzelnen, in der Melodie natürlich gleichen Strophen erreicht. Das ‚Oesterreichische Lied für den Frieden‘ komponierte Eisler auf einen ideologisch und sprachlich ungemein prägnanten Text von Ernst Fischer aus Anlaß des Pariser Weltfriedenskongresses. Auch dieses Werk ist in seiner Konzeption und Realisierung von größter Volkstümlichkeit und insbesondere der Refrain wird sich jedem, der ihn auch nur einmal gehört hat, für immer einprägen: 75
Österreichische Zeitung Nr. 89 (1146), 15. April 1949, S. 4.
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‚Völker, ihr selbst seid das Schicksal der Welt, Eurer Kraft werdet eingedenk ! Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, Und der Friede ist kein Geschenk.‘ Als drittes Lied krönte die Sendung das vielgesungene ‚Einheitsfrontlied‘ in einer neuen Wiener Fassung. Um die Aufführung machten sich unter Leitung des Komponisten der Bariton Karl Schramek, ein Kammerensemble der Wiener Symphoniker und der gemischte Chor der Ravag verdient.“76
Am 13. Mai 1949 fand im Musikverein ein Konzert der IGNM, Sektion Österreich, statt, bei dem von Eisler die Kantate auf den Tod eines Freundes, die Sonate für Violine und Klavier, ein Hölderlin-Lied, zwei Kinderlieder sowie die Septette Nr. 1 und 2 realisiert wurden, am 29. Mai leitete Eisler im Rahmen eines SonntagabendKonzertes der RAVAG eine Aufführung der Kantatenfassung von Die Mutter. In den Studios der RAVAG waren im Mai auch zwei Lieder Eislers aufgenommen worden, die dann auf einer Schallplatte des Globus-Verlages erschienen: Österreichisches Lied von der Gerechtigkeit (Text Walter Fischer) und Lied über den Frieden (Text Ernst Fischer).77 – Mittlerweile füllte die „Affaire Gerhart Eisler“ die österreichischen Zeitungen, und je nach politischer Einstellung wurde der Bruder des Komponisten als der „heute an Bord der polnischen Dampfers ,Satory‘ entdeckte blinde Passagier“ bzw. „als der kürzlich aus den Vereinigten Staaten geflüchtete ,Kommunist Nr. 1 der USA‘“78 bezeichnet oder als „der bekannte deutsche Kommunist Gerhard Eisler, dem es gelungen ist, an Bord eines polnischen Schiffes die Vereinigten Staaten zu verlassen, wo ihm auf Grund falscher Beschuldigung eine lange Gefängnisstrafe drohte, [...] wurde über Aufforderung der amerikanischen Regierung von englischen Kriminalbeamten in Southampton gewaltsam an Land gebracht.“79
Besonders kämpferisch gab sich die Österreichische Zeitung: „Der Name Gerhard Eislers ist mit den schmachvollen Verfolgungen aller fortschrittlich denkenden Menschen in den Vereinigten Staaten untrennbar verbunden [...]. Als Eisler nach Kriegsende nach Deutschland zurückkehren wollte, wurde er unter dem Vorwand verhaftet, daß er ‚der geheime Führer der amerikanischen Kommunisten sei‘. Die Verhaftung Eislers war das Signal zu der noch jetzt anhaltenden ‚Hexenjagd‘ gegen alle fortschrittlichen Kräfte in den USA [...].“80
76
Österreichische Volksstimme 5 (1949), Nr. 103, 3. Mai, S. 7. Auch die Österreichische Zeitung (4. Mai, S. 5) sprach von einer „glanzvollen Maifeier in der RAVAG“. 77 Siehe Jürgen Schebera, Hanns Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz etc. 1998, S. 221, sowie Schweinhardt (Anm. 24), S. 97. 78 Neues Österreich, 13. Mai 1949. 79 Österreichische Volksstimme 5 (1949), Nr. 114, 15. Mai 1949, S. 8. 80 Österreichische Zeitung Nr. 112 (1169), 14. Mai 1949, S. 5. Vgl. Bruno Frei, Gerhard Eisler oder von der Geburt des neuen Menschen, in: Österreichisches Tagebuch 4 (1949), Nr. 6, Juni, S. 5f.
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Am 25. Mai 1949 veröffentlichte der „Pressedienst der Kommunistischen Partei Österreichs“ (PKP), Wien I., Fleischmarkt 3, dann wesentliche Teile aus einem Interview „Zum Fall Gerhard [!] Eisler“, das „der berühmte Komponist Hanns Eisler dem Vertreter der polnischen Presseagentur (PKP), Jankowski, gegeben hat“: „Mein Bruder Gerhard Eisler schloss sich bereits während des ersten Weltkrieges der österreichischen Arbeiterbewegung an. Nach dem Jahre 1918 war er der Herausgeber einer theoretischen Zeitschrift der KPOe. 1921 ging er nach Deutschland und setzte dort seine Tätigkeit fort. Nach der Machtübernahme Hitlers wurde auf Eislers Kopf ein Preis ausgesetzt. Er musste Deutschland verlassen und entfaltete eine rege antifaschistische Tätigkeit in Paris und Prag. Nach Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges ging er nach Spanien und blieb hier während der ganzen Dauer der Kämpfe auf einem führenden Posten in der republikanischen Armee. Eisler fuhr öfter illegal nach Deutschland, obwohl er wusste, dass im Falle seiner Ergreifung ihn ein qualvoller Tod erwartet. Nach Ausbruch des Krieges wurde Eisler 1939 zusammen mit anderen deutschen politischen Flüchtlingen verhaftet und ins Internierungslager Vernet gebracht. Nach dem Fall von Paris drohte ihm die Auslieferung in die Hände der Gestapo. Eisler flüchtete aus dem Konzentrationslager nach Marsaille. Von dort fuhr er nach Mexiko, das ihm das Asylrecht angeboten hatte. Auf der Durchreise durch die USA wurde er jedoch zurückgehalten, da zu dieser Zeit die Verordnung in Kraft trat, die Staatsbürgern kriegsführender Länder verbot, das Territorium der USA zu verlassen. Gerhard wurde auf Ellis Island interniert. Erst nach dem Ueberfall Deutschlands auf die Sowjetunion hat die RooseveltRegierung die deutschen Antifaschisten aus Ellis-Island auf freien Fuss gesetzt, darunter war auch Eisler. [...] Hanns Eisler kommt auf die wiederholten vergeblichen Versuche seines Bruders zu sprechen, die USA zu verlassen: Es ist also Tatsache, dass Gerhard Eisler gegen seinen Willen in den Vereinigten Staaten bleiben musste. Seine wiederholten Bitten um die Ausreiseerlaubnis nach Mexiko wurden abgelehnt. Er erhielt eine provisorische Aufenthaltsbewilligung in der USA, die er alle sechs Wochen verlängern musste. Gleich nach Beendigung des Krieges reichte Eisler ein Gesuch um die Ausreisebewilligung nach Deutschland ein. Sie wurde zunächst abgelehnt und erst nach einer genauen Ueberprüfung der Dokumente, die man vollkommen in Ordnung fand, im Jahre 1947 erteilt. Er erhielt das Visum, kaufte die Schiffskarte, aber einen Tag vor seiner Abreise begann das Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit eine Verleumdungskampagne gegen ihn. Unter dem Druck der reaktionären Presse wurde das Visum zurückgezogen ohne dass man ihn davon verständigte. Man wollte nämlich – sagte Hanns Eisler – den üblichen amerikanischen Trick anwenden: Gerhard Eisler die Möglichkeit geben, das Schiff zu besteigen, um dann von einer ‚Flucht‘ sprechen zu können. Zufällig verständigte er telefonisch noch einmal die Behörden von seiner bevorstehenden Abreise und da teilte man ihm mit, dass sein Visum zurückgehalten wird. Von diesem Augenblick an war Gerhard Eisler ständigen Verfolgungen ausgesetzt.
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Die Kampagne gegen ihn nahm unglaubliche Ausmasse an. Zweimal wurde er vor die Kommission zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit zitiert. Beim ersten Mal hat ihn die Kommission zur Verhandlung garnicht [!] zugelassen; das zweite Mal wurde er verhaftet und nach Washington überführt. Als er gegen dieses rechtlose Vorgehen protestierte, entzog man ihm das Wort. Man sperrte ihn ins Gefängnis und verurteilte ihn wegen Protestes gegen seine Verhaftung, die als Beleidigung des Kongresses hingestellt wurde, zu einem Jahr Gefängnis und 100 Dollar Geldstrafe. Eisler legte Berufung ein. Das Verfahren ist noch im Gange. Kurze Zeit darauf wurde ihm zum zweiten Male der Prozess gemacht für eine angeblich die Behörde irreführende Antwort in einem Formular zur Erlangung eines Visums. Ich war selbst Zeuge bei dieser Verhandlung – sagte Hanns Eisler – und ich sah viele bestochene Zeugen, Spione und Provokateure, die unglaubliche Lügen und Verleumdungen gegen meinen Bruder aussprachen. Sogar das amerikanische Gericht schenkte diesen Dummheiten keinen Glauben und die ganze Anklage brach zusammen. Trotzdem wurde mein Bruder zu drei Monaten Gefängnis und zu 10.000 Dollar Geldstrafe verurteilt. Obzwar man ihn dann gegen Kaution auf freien Fuss gesetzt hatte, wurde er bald neuerlich verhaftet, da er aufzeigte, welches politische Spiel mit seinem Fall getrieben wurde. Die Appelationsgerichte hatten es mit dem Verfahren gegen Gerhard Eisler nicht eilig, weil sie genau wussten, dass er kein Verbrechen begangen hat. Sein einziges ‚Verbrechen‘ bestand darin, dass er Antifaschist und Kämpfer für die Rechte der Werktätigen ist. Durch die ‚Affaire Eisler‘ wollte man den Beweis erbringen, dass die amerikanischen Arbeiter einzig und allein deswegen Forderungen stellen, weil sie durch böse Ausländer aufgehetzt werden. Man brauchte den Fall Eisler, um für das arbeiterfeindliche Taft-Hartley-Gesetz Stimmung zu machen. Es setzte eine verstärkte Kampagne gegen alles Fortschrittliche in Amerika ein. Schliesslich hat ein achttägiger Hungerstreik Eislers eine derartige Empörung in der amerikanischen Oeffentlichkeit gegen seine Verhaftung hervorgerufen, dass man ihn freilassen musste. Auf die Frage, was Gerhard Eisler veranlasst hat, auf einem polnischen Schiff die USA zu verlassen, antwortete sein Bruder: Die Gerichte verschleppten von neuem das Verfahren gegen Gerhard Eisler. Mein Bruder wollte aber nach 16 Jahren Emigration endlich in die Heimat zurück. Es ist also kein Wunder, dass er sich entschloss, als blinder Passagier auf dem Schiff ‚Batory‘ zu reisen. Mit besonderer Empörung und Erbitterung sprach Hanns Eisler über das Verhalten der britischen Regierung, die im Auftrag Amerikas einen politischen Flüchtling von einem Schiff, das unter der Hoheitsflagge eines anderen Staates fuhr, gewaltsam heruntergeholt hat, um ihn auch noch in England vor ein Gericht zu stellen, obzwar er sich auf englischem Boden nie irgendetwas hat zu Schulden kommen lassen. Dem gegenüber, sagte Hanns Eisler, freuen sich mit mir alle wirklichen Demokraten in der ganzen Welt über die bewundernswürdige Haltung der polnischen Regierung und des polnischen Volkes im Falle Eisler. Ich als sein Bruder bin Polen zu höchstem Dank für alles, was es für Gerhard getan hat und tut, verpflichtet.
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Mit den Worten, ‚wenn es meinem Bruder gelingen sollte, zusammen mit seiner Frau, die als Geisel von den Amerikanern zurückgehalten wird, in die Heimat zurückzukehren, dann werden alle Menschen guten Willens, [!] dem polnischen Volke dankbar sein‘ – schloss Hanns Eisler sein Interview.“81
Bekanntlich wurde Gerhart Eisler – nicht zuletzt auf Grund der zahlreichen internationalen Proteste – bald freigelassen und konnte nach (Ost-)Berlin übersiedeln, wo er verschiedene hohe Positionen in den parlamentarischen Gremien der DDR einnahm. – Über Hanns Eisler lesen wir dann am 5. Juli 1949 in Der Abend, daß er „gestern nach Berlin abgereist [ist]. Er wird sich danach auf Einladung der Thüringer Landesregierung und der Stadt Weimar nach Weimar begeben, um den ehrenvollen Auftrag der Komposition einer Goethe-Kantate zu beenden und das Werk im Rahmen der Weimarer Goethe-Feiern zur Aufführung zu bringen. Außerdem wird Eisler Konzerte mit eigenen Werken veranstalten.“82
Zeitgleich erschien im Österreichischen Tagebuch (nach einem redaktionellen Vorspann) unter dem Titel „Von der Spache der Musik“ ein „Gespräch mit Hanns Eisler“, das Georg Knepler mit dem Komponisten geführt hat: „Im Mai wurde von Hanns Eisler eine größere Anzahl von Werken aufgeführt, darunter die Kantate ‚Die Mutter‘. Dann hörte man seine Werke in einem Konzertabend der RAVAG, ferner in einem Abend der Internationalen Gesellschaft für neue Musik. Anläßlich dieser Konzerte hatte unser Mitarbeiter Georg Knepler ein Gespräch mit dem Komponisten, von dem wir glauben, daß es unsere Leser interessieren wird. Knepler: Lieber Hanns, ich habe zu deinem Konzert eine Menge zu sagen. Ich muß gestehen, daß ich schon seit langem kein Konzert gehört habe – schon gar nicht mit moderner Musik –, das mich so ergriffen und angeregt hat. Aber ich habe auch eine Reihe von Fragen an dich zu richten. Mich interessiert es, wie du es anstellst, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, die dem Komponisten von heute das Leben schwer machen. Ich kenne Kompositionen aus verschiedenen Perioden deines Schaffens und aus den verschiedensten Arbeitsgebieten der Musik. Unter deinen vokalen Kompositionen nehmen deine Arbeiterlieder eine besondere Stellung ein. Deine Arbeiterchöre und die einstimmigen Lieder. Einige davon habe ich selbst in drei, vier verschiedenen Sprachen gehört. Ich weiß, daß sie selbst in China und in Japan gesungen werden, in Amerika, in Spanien, Italien und Frankreich, in Norwegen und Dänemark, ich habe sie in Sowjetliedersammlungen gefunden und auf amerikanischen und russischen Grammophonplatten gehört, sie sind in – ich weiß nicht wieviele Sprachen übersetzt worden. Es müssen viele Hunderttausende von Arbeitern auf der ganzen Welt sein, die deine Lieder kennen und lieben. Ich weiß auch wieviel einige deiner Lieder den österreichischen Arbeitern bedeuten. Wie ist dir das gelungen?
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Pressedienst der Kommunistischen Partei Österreichs (PKP) 1077. 25. Mai 1949, S. 1–4. Der Abend Nr. 154, 5. Juli 1949, S. 6.
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Eisler: Wahrscheinlich wäre es aufschlußreicher, die Arbeiter zu befragen. Die Methoden, die ich bei der Komposition von Arbeiterliedern verwende, unterscheiden sich nicht von denen meiner anderen Kompositionen, nur wähle ich einfaches Material. Nimm zum Beispiel das ‚Österreichische Lied von der Gerechtigkeit‘ mit den Worten von Walter Fischer, das ich vor kurzem auf einer Platte aufgenommen habe. Die Melodie ist sicher äußerst einfach. Aber ich habe jeder der fünf Strophen eine andere Begleitung gegeben und dabei die Technik der klassischen Variation verwendet. In einer Strophe zum Beispiel hat die Begleitung die Form eines Kanons; zur Begleitung des Refrains habe ich die Melodie der Strophe verwendet; in der fünften Strophe ist das berühmte Lied ‚Brüder, zur Sonne‘ als Begleitung gesetzt und so weiter. Der Hörer braucht nicht zu merken, wie das gemacht wird, aber wird eine gewisse Frische und Abwechslung finden, die notwendig ist, um in diesem Lied die Wahrheit für ihn fesselnd zu machen. Knepler: Warum verwendest du ein anderes, viel komplizierteres musikalisches Material in andern Kompositionen? Zum Beispiel, die Violinsonate und auch einige der Lieder, die wir gehört haben, sind weit ‚moderner‘. Eisler: Das Material, das ich verwende, hängt vom Inhalt der Komposition ab und davon, an wen sie sich wendet. Die Violinsonate gehört zur Gattung der Kammermusik, und die hat andere Vorausetzungen. Knepler: Und das Material bedingt auch die Technik. Eisler: Gewiß. Ich möchte auf die Vielfältigkeit der Methoden und Techniken bei Mozart hinweisen, dessen bescheidene Schüler wir ja alle sind. In der großartigsten Oper, die je ein Mensch geschrieben hat, in der ‚Zauberflöte‘, von der ich außerordentlich viel gelernt habe, finden wir folgendes nebeneinander: Eine fugierte Ouvertüre, dramatische Szenen in der Art der italienischen Opera seria, die aber unterbrochen ist durch volksliedhafte Einsätze der drei Damen, dann wieder ausgesprochene Gassenhauer, freilich auf eine ungeheure Kunsthöhe gehoben durch Mozart, eine Choralbearbeitung, eine der kompliziertesten Musikformen, die es gibt, große Koloraturarien, die aus einer italienischen Oper sein könnten, Sarastros Lieder, die die ganze Gattung der romantischen Lieder vorwegnehmen, dann das dramatische Rezitativ, in dem gewisse Züge des Musikdramas Wagners enthalten sind. Warum macht Mozart das? Weil verschiedene Situationen und Personen verschiedene Behandlung verlangen, weil der Inhalt nach seiner eigenen Form drängt. Knepler: Ich glaube zu verstehen, was du meinst. Da war in deinem Konzert das Lied vom Schneider von Ulm nach Brechts Worten. Eine Begebenheit aus dem 16. Jahrhundert. Der Schneider sagt, daß er mit Flügeln, die er sich gemacht hat, vom Kirchendach fliegen werde. Er fällt und zerschellt auf dem Platz. ‚Es waren nichts als Lügen‘, sagt der Bischof, ‚der Mensch ist kein Vogel, es wird nie ein Mensch fliegen.‘ Eine einfache Begebenheit. Man braucht sie nicht zu kommentieren, jeder kann sich selbst einen Reim darauf machen. Das Lied ist ganz einfach komponiert, ohne großes Aufheben und Aufregung. Und doch steckt eine gewisse Erregung, eine gewisse Wachheit in deiner Musik. Sie scheint einfach, aber sie hat es ‚in sich‘, sie hat einen doppelten Boden, so wie eben auch die Erzählung selbst einen doppelten Boden hat. Was denkt und fühlt man nicht alles,
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wenn man heute diese Geschichte hört! Das stellt deine Musik, wie ich glaube, in bewunderungswürdiger Weise dar. Eisler: Der Komponist muß vielfältig sein, er muß das Verschiedenste sagen können. Er muß es verstehen, auch die Einfachheit auf eine Kunsthöhe zu heben und auch schwierigere Inhalte plastisch und verständlich darstellen. Knepler: Mir scheint es, daß deine Musik, auch dort, wo sie kompliziert ist und eine hoch entwickelte musikalische Sprache verwendet, einen menschlichen Inhalt hat und daß sie auch dort, wo keine Worte darstellen, wovon die Rede ist, von allgemein menschlichen, allgemein verständlichen Dingen spricht. Oft, wenn ich moderne Musik höre, kommt es mir zu Bewußtsein, daß diese Musik nicht zufällig nur von einem kleinen Kreis von Menschen gehört wird und nicht nur deshalb, weil ihre Technik kompliziert ist, sondern vor allem deshalb, weil das, was sie zu sagen hat, zu privat, zu eng – grob gesprochen zu uninteressant ist. Das ist bei dir nie der Fall. Bei alldem ist deine Musik persönlich und eigenartig, so daß ich mich getrauen würde, nach wenigen Takten zu sagen: ‚Das ist von Eisler‘, egal ob es nun ein Arbeiterlied oder eine Violinsonate ist, egal auch, ob Worte verwendet sind oder nicht. Das hängt damit zusammen, daß du all die verschiedenen Techniken mit einer souveränen Meisterschaft verwendest, die heute ganz selten ist. Das Lied zu den Worten von Hölderlin zum Beispiel ist wieder in einer ganz anderen Technik gearbeitet und ist von außerordentlicher Wirkung. Eisler: Dieses Lied ist ein Tribut an Schubert. Die Worte sprechen von einem ‚kunstlos Lied‘, so mußte man sich im Ausdruck bescheiden und im Charakter einfach sein. Es hat sich eine ‚schwebende Tonalität‘ ergeben. Knepler: Du hast erzählt, daß dieses Lied eines von etwa 150 ist, die du zu einem ‚Hollywooder Liederbuch‘ zusammengefaßt hast. Aber daneben stehen Dinge wie die ‚Kantate auf den Tod eines Freundes‘. Auch die Musik zu dieser Kantate ist einfach, aber sie hat eine ganz andere Funktion. Sie scheint die ungeheure Erregung, die die Worte von dem von den Faschisten ermordeten Freund auslösen, zu bändigen. Eisler: An so vielerlei hat der Komponist sich zu bewähren, so vielerlei hat er zu sagen, denn das Leben ist vielfältig, die Menschen verschieden und die Welt ist nicht einfach. Da die Beziehung zwischen dem Hörer und dem Komponisten kompliziert und problematisch ist, muß der Komponist an sich arbeiten. Er muß viele Techniken beherrschen, er muß beweglich sein, er muß unter Umständen auch neue Dinge ausprobieren und sehen, ob er mit einer neuen differenzierten Technik die Hörer erfassen kann. Seine Technik darf nie Selbstzweck werden, nie zu formalistischer Spielerei ausarten. Andererseits muß der Komponist die Gefahr des Epigonentums, der Vulgarität des bombastischen Klangrausches, des falschen Pathos verstehen. Heute hängt das von seinem künstlerischen Gewissen ab. Darin besteht seine soziale Verantwortung.“83
In Abwesenheit Hanns Eislers fand am 27. und 28. August 1949 im Wiener Konzerthaus die Parteikonferenz der „Kommunistischen Partei Österreichs“ statt, zu der „Gen. Dr. Rubin Marcel“ als Delegierter der „Parteiorganisation Kultur83
Österreichisches Tagebuch 4 (1949), Nr. 7, Juli, S. 21.
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ref.[erat]“ entsandt war, Hanns Eisler hinwieder nahm Oktober/November 1949 als österreichischer Vertreter an der Warschauer Goethe-Feier teil. Anfang Dezember war er wieder in Wien und könnte somit sowohl den vom „Österreichischen Friedensrat“ am 14. Dezember im Mozartsaal des Konzerthauses veranstalteten „Festabend für den Frieden“ besucht haben, bei dem u. a. Rubins Das Lied von der Erde (Text: Jura Soyfer) erklang,84 als auch die am 17. Dezember von der Bezirksorganisation Hernals der KPÖ veranstaltete „Festakademie zu Ehren des 70. Geburtstages unseres Genossen Stalin“ (Abbildung 3); bei ihr standen neben diversen Ansprachen und vielen anderen Musikstücken sowohl das Vaterlandslied von Isaak Dunajewskij als auch Das Lied von der Roten Fahne von Marcel Rubin auf dem Programm. Es sang der „Wiener Arbeiterchor KPÖ“ unter der Leitung von Heinz Hollitscher, Krista Ortmayer und Fritz Links rezitierten (u. a. den „Dank an Stalin“ von Johannes R. Becher).85 Bekanntlich befand sich Hanns Eisler ab Jänner 1950 weitgehend in Berlin, wenn man von der Zeit seiner Tätigkeit für die „Scala“ sowie für die „Wien-Film“ in den Jahren 1953 bis 1956 absieht. Dementsprechend werden auch die Erwähnungen in der österreichischen Presse seltener, wenngleich die kommunistischen Blätter nach wie vor immer wieder auf Eisler wiesen. So Kurt Blaukopf Mai 1950 im Tagebuch, der die aus der Zusammenarbeit von Eisler und Bertolt Brecht erwachsene Gattung des „Lehrstücks“ thematisierte und insbesondere die von ihm verfolgte gesellschaftlich-soziologische Absicht hervorhob: „Mit der ‚Maßnahme‘ ist der Uebergang vom abstrakten Lehrstück zum konkret-politischen vollzogen. In Hanns Eisler hatte Brecht endlich einen Kompositionspartner gefunden, der bereit war, ein vollständiges technisches Inventar einer musikalischen Werkstatt in den Dienst der Lehrstückidee zu stellen, ohne der Dichtung ein persönliches stilistisch begrenztes Originalitätsstreben aufzudrängen. Brecht brauchte einen Musiker, der alle fortgeschrittenen musikalischen Mittel meisterte, ohne sie um ihrer selbst willen zu kultivieren. So wie Brecht Stilmittel verschiedenster Art einsetzte, so mußte auch der Komponist eine neue, wandelbare, kritische Einstellung zu seinen Stilmitteln beweisen. Da hieß es nicht etwa: Jazz – ja oder nein? Die Dinge mußten gesellschaftlich gesehen werden. In den Anmerkungen Brechts und Eislers zur ‚Maßnahme‘ heißt es: ‚Eine Ablehnung des Jazz, welche nicht von einer Ablehnung seiner gesellschaftlichen Funktionen herkommt, ist ein Rückschritt. Man muß nämlich unterscheiden können zwischen dem Jazz als Technikum und der widerlichen Ware, welche die Vergnügungsindustrie aus ihm machte.‘ Und wiederum die Probe aufs Exempel: der Song von der Ware (‚Weiß ich, was ein Mensch ist?‘). Eisler benützt verdinglichte Musik, um den verdinglichten, entmenschten Menschen darzustellen.
84 85
Dies umso mehr, als Hilde Glück Mitarbeiterin dieser Vereinigung war. Hiezu siehe den Briefverkehr zwischen Hilde Glück und der Famile Eisler, S. 366–452, hier S. 371 (Anm. 18). Hier sei daran erinnert, daß der von österreichischen und deutschen Emigranten in Mexiko betriebene „Heinrich-Heine-Klub“, dessen Musik-Sektion Marcel Rubin leitete, mehrere Male Werke von Johannes R. Becher aufführte.
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Abbildung 3: Programm der „Festakademie zu Ehren des 70. Geburtstages unseres Genossen Stalin“ vom 17. Dezember 1949 (Bezirksorganisation Hernals der KPÖ).
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Die ungeheure Anziehungskraft Brechts auf namhafte Komponisten bestand in der Kühnheit des Angriffs auf das alte Theater und die alte Oper. Komponisten der erschütterten Jahrzehnte zwischen den beiden Weltkriegen machten diese radikale Wendung teilweise oder gänzlich mit. Aber im Radikalismus lag auch eine Kinderkrankheit, eine theoretisch strenge Wegwendung vom Aesthetischen – die in der Praxis allerdings nicht immer eingehalten wurde. Brecht hat diesen formalen Radikalismus offenbar überwunden. Sein ‚Kleines Organon für das Theater‘ (in der Zeitschrift ‚Sinn und Form‘, Potsdam 1949) zeigt das an. Es heißt dort: ‚Widerrufen wir (also), wohl zum allgemeinen Bedauern, unsere Absicht, aus dem Reich des Wohlgefälligen zu emigrieren, und bekunden wir, zu noch allgemeinerem Bedauern, nunmehr die Absicht, uns in diesem Reich niederzulassen. Behandeln wir das Theater als eine Stätte der Unterhaltung, wie es sich in einer Aesthetik gehört und untersuchen wir, welche Art der Unterhaltung uns zusagt!‘“86
Abbildung 4: Einladung Marcel Rubins für ein Abendessen am 1. August 1950.
Einen Monat später erschien im Tagebuch ein Artikel Marcel Rubin über Tichon Chrennikow, den Generalsekretär des sowjetischen Komponistenverbandes, der anläßlich des in Wien stattfindenden Friedenskongresses „mit den österreichischen Komponisten Fühlung genommen“87 hatte, am 8. Juli 1950 ist in der Zeitschrift 86 87
Tagebuch 5 (1950), Nr. 11, 27. Mai, S. 3. Ab 1950 hieß das Blatt Tagebuch und erschien 14tägig. Tagebuch 5 (1950), Nr. 13, 24. Juni, S. 3.
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Jugend voran Eislers Lied von der Friedensfahne (mit Noten und drei Strophen) samt folgendem Kommentar abgedruckt: „Nach einem Text des Nationalpreisträgers der Deutschen Demokratischen Republik Johannes R. Becher. Wir haben am Text einige kleine Veränderungen vorgenommen, so daß das Lied, das das Deutschlandtreffen der 700.000 in Berlin beherrschte, nun auch in Oesterreich gesungen werden kann. Musik: Hanns Eisler“88
Anfang August befand sich Marcel Rubin (wie Hanns Eisler) in Ostberlin, wo er an der „Deutschen Bach-Feier 1950“ teilnahm und für den 1. August vom „Präsident der Deutschen Demokratischen Republik [...] anläßlich der Anwesenheit der ausländischen Gäste“ zu einem festlichen Abendessen „in seinen Amtssitz, Schloß Niederschönhausen, Ossietzkystraße“, eingeladen wurde (Abbildung 4). Und Rubin war auch – im Gegensatz zu Hanns Eisler – bei der am 7. November 1950 in Moskau abgehaltenen „Feier zum 23. Jahrestag der Oktober-Revolution“ anwesend und erhielt hier eine offizielle Einladung (Abbildung 5) zum Festempfang. Am 11. Februar 1951 ist dann in der Österreichischen Zeitung ein Bild zu finden, das Marcel Rubin am Klavier und stehend neben ihm Otto Horn zeigt. Die Bildunterschrift lautet folgendermaßen: „Marcel Rubin und Otto Horn, der Komponist und der Dichter der ‚Oesterreichischen Arbeiterkantate‘ für Chor und Orchester, die in dem heutigen Festkonzert der Russischen Stunde zum Gedenken an den 12. Februar 1934 zur Uraufführung gelangt und außer von Radio Wien von den Sendern Moskau, Warschau, Prag, Budapest und den Rundfunkstationen der DDR übertragen wird.“
Rubins Zusammenarbeit mit Otto Horn trug übrigens weitere Früchte, so bei den „III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten für den Frieden in Berlin 1951“, wo ein Lied-Wettbewerb ausgeschrieben war, bei dem Rubin einen 3. Preis errang. Zudem war er bei einer Sektion Jury-Mitglied und erhielt in dieser Funktion ein mit 16. August 1951 datiertes und vom Präsidenten der Festkomitees, Enrico Berlinguer, unterzeichnetes Dankschreiben. Die Volksstimme berichtete ausführlich: „Bei dem internationalen Wettbewerb für das beste Lied zu den Weltjugendfestspielen in Berlin lagen 69 Lieder vor. Den ersten Preis erhielt der „Marsch der Sowjetjugend‘ von Serafim Tulikow. Zweite Preise wurden zuerkannt: Nowikow für ein ‚Festspiellied‘, dem Chinesen Tschu Schi Hsien für das Lied ‚Einheit‘, Andre Asrils [!] für das Lied ‚Freundschaft, Einheit, Frieden‘, und dem Franzosen Vinert für das Lied ‚Treffen der Zwanzigjährigen‘. Dritte Preise wurden zugesprochen: unserem Mitarbeiter Marcel Rubin für ‚Jugend, setz deine Kraft ein!‘, Text von Otto Horn; Dunajewski ‚Jugendlied‘ und 88
Der Text der 1. Strophe lautet: „Auf den Straßen, auf den Bahnen seht ihr Österreichs Jugend zieh’n. Hoch im Blauen fliegen Fahnen, Friedens Fahnen weh’n in Wien. Links und links und Schritt gehalten, laßt uns in der Reihe geh’n. Unsre Fahnen sich entfalten um im Sturm voranzuweh’n.“ Jugend voran 5 (1950), Nr. 27, 8. Juli 1950, S. 5.
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Günter Friedrich für das Lied ‚Im August, im August, da blühn die Rosen‘. 13 Lieder wurden mit Ehrenurkunden ausgezeichnet.“89
Abbildung 5 (ca. 1 Seite)
Abbildung 5: Einladung Rubins anläßlich der Feier zum 23. Jahrestag der Oktober-Revolution.
Im Februar 1952 druckte das Tagebuch Eislers bekannten Brief nach Westdeutschland, der in Sinn und Form (3, 1951, 6. Heft, S. 14-24) erschienen war, in einer im VIII. Kapitel leicht variierten Form ab und stellte ihm einen interessanten Vorspann voran: „Seit Jahr und Tag beschäftigen sich Musiker, Komponisten und Musikwissenschafter mit der Frage des Realismus und der Volkstümlichkeit der Musik, mit der Funktion der Musik in einer neuen Gesellschaft. In diese Diskussion greift 89
Österreichische Volksstimme 7 (1951), Nr. 181, 8. August, S. 3.
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der österreichische Komponist Hanns Eisler aufklärend ein. Hanns Eisler wirkt jetzt in der Deutschen Demokratischen Republik. Er ist dort Nationalpreisträger. In weitesten Kreisen ist Eisler als Komponist populärer Massenlieder bekannt. Sein ,Solidaritätslied‘ (Text von Brecht) wird von Millionen gesungen. Zusammen mit Brecht schrieb Eisler auch die großen ,Lehrstücke‘: ,Die Maßnahme‘ und ,Die Mutter‘ (nach Gorki). Meisterwerke der modernen Liedkunst sind Eislers ,Proletarische Wiegenlieder‘ und das ,Hollywooder Liederbuch‘. [...] Derzeit arbeitet er an einer musikalischen Gestaltung des ,Faust‘-Stoffes.“90
Marcel Rubins Artikel über eine anläßlich des anläßlich des „Völkerkongresses zum Schutz des Friedens“ in Wien vom 12. bis 19. Dezember 1952 stattfindende Begegnung österreichischer Komponisten (einschließlich Hanns Eislers) mit Dmitrij Schostakowitsch (Abbildung 6) sowie über eine Zusammenkunft mit ihm Anfang Juni desselben Jahres seien hier nur kurz erwähnt,91 ein Mitte März 1953, eine Woche nach Eislers Ankunft in Wien, in der Zeitung Der Abend unter dem Titel „Hanns Eisler kann nicht nein sagen“ erscheinendes Interview sei hingegen in den wichtigsten Passagen mitgeteilt:
Abbildung 6: Eisler beim „Völkerkongreß zum Schutz des Friedens“, Wien, Dezember 1952; v. l. n. r.: Diego Rivera, Johann Muschik, Louise (verdeckt) und Hanns Eisler. 90 91
Tagebuch 7 (1952), Nr. 4, 16. Februar, S. 5f. Tagebuch 8 (1953), Nr. 1, 3. Jänner, S. 5, sowie (Schostakowitsch war betrübt) ebenda, Nr. 14, 4. Juli, S. 3. Hiezu siehe auch den Artikel von Manfred Mugrauer in vorliegendem Band, hier S. 180f., sowie ders., Schostakowitsch in Wien, in: Alfred Klahr Gesellschaft. Mitteilungen 13 (2006), Nr. 4, Dezember, S. 1–14, hier S. 1f. Zu weiteren Wien-Aufenthalten Eislers nach 1950 siehe Jürgen Schebera (Anm. 77), S. 222– 273.
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„Gespräch mit einem überbeschäftigten Komponisten Hanns Eisler, einer der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit, tritt zum erstenmal seit längerer Zeit wieder persönlich vor das österreichische Publikum. Seit etwa einer Woche ist er in Wien [...]. Auf dem großen Speisezimmertisch, zwischen handgeschriebenen Notenblättern, Heften und Partituren, steht eine große Schale mit dampfendem schwarzem Kaffee und ein gefüllter Aschenbecher. Hanns Eisler hat Ferien gemacht. Ferien von seiner Schule und der ‚normalen‘ Tätigkeit. Nicht aber Ferien vom Ich. Das ‚Ich‘ heißt Komponieren. ‚Ich bin nach Wien gekommen, um zwei Radiokonzerte meiner Kompositionen zu dirigieren‘, sagt Hanns Eisler und schiebt ein paar mit Notenköpfen übersäte Blätter vor sich auf einen Haufen. Aber wo er hinkommt, will man neue Musik von ihm. ‚Und ich kann nicht nein sagen‘, fügt er lachend hinzu. ‚Was ist dieser Berg Noten?‘ will ich wissen. ‚Die neue Oper?‘ ‚Nein. der ,Dr. Faustus‘ liegt zu Hause in Berlin in meiner Schreibtischlade und wartet aufs Fertigwerden. Das Textbuch ist schon gedruckt und Direktor Felsenstein von der Komischen Oper will ihn nach seiner Fertigstellung herausbringen. Der Tisch ist also mit den Früchten des Nicht-nein-sagen-Könnens beladen. Weitere liegen auf dem aufgeschlagenen Deckel des Pianinos in der Zimmerecke, und wenn man ihn dabei nicht stört, pendelt Hanns Eisler zwischen Tisch und Klavier hin und her. Die Musik für Nestroys ‚Eulenspiegel‘ ist Postarbeit. Die Scala braucht sie schon, um damit am 1. April Premiere machen zu können. Wenn der Komponist also nicht gerade mit dem großen Ravagorchester und einigen Solisten für die beiden Konzerte am 7. und 10. April probiert, werden unter seiner Hand kleine Tintenringerln und Punkte auf und zwischen den Linien zu heiterer musikalischer Begleitung Nestroyscher Texte. Nun sitzt Hanns Eisler mir gegenüber. Kein Star, kein ‚Prominenter‘. Ein Mensch wie mancher andere, dessen Augen beim Scherzen zwinkern, und der zuviel Kaffee trinkt, den man schon um 7 Uhr früh anrufen kann, weil er da längst vor dem Pianino sitzt und Noten schreibt. Der Künstler, dessen Namen Millionen kennen, hat einmal angefangen, und er weiß viel, durchaus nicht immer Angenehmes, darüber zu berichten. Der gebürtige Oesterreicher hat vor 28 Jahren in Wien die gleichen Erfahrungen gemacht, wie unsere jungen Komponisten heute. Sein Studium verdiente er sich mit dem Lesen von Korrekturen in einem Verlag. Der Preis, den er nach jahrelanger ernster und harter Arbeit erringen konnte, reichte gerade für eine Bahnfahrt nach Berlin. Die DDR braucht junge Künstler Heute? Die Meisterklasse für Komposition der Deutschen Akademie der Künste, die einst sein eigener Lehrer Arnold Schönberg leitete, liegt unter seiner Führung. Er kann das Werden einer neuen Komponistengeneration beobachten, einer Generation, der das Hungern und das Korrekturenlesen, um leben zu können, fremde Begriffe sind.
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‚Günter Kochan ist ein zweiundzwanzigjähriger Bursch‘, erzählt Hanns Eisler, und seine Augen bekommen einen stolzen Glanz. ‚Er hat in meiner Klasse ein Violinkonzert geschrieben, das Aufsehen erregt hat. Nicht nur bei uns in der DDR. David Ojstrach [!] will es mit seinen Schülern in Moskau herausbringen. Und der junge Asriel hat für seine ersten Vokalwerke den Nationalpreis bekommen. Da hat man schon Freude an der Arbeit. Es lohnt sich, Lehrer junger Menschen zu sein, die für ihre Begabung Stipendien bekommen, die nicht ums tägliche Brot sorgen müssen und sich ganz ihrer künstlerischen Arbeit widmen können. Wir brauchen dringend diesen Nachwuchs in der DDR. Der Bedarf nach neuer Musik ist enorm. Opern, Symphonien, Kammermusik, kurz alles, was man in Noten schreiben kann, findet reißenden Absatz. Schon deshalb gibt es keinen Futterneid.‘ ‚Komponist sein – zumindest in der DDR – ist ein angenehmer Beruf‘, meint Hanns Eisler. Komponistenversammlungen, in denen man von Monatsabrechnungen im Werte eines Schuhdopplers hört, wie das unlängst bei uns in Wien der Fall war, haben dort schon lange nicht stattgefunden. Hanns Eisler ist versucht, mir nicht zu glauben. Zwar bestätigen dies seine Wiener Kollegen, mit denen er in Kontakt ist – er selbst aber findet es unglaublich. ‚Katzgraben‘, ‚Mutter‘ und ‚Autodieb‘ Nach seinem Konzert in Wien will er nach Berlin zurückfliegen, um dem Berliner Ensemble zu helfen, ‚Katzgraben‘, ein Bühnenstück, dessen Musik er schrieb, aus der Taufe zu heben. Gleich danach kommt er wieder zu uns nach Wien, um bei der Aufführung von Gorkis ‚Mutter‘, deren Musik er schrieb, dabei zu sein. Das Stück soll unter der Regie von Bert Brecht mit Helene Weigel in der Scala aufgeführt werden. Und anschließend wird das Projekt der Wien-Film, einen Film um das Thema ‚Autodieb‘ zu drehen, aktuell, das auch Hanns Eisler musikalisch bearbeiten soll. Inzwischen wartet ‚Des Knaben Wunderhorn‘ schon auf die Neuauflage, die Eisler – diesmal ohne Noten – vorbereitet. Die Meisterklasse an der Akademie und Dozentenklasse der Hochschule für Musik werden auch nicht ohne den Lehrer auskommen wollen. Hanns Eisler ist ein vielbeschäftigter Künstler. Weil er nicht nein sagen kann, meint er scherzhaft. Aber das ist es nicht. Er hilft einer neuen musikalischen Epoche – zum Werden. Und wächst selbst mit seiner Aufgabe.“92
Auch Marcel Rubin war bald wieder zur Stelle. Er, der zwischen Oktober 1950 und Oktober 1952 zu sechs Produktionen der „Scala“ die Bühnenmusik verfaßt hatte (und dann von Dezember 1953 bis November 1955 weitere sechs beisteuerte), berichtete am 8. Mai 1953 unter dem Titel „Ein großer Komponist unserer Zeit. Aus dem jüngsten Schaffen Hanns Eislers“ ohne jegliches Konkurrenzdenken (Eisler verfaßte 1953 und 1954 vier Bühnenmusiken für die „Scala“ und dann 1956 noch eine93) über ein Konzert der RAVAG: 92 93
Der Abend Nr. 63, 17. März 1953, S. 5. Autorin des Artikels war G.[erda] R.[othmayer]. Hiezu siehe Schweinhardt (Anm. 24), S. 284.
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„Es ist ein Verdienst der Russischen Stunde der Ravag, Werke Hanns Eislers, eines der bedeutendsten Musiker unserer Zeit, in einem zusammenhängenden Programm geboten zu haben. Dieses Verdienst ist umso größer, als Eisler, obwohl er Oesterreicher und weltberühmt ist, im offiziellen Musikbetrieb dieses Landes nicht zur Kenntnis genommen wird, während er den Nationalpreis der DDR erhielt. Man kann ihm zwar keine Fehler vorwerfen – musikalische Fehler erregen übrigens ‚hieramts‘ keinen Anstoß – außer einem einzigen: fortschrittliche Gesinnung. Aber der gilt hierzulande als unverzeihlich. Das Programm des Rundfunkkonzertes zeigte des Komponisten erstaunliche Beherrschung verschiedenster Stilarten: Es begann mit der Ouvertüre zu Nestroys ‚Eulenspiegel‘ in einer Fassung für symphonisches Orchester. Ihre Themen sind mit mozartschem Witz erfunden, gegenübergestellt und entwickelt. Auch in der klaren geistvollen Behandlung des Orchesters ist die Einfühlung in den alten Stil vollkommen. In eine durchaus andere Welt führen zwei Sätze aus der Goethe-Kantate ‚Das Vorbild‘. Die Fuge ist ein ernstes, einfaches Stück, das zeigt, was ein moderner Komponist satztechnisch von Bach lernen kann, ohne sich der Sekte der ‚Neoklassizisten‘ zu verschreiben. Das ‚Arioso‘ zeichnet die Worte ‚Edel sei der Mensch, hilfreich und gut‘ musikalisch nach. Unsentimental bis zur Herbheit sind zwei Kinderlieder nach Texten von Bert Brecht. Ansprechend und vertraut, wenn auch durchaus persönlich, klingt hingegen das ‚Lied vom Glück‘ – gleichfalls nach Worten von Brecht – in einer reizvollen, glitzernden Instrumentation, wohl das populärste unter den aufgeführten Liedern. Musikalischer und zugleich ideologischer Höhepunkt des Konzerts waren drei Stücke aus der Kantate ‚Mitte des Jahrhunderts‘, in denen der Komponist gemeinsam mit seinem Textdichter Johannes R. Becher den Geist widerspiegelt, der in diesem Jahrzehnt ein Drittel der Menschheit beim Aufbau einer Welt der Freiheit von Ausbeutung und des Friedens beflügelt. Der kurze, vorwärtsdrängende Schlußchor gehört zweifellos zu den stärksten Einfällen Eislers aus den letzten Jahren. Die Echtheit der Wiedergabe der Werke war durch den Komponisten selbst, der die Leitung des Konzerts hatte, verbürgt. Seine gewissenhaften, verläßlichen Helfer waren die Sängerinnen Lilly Schönberg und Hilde Rychlink, der Pianist Otto Schulhof sowie das große Orchester und der Chor der Ravag.“94
In Der Abend erschien dann am 6. Juli 1953 aus der Feder von „Karl Heinz Fürst“ (recte: Füssl) ein Artikel Musik von Menschen für Menschen. Zum 55. Geburtstag Hanns Eislers, in dem u. a. zu lesen ist: „[...] Dem kongenialen Team Eisler-Brecht gelang das, was keinem ernst zu nehmenden schöpferischen Künstler des Westens bisher gelungen ist: ein Massenpublikum zu erobern. Eisler und Brecht widerfuhr das, was seit Schubert und Heine niemand mehr widerfuhr: daß über einen großen Teil ihrer Werke der 94
Österreichische Volksstimme 9 (1953), Nr. 106, 8. Mai, S. 4.
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Name vergessen ward. Ihre aufrüttelnden Lieder sind bereits zu anonymen Volksliedern der Arbeiter aller Länder geworden. Hans [!] Eisler ist der dritte Meisterschüler Schönbergs neben Anton Webern und Alban Berg. Welche überragende Bedeutung Schönberg als Lehrer hatte, wird erst so richtig klar, wenn man die grundsätzlich verschiedene Entwicklung dieser drei Komponisten betrachtet. Schönbergs Lehrmethode ist so umfassend, daß sie die nicht mehr zu überbietende Abstraktion Anton Weberns[,] den glühenden Expressionismus Alban Bergs ebenso zuläßt, wie die Allgemeinverständlichkeit einer Musik mit Niveau für die Massen der Arbeiter. [...] Geistvolle Essays über kulturelle Probleme sowie ein Buch: ‚Komposition für den Film‘ mit persönlichen Erfahrungen aus Hollywood liegen vor, die sich sehr wesentlich von ähnlichen Berichten gewisser ‚Illustrierten‘ unterscheiden. Auch hier trifft er ins Schwarze: [...]. Die Auseinandersetzung Eislers mit seiner Zeit waren die ersten Schaffensimpulse Eislers und sie blieben es, verbunden mit der eindeutigen Stellungnahme für künstlerischen und sozialen Fortschritt, bis zum heutigen Tag. In dem merkwürdigen Buch des chinesischen Philosophen Me-Ti, eines Zeitgenossen von Konfuzius, ‚Die Verdammung der Musik‘, heißt es: ‚Daß man Musik betreibt, hat vier Nachteile: Die Hungrigen werden nicht gesättigt, die Frierenden werden nicht gewärmt, die Obdachlosen bleiben Obdachlos, die Verzweifelten werden nicht getröstet.‘ – ‚Mögen die Sätze Me-Tis uns moderne Komponisten daran erinnern‘, sagt Eisler, ‚daß Musik von Menschen für Menschen gemacht wird.‘“95
Der Juli 1953 sah dann alle österreichischen Zeitungen im Banne jenes Ereignisses, bei dem Eisler „so betrunken war, daß er kaum gehen konnte und außerdem mit einem Taxichauffeur in ein Handgemenge geraten war. Der 55jährige Hanns Eisler, der dienostdeutsche Nationalhymne komponierte, hatte sich nach einem Trinkgelage mit anderen Komponisten in West-Berlin ein Taxi zur Heimfahrt aufgenommen und wollte sich zum Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin bringen lassen. Der Taxichauffeur fragte an der Sektorengrenze seinen betrunkenen Fahrgast, ob er genügend Geld bei sich habe, um die Fahrt zu bezahlen. Als sich herausstellte, daß dies nicht der Fall war, entstand ein Streit, und Hanns Eisler wurde mit dem Chauffeur handgemein. Er wurde festgenommen und übergab auf der Wachstube dem Chauffeur zur Sicherstellung seine Armbanduhr.“96
Wir haben hier den Bericht einer „neutralen“ Zeitung zitiert, „rechtsstehende“ Zeitungen (wie Die Presse) feixten „Hanns Eisler betrinkt sich in Westberlin“97 oder
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Der Abend Nr. 153, 6. Juli 1953, S. 5. Karl Heinz Füssl verfaßte etwa auch umfangreiche und überschwengliche Besprechungen der Bühnenmusiken Eislers zu Ben Jonsons „Volpone“ (Der Abend, 8. September 1953) sowie zu „Die Mutter“ (Österreichische Volksstimme, 30. Oktober 1953). 96 Arbeiter-Zeitung Nr. 163, 17. Juli 1953, S. 2. 97 Die Presse, 17. Juli 1953.
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(wie die Wiener Tageszeitung, das Zentralorgan der ÖVP) „Genosse Hymnenkomponist auf Reisen“98. Die Volksstimme hingegen tobte „Der Komponist Hanns Eisler nach Westberlin verschleppt. Von der Westberliner Polizei in Haft gehalten – Ein Gewaltstreich sondergleichen.“99
und stellte einen Tag später, nachdem man dem Komponisten angeblich (?) im Rausch von sich gegebene „antisowjetische Äußerungen und Spitzen gegen die Deutsche Demokratische Republik in den Mund gelegt“ hatte, auch fest: „Hanns Eisler hat also keinerlei Interviews gegeben“100. Von Interesse ist hier noch, daß etliche Zeitungen monierten, daß sich Eisler „mit einem österreichischen Paß legitimierte“101, worauf dann die „Rathaus-Korrespondenz“ feststellte, „daß Eisler bereits „im August 1925 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben“ habe. „Eine Parallele zu dem Fall Brecht ist unzutreffend.“102 VI. Mit dem 23. April 1955 begann dann die große, aber durchaus auch etwas hochgespielte „Kontroverse Eisler–Rubin“. In seiner an diesem Tag erscheinenden Nummer druckte das Österreichische Tagebuch nämlich (unter dem Titel „Arnold Schönberg. Auszüge aus einem Vortrag in der Deutschen Akademie der Künste“) wesentliche Teile aus Hanns Eisler Vortrag „Schönberg und sein Werk“ ab, das dieser am 17. Dezember 1954 in der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin gehalten hatte. Im folgenden wird der gesamte Vortrag wiedergegeben, wobei die im Tagebuch gekürzten Teile hier in eckigen Klammern sowie im Kleindruck erscheinen.103 „Arnold Schönberg Ich brauche nicht das chinesische Sprichwort: ‚Wer seinen Lehrer nicht ehrt, ist schlechter als ein Hund‘, um hier festzustellen, daß Schönberg einer der größten Komponisten nicht nur des 20. Jahrhunderts war. Seine Meisterschaft und Originalität sind erstaunlich, sein Einfluß war und ist enorm. Seine Schwächen sind mir lieber als die Vorzüge mancher anderer. Aus der Geschichte der Musik ist er nicht wegzudenken. Verfall und Niedergang des Bürgertums: gewiß. Aber welch eine Abendröte!
98 Wiener Tageszeitung, 17. Juli 1953. 99 Österreichische Volksstimme 9 (1953), Nr. 163, 17. Juli 1953, S. 2. 100 Österreichische Volksstimme 9 (1953), Nr. 164, 18. Juli 1953, S. 2. 101 Wiener Tageszeitung, 18. Juli 1953. 102 Wiener Zeitung, 22. Juli 1953. Die Wiener Zeitung war seit 1812 Regierungszeitung 103
(mit beigeschlossenem Amtsblatt) und ist seit 21. September 1945 das amtliche Veröffentlichungsorgan der Republik Österreich. Die im Österreichischen Tagebuch aufscheinenden Zwischentitel wurden von der Redaktion des Blattes ergänzt. Die Ergänzungen nach dem Original sind zitiert aus: Manfred Grabs (Hg.), Wer war Hanns Eisler, Westberlin 1983, S. 207–213. Quelle: Sinn und Form, Berlin 1955, Nr. 1, S. 5–15.
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Es sollte uns nicht genügen, nur Musiksoziologie zu betreiben; sie müßte ergänzt werden durch die Anwendung der materialistischen Dialektik auch auf die widerspruchsvolle Entwicklung des musikalischen Materials. Das Aufkommen und Absterben, das Verbrauchtsein und das Neu-Werden des musikalischen Materials in den gesellschaftlich bedingten musikalischen Stilen mit ihren wechselnden Funktionen wäre in einer Dialektik der Musik zu untersuchen, wenn wir nicht in ein flaches vulgärmaterialistisches Soziologisieren verfallen wollen. Ich sage das, weil in dem wenigen, das ich über Schönberg zu berichten habe, seine Methode der Materialbehandlung, seine eigentümliche Kompositionstechnik besonders berücksichtigt werden wird. Wenn ich dabei oft Form und Inhalt zum Zweck der Untersuchung trenne, so folge ich nur der Eigentümlichkeit der Musik Schönbergs, in der Form und Inhalt oft in scharfem Widerspruch stehen. Um ein Beispiel eines solchen Widerspruchs vorauszunehmen: In seiner Oper ‚Von heute auf morgen‘ entsprechen das Sujet, die Handlung, die Sprache ungefähr einer mondänen Operette, und zwar einer schlechten. Zu diesen Banalitäten hat Schönberg – es handelt sich um eines seiner Zwölftonwerke – eine höchst unheimliche Musik geschrieben, die den Operettenspaß aufhebt, die Banalität des Textes doppelbödig macht und das Ganze in ein seltsames Licht stößt. Die Menschen, die in dieser Oper agieren, Kaffee trinken und schließlich einen öden Konflikt mit einem Tenor auf Hausmannsart in Ordnung bringen, erscheinen durch die Musik wie die zukünftigen Besucher der Luftschutzbunker, wie die Verzweifelten in den zerstörten Städten. Es wird der Zeit voraus musiziert. Schönberg beabsichtig[t]e das nicht. Aber nicht, was ein Mensch beabsichtigt, sondern was er macht, ist das Entscheidende. Schönberg wollte eine flotte Oper schreiben, aber durch die Eigentümlichkeit seiner Kompositionsmethode und der Materialbehandlung ist eine Art Apokalypse im Familienmaßstab herausgekommen. Er schrieb, um eine geniale Formulierung Heinrich Heines zu benützen, eine ‚übertriebene Musik‘. Solcher Widerspruch zwischen Form und Inhalt ist typisch für Schönberg, und wir werden ihn noch oft festzustellen haben. Hochromantik und Atonalität
[In dem ausgezeichneten Aufsatz Frau Caroline Schröders im Programmheft unseres Akademiekonzertes findet man biographische Daten, eine Skizze seines Lebenswegs, ein Werkverzeichnis und viele kluge Bemerkungen. Das ermöglicht mir, mich zu spezialisieren und nur auf das Wichtigste einzugehen.]
Ueber die Jugendwerke ‚Die Gurrelieder‘, ‚Verklärte Nacht‘, ‚Pelleas und Melisande‘ wäre hier nur zu sagen, daß sie der Beweis eines jungen Genies sind. Sie haben, trotz der Abhängigkeit von Wagner und Brahms, schon manche originelle Züge und eine charakteristische Neigung zur Kombination und Konstruktion in noch traditioneller Satztechnik und Harmonik. Nach diesen hochromantischen Exzessen, nach diesem pseudosymphonischen Musizieren beginnt mit dem Streichquartett Opus 7 die Besinnung und die Zurückeroberung der klassischen Formen. Die Streichquartette Opus 7 und Opus 10, die Kammersymphonie Opus 9 sind aber bereits die letzten tonalen Kompositionen, die Schönberg vorerst geschrieben hat. (Zur Tonalität fand er erst im hohen Alter in einigen Gebrauchswerken zurück.) Diese drei Werke gehören zu den bedeutendsten Leistungen der Kammermusik, sie können neben den Klassikern bestehen. Ori-
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ginalität und Reichtum der Erfindung, Einheit von Form und Inhalt, Satztechnik und Kombinationskraft sind auf höchster Stufe. Mit Ausnahme der letzten zwei Sätze für Streichquartett Opus 10 fis-moll sind die Ausdruckscharaktere – also Inhalte – im allgemeinen von gut bürgerlicher Tradition. Aber es gibt bereits einige Stellen – zum Beispiel das Adagio in der Kammersymphonie –, in denen eine Trauer aufklingt, eine Gebrochenheit des Ausdrucks, die weit über die Gefühlsskala seiner Klasse, des mittleren Bürgers, hinausgeht. Das klingt bereits wie Verfall und wie Vorahnung von Katastrophen. [Ich kann leider nur äußerst kurz auf diese drei wichtigen Werke eingehen und beschränke mich auf das Charakteristische. Im Streichquartett d-Moll wird in der Exposition ein sehr gut gebautes Thema von einem präzisen Baß begleitet; aber in der Wiederholung des Themas hören wir den Baß als Oberstimme. Thema und Baß sind also in doppeltem Kontrapunkt erfunden. Solche Technik ist in der homophonen Musik ungebräuchlich. Man findet sie gewiß in den symphonischen Passacagliaformen, zum Beispiel im letzten Satz der dritten Symphonie von Beethoven und im letzten Satz der vierten Symphonie von Brahms. In homophonen Sonatensätzen ist so etwas aber kaum angewendet worden. Die Frage ist nun, woher hat Schönberg das? Sind das Willkürlichkeiten? Nein. Schönberg hat das aus den Variationswerken von Beethoven und Brahms gelernt, und zwar etwa aus den c-Moll-Variationen von Beethoven und aus den Variationen über ein Thema von Schumann in fis-Moll Opus 10 von Brahms. Dieser Baß spielt im ganzen Quartett eine große Rolle. Er wird zu einem Seitensatz umgebildet, er wird umgekehrt, in vielen Varianten gebracht (Part. S. 5, Ziff. 30, Part. S. 6). Auch in der Coda hören wir ihn (S. 78) als Umkehrung in Dur. Diese kleinen Neuerungen sind für Schönberg sehr charakteristisch. Er wollte nichts schreiben, was nur einen beschränkten Sinn hat. Er verachtete Füllstimmen, die nur aufputzen und Dichte vortäuschen. Jede Stimme soll eine mehrfache Funktion haben. Es sind solche Gedanken und Erfahrungen, die ihn später zur strengen Reihentechnik des Zwölftonsystems geführt haben. Eine weitere Neuerung finden wir im dritten Satz des zweiten Streichquartetts fis-Moll. Es ist ein Gesangstück über einen Text von Stefan George: ‚Tief ist die Trauer, die mich umdüstert.‘ Es ist nun seltsam, daß Schönberg diesen so hoch expressiven und leider schwülstigen Text in die Variationenform drängt. Der Widerspruch zwischen dem höchst expressiven Charakter und der Grundkonstruktion ist enorm. Es ist, als wollte er Maßlosigkeit zügeln. Aber indem er sie zügelt, erlaubt er sie sich. Dabei ist die Variationenform auf das strengste gewahrt. Sie knüpft an die höchstentwickelte Technik der Diabelli-Variationen von Beethoven und der Händel- und HaydnVariatione von Brahms an. Auch in diesem kühnen Stück ist Schönberg ein Fortsetzer des klassischen Erbes.] Im vierten Satz des II. Streichquartettes wird zum ersten Male [in der Geschichte der Musik] die Tonalität aufgehoben. Die völlige Aufhebung der Tonalität hören
wir aber in den drei Klavierstücken Opus 11. Diese Stücke zeigen trotz der so anderen Satztechnik immer noch Brahmsche [!] Züge, und zwar des späten Brahms, etwa der Intermezzi für Klavier. Das dritte Stück sprengt die Form. Es klingt bereits wie ein Vorläufer des Monodrams ‚Die Erwartung‘ und der Oper ‚Die glückliche Hand‘, Opus 11 erscheint unseren Ohren heute – wenigstens meinen – in keiner Weise mehr radikal. Die Thematik ist plastisch, die Harmonik einfach, die motivischen Zusammenhänge und die Form – auch die gesprengte – sind leicht auffaßbar. Die Ausdruckscharaktere zeigen bereits Unlust, Mühe, Verfall der Laune und im dritten Stück fast Hysterie. Was wollte Schönberg mit diesem neuen Stil? Er wollte sich ausdrücken, und das sollte durch kein vorgegebenes, überkommenes Material und durch keine Klischees gehindert werden. Es ist höchst private, subjektivistische Musik, wie sie sehr selten in der Geschichte der Musik vorkommt. Man könnte sie am ehe-
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sten mit den letzten Klaviersonaten und Streichquartetten von Beethoven vergleichen. Ungemütliche Musik Es ist erstaunlich, daß diese Musik 1908 in Wien geschrieben wurde. In dieser Stadt voll der Walzer des genialen Johann Strauß, der bombastischen Symphonien Bruckners und Mahlers, in dieser Stadt der Operetten und der intensiven Pflege des klassischen Erbes schwamm Schönberg gegen den Strom. Seine Musik war ungemütlich, sie war nicht erhaben, sie verklärte nicht, sie triumphierte und siegte nicht, sie hatte, was den Hörern vor allem nicht einging, den Grundton der Verzweiflung. Daß Schönberg – in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg – sich so ausgedrückt hat, daß er nicht mitmachte, das ist seine Humanität und sein geschichtliches Verdienst. Er hat lange vor Erfindung des Bombenflugzeugs die Gefühle der Menschen im Luftschutzbunker ausgedrückt; er hat mit seiner Musik immerhin zu verstehen gegeben, daß die Welt nicht schön war. Er hat es damit seinen Hörern und sich nicht leicht gemacht. Denn wer will schon hören, daß die Welt nicht schön ist?
[Die Harmonik der atonalen Periode Schönbergs ist nichts Willkürliches; sie entstand aus den musikalischen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts. Die Klänge an sich sind nicht neu. Es sind Septimenakkorde, Nonakkorde mit den Umkehrungen, übermäßige Dreiklänge, Ganztonakkorde und Mischformen. Das Neue ist, daß Dissonanzen nicht mehr aufgelöst werden. Die Geschichte der Musik ist die Geschichte der Dissonanz. Nachdem das Ohr sich Hunderte Jahre an den Klang von Dissonanzen mit ihren Auflösungen gewöhnt hat, verlangte es schließlich nach Dissonanzen ohne Auflösung. Schönberg war der erste, der mit unaufgelösten Dissonanzen musiziert hat. Zu diesem neuartigen Musizieren kam er auf traditionellem Wege. Die Funktion der Musik blieb unverändert. Aber während Brahms sich noch an musikalische Liebhaber wendet und häusliches Musizieren ermöglicht, wendet sich Schönberg an eine musikalische Bildungselite. Das wußte er nicht. Für ihn war der Hörer der Hörer, und über die Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft hat er sich wenig Gedanken gemacht. In den bürgerlichen Feierstunden war er aber ein Fremdkörper, der Gemütlichkeit, Freude am Wohlbekannten und am Wiedererkennen, Sonntagsstimmung und Geselligkeit unmöglich machte. Schönberg stellt so hohe Anforderungen an die Hörer, daß seine Musik gewissermaßen den bürgerlichen Konzertsaal aufhebt, da er das prima vista Hören unmöglich macht. Seine Musik ist fast eine musica reservata. Der Volkstümlichkeit, der Wirkung auf breite Massen stand er mißtrauisch und verständnislos gegenüber. Das überließ er Lehar und Puccini. Das war nicht Hochmut, sondern die Haltung des hochgezüchteten bürgerlichen Spezialisten, der in einer Stadt lebte, in der auch die komplizierten Werke des klassischen Erbes und der Barockmusik ein relativ breites Publikum hatten. Man konnte in den Häusern der Wiener Mittelklasse, der Advokaten, Ärzte und Ingenieure, gut exekutierte Kammermusik hören; man fand Wissen und musikalische Bildung. Das war das Milieu, aus dem Schönberg kam, und diese gebildete Mittelklasse, diese Kenner waren, bevor sie vernichtet wurden, sein Publikum.]
Schönberg machte Volksmusik viel Spaß. Seine Volksliederbearbeitungen sind hervorragend. Auch bearbeitete er Walzer von Johann Strauß und schrieb Variationen über das Lied ‚Es ist ein Ros’ entsprungen‘. Wenn sein Nachlaß gedruckt werden wird, wird man noch mehr finden. In seinen Originalarbeiten konnte er aber mit Volksmusik nichts anfangen. Er hielt Volksmusik gegenüber der klassischen Musik für eine primitive Vorform, die übrigens die Klassiker schon verarbeitet hatten. Und so knüpfte er an die Klassiker an. Aber in seiner Melodik auch der avanciertesten Werke hört man volkstümliche Elemente, und zwar wienerische. Es klingt, als ob die Geister abgeschiedener Volkslieder zitiert werden, die nach all den Katastrophen blaß und verstört erscheinen.
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In den Werken der atonalen Periode Schönbergs: ‚5 Orchesterstücke‘, die Opern ‚Die Erwartung‘ und ‚Die glückliche Hand‘, ‚Die Herzgewächse‘, ist nicht nur die Vorherrschaft der Dissonanz das Charakteristische, sondern die Auflösung der musikalischen Form. Es ist eine seltsame Art des Musizierens, man könnte sie athematisch nennen, denn es gibt keine geschlossenen Themen. Das bedeutendste Werk dieser Periode ist unzweifelhaft das Monodram ‚Die Erwartung‘. [Diese Oper ist leider auf einen sehr törichten Text geschrieben. Mit Kummer muß ich hier feststellen, daß er diese geniale Musik nicht aufkommen läßt.] In diesem Werk gibt es
keine uns bekannten Formen mehr, aber es klingt doch logisch. Diese Logik entsteht auf assoziativem Wege. Interessant sind melodische Inseln. Diese Werke der atonalen Mittelperiode halte ich für die bedeutsamsten, die Schönberg geschrieben hat. Aber sie sind ein einmaliger Fall, eine großartige Sackgasse. Acht Jahre danach hat Schönberg nichts mehr komponiert. Er wußte, daß das so nicht weitergeht. 1922 fand er die Kompositionsmethode mit den Zwölftonreihen. Eine Zwölftonreihe mit ihrer Umkehrung, ihrer Krebsform und der Umkehrung der Krebsform wird zur Grundlage einer Komposition gemacht. In einer solchen Komposition gibt es keine freien Töne, sondern alle Elemente der Harmonik und Melodik müssen aus der Reihe gewonnen werden, wobei die einmal angespielte Reihe zu Ende geführt werden muß. Die Grundreihe und ihre drei Formen können auf alle Töne der chromatischen Skala transponiert werden. Das gibt also an sich ein reiches Material. Ueber den Zwang, die einmal angespielte Reihe zu Ende zu führen, braucht man nicht zu sehr zu erschrecken. Auch in der Fuge muß bekanntlich das Thema, einmal angespielt, zu Ende geführt werden. Und im dreifachen oder gar im vierfachen Kontrapunkt herrscht genau sowenig ‚Freiheit‘ wie in einer Reihenkomposition. Der Unterschied ist aber der, daß der dreifache und vierfache Kontrapunkt relativ selten ist, es sind Spezialformen hoch entwickelten Charakters; das Prinzip der Zwölftontechnik soll aber für alle Arten und Genres der Musik gelten. Das ist ungünstig und gefährlich, denn jedes Genre muß sich seine eigene Schreibweise schaffen. Eine mechanische, uniformierte Methode kann die Eigentümlichkeit der Genres verwischen. Aber deutliche Absetzung der Genres voneinander ist notwendig, wenn wir Kunst produzieren wollen und nicht Schulaufgaben oder Bekenntnisse. Ein Komponist müßte zumindest wissen, welches Genre die Zwölftontechnik verträgt. Sie darf nicht zum Stil werden, sondern nur eine Methode unter anderen. Daß es zur Zwölftontechnik kam, ist historisch nicht unbegründet. Denken wir an die Entwicklung der Dur- und Moll-Tonalität. Die hat sich bekanntlich aus den Kirchentonarten entwickelt. Das geschah durch eine Art Auslese. Als die praktischsten Kirchentonarten – zum Musizieren praktisch – stellten sich die jonische und die äolische heraus. In diesen beiden Kirchentonarten war das Verhältnis von Ganz- und Halbtonschritten für Kadenz und Modulationszwecke das am besten geeignete. So wurden sie immer mehr bevorzugt, bis aus ihnen die Dur- und Molltonart entstand. Die anderen Kirchentonarten starben ab. Wer gegen die Unnatürlichkeit der Zwölftonreihe polemisieren will – und gewiß enthält diese Kompositionsmethode viel Unnatürliches –, der muß darauf hingewiesen werden, daß der Begriff ‚Natürlichkeit‘ in der Kunstmusik ein äußerst
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fragwürdiger ist, denn es ist nicht einfach, im Kunstschönen das AbstraktNatürliche zu finden. Auch in der Tonalität gibt es eine Menge unnatürlicher Elemente. Ein solches ist z. B. die Molltonskala. Um den Klangcharakter des Moll herauszuarbeiten, hat man sehr ‚unnatürliche‘ Konstruktionen benützt. Bekanntlich gibt es die harmonische, die melodische und schließlich die blanke Reihe der Molltonskala, zu der die Akzidenzien kommen. Etwas verzwickt Ausgedachteres dürfte es kaum in einer anderen Kunst geben. Sind nun die Durund Molltonarten durch Auslese aus den Kirchentonarten entstanden, so entstand die Zwölftonmusik aus den Dur- und Molltonarten in folgender Weise: Im 19. Jahrhundert hatte die Chromatik immer mehr die Diatonik des Dur und Moll zersetzt. Die Tonalität geriet ins Schwanken, bis sie schließlich wie bei Wagner nur noch Inseln bildete, aber nicht mehr als Haupttonart ihren balancierten Kreis schloß. Die Chromatik hat schließlich das Dur und Moll so überwuchert, daß eine Art Anarchie entstand. Die Mittelperiode Schönbergs, die atonale, ist dafür charakteristisch. Ungereimtheiten und Widersprüche Aber die Aufhebung der Grundtonarten führte zum Verfall der musikalischen Form. Es war notwendig, neue Ordnung zu schaffen, mit der es möglich war, wieder Formen aufzubauen. Denn in der Form findet Musik ihre Sprache und ihre Gedanken, und ohne Form schwätzt man, aber man spricht nicht. Historisch wäre also die Entstehung der Zwölftonkomposition durchaus zu begründen. Aber sie enthält eine Menge Ungereimtheiten und Widersprüche, da hilft auch eine abstrakt-historische Begründung nicht. Da ist zuerst die Frage des Hörens. Und das ist, wenn es um Musik geht, das Wichtigste. Es ist nicht jedermanns Sache, die Umkehrung eines Krebses zu hören. Hingegen ist es für jeden Klippschüler leicht, eine Zwölftonreihe aufzuschreiben und mechanisch auf dem Papier die anderen drei Grundformen herzustellen. Bei der Komposition werden dann die so ausgeschriebenen Grundformen eben immer nachgelesen. Das ist ein in der Musik nicht üblicher Vorgang. Auch wird die Phantasie, die Erfindungskraft nicht mehr frei, sondern gebunden eingesetzt. Man erfindet nicht ab ovo, sondern man benützt die mathematische Methode der Permutation. Das unfehlbare Ohr Schönbergs, seine erstaunliche Vorstellungskraft sind nicht jedem gegeben. Und so warne ich die Besitzer bescheidener Ohren und einer schwächeren Vorstellungskraft vor der mechanischen Uebernahme seiner Methoden. In der Musik gilt leider noch der Spruch: Quod licet Jovi, non licet bovi, zu deutsch: Was sich Jupiter erlauben kann, kann sich ein Hornochse noch lange nicht erlauben. Die Phantasie des Komponisten wird durch solche Permutationsmethode einseitig, sie kann verarmen. Es gehört großes Können dazu, aus den so abgelesenen Reihen ein vernünftiges Musikstück zu formen. Um es gleich zu sagen: Schönberg und zumindest Anton von Webern und Alban Berg ist das gelungen. Ein spezielles Problem dieser Technik ist die Harmonik, die ja auch dem Zwang der Reihe zu folgen hat. In der tonalen Musik kann man bekanntlich nicht eine Melodie harmonisieren, indem man auf jeden Ton den dazugehörigen Dreiklang setzt. Aber in der Zwölftontechnik müssen bei harmonischen Vorgängen die
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Reihentöne benützt werden. Eine solche Art Harmonik hat die Gefahr des Dazugesetzten, aber nicht Funktionellen, und solche Schwächen hört man selbst bei einem so eminenten Meister wie Arnold Schönberg, von dem wir alle noch kritisch zu lernen hätten. Ein anderer Widerspruch in der Zwölftontechnik ist die Beziehung der Reihen zu der musikalischen Form. Dieser Widerspruch ist der interessanteste, denn die Reihentechnik wurde eingeführt, um nach Formlosigkeit wieder zu geschlossenen musikalischen Formen zu kommen. Schönberg hat in seiner Zwölftonperiode mit einer Ausnahme, der Suite Opus 25, auf die klassischen Formen zurückgegriffen. Also auf die Sonate, das Scherzo, das Rondo, den Variationensatz, die zwei- und dreiteilige Liedform und einige Mischformen. Nun sind die klassischen Formen aus der Tonalität entstanden und von ihr kaum abzuheben. Bekanntlich sind die Gegensätze des Hauptthemas zum Seitensatz in der tonalen Sonatenform nicht nur rhythmische, melodische, metrische und satzmäßige. Der wichtigste Gegensatz ist die Verschiedenheit der Tonart. Die Modulation vom Hauptsatz zum Seitensatz, die Modulationen in der Durchführung und die Rückführung zur Reprise geben den eigentlichen Spannungsreiz der klassischen Form. Nehmen wir das weg, dann bleiben gewiß noch gegensätzliche Elemente, aber die Gegensätze wirken mechanisch. Die Durchführungsteile in einer Zwölftonkomposition modulieren nicht, sie werden nur wie die Geister der Abgeschiedenen noch einmal beschworen, aber sie bleiben wie eben die Abgschiedenen [sic!] abstrakt und haben keine Kraft mehr, die in der Form pulsiert. Denn wenn Zwölftontechnik, warum dann Durchführungen, Rückführungen und Ueberleitungen, die ohne ihre tonale Funktion ihren eigentümlichen Sinn verloren haben. Klassische Form und Zwölftontechnik Ein weiterer Widerspruch sind Begleitungstypen und Figurationen. Es ist rührend anzuhören, wie Schönberg auch in seiner Zwölftontechnik immer noch gewissen Satztechniken Beethovens und Brahms’ folgt. Da hört man zerlegte Akorde [sic!] als Begleitung. Aber zum Unterschied von tonalen Akkordzerlegungen, die der funktionellen Harmonie folgen, müssen in der Reihenkomposition die Akkordzerlegungen der Reihe folgen, die in keiner Weise eine funktionelle Harmonik garantiert. So entstehen oft seltsame Verrenkungen und Gewaltsamkeiten. Klassische Form und Zwölftontechnik vertragen sich nicht. Man muß sie zwingen. Das Zwingen des Materials ist ein durchaus legitimer Vorgang. Natur wird zur Kunst gezwungen. Bei der Zwölftontechnik ist aber die Gefahr, daß die Form abstrakt als eine Art geistige Verpflichtung nachgezogen, aber nicht mehr konkret erfüllt wird. Auch der Mangel an Gegensätzen ist eine Gefahr der Zwölftontechnik. Eine Exposition klingt durch ihre komplexe Satzart bereits wie eine Durchführung, und die Durchführung, die danach folgt, hebt sich kaum mehr ab, und die Reprise ist nicht mehr als Wiederkehr der Exposition hörbar. In den Schönbergschen Werken zeigt sich, daß gerade die Sonatensätze am schwierigsten aufzufassen und vielleicht am problematischsten sind. Am ehesten gehen die Rondosätze, wie z. B. die des Violinkonzertes und des 4. Streichquartettes. In den Variationssätzen Schönbergs wird das Thema so rasch variiert, daß seine Grundgestalt kaum mehr auffaßbar ist. So etwas gibt es
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auch in den klassischen Variationssätzen, z. B. in den Goldbergvariationen von Bach, den Diabelli-Variationen und den Eroica-Variationen von Beethoven und in den Händel- und Haydn-Variationen von Brahms. Aber Bach, Beethoven und Brahms gehen, wenn das Thema sehr weit variiert ist, rasch wieder auf eine einfache Form der Variation zurück, um den Zusammenhang zu wahren. In den Schönbergschen Variationssätzen geschieht das nicht. Und so werden sie zu Musikstücken, denen zwar ein genauer Konstruktionsplan zugrunde liegt, die aber wie freie Phantasien klingen. Es wird eine Zwölftonreihe aber eher permutiert als variiert. Auch so entsteht die Gefahr des Mangels an Gegensätzen. Schönberg hat die Ausdrucksskala der musikalischen Charaktere erweitert. Die Empfindungen der klassischen und romantischen Musik, die Verklärung, das Erhabene, die Anmut, der Humor, das Kämpfen und Siegen fehlen. Trauer wird zur Verlassenheit, zur Depression, Verzweiflung schlägt in Hysterie um, Lyrik wird ein gebrochenes, glasiges Spiel, Humor wird, wie im ‚Pierrot lunaire‘, zur Groteske. Der Grundton ist der des äußersten Schmerzes. Das ist eine Bereicherung der Musik. Auf die Vokalwerke Schönbergs möchte ich besonders eingehen. Schönberg hat mit seinen Texten fast immer ‚Pech‘ gehabt. Um gleich einige Ausnahmen zu nennen: der großartige Chor ‚Friede auf Erden‘ auf das schöne Gedicht Conrad Ferdinand Meyers, ‚Ein Ueberlebender aus Warschau‘, zu dem er sich den Text selbst geschrieben hat. Die anderen Texte zu den George-Liedern, zu den Opern ‚Erwartung‘, ‚Die glückliche Hand‘, ‚Von heute auf morgen‘, ‚Moses und Aron‘ und der ‚Jakobsleiter‘ sind leider äußerst fragwürdig. Wären die Texte naiv, so wäre noch nichts verloren, aber Schönberg hat eine unglückliche Neigung zu einem eklektisch-mystischen Philosophieren. Und dies ‚Philosophieren‘ ist eine Beschädigung der genialen Musik. Was eine neue Generation damit wird anfangen können, bleibt abzuwarten. [In seiner Oper ‚Die glückliche Hand‘ kommen übri-
gens richtige Arbeiter vor. Es ist die einzige Stelle, wo in den Werken Schönbergs von Arbeitern die Rede ist. Ich zitiere aus der Bühnenanweisung: ‚Wenn der Mann ganz oben ist, geht er hinter dem Felsstück vorbei gegen die Mitte zu, bleibt stehen und betrachtet nachdenklich die Arbeiter. Ein Gedanke scheint in ihm zu werden. Er atmet schwer...‘] Es ist ein Jam-
mer, daß der Text zum ‚Pierrot lunaire‘, einer der brillantesten Kompositionen Schönbergs, eine schwache Kopie Verlaines von einem drittklassigen belgischen Poeten, Albert Giraud, ist, noch dazu übersetzt von Otto Erich Hartleben. Für Schönberg war leider die Wahl des Textes nichts Entscheidendes. Text war für ihn ein Anlaß zum Musizieren. Schönberg ist als Lehrer und Theoretiker nicht weniger bedeutend als als Komponist. Mit seinen ästhetischen Theorien können wir heute wenig anfangen; aber seine Handwerkslehre ‚Harmonie und Kontrapunkt‘ gehört seit Albrechtsberger und Simon Sechter zu den bedeutendsten Leistungen der Musiktheorie. Man muß erfahren haben, wie flach in den Musikhochschulen und Konservatorien das Musikhandwerk gelehrt wird, um die Leistung Schönbergs einzuschätzen. Seine Harmonielehre ist berühmt geworden. Eine zweibändige Lehre des Kontrapunktes, an der er bis zu seinem Tode arbeitete, ist noch nicht gedruckt. Sie wird aber, und das ist leicht vorauszusagen, zum wichtigsten Handbuch für Lehrer und Schüler werden. Leider hat er, soweit ich weiß, keine Aufzeichnungen
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seiner Analysen der klassischen Musik hinterlassen. Das ist bedauerlich. Denn so wissen nur noch seine Schüler, mit welch großer Tiefe und Originalität er die Werke Bachs, Mozarts, Beethovens, Schuberts aufzufassen wußte. Es ist wenig bekannt, daß Schönberg ein strenger konservativer Lehrer war; ‚moderne Musik‘ unterrichtete er nicht. Die Schülerarbeiten mußten in einem kontrollierbaren, tonalen Stil geschrieben werden. ‚Freiheit kann ich nicht lehren; die muß sich jeder selbst nehmen‘, war sein Grundsatz, und es gab ein Donnerwetter für den, der versuchte, einige Schönbergsche Wendungen in eine Schulaufgabe einzuschmuggeln. Die Milliarde Arbeiter und Bauern, die in den vom Kapitalismus befreiten Ländern leben, werden vorläufig mit Schönberg nichts oder nur sehr wenig anfangen können. Sie haben andere und dringlichere Aufgaben. Auf dem Gebiete der Musik ist es die Liquidierung des Musikanalphabetismus. Erst nach solcher Liquidierung und erst, wenn auch die kompliziertesten Werke der Klassiker volkstümlich geworden sind, kann Schönberg wieder neu zur Diskussion gestellt werden. Ueber das Resultat einer solchen Diskussion bin ich nicht ohne Optimismus. Wie viele seiner Werke lebendig bleiben, das weiß ich nicht; aber er wird zumindest als Verächter der Klischees gerühmt werden müssen. Die gesellschaftliche Ordnung, in die er hineingeboren war, hat er nicht verklärt und nicht beschönigt. Er hat nichts geschminkt. Er hat seiner Zeit, seiner Klasse einen Spiegel vorgehalten. Es war gar nicht schön, was man da sah. Aber es war die Wahrheit.“104
In der nächsten Nummer erschien nun unter dem Titel „TB diskutiert“ zunächst eine Erklärung der Redaktion: „Zu dem Artikel Hanns Eislers über Arnold Schönberg (TB 9/55), sind Diskussionsbeiträge pro und kontra eingetroffen. TB eröffnet eine Diskussion über Probleme der modernen Musik, die Hanns Eisler durch seinen Vortrag in der Deutschen Akademie der Künste, Berlin, eingeleitet hatte.“
Und nun folgte die inkriminierte Antwort Marcel Rubins, in der kein einziges Wort gegen Eislers Musik fiel, wohl aber zahlreiche Argumente gegen Arnold Schönbergs Zwölftonmethode angeführt wurden: „Was bedeutet uns Schönberg ? Eine Antwort an Hanns Eisler Schönberg war ein unbestechlicher künstlerischer Charakter. ‚Sein Einfluß‘, schreibt Eisler (in TB 9/1955, S. 5 bis 7) mit Recht, ‚war und ist enorm. Aus der Geschichte der Musik ist er nicht wegzudenken.‘ Damit ist aber noch nichts über die Rolle gesagt, die er in der Musikgeschichte spielt, nichts darüber, ob sein Einfluß die Musik fördert oder hemmt. Eisler antwortet oberflächlichen Kritikern, die Schönberg kurzerhand als Sohn des verfallenden Bürgertums abtun: ‚Verfall und Niedergang des Bürgertums, gewiß. Aber welch eine Abendröte!‘ Eine Abendröte? Stirbt denn die kapitalistische Gesellschaft in Schönheit, vergleichbar dem Abschied der untergehenden Sonne? Wo das untergehende
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imperialistische Bürgertum ein Licht verbreitet, ist es der Feuerschein der Kriegsbrände, die von ihm entfacht wurden. Ist es jedoch notwendig, den Niedergang des Bürgertums poetisch zu verklären, um die großen bürgerlichen Künstler dieser Epoche für die Zukunft zu retten? Wir verdanken Lenin die Erkenntnis, daß es unter den Bedingungen des Kapitalismus in jeder nationalen Kultur zwei verschiedene Kulturen gibt: die Kultur der herrschenden Klasse und ‚Elemente einer demokratischen und sozialistischen Kultur, denn es gibt in jeder Nation eine werktätige und ausgebeutete Masse, deren Lebensbedingungen unvermeidlich eine demokratische und sozialistische Ideologie erzeugen.‘ Die Musik Bartoks zum Beispiel, der sein Leben der schöpferischen Verarbeitung ungarischer Volksmusik widmete, ist reich an solchen demokratischen Elementen. Deswegen ist der ‚bürgerliche‘ Komponist Bartok in der ungarischen Volksrepublik populärer, als er es je im kapitalistischen Ungarn (oder im kapitalistischen Amerika) war. Auch bei Schönberg ist die Frage zu stellen, ob seine Musik im Kern (denn bürgerliche Schalen gibt es auch bei sozialistischen Künstlern) einer demokratischen oder einer verfallenden bürgerlichen Kultur angehört. Welche musikalische Sprache hat Schönberg geschaffen? Eisler behauptet, daß das Zwölftonsystem ‚historisch nicht unbegründet‘ aus der (chromatisch ‚zersetzten‘) Dur- und Molltonalität entstanden sei, so wie diese selbst aus den Kirchentonarten hervorgegangen ist. Besteht wirklich eine solche Analogie? Unsere Dur- und Mollskalen haben sich, wie Eisler richtig bemerkt, durch ‚eine Art Auslese‘ aus den ‚praktischsten‘ Kirchentonarten entwickelt. Aber die tonalen Systeme sind vom Zwölftonsystem durch einen Bruch in der Entwicklungslinie getrennt. Während von den altgriechischen ‚Delphischen Hymnen an Apollon‘ bis zur fein verästelten Harmonik des ‚Tristan‘ in jedem Augenblick ein Grundton feststellbar ist, auf den die anderen Töne sich beziehen und durch den sie untereinander in Beziehung treten, schafft das Zwölftonsystem den Grundton und damit die auf ihm beruhenden Beziehungen der Töne ab. Dieser Bruch in der Kontinuität der musikalischen Sprache hatte eine weitgehende Einschränkung ihrer Funktion als Verständigungsmittel zur Folge. Die Herausbildung der Dur- und Mollskalen aus den Kirchentonarten, die nicht nur die praktischsten, sondern, weil die Volksmusik sie bevorzugte, auch die volkstümlichsten waren, hat materialmäßig die Entstehung einer Musik von vorher ungeahnter Breitenwirkung ermöglicht. Die Zerschlagung der Tonalität hingegen hat die Wirkung der betroffenen Musik auf ein Publikum von bisher ungeahnter Enge beschränkt. Das ist keine fortschrittliche, keine demokratische Entwicklung der musikalischen Sprache. Und wie steht es um den Inhalt von Schönbergs Musik? Eisler schreibt hierüber: ‚Die Empfindungen der klassischen und romantischen Musik, die Verklärung, das Erhabene, die Anmut, der Humor, das Kämpfen und Siegen fehlen ... Der Grundton ist der des äußersten Schmerzes. Das ist eine Bereicherung der Musik.‘ Nein, das ist eine Verarmung. An einer anderen Stelle lobt Eisler Schönbergs Musik, weil sie (in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg) nicht triumphierte und nicht siegte, sondern ‚den Grundton der Verzweiflung‘ hatte. Hierin sieht er Schönbergs ‚Humanität, sein geschichtliches Verdienst‘.
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Ich denke an die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts, als kein Hoffnungsschimmer die Nacht der Metternichschen Reaktion erhellte. Damals komponierte Beethoven das triumphierende Lied ‚An die Freude‘, damals schrieb Schubert – der übrigens auch dem äußersten Schmerz Ausdruck zu geben verstand – die freudestrahlende C-dur-Symphonie. Und ich denke an Schönbergs älteren Zeitgenossen Mahler, den ein Maiaufmarsch der Wiener Arbeiter zum grandiosen Marschsatz seiner Dritten Symphonie anregte, und an Janacek, der fast zur selben Zeit die revolutionären Verse des Arbeiterdichters Peter Bezruc vertonte, als Schönberg nach den jämmerlichen Gedichten von Albert Giraud den ‚Pierrot Lunaire‘ schrieb. Im Dunkel der Menschheit ein Leuchtturm zu sein, und erst recht, wenn der Morgen dämmert, den neuen Tag zu gestalten –, war nicht das zu allen Zeiten das höchste Ziel der humanistischen Kunst? Gewiß, auch der künstlerische Protest gegen die Unmenschlichkeit ist human. Doch muß er dem Künstler bewußt sein und dem Publikum bewußt werden. Einen solchen bewußten Protest Schönbergs enthält nur ‚Ein Ueberlebender aus Warschau‘. Sein Lebenswerk aber drückt aus, was er selbst über die drei Sätze einer Orchesterkomposition schrieb: ‚Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe.‘ Unbekannt bleibt seinen Hörern, woher die Gefahr droht; gewiß scheint ihnen nur, daß man der Katastrophe nicht entrinnen kann. Wer nach Sonnenaufgang die Ausweglosigkeit aus der Nacht verkündet, der hilft nicht den Menschen, die zum Licht streben, sondern – unabhängig von seiner Absicht – der untergehenden herrschenden Klasse, die durch Verbreitung von Blindheit und Lähmung den Weg zum Licht unauffindbar machen möchte. Darum hat Schönberg keinen Einfluß auf die Entwicklung der Musik in den vom Kapitalismus befreiten Ländern – und nicht, weil dort, wie Eisler meint, die ‚Liquidierung des Musikanalphabetismus‘ dem Verständnis seiner Musik vorausgehen müßte. Immerhin ist in diesen Ländern die musikalische Bildung breiter und vielfach tiefer als in anderen Gegenden, wo nicht wenige Musikanalphabeten in einflußreichen kulturellen Funktionen die Zwölftonmusik propagieren und kompromittieren. Immerhin hält man auch in der sozialistischen Welt nicht erst beim ‚Albumblatt an Elise‘, sondern versteht und liebt Janacek und Bartok, Prokofjew und Schostakowitsch. Zum Unterschied von Hanns Eisler glaube ich nicht, daß die Musik Schönbergs der Gesellschaft der Zukunft etwas bedeuten wird. Denn die Kultur, der sie angehört, wird vergehen.“105
Auch in der nächsten Nummer des Tagebuch setzte sich die Diskussion (in der Rubrik „TB diskutiert“) fort: „Zu Hanns Eislers Aufsatz über Arnold Schönberg (TB 9/55) hat Marcel Rubin eine Antwort geschrieben (TB 10/55). Es folgt ein Beitrag des Komponisten und Musikkritikers Karl Heinz Füssl, womit die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist.“ „Zwölftonmusik – für und wider Als Phrynis von Lesbos, der zuerst die strengen Regeln des alten Tonsatzes verließ, mit einer neunsaitigen Kithara (statt mit der gebräuchlichen vier- oder sie105
Österreichisches Tagebuch 10 (1955), Nr. 10, 7. Mai, S. 5.
Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse
bensaitigen) in Sparta auftrat, schnitten ihm die Ephoren, die spartanischen Würdenträger, zwei Saiten ab. Die ‚Reinheit‘ der Tonkunst, durch Religion, Gesetz und Sitte festgehalten, war wieder einmal gerettet. Inzwischen sind zweieinhalb Jahrtausende vergangen. Heute ist auch die neunsaitige Kithara samt der Musik, die ihr lange noch entströmte, tot und vergessen – im Gegensatz zu den Ephoren, den ‚Aufsehern‘, die sich zu allen Zeiten der Musikgeschichte in Erinnerung gebracht haben, indem sie meinten, um der ‚Reinheit‘ der Tonkunst willen könne man dem sich stetig verändernden und entwickelnden Medium der Musik nicht genug Saiten abschneiden. Im Falle Schönberg und der Wiener Zwölftonschule ist das nicht anders. Wer sich mit der ‚Technik der zwölf aufeinanderbezogenen Töne‘ beschäftigt hat, kennt die Probleme, vor die sie ihn stellt. Die Tonalität hat in ihr, ebenso wie die von den Klassikern geprägte Form (das letztere ist ohne ersteres nicht denkbar), die organisierende Kraft verloren, und das Ordnungsprinzip der ‚ZwölftonReihe‘ vermag dies auch gar nicht zu ersetzen, da trotz den vier Grundformen der ‚Reihe‘ (Urgestalt, Umkehrung, Rückläufigkeit und Umkehrung der Rückläufigkeit), ihren Transpositionen und sonstigen zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten zwischen den Intervallen lediglich eine quantitative und keine qualitative Differenz besteht. Die Zwölftonmusik beruht auf dem Prinzip der Variation, obgleich die Variation als solche überhaupt nicht mehr hörbar in Erscheinung treten kann. ‚Alles und nichts ist Variation – denn das Variieren wird ins Material zurückverlegt und präformiert es, ehe die Komposition eigentlich anhebt. Darauf spielt Schönberg an, wenn er die strenge Zwölftonstruktur der Spätwerke seine Privatsache nennt.‘ (Theodor W. Adorno.) Der Kritiker, der diese Argumente gegen die Zwölftonmusik ins Treffen führt, rennt heute offene Türen ein. Probleme wie diese sind Schönberg selbst am wenigsten verborgen geblieben; daß er im Alter wieder zur meisterhaft gehandhabten Tonalität zurückkehrte, mag als Beweis gelten. An dieser Stelle sei ausdrücklich vermerkt, daß Schönberg als Lehrer niemals die Zwölftonkomposition unterrichtet hat, sondern seine ihm anvertrauten Jünger am Beispiel der klassischen und vorklassischen Musik schulte – zum Unterschied von so manchem unterrichtenden Komponisten, der nur die eigene Schaffensmethode für alleinseligmachend hält. Schönbergs Fähigkeit, die verborgensten Gesetze der Musik zu erkennen und Erkenntnisse an seine Schüler weiterzugeben, war ungewöhnlich groß. Die schöpferische Intelligenz des überragenden Lehrers und Komponisten hat ihm den Blick für den tragischen Widerspruch geöffnet, daß das vollendet funktionale Kunstwerk zum vollendet funktionslosen wird, da die Disposition über das Ganze die Spontaneität der Momente vertreibt, und weil ‚alles musikalisch Einzelne vom Ganzen prädeterminiert ist‘. Ein solch merkwürdiger Widerspruch mag erklären, daß sich vielleicht manchem Hörer Schönbergs die Assoziation ‚Schmerz‘ aufdrängt. Ich persönlich glaube nicht an das Vorhandensein von ‚Schmerz‘, Resignation‘ und (wie eine Gruppe französischer Komponisten behauptet) ‚Unmenschlichkeit‘ oder gar, um weiterzufolgern, an ein ‚Einverständnis mit der Unmenschlichkeit‘ in der Zwölftonmusik Schönbergs und der Wiener Schule. Mir scheint sie eher ein Protest zu sein. Ein Protest gegen etwas, das Schönberg als fragwürdig gewordene Realität
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gelten mochte, ein Protest gegen die zunehmende Verflachung und Korrumpierung künstlerischer und menschlicher Werte einer flachen, korrumpierten Gesellschaft. Die Methode, mit der Schönberg das musikalische Material formte (und die bereits in seinen frühesten Werken nachweisbar ist), unterstützt meine Annahme besser als die private Assoziation. Die Methode Schönbergs besteht in der konsequenten Anwendung eines für die Wiener Klassiker, und insbesondere für Beethoven, sehr wesentlichen Faktors: in der formbildenden ‚motivischen Arbeit‘, die das eine aus dem anderen ableitet, entwickelt und formt. Die Musik der Romantik wußte noch von ihr – die Musik der Spätromantik dagegen bewertete den sogenannten ‚melodischen Einfall an sich‘, ungleich höher als das, was man mit ihm anzufangen verstand. Die Funktion der motivischen Arbeit – die Formung und Durchdringung des musikalischen Materials – wurde vergessen. Der von seinen Zeitgenossen als ‚reaktionär‘ verschrieene Brahms war der einzige, der sich die Methode der Wiener Klassiker zu eigen machte. Die eine Hälfte des Schönbergschen Protestes besteht im damals sehr unpopulären Zurückgreifen des Schaffenden und Lehrenden auf Brahms, Beethoven und Bach – in einer Zeit, die dem exzessiven Klang mehr und mehr verfiel und dem Schönberg gerade noch entronnen war. Die andere Hälfte des Protestes bildet die Liquidierung einer zum Selbstzweck gewordenen Tonalität, die, obgleich durch die Chromatik Regers und des späten Wagner bedenklich geschwächt, dennoch von den zünftigen Nur-Theoretikern verteidigt, und von der durch Radio und Schallplatte aufblühenden Schlagerindustrie und von sonstigen, die musikalische Sprache entwertenden Massenartikeln, erhöht den Menschen ins Bewußtsein zurückgerufen wurde. Schönbergs Protest war also ein höchst bewußter Protest – kein Protest des Wortes, sondern der Tat. Der politischen Kräfte war er sich zeitlebens nie voll bewußt – die künstlerischen Kräften [!] jedoch hat er mit erstaunlicher Schärfe erkannt und mobilisiert. Ueber ästhetische Kategorien Schönberg hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Aber der Vorwurf, Arnold Schönberg und die Wiener Schule hätten mit der Tradition gebrochen, ist dennoch oberflächlich. Und wenn von vielen Seiten die Musik Schönbergs, Bergs oder Weberns als unverständlich abgelehnt wird, so machen sich hier die Sünden einer noch nicht lange zurückliegenden Vergangenheit bemerkbar, die die Musik nicht aus ihrem Material heraus zu begreifen lehrte, sondern ihr zum sogenannten ‚besseren Verständnis‘ ein literarisches Programm von äußerster Dürftigkeit unterlegte – ein Programm, das trotz seiner Eintönigkeit auf alles, und gerade dieser Eintönigkeit wegen, auf nichts paßt. An dem Eigentlichen der Musik wurde vorbeigehört. Gute Zwölftonmusik (es gibt auch schlechte Zwölftonmusik, da es keiner Methode der Welt gegeben ist, Impotenz in Potenz und Dumheit [!] in Tiefsinn zu verwandeln) ist im Grunde nicht ‚unverständlicher‘ als die Musik Beethovens. Die Gesetze der Kunst, beider Meister, sind nicht in mystisches Dunkel gehüllt, sondern intellektuell erkennbar. Aktive Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk und Sich-Informieren sind allerdings Vorbedingung.
Hanns Eisler, Marcel Rubin und die Wiener kommunistische Presse
Auch über die ‚Schönheit‘ in der Kunst ist noch manches zu sagen. Die Menschen finden die Konsonanz schön und die Dissonanz häßlich. Es ist ihr gutes Recht. Konsonanz und Dissonanz sind aber keine absoluten Größen. Was in der polyphonen Musik der Niederländer noch als Dissonanz galt, wurde bereits ein Jahrhundert später zu Konsonanz. Das Ohr verhält sich, wie jedes menschliche und tierische Organ, den variablen Bedingungen der Umwelt gegenüber rezeptiv. Jede Generation hat zunächst einmal über die Kühnheiten und scheinbaren Ungereimtheiten ihrer besten Künstler gejammert, die sie nicht begriff, da sie den Maßstab der ‚Schönheit‘ – das heißt: die Summe künstlerischer Erfahrungen, die durch Gewohnheit im nachhinein als ‚Schönheit‘ postuliert wird – an etwas anlegte, das der Erfahrung entzogen ist wie jede bedeutende Neuerung. Zwei oder drei Generationen später wurde die Kühnheit als Fortschritt gepriesen. Die Schönheit ist in der Tat ein sehr wandelbarer Begriff. Schönberg hat diesem Problem wunderbare Worte gewidmet: ‚Und es ist wirklich unbegreiflich, daß Musiker, die in immer mehr wissen als die Theoretiker, Dinge geschrieben haben, die von der Aesthetik nicht zugelassen werden. Da ist gleich dieser Mozart ... Aber dem haben es die Theoretiker auch bei Lebzeiten gesagt, was er für ein Dissonanzenjäger ist und wie er nur zu oft der Sucht unterliegt, das Unschöne zu schreiben, was er bei seinem Talent ja wirklich nicht nötig hätte. Es scheint aber doch, daß sie es nötig haben. Daß sie es nötig haben, just das zu schreiben, was dem Aesthetiker nicht gefällt, just das, was die für unschön erklären. Sonst würde man das nicht die ganze Geschichte hindurch immer wieder sehen. Wenn das aber wirklich unschön ist, wer hat dann recht? Der Aesthetiker oder der Künstler? Die Geschichte läßt keinen Zweifel darüber übrig, daß der recht hat, der immer recht haben wird: der Schaffende; selbst wenn es unschön ist. Wie verhält es sich denn mit der Schönheit? Damit ist es so: Die Schönheit gibt es erst von dem Moment an, in dem die Unproduktiven sie zu vermissen beginnen. Früher existiert sie nicht, denn der Künstler hat sie nicht notwendig. Ihm genügt die Wahrhaftigkeit. Ihm genügt es, sich ausgedrückt zu haben. Das zu sagen, was gesagt werden mußte; nach seinen Naturgesetzen. Die Naturgesetze des genialen Menschen aber sind die Gesetze der zukünftigen Menschheit. Die Auflehnung der Mediokren gegen sie ist genügend erklärt durch den Umstand, daß diese Gesetze gut sind. Die Auflehnung gegen das Gute ist im unproduktiven Menschen ein so starker Trieb, daß sie, um ihre Blöße zu bedecken, sehr dringend die Schönheit braucht, die die Genialen ihr unbeabsichtigt schenken. Aber die Schönheit, wenn sie überhaupt existiert, ist unfaßbar, denn sie ist nur dort vorhanden, wo einer, dessen Anschauungskraft allein imstande ist, sie hervorzubringen, allein durch diese Anschauungskraft sie schafft, sie jedesmal neu schafft, so oft er schafft. Mit dieser Anschauung ist sie da, sowie die zu Ende ist, hört sie wieder auf. Alles übrige ist Gerede. Die andere Schönheit, die man besitzen kann in festen Regeln und festen Formen, diese Schönheit ist die Sehnsucht der Unproduktiven. Dem Künstler genügt die Sehnsucht, aber die Mediokren wollen die Schönheit besitzen. Dennoch
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gibt sich dem Künstler die Schönheit, ohne daß er sie gewollt hat, denn er hat ja nur die Wahrhaftigkeit angestrebt.‘ Die künstlerische Wahrheit hat festeren Boden als die variablen Begriffe sogenannter ‚Verständlichkeit‘ oder ‚Schönheit‘ in der Kunst. Die künstlerische Wahrheit dient den humanistischen Zielen. Hanns Eisler hat in seinem Vortrag über Schönberg bereits ausgesprochen, daß die Humanität und das geschichtliche Verdienst Schönbergs darin zu suchen ist, daß er nicht ‚mitmachte‘, daß er ‚gegen den Strom schwamm‘. Eisler sagt: ‚Seine Musik war ungemütlich‘ – seine Zeit war es dem Feinfühligen nicht minder – ‚sie war nicht erhaben‘ – wovon hätte sie in der zeitlichen Umgebung zweier Weltkriege erhoben sein können? –, ‚sie verklärte nicht‘ – hätte sie den Verfall des Bürgertums verklären sollen? –, ‚sie triumphierte und siegte nicht‘ – wer triumphierte und siegte denn? Etwa der Mensch seiner Klasse? Marcel Rubin argumentiert in seiner ‚Antwort an Hanns Eisler‘ mit der Tatsache, daß Beethovens triumphierende IX. und Schuberts freudestrahlende VII. Symphonie in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts fällt, ‚als kein Hoffnungsschimmer die Nacht der Metternichschen Reaktion erhellte‘. Die Nacht der Metternichschen Reaktion war wohl finster, aber Beethoven und Schubert, die Repräsentanten des aufsteigenden Bürgertums, konnten sich ‚Freude‘ noch vorstellen. Im Zeitalter der Gaskammern und Todesstiegen, in das Schönberg, der Repräsentant des untergehenden Bürgertums, geboren wurde, war sie Lüge. Betrug und Selbsttäuschung. Zur Zeit Metternichs war ‚Freude‘ verdächtig – der Faschismus aber verstand sie ‚einzusetzen‘ und zu entstellen. Die Nazischlächter kultivierten die ‚Freude‘ auf ihre Art (‚Kraft durch Freude‘ war angesichts ihrer Unmenschlichkeit ein hintergründiger Hohn) – ich glaube aber nicht, daß man es dem Juden Schönberg zum Vorwurf machen kann, daß ihm sein Temperament derartige Manifestation der ‚Freude‘ auf dem Heimatboden versagte. Die Aufgabe der Kunst ist nicht, dem Menschen auf direktem Wege Erbauliches mitzuteilen. Wenn sie dies überhaupt vermöchte, so vermöchte sie es mit einigen wenigen unveränderlichen Formeln, die zu entwickeln kaum Veranlassung bestünde. Dies würde äußerste Verarmung der Kunst bedeuten. Sobald aber Kunst vom Menschen die Besinnung auf sich selbst fordert, wird sie bereichern. Sie wird im Bewußtsein des Menschen zum Spiegelbild der Realität – zur Wahrheit. Die Realität: das ist etwas, das nicht unverbindlich erzählt, sondern erlebt sein will. Die ‚Erbauung‘, welche die glatte Schönheit zu erzielen sich bemüht, wird den Menschen kaum entwickeln oder ändern. Im Gegenteil: die Schönheit um der Schönheit willen erzeugt viel mehr den fatalen Eindruck, alles in der Welt sei in bester Ordnung. Und dem galt der Protest Schönbergs. ‚Trösterin Musik!‘ ‚Schönberg hat mit seiner Musik immerhin zu verstehen gegeben, daß die Welt nicht schön war. Er hat es damit seinen Hörern und sich nicht leicht gemacht. Denn wer will schon hören, daß die Welt nicht schön ist?‘ Ich glaube, die Worte Hanns Eislers erklären die Tatsache, warum der Musik Schönbergs die Breitenwirkung bis heute versagt bleiben mußte. Aber wird es immer so sein? Das Publikum von morgen ist eben dabei, das Werk Schönbergs und der Wiener Schule zu erobern. Es ist die Jugend (und nicht nur die intellektuelle Jugend) der ganzen
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Welt. Einer meiner verehrten Lehrer (an seiner Glaubwürdigkeit ist nicht zu zweifeln, und ich stelle seinen Namen im Bedarfsfalle gern zur Verfügung!) erzählte mir, daß unter Wiener Lehrlingen eine Diskussion über die Musik der Gegenwart stattfand, deren erstaunlichstes Resultat die Tatsache war, daß sich die jugendlichen Diskussionspartner leidenschaftlich mit der Moderne auseinandergesetzt haben. Schönberg, Zwölfton-Reihe, Tonalität und Atonalität motivistische Arbeit, Kitsch und Wahrheit sind ihnen bekannte Größen. Die heutige Jugend, die nicht am Plüschsofa großgezogen wurde, hat erstaunlich hellhörige Ohren für die künstlerische Wahrheit. Sie sucht Neuland und wird es zu finden wissen – wie jeder, der ernsthaft sucht. Die Annahme Marcel Rubins, daß die Musik Schönbergs der Gesellschaft der Zukunft nichts bedeuten wird, ist durch Tatsachen in Frage gestellt. Namen, wie Schönberg oder Berg, Strawinsky oder Hindemith, Bartok, Schostakowitsch oder Prokofjew, werden vermutlich in zwei Jahrzehnten auf den Konzertprogrammen der ganzen Welt stehen. Die Gesellschaft der Zukunft, die des Arbeiters, wird sich die Moderne (Schönberg inbegriffen) ebenso unaufhaltsam erobern, wie sie sich die Kultur einer großen Vergangenheit zu eigen gemacht hat. Den Aufführungen der Werke Schönbergs, Bergs und Weberns in den sozialistischen Ländern ist heute kein kleinerer Kreis beschieden als in der westlichen Welt und als – um nur ein Beispiel zu nennen – den letzten Streichquartetten Beethovens in Ost und West. Ob der Einfluß Schönbergs die Musik fördert oder hemmt (so hat Marcel Rubin die Frage gestellt), wird von uns allen entschieden werden. Er wird fördernd wirken, sobald die Musik der Gegenwart das Erbe Schönbergs antreten wird: Meisterschaft, Unbestechlichkeit, Verantwortlichkeit. Es wird hemmen, wenn die Konstruktion zur leeren unverbindlichen Spekulation herabgewürdigt wird. Nicht die künstlerische Wahrheit sollte bekämpft werden, sondern die Lüge, die sich tagtäglich über wehrlose Menschen ergießt – zum Beispiel die Lüge in der Schlagermusik, deren saudumme Texte gern für populär gehalten werden, die aber in Wahrheit das Primat des Menschen, das Denken, systematisch untergraben. Sie geben ein Bild der Welt in Zuckerlrosa, und über diesem Scheinbild wird die Realität, die keinesfalls zuckerlrosa ist, vergessen. Nur dies erklärt die geradezu unglaubliche Beliebtheit solch öder Machwerke bei breitesten Massen. Ware dieser Art wird vom Konsumenten geliebt wie das Rauschgift vom Süchtigen, und der Produzent liebt seinerseits den Konsumenten wie der Metzger das Kalb. ‚Die Liebe höret nimmer auf‘ – ein wahrhaft fataler Kreislauf, der übrigens tadellos funktioniert. Ist für die künstlerische Wahrheit in der Welt des vorherrschenden standardisierten, korrumpierten Geschmacks kein Platz mehr? Soll man Schönberg, Berg, Webern als ‚realitätsfremd‘ ablehnen, weil heute Korrumpierung beinahe zur Realität geworden ist? Nein, und noch einmal nein. Sie sind auch 1955 noch künstlerische Wahrheit und werden es sein, so lange künstlerische Wahrheit als oberstes Gesetz jeder Kunst gilt. Und das wird – hoffe ich – immer sein.“106
In der nächsten Nummer ging die Diskussion weiter: „TB diskutiert. Zu dem Aufsatz Hanns Eislers über Arnold Schönberg (TB 9) sind Diskussionsbeiträge von 106
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Marcel Rubin (TB 10) und von Karl Heinz Füssl (TB 11) erschienen. Nach diesem Brief von Kurt Blaukopf wird die Diskussion fortgesetzt.“ „Über Arnold Schönberg und die Folgen Sehr geehrte Redaktion! Im ‚Tagebuch‘, das sich sonst nicht allzuoft mit Musik beschäftigt, lese ich nun überraschenderweise schon den dritten Artikel über Arnold Schönberg. Ich habe den Eindruck, daß es dabei gar nicht nur um Schönberg geht, sondern um den Versuch einer grundsätzlichen Orientierung. Solche Orientierung täte not. Bisher war die Auseinandersetzung (im Weltmaßstab) recht primitiv. Das, was man als ‚Osten‘ bezeichnet, schien Schönberg offiziell abzulehnen, während in den Ländern, die man dem ‚Westen‘ zurechnet, sich sehr positive Stimmen vernehmen ließen. Was gesagt wurde, war oft vom ‚Justament‘-Standpunkt bestimmt. Die Argumente griffen kaum noch ineinander. Es lohnte sich nur selten, auch nur zuzuhören. Arnold Schönberg sollte eigentlich in Oesterreich jeden interessieren, der mit Musik zu tun hat. Seine Harmonielehre (die beste, die ich kenne), seine ‚tonale‘ Musik (neben Mahlers Musik die bemerkenswerteste in Oestereich zu Beginn unseres Jahrhunderts), seine Zwölftontechnik (die umstrittenste unserer Zeit) und seine mit dieser Technik komponierten Werke – all das sollte uns angehen. Es ist ein glückliches Zeichen, daß zwei ‚Schönberg-Schüler‘ aus Wien nun unsere Hoffnung auf eine ernsthafte Erörterung all dieser Dinge genährt haben. Der in Amerika lebende Wiener Komponist Ernst Krenek (in der ‚Schweizerischen Musikzeitschrift‘, Jänner 1955) hat nach einigen pädagogischen Erfahrungen, die er in Westdeutschland machte, ein paar gutmütig warnende Worte an die ‚wildäugigen und liebenswert intoleranten Zauberlehrlinge‘ gerichtet, die sich der Methoden des Hexenmeisters Schönberg unvorsichtig bedienen. Der Wiener Komponist Hanns Eisler hat an der Deutschen Akademie der Künste (Ost-Berlin) eine kritische Würdigung Schönbergs versucht, und dieser Vortrag wurde im ‚Tagebuch‘ zum größten Teil abgedruckt. Eisler hat eine zwar knappe, doch gründliche Darlegung der inneren Widersprüche von Schönbergs Kompositionsweise gegeben. Die erste Darlegung dieser Art. Das ist respektgebietend. Denn damit könnte endlich die echte immanente Kritik an die Stelle sehr fruchtloser Invektiven und Apologien gesetzt werden. Man könnte also froh sein, daß nun sachliche Auseinandersetzung (im Weltmaßstab, bitte, und ohne jene Vorhänge, die aus dem Blech erzeugt werden, das geredet wird) wieder in den Bereich der Möglichkeit rückt. So weit, so gut. Aber nun komme ich zum eigentlichen Thema dieses Briefes. Mir ist nämlich aufgefallen, daß nicht nur die Autoren der beiden Diskussionsbeiträge, sondern zum Teil auch Hanns Eisler selbst in Vorstellungen befangen sind, die eine Klärung hindern. Ich möchte diese Vorstellungen, die mir grundsätzlich falsch erscheinen, hier skizzieren: 1. Die Begriffe ‚Inhalt‘ und ‚Form‘, die aus einer gewiß noch fragmentarischen Aesthetik der Literatur stammen, werden mit geradezu rührender Naivität auf die Musik angewendet. Eisler sagt: Inhalt = Ausdruckscharakter. Eisler spricht von der ‚Gefühlsskala des mittleren Bürgers‘. Ich gestehe, daß ich nicht weiß, was das heißen soll. Aber ich vermute, daß es Eisler schwerfallen wird, musikali-
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sche Gefühlsskalen von Bürgern (mittleren, kleinen und großen), von Bauern (vielleicht je nach der Größe des Grundbesitzes), von Arbeitern usw. anzugeben. Warum verwendet Eisler, der sich in der konkreten Analyse des Schönbergschen Kompositionssystems meisterhafter Klarheit befleißigt, solch merkwürdig rätselhafte Formeln? Ich glaube, daß er den Versuch unternimmt, das Prinzip der (angeblich marxistischen) Anwendung der literatur-ästhetischen Begriffe ‚Form‘ und ‚Inhalt‘ auf die Musik zu retten. Er verwandelt den ‚Inhalt‘ in den ‚Ausdruckscharakter‘ und meint, daß der Versuch damit gelungen wäre. Es hat sich jedoch schon herumgesprochen, daß dieser Versuch – in dieser Form zumindest – mißlingen muß. Es gibt natürlich ‚Ausdruckscharaktere‘ (oder ‚Inhalte‘, wenn man unbedingt so sagen will) auch in der Musik. Gewiß hat Mozart in seiner großen g-mollSymphonie einen ‚Ausdruckscharakter‘ angestrebt. Aber im Laufe von mehr als 150 Jahren haben die Hörer diesen Ausdruckscharakter immer wieder ganz anders verstanden. Hier ein paar Beispiele: ‚Schönheit griechischer Tempel, reglos‘ (Schumann), ‚Zartheit und Naivität‘ (Berlioz), ‚Leidenschaft‘ (Ulibischeff), ‚Falter und Glockenblumen‘ (Weingartner). Diese vier Leute, die von Mozart wahrlich etwas verstanden haben, bewunderten die genannte Symphonie, und jeder schrieb ihr einen anderen Ausdruckscharakter zu. Es ist hier nicht meine Aufgabe, diesen Widerspruch zu lösen. Aber wer sich auf den Standpunkt stellt, daß literarische Inhaltsästhetik in solcher Weise auf die Musik anwendbar ist, der wird um freundliche Aufklärung gebeten werden müssen. 2. Eisler hört in der Musik Schönbergs den ‚Grundton des Schmerzes‘. Das erscheint ihm als Bereicherung der Musik. Marcel Rubin widerlegt diese These mit den Worten: ‚Nein! Das ist eine Verarmung‘. Das ist jedenfalls eine Verarmung der Diskussion. Ich möchte sie gerne bereichern. Wenn ich mich recht erinnere, wurde der Schmerz in der Musik schon mehrmals recht erfolgreich von den Herren Gluck, Beethoven, Schubert (um nur einige zu nennen) dargestellt. Jeder hat das auf neue Art gemacht, mancher hat die Zeitgenossen damit überrascht. Mancher schmerzliche Ausdruck ist indessen für uns verblaßt – so wenn Glucks Orpheus singt ‚Ach ich habe sie verloren‘. Wir könnten uns zu dieser schönen Melodie auch einen anderen Text vorstellen. Zum Beispiel: ‚Ach, ich habe sie gefunden.‘ Solch unverschämte Streiche spielt nämlich der ‚Ausdruckscharakter‘ und der ‚Inhalt‘ der Musik den emsigen Theoretikern, die die Literaturästhetik auf die Musik anwenden wollen. Die Komponisten sind glücklicherweise nie müde geworden, immer neue Ausdrucksweisen zu suchen und zu finden. Sie haben auch neue Ausdrucksweisen für den Schmerz gefunden. Und all das soll, wie wir nun hören, eine Verarmung sein ! Man lernt nie aus... 3. Es ist ein grundlegender Irrtum, wenn die Herausbildung unseres heute geltenden Tonsystems (mit den sieben weißen und den fünf schwarzen Tasten des Klaviers) verglichen wird mit der Herausbildung der Schönbergschen Zwölftontechnik. Schönberg ändert doch an unserem Tonsystem keinen einzigen Ton! Er musiziert mit den gleichen Tönen wie Bach, Beethoven und Brahms. Man weiß auch überall in der Fachwelt, daß unser Tonsystem nicht ‚natürlich‘ ist, sondern ‚künstlich‘ – eine nützliche gesellschaftliche Konvention. Und wir wissen auch, daß dieses Tonsystem, das wir heute benützen, nie und nirgends von Anfang an
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‚volkstümlich‘ war. Marcel Rubin erklärt, daß die Dur-Moll-Skalen über die ‚Kirchentonarten‘ triumphierten, weil sie die ‚volkstümlichsten‘ waren. Dies ist eine Legende der Musikgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Sie entstand aus der gleichen hochmütigen Auffassung, der wir auch die Legende von der Existenz unserer Form der Familie und unserer Form des Eigentums seit Anbeginn der menschlichen Geschichte verdanken. Die Wissenschaft hat mit solchen Legenden längst Schluß gemacht. Sogar die Musikwissenschaft. Wer sich nicht die Mühe nehmen will, die Musik älterer Epochen aus den Quellen zu rekonstruieren, der muß nur hören, wie die Völker singen, bei denen Klavier, Tonfilm und Schallplatte die ursprüngliche Musikübung noch nicht ausgerottet haben. Der georgische Musikwissenschafter Arakischwili zum Beispiel erwähnt den in der georgischen Musik heute noch üblichen Quart-Quint-Akkord (c-f-g) und fragt (in der Zeitschrift ‚Sowjetskaja Musika‘) mit Recht: ‚Es ist doch anscheinend nichts leichter, als ein Lied mit einem Dreiklang (c-e-g) zu beginnen (und nicht mit c-f-g). Ja, was ist denn eigentlich los?‘ 4. Ja, was ist denn eigentlich los? Ich glaube, daß man zwei Begriffe aus der Literaturästhetik (Inhalt und Volkstümlichkeit) sehr voreilig und sehr unkritisch auf die Musik übertragen hat. Das mußte sich rächen. Man kann natürlich auf diesem Weg fortfahren und die Tatsachen ignorieren. 5. Die Tatsachen beweisen jedoch nicht, daß man mit Konsonanz und Dissonanz beliebig verfahren kann. Jedes Tonsystem (das georgische, das chinesische, ganz wie das unsere) hat seine eigene Tonalität, seine eigenen inneren Beziehungsgesetze. Die Quarte ist in der georgischen Musik eine Konsonanz, sie ist merkwürdigerweise in unserem, viel reichhaltigeren System eine Dissonanz. Es ist also auch nicht richtig, wenn Karl Heinz Füssl in seinem Diskussionsbeitrag meint, daß sich die Zahl der Konsonanzen vergrößert und die der Dissonanzen verkleinert. Der Prozeß ist viel komplizierter. Radikale Aenderungen des Konsonanzcharakters sind nur möglich bei einer Aenderung des Tonsystems. Jede Erweiterung des Tonsystems bringt mehr und andere Dissonanzen, mehr und andere Konsonanzen. Eine solche radikale Aenderung ist zu Beginn der Neuzeit tatsächlich in Europa erfolgt. Schönberg hat keine Aenderung vorgenommen. Er hat auch an dem Verhältnis von Konsonanz und Dissonanz in unserem System nichts ändern können. Der Komponist mag vorgeben, daß er die Beziehung von Kon- und Dissonanz ignoriert. Wir können nicht umhin, sie zu hören. 6. Von diesen Tatsachen müßte man ausgehen, wenn man beginnen wollte, Schönbergs Werk in seiner Bedeutung zu erfassen. Aber solange man nicht von den Tatsachen ausgeht, sondern sich mit der Anwendung fertiger Kategorien auf die Musikgeschichte begnügt, treibt man nicht Wissenschaft. Das ist – bestenfalls – idealistische Aesthetik im Sinne der subjektivsten philosophischen Idealisten. Vermutungen über das mögliche Echo, das Schönberg morgen oder übermorgen finden könnte, sind wenig fundiert, solange man die Entwicklungsgesetze des musikhistorischen Prozesses nicht zu verstehen sucht. Diesen Entwicklungsgesetzen war auch Schönberg unterworfen. Hanns Eislers kompositorisch-technische Analyse der Widersprüche in Schönbergs System vermag ich nicht zu kritisieren, sondern nur bewundernd zu stu-
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dieren. Hier ist der Ansatz zur Lösung der Aufgabe, die heute aktuell ist. Wenn Hanns Eisler aber einer unkritischen ‚Inhaltsästhetik‘ (siehe oben) ein ‚Hintertürl‘ öffnet, dann spazieren hier wiederum die rhetorisch vielleicht sehr effektvollen Vertreter eine verflachten Literaturästhetik ein, die ihre Legitimation auf dem Gebiet der Musik erst noch vorzulegen haben werden. Mit freundlichen Grüßen“107
In der nächsten Nummer des Tagebuch ergriff wieder Marcel Rubin das Wort, wie die Redaktion eingangs der Diskussions-Rubrik meldete: „Zu Hanns Eislers Aufsatz über Arnold Schönberg (TB 9) erschienen eine Reihe von Diskussionsbeiträgen: Marcel Rubin (TB 10), Karl Heinz Füssl (TB 11), Kurt Blaukopf (TB 12). Nun folgt eine Replik von Marcel Rubin, womit die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist.“ „Die Zurücknahme der IX. Symphonie In der Arnold-Schönberg-Diskussion geht es, weit über den Anlaß hinaus, um ästhetische Fragen von allgemeiner Bedeutung. Zunächst darum, ob die Musik auf die Empfindungen und Gedanken der Menschen einwirkt und damit deren Willensbildung und Verhalten zur Umwelt beeinflußt. ‚Um die moralische Macht der Musik klar zu zeigen‘, schrieb Aristoteles in der ‚Politik‘, ‚würde der Beweis genügen, daß sie unsere Gefühle verändern kann. Und in der Tat, sie verändert sie. Man sehe den Eindruck, den Werke so vieler Musiker auf die Hörer hervorrufen. Wer würde leugnen, daß sie die Seele begeistern? Und was ist die Begeisterung, wenn nicht eine tiefgreifende Aenderung des Denkens und Fühlens?‘ Auf diese Erkenntnis von der realen Macht der Musik gründet sich die altgriechische Lehre von ihrem ‚Ethos‘, von den verschiedenen Möglichkeiten ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Auch die Kirchenväter rechneten auf ihre Weise mit der Wirkung der Musik, als sie sich – nicht ohne heftiges Für und Wider – zur Einführung des Gesanges in den Gottesdienst entschlossen. ‚Der Gesang ist ein Mittel, um die Menschen zur Zerknirschung zu führen‘, erklärte der mittelalterliche Schriftsteller Rhabanus Maurus. Natürlich dachte er dabei an eine andere Art des Gesanges als Aristoteles. Und wieder eine neue Musik hatte der französische Revolutionär Dubouchet im Ohr, als er am 15. Jänner 1794 auf der Tribüne des Konvents ausrief: ‚Nichts ist geeigneter als patriotische Hymnen und Lieder, um die Herzen der Republikaner zu elektrisieren.‘ Diese Worte erinnern an den Ausspruch eines anderen Revolutionärs, der von der Musik (auch in den großen Formen) verlangte, sie müsse ‚dem Manne Feuer aus dem Geiste schlagen‘. Beethoven hat diese seine Forderung selbst erfüllt. Wenn also die gesellschaftliche Funktion der Musik in den verschiedensten Epochen feststellbar ist, dann scheint es mir auch notwendig, die Frage nach der gesellschaftlichen Rolle einer so markanten Künstlerpersönlichkeit wie Schönberg zu stellen. Zur Diskussion steht hierbei keineswegs die tonale Musik seiner Frühzeit, auch nicht seine Tätigkeit als Lehrer, sondern die neue Richtung, die er einem Teil der zeitgenössischen Komponisten mit seiner atonalen und Zwölftonmusik gewiesen hat. Ob diese Richtung in die Zukunft führt oder in eine 107
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Sackgasse, kann niemandem gleichgültig sein, der die Kunst und die Künstler ernst nimmt. Ein ernsthaftes Herangehen an das Problem von Schönbergs Musik ist aber nur möglich durch die Analyse ihrer objektiven Eigenschaften und ihre Konfrontierung mit der objektiven Wirklichkeit unserer Zeit. Mit einem subjektiven Bekenntnis zu Schönberg, wie Karl Heinz Füssl es unter Berufung auf ungenannte Lehrbuben ablegt, ist ebensowenig bewiesen wie mit der subjektiven Ablehnung durch Epigonen, denen die ganze Richtung nicht paßt. Ueber den Inhalt in der Musik Unter den objektiven Eigenschaften der Musik (und jeder Kunst) ist der Inhalt die entscheidende. Ohne Inhalt wird auch die Form sinnlos. Denn welche Bedeutung kann die künstlerische Gestaltung dort haben, wo es nichts zu gestalten gibt? ‚Die Kunst ist‘, wie Mussorgski schrieb, ‚ein Mittel zum Gespräch mit den Menschen und kein Selbstzweck‘. Andererseits gibt es auch keinen Inhalt ohne Form, sondern höchstens unverwirklichte, mehr oder weniger gutgemeinte Absichten. Kurt Blaukopf leugnet nun für die Musik sowohl Inhalt als auch Form und verweist beide Begriffe in das Gebiet ‚einer gewiß noch fragmentarischen Aesthetik der Literatur‘. Wenn vier verschiedene Musiker, so argumentiert er, eine Symphonie von Mozart auf vier verschiedene Arten deuten, dann ist deren Inhalt nicht erkennbar. Wenn vier verschiedene Wissenschafter, auch das wurde schon gesagt, die Entstehung des Weltalls auf vier verschiedene Arten erklären, dann kann man sie überhaupt nicht erklären. In der Philosophie nennt man diese Position den Agnostizismus. Er gilt mit Recht als wissenschaftsfeindlich. Was mag den Musikwissenschafter Blaukopf bewogen haben, seinem eigenen Metier, zumindest auf einem entscheidenden Sektor, so unfreundlich gegenüberzustehen? Bei der Bestimmung des Inhalts ist dieser zunächst vom Stoff zu unterscheiden. Der Stoff wird zum Inhalt erst dadurch, daß der Künstler ihn im Licht seiner Persönlichkeit, seiner Einstellung zur Wirklichkeit gestaltet. Da nicht nur Schriftsteller eine Weltanschauung haben, ist es also absurd, den Inhalt, die künstlerische Spiegelung einer Weltanschauung auf die Literatur beschränken zu wollen. Der Inhalt ist vielmehr eine allen Künsten gemeinsame Eigenschaft. Allerdings ist die Art, wie die Weltanschauung zum Ausdruck kommt, in den einzelnen Künsten verschieden. Der sowjetische Forscher W. Wanslow hat in einer grundlegenden Untersuchung über ‚Die Besonderheiten des Inhalts in der Musik‘ (Sowjetwissenschaft, Kunst und Literatur, 1 1953) festgestellt, daß die Musik ‚die gleiche gesellschaftlich-historische Wirklichkeit widerspiegelt wie die anderen Künste, aber durch die Erfassung besonderer Seiten dieser Wirklichkeit und mit besonderen Mitteln. Es ist nicht Sache der Musik, die Außenwelt unmittelbar widerzuspiegeln wie die Malerei oder zu beschreiben wie die Literatur. Die Musik widerspiegelt vielmehr ‚durch die Darstellung menschlicher Erlebnisse das Leben, das diese hervorgebracht hat‘. Das konkrete Leben, das hinter dem musikalischen Ausdruck von Erlebnissen steht, ist hier freilich nicht so leicht ‚schwarz auf weiß‘ – in den schwarzen Noten auf weißem Papier – nachzuweisen wie in den anderen Künsten. Manchmal gibt der Komponist, wie Beethoven in der ‚Eroica‘ oder in der ‚Pastoral-Symphonie‘, selbst einen Hinweis. Aber kann man daraus schließen,
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daß er dort, wo er seine Gedanken nicht kommentiert hat, sich nichts gedacht hätte? ‚Wenn die Zensur nur wüßte, was Sie bei Ihrer Musik denken!‘ sagte Grillparzer zu Beethoven. Nun, die Menschen wissen es, wenn es darauf ankommt. Als das ‚Dritte Reich‘ versuchte, seine Ideologie der Symphonik Beethovens zu unterschieben, scheiterte es auch in dieser Hinsicht. Die ‚Egmont‘-Ouvertüre, die V. und die IX. Symphonie waren und bleiben ein Verständigungsmittel der Völker und nicht ihrer Unterdrücker. Der Humanismus drückt sich auch musikalisch anders aus als die Barberei. Der Inhalt in Schönbergs Musik Welches ist nun der wesentliche Inhalt, die musikalisch konkretisierte Weltanschauung in der Kunst Schönbergs? Ich habe in meiner ‚Antwort an Hanns Eisler‘ (TB 10/1955) bereits darauf hingewiesen, daß sich in Schönbergs atonaler und Zwölftonmusik immer wieder (wenn auch nicht immer mit gleicher Intensität) das Grauen vor einer Katastrophe verdichtet, für die es keine Erklärung und aus der es kein Entrinnen gibt. In keinem einzigen dieser Werke widerspiegelt sich musikalisch auch nur die Hoffnung auf Befreiung, die selbst in den finstersten Kerkern des Faschismus nicht erloschen ist. Sobald in der ‚Ode an Napoleon‘, die Schönberg 1942 in den USA auf ein Gedicht von Byron komponiert hat, der Sprecher das Wort ‚Freiheit‘ ausspricht, verstummt die Musik. (Uebrigens fehlt in der gesamten Zwölftonmusik, nicht nur bei Schönberg, der Ausdruck der Freude. Hierin zeigt sich ein struktureller Mangel des Systems, der bei einer späteren Gelegenheit untersucht sei.) Eisler hört nun wohl bei Schönberg den ‚Grundton der Verzweiflung‘. Er stellt fest, daß die positiven Empfindungen der klassischen und romantischen Musik, vor allem der Ausdruck des Kämpfens und Siegens, fehlen. Aber er behauptet – und Füssl wiederholt es –, dies sei ‚die Wahrheit‘. Das Beispiel Gustav Mahlers Gewiß, die Wahrheit hat mehrere Seiten, und man kann sie von verschiedenen Standpunkten aus betrachten. Der bürgerliche Künstler wird sie anders widerspiegeln als der sozialistische. Aber auch jener wird, wenn er seine Klasse überragt, über sie hinaus sehen und über sie hinaus leben. Ich habe in meinem erwähnten Artikel die unvergänglichen Namen Bartoks und Janaceks genannt. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einiges über Gustav Mahler sagen. Es gab um die letzte Jahrhundertwende wohl keinen Künstler, der schmerzhafter als Mahler unter der Entmenschlichung der bürgerlichen Welt litt. In grandiosen Tongemälden schildert er den Untergang dieser Welt. Aber die Menschheit bleibt. Das Volkslied wird bei Mahler, ähnlich wie bei Brahms, zum musikalischen Ausdruck seines Glaubens an die Menschen. Er glaubte auch, ganz konkret, an die Arbeiterklasse, obwohl er nicht ihren Weg ging. Seine Gattin schildert in ihren Erinnerungen, wie glücklich er am 1. Mai 1905 nach Hause kam, nachdem er dem Arbeiterzug auf dem Ring begegnet war: ‚Das sind meine Brüder! Diese Menschen sind die Zukunft!‘ Und in seinem letzten vollendeten Werk, dem ‚Lied von der Erde‘, nahm er, dem ‚auf dieser Welt das Glück nicht hold war‘, Abschied mit dem unendlich rührenden Gesang von der Zukunft: ‚Die liebe Erde allüberall blüht auf im Lenz und grünt aufs neu, allüberall und ewig...‘
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Das war, vom Standpunkt eines bürgerlichen Künstlers jener Zeit gesehen, die Wahrheit. Wer propagiert die Zwölftonmusik? Schönberg hat zum Unterschied von Mahler die Oktoberrevolution und sogar den Sieg über den Faschismus erlebt. Aber seine Musik hat bis zuletzt ‚zu verstehen gegeben, daß die Welt nicht schön war‘. Eisler betont das Undankbare dieser Haltung: ‚Wer wollte schon hören, daß die Welt nicht schön ist?‘ Das stimmt für die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Das Bürgertum glaubte an die Unerschütterlichkeit seiner Welt und die Arbeiterklasse an die kommende Welt des Sozialismus. Das stimmt aber nicht mehr für die Gegenwart. Wohl hat die Arbeiterklasse heute, da sie auf weiten Teilen der Erde gesiegt hat, weniger Grund denn je, die Welt nicht schön zu finden. Auch breite Mittelschichten des Bürgertums sehen die Schönheit im Licht eines neuen Humanismus. Aber das Großbürgertum hat mit den veränderten Verhältnissen auch seine Aesthetik geändert. Es hört heute gern eine Musik, die zu verstehen gibt, daß die Welt nicht schön ist, vorausgesetzt, daß sie gleichzeitig zu verstehen gibt, die Welt könne nie wieder schön werden. Die Hoffnungslosigkeit, welche die Aufsteigenden lähmt, ist der Bundesgenosse der absteigenden Klasse geworden. Darum propagieren monopolistische Verlagsanstalten und Rundfunkstationen in der neuesten Zeit mit beträchtlichen materiellen und ideologischen Mitteln die Zwölftonmusik, neben musikalischen Eintagsmoden, die für diese Kreise den selben Zweck erfüllen. Das Geschäft ist, isoliert gesehen, gewiß unrentabel, aber im Zusammenhang mit den allgemeinen Zielen des Kapitalismus in diesen Jahren interessant. Begabte Komponisten in den bürgerlichen Ländern, die unter anderen Umständen wertvolle Bundesgenossen des Volkes werden könnten, werden in eine Sackgasse gelenkt und von den arbeitenden Menschen isoliert. (Ein Beispiel für die Methoden dieser Lenkung: Einer der bekanntesten, aber ‚normalen‘ österreichischen Komponisten, der in Westdeutschland verlegt ist, durfte in der Zeitschrift seines eigenen Verlages nicht besprochen werden, weil diese, wie man ihm bedeutete, nur der ‚Avantgarde-Musik‘ zur Verfügung stehe.) Ferner werden die zahlenmäßig kleinen, aber durch ihren Einfluß wichtigen Kreise der Intelligenz, die von der Musik der Hoffnungslosigkeit erreicht werden, in ihrem Unglauben an die Möglichkeit, die Welt zu verändern, bestärkt. Und schließlich werden die Massen, die mit einer solchen Musik nichts anzufangen wissen, eingeladen, die Knöpfe ihrer Radioapparate ein wenig weiter zu drehen und sich von Schlagern übelster Art betäuben zu lassen. So werden Zwölfton- und Schlagermusik trotz ihrer strukturellen Gegensätzlichkeit zu zwei Waffen der selben Klasse im Kampf gegen die Erkenntnis der Wirklichkeit und damit gegen deren Veränderung. Die Verneinung der Wirklichkeit Arnold Schönberg, den die Bourgeoisie an seinem Lebensabend in Amerika der Sorge überantwortete, hat sicherlich von einem anderen Schicksal seines Lebenswerkes geträumt. Aber das Schicksal dieses wie jedes Werkes hängt schließlich davon ab, wie weit und wie vollendet es, um mit Karl Marx zu sprechen, die ‚künstlerische Aneignung der Welt‘ verwirklicht. Es gibt genug Seiten dieser
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Welt, die schwarz zu sehen und zu malen sind. Auch die Darstellung des Dunkels ist eine Wiedergabe der Wirklichkeit, ein Protest, wenn sie das Licht zumindest ahnen läßt. Schönberg jedoch, der die Welt schwarz in schwarz malte, hat damit die Wahrheit des 20. Jahrhunderts nicht gezeigt. In diesem Jahrhundert hat die Menschheit es unternommen, die ‚Neunte Symphonie‘ zu erfüllen: das Lied an die Freude – das Finale ihrer Symphonie der Not, des Widerstandes und der Liebe zum Schönen auf der Welt – im Leben zu komponieren. Schönbergs Werk ist eine Verneinung dieser Wirklichkeit, eine Verneinung des Menschen, der sich befreit, eine Verneinung der befreienden Kraft der Musik. Es ist – der große Humanist Thomas Mann sagt es im ‚Doktor Faustus‘ vom Zwölftonwerk seines tragischen Helden, ‚des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn‘ –, die Zurücknahme der ‚Neunten Symphonie‘.“108
Gleich unter Rubins Replik wurde ein Leserbrief abgedruckt, der in einer anderen Zeitung erschien und auf die Diskussion im Tagebuch Bezug nahm: „Wo sie recht haben, haben sie recht Jede Veranstaltung, jeder aufgeführte Komponist, hat ein Anrecht auf objektive, nicht aber auf eine von vornherein nachsichtige Beurteilung seiner Werke, auch, wenn er ein österreichischer Komponist ist und auch wenn Kritiker österreichische Kritiker sind ... Der Kritiker soll, unserer Meinung nach, auch über österreichische Komponisten frei seine Meinung äußern dürfen, ohne befürchten zu müssen – wenn sein Urteil negativ ausfällt –, des mangelnden Patriotismus, der Fremdländerei oder des Snobismus bezichtigt zu werden. Aber er soll, was er zu sagen hat, höflich und mit Besonnenheit sagen. Das darf jeder Künstler, ob groß oder klein, von ihm erwarten. Denn schließlich gibt auch der Dilettant sein ,Bestes’ und hat Anspruch auf gewisse gesittete Umgangsformen. So zu lesen in den ‚Querschnitten‘ der ‚Oesterreichischen Furche‘, 25. Mai 1955, unter dem Titel: ‚Kritik der Kritik der Kritik...‘“109
Der letzte Diskussionsbeitrag im Tagebuch stammte schließlich von „Hans Czap, Wien V“, einem Arbeitersänger aus dem „Singverein der sozialdemokratischen Kunststelle“, den Anton Webern geleitet und mit dem er ungemein schwierige Werke der Weltliteratur einstudiert und aufgeführt hatte.110 Czap brach eine Lanze für Hanns Eislers Chöre, aber auch für die von ihm gesungene Musik Schönbergs, 108
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Österreichisches Tagebuch 10 (1955), Nr. 13, 18. Juni, S. 5f. Derselbe Artikel Rubins erschien in: Musik und Gesellschaft. Eine Monatsschrift 5 (1955), Nr. 9, September, S. 2f. [Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, Berlin, DDR]. Dort war folgender Vorspann abgedruckt: „Zu dem in ,Sinn und Form‘ veröffentlichten Artikel von Hanns Eisler über Arnold Schönberg bringen wir nachstehend eine im ,Tagebuch‘, 13/1955, Wien, abgedruckte Stellungnahme des Wiener Komponisten und Musikwissenschaftlers Dr. Marcel Rubin. Vergleichen Sie dazu auch den Aufsatz von Prof. Dr. Laux in der Juli-Nummer unserer Zeitschrift, S. 4 bis 6.“ Dieser Aufsatz ist unten, S. 269–272, abgedruckt. Österreichisches Tagebuch 10 (1955), Nr. 13, 18. Juni, S. 7. Interessanterweise fehlt in Günter Mayers Schriften-Ausgabe (Anm. 47), S. 330, jeglicher Hinweis auf das Verdikt dieses Arbeitersängers. Zu den Aktivitäten von Webern und seinem „Singverein“ siehe Hartmut Krones, Anton Webern, die „Wiener Schule“ und die Arbeiterkultur, in: Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik, hrsg. von Hartmut Krones (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Sonderband 2), Wien–Köln– Weimar 1999, S. 51–85.
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kannte aber offensichtlich nur den (noch tonalen) Chor Friede auf Erden. Sein Eintreten für die zeitgenössische Musik und für Hanns Eisler sowie insbesondere seine Ablehnung der ihm offensichtlich überflüssig erscheinenden Diskussion im Tagebuch (die Ablehnung durch einen Arbeiter!) scheint den Autoren aber trotzdem die Relativität ihrer Argumente vor Augen geführt zu haben – jedenfalls erhob sich nun keine weitere Stimme mehr. Czap schrieb: „Schönberg und die Arbeitersänger Erlauben Sie mir als ehemaligem Arbeitersänger, zu dem Artikel über Arnold Schönberg von Hanns Eisler und der darauffolgenden Diskussion einiges zu sagen. Als Arbeitersänger in dieser Bewegung länger als ein Vierteljahrhundert tätig, wurden wir nach dem ersten Weltkrieg mit Hanns Eisler und um das Jahr 1926 auch mit der Musik von Arnold Schönberg und seinem Chor ‚Friede auf Erden‘ bekannt. Dieses Werk, von dem genialen Dirigenten Anton Webern einstudiert, war für uns alle, die damals mitgetan haben, ein unvergeßliches Erlebnis. Anton Webern verstand es mit wahrer Meisterschaft und liebevollem Einführungvermögen [!], uns Arbeiter auch einem Schönberg näherzubringen. Das selbe gilt von den Chören und Liedern von Hanns Eisler. Manche von uns hatten damals die Musik der beiden Komponisten abgelehnt, weil sie die Töne dieser Musik keineswegs als angenehm empfunden haben. Die Zeit von damals war jedenfalls auch nicht jene, die man als angenehm empfinden konnte, zumal das Jahr 1934 schon seine düsteren Schatten vorausgeworfen hat. Doch wir erkannten, daß die Musik von Schönberg und Eisler die Musik unserer Zeit ist und empfanden, daß uns die Musik eines Hanns Eisler viel, ja sehr viel zu geben hat. Das Wichtigste für uns Arbeitersänger war, daß wir durch diese Musik erst richtig hören gelernt haben, und das war das große Verdienst von Anton Webern. Wahrhaftig ein weiter und steiler Weg von Josef Scheu zu Hanns Eisler und Arnold Schönberg! Ich weiß nicht, wo es heute einen Chorleiter gibt, der mit soviel Begeisterung wie ein Anton Webern etwa die Chöre eines Hanns Eisler einstudiert und pflegt und die Menschen immer wieder zur Kampfentschlossenheit hochgerissen hat. Heute kann und darf man solche Lieder von Hanns Eisler wieder singen, die als Kampfgefährten des werktätigen Menschen nicht mehr wegzudenken sind. Aber dazu nur eine Frage. Wer singt und pflegt diese Lieder und wer sind ihre Interpreten? Wo ist der Chorleiter, der es als seine Pflicht ansieht, durch diesen für die fortschrittlichen Menschen wertvollen Liederschatz auch in der Kunst ein Stück vorwärtszukommen? Vielleicht ist er unter die Kritiker gegangen, was natürlich viel leichter ist, als die Menschen direkt zur Kunst zu erziehen und zu begeistern... Weit wichtiger, als sich ‚für oder gegen Schönberg‘ zu beschäftigen, wäre, etwas mehr Augenmerk den lebenden fortschrittlichen Komponisten zuzuwenden. Einer ist es ganz besonders, der gerade unserer Jugend durch seine Lieder neue Kraft geben könnte: unser Hanns Eisler.“111
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Schließlich sei ein Kommentar des DDR-Musikwissenschaftlers und -Kritikers Karl Laux angeschlossen, der Rubins Argumenten weitgehend recht gab und somit die damals „offizielle“ Musikästhetik seines Landes widerspiegelte: „ ‚Die moderne Musik ist tot‘. In Amerika und anderswo – in der DDR feiert sie fröhliche Urständ Nach einem Eigenbericht der westdeutschen ‚Welt‘ herrscht in Musikkreisen Amerikas große Aufregung. Henry Pleasants, ein ernst zu nehmender Kritiker, hat in seinem Buch ‚Die Agonie der modernen Musik‘ erklärt, daß die sogenannte ‚moderne Musik‘ nicht modern, sondern reaktionär, unfruchtbar, tot sei. Wahre Musik sei immer schon zu Lebzeiten der Komponisten gewürdigt worden. Um den atonalen, philosophischen, psychologischen, literarischen Komponisten von heute aber kümmern sich nur die snobistischen Kritiker und eine Handvoll Leute, die sich bluffen lassen. Daraufhin entstand ein Höllenlärm. Es bildeten sich zwei Lager, die sich in Artikeln, Rundfunkdiskussionen und Briefen an die Zeitungen lebhaft bekämpften. Die Gegner Pleasants führten als Hauptargument das bekannte, u. a. von Shdanow in seiner bekannten Ansprache auf dem Kongreß der sowjetischen Komponisten zurückgewiesene Argument an, in hundert Jahren würden die heutigen Komponisten allgemein anerkannt werden, da sich das Publikum an ihre Musik gewöhnt habe. Aber eine solche Argumentation verfängt auch in Amerika nicht mehr. Vor amerikanischen Studenten hielt Ernst Toch, erfolgreicher Komponist ‚neuer‘ Musik, einen Vortrag, in dem er zu diesem Problem sagte: ‚Wir lesen in Romain Rollands Leben Beethovens: Am 7. Mai 1824 fand in Wien die erste Aufführung der Neunten Sinfonie statt. Der Erfolg war triumphal und nahm beinahe einen aufrührerischen Charakter an. Denn als Beethoven sich zeigte, empfing er fünf Runden von Applaus, während nach der strengen Etikette der Stadt nur drei Applaus-Runden dem Erscheinen der kaiserlichen Familie vorbehalten waren. Das Werk erregte frenetische Begeisterung. Leute im Publikum umarmten sich und weinten vor Rührung. Schließlich mußte die Polizei den Kundgebungen ein Ende setzen.‘ Und dieser Bericht steht lange nicht allein. Es finden sich zahlreiche ähnliche Dokumente neben den gegenteiligen, gerade wie wir es heute erleben und wie es wahrscheinlich zu allen Zeiten bleiben wird. Jedenfalls sollte uns ein solcher Bericht zu denken geben. Denn wir hören und lesen immer wieder, daß unsere großen Klassiker von seiten ihrer Zeitgenossen nur Unverständnis und Verkennen, wenn nicht ausgesprochener Verachtung begegnet sind. Der Grund dieser parteiischen, unvollständigen Berichterstattung liegt darin, daß diese Auswahl von Berichten, besonders von Zeitungskritiken, aus ausgesprochen tendenziösen, um nicht zu sagen, kommerziellen Absichten vorgenommen wird ... Der Grundgedanke, das ‚Geschäftsprinzip‘, ist einfach genug: Man hat das Genie nie verstanden. Ergo: das Genie muß unverständlich sein. Ergo: Was unverständlich ist, ist Genie. Was für eine einfache Formel! Wen kümmert es, ob sie haltbar ist oder nicht, wenn sie nur ihrem Zweck dient! Darum, junger Komponist, halte dich an die Schlauen. Sei fortschrittlich sei super-fortschrittlich, erfinde den Stil von morgen, nein besser, von übermorgen, denn wer weiß, ob der von morgen nicht schon von einem andern erfunden worden ist. Erfinde den super-
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atomischen Stil, den Mars-Stil, und, wohlgemerkt: Niemand darf einen Takt Musik verstehen, am wenigsten du selbst! Amerika steht nicht allein. Auch in anderen kapitalistischen Ländern mehren sich die Stimmen gegen die moderne, oder, wie man besser sagen würde, gegen die ‚neue‘ Musik. Man kann geradezu von einer Götzendämmerung sprechen. Sogar in Westdeutschland, das unter der strengen Diktatur einer Clique von Komponisten und Kritikern steht (die Dirigenten müssen sich ihr beugen, wenn sie Wert darauf legen, Erfolg zu haben), selbst da werden Stimmen laut, die aufhorchen lassen. So hat der Komponist und Dirigent Alois Melichar in einem Buch ‚Die Überwindung des Modernismus‘ die Behauptung aufgestellt, daß ein mit der Schönberg-Medaille ausgezeichneter Funkmusikleiter in der Tonbandaufnahme eines wüst durcheinanderspielenden Orchesters eine ‚außerordenlich [!] begabte Komposition‘ erkannt habe. Von einer Beleidigungsklage des also Angegriffenen ist nichts bekannt geworden. Diejenigen, die sich darauf berufen (mit Unrecht, wie gesagt), daß erst spätere Generationen das richtige Urteil über die Musik dieses oder jenes Komponisten fällen können, werden, was ihre Schützlinge angeht, durch das Urteil der Geschichte ad absurdum geführt. Betrachten wir etwa das Werk des Mannes, den man als den Vater des ‚Modernismus‘, besser gesagt, der ‚Neuen Musik‘ bezeichnen kann, das Werk Arnold Schönbergs. Der Münchner Kritiker K. H. Ruppel hat vor einiger Zeit in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ folgende Regel aufgestellt: ‚Alle großen geistigen und künstlerischen Veränderungen dringen von jeher erst nach einem Menschenalter ins allgemeine Bewußtsein‘. Die Musikgeschichte widerlegt diese Behauptung, sie trifft weder auf Bach noch auf Beethoven noch auf Richard Wagner zu. Aber selbst, wenn sie stimmen würde – Schönbergs ‚Drei Klavierstücke‘, opus 11, erschienen im Jahre 1909. Niemand wird behaupten wollen, daß die mit diesem Werk zweifellos eingeleitete Veränderung, besser würde man sagen: Verwirrung, ins allgemeine Bewußtsein gedrungen ist. Die Frist ist um, und Schönberg ist nach wie vor die Sache einiger weniger Parteigänger und niemals die Sache des großen Publikums und schon gar nicht die Sache des Volkes (Auf das Schönberg allerdings auch gar keinen Wert legt!). Selbst seine fanatischsten Anhänger und Zwölfton-Apostel müssen das zugeben. In der Frankfurter Allgemeinen schreibt Walther Friedländer anläßlich des 80. Geburtstages: ‚Er zählt noch immer zu den Verdrängten ... Der Skandal, den seine ersten revolutionierenden Arbeiten auslösten, gehört bereits der musikalischen Geschichte an. Und heute scheint jene Zeit noch glücklich; denn im Protest bekundete sich wenigstens die negative Beziehung zum Werk‘. Also nicht einmal mehr negative Einstellung, geschweige denn positive! Auch der Münchner Kritiker Helmut Schmidt-Garre, Protagonist unter den Kritikern im zwölftonfreudigen Lager der Münchner ‚Musica viva‘, muß unter der Überschrift ‚Schönberg ist tot‘ bekennen (im Februar 1953): ‚Wie armselig wirken daneben die Orchester-Variationen von Arnold Schönberg! Zwiespältig zwischen überhitztem Empfinden und kaltem Verstand, zwischen anspruchsvollem Wollen und mangelnder Erfindungsgabe hin und her gerissen, flüchtete Schönberg in die Rolle eines Märtyrers, der durch überhebliche und anmaßende Äußerungen zu ersetzen versuchte, was ihm an Können abging. Dabei hat selten ein Komponist solche Erfolgschancen ge-
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habt wie Schönberg: eine auf höchsten Touren laufende Propaganda, eine nahezu kritiklos wohlwollende Publizistik, eine fanatisch ergebene internationale Clique. Immer wieder wird Schönberg auf Tagungen, in Studios und Veranstaltungen für Neue Musik zur Diskussion gestellt, das normale Musikleben geht an ihm achtlos vorüber.‘ Schließlich sei an die Worte Carl Hofers erinnert, der in den ‚Erinnerungen eines Malers‘ u. a. über Schönberg sagt: ‚Im Gegensatz zur Musik Strawinskis vermag ich zum Neutönen Schönbergs mit dem Gefühl keinen Zugang zu finden, es sei denn auf dem Weg des Begreifens durch den Intellekt, wie etwa eine neue Erfindung zu begreifen ist. Käme es jedoch in den Künsten auf das Neue an, so gibt es dieser Möglichkeiten unendliche. Nach ihnen greift, wer sonst nichts zu sagen hat.‘ Schönberg tot? Nach all diesen Stimmen, die beliebig zu vermehren sind, wirkt es doppelt grotesk, wenn er – und damit die durch ihn vertretene ‚neue‘ Musik – jetzt plötzlich ausgerechnet, und zwar unter Berufung auf den ‚Neuen Kurs‘, in der Deutschen Demokratischen Republik zu neuem, wenn auch künstlichen Leben erweckt wird. Die Akademie der Künste widmete ihm zwei Veranstaltungen, in deren einer sich Hanns Eisler zu Schönberg und seinem Werk bekannte. Seine Rede wurde inzwischen in der Zeitschrift der Akademie ‚Sinn und Form‘ abgedruckt und auf diese Weise allgemein zugänglich gemacht. Es handelt sich damit nicht mehr nur um eine fachliche Diskussion, sondern um eine öffentliche Angelegenheit. Die Argumente, die Eisler vorbringt, sind zum Teil schon durch die oben gemachten Ausführungen widerlegt. Auch er operiert mit dem Argument, daß die Zeit einmal für Schönberg kommen werde, und zwar wenn der Musik-Analphabetismus bei der Milliarde von Arbeitern und Bauern liquidiert ist, die in den vom Kapitalismus befreiten Ländern leben. Eine sehr merkwürdige Ansicht über das Musikleben in der Sowjetunion und in den Volksdemokratien! Darüber hinaus leistet er Schönberg einen schlechten Dienst, wenn er dessen atonale Mittelperiode eine ‚großartige‘ Sackgasse nennt, wenn er bewundernd ausruft: ‚Welch eine Abendröte!‘ Es entspricht weiter einfach nicht den Tatsachen, wenn Eisler behauptet, Schönbergs ‚Einfluß war und ist enorm.‘ Dieser Einfluß war und ist – wie oben gezeigt wurde – immer nur auf einen kleinen, allerdings mächtigen Kreis beschränkt. In seiner durchaus verständlichen, ja lobenswerten Liebe zu seinem Lehrer läßt sich Eisler zu Behauptungen hinreißen, die schwerlich zu vertreten sind. Z. B. werde Schönberg ‚zumindest als Verächter der Klischees gerühmt werden müssen‘. Auch die Henzes und Klebes, die Erbses und Messiaens nehmen für sich in Anspruch, Verächter der Klischees zu sein. Soll man sie deshalb rühmen? Die unglückliche Wahl der Texte entschuldigt Eisler damit, daß Schönberg ‚Pech‘ gehabt habe. Für ihn sei die Wahl des Textes nichts Entscheidendes gewesen. ‚Text war für ihn ein Anlaß zum Musizieren.‘ Kann man einem Komponisten etwas Schlimmeres nachsagen, als daß er wahllos Texte vertonte, nur um Musik zu machen? An einer anderen Stelle heißt es: ‚Aber deutliche Absetzung der Genres voneinander ist notwendig, wenn wir Kunst produzieren wollen und nicht Schulaufgaben oder Bekenntnisse.‘ Ist das ein Gegensatz, Kunst und Bekenntnis, ist nicht alle große Kunst Bekenntnis, Bachs Passion, Beethovens Sin-
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fonie, Schuberts Lied? Einmal spricht Eisler vom Verhältnis Schönbergs zur Volksmusik, und er sagt: ‚Schönberg machte Volksmusik viel Spaß.‘ Kann man sich vorstellen, daß ein Schriftsteller beispielsweise von Glinka sagen könnte: die Volksmusik machte ihm ‚viel Spaß‘? Glinka hatte Ehrfurcht vor der Volksmusik. Eislers Behauptung, Schönbergs Melodik enthalte volkstümliche Elemente, war denn doch dem rührigen Schönberg-Apostel H. H. Stuckenschmidt zuviel, so sehr er sich sonst über die Rede Eislers gefreut haben mag. Übrigens gibt Stuckenschmidt in seinem Bericht für die inzwischen selig-unselig entschlafene ‚Neue Zeitung‘ unumwunden zu, daß die Musik seines Herrn und Meisters vom ‚Massengeschmack‘ abgelehnt wird, daß ihr Einfluß auf die Intellektuellen dagegen unbestreitbar sei. Hier trennen sich die Wege. Wir in der Deutschen Demokratischen Republik legen allerdings Wert – und wir befinden uns dabei in bester Gesellschaft der sowjetischen Musiker, der Musiker aus den Volksdemokratien und zahlloser Kollegen aus den Ländern des Westens – auf die Bedürfnisse der Werktätigen und nicht auf den snobistischen Geschmack eines kleinen Häufleins Intellektueller. Denn daß durchaus nicht alle Intellektuelle der Suggestion Schönbergs verfallen sind, zeigen die leeren Konzertsäle, beweist die Tatsache, daß es eine echte Schönberg-Gemeinde nicht gibt, siehe oben! Eisler behauptet, daß das Musikhandwerk in den Musikhochschulen und Konservatorien ‚flach‘ gelehrt wird. Das Wort ‚flach‘ gehört zu seinen Lieblingen, an anderer Stelle wendet er sich gegen ein ‚flaches vulgär-materialistisches Soziologisieren‘. Im Namen der Dresdner Hochschule protestiere ich gegen die Behauptung, und ich weiß, daß sein Vorwurf auch für andere Hochschulen nicht zutrifft. An unseren Hochschulen wird allerdings gelehrt, daß man die langsame stetige Entwicklung der Dur- und Moll-Tonalität nicht vergleichen kann mit der abrupten ‚Erfindung‘ des Zwölftonsystems, das eine Musik bedingt, die einer Liquidierung der Musik gleichkommt. Welches Unheil mit den Veranstaltungen der Akademie und dem Eislerschen Aufsatz angerichtet wurde, geht daraus hervor, daß nun auch die kleinen Schönbergianer nicht zurückbleiben wollten. Sie kommen zwar reichlich spät, um ein ganzes Menschenalter zu spät, wenn sie plötzlich entdecken, daß in den Klavierstücken des Opus 11 ‚auch der ungeschulte und nicht voreingenommene (!) Hörer starke Eindrücke empfangen‘ könnte (‚Die Union‘, Dresden), daß die gleiche Zeitung feststellt: ‚Was man nicht kennt, kann man nicht beurteilen‘ (Gift zum Beispiel!), daß die drei Klavierstücke ‚seelisch verfeinert‘ sind (Sächsische Neueste Nachrichten) und daß sie für uns ‚allen angedichteten (!) Schrecken‘ verloren haben. Letzteres stimmt, den Schrecken haben sie verloren, da sie – mit Ausnahme für die Dresdner ‚Wege zur neuen Musik‘ – alte und bereits tote Musik ist. Daran ändert auch Hanns Eislers menschlich so sympathischer, aber sachlich nicht gerechtfertigter Glaube an Schönberg nichts.“112
Laux’ Artikel sowie der Nachdruck von Rubins zweitem Diskussionsbeitrag in Musik und Gesellschaft veranlaßten dann die Sektion Musik in der Deutschen Akademie der Künste, im November-Heft von Musik und Gesellschaft (S. 362f.) eine 112
Musik und Gesellschaft 5 (1955), Nr. 7, S. 212–214 [4–6], zit. nach Grabs (Anm. 103), S. 215ff.
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Erklärung zu publizieren, „an der Eisler wahrscheinlich mitgearbeitet hat“113. Hier lautet es u. a.: „Über die Bedeutung des Schaffens Arnold Schönbergs herrscht noch keineswegs Klarheit. Einerseits kennt ihn ein großer Teil der heutigen Jugend nur vom Hörensagen, andererseits wird ein zweifelhafter Kult mit ihm getrieben, wobei äußere Merkmale seiner Kompositionsmethode übernommen werden und als Deckmantel für musikalischen Unfug dienen. Nur selten findet man die notwendige Ehrfurcht vor der schöpferischen Größe des Komponisten und Menschen Arnold Schönberg. Die Mitglieder der Sektion Musik der Deutschen Akademie der Künste bekennen sich, bei aller Verschiedenheit nach geistiger Herkunft und Geschmacksrichtung, einmütig zu dieser Ehrfurcht. [...] Nicht zuletzt hat der Umstand, daß das Mitglied der ehemaligen preußischen Akademie der Künste, Arnold Schönberg, seinerzeit durch die Willkür des Naziregimes vertrieben wurde, die Deutsche Akademie der Künste veranlaßt, des verstorbenen Meisters anläßlich seines 80. Geburtstages ehrenvoll zu gedenken. Mögen folgende Worte aus Schönbergs Mund erneut bekräftigen, wie sehr er unsere Achtung und Liebe verdient: ‚Traurig ist nur, daß die Vorstellung: Heute darf man alles schreiben, so viele junge Leute davon abhält, erst etwas Anständiges zu lernen, die Werke der Klassiker zu verstehen, Kultur zu erwerben. [...].“
Seinen eigenen Entwurf einer Stellungnahme („An Stelle einer Antwort“), eine Zitatmontage, in der er Rubins Aussagen zu Schönberg einigen Sätzen aus dessen Besprechung von Edmund Eyslers Die goldene Meisterin gegenüberstellte, hat Eisler zwar an die Redaktion der Zeitschrift Österreichisches Tagebuch abgesandt, doch druckte diese den Beitrag (wohl auch wegen dessen chaotischem, kaum zu redigierendem Äußeren) nicht ab.114 VII. Ein später, wenngleich nur indirekter Berührungspunkt der beiden Komponisten ergab sich durch Rubins Mitarbeit an dem von Karl Schönewolf im Ostberliner Henschel-Verlag herausgegebenen Konzertführer. Mit Datum 1. Dezember 1954 erging an Rubin ein Schreiben Schönewolfs, in dem der Komponist zur Mitarbeit an dem ersten, „nur Orchestermusik“ umfassenden Band eingeladen wurde. Schönewolf legte auch ein „Exposé“ bei, „aus dem Sie Näheres ersehen können“. Bezüglich der Musik Österreichs hatten Georg Knepler „und andere Kollegen“ bereits einige Abschnitte übernommen, Rubin sollte etwa zwei bis zweieinhalb Schreibmaschinenseiten über Franz Schmidt beisteuern. „Ferner über die zeitgenössische Musik Österreichs etwa 5 – 6 Schreibmaschinenseiten [...]. Ein besonderes Problem wäre der ,Fall‘ Schönberg und seines Anhangs an Zwölftönern, mit dem man sich objektiv auseinandersetzen müsste. 113
114
Günter Mayer, [Kommentar zu Eislers Schönberg-Vortrag], in: ders. (Hg.), Hanns Eisler • Musik und Politik. Schriften • 1948–1962 (Anm. 47), S. 330. Diesem Kommentar (S. 330f.) sind auch die im folgenden zitierten Passagen der „Erklärung“ entnommen. Diese Stellungnahme ist auf S. 186 als Faksimile abgebildet.
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Dafür könnte ich Ihnen ebenfalls 5 – 6 Schreibmaschinenseiten zur Verfügung stellen. Unsere Bestrebungen nach einer realistischen Musik sind Ihnen bekannt. Sie bestimmen auch die Linie unseres Buches.“115
Rubin antwortete am 12. März 1955 (er hatte den Brief verlegt) und bat Schönewolf, „mit der Heranziehung des einen oder anderen Mitarbeiters einverstanden zu sein“, da ihm vor allem das Kapitel Franz Schmidt nicht liege. Schließlich teilte er nach Schönewolfs Zustimmung am 28. März 1955 mit, daß er die Arbeit „zwischen meinem Kollegen Karl Heinz Füssl (dem Musikkritiker des ,Abend‘) und mir aufgeteilt“ habe, und ergänzte am 4. April, daß (da Georg Knepler seine Zusage zur Mitarbeit zurückgezogen hatte) zudem Kurt Blaukopf für das Kapitel „die symphonische Orchestermusik in Österreich von 1871–1918“ gewonnen wurde. Füssl werde die Kapitel „Klassische Wiener Walzer“ sowie „Schönberg und sein Kreis“ verfassen. Am 22. Juni lieferte Rubin das Kapitel über die zeitgenössische österreichische Musik, während Füssl und Blaukopf säumig waren – Blaukopf allerdings, weil ihm „Prof. Harry Goldschmidt bei einem Zusammentreffen in der Schweiz“ erklärt habe, der Konzertführer werde umgestaltet und die Arbeit sei daher nicht dringend. Nach Aufklärung dieses Mißverständnisses sandte Blaukopf seinen Artikel im Dezember 1955 ein, Rubin verfaßte dann den Artikel über Schönberg und seine Schule selbst und übersandte ihn am 18. Dezember 1955. Am 24. Jänner 1955 folgten ein Absatz über Friedrich Wildgans sowie „einige Zeilen über Ernst Krenek und Egon Wellesz, die man doch dem Schönberg-Artikel anfügen sollte, obwohl beide nicht mehr Österreicher sind“,
und schließlich lieferte auch Füssl seinen Walzer-Artikel. Einen interessanten Vorschlag Schönewolfs zu Rubins Artikel über Schönberg entnehmen wir dessen Brief vom 13. Jänner 1956: „Dem Abschnitt, der sich mit der Analyse der Werke Schönbergs beschäftigt, möchte ich eine besondere Überschrift geben: ,Der Weg in die Katastrophe‘ (oder in die Einsamkeit oder die Isolierung)? Bitte entscheiden Sie. Ich bin der Meinung, daß man das Moment der Isolierung in Ihrem Artikel hervorheben sollte. Denn inhaltlich kennzeichnen Sie ihn ausgezeichnet.“
Rubin schlug daraufhin „Der Weg in die Isolierung“ vor, worauf in den Briefen längere Zeit keine inhaltlichen Überlegungen stattfanden, sondern lediglich das Problem der Honorierung, da laut Schönewolf (21. Juni 1956) „der Devisenverkehr unseres Landes mit bürgerlichen Ländern (zumal Österreich) eben umständlich“ war. Am 30. September ergänzte Rubin seinen Artikel über die zeitgenössische österreichische Musik noch durch einen Absatz über Marco Frank, und schließlich wurde auch das Problem der Honorar-Überweisung gelöst. – Am 18. November
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Die Briefe Schönewolfs sowie die Durchschläge der Briefe Rubins befinden sich (aus dem Nachlaß Marcel Rubins) derzeit im Archiv Hartmut Krones.
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1958 erging an Rubin der erste Band des „Konzertbuches“116, der sich „mit den früheren musikgeschichtlichen Perioden der Orchestermusik befaßt“, und zwar mit der Frage, ob Rubin Lust und Gelegenheit hätte, „über unser neues und wohl auch neuartiges ,Konzertbuch‘ in dortigen Publikationsorganen und Fachzeitschriften“ zu schreiben. Am 4. August 1959 folgte die Bitte, die nun schon älteren Artikel für den zweiten Band „auf den neuesten Stand zu bringen“, und in einem (in Rubins Nachlaß nicht erhaltenen) Anhang teilte Schönewolf Rubin mit, daß Hanns Eisler zu Rubins Schönberg-Artikel ein Vorwort geschrieben habe. Rubins diesbezügliche Antwort war folgende: „Was endlich Ihre im PS gemachte Mitteilung betrifft, dass Herr Prof. Eisler zu meinem Artikel über die Schönberg-Schule ein Vorwort geschrieben hat, dem nun die von mir verfasste Einleitung zum Opfer fallen soll, so dürfen Sie mein Einverständnis mit diesem recht ungewöhnlichen Vorschlag schon deshalb nicht erwarten, weil ich das neue Vorwort noch nicht kenne.“
Schönewolf antwortete postwendend, daß er sich falsch ausgedrückt habe. Eisler würde kein Vorwort zu Rubins Schönberg-Artikel schreiben („der unverändert bleibt“), sondern eine „Stellungnahme des früheren Schönberg-Schülers und weltbekannten Komponisten Hanns Eisler zum Problem Schönberg. Dazu scheint mir niemand besser berufen als der Marxist, Schönberg-Schüler und Komponist Hanns Eisler. Ich bin sehr froh, daß Prof. Eisler meinem Wunsche entsprochen hat. Seine Ausführungen stammen aus einem Vortrag, den er zum 80. Geburtstag Schönbergs in der Deutschen Akademie der Künste gehalten hatte und der 1955 in der literarischen Monatsschrift ,Sinn und Form‘ veröffentlicht worden war. Daraus stellte mir Hanns Eisler kürzlich einen Auszug zur Verfügung. Eislers meisterlich formulierte, prinzipielle Schönberg-Analyse ist zwar unabhängig von Ihrer Arbeit, stimmt aber inhaltlich im Wesentlichen mit dieser überein. Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen einen Durchschlag zuschicken, falls Sie den Artikel nicht selbst schon in ,Sinn und Form‘ gelesen haben.“
Offensichtlich hatte sich die Kontroverse im Österreichischen Tagebuch nicht bis zu Karl Schönewolf durchgesporchen. Rubin jedenfalls führte die erbetenen Korrekturen und Zusätze (sowie kleine Streichungen) durch und korrigierte im August und September 1960 die ihm zugeschickten Druckfahnen des Konzertführers, der dann Anfang 1961 erschien.117 Eislers Artikel über Schönberg begann gleich mit dem nur leicht veränderten (vormaligen) zweiten Absatz: 116
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Konzertbuch. Orchestermusik. Erster Teil. 17. bis 19. Jahrhundert, hrsg. von Karl Schönewolf, Berlin 1958 (2. Auflage 1961). In diesem Band befindet sich der Artikel Wiener Walzer von Karl Heinz Füssl (S. 604–612), ergänzt durch Einschübe „Über das Tänzerische“ von Hanns Berger. Konzertbuch. Orchestermusik. Zweiter Teil. 19. bis 20. Jahrhundert, hrsg. von Karl Schönewolf, Berlin 1961. In diesem Band befinden sich die Artikel „Österreich“ samt „Gustav Mahler“ von Kurt Blaukopf (S. 251–268), „Österreich“ (S. 777–786) samt „Arnold Schönberg“ und „Schüler Schönbergs“ (S. 786–794) von Marcel Rubin sowie „Hanns Eisler über Schönberg“ (S. 794–801).
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„Es sollte uns nicht genügen, nur Musiksoziologie zu betreiben; sie müßte ergänzt werden durch die Anwendung der materialistischen Dialektik auch auf die widerspruchsvolle Entwicklung des musikalischen Materials. Das Aufkommen und Absterben, das Verbrauchtsein und das Werden des musikalischen Materials in den gesellschaftlich bedingten musikalischen Stilen mit ihren wechselnden Funktionen wäre in einer Dialektik der Musik zu untersuchen, wenn wir nicht in ein flaches, vulgär-materialistisches Soziologisieren verfallen wollen. Ich sage das, weil in dem wenigen, das ich über Schönberg zu berichten habe, seine Methode der Materialbehandlung, seine eigentümliche Kompositionstechnik besonders berücksichtigt werden wird. Wenn ich dabei oft Form und Inhalt zum Zweck der Untersuchung trenne, so folge ich nur der Eigentümlichkeit der Musik Schönbergs, in der Form und Inhalt oft in scharfem Widerspruch stehen ... Über die Jugendwerke, die ,Gurrelieder‘, ,Verklärte Nacht‘ ,Pelleas und Melisande‘, wäre hier nur zu sagen, daß sie der Beweis eines jungen Genies sind. [...].“ 118
VIII. Ein Jahr später, am 6. September 1962, starb Hanns Eisler. Er hatte am 8. Februar 1960 in Wien einen Herzinfarkt erlitten, der ihn monatelang in seiner Heimatstadt verbleiben ließ, war Anfang 1961 zur Erholung noch einmal nach Österreich gefahren, doch schließlich hatte er sich wieder vehement in die Arbeit gestürzt, die ihm dann eine erneute Herzattacke eintrug. Der zu Beginn dieses Beitrags auszugsweise zitierte Nachruf in der Volksstimme, der wohl aus der Feder von Marcel Rubin stammt, unterstrich neben den musikalischen Verdiensten des Verschiedenen insbesondere auch sein Wiener Ambiente sowie sein Engagement für Arme und Entrechtete: „[...] In Wien, wo die Familie in den bescheidensten Verhältnissen lebte – es gab kein Geld für den Musikunterricht und nicht einmal ein Klavier – begann Hanns Eisler sehr früh zu komponieren und fand den Weg in die Arbeiterklasse. Sein Oratorium ,Gegen den Krieg‘, nach Texten von Li Tai Pe, entstand währebnd des ersten Weltkrieges. Für seine musikalische Entwicklung wurde sein Lehrer Arnold Schönberg entscheidend, dessen Meisterschüler er bis 1923 war. [...] 1933 aus Hitler-Deutschland vertrieben, war Hanns Eisler wieder kurze Zeit in Wien und ging dann nach Amerika, um auf einer Tournee Geld für Flüchtlinge zu sammeln. Eine New Yorker Universität bot ihm einen Lehrstuhl für Musiktheorie und Komposition an. 1937 war er in Spanien. Dort entstanden seine Lieder für die Internationalen Brigaden. Bis 1947, als ihn die berüchtigte ‚unamerikanische Kommission‘ verhaften ließ, lebte er in Amerika [...]. Aus den USA deportiert, kam Hanns Eisler nach Wien, wo er mit dem Neuen Theater in der Scala eng zusammenarbeitete. [...].“119
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Ebenda S. 794f. Die hier gekürzten Passagen sind in dem ersten Zitat dieses Beitrags enthalten.
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Einen Tag später folgte ein bewegender Nachruf von Ernst Fischer, der mittlerweile mit Eislers zweiter Frau Louise verheiratet war: „In memoriam Hanns Eisler Der große Komponist, der unersetzliche Freund Hanns Eisler ist tot. Wieviel wir Freunde verloren haben, ist uns schmerzlich bewußt; was aber der Mitwelt verlorenging, wird erst die Nachwelt ermessen. Es wird nicht anders sein als mit Bertolt Brecht, dessen Ruhm über alle Grenzen wuchs, als der Tod ihn der Mitwelt nahm, sein Werk der Nachwelt übergab. [...]. Der Lebende hat von solchem Ruhm nur einen Hauch verspürt; als nach der Erstaufführung der ,Deutschen Symphonie‘ in Berlin die Zuhörer sich schweigend von ihren Sitzen erhoben, als der Londoner Rundfunk dieses gewaltige Werk übernahm, als Paris den Komponisten feierte. Daß Wien, seine Vaterstadt, ihn geflissentlich ignorierte, entspricht der Lokaltradition. Keine Gasse trägt hier den Namen Freud oder Schönberg, Musil oder Kafka oder Karl Kraus, kein Theater hat hier Brecht zu spielen gewagt, zum Unterschied von allen großen Städten der Welt, und dieser Gepflogenheit folgend, hielt keine Musikgesellschaft, kein Orchester, kein Dirigent es für „opportun“, ein Werk Hanns Eislers aufzuführen. (Doch nein: in der Ersten Republik hat der Leiter der sozialdemokratischen Kunststelle Josef David Bach den Wiener Arbeitern diese revolutionäre Musik nicht vorenthalten. Anton Webern war der Dirigent.) In der Zweiten Republik war der Lebende verfemt. Vor mir liegen handschriftliche Notizen des Freundes aus der Zeit, da er für das ,Theater in der Scala‘ die Musik zu Nestroys ,Höllenangst‘ schrieb: ,Am meisten Schwierigkeiten machte mir die Ouverture. Die hielt ich in einer Art Mozart-Stil, und das ist nicht leicht zu treffen – diese klassische Balance der Tonart. Unsere Ohren sind nicht mehr so ferne Reife gewöhnt. Dieses Wien, die Jugendstadt, versetzt einen in eine katzenjämmerliche Stimmung. Erinnerungen überfallen einen an jeder Straßenecke und machen einen schwach. Dieses: O hätt’ ich doch damals usw. ladet zur Melancholie ein, aber der zartgraue Vorfrühling läßt sie nicht recht aufkommen...‘. Der aus der Emigration Zurückgekehrte, aus den USA vom McCarthy-Komitee Verjagte ging von Wien nach Berlin in die Deutsche Demokratische Republik. Ein paar Wiener Jounalisten wußten von Hanns Eisler nicht mehr zu sagen, als daß er die neue deutsche Nationalhymne komponierte, und dies in einem Ton, als hätten sie ihn auf frischer Tat ertappt. Hanns Eisler ist ungleich mehr als der Komponist dieser Hymne, aber auch sie, kein aufgeblähtes ,Deutschland, Deutschland, über alles!‘, kein Schwertgeklirr und Wogenprall, ist das Beispiel eines deutschen Liedes nach 1945, mit den Worten ,Aus Ruinen auferstanden...‘ von Johannes R. Becher und seiner zurückhaltenden, nachdenklichen, aus Trauer in Hoffnung übergehenden Musik. Es ist, als weise der Stil, der Tonfall dieser Hymne mahnend in die Zukunft, als seien Dichtung und Musik bemüht, an der Erziehung einer Nation mitzuwirken. Die Arbeiter aller Länder kennen das Lied vom Klassenkampf, das Lied von der Einheitsfront, das ,Solidaritätslied‘. So großartig diese Massenlieder, diese revolutionären Volkslieder sind, stellen sie doch nur einen kleinen Teil des großen Werkes dar, das Eisler uns hinterließ. In seiner Musik, der vielfach noch unbekannten, ungehörten, ist unser Jahrhundert mit all seinen Widersprüchen ge-
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genwärtig: das Einsame und das Kollektive, das Unruhige und das Kräftige, die Klage und der Zorn, der Zweifel und die Zuversicht. Es ist moderne, das heißt der Lebensweise unseres Zeitalters gemäße Musik, und eben darum nicht Nachahmung, sondern Fortsetzung der großen Meister. Diese Musik dient nicht der Harmonisierung von Gegensätzen, nicht der Berauschung oder Beruhigung; sie will beunruhigen, sie fordert den Hörer auf, an den großen Veränderungen der Welt teilzunehmen. Wie sein Freund Brecht war Eisler bemüht, den Hörer durch seine Kunst zu überzeugen, daß nichts so bleibt, wie es ist. Das Parasitäre, Schwelgerische, nur der sentimentalen Verdauung, nicht der revolutionären Veränderung Dienende wurde von dieser Kunst energisch abgelehnt. Sie ist keine Kunst für ,perfekte Konsumenten‘, sondern für Menschen, die ,Produktivität jeder Art‘, wie Brecht formuliert, als ,Quelle aller Vergnügung und Sittlichkeit‘ empfinden. Es geht nicht darum, Gefühle in unbestimmte Erregung zu versetzen, sondern Gefühle sind für Eisler wie für Brecht die Glockenstränge, die zu ergreifen es gilt, um die Glocke des Bewußtseins zum Tönen zu bringen. Nicht Verdunkelung des Gemüts, sondern Aufklärung des Intellekts wird angestrebt. Die Musik Eislers ist nicht zu Ende, wenn der letzte Ton verhallt; sie wirkt nach, sie fordert auf, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, zu ihrer Veränderung beizutragen. In dieser Musik verschmilzt die große klassische Tradition mit neuen und kühnen Ausdrucksformen, die Absage an romantische Selbstbefriedigung mit der Bejahung des proletarischen Klassenkampfes. Hanns Eisler ist der klassische Musiker der modernen Arbeiterbewegung. Nichts war diesem großen Künstler fremder, als von sich selbst zu sprechen, in der Musik sein Ich darzustellen. [...] Der eigenwillige Meisterschüler wurde von Schönberg zum Prinzip der Größe erzogen, zu Strenge, Präzision, Kompromißlosigkeit; doch was er von seinem Lehrer nicht übernahm, war die Hysterie, der Aufschrei der Verzweiflung, die wilde Stimmung des Untergangs. Denn sein größerer Lehrer war der Oktober 1917; von ihm lernte er, jeder Erschütterung standzuhalten, auch in schwersten Zeiten das Bekenntnis zum Sozialismus nicht preiszugeben. Seine immer engere Verbundenheit mit der revolutionären Arbeiterbewegung führte, so hat er selbst berichtet, ,zu einem Konflikt mit meinem Lehrer Arnold Schönberg, der solche Tätigkeit mißbilligte.‘ Wie jeder große Künstler entwuchs er dem Lehrer, ohne ihn jemals zu verleugnen. Er hat in seiner Musik Schönberg ,aufgehoben‘, also zugleich bewahrt und überwunden. Das Erstaunlichste an dieser reichen, in ihrer enormen Spannweite noch nicht gewürdigten Musik ist die Anmut, die Zartheit, die scheinbare Schwerelosigkeit, mit der das Schwierigste ausgedrückt wird. Was in der Weltliteratur Stendhal, scheint mir in der Weltmusik Eisler zu sein [...]. Als er begann, zu seinem auch als Dichtung hervorragenden Textbuch ,Johann Faustus‘ die leider niemals vollendete Musik zu schreiben, spielte er mir eine ,Lamentatio Fausti‘ vor; als er zu einer Stelle kam, an der die strenge, die bittre Musik plötzlich so durchscheinend wurde wie eine dünne Haut, die das Pochen des Bluts verrät, brach er ab und fragte: ,Ist das nicht zu gefällig? ‘ Ich meinte, daß an dieser Stelle der romantische Hauch keineswegs störe. Am nächsten Tag war die Stelle ins Spröde, Verhaltene abgeändert. Der Komponist hatte das Gefühl, die erste Fassung sei
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,pappig‘ gewesen; man dürfe solchen Stimmungen des Augenblicks nicht nachgeben. Dann aber, neben all der Trauer, der Anklage, der Dunkelheit, wieviel leichte Kraft, wieviel schwebende Heiterkeit in den Fragmenten dieses Meisterwerks! Es wäre in der Fülle seiner Motive, der Mannigfaltigkeit der Thematik vielleicht zu einer deutschen ,Zauberflöte‘ geworden; welch ein Verlust, daß es unvollendet blieb! Doch halten wir uns an den Reichtum des Vollendeten! Wer jemals die ,Deutsche Symphonie‘ vernahm, zu Texten von Brecht die ungeheure Anklage gegen Hitler-Deutschland: ,O Deutschland, bleiche Mutter!‘, kann diese Stimmen der Trauer, des Schmerzes, des Widerstandes nie vergessen. Oder die ,Lenin-Kantate‘, welche der Trauer der Arbeiterklasse den durchaus neuen Ausdruck verlieh; nichts erinnert an religiöses Requiem oder barockes Oratorium; doch auch das Pathos der ,Eroica‘ der bürgerlich-demokratischen Revolution entspricht nicht dem Wesen Lenins; und jeden romantischen Überschwang galt es entschieden fernzuhalten. Ein neuer Stil war geboten und wurde gefunden: kunstvolle Einfachheit, sparsame Präzision, unpathetische Gebärde, die weit in die Zukunft weist, nicht ,Tod und Verklärung‘, Auferstehung und Himmelfahrt, sondern das diesseitige Weiterleben Lenins in der Arbeiterklasse. Oder die ,Weißbrot-Kantate‘, die ,Teppichweber‘, das Helle, das Heitre, das Unverwölkte, mit dem die Revolte gegen soziale Ungerechtigkeit und das Bekenntnis zum Sozialismus gestaltet wird! Oder ein so kompliziertes, mit unvergleichlicher Meisterschaft konstruiertes Opus wie ,Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben‘. Oder die herrlichen fünf Orchesterstücke, die zauberhaft schöne Kammermusik. Und schließlich, welche Lieder, welche Reinigung des Liedhaften von neoromantischem Pomp und sentimentaler Verquollenheit. Seit Schubert, Schumann und Brahms gab es keinen so vollkommenen Liederkomponisten. Die Fülle dieses Lebenswerkes ist nun der Obhut nicht nur der Arbeiterklasse, sondern aller Menschen übergeben, denen Kunst mehr ist als Phrase, mehr als ein zu nichts verpflichtendes Genußmittel. Wir haben den Freund verloren. Seine Musik wird die Welt gewinnen.“120
Freitag, den 30. November 1962, fand dann um 19.30 Uhr im „Arbeiterklub Wieden“ (Gußhausstraße 14/3) ein „Gedenkkonzert auf Schallplatten“ mit verbindenden Worten von Heinz Hollitscher statt (Abbildung 7): „HANNS EISLER. Komponist der Arbeiterklasse.“
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Volksstimme 18 (1962), 9. September, S. 6.
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Abbildung 7: 30. November 1962: „Gedenkkonzert auf Schallplatten“ im Arbeiterklub Wieden.
WOLFGANG GLÜCK / PETER DEEG
17 Uhr: Besuch von Eislers. Sachen dagelassen Gespräch über einen Komponisten ohne Heimat Wolfgang Glück war zur Zeit des Wiener Eisler-Kongresses (Dezember 2003) Professor für Regie an dem Institut „Filmakademie“ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Auf dem Kongreß hielt er ein Referat über die Begegnungen und die Freundschaft mit Hanns Eisler seit 1948. – Das Gespräch mit Peter Deeg wiederholt im wesentlichen die Inhalte des damaligen Referates. Peter Deeg: In den Bunge-Gesprächen berichtet Hanns Eisler von seinen und Brechts Besuchen bei dem Hollywood-Schauspieler Paul Henreid,1 wobei er dessen „sehr nette Frau“ besonders hervorhebt.2 In Brechts Journal erfährt man Genaueres: „Der Wiener Schauspieler Henreid hat hier eine schnelle Filmkarriere gemacht, und wir aßen in seinem neuen Haus, einem geräumigen Gebäude im Cottagestil. Seine Frau [ist] die Tochter des Kunsthistorikers Glück, dessen Breughelausgabe ich um die ganze Welt mitschleppte“.3 – Die Verbindung der Familie Glück zu dem Kreis um Brecht und Eisler reicht demnach bis ins Exiljahr 1942… Wolfgang Glück: Man kann das sogar noch weiter zurückverfolgen, bis zur Berliner Zeit meines Onkels Gustl,4 der ein enger Freund von Walter Benjamin war und Brecht schon in der Weimarer Republik persönlich kannte. Benjamin hat ihn in einer seiner Schriften portraitiert.5 Er war von Beruf Bankdirektor, aber wohl auch sehr links eingestellt, ein sehr intelligenter Mann, der Englisch, Französisch und Spanisch geredet hat wie Deutsch, und eine sehr hohe Stellung in der Bank hatte. In seinen Briefen nach Hause ermahnte er damals meinen Vater, er solle nicht vorschnell über Brecht urteilen und vor allem erst einmal das Kapital lesen, ehe er sich zu bestimmten Themen äußere. Als mein Onkel dann später, Mitte der 1960er Jahre, in den Vorstand der Dresdner Bank nach Frankfurt berufen wurde, begann dort 1 2 3 4 5
Paul Henreid (1905–1992), geboren als Paul Georg Julius Freiherr von Hernried, Ritter von WaselWaldingau. Er ist heute vor allem für seine Darstellung des Viktor Lázló in Casablanca berühmt. Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht! Übertragen und erläutert von Hans Bunge (= Hanns Eisler, Gesammelte Werke, Serie III, Bd. 7), Leipzig 1975, S. 47–48. Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (= GBFA), Bd. XXVII, S. 139. Gustav Glück (Junior, 1902–1973), Bankkaufmann, Freund Walter Benjamins. Siehe auch Anm. 5. Walter Benjamin schrieb im Oktober 1931 an Gerhard Scholem: „Mein nächster Umgang ist seit ungefähr einem Jahr Gustav Glück, Direktor der Auslandsabteilung der Reichskreditgesellschaft, von dem Du eine Art Porträtabriß – cum grano salis zu verstehen – in dem Destruktiven Charakter findest, den ich Dir übersandte.“ Siehe Walter Benjamin, Briefe, 6 Bände, Frankfurt am Main 1995, S. 542, sowie ders., Der destruktive Charakter, in: Gesammelte Schriften IV.1, S. 396–398.
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Wolfgang Glück / Peter Deeg
die Freundschaft mit Adorno, den er vorher wohl nicht persönlich gekannt hatte, aber da sie beide früher mit Benjamin befreundet waren, konnten sie da natürlich anknüpfen. Diese ganze Verflechtung meiner Familie mit Leuten wie Brecht, Benjamin, Adorno, Arnold Zweig, Karl Kraus, aber auch Eisler ist eigentlich etwas ganz Seltsames … Die Familie Glück PD: Beginnen wir bei Ihrem Großvater Gustav Glück,6 auf dessen Standardwerk über Peter Brueghel den Älteren sich Brecht bekanntlich mehrfach berufen hat.7 WG: Brecht hat mir das Buch später in Berlin gezeigt, da hatte er es immer noch in seinem Besitz.8 – Mein Großvater war durch etliche Jahrzehnte Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, daher überhaupt diese ganze BrueghelGeschichte. Er hat den Brueghel damals eigentlich „entdeckt“ und überhaupt erst so groß gemacht, wie er heute ist, zunächst innerhalb der Sammlung dort, und dann auch in der ganzen Welt. Einmal kam ein Brief aus Amerika, den ich auch irgendwo hier noch habe, adressiert an „Gustav Glück, Europa“ – und der ist angekommen bei meinem Großvater, denn er war damals wirklich weltberühmt. 1938, nach dem „Anschluß“ Österreichs, bekam er einen anderen Brief, der ebenfalls im Nachlaß erhalten ist: „Ab 1. Mai 1938 wird ihre Pension nicht mehr ausgezahlt. Heil Hitler!“, ohne Angabe des Grundes. Unsere Familie galt damals als „halbjüdisch“, wir waren also „Mischlinge“. Meine Großeltern gingen dann nach London in die Emigration, wo die Lisl bereits war… PD: Das ist Lisl Henreid,9 Ihre Tante? WG: Ja, sie war die jüngste der drei Geschwister. Ihre Brüder waren mein Vater Franz Glück10 und mein Onkel Gustl, sie war das Nesthäkchen. Die Lisl hat sehr jung geheiratet, zunächst den Wiener Schauspieler Anton Edthofer, mit dem sie dann auch nach Berlin gegangen ist, wo er gastierte. Ich nehme nicht an, daß der Gustl damals seine kleine Schwester in den Kreis um Benjamin und Brecht mitgenommen hat, sie war keine 20, und Edthofer war über 40, als sie geheiratet haben. Also das konnte nicht gutgehen, und sie haben sich nach ein paar Jahren scheiden lassen. Danach hat sie sich verliebt in diesen jungen hübschen, zunächst wenig 6 7
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Gustav Glück (Senior, 1871–1952), Kunsthistoriker und Museumsdirektor. Vgl. die Texte Verfremdungstechnik in den erzählenden Bildern des älteren Breughel und V-Effekte in einigen Bildern des älteren Breughel, in: GBFA XXII, S. 270–273. Die Namensvarianten Breughel und Brueghel wurden (neben weiteren Schreibweisen) vom Maler selbst uneinheitlich verwendet, die heute gebräuchliche Schreibweise lautet (anders als bei Glück und Brecht) Brueghel. In Brechts Nachlaßbibliothek befinden sich zwei Bände Brueghels Gemälde, hrsg. von Gustav Glück, Wien 1932. Anfang 1937 schrieb Margarete Steffin an Walter Benjamin, Brecht habe „einen BruegelBand [sic] zu Weihnachten geschenkt bekommen“. Dagegen verzeichnet Brecht Ende 1939 in einer Liste seiner Besitztümer bereits „2 Bände Breughelbilder“ (GBFA XXVI, S. 359). Lisl (Elisabeth) Henreid, geb. Glück (1908–1993). Franz Glück (1899–1981), Schriftsteller, Literatur- und Kunsthistoriker, Verlags- und zuletzt Museumsdirektor.
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erfolgreichen Schauspieler Paul von Hernried.11 Und der hatte das Glück, daß er in London eine Filmrolle bekommen hat, das war im Jahr 1936. Sie kamen dort in die Filmindustrie, und so konnten sie 1938 meine Großeltern nach London holen, und später nach Hollywood bzw. Santa Monica, wo Gustav und Else Glück12 dann bis zu ihrem Tod gelebt haben. PD: In Hollywood gab es mehrere Verbindungslinien zwischen den Henreids und den Eislers. So spielte Paul Henreid 1945 die Hauptrolle in dem Piratenfilm The Spanish Main, zu dem Eisler die Musik komponierte.13 Und als 1946/1947 die Verhöre des Ausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten einsetzten, findet man Ihre Tante Lisl als „Mrs. Paul Henreid“ auf dem Briefkopf des Unterstützerkomitees für Hanns Eisler.14 WG: Ja, die Henreids kannten in Hollywood eine Menge Leute, sie waren oft bei Salka Viertel zu diesen berühmten Nachmittagen eingeladen,15 sie waren mit Chaplin befreundet, usw. Es gab sicher genügend Berührungspunkte auch mit den Eislers. PD: Als Hanns und Lou Eisler im Jahr 1948 nach Wien kamen, begann die enge Freundschaft mit Ihren Eltern, Franz und Hilde Glück.16 Diese verfügten über einen völlig anderen Hintergrund als die Hollywood-Emigranten, denn sie hatten die gesamte Nazizeit in Wien verbracht. Wie war es dazu gekommen? WG: Mein Vater hat im Jahr 1938 für uns drei ebenfalls Visa nach England beantragt und auch bekommen. Das hab ich allerdings erst nachträglich erfahren, als ich die Unterlagen im Nachlaß meiner Eltern gefunden habe. Außerdem ist er nach Zürich gereist, nach Amsterdam, nach Paris und London und hat versucht, bei den verschiedenen Verlegern, die er durch seine Tätigkeit beim Verlag Anton Schroll & Co. sehr gut kannte, unterzukommen und irgendwo eine sichere Anstellung zu finden. Aber das ist ihm nicht gelungen. Und der Besitzer des Verlages Schroll in Wien, für den mein Vater bis 1938 als Prokurist gearbeitet hat, war Heinrich Reisser, ein Anti-Nazi, und der hat meinen Vater – was ich damals nicht wußte – „schwarz“ beschäftigt und auch bezahlt. Die beiden hatten beschlossen, daß sie später, wenn die Nazizeit vorüber wäre, den Verlag Schroll miteinander wieder aufbauen und wieder zu dem großen Kunstverlag machen würden, der er gewesen war. Da gibt es Verlagspläne bis ins Detail, die sie miteinander in den Jahren der Nazis ausgearbeitet haben. Tätigkeit in geistigen Berufen war „Mischlingen“ verbo11 12 13 14 15
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Paul von Hernried = Paul Henreid. Siehe Anm. 1. Else Glück, geb. Schönthan Edle von Pernwald (1877–1965). The Spanisch Main (USA 1945), Regie: Frank Borzage; späterer deutscher Verleihtitel: Die Seeteufel von Cartagena. Akademie der Künste, Berlin (AdK), Hanns-Eisler-Archiv (HEA), Signatur 6364. Zu Salka Viertel (1889–1978) siehe Katharina Prager, „Ich bin nicht gone Hollywood!“ Salka Viertel – Ein Leben in Theater und Film, Wien 2007, sowie Salka Viertel, Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films, Hamburg und Düsseldorf 1970. Hilde Glück, geb. Jäger (1903–1989).
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ten, mein Vater hat also „illegal“ weitergearbeitet, zum Teil auch für andere Verlage, er hat Kunstbücher aus dem Italienischen übersetzt und alles Mögliche. – Vor allem aber hat er täglich Bücher gekauft und getauscht, um seine Bibliothek zu vermehren, von der er sich auch nicht trennen wollte. Ich habe festgestellt, daß er in späteren Jahren im Schnitt täglich sieben Bücher nach Haus gebracht hat. So kam also diese große Bibliothek zustande, die heute im Literaturarchiv Marbach erhalten ist, als „Bibliothek Glück“.17 PD: War Ihr Vater politisch ähnlich orientiert wie sein Bruder Gustl? WG: Er war jedenfalls immer links eingestellt. Für meinen Vater spielte Karl Kraus eine ungeheure Rolle, er hat schon mit 15 begeistert die Fackel gelesen, und meine Eltern sind schon als ganz junge Leute in jede Vorlesung von Kraus gegangen. Und im Jahr 1933, bei der Beerdigung von Adolf Loos,18 wurden sie dem Kraus dann auch persönlich vorgestellt, durch Ludwig Münz,19 der bereits mit meinem Großvater befreundet war und später der wichtigste Freund meines Vaters wurde. Durch ihn kamen meine Eltern in den engeren Kreis um Kraus, zu dem man ja nicht ohne weiteres vordringen konnte. Und so kamen diese Nächte, wo ich dann als kleiner Bub ängstlich gewartet habe, weil meine Eltern nicht zu Hause waren, sondern mit Kraus bis 4 Uhr früh im Kaffeehaus gesessen sind. – Nach dem Dollfuß-Mord 1934 hat Kraus dann diese für viele unverständliche Haltung eingenommen. Die Sozialisten waren verboten, es wurde ein parafaschistisches System in Österreich installiert, das sich sehr an Mussolini orientiert hat. Der Kraus hat das verteidigt. Er wollte unter keinen Umständen einen Anschluß an Deutschland, sondern „Österreich muß Österreich bleiben“ – selbst mit den hiesigen Faschisten! Eher linke Leute wie Ludwig Münz oder mein Vater, aber auch Berthold Viertel und andere, die fanden das schrecklich, es wurde heftig diskutiert, und mein Vater war da mitten drin. Und 1935 gab es dann den Bruch mit Kraus, den endgültigen. Ich hab aber trotzdem die einzige Kindervorlesung besucht, die Kraus je gehalten hat, im Februar 1936, da war ich mit meiner Mutter, und war auch in der Pause beim „Onkel Kraus“. Aber das ist alles in der Kraus-Ausstellung zu sehen gewesen, auch mein Brief, den ich mit sechs Jahren an ihn geschrieben habe: „Lieber Onkel Kraus“ usw. Es war für meinen Vater einer der vielen Schicksalsschläge, die er empfangen hat, daß Kraus gestorben ist, im Juni 1936, ohne daß sie sich wieder versöhnt hatten. – Also Kraus, das war Teil meiner Kindheit und vor allem Teil des Schicksals meines Vaters. Er hat sich ja auch schriftstellerisch an ihm orientiert, er hat sehr früh angefangen, Glossen zu schreiben, Kritiken zu schreiben, in der Wiener Zeitung und in der Frankfurter Zeitung, deren Feuilleton damals sehr berühmt 17
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Siehe hierzu Jutta Bendt, Die Bibliothek Glück. Vorstellung einer Wiener Sammlung. Mit Titelkarten auf Mikrofiche als Beilage (= Deutsches Literaturarchiv. Verzeichnisse – Berichte – Informationen, Bd. 20, hrsg. von der Deutschen Schillergesellschaft), Marbach am Neckar 1998. Adolf Loos (1970–1933), Architekt und Architekturtheoretiker, enger Freund Arnold Schönbergs. Ludwig Münz (1889–1957), Kunstwissenschaftler mit bedeutenden Publikationen über Adolf Loos, Rembrandt sowie Goethes Zeichnungen und Radierungen.
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war. Das hat er immer am Abend und in den Nächten gemacht. Wenn er nicht im Verlag oder bei Kraus war, hat er geschrieben, und so hab ich, meine ich, eigentlich viel zu wenig von meinem Vater gehabt. Überleben in Wien 1938–1945 PD: Beim „Anschluß“ Österreichs an Nazi-Deutschland waren Sie acht Jahre alt. 20 Wie haben Sie und Ihre Eltern die folgenden sieben Jahre in Wien erlebt und überlebt? WG: Ich habe neulich im Radio eine Sendung mit dem inzwischen verstorbenen Philosophen Ralf Dahrendorf gehört, wir waren derselbe Jahrgang. Er war beim Jungvolk, das war ich nicht, der Redakteur hat ihn gefragt: Wie war das eigentlich, wenn Sie in der Schule diese Sachen gesungen haben, zum Beispiel: „Heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt!“ – und das hab ich natürlich auch gesungen in der Schule. Und gleichzeitig hat man, Dahrendorf wie ich, zu Hause die Sorgen der Eltern mitbekommen, man hat gespürt, daß sie verzweifelt waren über das, was da vorgeht, über die ersten Kriegserfolge in Polen, Frankreich usw. Wir haben bis Stalingrad, also bis 1942, eigentlich immer geglaubt, daß wir es nicht überleben werden. Am Anfang haben meine Eltern das wohl von mir ferngehalten. Aber nach und nach hab ich doch kapiert, wie meine Eltern „dagegen“ sind. Ich war die ganze Zeit über in der Schule, im Akademischen Gymnasium, das ein hoher SS-Mann geleitet hat, der in schwarzer Uniform dort auf und ab marschiert ist. – Ich hab damals unheimlich viel gelesen, zuerst alles von Karl May, aber auch anderes, sehr viel Scott und sehr viel Stifter, denn mein Vater war ja auch ein StifterForscher und hat mir sehr viele Bücher geschenkt. Dann habe ich ungefähr 1943 ein sogenanntes Detektorradio geschenkt bekommen, so ein Radio ohne Strom, mit einem Kristall, auf dem man mit einem Draht herumprobieren mußte und Sender bekommen hat in den Kopfhörer. Und ich habe dann bald Routine darin gehabt, in der Nacht heimlich BBC zu hören: „Hier ist London – bum bum bum buuuum – mit seiner Sendung für Österreich“ – und da wurde mir doch vieles klar, über die Politik und die Weltgeschichte, da war ich 13 und wußte dann schon einiges. Aber selbst im englischen Sender wurde damals nicht gesagt: Es gibt da ein KZ in Auschwitz, wo jetzt Hunderttausende oder Millionen umgebracht werden. Wahrscheinlich hätte es auch niemand geglaubt, in den Sendungen für Österreich und für Deutschland. Ich weiß nicht, was meinen Eltern damals über diese Sachen schon bekannt war. PD: Ihre Familie hat damals aber nicht illegal in Wien gelebt? WG: Nein, und das ist ja das Unbegreifliche. Wir lebten wie zuvor in dem Haus, das meiner Großmutter gehört hat, die selbst sogenannte „Halbjüdin“ war. Als ich später Billy Wilder kennenlernte, hat er mir meine Geschichte zuerst nicht geglaubt. 20
Wolfgang Glück wurde am 25. September 1929 in Wien geboren.
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Daß wir das überlebt haben, in Wien, auf der Landstraßer Hauptstraße 140, das konnte er sich nicht vorstellen. Er hat vermutet, da steckt was dahinter, zuerst. Dann haben wir uns so angefreundet, daß er es mir doch geglaubt hat. Aber seine Frau Audrey denkt wahrscheinlich heute noch, in Österreich müssen alle Dagebliebenen Nazis gewesen sein. PD: Am Ende des Krieges waren Sie 15. Wie haben Sie diesen gewaltigen historischen Einschnitt in Erinnerung behalten? WG: Wir waren zuerst einfach unbeschreiblich glücklich. Dieser Eindruck, daß wir den Nationalsozialismus jetzt tatsächlich überlebt hatten, das war das ganz große Glücksgefühl in der ersten Zeit. Und es war klar: Jetzt bauen wir eine neue Welt, in der es nie wieder Faschismus geben wird und nie wieder Rassismus. Das war damals unsere sichere Hoffnung. Das hat sich dann leider relativ schnell gewendet, schon allein durch die Not. Der Winter 1947/1948 war ja vom Hungern her der schlimmste, schlimmer noch als die Kriegswinter, die waren durch die Bomben und die Kriegshandlungen furchtbar, aber von der Not her waren die Nachkriegswinter bis 1948 die schlimmsten. Und das hat natürlich auch diesen Aufbaurausch sehr gedämpft. Und dann kam auch schon der Kalte Krieg, in Deutschland nicht anders als in Österreich – es entstand wirklich das Gefühl eines bevorstehenden dritten Weltkriegs. Problemfall Remigration PD: Wie schnell war es Ihnen nach 1945 möglich, mit den emigrierten Mitgliedern Ihrer Familie wieder in Verbindung zu treten? WG: Der Kontakt ist zunächst über amerikanische Besatzungsleute gegangen. Da gibt es diesen ersten Brief von meinen Großeltern, daß sie leben, das war noch im Jahr 1945. Dieser Brief wurde uns von einem amerikanischen Leutnant überbracht, der ein Freund von Paul und Lisl Henreid war. Und dann war ja bald die Post wieder möglich, allerdings mit Zensur. PD: Bei Eisler kam der Kontakt nach Wien erst in den letzten Wochen des Jahres 1945 zustande, ebenfalls über einen amerikanische Offizier.21 WG: Ich glaube ja, daß viele Emigranten, z. B. auch Korngold,22 der eine musikalische Gegenfigur zu Eisler war, der aber auch in Hollywood gesessen ist, nach 1945 gar nicht so schnell nach Wien zurück wollten. Korngold hat damals bekanntlich für etliche Filme, auch mit Paul Henreid, die Musik gemacht, er stand auch mit Schönberg recht gut, denn Korngolds Frau und die Frau von Schönberg, Gertrud, waren Jugendfreundinnen gewesen. Ob Eisler den Korngold näher gekannt hat, das weiß ich nicht, eher flüchtig. Ich glaube, daß ein großer Teil der Emigranten nicht 21 22
Vgl. Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil (= Eisler-Studien, Band 2), Wiesbaden u. a. 2006, S. 46. Der Komponist Erich Wolfgang Korngold (1897–1957).
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zurück wollte, denn erstens wußten sie, wie elend das Leben hier immer noch war, und zweitens, daß es Nazis hier gegeben hat. Auch mein Großvater hat gesagt, er kann nicht zurückkommen, denn was soll er tun, wenn er hier über die Ringstraße geht, und ihm so ein ehemaliger Nazi über den Weg läuft? Er kann ihn nicht ohrfeigen, er ist ein alter Mann, was soll er machen? Er kam auch nicht mehr zurück. – Dann gab es diese Einladungen der österreichischen Regierung. Ernst Fischer war der Unterrichtsminister für die KPÖ,23 und in Wien war Matejka der kommunistische Stadtrat für Kultur.24 Und diese beiden haben Einladungen an die bedeutenden österreichischen Emigranten geschickt, sie sollen doch bitte zurückkommen und helfen beim Wiederaufbau Österreichs. Diese Einladung hat Eisler gekriegt,25 auch Korngold. Aber sie sind eben nicht gleich nach Wien zurück „gestürzt“, denn sie hatten ja eine ziemlich gute Position in Hollywood, zumindest der Korngold, aber auch der Eisler, der doch ganz gut dort gelebt hat. Während es andere gab, darunter viele Schauspieler, die sofort zurückkamen, lieber hier sofort alles verziehen und vergessen haben und sich wieder eingliedern wollten. Aber zu denen hat der Eisler nicht gehört. Als sie dann doch (in Zeiten des Kalten Krieges) kamen, war es zu spät. PD: Sie haben Fischer und Matejka erwähnt. Standen Ihre Eltern mit diesen beiden nach 1945 in persönlichem Kontakt? WG: Ja, zunächst vor allem mit Matejka. Nun war es so: 1945 war der Verlagsleiter Heinrich Reisser, dieser Freund meines Vaters, in den letzten Monaten des Krieges desertiert und ist in Wien in seiner Wohnung gesessen, wo er die Russen als Befreier erwartet hat. Und die verstanden das nicht, sie fanden in seinem Schrank seine Offiziersuniform – und haben ihn erschossen. Damit war der ganze Plan für den Verlag Schroll, den mein Vater mit Reisser ausgearbeitet hatte, zu Ende. Denn die Erben wollten das nicht. Mein Vater hat den Verlag dann noch zwei Jahre als Direktor geleitet, aber er konnte die Idee nicht durchsetzen. Er verließ den Verlag und war erst einmal arbeitslos. Und jetzt kommt das, was ich auch sehr wichtig finde, weil es Eisler betrifft und auch Korngold, daß nämlich die Zurückkehrenden, und vor allem die verspätet Zurückkehrenden, in eine Stadt kamen, wo die Posten zum Großteil wieder besetzt waren, teilweise mit Nazis oder Halbnazis, die wieder zugelassen wurden, teilweise auch mit höchst anständigen nachgekommenen Menschen. Und die zurückkehrenden Emigranten haben gesagt: Ja, wieso ruft man uns dann zurück, vor zwei, drei Jahren haben wir doch noch diesen Brief von Fischer und Matejka gekriegt. Aber inzwischen war zum Beispiel die Leitung der Musikakademie bereits vergeben, die Professorenstellen waren weg. Und umgekehrt haben die in Wien Gebliebenen gesagt: Jetzt kommen die Emigranten daher und wollen uns das wieder wegnehmen. Und das ist ein ganz wesentliches Thema, das meines 23 24 25
Ernst Fischer (1899–1972), Schriftsteller und Politiker. Er heiratete 1955 Louise Eisler. Viktor Matejka (1901–1993), Schriftsteller und KPÖ-Kulturpolitiker. Vgl. Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 21), S. 48.
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Erachtens noch nicht ausreichend geschildert worden ist. Das betrifft den Korngold genauso wie Hanns Eisler. Natürlich waren die dann wütend und haben gesagt: Wir kommen jetzt aus der Emigration zurück, und dann wollt Ihr uns nicht – Ihr seid ja doch alle Nazis. Oder Ludwig Münz, um noch einmal auf diese wichtige Figur zu kommen, ist in England ziemlich erbärmlich durchgekommen als Kunsthistoriker (obwohl er immerhin zwei bedeutende Rembrandt-Bücher gemacht hat).26 Als er aus dem Exil zurückkam und mein Vater sich um ihn bemüht hat, blieb dann, daß er Leiter der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste werden konnte. Das war eine vergleichsweise bescheidene Position im Rahmen des österreichischen Museumswesens. Franz Glück selbst ist 1948 von Matejka und Körner27 zum Leiter des Historischen Museums der Stadt Wien berufen worden. Begegnungen mit Erwin Ratz – und Brecht PD: Anfang April 1948 trafen Hanns und Lou Eisler in Wien ein. Können Sie rekonstruieren, wie die Eislers damals mit Ihren Eltern in Kontakt gekommen sind? WG: Das ging sicher über Erwin Ratz,28 der ja eine ganz wichtige Figur war, obwohl auch er an der Musikakademie nie eine wirkliche Position gekriegt hat. Er war mit Friedrich Wildgans29 befreundet, der damals Kommunist oder zumindest Linkssozialist gewesen ist und mit Matejka zusammengearbeitet hat.30 PD: Für Eisler war Ratz sicher eine der ersten Anlaufstellen in Wien, denn die beiden waren seit ihrer Schülerzeit bei Schönberg eng befreundet.31 Aber woher kam die Verbindung Ihrer Eltern zu Erwin Ratz? WG: Ratz kannte ich zunächst als den Bäcker, zu dem ich den ganzen Krieg über jede Woche gekommen bin, und bei dem ich immer einen Sack Brot und Semmeln holen durfte. Zu Fuß bin ich da hin gegangen, in die Favoritenstraße 46. Und ich hab dort manchmal Anton Webern gesehen, der ebenfalls kam und bei Ratz sein Brot geholt hat. Das war also noch in der Nazizeit. Und ich bin dann als Schulbub schon viel ins Konzert gegangen; zusammen mit Michael Hinterstrasser, der damals mein bester Freund war, hatten wir Wege gefunden, wie wir über Stiegen und Sei26 27 28
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Ludwig Münz (Hg.), Rembrandt’s Etchings: Reproductions of the Whole Original Etched Work , 2 Bände, London 1952. Theodor Körner (1973–1957) war für die SPÖ ab 1945 Bürgermeister von Wien und ab 1951 der erste direkt gewählte österreichische Bundespräsident. Erwin Ratz (1898–1973), Schüler Arnold Schönbergs, Lehrbeauftragter für Formenlehre an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst sowie Verfasser der Einführung in die Formenlehre, Wien 1951. Siehe Johannes Kretz, Erwin Ratz. Leben und Wirken, Frankfurt am Main 1996. Friedrich Wildgans (1913–1965), Sohn des Dichters Anton Wildgans, Klarinettist und Komponist, veranstaltete 1936–1938 zusammen mit Marcel Rubin die Konzertreihe „Musik der Gegenwart“, war 1949–1961 Präsident der österreichischen Sektion der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ und unterrichtete Tonsatz an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst. Vgl. Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 21), S. 93. Erwin Ratz hat zahlreiche Klavierauszüge von Eislers Kompositionen angefertigt und bis 1938 fast alle Druckausgaben und Aufführungsmaterialien von Eislers Werken eingerichtet. Während der Nazizeit verwahrte er einen umfangreichen Bestand von Eislers Notenmanuskripten in seiner Bäckerei.
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tenaufgänge im Konzerthaus und im Musikverein in die Konzerte gehen konnten, ohne Karten zu haben. Also ich war 1943 und 1944 fast jeden Abend im Konzert. Erwin Ratz hat dann auch versucht, mir die Harmonielehre von Schönberg zu erklären, ich bekam auch diesen schönen Band von ihm geschenkt.32 Ich konnte nicht Klavier spielen, aber mich hat das alles sehr interessiert. Ratz hat mir 1943 ausführlich über Schönberg und Mahler erzählt, da war ich 14. Das war ja alles verboten. Ich war dann in der allerersten Mahler-Aufführung, die es wieder gab, 1945 schon im Juni, die hab ich natürlich miterlebt, im Konzerthaus.33 Ich war damals wahnsinnig begeistert über alles, was sich da getan hat. Und das hat der Ratz natürlich gewußt, denn er war sehr eng befreundet mit unserer Familie, mit meiner Mutter und mit meinem Vater. Ratz war sicher auch die Verbindungsfigur zu Eisler. PD: Aber vorher haben Sie noch Brecht getroffen … WG: Ja, das habe ich schon oft erzählt. Eine sehr wohlhabende Bekannte meiner Mutter lebte in der Schweiz. Und gleich nach 1945 hat die Tochter dieser Bekannten uns geschrieben und angefangen, Pakete zu schicken. Pakete waren ja überhaupt das A und O damals. Und dann hat diese sehr nette Schweizerin vorgeschlagen, daß ich doch nach Zürich kommen soll, um dort auf ihre Kosten ein Semester Theaterwissenschaft zu studieren, was ich schon in Wien begonnen hatte. Ich fuhr also nach Zürich – und das hat natürlich geheißen: Schokolade, zum ersten Mal Orangen usw. Man kann sich nicht vorstellen, was das 1948 für ein Leben war, im Vergleich zu diesem schrecklichen Winter in Wien. Und an der Universität in Zürich hab ich nach einiger Zeit die Tochter von Carl Zuckmayer kennengelernt, die Winnetou34, mit der ich noch heute befreundet bin. Und weil ich immerfort nur vom Theater geredet habe, hat sie gesagt: „Du, ich kann im Schauspielhaus auf die Proben gehen, weil mein Vater doch mit dem Brecht befreundet ist.“ Da liefen also gerade die Proben für den Puntila, für die Uraufführung am 5. Juni 1948.35 Brecht hatte keine Arbeitserlaubnis, deshalb stand dort „Regie: Kurt Hirschfeld“, aber heute weiß man, daß es der Brecht selbst inszeniert hat – wofür ich ein lebender Zeuge bin, und die Winnetou natürlich auch. Und da habe ich den Brecht auch kennengelernt, und irgendwann hab ich dann zu ihm gesagt: Ich bin von der Lisl Glück der Neffe. Und da hat er gesagt: Aha, und die Helene Weigel hat gesagt: Wollen Sie nicht einmal zu uns kommen? Und es gibt einen Brief, den ich noch besitze, wo die Heli Weigel mich einlädt für den Sonntag, ich glaube Anfang Juli 32 33 34 35
Arnold Schönberg, Harmonielehre, Leipzig–Wien 11911, 31922. Mahlers 1. Symphonie wurde am 3. und 6. Juni 1945 im Wiener Konzerthaus durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Robert Fanta aufgeführt. Maria Winnetou Zuckmayer-Guttenbrunner, geb. 1926. Das Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti hatte Brecht 1940 in Finnland in Zusammenarbeit mit Hella Wuolijoki, Margarete Steffin und Ruth Berlau geschrieben. Es wurde für die Züricher Aufführung auf neun Bilder gekürzt und unter dem Titel Herr Puntila und sein Knecht angekündigt. Mitwirkende waren u. a. Leonard Steckel, Gustav Knuth, Therese Giehse, Blandine Ebinger und Regine Lutz. Die Musik stammte von Paul Dessau. 1955 schrieb Eisler eine neue Musik für den von der Wien-Film am Rosenhügel produzierten Puntila-Film (Regie: Alberto Cavalcanti).
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war das, zu ihnen nach Feldmeilen am Züricher See. Und da bin ich hingefahren und hab einige Stunden dort verbracht. Ich war sehr überrascht, daß der Brecht mit mir ganz normal und „auf Augenhöhe“ geredet hat, nicht wie mit einem Buben, dem man erklärt, wie’s in der Welt zugeht. Das war ein großes Erlebnis. Brecht hat sich auch über die Lage in Österreich erkundigt und hat gesagt, es gibt dieses Projekt in Salzburg, mit dem Gottfried von Einem,36 und er wollte wissen, was ich davon halte. Brecht sollte ja statt des Jedermann ein neues Volksstück für Salzburg schreiben, es gab große Pläne von Gottfried von Einem, der das ja auch im Rückblick ganz schön beschrieben hat.37 Berthold Viertel war als Oberspielleiter vorgesehen, und Casper Neher sollte dabei sein – also großartig. Aber Brecht hat gesagt, es lockt ihn auch Berlin, die wollen, daß er ans Deutsche Theater komme, das wäre auch jetzt im Herbst. Und er wollte von mir alles über Österreich wissen, wie das ist mit der österreichischen Staatsbürgerschaft, und ich hab gesagt: „Aber sicher, das wird doch alles gehen, Ihre Frau ist doch aus Wien“ usw. Denn ich wollte natürlich unbedingt, daß Salzburg zustandekommt. Und Brecht hat die Staatsbürgerschaft dann ja auch gekriegt, die ihm Einem versprochen hatte, wenn auch im letzten Moment. Aber er ist im Herbst nach Berlin gegangen und das Projekt in Salzburg ist zusammengebrochen.38 Hanns Eisler in Wien, 1948/1949 PD: Kurz nach Ihrem Zusammentreffen mit Brecht haben Sie in Wien Hanns Eisler kennengelernt. Erinnern Sie sich an die erste Begegnung? WG: Nein, nicht wirklich. Ich war am 16. September 1948 in der Premiere von Nestroys Höllenangst mit Eislers Musik im Neuen Theater in der Scala,39 aber ich glaube nicht, daß ich ihn da schon gekannt habe. Das war ja die Eröffnung der Scala. Wir wußten, daß es da ein kommunistisches Theater geben sollte, mit den Emigranten Karl Paryla und Wolfgang Heinz und all diesen Leuten, und das war natürlich toll für uns. Wir waren aber nicht bei der Premierenfeier, weil wir damals mit dem Theater ja an sich noch nichts zu tun hatten, obwohl ich mich schon sehr dafür interessiert hatte. – Ich besitze noch meinen Taschenkalender von damals, und da habe ich am 13. Dezember 1948 zum ersten Mal notiert: „Schönburggasse 11, bei Eislers“.40 36 37
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Der Komponist Gottfried von Einem (1918–1996). Siehe Gottfried von Einem, Gespräche mit Brecht und Dürrenmatt, in: Tempo 104 (1973), S. 20–21, sowie Erinnerungs-Prozesse. Gottfried von Einem im Gespräch mit Wolfgang Willaschek, in: Programmheft der Salzburger Festspiele (Konzertante Aufführung von Der Prozeß), 23. August 1988. Vgl. hierzu Thomas Eickhoff, Keuner und Karajan im Kalten Krieg – Die Versuche des Komponisten Gottfried von Einem, Bertolt Brecht für die Salzburger Festspiele zu gewinnen, in: Monatshefte für deutschsprachige Kultur 90 (1998), S. 317–338. Siehe Hanns Eisler, Höllenangst. Posse mit Gesang von Johann Nepomuk Nestroy in der Textfassung des Theaters in der Scala, Wien 1948 (= Hanns Eisler Gesamtausgabe, Serie V, Bd. 5), hrsg. von Peter Schweinhardt, Wiesbaden u. a. 2006. Die damalige Schönburggasse im IV. Wiener Gemeindebezirk heißt heute offiziell Schönburgstraße.
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PD: Das war also bereits nach dem ersten Besuch der Eislers in Ost-Berlin.41 In der Wohnung Schönburggasse 11 hatten sich die Eislers im November 1948 polizeilich angemeldet,42 weil sie offenbar nicht sicher waren, ob oder gegebenenfalls wann sie nach Berlin übersiedeln würden. WG: Dann steht in meinem Kalender, daß Eisler seinen Vortrag „Hörer und Komponist“ am 7. März 1949 im Institut für Wissenschaft und Kunst gehalten hat.43 Ich erinnere mich, daß mich dieser Vortrag sehr fasziniert hat. Im Kalender hab ich notiert, daß es anschließend eine Diskussion gab, und daß auch Berthold Viertel dort war. – Dann steht da am 1. Mai 1949: „Eisler, RAVAG“, da waren wir wahrscheinlich im RAVAG-Funkhaus im Sendesaal.44 Ich weiß nicht, ob das die Radiofassung der Mutter war?45 Im Kalender steht: Bis 20.15 Uhr war die Sendung und ab 20.20 bis 22 Uhr waren wir bei Eislers – und das lag ja tatsächlich nicht weit auseinander, die RAVAG und Schönburggasse 11, das ist fast um die Ecke gewesen. – Am 13. Mai 1949 steht im Kalender „Friedenslied in Eisler-Konzert“,46 danach „Gösserbräu“,47 da war also nach dem Konzert noch ein Treffen, sicher auch mit Eisler. – Am 25. Mai 1949 steht in meinem Kalender „20 Uhr: Besuch von Eislers (Platten)“, da waren sie offenbar zum ersten Mal bei uns zu Besuch und haben uns bereits Schallplatten mitgebracht, ich weiß leider nicht mehr welche.48 Und am 26. Juni 1949 heißt es: „17 Uhr: Besuch von Eislers“, und diesmal: „Sachen dagelassen“. PD: Möglicherweise sind damit also bereits die Noten gemeint, die Eisler damals bei Ihren Eltern deponiert hat, und auf die wir ja noch zurückkommen werden. – Das von Ihnen erwähnte Konzert am 13. Mai war nach unseren Unterlagen eine Veranstaltung der IGNM …
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Hanns Eisler hatte am 24. Oktober 1948 an einer „Friedenskundgebung der Kulturschaffenden“ in der Berliner Staatsoper teilgenommen. Für diese und weitere Informationen bedanke ich mich herzlich bei Hannes Heher. Hanns Eisler, Hörer und Komponist, in: ders., Musik und Politik. Schriften 1948–1962 (= Hanns Eisler, Gesammelte Werke, Serie III, Bd. 2), hrsg. von Günter Mayer, Leipzig 1982, S. 49–72. Die RAVAG (Radio-Verkehrs AG) war als erste österreichische Rundfunkgesellschaft (gegründet 1924) die Vorgängerin des heutigen Österreichischen Rundfunks (ORF). Die Rundfunk- bzw. Kantatenfassung des Stücks Die Mutter wurde erst am 29. Mai 1949 im Rahmen der „Russischen Stunde“ der RAVAG gesendet. Am 1. Mai 1949 erlebten Eislers Lied über den Frieden (Text: Ernst Fischer) und das Lied über die Gerechtigkeit (Text: Walter Fischer) im Rahmen der MaiFeier der RAVAG ihre Uraufführung. Siehe Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien (Anm. 21), S. 108. 5. Kammerkonzert der IGNM, 13. Mai 1949. Auf dem Programm standen u. a. Eislers Sonate für Violine und Klavier („Reisesonate“), die Septette Nr. 1 und 2, sowie diverse Lieder. Mitwirkende waren unter der musikalischen Leitung von Herbert Häfner u. a. Hilde Rychlink (Sopran), Karl Brix (Violine), Friedrich Wildgans (Klavier, Klarinette) und das Swoboda-Quartett (Programmzettel: Adk Berlin, HEA 3329, Kritiken: HEA 3783). Heute nicht mehr geöffnete Gaststätte in der Elisabethstraße 3, Wien I. Vermutlich die Schellackplatten mit dem Lied über den Frieden und dem Lied über die Gerechtigkeit, die im Mai 1949 im KPÖ-Verlag Globus erschienen waren (Solist: Karl Kamann, Bariton; Dirigent: Hanns Eisler).
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WG: Die IGNM49 hat damals eine wichtige Rolle gespielt, und da war ja auch wieder Erwin Ratz beteiligt. Die österreichische Sektion wurde nach Kriegsende sehr schnell, ich glaube noch im Jahr 1945 wiedergegründet, und das war für uns eine ebenso großartige Sache wie das erste Mahler-Konzert im Juni 1945. Meine Eltern waren ja früher mit Alban Berg und seiner Frau befreundet gewesen, und in allen Uraufführungen von Berg und Schönberg hatten sie gegen die Proteste des reaktionären Publikums an-applaudiert, noch als ganz junge Leute. Also für sie war das eine Wiederbegegnung, für mich war das damals völlig neu und es hat mich ungeheuer interessiert, obwohl es mir zunächst sehr schwer fiel, die Zwölftonmusik zu verstehen. Denn ich war ja nur mit klassischer und romantischer Musik aufgewachsen. Aber ich habe mich leidenschaftlich damit beschäftigt und hab das aufgesogen wie ein Schwamm, mit dem großen Glücksgefühl: Eine neue Zeit bricht an. Ich wurde sofort Mitglied in der IGNM und bin in jedes Konzert gegangen, meine Eltern sicher auch. Ich besitze noch die Programmzettel, denn ich habe alle Konzert- und Theaterprogramme meines Lebens aufgehoben. PD: Sie haben bereits das Lied über den Frieden von Ernst Fischer und Hanns Eisler erwähnt,50 das für die damalige Friedensbewegung eine gewisse Rolle gespielt hat. WG: Das war für uns damals fast so eine Art Hymne. Es war eine Zeitlang eigentlich die Hymne der Friedensbewegung in Wien – und dann noch: „Drum links zwei drei“, das Einheitsfrontlied. Diese zwei Lieder. PD: Ihre Mutter Hilde Glück hat damals maßgeblich im Österreichischen Friedensrat mitgearbeitet. Sie war es auch, die den Kontakt zu den Eislers in den folgenden Jahren aufrecht erhalten hat. Können Sie über sie noch einige Worte sagen? WG: Meine Mutter stammte aus einer sehr intellektuellen, aber auch an den schönen Künsten interessierten Familie des Wiener Bürgertums. Ihr Vater war Universitätsprofessor für Physik, sie selbst hat einige Semester Biologie und Zoologie studiert, zum Teil übrigens in Rostock bei Karl von Frisch, dem späteren Nobelpreisträger,51 der ein Freund der Familie war und geblieben ist bis zu seinem Tod. Sie hat aber auch ganz gut Geige gespielt, und mit dreien ihrer fünf Geschwister auch im Quartett. Als meine Eltern 1924 geheiratet haben, wollte mein Vater nicht, daß sie das Studium fortsetzt, er wollte sie sozusagen für sich allein haben. Sie hat ihm 49
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Zur Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) siehe vor allem Anton Haefeli, IGNM. Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik. Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart , Zürich 1982. Zur Gründung der Gesellschaft siehe Hartmut Krones, Rudolf Réti, Egon Wellesz und die Gründung der IGNM, in: Österreichische Musikzeitschrift 37 (1982), S. 606–623; zur österreichischen Sektion nach 1945 siehe Walter Szmolyan, Wiederbeginn 1945 mit Anton Webern und Rückblick in die dreißiger Jahre, in: ebenda S. 623–630, sowie Friedrich Cerha, Die alte Wiener IGNM-Garde in den Nachkriegsjahren, in: ebenda S. 631–636. Siehe auch die Anmerkungen 45 und 48. Karl Ritter von Frisch (1886–1982), der für die Erforschung von „individuellen und sozialen Verhaltensmustern“ 1973 gemeinsam mit Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde.
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dann viel bei seinen Arbeiten geholfen, sie hat immer Korrekturen gelesen, lange und kluge Briefe geschrieben, und sie war an seinem Leben, gerade auch seinem intellektuellen Leben, ständig beteiligt. Als sie dann für den Friedensrat gearbeitet hat, war es manchmal schwer, das miteinander zu vereinbaren, und es gab zu Hause auch Diskussionen darüber. PD: Ist es möglich, daß es zwischen ihrer Mutter und den Eislers bereits im Kontext des Österreichischen Friedensrats eine frühe Begegnung gab, etwa beim Internationalen Friedenskongresses in Wrocław (Breslau), zu dem Eisler im Sommer 1948 als österreichischer Delegierter reiste? WG: Das glaube ich nicht, denn die Arbeit meiner Mutter im Friedensrat setzte meines Wissens erst etwas später ein, vor allem bei den großen Kongressen im Juni 1950 und Ende 1952 in Wien.52 – Die Friedensbewegung hat es dann ja sehr schwer gehabt, weil es für die meisten hieß, das ist eine reine Propagandaveranstaltung der Kommunisten und der Russen. Der Kalte Krieg war ja schon in vollem Gange. Natürlich haben wir damals gesagt: Das ist doch nicht kommunistisch, sondern da ist ja zum Beispiel auch der Jean-Paul Sartre dabei, und der ist auch kein Kommunist. Aber aus heutiger Sicht muß man sagen, sie war natürlich schon „kommunistisch gesteuert“, diese ganze Weltfriedensbewegung, sie war auf jeden Fall antiamerikanisch eingestellt, vor allem wegen der Atombombe, usw. Und das war damals auch meine eigene Position, ich war gegen die amerikanische Aufrüstung. Aber ich wollte nie Mitglied einer Partei sein, auch meine Eltern nicht. Zwischen Wien und Berlin PD: Für Hanns Eisler stellte sich damals die Frage, ob er Wien oder Berlin zu seinem ständigen Wohnsitz machen sollte. Aus den Briefen Ihrer Mutter an Lou Eisler geht hervor, daß Sie selbst 1950 vor einer ähnlichen Entscheidung standen, als sich Ihnen nämlich die Möglichkeit bot, fest ans Berliner Ensemble zu gehen. WG: Ich habe im Herbst 1949 als zweiter Regieassistent bei Berthold Viertel in Wien angefangen,53 war dann aber schnell sein einziger Assistent und galt sozusagen als „unentbehrlich“. Wenn ich heute meine alten Kalender durchschaue, dann sieht man, daß ich schon nach wenigen Monaten auch an den Nachmittagen immer bei Viertel gewesen bin. So wurde ich sehr schnell sozusagen sein Ersatz52
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Erster Österreichischer Friedenskongreß, 10. und 11. Juni 1950 in Wien; Völkerkongreß für den Frieden, 12. bis 20. Dezember 1952 in Wien. Zu diesen beiden Kongressen siehe Manfred Mugrauer, Der „Völkerkongress für den Frieden“ in Wien, in: Lynda Morris und Christoph Grunenberg (Hg.), Picasso. Frieden und Freiheit. Köln–Wien 2010, S. 82–85, und ders., Eine „rein kommunistische Angelegenheit“? Der Wiener „Völkerkongress für den Frieden“ im Dezember 1952, in: Anja Oberkofler und Hans Mikosch, Gegen üble Tradition, für revolutionär Neues. Festschrift für Gerhard Oberkofler, Innsbruck u. a. 2012, S. 131– 155. Zu Berthold Viertel (1885–1953) siehe Berthold Viertel zum Hundertzwanzigsten Geburtstag: Im Scheitel die Bahn (Signum Sonderheft 7), hrsg. von Norbert Weiß, Wien und Dresden 2005; sowie Der Traum von der Realität. Berthold Viertel, hrsg. im Auftrag der Theodor Kramer Gesellschaft von Sieglinde Bolbecher u. a., Wien 1998. Eine Biographie wird derzeit von Katharina Prager vorbereitet.
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sohn. Man darf nicht vergessen, daß er drei Söhne in Amerika hatte, die er ja kaum hat aufwachsen sehen durch die Trennung von Salka Viertel, die dort als Drehbuchschreiberin der Garbo ihre große Karriere gemacht hat.54 Als sich mir die Möglichkeit mit dem Berliner Ensemble eröffnete, hatte Viertel das zunächst unterstützt und gemeint, es wäre gut für mich, wenn ich eine Zeitlang nach Berlin gehen und bei Brecht lernen könnte. Viertel war ja Mitbegründer des Berliner Ensembles, das vergißt man oft. Er hat dort auch eine Inszenierung gemacht mit der Giehse,55 aber da hat er mich nicht mitnehmen können. Das war seine einzige Inszenierung, bei der ich nicht dabei war. PD: Hat Ihnen Viertels Theaterkonzeption damals mehr entsprochen als die von Brecht? WG: Nein, ich hatte nichts gegen Brecht, im Gegenteil. Ich habe ja den Hofmeister beim Gastspiel in Wien gesehen,56 ich hatte vorher in Zürich den Puntila gesehen,57 ich habe später in Wien die Mutter gesehen,58 den Galilei mit Eislers Musik in Berlin.59 Schon der Hofmeister war ja unvergeßlich aufregend und schön. Also da hab ich nicht gesagt: das ist weniger interessant oder weniger aufregend als bei Viertel. Ich habe auch das Kleine Organon unglaublich genau gelesen, Brecht hat es mir als Typoskript gegeben, da war es noch nicht gedruckt, und ich habe mit dem Brecht ja auch darüber diskutiert in Feldmeilen. Außerdem haben wir alle gewußt, wenn Brecht inszeniert hat, dann hat er nicht stur nach den Lehrsätzen des epischen Theaters inszeniert, sondern er hat eben einfach gut inszeniert. Also das war sicher nicht der Grund, daß ich nicht nach Berlin ging. – Es war ja so: Ich wollte gerne dahin, und Viertel hat gesagt, ja, du solltest auch bei Brecht lernen. Und daraufhin hat die Heli mir geschrieben, sie will mich für’s nächste Jahr. Aber dann hat Viertel doch manchmal darüber geklagt, daß ich weggehe – oder ich hab’s vielleicht auch nur geglaubt, vielleicht war’s ihm ganz wurscht. Aber ich hatte dann das Gefühl, er kam ohne mich gar nicht mehr aus, in den letzten Inszenierungen hab ich ja ganze Szenen selbst einrichten müssen, weil er schon so krank war. – Vielleicht hab ich auch etwas Angst gehabt, nach Berlin zu gehen. In Wien ist es ja damals unheimlich gut gelaufen für mich, ich kannte inzwischen die ganze Riege der jungen Theater54 55 56
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Salka Viertel war für die Drehbücher von mehreren Garbo-Filmen verantwortlich oder mitverantwortlich, darunter Queen Christina (1933), Anna Karenina (1935) und Conquest (1937). Wassa Schelesnowa von Maxim Gorki, Premiere am 23. Dezember 1949, mit Therese Giehse, Friedrich Gnass, Erwin Geschonneck, Regine Lutz. Der Hofmeister von J. M. R. Lenz in der Bearbeitung des Berliner Ensembles; Premiere in Berlin: 15. April 1950; Gastspiel in Wien: 13. bis 23. September 1950, mit Hans Gaugler, Regine Lutz, Erwin Geschonneck, Joachim Teege. Siehe Anm. 35. Die Mutter (nach Gorki) von Bertolt Brecht, Hanns Eisler und Günter Weisenborn, Fassung 1951; Premiere in Berlin: 12. Januar 1951; Premiere in Wien: 31. Oktober 1953, mit Helene Weigel, Ernst Busch, Alfons Lipp, Erika Pelikowski, Otto Tausig, Karl Bachmann. Leben des Galilei von Bertolt Brecht, Musik: Hanns Eisler; Premiere in Wien: 9. Juni 1956 im Neuen Theater in der Scala; Regie: Wolfgang Heinz, mit Karl Paryla als Galilei; Premiere in Berlin: 15. Januar 1957; Regie: Erich Engel, mit Ernst Busch als Galilei.
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leute, und ich hatte das Gefühl, da bin ich sicher und werde bald selbst inszenieren, im Kellertheater, das damals entstand. Aber in Berlin, unter lauter jungen deutschen Kommunisten – was passiert mir da, ist das gut für mich? Ich weiß nicht, wie sich alles entwickelt hätte, wenn ich damals mit meinem späteren Freund Peter Palitzsch, mit Wekwerth und Monk und Besson der fünfte Regieschüler bei Brecht gewesen wäre.60 Ich weiß es nicht, vielleicht wäre mein Weg ein ganz anderer geworden. – Sie wissen, daß Brecht und Viertel eine echte Freundschaft verband? PD: Obwohl es eigentlich nicht viele Gelegenheiten zu gemeinsamer Arbeit gegeben hat … WG: Viertel hat Furcht und Elend des Dritten Reichs in New York gemacht,61 und sie waren schon in den 1920er Jahren befreundet. Viertel inszenierte ja damals Bronnens Vatermord, nachdem Brecht die Regie begonnen und nach einem Eklat niedergelegt hatte.62 Brecht hat dann ab 1948 immer wieder versucht, Viertel nach Berlin zu holen. Und als Viertel im Jahr 1949 für Strindbergs Kronbraut den ExNazi Werner Krauß besetzte, weil er nur ihm diese besondere autoritäre Dämonie zutraute, die für die Rolle nötig war, hat ihn Brecht in dieser Entscheidung bestärkt: „Du mußt den besten Schauspieler für die Rolle nehmen.“ Viertel war sehr links, aber natürlich kein Kommunist, er war ein großartiger bürgerlicher Regisseur eines psychologischen Theaters, ich würde sagen: des poetischen Realismus. Das hatte mit Brecht nicht so viel zu tun, aber die gegenseitige Achtung war und blieb immer da. So waren sie beide. PD: Auch Hanns Eisler hat immer mit großem Respekt von Viertel gesprochen63 und auch zwei seiner Gedichte vertont.64 Aber für den Regisseur Berthold Viertel wäre Eisler vermutlich nicht der optimale Komponist gewesen, oder? WG: Nein. Aber Viertel hat mit Musik überhaupt nicht sehr viel zu tun gehabt in seinen Inszenierungen. Das war ihm nicht so wichtig. Einem und Wildgans waren seine Komponisten in Wien. 60 61
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Brechts Regieschüler Peter Palitzsch (1918–2004), Manfred Wekwerth (geb. 1929), Egon Monk (1927– 2007) und Benno Besson (1922–2006). Viertel führte die Regie bei der amerikanischen Erstaufführung von vier Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches durch die „Tribüne für Freie Deutsche Literatur und Kunst in Amerika“ am 28. Mai 1942 in New York. Im Juni 1945 bereitete zunächst Piscator eine Aufführung von neun Szenen unter dem Titel The Private Life of the Master Race (Furcht und Elend des III. Reiches) ebenfalls in New York vor (Theatre of All Nations, Musik: Hanns Eisler). Als Piscator wegen Differenzen mit Brecht die Regie niederlegte, sprang Berthold Viertel ein und studierte in den wenigen verbleibenden Tagen bis zur Premiere am 11. Juni 1945 gemeinsam mit Brecht die Szenen ein. Nachdem Brecht am 2. April 1922 die Regie aufgegeben hatte, fand die von Berthold Viertel verantwortete Uraufführung von Bronnens Vatermord am 14. Mai 1922 in Berlin statt (Junge Bühne). Vgl. Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge (Anm. 2), S. 47 und 263. Kalifornischer Herbst, 1943 von Eisler unter dem Titel L’automne californien (Kalifornischer Herbst) als Klavierlied vertont; sowie Wer traurig sein will, vermutlich 1953 von Eisler unter dem Titel Chanson allemande als Klavierlied vertont und 1962 als „Nr. 2 Traurigkeit“ in einer Bearbeitung für Bariton und Streichorchester in den Zyklus Ernste Gesänge übernommen. Siehe auch Anm. 77.
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Arbeit beim Film PD: Als Hanns Eisler zwischen 1953 und 1955 wieder häufiger nach Wien kam, arbeitete er in erster Linie am Neuen Theater in der Scala und für die Wien-Film am Rosenhügel65, die beide im Einflußbereich der russischen Besatzungsmacht angesiedelt waren. WG: In dieser Zeit hab ich Eisler nicht allzuoft gesehen, weil ich zu sehr mit meinen eigenen Sachen beschäftigt war. Ende 1953, nach Viertels Tod, bin ich vom Burgtheater weggegangen, ich hab erst eine Weile beim Radio gearbeitet, auch als Assistent von Kortner in München und dann sehr bald beim Film. Aber nicht bei der Wien-Film am Rosenhügel wie Hanns Eisler, sondern in der ganz primitiven Unterhaltungs-Filmwelt, dort habe ich damals mein Handwerk noch einmal von vorn gelernt. Film ist ja ganz anders als Theater. – Ich bin aber weiter in die Scala gegangen und habe auch die dortigen Aufführungen mit Eislers Musik gesehen, Volpone, Lysistrata usw.,66 aber ich erinnere mich leider nicht an Details. Es waren ja auch Jahre der Depression für Eisler, nach dieser ganzen Faustus-Debatte,67 nach dem 17. Juni und der Trennung von Lou.68 Ich weiß, daß sich Eisler in dieser Zeit sehr für meine Mutter interessierte und schon 1950 sehr um sie geworben hat. Aus ihren Briefen und Tagebuchnotizen kann man einige Hinweise entnehmen, aber damals habe ich das Leben meiner Mutter nicht wahrgenommen. Ich war da sehr unaufmerksam. Am Ende blieb meine Mutter bei meinem Vater, und Eisler hat einige Jahre später die Steffy geheiratet,69 die ja auch vorher schon gelegentlich in diesem Kreis dabei war, als Frau von Peter Loos, also Otto Wolf,70 dem interessanten Kritiker der kommunistischen Zeitung Der Abend. Und Lou heiratete Ernst Fischer. 65
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Zwischen 1953 und 1955 komponierte Eisler für folgende von der Wien-Film am Rosenhügel produzierte Filme die Musik: Schicksal am Lenkrad (1954, Regie: Aldo Vergano), Bel Ami (1955, Regie: Louis Daquin) und Herr Puntila und sein Knecht Matti (1955, Regie: Alberto Cavalcanti). Zudem arbeitete Eisler bei zwei Musikfilmen am Drehbuch und an der Musikeinrichtung mit: Fidelio (1956, Regie: Walter Felsenstein) und Gasparone (1956, Regie: Karl Paryla). Für das Neue Theater in der Scala komponierte Eisler 1953 und 1954 für folgende Inszenierungen die Bühnenmusik: Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack von Nestroy (1953, Regie: Emil Stöhr), Volpone von Ben Johnson (1953, Regie: Benno Besson), Lysistrata von Aristophanes (1953, Regie: Wolfgang Heinz) und Hamlet von Shakespeare (1954, Regie: Wolfgang Heinz). Zudem schrieb Eisler die Bühnenmusik für das Scala-Gastspiel mit Nestroys Theaterg’schichten am Deutschen Theater in Berlin (1955, Regie: Emil Stöhr). 1956 brachte die Scala als letztes Stück vor ihrer Schließung Brechts Leben des Galilei heraus, mit der bereits vorliegenden Musik von Eisler (1956, Regie: Wolfgang Heinz). Die heute als „Faustus-Debatte“ bezeichneten drei Diskussionsrunden an der Berliner Akademie der Künste fanden zwischen 13. Mai und 10. Juni 1953 statt. Gegenstand war Eislers Operntext Johann Faustus, der Ende 1952 im Aufbau-Verlag erschienen war. Siehe auch Hans Bunge, Die Debatte um Hanns Eislers „Johann Faustus“. Eine Dokumentation, Berlin 1991. Nach einem Besuch in Wien im März 1953 kehrte Louise Eisler nicht mit Hanns Eisler nach Berlin zurück. Die Scheidung erfolgte jedoch erst am 15. März 1955 in Wien. Am 22. September desselben Jahres heirateten Louise Eisler und Ernst Fischer. Hanns Eisler und Steffy (Stephanie) Zucker-Schilling, geb. Peschl, geschiedene Wolf (1919–2003) heirateten am 26. Juni 1958. Peter Loos (1912–2005), eigentlich Otto Wolf, Autor und Regisseur.
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PD: Obwohl Sie beide im Wiener Filmgeschäft tätig waren, gab es damals also keine beruflichen Berührungspunkte zwischen Ihnen und Eisler. Haben Sie jemals mit ihm über Filme und Filmmusik gesprochen? WG: Mit Eisler habe ich eigentlich immer über Filme gesprochen, Film hat ihn ja sehr interessiert, und mich auch. Ich hatte schon 1951 zum ersten Mal beim Film gearbeitet. Und ich kannte auch das Filmmusikbuch von Eisler und Adorno.71 Er hat uns damals ein Exemplar der deutschen Ausgabe geschenkt,72 und ich hab das natürlich sofort gelesen. Diese ganze Diskussion, daß Musik nicht nur dazu dienen soll, durch Bild und Dialog entstehende Emotionen noch zu verstärken, sondern daß man das dialektisch behandeln kann, das hat mich sehr interessiert. Eisler hat mir damals auch sein altes Drehbuch von Niemandsland geschenkt,73 weil er wußte, daß ich nun beim Film arbeiten würde. Ich war damals aber nicht auf künstlerische Filme aus, ich war nur darauf aus, Praxis zu kriegen. Ich wollte bei möglichst vielen Filmen als Assistent mitmachen, auch bei sehr schlechten, nur um Erfahrung zu sammeln. Späte Begegnungen mit Hanns Eisler PD: Nach dem österreichischen Staatsvertrag im Jahr 1955 und dem daraus resultierenden Abzug der russischen Besatzungsmacht wurde die Wien-Film am Rosenhügel noch im selben Jahr privatisiert, das Neue Theater in der Scala konnte sich noch bis 1956 halten. In der Folge gab es keine Aufträge mehr für Hanns Eisler in Wien. Sie haben ihn trotzdem noch mehrere Male getroffen? WG: Laut Kalender habe ich Eisler zum Beispiel am Sonntag, dem 3. Mai 1959, in Ost-Berlin getroffen. Dann gibt es noch eine zweite Eintragung im Jahr 1959, da bin ich am 12. November von München nach Berlin gefahren, da steht „Hanns E.“ im Kalender. Am 13. November hab ich am Berliner Ensemble Leben des Galilei gesehen, und am 14. November 1959 war erst ein Treffen mit Elisabeth Hauptmann um 16 Uhr, dann mit der Heli um 17 Uhr und mit dem Hanns um 18 Uhr, vermutlich im Theater oder da in der Nähe. Ich hatte es danach ziemlich eilig, deshalb hat mir die Heli einen Zettel für den Grenzübergang mitgegeben, auf dem stand, daß sie mich bitte ohne größere Verzögerung nach West-Berlin durchlassen sollen. Ich hatte im Osten gekaufte Bücher dabei, die sie sonst vielleicht noch länger kontrolliert hätten. Und dieser Zettel hat tatsächlich funktioniert. – Meine letzte Begegnung mit Hanns Eisler war 1961, und zwar in West-Berlin bei der Eröffnung einer Ausstellung mit Werken des großen englischen Bildhauers Henry Moore. Da kamen also die beiden, Hanns und Steffy, aus Ost-Berlin zu dieser Ausstellung und waren dann äußerst überrascht, mich an diesem Sonntagvormittag in Berlin zu tref71 72 73
Theodor W. Adorno und Hanns Eisler, Komposition für den Film, erstmals veröffentlicht als: Hanns Eisler, Composing for the Films, New York 1947. Hanns Eisler, Komposition für den Film, Berlin 1949. Für den Film Niemandsland (Deutschland 1931) von Victor Trivas hatte Eisler die Musik komponiert.
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fen. Ich hatte mich nicht bei ihnen gemeldet, ich war zu Dreharbeiten in Berlin. Wir waren dann noch Mittagessen. Es war sehr schön und liebevoll. PD: Im Eisler-Archiv gibt es Photokopien von zwei Autographen, die Eisler vermutlich Ende der 1950er Jahre Ihren Eltern geschenkt haben muß. WG: Ja, als mein Vater 60 Jahre alt wurde, hatte meine Mutter die Idee, die Freunde meines Vaters zu bitten, zu dem Geburtstag beizutragen, indem sie etwas für ihn schreiben. Und diese Sammlung hat sie in eine große Mappe geordnet und ihm am Geburtstag überreicht, das war am 12. September 1959. An erster Stelle ist da ein Gedicht von Ernst Fischer über meinen Vater drin. Und auch Hanns Eisler ist vertreten, er hat ihm eine Abschrift von einem seiner Lieder geschenkt. Es ist nicht das Original, aber er hat es für meinen Vater eigenhändig abgeschrieben. Er hat sicher auch ganz bewußt dieses Lied Kalifornischer Herbst mit dem Text von Berthold Viertel ausgewählt, der ja längst gestorben war, wahrscheinlich auch wegen der Verbindung zu Hollywood, wegen unserer Verwandten dort. Also das war sicher mit Bedacht so ausgewählt. PD: Eisler scheint das Lied bei diesem Anlaß auch etwas umgearbeitet zu haben, denn das Autograph aus Hollywood ist offenbar nachträglich mit derselben blauen Tinte vervollständigt, mit der Eisler die Abschrift für Ihren Vater angefertigt hat. Auf die Abschrift hat er notiert – ich zitiere die Photokopie im Eisler-Archiv:74 „Für Franz Glück […] Lieber verehrter Freund zum 60. Geburtstag dieses Lied, so die alte Freundschaft erneuernd. Allerherzlichst Ihr alter Hanns Eisler“. Und am Ende des Liedes vermerkte er: „Hollywood 1943 – Berlin 1959“. WG: Es scheint noch ein zweites Notenmanuskript von Eisler gegeben zu haben, es gibt da eine entsprechende Notiz … PD: Den Photokopien im Eisler-Archiv zufolge kann es sich dabei um das Autograph der beiden Lieder Vom Sprengen des Gartens und Die Heimkehr gehandelt haben.75 Dort lautet die Widmung: „Lieber Freund! Im Interesse der Kunst hoffe ich auf eine möglichst große Wiederholung dieses Tages, denn lange Lebensdauer ist nützlich, wenn sie sich mit der Erhaltung von Bildern u. ähnlichen Gegenständen verbindet. Sehr herzlich Ihr alter Hanns Eisler“.76 Als Manfred Grabs diese Lieder 1976 im Rahmen von Eislers Gesammelten Werken edierte, vermerkte er, er habe die Kopien „dank Vermittlung durch Frau Stephanie Eisler“ aus dem Besitz von „Dr. Franz Glück, Wien“ zur Verfügung gestellt bekommen.77
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AdK Berlin, HEA 8431. AdK Berlin, HEA 8432. Franz Glück war Kunsthistoriker und Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien. Hanns Eisler, Gesammelte Werke, Serie I, Bd. 16: Lieder für eine Singstimme und Klavier, vorgelegt von Manfred Grabs, Leipzig 1976, S. 261. In demselben Band sind auch die beiden Berthold-Viertel-Vertonungen von Hanns Eisler enthalten (auf S. 121 und S. 164), siehe Anm. 64.
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WG: Ja, das ist möglich. – Die Steffy habe ich dann sehr viel später noch einmal in der Pfeilstraße78 besucht, als sie schon sehr krank war. Da hat sie mir erzählt, daß Eisler sich im Jahr 1962 noch sehr für meine Verlobung mit Christiane Hörbiger interessiert hat, mit der ich dann in erster Ehe einige Jahre verheiratet war. Diese Verbindung hat manche Leute sehr gestört, weil es hieß, ihre Eltern Paula Wessely und Attila Hörbiger hätten sich zu stark an die Nazis angepaßt, usw. Darüber habe ich vor kurzem einen ausführlichen Artikel geschrieben, in dem ich versucht habe, diese ganze damalige Atmosphäre zu beschreiben.79 Und auch Hanns Eisler hat das damals aus der Ferne mit einem gewissen Interesse verfolgt, daß ich nun also in diese Familie einheirate. Steffy hat mir dann bei unserem letzten Treffen, das war ein oder zwei Jahre vor ihrem Tod, berichtet, daß der Hanns extra im Westfernsehen ein Fernsehspiel von mir angeschaut hat, weil er meine damalige Verlobte sehen wollte, die da mitgespielt hat. Das war „Der Unschuldige“ von Hochwälder, das muß in der ersten Hälfte des Jahres 1962 gewesen sein.80 Er hat sich das im Fernsehen angeschaut, und es hat ihm offenbar gefallen, und auch die Christiane hat ihm gut gefallen, so hat es die Steffy mir jedenfalls erzählt. – Ich glaube, er hat mich einfach immer als den Sohn von Hilde Glück gesehen, die er nun einmal sehr gern gehabt hat, und mich deshalb auch immer sehr liebevoll behandelt. Die Eisler-Sammlung der Familie Glück PD: Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewußt geworden, daß sich im Nachlaß Ihrer Eltern ein Konvolut mit bedeutenden und zum Teil einzigartigen Eisler-Quellen befindet? WG: Ich hab schon immer gewußt, daß es das gibt, ich hab nur nicht gewußt, was es genau ist. Ich hielt es ja immer für einen Schatz, aber nach dem Eisler-Kongreß 2003 in Wien, wo ich zum ersten Mal öffentlich davon gesprochen habe, hörte ich von einigen Teilnehmern, daß es vielleicht gar nicht so interessant sei, das meiste davon gebe es möglicherweise auch in Berlin usw. Und dann hab ich gedacht: Seltsam, und hab dann erst einmal nichts mehr unternommen. – Der erste, der sich dann wieder gemeldet hat, war Johannes Gall, der 2003 gar nicht in Wien dabeigewesen war. Mit ihm habe ich stundenlang über das Typoskript von Komposition für den Film telephoniert, das ja eigenhändige Einträge von Adorno enthält, die nicht in der Druckausgabe vorkommen, auch nicht in der von Adorno selbst veranlaßten westdeutschen Ausgabe. Und wir haben sehr lange telephoniert und uns die Stellen gegenseitig vorgelesen, um uns klar zu werden, was da eigentlich geschehen ist. Ich hatte es zuerst ja falsch eingeschätzt. Durch diese Gespräche habe ich mich überzeugen lassen, daß es sich um das von Adorno und Eisler gemeinsam verfaßte Ori78 79 80
Die Adresse „Pfeilstraße 9“ in Berlin-Niederschönhausen war seit 1950 Eislers Adresse. Stephanie Eisler lebte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 2003. Wolfgang Glück, Jetzt hat’s die Paula erwischt, in: Die Presse, 4. August 2007. Der Unschuldige, Komödie von Fritz Hochwälder; Produktion: Süddeutscher Rundfunk (SDR) und Österreichischer Rundfunk (ORF); Regie: Wolfgang Glück; Mitwirkende: Attila Hörbiger, Friedl Czepa, Christiane Hörbiger; Erstausstrahlung: 1. Februar 1962.
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ginal-Typoskript von Komposition für den Film handelt, das ja auf Deutsch geschrieben war.81 PD: Für Johannes Gall scheinen darüber hinaus die sogenannten „Cue Sheets“ für Szenen aus Chaplins Stummfilm The Circus von Bedeutung gewesen zu sein,82 mit deren Hilfe die Synchronisierung von Eislers Musik mit den zugehörigen Filmereignissen deutlich verbessert werden konnte. WG: Auch darüber haben wir uns lange am Telephon ausgetauscht. Es freut mich sehr, wenn es für die Aufführung dieser Musik hilfreich war.83 PD: Wie erklären Sie sich die Existenz bzw. den Verbleib dieses Konvoluts im Nachlaß Ihrer Eltern? WG: Man kann aus den Briefen sehen, daß ursprünglich wohl noch mehr Noten vorhanden waren, von denen meine Mutter dann in mehreren Schritten einen Teil nach Berlin befördern lassen konnte. Eisler hat mehrmals geschrieben, welche Noten sie ihm schicken soll. Und der Rest blieb dann offenbar bei meinen Eltern in Wien. PD: Sie waren dann so freundlich, uns im März 2009 die gesamte Sammlung zur Durchsicht zur Verfügung zu stellen. Sie enthält neben den oben bereits erwähnten Quellen in erster Linie Stimmenmaterial von Eislers Filmmusiken der Jahre 1931 bis 1942, von Niemandsland bis The Grapes of Wrath.84 In einigen Fällen handelt es sich um Notenmaterial von Kompositionen, zu denen im Hanns-Eisler-Archiv bislang überhaupt keine schriftlichen Quellen vorhanden waren.85 81
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Siehe Johannes C. Gall, Modell für den befreiten musikalischen Film, in: Theodor W. Adorno und Hanns Eisler, Komposition für den Film. Mit einer DVD „Hanns Eislers Rockefeller-Filmmusik-Projekt 1940– 1942“, Frankfurt am Main 2006, S. 155–182, insbesondere S. 169. The Circus (USA 1928). Als Chaplin 1946/1947 eine mit Musik unterlegte Neufassung dieses Stummfilms plante, beauftragte er Eisler, eine entsprechende Partitur zu schreiben. Infolge der Verhöre vor dem Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten und seiner anschließenden Ausweisung aus den USA konnte Eisler diese Arbeit nicht abschließen. Seine bis dahin vorliegenden Kompositionen zu Szenen aus The Circus stellte er zur Suite für Septett Nr. 2 zusammen. Im Jahr 1970 [!] veröffentlichte Chaplin den Film mit einer eigenen Musik. Siehe hierzu Johannes C. Gall, Hanns Eislers Kompositionen für den Film, in: Programmheft zum Konzert „Hanns Eisler – Composing for Film“ [sic] am 24. Oktober 2006 im Werner-Otto-Saal des Berliner Konzerthauses (Kammerensemble Neue Musik Berlin unter der Leitung von Roland Kluttig). Im Rahmen dieses Konzerts wurde die Sätze aus Eislers Septett Nr. 2 live zu den zugehörigen Szenen aus The Circus aufgeführt. Eine ähnliche Synchron-Aufführung hatte in den 1980er Jahren unter der Leitung von Bernt Heller stattgefunden. Das Konvolut enthält (zum Teil unvollständiges) historisches Stimmenmaterial zu folgenden Filmen bzw. Filmmusiken: Niemandsland (1931), Kuhle Wampe (1932), Pesn o gerojach (1932), Nieuwe Gronden (1933), Le grand jeu (1934), The 400 Million (1939), The Forgotten Village (1941), A Child Went Forth (1941), Regen (1941), The Grapes of Wrath (1941/1942) sowie weiteres, teilweise autographes Notenmaterial zu verschiedenen Werken Hanns Eislers. Dies trifft u. a. für einen Marsch aus der Filmmusik zu Nieuwe Gronden und das Lied Die Spaziergänge aus dem Film Kuhle Wampe zu. Diese beiden Stücke konnten bislang nur auf der Basis von Partituren aufgeführt werden, die anhand der Tonspur des jeweiligen Films „nach Gehör“ rekonstruiert wurden.
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WG: Wie gesagt, ich freue mich sehr, wenn es für die Wissenschaft jetzt doch noch nützlich sein kann. Vielleicht war 2003 die Filmmusikforschung bei Eisler einfach noch nicht so weit, daß man diese Materialien gleich als wertvoll erkannt hätte. Ich finde es ganz wunderbar, wenn man diese Quellen nun zur Kenntnis nimmt und mit ihrer Hilfe die Werke von Hanns Eisler weiter erforscht.86 (Aufgezeichnet am 6. Juli 2009 in Wien)
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Die Eisler-Sammlung der Familie Glück wurde inzwischen vom Musikarchiv der Akademie der Künste, Berlin, erworben und steht dort innerhalb der Bestände des Hanns-Eisler-Archivs für Forschungszwecke zur Verfügung. Siehe auch den Beitrag von Tobias Faßhauer im vorliegenden Band.
HANNES HEHER (Wien)
Hanns Eisler und die Wiener Komponistenszene der Nachkriegszeit Hanns Eislers Wiener Zeit nach seiner Ausweisung aus den USA im März des Jahres 1948 wird in der offiziellen Literatur oft nur als eine Art „Intermezzo“ gesehen, als ein kurzer, nicht wirklich von Erfolg gekrönter Aufenthalt, bevor er dem Ruf nach Ostberlin folgt, und dementsprechend wenig beachtet. Inwiefern Eisler jedoch diese Zeit – und auch die oft mehrere Monate andauernden späteren Besuche in der Stadt seiner Jugend – dazu nützt, sich mit der dort ansässigen Komponistenszene auseinanderzusetzen bzw. sich in Wien als Komponist zu etablieren (oder es wenigstens zu versuchen), soll im folgenden etwas genauer beleuchtet werden. Es sei jedoch festgehalten, daß alle Ausführungen nur im Lichte der besonderen österreichischen Situation zu verstehen sind: Das nach 1945 wieder erstandene Land hegte jahrzehntelang ein mehr als ausgeprägtes Mißtrauen nicht nur gegen die extreme Linke, sondern auch gegen jede kompromißlose künstlerische Avantgarde. Realistisch betrachtet sind somit bereits die Startbedingungen für einen Komponisten wie Eisler äußerst schlecht. Der Sohn Georg erinnert sich: „Kommunist und Schönberg-Schüler, das überstieg, im wahrsten Sinne des Wortes, die hier übliche Toleranzgrenze der Kulturmachthaber, nicht wenige von ihnen Relikte aus der unmittelbaren Vergangenheit.“1
Charlotte Eisler Wichtige Katalysatoren für Eislers Einbindung in die für Außenstehende oft nicht wirklich durchschaubare Wiener Szene sind zweifellos persönliche Bekanntschaften des Komponisten. Ganz zu Beginn muß hier seine erste Frau, die Mutter des Sohnes Georg (1928–1998), Charlotte Eisler, geb. Demant (1894–1970), genannt werden. Ebenfalls aus dem Schönberg-Kreis stammend und als Sängerin, Pianistin und in Musiktheorie unter anderem bei Steuermann und Webern ausgebildet, entwickelt sie sich im Laufe ihres künstlerischen Lebens zur Spezialistin für Gustav Mahler, für die Musik der Wiener Schule sowie für die englische und sowjetische Musik des 20. Jahrhunderts. Bald nach ihrer Rückkehr aus dem Exil erhält sie ab September 1947 eine Lehrstelle an der Musikschule Kagran (die Stelle wird jedoch bereits nach nur fünf Jahren wieder gekündigt!), die damals wie alle derartigen Ausbildungsstät-
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Georg Eisler, Skizzen, Wien 1990, S. 22f.
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ten dem Wiener Konservatorium angegliedert ist2, gibt Liederabende, u. a. in der RAVAG oder im Wiener Konzerthaus – oft in Zusammenarbeit mit der österreichischen Sektion der IGNM; dokumentiert ist darüber hinaus ihre Tätigkeit als Leiterin von Arbeiterchören.3 Charlotte Eisler kann also als Musikerin in ihrer Heimatstadt wieder in sehr bescheidener Form tätig sein. Mehr läßt die Situation im damaligen Österreich nicht zu, wohl auch ihre politische Orientierung4 verhindert eine Karriere, die ihrem Können adäquat gewesen wäre.
Abbildung 1: Programm des Hanns-Eisler-Hauskonzertes der UE (Quelle: Archiv der Universal[-]Edition Wien).
Nichtsdestotrotz setzt sich Charlotte bereits vor Hanns Eislers Ankunft für diesen ein: Seit ihren ersten Konzerten im Nachkriegs-Wien versucht sie, die Werke ihres Ex-Mannes dort (wieder) bekannt zu machen.5 Und auch bei der für Hanns Eisler vielleicht wichtigsten Veranstaltung des Jahres 1948, beim dem Komponisten gewidmeten Hauskonzert der Universal-Edition, wirkt sie mit: Auf dem Programm stehen nämlich nicht nur die beiden Septette (Eisler dirigiert sie selbst), deren kom2
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Hannes Heher, Die Eislers – Einige Anmerkungen zu Rudolf und Charlotte, in: Michael Haas/Wiebke Krohn (Hg.): Hanns Eisler. Mensch und Masse, Wien: Jüdisches Museum (Musik des Aufbruchs) 2009, S. 47–55. Eine frühe Komposition Karl Heinz Füssls (1924–1992), eines der wenigen österreichischen Schüler Hanns Eislers, mit dem Titel Ho-Ruck nach links (Text: Otto Horn) trägt die Widmung „Dem Floridsdorfer Arbeiterchor und seiner vorzüglichen Leiterin Charlotte Eisler in Freundschaft. Karl Heinz Füssl, September 1949“ (ÖNB, Musiksammlung, F114 Füssl 114). Georg Eisler reiht diese Orientierung in seiner Beschreibung des weiten Betätigungsfelds seiner Mutter („Sängerin, Pianistin, Musikologin und Kommunistin“) jedoch wohl nicht ohne Grund ans Ende der Aufzählung. Eisler, Skizzen (Anm. 1), S. 2. So beispielsweise in einem Konzert der österreichischen Sektion der IGNM vom 17. März 1947 im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses, in dem sie, begleitet von Herbert Häfner, eine Auswahl aus Eislers frühen Klavierliedern Opus 2 singt (Mitteilung des Archivs des Wiener Konzerthauses).
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positorische Künste der anwesenden Creme de la creme der Österreichischen Komponistenszene – auch im Hinblick auf die damals noch im Bereich des Möglichen liegende Professur – zeigen soll, daß man einen Eisler keinesfalls nur auf politische Kampfmusik reduzieren darf, sondern Charlotte interpretiert (mit Herbert Häfner am Klavier) auch fünf Lieder aus dem Hollywooder Liederbuch und die atonalen Zwei Elegien, die Eisler im Exil auf die berühmten Brecht-Texte verfaßt hatte, und mit denen er den anwesenden Honoratioren gleichsam einen Spiegel vorhält, dessen Spiegelbild vielen wohl nicht sehr gefallen hat…6 Charlotte Eisler engagiert sich in den folgenden Jahren immer wieder für das Eislersche Œuvre, unter anderem auch als Mitarbeiterin der Musiksektion der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft, ab 1957 sogar als deren verantwortliche Redakteurin.7 Leider ist es ihr wie so vielen anderen nicht gelungen, dem Komponisten Eisler den Weg in die Österreichischen Konzertsäle dauerhaft zu ebnen. Nicht einmal die wichtigen akustischen Dokumente dieses arbeitsreichen Künstlerlebens sind mehr vorhanden, Georg Eisler resümiert bitter: „Als dann in den Fünfzigerjahren alle die vielen Tonbänder in der RAVAG [der Vorgängerorganisation des ORF] gelöscht wurden, aus dem großen Archiv nichts zu retten war, mußte ich dies als späten politischen Racheakt ansehen. Diesem letzten Anschlag war [meine Mutter] nicht entronnen.“8
Die IGNM Enge Kontakte hat Hanns Eisler – wie nicht anders zu erwarten ist – zur Österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM), die in den Jahren nach 1945 von Hans Erich Apostel als Präsidenten und Friedrich Wildgans als geschäftsführendem Präsidenten geleitet wird. (Anton Webern kann die ihm von Wildgans noch brieflich angebotene Präsidentschaft bekanntermaßen nicht mehr antreten.) Hier trifft Eisler wieder die Freunde und Kollegen aus der Lehrzeit bei Schönberg, unter anderem Erwin Ratz und Josef Polnauer. Laut Wilhelm Zobl wird Eisler im Jänner des Jahres 1949 selbst in den Vorstand der Gesellschaft gewählt9, und er beteiligt sich in dieser Funktion bei einigen IGNMProjekten. Die im Exil entstandene streng zwölftönige Kammersymphonie wird sogar auf Vorschlag der Österreichischen Sektion – in der Jury waren die Herren Ratz, 6
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Ortswechsel zwischen Wien und Berlin. Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling, in: ÖMZ 7–8 (1998), S. 44, bzw. Thomas Gayda, Zur Auseinandersetzung um Organisation und Ästhetik der zeitgenössischen österreichischen Musik im Konzertleben Wiens in den Jahren nach 1945, Wien 1988, S. 173. Manfred Mugrauer, Schostakowitsch in Wien, S. 3, in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, 13. Jg., Nr. 4 (Dezember 2006). Präsident der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft war in diesen Jahren der damals wichtigste und einflußreichste Funktionär der österreichischen Komponistenschaft, Joseph Marx, der allerdings seine allmächtige Autorität nicht für die mit ihm befreundete Charlotte Eisler einsetzen konnte oder wollte. Eisler, Skizzen (Anm. 1), S. 2–4. Wilhelm Zobl, Hanns Eislers Wiener Jahre 1948–50, in: KompAkt 23. Zeitschrift der IGNM/Sektion Österreich, Wien 1987, S. 44.
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Petyrek, Häfner und Wildgans – bei den IGNM-Weltmusiktagen 1950 in Brüssel als österreichischer (!) Beitrag eingereicht und dort erfolgreich uraufgeführt. Mitglieder der Gesellschaft trachten ebenfalls danach, Eisler in seiner Heimatstadt als Komponist wieder bekannt zu machen; so versucht Erwin Ratz insbesondere auf die Bedeutung der Kammermusik und des umfangreichen Liedschaffens hinzuweisen und damit Eislers Ruf als „seriösen“ Komponisten zu festigen.10
Abbildung 2: Eislers IGNM-Bestätigung, daß er niemals Nazi-Mitglied war (Quelle: Archiv der IGNM Österreich).
Allerdings muß die Beziehung Eislers zur IGNM im Laufe seines Aufenthaltes in Wien als nicht konfliktfrei, wenn nicht sogar mit der Zeit als schwer belastet bezeichnet werden: Erste Unstimmigkeiten zeigen sich bereits im Rahmen der Vorbereitungen zum IGNM-Musikfest in Palermo, das vom 22. bis 30. April 1949 stattfindet. Österreich ist dabei durch zwei Werke vertreten, die von der internationalen Jury auf das Programm gesetzt werden, durch Hans Erich Apostels Streichquartett, op. 7, und durch Hanns Eislers Komposition 14 Arten, den Regen zu beschreiben, op. 70. Seltsame Machenschaften, die heute wohl nicht mehr eindeutig aufzuklären sind, bei denen aber der damalige (Noch-)IGNM-Präsident Apostel die Finger im Spiel gehabt haben dürfte, bringen es jedoch mit sich, daß Eislers Werk äußerst kurzfristig und unter fadenscheinigen Gründen abgesetzt wird. Thomas Gayda bringt es im Rahmen seiner Untersuchungen zur gescheiterten Rückholung Hanns Eislers nach Wien auf den Punkt: „Tatsache ist, daß anläßlich Schönbergs 75. Geburtstag, der in Palermo mit einer Aufführung des ‚Pierrot Lunaire‘ gewürdigt wurde, dem wesensverwandten Werk seines Schülers Eisler besondere Bedeutung zugefallen wäre, im Sinne ei10
Siehe dazu auch Ratz’ großen Aufsatz Hanns Eisler zum 50. Geburtstag, in: Europäische Rundschau 22 (1948), S. 1021–1024.
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ner nach außen deutlich sichtbaren aufgeschlossenen und frei von politischen Ressentiments agierenden österreichischen Kulturszene.“11
Doch damit nicht genug, der Streit geht weiter, beeinträchtigt schlußendlich sogar die enge Freundschaft zu Erwin Ratz und bestärkt Eisler sicher in seiner immer konkreter werdenden Entscheidung, Wien doch nicht als zukünftigen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zu wählen! In der „Sammlung Hilde Glück“ im Literaturarchiv der österreichischen Nationalbibliothek liegen – bis heute noch wenig bis gar nicht beachtet – nicht weniger als 84 Briefe, 4 Postkarten und zwei Telegramme Lou Eisler-Fischers an ihre Wiener Freundin Hilde Glück12, teilweise mit handschriftlichen Ergänzungen Hanns Eislers.13 Vier der Briefe, die die sich immer mehr verschlechternde Beziehung zur österreichischen IGNM drastisch aufzeigen, sollen hier in Auszügen veröffentlicht werden: „Liebstes Hildchen, Hanns läßt Dir für die Karte danken, und Dir sagen, daß Du unter keinen Umständen, weder für Kopiatur noch für was anderes der I.G.N.M. etwas zahlen sollst. Sie haben den Hanns herausgeschmissen und ihm das in einem frechen Brief mitgeteilt, dabei hatte ich Erwin [Ratz] als ich da war schon das Geld gegeben für den Beitrag und ihm gesagt, er soll es sofort zahlen. Er hat das absichtlich alles verhindert und nun muß man mit allen diesen Leuten endgültig Schluß machen, es hat keinen Sinn mehr irgendwie Kompromisse zu machen, mit Leuten, die in solcher Weise verhetzt sind. Sie sollen selbst sehen, wohin sie das führt. [...]“ (1. November 1950). „[...] Inzwischen wirst Du von mir gehört haben, daß die I.G.N.M. einen unverschämten Brief schrieb und Du daher Unrecht getan hast, ihnen den Beitrag zu zahlen, da H. [Hanns] mit diesen Leuten nichts mehr zu tun hat. Er läßt Dir nochmals sagen, unter keinen Umständen die 1000 Schilling, die sie keine Berechtigung hatten zu fordern (da sie nicht nur auf ihre eigene Verantwortung die Sache für das Musikfest [Weltmusikfest der IGNM in Brüssel 23. bis 30. 6. 1950, dort Uraufführung der Eislerschen Kammersymphonie] eingereicht haben, sondern es ihnen noch ausdrücklich von H. verboten worden ist) zu zahlen oder ihnen etwas zu versprechen. Bitte frage jetzt immer an, bevor Du so etwas auslegst! [...]“ (11. November 1950). „[...] Hanns wird Dir wahrscheinlich irgendwann antworten, aber inzwischen tu’ ich es in seinem Auftrag. Die I.G.N.M. steht anders: Hanns hat seinerzeit die Aufführung verboten, außerdem ein Jahr vorher schon mit ihnen bei anderer Gelegenheit ausgemacht, daß er für Kopiatur nichts zahlt.* Was Erwin [Ratz] in dieser Sache gemacht oder nicht gemacht hat, ist für uns uninteressant geworden. Aus vielen Gründen will er mit den Leuten nichts mehr zu tun haben. Er 11 12
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Thomas Gayda, Zur Auseinandersetzung um Organisation und Ästhetik der zeitgenössischen österreichischen Musik im Konzertleben Wiens in den Jahren nach 1945, Wien 1988, S. 142. Hilde Glück war die Frau des österreichischen Kunsthistorikers Dr. Franz Glück und die Mutter des Regisseurs Wolfgang Glück; zwischen den Eislers und den Glücks bestand eine enge Freundschaft. In der erwähnten Sammlung befindet sich zusätzlich sogar ein eigenhändiger Brief Hanns Eislers an Hilde Glück. ÖNB, Literaturarchiv, Sammlung Hilde Glück, Sign. 109/B2/1 bis 84 Lit.
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läßt Dir sagen, den Betrag nicht zu bezahlen und Dich um die Sache nicht mehr zu kümmern.** [...] * Die I.G.N.M. schuldet ihm noch viel Geld von der damals nicht zustande gekommenen ital. Reise. [Hier spielt Lou auf die erwähnte Absage beim Musikfest in Palermo im Jahre 1949 an.] Hanns möchte aber keine Hin + Her Spiele mehr in dieser Angelegenheit − weder mit Erwin noch anderen. Sein Geld braucht er für seinen Sohn und eine Wiener Reise − es wird außerdem gar nicht mehr möglich sein, wie bisher zu verrechnen, wir brauchen jeden Heller in Wien dringend! [3x unterstrichen] ** Hanns ist empört über Deine Zumutung der I.G.N.M. 1.000 Sch[illing] oder überhaupt etwas zu zahlen. Dein Gang zu Häfner [damaliger 1. Vizepräsident der IGNM und Dirigent der UA der Kammersymphonie] war ja von Dir aus – nicht von ihm ausgehend“ (15. November 1950). „[...] Ich möchte nicht, daß Erwin [Ratz] oder sonst jemand weiß, daß Du von uns die Dinge verwaltest und bezahlen kannst. Und auch Gespräche ob Hanns jetzt durch den Preis [Nationalpreis der DDR, verliehen im Oktober 1950] was bezahlen kann, oder ob ich mir den Luxus gestatten kann zu reisen, sind überflüssig. Immerhin verdient Hanns sein Geld durch sein Talent und wenn Erwin oder die I.G.N.M. zu Geld kommen wollen, sollen sie sich an reiche Fabrikanten oder Bankiers wenden. Gerade den Reichtum von Hanns zum Gesprächsthema zu nehmen, ist überflüssig und wenn jemand was will, soll er Hanns schreiben und nicht Dich zum Fürsprecher wählen − ob nun der Preis protzig aufgemacht war oder nicht, sind Gespräche darüber so spießbürgerlich, daß Du es wirklich ablehnen mußtest darauf einzugehen. Wenn jemand was will, soll er sich direkt an Hanns wenden. Die Partitur die Du von Häfner hast, werde ich kopieren lassen und ihm zurückschicken, sobald ich sie habe, das ist alles. − −“ (16. November 1950).
Friedrich Wildgans Eine intensive Bekanntschaft verbindet Eisler mit dem Komponisten und Klarinettisten Friedrich Wildgans (1913–1965), der bereits einer jüngeren Generation angehört, nie Schönberg-Schüler gewesen ist, jedoch nicht erst durch seine enge Bekanntschaft mit Anton Webern als überzeugter Anhänger des Meisters gilt. Darüber hinaus tritt Wildgans als überzeugter Antifaschist und von den Nazis politisch Verfolgter gleich nach Kriegsende der KPÖ bei, ist in den ersten Monaten nach Kriegsende an prominenter Stelle am Wiederaufbau des Wiener Musiklebens beteiligt und zählt zu den interessantesten Musiker- und Komponistenpersönlichkeiten das damaligen Österreich.14 Er ist anfänglich in die Bemühungen Eislers um eine Professur an der Wiener Musikakademie eingebunden gewesen, kann jedoch im 14
Als Komponist provoziert er beispielsweise mit der Uraufführung seiner Eucharistischen Hymnen für Solisten, Chöre, Blasorchester, drei Klaviere und Kontrabässe im Jahre 1954 einen der letzten österreichischen Konzertskandale.
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Jahre 1948 nicht mehr helfen, denn zu dieser Zeit hat er bereits erheblich an Einfluß verloren. Nichtsdestotrotz entwickelt sich ein intensiver Kontakt zwischen den beiden Künstlern; so dirigiert Wildgans die Uraufführung der Höllenangst-Musik am „Neuen Theater an der Scala“ und ergänzt – wie Peter Schweinhardt nachweisen konnte15 – die Eislersche Partitur mit eigenen Musiknummern. Wildgans’ damalige Frau, die Sopranistin Ilona Steingruber, in diesen Jahren eine der herausragendsten Interpretinnen für neue Musik, ist sodann eine der Solistinnen in der von Eisler selbst am 29. Mai 1949 in der Russischen Stunde des Rundfunks dirigierten Uraufführung der Kantatenfassung der Mutter.16 Als Belege für die Freundschaft können auch drei bemerkenswerte Geschenke Eislers an Wildgans gelten: Im Mödlinger Wildgans-Archiv liegen neben dem Originalautograph (!) des ersten Septetts, das Eisler mit dem Zusatz „Dem wunderbaren Musiker Prof. Friedrich Wildgans gewidmet“ versehen hat, der Erstdruck der Vierzehn Arten (diesmal mit der handschriftlichen Widmung „Für Friedrich Wildgans sehr herzlich in alter Verbundenheit vom alten Hanns Eisler 9/IV/61 Berlin“) und das Handexemplar der 3. Klaviersonate, ebenfalls versehen mit handschriftlichen Eintragungen Eislers – aber keiner Zueignung.17 Österreich und die Tradition In diesen Jahren hat die Arbeit der österreichischen Sektion der IGNM wenig bis gar keine Auswirkung auf das Musikleben des Landes. Die Gesellschaft besteht nicht mehr und nicht weniger aus einem „kleinen Kreis von Schönberg-Schülern und Anhängern, deren Kontakte zum offiziellen Musikbetrieb durch die ästhetische Haltung und einen kompromißlosen Antifaschismus mehr als getrübt“
sind.18 Eine verschworene Gemeinschaft von „Außenseitern“ also, deren Fürsprache für den Komponisten Hanns Eisler mit Ausnahme von einigen wenigen Aufführungen so gut wie gar nichts bewirkt. Die eigentliche Musik-Macht liegt in den Händen ganz anderer Institutionen: Als eine Art Gegengewicht gegen die „Fortschrittlichen“, also gegen die IGNM, wird im Februar 1949 die „Österreichische Gesellschaft für Zeitgenössische Musik (ÖGZM)“ gegründet, die zusammen mit dem im Jahre 1947 wieder aktivierten „Österreichischen Komponistenbund (ÖKB)“ das Sammelbecken für die „Traditionalisten“ werden sollte. Der damalige Vorstand des ÖKB19 hat sich darüber hinaus auch bereits vor Hanns Eislers An15
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Hanns Eisler Gesamtausgabe, Serie V, Bühnenmusik Bd. 5: Höllenangst – Musik zu der Posse mit Gesang von Johann Nepomuk Nestroy in der Textfassung des Theaters in der Scala, Wien 1948, hrsg. von Peter Schweinhardt, Wiesbaden 2007. Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen – Schriften – Literatur. Ein Handbuch, Leipzig 1984, S. 67. Privatarchiv Anton und Friedrich Wildgans, Mödling. Zobl, Hanns Eislers Wiener Jahre 1948–50 (Anm. 9), S. 44. Bestehend aus den Herren Joseph Marx (Obmann), Rudolf Sieczynski (Obmann), Friedrich Wildgans (Schriftführer) sowie den weiteren Vorstandsmitgliedern Viktor Keldorfer, Frank Fox, Hans Lang,
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kunft in Wien – in Zusammenhang mit Eislers Vorladungen vor dem HUAC, dem „House on Un-American Activities Committee“ („Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit“) und den damit verbundenen massiven Problemen des Komponisten – in geradezu beschämender Weise passiv verhalten, ein dringendes Hilfe-Ersuchen von Friedrich Wildgans wurde unmittelbar nach Wiedergründung der Organisation im Herbst 1947 mehrheitlich abgeschmettert: „Prof. Wildgans beantragt die Absendung eines Schreibens an den österreichischen Gesandten in Washington, sowie an den amerikanischen Gesandten in Wien, um diese zu einer Intervention zu Gunsten des Komponisten Eisler und seiner möglichen Rückkehr nach Österreich zu bewegen. [...] Nach längerer Diskussion stellt der Vorstand mit überwiegender [sic!] Mehrheit fest, daß in diesem Zeitpunkt die Gefahr einer Ausbreitung einer derartigen Aktion in ein Politikum besteht, wodurch der Komponistenbund aus einem Geleise gedrängt würde, welches mit seinen Statuten und Intentionen nicht vereinbar ist.“20
Bei beiden Gesellschaften, bei der ÖGZM wie beim Komponistenbund, ist eine Person federführend tätig, der Komponist und damalige AKM-Präsident Joseph Marx (1882–1964). Schon vor 1938 stand er, der bereits seit 1914 an der Wiener Musikakademie gelehrt hatte und später auch deren Rektor werden sollte, im Gegensatz zu Schönberg und seiner Schule. So fühlte er sich etwa bemüßigt, nach den „Internationalen Kammermusikaufführungen Salzburg 1922“, also nach den ersten Gehversuchen der IGNM, zusammen mit einigen dort nicht berücksichtigten Wiener Komponisten ein Gegenfestival durchzuführen.21 Und auch als einflußreicher Musikkritiker wettert er immer wieder erfolgreich gegen die Modernisten. Dieser Joseph Marx ist nun nach 1945 nach nie ganz geklärten Verbindungen zum NSStaat einer der wichtigsten Exponenten der Zeitgenössischen Musik in Österreich, er wäre die Persönlichkeit gewesen, an die sich Eisler hätte wenden müssen, um im Musikleben dieses Landes dauerhaft Fuß zu fassen. 1948, zur Zeit seiner letztendlich erfolglosen Bewerbungsversuche um eine Lehrstelle, tut er es offenbar nicht, wie Georg Eisler überliefert: „Der damalige Präsident der Akademie, Hans Sittner, stellte nur eine Frage: ‚Herr Professor, wen kennen Sie?‘ Worauf mein Vater, auf ihn weisend, sagte: ‚Sie, Herr Präsident! ‘ Jener erblaßte und das war das Ende dieser Angelegenheit.“22
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Hans Erich Apostel und Alois Melichar. Für den Antrag wird wahrscheinlich nur Wildgans selbst gestimmt haben. Protokoll der 1. Vorstandssitzung des ÖKB vom 8. Dezember 1947, Archiv des ÖKB, zit. nach: Thomas Gayda, Zur Auseinandersetzung um Organisation und Ästhetik der zeitgenössischen österreichischen Musik im Konzertleben Wiens in den Jahren nach 1945, Wien 1988, S. 140. Anton Haefeli, IGNM. Die Internationale Gesellschaft für neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart, Zürich 1982, S. 69. Ortswechsel zwischen Wien und Berlin. Georg Eisler im Gespräch mit Albrecht Dümling, in: ÖMZ 7–8 (1998), S. 43.
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Ein kurzer Brief Eislers aus dem Jahre 1953 belegt jedoch, daß Kontakte zwischen den beiden Komponisten bestanden haben müssen: Am 3. April dieses Jahres wendet sich Eisler mit folgenden Worten an den „sehr verehrten Herrn Hofrat Dr. Marx“: „Ich habe heute endlich Gelegenheit, mich bei Ihnen zu melden und es würde mich sehr freuen, bevor ich wieder wegfahre, Sie persönlich begrüßen zu können. In alter Verehrung Ihr sehr ergebener Hanns Eisler.“23
Bemerkenswert an diesem Schreiben ist neben der Tatsache, daß es überhaupt eine persönliche Verbindung zwischen Eisler und (Joseph) Marx gegeben haben muß, der Zeitpunkt der Kontaktaufnahme. Im April 1953 kann es Eisler nicht mehr um die schon fünf Jahre zuvor nicht erhaltene Professur gehen, und die FaustusDebatten, deren Ergebnisse ihn in tiefste Depression stürzen werden und ihn für längere Zeit nach Wien flüchten lassen, hat er erst vor sich. Es ist also zu vermuten, daß dieser Brief wirklich nur einen Ausdruck der Verehrung für einen Kollegen darstellt. Etwas klarer wird das Bild, wenn man weiß, daß Marx nach dem Krieg die Präsidentschaft der Musiksektion der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft innehat, zusätzlich wird er als Musiker auch vom linken Lager überaus geschätzt. Eine Marx’sche Bühnenmusik für die „Scala“ (!) oder das Gratulationsschreiben von Ernst Fischer zum 80. Geburtstag des Komponisten, das in geradezu enthusiastischen Worten die Vorzüge des Jubilars preist, belegen diese Sympathie augenscheinlich.24 Auch von Charlotte Eisler, die wie erwähnt mit Marx lange Jahre in der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft zusammengearbeitet hat, existieren mehrere Briefe „an den hochverehrten Meister“, der letzte, der Dank für dessen Kondolenzschreiben zum Tod Eislers, soll noch kurz zitiert werden – auch deshalb, weil er ein weiterer Beweis für die bis zu Eislers Tod bestehende persönliche Wertschätzung Eislers durch Marx (und umgekehrt) ist: „Hochverehrter Meister! Ihre so wundervollen Worte anläßlich des Todes von Hanns Eisler haben mich tief bewegt. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre An-
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ÖNB, Handschriftensammlung, Musikerbriefe, Regestkatalog, Signatur 812/42-1 (www.musikerbriefe. at). Aus einem Brief von Ernst Fischer an Joseph Marx vom 11. Mai 1962, zu dessen 80. Geburtstag: „[…] In Ihrer Musik leuchtet verklärt die österreichische Landschaft, Rebenhügel, goldenes Herbstlaub, der helle Himmel drüberher, Melancholie und Liebenswürdigkeit, Vitalität und das Leben, ein Traum, romantisch verzaubertes Österreich. Ihre Persönlichkeit, die jeden Teufelspakt zurückwies und zu keinem Zugeständnis an Eroberer und Machthaber bereit war, ist über die Grenzen dieses Landes hinausgewachsen. Ihre Phantasie ist nicht Rückzug der Wirklichkeit, und was melodisch in ihr tönt, ist ein tapferes Herz. Daraus wächst auch Ihr Humor, der das Gegenteil österreichischer Schlamperei ist, nämlich Attacke gegen alles Aufgeblasene, respektlose Haltung vor jeder Obrigkeit. Ihr scharfer Witz hat stets Ihre milde Musik ergänzt. Sie haben nicht nur Rhythmus sondern Rückgrat. Und das ist hierzuland höchst rühmenswert. So haben Sie Dank, lieber Meister, für Ihre Kunst und Ihre Mannhaftigkeit. […]“. ÖNB, Handschriftensammlung, Musikerbriefe, Regestkatalog, Signatur 815/15-2 (www.musikerbriefe. at).
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teilnahme. Auch mein Sohn schließt sich mir in Verehrung an. Ihre Charlotte Eisler. Wien, 1. 10. 1962.“25
Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß die Verehrung Marxens durch Eisler bzw. durch die österreichische Linke mit einem Gleichklang der politischen Ansichten zu tun hat; zueinander gefunden haben sie vielleicht durch ihre – wenn auch unterschiedlich begründete – Ablehnung der damaligen (musikalischen) Avantgarde. Nicht nur diese Verbindung zum damals wichtigsten und einflußreichsten Vertreter der heimischen Komponistenschaft belegt, daß Hanns Eisler in die österreichische Komponistenszene wesentlich stärker eingebunden war, als es bisherige Untersuchungen vermuten ließen! Fast nur in Publikationen, die dem linken Lager bzw. konkret der KPÖ nahestehen, finden sich in den Fünfziger-Jahren immer wieder eindeutige Hinweise darauf – oft auch bloß in Nebenbemerkungen. Ein Beispiel dafür ist folgender Bericht über einen Aufenthalt Dmitrij Schostakowitschs Ende 1952 in Wien: „Am 18. Dezember fand im Vortragssaal des Konservatoriums der Stadt Wien eine Begegnung von Schostakowitsch mit Österreichischen Komponisten und Musikschaffenden statt, in der u. a. Alfred Uhl, Marcel Rubin, Hanns Eisler, Mitglieder des Professorenkollegiums und bekannte Wiener Instrumentalisten teilnahmen. Schostakowitsch brachte bei dieser Gelegenheit erstmals in Wien drei seiner Präludien und Fugen für Klavier zu Gehör.“26
Daß diese Fakten bis heute nahezu unbekannt sind, erklärt sich nur durch die begrenzte Resonanz solcher Druckwerke in der österreichischen Öffentlichkeit; jede kommunistische Aktivität wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, nach bestem Wissen und Gewissen boykottiert. Eisler und Rubin: Der Hinweis auf Marcel Rubin im eben erwähnten Bericht führt zu einem spannenden Thema, das in der einschlägigen Eisler-Literatur noch nicht wirklich erschöpfend erörtert wurde; es geht um die höchst ambivalente Beziehung der beiden, eigentlich im gleichen politischen Lager beheimateten Komponisten, konkret um deren völlig konträre Sichtweise des Phänomens Schönberg, im weiteren Sinne sogar um die doch ziemlich unterschiedliche politische Einstellung von zwei prominenten Exponenten der kommunistischen Bewegung:27 Als Reaktion auf einen umfangreichen, ganz entgegen der dogmatischen Parteilinie formulierten sehr ausgewogenen Artikel Eislers zu seinem Lehrer Arnold Schönberg (einer Zusammen25 26 27
ÖNB, Handschriftensammlung, Musikerbriefe, Regestkatalog, Signatur 812/41-1–4 (www.musikerbriefe.at). Österreichische Zeitung, 18. Dezember 1952, 19. Dezember 1952; Tagebuch Nr. 1, 3. Jänner 1953, S. 5. Zit. nach: Mugrauer, Schostakowitsch in Wien (Anm. 7), S. 2. Zu den Beziehungen zwischen Hanns Eisler und Marcel Rubin siehe vor allem den Beitrag von Hartmut Krones in vorliegendem Band, S. 187–280.
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fassung seines berühmten Vortrages in der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin vom 17. Dezember 1954) im Heft 9/55 des Tagebuchs, der Monatszeitung für Kultur und Politik der Kommunistischen Partei Österreichs28, veröffentlicht Rubin im darauf folgenden Heft29 eine scharfe, streng linientreue Entgegnung, mit der er sich als hundertprozentiger Anhänger der von Stalin persönlich gesteuerten Musikpolitik zu erkennen gibt. Dieser Beitrags Rubins provoziert brillant formulierte und durchdachte Gegenstimmen von Karl Heinz Füssl30 und Kurt Blaukopf31, ehe sich schließlich Rubin selbst noch einmal zu Wort meldet, unversöhnlich und dogmatisch wie auch schon bei seinem ersten Beitrag.32 Interessant ist, daß die Reaktion des eigentlich Angegriffenen, die als Entwurf im Eisler-Archiv der Akademie der Künste in Berlin vorliegt, weder fertig ausformuliert noch von ihm veröffentlicht wurde;33 Manfred Grabs hat dieses Typoskript, das die Angriffe Rubins (und damit die der Schdanowschen bzw. Stalinschen Musikpolitik!) meiner Meinung nach mit an Deutlichkeit kaum zu überbietender Klarheit als unverständlich und reaktionär abweist, 1983 (gemeinsam mit Eislers Schönberg-Vortrag, der Replik Rubins und einem ähnlich abweisenden Kommentar von Karl Laux) als Faksimile ediert.34 Im Zusammenhang mit diesem Thema sei noch von zwei Gesprächen berichtet, die ich mit einigen Beteiligten führen konnte – und die die aus diesen schriftlichen Stellungnahmen hervorgehenden politischen Ansichten Eislers sowie Rubins noch untermauern: Im Jahre 1991 war es mir möglich, Marcel Rubin selbst über seine Beziehung zu Hanns Eisler zu befragen – im Hinterkopf hatte ich natürlich die eben erwähnten Fakten zu Rubins Kritik am Vortrag Eislers über Arnold Schönberg. Die Antwort Rubins war für mich dann doch etwas überraschend, er sprach nämlich – ohne auch nur irgendwie auf die bekannte Konfrontation einzugehen – von seinem guten Freund Hanns Eisler, der ja nie Kommunist, wohl aber Marxist gewesen wäre und den er, Rubin, nach Eislers Verhören vor dem „Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit“, gemeinsam mit anderen Freunden gleichsam eigenhändig aus Amerika herausgeholt habe.35 Nachdem ich den alten Herrn nicht provozieren wollte, fragte ich nicht genauer nach... Ich erzählte diese Episode aber einige Monate später Karl Heinz Füssl, der ja an der Konfrontation Eisler–Rubin beteiligt war. Füssl, der in unseren Gesprächen selten emotional wurde, war plötzlich ziemlich erregt. Er sprach vom „Stalinisten“ Rubin, von dessen Stalin-Kantaten, die heute nicht mehr in den Werkverzeichnissen zu finden wären, und vom Versuch Rubins, ihn, Füssl, bei der Partei bzw. bei der Sowjetischen Be28 29 30 31 32 33 34
Tagebuch 9/55, 23. April 1955, S. 5–7. Tagebuch 10/55, 10. Mai 1955, S. 5. Tagebuch 11/55, 21. Mai 1955, S. 5–6. Tagebuch 12/55, 4. Juni 1955, S. 5–6. Tagebuch 13/55, 18. Juni 1955, S. 5–6. Das Faksimile dieses Typoskripts ist auf S. 186 dieses Bandes abgebildet. Wer war Hanns Eisler. Auffassungen aus sechs Jahrzehnten[,] ausgewählt und eingeleitet von Manfred Grabs, Westberlin 1983, S. 214. Wiedergabe sämtlicher Artikel im Beitrag von Hartmut Krones, S. 244–272. 35 Zu dieser „Heraushol-Aktion“ siehe (im Beitrag von Hartmut Krones) S. 190f.
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satzungsmacht anzuschwärzen. Ernst Fischer habe dieses Ansinnen glücklicherweise mit der Bemerkung „Laßt’s den Füssl in Ruhe!“ vom Tisch gefegt.36 Eisler und die Jungen Zum Schluß sei noch die Frage gestellt, ob und in welcher Form Hanns Eisler Kontakte zur damals jungen Generation der österreichischen Komponierenden gepflegt hat. Seine auch nach der Übersiedlung nach Berlin kontinuierlich stattfindenden, oft mehrere bzw. viele Monate andauernden Wien-Aufenthalte sollten ihm eigentlich die Möglichkeit gegeben haben, zumindest die Szene in dieser Stadt kennenzulernen. Neugierig ist Eisler wahrscheinlich primär auf Komponisten, die sich in Wien den Errungenschaften der Schönberg-Schule verbunden fühlen. Unmittelbar nach dem Krieg vermitteln vor allem Josef Polnauer und Erwin Ratz diese Kenntnisse im Privatunterricht, zu akademischen Ehren kommt die Lehre Schönbergs in Wien bekanntlich erst sehr viel später. Unter Polnauers Privatschülern finden sich Karl Heinz Füssl (1924–1992), Josef Garai (1923–1990) und Paul Kont (1920–2000), weiters Friedrich Cerha (*1926), René Clemencic (*1928), Michael Gielen (*1927) und Hans Kann (1926–2005). Kontakte zu Eisler von René Clemencic und Hans Kann, die nicht nur als Komponisten Karriere gemacht haben, können nicht nachgewiesen werden, Friedrich Cerha findet damals noch keinen Weg zu Hanns Eisler, und Michael Gielen scheitert bereits an der ersten Unterrichtsstunde: Laut einer Erzählung von Karl Heinz Füssl soll er Eisler einige Arbeitsproben, deren Tonsprache durchgehend im Stil der Schönberg-Schule gehalten waren, vorgelegt haben. Eisler habe sich diese Stücke jedoch nur ganz kurz angesehen und darauf mit einem verschmitzten Lächeln Gielen den Auftrag gegeben, bis zum nächsten Mal „35 Walzer in A-Dur“ zu komponieren. Michael Gielen ward nie wieder gesehen…37 Auf die drei Freunde Füssl, Garai und Kont wird Eisler wohl mehr Eindruck gemacht haben. Alle drei stehen in den Jahren nach dem Krieg der KPÖ nahe. Für Paul Kont hat eine von ihm selbst erwähnte persönliche Begegnung mit Eisler wohl die wenigsten Konsequenzen. Nach weiterführenden Studien in Paris bei Milhaud, Messiaen und Honegger im Jahre 1952 fühlt er sich laut eigener Aussage nicht mehr dem Schönberg-Kreis zugehörig. Auch seine frühen Sympathien für den Kommunismus – immerhin ist er einer der wenigen österreichischen Komponisten, die eine Bühnenmusik für die „Scala“ verfassen – nehmen mit der Zeit ab. Viele Jahre später hat er im Rahmen seiner Tätigkeit als Lehrer für Medienkomposition an der Wiener Musikhochschule laut Aussage seiner Studierenden das Filmmusikbuch von Eisler und Adorno wenigstens am Rande erwähnt. Es gibt keine genauen Aufzeichnungen darüber, inwieweit Josef Garai mit Hanns Eisler zu tun gehabt hat. Garais intensive Beschäftigung mit der Zwölftontechnik 36 37
Gespräche mit Marcel Rubin (Jänner 1991) und Karl Heinz Füssl (Mai 1991). Laut dem Gespräch mit Karl Heinz Füssl (Mai 1991).
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und seine Tätigkeit als Leiter des Arbeiterchores der Freien Österreichischen Jugend – mit dem er Eisler-Werke aufgeführt hat – sprechen jedoch für einen näheren Kontakt. Eislers Einfluß kann aber auch hier nicht zur Entfaltung kommen, da Garai das Komponieren bereits zu Beginn der 50er-Jahre aus familiären Gründen aufgibt.38 Einzig für Karl Heinz Füssl ist die Begegnung mit Eisler auch längerfristig – eigentlich lebenslang – von Bedeutung. Füssl ist nach Studien in Berlin und Wien (hier bei Alfred Uhl und Hans Swarovsky) insbesondere durch die Begegnung mit dem Schönberg-Kreis und der Arbeiterbewegung geprägt worden. Neben seiner Karriere als Komponist ist er in weiterer Folge auch als Musikwissenschafter und Herausgeber erfolgreich. Leider überstrahlt heute, mehr als 15 Jahre nach seinem Tod, der Bekanntheitsgrad des Wissenschaftlers den des Komponisten bei weitem. Zu Unrecht, wartet doch ein umfangreiches und qualitativ hochwertiges kompositorisches Œuvre auf seine Entdeckung bzw. Wiederentdeckung, darunter die in Deutschland, Österreich und Italien erfolgreich uraufgeführten vier vollendeten Opern Dybuk, Celestina, Kain und Resurrexit, die vielfältige Orchester- und Kammermusik und nicht zuletzt die bedeutende Vokalmusik, darunter die Hölderlin-Liederbücher, Hefte 1–7, die zwei Brecht-Liederbücher oder die auf Trakl-Texte komponierte noch immer unaufgeführte späte Kantate für Chor, Solisten, Sprecher und wenige Instrumente, Nähe des Todes. Glücklicherweise existieren einige Dokumente zur wenig bekannten engen persönlichen wie künstlerischen Beziehung zwischen Eisler und Füssl, zusätzlich greife ich auch noch auf mehrere Gespräche mit Füssl zurück.39 Einige dieser Dokumente sollen im folgenden erwähnt werden, auch um zu zeigen, daß die Zusammenarbeit zwischen Eisler und Füssl einem absolut nicht alltäglichen Lehrer-SchülerVerhältnis sehr nahe kommt. Wenige Tage vor seinem überraschenden Ableben hat Füssl sich noch schriftlich zu seinem Verhältnis zu Hanns Eisler geäußert, er hätte für eine Gedenksendung zu Eislers 30. Todestag im Rundfunk mit dem Freund Georg Eisler diskutieren sollen. Seine Notizen zur Frage „Was hat mir Eisler bedeutet?“ sind: „Ich war der Freund seines Sohnes und auch der Freund seines Freundes Erwin Ratz und er war mir vom ersten Augenblick an der wohlmeinende, teilnehmende ‚ältere‘ Freund. Seine Unbestechlichkeit im Künstlerischen hat ihn mir zum Vorbild, zum künstlerischen Gewissen werden lassen – mehr noch als andere Freunde unter den Schönberg-Schülern Ratz, Polnauer, Travnecek [!], usw. – warum? Weil er der einzige Komponist war, den ich aus diesem Kreis kannte. Als Komponist galt er mir stellvertretend für Schönberg [...]“
38
39
Bernhard Günther (Hg.), Lexikon zeitgenössischer Musik aus Österreich. Komponisten und Komponistinnen des 20. Jahrhunderts mit Werklisten, Diskographien, Bibliographien und einer zweisprachigen Einleitung, Wien 1997, S. 457. Siehe Fußnote 36 bzw. 37.
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Abbildung 3: Brief Hanns Eislers an Karl Heinz Füssl (ÖNB, F 114 Füssl 391/1-3).
Zur Frage „Zwölftontechnik und Eisler“ und „Eisler und der Kommunismus“ schreibt er: „Die Zwölftonmethode galt zu ihrer Zeit (ab Mitte der 20er-Jahre) als das fortgeschrittenste Stadium der neuen Musik. Wien war ihr Zentrum. Die Schönberg-Schüler verstanden sich als künstlerische, zwangsläufig eher links orientierte Elite (Webern: Arbeiterchöre als Mitte, später Eisler dann am äußersten Rand).“40
Auch von Eisler selbst sind einige schriftliche Äußerungen zu Füssl erhalten geblieben. Zwei der drei erhaltenen Briefe Eislers an ihn belegen explizit diese enge, nicht nur künstlerische Beziehung. Sie sind nicht datiert, durch ihren Inhalt können sie jedoch relativ genau zugeordnet werden. Im Brief, der Ende der 40er-Jahre entstanden sein muß (Abbildung 3)41 – Eisler spricht Füssl hier seinen Dank für einen „vorzüglichen Klavierauszug“ aus, es wird sich wahrscheinlich um den zum Lied 40
41
Typoskript im Besitz der ORF-Redakteurin Dr. Irene Suchy, teilweise abgedruckt im Gedenkartikel In Würde von Musik leben. Der Komponist Karl Heinz Füssl, verfaßt von Irene Suchy, in: Salto. Eine linke Wochenzeitung, 30. Oktober 1992, S. 42–43. Siehe Abb. 3, Original im Nachlaß Füssl der Musiksammlung der ÖNB (F 114 Füssl 391/1–3).
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über den Frieden [Text: Ernst Fischer] handeln42 –, bezieht er sich sogar mit einem Notenzitat auf ein Werk, an dem Füssl gerade arbeitet: auf die allererste Fassung des erst 1956 endgültig fertiggestellten Orchesterwerks Epitaph in memoriam Anton Webern.43 Karl Heinz Füssl hat mir dazu erzählt, daß er Eisler die Entwürfe zu diesem Werk mit der Bitte um Kritik gezeigt hat. Wie das kurze Schreiben Eislers offenkundig belegt, hat dieser das Stück auch noch nach vielen Wochen – fast fehlerfrei – im Gedächtnis gehabt, die Komposition muß ihn also wirklich beeindruckt haben. Mit großem Respekt wird sich Füssl noch Jahre später daran erinnern: „Sie hatten für eine nur ein einziges Mal im Leben gehörte oder gesehene Musik ein über Jahrzehnte hinaus auffallend intaktes Gedächtnis. Ich habe das oft bewundert. Neben beachtlicher physiologischer Beschaffenheit beweist es, dass Sie gern Anteil genommen haben an dem, was einer dachte, vielleicht noch mehr als an dem, was einer tat.“44
In einem anderen Brief45, der – wie der Bezug auf den noch nicht erschienenen ersten Band von Eislers Lieder und Kantaten annehmen läßt – Mitte der 50er-Jahre geschrieben worden sein dürfte, spricht Eisler sogar von einer Füssl-Partitur, die er mit gleicher Post retourniert. Er wird sie nicht ohne Grund nach Berlin mitgenommen haben! Das bemerkenswerteste Dokument, das zur Beziehung Eisler – Füssl vorliegt, ist ein imaginärer Brief, den Karl Heinz Füssl an den eben gestorbenen Eisler entwirft und der im Tagebuch46 als eine Art sehr persönlicher In-memoriam-Beitrag zusammen mit mehreren anderen Stellungnahmen zu Hanns Eislers Ableben veröffentlicht wurde. Aus ihm ist im Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen musikalischen Gedächtnis Eislers bereits zitiert worden. Neben der psychologischen Komponente interessieren die Fakten: Denn Füssl bestätigt hier, daß sich Eisler bis zu seinem Lebensende mit der jungen österreichischen Komponistenszene beschäftigt hat: „Immer fragten Sie mich, ob denn da oder dort gar ein neues Talent aufgetaucht sei, in Dirigenten-Vorzimmern und von Zeitungs-Redaktionen noch unentdeckt. Ich hätte Ihnen dieses Mal einen Freund vorgestellt (der Name tut ja nichts mehr zur Sache), und ich weiß, daß Sie sich gefreut hätten. Vielleicht hätten Sie im Laufe einer unvermeidlichen harten Diskussion ein neues chinesisches Sprichwort erfunden, wie schon manche zuvor, um etwas recht bildhaft auszudrücken.“ 42 43
44
45 46
Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen – Schriften – Literatur. Ein Handbuch, Leipzig 1984, S. 115. Nach der einen veritablen Skandal provozierenden Uraufführung beim IGNM-Fest 1957 in Zürich wird Füssl dieses Werk noch viele Male verändern bzw. verbessern, ehe er es schlußendlich zusammen mit einem neu komponierten zweiten Satz als „Epitaph und Antistrophe, op. 7“ im Jahre 1970 wieder veröffentlicht. Tagebuch, 10/62, Wien, Oktober 1962, S. 5. Siehe auch: Hannes Heher, Verehrung über den Tod hinaus – Karl Heinz Füssl an Hanns Eisler. (Zum 80. Geburtstag von Karl Heinz Füssl), in: Eisler-Mitteilungen 35 (Juni 2004), S. 20–22 ÖNB, Musiksammlung, F 114 Füssl 391/1–3. Wie Fußnote 44.
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In weiterer Folge negiert Füssl sogar eine Lehrer-Schüler-Beziehung mit Hanns Eisler – und doch wieder nicht: „Ich war nie Ihr Schüler. Manchmal habe ich es bedauert, wenn es mir schwerfiel, mit meiner Arbeit weiterzukommen. Nur manchmal – sicher waren Sie ein äußerst unbequemer Lehrer, an diesbezügliche Anekdoten erinnere ich mich nur zu gut. Aber selbst in der schärfsten Form Ihrer Kritik war Anteilnahme. Daß Sie aus dem Lager Schönbergs kamen, das war es, was Sie allen voraus hatten: Sie wollten nicht nur helfen, Sie konnten es. Daß Sie es außerdem noch wollten, hat Ihnen viele Freunde geschenkt.“
Diese entwaffnende Enthüllung führt die vorher erwähnten Fakten nicht ad absurdum: Offiziell war ja Füssl wirklich nie ein Mitglied der Eislerschen Kompositionsklasse – und inoffiziell muß er bereits von Beginn an nicht als Schüler, sondern als gleichberechtigter Partner gelten.
Abbildung 4: Nach der Maidemonstration 1951 in Wien. Von links: Karl Heinz Füssl, Georg Eisler, Hanns Eisler.
GÜNTER MAYER (Berlin) †
Offener Frevel Eisler-Rezeption und „Materialschlacht“ in der DDR-Musikwissenschaft vor 1968 In den frühen Jahren der DDR samt Berlin (Ost) ist Eisler sehr einseitig wahrgenommen und vermittelt worden: nicht so sehr als der Komponist der proletarischen Kampfmusik, sondern zunächst als der Komponist der Nationalhymne und der Neuen Deutschen Volkslieder. Durch die partei-offizielle, klassizistische Überbetonung des Einfachen wurde zudem der differenzierte Eisler der Kammermusik, der Orchestermusik sowie der Vokalsymphonik nicht nur verdrängt, sondern auch abgewertet. Insbesondere die Beziehung Eisler-Schönberg, der historische Stellenwert Schönbergs, die Relation Tonalität-Atonalität, die Äußerungen Eislers zum musikalischen Material und die Einschätzung der Dodekaphonie überhaupt sowie die Beurteilung seiner entsprechenden Kompositionen waren in der beginnenden Aneignung des „ganzen“ Eisler umstritten. Die von der Musikpolitik in der SED und im Verband der Komponisten vertretenen Positionen waren im Hinblick auf diesen Problemkomplex letzten Endes noch bis in die 1970er Jahre von klassizistischen, d. h. einseitig konservativen, distanzierenden Werturteilen bestimmt. In seinem 1964 publizierten Aufsatz Eisler und Schönberg ist Nathan Notowicz nicht bereit, Schönberg als bedeutendem „Materialrevolutionär“ (bekanntlich Eislers Wertung 1931 auf dem Höhepunkt der Kampfmusik), als „einen der bedeutendsten Komponisten nicht nur des 20. Jahrhunderts“ (Eisler 1954 in seinem SchönbergVortrag) anzuerkennen. Notowicz ordnet Schönberg ein in den „Verfall der spätbürgerlichen, modernistischen Kunst“.1 Diese Position ist von der Mehrheit der Funktionäre, der Komponisten, der Interpreten, der Musikpädagogen der DDR nie wirklich überwunden worden. Gegen den durchgehenden vulgärsoziologischen Dogmatismus regte sich bald Widerspruch: praktisch, musikalisch vor allem im Verhalten der kleinen Gruppe junger Komponisten um Paul Dessau, die sich davon nicht beeindrucken ließen und sich eigenständig mit Schönberg, Webern, Stockhausen, Boulez, Nono, Berio usw. auseinandersetzten und eigenständig avanciert zu komponieren begannen; musikwissenschaftlich in dem Versuch, Eislers Forderung, das vulgärmaterialistische Soziologisieren zu überwinden und in der Kritik an der bisherigen Eisler-Interpretation und 1
Nathan Notowicz, Eisler und Schönberg, in: Deutsches Jahrbuch für Musikwissenschaft für 1963, Leipzig 1964, S. 7–25; ders., Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler (1964), S. 74–94; ders., Hanns Eisler. Quellennachweise, Leipzig 1966.
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klassizistischen Moderne-Feindschaft Umrisse einer „Dialektik der Musik“ zu formieren. Zwischen 1958 bis 1961 erschienen bei ETERNA die ersten zehn Eisler-LPs (45UpM); damit waren Werke wie das Lenin-Requiem, die Kammersinfonie und die 2. Sonate für Klavier greifbar. Seit 1965 gab es auf LP die Deutsche Sinfonie, Fünf Orchesterstücke, die Kleine Sinfonie, das Streichquartett und die Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Etliche Partituren lagen gedruckt vor: in den Bänden der Lieder und Kantaten (die Deutsche Sinfonie und Lenin-Requiem in Band 3) oder in Einzelausgaben: die Vierzehn Arten z. B. bereits 1960, die Kammersinfonie 1968. Auch einige wichtige Schriften Eislers waren öffentlich zugänglich: Komposition für den Film bereits 1949, die Texte gegen die „Dummheit in der Musik“ in Sinn und Form 1958, eine Auswahl von Texten 1961. Trotz dieser Materiallage kam Eisler bis 1959 in meiner musikwissenschaftlichen Ausbildung weder im Hinblick auf die Musikgeschichte noch im Instrumental-, Chor- bzw. Gesangsunterricht vor. Für mich war zunächst die kritische Aneignung der musiksoziologischen Schriften Adornos ganz wesentlich. Ich habe einen 6monatigen Studienaufenthalt im Frühjahr 1962 in Leningrad vorwiegend dafür genutzt, Adorno zu lesen, dessen Schriften in der dortigen Bibliothek vorhanden waren. Kritik an der dogmatischen Eisler-Rezeption der DDR kam 1962 zunächst aus Leipzig: Vor allem Eberhardt Klemm stand mit seiner Interpretation der spätbürgerlichen Moderne, insbesondere Schönbergs und der dodekaphonen Arbeiten Eislers zu den in der herrschenden Musikpolitik vertretenen Positionen quer. Er hatte Adorno nicht nur gelesen, sondern korrespondierte auch mit ihm. Als Assistent am musikwissenschaftlichen Institut der Leipziger Universität realisierte er Konzerte mit Werken von Webern, Nono, Dessau und Strawinsky. Seine Interpretation des Lenin-Requiems widersprach der offiziellen Lesart: Eisler verwende die Zwölftontechnik nicht wesentlich anders als Schönberg und sei daher quasi ein „Reihenfetischist“. Das war offener Frevel und führte zu dem Vorwurf, Klemm betreibe mit der Umwertung der Reihentechnik einen „Kult des musikalischen Materials“.2 Von diesen Auseinandersetzungen wußte ich damals nichts. Ich war damals in Berlin damit beschäftigt, die Leningrader Adorno-Lektüre auszuwerten. Das fand seinen Niederschlag in dem Text, den ich auf dem I. Internationalen Seminar marxistischer Musikwissenschaftler im Mai/Juni 1963 in Prag vorgetragen habe. Darin ging es um allgemeine methodologische Probleme, wie der Stellenwert der Soziologie bzw. der Musiksoziologie in der marxistischen Gesellschaftswissenschaft bzw. 2
Vgl. dazu detailliert Lars Klingberg, Die Debatte von Eisler und die Zwölftontechnik in der DDR in den 1960er Jahren, in: Zwischen Macht und Freiheit. Neue Musik in der DDR, hrsg. von Michael Berg u. a., Köln 2004, S. 39–61, hier S. 40–43. Klemm, der sich zudem zu Ernst Bloch bekannte, galt als politisch unzuverlässig. Nach Auslaufen seines Arbeitsvertrages an der Leipziger Universität wurde ihm der Wechsel an die Rostocker Universität verwehrt. Er lebte und arbeitete seither „freischaffend“, als Publizist, Editor, Rundfunkautor usw.
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Musikwissenschaft zu begreifen sei: polemisch gerichtet gegen die Identifikation von Historischem Materialismus und Soziologie ebenso wie gegen den theorielosen Empirismus. In meinem Text wird der Name Eislers nur ein einziges Mal, zudem sehr unspezifisch, erwähnt: mit dem Hinweis auf die marxistische Durchdringung der Musikwissenschaft, die „etwa in den zwanziger und dreißiger Jahren bei Boris Assafjev, Hanns Eisler, Ernst Hermann Meyer – um nur einige zu nennen – begann“.3 Meine intensive Beschäftigung mit Eisler setzte wenig später ein: im Herbst 1963 fand in Geltow bei Berlin eine musikwissenschaftliche Tagung zur musikalischen Analyse statt. Es referierten u. a. Eberhardt Klemm (mit einer Analyse von Brahms’ Vier ernsten Gesängen) und ich mit einer Analyse der Eisler’schen Musik zur Mutter, in der ich Eislers Praxis der Gestaltvariation, der Permutation von Gestaltelementen, ihrer Verdichtung zu mehrfach verwendeten, leicht abgewandelten Modellen etc. herausarbeitete. Das hatte mit der Zwölftontechnik direkt nichts zu tun, war aber ohne die darin erworbene kompositorische Erfahrung nicht zu verstehen. Daß Eisler im Einfachen der „Kampfmusik“ nur deshalb so originell werden konnte, weil er an der Höhe der „Kunstmusik“ seiner Zeit sich formiert hatte, stand quer zu der im Komponistenverband verfolgten Linie, den ideologischen Bruch Eislers mit Schönberg auch auf seinen Bruch mit dem Komponisten Schönberg auszuweiten. Noch im November des Jahres 1963 gab es in Geltow eine weitere Tagung des im Verband bestehenden, von Harry Goldschmidt geleiteten Ästhetik-Ausschusses. Zur Vorbereitung des für Herbst 1964 geplanten Musik-Kongresses über den Stand und die Aufgaben des musikalischen Schaffens hatte die Verbandsleitung zehn symphonische und chorsymphonische Arbeiten von zehn Komponisten ausgewählt, darunter das Lenin-Requiem von Eisler. Es waren Analysen dieser Werke von zehn Musikwissenschaftlern angefordert und – nach Tonbanddemonstration – in den Bezirksverbänden diskutiert worden. Die Ergebnisse standen auf der Tagung zur Diskussion. Im Januar 1964 hatte die Verbandsleitung deren Zusammenfassung im Hinblick auf die vertretenen Positionen, ungeklärte Fragen usw. mir übertragen: es entstand der sog. Problemspiegel.4 Ich habe dabei die Analysen und die Diskussion insbesondere im zweiten Teil des Textes so wiedergegeben und formuliert, daß die inkompetente Polemik gegen den „Formalismus“, den „Modernismus“ und die Überideologisierung der Musik deutlich als längst überholt hervortraten. Es ist nicht verwunderlich, daß die Verbandsleitung sich von diesen Ergebnissen distanzieren mußte. In internen Beratungen im Frühjahr 1964 ist vor allem Harry Goldschmidt wegen „ideologischer Unklarheiten“ angegriffen worden: wegen der Überbetonung des Kampfes gegen den Dogmatismus, wegen fehlerhafter Ein3 4
Günter Mayer, Zur musiksoziologischen Fragestellung, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 4, Nr. 4 (1963), S. 311– 322, hier S. 318. Die bisher ausführlichste Darstellung dieses bisher ungedruckten Textes (Typoskript 32 Seiten) und der von diesem ausgelösten Auseinandersetzungen hat Laura Silverberg in ihrer Dissertation geleistet. Laura Silverberg, The East German Sonderweg to modern music 1956–1971, Diss. Univ. of Pennsylvania, Michigan 2007, S. 145–161. Siehe dazu auch Klingberg, Die Debatte um Eisler (Anm. 2), S. 43ff.
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schätzung des spätbürgerlichen Modernismus und der Atonalität. Für den I. Musikkongreß im Herbst 1964 wurde von der Verbandsleitung anstelle des verworfenen Problemspiegels ein neues Dokument erarbeitet: Eisler habe sich vom dogmatischen Kern der Schönberg-Methode entfernt. In Presse-Beiträgen unmittelbar vor dem Musikkongreß wurde wiederholt betont, daß Eisler nicht als Kronzeuge für die Neuaufwertung der Zwölftontechnik mißbraucht werden dürfe. Im Lenin-Requiem und in der Deutschen Sinfonie gebe es nur mehr oder weniger frei zwölftönig gestaltete Teile, die mit tonalen Teilen zu einer vollkommenen Einheit verschmolzen seien.5 Ebenfalls 1964 erschien das von Hans Bunge herausgegebene Sonderheft Hanns Eisler der Zeitschrift Sinn und Form. In der Planung des Sonderheftes versuchte er, auch die vom Verband zurückgedrängten Positionen zu präsentieren: Er wollte Eislers zwölftönig komponiertes Trio Präludium und Fuge über B-A-C-H und die dazu gehörige Analyse abdrucken, die Auseinandersetzung zwischen Eisler/Bloch und Lukács dokumentieren. Schließlich hatte Eberhardt Klemm, mit dem Bunge eng befreundet war, für dieses Sonderheft einen längeren Aufsatz zur Zwölftontechnik bei Eisler und Schönberg geschrieben.6 Darin hat er seine Gegenposition zu Notowicz, dessen Aufsatz über Eisler und Schönberg aus dem Jahrbuch für Musikwissenschaft ins Sonderheft genommen wurde, argumentativ entfaltet.7 Damit aber wäre die wissenschaftliche Autorität von Notowicz in Frage gestellt worden. Der intervenierte daher kraft seines Amtes und ideologisch wachsam gegen Bunges Absichten, insbesondere gegen den Abdruck von Klemms Artikel. Er konnte aber nicht verhindern, daß Bunge als Redakteur von Sinn und Form diesen zunächst unterdrückten Aufsatz im Heft 4/1964 veröffentlichte. Die Reaktion darauf erfolgte sehr bald im Heft 1/2 von 1965: Während Knepler8 Klemms Versuch, einen einzelnen Aspekt des kompositorischen Schaffens Eislers zu untersuchen, als „legitim, ja notwendig“ beurteilte (S. 261), „wozu ihm Notowicz, da er diese Frage zu wenig herausarbeitet, Anlaß gibt“ (S. 262), hat Notowicz, etwas herablassend, „mit einer gewissen Rührung“ reagiert: da gebe es eine Reihe interessanter und aufschlußreicher Überlegungen, „nur das Ganze erscheint in merkwürdiger Verlagerung der inneren Gewichtsverhältnisse“ (S. 263). Es gäbe richtige Teilbeobachtungen in falscher Verallgemeinerung. Aber: Er wolle weder den Aufsatz noch den Autor in Bausch und Bogen verdammen, denn er habe sich einer Problematik zugewandt, „über die wissenschaftlich noch nicht viel vorliegt“ (S. 267). 5 6 7
8
Vgl. Klingberg, Die Debatte um Eisler (Anm. 2), S. 49. Eberhardt Klemm, Bemerkungen zur Zwölftontechnik bei Eisler und Schönberg, in: Sinn und Form (1964/4), S. 771–784. Klemm nahm, ohne Namen zu nennen, Bezug auf seine Kritiker, die ihn im Hinblick auf die zwölftönigen Aspekte des Lenin-Requiems unwahrer Behauptungen bezichtigt hatten, und wies nach, daß in einer Reihe von Werken Eislers, darunter auch in den entsprechenden Teilen der Eisler-Kantate, „die Zwölftontechnik nicht freier gehandhabt wird als bei Schönberg“. Georg Knepler / Nathan Notowicz, Diskussion mit Eberhardt Klemm, in: Sinn und Form (1965/1–2), S. 261–267.
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Im Juni 1965 fand in Berlin das II. Internationale Seminar marxistischer Musikwissenschaftler statt. Dieses Forum haben Harry Goldschmidt und ich bewußt genutzt, um die vorherrschenden Positionen in der gängigen, auch von den sowjetischen und ungarischen Teilnehmern noch vertretenen Fassung des „sozialistischen Realismus“ in Frage zu stellen – ohne die Forderung nach einem politisch progressiven Engagement der Komponisten preiszugeben.9 Ich habe mich in meinem Diskussionsbeitrag auf die „Dialektik des musikalischen Materials“ konzentriert: Gestützt auf Eislers Forderung nach einer „Dialektik der Musik“ habe ich – auf Eislers politische Autorität gestützt, versucht, die vor allem in „Komposition für den Film“ versammelten Aussagen zu einer Theorie des musikalischen Materials zu bündeln. Von der Sache her wollte ich damals nachweisen, daß die Fixierung auf die Zwölftontechnik nur die Oberfläche trifft. Damit lagen die von der Verbandsleitung 1964 zurückgewiesenen Positionen des „Problemspiegels“ ein Jahr später in konzentrierter Form auf dem Tisch des internationalen Seminars. Die Reaktion der Offiziellen war dementsprechend zurückhaltend, die ungarischen Vertreter äußerten sich demonstrativ beifällig (und veranlaßten den sofortigen Nachdruck in Magyar Zene). Der Text mußte in dem Heft der Beiträge zur Musikwissenschaft erscheinen, in welchem die Beiträge zum internationalen Seminar abgedruckt wurden. Ich habe davon eine erweiterte Fassung hergestellt, die 1966 in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, die von der Verbandsleitung unabhängig, also weit entfernt war, erschienen ist. Direkte Kritik blieb aus. Lediglich auf der I. Theoretischen Konferenz 1966 sind die Diskussionen über die ästhetische Relevanz des musikalischen Materials als „revisionistische Fehlorientierungen“ eingeschätzt worden. Um die 1965 entwickelten Positionen zur „Materialtheorie“ an der Sache nachzuweisen, habe ich 1966 eine sehr ausführliche Analyse von Paul Dessaus Requiem für Lumumba geschrieben, die 1969 erschien, und gezeigt, wie sinnvoll die Verwendung der Reihentechnik oder etwa die ästhetische Aneignung des Geräusches sind.10 Und 1967 konnten Richard Cohn-Vossen und ich mit Paul Dessau einen Dokumentarfilm realisieren, in welchem er seine Kritik an der abstrakten Polemik gegen „Formalismus“ und „Modernismus“ bekräftigte. 1967 schrieb ich eine detaillierte Rezension des Eisler-Sonderheftes von Sinn und Form11, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen von Notowicz enthielt: Die Beschränkung auf Melodik und Themenbildung sei einseitig. 9 10 11
Harry Goldschmidt, Gedanken zu einer nicht-aristotelischen Musikästhetik, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 7, H. 4 (1965), S. 387–395. Günter Mayer, Neue Aspekte der Analyse. Bemerkungen zu Paul Dessaus „Requiem für Lumumba“, in: Sammelbände zur Musikgeschichte der DDR, Berlin 1969, S. 130–179. Ders., Rezension des Sonderheftes Hanns Eisler der Zeitschrift Sinn und Form, Berlin (DDR) 1964, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 9 (1967), S. 162–173; sowie gekürzt unter dem Titel Einige Bemerkungen zur wissenschaftlichen Eisler-Rezeption, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, hrsg. von Wolfgang Fritz Haug, Argument Sonderband 5: Hanns Eisler, Berlin (West) 1975, S. 43–56.
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Selbst eine komplexe Analyse aller Materialbereiche und Verfahrensweisen werde einseitig bleiben, „wenn der musikalisch-technische Fortschritt schlechthin am negativen Verhältnis zu Atonalität und serieller Technik, Neuerertum also an der Restitution der Tonalität, auch der unbestimmt erweiterten, gemessen wird. Schließlich ist das nur die Umkehrung des anderen – mit Recht zurückgewiesenen - , nach dem der musikalische Fortschritt schlechthin vom negativen Verhältnis zur Tonalität abhängig gemacht wird. Beides geht an Eislers Auffassungen vorbei […].“
Eine öffentliche Rückantwort blieb zunächst aus. Auf der II. Theoretischen Konferenz im Januar 1968 hatte die Verbandsleitung laut Heinz Alfred Brockhaus ganz allgemein „nochmals auf das Primat der funktionsbestimmten Gestaltungsweise gegenüber allen abstrakten Materialoperationen“ hingewiesen,12 Notowicz starb allerdings im April 1968. Erst die brisanten politischen Ereignisse 1968, im Mai in Paris, die Studentenrevolte in der BRD und Berlin (West) sowie die in Prag sich formierenden Umrisse einer reformierten sozialistischen Gesellschaft und deren Niederschlagung durch sowjetische Panzer im August 1968, führten zu einer Verschärfung der ideologischen Konfrontation und Auseinandersetzung auch in der DDR und Berlin/Ost. Auf der Delegiertenkonferenz im Herbst 1968 wurde eindringlich vor dem „ideologischen Eindringen des Klassenfeindes“ gewarnt mit dem Hinweis auf die Konvergenztheorie und mit dem Versuch, die Entfremdung als eine auch für die sozialistische Gesellschaft aktuelle Erscheinung zu behaupten. All das hatte zur Folge, daß nun die ideologische Kritik musikspezifischer Differenzen wieder aufgenommen wurde. So forderte Brockhaus 1969 mit dem Hinweis auf die Gefahr des Revisionismus ein „Ende der abstrakten Materialdiskussion“13, dabei wurde wieder gegen die Position von Eberhardt Klemm scharf polemisiert. In seinem Referat über „Probleme der Eisler-Forschung“ im Dezember 1968 wandte sich Brockhaus mit üblen Unterstellungen gegen Klemms „Versuch, Eisler in einen ‚Schönbergianer‘ zu verwandeln“14. Ihn dazu zu degradieren, sei wissenschaftlich unhaltbar. Klemm schleiche sich „vorsichtig-listig“ an die dodekaphonen Aspekte der Eislerschen Kompositionstechnik heran. Daß auch die großen Musiken der Kampfmusik Eislers nicht nur vom theoretischen Unterricht Schönbergs, sondern auch von seinen Werken, die dodekaphonen eingeschlossen, zehren, müsse als Fälschung der Eislerschen Positionen abgelehnt werden. Klemm reagierte auf diesen Unsinn im April 1969 mit
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Heinz Alfred Brockhaus, Probleme der Realismustheorie, in: Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. II, hrsg. von Heinz Alfred Brockhaus und Konrad Niemann, Berlin 1971, S. 24–76. Ders., Kriterien des sozialistischen Neuerertums, in: Musik und Gesellschaft 19, H. 1 (1969), S. 24–35, hier S. 30. Ders., Probleme der Hanns-Eisler-Forschung, in: Musik und Gesellschaft 19, H. 3 (1969), S. 147–163.
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einer sachlich argumentierenden Zuschrift an die Redaktion von Musik und Gesellschaft, die nicht veröffentlicht wurde.15 Auf der III. Theoretischen Konferenz im November 1969 gab Brockhaus ein Resümee, in welchem die Jahre des „Kampfes um den sozialistischen Realismus in der Musikkultur der DDR“, des „Kampfes gegen den Einfluß der kapitalistischimperialistischen Dekadenz, der spätbürgerlichen subjektivistischen Kunstauffassung und gegen den bürgerlichen Experimentismus“ als Auseinandersetzungen mit Erscheinungen des „Revisionismus“ interpretiert werden, der immer dann auftrete, wenn die Klassenfrage nicht konsequent gestellt und beachtet werde. Brockhaus äußerte sich zurückblickend auch über den „Problemspiegel“ des Jahres 1964, den „Harry Goldschmidt und Günter Mayer aufgrund der Beratungen eines Arbeitskreises zusammengestellt hatten“ und die darüber geführten Diskussionen: „Dieser Streit war zum Teil ‚Materialdiskussion‘, der Frage nachgehend, ob dieses oder jenes Material, das in der spätbürgerlichen Kunst und auch in Werken unserer Komponisten erscheint, verwendet werden dürfe oder nicht. […] Wir haben damals mit Nachdruck die formalistischen Tendenzen in der Materialdiskussion (manche sprachen von ‚Materialschlacht‘) zurückgewiesen und auf die Kriterien des sozialistischen Neuerertums, auf Parteilichkeit und Volksverbundenheit und die aktive gesellschaftliche Funktion der Musik in der DDR orientiert.“
Aus Brockhaus’ Resümee ging klar hervor, daß der Chefideologe des Verbandes die wesentlichen Widersprüche nicht begriffen hatte, zu einer wirklich geschichtsmaterialistischen Analyse der sozialen Lage der Musik der DDR und der Musik in der DDR nicht in der Lage war, und sich daher auch von den realitätsfremden ideologischen Formeln nicht befreien konnte. Was er wirklich dachte, hat er im Mai 1980 in einer internen Einschätzung der sogenannten „Materialdebatte“ für die Staatssicherheit notiert: „Aus einer Diskussion über Irrtümer, Fehler des Personenkults wurden um 1962 ff. prinzipielle Diskussionen über Musikästhetik, in denen die Knepler/Goldschmidt/G. Mayer-Gruppe immer deutlicher eine Rehabilitierung der westlichen spätbürgerlichen Moderne forderte – und zwar eine pauschale […] und einen direkten Kampf gegen den sozialistischen Realismus und gegen die Rolle der sowjetischen Musikwissenschaft in der DDR. In wachsendem Maße wurde von der K.-Gruppe die Einbeziehung der Systemtheorie, der Kybernetik, naturwissenschaftlicher Methoden, überhaupt westlicher Erfahrungen der Gruppe um Adorno, Marcuse, Horkheimer, Dahlhaus u. a. verlangt und direkt praktiziert. Adorno wurde zum meist zitierten und imitierten Wissenschaftler. Da diese Auseinandersetzungen sich verschärften, kam es zu einer Spaltung der Musikwissenschaftler, denn gegen die Knepler/Goldschmidt/G. Mayer-Gruppe – und neuerdings auch Frank Schneider/Niemann-Gruppe – stellten sich vor al15
Eberhardt Klemm, …dem Eisler geben, was des Eislers ist, 14. April 1969, unveröffentlichte Zuschrift an Musik und Gesellschaft, in: ders., Spuren der Avantgarde. Schriften 1955–1991, hrsg. von Gisela Groenemeyer und Reinhard Oehlschlegel, Köln 1997, S. 449–451.
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Günter Mayer
lem Ernst H. Meyer, Walter Siegmund-Schultze, Brockhaus und viele weitere Kollegen im Verband, in Leipzig und Halle etc. Da sich K. in der theoretisch-ästhetischen Diskussion nicht durchsetzen konnte, ist er zusammen mit Goldschmidt, Günter Mayer und Frank Schneider seit Anfang der 70er Jahre zu offenen Attacken gegen die führenden Genossen der Musikwissenschaft vorgegangen. Die Hetze und Verleumdung richtet sich gegen alle Professoren der Musikwissenschaft, Meyer, Brockhaus, Elsner, SiegmundSchultze, insbesondere aber gegen Ernst Hermann Meyer. […] Mögliche Maßnahmen: Prüfen, ob man K. aus der angemaßten Führungsfunktion verdrängen kann, verhindern, daß die genannten Leute seiner Gruppe Führungsfunktionen beibehalten oder übernehmen oder zu Prof. ernannt werden.“16
Eine „Materialdiskussion“ auf der Ebene der Musikwissenschaft und der im Verband aktiven Funktionäre, wo sie eigentlich hingehörte, hat nie stattgefunden. Der dominierenden Position stand die kritische, sogar weitgehend veröffentlicht, gegenüber: sachliche Gegenreaktionen blieben aus, schließlich kam nichts mehr. Für die wenigen avancierten Komponisten war das alles langweilig und auch nicht nötig. In der DDR und Berlin (Ost) gab es in den 1960er Jahren, über die hier nur berichtet wird, kaum Gemeinsamkeiten mit den im Westen seit 1968, vor allem in den 1970er Jahren sich teilweise zuspitzenden Entwicklungsprozessen. Auch hier gab es, früher, die Anregungen durch Adorno. Die Ansätze der Kritik, auf eine qualitative Veränderung der auf Sozialismus hin orientierten Gesellschaft und nicht auf deren Abschaffung gerichtet, waren personell sehr begrenzt, mehr noch in der Wirkung, und blieben quasi „intern“, auf der Ebene der „Apparate“ und des „Verbandslebens“. Es gab keine Studierendenbewegung. Die Kritiker waren wenige gestandene Wissenschaftler und wenige Nachwuchskräfte, die sich von Gleichaltrigen bzw. jungen Genossen und Kollegen abgrenzten. Von diesen sind insbesondere im Hinblick auf die marxistisch orientierte Musikhistoriographie, Musikästhetik und Eisler-Forschung bleibende Ergebnisse erreicht worden, deren anregende Wirkung in der BRD und Berlin (West) nach 1968 größer war als in der DDR und Berlin (Ost).17 16 17
Siehe Klingberg, Die Debatte um Eisler (Anm. 2), S. 59. Der Text „Zur Dialektik des musikalischen Materials“ ist 1969 nachgedruckt worden in der Zeitschrift Alternative (Walter Jens sagte mir, bezogen auf diesen Text 1990: wir alle haben Sie damals gelesen); 1973 in italienischer Übersetzung, 1975 in einem Sammelband zu Texten der Musiksoziologie. Die Rezension des Eisler-Sonderheftes von Sinn und Form erschien 1975, leicht gekürzt im Eisler-Sonderheft (AS 5) der Zeitschrift Argument. Scharfe Kritik übten die damals Linksradikalen um Konrad Boehmer 1973 im Sonderheft Hanns Eisler der Sozialistischen Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft. Die akademische Musikwissenschaft hat relativ früh reagiert: 1971 im Rahmen einer Hanns-Eisler-Retrospektive des Steirischen Herbstes, in der vor allem Rudolf Stephan und Carl Dahlhaus sich geäußert haben. Ironie der Geschichte: Trotz der Forderung von Brockhaus blieb Knepler Chefredakteur der Beiträge zur Musikwissenschaft, Mayer erhielt 1980 eine Professur am Bereich Kulturtheorie/Ästhetik der HUB, Klemm wurde 1958 zum Leiter des Hanns-Eisler-Archivs in der Akademie der Künste der DDR berufen, Schneider wurde noch im September 1989 Professor an der Akademie der Wissenschaften der DDR.
JÜRGEN SCHEBERA (Berlin)
Wie ich zum Eislerianer wurde Persönliche Erinnerungen an die Eisler-Rezeption in der DDR
Ich war sechzehn Jahre alt, als ein Gastspiel des Berliner Ensembles im Stadttheater meines Heimatorts Bautzen (in Sachsen gelegen, 50 Kilometer östlich von Dresden) 1956 zur „Initialzündung“ wurde: Helene Weigel stand auf der Bühne mit einem Brecht-Abend, bei dem sie neben Szenen aus Stücken und Gedichtrezitationen auch, von Peter Fischer am Klavier begleitet, Eislersche Vertonungen sang, darunter – ich erinnere es bis heute – die Vier Wiegenlieder für Arbeitermütter und das Lied vom SA-Mann. Das Gehörte „haute mich um“, schon am nächsten Tag eilte ich in den Musikalienladen und erwarb insgesamt fünf schwarze „Lied der Zeit“Schellackscheiben mit Lied- und Choraufnahmen aus der BE-Inszenierung der Mutter von 1951, dazu den gerade in Leipzig erschienenen ersten Band der Ausgabe Hanns Eisler: Lieder und Kantaten. Die nächsten Wochen waren nicht einfach für meine Mutter, denn entweder liefen die Platten, oder der Sohn saß am Klavier und übte Eisler-Lieder ein. Dieser Komponist sollte mich nicht mehr loslassen. Zwei Jahre später, die Plattenproduktion war inzwischen von Schellack auf LP umgestellt worden, begann das Label Eterna 1958 mit der Herausgabe von kleinen 45er-Eisler-Platten, allesamt Vokalwerke enthaltend, vorwiegend interpretiert von Irmgard Arnold und Andre Asriel (Klavier). Bis 1961 erschienen zehn davon. Ich kaufte sie alle und konnte dabei erstmals Lieder aus der amerikanischen Schaffensperiode hören (darunter die Hollywood-Elegien), ebenso wie die 1957 entstandene Kantate Die Teppichweber von Kujan-Bulak. Und: Bei einer der regelmäßigen Fahrten nach Dresden hörte ich, wohl 1960, erstmals ein Eisler-Werk live im Konzertsaal, die Fünf Orchesterstücke. Fünf Jahre später, inzwischen wurden bei Eterna nur noch die gängigen 30cmPlatten produziert, eröffnete man 1965 die Reihe „Unsere neue Musik“ mit einer Eisler-Doppel-LP, enthaltend die Kleine Sinfonie, die Fünf Orchesterstücke und den Uraufführungsmitschnitt der Deutschen Sinfonie von 1958. Erneut ein prägendes Hörerlebnis für mich. Bis 1969 folgten vier weitere Eislerplatten in der Reihe, erstmals auch einen Einblick in die Kammermusik vermittelnd, darunter Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben. Um den Blick in die Plattensammlung abzuschließen: 1978 begann dann das Label NOVA die Herausgabe einer chronologisch angelegten, mit 43 Platten konzipierten „Hanns Eisler Edition“, von der bis 1989 insgesamt 33 LPs erschienen sind. Ein beeindruckendes Unternehmen!
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Jürgen Schebera
Zurück in die 1960er Jahre. Damals wechselte ich als Student nach Leipzig, kam damit ins Zentrum zeitgenössischer Musikpflege der DDR. Fritz Hennenberg zeichnete als Dramaturg des Rundfunksinfonieorchesters verantwortlich für die dortigen Konzertprogramme, Eberhardt Klemm initiierte Kammermusikabende mit vielen „Ausgrabungen“ der Moderne, Eisler war nicht selten zu hören. Höhepunkt: eine Aufführung der Deutschen Sinfonie mit dem britischen Dirigenten Lawrence Leonard. Ende 1968 fuhr ich, mit der USA-Exilperiode als Thema für die ins Auge gefaßte Eisler-Dissertation liebäugelnd, erstmals zu Manfred Grabs ins fünf Jahre zuvor gegründete Hanns-Eisler-Archiv der Akademie der Künste in Berlin, um die Materiallage zu erkunden. Sie war günstig, dem Beginn meiner Arbeit stand nichts im Wege. Damit war ich nun vom Liebhaber des Komponisten in die damals sehr überschaubare Gilde der DDR-Eislerianer aufgestiegen. In den Folgejahren regelmäßig zwischen Leipzig und Berlin pendelnd, erlebte ich, wie das Archiv sich unter Grabs’ (und nach dessen Tod 1984 unter Eberhardt Klemms) Leitung zum internationalen Treffpunkt von Eisler-Forschern und -Interpreten entwickelte. So erinnere ich mich etwa an Begegnungen mit Konrad Boehmer und Willem Breuker aus Holland, Johannes Hodek und Heiner Goebbels aus West-Berlin, Sonja Kehler und Gisela May aus Ost-Berlin. Und Grabs war auch beständiger „Motor“ für die Eisler-Rezeption in den folgenden beiden Jahrzehnten nach dessen Tod. Nicht nur zu DDR-Zeiten bot ein „runder“ Geburts- oder Todestag Anlaß und Chance für öffentliche Aufmerksamkeit wie auch Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel. Zum 70. Geburtstag des Komponisten konzipierte Grabs 1968 eine erste größere Ausstellung „Hanns Eisler. Persönlichkeit und Werk“ im Foyer des Berliner Ensembles. Das von Horst Drescher dazu gestaltete Plakat zählt heute längst zu den begehrten Sammlerstücken. Anläßlich des 75. Geburtstags folgte 1973 ein wissenschaftliches Kolloquium in der Akademie der Künste. Die Sensation für uns DDREislerianer: Grabs hatte durchgesetzt, daß auch namhafte „westliche“ Forscher einreisen und auftreten durften, darunter Albrecht Betz und der Wiener Wilhelm Zobl. Das Jahr des 80. Geburtstags brachte 1978 den Höhepunkt dieser (hier nur kursorisch aufgeführten) Aktivitäten. Nach langer und intensiver Vorbereitung fanden vom 28. Juni bis 1. Juli in Ost-Berlin die „Hanns-Eisler-Tage der DDR“ statt, mit insgesamt 11 Konzerten und Veranstaltungen, darunter Aufführungen der Deutschen Sinfonie, der Kantate Bilder aus der Kriegsfibel und Chören aus der Maßnahme in der Staatsoper Unter den Linden sowie eine Dreifachaufführung des Joris-Ivens-Films Regen im Theater des Palasts der Republik (I. der originale Stummfilm von 1928, II. eine Tonkopie von 1930 mit der frühen Musik von Lou Lichtfeld, III. nochmals die Stummfilmkopie, nunmehr mit Live-Aufführung von Eislers Musik durch die Leipziger Kammermusikvereinigung, Dirigent: Max Pommer). Die 48-seitige Programmbroschüre dieser „Eisler-Tage“ dokumentiert das beeindruckende, bis heute in solchem Umfang nie wieder erreichte Gesamtunternehmen. Schon ziemlich vergilbte Einladungen und Programmzettel erinnern mich an die Akademie-Veranstaltungsreihe „Das Hanns-Eisler-Archiv stellt vor“, bei der es
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Grabs wiederum gelang, maßstabsetzende westliche Eisler-Interpreten in OstBerlin zu präsentieren, etwa den danach früh verstorbenen West-Berliner Johannes Hodek mit seinem Soloprogramm Hanns Eisler. Musik gegen die Dummheit (11. Mai 1982) oder den Schweizer Pianisten Christoph Keller mit Eislers komplettem Klavierwerk (24./25. November 1982) – jedesmal ein besonderes Ereignis, denn die entsprechenden Schallplatten waren in der DDR nicht zu erhalten. Auch improvisatorischer Umgang mit Eislers Musik wurde vorgestellt, etwa bei den Abenden Eisler-Jazz/Jazz nach Eisler-Themen im Großen Saal der Akademie der Künste (30. Oktober 1982, mit Heiner Goebbels und Alfred Harth [West-Berlin] sowie der Hannes-Zerbe-Blechband [Ost-Berlin]) und Jazz Eisler im Berliner Ensemble (17. Februar 1983, erneut mit der Zerbe-Blechband und Heiner Goebbels/Alfred Harth sowie dem Willem Breuker-Quartett aus Holland). Zwei weitere, heute kaum noch bekannte Ereignisse der DDR-Eisler-Rezeption sollen den Rückblick beschließen. Nachdem der Westdeutsche Rundfunk (WDR) 1972 die erste 45-minütige Fernsehdokumentation über den Komponisten hergestellt hatte (Hanns Eisler. Zu früh? Zu spät?, Regie: Peter Hamm, Erstausstrahlung: 18. Februar 1973), entstand aus Anlaß des 75. Geburtstags beim DDR-Fernsehen die 90-minütige Produktion Ändere die Welt, sie braucht es (Drehbuch: Günter Mayer/Günter Lippmann, Regie: Jutta und Günter Lippmann, Erstausstrahlung: Juli 1973). Der Film beeindruckt beim erneuten Sehen nicht nur durch die maßgeblich Mayer zu dankende überlegte Konzeption und die zahlreichen verwendeten raren Sequenzen aus Dokumentar- und Spielfilmen mit Eisler-Musik, sondern dokumentiert zugleich Aussagen von Paul Dessau und weiteren künstlerischen Gefährten. Das zweite Ereignis führt noch einmal nach Leipzig, in das Jahr 1982. Hier gab es im September die Konzertsaal-Uraufführung (nachdem NOVA 1981 eine erste Platteneinspielung vorgelegt hatte) des 1942/43 in den USA entstandenen Zyklus Hollywooder Liederbuch durch die Sopranistin Roswitha Trexler, am Klavier begleitet von Joseph Christof. Im meiner Rezension (Die Weltbühne, Ost-Berlin, Heft 38/1982) schrieb ich damals zum Stellenwert dieses Abends: „Gerhard Müller hat hier kürzlich (Wb 35/1982) bei seiner Wortmeldung in Sachen Oper das hübsche Bild geprägt, die moderne Oper nehme sich im Repertoire unserer Theater aus wie ein Düsenjäger auf einem Hofball. Sehr schön, aber sie ist doch wenigstens – wenn auch viel zu selten und von viel zu wenig Theatern – in den letzten Jahrzehnten aufgeführt worden, alle Dessau-Opern, Matthus, Zimmermann und weitere Komponisten. Da hat es ein großer Teil des Liedwerks von Hanns Eisler, vor allem seine von 1934 an im Exil entstandenen Kunstlieder, nicht die Massengesänge, bis heute noch wesentlich schwerer, überhaupt ins Repertoire zu gelangen. Der 3. September 1982, an dem Roswitha Trexler in Leipzig Eislers Hollywooder Liederbuch erstmals vollständig im Konzertsaal aufführte, war deshalb – ich suche ein Bild, das dem Müllers gerecht wird – schon fast eine kosmische Rakete im Fiakerrennen der üblichen Liederabende.“
Die Rezension beendete ich dann sarkastisch:
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„In der Nacht nach der Aufführung hatte ich einen Traum. Ich war Zeuge, wie ein leitender Mitarbeiter unserer Konzert- und Gastspieldirektion Frau Trexler das Angebot machte, im nächsten Jahr im Rahmen der ‚Stunde der Musik‘ in den 20 größten Städten der DDR das Hollywooder Liederbuch aufzuführen. – Als ich erwachte, war mir, als lachte Gerhard Müllers Düsenjäger schallend.“
Tatsächlich konnte der Liedzyklus ab 1987, mit dem Einsatz von Dietrich FischerDieskau und Aribert Reimann für das bedeutende Exil-Opus (die damit nach mehreren Auftritten in der BRD und West-Berlin auch im Ost-Berliner Konzerthaus gastierten, eine CD-Einspielung folgte), seinen nationalen, wenig später auch internationalen Durchbruch feiern.
GERD RIENÄCKER (Berlin)
Hanns Eisler – ein Sonderfall Gerühmt wurde er in der DDR mit „gipserner Büste“1. Riesengroß der Trauerzug im Jahre 1962, pathetisch die Trauerreden, voll Pathos die Bekenntnisse seines Schülers Ernst Hermann Meyer: „Jeder Tag bei ihm war ein Festtag“. EislerKonferenzen haben stattgefunden2 – gerade in den späten sechziger, in den siebziger Jahren, seit den Siebzigern in der Akademie der Künste der DDR, meisterlich vorbereitet durch das Hanns-Eisler-Archiv. Eisler-Konzerte gab es viele, EislerMonographien etliche, auch das Eisler-Handbuch von Manfred Grabs3, ein Quellenwerk, auf das man auch heute nicht verzichten sollte.4 Dazu die Ausgabe der Schriften – mit umsichtigen, vorsichtigen Kommentaren von Günter Mayer.5 Und die Edition der Schrift Komposition für den Film durch Eberhardt Klemm.6 Eisler-Vorträge u. a. von Günter Mayer und Jürgen Elsner, zwei auch von mir. Vorlesungen über Hanns Eisler, für die eigentlich jeder zuständig war, der in der DDR über Zeitgenössische Musik las. Freilich, der Rühmung waren vorsichtige Hinweise auf Schwierigkeiten eingesenkt, die einige der Rühmenden mit Eisler hatten. Heinz Alfred Brockhaus rieb im Jahre 19687 sich an Äußerungen, die er nicht anders denn als Provokation werten konnte: „Was soll man mit einem machen, der u. a. sagte, daß ...“. Vier Jahre später entschuldigte er sich halbwegs, d. h. er sprach von „gewissen Leuten“, die Eisler dies und das vorgeworfen hätten. Den Äußerungen 1968 jedoch waren interne Gespräche vorangegangen, bei denen ich unfreiwillig zuhörte: Ernst Hermann Meyer gab vor, was über Eisler gesagt werden müsse. Gewiß habe er auch die Reisesonate komponiert, das Wichtigste aber seien seine proletarischen Gesänge. Fünfzehn Jahre früher: Eisler habe in seinen frühen Werken sich leider der volksfeindlichen Zwölftontechnik vergewissert und sei erst Ende der zwanziger Jahre davon losgekommen. Einige Jahre später: Er habe die Zwölftontechnik benutzt, 1 2 3 4
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Um Brechts böse Worte aus seinem Gedicht Die Teppichweber aufzunehmen. In ihnen ist viel Material aufbereitet worden, vor allem durch das Hanns-Eisler-Archiv der Akademie der Künste unter der Leitung von Manfred Grabs und Eberhardt Klemm. Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen, Schriften, Literatur, Leipzig 1984. Umso bedauerlicher, daß die Eisler-Monographie, die Manfred Grabs anfangs der achtziger Jahre kurz vor seinem Tode schrieb, nicht gedruckt wurde. Sie nämlich hatte die Schwierigkeiten, denen Eisler ausgesetzt war, nicht mehr ausgespart. Günter Mayer hat überdies im Jahre 1969 eine mutige Dissertation über Eislers Anschauungen zur Dialektik des musikalischen Materials verteidigt (abgedruckt in: Günter Mayer, Weltbild – Notenbild. Zur Dialektik des musikalischen Materials, Leipzig 1978, S. 93–348). Die Vorarbeiten zu dieser Arbeit hatten etliches „Au und Gekreisch“ hervorgerufen. Theodor W. Adorno/Hanns Eisler, Komposition für den Film, hrsg. von Eberhardt Klemm, Leipzig 1977. In seinem Eröffnungsreferat zur Eisler-Konferenz des Musikwissenschaftlichen Institutes der Humboldt-Universität Berlin.
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aber ganz anders als Schönberg – ich erinnere mich der Auseinandersetzung zwischen Eberhard Klemm und Nathan Notowicz Mitte, Ende der sechziger Jahre. War offiziell von positivem Gebrauch der Zwölftontechnik die Rede, dann bezog sich dies auf das Lenin-Requiem, auf die Deutsche Sinfonie, nicht auf die frühen Lieder, nicht auf die frühen Klaviersonaten. In den proletarischen Gesängen habe Eisler zum Eigentlichen gefunden – so Ernst Hermann Meyer noch im Jahre 1968.8 Auch dies hörte man Ende der fünfziger Jahre anders: Eisler und Brecht haben gerade darin politische Fehler gemacht, das Lehrstück Die Maßnahme beispielsweise. Und Inge Lammel versicherte noch in den frühen siebziger Jahren, daß Eislers proletarische Gesänge von „der“ Arbeiterklasse nie wirklich aufgenommen worden wären. Sie hatte übrigens recht, nur anders, als sie es glaubte. Ohnehin verweisen die Fragezeichen auf wirkliche Schwierigkeiten, nur könnte darin das Eigentliche, vor allem das Fruchtbare seines Wirkens und Schaffens sichtbar werden – jetzt vor allem, da man Eisler von früheren Vereinnahmungen lösen muß. Mehr und mehr wird deutlich: Eisler ist nicht Prototyp von etwas, er ist Ausnahme; er taugt nicht zur gipsernen Büste; besser wäre es, man stolpert über ihn, begreift sein Unbequemes, sein Gegen-den-Strich. Dazu meine Notate – nach über sechzigjährigem Hören seiner Musik: 1. Allem zuvor: Eisler war Komponist, und er war des Wortes mächtig – notfalls konnte er die Texte zu seinen Kompositionen selbst schreiben. Er war also nicht auf Dichter angewiesen. Also hat er ihre Texte verändert, sie sich eingerichtet. Das war schwierig für die Dichter, die er vertonte. Brecht begriff mühselig: Wenn Eisler seine Texte vertone, wäre es so, als ob sie durch eine Gütekontrolle gegangen wären.9 Eisler war auch Philosoph, zumindest philosophisch bewandert. Dies zeigt sein nicht komponiertes Libretto „Faustus“ – zum Bersten gefüllt mit Philosophiehaltigem.10 Und Eisler war hochgebildet, nicht nur auf Grund der Schulzeit in einer Jesuitenschule. Er kannte Augustinus, Hegel und vieles andere. Als er in den fünfziger Jahren mit einem Herzinfarkt in einem Wiener Krankenhaus lag, wollten ihn katholische Pfleger bekehren. Er hingegen wünschte, mit ihnen über Augustinus zu diskutieren. Sie wußten nichts davon. Dies erbitterte ihn.11 In der DDR beklagte er die Unbildung vieler Kommunisten.12
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Im Vorwort zum ersten Band der Lieder und Kantaten von Hanns Eisler deutete Ernst Hermann Meyer an, daß Eisler zeitweise nicht frei von musikalischer Esoterik gewesen sei. Vgl. hierzu neue philologische Arbeiten zur Entstehung dieser Edition. So im Arbeitsjournal in den vierziger Jahren. Vgl. hierzu neuere Arbeiten von Friederike Wißmann. Vgl. hierzu Eislers Gespräche mit Hans Bunge (Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge, Leipzig 1975). Vgl. seine Gespräche mit Nathan Notowicz (Wir reden nicht von Napoleon. Wir reden von Ihnen. Nathan Notowicz, Hanns Eisler, Gerhart Eisler, Gespräche, hrsg. von Jürgen Elsner, Berlin 1971).
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2. Rudolf Stephan wollte 197213 glauben machen, Eisler hätte Schönbergs Technik nie ganz beherrscht; seine Entscheidung für politische Musik entspränge der Einsicht, in der strengen Schönberg-Schule nicht zu reüssieren. Christian Martin Schmidt korrigiert auf der Wiener Eisler-Konferenz 2003:14 Die Zwölftontechnik habe, als Eisler seine frühen Werke komponierte, in mehreren Entwicklungsschüben sich befunden; daran wäre Eisler ebenso beteiligt wie Schönberg, Berg, Webern – auf der Höhe der jeweiligen Entwicklung; freilich wäre er dann stehengeblieben. (Aus Gründen allerdings, die Schmidt nicht nachvollziehen kann? Eislers Entscheidungen gehen in eine andere Richtung als die seines Lehrers, indessen wird er Schönbergs strengen Musikbegriff immer wieder hervorholen, und sei es im Affront gegen ästhetische Dummheiten seiner Kollegen in der DDR!15). Es wird also das frühe Werk ernst und vollwertig zu nehmen sein; es ist nicht Vorform für Anderes, sondern eigenständig, und dies als merkbarer Beitrag zum Schaffen der Wiener Schule. Palmström (ironische Brechung von Schönbergs Melodramen Pierrot lunaire) und die Lieder nach Texten aus Zeitungsausschnitten dürften, was das Sololied betrifft, Ihresgleichen kaum haben; Eberhardt Klemm wußte dies und schätzte sie höher als die Lieder von Schönberg. Vor allem wird man die Lieder zu rühmen haben als ironische (übrigens keineswegs leichthin gemachte) Kommentare zur gängigen Spätromantik, als Kommentare zu jenen gravierenden Wandlungen der Gesellschaften, die die Spätromantik allzugern unter den Tisch kehrte. Auf das romantische Motiv der Mühle kommend, sagt Eisler später: „Unter den Fabrikabwässern des Mühlenkonzerns läßt sich schlecht ruhen“.
Den allzu beflissenen nachromantischen Liebesergüssen erteilt er eine Abfuhr: „Ehrfurchtsvoll richte ich meine Hand gegen Sie“ – so die Bewerbungsanzeige eines ältlichen Mädchens, in strenger Zwölftontechnik vertont. „Eine Sünde ist eine Sünde“ – aus einer wirklichen Enquete, Eisler schlägt zu, komponiert die Angst eines halbwüchsigen Mädchens vor der Nachfrage der Geistlichkeit. 3. Ebenso ernst wird man seine politischen Entscheidungen und die damit zusammenhängenden stilistischen Wandlungen nehmen müssen – sie sind nicht leichthin gefällt, Eisler weiß um Schwierigkeiten, aber er stellt sich ihnen. Worum geht es? Um die Selbstfindung „der“ Arbeiterbewegung per se? Sie ist gespalten, und daran haben, wie wir heute wissen, die Repräsentanten der Kommunistischen Partei erheblichen Anteil – und mit ihnen Stalins Hintermänner. Aber es gibt die verheerende Krise der Weltwirtschaft, in ihrem Gefolge der rasante Anstieg der Arbeitslosigkeit, der unentwegte Wechsel in der Regierung, als ob sie im Schüttelfrost sich befände. Und es steht der Nationalsozialismus vor der Türe. Nötig wäre es schon, sich gegen ihn zu einigen, trotz schwerstwiegender Fehler der 13 14 15
Rudolf Stephan, Kleine Beiträge zur Eisler-Kritik, in: Musik zwischen Engagement und Kunst (= Studien zur Wertungsforschung 3), hrsg. von Otto Kolleritsch, S. 53–68. Siehe den Beitrag von Christian Martin Schmidt in vorliegendem Band, S. 21–34. Vgl. seine Gespräche mit Nathan Notowicz.
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Kommunisten. Nötig wäre es, Stellung zu nehmen zur Notlage, vor allem nach Ursachen zu fragen. Nötig wäre es vor allem, dies zu tun in eigenständigen künstlerischen Äußerungen der Arbeiterbewegung, also nicht durch die Aufnahme der Männerchorlyrik, nicht oder nicht allein durch Aufführungen klassischer Musik. Kommt Eisler mit seinen politischen Songs, mit seiner Musik zu proletarischen Filmen zur rechten Zeit? Zunächst: Er ist nicht willkommen. Seine Songs sind so sehr anders als das Gewohnte, daß sie Befremden auslösen. Sie verknüpfen Merkmale des Jazz mit denen von Johann Sebastian Bach, mit denen der Wiener Schule. Sie sind schwer zu singen, schwer zu musizieren. Schlimmer noch: Man kann nicht dazu marschieren – Eislers federnde Marschrhythmen, durchsetzt von Unregelmäßigkeiten, lassen dies nicht zu. Auch stehen überraschend viele Lieder in MollTonarten; nicht wenige sind ungewöhnlich nachdenklich, so gar nicht lustig, so gar nicht forsch, wie manche Kommunisten es gern hätten. Daß der Kommunismus das Einfache sei, das schwer zu machen gehe, hat nicht nur Brecht formuliert, sondern auch Eisler in halbverhohlener Trauer – ahnt er das Nicht-Machbare? Wir wissen es nicht. Wie also sollte Eislers proletarische Kampfmusik auf Anhieb willkommen sein? „Wer ist denn der?“ – so Manfred Grabs 1983.16 Und doch, es ist Ausnahmesituation, und dies allein ermöglicht es, die so schwierigen Songs, die so schwierigen Filmmusiken anzunehmen. Eisler, Brecht, David Weber alias Robert Gilbert arbeiten fieberhaft; Eisler und Ernst Busch gehen von Kneipe zu Kneipe, in unterschiedlichste Orte – überall hin, wo sie gebraucht werden. Und ihre Songs, Musiken, so scheint es, werden angenommen. Von wem – wir wissen es nicht. Wie gesagt, Inge Lammel hat noch in den siebziger Jahren Zweifel daran angemeldet, ob sie wirklich angekommen wären. Dennoch: Es gibt den Arbeitersängerbund, es gibt proletarische Filmemacher, es gibt Regisseure, die u. a. Brechts Stück Die Mutter aufführen, mit Eislers Musik. Dieser Ausnahmesituation freilich verdanken sich Kompositionen von ungewöhnlicher Eindringlichkeit: Stücke in Brechts Lehrstück Die Maßnahme – der Eingangschor zitiert die ersten Takte der Matthäuspassion, denn es geht nicht, wie oft behauptet, um Lobreden für eine stalinistische Partei, sondern um eine proletarische Passion, um das Scheitern einer illegalen Gruppe, die gezwungen ist, einen zu opfern, damit nicht Tausende getötet werden. Stücke in Brechts Stück Die Mutter, darunter das melancholische Lied Lob des Kommunismus und die todtraurige Grabrede für einen Genossen: „Als er zur Wand ging, um erschossen zu werden, ging er zu einer Wand, die gemacht war von Seinesgleichen […]. Und der, der es begriff, begriff es auch nicht.“
Wie wahr! Kein Zufall, daß Bachs Passionston aufgenommen wird! 16
Auf einer Tagung des Arbeiterliedarchivs der Akademie der Künste der DDR.
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Oder das Stempellied, anknüpfend an sentimentale Schlager und an Mendelssohns Lied Wer hat dich, du schöner Wald, umgedeutet in „Wer hat dich, du armer Mann, abgebaut so hoch da droben.“ Ein Requiem für alle jene, die nichts zu essen haben Ende der zwanziger Jahre. Ausnahmefälle all dies, und ihre Höhe ist im Terrain proletarischer Musik nie wieder erreicht worden. 4. Nicht minder bedeutsam, nicht minder Ausnahmefälle sind die Kompositionen im Exil: inmitten alles überwuchernder Trauer, Hoffnungslosigkeit – vor allem, wenn der Weg über den großen Teich gegangen war und es schien, Hitler sei unbesieglich. Eisler komponiert für den Film, alltäglich, um sich über Wasser zu halten, experimentell in einigen Ausnahmefällen. Alltäglich schreibt er jene Musik, die er zusammen mit Theodor W. Adorno geißelt,17 Scheißmusik also mit all den erdenklichen Untugenden. In den Experimenten jedoch findet anderes statt: Filmmusik auf der Höhe der Neuen Musik, gespeist aus deren Errungenschaften; Filmmusik, bestehend aus kurzen, prägnanten Sätzen, oft aus Variationsreihen, präzis aufnehmend die Takes (es muß „einschnappen“), aber sich weigernd, zu illustrieren, was zu sehen sei. Einige der Filmmusiken sind, mitsamt ihren ursprünglichen Kontexten, rekonstruiert worden – auf ihrer Höhe wurde selten wieder komponiert. Eisler schreibt Lieder für den Schreibtisch oder für spätere, hoffentlich bessere Zeiten: Elegien, zu denen er den verzweifelten Brecht anregt, Elegien über Florida (Wenn man die Bewässerung abstellt, sind bald wieder Schakale zu sehen – so Eisler. Und „dieses ewige Geblühe“ – so Brecht). Hollywood-Elegien: u. a. über die Stadt, die Himmel und Hölle ineins ist. Über den Markt, auf dem Lügen gekauft werden („Hoffnungsvoll reihe ich mich in die Verkäufer“ – diese Sentenz wird geschrien!). Lieder in deutlichem Anklang an Schubert, etwa an Schuberts Winterreise – kurz vor dem Tode wird Eisler sich mit Schubert vergleichen, er habe Ähnliches gewollt. Und da gibt es Lieder nach Texten von Eichendorff, Goethe, vor allem von Hölderlin – gerichtet gegen die Hölderlin-Ehrungen des Nationalsozialismus. „Oh Hoffnung, du Geschäftige“ – nicht pathetisch, sondern hastig soll dies gesungen werden, da alle Hoffnung verschwunden ist. 5. Dann die Versuche nach der Rückkehr, die Schwierigkeiten. Sie beginnen, wenn es darum geht, in welches Land Eisler zurückkehren will.18 Die erste Entscheidung: Österreich, nicht Deutschland, schon gar nicht die sowjetische Besatzungszone (ist es Louise Eisler, die vor Stalin warnt? Inwieweit hat Eisler selbst ungute Erfahrungen? „Man muß den Burschen das Maul mit Technik stopfen“ – dies schreibt er Brecht in den dreißiger Jahren, nachdem er die Sowjetunion besucht hat.). Kompositionslehrer will Eisler werden an der Wiener Musikakademie. Aber zweierlei wird ihm entgegengehalten: zum einen, daß er Schüler von Arnold Schönberg ist – jenes jüdischen „Neutöners“, der 1925/26 bzw. 1933 aus dem Lande getrieben wurde. 17 18
Vgl. Adorno/Eisler, Komposition für den Film (Anm. 6). Vgl. hierzu Peter Schweinhardt, Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil, Wiesbaden–Leipzig–Paris 2006, und die Eisler-Monographie von Jürgen Schebera (Mainz 1998).
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Zum anderen, daß er Kommunist ist – dieser Vorwurf erweist sich im nachhinein als verständlich, im Angesicht der schwierigen Nachkriegsgeschichte, auch des sogleich einsetzenden Kalten Krieges, an dem beide „Systeme“ gleichermaßen schuld sind. Was konnte Eisler davon wissen? So lange er in Wien sein Glück versuchte, arbeitete er mit den Kommunisten zusammen, und es waren große Künstler dabei, bedeutende Theoretiker, u. a. Ernst Fischer, der sich später vom Sozialismus der UdSSR abwandte und hinfort als Dissident gehandelt wurde. Aber es gibt die gewünschte Anstellung nicht. Statt dessen ruft, aus der sowjetisch besetzten Zone in Deutschland, Johannes R. Becher: Er möchte für den Aufbau eines demokratischen Deutschland Menschen unterschiedlicher Weltanschauung um sich sammeln – vereint durch den Neuaufbau, durch den Willen zum Frieden. Und er braucht Bertolt Brecht, braucht Hanns Eisler; er bietet ihm, was irgend möglich ist – u. a. eine Professur an der gerade von Georg Knepler neu eröffneten Hochschule für Musik in der Wilhelmstraße; auch die Zusammenarbeit mit Regisseuren, Aufträge vielfältiger Art. Eisler entscheidet sich: für die erste sichere und gutbezahlte Anstellung in seinem Leben, für ein neues Deutschland. Und er entscheidet sich, stilistisch noch einmal zu beginnen: „Neue Einfachheit“, da, so Eisler 1948, zwar jeder die Zwölftontechnik benutzen, aber niemand sich Schönbergs Mantel der Einsamkeit ausleihen könne. „Die Schönbergschule ist geschlossen, die nächsten Jahrgänge fallen durch.“19 Wohlgemerkt, diesen Zeilen gehen viele Sätze voran, in denen Schönberg gewürdigt wird – diese Sätze wurden von anderen gestrichen, es blieb nur der Satz, die Schönbergschule sei geschlossen; er wird umgedeutet in strikte Absage an Schönberg, und damit beginnt der Mißbrauch, dem Eisler ausgesetzt sein wird bis zu seinem Tod und danach. „Neue Einfachheit“ indessen, eine Musik, die einen „freundlicheren und freudigeren Charakter annehmen möge nach all den Jahren der Unlust“.20
Wohlgemerkt, nicht fröhlich, freudig möge die Musik sein, sondern nur „freudiger“ – Eisler ist vorsichtig. Neue Einfachheit, jedoch auf „Kunsthöhe“ – wie geht das zu? Eisler experimentiert, und vieles mißlingt, muß mißlingen. Nur wird, von Anderen wiederum, das Mißlungene als das Eigentliche, Zukunftsweisende verkauft – zum Schaden für Eisler, zum Schaden für sozialistische Kunst überhaupt, zum Schaden des Ganzen. Eisler baut auf: In der Akademie der Künste, an der Musikhochschule, als Komponist, als Gesprächspartner, auch als Referent. Erfahrungen möchte er übermitteln: den sogenannt Bürgerlichen, den Kommunisten. Erfahrungen im Zusammendenken von Kunst und Wirklichkeit, von künstlerischem Material und gesellschaftlicher Funktion. Diese Erfahrungen sind brüchig, gewiß, aber sie haben es in sich, und 19 20
Hanns Eisler, Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik, in: Hanns Eisler, Musik und Politik, Schriften 1948 –1962, Leipzig 1982, S. 13ff. Ebenda.
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noch aus zeitweiligem Scheitern wäre zu lernen, so man Augen und Ohren hat, das Gelungene und Mißlungene wahrzunehmen. Solche Augen und Ohren sind wenig erwünscht. Nicht erst die elenden Debatten über das Libretto Faustus machten es offenbar, aber sie machten Eisler das Leben schier unerträglich. Denn sie stellten geradewegs seine Sicht, seine Erfahrungen in Frage: Etwa die Auseinandersetzung mit Traditionen, auch mit Luther, mit dem Bauernkrieg, mit Goethe, mit dem Volkstheater. Etwa die Auseinandersetzung mit dem vielmaligen Versagen der Intellektuellen. Etwa die Auseinandersetzungen mit Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Gattung Oper. „Eisler wird den Faustus nicht komponieren“ – so Ernst Hermann Meyer, wohlmeinend und unfreiwillig gebietend, ja drohend. Eisler versteht, und es reiht sich Depression an Depression. Eisler greift, nicht erst jetzt, nunmehr aber zugespitzt, zum Alkohol – auch ich habe ihn betrunken gesehen in Ahrenshoop. Er randaliert in Westberlin, das gibt Ärger. Er fährt für längere Zeit nach Wien, und man fragt im Zentralkomitee der SED, ob Eisler überhaupt die Rückreise zu gestatten sei („Herr Eisler“ müsse sich entscheiden, wohin er gehöre!). Brecht besucht den Verzweifelten, Kraftlosen, diktiert ihm den Brief an die Genossen – dieser Brief hat es in sich; er artikuliert Eislers Bereitschaft, für den Sozialismus zu wirken, aber auch seine Verletztheit, da Künstler eine Atmosphäre des Wohlwollens brauchen. Der Brief eröffnet ihm die Rückkehr. Eisler wird zwischen Wien und Berlin pendeln; er wird aktiv sein und zugleich depressiv, dies ist festzuhalten: aktiv und depressiv ineins! Und es gehen die Aktivitäten in verschiedene Richtungen: Zum einen arbeitet er für das Theater, zeitweise auch für den Film. Zum anderen versucht er, für Schönberg, für die Wiener Schule eine Lanze zu brechen – sein Schönberg-Vortrag 1954 wird bekrittelt, gelegentlich nimmt er höhnisch dazu Stellung. Zum dritten versucht er Zukunfts-Bilder, vermittelt kritische Bestandsaufnahme des Status quo: in Gesprächen mehr als in der Öffentlichkeit, vor allem in Gesprächen mit Hans Bunge, dem damaligen Leiter des BrechtArchivs. Und da fallen eigenartige Sätze: „Wir sollten den Mund nicht so voll nehmen, dann ginge es uns besser.“
Und „wir sind eine Mangelgesellschaft“, will sagen, das Eigentliche steht bevor. Und: Es werden Experimente gedacht, die das Bisherige, „und wenn Sie so wollen, auch den Sozialistischen Realismus“ überwinden, er sehe seiner „Überwindung mit Vergnügen entgegen“. „Mechanische Musik“, auch elektronische Musik werde den „schwitzenden Posaunisten Müller überflüssig machen“. Er selbst wolle das Zwölftonsystem wieder aufnehmen – so wie Anton Webern, nur müsse es witzig sein – dies hat er nicht verwirklichen können; ihm fehlte die Kraft. Im Nachdenken über den XX. Parteitag der KPdSU spricht er vom „Herbst“, und er meint nicht nur sein Leben, sondern auch den „Herbst“ des Bisherigen, hoffend auf wirkliche Erneuerung, ohne daß er wagt auszusprechen, worum es gehen müsse. Vor allem müsse man sich der Vergangenheit stellen, wenn man die Zukunft erreichen wolle. Vom sauberen Blick in die Zukunft ist die Rede, der nötig sei, auch wenn es Schmerzen bereitet – ihm bereitet es Schmerzen.
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Dann gibt es die „kleinen Stücke“, die Ernsten Gesänge für Bariton und Streichorchester – erschütternde Gesänge der Verzweiflung und zaghaften Hoffnung. „Künftigen Glückes gewiß, gewiß, gewiß“ (?) – die Singstimme schweigt vor dem Beginn des Nachspiels, das hebt halb pathetisch an, versinkt dann schamhaft ins fast Unhörbare, endet brüsk. Danach, so Eisler, wolle er nicht mehr komponieren. Was solle er denn schreiben? Also will er schweigen, und „Sie (d. h. Bunge) können raten, worüber ich gerade schweige.“ Mehr und mehr hat er zu begreifen: Er ist einsam, auch wenn er unentwegt sich rührt, im Theater und anderswo. Er ist unverstanden – wie sollte er, der den Augustinus, den Hegel und vieles andere auswendig kannte, von jenen verstanden werden, deren Unbildung er beklagt. Wie sollten seine Kollegen, denen er unredliches Komponieren vorwirft (angedeutet im Gespräch mit Nathan Notowicz; dies ruft „Au und Gekreisch“21 der Angegriffenen hervor!), ihn wirklich verstehen. Wie hätten sie erst recht seinen Stoßseufzer verstehen können, den er nur in Wien seinem Tagebuch anvertraute: „Es ist ein Jammer, die Geburtswehen einer neuen Gesellschaft zu sehen [...] Soviel Aufopferung [...] und so viel Dummheit. So viele Errungenschaften und so entsetzliche Fehler, die die Errungenschaften zu zerstören drohen!“
Wie wahr. 6. Eisler, ein Dissident? Mehrfach wurde ihm vorgeworfen, daß er zum Unrecht oft geschwiegen habe. Keine Äußerung gibt es für Ernst Bloch, sondern nur den barschen Satz „Ich verweigere die Aussage.“22 Keine öffentliche Äußerung, als Walter Janka verhaftet wurde, keine öffentliche Äußerung für Wolfgang Harich, den er gut kannte! Feigheit, wie ihm oft vorgehalten wurde? Oder die Einsicht, er könne damit nichts bewirken? Die Briefe sagen darüber nichts: Eisler war vorsichtig, er war zu oft von Geheimdiensten observiert worden, um aufs Neue in die Messer zu laufen, die auch für ihn aufgeklappt waren. Aber es ging ihm auch um Sozialismus, und er hatte Sorge, er würde ihm schaden. Diese Sorge hatten damals wenige verstehen können. Heute, angesichts des globalisierten Kapitalismus des radikalen Marktes, könnte man seine Sorge eher verstehen – sie gehorchte u. a. den Erfahrungen aus den Jahren in den USA. Dennoch, es gibt Äußerungen, die aufhorchen machen, auch öffentliche Äußerungen: Der Sozialismus, so zu einem der Jahrestage, brauche Weisheit und kein Gebrüll. Angegriffen wird „volksnahe Dekadenz“, nahe dem Brechtschen Satz, das Volk sei nicht tümlich. Was Eisler äußerte, wenn er halbwegs unbeobachtet war, wissen wir nicht. Steffi Eisler sprach immer wieder von großer Verzweiflung. Nun, diese Verzweiflung ist
21 22
Um Brechts bittere Worte aufzunehmen – aus seinem Gedicht Nicht so gemeint. Eisler zu Hans Bunge.
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im Spätwerk zu hören – u. a. im Lied Fausts Verzweiflung, vor allem in den Ernsten Gesängen. Mir, der ich jahrzehntelang geglaubt habe, der Sozialismus könne aus eigener Kraft seine Defekte, Gebrechen, auch Verbrechen überwinden, geht Eislers Verzweiflung nahe. 7. Ist Eisler durch den Zusammenbruch aller Sozialismen obsolet geworden, erledigt? Aufzusagen, worin er sich irrte, macht keine Beschwer: Kaum entsprach die Kommunistische Partei seinen Visionen, und daß er an ihren allzu pauschalen Angriffen auf die Sozialdemokratie sich beteiligte, gehört wohl nicht zum Bleibenden. Der Frage bedarf seine schroffe Zurückweisung christlicher Religion auch dann, wenn er zwischen den Menschen und der Institution Kirche unterschied – mit der katholischen Kirche, mit der Jesuitenschule in Österreich hatte er ungute Erfahrungen, auch wenn es da viel zu lernen gab. Ungerecht ist, was Eisler über Luther sagt, schreibt – auch im „Faustus“-Libretto. Und schließlich sind nicht alle seine Werke überlebensfähig – am wenigsten die Kantate Mitte des Jahrhunderts Anfang der fünfziger Jahre. Unter den Neuen Deutschen Volksliedern dürften wenige sich halten – vielleicht das erste Lied Es sind die alten Weisen, dessen Verhaltenheit und Transparanz sich scharf vom Getön vieler gleichzeitig geschriebener Kompositionen von Ottmar Gerster und leider auch von Ernst Hermann Meyer abhebt. Zu eng, zu sehr auf deutsche Musik bezogen, zu sehr dem Lehrer Schönberg verpflichtet sind Eislers Werturteile: Dvořák sei kein guter Komponist, Verdi auch nicht, wenn man Falstaff ausnimmt – ich erinnere mich etlicher Kräche, die mir Stephanie Eisler zukommen ließ, als ich ihr arglos mitteilte, ich halte eine Spezialvorlesung über Dvořák und beschäftige mich mit dem frühen und mittleren Verdi. „Na, du weißt doch, was der Hanns darüber gesagt hat!“ Und doch: Einige seiner politischen Einsichten haben ihre Wahrheit bekräftigt – wir sollten uns ihrer erinnern: der Sätze über Hollywood, auch der Bestandsaufnahmen „ernster Fehler“ in der DDR, der Auseinandersetzung mit Rundschreiben der Päpste, erst recht der Menetekel, die er jenen Komponisten in Westdeutschland angedeihen ließ, die sich auf dem Markt mit Neuerungen überbieten müssen, was sie zu kindischen Greisen macht. Gekräftigt haben sich all die Einsichten, die er u. a. im Stempellied, in der Ballade von den Säckeschmeißern, im Lied von Nigger Jim, im Lied vom Wasserrad vertonte. Nicht anders ein Gutteil seiner ästhetischen, künstlerischen Maximen: Bedenkenswert sind alle seine Versuche, die sogenannt „hohe“ und sogenannt „niedere“ Musik (seinerzeit Schlager, Küchenlied, Jazz) miteinander zu verbinden, bedenkenswert sein Weg aus dem bürgerlichen Konzertsaal, bedenkenswert all die Versuche, die Musik zu vereinfachen (daß er darin oft scheiterte, macht die Versuche nicht obsolet), bedenkenswert all die Versuche „angewandter Musik“, was immer man sich darunter vorzustellen hat. Des Nachdenkens wert sind seine Sätze über Dummheit und Intelligenz in der Musik, vor allem seine ästhetischen Maximen, vor allem, wenn es um radikale Dia-
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lektik geht, um die Lust am Widerspruch, weil nur das Denken in Widersprüchen voranbringt. Zu lernen ist beispielsweise, was dialektisches Verhalten zum Wort meint, wie die verschiedenen Künste sich widerspruchsvoll zueinander verhalten können. Und seine immer wieder vorgetragenen Maximen der Freundlichkeit (mit Frohsinn nicht zu verwechseln: Es geht darum, Unfreundliches, oft auch Verheerendes freundlich zu sagen) und Eleganz: Sie gelten, Eislers ausdrücklichen Vortragsanweisungen zufolge, auch für die Ernsten Gesänge, schließen Verzweiflung, Trauer geradewegs ein, und sie helfen, aus dem Status quo hinaus zu kommen. Dies ist nötig heute, im Zeitalter imperialer Strategien des Kapitals, das, so Marx, offenbar keine anderen Schranken kennt als das Kapital, das jedoch, so wiederum Marx und Engels, um sich schlägt zum Schaden der Menschheit und, wie wir wissen, des Globus. In dieser Zeit Verzweiflungen zu durchleben, aber nicht zu verzagen, sich nicht zu benehmen wie ein „gekränkter Dackel“, sondern Unfreundliches, Unbequemes freundlich, elegant zu sagen, hilft leben.
WOLFGANG HUFSCHMIDT (Essen)
„Zusammengewachsen, was zusammengehört“ Die Internationale Hanns-Eisler-Gesellschaft Als die Eisler-Gesellschaft, wenige Jahre nach der deutsch-deutschen Wende, gegründet wurde, sollte sie nicht nur „international“ sein, sondern vor allem auch gesamt-deutsch, nämlich daran mitarbeiten, daß „zusammenwächst, was zusammengehört“ (um Willy Brandt zu zitieren). Ich kam zur Eisler-Gesellschaft, weil ich etwas gegen die „treuhänderische Abwicklung“ der in der DDR gewachsenen kulturellen Tradition tun wollte. Denn ich bin davon überzeugt, daß von einer deutschen Kultur im 20. Jahrhundert überhaupt nur dann gesprochen werden kann, wenn wir diese als eine g e s a m t -deutsche begreifen. In Biographie und Werk Eislers aber kommt zusammen (gleichsam wie in einem Brennglas), was das Wesen und die Widersprüchlichkeit der deutschen Musik des 20. Jahrhunderts ausmacht: - Musik im Exil u n d im geteilten Deutschland - Bewahrung der Tradition u n d deren Infragestellung - Avantgarde als künstlerische u n d als gesellschaftliche - kompositorisches Ethos u n d soziales Engagement - Musik als autonome Kunst u n d als eine für die Menschen brauchbare. Dies alles hat sich bei Eisler zu einem facettenreichen Gesamtwerk von unverwechselbarer Prägnanz zusammengefügt. Beschäftigt man sich mit diesem Werk, erfährt man auch etwas über das intellektuelle, künstlerische und politische Umfeld, in dem er gelebt, das ihn geprägt und das er mitbestimmt hat. Er war zeit seines Lebens im Dialog mit einer illustren Schar von Weggenossen, allesamt bedeutende Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts, von Bloch bis Brecht, von Adorno bis Tucholsky. Viel gelernt habe ich, der ich kein Musikwissenschaftler bin, durch den Einblick in die Arbeit an der Eisler-Edition, der wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Noten und Schriften von Eisler. Diese Arbeit ist ein deutsch-deutscher, ein Ost/West-Lernprozeß in einem hoch engagierten Team, das sich zusammensetzt aus ost- und westdeutschen Fachleuten, jungen und alten. Da ist in den vergangenen Jahren ein wissenschaftlicher Dialog entstanden, zwischen den Generationen und über die „Mauer in den Köpfen“ hinweg. Wir haben voneinander viel gelernt. Und das ist für mich die schönste Erfahrung aus der Arbeit in der IHEG: wenigstens unter uns ist „zusammengewachsen, was zusammengehört“. Eisler hat uns zu Freunden gemacht.
TOBIAS FAßHAUER (Berlin)
Quellen zu Werk und Leben Hanns Eislers aus dem Besitz von Professor Wolfgang Glück, Wien Kommentierte Dokumentation eines Ankaufs des Musikarchivs der Akademie der Künste, Berlin Die Existenz des hier dokumentierten Quellenbestandes wurde der Fachwelt zum ersten Mal im Dezember 2003 beim Symposion „Hanns Eisler – ein Komponist ohne Heimat“ des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zur Kenntnis gebracht. Er enthält einige sehr interessante Quellen insbesondere zum filmmusikalischen Schaffen, aber auch zu anderen Kompositionen und zu Schriften Hanns Eislers; außerdem Korrespondenz zwischen Hanns Eisler sowie Hilde und Franz Glück. Inzwischen hat das Archiv der Akademie der Künste (Berlin) die Sammlung erworben und in den Bestand des Hanns-Eisler-Archivs eingegliedert (Archiv der Akademie der Künste, Robert-Koch-Platz 10, 10115 Berlin, Kontakt: www.adk.de/de/archiv/benutzerservice). Zum weiteren Hintergrund der Sammlung siehe das Interview mit Prof. Wolfgang Glück im vorliegenden Band. Die nachfolgende Bestandsdokumentation baut auf der Verzeichnung im Musikarchiv der Akademie der Künste durch Anouk Jeschke auf. Dem Archiv lag eine provisorische Ersterfassung der Quellen vor, die Peter Deeg und Johannes C. Gall mit freundlicher Unterstützung von Prof. Wolfgang Glück im März 2009 in Wien vorgenommen hatten. Abkürzungen: AdK Archiv der Akademie der Künste, Berlin Bk Briefkopf Hanns Eislers: Versalien, [links:] Hanns Eisler [rechts:] BerlinNiederschönhausen | Pfeilstrasse 9 | Telefon 48-29-76 [bzw. 48 29 76] EGW III/2 Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948–1962, hrsg. von Günter Mayer, Leipzig 1982 (= Hanns Eisler, Gesammelte Werke, Serie III, Band 2) HE Hanns Eisler HEA Hanns-Eisler-Archiv HG Hilde Glück Hs. Handschrift LE Louise Eisler SE Stephanie Eisler
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T. Takt Übersicht: A. Quellen zu Filmkompositionen Hanns Eislers B. Quellen zu anderen Kompositionen Hanns Eislers C. Schriften Hanns Eislers D. Korrespondenz und private Aufzeichnungen E. Musikdrucke A. Quellen zu Filmkompositionen Hanns Eislers AdK, HEA 10923 Zu: Niemandsland (1931) Typoskript (Hektographie), 165 Blatt (einschließlich eines eingeklebten originalen Typoskriptblattes) in Pappeinband, Eintragungen mit verschiedenen Schreibstoffen (fast ausschließlich Hs. HE). Titel (Einband): Niemandsland | nach einem Entwurf von | Leonhard FRANK und Viktor TRIVAS | RESCO-Film-Produktion A. Resch | Berlin Eislers Handexemplar des Drehbuchs, von dem bei der Realisierung des Films beträchtlich abgewichen wurde. Das eingeklebte originale Blatt enthält die Schießbuden- und die Kegler-Szene (Einstellung 182–190). AdK, HEA 10945 Zu: Niemandsland (1931) Stimmen, 5 Blatt, blaue Tinte, schwarze Tinte, Bleistift. Keine offensichtlichen Probeneintragungen. Inhalt: (1) Violin- und Fagottstimme fremder Hand (schwarze Tinte) zu (jeweils recto) Niemandsland | (Rescofilm) | No. I. Jiddische Hochzeit. | Marsch. sowie (jeweils verso mit Bleistift) einem nicht identifizierten Musikstück im Sechsachteltakt (Blatt 1–2). (2) Trompeten-, Schlagwerk- und Posaunenstimme fremder (?) Hand zum Schlußmarsch (Blatt 3–5). Die in (1) notierten Musikstücke wurden im Film nicht verwendet. Der Marsch ist eine Parodie des Hochzeitsmarsches aus der Musik zum Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn Bartholdy für Klarinette, Fagott und Violine. Zusammen mit einer anderen für dieselbe Besetzung instrumentierten Nummer, Lied des Vaters und Tanz, hätte er in der Sequenz mit der Hochzeit des jüdischen Schneiders Lewin von einem laut Drehbuch in der Szene selbst postierten Ensemble gespielt werden sollen. Diese Idee wurde fallengelassen; die Trio-Stücke wurden durch drei aus dem Off erklingende Stücke des vollen Ensembles ersetzt, nämlich zwei Fassungen eines Hochzeitsmarsches, der ebenfalls das Stück von Mendelssohn verarbeitet, und die in die Suite für Orchester Nr. 2, op. 24, unter dem Titel „Capriccio über jüdische Volkslieder“ aufgenommene Nummer Gesang und Tanz (zur Musik aus dem Off wird vom Brautvater das Lied Der rebe hot geheysn angestimmt).
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AdK, HEA 10931 Zu Kuhle Wampe (1931) Stimmen fremder Hand, 75 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen. Inhalt: Stimmen zu den Nummern Die Natur, Die Spaziergänge, Die Fabriken, Kinderpsychose und (nur Kontrabaß-Stimme) Solidaritätslied. Der Notentext des Liedes Die Spaziergänge („Das Spiel der Geschlechter erneuert sich“) war in der Endfassung bislang nur durch einen Klavierauszug von Erwin Ratz überliefert. AdK, HEA 10898 Zu: Pesn o gerojach (1932) Stimmen fremder Hand, kein Titel, 10 Blatt (sowjetisches Notenpapier), blaue Tinte, Probeneintragungen. Inhalt: Stimmen zum Magnita-Komsomolzenlied (Titel nicht angegeben): Klarinette in Es, 1. 2. Klarinette in B (2 Ausschriften), 1. Trompete, 2. Trompete, Schlagwerk, Klavier, Violoncelli, Kontrabaß. AdK, HEA 10899 Zu: Pesn o gerojach und Suite für Orchester Nr. 4, op. 30 (1932) Stimmen fremder Hand, 34 Blatt (sowjetisches Notenpapier), schwarze Tinte, Probeneintragungen. Titelkorrekturen und -ergänzungen im Zusammenhang mit der Einrichtung als Suite mit blauem und rotem Buntstift (Hs. Erwin Ratz?). Inhalt: (1) Stimmen (5 Blatt) zu Nr. 1, Praeludium (Film) bzw. Satz II (Suite): Violoncello (3 Ausschriften), Kontrabaß (2 Ausschriften). (2) Stimmen (29 Blatt) zu Nr. 3 (Film) bzw. Satz III (Suite): 1. Klarinette in Es, 2. Klarinette in Es, 1. Klarinette in B, 2. Klarinette in B, Trompete in B, Posaune, Tuba, Banjo, Schlagwerk, Klavier, Violoncello (3 Ausschriften), Kontrabaß (2 Ausschriften). AdK, HEA 10927 Zu: Nieuwe Gronden (1933) Stimmen fremder Hand, 32 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen. (Die Instrumente und ein Teil der musikalischen Bezeichnungen sind in französischer Sprache angegeben.) Inhalt: (1) Stimmen zu Nr. 2 und Nr. 6, Blatt 1–21: Titel (Blatt 1): „Zuidersee“ | Nr 2 u. Nr 6 | Orchester-Stimmen mit Bleistift (Hs. HE). (2) Stimmen zur Ballade von den Säckeschmeißern, Blatt 22–32: Titel (Blatt 22): „Zuidersee“ | Ballade [mit Bleistift (Hs. HE)] | Orch. Stimmen [mit Bleistift (Hs. Erwin Ratz?)] | Säckeschmeißer [mit rotem Buntstift (Hs. Erwin Ratz?)]
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Die Stimmen zu Nr. 2 (moderato) sind die einzige überlieferte Notentextquelle dieser Komposition. Bislang galt alles Notenmaterial dieser Nummer als verschollen. AdK, HEA 10932 Zu: Le grand jeu (1933) und Suite für Orchester Nr. 6, op. 40 (1933/34) Stimmen fremder Hand, 112 Blatt, blaue und schwarze Tinte, Probeneintragungen. Titelergänzungen (vor allem Satznummern) im Zusammenhang mit der Einrichtung als Suite mit blauem und rotem Buntstift (Hs. Erwin Ratz?). Inhalt: (1) Filmmusik-Stimmen (unvollständig) zu Chanson de Mlle. Dauville, Phonographe: Foxtrot, Phonographe: Valse, Quartier réservé, Marche finale, Jardins au Pacha, Cantine (29 Blatt). (2) Stimmen der Suite Nr. 6; ursprünglich größtenteils Filmmusik-Stimmen (83 Blatt): Satz I (Quartier réservé ); II (Ville endormie), III (Marche finale), IV (Jardins au Pacha) und V (Cantine). Die Stimmen der Suite sind pro Instrument in Umschlägen aus Packpapier zusammengefaßt, darauf in der Regel als Stempelabdruck: Hanns Eisler | Orchestersuite No 6. Die Klavierstimmen in (2) sind vermutlich im Zusammenhang mit der Umfunktionierung zur Konzertmusik neu angefertigte Abschriften, vgl. die Klavierstimmen in (1). Einige Blätter der Schlagzeugstimmen in (2) enthalten auch autographe Particellniederschriften (Bleistift). Auf der Trompetenstimme des Chanson ist mit Bleistift vermerkt: chanté par Lyne Clevers. AdK, HEA 10928 Zu: The 400 Million (1938) Stimmen fremder Hand, 35 Blatt, schwarze Tinte (Hs. Harry Robin [Namensstempel], Hs. Philip Palmer [Namensstempel] und nicht identifizierte Hs.), Probeneintragungen. Inhalt: Stimmen der zweiten Violine und Viola zur Prelude und den Sequenzen Refugees, Volunteers, Landscape, Dust Storm, Bombardment, Reconstruction, Battle Scene, Roadbuilding und Scherzo. AdK, HEA 10929 Zu: A Child Went Forth (1940) Stimmen fremder Hand, 21 Blatt, schwarze Tinte (Hs. Arnold Arnstein [Namensstempel]), Probeneintragungen. Inhalt: Flöten-, Klarinetten- und Fagottstimme zu Sequence P; Streicherstimmen (Quartett) zu Sequence P und Sequence Q1. (Die betreffenden Musiknummern fanden keinen Eingang in die aus A Child Went Forth hervorgegangene Suite für Septett Nr. 1, op. 92a.) AdK, HEA 10925 Zu: The Forgotten Village (1940/41)
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Manuskript (Bleistift, nicht identifizierte Hs.), 10 Blatt Notenpapier, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE) und blauem und rotem Buntstift (nicht identifizierte Hs.). Rhythmogramme: (1) Reel V | Cartoon (Blatt 1–3). (2) Reel VII Seq B | Medical group goes from house to house (Blatt 4–10). Ein Rhythmogramm verzeichnet im Film gezeigte Ereignisse als Markierungen in einem Taktschema, sodaß beim Komponieren der Filmmusik leicht darauf Bezug genommen werden kann. AdK, HEA 10924 Zu: The Forgotten Village Stimmen fremder Hand, 167 Blatt (mexikanisches und US-Notenpapier), schwarze Tinte (Hs. Harold Byrns [Namensstempel], Harry Robin [Namensstempel], Alfons Wallis [Namensstempel Harold Byrns] und nicht identifizierte Handschriften), Probeneintragungen. Inhalt: Stimmen (unvollständig) zu Rolle 1 Sequenz A–D; Rolle 2 Sequenz A, C; Rolle 3 Sequenz A–C, Marcia funebre a la Mexicana; Rolle 4 Fiesta, Sick children; [Rolle 5] Projection of medical film, Rolle 5 Juan walks with letter to the truck, Curandera with snakeskin, Juan’s walk to Mexico; Rolle 6 Sequenz A (Election), B (Juan’s journey to hospital); Rolle 7 Sequenz A (Intermezzo for bassoon and clarinet), B (Medical group goes from house to house), C (Purification of well); Rolle 8 Sequenz A (Juan carrying sister to medical truck), B–D (Ending). Bleistifteintragungen auf den Violinstimmen weisen darauf hin, daß die namhaften Geiger Stefan Frenkel, Fima Fidelman und Tossy Spivakovsky an der Einspielung der Filmmusik mitwirkten. AdK, HEA 10944 Zu: Regen (1941) Stimmen fremder Hand, 2 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen auf Blatt 2 (Hs. Tossy Spivakovsky). Inhalt: Flötenstimme zu No 8 (entspricht T. 185–206 in Nr. 7, „Sonatina“ des mit der Filmmusik identischen Quintetts Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben und Violinstimme zu Sequence No 11 & 12 (entspricht T. 361–397 [= Nr. 11, „Überleitung“] des Quintetts). AdK, HEA 10926 Zu: Szenen aus The Grapes of Wrath (1940) Stimmen, 95 Blatt: (1) Stimmen fremder Hand, schwarze Tinte (Hs. E. Chas. Eggett [Namensstempel]), Probeneintragungen. (2) Ozalidkopien von Stimmen fremder Hand (Hs. E. Chas. Eggett), Probeneintragungen.
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Inhalt: Stimmen (unvollständig) zu Exodus #1, Sequence #2, Sequence #3, Sequence #4 und Sequence #5. Ozalidkopien sind die Stimmen der Violinen (5 Exemplare) und Viola (3 Exemplare) von Sequence #4. Das mit Sequence #3 bezeichnete Musikstück, abgeleitet aus einer Nummer der Filmmusik zu Pete Roleum and His Cousins (1939), war bis 2008 unbekannt; siehe Johannes Carl Gall, Früchte des Filmmusikprojekts. Neues über Hanns Eislers Musik zu ‚The Grapes of Wrath‘, in: Eisler-Mitteilungen 47 (April 2009), S. 10–13, insbesondere S. 12 f. AdK, HEA 10920 Zu: The Circus (1947) Typoskript, 19 Blatt (amerikanisches letter-Format), Eintragungen mit Bleistift (nicht identifizierte Hs.). Titel: The Circus Aufschlüsselung von Sequenzen (in englischer Sprache) auf vier Rollen von Charlie Chaplins Stummfilm The Circus (1926). Tabelle mit vier Spalten: Einstellungsnummer, Einstellungsbeschreibung bzw. Zwischentitel, Individual scene time, Over all time. Wiederholte Angabe No click track. Die Liste dürfte 1947 bei der Vertonung von Teilen des Films, aus der Eislers Septett Nr. 2 hervorging, als orientierendes cue sheet gedient haben; sie enthält die Szenen „Meal-time after the show“ (entspricht Satz I des Septetts), „Early the next morning“ (Satz II), eine nicht betitelte Szene mit dem zweiten Auftritt eines Esels und u. a. dem Dialogtitel „Show’s starting“ (nicht komponiert?), „The circus prospered, but not the property man […]“ (Satz V) und „A sick horse“/„Open the door“ (Satz IV). Im Hanns-Eisler-Archiv finden sich Rhythmogramme zu weiteren Szenen aus dem Film (AdK, HEA 964 Blatt 35–46). AdK, HEA 10912 Zu: Der Rat der Götter (1950) Typoskript (Durchschlag), 3 Blatt, Korrekturen mit Bleistift (Hs. HE?). Titel: Hanns Eisler als Film-Musiker Verfasserangabe: -ch. Textanfang: Die DEFA hat in diesen Tagen einen Vertrag mit Professor Hanns E i s l e r abgeschlossen. Undatiertes Typoskript eines Presseberichts über Eislers Tätigkeit als Filmkomponist aus Anlaß seines Auftrags für die Musik zu den Filmen Ulenspiegel und Der Rat der Götter. Ankündigung der Veröffentlichung des Buches Komposition für den Film im Henschel-Verlag (in Kürze). Der im Text genannte Vertrag wurde am 17. Januar 1949 in Berlin geschlossen (AdK, HEA 3168). Da die Verfilmung von Charles De Costers Roman Ulenspiegel vorerst nicht zustande kam, wurde Eislers Filmmusik zu Unser täglich Brot (1949) über diesen Vertrag abgerechnet. Erst 1956 entstand mit Beteiligung der DEFA ein Ulenspiegel-Film, jedoch ohne Mitwirkung Eislers (Buch und Regie: Gérard Philipe und Joris Ivens, Musik: Georges Auric).
Quellen zu Werk und Leben Hanns Eislers (Sammlung Glück)
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B. Quellen zu anderen Kompositionen Hanns Eislers AdK, HEA 10943 Zu: Suite über russische Volkslieder (1930) Je eine Posaunen- und Tubastimme fremder Hand, 4 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen (darunter Ergänzungen des Notentextes in der Posaunenstimme). Titel: Suite russ. Volkslieder Die Suite über russische Volkslieder wurde mit einigen Veränderungen als Satz III, Unterhaltungsmusik Nr. 2. Potpourri über russische Volkslieder in die Suite für Orchester Nr. 1, op. 23 (1930), aufgenommen. Sie wurde jedoch 1930 (?) auch separat auf Schellackplatte eingespielt (Homocord, Matrizen-Nr. H-4058). Daß die Suite über russische Volkslieder in den Stimmen AdK, HEA 10943 in zwei Teile aufgespalten ist, deutet darauf hin, daß dieses Material für den Zweck der Schallplattenaufnahme angefertigt wurde: Die beiden Teile entsprechen jeweils der A- und der B-Seite der Platte. AdK, HEA 10936 Zu: Anrede an den Kran „Karl“, op. 18,3 (1930) Stimmen fremder Hand, 11 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen. Titel: Anrede an den Kran „Karl“ (oder ähnlich) mit Bleistift (teilweise Hs. Erwin Ratz?) als Außentitel der Stimme von Trompete I und in der Klavierstimme; sonst nur Anrede. AdK, HEA 10939 Zu: Ballade vom Nigger Jim, op. 18,6 (1930) Eine autographe Stimme (Tenor-Saxophon) und 6 Stimmen fremder Hand, 8 Blatt, Bleistift (autographe Stimme) und schwarze Tinte, autographe Korrekturen mit Bleistift und Probeneintragungen. Titel: Nigger Jim Ballade auf der autographen Tenor-Saxophon-Stimme; Ballade auf den Stimmen von Alt-Saxophon, Trompete, Posaune, Schlagwerk, Banjo und (Innentitel) Klavier, mit Bleistift oder blauem Buntstift (Hs. HE?) ergänzt um Nigger Jim; Ballade vom Nigger Zim. [sic] | Hanns Eisler. auf dem Außentitel der Klavierstimme, mit Bleistift (Hs. HE?) ergänzt um David Weber. AdK, HEA 10937 Zu: Streiklied aus Die Maßnahme, op. 20 (1930) und Solidaritätslied aus Kuhle Wampe (1931) Teilweise (?) autographe (?) Stimmen zum Streiklied sowie (jeweils verso) zum Solidaritätslied, 8 Blatt, schwarze Tinte, Eintragungen mit verschiedenen Schreibstoffen, keine eindeutigen Probeneintragungen. Titel: No 7a, auf der Schlagzeugstimme mit Bleistift (Hs. HE) ergänzt um Streiklied; Weekend. Solidaritätslied. auf der Stimme der [1.] Trompete in C (verso); Solidaritätslied. auf der Posaunen- und Schlagzeugstimme (jeweils verso).
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Inhalt: (a) [1.] Trompete in B, (b) 1. Trompete in C, (c) 2. Trompete in Es, (d) 1. Horn, (e) 2. Horn, (f) 2. Posaune, (g) Schlagzeug. In den Stimmen (b) bis (e) ist die Notation des Solidaritätslieds fragmentarisch. AdK, HEA 10935 Zu: Kleine Sinfonie, op. 29 (1931/32) Stimmen fremder Hand, 83 Blatt in Umschlag aus braunem Packpapier, schwarze und gelegentlich rote Tinte, Probeneintragungen. Titel: a) auf dem Umschlag: [violetter Stempelabdruck:] Hanns Eisler | [mit Bleistift gestrichen:] Orchestersuite No 6 | [Bleistift (Hs. HE oder Erwin Ratz):] Kleine Symphonie | Op. 29 | Orchestermaterial; b) auf den Stimmen: Kleine Symphonie. | Hanns Eisler. Die Instrumente sind in englischer Sprache angegeben; auch Probeneintragungen sind englisch. Vermutlich handelt es sich um das Stimmenmaterial der Uraufführung der Kleinen Sinfonie unter Ernest Ansermet am 12. April 1935 im Londoner Rundfunk. AdK, HEA 10938 Zu: Lied des Kampfbundes (1932) Stimmen fremder Hand, 6 Blatt, schwarze Tinte, Probeneintragungen. Titel: Lied des Kampfbund | Hanns Eisler (Stempelabdrücke). Die Klavierstimme ist fragmentarisch; offensichtlich wurde ein Blatt abgetrennt. AdK, HEA 10941 Zu: Deutsche Symphonie (1936–1958) Autographes Titelblatt, 1 Bogen Notenpapier (24 Systeme, Firmenzeichen: G | & | T), blaue Tinte. Inhalt (post correcturam): Blatt 1 recto: Hanns Eisler op. 56 | Deutsche Symphonie | (für grosses Orchester, Altsolo, gemischten Chor) | Orchesterbesetzung: | 2 Flöten | 2 Hoboen | 2 Clarinetten in B | 2 Fagotte | Kontrafagott | 4 Hörner in F | 3 Trompeten in B | 2 Posaunen | Baßtuba | 2 Schlagwerker (4 Pauken) | 20 Geigen | 12 Bratschen | 10 Violoncelli | 8 Kontrabässe Alle anderen Seiten sind unbeschriftet. Der Bogen diente vermutlich als Umschlag einer Partitur. AdK HEA 10940 Zu: Die den Mund aufhatten (1937) Autographe Partitur, 4 Blatt, Bleistift, Eintragungen mit grünem und rotem Buntstift (Hs. HE). Titel (post correcturam): für Gesang und Quartett | Partitur | Nr 4 Datierung: 17 Juni 1937 | Skovbostrand [sic] Es handelt sich um das bislang verschollen geglaubte Autograph der Kantate nach Ignazio Silone Die den Mund aufhatten für Gesang, zwei Klarinetten, Viola und Vio-
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loncello. Als einzige erhaltene handschriftliche Quellen dieses Werkes galten bislang ein Entwurf und eine Abschrift. AdK, HEA 10933 Zu: Sonate für Violine und Klavier (Die Reisesonate) (1937) Partitur fremder Hand, 6 Blatt (US-Notenpapier), schwarzblaue Tinte, Eintragungen mit blauer Tinte (Hs. HE) und Bleistift (Hs. HE und nicht identifizierte Hs.). Titel (Blatt 1): Hanns Eisler | Sonate für Violine und Klavier Abschrift der Sonate für Violine und Klavier (der Untertitel Die Reisesonate fehlt). Auf der Rückseite von Blatt 6 Adreßnotiz 5214 Sunset mit Bleistift (Hs. HE?). AdK, HEA 10934 Zu: 3. Sonate für Klavier (1943) Partitur fremder Hand, 8 Blatt (Firmenzeichen: J. E. & Co. | Protokoll. Schutzmarke), schwarze Tinte und violette Stempelabdrücke, keine Eintragungen. Titel: 3. Klavier Sonate | Hanns Eisler Sorgfältige, geradezu kalligraphische Abschrift der 3. Sonate für Klavier. AdK, HEA 10930 Zu: L’automne californien (1943) Autographe Partitur mit beiliegendem Brief, 2 und 1 Blatt, blauer Kugelschreiber (Partitur) und blaue Tinte (Brief, Hs. HE). Titel: Hanns Eisler | Kalifornischer Herbst | (L’automne californien) | (aus einem Gedicht von | Bertold Viertel) Datierung: Hollywood | 1943 – Berlin | 1959 Widmungen auf der Partitur: (1) Für Franz Glück, (2) Lieber verehrter Freund zum 60. Geburtstag dieses Lied, so die alte Freundschaft erneuernd. Allerherzlichst | Ihr alter | Hanns Eisler Neuschrift des Liedes L’automne californien für Gesang und Klavier. Der Text des beiliegenden Briefes lautet: Lieber Freund! | Im Intresse [!] der Kunst hoffe ich auf eine möglichst große Wiederholung dieses Tages, denn lange Lebensdauer ist nützlich, wenn sie sich mit der Erhaltung von Bildern u. ähnlichen Gegenständen verbindet. | Sehr herzlich Ihr alter | Hanns Eisler Franz Glücks 60. Geburtstag war am 12. September 1959. Eisler folgte mit diesem Widmungsstück einer von Hilde Glück an ihn brieflich gerichteten Bitte (AdK, HEA 6949, siehe unten unter D). AdK, HEA 10942 Zu: Galileo (1947) Fragmentarische Flötenstimme fremder Hand aus der Bühnenmusik zum Stück von Bertolt Brecht Galileo (amerikanische Fassung von Leben des Galilei), 1 Bogen, schwarze Tinte, Probeneintragungen (darunter Ergänzungen des Notentextes). Titel: Galileo | Scene 9 [mit schwarzer Tinte hinzugefügt:] Ballad
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AdK, HEA 10946 Zu: Lied über den Frieden (1949) Ausriß aus einer nicht identifizierten Illustrierten, 1 Blatt (S. 7/8). Titel (S. 8): Ein Lied geht um die Welt Inhalt (S. 8): (1) Faksimilierte selektive Abschrift der Gesangsstimmen aus dem Refrain des Lieds über den Frieden. Darüber der Text: Für den Weltfriedenskongreß in Paris hatte Hanns Eisler ein Lied komponiert, das heute bereits nicht nur ein Volkslied, sondern ein Lied der Völker geworden ist […]. Unser Bildbericht erzählt vom Werden der deutschen Schallplattenaufnahme dieses Werks. Den Text finden unsere Leser auf Seite 9[.] (2) Kommentierte Photos von Eisler, Ernst Busch und dem Chor der Berliner Staatsoper bei Proben und Aufnahmen. C. Schriften Hanns Eislers AdK, HEA 10914 Zu: Komposition für den Film (1942–1947) Typoskript (Blatt 1, 3 und 4 mit Titel, Verfasserangabe und Vorwort original, sonst Durchschlag), 155 Blatt (amerikanisches letter-Format), Eintragungen mit blauer Tinte (Hs. Theodor W. Adorno), Bleistift (sporadisch) und blauem Kugelschreiber (jeweils nicht identifizierte Hs.). Titel: Komposition für den Film Verfasserangabe: Hanns Eisler Typoskript von Theodor W. Adornos und Hanns Eislers Buch Komposition für den Film mit Eislers Vorwort (in deutscher Sprache) vom Juli 1947 und einem Titelblatt, das nur noch ihn als Autor nennt (Adorno war aus Gründen politischer Opportunität von seiner Mitautorschaft zurückgetreten). Das Konvolut enthält neben den editorisch berücksichtigten Korrekturen Adornos auch eine größere Anzahl Korrekturen fremder Hand mit Kugelschreiber, die in keine der Druckausgaben des Buches Eingang gefunden haben. AdK, HEA 10915 Zu: Komposition für den Film (1) Typoskript, 7 Blatt (amerikanisches letter-Format), Eintragungen mit blauer Tinte (Hs. Theodor W. Adorno). Nachträgliche Ergänzungen zum Typoskript von Komposition für den Film (AdK, HEA 10914, siehe oben). Sie entsprechen einigen der umfangreichsten in der Erstausgabe Composing for the Films (New York 1947) gegenüber den deutschen Ausgaben von 1949 und 1969 vorhandenen Erweiterungen. Diese stehen, aus dem Englischen rückübersetzt, in der textkritischen Ausgabe von Eberhardt Klemm in eckigen Klammern (siehe Theodor W. Adorno und Hanns Eisler, Komposition für den Film, hrsg. von Eberhardt Klemm, Leipzig 1977 [= EGW III/4]). (2) Handschriftliche Notizen (Seitenzahlen und Adornos Adresse in Los Angeles), 3 Blatt.
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AdK, HEA 10916 Zu: Komposition für den Film Druckfahnen, 2 Blatt, eine Korrektur mit Bleistift (nicht identifizierte Hs.). Korrekturabzüge des von Adorno und Eisler gemeinsam gezeichneten und 1 September 1944 datierten, jedoch aufgrund des Rücktritts Adornos von der Mitautorschaft in der Folge nicht verwendeten Preface für Composing for the Films. AdK, HEA 10913 Bislang unbekannter Text Typoskript (Fragment), 1 Blatt (amerikanisches letter-Format), doppelseitig beschrieben, maschinenschriftliche Grundschicht in Versalien. Recto oben links: Seite 3.; verso, dritte (!) Zeile links: Seite 4. Zahlreiche Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Textanfang (post correcturam): Die Kulturindustrie ist nicht ein Produkt des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Fragment enthält kritische Aussagen zur Kulturindustrie (mit Parallelen insbesondere zur Einleitung des Buches Komposition für den Film) sowie teilweise in der Ich-Form geäußerte Gedanken zur Emanzipation der bürgerlichen Musik vom religiös Kultischen, zum kulturell Zivilisatorischen, mit einer Abgrenzung von der Spielfreudigkeit der deutschen Sing- und Gebrauchsmusikbewegung der 1920er Jahre (Fritz Jöde). Berufung auf Hegel; längeres (abbrechendes) Zitat aus dessen Vorlesungen über die Ästhetik („Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie“): „Denn die Kunst hat noch in sich selbst eine Schranke […].“ AdK, HEA 10919 Bislang unbekannter Text Manuskript (Bleistift, Hs. HE), 1 Blatt (amerikanisches letter-Format). Titel: Der Film Leutnant Fifi. Textanfang (post correcturam): Die Merkwürdigkeit der Musikalischen Begleitung: Die 9te Symphonie von Beethoven ist in einer schauerlichen und ergreifenden Weise benutzt. Notizen vermutlich zum Spielfilm Mademoiselle Fifi nach Guy de Maupassant (USA 1944, Produktion: RKO, Regie: Robert Wise, Musik: Werner Richard Heymann). Kritik an der Verwendung von Werken Ludwig van Beethovens in der Filmmusik (9. Sinfonie, „Mondscheinsonate“, Fidelio) und ihrer Assoziierung mit Deutschland und dem deutschen Militär. AdK, HEA 10900 Zu: Manifest [I], in: EGW III/2, S. 26–28 Typoskript, 1 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Titel: Entwurf zum Manifest. Entwurf zu einer Vorfassung der Schlußerklärung des II. Internationalen Kongresses der Komponisten und Musikkritiker in Prag, 20.–29. Mai 1948.
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AdK, HEA 10903 Zu: Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik, in: EGW III/2, S. 13–25 Typoskript, 13 Blatt (Durchschlag) und 1 Blatt (Original) als Einlage zu Seite 2. Eintragungen mit Bleistift (Hs. Erwin Ratz?) und blauer Tinte (nicht identifizierte Hs.). Titel: Einiges über die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Musik Exemplar des Typoskripts von Eislers Vortrag auf dem II. Internationalen Komponisten- und Musiker-Kongress in Prag, Mai 1948. Der Abdruck in EGW III/2 basiert auf der Erstveröffentlichung im Aufbau 4 (1948), Heft 7. Die in HEA 10903 eingetragenen Korrekturen konstituieren eine davon abweichende Fassung. AdK, HEA 10907 Bislang unbekannter Text Drei Durchschläge eines Typoskriptes, dreimal 3 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (nicht identifizierte Hs.). Titel: Mein Bruder Gerhart Verfasserangabe: von Hanns Eisler. Datierung: 11. 1. 1949/M. Textanfang: Im Jahre 1941 floh mein Bruder Gerhart aus einem französischen Konzentrationslager. Bericht über die Schwierigkeiten Gerhart Eislers mit US-Behörden und -Medien zwischen 1941 und 1949, nicht identisch mit dem Text gleichen Titels in EGW III/2, S. 33–35. AdK, HEA 10908 Bislang unbekannter Text Typoskript (Durchschlag), 6 Blatt, Eintragungen mit blauer Tinte (nicht identifizierte Hs.). Textanfang: Hans [sic] Eisler | Ich bin kein Politiker, nur Komponist […]. Darstellung der Behandlung von Hanns und Gerhart Eisler durch das House Committee on Un-American Activities. AdK, HEA 10910 Zu: Hörer und Komponist [I], in: EGW III/2, S. 51–64 6 Typoskripte, in genetischer Reihenfolge: (1) 1 Original mit 2 Durchschlägen (2, 3), je 19 Blatt. (4) 1 Original (2 Schreibmaschinentypen und Farbbänder), 16 Blatt. (5) 1 Original, 16 Blatt. (6) Konvolut aus Durchschlägen von Blättern aus (5), original beschriebenen Blättern und Durchschlägen von Blättern aus (4), 16 Blatt. Eintragungen mit verschiedenen Schreibstoffen, darunter Korrekturen mit Bleistift (Hs. HE) in allen Typoskripten außer (3). Titel (aller Typoskripte): Hörer und Komponist(.)
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Verfasserangabe (aller Typoskripte): Vortrag von Hanns E i s l e r , gehalten im Auditorium Maximum der Berliner Universität am Sonnabend, dem 22. Januar 1949. Die Typoskripte enthalten verschiedene Bearbeitungsstufen des in EGW III/2 publizierten Vortragstextes. Das dort zugrunde gelegte Typoskript (AdK, HEA 2418) ist ein von Eisler korrigierter Durchschlag von (5). AdK, HEA 10909 Bislang unbekannter Text Unvollständiges Typoskript, 6 Blatt (Paginierung mit Bleistift: 1, 3 bis 7), Eintragungen mit Bleistift (nicht identifizierte Hs.). Titel: Vorwürfe des Komponisten an den Hörer. Textanfang: Meine lieben Hörer! | Eure Vorwürfe höre ich mit Erstaunen. Reflexionen über Realismus, Volkstümlichkeit, musikalischen Fortschritt und „angewandte Musik“. Vgl. die Texte Hörer und Komponist [Entwurf], [I] und [II] (1949) in EGW III/2, S. 49–71. AdK, HEA 10906 Bislang unbekannter Text Typoskript (Durchschlag), 2 Blatt. Titel: Lebenslauf Verfasserangabe: Hanns E i s l e r | W i e n IV., | Schönburggasse 11 auf Blatt 1, Hanns E i s l e r m.p. auf Blatt 2. Textanfang: Ich heisse Hanns (Johannes) E i s l e r und wurde am 6. Juli 1898 in Leipzig als Sohn des österreichischen Philosophen Dr. Rudolf Eisler geboren. Datierung: Wien, am 30. März 1949 Ausformulierter Lebenslauf Eislers. AdK, HEA 10901 Bislang unbekannter Text Typoskript, 5 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Titel: Warum ich unterschrieben habe (maschinenschriftlich) auf zwei Blättern, auf dem ersten darüber mit Bleistift: Über Freiheit als Kriegsziel Textanfang: Meine erste Bemühung um den Frieden liegt weit zurück. Entwürfe für eine Erklärung zum Weltfriedenskongreß in Paris, April 1949. AdK, HEA 10902 Bislang unbekannter Text (1) Typoskript, 2 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Textanfang (post correcturam): Um Vernunft in die Musik und das Musikleben hineinzutragen, bedarf es dringend einer vernünftigen Musikwissenschaft. (2) Typoskript, 1 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Verfasserangabe und Datierung: Hanns Eisler, Wien 28. Juni 49 Textanfang: Um Vernunft in die Musik hineinzutragen bedarf es auch einer vernünftigen Musikwissenschaft.
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Entwürfe zu einer Rezension von: Kurt Blaukopf, Musiksoziologie. Eine Einführung in die Grundbegriffe, mit besonderer Berücksichtigung der Soziologie der Tonsysteme, Wien 1950. Eisler lobt Blaukopfs Aufmerksamkeit für die „Soziologie des Materials“: Blaukopf hat sehr gut verstanden dass dieses „eigentümliche Verhältnis“ des Musikmaterials zu den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht ein mechanisch direktes, sondern ein vielfach vermitteltes, also dialektisches ist. (Typoskript 2, post correcturam.) AdK, HEA 10905 Zu: Mein Lehrer Arnold Schönberg, in: EGW III/2, S. 72–74 Typoskript, 5 Blatt. Titel: Kulturpolitik | Gespräch Harry Goldschmidt – Hanns Eisler Datierung: 22. 9. 1949 Textanfang: G.: Mit der Übertragung dieses Konzertes aus Wien […]. Interview des Musikwissenschaftlers Harry Goldschmidt mit Eisler über dessen Lehrer Arnold Schönberg anläßlich der Übertragung eines Gedenkkonzertes der Wiener Philharmoniker zu Schönbergs 75. Geburtstag durch den Berliner Rundfunk am 26. Oktober 1949. Eislers Antworten wurden als zusammenhängender Text ohne Goldschmidts Fragen im Aufbau 5 (1949), Heft 11, unter dem Titel Mein Lehrer Arnold Schönberg abgedruckt (in EGW III/2). AdK, HEA 10904 Zu: Einiges über das Verhältnis von Text und Musik [I] (1950), in: EGW III/2, S. 92–97 Typoskript, 2 Blatt, Eintragungen mit Bleistift (Hs. HE). Titel: Einiges über das Verhältnis von Text und Musik. Verfasserangabe: Hanns Eisler (Bleistift). Textanfang: Man kann Musik verschiedenartig beurteilen. (Blatt 1). Die Dummheit in den Konzertliedern ist besonders bemerkenswert. (Blatt 2). Es handelt sich offenbar um unverbundene Fragmente aus einer oder verschiedenen Vorfassungen des Textes Einiges über das Verhältnis von Text und Musik [I] (Blatt 1 ist das Original zum ersten Blatt des Typoskripts AdK, HEA 2356). AdK, HEA 10911 Bislang unbekannter Text Typoskript (Durchschlag), 5 Blatt, eine Streichung mit Bleistift. Titel: Zum realistischen Verhalten des heutigen Komponisten Textanfang: Spricht man über Musik, so muß man sich bemühen, von allgemeinen Erwägungen zu Konkretem vorzustoßen, so schwierig das sein mag. Trotz der Angabe Kultur [Abstand] Dr. Brix/Markus in der Kopfzeile von Blatt 1 könnte dieser in der Ich-Form verfaßte Text der Autorschaft Eislers zuzuschreiben sein. Diese Vermutung wird durch Übereinstimmungen im Inhalt und in einzelnen Formulierungen mit den Texten Hörer und Komponist [Entwurf], [I] und [II] nahe gelegt; siehe EGW III/2, S. 49–71. „Dr. Brix“ meint vermutlich den österreichischen Musikkritiker und Violinisten Karl Brix.
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D. Korrespondenz und private Aufzeichnungen Textauszüge aus den Briefen von Hanns Eisler und Hilde Glück sind durch Kursivierung ausgezeichnet. Mit * gekennzeichnete Briefe gehören nicht zum „Ankauf Wolfgang Glück“, werden hier jedoch mit aufgeführt, um einen Gesamtüberblick über die erhaltene Korrespondenz zwischen Hanns Eisler und Hilde Glück zu geben. AdK, HEA 5313 (Photokopie, Original nicht zu ermitteln)* HE an HG (Wien); Berlin, 29. August [1949]. Siehe Textwiedergabe mit Quellenbeschreibung im vorliegenden Band, S. 368 AdK, HEA 5320 Vier Briefe, zu (1) bis (3) siehe Textwiedergabe mit Quellenbeschreibung im vorliegenden Band: (1) HE an HG (Wien); Berlin, 2. Februar 1950 (Poststempel). Textanfang: Herzlichsten Dank für Deinen Brief. (2) HE an HG [Wien]; Berlin, ohne Datum [Ende Mai 1950]. Textanfang: Besonders schönen Dank für die Briefe […]. (3) HE und LE an HG (Wien); Berlin, ohne Datum [Juni 1950]. Textanfang: Ich habe eine große Bitte an Dich. (4) HE an HG [Wien]; Berlin, ohne Datum. 1 Blatt (Bk), Bleistift. Knapper Grußbrief. Ich arbeite viel und nicht ohne Erfolg. Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Österreichisches Literaturarchiv, 109/98* Vier Briefe, siehe Textwiedergabe mit Quellenbeschreibung im vorliegenden Band: (1) HE und LE an HG (Wien); Berlin, 17. Februar 1950. Textanfang: Die Sonne scheint, der Frühling ist gekommen […]. (2) HE und LE an HG (Wien); Berlin, 13. März 1950. Textanfang: Vor allem die innigsten Geburtstagswünsche […]. (3) HE an HG (Wien); Berlin, ohne Datum (Poststempel Wien: 6. Oktober 1950). Textanfang: Vielen Dank für Deinen Brief und die Hilfe […]. (4) HE und LE an HG (Wien); Berlin, 24. Oktober 1950. Textanfang: Ich danke Dir sehr für Deinen Brief. AdK, HEA 10922 Puderdose mit eingelegtem Streifen Notenpapier, darauf mit Bleistift (Hs. HE): Ostern 1950 | Für [Violinschlüssel] [Halbe Noten h1–g1] von [Halbe Noten h1–e2] Die Noten entsprechen den Initialen von Hilde Glück und Hanns Eisler. AdK, HEA 10949 LE und HE an HG (Wien), Berlin, 20. Dezember 1950. Siehe Textwiedergabe mit Quellenbeschreibung im vorliegenden Band, S. 446f.
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AdK, HEA 6433 HE an HG; Berlin, ohne Datum. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag (darauf nur: Für Hilde Glück und Aufdruck von Eislers Adresse), blaue Tinte. Ich höre mit Kummer, daß Du Dich nicht gut fühlst. […] Diesmal habe ich mir aber fest vorgenommen zu versuchen im Herbst (vielleicht gelegentlich der „Mutter“, die geplant ist) nach Wien zu kommen. Dieser Brief stammt vermutlich aus der Zeit zwischen Mitte und Ende Mai 1951; siehe die Briefe von Louise Eisler an Hilde Glück vom 18. Mai, 30. Mai und 25. Juli 1951 in AdK, HEA 4814. Ein Gastspiel des Berliner Ensembles am Wiener Neuen Theater in der Scala mit Brechts Stück Die Mutter war demnach für den 1. bis 15. September 1951 geplant, wurde jedoch abgesagt; es wurde dann im Herbst 1953 nachgeholt. AdK, HEA 5037 HE und LE an HG (Wien); Ahrenshoop, 2. August [1951]. 2 Blatt (Blatt1: Briefkopf von LE mit Adreßdaten von Bk, Blatt 2: Bk), Bleistift. LE: Hanns arbeitet seit 5 Wochen an einer Oper [= Johann Faustus]. HE: Es ist ein Jammer, aber ich [kann] bis zum Ende der Oper kaum herumreisen […]. AdK, HEA 8050* Drei Briefe: (1) HG an HE [Berlin]; [Wien]; Montag [Juni 1952]. 1 Blatt, blaue Tinte. Lou gab mir heut Dein Faust-Mnscpt. – ich freu mich unendlich darauf und schreib Dir danach gleich ausführlich darüber. Als Gruss schick ich Dir die Volkslieder und hoff, dass Du sie brauchen kannst, mein Lieber. (2) HG an HE [Berlin]; [Wien], 10. Juni 1952. 2 Blatt, blaue Tinte. An manchen Stellen [des Johann Faustus] höre ich förmlich die Musik schon dazu, so sehr sind sie darauf zugeschrieben. […] [I]ch glaube, dass es eine wunderbare Sache werden wird in ihrer umfassenden Vielfalt […]. (3) HG an HE [Ahrenshoop]; [Wien], 30. Juni [1952]. 1 Blatt, blaue Tinte. Dann schreib ich Dir auch gleich über Deinen Text [Johann Faustus], mein Lieber. […] Hoffentlich geht’s Dir damit so gut weiter […]. AdK, HEA 5961 Eine Postkarte und ein Brief: (1) HE an Hilde und Franz Glück (Wien); Senftenberg/Kremstal, 25. März 1953 (Poststempel). Ansichtskarte (Ansicht von Senftenberg; Stempel Gasthof J. Hintenberger), blaue Tinte.
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Liebe Freunde | „froh bin ich, auf klassischem Boden begeistert“, denn ich verbrachte 1906 hier einen Sommer. Eisler zitiert frei den Beginn von Goethes fünfter Römischer Elegie: „Froh empfind’ ich mich nun auf klassischem Boden begeistert“. (2) HE an (Franz und) Hilde Glück (Wien); Berlin, 30. Mai 1953. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Liebe Hilde u. Franz mitten in den schwierigsten Faustus Diskussionen denke ich an Euch mit großer Herzlichkeit. Hoffentlich hat Wolfgang Glück mit seiner Regie [Joseph Kesselring, Arsen und Spitzenhäubchen] gehabt. Ein paar Zeilen darüber würden mich freuen; auch wie es Berthold [Viertel] geht. AdK, HEA 10921 Notizbuch aus chinesischer Herstellung (?, siehe Dekoration des Einbands), verschiedene Schreibstoffe (Hs. Hilde Glück). Tagebuch von Hilde Glück (1953). AdK, HEA 5963 Sechs Briefe: (1) HE an HG (Wien); Berlin, 13. Februar 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Ich hoffe sehr daß Deine Herzbeschwerden nichts organisches sind. Postskriptum: Mir sind nach längerer Zeit wieder zwei Lieder, die gar nicht übel sind eingefallen. Zu den erwähnten Liedern gehört vermutlich die auf den 11. Februar datierte Brecht-Vertonung Von der Freundlichkeit der Welt. Zu anderen in Frage kommenden Kompositionen siehe die Werkchronologie in: Manfred Grabs, Hanns Eisler. Kompositionen – Schriften – Literatur, Leipzig 1984, S. 372 f. (2) HE an HG (Wien); Berlin, 17. Februar 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Liebe Hilde wie gehts mit der Gesundheit? Schreibe ein paar realistische Zeilen. (3) HE an HG (Wien); Berlin, 25. Februar 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Liebe Hilde vielen Dank für Deinen Brief aus dem Krankenhaus, der mich gerührt hat. Nun hoffentlich bist Du jetzt wieder zu Haus und gesund. […] Selbstverständlich mußt Du für einige Zeit mit dem Friedensrat Schluß machen. Wenn Andrejewski [Andrej Andrejevskij, Direktor der Studios Wien-Film am Rosenhügel] in Wien ist, dürfte ich für einige Tage nach Wien kommen. (4) HE an HG (Wien); Berlin, 5. März 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Liebe Hilde ich bin sehr froh, daß Dir eigentlich nichts fehlt. […] Ich dürfte ca. [am] 14.ten nach Wien kommen aber nur für einige Tage. (5) HE an HG (Wien); Berlin, 19. Juni 1954 (Poststempel). 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Ich sitze hier bei der Arbeit und bin auf strenger Diät, die mich sehr ermüdet.
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(6) HE an HG (Wien); Berlin, 13. Oktober 1955 (Poststempel). 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, Bleistift. Da ich nicht weiß, wann ich wieder nach Wien komme, grüße ich Dich besonders herzlich […] Postskriptum: Ich bin hier mitten in neuen Arbeiten u. fühle mich in der Ruhe meines Häuschens recht wohl. Archiv Dr. Jürgen Schebera, Berlin HE an Hilde und Franz Glück (Wien); Donau-Dampfschiff „Budapest“, 26. Mai 1954 (Schiffspoststempel).* Ansichtskarte (Grein an der Donau). Liebe Hilde u. lieber Franz die Donau schwemmt mir den Mehlspeis-Millöcker weg. Eisler bezieht sich auf seine Mitarbeit am Projekt der Verfilmung von Carl Millöckers Operette Gasparone durch Karl Paryla. AdK, HEA 5986 Drei Briefe: (1) HE an HG (Wien); Berlin, 16. Dezember 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Momentan diktiere ich – unter Schmerzen – einen Vortrag über Schönberg, den ich morgen in der Akademie halte [= Arnold Schönberg, in: EGW III/2, S. 320–332]. Eine mühselige Sache, da mich das [ein Wort eingefügt:] augenblicklich wenig intressiert. […] Auf Wiedersehn im März. (!) (2) HE an HG (Wien), Berlin, 31. Dezember 1954. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Neujahrsgrüße an Hilde und Franz Glück. Postskriptum: Der Schönberg Vortrag war recht brauchbar; er erscheint im nächsten Heft von ‚Sinn u. Form‘. Das ‚Tagebuch‘ wird ihn wahrscheinlich nachdrucken. Was treibt Wolfgang? (3) HE an HG (Wien), Berlin, 10. Januar 1955. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Der Schönberg Vortrag erscheint Ende Februar im ‚Sinn u. Form‘. […] Mittwoch (12.) ist die Premiere von ‚Winterschlacht‘ [Drama von Johannes R. Becher mit Bühnenmusik von Eisler]. Die Musik scheint recht brauchbar zu sein. AdK, HEA 5995 Zwei Briefe: (1) HE an HG (Wien); Berlin, 19. Juni 1955. 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Entschuldigung für plötzliche Abreise aus Wien. Wenn es mir schlecht geht – und es geht mir miserabel – verkrieche ich mich so viel als möglich. Eisler war im März von seiner zweiten Frau Louise geschieden worden. (2) HE an HG (Wien); Paris, 6. Dezember 1955 (Poststempel). 1 Blatt (Briefkopf des Hôtel de la Trémoille) mit Umschlag, Bleistift. Liebe Hilde nur ein kurzer Gruß von dieser Stadt, in der ich leider so viel zu arbeiten habe, daß es mir keinen Spaß macht.
Quellen zu Werk und Leben Hanns Eislers (Sammlung Glück)
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Eisler arbeitete an der Filmmusik zu Nuit et brouillard. AdK, HEA 6332* HG an HE [Wien]; [Wien], ohne Datum [1954/55]. Siehe Textwiedergabe mit Quellenbeschreibung im vorliegenden Band, S. 447ff. AdK, HEA 5527* HG an HE [Berlin], [Wien], 24. Oktober 1955. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Natürlich war’s schade, Dich dieses Mal fast nicht gesehen zu haben […]. Plan, mit Wolfgang am Wochenende nach München zur Picasso-Ausstellung zu fahren. AdK, HEA 6000 HE an Hilde Glück (St. Gilgen, Salzkammergut); Berlin, 22. August 1956 (Poststempel). 1 Blatt (Bk) mit Umschlag, blaue Tinte. Liebe Hilde vielen Dank für Deinen Brief. Ich kann nicht viele Worte machen, aber es ist um mich eine entsetzliche Leere. Ich habe eben ein paar Zeilen geschrieben komponiert. Die gehen so: [Es folgt die erste Strophe von Eislers Gedicht Kantate auf den Tod Bertolt Brechts (Autograph: AdK, HEA 1964).] Brecht war am 14. August gestorben. Eislers Gedicht wurde am 23. September im Neuen Deutschland veröffentlicht. Es paraphrasiert in der ersten Strophe den Text der Nummern 1 und 2 von Brechts und Eislers Requiem Lenin (1935–37); in der letzten Strophe greift Eisler einmal mehr die auf Marx zurückgehende Formulierung „eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse“ auf (siehe das Lied Zu Lenins Todestag [1932], den Kanon [Lenin ist eingeschreint] [1935/36] und die Nr. 9 des Lenin-Requiems). Zwar veröffentlichte die Österreichische Volksstimme 1956 mit einem Teilabdruck des Gedichts auch das Faksimile einer autographen Melodieskizze zum Textbeginn, die entfernt an das Lenin-Requiem erinnert (undatierter Ausschnitt, AdK, HEA 2811), eine ausgeführte Vertonung der Kantate ist jedoch nicht bekannt. AdK, HEA 7056* HG an HE [Berlin]; [Wien], 4. Juli 1958. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Brief zu Eislers 60. Geburtstag; Erwähnung eines beiliegenden Büchleins als Geschenk. AdK, HEA 6949* HG an HE [Berlin]; St. Gilgen, ohne Datum. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Franz [Glück] hat am 12. September [1959] seinen 60. Geburtstag, und dazu möchte ich ihm […] eine Mappe schenken, in die hinein ich Wunschgrüsse aller seiner Freunde sammeln möchte. […] Hast Du irgend ein Lied, das Du mit ein paar Worten für ihn schicken kannst?
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Eisler kam Hilde Glücks Bitte mit einer Neuschrift des Liedes L’automne californien nach (AdK, HEA 10930, siehe oben unter B). AdK, HEA 6934* Franz Glück an HE [Berlin]; [Wien], 25. Oktober 1959. 1 Bogen, blauer Kugelschreiber. Dank für die Übersendung des Liedes L’automne californien zum Geburtstag (siehe oben den Brief AdK, HEA 6949, sowie das Notenautograph unter B: AdK, HEA 10930). Ich habe empfunden, dass Sie nicht etwas gerade bereitliegendes nahmen, sondern dieses Gedicht von Berthold [Viertel] […]. AdK, HEA 6815* Drei Briefe: (1) HG an HE (Wien); Wien, 15. Februar 1960 (Poststempel). 1 Blatt mit Umschlag, blauer Kugelschreiber. Genesungswünsche. Hanns Eisler hatte am 8. Februar in Wien einen Herzinfarkt erlitten und lag bis zum Mai im Krankenhaus. (2) HG an HE [Wien]; [Wien], 13. April 1960. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Erkundigung nach dem gesundheitlichen Befinden, Ankündigung eines Besuchs im Anschluß an einen kurzen Erholungsaufenthalt in St. Gilgen. (3) HG an HE [Wien]; [Wien], ohne Datum. 1 Bogen, blauer Kugelschreiber. Bedauern, Eisler vor seiner Abreise nach Berlin (Anfang Juni) wegen des eigenen schlechten gesundheitlichen Zustands nicht noch einmal sehen zu können. (Hilde Glück war inzwischen selbst wegen Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden.) AdK, HEA 5470 Drei Karten: (1) HE und SE an HG (Wien); [Wien], 25. Mai 1960. Kärtchen mit Umschlag, blauer Kugelschreiber (Hs. SE). Von Krankenbett zu Krankenbett die allerbesten Wünsche und Grüße von Hanns u. Steffy. (2) SE (Berlin) an HG (Wien); Berlin, 20. Juli 1960. Postkarte mit Umschlag (beide frankiert), schwarzer Kugelschreiber. [M]it grösster Freude hören wir nun, dass Du auch schon zu den Rekonvaleszenten gehörst u. hoffentlich gehörst Du, wie Hanns, zu den vorbildlich braven. Bericht über Hanns Eislers Gesundheitszustand. (3) HE und SE an HG (Wien); Berlin, 11. August 1960 (Poststempel). Karte (Anzeige der Heirat von Matthias Langhoff und Michèle Wolf, der Tochter von SE, Berlin, 1. August 1960) mit Umschlag, blauer Kugelschreiber (Hs. SE). Umarmen Dich Hanns u. Steffy.
Quellen zu Werk und Leben Hanns Eislers (Sammlung Glück)
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AdK, HEA 5315* Zwei Briefe: (1) HG an HE [Berlin]; [Wien], 6. Juli 1960 (Photokopie: AdK, HEA 5306). 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Brief zu Eislers Geburtstag mit Bericht über eigenen Gesundheitszustand und Genesungswünschen. Merkwürdig, dass es uns beide so zur selben Zeit erwischt hat. (2) HG an HE und SE (Berlin); Gösing, 29. August 1960. 1 Blatt mit Umschlag, blauer Kugelschreiber. Dank für die Karte zur Heirat von Michèle und Matthias Langhoff (siehe oben: AdK, HEA 5470 [3]) und Glückwünsche. Bericht über neuen Herzanfall. Könntest Du, liebe Steffi, gelegentlich Arnold [Zweig] fragen, ob er meinen langen Brief […] denn nicht bekommen hat? AdK, HEA 5341* HG an HE [Berlin]; [Wien], ohne Datum. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Brief zum Neuen Jahr (1961) mit Genesungswünschen. AdK, HEA 6624* HE an HG; [Berlin], 4. April 1961. 1 Blatt, Typoskript (Durchschlag), nicht unterzeichnet. Leider höre ich wiener Tratsch über Dr. Nedwed. Man behauptet, er hätte mich finanziell ausgebeutet als ich krank war. Das Gegenteil ist der Fall. Norbert Nedwed war Eislers behandelnder Arzt während seines Krankenhausaufenthaltes in Wien im Frühjahr 1960. Eisler reagiert auf einen Brief Nedweds vom 26. März 1961 (AdK, HEA 6655). Siehe auch den Brief von SE an Nedwed vom 2. April (AdK, HEA 7000). AdK, HEA 6625* HG an HE [Berlin]; Wien, 7. April 1961. 1 Blatt, blauer Kugelschreiber. Antwort auf Eislers Brief HEA 6624. Hilde Glück nennt als mögliche Quelle des angeblichen „Tratsches“ eine Bemerkung von Eisler selbst und vermutet eine Überempfindlichkeit Nedweds. E. Musikdrucke AdK, HEA 10918 Karl Vollmer, Dann gibt es Arbeit … (Arbeitslosenchor), Text von Albert Zimmer, Berlin: Verlag für Arbeiterkultur G. m. b. H., o. J. [um 1931] (Reihentitel: Lieder der Kampfmusik). Partitur für vierstimmigen gemischten Chor, 1 Blatt. Textanfang: Wir sind ein Fünfmillionenheer
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AdK, HEA 1327 (2, 3) Hanns Eisler, Lied über den Frieden, Text von Ernst Fischer, Berlin: Verlag „Lied der Zeit“ 1949 (2 Exemplare). AdK, HEA 10917 Friedenslieder, Heft 1, Berlin: „Lied der Zeit“ Schallplatten G. m. b. H. 1950. Inhalt: (1) Dmitrij Schostakowitsch, Frieden der Welt, Text von Jewgenij Dolmatowski, deutsch von Kuba, Partitur für Klavier und Gesang (S. 4 f.). (2) Hanns Eisler, Krieg ist kein Gesetz der Natur … [= Lied über den Frieden, 1949], Text von Ernst Fischer, Klavierauszug für Solo und gemischten Chor von Karl Heinz Füssl (S. 6–15). AdK, HEA 1317 (4) Friedenslieder, Heft 2, Berlin: „Lied der Zeit“ Schallplatten G. m. b. H. 1950. Inhalt: (1) Hanns Eisler, Ami, go home! [nach George F. Root, Tramp! Tramp! Tramp! or The Prisoner’s Hope (1864)], Text von Ernst Busch, Partitur für Gesang und Klavier (S. 3: Text, S. 4 f. Noten). (2) Hanns Eisler, In allen Sprachen (nach einem amerikanischen Volkslied [She’ll Be Coming ’Round the Mountain]), Text von Ernst Busch und Alexander Ott, Partitur für Gesang und Klavier (S. 6 f.: Noten, S. 8: Text). AdK, HEA 1305 (4) Hanns Eisler, Neue deutsche Volkslieder, Text von Johannes R. Becher, erste Folge, für Gesang mit vereinfachter Klavierbegleitung, Berlin: Aufbau-Verlag 1950. AdK, HEA 1477 (3) Hanns Eisler, Neue deutsche Volkslieder, Text von Johannes R. Becher, erste Folge, Orchesterpartitur, Berlin: Aufbau-Verlag 1951. AdK, HEA 1304 (2) Hanns Eisler, Neue deutsche Volkslieder, Text von Johannes R. Becher, zweite Folge, Heft 2, vereinfachte Klavierbearbeitung (mit Chor ad lib.), Berlin: Aufbau-Verlag 1951. Inhalt: (1) Nr. 3, Wir reichen euch die Hand (S. 3 f.). (2) Nr. 4, Dank Euch Ihr Sowjetsoldaten (S. 5–7). AdK, HEA 1324 (3) Hanns Eisler, Du großes Wir. Hymne (aus der Kantate: Mitte des Jahrhunderts) von Johannes R. Becher für gemischten Chor und großes Orchester, Partitur, Berlin: Aufbau-Verlag 1952. AdK, HEA 1347 (2) Hanns Eisler, Sieben Klavierstücke Opus 32, Leipzig: Collection Litolff 1952.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht, aber ich kann es nicht ändern.“ Das Jahr 1950 in der Korrespondenz von Hilde Glück mit Hanns und Louise Eisler – zusammengestellt und kommentiert von Peter Deeg Die Korrespondenz von Hilde Glück (1903–1989) mit Hanns und Louise Eisler ist so umfangreich, daß sie – obwohl keineswegs vollständig überliefert – einen eigenen Band füllen würde. Die Originale befinden sich heute (auf diverse Konvolute verteilt) vor allen an zwei Archiv-Standorten: im Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (Signaturen 109/98 und 211/03) und im Musikarchiv der Akademie der Künste in Berlin (Hanns-Eisler-Archiv, einschließlich Sammlung Louise Eisler-Fischer, diverse Signaturen). Für den vorliegenden Teilabdruck wurde – mit je einer Ausnahme am Beginn und am Ende der Briefedition – die Korrespondenz des Jahres 1950 ausgewählt, da der Wechsel von Hanns und Louise Eislers von Wien nach Berlin in diesem Zeitabschnitt noch nicht unumkehrbar vollzogen schien. Beim Einzug in das Haus Pfeilstraße 9 in Berlin-Niederschönhausen im Jänner 1950 hatten die beiden ihre Wiener Wohnung in der Schönburggasse 11 zunächst nicht aufgegeben, sondern lediglich untervermietet, anfangs sogar nur bis Ende März 1950 (Brief Nr. 1). In den folgenden Monaten wurde diese Frist zwar immer weiter nach hinten geschoben, gleichwohl aber von der Vorstellung, bei Bedarf jederzeit wieder in diese Wohnung einziehen zu können, nicht abgerückt. Erst Ende September 1950 fuhr Louise Eisler für einige Tage nach Wien, um die dort noch in großem Umfang gelagerten Koffer, Kisten und sonstigen Habseligkeiten mit Hilfe einer Spedition nach Berlin zu verfrachten. Ende des Jahres 1950 war dieses Umzugsgut – von mehreren Länder- und Zonengrenzen gehindert – noch nicht an seinem Zielort eingetroffen, sodaß die Übersiedlung des Eislerschen Haushalts nach Ost-Berlin erst im Jänner 1951 völlig abgeschlossen war. Den Briefen ist unter anderem zu entnehmen, wie sich für Hanns Eisler in Berlin bald ein Auftrag an den nächsten reihte. Verschiedenen Bearbeitungen und Aufnahmen der bereits im Oktober 1949 geschriebenen Nationalhymne der DDR folgten allein im ersten Halbjahr 1950 die ebenfalls zusammen mit Johannes R. Becher geschriebenen Neuen deutschen Volkslieder, die Musik für den DEFA-Film Der Rat der Götter und die Festkantate für den III. Parteitag der SED – nicht zu vergessen die für Eisler finanziell bedeutsamen, in Wien nicht in analoger Form für ihn durchsetzbaren Berufungen an die Akademie der Künste und ans Staatliche Konservatorium. Bereits im Februar formulierte die anfangs skeptische Louise Eisler: „Meine Abneigung hier zu sein, hat sich verringert“. Zwar wäre sie, „wenn es nur nach dem
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Privaten ginge“, nach wie vor lieber in Wien. „Aber für Hanns ist es arbeitsmäßig absolut notwendig – hier wird er wirklich gebraucht.“ (Brief Nr. 5). Während der vielbeschäftigte Komponist nur wenig zur Korrespondenz beitrug, ergab sich zwischen Louise Eisler und Hilde Glück ein intensiver Briefwechsel, der ein facettenreiches Bild des Übergangs von der unmittelbaren Nachkriegszeit in die bereits mehr oder weniger stabile „Frontstellung“ des Kalten Krieges vermittelt. Wenn politische Aspekte auch selten explizit benannt werden, so sind aktuelle Entwicklungen wie die Konfrontation Stalin-Tito oder die Friedensbewegung gegen das beginnende atomare Wettrüsten doch stets zwischen den Zeilen präsent. Einen politischen Einschlag hatte auch die im Jahr 1950 eskalierende Entfremdung zwischen Eisler und der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) bzw. deren Exponenten Erwin Ratz, Friedrich Wildgans und Herbert Häfner, die in den Briefen von Louise Eisler und Hilde Glück zum Teil bis in Einzelheiten dokumentiert ist (insbesondere Nr. 43–49). Aufschlußreich sind die Briefe nicht zuletzt als Zeugnisse einer relativ verspäteten Remigration in eine „Heimat“, die zu identifizieren im Fall von Hanns und Louise Eisler besonders schwergefallen sein mag. Während der Komponist zwischen 1925 und 1933 in Berlin gelebt hatte, kannte Louise Eisler die Stadt nur von einigen Besuchen der Jahre 1930–1932. Insofern scheint es verständlich, daß die Stadt Wien – in der beide ihre Jugend verbracht hatten – in den Überlegungen der Eislers weiterhin eine zentrale Rolle spielte. Der Briefwechsel gibt allerdings auch Auskunft über die realen Schwierigkeiten dieser Konstellation: Während sich ein Teil der Besitztümer (Kleidung, Korrespondenz, Notenmanuskripte) noch in Amerika befand, geriet der beabsichtigte Spagat zwischen Wien und Berlin schneller als erwartet zum logistischen Problem. Hilde Glück wurde in dieser Zeit zur unentbehrlichen Ansprechpartnerin der Eislers in Wien, die je nach Bedarf (und Jahreszeit) erst Frühlingsmäntel und Noten, dann Schönbergs Harmonielehre und Louise Eislers Sommerkleider nach Berlin schicken mußte – was in Zeiten unzuverlässiger Postverbindungen nicht ganz ohne Reibungsverluste vor sich ging. Auch wenn Louise Eisler mehrmals den Verlust von Gepäckstücken beklagte, scheint Hilde Glück bei der Verschickung von Eislers Noten stets auf Nummer Sicher gegangen zu sein: An keiner Stelle des Briefwechsels wird erwähnt, daß eine der ihr anvertrauten (für Eisler zum Teil unersetzlichen) Partituren nicht wohlbehalten in Ost-Berlin eingetroffen wäre. Obwohl in den Briefen immer wieder von baldigen Wien-Besuchen Hanns Eislers die Rede ist, ergab sich am Ende – wie anhand der weiteren Korrespondenz zwischen Hilde Glück und Louise Eisler im Detail nachvollzogen werden kann – ein Zeitraum von fast drei Jahren, in denen der Komponist nicht nach Wien fuhr (von Anfang 1950 bis Ende 1952). Erst im Dezember 1952, nach Veröffentlichung seines Operntextes Johann Faustus, setzte eine Phase ein, in der der Komponist (bis 1955) etwa die Hälfte seiner Zeit in Wien, die andere in Berlin verbrachte. Die vorliegende Briefdokumentation schließt mit einem Brief aus dieser Zeitspanne, in dem
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Hilde Glück den österreichischen Komponisten Eisler gewissermaßen mit der Gretchenfrage nach seinen patriotischen Empfindungen bzw. nach dem „österreichischen Paradigma“ in seiner Musik konfrontiert. Eine Antwort Eislers ist nicht überliefert. Zur Edition Die erhaltenen Briefe des Jahres 1950 wurden unter zwei Aspekten gekürzt: Weggelassen wurden zum einen allzu häufige Wiederholungen ein und derselben Sachverhalte. (Offenbar schien es damals ratsam, wichtige Inhalte stets in mehreren Briefen zu wiederholen, da immer auch mit dem Verlust von Briefsendungen gerechnet werden mußte.) Zum anderen wurde im Einvernehmen mit Herrn Prof. Wolfgang Glück an einigen Stellen auf die ausführliche Wiedergabe privater Belange der Familie Glück verzichtet, zumal wenn diese keinen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die sonst in diesen Briefen verhandelten Sachverhalte versprachen. Offensichtliche Flüchtigkeitsfehler in den Quellen wurden stillschweigend korrigiert, ansonsten aber die originale Rechtschreibung sowie wiederkehrende Schreibeigenheiten (z. B. „Gramophon“) belassen. Herausgeberzusätze stehen in eckigen Klammern, mit Ausnahme von Satzzeichen, die im Sinne einer besseren Lesbarkeit in einigen Fällen stillschweigend ergänzt wurden. Gelegentlich finden sich in den Fußnoten weitere Hinweise auf abweichende Lesarten in den Quellentexten. Personenregister Lebensdaten und sonstige Informationen zu den in den Briefen genannten Personen wurden – um unnötige Wiederholungen in den Fußnoten zu vermeiden – in einem alphabetisch geordneten Personenregister zusammengefaßt, das sich am Ende der Briefdokumentation befindet.
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Prolog Hanns Eisler an Hilde Glück, 29. August 1949 Liebste Hilde!
29 August Berlin
Die Goethe Symphonia war ein sehr guter Erfolg;a eine anständige Aufführung. Es scheint eine wirklich gelungene Arbeit zu sein. Schon folgen weitere Aufführungen. Auch das Ausland frägt schon recht begierig danach. Die Mühe scheint sich gelohnt zu haben.b Jetzt fange ich hier den Film an.c Auch einige Gramophonplatten sind zu machen. (Ein großes Eisler Album mit 10 Platten).d Mein Buch erscheint am 2. September.e Ich bin überbeschäftigt, da ich eine kleine Bühnenmusik übernommen habe.f Aber in 3 Wochen komme ich bestimmt nach Wien.g Ich denke mit großer Freude, daß Du jetzt bereits in der Sommerfrische bist. Leider wird das mit der Post noch komplicierter werden. Entschuldige diese eilig-geschmierten Zeilen. Aber ich bin doch sehr abgespannt und müde. Aber da ich Dich bald in Wien sehen werde, so will ich noch diese letzten Anstrengungen gerne ertragen.h In herzlichster Verehrung Dein Hanns Quelle: Manuskript (Kopie), Akademie der Künste (AdK), Berlin, Hanns-Eisler-Archiv (HEA) 5313.
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b c d e
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Gemeint ist Eislers Rhapsodie für großes Orchester (mit Sopran-Solo nach Worten aus Goethes Faust II), die heute meist als „Goethe-Rhapsodie“ bezeichnet wird. Die Uraufführung fand am 26. August 1949 anläßlich der Feierlichkeiten zu Goethes 200. Geburtstag im Weimarer Nationaltheater statt. Mit Ausnahme der zwei relativ kurzen Vokalteile hatte sich Eisler bei der Herstellung dieses Werks großzügig aus seiner im Vorjahr geschriebenen Filmmusik zu Krizova Trojka (CSR 1948) bedient. Eisler komponierte damals im Auftrag der DEFA die Musik zu Slatan Dudows Film Unser täglich Brot (SBZ/DDR 1949). Solche Platten erschienen kurz darauf in der von Ernst Busch geleiteten Ost-Berliner Schallplattenfirma „Lied der Zeit“, allerdings nicht in Form eines Albums. Gemeint ist die (dann doch erst im November erschienene) DDR-Fassung des Buches Komposition für den Film, das Eisler zwischen 1942 und 1944 gemeinsam mit Theodor W. Adorno verfaßt hatte. Wie schon die amerikanische Erstausgabe bei Oxford University Press (1947) erschien auch diese erste deutsche Ausgabe (im Berliner Verlag Bruno Henschel & Sohn) zunächst nur unter Eislers Namen. Nicht ermittelt. Nach heutigem Kenntnisstand reiste Eisler erst im Dezember 1949 wieder nach Wien. Wie auch im nachfolgenden Briefwechsel mitunter zwischen den Zeilen zu lesen ist, schien damals eine länger andauernde Romanze zwischen Hilde Glück und Hanns Eisler im Bereich des Möglichen.
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Die Briefe des Jahres 1950 1 / Louise Eisler an Hilde Glück, 21. Jänner 1950 Neue Adresse Berlin-Niederschönhausen Pfeilstr. 9
21. I. 1950. Liebste Hilde: In größter Eile nur einen Gruß, um Dir zu sagen, daß wir viel an Dich denken. Seitdem ich hier bin,1 hatte ich keine ruhige Minute – ständig auf Proben von „Golden Boy“.2 Die gestrige Premiere war ein großer Erfolg. Einige Tage in Leipzig, wo Hanns die „Mutter“ aufführte.3 Zwischendurch dieses Haus möbliert, eingezogen4 und den Haushalt angekurbelt und außerdem tausend Nebendinge. – Natürlich solltest Du kommen und zwar bald. Ich habe meine Wohnung [in Wien] inzwischen bis Ende März vermietet,5 glaube aber nicht, daß ich vor Ende April zurückkomme – Hanns meint, er wird bis Ende Mai bleiben müssen. Leider habe ich unsere Übergangsmäntel, meinen Kamelhaar und andere Dinge, in Wien gelassen. Ich werde Dir noch diesbezüglich schreiben, es wäre sehr lieb, wenn Du es aus der Wohnung6 zu Dir nähmest, bis es jemand Verläßlicher nach Berlin mitnimmt. Aber: die Schlüssel zum Koffer, in dem sich alles befindet, sind in der Kasse, deren Schlüssel ich habe,7 die Kasse außerdem im Schrank, dessen Schlüssel ich gleichfalls habe. Kompliziert – Schreibe paar Zeilen, liebe Hilde, über alles. Ich schreibe demnächst sehr ausführlich. Wann kommst Du? Könnte man vielleicht den Koffer, der in der Küche steht, aufbrechen um sich die Mühe zu ersparen? Viele Grüße an Franz + Wolfgang. Es umarmt Dich Deine Lou Quelle: Österreichisches Literaturarchiv, Wien (ÖLA) 109/98, Manuskript; Luftpostkarte handschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße 140 / Österreich; Absender: Lou Eisler / Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstraße 9; Poststempel Berlin: 23. 1. 50. Die Datierung am Beginn des Briefes lautet in der Quelle irrtümlich: 21. I. 1920. 1
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Nach einem Besuch in Wien im Dezember 1949 war Hanns Eisler um den Jahreswechsel 1949/1950 in die DDR zurückgekehrt, um an den Leipziger Mutter-Proben teilzunehmen (siehe Anm. 3). Louise Eisler war offenbar Mitte Jänner nach Berlin und dann ebenfalls nach Leipzig gefahren (siehe Brief Nr. 2). Davor hatten die Eislers seit Ende Juni 1949 bereits ein knappes halbes Jahr in Ost-Berlin gelebt, allerdings noch nicht in der Pfeilstr. 9, sondern in der Viktoriastr. 32 (Berlin-Pankow). Golden Boy von Clifford Odets, ins Deutsche übersetzt von Louise Anna Eisler, Premiere am Deutschen Theater in Berlin (Kammerspiele) am 20. Jänner 1950; Regie: Wolfgang Langhoff; mit Karl Paryla, Gerhard Bienert, Hortense Raky u. a. Das Stück war vorher am Neuen Theater in der Scala in Wien aufgeführt worden (Premiere: 14. April 1949; Regie: Wolfgang Heinz). Hanns und Louise Eisler waren seit 1940 eng mit Clifford Odets befreundet. Nach dessen Aussage vor dem Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten brachen sie 1952 den Kontakt zu ihm ab. Die Mutter (nach Gorki) in der Fassung von Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Günter Weisenborn u. a. (Versuche-Fassung 1933); Premiere in Leipzig am 15. Jänner 1949; Regie: Ruth Berlau. Damit läßt sich der Einzug von Hanns und Louise Eisler in das Haus Pfeilstraße 9 präziser datieren als dies in der Eisler-Literatur bislang der Fall war. Die Eislers hatten ihre Wiener Wohnung in der Schönburggasse 11 untervermietet. Siehe Anm. 5. In der Quelle: ist in der Kasse, dessen Schlüssel ich habe.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
2 / Louise Eisler an Hilde Glück, 27. Jänner 1950 Berlin-Niederschönhausen Pfeilstrasse 9
27. I. 50 Liebste Hilde! Ich muss mich sehr bei Dir entschuldigen, dass ich erst heute zum Schreiben komme. Aber diese Stadt ist buchstäblich so hektisch, dass man kaum zum Atmen kommt, besonders aber wenn man, wie ich, ein Haus möblieren muss und gleichzeitig eine Aufführung hat.8 Das Haus ist nun mit dem Nötigsten möbliert, das heißt besser gesagt, wir wohnen in ihm. Die Premiere ist auch vorbei, mit viel Freude und Leid, wie so etwas immer ist. Immerhin ein positiver Faktor: ich habe ein Angebot vom Intendanten des Deutschen Theaters,9 dort sozusagen als seine Mitarbeiterin Dramaturgie, Publicity etz. zu übernehmen. Aber da man leicht in Berlin Angebote bekommt, wenn man hier ist, muss man es sich überlegen. Jedenfalls will ich Zeit haben, um an meinen Büchern zu arbeiten.10 Um es gleich vorwegzunehmen, Hanns hatte noch keine ruhige Minute. Er beabsichtigt im Moment, bis Juni hierzubleiben, aber wie Du weisst, sind Pläne da, um geändert zu werden. Er würde sich enorm freuen, wenn Du auf Besuch kämest! Immerhin scheint es, als ob die Akademie der Künste doch Anfang Februar beginnen sollte.11 In den ersten Tagen meines Hierseins wurde in Leipzig die „Mutter“ aufgeführt und zwar als Theaterstück,12 Hanns hatte damit viel zu tun, ich fuhr auch auf einige Tage hin. […] Wir besitzen zwar kein Fremdenzimmer, aber in meinem Arbeitszimmer ist ein Divan. Alle Betten und Divans sind hart, wie der Fussboden. Es gibt nur Stroh, und keine Federn. Und so merkt man allen Möbeln an, dass eine Katastrophe vorhergegangen ist. Ich hatte ja vor, alte Möbel in Antiquitätengeschäften zu kaufen, aber dazu fehlte die Zeit und die Jahreszeit war unmöglich, denn so etwas gibt es nicht in Berlin, nur in Sachsen und Mecklenburg. So muss ich also mit Möbeln leben, die mir sehr missfallen und auch noch unbequem sind und mir noch dazu für alle Ewigkeiten gehören. Aber man kommt hier kaum zum Schauen. Das Haus selbst ist angenehm, obwohl es ein Zimmer zu wenig hat, nämlich das Fremdenzimmer. Den Winter habe ich im Moment direkt vor der Türe, neben uns ist ein
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Siehe Anm. 2. Intendant des Deutschen Theaters in Berlin war Wolfgang Langhoff. Siehe Anm. 30. Die Deutsche Akademie der Künste wurde am 24. März 1950 gegründet. Hanns Eisler gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Sektion Musik. Siehe Anm. 3. Louise Eisler hebt den Theateraspekt hervor, weil Hilde Glück das Stück Die Mutter bislang nur in der Kantatenfassung kannte, die am 29. Mai 1949 im RAVAG-Funkhaus in Wien aufgeführt und im Rahmen der „Russischen Stunde“ der RAVAG gesendet worden war.
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Eislaufplatz,13 schön zum anschauen aber zu laut für empfindliche Ohren, es werden dort nämlich auf Gramophon mit Vorliebe Märsche wie die „Nibelungen“ gespielt.14 Im Moment bin ich durch das Einrichten sehr pleite. Deshalb sehe ich auch noch nicht, wann ich nach Wien zurückkommen kann. Jedenfalls habe ich unsere [dortige] Wohnung vorläufig um einen Monat länger vermietet,15 nämlich bis Ende März, aber ich fürchte, es wird Ende April werden, bis ich kommen kann, wenn alles gut geht. Ich werde versuchen einen Kredit zu bekommen. Liebe Hilde, ich lege Dir einen Zettel bei,16 mit allen meinen Sorgen. Ich habe nämlich viel zu wenig mitgenommen, weil ich ja im Unterbewusstsein früher zurück sein wollte. Nun bräuchte ich diese Kleidungsstücke dringend, und vielleicht ist es doch am einfachsten, die Koffer, die in der Küche stehen, aufzubrechen und den einen Schrank rechts im Badezimmer, in dem auch noch die Pepita Jacke und die grün gestreifte Jacke sind. Bitte schreibe mir darüber gleich. Was die verlässliche Person betrifft, die es mir nach Berlin bringt, wäre es am besten, Bruno Frey [Frei] zu fragen, vielleicht sollte er bei der „Intrac“17 anrufen und sich erkundigen, wann jemand fährt […]. Ich danke Dir vielmals für Deine Gefälligkeit. Und komme so bald als möglich!!! Für uns ist es nur eine grosse Freude und es spielt bei unserer Art des Lebens überhaupt keine Rolle, ob noch jemand mit uns lebt. Es darf also wirklich nur die Fahrt kosten. Du musst aber über München fahren, alles andere ist zu kompliziert. Schreibe mir gleich über Deine Pläne und wie es Dir geht, was Du machst, was die Friedensbewegung18 macht, wen Du siehst, und was alle unsere Freunde machen. Ich werde sicher bald antworten, wenn ich auch immer nur rasch meine Briefe herunterklappere, und daher die Kunst des Briefschreibens nicht in dieses mein Leben hereinpasst. Wie geht es Franz und Wolfgang? Viele Grüße an beide von uns beiden. Hanns hat sicher vor, Euch bald zu schreiben, er ist sehr beschäftigt und wie Du weißt von Natur ein Antibriefschreiber. 13 14
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Auch heute noch befindet sich neben dem Grundstück Pfeilstraße 9 ein Sportplatz (der damals im Winter offenbar zum Eislaufen genutzt wurde). Gemeint ist vermutlich der „Nibelungen-Marsch“ aus Richard Wagners Oper Der Ring der Nibelungen, der von den Nazis (in entsprechenden musikalischen Bearbeitungen) u. a. bei zahlreichen Aufmärschen verwendet worden war. Siehe Anm. 5. In der Folge wurde die Laufzeit des Untermietverhältnisses immer weiter ausgedehnt, wie auch aus dem weiteren Verlauf des vorliegenden Briefwechsels hervorgeht. Der Zettel enthält eine umfangreiche Auflistung von Kleidungsstücken von „Hanns’ Frühjahrsübergangsmantel“ bis „schwarz grün karriertes Seidenjäckchen (gesteppt)“. Die in Wien ansässige Intrac (Internationale Warenaustausch und Großhandels-GmbH) war eine von der KPÖ kontrollierte Handelsgesellschaft, die 1949 aus der Verwaltungsgesellschaft des sowjetischen Eigentums in Österreich USIA (Upravlenie sovetskim imushchestvom v Avstrii) hervorgegangen war. Sie führte im Auftrag der KPÖ regelmäßige Warentransporte zwischen Berlin und Wien durch. In der DDR wurde 1964 eine Firma gleichen Namens gegründet, die Intrac Handelsgesellschaft mbH, die sich bis 1989 mit ca. 700 Mitarbeitern zur größten Firma im Bereich „Kommerzielle Koordination“ (KoKo) entwickelte. Hilde Glück arbeitete intensiv im Österreichischen Friedensrat mit und war an der Organisation der beiden Friedenskongresse im Juni 1950 und Dezember 1952 in Wien maßgeblich beteiligt.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Alles Liebe, Hilderl, ich umarme Dich Deine Lou Was ist mit Henrieds?19 Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Nachträgen; Luftpostkuvert handschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße / 140 / Österreich ; Absender: Lou Eisler / BerlinNiederschönhausen / PFEILSTR 9; Poststempel Berlin: 28. 1. 50; Poststempel Wien: 3. II. 50.
3 / Louise Eisler an Hilde Glück, 31. Jänner 1950 31. I. 50 Liebe Hilde, der erste Monat dieses Jahres ist also um und es kann kaum mehr kälter werden, das ist ein Trost. Heute kam Dein netter Brief, er war aber tagelang irgendwo gelegen, ich weiss nicht, ob das so eine gute Beförderung ist, durch Toni [Lehr],20 ausser für Allgemeines. Ich kann Dir leider nur im Telegrammstil schreiben, weil ich nur diese Luftpostkarten21 kaufen kann, für Briefe braucht man internat[ionale] Postscheine. Sehr bedauerlich, dass ich Liesl [Henreid] versäume,22 ausser sie entschliesst sich herzukommen. Ich lasse sie sehr herzlich grüssen und möchte sie sehr gerne wiedersehen! Vor allem aber erwarte ich Dich, und zwar so bald es Dir nur möglich ist. Nicht nur dass ich mich auf Dich freue und froh bin, dass Du einmal wohin reisen kannst, [vielmehr] glaube ich auch, dass Du allerhand hier für Dich erledigen kannst und auch für Wolfgang.23 Ausserdem ersparst Du mir eine Reise nach Wien, denn ich brauche wirklich eine Menge Sachen aus meiner Wohnung, falls Du kommst natürlich noch viel mehr als um was ich schrieb. Sobald ich weiss, dass Du kommst, schreibe ich Dir alles, was wir noch brauchen. […] Komm bald! Grüsse den Franz und den Wolfgang. Sag Berthold Viertel, dass ich von der Inszenierung24 und Giehse25 begeistert bin. Alles Liebe, schreibe Deine Lou […] Hanns hat Aufnahme im Rundfunk für Hymne26 und ausserdem mit der Giehse.27 19
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Das Ehepaar Paul und Lisl Henreid. Zu Paul Henreid siehe Anm. 1 zum Gespräch mit Wolfgang Glück im vorliegenden Band. Lisl (Elisabeth) Henreid, geb. Glück, war die Schwägerin von Hilde Glück. Die Europareise der Henreids wurde noch mehrmals verschoben. Siehe Anm. 108. Antonie Lehr war Mitarbeiterin der KPÖ und offenbar auch der Intrac, siehe Anm. 17. Siehe Ernst Kieninger u. a., „Antonie Lehr – Ester Tencer. Widerstandspropaganda“, in: Geschichte spüren. Österreichische Publizisten im Widerstand, hrsg. von Manfred Bobrowsky, Wien 1990, S. 131–188. Als „Luftpostkarten“ bezeichnet Louise Eisler Luftpostkuverts, bei denen der Text nicht auf einem separaten Blatt, sondern auf die Innenseite des Kuverts geschrieben wurde. Siehe Anm. 19. Wolfgang Glück, der Sohn von Franz und Hilde Glück, hatte 1950 die Möglichkeit, mit einem Jahresvertrag als Regieassistent ans Berliner Ensemble zu wechseln. Wegen Visumsschwierigkeiten verzögerte sich die Angelegenheit immer wieder, am Ende blieb Wolfgang Glück als Assistent bei Berthold Viertel in Wien. Wassa Schelesnowa von Maxim Gorki, Premiere am 23. Dezember 1949; Regie: Berthold Viertel; mit Therese Giehse, Friedrich Gnaß, Erwin Geschonneck, Regine Lutz. In der Quelle: Giese.
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Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Zusätzen; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140; Absender: Eisler, Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 02. 2. 50.
4 / Hanns Eisler an Hilde Glück, 2. Februar 1950 Liebe Hilde! Herzlichsten Dank für Deine Briefe. Wir sitzen in unserem sehr schönen Häuschen und arbeiten. Sehr erfreulich ist es, daß Du die Möglichkeit hast uns hier zu besuchen. Komme also wirklich und telegraphiere Deine Ankunft. Ich glaube ein Berliner Besuch wird Dir sehr gut tun. Grüße alle Freunde und sei sehr herzlichst gegrüßt von Deinem Hanns Quelle: AdK, Berlin, HEA 5320, Manuskript, Luftpostkarte, maschinenschr. adressiert an Hilde Glück / Postamt 41 / postlagernd / Wien III / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 2. 2. 50; Poststempel Wien: 7. II. 50.
5 / Louise Eisler an Hilde Glück, 10. Februar 1950 Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstr. 9 Berlin. 10. II. Liebste Hilde: Leider habe ich noch keine Antwort auf meine Briefe an Dich. Wozu hast Du dich entschlossen mit dem Herkommen? Du wirst wahrscheinlich jetzt sehr beschäftigt sein, die Liesl [Henreid], die ich sehr herzlich grüssen lasse, ist wahrscheinlich gerade in Wien.28 Es tut uns schrecklich leid, sie zu versäumen. Was haben die Henrieds für Pläne? Wie lange werden sie in Europa bleiben? Was unsere Pläne betrifft, sieht es so aus, als ob ich im April oder Mai nach Wien kommen kann (wahrscheinlich erst Mitte Mai) und Hanns im Juni. Im September müssen wir dann allerdings wieder in Berlin zurück sein. Aber es ist sehr schwer Pläne zu machen auf längere Sicht, es kann immer etwas dazwischen kommen. Jedenfalls wird jetzt doch bald die Akademie anfangen.29 Hanns arbeitet sehr viel und ist ständig beschäftigt. Ich arbeite an meinem Buch,30 das ich bis allerlängstens Anfang August abliefern muss. Sonst hat man mir vieles angeboten, auch am
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Gemeint ist die im Oktober 1949 komponierte Nationalhymne der DDR von Hanns Eisler, mit dem Text von Johannes R. Becher („Auferstanden aus Ruinen“). In der Quelle zunächst: Giese; das fehlende h ist nachträglich handschriftlich eingefügt. Am 8. Februar 1950 leitete Hanns Eisler eine Aufnahme der Ballade von der ‚Judenhure‘ Marie Sanders mit Therese Giehse beim Berliner Deutschlandsender. Paul und Lisl Henreid kamen erst einige Zeit später zu einem Besuch nach Wien. Siehe Anm. 108. Siehe Anm. 11. Louise Eisler arbeitete an einem Buchprojekt L’art pour l’argent für den Ost-Berliner Verlag Volk und Welt. Das Buch sollte „Bettelbriefe“ berühmter Künstler enthalten, es kam am Ende nicht zustande.
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„Deutschen Theater“ aber ich will mich vorläufig mit nichts binden.31 Die Kleiderfrage, besonders Mantelfrage wird wichtig. Ich bitte Dich sehr, sie mir mit jemandem ganz Verlässlichen zu schicken, der sich sofort nach Ankunft in Berlin mit uns in Verbindung setzt. (Telefon 48 29 76) Ich schicke Dir also mit gleicher Post, nämlich mit Parylas (die Dir auch alles über uns erzählen können) meinen Schlüsselbund. Der kleine Schlüssel ist der Schlüssel zu meiner Eisenkasse, die sich im rechten Badezimmerschrank befindet. In dieser Kasse sind 2 Koffer-Schlüsselbunde. Einer von diesen (er ist schwer zu finden) ist der Schlüssel zu dem großen Eisenkoffer in der Küche, ein anderer zum kleinen Koffer in der Küche, […] einer von den beiden anderen Schlüsseln ist der zu dem rechten Badezimmerschrank, da ich nicht weiss welcher, schicke ich beide. Wenn Du wieder alles versperrt hast, behalte den Schlüssel vorläufig bei Dir, bis Du sie mir entweder selbst nach Berlin bringst, oder bis Du sie jemandem ganz verlässlichen schicken kannst. […] Liebes Hilderl, ich danke Dir sehr, für diese grosse Gefälligkeit. Ich lege Dir einen Brief an Frau Dr. Engel, die Untermieterin ein,32 damit sie Dich herein lässt. Falls irgendwelche Packete gekommen sind, was Oberst Lumbe weiss, lasse sie Dir bitte auch geben, und falls ein Medikament für Hanns dabei ist, schicke es mit und was sonst noch geht. Ich hoffe, es geht Euch gut. Schreibe doch genau darüber. Ich erwarte Deinen nächsten Brief sehr. Übrigens, am 6. März werde ich vierzig Jahre alt,33 vielleicht bist Du da schon in Berlin. Hanns hat eine Abneigung gegen Briefeschreiben, er schreibt Niemandem. Aber frage nach allem, was Du wissen willst, ich werde so prompt als ich nur kann, auf alles antworten. […] Hanns komponiert soeben 12 Lieder für ein Liederbuch für die Jugend. Becher schreibt dazu die Texte.34 Meine Abneigung hier zu sein, hat sich verringert, einfach weil das Land, das dem Sozialismus entgegen geht, immer großartig35 ist. Aber die Sehnsucht nach meinen Wiener und amerikanischen Freunden ist wie eine ständige kleine fressende36 Wunde. Wenn es nur nach dem Privaten ginge, wäre ich nicht hier. Aber für Hanns ist es arbeitsmäßig absolut notwendig – hier wird er wirklich gebraucht – 31 32
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Louise Eisler war trotz der hier artikulierten Vorbehalte kurz darauf eine zeitlang als „künstlerischer Beirat“ des Deutschen Theaters tätig, siehe Brief Nr. 7. In dem beiliegenden (von Hilde Glück offenbar nicht weitergegebenen) Schreiben von Louse Eisler an Editha Engel vom 11. Februar 1950 heißt es u. a.: „Es besteht vielleicht auch eine Möglichkeit zu besprechen, daß falls wir die Wohnung von Mai bis Oktober wieder bewohnen, Sie sie ab Oktober eventuell wieder über den Winter übernehmen, denn es sieht so aus als ob wir nächsten Winter wieder hier sein müßten und daß wir nur Frühling und Sommer in Wien verbringen. Aber das sind nur vorläufige Überlegungen.“ In Wahrheit feierte Louise Eisler am 6. März 1950 bereits ihren 44. Geburtstag. Gemeint sind die später so bezeichneten Neuen deutschen Volkslieder von Hanns Eisler nach Texten von Johannes R. Becher (I. Folge: 15 Lieder, II. Folge: 4 Lieder). Unsichere Entzifferung. Unsichere Entzifferung.
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Liebste Hilde, schreibe bald. Viele Grüße von Haus zu Haus. allerherzlichst Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Zusätzen, Kuvert offenbar nicht erhalten.
6 / Louise Eisler an Hilde Glück, 12. Februar 1950 12. II. Liebe Hilde, gerade kam Dein Brief, er war auch nur kurze Zeit unterwegs, 7 Tage – das ist gar nicht so schlimm. Falls ich Parylas [am] Sonntag nochmals sehe, gebe ich Ihnen diesen Brief mit, sonst schicke ich ihn per Post. Nun weiss ich nicht, was ich mit den Schlüsseln machen soll, sie schicken oder nicht – falls Du mit dem Schlosser schon dort warst, ist es ja nicht mehr nötig. Jedenfalls können Dir Hortense Raky oder Karl Paryla von uns berichten, wir waren öfter zusammen.37 Ich hab heute auch noch begonnen, das erste Stück von Odets, ein kurzes Streikstück zu übersetzen. Es heisst „Waiting for Lefty“, die Zeitschrift Sinn und Form will einen Abdruck bringen und nächste Saison soll es im „Deutschen Theater“ aufgeführt werden.38 Die Hauptsache ist ja, dass Du überhaupt kommst, liebe Hilde! Es wäre natürlich sehr schön, wenn Du zu meinem Geburtstag hier sein könntest. Hanns komponiert am laufenden Band, im Moment ein Liederbuch für die Jugend, die hier das weitaus Erfreulichste ist.39 Gestern war ich hier zum ersten Mal im Nationalrat, das heisst Parlament,40 als Gast, denn die Hymne wurde feierlich zur offiziellen Nationalhymne ernannt,41 worauf alles aufstand und sie sang. Die Minister haben sie schon sehr gut gelernt. Im Parlament hat es mir gut gefallen, dort hat man wirklich den Eindruck die Vertreter des Volkes zu sehen. Am Tag vorher fand eine gemütliche Aussprache zwischen Intellektuellen und dem Präsidenten statt,42 über gegenseitige Probleme.
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Hortense Raky und ihr Mann Karl Paryla hatten im Deutschen Theater in Berlin an der Aufführung des Stücks Golden Boy mitgewirkt, siehe Anm. 2. Es kam weder zu einem Abdruck in Sinn und Form noch zu einer Aufführung, siehe auch Brief Nr. 7. Die Übersetzung von Waiting for Lefty schloß Louise Eisler erst Ende 1951 ab (siehe AdK Berlin, HEA 4828). Siehe Anm. 34. Gemeint ist die am 7. Oktober 1949 in Ost-Berlin konstituierte Provisorische Volkskammer der DDR. Der offizielle Beschluß über die Nationalhymne wurde am 10. November 1949 von der Provisorischen Regierung und am 8. Februar 1950 von der Provisorischen Volkskammer der DDR gefaßt. Wilhelm Pieck (1876–1960) war der erste Präsident der DDR. Eisler widmete ihm die Lieder Es war dein Leben ein Lernen und Du, deines Volkes der Beste (beide nach Texten von Becher) sowie Willem hat ein Schloß (Text von Brecht). Zu dem DEFA-Dokumentarfilm Wilhelm Pieck – Das Leben unseres Präsidenten (1951) komponierte Eisler die Musik.
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Kannst Du Dir Fiegl bei so einer Aussprache vorstellen,43 die die wirkliche Kultur und dessen Verbindung mit dem Volk fördern soll? Am Schluss sagte der Präsident, falls eine einmonatliche Zusammenkunft nicht genügt um sich über alle Probleme klar zu sein (die Diskussion war nämlich noch nicht erschöpft, der Präsident musste aber in die Oper) dann müsse man sich eben alle vierzehn Tage treffen. Ich hoffe, liebe Hilde, das Du gerade zu einer günstigen Zeit kommen kannst, wo Du was Interessantes sehen und hören kannst. Aber das ist auch Zufall und nicht vorher bestimmbar. Hoffentlich bleibst Du nicht allzu kurze Zeit hier. Hanns sagt, wir wohnen wie gehobene Schlächtermeister.44 Das stimmt ungefähr. Viele Grüße auch an Franz und Wolfgang Deine Lou […] Der Kleiderbringer soll sich sofort mit mir direkt telefonisch in Verbindung setzen, wenn er in Berlin eintrifft – nicht die Mäntel einfach so abgeben. Du musst das ausdrücklich Toni Lehr sagen, falls sie es vermittelt. Denn die Briefe, die geschickt werden, liegen immer tagelang wo herum, bis man es erfährt. So ist Deiner auch noch nicht angekommen – Gewöhnliche Post ebensogut. Unsere Telefonnummer ist: 48-29-76. Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Zusätzen, Kuvert mit aufgedr. Absenderadresse LOUISE ANNA EISLER / BERLIN-NIEDERSCHÖNHAUSEN / PFEILSTRASSE 9; maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140, unfrankiert.
7 / Louise Eisler an Hilde Glück, 15. Februar 1950 15. II. Liebe Hilde, vielen Dank für Deinen so lieben ausführlichen Brief, der so lange unterwegs war. Inzwischen wirst Du ja durch Hortense Raky Nachricht haben und sie kann Dir auch ausführlich von hier berichten. Hanns und ich freuen uns sehr auf Dein Kommen. Hanns ist müde und abgearbeitet, wärest Du hier würde er froh sein, als Entspannung sich mit Dir zu unterhalten, aber zum Schreiben reicht die Energie bei ihm niemals aus. Auch ich habe mir viel zu viel vorgenommen und weiss nicht, wie ich das alles bewältigen werde. Jetzt habe ich prinzipiell diese Arbeit als „künstlerischer Beirat“ am deutschen Theater übernommen,45 aber sie konkret durchführen heisst: unzählige Stücke lesen und in die Provinz fahren und die Theater dort abgrasen, dazu noch vieles andere. Dabei muss ich meine Anthologie jetzt unbedingt weiterbringen, ich arbeite auch ständig daran, ich muss
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Der ÖVP-Politiker Leopod Figl (1902–1965) war von Dezember 1945 bis April 1953 österreichischer Bundeskanzler. Hanns Eislers Mutter (Ida Maria Eisler, geb. Fischer) stammte aus einer Fleischerfamilie. Ursprünglich war Louise Eisler sogar eine weitergehende Beschäftigung am Deutschen Theater angeboten worden, siehe Briefe Nr. 2 und 5.
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das Manuskript46 bis spätestens Anfang August abliefern. Jetzt sollte ich noch rasch eine Übersetzung von Odets „Waiting for Lefty“ machen, aber ich glaube nicht dass ich das zustande bringe. Die Zeitschrift „Sinn und Form“ wollte es in ihrer nächste Nummer drucken.47 Dabei muss ich mich doch ständig um Hanns kümmern und immer zur Verfügung sein. Das tue ich auch alles gern, es ist nur viel. Aber ich brauche Dir das ja nicht zu erzählen, Du bist ja noch mehr überlastet. Gottseidank habe ich kaum mit der Wirtschaft zu tun,48 und das Haus, obwohl es jetzt noch gar nicht nach meinem Geschmack eingerichtet ist, sondern einfach so, dass man rasch einziehen konnte, ist soweit ganz bequem. Der Hanns fühlt sich darin sehr wohl, und das ist im Moment das Wichtigste. Man kann ja später alle diese scheusslichen billigen modernen Möbel heraus werfen und sich neue (alte) kaufen. Mich machen Sachen krank, die den Hanns gar nicht stören, wie z. B. Vorhänge die oben in Rosetten angebracht sind. Aber um das alles wieder zu ändern, bräuchte man sehr viel Energie. Aber es ist sinnlos, Dir über das Haus zu schreiben, denn Du wirst es ja hoffentlich bald sehen. Es besteht aus einem Schlaf-, [einem] Ess-, [einem] Arbeits- und gleichzeitigem Wohnzimmer für Hanns und einem kleinen Arbeitszimmer für mich, einem Kabinett fürs Mädchen. Vier Zimmer und Kabinett, ein Fremdenzimmer fehlt. Das Arbeits-Wohnzimmer hat eine Coutch, auch meine Arbeitszimmer. Die Coutch ist schlecht, weil es kein Rosshaar gibt. Auf einer dieser Coutchen musst Du dann leider schlafen. Was die Kleider betrifft, die Du mir schicken sollst, weisst Du doch jetzt Bescheid. […] Jedenfalls aber veranlasse, dass die betreffende Person mich nach Ankunft in Berlin sofort telefonisch verständigt. Telefonnummer 49 29 76.49 Mein Liebes schreibe bald wieder viele viele Grüße, ich umarme Dich – Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Ergänzungen; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Eisler / BerlinNiederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 16. 2. 50; Poststempel Wien: 21. II. 50.
8 / Louise Eisler an Hilde Glück, 17. Februar 1950 17. II. Liebste Hilde! Die Sonne scheint, der Frühling ist gekommen und unsere Mantelfrage wird immer dringender. Ich bitte Dich sehr uns wenigstens die Mäntel so rasch als möglich zu schicken. Vielleicht kannst Du erreichen, dass Toni [Lehr] Dich mit der demnächst nach Berlin fahrenden Person zusammenbringt, so dass Du ihr die Mäntel übergeben kannst. […] Es war natürlich mein idiotischer Fehler, die Mäntel nicht sofort mitzunehmen. Mea culpa. – – – Hanns hat in den letzten Tagen 12 Lieder für die Jugend nach Texten von Becher komponiert.50 Die muss er 46 47 48 49 50
In der Quelle: MS. Siehe Anm. 30. Siehe Anm. 38. Die Eislers hatten in Berlin eine Haushälterin, Helene („Lenchen“) Villwook. Hier nennt Louise Eisler versehentlich eine falsche Telephonnummer. Die korrekte Rufnummer lautete: 48 29 76. Siehe Anm. 34.
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jetzt rasch niederschreiben, [im] vereinfachten Klavierauszug, denn sie sollen sofort gedruckt werden.51 Zu Pfingsten ist hier das große Jugendtreffen,52 da werden sie aufgeführt und gesungen. Er musste außerdem unzählige Bearbeitungen der Nationalhymne machen, für Orchester, Chor u.s.w. Das hat furchtbar viel Arbeit gemacht und auch die diversen Aufnahmen für Rundfunk u.s.w. Wie Du weisst hat er das völlig der Deutschen Republik geschenkt und bekommt keinen Heller dafür.53 Aber er hatte damit wochenlange Arbeit, und die ist noch nicht beendet. Jetzt wird er mit den Pionieren zusammen ein kleines Kinderliederbuch54 machen und ausserdem mit Brecht eine Kinderoper schreiben.55 Ausserdem arbeitet er an einer Orchestersuite.56 Nebst der Kompositionsarbeit gibt es fast täglich die gesellschaftliche Arbeit, hauptsächlich Besprechungen, wie man der Jugend helfen kann. Demnächst beginnt auch die Filmarbeit.57 Man ist am Abend so müde, dass man zwar noch sich gerne unterhält, aber nicht mehr die Energie zum Schreiben aufbringt. Ich hoffe, Du hast inzwischen alles von Hortense Raky bekommen, Briefe, Schlüssel und das Buch vom Hanns.58 Hoffentlich fährt Langhoff nach Wien, dann gebe ich ihm wieder ein Päckchen für Dich mit. Viele Grüsse an Franz und Wolfgang, und lasse bald was von Dir hören. Es umarmt Dich Deine Lou [handschr. Zusatz von Hanns Eisler:] Besonders herzliche Grüße Hanns Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Zusatz von Hanns Eisler; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Eisler, Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse; Poststempel Berlin: 18. 2. 50; Poststempel Wien: 22. II. 50.
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Die „erste Folge“ der Neuen deutschen Volkslieder von Hanns Eisler und Johannes R. Becher erschien 1950 in einer Ausgabe „für Gesang mit vereinfachter Klavierbegleitung“ im Aufbau-Verlag. Gemeint ist das „1. Deutschlandtreffen der Jugend“ vom 27. bis 30. Mai 1950 in Ost-Berlin. Tatsächlich überschrieb Hanns Eisler die Rechte an der Nationalhymne auf die Deutsche Demokratische Republik und erhielt folglich für alle Aufführungen, Druckausgaben und Tonaufnahmen keine Tantiemen. Am 16. März 1950 teilte allerdings Ministerpräsident Otto Grotewohl in einem Schreiben an den Komponisten mit, er habe für die Hymne 25.000 Mark an Eisler überweisen lassen. Eine Antwort Eislers auf dieses Schreiben scheint nicht überliefert. Bekannt ist das am Ende nicht verwirklichte Vorhaben Eislers, 21 Kinderlieder auf Texte von Brecht zu einem Kinderliederbuch zusammenzustellen. Hanns Eisler und Bertolt Brecht arbeiteten im Sommer 1950 in Ahrenshoop an der Kinderkantate Die Erziehung der Hirse (siehe Brief 35), die am Ende allerdings nicht Eisler, sondern Paul Dessau vertonte. Zu einer geplanten Kinderoper von Brecht und Eisler sind keine Quellen überliefert. Möglicherweise ist die „Berliner Suite“ für Orchester gemeint, die Eisler aus Teilen der Musik zu dem DEFA-Film Unser täglich Brot (DDR, 1949, Regie: Slatan Dudow) zusammenstellte. Gemeint ist der DEFA-Film Der Rat der Götter (DDR 1950). Der Regisseur des Films, Kurt Maetzig, hatte Eisler mit Schreiben vom 16. Februar 1950 mitgeteilt, daß die Dreharbeiten voraussichtlich Ende des Monats beendet seien, und sich Eisler den Monat März für die Musik freihalten solle (AdK Berlin, HEA 4787). Vermutlich Hanns Eisler, Komposition für den Film, Berlin 1949. Das Buch war Ende 1949 im Verlag Bruno Henschel & Sohn erschienen. Ein Exemplar dieser Ausgabe mit einer handschriftlichen Widmung Eislers für Franz und Hilde Glück befindet sich im Besitz von Prof. Wolfgang Glück in Wien.
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9 / Louise Eisler an Hilde Glück, 18. Februar 1950 Samstag. Liebste Hilde, ich habe heute schon einen Brief an Dich aufgegeben, da aber gerade Dein recommandierter Brief ankam, für den ich Dir sehr danke, schreibe ich heute nochmals, wegen der Sachen, die Du so lieb bist mir zu schicken. 1. Bitte schicke um Gotteswillen nichts mit der Post. Nur mit sehr verlässlichen persönlichen Boten, denen Du womöglich selbst die Sachen übergibst. 2. Das Wichtigste sind die 3 Mäntel, nachher die paar Kleider. 3. Die Mäntel brauchen wir sofort ! 4. Wenn sich für die Packete niemand findet, ist es kein solches Unglück, wenn das in Wien bleibt bis wir kommen. Ich möchte nur, dass Du, falls es Dir nicht zuviel Mühe macht, alles aufmachst und mir genau schreibst, was sie enthalten, und alles so aufhebst, dass etwas eventuell Wichtiges jemandem der fährt, mitgegeben werden kann. Ich hoffe ja, dass Langhoffs fahren, die sicher was mitnehmen. Aber falls jemand früher fährt, hätte ich die Mäntel gerne sofort gehabt. Telefoniere deshalb auch noch mit der Intrac59 und zwar mit Paul Kessler (Bruno Frei kann dabei helfen) ob jemand von Ihnen fährt, denn die haben auch ständig Leute die herkommen. 5. Schicke keine Noten nach, in einigen Packeten von Amerika werden nämlich vielleicht Noten sein.60 […] Ernst [Fischer] ist der unpraktischste Mensch und ist absolut keine Hilfe fürs Organisieren von Packeten oder Menschen die fahren. Er vergisst auch zwei Sekunden, nachdem Du mit ihm gesprochen hast. (Sprich darüber lieber mit Toni [Lehr].) Ich habe sehr große Sehnsucht nach Ernst, das ist wie eine ständige kleine Wunde. Ich hoffe, dass ich eine sehr gute Aufführung seines Stückes, das vor einigen Tagen ankam, hier erreichen kann.61 Schreibe mir genau, wer aus Berlin nach Wien kommt, um mit Viertel zu verhandeln, Langhoff kommt nämlich auch mit zu diesem Zweck, und es wäre sehr ärgerlich, wenn Berthold sich nur für den Westen Berlins verpflichten würde. Schreibe genau darüber! Ich bin mittlerweile „künstlerischer Berater“ des Deutschen Theaters geworden.62 Dein Brief ging vom 8. bis heute; nicht so arg. Leider ist hier auch Frühling, das leider bezieht sich hautsächlich darauf, dass ich keine Mäntel habe, aber auch, auf meine kleine Wunde und dass ich eben gerade diese Jahreszeit gerne in Wien wäre. […] Am 6. März habe ich Geburtstag. Es wäre schön, wenn Du und der Ernst hier wäret. Und noch einige Freunde aus Amerika. Aber nichts davon – – ein kalter vier-
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Siehe Anm. 17. Siehe Anm. 151. Vermutlich das Anti-Tito-Stück Der große Verrat von Ernst Fischer. Siehe Anm. 149. Siehe und Anm. 31 und 45.
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zigjähriger63 Geburtstag und die Zeit vergeht. – – – – Hanns freut sich sehr auf Dein Kommen. Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptsrasse 1 49 / Österreich; Absender: Eisler, Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel unleserlich.
10 / Louise Eisler an Hilde Glück, 21. Februar 1950 21. II Liebstes Hilderl ! Zuerst meine langweiligen Kleiderwünsche. Es scheint, dass Wolfgang Langhoff kommenden Sonntag nach Wien fährt. Falls das klappt, ist es natürlich am Besten, wenn er die Kleider mitnimmt, denn er fährt mit dem Auto – jedenfalls soviel als nur möglich. Falls er also fährt, werde ich Dir sofort wenn ich es sicher weiss, das ist morgen oder übermorgen, ein Telegramm schicken, damit Du dann alles möglichst klein einpackst und ihm mitgibst. […] Inzwischen wirst Du alles, inklusive Schlüssel, von der Hortense Raky bekommen haben, durch Parylas erfährst Du auch am besten, wie Du persönlich am besten dem Langhoff das Packet übergeben kannst, Du musst ihm dann auch noch die Wichtigkeit einprägen, denn er bleibt nur kurz in Wien, wird dort sehr viel zu tun haben und ist geneigt zum Verschlampen und Vergessen. Ich hoffe, Du lernst ihn kennen, er ist besonders nett. Sonst viel Hetzerei, sehr viel Interessantes. Ich würde Dir gerne öfter Zeitungsausschnitte u.s.w. schicken, aber man darf mit der Post nichts mitschicken. Ich werde Dir aber einiges durch Langhoff schicken. Die Scala64 weiss dann genau seine Telefonnummer und Adresse in Wien, er bleibt nur ein paar Tage. Heute kommt ein russischer Regisseur her, der hier einen russischen Film „Neues Deutschland“ schon seit über einem Jahr dreht, er möchte dass der Hanns die Musik dazu schreibt.65 Auch der „Rat der Götter“ (der I.G. Farben Film, für den Hanns im Vertrag steht) wird jetzt jeden Moment fertig,66 so dass sich die Arbeit noch mehr häufen wird. Gestern habe ich mit der Weigel über Wolfgang gesprochen, sie möchte ihn auf jeden Fall für nächstes Jahr nehmen.67 […] Ich muss schon leider wieder wegrasen. Privatleben hat man immer erst am Abend. Aber [am] Abend ist auch meist etwas Interessantes – Theaterpremiere oder Vortrag u.s.w. Das wirst Du hoffentlich bald hier mit uns zusammen besuchen. Schreibe bald, ich freue mich sehr mit deinen Briefen. Deine Lou 63 64
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Siehe Anm. 33. Das Neue Theater in der Scala, Wien. Für das u. a. von den Schauspielern Karl Paryla und Wolfgang Heinz gegründete und von der KPÖ subventionierte Theater hat Hanns Eisler mehrere Bühnenmusiken beigesteuert. Siehe Anm. 66 zum Gespräch mit Wolfgang Glück im vorliegenden Band. Zu diesem Projekt konnte nichts ermittelt werden. Siehe Anm. 57. Den Vertrag für die Musik zu dem Film mit dem Arbeitstitel „I.G. Farben“ (späterer Titel: Der Rat der Götter) hatte Eisler bereits am 27. Jänner 1949 [sic!] unterschrieben. Siehe Anm. 23.
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Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Einträgen; Luftpostkuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Lou Eisler / BerlinNiederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 22. 2. 50; Poststempel Wien: 27. II. 50.
11 / Louise Eisler an Hilde Glück, 3. März 1950 Berlin-Niederschönhausen Pfeilstrasse 9 3. III. 50 Liebste Hilde: heute kam Deine Expresskarte faktisch fast wie ein Blitz. Nur acht Tage lang ist das Ding gegangen. Entschuldige die Brandbriefe wegen der Kleider, nach deiner Karte zu schliessen, scheine ich Dich ja damit furchtbar geärgert zu haben, das tut mir leid. Im Grunde ist das alles nur, weil ich über mich so verärgert bin. Überall in der Welt haben wir Sachen stehen, die wir brauchen.68 Aber inzwischen wirst Du es ja dem Langhoff mitgegeben haben, und vielleicht habe ich es auch schon, bis Du diesen Brief bekommst. Jedenfalls danke ich Dir sehr für alle Deine grosse Mühe und für das grossartige Funktionieren. – – – Es herrscht große Freude dass Du so bald kommst!!!! Dann bitte bringe noch ein paar Blusen und Frühlingskleider mit, ich kann alles dringend brauchen, vor allem Schuhe. […] Was erzählt die Liesl [Henreid]? was macht Ihr immer? Gestern hat Hanns dem Präsidenten einige Lieder vorgespielt.69 Heute haben die Polen bei uns einen Empfang für den Dirigenten Fittelberg70 hier arrangiert, gerade sind die letzten Gäste weggegangen. Morgen findet das polnische Konzert statt, das er dirigiert. Hoffentlich bekommst Du diesen Brief. Hanns schläft bereits und weiss gar nicht, daß ich an Dich schreibe. sei herzlichst umarmt von deiner dankbaren Dich quälenden Lou Viele Grüsse an die gesamte Familie, inklusive Liesl [Henreid]. Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier; Luftpostkuvert mit Aufkleber Durch Eilboten, maschinenschr. falsch [!] adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Wiedner [sic!] Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Lou Eisler / Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 03. 3. 50; Poststempel Wien: 7. III. 50 und 8. III. 50; Adresse rot durchgestrichen, mit handschr. Notiz: laut Auskunft mehrerer Wohnparteien W.Hptst.140 unbekannt.
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Die Eislers hatten vor allem bei ihrer Ausreise aus den USA im Frühjahr 1948 etliche Besitztümer zurücklassen müssen, darunter auch umfangreiche Korrespondenz aus den 1940er Jahren, die heute in der Hanns Eisler Collection der Feuchtwanger Memorial Library in Los Angeles aufbewahrt wird. Siehe Anm. 42. Der polnische Dirigent Grzegorz Fitelberg (Gregor Fittelberg, 1879–1953).
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
12 / Louise Eisler an Hilde Glück, 4. März 1950 4. III. Liebste Hilde, liebes Hilderl, Ich danke Dir sehr für Deinen langen Brief vom 22. II, der heute erst ankam und sehr viel Freude gemacht hat, weil Du nun ja schon so bald kommst. Du musst sehr entschuldigen, wenn ich oft in der Eile einfach nur grob hinschreibe, was ich brauche. Ich weiss genau, was für Mühe Du mit allem hast, und weiss es genau zu schätzen. […] Am 22. III findet in Sarow71 (das ist ein Heim des Kulturbundes in der Nähe von Berlin am Land) ein Vorsingen dieser neuen Jugendlieder vom Hanns und Becher statt.72 Das schreibe ich, weil es das Nächste an Ausstellung von Hannsens Sachen ist, da sonst im Moment kein Konzert ist. Auf Wiedersehen Hilderl, nochmals vielen Dank für alle Deine Mühe stets Deine Lou […] Komme am 13. oder 15. [März] aber nicht am 14., denn am 14. ist Gastspiel aus Leipzig von Orffs Oper Antigone hier an der Oper.73 Falls Du am 14. schon da bist, lasse es mich rechtzeitig wissen wegen Karten, die schwer zu haben sind. Am 24. III ist Eröffnung der Akademie.74 Hoffentlich ist noch recht viel los gerade in der Zeit, in der Du da bist. Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier; Luftkuvert maschinenschr. adressiert an Frau Dr. Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 04. 3. 50; Poststempel Wien: 8. III. 50.
13 / Louise und Hanns Eisler an Hilde Glück, 13. März 1950 Berlin, den 13. März Liebes Hilderl, Vor allem die innigsten Geburtstagswünsche – alles was Du Dir wünschst und noch mehr! Leider weiss ich kein Datum,75 Du schriebst nur übernächste Woche. – – – – Grosse Freude über Dein Kommen, nur hoffe ich sehr, dass Du nicht wieder verschiebst, das wäre auch nicht günstig später für uns, obwohl ich doch länger werde hier bleiben müssen. Ich wollte ja Anfang Mai in Wien sein und Hanns dann wahrscheinlich im Juni, inzwischen wird aber die Premiere vom Stück vom Ernst 71
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Der 1945 von der sowjetischen Militäradministration gegründete „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ verfügte über ein Anwesen in Bad Saarow am Scharmützelsee. südöstlich von Berlin, nicht in Sarow (Mecklenburg-Vorpommern). Siehe Anm. 34. Gemeint ist das Gastspiel der Oper Antigonae von Carl Orff in der Inszenierung der Dresdener Staatsoper unter Joseph Keilberth. Die Aufführung wurde von der DDR-Kulturbürokratie als „formalistisch“ attackiert und bildete so gewissermaßen den Auftakt zu den folgenden Diskussionen um Paul Dessaus Lukullus-Oper und Eislers Opernprojekt Johann Faustus. Siehe Anm. 11. Hilde Glück wurde am 18. März 1903 geboren.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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[Fischer] zwischen dem 25 Mai und ersten Juni sein,76 Ernst soll Mitte Mai zu den Proben kommen und da ich dabei helfen will, werde ich dann erst nach der Premiere fahren. – – – Heute bin ich nur müde, zu viel Geselligkeit und Arbeit. Hanns hat seinen Film „Rat der Götter“ begonnen.77 Vielen, vielen Dank für die Mäntel und das Köfferchen mit den Sachen. Ich bin Dir sehr dankbar für diese grosse Hilfe. […] Und jetzt, trotzdem Du Dich schon so geplagt hast, bitte ich Dich nochmals sehr um die restlichen Sommerkleider. Da ich länger dableibe und überhaupt nie genau weiss, wie lange sich das verschieben kann, möchte ich Dich doch sehr darum bitten, mir noch den Rest mitzubringen. Ich lege nochmals eine genaue Liste bei. Natürlich kannst Du einen von meinen Koffern mitnehmen um die Sachen alle unterbringen zu können, Deinen kleinen Koffer nimmst Du dann von hier wieder mit. […] Frau Engel habe ich telegrafiert und geschrieben, Du brauchst nicht mehr mit ihr zu sprechen. Sie hat die Wohnung vorläufig bis Ende April, jetzt allerdings kann sie sie bis 20 Mai haben. Lass mich rechtzeitig wissen, wann und an welchem Bahnhof Du ankommst. Hast Du Freunde in Berlin wo Du angemeldet sein wirst? Was Erwin [Ratz] betrifft, glaube ich Du solltest ihm weniger erzählen.78 Viele Grüsse an Franz und Wolfgang und nochmals alles Liebe für Dich. Ich muss heute noch fünf weitere Briefe schreiben. Deine Lou Vielen Dank für die Geburtstagswünsche, alles kam an. Ich habe Dir doch durch Langhoff ausser den Büchern ausführlich geschrieben, hast Du den Brief nicht bekommen? Lou [handschriftl. Zusatz von Hanns Eisler:] Liebe Frau Hilde!79 Besonders herzliche Grüsse und Wünsche zum Geburtstag. Wir freuen uns sehr, Sie bald in Berlin zu haben. Auch herzliche Grüsse an Dr. Glück (Wolfgang soll nicht vergessen sein) Sehr herzlichst Ihr alter Hanns Eisler Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier; Luftkuvert maschinenschr. adressiert an Frau Dr. Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 13. 3. 50; Poststempel Wien unleserlich; beiliegend eine umfangreiche Liste mit zahlreichen Kleidungsstücken von Lou Eisler sowie „Hemden von Hanns mit kurzen Ärmeln“.
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Die deutsche Erstaufführung des Stücks Der große Verrat fand erst am 18. Juli 1950 am Deutschen Theater in Ost-Berlin statt. Ernst Fischer kam Ende Mai 1950 zu Vorbesprechungen nach Berlin. Siehe Anm. 57. Siehe Anm. 202. In der Quelle: Hielde.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
14 / Louise Eisler an Hilde Glück, 14. März 1950 14. III. Liebstes Hilderl, jetzt ist also die Katastrophe doch passiert. Soeben war Herr Knoop hier (recht unangenehm), er brachte eine Combination,80 Chokolade, dein Buch. Alles andere die ganzen Kleider und Blusen (alles was mir wichtig ist und ich besitze) hat er zwar Kessler von der Intrac,81 der es ihm gegeben hat, versprochen mitzunehmen, hat es sich aber auf der Reise anders überlegt und es von irgendwo in Niederösterreich als Geschenkpacket aufgegeben. Also genau das was ich vermeiden wollte!!!!! Alle Packete werden gestohlen, nichts kommt an und dazu hat man gar keine Handhabe, da es nicht einmal versichert ist. Also meine schönsten wichtigsten Kleider futsch, das blaue mit den Perlen, 2 Seidenkleider, die Dirndl, die Blusen, weiss ich was noch! Dabei haben mir die Leute, die ich nicht kenne, noch eine Gefälligkeit gemacht. Ich bin sonst durch solche Dinge nicht so erschüttert, aber diesmal völlig, nun habe ich schon in Amerika alles stehen82 und kann nicht zu meinen Sachen kommen und jetzt noch dieser Schlag. Ich bin wirklich entsetzlich verzweifelt! Ich finde es ja eine masslose Frechheit – dieser Mann hätte ja dem Kessler in der Intrac die Sachen zurückgeben können, niemand kann ihn zwingen etwas mitzunehmen, aber einfach hinzugehen und etwas aufzugeben ist unbeschreiblich. Die Sachen sind für mich unersetzlich. Wenn ich sie hätte aufgeben wollen, hätte man ihn dazu nicht gebraucht. Ich bitte Dich sehr, das Kessler zu sagen, obwohl es zu spät ist, möchte ich dass er es weiss. Ausserdem ist die Adresse dieses Mannes Leopold Knopp, Wien I, Wipplingerstrasse 21, seine Firma Moritz Knopp, Litschau Niederösterreich. Vielleicht kann man durch seine Sekretärin, die das ganze aufgegeben haben soll, wenigstens zu dem Aufgabeschein kommen. Ach Hilde – – – – – – – das sind die Nachteile eines so ungeregelten Lebens. Ich bitte Dich bringe Du mir alles mit, was noch mitzubringen ist, damit ich wenigstens etwas habe. Und suche in meinen Koffern noch irgendwelche tragbare Kleider zusammen. (Hier kann man nichts kaufen und machen lassen und möchte doch angezogen sein. Bruno [Frei] hat bereits das Geld für mich. […] Liebe Hilde, ich bitte Dich sehr um Entschuldigung für all die Scherereien die Du mit mir hast. Ich wäre bereit für Dich dasselbe und mehr zu tun, ich habe nur Dich für diese Hilfe. – – – Und bitte verständige Ernst [Fischer] rechtzeitig, damit er Dir Post für mich mitgibt. Bitte nochmals: bringe mir mit, was ich jetzt bis Juni etz. tragen kann. Entschuldige mich nochmals, ich bin heute sehr aufgeregt und hysterisch wegen dieser Kleidergeschichte. Deine unglückliche LOU
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Hier geht es vermutlich um Kleidungsstücke von Louise Eisler. In der Quelle: Kessel von der Intrac. Zur Intrac siehe Anm. 17. Siehe Anm. 68.
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Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 14. 3. 50; Poststempel Wien unleserlich.
15 / Louise Eisler an Hilde Glück, 23. März 1950 (Telegramm) = HILDE GLUECK LANDSTRASSE HAUPTSTRASSE 140 WIEN/III = BENOETIGST RUSSISCHES INTERZONENVISUM AUSSER FLUGZEUG83 RÜCKDRAHTE = HERZLICHST LOU EISLER PANKOW NIEDERSCHOENHAUSEN PFEILSTR 9 + Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; aufgenommen in Berlin am 28. März 1950, 10.10 Uhr, Bearbeitungsstempel Wien: 28. III. 50.
16 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, 17. April 1950 Montag früh. Meine L i e b e n, es ist gerade 8 Uhr morgens, Franz ist schon fort in’s Bureau, und ich denk daran, wie ich um diese Zeit immer zwischen Euch beim „Kaffee“ sass,84 irgend eine Zeitung in der Hand und die ersten Gespräche des Tages führend – – – […] Zu sagen, wie schön es bei Euch war und Euch daher richtig dafür zu danken, bin ich absolut nicht im Stande – ich hoffe, Ihr wisst und spürt es. Die ersten zwei, drei Tage bei Euch war ich noch in jeder Beziehung etwas „troubled“, aber dann hab ich nur mehr jede Minute unendlich genossen, die ich bei Euch sein konnte. Trotzdem war es gut, dass ich nicht länger geblieben bin – ich hatte schon das richtige Gespür für das richtige Mass hier. Die beiden85 holten mich von der Bahn ab und waren sehr lieb und erfreut – sie hatten es doch recht mühsam und ungemütlich hier. Schon am zweiten Tag war ihnen der Dauerbrennofen ausgegangen, so dass sie es von da an kalt hatten, weil sie es nicht zusammenbrachten, ihn wieder anzuheizen. […] Gegessen haben sie auch nur das Nötigste, scheinen aber sehr nett miteinander gewesen zu sein, nach allem zu schliessen, was einer vom andern erzählte. So werd ich wohl nicht so bald wieder weg können. Aber in 5–6 Wochen seid Ihr ja hoffentlich wieder hier.86 – Ich warte augenblicklich, bis es so spät ist, dass ich allen Leuten telephonieren kann. Dann schreib ich hier noch alles herein, was Eure Angelegenheiten betrifft und geb den Brief abends Herrn Kohls mit,87 der der einzige war, der 83
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Hilde Glück fuhr am 29. März 1950 mit dem Zug von Wien nach Berlin, um den Eislers einen Besuch abzustatten. Sie blieb bis zum 14. April 1950 und traf am Tag darauf wieder in Wien ein. Siehe Brief Nr. 16 und Anm. 87–89. Siehe Anm. 83. Franz und Wolfgang Glück. Dazu kam es nicht, wie aus dem weiteren Briefwechsel hervorgeht. Die von Hilde Glück aus Berlin an ihren Mann und ihren Sohn nach Wien geschickten Briefe sind im Privatbesitz von Prof. Wolfgang Glück (Wien) erhalten. Auf einem der Briefe findet sich die folgende
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
meinen Brief hier sofort telephonisch angegeben hat,88 so dass sie ihn wirklich hatten, eh ich ankam. Felsenstein hat meinen ersten über eine Woche in der Tasche herumgetragen, ehe er sich entschuldigte und Wolfgang davon verständigte.89 Und auch Ernst [Fischer] hat meinen letzten erst nach vielen Tagen an Franz befördert, so dass er nur mehr telegraphieren konnte. Warum alle Menschen so unzuverlässig sind? – Ich telephonierte sofort mit Ernst und bin heute nach Tisch bei ihnen draussen. Ich werde ihn veranlassen, Herrn Kohls auch von sich eine Nachricht für Euch mitzugeben. […] Der Flug war wunderbar schön und so ruhig, dass ich überhaupt nicht einen Augenblick schwindlig oder sonst was war. Wir flogen schon mit fast einer Stunde Verspätung ab, hatten dann in Nürnberg noch eine unvorhergesehene Landung von wieder einer Stunde, so dass ich ganz knapp vor 8h in München den Bahnhof erreichte, um zu erfahren, dass der Zug nicht von München, sondern erst von Salzburg an geht. Das Telegramm erreichte meine beiden natürlich erst um 7h früh – so waren sie beide schon um 6h auf der Bahn gewesen und wussten nicht, warum ich nicht ankam. Ich selbst freute mich eigentlich über diese Sache, da ich dadurch einen besonders netten Abend bei meinen Freunden in München hatte, die ich acht Jahre nicht mehr gesehen hatte. Wir sassen bis 1/2 3 morgens beisammen. Um 6h stand ich auf und fuhr 1/2 8 weiter. Bei der Grenze in Salzburg besah sich der Beamte meine Visa und sagte: „Sie müssen vorläufig zurückbleiben, die andern zuerst –.“ So musste ich warten bis alle abgefertigt waren.
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Notiz des Überbringers: Walter Kohls, Berlin / z. Z. „Goldenes Lamm“ / Wiedener Hptstr. [Wien]. Walter Kohls war zeitweise als Verwaltungsdirektor des Deutschen Theaters in Berlin tätig. In dem von Walter Kohls übergebenen Brief vom 12. April 1950 („Mittwoch abends“) berichtet Hilde Glück u. a., daß sie in Berlin Berthold und Liesl Viertel getroffen habe, daß sie am 13. April die Generalprobe der Hofmeister-Premiere am Berliner Ensemble besuchen wolle, die Premiere am 15. April jedoch verpassen werde, da sie 14. April nach Wien zurückreise. Auch der durch Walter Felsenstein (offenbar verspätet) übermittelte Brief befindet sich im Besitz von Prof. Wolfgang Glück. Er wurde am Tag der Ankunft Hilde Glücks in Berlin, vermutlich am 30. März 1950 verfaßt: „Hier holte mich Lou mit dem Wagen [vom Bahnhof] ab – man fährt ebenso wie in Wien kreuz und quer durch alle Zonen. […] Leider hab ich eine dumme Zeit erwischt, da Hanns seit gestern express in 14 Tagen den Film [Der Rat der Götter] machen muß, was ihn etwas nervös macht und ganz okkupiert.“ In einem weiteren Brief vom 3. und 4. April 1950 („Montag nachmittags“, „Dienstag früh“) schreibt Hilde Glück an Ihren Mann Franz Glück: „[…] einen ganzen Tag mit Hanns in der Defa draußen, dabei wie er seine Musik zum Film ausprobierte, 6 Stunden lang, ungeheuer interessant. Abends im Theater, wo aber gerade nicht viel los ist.“ Sie haben nun für den 14. April 1950 einen Flug nach München reserviert, so daß sie etwas später nach Wien zurück kommen werde als geplant. „Ich werde hier von allen Seiten unglaublich verwöhnt und herumgereicht, von Lou und Hanns angefangen bis zu den Kapazitäten. […] Man fährt hier 10mal am Tag ununterbrochen durch die Zonen hin und her, genau wie in Wien und kein Mensch kümmert sich drum. Die Stadt ist so grau und so zerstört dabei, daß Gebiete wie ganze Bezirke bei uns einfach völlig ausgestorben daliegen. Man muß durchfahren, um in andere zu gelangen, was gespenstisch ist, aber wohl kaum zu beschreiben. Man stellt sich nichts vor, wenn man nur davon hört. – Das Leben hier im Haus ist paradiesisch. Leider geht’s noch nicht allen Leuten so. Das Haus ist entzückend, ganz nach meinem Geschmack. Hanns liebt es auch sehr, Lou nur nicht, weil es modern ist und sie moderne Möbel nicht mag. Der Garten auch so. Eine Villensiedlung. Central geheizt, Mädchen und Chauffeur, alles neu, bequem, tip-top. […] In einer Stunde bin ich für den Spätnachmittag und Abend bei Hollitschers. Er war gestern mit einer Menge anderer Leute abends hier und ich mußte gleich heute zu ihnen. […] Donnerstag ist wieder Film, Freitag, Samstag – immer eingeladen. Freitag vormittags auf der Probe bei Brecht, danach Treffpunkt mit allen Leuten, besonders [Slatan] Dudow, mit dem ich vorhin telephonierte.“
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Dann erklärte ich Grund und Art meiner Visa, was sofort zur Klärung beitrug, und alles war in Ordnung. Ich fuhr dann für zwei Stunden in die Stadt hinein, die ich immer sehr gern habe. Es war gerade alles beflaggt und grosse Mengen feierlicher Menschen aus dem ganzen Land Salzburg zu einem Friedenstag.90 So wurde ich hier also gleich „richtig“ empfangen.91 […] Nun sitzt Hanns wahrscheinlich schon an seinem Schreibtisch. Das Stück von Ernst [Fischer] hat Franz sehr gefallen.92 Morgen abends geh ich mit Wolfgang und schreib dann sofort. Also: Lumbe lässt tausendmal grüssen, die Hand küssen etc. Der Koffer ist noch nicht da – er wird mich dann sofort verständigen. Neue Pakete aus Amerika sind auch nicht gekommen. – Frau Engel ist sehr glücklich, noch drei Wochen in der Wohnung bleiben zu können, lässt auch vielmals grüssen und bittet dann um endgültigen Termin, an dem sie heraus muss. „Jeder Tag ist für uns gewonnen“ – meinte sie. Ich sagte, ungefähr bis zum 20. Mai. Scala: sie machen keine Photokopien, sondern schicken die Stimmen, die sie schon fast alle kopiert haben.93 Der Mann (den Namen habe ich vergessen) ist sicher, dass die Stimmen bis 2. Mai in Deinen Händen sind – er wird zuverlässig dafür sorgen. Ernst [Fischer] soll Dir alles selbst schreiben und heut bis 6h abends abgeben. So schreib ich nicht über ihn. Eben telephonierte ich mit dem Friedensrat94 – mein Brief an Toni [Lehr] dort, der über Ernst ging, ist nie dort angekommen, so dass sie bis jetzt weder die Antwort wegen Klemperer hatten,95 noch die Nachricht wegen des Films (Rat der Götter)96 für den Kongress etc. etc. Ich versteh es nicht, werde Ernst nachmittags fragen, was damit geschehen ist, da er doch im Couvert an ihn mit drin war. Im übrigen ist es jetzt auch gleichgültig. Nur haben sie inzwischen nichts mit den Philharmonikern machen können etc. und haben auf mich geflucht. Ferner eine Bitte an Dich, Lou, bitte, möglichst rasch zu erledigen. Ich soll Brecht fragen, (tu also bitte Du es), ob er einverstanden ist, wenn man hier im Europaverlag in einer Friedensanthologie, wo Gedichte aller Zeiten abgedruckt sind, die mit dem Frieden zusam90 91 92 93
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Unvollständiger Satz in der Quelle. Anspielung auf Hilde Glücks Engagement im österreichischen Friedensrat, siehe Anm. 94. Das Stück Der große Verrat von Ernst Fischer, Uraufführung am 13. April 1950 im Neuen Theater in der Scala in Wien; Regie: F. J. Engel; mit Wolfgang Heinz, Karl Paryla, Maria Gabler, Erwin Faber u. a. Möglicherweise ist hier vom Stimmenmaterial für die Ouvertüre von Eislers Bühnenmusik zu Johann Nepomuk Nestroys Posse Höllenangst die Rede. Mit diesem Stück (und Eislers Musik) war das Neue Theater in der Scala am 16. September 1948 eröffnet worden. Die Ouvertüre erschien 1951 unter dem Titel Ouvertüre zu einem Lustspiel bei der Edition Peters in Leipzig. Der 1949 gegründete Österreichische Friedensrat, Ausrichter des „1. Österreichischen Friedenskongresses“ am 10. und 11. Juni 1950 in Wien, bei dem Hilde Glück maßgeblich mitarbeitete. Siehe dazu u. a. Manfred Mugrauer, Der „Völkerkongress für den Frieden“ in Wien, in: Lynda Morris / Christoph Grunenberg (Hg.), Picasso. Frieden und Freiheit, Köln–Wien 2010, S. 82–85, und ders., Eine „rein kommuni-stische Angelegenheit“? Der Wiener „Völkerkongress für den Frieden“ im Dezember 1952, in: Hans Mikosch / Anja Oberkofler (Hg.), Gegen üble Tradition, für revolutionär Neues. Festschrift für Gerhard Oberkofler, Innsbruck u. a. 2012, S. 131–155. Hilde Glück hatte in Berlin mit Otto Klemperer über dessen mögliches Auftreten beim Österreichischen Friedenskongreß verhandelt. Siehe Anm. 57 und 153.
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menhängen, sein [Gedicht]97 Nr. 4 aus den Kinderliedern98 abdruckt und dann eines, das beginnt: Und was bekam des Soldaten Weib…99 Veranlasse ihn bitte, sofort eine schriftliche Zustimmung per Flugpost an den Europäischen Verlag, Wien IX, Pramergasse 1 zu schicken, oder eine Absage, aber irgend eine Ausserung, da der Almanach rasch fertig gemacht werden muss, um für den Kongress schon vorher da zu sein.100 Und nun Hanns – Brüssel:101 Häfner sowohl als Wildgans102 sind beide auf Urlaub bis Ende nächster Woche. Ich werde mich aber trotzdem sofort um einerseits die Regenpartitur103 mit Stimmen kümmern und anderseits um die Kopie der Regenplatten,104 damit schon alles vorbereitet ist, und gebrauchsfertig, wenn Häfner vom Urlaub zurückkommt. Es geschieht bestimmt alles – Du kannst Dich verlassen. Ich werde in einer Stunde mit Erwin [Ratz] telephonieren, um von ihm zu erfahren, wo die Noten sind, die Platten habe ich ohnehin selbst. Kosten lasse ich mir von Bruno [Frei] ersetzen. – Bitte Lou, die Sache mit Brecht nicht verzögern, da ich die rascheste Erledigung versprochen und übernommen habe. […] – Was es sonst Neues gibt, weiss ich noch nicht. Ich kam ja erst vorgestern abends an. Gestern war ich den Tag erst bei Ludwig [Münz] draussen, der sich sehr über das Goethebüchlein gefreut hat, da es eine wichtige Ergänzung zum Material seines eigenen Buches ist.105 Leider geht es ihm gar nicht gut, was mich immer traurig macht. Dabei ist er lebendig wie stets. Auch Franz ist herunter wie nie. Könnt man nur allen diesen Menschen irgendwie helfen – – !
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In der Quelle umgangssprachlich: seines. Vermutlich die Nr. 4 aus Brechts Wiegenliedern (bei Eisler: Wiegenlieder für Arbeitermütter) mit dem Textanfang „Mein Sohn, was immer auch aus dir werde“. 99 Das Lied Und was bekam des Soldaten Weib? aus Brechts Stück Schweyk im zweiten Weltkrieg. 100 Eine solche Publikation im Umfeld des Wiener Friedenskongresses konnte nicht ermittelt werden. 101 Für das Musikfest der IGNM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik) im Juni 1950 in Brüssel hatte die österreichische Sektion u. a. Eislers Kammersymphonie zur Aufführung eingereicht. 102 Herbert Häfner und Friedrich Wildgans waren zu dieser Zeit führend in der österreichischen Sektion der IGNM tätig. Häfner führte Eislers Kammersymphonie in Brüssel auf (Anm. 101). 103 Die Partitur von Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Da für die in Brüssel geplante Aufführung von Eislers Kammersymphonie die notwendigen elektrischen Instrumente (Novachord und elektrisches Klavier) fehlten, setzte sich Eisler statt dessen für eine Aufführung seiner Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben ein. Herbert Häfner, der Dirigent der Brüssler Aufführung, lehnte mit Schreiben vom 4. Mai 1950 diesen Vorschlag mit Verweis auf die Regularien des IGNM ab und führte (am Ende gegen Eislers ausdrücklichen Wunsch, siehe Brief Nr. 20 und Anm. 128) wie geplant Eislers Kammersymphonie auf. 104 Gemeint ist das vermutlich nur in zwei Exemplaren existierende Schallplatten-Set der Originaleinspielung von Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, die unter der Leitung von Rudolf Kolisch sowie unter Mitwirkung von Eduard Steuermann und Tossy Spiwakowsky im Dezember 1941 in New York aufgenommen wurde. Ein Exemplar des zwei Platten umfassenden Sets befindet sich im Nachlaß Arnold Schönbergs. Hilde Glück verfügte zum damaligen Zeitpunkt vermutlich über das zweite Set, das heute in der Sammlung Louise Eisler der Akademie der Künste in Berlin aufbewahrt wird. Siehe auch Johannes C. Gall, A Rediscovered Way to Describe Rain. New Paths to an Elusive Sound Version, in: Peter Schweinhardt (Hrsg.), Kompositionen für den Film. Zu Theorie und Praxis von Hanns Eislers Filmmusik (= Eisler-Studien, Bd. 3), Wiesbaden u. a. 2008, S. 87–122. 105 Von Ludwig Münz, einem engen Freund der Familie Glück, war 1949 in Wien ein Band Goethes Zeichnungen und Radierungen erschienen.
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Ich glaube, jetzt ist alles gesagt, zumindest alles, was zu sagen ist. Das Beste bleibt wegen Mangel an Ausdrucksmöglichkeiten ja doch immer ungesagt. – Kommt bald – Franz will auf Urlaub – ich fürchte, heuer werden unser aller verschiedenste Urlaubswünsche schwer zu koordinieren sein – und plötzlich werdet Ihr wieder nach Berlin fahren. Aber es ist schön, vorläufig sich noch auf jede Möglichkeit freuen zu können – – Alles Liebe Ich möcht mit zur DEFA, wenn Hanns Aufnahme hat,106 ich möcht übermorgen mit in Koepenick107 sein können und auch sonst denke ich fort an alles bei Euch – P.S. Gustl [Glück] ist in London, Lisl [Henreid] schrieb, dass sie gestern voraussichtlich nach Europa abfahren.108 Bin neugierig, ob sie wirklich erscheinen in der nächsten Zeit. Mir geht alles durcheinander in Herz und Kopf – Grüsse auch Lenchen [Villwook] und Herrn Schulze109 und alle Freunde! Lasst es Euch gut gehn!!! Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Zusätzen.
17 / Louise Eisler an Hilde Glück, 21. April 1950 21. IV Liebste Hilde, ich freue mich sehr über Deinen Brief und die Karte aus München. Hoffentlich hören wir viel und regelmäßig von Dir. Du fehlst uns sehr. Was ist das doch für eine geschickte, wenn auch etwas langsame Wirtschafterin: die Gewohnheit! Gestern wieder einmal Katastrophe hier bis 10h früh.110 Am letzten Aufnahme Tag des Films.111 Die Musik ist übrigens ausgezeichnet geworden, bloß die Gesundheit litt und meine Nerven. Brecht werde ich morgen anrufen und Dir dann schreiben, aber schriftlichen Bescheid kann man niemals von ihm bekommen.112 Ich kann nicht finden, daß es sehr sinnvoll ist, daß Diti mitkommen soll. Ein so kleines Kind und noch dazu ein so nervöses, ausgerechnet nach Berlin schleppen, für paar Tage, ist unverantwortlich, aber gerade ich kann das natürlich nicht kritisieren, da der Vorschlag, wie Ernst schreibt, von der Ruth kommt, die mitkommen will.113 106 107 108 109 110 111 112 113
Zu Eislers Arbeit für den Film Der Rat der Götter siehe Anm. 57 und 89. In Köpenick befand sich u. a. technische Einrichtungen der DEFA. Siehe Anm. 394. Die mehrfach verschobene Europareise von Paul und Lisl Henreid stand nun bevor, siehe Anm. 19. Die Haushälterin und der Fahrer der Eislers in Berlin. Vermutlch Anspielung auf übermäßigen Alkoholkonsum Hanns Eislers. Die Aufnahmen der Filmmusik zu Der Rat der Götter, siehe Anm. 57. Siehe die Anfrage von Hilde Glück nach einer Abdruckgenehmigung für zwei Gedichte Bertolt Brechts im vorangegangenen Brief. Hier geht es um Marina („Diti“), die 1946 in Wien geborene Tochter von Ernst Fischer und seiner damaligen Frau Ruth (geb. von Mayenburg). Marina Fischer-Kowalski ist heute als Professorin für Soziale Ökologie an der Universität Klagenfurt und als Dozentin für Soziologie an der Universität Wien tätig. Louise Eislers uneinheitliche Schreibweise des Kosenamens „Diti“ wurde vereinheitlicht.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Mein Rasen ist noch immer bar, kein Grashalm. Soeben ging Lilly B[echer] weg, die bis jetzt hier war und es ist Mitternacht. Hanns schläft schon lange. Ich brauche dringend Schlaf, da ich vorgestern keine Sekunde schlief und gestern nur sehr mangelhaft. Wie gerne möchte ich mit Dir über vieles sprechen. Schreibe wann der Brief gekommen ist, ich schicke ihn per Ost Luftpost. Noch bin ich nicht sicher, ob Hanns wirklich im Juni wird fahren wollen, daher sage Frau Engel, daß sie noch erst am 15. Mai Bescheid bekommt, [ob] sie länger bleiben kann. Und noch etwas, frage sie, ob sie Dir definitiven Bescheid geben kann, ob sie im Herbst die Wohnung für die Wintermonate so wie dies Jahr mieten will. Ich muß es sicher wissen wegen Viertels.114 Im Vertrauen gesagt, Engels wären mir viel angenehmer, weil ich nicht mit ihnen befreundet bin und es viel neutraler ist. Aber ich muß Bescheid haben, weil ich die Sache mit Liesl [Neumann-Viertel] nicht mehr länger heraus schieben kann. Grüße mir Franz und Wolfgang. Was Du Ernst [Fischer] sagen sollst, in meinem Sinn, weißt Du genau. Alles Liebe und Gute für Dich liebes Hilderl. Deine Lou Schreibe bald wieder. Sprach gerade mit Brecht – er wird schreiben – denn er hat andere Vorschläge.115 Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript auf persönlichem Briefpapier von Louise Eisler, Kuvert mit entsprechendem Absenderaufdruck handschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße 140 / Österreich; Poststempel Berlin: 22. 4. 50, Poststempel Wien: 27. IV. 50.
18 / Louise Eisler an Hilde Glück, 1. oder 2. Mai 1950 Liebste beste Hilde, vielen Dank für dein liebes fürsorgliches Kärtchen, wo Du alles so gut erledigt hast. Hast Du inzwischen meine beiden Karten bekommen, es ist mir unverständlich, dass Du 27. nicht wenigstens eine davon hattest. Was ist mit Sichtvermerk,116 braucht man ihn noch? Hanns hat und hatte Gramophonaufnahmen aller Art, Chor Jugend und Kinder und Solos. Sage Ernst [Fischer], dass sein Friedenslied117 hier am Friedenstag von Tausenden gesungen wird. Was macht er in Paris, auch Fried[en?] Dein Kärtchen ist zu unbefriedigend kurz. Ich bin besonders schlechter Laune, es freut mich wenig. – – Meine Liebste, bitte schreibe mir über: Übersetzungen,118 Koffer, Sanatorium.119 Es ist doch alles recht wichtig. Unser Au114 115 116 117
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Berthold und Liesl Viertel waren interessiert an der untervermieteten Wiener Wohnung der Eislers in der Schönburggasse 11. Siehe Anm. 98 bis 100. Welche Gedichte Brecht alternativ zu den von Hilde Glück in Brief Nr. 16 genannten Texten nun seinerseits vorschlagen wollte, konnte nicht ermittelt werden. „Sichtvermerk“ ist die alte deutsche Bezeichnung für „Visum“. Das 1949 geschriebene Lied über den Frieden („Der Blitz schlägt ein“); Text: Ernst Fischer, Musik: Hanns Eisler. In der „Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe“ der Werke Bertolt Brechts werden die drei Strophen dieses Liedes (ohne Refrain) irrtümlich Brecht zugeschrieben (GBFA, Band XV, S. 239). Siehe Anm. 139.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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to ist kaputt,120 wir haben kein anderes, das ist recht lähmend. Ich komme fast zu nichts, weil ich immer da sein muss. Warum bist Du so weit weg? Wie sind Eure Urlaubspläne? Bei uns steht noch nichts richtig fest. Hanns hatte einen Plan, von hier evtl. direkt nach Brüxelles zu fahren,121 oder gar nicht, aber das ist alles noch unsicher. In den nächsten vierzehn Tagen muss es sich aber doch entscheiden. Das Dumme ist halt, dass er im Grunde genommen ja nichts in Wien zu tun hat. Falls man keinen Sichtvermerk braucht, kämen wir rascher, denn unserer ist abgelaufen und all die Mühe ist einem im Moment recht zuwider, besonders da der Pass keine Seiten mehr hat und man ihn deshalb noch erneuern muss. Vielen Dank für die Plattenauszüge,122 das ist grossartig, dass Du das hast machen lassen. Was ist mit Frau Förster? Frau Engel hat sie, wie ich höre, nur einmal die Woche, sie hat andere Arbeiten angenommen. Wir brauchen sie aber unbedingt jeden Morgen bis nach dem Mittagessen.123 Kannst Du mit ihr sprechen? Frau Engel werde ich bis zum vierzehnten mitteilen, bis wann sie bleiben kann. Sag Ihr, falls sie bis zum 15. Mai von mir kein Telegramm bekommt, soll sie auf jeden Fall bis zum 1. Juni bleiben und dann depeschiere ich ihr wieder erst am 25 Mai, wann ich komme. Ich muss aufhören, denn ich kann heute weder denken noch formulieren, ich bin einfach zu grantig. Aber revanchiere Dich nicht und schreibe DU!! Wir umarmen Dich und Franz, alles Liebe für Wolfgang Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 02. 5. 50, Poststempel Wien unleserlich.
19 / Louise Eisler an Hilde Glück, 5. Mai 1950 5. V Liebstes Hildchen! Leider überhaupt keine Nachricht von Dir. Hanns ist inmitten der Gramophonaufnahmen, Instrumentieren, Dirigieren. Er sagt, er ist zu müde nach Wien zu fahren und so weiss ich im Moment gar nichts. Auch ist es schwer zu disponieren, weil wir noch nicht unseren Wagen haben und noch nicht wissen, wann wir ihn bekommen.124 Denn ich weiss, mit Wagen würde der Hanns, wenn 119 120
121 122 123 124
Wie auch aus den Briefen Nr. 20 und 21 hervorgeht, wollte sich Hilde Glück für den Sommer 1950 nach einem Sanatorium für Hanns Eisler erkundigen. Am 5. Mai 1950 wandte sich Eisler in dieser Angelegenheit sogar an den Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl: Sein Wagen sei kaputt, er benötige dringend den „B.M.W. Wagen“, der ihm zwar zugesagt, nun aber angeblich nicht lieferbar sei. Eisler versichert, er werde den Wagen selbst bezahlen, bittet aber um Unterstützung bei der Beschaffung des Wagens (AdK Berlin, HEA 4805). Siehe Anm. 101. Offenbar hatte Hilde Glück inzwischen Umschnitte der Schallplatten mit der Originalaufnahme von Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben herstellen lassen, siehe Anm. 104. Frau Förster war 1949 die Haushaltsgehilfin der Eislers in Wien gewesen. Hier plant Louise Eisler offenbar für einen am Ende nicht zustande gekommenen Wien-Aufenthalt der Eislers. Siehe Anm. 129.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
das zumindest bis Prag ginge, viel eher fahren. Da jetzt leider lauter Feiertage hier kommen und wir vielleicht über Samstag, Sonntag nach Sarow125 fahren (Becher quält uns schon wochenlang, dass wir mit ihm fahren sollen) komme ich erst Mittwoch dazu, hier zum Österreichischen Konsulat zu gehen und mich zu erkundigen wegen Sichtvermerk126 und neuem Pass (von Dir hörte ich leider noch nicht). Auch will ich mich auf jeden Fall erkundigen, ob es irgend eine Möglichkeit gibt von hier nach Brüxelles direkt zu fahren, oder zumindest von Prag. Wenn das klappen würde, samt den zugehörigen Visen, würde Hanns dann zum Musikfest evtl. von hier fahren und dann nach Wien kommen.127 Aber wie gesagt, genau wird sich das erst in den nächsten Wochen entscheiden. Ich bitte Dich nur sehr, jetzt gleich Frau Engel anzurufen und ihr zu sagen, sie kann in der Wohnung bleiben, denn sie will auf 5tägigen Bescheid mit telegr. Mitteilung, dass wir kommen, das heisst, ich würde ihr 5 Tage vorher telegrafieren. Anders kann ich es bei unserer entsetzlichen Art zu disponieren nicht machen und wenn es ihr zu sehr auf die Nerven geht, muss sie eben vorher ausziehen. Alles das ist sehr dumm, Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht, aber ich kann es nicht ändern. […] Von Ernst [Fischer] hörte ich zuletzt vor 10 Tagen, dass er am 18. herkommt, das war aber, bevor er nach Paris wollte. Was macht er dort? Bleibt es eigentlich dabei, dass er jetzt kommt? Schreib doch über alles, Hildchen. Hier giesst es ständig, es wächst kein Gras, ich habe schlechte Laune, unser Wagen pfeift aus dem letzten Loch. Schreibe doch bald wieder einen längeren Hilde-Brief und viel über Dich und alles in Wien. […] Ich umarme Dich sehr. Alles alles Liebe von uns beiden für Euch alle. Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 05. 5. 50.
20 / Louise Eisler an Hilde Glück, 10. oder 11. Mai 1950 Liebstes Hildchen, dein Brief, Deine Karte und Dein Telegramm sind angekommen. Ich danke Dir sehr für alles. Du bist ein absoluter Engel. Hanns hat heute dem Häfner telegrafiert, dass er ohne elektrische Instrumente die Kammersymphonie auf keinen Fall gespielt haben will, sondern den Regen.128 Ich wäre also froh, wenn Du von ihm erfahren könntest, ob er sich dazu entschliesst. Die Platten etc. sind zwar sehr sehr teuer und man hätte das alles hier billiger bekommen, wir sind Dir aber sehr dankbar für das Ganze und wollen es behalten.
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In Bad Saarow hatte Johannes R. Becher ein Wochenendhaus. Siehe auch Anm. 71. Siehe Anm. 116. Siehe Anm. 101. Am Ende fuhr Eisler im Sommer 1950 weder nach Brüssel noch nach Wien. Das Telegramm ist nicht erhalten. Wegen der Unmöglichkeit, die notwendigen elektrischen Instrumente für die Kammersymphonie zu beschaffen, versuchte Eisler stattdessen (ohne Erfolg), eine Aufführung seiner Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben durchsetzen. Siehe Anm. 101 und 103.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Es ist plötzlich für ein Konzert, das in drei Tagen stattfindet, die Goethe Symphonie angesetzt,129 so dass Hanns jetzt drei Tage lang viel zu tun hat. Leider will er nicht recht nach Wien, jetzt auf keinen Fall, es wird also entweder Anfang Juli werden, falls nicht doch ein noch plötzlicher rascher Entschluss für Juni kommt. Ich fühle mich schlecht und bin elender Laune, der Frühling ist da in völliger Diskrepanz zu meinem Befinden. Ich bin ruhelos, freudlos und überreizt. Wie sind die Sanatoriumspreise?130 Eine Sache zu unserem Wiener Aufenthalt: Wir haben recht wenig Geld dafür. Das macht es nicht einfacher. – – […] Mein Flieder blüht seit heute. Wir waren 2 Tage an einem See mit Holitschers und Bechers.131 Sicher bist Du im Augenblick schrecklich beschäftigt – es scheint ja nun leider, dass wir doch nicht beim Friedenskongress dabei sein werden.132 Im Moment haben wir Unannehmlichkeiten mit Auto, das unsere am Verenden und kein neues da.133 Nicht einmal eine Aussicht im Moment. Hat [Bruno] Frey seinem Steueranwalt geschrieben und gezahlt und hat dieser unsere letzte Steuerangelegenheit erledigt? Das müsste ich wissen. Liebes Hildchen, schreibe so oft als möglich. Ich tue das auch. Am 22. und 29. finden die Konzerte mit den neuen Liedern statt.134 Wie geht es Deiner Familie, dass Franz sich nicht wohlfühlt, tut mir sehr leid. Bitte schreibe gleich wieder und schreibe über alles. Wir umarmen Dich sehr, immer Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien IV / Schönburggasse 11 / Gartenhaus, also an die untervermietete Wohnung der Eislers in Wien; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 11. 5. 50, Poststempel Wien: 15. V. 50; mit handschr. Mitteilung der Untermieterin Editha Engel an Hilde Glück auf der Rückseite des Kuverts: Mit besten / Grüßen Ihre / Editha Engel.
21 / Louise Eisler an Hilde Glück, Ende Mai 1950 Liebstes Hilderl – Vor allem danke ich Dir tausendmal für all Deine Freundlichkeit, deine Mühe und Deine Liebe! Leider schlechte Nachrichten. Hanns kann sich nicht entschließen nach Wien zu kommen, er ist mit seiner letzten Aufnahme noch nicht fertig, braucht noch 3–4 Wochen oder so, es ist auch eine Glücksfrage. Da er auch noch zu komponieren hat, wenn er fertig ist. Und dann wird es Juli und im Sommer will er auf keinen Fall in Wien sein. (Daher muß man leider das Sanatorium wieder absagen)135 Vielleicht 129 130 131 132 133 134 135
Als „Goethe-Symphonie“ wurde zeitweise Eislers Rhapsodie für Großes Orchester mit Sopran-Solo nach Worten aus Goethes Faust II bezeichnet. Die erwähnte Aufführung konnte nicht ermittelt werden. Siehe Anm. 119. Der Philosoph Walter Hollitscher und seine Frau sowie Johannes R. Becher und Lilly Becher. Der „1. Österreichische Friedenskongreß“ fand am 10. und 11. Juni 1950 in Wien statt. Siehe Anm. 120. Die offizielle Uraufführung der Neuen deutschen Volkslieder von Hanns Eisler und Johannes R. Becher fand am 22. Mai 1950 im Berliner Haus der Kultur der Sowjetunion statt (Solist: Ernst Busch). Siehe Anm. 119.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
kommen noch andere Pläne, aber ich glaube nicht, daß es mir gelingt, ihn vor September nach Wien zu bekommen. Er würde gerne nach Brüssel zum Konzert fahren, wenn man das von hier aus könnte, das geht aber bestimmt nicht.136 Mir tut das alles sehr leid, Deinet- und meinetwegen, aber da ich im Grunde genommen auch mein Buch im August abliefern muss,137 wäre es wirklich unvernünftig jetzt zu fahren. Wie sind Wolfgangs Berliner Pläne?138 Denn davon wird es ja abhängen, ob Du kommen kannst und wann? Ich danke Dir sehr für die Übersetzungen.139 Welche hast Du noch? Ich weiß nur, daß Swift fehlt. Ich brauche jetzt alles dringendst und rasch und da wir leider kein Geld mehr haben, mußt Du es Dir von Bruno Frey ausleihen und ich werde es von der In[trac]140 bezahlen lassen. Das ist verläßlich, sage es Bruno, wenn auch oft langwierig. Oder verkaufe doch noch die „Regen“-Platten, die wir jetzt doch nicht mehr brauchen.141 Das Geld, das in der Kasse ist,142 darf nicht angerührt werden, das ist ein „Notgroschen“. Ich brauche außerdem sofort Geld bei der Ankunft in Wien. Ich lege einen Brief an Frau Engel bei, bitte gib ihn weiter.143 Der Breughel hat mein Herz erfreut.144 Ich werde wohl packen145 müssen, wenn ich nach Wien komme, die Sachen müssen doch alle hierher, Wien ist ein Luxus den wir uns kaum werden leisten können – Das „Deutsche Theater“ mit Langhoff gastiert 14 Tage vom 1.–14. Juni in Wien.146 Die könnten 1–2 Koffer mitnehmen, wenn Du die Zeit hättest [und] es mit dem verantwortlichen Mann des Theaters der auch Kulissen etz. transportiert, managen könntest. Welche Koffer wäre sogar egal, was hier ist, ist hier. Es können irgendwelche 2 Koffer sein, die am Badezimmerkasten stehen oder 2 die man mit Noten von Hanns packt, die Du dann doch dem [Erwin] Ratz wegnimmst. Renate und Wolfgang [Langhoff] haben gesagt, 2 Koffer gingen leicht, Du müsstest nur mit ihnen sprechen.
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Siehe Anm. 101. Siehe Anm. 30. Siehe Anm. 23. Im Auftrag von Louise Eisler hatte Hilde Glück Übersetzungen von Künstlerbriefen für Louise Eislers Buchprojekt L’argent pour l’art in Wien anfertigen lassen. Zu dem am Ende gescheiterten Buchprojekt siehe Anm. 30. Zur Intrac siehe Anm. 17. Siehe Anm. 122. Die Kasse befand sich in der untervermieteten Wohnung der Eislers in Wien, Schönburggasse 11, siehe Brief Nr. 1. Der offenbar von Hilde Glück nicht weitergegebene Brief an „Frau Prof Engel“ ist erhalten. Louise Eisler teilt darin ihrer Untermieterin mit, es sei damit zu rechnen, „daß wir vor September nicht mehr nach Wien kommen werden.“ Der Kunsthistoriker Gustav Glück (der Schwiegervater Hilde Glücks) war Autor mehrerer Bände über die Gemälde von Peter Brueghel dem Älteren. Unsichere Entzifferung. Gastspiel des Deutschen Theaters im Neuen Theater in der Scala in Wien mit dem Stück Die Sonnenbrucks von Léon Kruczkowski (1. bis 11. Juni 1950).
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Ich höre von Ernst [Fischer], daß Du Dich gesundheitlich schlecht fühlst, fieberst. Du bist wahrscheinlich überarbeitet. Hoffentlich kannst Du gleich nach dem Kongress nach Wolfgang.147 Oder hierher mit uns an die Ostsee?148 Ich habe auch Ernst sehr zugeredet, seinen Urlaub mit Familie hier zu verbringen, da er zur Premiere auf jeden Fall nochmals herkommen muß.149 Ich hoffe, sie entschließen sich dazu, das wäre für uns sehr angenehm. Dann könntest Du vielleicht im Auto mitkommen?! Hoffentlich wird Euer Kongress ein grosser Erfolg.150 Schade, daß ich nicht dabei sein kann. Schreibe bald wieder, Liebste. Durch wen kannst Du den Rest der Übersetzungen schicken und wann? […] Wir hörten vor längerer Zeit aus Amerika (Music-Library Philadelphia) daß 2 große Kisten mit Noten für Hanns an uns nach Wien abgegangen sind.151 Die müßten schon längst da sein oder liegt das vielleicht auch auf einer Zollbehörde. Bitte erkundige Dich bei Lumbe und lasse es uns wissen und schicke gleich die restlichen Übersetzungen, auch unfertig mit dem nächsten der kommt. Noch etwas, falls es gelingt, daß jemand aus Amerika uns etwas Geld von dort mitbringt, wird er sich an Dich wenden und es Dir geben. Wann weiß ich nicht, auch nicht, ob es gelingt. Hilderl, ich schreibe Dir sehr bald wieder und umarme Dich sehr Deine etwas gestörte Lou Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript, zum Teil auf dem persönlichen Briefpapier von Luise Eisler; Kuvert mit Aufschrift Hilde Glück, ohne Adresse; im Archiv irrtümlich in der Mappe „März 1950“ eingeordnet.
22 / Hanns Eisler an Hilde Glück, Ende Mai / Anfang Juni 1950 Liebe Hilde! Besonders schönen Dank für die Briefe die mir die größte Freude gemacht haben. Daß Du Dir so viel Mühe machst mit unsern Angelegenheiten ist wirklich schade. Du hast Arbeit genug. Aber ich bin völlig auf Dich angewiesen, wenn meine Wiener Angelegenheiten nicht in ein völliges Durcheinander geraten sollten. So ist mein Dankgefühl auch in dieser Hinsicht groß.
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Hilde Glück fuhr nach St. Gilgen, nicht nach St. Wolfgang, siehe Brief Nr. 29. Die Eislers verbrachten im Sommer 1950 zum ersten Mal die Ferien in Ahrenshoop an der Ostsee. Gemeint ist die deutschen Erstaufführung von Ernst Fischers Stück Der große Verrat, die im Juli 1950 am Deutschen Theater in Ost-Berlin stattfand. Siehe Anm. 132. Im Hanns-Eisler-Archiv ist ein Teil der Korrespondenz zwischen Louise Eisler und Arthur Cohn von der Free Library of Philadelphia erhalten. Demnach hatte Cohn 1949 in Wien mit den Eislers vereinbart, daß er (nicht näher bestimmtes) autographes Notenmaterial von Hanns Eisler aus Hollywood photokopieren und dann nach Wien schicken wolle. Erhalten ist ein Schreiben von Louise Eisler an Cohn vom März 1951, in dem sie die Zusendung der Noten anmahnt, da Eisler sie dringend benötige.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Ich bin nach den hektischen Pfingstfeiertagen152 wieder an der Arbeit. E[rnst] Fischer bringt den „Rat der Götter“ mit.153 So konnte ich mich Eurer Friedensbewegung doch etwas nützlich erweisen. Vergiß mich nicht ganz und die allerherzlichsten Grüße und Wünsche Dein Hanns P.S. Lou schreibt Dir gleichzeitig über praktische Angelegenheiten. Quelle: AdK Berlin, HEA 5320, Briefpapier mit dem Aufdruck HANNS EISLER / BERLIN-NIEDERSCHÖNHAUSEN / PFEILSTRASSE 9 / TELEFON 48-29-76.
23 / Louise Eisler an Hilde Glück, 1. Juni 1950 1. Juni. Liebstes Hilderl, Du bist sicher überbeschäftigt mit vernünftiger Arbeit, während ich im Augenblick mich wie ein leerer Sack fühle. Ein leerer Sack eignet sich nicht zum Briefe schreiben und trotzdem habe ich sehr das Bedürfnis mit Dir zu plaudern. Es ist ein Verhängnis so weit voneinander leben zu müssen. Ich bin sehr traurig, dass wir jetzt nicht nach Wien kommen. Eigentlich bin ich sogar hauptsächlich Deinetwegen betrübt. Das ist keine Phrase. Bis heute hatte Hanns Lust nach Brüxelles zu fahren, falls es von hier aus gegangen wäre, aber heute hat er auch das aufgegeben, da die Komplikationen nicht überwindbar sind.154 Hätte man ihm irgendwie zugeredet zum Kongress zu kommen,155 was nicht geschehen ist, so wäre vielleicht doch etwas aus der Reise geworden. Aber nur wenn er das Gefühl gehabt hätte, dass er dort für irgendetwas gebraucht wird. Es ist schade, dass er im Moment wirklich in Wien gar keine Funktion hat. So sehe ich mich schon irgendwann hinkommen und meine siebenhundertsiebenundsiebzig Zwetschken packen um sie irgendwie hierher zu übersiedeln. Sobald das geschehen ist, Liebste, wirst Du auch nicht mehr mit unseren tausend Angelegenheiten belästigt werden. Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, Dich mit meinen Angelegenheiten viel zu sehr ausgebeutet zu haben. Bitte entschuldige das, Du warst halt der einzige verlässliche und gefällige Mensch und Freund. Ich entschuldige mich umso mehr, als da doch noch einige Sachen sind, diesmal hauptsächlich Angelegenheiten des Hanns die ich, da wir nicht in Wien sind, ohne Deine Hilfe gar nicht erledigen kann. Ich schreibe sie Dir hier in diesem Brief, aber da ich weiss, dass Du jetzt den Kopf voll anderer Dinge hast, so lege den Brief beiseite, bis alles vorbei ist. Ich möchte nur nicht, dass 152 153
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Vom 27. bis 30. Mai 1950 hatte in Ost-Berlin das „1. Deutschlandtreffen der Jugend“ stattgefunden, bei dem auch einige der Neuen Deutschen Volkslieder von Becher und Eisler aufgeführt wurden. Der Film Der Rat der Götter mit Eislers Musik (siehe Anm. 57) wurde im Rahmenprogramm des „1. Österreichischen Friedenskongresses“ am 10. Juni 1950 im Wiener Burggarten-Kino gezeigt (laut Österreichische Volksstimme, 13. Juni 1950). Für diesen Hinweis danke ich Manfred Mugrauer. Siehe Anm. 101. Siehe Anm. 132.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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wenn sich einige Leute an Dich in unseren Angelegenheiten wenden, Du nicht informiert bist. 1.) das schrieb ich Dir schon im Brief an Ernst [Fischer] (den er Dir wahrscheinlich vergessen wird zu geben) wird sich irgendwann jemand an Dich wenden und Dir etwas wichtiges für uns von meinen Freunden, den Adlers, aus N.Y. geben.156 2.) Erhalte ich gerade von Lion Feuchtw[anger] folgenden Brief: „Wilhelm und Charlotte Dieterle157 haben eine grosse Europareise angetreten und fahren auch auf vierzehn Tage nach Gastein. Sie kommen wohl auch nach Wien, sie haben sich auf besonders freundschaftliche Art bereit erklärt, Ihren Koffer mitzunehmen (es ist ein grosser Koffer). Sie nehmen an, dass sie Ende Juni in Österreich sein werden. Wir werden rechtzeitig erfahren, wenn sie in Gastein, beziehungsweise in Wien sind, sodass wir sie die Adresse rechtzeitig wissen lassen können. Wichtig ist also, dass Sie uns über Ihre Adresse genau auf dem Laufenden halten, mit möglichst genauen Daten.“ Ich antwortete sofort mit Deiner Adresse und Telefonnummer, dass er an Dich schreiben lassen soll. Diesmal ist ja nur die Anweisung zu geben, dass der Koffer in den Keller meiner Schönburggasse Wohnung158 geht und dass dort jemand zu Hause ist, wenn er geschickt wird. Vielleicht muss man auch einem Spediteur bezahlen, der ihn von der Bahn abholt, ich bitte Dich, da ich keine Möglichkeit habe, bevor ich da bin, Geld zu überweisen,* obwohl ich es versuchen werde, es von Bruno [Frei] oder Ernst [Fischer] zu borgen, bis ich mich rühren kann. Jedenfalls müsste man aber Frau Engel und Lumbe Bescheid geben, falls brieflich oder telefonisch etwas wegen Koffer oder unserer Anwesenheit gefragt wird, Bescheid zu geben. Du müsstest es den beiden also telefonisch erklären. 3.) Zwei oder eine Kiste mit Noten kommend aus Philadelphia (Hannsens wertvolle Manuskripte) müssten schon in der Schönburggasse angekommen sein.159 Falls nicht, muss ich sie sofort urgieren.160 Bitte erkundige Dich und lasse es uns wissen. 4.) Das „Deutsche Theater“ ist bereit mir zwei Koffer mitzunehmen,161 das ist eine grosse Sache. Was immer wir schon hierhaben, ist gewonnen. Da ich Dir möglichst wenig Arbeit machen will, schicke irgendwelche Koffer mit. Es stehen ja gepackte Koffer auf dem Schrank im Badezimmer, schicke die, die Dir am vernünftigsten 156 157
158 159 160
161
Das Ehepaar Kurt und Freyda Adler, Bekannte der Eislers aus ihrer New York Exilzeit (1938–1942). Mit dem Schauspieler William (Wilhelm) Dieterele und seiner Frau Charlotte waren Hanns und Louise Eisler aus der Zeit des amerikanischen Exils bekannt. Das Ehepaar Dieterle hatte sich in herausragender Weise für emigrierte Künstler engagiert und in vielen Fällen die Einreise in die USA durch die Vermittlung von Geldspenden und Affidavits erst möglich gemacht (so im Fall der Familie Brecht-Weigel). Als Eisler 1947 vom Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten (HUAC) verhört wurde, stand der Name Charlotte Dieterles zusammen mit denen von Lisl Henreid, Bette Odets, Salka Viertel u. a. im Briefkopf des Unterstützerkomitees für Hanns Eisler. Siehe Anm. 5. Siehe Anm. 151. Auf ein nicht erhaltenes Mahnschreiben Louise Eislers antwortete Arthur Cohn von der Free Library of Philadelphia am 5. Juli 1950: „There was a great delay in the receipt of the music from Hollywood and I found the material was completely mixed up.“ Siehe Anm. 151. Das Deutsche Theater hatte gerade eine Gastspielreise nach Wien angetreten, siehe Anm. 146.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
vorkommen oder packe zwei mit Noten von Hanns. Vielleicht nehmen sie auch drei Koffer mit. 5.) Was noch nicht übersetzt ist, von meinen Briefen,162 schicke bitte entweder mit jemanden verlässlichen, der gleich fährt, oder mit Renate Langhoff. Auch was schon übersetzt ist. Mache Dir damit weiter keine Mühe, und schicke alles nicht übersetzte auch einfach zurück. * 6.) Während ich schreibe glaube ich einen Weg gefunden zu haben, dass ich alles bezahlen kann. Bloß wenn es etwas länger dauert, borge Dir Geld von Bruno [Frei] oder Ernst [Fischer]. Und jetzt nochmals: Entschuldige die Ausbeutung. Ich wollte, es wäre umgekehrt. Du bist ein Engel an Gefälligkeit aber ich weiss, all diese Plage hängt Dir doch zum Hals heraus und ich kann das gut verstehen. (Neue Bürden statt Schonung + Freude.) Mit Liesl und Paul [Henreid] haben wir grosses Pech.163 Wir hätten sie schrecklich gerne gesehen. Ist keine Chance, dass sie herkommen? Wie sind Deine Urlaubspläne? Und überhaupt Deine Pläne? Die letzten Reisen der beiden Musiker,164 haben Hanns noch weniger Menschen in Wien gelassen. Du bist wirklich die Einzige jetzt. Entschuldige diesen Brief. Ich bin in elender Katzenjammerstimmung, habe entsetzlich viel aufgeschobene Arbeit vor mir und eine tiefe Depression. Aber da Hanns morgen auf Diät geht, werde ich auch ein neues Leben beginnen und mein nächster Brief wird schon viel vernünftiger sein. Besorgt macht mich aber, dass Du krank bist, Dich schlecht fühlst und fieberst. Ich hoffe, es ist schon besser geworden. Ich möchte sehr gern bald von Dir hören! Was Du hören willst, kann Dir ja Ernst erzählen. Viele viele Grüsse and Franz und Wolfgang. Es umarmt Dich Deine LOU Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier; Kuvert Aufschrift Luftpost Einschreiben maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Haupt strasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 2. 6. 50.
162 163 164
Siehe Anm. 139. Siehe Anm. 19 und 108. Mit einiger Sicherheit sind Herbert Häfner und Friedrich Wildgans gemeint, die beide im fraglichen Zeitraum Reisen nach Jugoslawien unternommen hatten. Da der jugoslawische Staatschef Tito eine von Moskau betont unabhängige Politik verfolgte, wurde Jugoslawien damals von kommunistischer Seite als „feindlich“ angesehen (siehe auch das gegen Tito gerichtete Stück Der große Verrat von Ernst Fischer, Anm. 92 und 149). Wildgans hatte sich zudem positiv über das Musikleben in Jugoslawien geäußert und war dafür von der KPÖ angegriffen worden. Wildgans trat im selben Jahr aus der KPÖ aus. (Siehe „Krieg im Friedensrat. In Wien wendet sich die Intelligenz von den Kommunisten ab“, in: Die Zeit, 24. August 1950; Brief von Herbert Häfner, 4. Mai 1950, AdK Berlin HEA 7018).
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24 / Louise und Hanns Eisler an Hilde Glück, Anfang Juni 1950 Liebstes Hildchen nur einen lieben Gruß für Dich – ich bin in Gedanken bei Dir, wünsche Dir und Euch viel Erfolg! Ich bedaure sehr nicht dabei zu sein.165 Hörte gestern von Brecht, daß Wolfgang zugesagt hat,166 da kannst auch Du öfter kommen. Wie ist es diesen Sommer? Prof. Havemann ist sicher auch so freundlich etwas mitzunehmen.167 Noten oder sonst was – gib jedem, der bereit ist, wenigstens etwas mit. Schreibe sehr bald liebstes Hildchen. Ich umarme Dich sehr und wünsche Dir alles denkbar Liebe Deine Lou […] [handschr. Zusatz von Hanns Eisler:] Besonders herzliche Wünsche und Grüsse! Es ist ein Jammer, daß wir nicht nach Wien kommen können. Aber die Arbeit hier macht es unmöglich, so gern ich auch gekommen wäre. Hoffentlich ist der Friedenskongress168 ein so enormer Erfolg, daß wir alle auf Dich stolz sein können. Sehr herzlichst
Dein Hanns
Quelle: ÖLA 108/98, Manuskript; auf persönlichem Briefkopf von Hanns Eisler; das zugehörige Kuvert ist offenbar nicht erhalten.
25 / Louise Eisler an Hilde Glück, 4. Juni 1950 4. Juni. Hildchen, liebstes Hildchen, ich hoffe, dass dieser Brief erst nach dem Friedenskongress169 ankommt und Du bereits etwas zur Ruhe gekommen bist und nicht so gehetzt. Es tut mir jetzt sehr leid, dass ich nicht wenigstens auf einen Sprung nach Wien gekommen bin, ich hätte ja mit dem Ernst [Fischer] mitfahren können,170 denn dann hätte ich dabei sein können, was ich gerne gewesen wäre, hätte die Henreids begrüßen können,171 und etwas meine Angelegenheiten in Ordnung bringen. Ich habe es nicht getan, weil ich den Hanns nicht allein lassen wollte, aber er ist seit einigen Tagen auf „Diät“ führt sie konsequent durch und trinkt nicht. Es wäre also der beste Zeitpunkt zum Fahren gewesen. Aber es war so schwer zu disponieren, weil ich ja bis zuletzt hoffte, dass H[anns] fahren wird und selbst als es sich herausstellte, dass er nicht nach Wien will, hatte er die Absicht von hier nach Bruxelles zu 165 166 167 168 169 170 171
Gemeint ist der „1. Österreichische Friedenskongreß“, siehe Anm. 132. Siehe Anm. 23. Der Chemiker Robert Havemann gehörte zur (ost-)deutschen Delegation auf dem „1. Österreichischen Friedenskongreß am 10. und 11. Juni 1950 in Wien. Siehe Anm. 132. In der Quelle: FK. Siehe Anm. 132. Ernst Fischer war Ende Mai 1950 in Berlin, siehe Anm. 76. Siehe Anm. 108.
400
Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
fahren,172 was er erst vor 2–3 Tagen endgültig abgelehnt hat, deshalb stand ich also vor lauter unklaren Problemen und konnte einfach nicht richtig disponieren. Es ist auch nicht so bei H[anns] dass er einfach nicht fahren will, sondern da spielen viele Dinge mit, hauptsächlich, dass er mit einer Arbeit, die bis Mitte Juli fertig komponiert und aufgenommen werden muss,173 nicht fertig ist, dass er anderseits jetzt sich nicht hetzen möchte und die Ruhe die er jetzt hier hat plus Garten, Sommer und Diät ihm sehr gut tut. Anderseits hat er das Gefühl, dass er in Wien völlig überflüssig ist (E[rnst Fischer] hat auch nicht dazu beigetragen ihm im geringsten zuzureden nach Wien zu kommen) Das alles sind natürlich nicht Sachen, die Hanns so ausspricht. Du kennst ihn ja und gerade deshalb war es schwer für mich richtig zu disponieren. Nun wird es wahrscheinlich so sein, dass wir Mitte Juli oder Anfang August irgendwo an die Ostsee174 zum Urlaub gehen und im Herbst wird H[anns] wohl hier sein müssen. Ich werde dann wohl im September auf ein paar Wochen kommen, die Angelegenheiten zu ordnen. Bis dahin soll alles bleiben mit der Wohnung wie es ist, ich will sie doch auf jeden Fall weiter behalten und da das mit Frau Engel klappt und sie dann wirklich bereit sein wird, für die Zeit die man da ist auszuziehen und dann wieder die Wohnung zu übernehmen, ist es ganz gut. Nun muss ich auch den Oberst [Lumbe] davon überzeugen, mit dem Arrangement zufrieden zu sein.175 Nun brauche ich leider doch noch paar Kleider und einen Bademantel für den Hanns und wenn das die Langhoffs oder das Theater mitnehmen könnten in einem Koffer,176 wäre das die größte Hilfestellung von Dir. Ich verspreche aber hiermit, dass ich Dich, wenn ich im Herbst komme und selbst die Dinge erledigen kann, niemals mehr belästigen werde und glaube mir, ich bin schon sehr unglücklich, dass ich es jetzt tun muss. […] Also: ein lichtblauer Bademantel, eine braune Schwimmhose von Hanns, ein weisses grosses Kleid mit goldenen grossen Knöpfen aus einer Art gesteppten Pique, es sieht eher aus wie ein grosser Schlafrock oder Mantel, ein gelbes Imprimekleid mit Gürtel, ein lichtbalues Kleid mit Gürtel, ein rosa schwarz gestreiftes kurzes Dirndl und ein weiss geblümtes langes Dirndl nebst einigen Dirndlschürzen, ein weisses Leinenjäckchen, ein paar weisse Schuhe aus Semisch Leder und ein paar weisse Schuhe mit Platform, ein paar rote Schuhe Pumps, ein paar blau rot rosa Schuhe mit Platform, ein wiesses Schwimmtrickot von mir und ein paar garu beige Shorts (kurze Hosen) von mir. – – – – – Wenn sie sonst nichts mitnehmen wollen, dann nur das! Wenn sie noch was mitnehmen wollen, irgend etwas sonst. (Noten v. Hanns) 172 173 174 175 176
Siehe Anm. 101. Wahrscheinlich die Kantate für den III. Parteitag der SED im Juli 1950, siehe Anm. 181. Siehe Anm. 148. Siehe Anm. 5. Siehe Anm. 146 und 161.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Wie sind Eure Pläne? Wie können wir uns wiedersehen? Ist es für Dich möglich nochmals einen Urlaub hier zu verbringen? Schreibe darüber ganz genau. Sollten z. B. Ernst und Ruth [Fischer] sich entschliessen Ihren Urlaub hier an der Ostsee zu verbringen, könntest Du mitkommen??? Obwohl ich gar nicht weiss, ob sie sich dazu entschliessen.177 […] Ich umarme Dich sehr. Wir haben schon sehr lange wieder keine Nachricht von Dir. Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier; Kuvert handschr. adressiert an Frau Dr. Hilde Glück / Telefon U 11099.
26 / Hanns und Lou Eisler an Hilde Glück, Anfang/Mitte Juni 1950 Liebe Hilde! Ich habe eine große Bitte an Dich. Ich brauche dringendst Septett Nro 1 und Septett Nro 2 (die Partituren, wenn möglich auch die Stimmen.)178 Sie sind bestimmt unter den Noten in meiner Wohnung.179 Eventuell aber auch noch beim Erwin [Ratz]. Es ist nämlich ein Konzert der Akademie der Künste am 8 Juli und ich möchte gerne eines oder das andere aufführen.180 Entschuldige diese fortwährenden Bitten und Belästigungen. Ich bin mitten in der Arbeit (Festkantate)181 und auf Diät. In größter Eile Mit herzlichstem Dank und besonders herzlichsten Grüßen Dein Hanns [handschr. Zusatz von Louise Eisler:] Liebstes Hildchen Die Bitten hören nicht auf. Die Septette sind wichtig weil es hier aufgeführt wird – Konzert Anfang Juli und es ist die einmalige Gelegenheit daß Langhoffs es mitneh-
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181
Siehe Anm. 211. Eislers Suite für Septett Nr. 1, zusammengestellt aus der Musik zu dem Film A Child Went Forth (1941) und Septett Nr. 2 (um 1947) zu Szenen aus Charlie Chaplins Stummfilm The Circus (1928). Siehe Anm. 5. Bei dem von der Deutschen Akademie der Künste am 10. Juli 1950 anläßlich des am Tag darauf begangenen 250jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften ausgerichteten Konzert wurde von Eisler nur die Sonate für Violine und Klavier („Reisesonate“) aufgeführt. Siehe auch Brief Nr. 29. Bereits am 22. Februar 1950 hatten Hanns Eisler und Johannes R. Becher von Wilhelm Pieck den Auftrag erhalten, eine „Hymne“ für den III. Parteitag der SED zu schreiben, der Ende Juli 1950 in Berlin stattfand (AdK Berlin, HEA 5093). Das später (in überarbeiteter Form) als Mitte des Jahrhunderts publizierte Werk wurde am 23. Juli 1950 in einem Konzert zum Parteitag im Berliner FriedrichstadtPalast mit nur mäßigem Erfolg unter dem Titel „Kantate 1950“ uraufgeführt.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
men. Auch fahren am 14. d. M. Parylas + Heinz die können auch was mitnehmen.182 Gib Ihnen was nur irgend möglich – was hier ist ist hier – Und schreibe sehr bald Deiner Lou Bitte schicke auch noch sämtliche Seidennachthemden und leichte Pyjamas für mich mit und Hemden mit kurzen Ärmeln für Hanns – Quelle: AdK Berlin, HEA 5320, Manuskript auf persönlichem Briefpapier von Hanns Eisler.
27 / Louise Eisler an Hilde Glück, 20. Juni 1950 20. Juni. Geliebte Hilde, ich weiss nicht, wie ich anfangen soll Dir zu danken für alle die viele Hilfe, alles ist richtig angekommen, die zwei Koffer (Inhalt leider unergiebig, alte Schminksachen hauptsächlich) die Noten, über die Hanns sehr glücklich war, meine Sommersachen und die Übersetzungen. Wie Du das alles inmitten des Friedenskongresses183 auch noch hingebracht hast, weiss ich nicht, jedenfalls sind wir Dir aber beide schrecklich dankbar dafür. Ich hätte soviel zu schreiben, folglich weiss ich natürlich nicht, wie ich das anfangen soll. Also vor allem meine ich, dass Du das doch etwas zu kompliziert siehst mit dem Herkommen und den Wolfgang besuchen.184 Du musst Dich halt doch wie sehr viele andere entschliessen den Weg zu kommen, der mit der Bahn möglich ist […]. Über die Ausgaben mache Dir keine Sorgen, das hiesse wirklich die Sache unnötig komplizieren. Aber wir werden das besprechen, wenn ich nach Wien komme, denn kommen muss ich, da ich wirklich viel und wichtige Sachen zu erledigen habe. Unter anderem ist durch eine Ungeschicklichkeit der H[anns] jetzt in keiner Autorengesellschaft, da seine Mitgliedschaft drüben plötzlich beendet ist.185 Das ist ekelhaft, besonders da dadurch vieles aufhört, auf was ich noch hoffte. Er möchte aber in die AKM (Österreich)186 nicht in die hierher187 und das muss ich auch erledigen. Vielleicht könntest Du Dich mal gelegentlich erkundigen, ganz direkt, ob das einfach ist. Denn er war ja bis 1938 dort Mitglied und wurde nur durch die Nazis ausgeschlossen. Der Präsi182
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Bei der anstehenden deutschen Erstaufführung des Stücks Der große Verrat von Ernst Fischer im Juli 1950 am Deutschen Theater in Berlin wirkten zum Teil die Schauspieler der Wiener Uraufführung mit, siehe Anm. 92. Siehe Anm. 132. Offenbar ging es in dem nicht erhaltenen Gegenbrief um die Möglichkeit weiterer Berlin-Besuche Hilde Glücks, insbesondere im Kontext der in Aussicht gestellten Tätigkeit ihres Sohnes Wolfgang Glück am Berliner Ensemble. Siehe auch Anm. 23. Durch ein Mißverständnis zwischen Eislers Anwalt Dr. Kaul, der amerikanischen Urheberrechtsgesellschaft ASCAP und der (damals noch gesamtdeutschen) GEMA hatte Eisler im Mai 1950 seine ASCAPMitgliedschaft verloren (siehe AdK Berlin, HEA 10868). Die österreichische Urheberrechtsgesellschaft AKM (Staatlich genehmigte Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger). Damals existierte für ganz Deutschland zunächst nur die in Westdeutschland ansässige GEMA. Erst im Lauf des Jahres 1950 wurde in der DDR eine eigene „Anstalt zur Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik“ (AWA) gegründet, der dann auch Hanns Eisler beitrat.
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dent ist ein guter Freund von Ruth und E[rnst Fischer].188 Wenn nicht anders, geht die Bekanntschaft vielleicht durch die. Aber ich habe auch noch tausend anderes in Wien zu tun, ich muss nun wirklich den grössten Teil des Gepäcks übersiedeln, vor allem alles was letzthin gekommen ist. Und dann muss ich die Wohngeschichte mit Lumbe in Ordnung bringen, der mir einen blöden Brief schrieb, über Gepäck das im Keller steht (es steht im Kellerraum, den er mir mitvermietet hat) und auch sonst hat er sich nicht zu beklagen, da alles so ist, wie ich es mit ihm abmachte, es ist überhaupt kein Unterschied für ihn, ob ich oder Frau Engel da wohnt. Aber da er ein Pedant und Formalist ist, was man einem alten Oberst nicht übelnehmen kann, wird es wieder lange persönliche langweilige Konversationen brauchen, bis ich ihn überzeuge, dass ich unbedingt mit ihm im selben Untermieterverhältnis bleiben will wie bisher. Ich schrieb ihm, jedenfalls um ihn zu beruhigen, dass ich im Herbst komme und alles persönlich mit ihm besprechen möchte, dass ich das Untermietverhältnis aufrecht erhalten möchte, da wir ab nächsten Mai zumindest sicher die Absicht haben, wieder in Wien zu leben und dass Hanns zu Weihnachten kommen will (was stimmt) und dass Berlin nur erst erledigt werden muss. Für ihn ändert sich ja nichts, so oder so, aber wenn Hanns nicht die Wohnung hat, weiss ich, dass er nie mehr nach Wien kommt. (Für mich ist es nicht so wichtig, ich würde auch im Hotel wohnen können). Hanns hat wirklich die Absicht (jetzt zumindest sagt er das) die Weihnachtsferien, die ja für die Akademie der Künste sehr lange sind, in Wien zu sein. Und ich habe ja wirklich die Absicht, wenigstens den nächsten Frühling und Sommer mit ihm in Wien zu verbringen,189 aber das geht sicher nur, wenn Lumbe mir weiter die Wohnung gibt, Frau Engel weiter dort Mieter bleibt und für die Zeit, die wir das sind, auszieht um dann wieder einzuziehen. Ich schreibe Dir das alles, obwohl es sehr langweilig ist, deshalb so ausführlich, weil Du ja doch mit Deinem grossen Charme auch die Dinge beeinflussen kannst, wenn Du Dir mal wieder die Mühe nimmst, mit Lumbe und Frau Engel zu sprechen. Was das Zureden des H[anns] betraf, nach Wien zu kommen, habe ich es nicht ganz so gemeint, wie Du es verstanden hast. Es ist eben so, dass H[anns] sich kaum dazu entschliesst, nach Wien zu kommen, wenn er dort nicht zumindest eine Sache, sei sie noch so klein, direkt dort zu tun hätte. Hätte E[rnst Fischer] z. B. ihn fühlen lassen, dass seine Anwesenheit beim Friedenskongress190 irgend eine Bedeutung hat, dass es wichtig wäre zu kommen für die Sache, des Namens wegen etz, dann hätte er es sich nicht überlegt und wäre wenigstens auf ein paar Tage gefahren, obwohl er hier zu tun hat, aber zehn Tage hätte er ruhig riskieren können. Und so wird es immer mit der Wiener Reise sein. Als zum Beispiel das Theater Sc[ala] ihm die Regie anbot, wäre er für sein Leben gerne gefahren, hatte damals aber wirklich letzten 188
189 190
Als Präsident der österreichischen Urheberrechtsgesellschaft AKM (Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger) fungierte bis Mai 1950 Bernhard Herzmansky, danach der Komponist Joseph Marx. Hanns Eisler fuhr erst wieder im Dezember 1952 nach Wien. Siehe Anm. 132.
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Termin beim Film.191 Für jede solche Arbeit, sei sie noch so klein, auch Konzerte, irgendwelche Aufführungen seiner Werke, Bühnenmusik, Radio etz würde genügen, dass er mit Vergnügen fährt. Aber um das müsste man sich eben bemühen. Für Dich ist das fast unmöglich, für E[rnst Fischer] wäre es öfter schon früher möglich gewesen. Leider ist die Entwicklung vom Kapellmeister der jetzt seine Sachen dirigiert192 und dessen Freund Friedr[ich Wildgans] so unangenehm,193 dass sie noch ein Minus mehr für H[anns’] Bereitwilligkeit nach Wien zu fahren ist. Aber auf die Idee seine Weihnachtsferien dort zu verbringen, kam er selbst. Im Herbst komme ich allein. H[anns] redet mir sehr zu, zu fahren und seine Sachen in Ordnung zu bringen, aber ich fahre ja immer mit einem sehr besorgten Gefühl. Trotzdem muss es sein. Allerdings weiss ich noch nicht wann ich komme, jedenfalls irgendwann zwischen Mitte September und Mitte November, sobald ich wegkann. Hanns ist auf einer Diät, und hat wirklich schon ziemlich viel abgenommen und hat sich dabei sehr wohl gefühlt, er hat eine ganze Zeit lang dabei auch nicht einen Tropfen getrunken. Die Diät besteht in abgebratenem oder gekochten Fleisch ohne Fett, sehr viel Gemüse, Obst, Salat. Alles ging gut, nur fuhr ich Samstag auf drei Tage an die Ostsee um dort zu mieten,194 und als ich zurückkam, erzählten mir schon alle, dass wieder einmal ein Exzess statt fand mit Übernachtausbleiben etz. 195 Ich bin erst gestern spät nacht nachhause gekommen, sonst hätte ich Dir schon früher geschrieben, aber heute ist wirklich die erste Gelegenheit … Ich habe in Ahrenshoop196 an der Ostsee ab 1. August ein Häuschen gemietet mit einem Atelier und Klavier für Hanns, direkt am Strand und einer sehr hübschen Terrasse. Es ist sehr hübsch und hat eine reizende Atmosphäre, obgleich es sehr primitiv ist, so wie bei dänischen Bauern197 mit Toilette direkt als Dünger zu verwenden, draussen ausserhalb des Hauses, kein rinnendes Wasser, sondern Pumpe vom Brunnen, aber das macht uns gar nichts. Das Haus ist recht gross, hat viele praktisch gelegene Zimmer mit Betten und wäre für Euch alle, uns alle gross genug. […] Bitte sage doch Ruth und E[rnst Fischer] vom Häuschen in Ahrenshoop an der Ostsee und dass dort wirklich zwei Zimmer für sie und Diti198 frei sind, dass ich es aber gleich 191
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Für welche Inszenierung Hanns Eisler ein Regieangebot des Neuen Theaters in der Scala erhalten hatte, an dessen Wahrzunehmung er durch eine Filmarbeit (vermutlich Der Rat der Götter, siehe Anm. 57) gehindert war, konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich Herbert Häfner, der Eislers Kammersymphonie beim IGNM-Fest in Brüssel dirigierte, siehe Anm. 101 und 164. Siehe Anm. 164. Siehe Anm. 148. Die mit übermäßigem Alkoholgenuß verbundenen „nächtlichen Ausflüge“ Hanns Eislers wurden spätestens im Juli 1953 zum Politikum, als der Komponist im betrunkenen Zustand in West-Berlin von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. 1955 drohte das ZK der SED, Eisler werde keine Aufenthaltserlaubnis mehr „in der DDR und in Berlin“ erhalten, „wenn er seine periodischen Saufereien in Westberlin fortführt.“, zitiert nach Jürgen Schebera, Hanns Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz 1998, S. 255. Louise Eislers variantenreiche Schreibweise des Ortsnamen „Ahrenshoop“ wird hier und in den folgenden Briefen nicht getreu wiedergegeben, sondern vereinheitlicht. Anspielung auf die Aufenthalte der Eislers im dänischen Exil in den Jahren 1934, 1935 und 1937. In der Quelle „Titi“. Siehe aber Anm. 113.
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wissen möchte, sie sollen mir sofort schreiben. Ab 1. August habe ich das Haus für 6 Wochen gemietet, man isst bis auf Frühstück (das einem das Mädchen des Hauses machen kann) alle anderen Mahlzeiten im Kurhotel des Kulturbundes,199 das paar Schritte entfernt ist, es ist dies Essen sehr billig, ich müsste sie nur alle drei, falls sie kommen, gleich dort anmelden, das ist eben alles so organisiert. Der Strand ist herrlich, ganz weisser wunderbarer Sand, mildes Meer und wunderbar zum Schwimmen. Ich möchte E[rnst] nicht schreiben, es wäre nett wenn Du die Botschaft übernehmen würdest. – – – […] Ich schmiere jetzt nur diesen Brief herunter, damit Du ihn möglichst bald bekommst. Hoffentlich kommt er richtig an. Das „Briefe-an-eine-falsche-Adresseschicken“ ist eine alte schlechte Gewohnheit von mir und hat sicher viel zu bedeuten,200 was alles, weiss ich nicht mehr, vielleicht „Briefe die ihn nie erreichten“? Es ist ein Skandal, dass ich diese elende neurotische Sache nicht ablegen kann. […] H[anns] wünscht alles Liebe und Gute und ist schrecklich dankbar für die grosse Mühe und Verlässlichkeit mit der Du alles erledigst. Falls Du etwas vom Musikkongress in Bruxelles hörst,201 lasse es uns wissen, hier wird man kaum etwas hören. Am 6. Juli hat H[anns] Geburtstag. Was macht Erwin [Ratz]? Was Du ihm an Noten wegnehmen kannst, tue schon jetzt, lässt H[anns] sagen, aber ohne dass er was merkt.202 Das ist ja eine andere Hauptaufgabe meiner Wiener Reise, endlich die Noten vom Hanns zusammen zu haben. Viele Grüsse an Franz. Wie steht der Film von Paul [Henreid]?203 Kommt er wieder nach Wien? Und Liesl [Henreid]? Hanns ist besorgt, dass keine Kiste aus Philadelphia angekommen ist, in der seine wichtigen Noten sind,204 sie müsste schon längst da sein, er fürchtet, dass vielleicht die Benachrichtigung, dass sie da oder da, Postamt oder Zollamt liegt, verloren 199
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Der im Juli 1945 von der sowjetischen Militäradministration gegründete „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ verfügte über eine Reihe ähnlicher Freizeiteinrichtungen für die (linientreuen) Kulturschaffenden der DDR. Präsident des Kulturbundes war Johannes R. Becher. Louise Eisler irrte sich mehrmals bei der Adressierung ihrer Briefe, siehe die Quellenbeschreibungen zu den Briefen Nr. 11 und 39. Siehe Anm. 101. Wie auch aus den folgenden Briefen hervorgeht, war das Vertrauensverhältnis zwischen Hanns Eisler und Erwin Ratz zu dieser Zeit aufgrund weltanschaulicher und politischer Differenzen stark belastet (Ratz hatte sich Ende der 1930er Jahre der Anthroposophie zugewandt und hielt Eislers Festhalten am Kommunismus Stalinscher Prägung für einen Fehler). Später versöhnten sich die beiden und blieben bis zu Eislers Tod in freundschaftlichem Kontakt. Eisler verdankte Ratz nicht nur die Aufbewahrung zahlreicher Partitur-Autographe während der Nazizeit, sondern auch dessen unersetzliche Lektorentätigkeit bei der Einrichtung von Druckvorlagen und Aufführungsmaterialien fast sämtlicher Werke Eislers bis 1938, zum Teil auch während der ersten Jahre nach 1945. Paul Henreid hatte sich mit den vom Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten (HUAC) vorgeladenen und wegen Aussageverweigerung zum Teil zu Haftstrafen verurteilten „Hollywood Ten“ solidarisch erklärt. Als er daraufhin bei vielen amerikanischen Filmfirmen auf der „Blacklist“ erschien, war er Anfang der 1950er Jahre gezwungen, bei mehreren Filmproduktionen in Europa mitzuwirken, darunter Stolen Face (UK 1952) und Mantrap (UK 1953, beide unter der Regie von Terence Fisher) sowie Dieses Lied bleibt bei Dir (BRD 1954, Regie: Willi Forst). Siehe Anm. 151.
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gegangen ist, und die Kiste dort noch wartet oder verloren geht. Aber wie soll man das in Erfahrung bringen? Ich schreibe jedenfalls mit gleicher Post an Philadelphia [per] Air-Mail, um zu erfahren, ob sie schon abgegangen ist und wann und wohin.205 […] Wir umarmen Dich sehr Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier, Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Dr. Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 21. 6. 50; Poststempel Wien: 25. VI. 50.
28 / Louise Eisler an Hilde Glück, 21. Juni 1950 21. Juni206 Meine liebste Hilde, Die Leute sind alle so unzuverlässlich, dass Dein Brief, den Du Prof. H[avemann] mitgegeben hast,207 erst heute ankam, und zwar offen, weil er ihn an der Grenze öffnen musste. […] Ruth [Fischer] erzählt scheinbar etwas falsch. Das „einsame Fischernest“ heisst Ahrenshoop und ist eines der Ostseebäder die der „Kulturbund“ verwaltet,208 das heisst, es sind dort sämtliche Intellektuelle und Künstler des Landes. Von unseren Bekannten sind dort; Bert B[recht] mit Familie und Mitarbeitern, Hans Bech[er] der Dichter der letzten Lieder, Arnold Zw[eig], Hilde und ihr Mann,209 um nur ein paar zu nennen. Es ist dort ein grosses Kurhotel, in dem man, falls man nicht dort wohnt, zu den Mahlzeiten hinkommt. Ansonsten ist der Ort ein Fischerdorf, das ist was hübsch daran ist, und die Häuschen sind primitiv, kein W.C. kein rinnendes Wasser. Ich bin das von Dänemark gewohnt, wo wir jahrelang den Sommer verbracht haben.210 (Ahrenshoop hat herrliche Spaziergänge Wald + Hügel + Botten und Darst.] Ich habe ein sehr hübsches Häuschen gemietet, etwas zu gross für uns, aber ich wollte Platz für Ruth, Ernst und Ditti, falls sie kommen wollen.211 Das Haus hat ein großes Atelier mit Klavier für Hanns, wo er ganz ungestört arbeiten kann, ein Wohnzimmer, ein Kleines Schlafzimmer, ein grosses Schlafzimmer, noch ein kleines Schlafzimmer und eine reizende Terrasse zum Sitzen. Für Hanns bedeutet es, die Fortsetzung seines Lebens, das er überall führt, nur etwas Seeluft dazu. Das ist alles. Auch seine Diät kann er weiter fortsetzen. Das Haus hat einen großen Garten und ausser uns wohnen im Haus die Leute, die es gepachtet haben, ein jun205 206 207 208 209
210 211
Die Noten waren noch nicht unterwegs, siehe Anm. 160. In der Quelle irrtümlich: 21. Juli. Siehe Anm. 167. Siehe Anm. 199. Wahrscheinlich sind Hanns Eislers Bruder Gerhart und seine Frau Hilde Eisler gemeint. Da Gerhart Eisler zu diesem Zeitpunkt als Leiter des Amtes für Information zu den exponiertesten Politikern der DDR zählte, wollte Louise Eisler in Anbetracht der allgemeinen Postzensur seinen Namen vermutlich nicht in einem Auslandsbrief nennen, zumal im Zusammenhang mit dessen Urlaubsplanungen. Siehe Anm. 197. Die Familie Ernst, Ruth und Marina („Diti“) Fischer verbrachten erst die Sommer 1951 und 1952 mit den Eislers in Ahrenshoop.
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ges Ehepaar, die dort auch Vieh haben und sich um das Aufräumen und Frühstück kochen und was sonst noch zu tun ist, kümmern. Ich brauche daher das Lenchen [Villwook] nicht, die Urlaub hat. (Leider ist im Kurhotel eine große Bar.)212 Ich hätte gerne, wenn Du in der Gegenwart von E[rnst Fischer] der Ruth diesen Passus vorlesen würdest, oder erzählen. Auch möchte ich von ihr Nachricht, ob sie herkommen wollen oder nicht. Ich muss das wissen, wegen der Einteilung. Wir werden uns natürlich sehr freuen, wenn sie kommen. Das Wohnen kostet nichts, weil wir sowieso eine bestimmte Miete zahlen müssen, und das Essen ist eben dadurch, dass es eine Kulturb[und]-Sache ist, sehr billig. Nur Kaffee und Tee gibt es nicht (muß man mitbringen). Milch genug für Diti und sonst normales anständiges Essen, wie im Kulturbund heute. Bitte sag Ern[st] auch sofort nach Erhalt dieses Briefes, dass Wolfgang H[einz] die Hauptrolle spielt und das Stück also im Juli Premiere hat.213 Hanns lässt Dich vielmals grüssen und sagt, leider verstünde er gar nicht, was Du willst, nachdem er Deinen Brief gelesen hat. (Das tut ihm leid.) Ich meine eben auch, Du solltest es leichter nehmen, von uns aus ist alles recht, was Dir angenehm ist, so oder so.214 Und auf jeden Fall komme ich ja im Herbst, zum Sprechen. Falls Lumbe mir die Wohnung nicht geben will, werde ich das sehr bedauern, kann es aber auch nicht ändern, dann werden wir Wien eben ganz abschreiben müssen. […] Liebes, liebes Hildchen, alles wäre einfacher, wenn man sprechen könnte statt schreiben. Lasse mich wissen, was Ruth beschlossen hat oder beschliessen wird, natürlich kann sie es sich auch noch überlegen. Embrassos Deine Lou und vielen, vielen Dank für alles was Du für mich getan hast und tust, ich verspreche im Herbst hört das auf […]. Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen, rosa Luftpostpapier, Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Dr, Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 21. 6. 50; Poststempel Wien: 26. VI. 50.
29 / Louise Eisler an Hilde Glück, 27. Juni 1950 27 Liebstes Hildchen, Dank für Deine Karte, die gestern ankam. Ich freue mich, dass Du doch nach Gilgen fahren wirst und Dich erholen,215 Du brauchst das wirklich dringend. Es tut mir schrecklich leid, dass Wolfgang nicht klappt,216 aber leider 212 213 214 215 216
Siehe Anm. 110. Siehe Anm. 182. Vermutlich geht es um Abwägungen, die Hilde Glück im Zusammenhang mit der Frage nach einem weiteren Berlin-Besuch ihrerseits ins Feld geführt hatte. Siehe auch Anm. 184. Siehe Anm. 147. Siehe Anm. 23.
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kann ich gar nichts dazu tun es zu ändern. Es ist im Augenblick nicht viel von hier zu erzählen, es ist elendes Wetter, es giesst in Strömen, mein Garten ist sehr hübsch, trotz des schlechten Grassamens und obwohl ich persönlich nichts für ihn tue.217 Hanns hält seine Diät und will sie auch noch monatelang halten, er sagt es fiele ihm gar nicht schwer, obwohl er doch immer müde ist. Aber sein Herz war wirklich mit dem Gewicht zu sehr belastet und die Ärzte haben ihm ja schon immer gesagt, dass es auch für seinen Blutdruck absolut notwendig ist, dass er abnimmt. Im Moment hat er auch ziemlich Ruhe und komponiert seine Kantate die am 20. aufgeführt wird in Ruhe.218 Von Kammermusik wird jetzt nur die Violinsonate aufgeführt und zwar zum Empfang des Kongresses der Akademie der Wissenschaften gibt die Akademie der Künste einen kleinen Empfang.219 […] Im Herbst muss ich nach Wien kommen und habe dort wirklich wichtig zu tun. Sachen hierherübersiedeln, Ascap,220 etz, etz. Vor allem: Noten vom Hanns. Was immer Du dem Erwin [Ratz] schon wegnehmen kannst unter welchem Einwand es auch sei, schaffe schon zu Dir. Hanns kommt leider im Herbst bestimmt nicht mit, mein Zureden hilft nichts, er sagt er hat zu tun und kann erst bestenfalls zu den Weihnachtsferien kommen. Wann ich komme, kann ich auch noch nicht ganz genau sagen. Ich nehme an, dass wir bis Mitte September in Ahrenshoop bleiben, wenn das Wetter halbwegs gut ist. Mitte Oktober sind hier die Wahlen, 221 im Oktober [noch] etwas anderes zu dem ich hier sein will. Andererseits möchte ich nach Wien kommen, zu einer Zeit wo man nicht heizen muss. So werde ich also wahrscheinlich gegen 25. September kommen und schlimmstenfalls doch 4 Wochen bleiben. […] Hanns hat am 6. Juli Geburtstag. Leider habe ich keine Idee was ich ihm schenken soll, denn das einzige was ihm Freude macht, nämlich was zum Trinken, ist Tabu. […] Bitte rufe Ernst [Fischer] an und sage ihm dass die Premiere seines Stückes am 18. Juli ist.222 Er muss sich ja doch die Dinge danach einteilen. Er soll mich dann auch gelegentlich wissen lassen, was Ruth für Beschluss gefasst hat für die Ferien. Auf Wiedersehen besser gesagt auf Wiederschreiben Deine Lou Könntest Du veranlassen, daß unser Klavier zurückgegeben wird. Die Firma steht auf dem Klavier, der Name – und im Telefonbuch. Mariahilfstr. ist das Geschäft wo man anrufen muss. Die Schulden muß ich dann eventuell erst bezahlen, wenn
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Offenbar fiel auch die Gartenarbeit in den Zuständigkeitsbereich der Berliner Haushälterin der Eislers, Helene („Lenchen“) Villwook. Siehe Anm. 181. Die Aufführung fand am 23. Juli 1950 statt. Siehe Anm. 180. Zur amerikanischen ASCAP und österreichischen AKM siehe Anm. 185 und 187. Die erste Volkskammerwahl der DDR fand am 15. Oktober 1950 statt. Die deutsche Erstaufführung des Stückes Der große Verrat, siehe Anm. 149.
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ich im Herbst komme. Sage Lumbe, wir wollen dann ein besseres Klavier haben.223 Ich schrieb auch Frau Engel darüber. Schreib bald, liebstes Hilderl224 Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 28. 6. 50; Wien: 1. VII. 50.
30 / Louise Eisler an Hilde Glück, 1. Juli 1950 1. Juli Liebstes Hildchen ich erfahre erst jetzt, daß jemand nach Wien fährt + schicke Dir tausend Liebes. […] Ich komme Ende Sept. Anfang Oktober. Dann muß ich teilweise meine Sachen übersiedeln, andrerseits aber versuchen die Wohnung bei Lumbe zu behalten. Versuche das auch! Und bitte gib das Klavier zurück.225 […] Am 6. Juli hat H[anns] Geburtstag, er will aber nicht feiern. Ich habe ihm eine Goethe Ausgabe letzter Hand gekauft. Wie schön wäre es, wenn Du hier wärest! Mein Liebes, schreib ausführlich. Kommt Ernst [Fischer] allein her oder mit Familie? Er hat angerufen mir zu sagen, daß er den Urlaub in Polen verbringt, aber am 16. Juli zu seiner Premiere herkommt.226 Ich wäre froh ihn hier bei uns wohnen zu haben, da Du aber meinen Platzmangel kennst, weißt Du, daß nur er allein hier wohnen könnte. Ich möchte es aber gerne bald von Dir wissen. Der 16. ist reichlich spät, die Premiere ist am 18. und Ernst hätte, wenn er früher gekommen wäre, vieles verbessern können. Schreibe mir, was ich Dir von hier schicken könnte – alles was Dir Freude macht. Es ist zu dumm, daß man immer nur was Wichtiges zu schreiben hat, wenn gerade niemand fährt. Hanns hat viel abgenommen, alle Anzüge sind viel zu groß, er sieht sehr gut aus. […] Hildchen, Liebstes ich umarme Dich sehr – Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript auf persönlichem Briefpapier von Louise Eisler, Umschlag offenbar nicht erhalten.
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Louise Eisler wollte die Wohnung in Wien weiter als Hauptmieterin behalten und daher verhindern, daß der Vermieter (Oberst Lumbe) aus dem Abtransport des Klaviers den (an sich richtigen) Schluß zieht, daß die Eislers nicht mehr beabsichtigten, ihren Wohnsitz bald wieder in Wien zu nehmen. Der gesamte Absatz findet sich auf einem separaten Blatt in Louise Eislers Handschrift. Das Mietklavier in der Schönburggasse 11, siehe Anm. 223. Ernst Fischer reiste zur deutschen Erstaufführung seines Stückes Der große Verrat nach Ost-Berlin.
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31 / Louise Eisler an Hilde Glück, 13. Juli 1950 13. Juli. Liebstes Hildchen, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Ich glaube doch vor allem [damit,] Dir für Deine lieben Grüße zu danken und all das Liebe. Die Briefe sind alle angekommen, sehr verspätet allerdings. Deine Karten gehen noch am raschesten. Leider ist noch keinerlei Gepäck angekommen, das Du mir ankündigst. Auch den Brief erhielt ich nicht direkt, sondern durch komplizierte Umwege, daher glaube ich, ist es besser durch die gewöhnliche Post, ausser es kommen Freunde. […] Habe keine Sorgen wegen Hanns Noten, ich habe gerade einen Brief aus Philadelphia von der Musikbibliothek, wo die Noten liegen, die schreiben, es wird noch längere Zeit dauern bis die Noten kommen können.227 Bis Oktober kann mit der Photokopie gar nicht angefangen werden und von dann an kommen sie in kleinen Packeten. Daher werde ich ihm schreiben, dass er sie entweder direkt hierher schickt, falls das möglich oder an Dich direkt. Zu dumm! So sind Leute mit Sachen, außer Dir, wenn Du was übernimmst, klappt es eben. […] Übrigens besteht die Gefahr, dass Erwin [Ratz] gerade verreist ist, wenn ich nach Wien komme und da ich zu dieser Zeit hauptsächlich der Noten wegen komme, müsstest Du ihm auf geschickte Weise doch begreiflich machen, dass ich um diese Zeit gerade nur, sonst nicht, Gelegenheit zum Befördern habe und deshalb die Sachen am besten gleich bei Dir sind, damit er nicht soviel Mühe auf einmal hat, es wäre doch leichter, es nach und nach zu machen, so dass Du immer einen Stoß mitnimmst, den Du gleich verpackst oder so etwas.228 Bitte gib aber womöglich jetzt nur das Nötigste für uns aus, denn ich habe es jetzt nicht, die Ausgaben haben sich zu sehr angehäuft. Da ich annehme dass Lumbe ja doch nicht aufs Ungewisse die Wohnung wird mir geben wollen, werde ich sie ja doch aufgeben müssen und so wird nicht viel aus Wiener Besuchen werden. […] Es wäre ganz leicht, Hanns für einen Besuch nach Wien zu bringen, nämlich wenn es dort für ihn eine Arbeit gibt oder eine seiner Arbeiten, der grösseren meine ich, aufgeführt würde. Würde z. B. seine Goethesymphonie von Crips229 oder einem der anderen Kapellmeister in einem guten Konzert gespielt, so würde er sicher kommen. (die Partitur hat Hanns zum Geburtstag an Ernst [Fischer] geschickt, er hat sie) oder auch zu einer Inszenierung eines Stückes an die Scala. 230 Natürlich wäre dann noch wichtig, dass es gerade in eine Zeit fällt wo er leichter weg kann, weil er dann länger bleiben könnte, z. B. [in] den Weihnachtsferien der Akademie und des Konservatoriums, wo er ja ab Herbst unterrichten muss.231 – – – Seine neue Kanta227 228 229 230 231
Siehe Anm. 151 und 160. Wie auch aus Brief Nr. 40 hervorgeht, bestand zwischen Eisler und Ratz zu diesem Zeitpunkt Uneinigkeit über den Verbleib der bei Ratz gelagerten autographen Partituren Eislers. Siehe auch Anm. 202. Gemeint ist der Dirigent Josef Krips. Zur „Goethesymphonie“ siehe Anm. 129. Siehe Anm. 64. Eisler hatte seit Mai 1950 eine Professur für Komposition am „Staatlichen Konservatorium Berlin“ (der heutigen Hochschule für Musik „Hanns Eisler“) inne, offenbar unterrichtete er aber erst am Herbst 1950. Auch die Kompositions-Meisterklasse an der Akademie der Künste nahm erst im Herbst 1950 die Arbeit auf.
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te wird am 23. uraufgeführt,232 es ist ein grossartiges Stück, die näheren Umstände muss Dir dann jemand berichten, der hier war und zurückkommt, z. B. Ernst [Fischer]. Ich bin im Moment auch nicht guter Laune, ich war schrecklich beschäftigt und abgehetzt mit geselligem Leben und kam mit der Arbeit nicht vorwärts und jetzt kommt Ahrenshoop, wo ich daran nicht arbeiten kann, weil ich ja nicht alles mitschleppen kann, und nachher Wien und mein Verlag wollte dass ich im August abliefere und nun wird es November oder Dezember.233 Das ist schrecklich und deshalb bin ich sehr grantig. […] Ich beneide Dich um Deine Friedensrat-Arbeit,234 denn das ist im Moment ja doch das wichtigste auf der Welt!!! Ich wüsste nichts, was sinnvoller wäre. Um nur einiges anzuführen von meinen Abhaltungen, hier waren: der Schriftstellerkongress, der Kongress der Wissenschaftler, jetzt kommt das Stück vom Ernst um das ich mich kümmern muss (obwohl das leider dadurch die Aufführung nicht besser macht und ausser [Wolfgang] Heinz grässliche Schauspieler auftreten und W[olfgang] L[anghoff] nicht sehr viel Talent zeigt, aber behalte das bis nach der Premiere bei Dir)235 Dann kommen die Bachfestspiele in Leipzig,236 man muss sich um die musikalischen Delegationen kümmern (Schostakowitsch kommt u. a.) und nachher erst am 30. [Juli] fahren wir nach Ahrenshoop. Mittlerweile regnet es durch mein Wohnzimmer, eine ganz grosse teure Reparatur muss gemacht werden, Handwerker gerufen, jeden Tag ist was los. […]. H[anns] hatte es ganz gut in letzter Zeit, er hat zwar immer zu tun, aber doch so viel Zeit, dass er langsam komponieren konnte und nicht in Hast und so ist es gut für ihn. Ich muss heute auch noch zu einer Affaire in die Akademie der Künste, wo [Ernst] Busch für die Wissenschaftler Lieder von Hanns zu Texten von Brecht und Becher singt. Jetzt muss ich mich umziehen und werde den Brief erst später weiterschreiben. Einen Tag später: Soeben höre ich, dass wir leider eine ziemlich anstrengende Zeit vor uns haben. Es sind gerade zwei Ereignisse zur selben Zeit, ein Kongress Anfang nächster Woche und das Bachfest in Leipzig.237 Hanns muss sich um die ausländischen Musiker kümmern, die kommen, aus der Sowjetunion238 kommt Montag eine grosse Delegation mit Sostakowitsch und 22 anderen, so auch aus anderen Ländern. Inzwischen Proben von der Kantate239 und am 24. müssen wir nach Leipzig und dann wenn wir zurückkommen gleich nach Ahrenshoop, morgen abend kommt Ernst [Fischer] mit
232 233 234 235 236 237 238 239
Siehe Anm. 181. Siehe Anm. 30. In der Quelle: FR.Arbeit. Siehe Anm. 94. Siehe Anm. 182. Am 28. Juli 1950 wurde der 200. Todestages Johann Sebastian Bachs begangen. Siehe Anm. 236. In der Quelle: SU. Siehe Anm. 181.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Familie und da ist noch seine Premiere dazwischen.240 Zum Arbeiten werde ich also kaum noch kommen.241 Ist das Klavier zurückgegeben?242 […] Wo ist der Koffer mit Sachen die Du schicktest, ich habe nichts bekommen. Schreibe sehr bald wieder. Alles Liebe von uns, viele Umarmungen. Es war grosse Freude über den Anruf. Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen, Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 14. 7. 50; Poststempel Wien: 19. VII. 50.
32 / Hilde Glück an Louise Eisler, 18. August 1950 Freitag, 18ter August Liebstes Louchen, […] Heut früh kam Dein [Brief] vom 11. August.243 Ich bin glücklich, dass Ihr es dort so schön habt und Euch dort so wohl fühlt!!! Komm daher bitte nicht jetzt schon, sondern erst im Oktober, auch weil ich sehr hoffe, die zweite Hälfte September doch mit Franz in Gilgen244 zu sein und nichts von der Zeit, die Du hier bist, versäumen möchte. Denn Du wirst sehr viel zu tun haben, wobei ich Dir sicher, so weit es mit meiner Zeit geht, helfen kann. Auch möchte ich unbedingt richtig Zeit haben, um vieles mit Dir in Ruhe zu besprechen. Ich bin sehr verzweifelt, zu hören, dass Deine Sachen nicht angekommen sind. Es ist uns allen ein Rätsel. Ich rief sofort nach Deinem Brief bei Kessler an.245 Er ist nicht in Wien, die Sekretärin sagte mir, die Sachen seien (was ich ja wusste) vor vier Wochen von einem ihrer Herrn mitgenommen worden, er sei inzwischen längst wieder zurück gewesen, hätte nichts davon gesagt, sei aber leider vorgestern von hier aus auf Urlaub gefahren, dass sie ihn nicht sofort fragen konnte, sondern gleich zu schreiben und nach erfolgter Antwort mich sofort anzurufen versprach. Es ist zum Verzweifeln, dass man selbst sich präzis bemühen kann wie man will und dann die andern immer so unverlässlich sind. Das ist der Grund, warum ich wirklich froh sein werde, wenn Ihr Eure Sachen endlich bei Euch haben werdet – nicht, weil ich mich nicht gern damit bemühe. […] Ernst [Fischer], der Samstag hätte kommen sollen, ist noch nicht zurück, weil der arme sich eine Rippe (oder mehrere) gebrochen hat, bezw. wurden sie ihm gebrochen als ein schweres Brett umfiel auf ihn zu. Genaueres weiss ich nicht. Er soll aber trotzdem schon in den allernächsten Tagen 240 241 242 243 244 245
Siehe Anm. 182. Siehe Anm. 30. Siehe Anm. 225. Der erwähnte Brief, den Louise Eisler offenbar am 11. August 1950 vom Urlaubsort Ahrenshoop an Hilde Glück richtete, scheint nicht erhalten zu sein. Siehe Anm. 147. Hilde Glück hatte versucht, über die Intrac (siehe Anm. 17) Gepäck an die Eislers zu schicken, das diese jedoch nicht mehr vor ihrem Urlaub erreichte.
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kommen. Dann schreib ich Dir Genaueres falls er es nicht selbst tut. Ich glaube leider, dass ihn so viel Arbeit und Tätigkeit hier erwartet, dass er kaum Zeit haben wird in absehbarer Zeit wieder nach Berlin zu kommen. – Erwin [Ratz] anzurufen, konnte ich mich in den zwei Tagen noch nicht entschliessen.246 Wahrscheinlich aber ist er überhaupt noch in Tirol. – […] Leider kann ich mit Krips im Augenblick gar nichts machen.247 Er ist zwar wirklich, seit ich ihn kenne und gut kenne,248 immer nicht nur überpolitisch, sondern völlig unpolitisch in jeder Beziehung gewesen und nur wirklich ein anständiger Mensch. Aber gerade deswegen kann man ihn mit keiner Intrigue packen und versucht ihn jetzt von seiner Konkurrenz aus damit unmöglich zu machen und am Auftreten in den Weststaaten zu hindern, dass man lanciert, er habe den Stockholmer Aufruf unterschrieben,249 worauf ihm gesagt wird, er habe sich damit selbst aus dem „westlichen Kulturkreis“ ausgeschlossen. Tatsache aber ist, dass er den Aufruf nicht unterschrieben und sich auch sonst in keiner Weise öffentlich geäussert hat. Er ist wirklich nur ein Besessener seiner Arbeit und will sonst von nichts etwas wissen. Man könnte sogar bei Leuten seiner Art die Frage aufwerfen, ob nicht ein Künstler heute die Verpflichtung hätte, sich auch politisch irgendwie einzustellen. Er aber tat und tut es wirklich nicht. Da er aber im Augenblick nach allen Seiten hin die grössten Schwierigkeiten hat und von überall gedrängt wird und ganz mit seinen Nerven fertig ist, halte ich es für ausgeschlossen, dass er etwas von Hanns aufführen wird, weil es in diesem Augenblick wirklich nicht einem Einsetzen für Hanns’ Musik, sondern einer Demonstration gleichkäme, die er sicher nicht wollen würde. […] Ich will mich aber um alle Möglichkeiten umschaun und bemühn, nur müsste ich dazu wissen, wann Hanns eigentlich seine Winterferien hat. Schreib mir das doch bitte möglichst bald. – Dann bitte lies jedesmal vor dem Abschicken die Adresse aufmerksam und genau durch. Du hast wieder eine falsche Hausnummer geschrieben, es ist die 140!!! Die Briefe wandern nämlich immer tagelang herum, im besten Fall. Ist es dem Postboten zu fad herumzuforschen, so wirft er’s womöglich einfach fort. Also bitte achtgeben! – […] Erholt Euch weiter, geliebte Beide, und fühlt Euch weiter so wohl!! Ich denk sehr, sehr oft daran, wie schön es wäre, einmal dort in Eurem Häuschen aufwachen und einen Tag mit Euch verbringen zu können. – Was arbeitet Hanns? Wann muss er wieder in Berlin sein? Es ist schön zu wissen, dass Du in absehbarer Zeit kommst –
246 247 248 249
Siehe Anm. 228. Siehe Anm. 229. In der Quelle fehlen die beiden Kommas. Der vom Ständigen Komitee des Weltfriedenskongresses aufgesetzte „Stockholmer Appell“ (Stockholm Appeal) vom 19. März 1950 setzte sich für ein generelles Verbot und die weltweite Ächtung von Atomwaffen ein. In vielen Ländern außerhalb des Ostblocks mußten Unterstützer des Aufrufs allerdings ihrerseits mit politischer Ächtung rechnen, insbesondere nachdem im Sommer 1950 die Sowjetunion offen für die Unterzeichnung des Appells als ein Mittel gegen die Bewaffnung Westeuropas eintrat. Der Appell war ursprünglich allgemein gegen das einsetzende atomare Wettrüsten gerichtet: Im August 1949 hatte die Sowjetunion einen ersten Atombombentest gezündet, die Vereinigten Staaten hatten im Jänner 1950 den Bau der sogenannten Wasserstoffbombe bekanntgegeben.
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mach Dich dann auf hunderttausend Fragen gefasst. Inzwischen alles, alles Liebe und Gute Euch allen Beiden! Könnte ich nicht doch Hanns’ Noten schon jetzt verpacken und befördern lassen, wenn er sie gerne schon hätte? Ich tät es gern. Bitte Nachricht darüber. Unter dieser Bedingung könnte ich sie auch Erwin [Ratz] wegnehmen.250 Kann ich mir irgendwas Kleines davon dabehalten? z. B.das Manuskript von einem Hollywoodlied, das ich besonders liebe und neulich beim Septettsuchen fand?251 Von selbst bekomme ich ja doch nie etwas – – – […] Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Zusatz (= letzter Absatz).
33 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, Anfang Oktober 1950 Nur einen eiligen „Sehnsuchtsgruss“, geliebte Beide! Jetzt bin ich wieder ganz „verlassen“ – und wer weiss für wie lange.252 Ich sammel alle Endchen von Hoffnung zusammen und web daraus ein grosses Tuch – aber alles nur „im Geist“, und auf die Dauer kommt man ohne Realität doch nicht aus. […] – Hoffentlich bist Du sehr gut gereist, Louchen, und hast Hanns gut angetroffen. Ich wart schon sehr auf Nachricht darüber. Bei mir gibt’s nichts Neues. Bin nach den 14 Tagen herrlicher Faulenzerei nun wieder sehr „busy“, was sehr notwendig ist. Hab zwei ganze Tage im Garten gearbeitet, um ihn endlich wieder in Ordnung zu haben. Nun ist alles Dürre und alle Schlamperei fort und er sieht reizend aus mit den bunten Blumen vor dem jetzt gelbrot werdenden wilden Wein. Schade, dass Du ihn nicht mehr so gesehen hast. Dann bin ich jetzt wieder täglich stundenlang im Friedensrat, da sich die versäumte Arbeit der 14 Tage schon aufgestaut hatte. Weggefahren sind wir bis jetzt nicht, weil’s fort regnet. Aber immer noch besteht der Plan. […] Kennt Ihr Pelle der Eroberer von Andersen Nexö?253 Habs heute nacht ausgelesen – ein grossartiges Buch. Nach 40 Jahren leider noch immer allzu aktuell. Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Manuskript.
34 / Louise Eisler an Hilde Glück, Anfang Oktober 1950 Dienstag. Mein liebstes Hilderl, in Eile ein paar Zeilen. […] Hansi [Löffler] hat mir zwei Bücher nicht zurück gebracht, die sie gegen meinen Willen ausgeliehen hat.254 Eines
250 251 252
253
Siehe Anm. 228. Gemeint ist vermutlich ein Lied aus Eislers Hollywooder Liederbuch. Zum Septett siehe Brief Nr. 26. Louise Eisler war Ende September nach Wien gereist, um die restlichen in der untervermieteten Wohnung Schönburggasse 11 zwischengelagerten Besitztümer der Eislers mit Hilfe einer Spedition nach Berlin zu verfrachten. Der Roman Pelle der Eroberer von Martin Andersen Nexö.
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davon, ein Buch der Nationalbibliothek255 ist schon längst urgiert: Künstlerbriefe, das andere den „Zauberberg“ las ich gerade. Ich habe ihr telegrafiert, also wenn sie sich bis zum Erhalt dieses Briefes nicht bei Dir gemeldet hat, so bitte nimm ihr die Bücher weg und schicke sie mit den Noten auf dem schnellsten Weg, falls Axel [Leskoschek] nicht fährt, was man nicht weiß, vielleicht mit Herrn Dwořak, Gußhausstr. 30, Garage.256 Paryla weiß die Nummer oder durch die Intrac.257 Hanns will nicht, daß Erwin [Ratz] Noten, Platten, Fotos zurückbekommt, aber das wird er Dir selbst schreiben.258 Bitte rufe den Spediteur an,259 ob schon alles weg ist und wenn nicht, frage nach dem Grund der es zurückhält und urgiere es sehr. Es soll lieber an der Grenze warten aber jedenfalls weg. Ich glaube der Grund warum es so lange dauert ist, daß sie keinen Spediteur haben der es in diesen Teil befördert, ich meine einen deutschen Spediteur. Warum habe ich nicht daran gedacht, als ich da war! Sonst hätte ich ihnen durch den Spediteur der Intrac260 jemanden hier verschafft. Würdest Du, falls es das ist was nicht klappt, es eventuell erledigen, wenn Du Paul Kessler oder jemanden anderen dort um die Adresse ihrer Spediteure hierher ersuchst und die sollen dann ihren hiesigen Spediteur nennen. […] Wie sind die Aussichten eines Wiedersehens? Sobald Ihr etwas wißt, müßtet Ihr telegrafieren und uns beide einladen, man braucht etwas Zeit so etwas zu organisieren. Und wie gesagt Hanns braucht einen Auftrag. Das Fr[iedens]-Lied, das er mit Ernst [Fischer] geschrieben hat,261 wird hier von Tausenden gesungen und ist sehr bekannt. Du müßtest mit Energie dahinter sein, daß Marcel [Rubin] es dort nicht unterdrücken kann,262 sondern verlangen daß es zum Kongress263 [als] Ouvertüre vielleicht gebracht wird und Hanns es dirigiert. Was die Auslastung dieses Liedes bei der jetzigen Drucklegung betrifft, sprich darüber mit Ruth [Fischer]. 254
255 256 257 258 259 260 261 262
263
Offenbar hatte Louise Eisler bei ihrem kurzen Besuch Ende September (siehe Anm. 252) zwei aus der Ost-Berliner Staatsbibliothek entliehene Bücher nach Wien mitgenommen, die nun dort verblieben waren. Gemeint ist vermutlich die Staatsbibliothek in Ost-Berlin. Wie aus weiteren Erwähnungen im vorliegenden Briefwechsel hervorgeht, handelt es sich um einen Kurierfahrer im Auftrag der sowjetisch kontrollierten Wien-Film am Rosenhügel (siehe Anm. 393). Siehe Anm. 17. Siehe Anm. 202 und 228. Siehe Anm. 252. Siehe Anm. 17. Siehe Anm. 117. Offenbar fürchtete Louise Eisler, Marcel Rubin werde versuchen, eine Aufführung von Eislers Musik auf dem bevorstehenden Friedenskongreß zu verhindern. Zu einer offenen Kontroverse zwischen Eisler und Rubin kam es 1955 in der österreichischen Zeitschrift Tagebuch: Auf Hanns Eislers zuerst in der Zeitschrift Sinn und Form veröffentlichten Text „Arnold Schönberg“ folgten kontroverse Beiträge von Marcel Rubin, Karl Heinz Füssl und Kurt Blaukopf. Siehe Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948–1962 (= Gesammelte Werke [EGW], Serie III, Band 2), Leipzig 1982, S. 330 und 333, sowie den Beitrag von Hartmut Krones in vorliegendem Band. Der „Zweiten Weltkongresses der Kämpfer für den Frieden“ sollte im November 1950 in Sheffield stattfinden. Als absehbar war, daß die britische Regierung mehreren prominenten Delegierten aus dem Ostblock kein Einreisevisum erteilen würde, standen andere Austragungsorte zur Diskussion, offenbar zeitweise auch Wien. Am Ende fand der Kongreß in Warschau statt. Siehe auch Anm. 363.
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Du siehst also, ich versorge Dich schon wieder mit Aufträgen. So wird es wohl bleiben. […] Schreibe sofort per Post express. Es war große Freude über Deinen Brief und überhaupt über Dich. Aber natürlich sollte so etwas nicht eindämmern. Wegen Wolfgang konnte ich noch nichts tun, da Helly [Weigel] nicht hier ist. Sobald sie ankommt, werde ich es tun.264 […] Ich schreibe sofort wieder, wenn ich mehr Ruhe habe. Es liebt Dich Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript; Kuvert aus Hanns Eislers persönlichem Briefpapier mit Aufschrift Hilde Glück (Handschrift Louise Eisler), ohne Adresse oder Absender; im Archiv versehentlich in die Mappe „Jänner 1951“ eingeordnet.
35 / Hanns Eisler an Hilde Glück, Anfang Oktober 1950 Liebe Hilde! Vielen Dank für Deinen Brief und die Hilfe die Du der Lou geleistet hast. Du kannst Dir denken wie dankbar ein um das Schicksal seiner Arbeiten beunruhigter Komponist ist. Für heute nur soviel: bitte gib auf keinen Fall Erwin [Ratz] irgendwelche Noten oder Platten oder Filme zurück.265 Das ist sehr wichtig. Ich will auf keinen Fall das haben. Bitte behalte alle Noten, Platten, Filme.266 Nun habe ich noch eine große Bitte: Mir fehlt bei der ersten Durchsicht folgendes: 1. Kammersymphonie; 2. Streichquartett; 3. Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben; 4. Variationen für Klavier. Bitte sieh doch unter den bei Dir liegenden Noten nach ob Du das findest.267 Eventuell könntest Du das mit Leskoscheks268 zu mir nach Berlin schicken. Ich bin momentan, wie immer, ein miserabler Briefschreiber. Diese Woche fange ich zu unterrichten an.269 Hoffentlich kann ich meine Schüler etwas vorwärtsbringen. Ich habe im Sommer eine Reihe Arbeiten gemacht. Darunter ein Kinderoratorium: „Die Erziehung der Hirse“.270 Jetzt kommt die Arbeit das alles aufzuführen. Das ist sehr mühevoll. Zuerst kommt die vergrößerte Fassung der Kantate 1950;271 dann Galileo;272 dann die „[Erziehung 264 265 266 267 268 269
270 271 272
Siehe Anm. 23. Siehe Anm. 202 und 228. Wie aus Brief Nr. 22 hervorgeht befand sich seit Juni 1950 eine Kopie des DEFA-Films Der Rat der Götter mit Eislers Musik in Wien. Siehe auch Anm. 57 und 153. Zu den bei Franz und Hilde Glück zwischengelagerten Noten Hanns Eislers siehe das Interview mit Prof. Wolfgang Glück im vorliegenden Band. In der Quelle: Leskoscheck’s. Anfang Oktober 1950 begann Eisler mit dem Unterricht am „Staatlichen Konservatorium Berlin“ und in seiner Meisterklasse an der Akademie der Künste. Eisler war seit März 1950 Mitglied der Akademie der Künste und seit Mai 1950 Professor für Komposition am Konservatorium. Zu diesem Projekt scheinen keine Notenskizzen Eislers überliefert zu sein. 1952 vertonte Paul Dessau Brechts Text. Siehe Anm. 181. Siehe Anm. 290.
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der] Hirse“.273 Schließlich ein Band (ca 20) Kinderlieder;274 und eine neue Serie Volkslieder.275 Sobald das alles unter Dach und Fach ist und zum Druck befördert wird, kann ich (hoffentlich) an eine neue größere Arbeit gehen. Vielleicht mache ich den „Orpheus“.276 Laß bald wieder von Dir hören. Und überhetze und überarbeite Dich nicht. Besonders herzlichst Dein alter Hanns P.S: Also noch einmal: nichts von meinen Sachen dem Erwin [Ratz] zurückgeben!! Ich hoffe Dich bald zu sehen!! Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript auf Briefpapier von Hanns Eisler; Kuvert von Louise Eisler handschr. adressiert an Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: [unleserlich]. 10. 50; Poststempel Wien: 6. X. 1950.
36 / Louise Eisler an Hilde Glück, 11. Oktober 1950 11. Oktober. Liebste. Dein Brieflein war eine grosse Freude. Leider weiss man hier nichts über Wien, und ich wäre froh einen vernünftigen Bericht zu bekommen. Seitdem ich zurück bin ist vorläufig alles in Ordnung mit H[anns]. Wer aber weiss wielange?277 Es bedeutet für mich, dass ich ständig dabei sein muss, wenn er weg geht, ihn vom Konservtorium und Akademie abholen, viel herumwarten und viel Zeit versäumen, aber alles lieber, als das andere. Aber ich bin jetzt jede freie Minute dabei das Schlussediting für mein Buch zu machen,278 und habe als allerletztes Datum meinem Verleger den 20. Dezember genannt, jetzt sehe ich erst, wie viel noch zu tun ist, da ich 120 verschiedene Autoren Briefschreiber habe, die alle eine Biografie brauchen und deren Briefe nochmals genau sortiert werden müssen, ausserdem brauche ich noch fast das ganze Bildmaterial, das ich noch heraussuchen muss. Wie steht es mit Wien? Weiss man schon ob es stattfindet?279 Wenn ja, ist der Hanns sicher nur dann bereit zu fahren, wenn er eine wirkliche Aufgabe, wie das komponieren und einstudieren eine Ouvertüre oder so hat, und ich fürchte, das Marcel [Rubin] so etwas leicht verhindern kann.280 – – – […] Dass Hanns den ersten Nationalpreis bekommen hat,281 wirst Du ja gelesen haben, davon müssen wir uns sofort einen Wagen kaufen, denn den anderen, der übrigens kaum mehr
273 274 275 276 277 278 279 280 281
Siehe Anm. 270. Siehe Anm. 54. Die zweite Serie der Neuen Deutschen Volkslider, siehe Anm. 34. Zu diesem Projekt liegt lediglich ein Szenenaufriß „Diskussion der Euminiden“ in Eislers Handschrift vor (AdK Berlin, HEA 1993). Siehe Anm. 110. Siehe Anm. 30. Siehe Anm. 263. Siehe Anm. 262. Am 7. Oktober 1950 erhielten Hanns Eisler und Johannes R. Becher für die Nationalhymne der DDR den Nationalpreis 1. Klasse der DDR.
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kreucht, müssen wir gleich zurückgeben.282 Aber immerhin, war es eine Ehrung. Ich bekam einen Brief vom Spediteur, aber leider nicht, ob die Sachen weggegangen sind,283 wenn Du Zeit hast, bitte frage danach, solange es nicht weg ist, kann immer noch was dazwischenkommen. Heute hab ich für das Wohn- und Arbeitszimmer vom Hanns einen Notenschrank bestellt, der wird hoffentlich in vierzehn Tagen fertig sein, auch habe ich zwei neue grosse Bücherregale, die er mir während des Sommers gemacht hat,284 weil unser Bücherbesitz sich so vergrössert hat. Natürlich kenne ich Pelle, den Eroberer,285 und es hat mir als ich es wieder las ebenso gefallen wie Dir. Nexö kommt übrigens zu der Inter[nationalen] Fr[iedens-]K[onferenz]. So wirst Du ihn also wiedersehen, wenn er in Wien ist.286 Morgen muss ich anfangen, alle Schulden zu zahlen, die sich angesammelt haben, es sind grosse und viele, noch alle Haus und Möbelschulden, ich hatte eine sehr grosse Reparatur, da es durch den Balkon in das Wohnzimmer regnete, der ganze Balkon musste neu gemacht werden, u.s.w. Das ist ein sehr prosaischer, dummer Brief, ich erzähle Dir halt in Eile die Tagesereignisse. Es gibt paar sehr hübsche neue Platten,287 die ich Dir alle sofort schicke, wenn ich weiss, dass jemand von hier fährt. Du wirst viel Spass mit den Platten haben. H[anns] will nicht, dass der Erwin [Ratz] Noten hat,288 aber ich werde ihm den Regen doch schicken.289 Liebste, wir alle haben größte Sehnsucht nach Dir. Schreibe gleich Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 11. 10. 50; Poststempel Wien: 14. X. 1950.
282 283 284 285 286 287 288 289
Siehe Anm. 120. Siehe Anm. 252. Gemeint ist vermutlich der Tischler, der nun auch mit dem Notenschrank beauftragt wurde. Siehe Anm. 253. Da der Kongreß am Ende nicht in Wien, sondern in Warschau stattfand, zerschlug sich dieser Hinweis, siehe Anm. 263. U. a. Schallplatten mit den Neuen deutschen Volksliedern von Eisler und Becher, siehe Anm. 34. Siehe Anm. 202 und 228. Vermutlich für eine von Herbert Häfner geplante Aufführung von Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, für die Ratz das Stimmenmaterial zusammenstellen wollte. Wie aus Brief Nr. 41 hervorzugehen scheint, soll Herbert Häfner kurz darauf in Besitz der Partitur gewesen sein (vgl. dagegen Briefe Nr. 44 und 45). Da der Konflikt zwischen Eisler und der österreichischen Sektion der IGNM eskalierte (siehe Briefe Nr. 43 und 45), kam es zu keiner Aufführung in Wien.
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37 / Louise Eisler an Hilde Glück, 15. Oktober 1950 Berlin, 15. Okt Liebste, seit Ewigkeiten keine Nachricht von Dir, nur dieser erste Brief. Warum? Ich höre nichts von und über Wien. […] Br[echt] scheint „Galilei“ jetzt nicht zu machen,290 vielleicht ist es am besten, wenn Wolfgang erst mit Berthold kommt.291 […] Durch die Ruhe arbeite ich im Augenblick sehr gut. H[anns] ruht viel aus, hat aber 2 × die Woche Konservatorium: Harmonielehreunterricht und 2 × Akademie Kompositionsschüler,292 außerdem oft Plattenaufnahmen und hätte noch viel Arbeit aufzuarbeiten, bevor er eine neue Arbeit beginnt. Er liest viel und komponiert wenig im Moment. […] Ich habe seitdem ich zurück bin absichtlich durch Diät und Turnen 6 Pfund abgenommen, Hanns der in meiner Abwesenheit zugenommen hatte, nimmt auch wieder ab. Jedenfalls ist mein Bauch eingeschrumpft. […] Morgen ist wieder Gramophonaufnahme, Hanns nimmt seinen „Schatzgräber“293 mit einem ganz guten Bariton auf – – Du fehlst mir! Überhaupt: „Nur wer die Sehnsucht kennt – – Schreibe zumindest ausführlich Innigst Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Manuskript auf orangefarbenem Luftpostpapier; Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich ; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 14. 10. 50; Poststempel Wien: 18[?]. X. 1950.
38 / Louise Eisler an Hilde Glück, 17. Oktober 1950 17 Oktober Meine liebste Hilde, jetzt beginne ich aber wirklich sehr besorgt zu sein. Es vergehen Wochen, ohne Nachricht von Dir. Ich habe Dir nun mindestens viermal geschrieben und überhaupt keine Nachricht, wenn das noch ein paar Tage so weiter geht, musst Du mir auf meine Kosten telegrafieren, denn ich bin wirklich sehr besorgt. Bei uns sonst nichts Neues. Im Moment führen wir ein recht ruhiges Leben. Br[echt] macht den „Galilei“ jetzt nicht.294 […] Hier ist es sehr herbstlich, schon fast winterlich. Für meine Arbeit im Moment ein ganz gutes Wetter. Ich bin ganz in Bücher vergraben.295 Hanns ruht sich jetzt ein bisschen aus vom Komponieren, unterrichtet aber zweimal in der Woche in der
290
291 292 293 294 295
Bertolt Brecht hatte ursprünglich geplant, sein 1947 in Los Angeles in englischer Fassung uraufgeführtes Stück Leben des Galilei mit der Musik von Hanns Eisler Ende 1950 mit dem Berliner Ensemble zu inszenieren. Siehe aber Brief 38. Wolfgang Glück war als Assistent von Berthold Viertel tätig. Siehe auch Anm. 23. Siehe Anm. 269. Hanns Eislers Lied Der Schatzgräber nach dem gleichnamigen Gedicht von Goethe, entstanden um 1944 im amerikanischen Exil. Solist der Aufnahme war der Bariton Horst Rosenberg. Siehe Anm. 290. Siehe Anm. 30.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Hochschule Harmonie, und zweimal die Woche Meisterklasse Komposition in der Akademie.296 Das dauert auch jedesmal mehrere Stunden. […] Vor allem aber möchte ich einen sehr genauen Bericht wie es Dir geht, was Du machst, denkst und fühlst. Schreibe doch bitte sofort, liebste Hilde. Es umarmt Dich Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 17. 10. 50; Poststempel Wien unleserlich.
39 / Louise Eisler an Hilde Glück, 20. Oktober 1950 20 Okt Liebes Hildchen, endlich kam Dein langersehnter Brief. Ich wollte schon fast telegrafieren, was mit Dir los ist, denn ich hatte seit Deinem ersten Brief, den Du sofort nach meiner Abreise geschrieben hast, überhaupt keine Nachricht, auch keinen Interims-Brief und da ich aus Wien überhaupt nichts höre, bin ich sehr besorgt gewesen. Man sollte sich doch zumindest jede zweite Woche schrieben. Es ist zu dumm, dass die Sache nicht in Wien ist,297 natürlich hätte man da was organisieren können mit Hanns – – ich denke übrigens, dass er jetzt auch Sehnsuchtsgefühle hat. […] „Galilei“ wird nicht gemacht,298 aber am 27. Okt. beginnen die Proben zur „Mutter“,299 von Hanns und Brecht […], das Stück soll am 5. Dezember herauskommen, man plant damit auch Gastspiele für das Frühjahr in Wien und dann könnten wir doch vielleicht alle kommen.300 […] Hanns schreibt gerade ein Weihnachtslied,301 das auf Platte aufgenommen wird, noch ist Weihnachten sehr weit von mir […]. Hast Du eigentlich alle meine Briefe bekommen? Ich schrieb 4-5. Immerhin halte ich Dich, oder versuche es wenigstens Dich über das Leben hier etwas am Laufenden zu halten. Ich wollte Du wüsstest mehr über meine Freunde, wenn ich da was hören würde, wärs mir auch sehr lieb. Das einzige was ich höre, ist merkwürdigerweise hier von allen Seiten, dass er eine Einladung hierher, hier Vorträge zu halten angenommen hat.302 Das höre ich von ganz verschiedenen Seiten 296 297 298 299
300 301
302
Siehe Anm. 269. Siehe Anm. 263. Siehe Anm. 290. Das Stück Die Mutter (nach dem Roman von Maxim Gorki) in der Bearbeitung von Brecht, Eisler, Weisenborn u. a. war im Jänner 1932 in Berlin uraufgeführt worden. Für die am 12. Jänner 1951 stattfindende Premiere des Berliner Ensembles wurde eine neu überarbeitete Fassung hergestellt. Eisler erweiterte aus diesem Anlaß seine Bühnenmusik hinsichtlich Umfang und Besetzung. Die Partitur ist publiziert in: Hanns Eisler, Lieder und Kantaten, Band 7, Bühnenmusik zu dem Schauspiel „Die Mutter“ nach Maxim Gorki von Bertolt Brecht, Leipzig 1963. Das für 1951 geplante Gastspiel des Berliner Ensembles mit dem Stück Die Mutter in Wien fand am Ende erst im Herbst 1953 statt. Eisler komponierte in diesen Tagen als Teil der „zweiten Serie“ der Neuen deutschen Volkslieder ein Weihnachtslied („Sei uns gegrüßt, du Weihnachtsbaum“) und ein Kinderlied zu Weihnachten („Es war einmal ein Tannenbaum“), beide auf Texte von Johannes R. Becher. Gemeint ist zweifellos Ernst Fischer.
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hier, aber das ist auch alles. Kannst Du nicht mal hören, was es Neues gibt. […] Liebste, bitte schreib regelmäßig. Ich werde Dir mit Leskosch[eks] sofort Platten schicken.303 Innigst Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript; Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 150 [sic] / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 20. 10. 50; Poststempel Wien: 28. X. 1950.
40 / Hanns und Louise Eisler an Hilde Glück, 24. Oktober 1950 Berlin, den 24. 10. 1950 Liebe Hilde! Ich danke Dir sehr für Deinen Brief. Es wäre zu dumm, wenn Erwin [Ratz] wegen meiner Noten Schwierigkeiten macht. Selbstverständlich kann er sich die Manuskripte vorläufig behalten, aber es muss doch möglich sein, wenigstens die Kopien von ihm heraus zu bekommen.304 So habe ich nicht einmal meine Klavier-Variationen und den „Regen“.305 Am Schluss des Briefs werde ich ihm einige Zeilen schreiben, bitte zeige sie ihm,306 vielleicht wird er es dann einsehen. Ich habe sehr viel zu tun, und das mit meiner chronischen Schreibfaulheit und einer Unmenge von Korrespondenz die ich wenigstens kurz erledigen muss, macht meinen Brief so kurz. Ich hoffe sehr, daß ich doch im Frühjahr nach Wien kommen kann, wenigstens auf ein paar Wochen.307 Momentan habe ich eine Menge Aufführungen vorzubereiten und das ist eine sehr mühselige und zeitraubende Arbeit. So habe ich die Kantate 1950 im Dezember,308 die „Mutter“ mit dem Berliner Ensemble im Dezember,309 nebst einer Unzahl Gramophonaufnahmen und anderen Kleinigkeiten. Dazu macht sich doch schon bemerkbar, daß mir der Unterricht an der Akademie und an der Hochschule eine Menge Zeit raubt. So geht es also, von einer Arbeit in die andere und die Laune wird nicht besser davon. Ich kann mir leicht denken, daß Du in ähnlicher Weise herumarbeitest. Hoffentlich möglichst erfolgreich. Wo steckt übrigens Wolfgang?310 Schreibe bald wieder, inzwischen die herzlichsten Grüße Dein Hanns 303 304 305 306 307 308 309 310
Schallplatten mit Aufnahmen von Kompositionen Hanns Eislers, u. a. mit den Neuen Deutschen Volksliedern und der Goethe-Vertonung Der Schatzgräber. Siehe Anm. 202 und 228. Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Diese Zeilen scheinen nicht erhalten. Sie befanden sich möglicherweise auf einem separaten Blatt. Hanns Eisler kam erst im Dezember 1952 wieder nach Wien. Siehe Anm. 181. Siehe Anm. 299. Eisler hatte damit gerechnet, daß Wolfgang Glück an den Mutter-Proben am Berliner Ensemble teilnehmen würde, siehe Anm. 23.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
[Handschr. Zusatz von Louise Eisler:] Liebstes Hildchen wie Du siehst haben wir eine Sekretärin – Sie macht Fehler, aber im Moment ist schon das eine Hilfe. – Bitte schicke doch durch Axel [Leskoschek] die Noten v. Hanns […] und ein Wiener Hess Kochbuch,311 das Du mir bitte auf meine Rechnung besorgst, liebe Hilde! Ich erfahre soeben, daß der Spediteur v. Westberlin den Dein Spediteur angab, keine Möglichkeit hat, die Sachen zu mir zu befördern312 – ich muß sie abholen und das geht auch wahrscheinlich nicht. Falls dieses Gepäck noch nicht weg ist – sollte es nicht über Passau, sondern andere Strecke313 gehen und die Information darüber wie das gemacht wird gibt Deinem Spediteur die Firma: Express G.M.B.H. Wien IV Wohllebeng. 18 – Falls es schon weg ist, soll es der Spediteur der es in Passau übernimmt statt an den angegebenen Spediteur Baumann in Berlin, den die Firma Neussen mir schrieb, falls es noch möglich ist an folgenden Spediteur geben: M. Rogall Berlin S.W. 68 Wassertorstr. 42 Und bitte lasse mich wissen, ob es überhaupt schon weg ist – Liebste, ich schreibe in furchtbarer Hetze – ich bin sehr überarbeitet, arbeite jede Nacht bis 2h um fertig zu werden mit dem Buch314 – es ist eine Riesenarbeit 120 sorgfältig in unserem Sinne gearbeitete Biographien auf je ungefähr 1 1/2 Seiten zu schreiben, nach meist sehr viel Tagen lesen. Auch habe ich nebenbei ständig Laufendes zu erledigen. Ich habe 15 Pfund abgenommen, seitdem ich zurück bin und wiege 100 Pf, mein Gewicht315 von vor drei Jahren. Das erstemal jetzt spricht H[anns] ernst davon, im Frühjahr nach Wien zu kommen,316 aber sicher nicht auf lange, man müßte alles für diese Zeit dort vorbereiten. Die Wohnungssache steht genau so, wie Du geschrieben hast. Lumbe gibt mir zwar die Wohnung, aber nur, wenn ich sie außer Engels an niemanden sonst weitervermiete, wenn ich nicht da bin. […] Ich möchte sie im Frühjahr furchtbar gerne haben, aber wie? Vorläufig haben sich ja Viertels auch noch nicht entschieden,317 bis es so weit ist, kann Liesl [Neumann-Viertel] ja mit Lumbe zu sprechen versuchen. Jetzt warte ich jedenfalls bis Ende Dezember, ohne auf die Wohnung zu verzichten, das soll auch Dein Standpunkt sein, den beiden gegenüber und vor Lumbe: daß wir im Frühjahr zurückkommen und dann [in Wien] bleiben wollen.318 Was macht Ernst [Fischer]? Er soll mir paar Zeilen schreiben, lasse ich ihm sagen. Liebste schreibe Du viel, und mir auch etwas 311
312 313 314 315 316 317 318
Vermutlich das klassische Kochbuch von Olga und Adolf F. Hess, Wiener Küche. Sammlung von Kochrezepten der Bildungsanstalt für Koch- und Haushaltungsschullehrerinnen und der Kochschule der Gast wirte in Wien, Wien, 1. Auflage 1913. Im Jahr 1950 erschien das Buch in 29. Auflage. Siehe Anm. 252. Die „andere Strecke“ führte über Prag. Siehe Anm. 30. In der Quelle vor Gewicht ein unleserliches Wort. Siehe Anm. 307. Siehe Anm. 114. Vermutlich handelt es sich hierbei um die taktische Sprachregelung in der Wiener Wohnungsfrage, nicht um die tatsächlichen Pläne der Eislers.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Sehr viel Liebes Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, von Hanns Eisler eigenhändig unterzeichnet, mit handschr. Zusatz von Louise Eisler; Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau / Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Haupt strasse 140 / Österreich; Absender: Lou Eisler / Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstrasse 9; Poststempel Berlin: 25. 10. 50; Poststempel Wien: 30. X. 1950.
41 / Louise Eisler an Hilde Glück, 26. Oktober 1950 Donnerstag, heute, meine liebste Hilde, sind unsere Briefe an Dich abgegangen, in diesem Moment kam Dein Brief samt Buch und Noten (von Herrn Wesseler, ein verläßlicher Mensch ausnahmsweise), und so schreib ich Dir rasch nochmals, um mich zu bedanken und Deine Fragen zu beantworten und Neues dazuzufügen. Ich schreibe meistens so wie auch heute in Eile, daher nur „substancials“, dadurch klingen meine Briefe sicher lieblos und hastig. Glaube mir, liebe Hilde, meine Gefühle für Dich sind sehr echte und sehr warme, blos auf diesen Luftpostkarten könnte ich sie nur dann ausdrücken, wenn es nicht so viel Praktisches zu schreiben und zu berichten gäbe. […] Die Regenpartitur hat Häfner,319 lasse sie Dir sofort von ihm geben und schicke sie bei nächster Gelegenheit, H[anns] braucht sie dringend. Natürlich zahle die I.G.N.M.!320 das habe ich doch noch Dir und Erwin [Ratz] gesagt, vor meiner Abreise. Leider hat sich Dworak nicht bei mir gemeldet und ich habe keine Ahnung, wie ich ihn erreichen könnte, sonst hätte ich die Platten mit ihm geschickt.321 So werde ich versuchen, sie mit den Int[rac] Leuten zu schicken,322 trotz Unverlässlichkeit. Warum kommt Axel [Leskoschek] nicht? Der Preis323 war nicht so hoch genug, dass was bleibt, wir müssen einen Wagen anschaffen und bekommen keinen sehr guten dafür, er wurde ja (der Preis) mit B[echer] geteilt.324 (Trotzdem sehr angenehm auch der Schulden wegen.) […] Hanns’ Notenschrank wird im Eck stehen, gegenüber vom Klavier, er hat jetzt ein sehr schönes ganz neues (neue Produktion) modernes Nußholzbabygrand, ein Pianino, das ihm genügt, einen guten Klang hat und ganz glatt und schön ist. Ein Klavier325 wäre nicht ins Eck gegangen und er hat nie eines gehabt und legt auch keinen Wert darauf. Bücherregal hinter der Coutch im Arbeitszimmer + bei uns oben. Hanns trägt immer zuhause und bei der Arbeit einen neuen Anzug aus Deinem geliebten Cord (Schnürlsamt), 319 320
321 322 323 324 325
Siehe Anm. 289. Hier geht es um Eislers ausstehenden Mitgliedsbeitrag bei der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Später erinnerte sich Louise Eisler nicht mehr an diese Aufforderung und warf Hilde Glück vor, sie habe den IGNM-Beitrag zu Unrecht bezahlt (siehe Brief Nr. 45). Zur weiteren Eskalation des Konflikts zwischen Hanns Eisler und der österreichischen IGNMSektion siehe die Briefe Nr. 43 und 45. Siehe Anm. 303. Zur Intrac siehe Anm. 17. Gemeint ist der Nationalpreis 1. Klasse der DDR, den Eisler am 7. Oktober 1950 erhalten hatte. Ein Nationalpreis 1. Klasse der DDR war üblicherweise mit 100.000 Mark dotiert, der zwischen den beiden Preisträgern geteilt werden mußte. Gemeint ist wohl: ein Flügel. Aus der im Hanns-Eisler-Archiv erhaltenen Korrespondenz geht hervor, daß zunächst ein Flügel geliefert werden wollte, wovon dann aber aus Platzgründen Abstand genommen wurde.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
dunkelbraune Hose, olivfarbene Jacke, er ist ziemlich schlank und vorläufig, seit ich zurück bin, noch nicht rückfällig geworden.326 Fortsetzung gleichzeitig abgeschickt.327 (Da wir jetzt eine Sekretärin bekommen, hoffe ich Hanns zu überreden, öfter zu schreiben.) Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Luftpostkarte handschr. von Louise Eisler adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße 140 / Österreich; Absender: BerlinNiederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 26. 10. 50.
42 / Louise Eisler an Hilde Glück, 26. Oktober 1950 (Postkarte) Donnerstag, Fortsetzung. Ich hoffe, dass jetzt keinerlei Ausgaben mehr kommen, denn ich möchte das bisschen Geld, das bei Dir ist, bis wir nach Wien kommen und eine Menge brauchen werden, aufbewahren. […] W[olfgang] soll unbedingt mit Berthold328 hierher reisen, das ist mein Rat. Und Helly [Weigel] schreiben, dass er es tut.329 Es ist gut für ihn und das ist das Wichtigste und er kann noch an den „Mutter“ Proben mittun, da das Stück erst am 5. Dezember kommt.330 Selbstverständlich bekommt er Arbeitserlaubnis, kein Problem. Ich habe mich schon erkundigt. Aber er soll jedenfalls Helly schreiben. […] Die Kantate331 wird irgendwann auch auf Platten aufgenommen werden und Du bekommst dann alle Platten. Es wäre schön, wenn Du was Verrücktes machen würdest, aber nur wenn Du nachher nicht dafür zu leiden hast. E[rnst Fischer] soll mir schreiben. Womit hat er denn jetzt so viel zu tun? Ich habe 12 Pfund abgenommen und bin ganz schlank und wiege 100 Pfund. Ich glaube ich habe schon lang nicht so gut ausgesehen. Zu spät. Schreibe gleich Deiner Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Postkarte handschr. von Louise Eisler adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstraße Hauptstraße 140 / Österreich ; Absender: BerlinNiederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 26. 10. 50; Poststempel Wien: 30. X. 50.
43 / Louise Eisler an Hilde Glück, 31. Oktober 1950 (Postkarte) 1. November,332 Liebstes Hildchen, Hanns lässt Dir für die Karte danken, und Dir sagen, dass Du unter keinen Umstanden, weder für die Kopiatur noch für was anderes der I.G.N.M. etwas zahlen sollst, Sie haben den Hanns herausgeschmissen und ihm das in einem frechen Brief mitgeteilt,333 dabei hatte ich Erwin [Ratz] als ich 326 327 328 329 330 331 332 333
Siehe Anm. 110. Siehe Brief Nr. 42. In der Quelle irrtümlich: Bertolt. Gemeint ist aber Berthold Viertel. Siehe Anm. 23. Die Premiere fand schließlich erst am 12. Jänner 1951 statt. Siehe Anm. 299. Siehe Anm. 181. Möglicherweise irrte sich Louise Eisler im Datum, denn der Poststempel stammt vom 31. Oktober. Ein solcher Brief ist in Eislers Nachlaß nicht erhalten.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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da war schon das Geld gegeben für den Beitrag und ihm gesagt, er soll es sofort zahlen.334 Er hat das absichtlich alles verhindert und nun muss man mit allen diesen Leuten endgültig Schluss machen, es hat keinen Sinn mehr irgendwie Kompromisse zu machen, mit Leuten die in solcher Weise verhetzt sind. Sie sollen auch selbst sehen, wohin sie das führt. Ich danke Dir auch sehr für alles, die Sachen die alle wunderbar ankamen und Deinen Brief und Karte. Post von Dir dauert jetzt nur 8 Tage. Sonst ist nichts Neues, viel Arbeit. Schlechtes eiskaltes + feuchtes Winterwetter. Hanns wird modelliert.335 Ich arbeite nebst meinen Künstlerbriefen + 150 Biografien die ich schreibe auch noch einen alten Roman um.336 Bitte veranlasse durch Hortense [Raky], daß Dworak sich bei mir meldet. Gib ihm die Telefonn[ummer] Ich schicke Dir durch ihn Platten. Er bekommt ein Trinkgeld. Erkundige Dich nochmals ob Transport abgegangen.337 Es umarmt Dich Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Postkarte maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 31. 10. 50.
44 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, 9. November [1950] 9ter November Seit Tagen hab ich Deine Karte, Louchen, und Gott sei Dank endlich die Nachricht des Spediteurs, dass Eure Sachen weg sind.338 Nun hoffen wir, dass sie bald und gut in Eure Hände gelangen. Er schickt dazu alle Dokumente, Unterlagen, etc., die ich aufheben werde, bis Ihr wieder da seid.339 Ausser Du willst sie bei Dir haben, dann schick ich sie bei nächster Gelegenheit mit. Er berechnete über das à conto von 800 S. hinaus noch restliche 148,50 S. und schickte dafür einen Erlagschein. Bitte schreib mir sofort, ob ich das bezahlen soll.340 […] Ich werde den Tag segnen, an dem das Gepäck wohlbehalten in Eurem Haus ankommt. – Herr Dworak ist noch hier – ich habe eben wieder dort angerufen, und es ist noch unsicher, wann er wieder hinausfährt. Er beschwor, mich anzurufen. Hoffentlich tut er es dann im entscheidenden Augenblick auch wirklich. Alle andern, die in Betracht kommen, die Dinge für Euch mitzunehmen, sind nach wie vor hier und ohne Benachrichtigung.341 Der Missmut wächst bei allen gleichmässig. Bei Wolfgang wurde gestern erneut von der Burgtheaterkanzlei angefragt, ob er 334 335 336 337 338 339 340 341
Louise Eisler hatte Erwin Ratz in Wien kein Geld gegeben, sondern lediglich Hilde Glück brieflich beauftragt, Eislers ausstehenden IGNM-Beitrag zu bezahlen (siehe Brief 41 und Anm. 320). Möglicherweise handelt es sich um eine Arbeit des Bildhauers und Graphikers Gustav Seitz, der 1952 eine Portrait-Büste Eislers vollendete. Vermutlich meint Louise Eisler ihr unveröffentlichtes Romanmanuskript „Es war nicht immer Liebe“, das in der Sammlung Louise Eisler der Akademie der Künste in Berlin aufbewahrt wird. Siehe Anm. 252. Ebenda. Die Dokumente sind im Hanns-Eisler-Archiv erhalten, AdK Berlin, HEA 4859. Da im Jänner 1951 beim Eintreffen des Frachtguts einige Teile fehlten, weigerte sich Louise Eisler, die noch ausstehende Summe von 148,50 Schilling zu begleichen (siehe AdK Berlin, HEA 4859). Vermutlich geht es um nicht ausgestellte Visa für die Einreise in die DDR.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
nicht doch hier bleiben würde – sie müssten es jetzt wissen, da sich ein neuer junger Regieassistent bei ihnen gemeldet habe, den sie dann jetzt statt ihm anstellen würden. Das erste Mal, dass ihm von dort eine fixe Anstellung angetragen wurde.342 […] – Nun zu Eurer Antwort bezüglich der I.G.N.M. Den Mitgliedsbeitrag habe ich gezahlt, als ich die Kammersymph.partitur bei Häfner holte,343 weil Du mir’s ja aufgetragen hattest344 und ich da auch noch nicht wusste, dass sie Hanns inzwischen diesen Brief geschrieben haben.345 Die ganze Geschichte ist sehr unklar, aber nur, was Erwin [Ratz] betrifft.346 Häfner verhält sich freundlich und anständig. […] Nun erklärte ich Erwin daraufhin, dass Du geschrieben hättest, jetzt nach diesem Brief käme eine Zahlung der 1000 S. nicht mehr in Betracht.347 Da war er furchtbar erschreckt, weil jetzt sozusagen er die Situation verpatzt hatte mit seiner Bosheit und rief mich am nächsten Tag an, er hätte die IGNM veranlasst, Hanns noch einmal zu schreiben, dass sie den Hinausschmiss zurücknehmen wollten, wenn sie das Geld bekämen. Ich sagte ihm, ob er glaube, dass Hanns so mit sich herumwerfen lasse, und noch einiges und hängte ab. Ich weiss nicht, was sie jetzt tun werden. Jedenfalls sagte Häfner von selbst, er möchte so bald als nur irgend möglich hier oder sonst wo den Regen348 aufführen und bitte mich zu veranlassen, dass er dann dafür Partitur und Stimmen bekommt. Von ihm kam überhaupt nicht ein einziges gehässiges oder negatives Wort, alles nur bedauernd etc. Ich glaube, der böse Geist ist da nur Erwin und vielleicht auch Friedrich [Wildgans], was ich nicht weiss.349 Wie Häfner sich sonst gegen Hanns benommen hat, weiss ich ja nicht. Nun möcht ich aber noch meine eigene Stellung zu der ganzen Sache sagen, bevor ich sie abschliesse. Ich bin immer dafür, sich nicht um das Getratsche der Leute zu kümmern, aber nur dann, wenn man im Recht ist. Es nicht zu tun, wenn man im Unrecht ist, finde ich solange falsch, bis man eine Sache in Ordnung gebracht hat. Ich habe mir die Sache genau erklären lassen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ihr in dieser Sache nicht recht habt, einfach nicht zu zahlen. Nach meiner Orientierung hier sind die Kopierarbeiten sehr rasch beschlossen und in Angriff genommen worden, weil für Brüssel gearbeitet werden musste.350 Da hat die IGNM das Geld einstweilen 342 343 344 345 346 347
348 349 350
Siehe Anm. 23. Nach der Aufführung von Eislers Kammersymphonie beim IGNM-Fest Ende Juni 1950 in Brüssel, siehe Anm. 101. Siehe Anm. 320. Siehe Brief Nr. 43 und Anm. 333. Siehe Anm. 202 und 228. Bei der genannten Summe von 1000 Schilling handelt es sich um die Kosten für die Kopiatur der Partitur sowie Herstellung des Stimmenmaterials für die Aufführung von Eislers Kammersymphonie beim IGNM-Fest im Juni 1950 in Brüssel. Hierzu hatte Herbert Häfner am 4. Mai 1950 mitgeteilt, die österreichische IGNM-Sektion habe dafür 1000 Schilling ausgelegt, „was unserem ohnehin nicht sehr vollen Beutel ziemlich weh getan hat“. Am 8. Juli 1950 hatte Häfner im Namen der Sektion offiziell um Erstattung von 882,20 Schilling gebeten (AdK Berlin, HEA 7018). Hanns Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, siehe Anm. 289. Zur sich vergrößernden politischen Distanz Eislers zu Häfner und Wildgans siehe Anm. 164 sowie Brief Nr. 27. Siehe Anm. 101.
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ausgelegt, indem sie die ausführenden Musiker (lauter arme Teufel) bis heute nicht bezahlt hat, da sie in ihrer Kasse im Ganzen nur über 40 S. verfügt. Und Erwin [Ratz] hat in der Eile damals die Bürgschaft für Hanns übernommen, damit das Ganze überhaupt gemacht werden kann. Hanns wusste, wie man mir sagt, dass diese Abschriften gemacht werden mussten. Nun belangt man Erwin ständig, da er die Bürgschaft gegeben hat und die Musiker endlich ihr Geld haben wollen. Dass sie bei den hiesigen Verhältnissen am Verhungern sind, weiss jeder. Erwin hat das Geld aber nicht und seine Mutter gibt es auch nicht mehr her, da sie eine in die Tausende gehende Hypothek aufnehmen musste, um mit dem Geschäft und Leben über Wasser zu bleiben u.s.f.351 Nun kennen die Beteiligten alle Euren für hiesige Verhältnisse doch hohen Lebensstandard, sie wissen, besonders schon durch Erwin, dass Lou da war,352 sie haben die so ungeschickt pompöse Aufmachung der Nationalpreisgeschichte hier gelesen,353 die ganz falsch war und ja auch mir eine ganz irrige Vorstellung gegeben hat u.s.f. Und nach all dem kann man eigentlich wirklich nicht von ihnen verlangen zu glauben, dass es Euch nicht möglich wäre nach und nach 100 S. weise diese 1000 abzuzahlen, an denen wirklich ein ganz verarmter Betrieb mit verhungerten Musikern hängt, – denn das ist wahr. Heuer können sie kein einziges Konzert veranstalten, weil sie bis jetzt nur 40 S. in der Kasse haben. Und da ich der Meinung bin, dass Leute unsrer Art eine Verpflichtung zu besonders überkorrektem Verhalten als Beispiel haben, damit es keinerlei Möglichkeit einer berechtigten Kritik geben kann, fände ich, dass Ihr nach und nach die Geschichte unbedingt in Ordnung bringen solltet. Man darf solchen Leuten nicht die Chance geben als Beweis für antisoziales Privatgefühl und -verhalten die Not armer Musiker zu beweisen, während man selbst in keiner Weise solche leidet. Ueberlegt es Euch also bitte langsam und gründlich und bedenkt, dass der Brief354 ausser von Erwin, bei dem es andre Gründe hat, ja eine Folge des Nichtzahlens war, zumindest eine rechtliche Handhabe, die man den Leuten nicht in die Hände liefern soll. Vielleicht seh ich die Dinge von hier aus falsch – ich glaube aber nicht. Ihr habt eine Verantwortung, die über das Persönliche hinaus geht, finde ich, – wie eben schon oben gesagt. Bitte überlegt Euch die Sache sehr gründlich. […] – Nun muss ich eiligst fort und kann gar keine Kleinigkeiten mehr erzählen. Das muss dem nächsten Brief vorbehalten werden. Hoffentlich kommt bald wieder Nachricht von Euch – ich wart immer so auf jede Zeile, die von Euch erzählt. Alles Gute Euch beiden! Gebt acht, dass Euch keine Grippe erwischt und ärgert Euch nicht über meine „bescheidene“ Kritik – Bitte! Es ist nur gut gemeint! Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Zusatz (letzter Absatz).
351 352 353 354
Die Familie Ratz war Eigentümer einer Bäckerei in Wien, Favoritenstr. 46. Siehe Anm. 252. Siehe Anm. 281. Gemeint ist der brieflich mitgeteilte Ausschluß Eisler aus der IGNM, siehe Brief 43 und Anm. 333.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
45 / Louise Eisler an Hilde Glück, 11. November 1950 Berlin, den 11. Nov. 50 Liebes Hilderl, gestern kam Dein Brief vom 31.10., die Briefe dauern jetzt anscheinend wieder länger. Zwei Karten kamen auch schon vorher an. Durch diese lange Reisezeit der Briefe kreuzen sich immer unsere Nachrichten. Inzwischen wirst Du von mir gehört haben, dass die I.G.N.M. einen unverschämten Brief355 schrieb und Du daher Unrecht getan hast, Ihnen den Beitrag zu zahlen,356 da H[anns] mit diesen Leuten nichts mehr zu tun hat. Er lässt Dir nochmals sagen, unter keinen Umständen die 1000 Schilling, die sie keine Berechtigung hatten zu fordern (da sie nicht nur auf ihre eigene Verantwortung die Sache für das Musikfest eingereicht haben, sondern es ihnen noch ausdrücklich von H[anns] verboten worden ist)357 zu zahlen oder ihnen etwas zu versprechen. Bitte frage jetzt immer an, bevor Du so etwas auslegst!358 Den „Regen“ habe ich Dir versprochen,359 kann ihn Dir aber im Moment nicht kopieren lassen, sondern erst nach Januar – aus technischen Gründen – […] Hoffentlich klappt die Geschichte jetzt mit Wolfgang.360 Die Proben zur „Mutter“ haben schon begonnen, Busch ist hervorragend in der Rolle,361 die Premiere ist am 9. Dez.,362 es ist schade, dass Wolfgang nicht dabei ist. Von E[rnst Fischer] bekam ich schon vor längerer Zeit eine Depesche, dass er sein Stück fertig hat und im Januar nach Berlin kommen will. Ist er denn jetzt weggefahren? Alles, was Namen hat, konnte hier nicht fahren: Arnold [Zweig], Johannes [R. Becher], Anna [Seghers] usw.363 Bitte schicke Noten, Kochbuch, Halskette mit Bruno [Frei] oder sonst jemanden, der kommt und auch bereit ist, für Dich die Platten zurückzunehmen. Ich würde dringend die Harmonielehre von Schönberg brauchen,364 die Erwin [Ratz] bestimmt in fünffacher Ausgabe (mindestens) hat. Trotzdem bin ich überzeugt, dass er Dir keine geben wird.365 Aber vielleicht kannst Du sie sonst irgendwo in Wien verschaffen und mitschicken, sie würde für den Unterricht von H[anns] dringend gebraucht. Kammersinfonie braucht H[anns] dringend, wird hier korrigiert werden.366 355 356 357 358 359 360 361 362 363
364 365 366
Siehe Brief Nr. 43 und Anm. 333. Hier irrt Louise Eisler. Siehe Brief 41 und Anm. 320. Siehe Brief Nr. 20. Vgl. Hilde Glücks Antwort im Brief Nr. 49. Siehe Brief Nr. 36. Siehe Anm. 23. Ernst Busch spielte in dieser Inszenierung die neu in das Stück eingebaute Rolle des Arbeiters Lapkin. Siehe Anm. 299. Für den ursprünglich vom 13. bis 19. November 1950 in Sheffield geplanten „Zweiten Weltkongreß der Kämpfer für den Frieden“ erteilten die britischen Behörden für mehrere prominente Teilnehmer aus Ostblockstaaten keine Einreisevisa, darunter die drei genannten Schriftsteller. Der Kongreß wurde kurzfristig nach Warschau verlegt (16. bis 22. November 1950). Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 1911, 3. vermehrte und verbesserte Auflage, Wien 1922. Siehe Anm. 202 und Brief 44. Gemeint ist vermutlich „wird hier kopiert werden“, siehe Brief 48 (letzter Absatz).
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Du brauchst niemandem zum Schreiben zu veranlassen,367 wenn ich mich erkundige, so tu ich das, weil ich etwas erfahren will, was ich hier nicht weiss, ebenso wie ich Dir über H[anns] schreibe. Es ist bedauerlich, dass Du [aber] mit E[rnst Fischer] nicht verheiratet bist. Auf jeden Fall mach Dir damit keine Mühe, ihn zum Schreiben zu bringen. Hanns hat nie im Weissgerberviertel gewohnt.368 Unser Wetter ist genau so elend wie Eures nur ist Eures gemildert durch durch ein hübsches Stadtbild. Ich bin erkältet, übermüdet und elender Laune. Auch habe ich das Gefühl, dass ich mit diesem Buch nie fertig werde.369 Es würde mir grossen Spass machen, wenn ich nicht die Hetzjagd hätte und an einem Tag vier Bücher lesen müsste, um am selben Tag eine Biographie fertig zu haben. – Hanns hat begabte Schüler, die ihm Freude machen.370 Schluss für heute, schreib’ gleich wieder. Wir umarmen Dich sehr. Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript mit handschr. Eintragungen; Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau / Dr. Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Österreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 13. 11. 50; Poststempel Wien: 16. XI. 50.
46 / Louise Eisler an Hilde Glück, 13. November 1950 (Postkarte) 13. 11. 50 Liebstes Hildchen, heute wieder einige Bitten. […] Wegen der neuen Verordnungen wäre ich glücklich, wenn die Speditionsfirma sich mit Express-G.m.b.H., Wien IV, Wohllebengasse 18, in Verbindung setzen würde, um über Prag zu schicken. Von Georg K[nepler] erfahre ich, dass das von Prag nach Berlin eine Firma Derutra übernimmt, das weiss die Express G.m.b.H. […] Schreib gleich wieder. Ich bin furchtbar erkältet und auch etwas depressiv. Schon lange keine Post mehr von Dir. Schreibe. Herzlichst Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, Postkarte maschinenschr. adressiert an Frau / Dr. Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / (Österreich); Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: [unleserlich]. 11. 50.
367 368
369 370
Louise Eisler hatte in den vorangegangenen Briefen Hilde Glück mehrmals gebeten, Ernst Fischer auszurichten, er solle ihr schreiben. Siehe Hilde Glücks Antwort in Brief Nr. 49. Wie aus Brief Nr. 49 hervorgeht, hatte Hanns Eisler (offenbar während eines Wienaufenthalts im Jahr 1949) geäußert, das sogenannte Weißgerberviertel im III. Wiener Gemeindebezirk sei „die Gegend seiner Schulzeit“ gewesen. Dies trifft – trotz des Dementis von Louise Eisler – durchaus zu, denn die von Eisler besuchte Volksschule befand sich in unmittelbarer Nähe der „Kolonitzkirche“ (St. Othmar). Das von Eisler besuchte Gymnasium in der heutigen Kundmanngasse 20–22 lag am südöstlichen Rand des Viertels und die damalige Wohnung der Familie Eisler (Schüttelstr. 19a) auf der anderen Seite des Donaukanals, dem Weißgerberviertel direkt gegenüber. Siehe Anm. 30. Eislers erste Schüler in der Meisterklasse der Deutschen Akademie der Künste waren Andre Asriel, Günter Kochan, Hellmuth Rahnsch, Harald Heilmann, Wolfgang Hohensee und Anton Schoendlinger.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
47 / Louise Eisler an Hilde Glück, 15. November 1950 Liebste Hilde, alle Deine Post ist angekommen, besten Dank. Hanns wird Dir wahrscheinlich irgendwann antworten, aber inzwischen tu ich es in seinem Auftrag. Die I.G.N.M. steht anders: Hanns hat seinerzeit die Aufführung verboten,371 ausserdem ein Jahr vorher schon mit ihnen bei anderer Gelegenheit ausgemacht,372 dass er für Kopiaturen nichts zahlt*. Was Erwin [Ratz] in der Sache gemacht oder nicht gemacht hat, ist für uns uninteressant geworden. Aus vielen Gründen will [Hanns] mit den Leuten nichts mehr zu tun haben.373 Er lässt Dir sagen, den Betrag nicht zu bezahlen374 und Dich um die Sache nicht mehr zu kümmern** Auch an Aufführungen dieser Leute hat er kein Interesse. – […] Die Papiere des Gepäcks brauchen nicht mitgeschickt zu werden, da diese Papiere nur für hier und nicht für den Westen gelten. Leider ist es mir nicht mehr gelungen, die ganze Geschichte durch die Express-G.m.b.H. über die andere Route zu leiten, und Gott weiss, was jetzt sein wird. Es ist sehr leicht möglich, dass ich das Gepäck nie sehen werde.375 […] Hanns hat sehr viel zu tun, er muss „die Mutter“ fürs Theater uminstrumentieren usw.376 Auch ich bin sehr gehetzt. Schreib bald wieder, Deine Briefe sind eine grosse Freude, trotz der ekelhaften Sachen, die Du alle für uns übernommen hast und in rührender Weise ausführst. Schade, dass Du jetzt in Wien bist statt anderswo. Alles liebe und viele Grüsse Deine Lou * Die I.G.N.M. schuldet ihm noch jetzt Geld von der damals nicht zustande gekommenen ital[ienischen] Reise.377 Hanns möchte aber kein Hin + Her Sprechen mehr in dieser Angelegenheit – weder mit Erw[in Ratz] noch anderen. Sein Geld braucht er für seinen Lohn und eine Wiener Reise – es wird ausserdem gar nicht mehr möglich sein, wie bisher zu verrechnen. Wir brauchen jeden Heller in Wien dringend. ** Dein Gang zu Häfner war ja von Dir aus – nicht von ihm ausgehend.378 Ich mache den Brief nochmals auf, da Hanns Dir apodiktisch sagen läßt keinen Heller an die I.G.N.M. zu zahlen, auch nicht Mitgliedsbeitrag.379 371 372 373 374 375 376 377 378
Gemeint ist das in Brief Nr. 20 erwähnte (nicht erhaltene) Telegramm an Herbert Häfner. Vermutlich 1949 anläßlich der Vorbereitung der am Ende nicht zustande gekommenen Aufführung von Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben beim IGNM-Musikfest in Palermo. Mit „diesen Leuten“ sind die in der österreichischen IGNM-Sektion führenden Personen Ratz, Wildgans und Häfner gemeint. Zu den „vielen Gründen“ siehe u. a. Anm. 164, 202 und 228. Siehe Anm. 347. Siehe Anm. 340 und 252. Siehe Anm. 299. Zum IGNM-Musikfest 1949 konnte Eisler nicht anreisen, da die IGNM (entgegen der ursprünglichen Planung) die Fahrtkosten nicht zu übernehmen vermochte. Wie Hilde Glück in Brief Nr. 44 (bei Anm. 343) berichtet, hatte sie Herbert Häfner in Wien aufgesucht und von ihm die in Brüssel verwendete Partitur von Eislers Kammersymphonie erhalten (siehe Anm. 101). Bei dieser Gelegenheit hatte sie bereits (wie von Louise Eisler aufgetragen) den ausstehenden IGNM-Beitrag Eislers an Häfner bezahlt – nicht jedoch die strittigen Kosten für die Kopiatur des Stimmenmaterials.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, Luftpostkarte maschinenschr. adressiert an Frau / Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140 / Oesterreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 15. 11. 50.
48 / Louise Eisler an Hilde Glück, 16. November 1950 16. 11. 50. Liebstes Hilderl, soeben erfahre ich, dass Toch (ich weiss nicht, ob Du ihn kennst, er war bei der Ravag380 und ist hier bei der Defa381 engagiert) angekommen ist und zwar mit unserem berühmten Herrn Dworak. Toch, der mich anrief, sagte, jener Herr Dworak sei heute zwischen zwei und vier Uhr in der Möwe,382 folglich werde ich versuchen, ihn zu erreichen, um ihm die Platten383 und diesen Brief für Dich mitzugeben. Du kommst aber nur in den Besitz dieser Dinge, falls alles klappt, da ich nicht die Telefonnummer des Herrn Dworak weiss. Er scheint sich also nicht bei Dir gemeldet zu haben, und so konntest Du ihm nichts für mich mitgeben. Das ist schon ein Pech. Wäre das alles jetzt nicht wieder so in Eile, dann hätte ich etwas besorgen und Dir ein kleines Weihnachtsgeschenk mitschicken können, aber so geht das nicht aus, und deshalb schicke ich nur eine kleine Butterdose und ein Buch mit, das Dich vielleicht interessieren wird. (Auch Friedenslieder). Hanns lässt Dich sehr herzlich grüssen und Dir nochmals sagen, dass Du 1) keinen Heller der I.G.N.M. zahlen sollst (ich schrieb Dir schon gestern darüber per Post), und 2) in dieser Angelegenheit überhaupt nichts mehr unternehmen sollst.384 In Eile sehr herzliche Grüsse Deine [Lou] Ich möchte nicht, dass Erwin [Ratz] oder sonst jemand überhaupt weiß, daß Du von uns die Dinge verwaltest und bezahlen kannst und auch Gespräche, ob Hanns jetzt durch den Preis was bezahlen kann,385 oder ob ich mir den Luxus gestatten kann zu reisen, sind überflüssig. Immerhin verdient Hanns sein Geld durch sein Talent und wenn Erwin oder die I.G.N.M. zu Geld kommen wollen, sollen sie sich an reiche Fabrikanten oder Bankiers wenden. Gerade den Reichtum von Hanns zum Gesprächsthema zu nehmen, ist überflüssig und wenn jemand was will, soll er Hanns schreiben und nicht Dich zum Fürsprecher wählen – ob nun der Preis protzig aufgemacht war oder nicht, sind Gespräche darüber so spießbürgerlich daß Du es wirklich ablehnen müßtest darauf einzugehen. Wenn jemand was will, soll er sich 379 380 381 382 383 384 385
Der Mitgliedsbeitrag war bereits beglichen, siehe Anm. 378. Die RAVAG (Radio-Verkehrs AG) war als Vorläufer des ORF die erste österreichische Rundfunkgesellschaft. Die DEFA (Deutsche Film AG) war die 1946 gegründete Filmproduktionsgesellschaft der DDR. Der Ost-Berliner Künstlerklub „Die Möwe“ in der Luisenstr. 18. Siehe Anm. 303 und Hilde Glücks Kommentare zu den Schallplatten in Brief Nr. 50. Siehe u. a. Anm. 347. Gemeint ist der Nationalpreis 1. Klasse der DDR, siehe Anm. 281.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
direkt an Hanns wenden. Die Partitur, die Du von Häfner hast,386 werde ich kopieren lassen und ihm zurückschicken, sobald ich sie habe, das ist alles. – – Wie hat sich Wolfgang entschieden?387 Kommt Bruno [Frei] her?388 Nochmals alles Liebe Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, unfrankiertes Kuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstrasse Hauptstrasse 140; handschr. Zusatz von Louise Eisler: Telefon U 11-0-99 / Frau Glück anrufen, damit sie sich alles abholt.
49 / Hilde Glück an Louise Eisler, 17. November 1950 17ter November E n d l i c h wieder Nachricht – ich war schon irgendwie beunruhigt, Liebes. Hereinzu geht es noch immer so rasch wie früher, aber hinauszu scheint es wieder viel schlechter zu sein. Es ist mir aus Deinem Brief nicht ganz klar, welche Briefe von mir Du bekommen hast, denn ich hab ununterbrochen Briefe und Karten geschrieben, so dass ich nicht verstehe, dass Du „lange keine Nachricht“ von mir hattest. Brief und Karte von Dir kamen gestern zugleich. Es ist die neuerliche Verzögerung der Post abgesehn von der „Sehnsucht“ auch unangenehm, weil die Verständigung und Beantwortung von Fragen noch schwieriger wieder wird als sie ohnehin schon ist. So wirst Du Dich jetzt wieder über meinen Brief wegen der 1000 S. ärgern,389 den ich nie geschrieben hätte, wenn ich nicht von dort so falsch orientiert worden wäre. Man stellte es mir so dar, als ob Hanns die Kammersymphonie in Brüssel selbst unbedingt gewollt hätte etc. So wie Du es jetzt schreibst, ist es natürlich ganz anders.390 Gut ist nur, dass ich auf diese Weise jetzt dem Häfner doch die Kammersymphoniepartitur entrissen habe, wovon Erwin [Ratz] nichts wusste, so dass er es nicht mehr verhindern konnte. Da Hanns die Stimmen ja jetzt auch hat,391 braucht er von dort nichts mehr. Gott sei Dank und man braucht sich nicht mehr mit ihnen abzugeben. Klar ist mir nur noch nicht, wie es mit dem
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Siehe Anm. 378. Siehe Anm. 23. Bruno Frei hatte die Eislers ursprünglich bereits im August besuchen wollen (AdK Berlin, HEA 4795). Frei war vermutlich zum „Zweiten Weltkongreß der Kämpfer für den Frieden“ nach Warschau gereist, so daß ein Abstecher nach Berlin möglich schien. Gemeint ist Brief Nr. 44, in dem Hilde Glück die Meinung vertreten hatte, die Eisler seien moralisch verpflichtet, die von Erwin Ratz ausgelegten Kosten für die Herstellung des Stimmenmaterials zur Brüsseler Aufführung von Eislers Kammersymphonie zu begleichen (siehe auch Anm. 347). Siehe Brief 47. Diese Aussage findet im vorliegenden Briefwechsel keine Bestätigung. Vermutlich meint Hilde Glück das amerikanische Stimmenmaterial der mit der Kammersymphonie nahezu identischen Musik zu dem Dokumentarfilm White Flood (1940), das sie möglicherweise in den Wiener Beständen von Eislers Notenmaterial gefunden und nach Berlin geschickt hatte. Dieses Stimmenmaterial ist im Hanns-EislerArchiv vorhanden (AdK Berlin, HEA 36), nicht aber das in Brüssel verwendete Orchestermaterial, das vorerst als verschollen gelten muß.
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Schönberg sein wird.392 Ich möchte erst so in Wien alles versuchen, ehe ich wieder mit Erwin darum zu kämpfen anfangen muss. Nach meinen Erfahrungen in den Antiquariaten heut vormittags, wird es allerdings nicht leicht sein. Doch irgendwie bekomm ich’s sicher. Sonst hab ich bis jetzt alles beisammen, nur leider noch niemanden, der es mitnimmt. Auf Dvorzak bin ich sehr böse. Er ist so unzuverlässig wie fast alle Österreicher. Er hat mir hoch und teuer versprochen anzurufen ehe er abfährt. Ausserdem hab ich vielleicht fünfmal bei der Wienfilm393 angerufen, um zu erfahren wann er fährt. Immer hiess es, man wisse noch nichts. Als ich nun vor drei Tagen wieder anrief, sagte man mir nur lakonisch: „Herr Dvorzak ist schon nach Berlin abgereist.“ Was soll man da machen? Mich ärgern diese Dinge unsäglich. Wenn ich jemand verspreche anzurufen, so tu ich’s eben auch, oder ich übernehm es von vorneherein nicht. […] Herr Dvorzak ist, falls er nicht auch bei Ankunft dieses Briefs schon wieder weg ist, zu erreichen in der Kopieranstalt Karlshorst bei Köpenick.394 Es wäre gut, wenn Du ihm die Leviten lesen könntest – mich kennt er ja nicht und denkt sich halt: die soll mir den Buckel herunterrutschen. – Die Adresse geb ich dem Spediteur nicht mehr, da ja das Gepäck Gott sei Dank längst weg ist. Hoffentlich also jetzt auch bald bei Euch!! Mit der Restzahlung warte ich auf Deinen Auftrag.395 Hoffentlich gibst Du ihn bald – ich möchte diesen sehr anständigen Leuten nicht lange schuldig bleiben. Im übrigen muss ich Dir sagen, dass ich bis jetzt doch noch nie etwas ohne Deinen Auftrag gezahlt hatte […]. Dass Du schreibst „ich hätte Unrecht getan, den Mitgliedsbeitrag zu zahlen“ und „ich sollte erst anfragen, bevor ich etwas bezahle“ finde ich ein bisschen komisch, da Du mir zweimal schriebst, ich sollte den Beitrag bezahlen und das zweitemal sogar sehr vorwurfsvoll „Du hättest es mir doch vor Deiner Abreise aufgetragen“ (was nebenbei nicht einmal geschehen ist, sondern nur Erwin, sonst hätte ich es schon viel früher bezahlt gehabt!).396 Auch schriebst Du mir erst im letzten Brief vom IGNMBrief, von dem ich bis dahin ja gar nichts gewusst hatte, so dass ich noch ahnungslos war als ich bei H.[äfner] um die Partitur war. Dasselbe mit dem „Veranlassen zum Schreiben“, was Du mir zweimal auftrugst. Ich versprach zwar, es zu tun, tat es dann aber ohnehin nicht, weil mir die Situation etwas unrichtig erschien. Und nun schreibst Du: „Du brauchst Niemanden zum Schreiben zu veranlassen etc.“397 Bitte überleg Dir die Dinge genau, wie Du sie willst und lass sie mich dann aber auch so machen ohne dass Du sie nachher wieder nicht willst. Bei so langen Postzwischenräumen geschieht sonst immer etwas Falsches. Du vergisst dadurch so oft, was Du geschrieben hast und wolltest und ärgerst Dich dann nachher darüber, 392 393 394 395 396 397
Hilde Glück meint die Beschaffung der von Eisler benötigten Harmonielehre von Arnold Schönberg, siehe Anm. 364. Die unter sowjetrussischer Kontrolle stehende Filmproduktionsfirma Wien-Film am Rosenhügel, von der Hanns Eisler zwischen 1953 und 1955 zur Mitarbeit an mehreren Filme engagiert wurde. Offenbar standen die von dem Kurierfahrer durchgeführten Kleintransporte im Zusammenhang mit technischen Aufträgen der Wien-Film an die Film-Kopieranstalt in Berlin-Köpenick. Siehe Anm. 340. Siehe Anm. 320. Siehe Anm. 367.
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ohne dass man etwas dafür kann. Mir macht das ja nichts, weil ich Dich gut kenne und gern habe – aber andre ärgern sich mit Recht darüber. – Da die Reise nun nach der andern Seite ging,398 könnte ich mir vorstellen, dass E[rnst Fischer] vielleicht sogar bei Euch vorbeikommt. Das würde mich riesig für Euch alle freun. Bitte sei so gut und schicke Arnold[Zweig]s Adresse direkt an Elena [Frei]. Steffi [Wolf]399 und ihr Mann [Peter Loos] haben sich riesig über den Brief gefreut und wollen ihn so bald sie die Adresse haben, beantworten. Bruno [Frei] fährt jetzt leider nicht, wie er gehofft hatte, nach Berlin,400 obwohl er so nah ist. Wir haben begeisterte Nachrichten – es muss unbeschreiblich schön [sein] und ich bin voller Neid und Sehnsucht.401 […] – Es tut mir so leid, dass Euer Wetter auch so scheusslich ist, Du auch verkühlt und leider schlecht gelaunt. Die beiden ersteren Dinge sind bei mir genauso. Mir rinnt die Nase im Wettbewerb mit den Augen, dass es ganz furchtbar ist. Ich hab mich zum Schluss doch bei allen andern angesteckt. Gestern war mir furchtbar elend und fiebrig – heute ist es schon viel besser. Ich war vormittags bei Ludwig [Münz] im Museum,402 neue Bilder mit ihm anschaun und habe den Schnupfen an ihn weitergegeben. Abends geh ich heut in ein Bartok-Konzert, auf das ich mich sehr freue. Sonst war ich überhaupt noch in keinem. Kein Geld, aber auch keine Verlockung bis jetzt, sonst hätte ich das erstere vielleicht aufgetrieben. […] Die F[riedens]R[at]arbeit jetzt ist sicher für mich die wichtigste und im übrigen auch eine, die mich ganz ausfüllt, täglich mehr. Wir haben jetzt hauptsächlich auf meine Anregung einen neuen Weg beschlossen: Den Kontakt mit allen wichtigen Leuten, so weit es in Oesterreich auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet überhaupt noch etwas gibt. […] Natürlich liegt mir das besonders und macht mir grossen Spass. Dabei hatte ich gleich am ersten Tag ein lustiges Erlebnis. Ich war hintereinander bei zwei sehr bekannten Malern. Mit beiden sprach ich mich nach einiger Zeit sehr gut403 und einer der Erfolge war, dass sie mir beide antrugen, mich von ihnen malen zu lassen. Der eine von ihnen ist seitdem ein grosser Verehrer geblieben. Ich kannte vorher nur seine Bilder. Vielleicht find ich einmal Zeit – es wäre ganz lustig, einmal ein vielleicht gutes Bild zu haben. Wer modelliert den Hanns?404 Vorläufig hab ich es noch abgelehnt, da ich augenblicklich ohnehin nicht weiss, wie ich alles Nötige in meinen Tagen unterbringen soll. Ab nächster Woche wird die Arbeit vielleicht viel Neues bringen – auch ist die jetzt vorgenommene schon reichlich tagefüllend, da es nie ein bestimmtes Pensum gibt, möchte man immer noch mehr und noch mehr in einen Tag hineinbringen. Wie schön wäre es, wenn wir uns einmal alle zusammen bei einem Fest treffen könnten und ein paar 398 399 400 401 402 403 404
Siehe Anm. 263. Stephanie (Steffy) Wolf, geb. Peschl. Sie heiratete 1958 Hanns Eisler. Siehe Anm. 388. Hilde Glück spielt auf ihre Nichtteilnahme beim „Zweiten Weltkongreß der Kämpfer für den Frieden“ an, der (nach der Absage in Sheffield) am Tag zuvor in Warschau begonnen hatte, siehe Anm. 363. Ludwig Münz, ein enger Freund der Familie Glück, war Direktor der Gemäldegalerie der Wiener Akademie der Bildenden Künste. In der Quelle: sprach mich mich nach einiger Zeit sehr gut. Siehe Anm. 335.
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Tage losgelöst von Sorgen und Hetzjagd in einer schönen Stadt beisammen sein. […] – Wo hat Hanns also jetzt wirklich gewohnt? Meine Weissgärberweisheit hat von ihm selbst gestammt.405 Als wir voriges Jahr einmal dort durchgingen, erzählte er mir, dass das die Gegend seiner Schulzeit sei. Es ist aber nicht sehr wichtig. Man kann überall daran denken wenn man will – – Umarm mir den alten Burschen – ich hoffe, es geht ihm gut und er macht Dinge, die ihn freun und ihm wichtig sind. Auch soll er keine Grippe kriegen. Den Schönberg zu bekommen werd ich schon schaun.406 Ist sonst mit den Noten jetzt alles in Ordnung? Die Kammers[ymphonie] kommt so bald als möglich. Und ist der Regen jetzt vollständig?407 Und um die böse IGNM werd ich mich nun auch nicht mehr kümmern, da ich orientiert bin.408 Ich habe ein paar Bogen vom amerikanischen Notenpapier hier bei seinen Sachen gefunden. Ich lass ihn fragen, ob er was davon hätte, wenn ich ihm gelegentlich auf leerem Notenpapier das genau so kopieren würde,409 damit er in B[erlin] nicht so viel damit zu tun hat. Oder hat das keinen Sinn? Auch weiss ich nicht, ob man hier Notenpapier mit so vielen Zeilen bekommt – für alle Eventualitäten. Oder ist das Partiturenpapier immer mit gleich vielen Zeilen und man schreibt elektrische Instrumente etc.410 irgendwo dazwischen? Darin bin ich leider sehr ungebildet. Ich hab nie Originalpartituren gesehn und sonst auch nicht aufgepasst wie das verschieden gemacht ist je nach der Zahl der verwendeten Instrumente. Aber ich würde es natürlich sehr gern machen, wenn’s einen Sinn hat. – Und jetzt endgültig Schluss. Schreib bitte bald wieder, Liebes. Ich würde Dich so gern erheitern wenn ich könnte – – Und genießt Euer schönes Häuschen. Habt Ihr schon einen neuen Wagen? Ich bin riesig neugierig auf ihn. Lebt wohl, lebt wohl – und tausend Umarmungen ! Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Zusatz quer über die leere letzte Seite: Vacuum, in das ich viel hineinzudenken bitte! Vor allem alles Liebe, das man sagen und tun können möchte!
50 / Hilde Glück an Louise und Hanns Eisler, 28. November 1950 Dienstag, 28ter November Nur wieder einmal einen raschen Gruss, meine beiden – da Ihr meinen letzten Brief ungefähr am Freitag bekommen haben müsst, wird es diesmal ohnehin eine lange Pause – so wart ich nicht mehr auf eine Nachricht, ob die Sachen mit Dvorzak gut angekommen sind, sondern schreib eben zunächst einmal wieder ein paar Worte. 405 406 407 408 409 410
Siehe Anm. 368. Siehe Anm. 392. Das Notenmaterial zu Hanns Eislers Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Siehe Briefe Nr. 45 und 47. Hilde Glück spielte recht gut Geige, verfügte aber (wie auch aus den folgenden Zeilen hervorgeht) über keine Erfahrung, was das Kopieren von Partituren anbelangt. In Eislers Kammersymphonie sind Novachord und elektrisches Klavier vorgesehen.
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Ich hoff aber sehr, dass alles gut in Eure Hände kam, denn der Tag, an dem ich sie Dvorzak brachte, war ein rechter Pechtag gewesen. Es schüttete, ich fuhr los zu Dvorzak, entdeckte dann auf dem halben Weg, dass ich die Noten vergessen hatte, musste aber weiter zum Friseur, wo ich angesagt war, um einmal meine Haare besser geschnitten zu bekommen. Ich ging zu dem, den Lisl Viertel so empfohlen hatte. Als ich dort ankam, war ihr „spezieller“ krank und es schnitt mich ein anderer in solcher Geschwindigkeit, dass ich nichts hindern konnte. Plötzlich lag auf dem Fußboden die komplette Füllung für ein Kopfpolster und mein Kopf war leer. Kurz und stellenweise ganze tiefe Löcher – ich fing fast an zu heulen. Er war sehr stolz und fand es wunderschön. […] Ich finde es scheusslich. Aber Gott sei Dank wachsen meine Haare sehr schnell, so dass in 3 Wochen wieder alles in Ordnung sein wird. Etwas verzweifelt darüber fuhr ich rasch wieder heim, die Noten holen, und dann mit beiden Paketen, Blumen für einen nachherigen Besuch und einer Strickerei dort und dem Regenschirm bepackt zurück in die Gusshausstrasse.411 Der Erfolg davon war, dass ich, als ich dort ankam, den einen meiner besten Winterlederhandschuhe verloren hatte und ihn nicht mehr wieder bekam. Dort lud ich alles dem Herrn Dvorzak ab, der heilig versprach, sofort bei Euch anzurufen. Ich verabschiedete mich wehmütig von ihm wie von allen, die zu Euch fahren und Euch so bald sehen können – Am Abend dieses Tages waren wir in der Scala im Mädel aus der Vorstadt, was grauenhaft war.412 Netsroy können sie halt überhaupt nicht.413 Ich wäre am liebsten in der Pause einfach weggegangen. Aber Franz fand das nicht nett in dem ohnehin fast leeren Theater.414 Heut abends gehn wir in die Kleinbürger – hoffentlich ist das besser.415 […] Donnerstag dann die Bertholdpremiere.416 Das Stück ist sehr fein und was Berthold daraus gemacht hat grossartig. Doch ist die 18jährige Hauptdarstellerin417 unzureichend und ausserdem geht es einem Menschen wie mir, der Tag für Tag mit den Vorstellungen von der Entscheidung für Leben oder Tod intensivst arbeitet so,418 dass er auf einem andern Register so stark empfindet, dass er länger brauchen würde, um sich in diese Welt zurück zu finden. So ist meine Reaktion, wenn ich auch genau weiss, dass sie eng und falsch ist, doch: wo Berge zusammenstürzen und tausende Menschen begraben, sorgt man sich um das Schicksal einer 411 412 413 414 415
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In der Gußhausstraße 30 befand sich die Garage des Kurierfahrers Dworak. Das Stück Das Mädel aus der Vorstadt von Johann Nepomuk Nestroy; Premiere am Neuen Theater in der Scala: 23. Oktober 1950; Regie: Karl Paryla. Ein bemerkenswertes Urteil, wenn man bedenkt, daß Nestroy-Stücke eine wichtige Rolle im Repertoire des Neuen Theaters in der Scala spielten. Das Neue Theater in der Scala verfügte über einen sehr großen Zuschauerraum (es war während der Nazizeit als Kino genutzt worden), der bei vielen Vorstellungen nicht annähernd gefüllt werden konnte. Das Stück Die Kleinbürger von Maxim Gorki; Premiere am Neuen Theater in der Scala: 22. November 1950; Regie: Wolfgang Heinz und Karl Paryla. Die Inszenierung gehörte zu den größten Erfolgen des Neuen Theaters in der Scala. Frankie und die Hochzeit von Carson MacCullers, Premiere am 23. November 1950, Burgtheater Wien (Akademietheater); Regie: Berthold Viertel; Regieassistenz: Wolfgang Glück. Die 1932 geborene Schauspielerin Johanna Matz. Anspielung auf Hilde Glücks Tätigkeit im Österreichischen Friedensrat.
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Ameise. Was ich da schreibe, ist daher kein gültiges Urteil, viel zu subjektiv. Aber die Kritiken waren fast alle schlecht, was ganz unberechtigt ist. Und so ist der arme Berthold ganz verbittert, dass er im Augenblick am liebsten wieder nach Amerika zurück möchte, wo es noch „Verständnis für seine Arbeit“ gibt. Das ist natürlich nur „Momentreaktion“ und bleibt auch bitte ganz unter uns. Ja nicht etwas dergleichen sagen oder schreiben, bitte!! – Lisl [Neumann-Viertel] wird sich in den nächsten Tagen wegen der Wohnung mit Dir in Verbindung setzen, da sie dort nicht bleiben können. Bin neugierig, wie Ihr das ausmachen werdet. Die Vorstellung, dass die netten Viertels statt der öden Engels dort wohnen würden,419 ist mir eine sehr liebe, vor allem aber, weil sie doch wieder den Traum zulässt, dass eines Tages nicht sie, sondern Ihr dort haust, wenn auch nur für ein paar Wochen. […] Wolfgang hat morgen die Unterredung im Burgtheater wegen seines endgültigen Engagements. Er will es so machen, dass er um 8–10 Tage Bedenkzeit für den Vertrag bittet. Vielleicht kommt dann doch eine Antwort von Helly [Weigel] inzwischen. Alle, die glauben, was zu verstehn, raten ihm, jetzt hier anzunehmen.420 […] Nun ist ja bald die Mutterpremiere.421 Immer wieder etwas, bei dem ich nicht dabei sein kann – es ist so schmerzlich. – Die Platten422 sind eine grosse, grosse, Freude! Erst spielte ich sie ganz allein für mich, dann einmal mit Wolfgang, der ganz begeistert war. Und am Sonntag mit ihm und Franz. Auch er war sehr begeistert. Besonders auch vom Schatzgräber,423 den ich nun auch zu verstehn beginne, warum er so ist und nicht anders. Ist er aber nicht irgendwie verändert, oder bin’s nur ich?424 Wenn Du, Hanns, einmal gar nichts andres zu tun haben solltest, dann mach aus dem „die Welt verändern wir“425 irgendwie einen grösseren, umfassenderen, breiteren Chor. Es ist mir eines der liebsten, scheint mir aber im musikalischen Gedanken den kleinen, bescheidenen Rahmen zu sprengen. Wie ein Erdbeben auf einer Violinsaite. Es stellt eine so intensive Kraft, die stark genug ist, „die Welt zu verändern“ in die kindliche Sphäre einer Volksliedstimme. Dabei ist der große Ernst und der Wille dazu an und für sich in der Melodienführung des zweiten, nach oben drängenden „verändern wir“ schon vollkommen enthalten. Aber die
419 420 421 422 423 424
425
Siehe Anm. 5 und 114. Siehe Anm. 23. Siehe Anm. 299. Siehe Anm. 303. Siehe Anm. 293. Tatsächlich existieren zwei Fassungen dieses Lieds: eine erste (einfachere), die Eisler 1946 an Ernst Busch nach Berlin schickte, und eine zweite, etwas stärker ausdifferenzierte Fassung. Publiziert ist nur die zweite Fassung, siehe zuletzt: Hanns Eisler, Hollywooder Liederbuch. Korrigierter Reprint der Erstausgabe (Manfred Grabs), mit Anmerkungen von Oliver Dahin und Peter Deeg, Leipzig 2008, S. 85 und Anmerkungen S. 96. Das Lied Die Welt verändern wir gehört zu den sog. Neuen deutschen Volksliedern von Hanns Eisler und Johannes R. Becher (Anm. 34), die 1950 von Ernst Busch mit dem Knabenchor der Staatsoper Berlin auf Schallplatte aufgenommen wurden. Die von Hilde Glück hier überaus treffend kommentierte Aufnahme des Liedes ist auf CD zugänglich: Ernst Busch, „Du mußt die Führung übernehmen“ – Originalaufnahmen 1946–1953 (IV), Edition Barbarossa EdBa 01387-2.
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breite, tragende Resonanz426 dazu fehlt. Das ist alles ein unbeholfenes Gestammel, aber vielleicht verstehst Du, was ich meine. – […] Lebt wohl, geliebte beide, ich fang kein neues Blatt mehr an. Hoffentlich kommt morgen schon Nachricht von Euch, dass alles gut angekommen ist. […] Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Manuskript.
51 / Louise Eisler an Hilde Glück, 29. November 1950 Ich schicke Dir vorsichtshalber die Kopie dieses Briefes, dessen Original jemand mitnahm, per Post, es fehlt nur die Kopie des Briefes an Liesl [Neumann-Viertel]. Liebstes Hilderl, ein Mann von der Wiener Gesellschaft427 fährt Freitag weg, ich schicke Dir mit ihm zwei Bücher und diesen Brief. Ich bekam soeben ein Telegramm von Liesl [Neumann-Viertel]: „drahtet, ob wir Dezember Wiener Wohnung ganz übernehmen könnten.428 Wie an Hausherrn wenden, eventuell anrufet“. Um nicht wieder die ganze komplizierte Situation schreiben zu müssen, schicke ich Dir die Copie des Briefes an Liesl. – Bevor das Telegramm kam, wollte ich Dich ohnehin bitten, mit Frau Engel zu sprechen und sie mit Engelszungen zu überzeugen zu versuchen, daß sie in der Zeit vom 22. Februar bis 4. April [1951] in ein Hotel zieht und uns die Wohnung überläßt,429 nachher könnte sie sie ganz übernehmen. (Zur Belohnung) Wäre das deiner Überzeugungskraft nicht gelungen, so hätte ich Lumbe schreiben müssen, daß ich die Wohnung aufgebe. Daher ist Liesls Telegramm nur eine neue Verwirrung. Andererseits aber stehen sie mir nahe, und ich möchte ihnen gerne die Wohnung geben. Tue also, was Du für richtig hältst. Jedenfalls haben wir uns – wie die Dinge jetzt liegen – entschlossen, zu diesem festen Datum nach Wien zu kommen (Hanns hat Semesterferien). Du mußt auf jeden Fall zuerst mit Frau Engel sprechen. Falls sie einwilligt, daß wir die Wohnung in dieser Zeit haben, will ich Viertels absagen; falls nicht (falls es nicht möglich ist), wünschte ich, die Viertels würden die Wohnung bekommen, aber ganz auf ihren Namen. In diesem, nur in diesem Fall sprich mit Lumbe. Jedenfalls will ich dann keine Verantwortung mehr für die Wohnung. Ernst [Fischer] möchte, daß Hanns die Musik zur „Lysistrata“ schreibt,430 und es besteht in Wien eine Chance für eine Aufführung Silvester (leider macht es nicht Viertel). Wenn es absolut nötig wäre, könnte der Hanns vom 20. Dezember bis 4., 5. Januar [1951] nach Wien kommen. Aber ich halte es erstens für überflüssig, und 426 427 428 429 430
In der Quelle: Rässonanz. Gemeint ist vermutlich die Intrac, siehe Anm. 17. Siehe Anm. 114. Ein Wien-Besuch der Eislers kam in dem genannten Zeitraum nicht zustande. Das Stück Lysistrata von Aristophanes wurde (in einer aktualisierten Textbearbeitung, siehe Anm. 437) erst im November 1953 im Neuen Theater in der Scala aufgeführt (Premiere: 27. November 1953; Regie: Wolfgang Heinz und Otto Tausig; Musik: Hanns Eisler).
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zweitens ist die Zeit zu kurz, um etwas mit der Musik machen zu können. Andererseits eignet sich das Stück besonders für eine Silvester-Aufführung, und es wäre schade, zu verschieben. Sollte aber doch verschoben werden müssen, dann kann man es auch bis zum März verschieben. Sonst ist gar nichts Neues, Hildchen. Es ist höchste Zeit, daß wir uns wiedersehen. Ich sehne mich schrecklich nach Dir und zwei bis drei anderen Wiener Freunden. Schreib bald wieder Innigst Deine Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, Luftpostkuvert maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III /Hauptstr.–Landstrasse [sic!] 140 / Oesterreich; Absender: Berlin-Niederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 29. 11. 50; Poststempel Wien: 1. XII. 50.
52 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, 6. Dezember 1950 Mittwoch, 6ter Dezember Ich bin einigermassen übernächtigt, meine lieben Beiden, da wir erst um 2h nachhause gekommen sind und um 6h schon wieder aufgestanden. Wir bekamen vor Tagen eine sehr feierliche Einladung zu einem Souper bei den Ungarn,431 ich zog mein schönes langes Kleid an etc. und als wir hinkamen, war niemand anderer noch dort ausser Ruth und Ernst [Fischer]. Es war dann ein ganz besonders netter, lebendiger, gemütlicher Abend und wir sassen zu sechst so lange beisammen, einfach weil wir alle so angeregt waren, dass wir die verstreichende Zeit gar nicht bemerkt hatten. Der Gesandte ist ganz besonders nett, gescheit und gebildet – auch die Frau reizend, kann aber nur sehr wenig deutsch, so dass es mit ihr etwas mühsam ist. Doch haben wir uns neulich bei einem Empfang für die Warschauer Delegierten432 lange miteinander unterhalten, und alles das zusammen war wohl der Grund für unsre Einladung. Ausserdem waren die letzten Tage wilde Arbeitstage (vorgestern war ich sieben Stunden ohne Pause in der Druckerei wegen der Zeitschrift433 etc. etc. Nun fahren aber Leskoscheks heute gegen Mittag zu Euch und sind so lieb, diesen Brief mitzunehmen. […] Ich habe keine Nachricht von Dir seit dem Brief, den Du seinerzeit Herrn Dvorzak mit den Platten mitgegeben hast (und jetzt die paar Zeilen Kopie wegen der Wohnung). Du hast mir nie geschrieben, ob und dass die Sachen bei Dir angekommen sind, ob sie Dir recht waren etc. Ich war lange sehr besorgt deshalb und bin nur jetzt beruhigt, weil Dvorzak mich angerufen hat (offenbar angelockt durch das Trinkgeld, das ich ihm damals gab, und fragte, ob er das nächste Mal wieder etwas mitnehmen soll). Dadurch erfuhr ich, dass er wieder zurück ist und Hanns direkt die Sachen übergeben hat, was mich sehr beruhigte. Doch sagte er mir, er habe nur einen Brief an Karl Paryla mitbekommen und kei431 432 433
Hier geht es um eine Einladung beim ungarischen Gesandten in Wien. Gemeint sind vermutlich die österreichischen Delegierten für den „Zweiten Weltkongreß der Kämpfer für den Frieden“ in Warschau, siehe Anm. 363. Vermutlich die vom Österreichischen Friedensrat seit September 1950 herausgegebene Österreichische Friedenszeitung.
440
Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
nen an mich, und per Post kam auch nie einer. Ich sage das nur deshalb, weil ich es so hasse, wenn Briefe an mich irgendwo herumkutschieren wegen falscher Adresse oder aus andern Gründen. Hast Du aus Zeitmangel nicht geschrieben, dann gut. Bitte sag mir das im nächsten Brief. […] Uebermorgen ist die Premiere von der Mutter – ich denke so daran.434 Wir haben hier zur selben Stunde eine grosse Aktivistenkonferenz im grossen Konzerthaussaal und eine Kundgebung.435 Ich bin sehr neugierig auf Beteiligung und Erfolg. Die Unterdrückung ist hier weiter so gross, dass Tausende, die gern mitarbeiten würden, es sich eben einfach nicht trauen, um nicht aus ihren Posten zu fliegen.436 Viele aber sind sehr brav und tapfer. – Lebt wohl, geliebte Beide – ich schreibe sehr gehetzt, da ich gleich weg muss, um auf der Ostbahn L[eskoschek]s diesen Brief zu übergeben. Sie werden ja manches von hier viel besser erzählen, als ich es schreiben kann. Könnte ich wieder einmal mit Euch beisammensitzen, statt dieser idiotischen mühsamen, ewig missverständlichen Briefschreiberei. Alles Gute und alles Liebe – – ich muss eiligst fort – Hoffentlich habe ich nichts wichtiges vergessen. Gestern hatten wir eine lange Debatte über die gegenwärtige Aufführbarkeit von Ernsts Stück.437 Wir waren eigentlich alle gleichermaßen der Meinung, das es jetzt ungünstig sei, weil das Publikum mit Recht reagieren und empfinden würde, dass man in Zeiten der Entscheidung über Leben und Tod, nicht Komödien dieser Art aufführen kann oder soll. Auch Ernst selbst ist dieser Meinung. Während die Atombombe über uns hängt, können sich Schieber eine Silvesterhetz machen, aber nicht Menschen unsrer Art. Besonders hier, wo alle Gefahr so spürbar gegenwärtig ist in dem ununterbrochenen Gegensatz der beiden Sphären. Aber es ist noch nichts bestimmt.438 Ihr werdet darüber ja wohl direkt von ihm auf dem Laufenden gehalten sein. Er sieht sehr gut aus und ist frisch wie schon lange nicht. Es wäre schön, wenn er, wie er es eigentlich jetzt vor hat, ganz in den F[riedens]R[at] herüberkäme als Hauptbeschäftigung. Da wäre auch meine Autorität und Stellung dort ganz anders und viel leichter. Gegen Bruno [Frei], obwohl er mich bei den Redaktionsarbeiten immer in höchsten Tönen lobt, komm ich praktisch inhaltlich einfach doch nicht auf. […] Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Eintragungen.
434 435 436 437
438
Die Premiere war inzwischen auf den 12. Jänner 1951 verschoben worden, siehe Anm. 299. Vermutlich sind Veranstaltungen des Österreichischen Friedensrats gemeint. Der Österreichische Friedensrat stand – nicht ganz zu Unrecht – im Verdacht, kommunistisch unterwandert bzw. von der KPÖ gesteuert zu sein. Es ist nicht ganz klar, welches Stück (zumal eine „Komödie“ von Ernst Fischer) hier gemeint ist. Aus Louise Eislers Antwort in Brief Nr. 54 scheint hervorzugehen, daß es sich um Lysistrata (von Aristophanes) handelt, an dessen Texteinrichtung Ernst Fischer wahrscheinlich beteiligt war (siehe Österreichisches Literaturarchiv ÖLA 37/W331). Die Aufführung fand nicht an Sylvester 1950, sondern erst 1953 statt, siehe Anm. 430.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
441
53 / Louise Eisler an Hilde Glück, 8. Dezember 1950 Berlin-Niederschönhausen, 8. 12. 50. Liebstes Hildchen, es ist mir völlig unverständlich, daß Du von mir keine Post hast. Ich habe Dir auf alle Arten geschrieben, Postkarten und Briefe per Post. Den letzten Brief habe ich mit denselben Leuten, mit denen Du mir Kleider von dort zu schicken pflegst, mitgegeben, und da das einige Tage vor Dvorjaks Abreise geschah, war es nicht nötig, ihm noch etwas mitzugeben. Dieser Mann nahm auch zwei sehr hübsche Bücher für Dich mit, van Gogh und Gaugin, illustriert, die ich Dir als kleines Vorweihnachtsgeschenk zugedacht habe. Lass mich doch sofort wissen, ob es nicht doch inzwischen angekommen ist. Ich bin völlig verzweifelt. – Ich schrieb Dir ausführlich in einem Brief, wie beglückt der Hanns über die „Harmonielehre“ war,439 wie ich mich über die Kette gefreut habe und Lenchen zu dem Kochbuch. Seitdem es da ist, durchziehen Wiener Gerüche die Küche.440 Nochmals über die Wohnung: Auf keinen Fall will ich die Verantwortung für die Wohnung haben, wenn Engels ausziehen. Da ich monatliche Kündigung habe, muß ich also unbedingt vorher wissen (2 Monate vorher), daß sie ausziehen, und wenn Viertels dann die Wohnung nicht nehmen, muß ich sie unbedingt kündigen.441 Ich kann mich ausgeschlossen in Geldausgaben einlassen, die ich nicht bewältigen kann, ich bin im Moment sehr stier, da ich sämtliche Schulden für Haus und Auto bezahlt habe. Das ist auch das einzige, was verhindern könnte, daß wir im Februar nach Wien kommen, unseren Urlaub verbringen, denn wir haben kein Geld für diese Ausgabe. Nur, wenn Hanns etwas verdienen kann, in der Scala442 oder so, ist es zu machen. Etwas kann man natürlich dazu zahlen, aber nicht den ganzen Aufenthalt. Ich hoffe sehr, daß Du inzwischen irgendwelche Post von mir hast. Das Ganze ist für mich unbegreiflich. – Sonst gibts wenig Neues, außer Arbeit. Mein Buch wird nicht zum Termin fertig, und wenn das Telefon läutet, fürchte ich immer, daß es der Verleger ist, aber ich arbeite ständig daran.443 Ebenso haben sich die Proben zur „Mutter“ völlig verschoben, und das Stück wird bestimmt erst zwischen Anfang und Mitte Januar [1951] frühestens herauskommen.444 […] Ich umarme Dich sehr Deine Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, offenbar gemeinsam mit dem nachfolgenden Brief verschickt (siehe die dortige Quellenbeschreibung). 439 440 441 442 443 444
Siehe Anm. 392. Der erwähnte Brief mit einer entsprechenden Danksagung von Louise Eisler scheint verlorengegangen zu sein. Hilde Glück hatte auf Wunsch von Louise Eisler ein Kochbuch mit typischen Wiener Rezepten nach Berlin geschickt, siehe Anm. 311. Siehe Anm. 114. In der Quelle: Skala. Siehe Anm. 30. Die Premiere fand am 12. Jänner 1951 statt, siehe Anm. 299.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
54 / Louise Eisler an Hilde Glück, 11. Dezember 1950 Berlin, den 11. 12. 50. Mein Liebes, Ich habe beiliegenden Brief noch nicht weggeschickt, weil Axel [Leskoschek] inzwischen ankam und mir das Päckchen und Deinen Brief brachte und ich abwarten wollte, was in Deinem Brief steht. Vielen Dank für den schönen Weihnachtsengel, der jetzt Hanns beim Schreibtisch bewacht. Daß Du meine Briefe nicht bekommen hast, wird mir immer unverständlicher, geh doch sofort bei der Intrac445 vorbei und sage K e s s l e r folgendes: Dezsö Kohn hat einen Brief an Dich und ein Packet mit zwei Büchern Gaugin und van Gogh als Weihnachtsgeschenk für Dich nach Prag mitgenommen. Er fuhr dorthin vor ungefähr zehn Tagen und traf dort jemanden von der Gesellschaft,446 der Brief und Paket für Dich nach Wien mitnehmen sollte. Außerdem habe ich Dir noch vorher mehrere Briefe und Postkarten per Post geschickt. […] Von meinem Wiener Gepäck keine Rede, ich höre nichts darüber. Wo es sich momentan befindet, ist ebenso schleierhaft wie Deine Briefe. […] Wäre ich nicht so ungeheuer mit meinem Buch beschäftigt,447 daß ich kaum an etwas anderes denken kann, so würde ich mir noch mehr Sorgen darüber machen als ich es tue. Der Gedanke, das alles zu verlieren wäre ekelhaft.448 […] Ich habe sowohl an Ernst als auch an Ruth [Fischer] (die mir einen langen Brief schrieb) Briefe geschrieben, hoffentlich sind die nicht auch verloren gegangen. Ich finde im Unterschied zu Euch, daß die „Lysistrata“ gerade das Richtige wäre für eine Silvesteraufführung in der Scala.449 Daß sie leicht und unbelastet ist, finde ich gerade in der komplizierten Situation richtig für Wien. Ich finde das Stück reizend und lustig. Mein Liebes, unsere Sehnsucht nach Dir ist auch sehr groß! Schreib sehr bald wieder ausführlich. Ich werde jetzt immer eine Kopie aufheben für eventuell verloren gegangene Briefe.450 Ich umarme Dich sehr, viele Grüße an Franz und Wolfgang. (Aus Zeitmangel kann ich keinen der Briefe nochmals überlesen.) Innigst Lou Quelle: ÖLA 109/98, Typoskript, Kuvert mit Aufschrift Einschreiben recom. maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III /Landstr. Hauptstr. 140 / Oesterreich; Absender: Louise Eisler / BerlinNiederschönhausen / Pfeilstr. 9; Poststempel Berlin: 11. 12. 50.
445 446 447 448 449 450
In der Quelle: intrag. Siehe Anm. 17. Gemeint ist vermutlich die Intrac, siehe Anm. 17. Siehe Anm. 30. Die Lieferung erreichte Berlin im Jänner 1951, wenn auch nicht ganz vollständig, siehe Anm. 340. Siehe Anm. 430. Tatsächlich sind ab diesem Brief Durchschläge der Briefe Louise Eislers an Hilde Glück im HannsEisler-Archiv der Akademie der Künste erhalten.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
443
55 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, 12. Dezember 1950 Dienstag, 12ter Dezember Ich hab jedem, der in letzter Zeit hinausfuhr, einen Brief für Euch mitgegeben, ich hab Karten und einen Brief per Post geschickt – und habe trotzdem seit vielen Wochen keine Nachricht mehr von Euch bekommen. Darüber bin ich traurig und besorgt, und kann es nicht verstehn. So versuch ich heut noch einmal, da Wolfgang Heinz so lieb ist, dieses da mitzunehmen. Was kann nur mit Euch los sein? – – Der Mann mit den zwei Büchlein und Briefen für Liesl Viertel und mich ist niemals gekommen. Ich rief zur Sicherheit bei der Intrac an, ob er vielleicht einer der Herren von dort war und die Sachen wie im Sommer liegen gelassen hat. Doch ist auch dort nichts bekannt.451 […] – Wegen der Wohnung: Lumbe rief mich an und erklärte mir, er möchte Viertels nicht, sondern endlich bei Engels bleiben.452 Nun will Liesl [Neumann-Viertel] aber noch mit Frau Engel selber sprechen, ob sie wirklich die Absicht haben, ganz und dauernd in der Wohnung zu bleiben, da Frau Engel mir einmal sagte, es sei ohnehin so teuer und sie hätten jetzt Möbel kommen lassen etc. etc. und vielleicht schaut sie sich doch um eine Wohnung durch die Staatstheaterverwaltung um: Dann wäre es natürlich idiotisch, wenn die Wohnung an einen fremden Dritten käme. Davon weiss nämlich Lumbe nichts. So höre ich heute oder morgen, wozu Frau Engel für sich sich endgültig entschlossen hat. Was Du, Lou, mit ihr erreichst, werd ich ja hoffentlich auch erfahren, doch seh ich da recht dunkel. Ich kann ja auch von ihr aus verstehn, dass sie endlich eine Ruh haben will. Aber für uns wäre es halt so wichtig und schön noch einmal paar Wochen die Schönburggasse zu haben. Wenn ich nur wüsste, was Ihr über alles denkt! – Bei mir ist nichts Neues. […] Ernst [Fischer] hat Sonntag eine wunderbare, lebendige, kluge, witzige Rede im Parlament gehalten (Kultur) und ist überhaupt sehr „in Form“ in jeder Beziehung. Über den netten langen Abend neulich schrieb ich schon.453 Heute treffen wir uns alle in der neuen Scalapremiere:454 Hoffentlich ist es wieder so gut wie die Kleinbürger, die besonders gut waren.455 Aber das werdet Ihr ja bald selbst sehn. – Gustl [Glück] fliegt am 23. zu den Eltern,456 was mich sehr für ihn freut. Bin sehr neugierig, was er dann von dort erzählen wird. Paul und Lisl [Henreid] haben es jetzt sehr schwierig dort.457 – Ich arbeit von 6h früh bis 10h nachts ununterbrochen. Gott sei Dank wird der F[riedens]R[at] jetzt ganz umorganisiert 451 452 453 454 455 456
457
Siehe Brief Nr. 54. Siehe Anm. 5 und 114. Siehe Brief Nr. 52. Gelegenheit schafft Diebe von Gerald Savory; Premiere im Neuen Theater in der Scala: 12. Dezember 1950; Regie: Emil Stöhr. Siehe Anm. 415. Hilde Glücks Schwager Gustl Glück besuchte seine Eltern Gustav und Else Glück, die nach Kriegsende nicht nach Wien zurückkehrten, sondern amerikanische Staatsbürger wurden und bis zu ihrem Tod in Santa Monica lebten. Paul Henreid hatte sich mit den vom Ausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten verhörten und nach ihrer Aussageverweigerung zum Teil zu Haftstrafen verurteilten „Hollywood Ten“ solidarisch erklärt und stand daraufhin auf der „Blacklist“ verschiedener amerikanischer Filmfirmen.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
und Bruno [Frei] legt es nieder. Ich hab mich gestern über eine Sache, die er in einem Flugblatt ohne es zu sagen in 600.000 Exemplaren [verbreitet hat], so irrsinnig geärgert, dass ich wieder einmal wirklich gehn wollte. Ernst [Fischer], der mir vollständig recht gab, meinte, man könne das einemal nichts mehr machen und es sei so wie so seine letzte Tat bei uns gewesen. Inzwischen macht er aber noch die Broschüre über Warschau.458 Ernst versprach, sie eine Woche vor dem Druck genau mit mir durchzuschaun u. hoffentlich tut er’s wirklich. Ernst meinte wieder, ich müsste mit Bruno energischer sein. Aber was nützt es, wenn er alles heimlich macht und einen dann vor die vollzogene, gedruckte Tatsache von 600.000 Exemplaren stellt, obwohl noch eine Korrektur vereinbart war. „Es war keine Zeit mehr, etc. der Globus459 wollte! schon ausdrucken...“ Verzeih diese Ausbrüche, aber wenn Du so contre coeur mit einem Menschen, von dem alle zugeben, dass er in dieser Beziehung ununterbrochen Fehler macht, arbeiten musst und es noch dazu vor der Öffentlichkeit vertreten, würdest Du auch verrückt. Wenn er nur schon weg wäre, so gern ich ihn rein persönlich ja habe. – Was macht Ihr zu Weihnachten? Seid Ihr mit irgend jemandem beisammen? Ich schick Dir, Louchen, einen ganz kleinen Spass, eine alte, mit unendlicher Mühe gemachte Glückwunschkarte, die Dich an mich erinnern soll und auch den Hanns, weil ich die Kleinigkeit für ihn noch immer nicht habe und gar nicht weiss, ob ich sie noch rechtzeitig werde schicken können. Und jedem von Euch eine kleine „Friedenstaube“! Habt es gut zu Weihnachten, geliebte beide! Ruht Euch aus und geniesst Euer schönes Häuschen. Ich wünsch Euch von ganzem Herzen alles Gute – das wisst Ihr ohnehin. Und vergesst mich nicht so gänzlich wie jetzt, sondern schreibt doch wieder einmal ein paar Zeilen. Wie war die Mutter?460 Mich interessiert doch alles so – P.S. Bitte endlich um Auftrag für die Spediteurrechnung.461 Und bitte um Strasse und Hausnummer von Arnold Zweig. Obwohl er Euch gegenüber wohnt, weiss ich sie doch nicht.462 Und alles, alles Liebe – Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Manuskript.
56 / Hilde Glück an Hanns und Louise Eisler, 19. Dezember 1950 19. Dezember […] Wisst Ihr, dass ich jetzt zum ersten Mal seit Wochen wieder einen Brief von Euch habe (den rekommandierten von Lou). Dazwischen nichts, ausser einmal der Kopie des Briefes wegen der Wohnung. Lumbe und Engels sind so glücklich mit458 459 460 461 462
Eine vom Österreichischen Friedensrat herausgegebene Dokumentation über den „Zweiten Weltkongreß der Kämpfer für den Frieden“ in Warschau, siehe Anm. 363. „Globus“ war das Verlags- und Druckhauses der KPÖ in Wien. Siehe Anm. 434. Siehe Anm. 340. Der Schriftsteller Arnold Zweig lebte in Ost-Berlin auf dem Grundstück Homeyerstr. 13, das an seiner Rückseite unmittelbar an den Garten der Eislers in der Pfeilstr. 9 angrenzte. Später entwickelte sich ein umfangreicher Briefwechsel zwischen Hilde Glück und Arnold Zweig.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
445
einander, dass sie sich jeder Veränderung intensivst widersetzen. So habt Ihr zwar keine Verantwortung mehr für die Wohnung, aber wohl auch leider keine Chance mehr auf den März und das tut mir so schrecklich leid wie ich’s gar nicht sagen kann. Ich hatte so gehofft, dass Ihr noch einmal ein paar Wochen dort werdet leben können.463 Ich weiss nicht, warum ich solche Angst habe, dass Ihr schliesslich am Ende doch nicht kommen werdet. Jedenfalls möcht ich wissen, ob ich mich nach Weihnachten nicht am besten gleich um eine andere Wohnung umschauen soll?? Bitte gleich Nachricht darüber! […] Die Kinder meines Bruders erfüllen natürlich das Haus mit Weihnachtsvorfreude, wobei ich ihnen in aller Kindheitserinnerung kräftig helfe – sie sind sehr viel bei mir, weil sie das gerne haben. Natürlich hab ich nicht so viel Zeit für sie als ich’s gerne hätte. Sie machen Weihnachtsgeschenke „heimlich“ bei mir, damit Eltern und Grossmama es nicht bemerken etc. etc. Sie sind reizend in ihrem Eifer. Doch wird mir ganz angst und bang wenn ich daran denke, dass ich in dieser Woche noch für jedes der beiden Mäderln ein Kleid nähen soll, und tausend Sachen backen etc, Dabei ist noch immer [Arbeit für den] F[riedens]R[at] bis zum letzten Augenblick. Und ich muss dort sein, sonst komme ich nicht genügend in die neue Redaktion hinein, die gerade jetzt aufgebaut und organisiert wird.464 Die nächste Nummer wird schon nicht mehr von Bruno [Frei] gemacht. […] Kalt, klar, Sonne auf glitzerndem Schnee – ist gut für die Stimmung. Ich lebe gern und voller Interesse für alles um mich herum. Nur für Herz und Nerven könnte es manchmal auch anderes geben. Die Jahre vergehen. Es ist fast ein Jahr, dass Ihr von hier weggezogen seid.465 – Geschäftliches: die Bücher und Briefe sind bis heute nicht eingelangt, doch sagte man mir wieder, sie würden schon noch kommen, weil der betreffende Mann, der sie wahrscheinlich bringt, erst Ende der kommenden Woche ankommt. So wird es dann doch unfreiwillig ein richtiges pünktliches Weihnachtsgeschenk. Ich freu mich sehr darauf!!! Vielen, vielen Dank noch einmal und im Voraus. – Zweitens: Beim Spediteur bekam ich die Nachricht, dass sie über den Weg Eures Uebersiedlungsgutes laufend orientiert sind und es seiner Wege geht. Dass Du von unterwegs zugleich mit ihnen verständigt wurdest und dass es voraussichtlich sehr bald (wenn es nicht schon dort ist) bei der Speditionsfirma DERUTRA, Berlin W 8 Mauerstrasse 77 ankommen wird, wo Du Dich erkundigen kannst, da diese Leute ebenso wie Du selbst avisiert sind. Ich kann Dir nicht sagen, wie froh ich sein werde, wenn es endlich bei Euch angelangt sein wird. Hoffentlich geht nun alles in Ordnung.466 […] Quelle: AdK Berlin, HEA 4815, Typoskript mit handschr. Eintragungen.
463 464 465 466
Damit ging die Wiener Wohnung in der Schönburggasse 11 endgültig in die Verfügungsgewalt der bisherigen Untermieter (Familie Engel) über. Vermutlich ist die Redaktion der Österreichischen Friedenszeitung gemeint. Siehe Brief 1 und Anm. 1. Siehe Anm. 340 und 252.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
57 / Louise und Hanns Eisler an Hilde Glück, 20. Dezember 1950 Berlin, den 20. 12. 1950. Liebstes Hildchen, diesmal hab ich schon ewig nichts von Dir gehört und weiß gar nicht, was los ist. Inzwischen weiß ich, dass damals Deszö Kohn in Prag den Brief und Bücher an Dich und Viertels Herrn D e s s e r von der INTRAG übergeben hat,467 und wenn Du den nun anrufst, müßtest Du doch zu den Sachen kommen, falls Du sie noch nicht hast. […] Mein Liebes, das ist die letzte Gelegenheit vor den Feiertagen zu schreiben. Ich wünsche Dir und Franz und Wolfgang vor allem ein gutes neues Jahr, in dem wir hoffentlich mehr Gelegenheit haben werden, zusammen zu sein. Die Hetzjagd reißt bei uns nicht ab, im Gegenteil, der Apparat für „Die Mutter“, hauptsächlich wegen der Musik, ist eine Riesenproblem,468 weil Herr H i l p e r t , als er das Theater nach Reinhardt übernommen hatte,469 die Muse der Musik aus dem Theater verbannte, indem er den großartigen Orchesterraum, der da war, mit Gips und Eisen vermauert hat, so daß er neu zu bauen fast unmöglich ist, und jedenfalls nicht für eine Vorführung. Deshalb wird man wahrscheinlich alles auf Band aufnehmen und durch Lautsprecher senden.470 – Außerdem sind eine Menge Empfänge wieder gewesen, und das bringt einen auch aus seinem Arbeitsprogramm heraus. Vorgestern waren wir bei dem großartigen russischen Puppentheater.471 Es ist einfach phantastisch, und es wäre sehr gut, wenn man die nach Wien kommen lassen könnte, etwas Besseres dieser Art gibt es gar nicht. […] Hanns ist bei den Proben, er kann Dir also nicht einmal mehr etwas dran schreiben. Viele Weihnachts- und Neujahrsumarmungen Deine Lou [handschr. Zusatz von Hanns Eisler:]
467 468 469
470 471
Siehe Anm. 17. Siehe Anm. 299. Heinz Hilpert war 1926 von Max Reinhardt als Oberspielleiter an das Deutsche Theater nach Berlin geholt worden, ehe er ab 1932 als Intendant der Berliner Volksbühne tätig war. 1934 wurde Hilpert von den Nazis als direkter Nachfolger des ins Exil vertriebenen Max Reinhardt zum Intendanten des Deutschen Theaters ernannt. Dazu kam es nicht. Die Lieder aus Eislers Bühnenmusik zu Die Mutter wurden dennoch im Jänner und Februar 1951 aufgenommen und kurz darauf auf Schallplatten veröffentlicht. Siehe auch Anm. 472. Gemeint ist das Staatliche Sowjetische Zentrale Puppentheater Moskau unter der Leitung von Sergej Obraszow. Eisler veröffentlichte kurz darauf einen begeisterten Text über das Ensemble („Unerreichte Meisterschaft“, in: Tägliche Rundschau, 11. Januar 1951, abgedruckt in: Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948–1962 (= Gesammelte Werke [EGW], Serie III, Band 2), Leipzig 1982, S. 119.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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Besonders herzlichste Feiertagswünsche und Grüße aus den schwierigen „Mutter“proben472 Hanns Quelle: AdK Berlin, HEA 10949, Typoskript mit handschr. Zusatz von Hanns Eisler; unfrankiertes Kuvert aus dem persönlichen Briefpapier von Louise Eisler, maschinenschr. adressiert an Frau Hilde Glück / Wien III / Landstr.–Hauptstr. 140 / (Österreich) / Tel. U 11-0-99.
Epilog Hilde Glück an Hanns Eisler, ohne Datum (vermutlich 1954/1955) Erschrick nicht, mein Alter, dass Du einen Brief von mir bekommst, obwohl wir beide in derselben Stadt sitzen. Es hat nichts mit unserer persönlichen Beziehung zu tun, sondern beschäftigt sich einzig und allein mit dir als „Komponisten“. Ich denk immer viel über Dich und Deine Arbeit nach, aber tat es besonders in meiner Erholungszeit auf dem Semmering, wo ich die nötige Ruhe und Einsamkeit dazu hatte. Da ich nun nicht weiss, ob ich Dich bei Deinem jetzigen Aufenthalt hier noch einmal lang genug sehen werde, dass ich Dir das mündlich sagen könnte, schreib ich Dir’s auf, und also: in medias res. Auf der einen Seite seh ich Dich vor mir, auf der anderen die objektive Notwendigkeit, dass innerhalb des Weltgefüges der nationalen künstlerischen Aussagen in der Gegenwart, nach bald 200 Jahren wieder einmal ein „österreichisches Paradigma“ geschaffen wird. Das aber scheint mir unter den aktuellen Verhältnissen gleichsam als letzte gekürzte Formel nur musikalisch zu lösen, da sowohl Malerei als Dichtung daran scheitern müssten. Denn Darstellungen, die sich nicht mit der aktuellen Gegenwart beschäftigen, würden irreal und damit von vornherein zu der notwendigen gültigen Aussage unbrauchbar; aktuelles Material aber zu zeitbedingt, einseitig, vergänglich etc., eingeschränkt durch welche Art von Tendenz immer. Unter dem österreichischen „Paradigma“ aber stell ich mir ein Gefüge vor, in dem alle Elemente lebendigen Daseins, so weit sie zu bejahen sind und die Menschheit in ihrer Entwicklung vorwärts bringen, enthalten sind, wie sie es bei Mozart etwa schon einmal waren, aber eben noch sehr zu vermehren durch das, was in Deiner Musik Neues ist, wie neben Deiner Eigenart überhaupt noch Gescheitheit, Humor 472
Siehe Anm. 299. Von den Schwierigkeiten, die insbesondere mit der Einstudierung von Eislers Bühnenmusik verbunden waren, berichtet Iva Formigoni, die damalige Korrepetitorin und Stimmbildnerin am Berliner Ensemble: „Die Inszenierung der Mutter wurde eine besonders intensive Arbeit, die mich voll beanspruchte. Für die Chöre hatte Hanns Eisler auf dem Berliner Rundfunkchor bestanden. Als der dann kam, und Brecht und Eisler sich das anhörten, verstanden sie überhaupt nichts. Das war ganz eigenartig: Man verstand die einzelnen Worte, aber nicht den Sinn. Brecht war entsetzt. Es wurde beschlossen, daß alle alles machen: Vom Kleindarsteller bis zu den Hauptrollen, die sowieso ihre Lieder hatten, mußten alle Mitwirkenden diese Chöre lernen. Der Chor wurde einfach aus den Schauspielern gebildet, die auf der Szene waren. Das mußte alles sehr schnell eingeübt werden. Durch den Versuch mit dem Rundfunkchor war uns viel Zeit verloren gegangen.“ Siehe Benno Besson. Theater spielen in acht Ländern. Texte – Dokumente – Gespräche, hrsg. von Christa Neubert-Herwig, Berlin 1998, S. 31.
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etc. Also ein weiter Bogen von Heroismus und Kampf ohne sture Härte, Militärischem und Gewalt; von Tragik, Schmerz und Wehmut ohne Sentimentalität (mit Kritik und Schärfe wo es Antithesen und ihre Spannung erfordern) – bis zur Freude, zu allem Zauberhaften, Süssen, Lichten, Leichten, Reinen, aber ohne Weltfremdheit, dafür aber voll Humor, Beschwingtheit, Heiterkeit, Gescheitheit etc. „Ein weinendes und ein lachendes Aug“, wie es auf beschränktem Gebiet Nestroy und Raimund angebahnt hatten. Das der Versuch einer unbeholfenen Beschreibung, wie ich mir das objektiv Wünschenswerte, Erforderliche vorstelle. Und nun zu Dir. Dass Du alle diese Elemente in Dir hast und auch damit in Deiner Musik haben könntest, weiss ich. Du müsstest das Ganze aber als ebenso objektiv notwendig ansehen und empfinden wie ich, und das kann man niemandem imputieren. Denn dazu gehört natürlich ein österreichischer Patriotismus zu der durch gegenwärtige Kleinheit und Verkommenheit des Staates kaum mehr erkennbaren eigentlichen Substanz unserer „Heimat“ in Landschaft, Kultur und Bevölkerung. Ob Du diesen Patriotismus, wie ihn etwa Ernst Fischer oder unsereiner als lebendige Tatsache in sich hat, ebenfalls hast, ahne ich nicht – habe eigentlich immer daran gezweifelt, bis zu Deiner Musik zum Film Ruth Fischers,a die plötzlich den notwendigen Ton doch erkennen liess, und noch dazu als neuen Ton, was mir besonders wichtig und vielversprechend schien. Ich weiss nicht, ob er nur von dem Sujet angeregt war, und ob Du ihn zwischenzeitlich in neuen Liedern weiter beibehalten oder wieder verloren hast. Dein Plan mit dem Prometheusb gefällt mir sehr – aber er bleibt doch wieder innerhalb der grossen, heroischen Kompositionskomplexe, wozu noch einseitiger die Kantaten etc. gehören. Alles „Subtile“, das endlich wieder einmal in Dir neu leben müsste, vom Zauberischen bis zur Satire (was manchmal in irgendeiner Bühnenmusik so verlockend durchkam), bleibt hier wieder unerweckt. Deshalb konnte ich diesen Plan, obwohl ich ihn durchaus bejahe (abgesehen davon, dass mir durch körperliches Missbefinden an diesem Abend der mitgehende „Elan“ überhaupt versagt war) nicht so vehement begrüßen, wie Du es gewollt hast. Also Lieber – lass Dir meine „Anregung“, eine „österreichische Symphonie“ zu schreiben (ganz ohne Text, unbedingt, da es keinen gültigen dafür im Augenblick geben kann) zumindest einmal ernsthaft durch den Kopf gehen. Für diesen Fall „leider“, bin ich ja kein Ministerium und habe auch kein Geld, so dass ich Dir nicht den nötigen offiziellen Auftrag geben kann, was vielleicht einen äusseren Anstoss zur inneren Beschäftigung mit dieser Sache geben könnte. Aber ich glaube absolut, dass das objektive Bedürfnis nach einem solchen „Paradigma“ besteht, weil es das bis jetzt einfach noch nicht gibt, obwohl doch irgendwo unabhängig von der gegenwärtigen Deformierung ein „Austria aeterna“ besteht, und man meiner Meinung a
b
Der Film Schicksal am Lenkrad (Österreich 1954; Regie: Aldo Vergano; Musik: Hanns Eisler), an dessen Drehbuch Ruth Fischer (geb. von Mayenburg), maßgeblich mitgewirkt hatte (unter dem Pseudonym „Ruth Wieden“). Diesen Plan hat Eisler nicht realisiert.
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“
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nach eine Verantwortung trägt, (jeder auf seinem Gebiet), ans seiner wenn auch sehr fernen Zukunft in seiner nationalen Eigenheit mitzuarbeiten. Also: nicht für ungut – und denk einmal über diese Sache in wenig nach.c Ich sehe darin schon seit Langem eine Aufgabe, und eine, die ausser Dir niemand lösen kann. Denn wer ist schon zugleich gescheit und Musiker? Wer weiss, ob je wieder einer nach Dir kommt, der machen könnte, was Du nicht machst. Lass es Dir gut gehen, und immer Deine Hilde Als Sonntagslektüre. Darum express. Quelle: AdK Berlin, HEA 6332, Typoskript, eigenhändig unterzeichnet.
c
In Eislers Nachlaß wurden bislang keine Spuren einer Arbeit in der angedeuteten Richtung gefunden.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Personenregister Das Personenregister bezieht sich auf den voranstehenden Briefwechsel von Hilde Glück mit Hanns und Louise Eisler. Berücksichtigt wurden Nennungen in den Briefen, nicht in den Fußnoten. Der als „Prolog“ bezeichnete Brief erscheint als Nr. 0, der als „Epilog“ bezeichnete als Nr. 58. Adler, Freyda (1908–1970), amerikanische Pädagogin, Freundin von Louise Eisler, Nr. 23. Adler, Kurt (1905–1997), amerikanischer Psychoanalytiker österreichischer Herkunft, Sohn von Alfred Adler, Nr. 23. Andersen-Nexø, Martin (1869–1954), dänischer Schriftsteller, Nr. 33, 36. Becher, Johannes R. (1891–1958), deutscher Schriftsteller und Politiker, Nr. 5, 8, 12, 19, 20, 28, 31, 41, 45. Becher, Lilly (1901–1978), deutsche Schriftstellerin und Publizistin, Ehefrau von Johannes R. Becher, Nr. 17, 20. Brecht, Bertolt (1898–1956), deutscher Schriftsteller, Nr. 8, 16, 17, 24, 28, 31, 37–39. Brueghel der Ältere, Peter (um 1525–1569), niederländischer Maler, Nr. 21. Bruno → siehe Frei, Bruno Busch, Ernst (1900–1980), deutscher Schauspieler und Sänger, Nr. 31, 45. Desser (Vorname und Lebensdaten nicht ermittelt), Mitarbeiter der Intrac in Wien, Nr. 57. Dieterle, William (Wilhelm) (1893–1992), amerikanischer Schauspieler und Regisseur deutscher Herkunft, Nr. 23. Dieterle, Charlotte (1896–1968), amerikanische Schauspiellehrerin und Drehbuchautorin deutscher Herkunft, verheiratet mit William Dieterle, Nr. 23. Diti → siehe Fischer, Marina Dvorzak → siehe Dworak Dworak (exakte Schreibweise des Nachnamens, Vorname und Lebensdaten nicht ermittelt), Kurierfahrer im Auftrag der Wien-Film am Rosenhügel, Nr. 34, 41, 43, 44, 48–50, 52. Eisler, Gerhart (1897–1968), deutscher Politiker österreichischer Herkunft, Bruder von Hanns Eisler, Nr. 28.
Eisler, Hanns (1898–1962). Eisler, Hilde (1912–2000), deutsche Journalistin, verheiratet mit Gerhart Eisler, Nr. 28. Eisler, Louise (1906–1998). Engel, Editha (Lebensdaten nicht ermittelt), Untermieterin der Eislers in Wien, verheiratet mit Dr. Engel, Nr. 5, 13, 16–19, 21, 23, 25, 27, 29, 40, 50–52, 55, 56. Ernst → siehe Fischer, Ernst Erwin → siehe Ratz, Erwin Felsenstein, Walter (1901–1975), deutscher Regisseur österreichischer Herkunft, Intendant der Komischen Oper in OstBerlin, Nr. 16. Feuchtwanger, Lion (1884–1958), deutscher Schriftsteller, Nr. 23. Figl, Leopold (1902–1965), österreichischer Politiker, von 1945 bis 1953 österreichischer Bundeskanzler, Nr. 6. Fischer, Ernst (1899–1972), österreichischer Schriftsteller und Kulturpolitiker, zunächst verheiratet mit Ruth Fischer (von Mayenburg), heiratete 1955 Louise Eisler, Nr. 9, 13, 14, 16–19, 21–23, 25, 27–29, 30, 32, 34, 40, 42, 45, 49, 51, 52, 54, 55, 58. Fischer, Marina („Diti“) (geb. 1946), Tochter von Ernst und Ruth Fischer (von Mayenburg), Nr. 17, 27, 28. Fischer, Ruth (geb. von Mayenburg) (1907– 1993), österreichische Filmdramaturgin und Publizistin, verheiratet mit Ernst Fischer, Nr. 17, 25, 27–29, 34, 52, 54, 58. Fitelberg, Grzegorz (Fittelberg, Gregor) (1879–1953), polnischer Dirigent, Nr. 11. Förster (Vorname und Lebensdaten nicht ermittelt), Haushaltsgehilfin der Eislers in Wien im Jahr 1949, Nr. 18. Franz → siehe Glück, Franz
„Du weisst ja, dass es mich nach Wien zieht“ Frei, Bruno (1897–1988), österreichischer Journalist und Publizist (KPÖ), Nr. 2, 9, 14, 16, 20, 21, 23, 45, 48, 49, 52, 55, 56. Frei, Elena (1918–?), verheiratet mit Bruno Frei (keine weiteren Informationen ermittelt), Nr. 49. Frey → siehe Frei, Bruno Gauguin, Paul (1848–1903), französischer Maler, Nr. 53. Giehse, Therese (1898–1975), deutsche Schauspielerin, Nr. 3. Glück, Franz (1899–1981), österreichischer Kunsthistoriker und Museumsdirektor, Ehemann von Hilde Glück, Nr. 16, 32, 50. Glück, Gustl (1902–1973), österreichischer Bankkaufmann, Bruder von Franz Glück, Nr. 16, 55. Glück, Hilde (1903–1998). Glück, Wolfgang (geb. 1928), österreichischer Regisseur, Sohn von Franz und Hilde Glück, Nr. 3, 10, 16, 21, 23, 27, 29, 34, 37, 40, 42, 44, 45, 50. Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832), deutscher Dichter, Nr. 0. Gogh, Vincent van (1853–1890), niederländischer Maler und Graphiker, Nr. 53. Häfner, Herbert (1905–1952), österreichischer Dirigent, Nr. 16, 20, (27), 41, 44, 47, 48, 49. Hanns → siehe Eisler, Hanns Havemann, Robert (1910–1982), deutscher Chemiker, bis 1963 Mitglied der DDRVolkskammer, 1964 Ausschluss aus der SED, Nr. 24, 28. Helly → siehe Weigel, Helene Heinz, Wolfgang (1900–1984), österreichischer Schauspieler und Regisseur, Nr. 26, 28. Henreid, Lisl (Elisabeth) (1908–1993), Schwester von Franz Glück, verheiratet mit Paul Henreid, Nr. 2, 3, 5, 11, 16, 23, 27, 55. Henreid, Paul (1908–1992), amerikanischer Schauspieler österreichischer Herkunft, Nr. 2, 5, 23, 27, 55. Hilde → siehe Glück, Hilde Hilpert, Heinz (1890–1967), deutscher Regisseur und Theaterintendant, Nr. 57.
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Hollitscher, Walter (1911–1986), österreichischer Philosoph, 1965–1977 Mitglied des ZK der KPÖ, Nr. 20. Kessler, Paul (Lebensdaten nicht ermittelt), KPÖ-Genosse und Mitarbeiter der Intrac in Wien, Nr. 9, 14, 32, 34, 54. Klemperer, Otto (1885–1973), deutscher Dirigent, Nr. 16. Knepler, Georg (1906–2003), deutscher Musikwissenschaftler österreichischer Herkunft, 1950–1959 Leiter des Staatlichen Konservatoriums Berlin (Hochschule für Musik), Nr. 46. Knoop, Leopold (keine Informationen ermittelt), Nr. 14. Kohls, Walter (Lebensdaten nicht ermittelt), Mitarbeiter am Deutschen Theater Berlin, Nr. 16. Kohn, Deszö (keine Informationen ermittelt), Nr. 54, 57. Krips, Josef (1902–1974), österreichischer Dirigent, Nr. 31, 32. Langhoff, Renate (Lebensdaten nicht ermittelt), deutsche Schauspielerin, verheiratet mit Wolfgang Langhoff, Nr. 9, 21, 23, 26. Langhoff, Wolfgang (1901–1966), deutscher Schauspieler und Regisseur, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, Nr. 8–11, 13, 21, 26. Lehr, Antonie („Toni“), Mitarbeiterin der KPÖ, des Österreichischen Friedensrats und der Intrac, Nr. 3, 6, 8, 9, 16. Leskoschek, Axl (1889–1976), österreichischer Graphiker, Bühnebilder und Redakteur, Nr. 34, 35, 39–41, 52, 54. Löffler, Hansi (Lebensdaten nicht ermittelt), Wiener Bekannte von Louise Eisler, Nr. 34. Loos, Peter (Otto Wolf) (1912–2005), österreichischer Journalist und Regisseur, Nr. 49. Lumbe, Ottomar (Lebensdaten nicht ermittelt), Oberst a. D., Vermieter der von den Eislers an die Familie Engel untervermieteten Wohnung in Wien, Nr. 5, 16, 21, 23, 25, 27, 29, 30, 40, 51, 55, 56. Mozart, Wolfgang Amadé (1756–1791), österreichischer Komponist, Nr. 58. Münz, Ludwig (1889–1957), österreichischer Kunsthistoriker, Nr. 16, 49.
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Louise Eisler, Hilde Glück, Hanns Eisler
Nestroy, Johann Nepomuk (1801–1862), österreichischer Schauspieler und Dramatiker, Nr. 50, 58. Neumann-Viertel, Liesl (Elisabeth) (1900– 1994), österreichische Schauspielerin, verheiratet mit Berthold Viertel, Nr. 17, 40, 50–52, 55, 57. Odets, Clifford (1906–1963), amerikanischer Schriftsteller, Nr. 6, 7. Orff, Carl (1895–1982), deutscher Komponist, Nr. 12. Paryla, Karl (1905–1996), österreichischer Schauspieler und Regisseur, verheiratet mit Hortense Raky, Nr. 5, 6, 10, 34, 52. Raimund, Ferdinand (1790–1836), österreichischer Dramatiker, Nr. 58. Raky, Hortense (1916–2006), österreichische Schauspielerin, verheiratet mit Karl Paryla, Nr. 5–8, 10, 43. Ratz, Erwin (1898–1973), österreichischer Musikwissenschaftler, langjähriger Freund Hanns Eislers, Nr. 13, 16, 26, 27, 29, 31, 32, 34–36, 40, 41, 43–45, 47–49. Reinhardt, Max (1873–1943), österreichischer Regisseur und Theaterintendant, Nr. 57. Rubin, Marcel (1905–1995), österreichischer Komponist und Dirigent, Nr. 34, 36. Ruth → siehe Fischer, Ruth (von Mayenburg) Schönberg, Arnold (1874–1951), österreichischer Komponist, Lehrer von Hanns Eisler, Nr. 45, 49. Schostakowitsch, Dmitri (1906–1975), russischer Komponist, Nr. 31.
Schulze, Paul (Lebensdaten nicht ermittelt), Fahrer der Eislers in Berlin, Nr. 16. Seghers, Anna (1900–1983), deutsche Schriftstellerin, Nr. 45. Toch (Lebensdaten und Vorname nicht ermittelt), Mitarbeiter der RAVAG in Wien und der DEFA in Berlin, Nr. 48. Viertel, Berthold (1885–1953), österreichischer Regisseur und Schriftsteller, Nr. 3, 9, 37, 40, 42, 50–52, 55, 57. Viertel, Liesl → siehe Neumann-Viertel, Liesl Villwook, Helene („Lenchen“) (Lebensdaten nicht ermittelt), Haushälterin der Eislers in Berlin, Nr. 16, 28. Weigel, Helene (1900–1971), deutsche Schauspielerin österreichischer Herkunft, Intendantin des Berliner Ensembles, Nr. 10, 34, 42, 50. Wesseler (keine Informationen ermittelt), Nr. 41. Wildgans, Friedrich (1913–1965), österreichischer Komponist, Vorstandsmitglied der österreichischen Sektion der IGNM, Nr. 16, 27, 44. Wolf, Steffi (1919–2003), österreichische Pianistin, heiratete 1958 Hanns Eisler, Nr. 49. Wolfgang → siehe Glück, Wolfgang Zweig, Arnold (1887–1968), deutscher Schriftsteller, 1950–1953 Präsident der Deutschen Akademie der Künste, Nachbar der Eislers in Berlin-Niederschönhausen, Nr. 28, 45, 49, 55.
Persönliche Danksagung / Literaturhinweis Diese Briefdokumentation wurde in erster Linie durch das freundliche Entgegenkommen von Herrn Prof. Wolfgang Glück (Wien) ermöglicht. Dank schulde ich außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Österreichischen Literaturarchivs in Wien und des Archivs der Akademie der Künste in Berlin sowie Jürgen Schebera (Berlin) für wertvolle Hilfe und Informationen. Zur Remigration von Hanns und Louise Eisler verdanke ich der Doktorarbeit von Peter Schweinhardt wesentliche Einsichten: Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil (= Eisler-Studien 2), Wiesbaden u. a. 2006. Verwiesen sei nicht zuletzt auf die Beiträge von Hannes Heher, Hartmut Krones und Manfred Mugrauer im vorliegenden Band. Bei den drei Genannten möchte ich mich zugleich für viele sachdienliche Hinweise in Sachen „Eisler und Wien“ bedanken. (PD)
HARTMUT KRONES (Wien)
Hanns Eislers Bühnenmusik zu Johann Nestroys
Höllenangst
Zu der dem Band beigegebenen CD-Einspielung Zum Beiprogramm des Kongresses „Hanns Eisler – Ein Komponist ohne Heimat?“ zählte ein von der „Gesellschaft der Musikfreunde in Wien“ im Rahmen ihres AbonnementZyklus’ „Kontrapunkte“ am 15. Dezember 2003 im Brahmssaal des Musikvereinsgebäudes veranstaltetes Konzert, bei dem neben dem „Kaiser-Walzer“ von Johann Strauß Sohn in der Bearbeitung durch Arnold Schönberg auch Hanns Eislers „Höllenangst“ auf dem Programm stand, eine „Posse mit Musik in drei Akten nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Johann Nestroy“. Die Musik gelangte vollständig zur Realisation, anstelle der DramenTexte trug eine Sprecherin inhaltliche Zusammenfassungen vor, um dem Publikum den Handlungsverlauf verständlich zu machen; sie wurden – nach einer Auflistung der Ausführenden, nach den auch im Abendprogramm abgedruckten einführenden Worten des Autors (einschließlich einer Biographie des Komponisten) und nach Eislers Kommentar „Wie ich Nestroy verstehe. Über die Musik zu Höllenangst“ – auch diesem Beitrag beigegeben. Zusätzlich eingefügt sind hier die Texte der Musiknummern, nicht zuletzt, um die zahlreichen Wiener Dialektausdrücke durch ihre Schriftlichkeit gegebenenfalls verständlicher werden zu lassen. Der Live-Mitschnitt des Konzertes befindet sich (neben fünf Kampfliedern von Silvestre Revueltas) auf der dem Buch beigelegten CD, deren Track-Nummern 1–24 den abschließend abgedruckten Texten zu entnehmen sind. Ausführende: Gabriele Fontana – Sopran Adrian Eröd – Bariton Peter Weber – Bariton Marianne Chappuis – Sprecherin Das Ensemble „Kontrapunkte“ Erwin Klambauer (Flöte), Siegfried Schenner (Klarinette), Marcelo Padilla (Fagott), Rainer Keuschnig und Klara Torbova (Klavier/Cembalo), Sabine Windbacher und Michael Snyman (Violine), Johannes Flieder (Viola), Roland Lindenthal (Violoncello), Josef Pitzek (Kontrabaß) Dirigent: Peter Keuschnig Hanns Eisler wurde am 6. Juli 1898 in Leipzig als Sohn des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler geboren, wuchs dann aber ab 1900 oder 1901 in Wien auf, wo er nach Schulzeit und Militär (1916–1918) sowohl am Neuen Wiener Konservatorium bei Karl Weigl Komposition studierte als auch für vier Jahre Privatschüler Arnold Schönbergs wurde. Daneben dirigierte er die Wiener Arbeiterchöre „Karl Liebknecht“ und „Stahlklang“, war Korrektor bei der Universal-Edition sowie Lehrer im „Verein für volkstümliche Musikerziehung“. Früh machte er auch mit seinen Kompositionen auf sich aufmerksam, 1924
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Hartmut Krones
schrieb Erwin Ratz (in Musikblätter des Anbruch) den ersten Aufsatz über ihn, und bereits 1925 erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien. Im selben Jahr übersiedelte er nach Berlin, lebte dort als freier Komponist und trat in erster Linie mit politisch und ideologisch engagierten Werken hervor, die der Sache des Marxismus gewidmet waren. Erfolge bei prominenten nationalen und internationalen Festivals, u. a. in Donaueschingen, Venedig und Baden-Baden, trugen ihm einen hochgeachteten Namen ein, und auch als Schöpfer von Musik für Bühnenwerke und Filme wurde er sehr bald einem überaus breiten Publikum bekannt. Anfang 1933 lud ihn Anton Webern, der am 19. März in einem „ArbeiterSymphoniekonzert“ (neben Werken von Ernst Krenek und Paul Amadeus Pisk) Eislers Lied vom Kampf (eine Montage von Nummern aus Die Maßnahme und aus Die Mutter samt abschließendem Solidaritätslied aus dem Film Kuhle Wampe) dirigierte, nach Wien ein, wo er bei den Einstudierungen mitarbeitete, nach dem Konzert (das zu einem aufsehenerregenden Protest gegen die Dollfuß-Diktatur wurde) aber wohlweislich nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte; denn in Berlin hatten die inzwischen an die Macht gekommenen Nationalsozialisten seine Wohnung durchsucht und ihn selbst auf die „Schwarze Liste“ gesetzt. Eisler reiste zunächst in die Tschechoslowakei, hielt sich einige Zeit in Paris sowie in London auf, wohnte bei seinem Freund und Mitstreiter Bert Brecht in Kopenhagen, unternahm von Februar bis Mai 1935 eine Vortrags- und Konzertreise durch die USA und ließ zahlreiche weitere Konzertreisen folgen. 1936 war er weitgehend in London, das Jahr 1937 teilte er zwischen Spanien, Paris, Kopenhagen und Prag, 1938 nahm er schließlich eine Berufung als Theorie-Professor nach New York an. 1939 unterrichtete er auch in Mexiko, ließ sich jedoch dann endgültig in den Vereinigten Staaten nieder, wo er insbesondere als Filmkomponist in Hollywood, aber auch als Kompositionslehrer an der University of Southern California außerordentliche Erfolge feierte. Ab Ende 1946 sah sich Eisler dann (ebenso wie sein Bruder Gerhart) dem (zum Teil von seiner Schwester Ruth Fischer geschürten) Vorwurf ausgesetzt, als Kommunist antiamerikanische Propaganda zu betreiben, wobei der spätere Präsident der USA, Richard Nixon, zu den Hauptanklägern zählte. Ab Mai 1947 peinlichen, weitgehend öffentlichen Verhören ausgesetzt, wurde Eisler (der seinerzeit nie Mitglied der KPD war) bald zum Symbol für den Kampf unabhängiger Bürger (und hier vorwiegend der amerikanischen Künstler und Wissenschaftler) für Gedankenfreiheit. Neben vielen anderen setzten sich damals u. a. Thomas Mann, Albert Einstein und Charlie Chaplin für ihn ein, in Paris formierte sich um Pablo Picasso und Jean Cocteau ein Protest-Komitee, doch schließlich mußte sich Eisler bereit erklären, die USA „freiwillig“ zu verlassen, was prominente Musiker um Aaron Copland, Leonard Bernstein, Walter Piston und Roger Sessions zu einem spektakulären Abschiedskonzert veranlaßte. Und nach diesem lesen wir in einer Zeitung wie der Herald Tribune: „Hoffen wir, daß eine Revision seines Falles ihm erlaubt, wiederzukehren, und daß bis dahin seine Arbeiten regelmäßig aus Europa zu uns kommen.“ Am 26. März 1948 flogen Eisler und seine Frau von New York nach Prag (nachdem ihnen von Italien und Frankreich die Einreise verweigert wurde), reisten aber bereits Anfang April nach Wien und blieben dort, von einigen Vortragsreisen abgesehen, etwas über ein Jahr. In Wien verfaßte Eisler etliche Bühnenmusiken für das „Neue Theater in der Scala“, konnte aber keine feste berufliche Stellung erlangen; u. a. schlugen seine Versuche, einen Ruf als Kompositionslehrer an die Akademie (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst oder an das Konservatorium der Stadt Wien zu erhalten, fehl. So übersiedelte er 1949 nach Ost-Berlin, in welcher Stadt er eine Meisterklasse für Komposition an der Deutschen Akademie der Künste sowie eine Theorie-Professur an der Musikhochschule übernahm. In der Folge wurde er mit zahlreichen einschlägigen Auszeichnungen der DDR, deren Nationalhymne („Auferstanden aus Ruinen“) er gemeinsam mit Johannes R. Becher schuf, über-
Hanns Eislers Bühnenmusik zu Höllenangst
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häuft, gab aber nie seine österreichische Staatsbürgerschaft auf. Daneben führten ihn Konzert- und Vortragsreisen nach wie vor in viele Länder, insbesondere auch nach Paris, in die Sowjetunion und immer wieder nach Wien, wo er 1960 einen ersten Herzinfarkt erlitt. Trotzdem gab er sein unstetes Reise-Leben nicht auf, und die politischen Probleme seiner Zeit (sowie insbesondere auch in der DDR) waren seiner Gesundheit ebenfalls nicht zuträglich. Schließlich starb er am 6. September 1962 in Berlin. Im Mittelpunkt des Eislerschen Lebenswerkes stehen Vokalkompositionen sowie Musik für Bühne und Film, welche Gattungen durch die Möglichkeiten, Massen anzusprechen, für ihn ideale Medien waren, seine ideologischen Vorstellungen auszudrücken. Die groß angelegte Deutsche Symphonie, die ihn viele Jahre beschäftigte und die 1959 in Berlin zur Uraufführung gelangte, wurde für ihn dann ebenso ein Hauptwerk wie zahlreiche Orchestersuiten, die er aus Filmmusiken zusammenstellte und die auch im Konzertsaal zu hoher Popularität gelangten. Als Schöpfer des deutschen revolutionären Massenliedes besitzt er weitere hohe musikhistorische Verdienste. Stilistisch fußt Eisler zum Teil auf Mitteln traditioneller Idiome, bezog aber – als Schüler Arnold Schönbergs – auch Elemente des freitonalen Expressionismus und der Dodekaphonik in seine Sprache ein; darüber hinaus ließ er sich bisweilen auch von verschiedenen populären Musikrichtungen sowie vom Jazz inspirieren und gelangte auch durch diese Bausteine immer wieder zu besonders ausdrucksstarker Synthese, gab sich den divergierenden Stilen aber auch oft in unvermischter Weise in überzeugender Weise hin, je nachdem dies das Sujet bzw. die textliche oder inhaltliche Ausrichtung erforderten. Der erste Auftrag, den Eisler gleich nach seiner Rückkehr nach Europa in Wien erhielt, war der, die Bühnenmusik zu einer Inszenierung von Johann Nestroys Höllenangst zu schreiben, die Karl Paryla im „Neuen Theater in der Scala“ (Favoritenstraße Nr. 8) erarbeitete und am 16. September 1948 zur Uraufführung brachte. Der Erfolg war ein großer, nicht zuletzt, weil sich der Komponist in ungemein überzeugender Weise einer Art neu gesehener „Wiener Idiomatik“ bediente, die „typische“ Stilelemente aus der Theatermusik zur Zeit Raimunds und Nestroys aufgriff, dabei aber immer wieder mit Arbeitsweisen und Klängen aus dem Repertoire der Neuen Musik verband, ohne einen tatsächlichen Stilbruch zu begehen. Ouvertüre, zwei Zwischenspiele, eine Verwandlungsmusik, ein instrumentales „Wallfahrerlied“, zwei Melodramen, ein Heurigenlied, sieben Couplets, zwei Duette und zwei Finales bildeten einen Bogen, der allen Theater-Usancen gerecht wurde und zugleich durch zündende Neuartigkeit bestach. Dabei stammte eines der Couplets (das der Rosalie: „Die Infanterie, die Artillerie, die Kavallerie“) von der Hand des Theaterkapellmeisters Friedrich Wildgans (1913-1965), eines bedeutenden österreichischen Komponisten (er war ein Sohn des Dichters Anton Wildgans), der wie Eisler zeitweise von der Zwölftontechnik beeinflußt war, daneben aber auch „Gebrauchsmusik“ auf höchstem Niveau schrieb. In einem Artikel „Wie ich Nestroy verstehe. Über die Musik zu Höllenangst “, der Oktober 1948 in der Zeitschrift Österreichisches Tagebuch erschien (hiezu siehe S. 218f.), hat Eisler ausführlich seine Intentionen sowie seine Überlegungen bei der Abfassung der Bühnenmusik dargestellt und dabei auch Details zu einigen kompositionstechnischen Aspekten aufgezeigt; er soll im folgenden zur Gänze abgedruckt werden: „Die poetische Idee Nestroys in seinem Stück ‚Höllenangst‘ ist eine sehr bedeutende. Sie geht weit über die bloße Satire oder den bitteren Scherz hinaus. Man müßte sie so beschreiben: An einem Tag ist es dem Flickschuster und seinem Sohn möglich, mit den großen Herren der Welt nicht nur auf gleichem Fuß zu verkehren, sondern frech, aufsässig, rechthaberisch und fordernd zu sein, die unmöglichsten Dinge von ihnen zu verlangen und zu erhalten. So ist es z. B. einem Flickschuster möglich, in den Salon eines
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Hartmut Krones Aristokraten hereinzustürmen und die sofortige wirksame Gerechtigkeit für seinen unschuldigen Sohn durchzusetzen. Es ist dem vagabundierenden Sohn möglich, in schweren Ketten gefesselt, von den Bediensteten eines Grafen wie ein großer Herr behandelt zu werden. Was ist geschehen? Ist die Weltordnung auf den Kopf gestellt? Sie ist auf den Kopf gestellt. Pfrim und Wendelin glauben, daß sie die Macht haben. Eine sehr merkwürdige Macht, die sie vom Teufel bekommen haben. Es ist also nicht der Glaube, der in dieser Posse Berge versetzt hat, sondern der Aberglaube, den sich dann auch Wendelin gewiß durch keine ‚Aufklärung‘ rauben lassen will ! Dies ist nun die eigentümliche poetische Idee Nestroys, die von einem Teil der Kritik nicht verstanden worden ist. Damit ein armer Mann von den Mächtigen menschlich behandelt wird, muß er entweder einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben oder wenigstens daran glauben. Für den Komponisten war das Verstehen dieser poetischen Idee das Wichtigste. Der Komponist konnte nicht die tollen Scherze des Stückes, die wilde Lustigkeit und Bitterkeit der Szene mitmachen und wiederholen, um den Zuschauer nicht irre zu führen und um dem so bedeutenden Stück nicht den Charakter einer Farce zu geben. Es war die Ungerührtheit des Künstlers vor seinem Objekt notwendig, um den musikalischen Aufgaben des Theaters gerecht zu werden. Die Ouvertüre und Zwischenspiele sollen den Zuschauer aus der Posse zurückrufen, ihn wieder zur Besinnung bringen, um diese erstaunlichen Vorgänge eher fremd als vertraut, eher seltsam als gewöhnlich erscheinen zu lassen. Die Figuren des Schusters und seines Sohnes müssen auch außerhalb des Spaßhaften gesehen werden können. So sind diese musikalischen Stücke leicht, kühl, zierlich und in keiner Weise possenhaft-lustig. Der Komponist hörte auch den Kummer Nestroys und hatte ihn zu beschreiben. Es ist der Flickschuster Pfrim nicht nur, wie einer der Wiener Kritiker festgestellt hat, einer der üblichen betrunkenen Schuster Nestroys. Seine Wirtshaus-Philosophie ist erstaunlich. Wenn er z. B. sagt, daß ihn die Verhältnisse so gemacht haben und die Verhältnisse eben uns arme Leute in eine schiefe Lage bringen, so ist das keine aufgepfropfte ‚Politisierung‘ der Scala, sondern echte Nestroysche Bitterkeit und soziale Einsicht. Es gibt kein großes Lustspiel ohne Kummer. Der Witz ist ein Erheben über die Misere. Diese Zwischentöne auszudrücken, war die Aufgabe der Musik. Die Couplets und Ensembles setzen diese Nuancen noch volkstümlich fort. (Ausgenommen ist das Chanson der Rosalie, das, von Professor Friedrich Wildgans beigesteuert, eine ganz ausgezeichnete Parodie auf ein Wiener Praterlied ist.) Wenn ich sage, daß der Komponist sich bemüht hat, das Wienerisch-Volkstümliche musikalisch neu zu sehen, so meine ich damit etwas sehr Konkretes, MusikalischTechnisches. So ist z. B. das Angst-Ensemble in einer Art schwebender Tonalität erfunden. Es ist ein b-Moll, in dem die Tonika nie vorkommt. Das ist kein technischer Scherz, sondern wird von der Sache gefordert. Um ein leichtes, unheimlich komisches, geflüstertes Stück zu konkretisieren, mußte eine sehr moderne Technik gebraucht werden, die weitaus über den Begriff des Volktümlichen hinausgeht. Daß das Ganze sich wieder lückenlos einfügen kann, ist eben die Aufgabe des Komponisten. In einer Technik kann der Komponist noch weniger als im Konzertsaal seinen privaten Neigungen nachgeben, er hat vom gegebenen Inhalt auszugehen, und seine künstlerische Subjektivität tritt erst dort ein, wo Inhalt und Form ineinander aufgehen. Dem Komponisten wurde seine Aufgabe leichtgemacht durch die geniale Darstellung Parylas und Loibners und vor allem durch den großartigen Wiener Musiker, Professor Wildgans, der äußerstes Kunstverständnis mit großem praktischen Können verbinden kann.
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Es geht dem Nestroy wie dem Shakespeare. Jedes seiner Stücke wird von einem Teil der Kritik immer als sein schwächstes bezeichnet. Nestroy verlangt nicht nur von dem Schauspieler oder dem Musiker die große Theaterkultur, sondern auch vom Publikum.“
Mit pompösen Klängen eröffnet die Ouvertüre, die übrigens auch losgelöst von der Bühne als Ouvertüre zu einem Lustspiel reüssierte, die Szene, nicht ohne in einem verhaltenen, chromatisch geschärften Mittelteil die Verwicklungen der Handlung anzudeuten. Pfrims Heurigen-Lied (eine köstliche Stil-Kopie), Melodramen, Zwischen- bzw. Bühnenmusiken, Couplets voll von (bis heute gültigen) politischen Anspielungen und Seitenhieben auf die „Regierenden“, aber auch ausdrucksvolle persönliche Stimmungsbilder schließen sich an, bis die „Angst“ in einem großangelegten Duett ihre adäquate, mit „Seufzerpausen“ geradezu realistisch nachgezeichnete Ausdeutung erfährt; schließlich gipfeln die Handlungsstränge in einem „großen Finale“ über den „Teufelspakt“. Und hier soll der Teufel sogar noch für Wendelins Ausrede herhalten, sich nicht „ewig“ an Rosalie binden zu wollen, weil ihn das Wort „ewig“ allzu sehr an den Teufelskontrakt erinnert. Doch schließlich weiß man, daß man sich dann von der „Höllenangst“ befreit, wenn man „den Teufel derschlagt mit der Zeit“. 1. Ouvertüre Sie hörten soeben die Ouvertüre aus der Bühnenmusik zu Johann Nestroys Höllenangst, die Hanns Eisler 1948, kurz nach seiner Ausweisung aus den Vereinigten Staaten von Amerika, in Wien über Auftrag von Karl Paryla für das „Neue Theater in der Scala“ verfaßte. Eisler, in Wien aufgewachsener Sohn des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler und zeit seines Lebens österreichischer Staatsbürger, hat sich damals eingehend mit Nestroys Drama auseinandergesetzt, wie seine oben abgedruckte Beschreibung der „poetischen Idee“ des Stückes deutlich erkennen läßt. Nach der Ouvertüre tritt zu nächtlicher Stunde der Freiherr von Reichthal auf, ein Onkel der Baronesse Adele von Stromberg, deren Eltern früh verstorben sind; Adeles Mutter war Reichthals Schwester. Reichthal argwöhnt, daß der habsüchtige Bruder von Adeles Vater, der Freiherr von Stromberg, nach dessen Tod auch den Stammsitz der Reichthals, also den Besitz der Mutter Adeles, an sich gerissen habe. Und um dies leichter bewerkstelligen zu können, habe er ihn, Reichthal, durch falsche Verdächtigungen für längere Zeit ins Gefängnis gebracht. Nun, wieder frei, will er zunächst Adeles Amme fragen, was alles geschehen ist. In der 2. Szene wundert sich der Schuster Pfrim, der Reichthal gesehen hat, daß mitten in der Nacht so viele Leute auf der Straße sind. Auch im Gasthaus, das er selbst gerne bevölkert, gebe es viele späte Zecher. [Erster Akt. Erstes Bild. Zweite Szene] 2. Pfrims Heurigen-Lied: „Ich schau mir die Welt durch ein Glaserl an“ Ich schau mir die Welt durch ein Glaserl an Es liegt mir nichts dran, es liegt mir nichts dran. Vielleicht kriegt’s an grean-goldnen Fam, Juchhe, heut geh' i partu nimmer ham. Johann, ein Bedienter des Freiherrn von Stromberg, entdeckt eine Strickleiter am Strombergschen Palais, die von Ignaz, einem Bedienten des Oberrichters von Thurming, bewacht wird. Ignaz erzählt Johann, daß sein Herr seit drei Wochen heimlich mit Adele verheiratet
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ist. Da taucht Stromberg auf, entdeckt ebenfalls die Leiter und schneidet sie – zu den Klängen des folgenden Melodrams – mit einem Messer ab. [Erster Akt. Erstes Bild. Vierte Szene] 3. Melodram (Stromberg): „Himmel, Herrgott, Sakrament“ Himmel. Herrgott, Sakrament! Eine Wut hab’ ich, die brennt Wie das Höllenelement. Oh, ich siede, ja ich zische, Wenn ich diesen Kerl erwische. Gleich bei Tische Fress’ ich ihn mit Haut und Haar, Ganz und gar, mit Putz und Stingel, Diesen Gauner, diesen Schlingel, Himmel, Herrgott, Sakrament. Johann, Franz, Emanuel! Verdammtes Domestikenpack! Adele und Thurming hören den von Stromberg und seinen Dienern verursachten Lärm. Nachdem Thurming entdeckt, daß die Strickleiter fort ist, entflieht er – zu den Klängen eines weiteren Melodrams – nach einer schnellen Verabschiedung über das Dach des Hauses. [Erster Akt. Erstes Bild. Fünfte Szene] 4. Melodram: Überkletterung des Daches Nun verwandelt sich die Szene zu einer ärmlichen Stube, während eine „Verwandlungsmusik“ erklingt. Pfrim, vom Alkohol benebelt, kehrt frühmorgens lautstark nach Hause zurück, worauf ihm seine Frau Eva seine Liebe zum Alkohol vorwirft. 5. Verwandlungsmusik Wendelin, der Sohn der beiden, tritt in die Stube und singt in seinem „HöllenangstCouplet“ davon, daß das Regieren auf der Welt viel leichter als das Regieren auf der Erde sei, da die Natur im Gegensatz zu den Menschen keine Forderungen erhebe. [Erster Akt. Zweites Bild. Siebente Szene] 6. Höllenangst-Couplet (Wendelin): „Die Welt zu regier’n“ Die Welt zu regier’n, is was Leichtes, auf Ehr’, Gut wär’s, wenn ’s Regier’n auf der Welt so leicht wär’. Der Himmel beherrscht ganz kommod die Natur, Sie macht keine Forderung, er g’steht ihr nix zua. Der Himm’l hat keine Kammern, nur eine Hofstell’, Seine Hofrät’ sind Engeln, sein Kerker is d’ Höll’; In der biblischen Zeit haben s’ noch revoltiert, Doch seit sechstausend Jahr is die G’schicht schon fixiert. Die Natur b’steht zwar aus drei verschiedene Reich, Doch wie leicht die z’ regier’n sind, das sieht man ja gleich. ’s Mineralreich laßt all’s mit sich machen und bleibt stumm. ’s Pflanzenreich vegetiert nur, und d’ Viecher sind dumm.
Hanns Eislers Bühnenmusik zu Höllenangst
Doch das möcht’ ich sehn, wenn d’ Vernunft tät’ erwachen In diese drei Reich’, was der Himmel tät’ machen. Wenn s’ so kämen zum Himm’l ihre Rechte begehr’n, Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst dabei werd’n. Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst dabei werd’n. Wenn s’ auf einmal sich z’amm’rotten täten, d’ Metalle, Und sag’n: „Gleiche Rechte wollen wir alle.“ ’s Eisen sagt: „Ich bin offenbar das mächtigste Ding. Mit mir machen s’ alles, mein Preis ist so g’ring.“ Doch dem Gold erzeugt d’ Menschheit fast göttliche Ehr’, D’ meisten Leut’ geb’n ihr’ Seel’ sofort darum her. Auch die Achtung vorm Silber hat sich täglich vermehrt, Seit das Silbergeld unter d’ Sagen der Vorzeit gehört. Wenn die Weinstöck’ klag’n kämen, was der Saft ihrer Reb’n Von d’ Weinwirt muß für a Behandlung erleb’n! „Ich nähre die Menschheit“, könnt’ sagen das Getreid’, „Und wie dreschen s’ mich flegelhaft z’samm’, diese Leut’!“ Während d’ Blumen glaub’n, das is Beschäftigung g’nug, Wenn s’ zu nix auf der Welt sind als bloß zum Geruch. Wenn s’ so alle sich täten beim Himmel b’schwer’n, Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst daibei werd’n, Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst dabei werd’n. Wenn auf einmal das Tierreich so kummet zu gehen Und tät’ auf seine ang’bor’nen Viehrechte b’stehen, Wenn ’s Lamperl fangt zu klag’n an: „Der Tiger und ich, Wir sind jedes ein Vieh, warum frißt er denn mich?“ Das eine Pferd sagt: „Was muß ich mich plagen, Ich g’hör’ an Fiaker, mehr brauch’ ich nicht sag’n. Mein Bruder, das Roß, steht bei d’ Soldaten im Stall, Braucht nur z’ fress’n, sonst nix, und paradiert ’s Jahr zweimal.“ „Wir Muli hab’n gar a Existenz, a infami, Lasttrag’n so lang’ wir leb’n, nach’m Tod werd’n wir Salami.“ Die Gans sagt: „Ich soll abg’stochen werd’n, ich arm’s Viech Wie viele leb’n prächti und sind ’s selbe wie ich.“ Wenn nur zehn g’scheite Viehsorten mach’n so a G’schra, Die Eseln, die sag’n dann von selber: „I – a!“ Und als Sturmpetition käm’ zum Himm’l ihr Begehr’n, Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst dabei werd’n. Meiner Seel’, ’s müßt’ dem Himmel höllenangst dabei werd’n, Um die Menschen z’ regier’n, gibt’s a teuflische Sach’, Ma jagt ihnen Angst ein, dann geb’n s’ immer nach. Will der Mann aus dem Volk einmal selbständig denken, Gleich tun s’ ihm sein’ Himmel mit Höllenangst verhenken, Und macht er sich gar a Politik, die ihm g’freut, Dann schrein s’: „Politik bringt nur Kummer und Leid!“ Doch aus is und g’schegen, will er d’ G’schäfte verrichten, Die a G’schäft bisher war’n für die höheren Schichten.
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Wenn die Angstgeister auf einmal als Reaktion hinterlassen An Zorn, der den Geist der Reaktion kriegt zu fassen: Keine Geißel is ’s Elend, heißt’s dann, nur a Geduld, Der Krieg is ka Schickung, sondern a menschliche Schuld. Bei die Wahlen durch ’s Stimmen ist der Fehler nur das: Es gibt mancher sei’ Stimm ab und weiß z’ spät erst für was. Wenn die Angst sich so tät in Erkenntnis verkehr’n, Meiner Seel’, ’s müßt’ dem ... höllenangst dabei werd’n. Meiner Seel’, ’s müßt’ dem ... höllenangst dabei werd’n. Wendelin gesteht seiner Mutter, in der Nacht nichts verdient zu haben; die Mutter jammert ihrerseits darüber, den ihr von der verstorbenen Baronin gewährten Gnadengehalt nicht mehr zu bekommen; deren abscheulicher Schwager Stromberg habe diesen gestrichen. Wendelin, der in Adeles Kammerjungfer Rosalie verliebt ist, bekleidete zuvor einen Posten als Gefangenenwärter-Gehilfe, den er annahm, um dem Freiherr von Reichthal zur Flucht zu verhelfen. Da gesteht ihm seine Mutter, von der verstorbenen Baronin wichtige Schriften für Reichthal erhalten zu haben. Pfrim, der hinzukommt, will die Schriften verbrennen, doch Wendelin nimmt sie zu sich und imponiert damit seinem Vater letzten Endes. Schließlich räsonieren sie während eines immer stärker werdenden Gewitters über die Schlechtigkeit der Welt, in die der Teufel dreinfahren solle, den sie im Grollen von Blitz und Donner tatsächlich zu erkennen glauben. [Erster Akt. Zweites Bild. Neunte Szene] 7. Gewittermusik (= Nr. 4) Thurming, in schwarz-rotem Gewand auf der Flucht vor Strombergs Dienern, schwingt sich in Pfrims Stube, steckt Wendelin als Schweigegeld eine Börse mit 30 Dukaten zu und tauscht mit ihm die Kleidung, um die Flucht besser fortsetzen zu können. Sein mysteriöses Erscheinen und sofortiges Verschwinden läßt Wendelin nun glauben, der Teufel hätte mit ihm einen Pakt geschlossen. – Auch dem plötzlich auftauchenden Freiherr von Reichthal berichten sie von dem „Teufelslohn“, dessen Echtheit Pfrim im Wirtshaus überprüfen will. [Erster Akt. Zweites Bild. Vierzehnte Szene] 8. Der Hechtenwirt (Couplet Pfrim): „Beim Hechtenwirt, weiß ich“ Beim Hechtenwirt, weiß ich, Da sind d’ Leut’ fleißig, Denn er ganz alleine Besorgt sich die Weine; Er schaut ganze’ Tag’ Im Keller unt’ nach. Tut den Einschlag selbst geb’n Was zuviel herausheb’n, Den „Alten“, den „Weißen“ Mit Heurigen speisen, Den „Roten“ melieren, Daß dö Göst’ ihn goutieren. Und die Leut’ sag’n: Ein ganzer Wirt Is der Patron, Womöglich sogar Giftmischer schon!
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Jetzt den, sagt der Teufel, könnt’ i hol’n, wann i möcht’ – Aber nein, so ein Wirt is dem Teufel zu schlecht! Pfui Teufel, dem Teufel zu schlecht! Aber ein Dukaten, Der könnt’ ihm schon g’raten, Ganz ohne Zweifel, Ein solcher vom Teufel Persönlich, notabene, Is’s einer von dene’ Die wo net rosten Und a net vermotten Wie dö falschen Banknoten, Dö drucken s’ nach Noten, Trotzdem, daß s’ verboten! Aber so ein Dukaten, Der könnt’ ihm schon g’raten, Der stinkt net! Mag sein, ’s kauft sich mancher sogar drum Ein Heiligenschein! Sehn S’, so einen holet der Teufel erst recht! Aber nein, so ein Kerl is dem Teufel zu schlecht! Pfui Teufel, dem Teufel zu schlecht! Trotzdem werd’ ich’s probieren Und ’s Dukaterl parieren! Ob’s aber stimmt Und der Hechtenwirt nimmt? ’s is wia beim Advokaten, Greifst ’s nur an, bist verraten, Denn all ’s Geld auf der Welt Is dem Teufel sein Geld. Obs d’ jetzt zahlst mit Dukaten Statt mit Kreuzerln und Gulden, Hast doch nix als wia Schulden, Die der Teufel noch pfänd’t! No sitzt d’ in der Höll’, Bist dem Teufel sein G'sell’, Flickst eahm d’ Schuah und hazt ein Mit ei’m Heiligenschein, Den der Hechtwirt vielleicht mit Dukaterln sich kauft, Wann er s’ net früher versauft! Juchhe! Hol s’ der Teufel! Pfui Teufel! I geh’! Wendelin hingegen zieht Thurmings Gewand an und will „einkaufen, was gut und teuer ist“, um den Beelzebuben zu ärgern.
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[Erster Akt. Zweites Bild. Fünfzehnte Szene] 9. Zweifel-Couplet (Wendelin): „Wie mein’ Wirtschaft’rin“ Wie mein’ Wirtschaft’rin, d’ Nanny – Sagt ein Alter – gibt ’s kani, Mach’ i ein’ Huster, beim ersten, Kocht s’ mir glei’ g’rollte Gersten, Wann i auf d’ Nacht ins Bett geh’, Bringt s’ mir a Schalerl ein’ Tee, Druckt ’s mir im Mag’n ung’stüm, Raucht s’ mir a Tuch auf mit Kümm. Dreizehn Jahr’ pflegt s’ mich schon, Diese brave Person, Und hat gar nix davon. Grad nur das bisserl Lohn. Und mein’ grausliche Sippschaft Bild’t sich ein, ’s is a Liebschaft, Und macht a Getös’, Und d’ böse Welt is gar bös! Sie können sich denken, Wie das d’ Nanny muß kränken. Mich kränkt’s auch wegen mei’m Ruf indem Punkt bin ich eig’n – Na, da müssen ei’rn bescheidene Zweifel aufsteig’n. Ei’m Gelehrten, ganz grau, G’freut sein’ lichtblonde Frau. Er sagt zu d’ Leut’: „Diese Gespansin Liebt mich fast bis zum Wahnsinn; Da hat d’ Verführung ka Macht, Ich sitz’ oft d’ halbe Nacht Auf’m astronomischen Turm, Entdeck’ Fixstern’ enurm, Derweil kennt sie sich z’ Haus Vor lauter Sehnsucht nicht aus. Drum neckt s’ mich dann oft, Komm’ ich früh’r unverhofft – Da muß ich klopfen an der Tür D’ längste Zeit oft bei ihr – Endli erscheint ’s treue Weiberl In einem g’schmackvollen Putzhäuberl, Selbst d’ Locken schön g’macht, Das is viel bei der Nacht, Mir zu Ehren in ei’m Spitzen-Negligee, in ei’m neug’n – Na, da müssen ei’m bescheidene Zweifel aufsteig’n.“ Im Wirtshaus erregt Pfrim mit seinem Geld bei Thurmings Diener Ignaz einen bösen Verdacht, der sich zur Gewißheit verdichtet, als Wendelin in den Kleidern Thurmings auftaucht. Wendelin will um Rosalie werben, doch Ignaz und einige weitere Bediente packen ihn, da sie in ihm den Mörder ihres Herrn sehen. Pfrim ruft den Teufel um Hilfe an, ist aber
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ganz perplex: „Der Teufel kommt nicht – ! Das ist zum Teufelholen !!“ – Ein Zwischenspiel leitet zum 2. Akt über. [Erster Akt. Drittes Bild. Achtzehnte Szene] 10. Zwischenspiel Nr. 1 (Verwandlung) Thurming, dem die Flucht gelang, amüsiert sich über die Möglichkeit, daß er wegen nächtlichen Spazierens auf den Dächern hätte ergriffen und vor den Oberrichter geführt werden können – also vor sich selber. Da erscheint Pfrim und faselt etwas daher, daß zuvor einem ehemaligen Wohltäter, jetzt aber auch seinem in Ketten liegenden Sohn Unrecht geschehen sei – er könne aber wegen überirdischer Mächte nichts sagen. Da erscheint Ignaz, freut sich, daß Thurming wohlauf ist, und berichtet, den Dieb von Geld und Gewand gefangen zu haben. Thurming ist bestürzt und befiehlt, Wendelin herbeizubringen, und nun wagt Pfrim auch zu berichten, daß Reichthal am Leben und frei sei. [Zweiter Akt. Viertes Bild. Erste Szene] 11. Zwischenmusik (= Nr. 5) [Nr. 12: Die Komposition wure vermutlich nicht ausgeführt.] Adeles Kammerjungfer Rosalie tritt ein und berichtet, daß ihre Herrin unterwegs hierher und gewillt sei, die Vormundschaft durch das öffentliche Einbekennen ihrer Hochzeit abzuschütteln. Gleichzeitig beschwert sich Rosalie, daß ihr Geliebter gefangengenommen wurde. Thurming allerdings durchschaut die Zusammenhänge erst, als Pfrim auftaucht und lautstark die Freilassung seines Sohnes fordert. Thurming verspricht dies, muß zuvor aber erst ein offizielles Verhör durchführen. – Rosalie genießt inzwischen die Wendung der Ereignisse: „Es schad’t halt doch nicht, wenn man gute Freunde hat beim Kriminal.“ [Zweiter Akt. Viertes Bild. Neunte Szene] 13 [Track 12]. Couplet Rosalie: „Die Infanterie, die Artillerie, die Kavallerie“ Die Infanterie, die Artillerie, die Kavallerie, der Train – Nein, nein, da dank’ ich schön, Das is nix für die Rosalie – da probier’ ich’s mit der Gendarmerie. Das is jetzt mein besonderer Fall, Da hab’ ich schon Protektion beim Kriminal. Ein Liebhaber beim Militär, das is schon das wahre Malheur – Das is schon das wahre Malheur. Veränderlich is der Soldaten ihr Sinn, Von der einen gehn s’ weg und zur andern gehn s’ hin. Für Treu und Beständigkeit sind s’ viel zu wiff, Aber die Madln betrügen, das haben sie im Griff, Im Griff, im Griff, im Griff. Jessas, Jessas, das is schön, im Prater drunt spazierengehn – Hereinspaziert! – Das Teufelsrad, Das dreht sich krumm, das dreht sich grad, Das dreht sich schief, das dreht sich eckig, Sie lachen sich kaputt und scheckig. Hereinspaziert! – Zum Gaudium, und alles dreht sich rundherum. Die Infanterie, die Artillerie, die Kavallerie, der Train –
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Nein, nein, da dank’ ich schön, Das is nix für die Rosalie – da probier’ ich’s mit der Gendarmerie. Das is jetzt mein besonderer Fall, Da hab’ ich schon Protektion beim Kriminal. Nix fangt so g’schwind Feuer, ohne Scherz, als wie ein’ Soldaten sein Herz – Als wie ein’ Soldaten sein Herz. Ein Blick wie ein Funken ins Pulverfaß fallt, In Flammen sind s’ gleich, doch vergeht’s wieder bald. Das hab’ ich von meiner Mutter scho g’hört, A Lieb’ ohne Treu’ hat kein’ Schuß Pulver Wert. Kein’ Wert, kein’ Wert, kein’ Wert. Trotzdem wär’ es g’wiß auch schön, im Prater drunt spazieren gehen – Hereinspaziert! – Kost’s noch soviel, Das europäische Ringelspiel. Das dreht sich schief, das dreht sich eckig, Sie lachen sich kaputt und scheckig. Hereinspaziert! – Zum Gaudium, da kugelt sich die Welt herum. Trara – Trara – wenn ma Glück haben, geht’s net los, Sonst sitz’ ma in der Sauce – Das wär’ nix für die Rosalie, Denn ich bin für die Diplomatie. Die is halt mein besonderer Fall Und i pfeif’ auf Protektion beim Kriminal. Wendelin wird vorgeführt, wundert sich zunächst über die Höflichkeit der vermeintlichen Gefangenenwärter, ist aber erst recht perplex, als er dem vermeintlichen Teufel gegenübersteht: „Der Beelzebub hat die Gestalt des Oberrichters angenommen !“ Er wirft ihm den Bruch des Paktes vor und fordert von ihm, auf der Stelle sowohl den Baron Reichthal als auch seine Geliebte herbeizuschaffen, welche Wünsche dieser augenblicklich erfüllt. Freudig geht Wendelin mit Rosalie ab, nicht ohne den Teufel ein letztes Mal wegen seines Grinsens zu beschimpfen. Als Adele auftaucht, zieht sich Reichthal kurz ins Seitenzimmer zurück, während sie und Thurming ihrem Glück Ausdruck verleihen: [Zweiter Akt. Viertes Bild. Fünfzehnte Szene] 14. [13] Duett Thurming–Adele: „Zwei Menschen finden sich in Liebe“ Thurming: Teure, geliebte Adele! Zwei Menschen finden sich in Liebe, Adele: Und heimlich trotzen sie dem Neid. Thurming: Bei Nacht nur tauschen sie, wie Diebe, Adele: Voll Angst erlaubte Zärtlichkeit. Beide: Was beide so geeint in Treuen, Ja, muß denn das die Sonne scheuen?! Thurming: So schnell hätt’ ich mir dieses Glück nicht als möglich gedacht. Adele: Ach, mein teurer Gatte, ich erliege fast der Angst. Thurming: Fasse dich, du bist in Sicherheit. Was ficht dich an, du holdes Wesen? Adele: Ich flieh in Furcht an deine Brust. Thurming: Der rechte Platz, um zu genesen.
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Adele: Beide:
Ich hab’s gewußt, ich hab’s gewußt! So möcht’ ich ewig, ewig stehen Und nichts mehr hören, nichts mehr sehen ... Adele: Heute morgen hat mein Vormund mir neuerdings erklärt, ich müsse das Kloster wählen, und nun fürchte ich, wenn er alles erfährt, daß er unsere Ehe als ungültig erklären läßt. Thurming: Das soll ihm nicht gelingen. Er ahnt wohl, daß ich dich besuchte? Adele: Gewiß, so ist. es, mein Gemahl. Thurming: Na, und was will er, der Verruchte?! Adele: ’s war doch legal, total legal. Beide: In diesen Sinne lass’ uns schwören: Kein Mensch soll unsern Bund zerstören!
Rosalie wundert sich, daß Wendelin so verzagt ist; er aber denkt, daß Rosalie ihn nur auf Geheiß des Teufels liebt, und deutet dementsprechend alle ihre Handlungen und Worte falsch, bis sie sich voller Groll von ihm abwendet: [Zweiter Akt. Viertes Bild. Sechzehnte Szene] 15. [14] Das kleine Finale Wendelin ist nach wie vor überzeugt, mit dem Teufel im Bund zu stehen und nicht einem Aberglauben zu obliegen: Er will aber die Probe aufs Exempel machen und in seiner alten Uniform vor die Wachmannschaft treten. Wird er als Verräter festgenommen, so ist alles normal, werde er aber unbehelligt gelassen, so habe der Teufel seine Hand im Spiel. [Zweiter Akt. Viertes Bild. Siebzehnte Szene] 16. [15] Aberglauben-Lied (Couplet Wendelin): „D’Leut woll’n nix mehr glaub’n“ D’ Leut’ woll’n nix mehr glaub’n und darum Werf’n s’ gar so mit’m Aberglaub’n um, Jeder Glaub’n, der s’ a bißl scheniert, Wird als Aberglaub’n gleich persifliert. D’ Mehrzahl Mensch’n hat Grund, ohne Zweifel, Wann’s an gibt, sich zu fürchten vonn Teufel. Statt sich z’ bessern, disputiern s’ lieber keck. Dem Teufl die Ohrwasch’ln weg. Ich glaub’ hingegen fest, daß ein’ gibt, Dem’s in Menscheng’stalt umz’gehn beliebt. Es wär’ gar viel auf der Welt nicht z’ erklär’n, Wenn nicht Teufeln verkleid’t wär’n als Herr’n. I lass’ mir mein’ Aberglaub’n Durch ka Aufklärung raub’n, ’s is jetzt schön überhaupt, Wenn man an etwas noch glaubt. Sagt man zu die Leut’: „Es geht um!“ So lachen s’ ei’m aus und warum? Weil’s an eig’nem Geist ihnen oft fehlt, Sag’n s’ gleich, ’s gibt gar kein’ Geist in der Welt.
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Wieviel Körper gehn um in der Stadt, Wo schon keiner an Geist in sich hat. Eb’nso kann auch a Geist allein gehn, Ohne auf’n dalkert’n Leib anz’stehn. Auch d’ Hex’n sind stark noch verbreitet, Ein Blinder wär’s, der das bestreitet. Sie reit’n auf kan Bes’n mit schneeweiße Hemd’n, Flieg’n vielmehr unscheniert auf alle Fremd’n. I lass’ mir mein’ Aberglaub'n [usw.] Und wenn d’ Menschheit betrachten nur wollt’, Was der Teufel auf der Welt alles holt. Nach dem Mädel ihrer Schönheit ich geize, ’s Jahr drauf sein beim Teufel ihre Reize. D’ schönen Aussichten gar, na die sind oft beim Teufel merkwürdig wie g’schwind. Ein Volk wünscht sich selbst, ohne Zweifel, Oft d’ eig’ne Regierung zum Teufel. Doch der Teufel als heiklicher Mann Greift s’ mit keiner Zangen net an. Er laßt sie dem Volk und beweist, Daß um alles auch er sich nicht reißt. I lass’ mir mein’ Aberglaub’n [usw.] ’s gibt nix, was sein’ Gegensatz nicht hat, Gäb’s ka Land und ka Dorf, gäb’s ka Stadt, Gäbert’s kein’ bloß’n Kopf, gäb’s kein’ Hut und kei’ Haub’n, Wenn’s kein’ Glaub’n gäbert, gebert’s kein’ Aberglaub’n. Nur im Westen geht d’ Sonne auf für den, Der s’ gern im Osten möcht untergehn sehn. Manche Leut’ machen ein saudummes G’frieß, Wenn das Roßfleisch ihna ins Hirn g’stieg’n is. Auch daß Träum’ ausgehn, glaub’ ich fest Unser Freiheitstraum is so ein Traum g’west. Und i frag’ ob’s net wahr is und g’wiß, Daß die Freiheit uns aus’gangen is?! I lass' mir mein' Aberglaub'n [usw.] I glaub’ alles, was man nur sagt, Seit der Aberglaub’n mich hat gepackt. I glaub’, was d’ Regierung verspricht, Ganz egal, ob man’s sieht oder nicht. I glaub’, ohne Zweifel z’ erheb’n. Daß d’ Reichen auf d’ Karten nur leb’n. Und i glaub’, ganz im Ernst, bis zur Stund’, Daß man fett dabei wer’n kann und rund. Detto glaub’ ich vertrauend und blind, Daß die Wirtschaftsverbänd’ tüchtig sind. Ja, ich glaube sogar ohne zu beb’n, Daß wir ’n Staatsvertrag auch noch derleb’n!
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I lass’ mir mein’ Aberglaub’n [usw.] Viele meinen, das Publikum wär’ Fürs Theater heut gar nimmer mehr. Andre glaub’n, wenn ma d’ Madeln ausziagt, Daß ma dann erst a Publikum kriagt. Manche Kritiker schimpfen sich krumm, Sagen: „Das Publikum wär’ eben z’ dumm, Nur den Kitsch tät’ es leider goutieren, Und die Kunst einfach ganz ignorieren.“ Doch i glaub’, daß was man da annimmt Punkto Publikum aber nicht stimmt. Wenn ’s Theater nur geht mit der Zeit, Dann wird es schon gehn mit der Zeit. I lass’ mir mein’ Theaterglaub’n Durch ka Kunstkrise raub’n, ’s is jetzt schön überhaupt, Wenn ma ans Theater glaubt. Stromberg hat inzwischen Soldaten und Gendarmen aufbieten lassen, um Thurming festzunehmen, und auch Reichthals Flucht wurde entdeckt. Thurming gibt aber dem eintreffenden Reichthal Wendelins Jacke, die ihn unerkannt flüchten lassen soll, doch da erscheint Pfrim, erkennt die Jacke und vermutet, daß man seinen Sohn umgebracht habe. Diesen Verdacht teilt er auch einem Kommissär mit, der bei Thurming eine Hausdurchsuchung machen soll, doch als er Wendelins vormalige Position als Gefangenenwärter erwähnt, wird er selbst festgenommen. [Zweiter Akt. Viertes Bild. Dreiundzwanzigste Szene] 17. [16] Zwischenspiel (= Nr. 10) Der 3. Akt spielt in der Hauptstadt. Die Portierstochter Leni erzählt ihrem Vater, daß man weinende Frauen herbeigeführt und eingesperrt habe, doch ihren Vater lassen die Probleme der Politik kalt. [Dritter Akt. Fünftes Bild. Vierte Szene] 18. [17] Portier-Couplet: „Dös ist a g’spaßige Klass’“ Dös is a g’spaßige Klass’, Die politische Rass’. I wär’ trostlos auf Ehr’, Wann i a Politischer wär'. Als Ministerialportier Lob’ ich mir mein Metier, Während die G’schäftsleut’ ihr G’scher Mit ihrem G’wölb hab’n Malheur – Während die G’schäftsleut’ ihr G’scher Mit ihrem G’wölb hab’n Malheur. D’ Friseur ham nix z’ balbier’n, Tan sich selber rasier’n: Der wird schwarz vor Zorn,
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Weil er a Gelbgießer wor’n. Da ertrankt sich a Draxler, Da erhangt sich a Wachsler; Selbst als Lederer ung’schaut Fahret i aus der Haut, Was sich jetzt nicht einmal Der Teuf’l mehr traut. Ja, beim Umschwung der Zeit, Lernt man s’ kennen die Leut’, In detail und en gros – Ja, das is halt schon a so! Aber ’s gibt auch Metier, Die grad jetzt gehn in die Höh’; Kein Farber braucht mehr zu darben, Denn die Politik, die spielt Farben. Alle Monat a neuche, Darnach färbt er die Zeuche, Denn wer halbwegs nur kann, Steckt vors Fenster a Fahn’ – Denn wer halbwegs nur kann, Steckt vors Fenster a Fahn’. Nur ein G’schaft tut z’ kurz kommen, Was metaphorisch genommen Grad zu tun hat am meisten, Das sind die Sattler, die leisten Enormes in der Zeit, Wo von Gestern auf Heut’ Hunderttausend von Leut’ Hab’n umg’sattelt so g’scheit, Und kein einziges von all’n Tut dem Sattler was zahl’n. Ja, beim Umschwung der Zeit [usw.] Wendelin, der in Gefangenenwärter-Uniform das Schicksal bzw. die Macht des Teufels herausfordert, wird von Gendarmen erkannt und festgenommen; doch fühlt er sich deswegen eher erleichtert, weil er sich nicht mehr in den Fängen des Satans glaubt. Danach verwandelt sich die Szene in ein Zimmer im Hause des Staatssekretärs von Arnstedt. [Dritter Akt. Sechstes Bild. Fünfte Szene] 19. [18] Zwischenspiel Nr. 2 Arnstedt gibt dem herbeigeführten Pfrim zu verstehen, daß er froh sein müsse, für den Verrat seines Sohnes nicht auch noch selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch Pfrim ist wütend und klagt den anwesenden Stromberg unter Hinweis auf geheime Akten an: Er berichtet, daß dieser der verstorbenen Baronin Stromberg am Totenbett ihr Testament geraubt, dann aber einen Brief verloren hätte. Und einer dieser Briefe klage den Bruder wegen zahlreicher Schandtaten an und bezichtige darüber hinaus Arnstedt als Mitwisser. Auf die Frage, wo sich die Papiere befänden, antwortet Pfrim, daß sie derzeit bei seinem Sohn seien.
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Nun wird Wendelin vorgeführt und wundert sich erneut über die höfliche Behandlung sowie über seine völlige Rehabilitierung. Als man ihn nach den Papieren frägt, ist er allerdings sofort im Bilde, und er macht sich scheinbar erbötig, diese herbeizuschaffen; er weiß jedoch, daß sich diese in seiner Jacke befinden, die Baron Reichthal derzeit trägt. – Da tritt Adele ein, die seine Stimme erkennt, wird aber von Stromberg und Arnstedt grob zurechtgewiesen. Sie spricht von ihrer Liebe zu Thurming, doch Wendelin bezeichnet diesen als „Ungeheuer des Abgrunds“, da er immer noch glaubt, dieser sei der Teufel persönlich. Erst recht bekommt er es mit der Angst zu tun, als ihm sein Vater einen Brief mit dem Auftrag Thurmings übergibt, Adele zu seiner Mutter zu bringen. Und die kokett herbeitretende Portierstochter sieht er als Trugbild des Teufels an, was dieser eine rechte Angst einjagt. [Dritter Akt. Sechstes Bild. Vierzehnte Szene] 20. [19] Angst-Couplet (Duett mit Ensemble): „Die Angst geht um“ Wendelin: Leni: Wendelin:
Die Angst – die Angst – die Angst geht um! Ihr lieben Leut’, drehts euch net um! Man kann nie wissen – Leni: Wie? Wendelin: Wann? Leni: Wo? Wendelin: Am End’ gibt’s Krieg? A Revolution? Leni: Rechts oder links? Wendelin: Wer weiß das schon? Leni: Vorn’ oder hint’? Wendelin: Die Frag’ is z’ schwer – Die Welt wird immer kritischer, Die Welt wird immer kritischer! Oh! Chor der Beamten: Ein Politischer! Ein Politischer! Ein Politischer! Ein Politischer! Wendelin: Die Angst – Leni: die Angst – Wendelin: die Angst geht um! Und keiner weiß, warum? Leni: Und keiner weiß, warum. Wendelin: Die Angst – Leni: die Angst – Wendelin: die Angst geht um! Gestern auf d’ Nacht drob’n am Glacis Seh’ ich die Angst vor mir – Leni: Vis – Wendelin: à– Leni: vis. Wendelin: Die Ärmste bebt am ganzen Leib. Leni: Mein Gott, was hat s’?
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Wendelin: Leni: Wendelin:
Angst hat das Weib. Vor wem? Vor was? Die Frag’ is z’ schwer. Die Zeit wird immer kritischer, Die Zeit wird immer kritischer! Oh! Chor der Beamten: Ein Politischer! Ein Politischer! Ein Politischer! Ein Politischer! Wendelin: Die Angst – Leni: die Angst – Wendelin: die Angst geht um! Sie wissen nicht warum – Leni: Sie wissen nicht warum. Chor: Die Angst, die Angst, die Angst geht um! Pfrim: Sogar im Ministerium Steht Wache sie vor jeder Tür, Als wäre sie der Portier! Portier: Genug davon, ich bitte sehr! Wendelin: Jetzt wird die G’schicht’ noch kritischer! Portier: Ist der auch ein Politischer? Ein roter Revolutionär? Pfrim: Ja, jetzt – Leni: Ja, jetzt – Wendelin: Ja, jetzt – Chor: Ja, jetzt – Portier: Ja, das is schon aso! Daß so ein Kerl sich nicht geniert, Den man grad früher arretiert! Hinaus mit ihm! Und du gehst mit! Leni: Herr Vater! Portier: Kein Pardon! Leni: Was g’schieht dem andern Revolutionär? Wendelin: Den holt der Teufel sowieso – Portier: Ja, das is scho aso! Wendelin (allein): Die Angst, die Angst, die Angst geht um In unserm Ministerium, In ganz Europa, Afrika, In Salzburg und Amerika. Mir scheint, die Welt hat sich verrollt, Damit s’ net auch der Teufel holt. Vielleicht, daß den die Angst auch frißt? Doch wer ein armer Teufel ist, Glauben s’ mir, daß der die Angst vergißt!! Glauben s’ mir, daß der die Angst vergißt!!
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Wendelin ist inzwischen vollends der Überzeugung, daß das Schicksal nicht gerecht ist; und woher sollten dann erst die Poliker Gerechtigkeit lernen ? [Dritter Akt. Sechstes Bild. Fünfzehnte Szene] 21. [20] Couplet Wendelin (Die Brüder Specht): „Von wem soll’n s’ denn lernen, unsere Herr’n“ Vor genau hundert Jahr’, Als der Nestroy noch war, Der grad den Monolog Der Verbreitung entzog, Hatten s’ es net erlaubt, Daß man 'n aufg’sagt hätt’ laut. D’ Freiheit kann oft verderb’n, Aber nimmermehr ganz aussterb’n! Und heut’ lassen wir ’n ersteh’n, Den verbot’nen Refrain. Wenn ’s Schicksal gerecht nicht kann werd’n Von wem soll’n sie’s lernen, unsere Herr’n? Von die zwei Brüder Specht War einer gut, einer schlecht. Der Schlechte hat g’stohl’n, Hat ein’ umbringen woll’n Und is heut’ ein Rentier Mit ein’m Mordsportemonnaie. Unser Braver dafür, Der war alleweil stier, Bis vor Bravheit er glatt Jetzt ins Gras biss'n hat. Wenn ’s Schicksal gerecht nicht kann werd’n, Von wem soll’n sie’s denn lernen, unsere Herr’n? So viel sieht man schon ein, ’s muß a Einteilung sein, Daß im menschlichen Leb’n Auch a Ordnung tut geb’n. Aber nur nicht zu grell, So daß Tausenden ’s Fell Wird gezog’n über d’ Ohr’n. Und daß schwelgen die Hochgebor’n. Und die Untern hab’n nix Als die Abfäll’ des Glücks. Wenn ’s Schicksal gerecht nicht kann werd’n, Von wem soll’n sie’s denn lernen, unsere Herr’n? Von der Geburt bis zum Sterb’n Hab’n ma heut’ auf den Scherb’n A paar Krieg’, d’ Revolution, Aber g’lernt hab’n wir nix davon.
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Hartmut Krones
Große Herr’n sind bestrebt, Daß unser Land weiterlebt, Und mir leb’n wie die Hund – Aber is das jetzt a Grund, Daß sie uns zerreißen Und dann auf’n Misthauf’n schmeißen? Da das Schicksal gerecht nicht kann werd’n – Von uns werd’n sie’s lernen, unsere Herr’n! Die Szene verwandelt sich nun zu einer waldigen Szene auf einer Anhöhe, von der man auf eine in einiger Entfernung liegende große Stadt sieht. 22. [21] Verwandlungsmusik (= Beginn der Ouvertüre) Auf dieser Anhöhe berichtet Reichthal vom Ableben des Ministers, und Thurming gibt dessen Befehl weiter, Stromberg und Arnstedt zu arretieren. Unterdessen wandern Pfrim und Wendelin Richtung Rom, um den Teufel abzuschütteln; dementsprechend erklingt ein „Wallfahrerlied“. [Dritter Akt. Siebentes Bild. Siebzehnte Szene] 23. [22] Wallfahrerlied (Bühnenmusik) Rosalie versucht, ihre Herrin vor der geplanten Entführung durch Stromberg zu retten, und bittet Pfrim und Wendelin um Hilfe. Beide spielen aber die heiligen Wallfahrer; insbesondere Wendelin will dem Himmel gleichsam seine Bußfertigkeit beweisen. [Dritter Akt. Siebentes Bild. Neunzehnte Szene] 24. [23] Melodram (= Nr. 4) Pfrim und Wendelin wandern weiter und geraten in ein Gewitter, halten aber erneut Blitz und Donner für Unholde und Teufel. Da tauchen Reichthal und Thurming auf; letzterer wirft Wendelin vor, seine Gemahlin nicht vor der Gefahr gewarnt zu haben, in der sie schwebte, und nun endlich erkennt dieser, keinem Teufel gegenüberzustehen. Und so, wie Thurming mit Adele, kann nun auch Wendelin mit Rosalie glücklich werden. Er will dies aber nicht „auf ewig“ sein, sonderrn nur „zeitlebens“, weil ihn das Wort „ewig“ allzu sehr an den Teufelskontrakt erinnert. [Dritter Akt. Siebentes Bild. Vierundzwanzigste Szene] 25. [24] Großes Finale („Teufelspakt“): „Teufelspakt! Mit dem Teufel ein’ solchen Kontrakt“ Chor: Rosalie: Wendelin:
Chor: Wendelin:
Teufelspakt! Mit dem Teufel ein’ solchen Kontrakt Abzuschließen, das macht mich verzagt! Schau, der Teufel, der is ja schon alt, Und der arbeit’ sich deppert mit G’walt, Weil er bald ganz zum Teufel geht, das sag’ ich euch, Mit der Zeit tut er das auch in Österreich – Wenn auch nicht stantepede und gleich! Aber ich glaub’, langsam kriegt man den Kerl schon weich –
Hanns Eislers Bühnenmusik zu Höllenangst
I lass’ mir mein’ Aberglaub’n Durch ka Aufklärung raub’n! ’s is ja schön überhaupt – Chor: Wenn einer etwas noch glaubt, Wenn einer etwas noch glaubt! Wendelin: Wirst sehen, wir derleben noch sein’ Leich’! – Rosalie: Sixt es, dann g’freut’s auch mi! Wendelin: Rosalie! Thurming mit Adele: ’s geht halt nur mit der Diplomatie. Und für uns war’s ein Glück das Malheur Mit dem Onkel und dem Staatssekretär! Wendelin: Und jetzt bringt s’ die Angst drin um! – Chor: Die Angst, die Angst, die Angst bringt s’ um, Sogar ein Ministerium Ist nicht immun, die Angst schmeißt’s um. Wendelin: Hab’n S’ g’sehn? Und frag’n S’ uns warum? So mancher will aus seiner Haut Weil es ihm vor der Zukunft graut! Das Volk wird immer kritischer! Und – Chor: Auch politischer! Auch politischer! Auch politischer! Auch politischer! Rosalie: Oh! Chor: Ja, im Umschwung der Zeit Lernt man kennen d’ Leut’, Portier: Im detail und en gros, Chor: Ja, dös is halt schon a – Pfrim: So Wiar i, tragt a jeder den Teufel herum! Ob er’s glaubt oder nicht, er geht um! Wendelin: Is er da, packt’s ihn gleich, liabe Leuteln, Tuat’s ihn fest umanandschlag’n und beuteln. Rosalie: Wia beim Kasperltheater auf der Wienerzeil, Wendelin: Von der Höllenangst habt’s euch dann ganz befreit, Wann’s den Teufel derschlagt’s mit der Zeit! Chor: Wann’s den Teufel derschlagt’s mit der Zeit!
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Die beiliegende CD
Hanns Eisler: Bühnenmusik zu Johann Nestroys
Höllenangst
1. Ouverture (3’13’’) 2. Pfrims Heurigen-Lied: „Ich schau mir die Welt durch ein Glaserl an“ (1'01’’) 3. Melodram (Stromberg): „Himmel, Herrgott, Sakrament“ (30’’) 4. Melodram: Überkletterung des Daches (53’’) 5. Verwandlungsmusik (2’01’’) 6. Höllenangst-Couplet (Wendelin): „Die Welt zu regier’n“ (4’35’’) 7. Gewittermusik (= Nr. 4) (36’’) 8. Der Hechtenwirt (Couplet Pfrim): „Beim Hechtenwirt, weiß ich“ (2’33’’) 9. Zweifel-Couplet (Wendelin): „Wie mein’ Wirtschaft’rin“ (4’51’’) 10. Zwischenspiel Nr. 1 (1’28’’) 11. Zwischenmusik (= Nr. 5) (1’42’’) 12. Couplet Rosalie: „Die Infanterie, die Artillerie, die Kavallerie“ (3’44’’) 13. Duett Thurming–Adele: „Zwei Menschen finden sich in Liebe“ (2’11’’) 14. Das kleine Finale (21’’) 15. Aberglauben-Lied (Couplet Wendelin): „D’Leut woll’n nix mehr glaub’n“ (4’42’’) 16. Zwischenspiel (= Nr. 10) (1’26’’) 17. Portier-Couplet: „Dös ist a g’spaßige Klass’“ (3’10’’) 18. Zwischenspiel Nr. 2 (1’25’’) 19. Die Angst (Duett mit Ensemble): „Die Angst geht um“ (3’57’’) 20. Couplet Wendelin (Die Brüder Specht): „Von wem soll’n s’ denn lernen, unsere Herr’n“ (2’52’’) 21. Verwandlungsmusik (= Beginn der Ouverture) (1’04’’) 22. Wallfahrerlied (Bühnenmusik) (48’’) 23. Melodram (= Nr. 4) (34’’) 24. Großes Finale („Teufelspakt“): „Teufelspakt! Mit dem Teufel ein’ solchen Kontrakt“ (2’29’’) Ausführende: Gabriele Fontana (Sopran), Adrian Eröd (Bariton), Peter Weber (Bariton), Das Ensemble „Kontrapunkte“, Dirigent: Peter Keuschnig Silvestre Revueltas: Kampflieder (zum Artikel von Roberto Kolb) 25. Porras (Kampfrufe) (1’25’’) 26. México en España (Himno a los combatientes mexicanos en España) (1’48’’) 27. Frente a frente („Frente a frente nuestras filas“) (1’38’’) 28. Frente a frente [Adivinanza] („Ya se estira, ya se encoge“) (1’20’’) 29. Canto de guerra de los frentes leales (2’20’’) Ausführende: Camerata de las Américas (Artistic Director: Roberto Kolb), Coro Solistas Ensemble, Dirigent: Rufino Montero
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Die beiliegende DVD
Hanns Eisler: Ausschnitte aus der Filmmusik zu
Schicksal am Lenkrad
„Schicksal am Lenkrad“ Akkord-Film, Regie: Aldo Vergano, Musik: Hanns Eisler Filmarchiv Austria, © Wien Film GmbH, Wien 1 Franzl fährt mit Grubers Auto davon (1’59’’: im Film von 9’18’’ bis 11’17’’) 2 Simmerl findet Franzl (3’12’’: von 22’21’’ bis 25’33’’) 3 Franzl vor dem Richter (3’28’’: von 41’56’’ bis 45’24’’)
Personenregister In Zitaten falsche Schreibweisen (mit Ausnahme von den nicht allgemeingültig geregelten Transliterationen) wurden, wenn sie eruiert werden konnten, richtiggestellt. Das Personenregister zum Briefwechsel von Hilde Glück mit Hanns und Louise Eisler befindet sich auf den Seiten 450–452. Adler, Friedrich 18 Adler, Max 19 Adler, Viktor 194f. Adorno, Theodor W. 87, 102, 108, 112, 255, 282, 297, 299, 320, 325, 335, 341, 352f. Ahrend, Thomas 25, 35–51 d’Albert, Eugen 17 Albrechtsberger, Johann Georg 251 Alsen, Herbert 222 Andrejevskij, Andrej 359 Angerer, Paul 213 Ansermet, Ernest 350 Apostel, Hans Erich 13, 166, 191, 207, 225, 305f., 310 Aristophanes 179 Aristoteles 263 Arnold, Irmgard 327 Arnstein, Arnold 346 Aslan, Raoul 210 Asriel, Andre 237, 327 Assafjev, Boris 321 Augustinus (von Hippo) 332 Auric, Georges 348 Bach, David Josef 16, 195, 277 Bach, Johann Sebastian 11, 17, 91, 112, 129, 195, 242, 251f., 256, 261, 270f., 334 Baer, Sebastian 213 Bahr, Hermann 17 Balász, Béla (geb. Herbert Bauer) 53– 64 Baldass, Ludwig 225 Bartók, Béla 55, 86f., 253f., 259, 265
Basil, Otto 225 Bauer, Otto 20 Baumann, Mordecai 121 Beaufils, Marcel 189 Bebel, August 20 Becher, Johannes R. 109, 112, 180, 222, 234, 237, 242, 277, 336, 360, 364, 368, 454 Beer-Hofmann, Richard 17 Beethoven, Ludwig van 22, 72, 89, 91, 112, 171, 190, 222, 246f., 250ff., 254, 256, 258f., 261, 264f., 269ff., 353 Benesch, Otto 225 Benjamin, Walter 18, 281f. Benndorff, Wolfgang 225 Berg, Alban 24f., 53, 188, 208, 243, 249, 256, 259, 292, 333 Berger, Hanna 166f., 225 Berger, Hanns 275 Berio, Luciano 319f. Berlau, Ruth 289 Berlinguer, Enrico 237 Berlioz, Hector 261 Berner, Lizzy 11f., 164 Bernfeld, Siegfried 9, 18 Bernstein, Leonard 204, 454 Besson, Benno 295 Bethge, Hans 207 Betz, Albrecht 328 Bezruc, Peter 254 Bittner, Julius 17 Blake, David 37 Blaukopf, Kurt 199, 213, 234, 260– 264, 274f., 313, 356
Personenregister
Bleichsteiner, Robert 225 Blitzstein, Marc 205 Bloch, Ernst 65, 320, 322, 338, 341 Blöch, Josef 225 Boehmer, Konrad 328 Böhm, Karl 208 Boltzmann, Ludwig 17f. Bönsch, Franz 173 Borodin, Alexander P. 17 Boulanger, Nadia 118, 127 Boulez, Pierre 319 Brabbée, Louise 208 Brabek, Emanuel 206 Brahms, Johannes 16, 23f., 26, 71, 89f., 111, 113, 245f., 250f., 256, 261, 265, 279, 321 Brand, Willy 341 Brandenstein, Wilhelm 225 Brecht, Bertolt 11, 66ff., 81f., 93f., 99, 109, 115, 120, 141, 157, 162f., 166, 169f., 173, 178ff., 183f., 199ff., 213, 222ff., 232, 234, 236, 239, 241f., 244, 277ff., 282, 288ff., 294ff., 305, 327, 331f., 334–338, 341, 351, 359, 361, 454 Brentano, Franz 17 Breuker, Willem 328f. Brix, Karl 173f., 291, 356 Brockhaus, Heinz Alfred 158, 324– 326, 331 Broda, Engelbert 225 Bronnen, Arnolt 295 Bruckner, Anton 16, 37, 207, 247 Bruckner, Ferdinand 197f. Brueghel, Peter 282 Bunge, Hans 65, 78, 110, 114f., 184, 281, 296, 322, 337f. Burkhard, Paul 179 Busch, Ernst 174, 179f., 224, 334, 352, 364 Busoni, Ferruccio 84 Byrns, Harold 347 Cabada, Juan de la 144
477 Cage, John 216 Canetti, Elias 190, 208 Cárdenas, Lázaro 118, 122, 134, 136f., 145 Cardoza y Aragón, Luis 138 Cavalcanti, Alberto 289 Cerha, Friedrich 210, 292, 314 Cermak, Leo 173, 213 Chaplin, Charles (Charlie) 191, 199, 211ff., 283, 300, 348, 454 Chappuis, Marianne 453 Chavez, Carlos 134 Chopin, Frédéric 17, 22 Chrennikow, Tichon 236 Christof, Joseph 329 Clark, Tom C. 197 Claudius, Matthias 207 Clevers, Lyne 346 Cocteau, Jean 454 Cohn-Vossen, Richard 323 Cook, Nicholas 107 Copland, Aaron 191, 199, 204, 454 Csokor, Franz Theodor 225 Czap, Hans 267f. Czepa, Friedl 299 Dahlhaus, Carl 325f. Dahrendorf, Ralf 285 David, Franz 225 De Coster, Charles 348 Debussy, Claude 17, 128 Deeg, Peter 157, 180, 281–301, 343, 365–452 Delibes, Léo 17 Dessau, Paul 109, 153, 178, 289, 319f., 323, 329 Diabelli, Anton 251 Diamond, David 204 Dobrovsky, Josef 225 Dodd, Martha 123 Dohnanyi, Ernst 207 Dollfuß, Engelbert 11, 201, 284, 454 Dolmatowski, Jewgenij 364 Drescher, Horst 328
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Personenregister
Du Bouchet, Denis Jean F. L. 263 Dümling, Albrecht 11, 40 Dunajewskij, Isaak 234, 237 Dvořák, Antonín 17, 339 Ebinger, Blandine 289 Eckhardt=Gramattè, Sophie C. 208 Edthofer, Anton 282 Eggett, E. Chas. 347 Ehrenburg, Ilja 226 Eichendorff, Joseph von 71, 76, 78, 82, 335 Einem, Gottfried von 207, 290, 295 Einstein, Albert 203, 454 Eis, Maria 173 Eisler, Armand 206 Eisler, Charlotte (geb. Demant) 12f., 119, 160ff., 165, 169, 171, 188, 207, 211, 213, 303ff., 312 Eisler, Georg 10, 13, 161f., 165, 171, 180, 201, 211, 303ff., 310, 315 Eisler, Gerhart 14f., 18, 54, 160, 164, 184, 193f., 197, 201f., 205, 228– 231, 354, 454 Eisler, Ida Maria (geb. Fischer) 9, 15 Eisler, Rudolf 15, 153, 187, 355, 453, 457 Eisler, Louise [Lou] 118f., 151, 155, 176, 179f., 183ff., 239, 277, 283, 288, 293, 296, 308, 343, 357f., 360, 368f., 452, 454 Eisler-Friedländer, Elfriede (Fischer, Ruth) 15, 18, 160, 205, 210, 454 Eisler, Stephanie (geb. Peschl) 185, 296–299, 338f., 343, 362f. Elgar, Edward 17 Elias, Norbert 18 Elsner, Jürgen 326, 331 Engel, Erich 224 Engels, Friedrich 19, 82, 340 Erbse, Heimo 271 Eröd, Adrian 453, 474 Estrada, Julio 148 Eulau, Liesl 222
Eysler, Edmund 206, 273 Fanta, Robert 206 Faßhauer, Tobias 58, 135, 301, 343–364 Felden, Hans 162 Felmayer, Rudolf 225 Felsenstein, Walter 179, 224, 240 Feuchtwanger, Lion 13 Ficker, Rudolf von 210 Fidelman, Fima 347 Fischer, Ernst 157, 172, 178, 180– 185, 187, 210, 225, 228, 277ff., 287, 291f., 296, 298, 311, 314, 317, 364 Fischer, Peter 327 Fischer, Walter 172, 227f., 232, 291 Fischer, Wilhelm 13, 191 Fischer-Dieskau, Dietrich 330 Flieder, Johannes 453 Florian, Maximilian 225 Fontana, Gabriele 453, 474 Fontenelle, Bernard le Bovier de 33 Fox, Frank 309 Franck, Karl 54 Frank, Marco 274 Frankl, Viktor 225 Franz I., Kaiser 16 Frei, Bruno 172, 225 Frenkel, Stefan 347 Freud, Sigmund 17, 277 Fried, Erich 211 Friedländer, Walther 270 Friedrich, Günter 238 Frisch, Karl Ritter von 292 Frischauf-Pappenheim, Marie 161 Fritz, Walter 102 Fürnberg, Friedl 171, 176f., 183f. Furtwängler, Wilhelm 208 Füssl, Karl Heinz 180, 242f., 254– 260, 262–265, 274f., 304, 313, 314– 318, 364 Gail, Hermann Rudolf 35f. Gall, Johannes C. 108, 299f., 343, 347
Personenregister
Garai, Josef 314 Garbo, Greta 294 García Lorca, Federico 134f., 148 García Mendoza, Adalberto de 117f., 124–127 Gardner, Ava 155 Garro, Elena 144 Gayda, Thomas 306 George, Stefan 246 Gerster, Ottmar 339 Giehse, Therese 289, 294 Gielen, Michael 314 Gil, Paco 144 Gilbert, Robert (Weber, David) 334, 349 Giraud, Albert 49, 51, 251, 254 Glasunow, Alexander K. 17 Gleißner, Heinrich 210 Glinka, Michael 272 Gluck, Christoph Willibald 17, 261 Glück, Elisabeth 289 Glück, Else 283 Glück, Franz 225, 282f., 288, 298, 307, 351, 358f., 360ff. Glück, Gustav 281–284 Glück, Hilde 234, 283, 293, 299, 307, 343, 351, 357–363, 368ff. Glück, Wolfgang 281–301, 307, 343, 357, 359, 360f., 367, 452 Goebbels, Heiner 328f. Goethe, Johann Wolfgang von 85, 209, 242, 284, 335, 337, 359 Goldmark, Carl 17 Goldschmidt, Harry 274, 321ff., 325f., 356 Gorki, Maxim 202, 208, 239, 241 Grabs, Manfred 245, 298, 313, 328f., 331, 334, 359 Grädener, Hermann 17 Graener, Paul 49 Graf, Max 193 Graf, Maximilian 178 Grillparzer, Franz 265
479 Grois, Hans 210 Grosz, Wilhelm 54 Gruber, Heinz Karl 210 Guhl, Adolf Fritz 180 Guillén, Nicolás 139 Gutmann, Maria 163 Haenel, Günther 218, 225 Häfner, Herbert 166, 169, 173f., 207, 211, 213, 291, 304f., 306, 308, 366 Hamm, Peter 329 Händel, Georg Friedrich 17, 246, 251 Hanusch, Ferdinand 20 Harris, Roy 204 Harth, Alfred 329 Hartleben, Otto Erich 251 Hauer, Josef Matthias 188, 208 Haufrecht, Herbert 205 Hauptmann, Elisabeth 297 Hauptmann, Gerhard 20 Hautmann, Hans 160 Haydn, Joseph 9, 89, 246, 251 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 332, 353 Heher, Hannes 207, 211, 303–318, 452 Heimböck, Heinz 162 Heine, Heinrich 242, 246 Heinz, Wolfgang 170, 175, 218, 290 Heller, Bernt 300 Hellmesberger, Josef 17 Hennenberg, Fritz 328 Henreid, Elisabeth 282, 286 Henreid, Paul 281, 283, 286 Henze, Hans Werner 271 Hermlin, Stephan 112f. Herzfelde, Wieland 18 Herzl, Theodor 18 Herzmansky, Bernhard 225 Heuberger, Richard 17 Hevesi, Ludwig 17 Heymann, Werner Richard 353 Hindemith, Paul 259
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Personenregister
Hinterstrasser, Michael 288 Hirschfeld, Kurt 289 Hitler, Adolf 82, 192f., 201, 276, 279, 335 Hochwälder, Fritz 299 Hodek, Johannes 328f. Hölzel, Adolf 17 Hofbauer, Friedl 171 Hofer, Carl 271 Hofmannsthal, Hugo von 17f. Hohmaier, Simone 53–64 Hölderlin, Friedrich 65, 78, 71, 110ff., 233, 335 Hollitscher, Heinz Wolfgang 169f., 212, 225, 234, 279 Hollitscher, Walter 172f. Honay, Karl 168 Honegger, Arthur 11, 314 Horak, Hanns 225 Hörbiger, Attila 299 Hörbiger, Christiane 299 Hörbiger, Paul 210 Horkheimer, Max 325 Horn, Otto 237 Hsien, Tschu Schi 237 Hufschmidt, Wolfgang 341 Ivens, Joris 348 Janáček, Leoš 17, 254, 265 Janka, Walter 338 Janower, Paula 162 Jens, Walter 326 Jeschke, Anouk 343 Jettl, Rudolf 206 Jöde, Fritz 353 Jonson, Ben 179, 244 Kafka, Franz 277 Kamann, Karl 174, 291 Kann, Hans 314 Karajan, Herbert von 208 Karl I. (Kaiser) 201 Kaschuba, Wolfgang 101 Kästner, Erich 100 Kauders, Otto 225
Kaufmann, Wilhelm 225 Kehler, Sonja 328 Keldorfer, Viktor 309 Keller, Christoph 329 Keller, Gottfried 190 Kernstock, Ottokar 9 Kesselring, Joseph 359 Kestenberg, Leo 20 Keuschnig, Peter 453, 474 Keuschnig, Rainer 453 Kienzl, Wilhelm 9, 20 King, Carol 197 Klabund (Alfred Henschke) 207 Klambauer, Erwin 453 Klaren, Georg 225 Klebe, Giselher 271 Klemm, Eberhardt 320ff., 324f., 328, 332f., 352 Klimt, Gustav 17 Klingberg, Lars 320ff., 325 Kluttig, Roland 300 Knappertsbusch, Hans 208 Knepler, Georg 10, 168, 173, 175, 219, 222, 231ff., 273f., 322, 325f., 336 Knuth, Gustav 289 Kochan, Günter 241 Kokoschka, Alfred 17 Kolb, Robert(o) 133–149, 474 Kolbe, Eduard 159 Kolisch, Rudolf 37, 200 Konfuzius 243 König, Otto 225 Kont, Paul 314 Konz, Klaus 101 Koplenig, Johann 168, 172, 178 Körner, Theodor 165, 210, 288 Korngold, Erich Wolfgang 286ff. Kortner, Fritz 296 Kostakowsky, Jakob 133, 135–139, 142 Kovacs, Desider 162f. Kramer, Theodor 18 Kraus, Karl 10, 18, 277, 282, 284f.
Personenregister
Krause, Willy 206 Krauß, Clemens 208 Krauß, Werner 295 Kreilisheim, Otto 167f. Kreissler, Felix 179 Krenek, Ernst 18, 55, 260, 274, 454 Krips, Josef 13, 166, 191 Krombholc, Jaroslav 210 Krones, Hartmut 7–14, 72f., 151– 155, 157, 187–280, 292, 312, 452–472 Kubin, Alfred 17 Kulka (Ehepaar) 54 Kundegraber, Max 173 Kunschak, Leopold 210 Kupka, František 17 Lafite, Peter 165 Lammel, Inge 332, 334 Lang, Fritz 200 Lang, Hans 309 Langhammer, Leopold 225 Langhoff, Matthias 362f. Laske, Oskar 225 Laux, Karl 267, 269–272, 313 Lazarsfeld, Paul 18 Lechthaler, Josef 207 Lehár, Franz 17 Lenin, Wladimir Iljitsch 95, 114, 223, 279, 332, 361 Leonard, Lawrence 328 Leopardi, Giacomo 111 Leskoschek, Axl 225 Leuchter, Erwin 11, 163 Leukauf, Robert 207 [Leverkühn, Adrian] 87ff., 267 Li Tai Pe 276 Lichtenberg, Georg Christoph 214 Liegler, Leopold 225 Lindenthal, Roland 453 Links, Fritz 234 Lippmann, Günter 329 Lippmann, Jutta 329 Liszt, Eduard 225 Liszt, Franz 17, 22ff.
481 Litschauer, Franz 209 Loehr, August 225 Loibner, Eduard 456 Lombardo Toledano, Vicente 118, 120 Loos, Adolf 18, 284 Lorenz, Konrad 292 Lukács, György 54, 66, 322 Luth, Regine 289 Luther, Martin 337, 339 Mach, Ernst 18 Maddalena, Hilda 189 Maddalena, Max 189 Mahler, Gustav 16f., 33, 206, 247, 254, 260, 265f., 275, 289, 303 Maisel, Karl 210 Mann, Thomas 66, 86ff., 191, 203, 267, 454 Marcuse, Herbert 325 Marinelli, Wilhelm 225 Marley, Lord 192 Marx, Joseph 13, 166, 188, 191, 196, 209f., 224, 226, 305, 309–312 Marx, Karl 66, 82, 153, 202, 225, 266, 340, 361 Marxens, Eduard 23f. Maslow, Arkadij 160 Matejka, Viktor 13, 165, 168, 198, 225, 287f. Maupassant, Guy de 353 Maurus, Rhabanus 263 May, Gisela 328 May, Karl 285 Mayer, Günter 118f., 267, 273, 319– 326, 329, 331, 343 Mayer-Serra, Otto 121, 133f., 143 McCarthy, Joseph 153, 277 Melan, Ernst 225 Melichar, Alois 217, 224, 225, 270, 310 Mendelssohn Bartholdy, Felix 23, 335, 344 Messiaen, Olivier 216, 271, 314
482
Personenregister
Me-Ti 243 Metzenbauer, Leopold 225 Meyer, Conrad Ferdinand 251 Meyer, Ernst Hermann 158, 321, 326, 331f., 337, 339 Milhaud, Darius 11, 188, 314 Millöcker, Carl 17, 179, 206, 360 Mitterböck, Fritz 175 Mitterer, Erika 225 Monk, Egon 295 Montero, Rufino 474 Moore, Henry 297 Moralt, Rudolf 222 Morgenstern, Christian 35ff., 49f. Mörike, Eduard 71 Mozart, Maria Anna [Nannerl] 15 Mozart, Wolfgang Amadeus 15, 65, 89, 91, 171, 222, 232, 252, 257, 261, 278 Mugrauer, Manfred 157–185, 188, 206f., 239, 293, 452 Muhr, Adelbert 225 Müller, Gerhard 329f. Münz, Ludwig 284, 288 Muschik, Johann 239 Musil, Robert 277 Mussolini, Benito 193, 284 Mussorgskij, Modest P. 86, 121, 264 Myrbach, Felician 17 Napoleon I. 202 Nedwed, Norbert 363 Neff, Dorothea 225 Nestroy, Johann 94, 170, 179, 187, 219, 224, 240, 242, 277, 290, 296, 453, 455–474 Neubauer, Friedrich 219 Niemann, Konrad 325 Nietzsche, Friedrich 17, 82, 209 Nixon, Richard 454 Nono, Luigi 153, 319f. Nordau, Max 18
Notowicz, Nathan 319, 322f., 332f., 338 Nowikow, Anatoli G. 237 Odets, Clifford 123 Oistrach, David 241 Ortmayer, Krista 234 Ott, Alexander 364 Padilla, Marco 453 Pahlen, Kurt 10 Palitzsch, Peter 295 Paryla, Karl 170, 173, 175, 218, 223, 225, 290, 455ff. Pauser, Sergius 225 Paz, Octavio 137, 149 Petyrek, Felix 306 Pfitzner, Hans 17 Philipe, Gérard 348 Phrynis [von Lesbos] 254 Picasso, Pablo 191, 361, 454 Pieck, Wilhelm 168, 178 Pilß, Karl 208 Pioro, August 206 Piscator, Erwin 295 Pisk, Paul Amadeus 10f., 207, 454 Piston, Walter 199, 204, 454 Pitzek, Josef 453 Plá y Beltrán, Pascual 143ff. Pleasants, Henry 269 Poell, Alfred 173 Polnauer, Josef 10, 206, 305, 314f. Pomar, José 133–138, 142 Ponce, Manuel Maria 117f., 125 Poniatowska, Elena 148 Popp, Adelheid 20 Priester, Eva 208 Prokofjew, Sergej S. 254, 259 Puccini, Giacomo 17 Pürkner, Anton 213 Rabeneder, Karl 210 Raimund, Ferdinand 455 Raky, Hortense 173, 225 Rameau, Jean–Philippe 17 Rankl, Karl 39
Personenregister
Ratz, Erwin 11f., 26, 32, 38ff., 161, 164, 166, 169, 185, 206, 219, 288f., 292, 305–308, 314f., 345f., 349f., 354, 366, 454 Reger, Max 17, 37, 256 Reimann, Aribert 330 Reisser, Heinrich 283, 287 Rembrandt van Rijn, H. 284, 288 Renner, Karl 9, 20 Reubke, Julius 23 Revueltas, Eugenia 138 Revueltas, Silvestre 133–149, 453, 474 Reznicek, Emil Nikolaus von 17 Richter, Helmut 111 Rienäcker, Gerd 109–115, 331–340 Rischka, Theodor 210 Rivera, Diego 137, 149, 239 Röbbeling, Hermann 225 Robert, Richard 187 Robin, Harry 346f. Robinson, Earl 204f. Rolett, Edwin 225 Rolland, Romain 269 Rollers, Alfred 16 Roosevelt, Eleanor 202 Root, George F. 364 Rothmayer, Gerda 241 Rubin, Marcel 13, 157, 166, 171f., 175, 181, 186–276, 288, 312ff. Ruppel, Karl Heinrich 270 Rychlink, Hilde 173, 180, 242, 291 Saar, Ferdinand von 17 Sacher-Masoch, Alexander 225 Saint-Saëns, Camille 17 Salazar, Adolfo 118, 126f. Salmhofer, Franz 13, 165, 191, 210 Salten, Felix 18 Sandi, Luis 135 Santos, Ninfa 148 Sartre, Jean-Paul 293 Saslawski, David I. 226 Satie, Erik 188
483 Schatz, Otto R. 225f. Schebera, Jürgen 173, 178, 327–330, 360, 452 Schenner, Siegfried 453 Scheu, Josef 268 Schiele, Egon 17 Schlee, Alfred 12, 219 Schmidt, Christian Martin 21–34, 333 Schmidt, Franz 17, 188, 273f. Schmidt-Garre, Helmut 270 Schneerson, Grigori 137 Schneider, Frank 325f. Schnitzler, Arthur 17f. Schoenberg Nono, Nuria 151–155 Scholem, Gerhard 281 Schönauer, Marianne 226 Schönberg, Arnold 7–11, 15, 17f., 20f., 24ff., 32f., 35–41, 53, 66, 74–79, 81, 83–96, 112, 120, 126f., 158, 161, 187, 195, 200, 206f., 211–217, 224, 240, 243–269, 270–278, 284, 286, 288f., 292, 303, 305f., 308ff., 312– 316, 318–322, 324, 332f., 335ff., 339, 343, 356, 360, 366, 453, 455 Schönberg, Gertrud 286 Schönberg, Lilly 180, 242 Schönewolf, Karl 273ff. Schönfeld, Bruno 226 Schönherr, Max 208 Schostakowitsch, Dmitrij D. 180f., 210, 225, 239, 254, 259, 312, 364 Schramek, Karl 172, 228 Schrammel, Josef 17 Schreker, Franz 17 Schröder, Caroline 245 Schubert, Franz 22, 65, 72, 89, 171, 206, 233, 242, 252, 254, 258, 261, 272, 279, 335 Schulhof, Otto 180, 226, 243 Schumacher, Joachim 120, 122 Schumacher, Sylvia 120, 122 Schumann, Clara 72
484
Personenregister
Schumann, Robert 17, 22f., 65, 71f., 74f., 77f., 80, 206, 246, 261, 279 Schuschnigg, Kurt 201 Schütte-Lihotzky, Margarete 226 Schütz, Franz 208 Schweighofer, Josef 159 Schweinhardt, Peter 97–108, 164, 170f., 178f., 291, 309, 452 Scott, Walter 285 Sebek, Franz 171, 222 Sechter, Simon 251 Sessions, Roger 199, 204, 454 Shakespeare, William 179 Shaw, Artie 155 S[c]hdanow, Andrej A. 226, 269, 313 Sibelius, Jean 17 Sica, Vittorio de 102 Sieczynski, Rudolf 309 Sieger, Elsa 54 Siegmund-Schultze, Walter 326 Silone, Ignazio 350 Silverberg, Laura 321 Simmel, Johannes Mario 226 Siqueiros, David Alfaro 137 Sittner, Hans 13, 166, 191, 310 Skoda, Albin 222 Skraup, Karl 226 Slama, Viktor Th. 226 Smetana, Bedřich 17 Snyman, Michael 453 Sokolow, Anna 121f. Sontis-Czukovits, Tonja 173 Soyfer, Jura 189, 222, 234 Speidel, Ludwig 17 Spivakovsky, Tossy 200, 347 Stalin, Josef 102, 147, 223, 234f., 313, 366 Steckel, Leonard 289 Steffin, Margarete 282, 289 Stein, Erwin 10, 26, 40f. Steingruber, Ilona 173, 309 Stemolak, Karl 226 Stendhal [Marie-Henri Beyle] 278
Stepanek-Just, Lilly 226 Stephan, Rudolf 326, 333 Stern, Leo 175 Steuermann, Eduard 21, 40, 200, 303 Stifter, Adalbert 285 Stockhausen, Karlheinz 216f., 319 Stöhr, Richard 188 Stölzel, Gottfried Heinrich 11 Stokowski, Leopold 129 Storch, Otto 226 Strauß, Johann (Sohn) 16, 89, 206, 208, 247, 453 Strauß, Martin (= Marcel Rubin) 208 Strauss, Richard 17 Strawinsky, Igor F. 78, 86f., 191, 214, 259, 271, 320 Strebinger, Robert 226 Strindberg, August 295 Strittmatter, Erwin 111 Stuckenschmidt, Hans Heinz 35f., 272 Suchy, Irene 316 Suitner, Otmar 109 Suppé, Franz von 17 Sussmann, Heinrich 181 Swarovsky, Hans 315 Swoboda, Gustav 213 Teibler, Antonia 117–132, 134 Thein, Annette 65–82 Thirring, Hans 210, 225 Thomas, J. Parnell 202f. Thomson, Randall 204 Tinbergen, Nikolaas 292 Tito 366 Toch, Ernst 269 Torbova, Klara 453 Trakl, Georg 38, 315 Trauneck (Travnicek), Joseph 158, 315 Tretjakow, Sergej 159 Trexler, Roswitha 329 Trivas, Victor 297
Personenregister
Trotzki, Leo 147f. Truman, Harry Spencer 199, 201 Tschaikowskij, Peter Iljitsch 17 Tucholsky, Kurt 341 Tulikow, Serafin 237 Uhl, Alfred 181, 224, 312, 315 Ulbricht, Walter 183 Ulibischeff, Alexander 261 Ullmann, Viktor 18 Verdi, Giuseppe 17, 339 Vergano, Aldo 101f., 475 Verlaine, Paul 251 Verne, Jules 100 Viertel, Berthold 111, 284, 290, 293–296, 298, 351, 359, 362 Viertel, Salka 283, 294 Vinert [frz. Komponist] 237 Vivaldi, Antonio 17 Vollmer, Karl 363 Wagner, Manfred 15–20 Wagner, Richard 17, 129, 245, 256, 270 Wallis, Alfons 347 Wallisch, Koloman 170, 200f., 203 Walt, Blanka 54 Walt, Ernst 54 Wanausek, Camillo 173, 213 Wanslow, Wiktor 264 Weber, David (Gilbert, Robert) 334, 349 Weber, Peter 453, 474 Webern, Anton 10f., 38, 162, 216ff., 243, 249, 256, 259, 267f., 277, 288, 303, 305, 308, 316, 319f., 333, 337, 454 Weigel, Helene 179, 241, 289, 297, 327 Weigl, Karl 453 Weinert, Erich 223 Weingarten, Paul 13, 191 Weingartner, Felix 261 Weininger, Otto 17 Wekwerth, Manfred 295
485 Wellesz, Egon 188, 208, 274 Wessely, Paula 299 Wied, Martina 226 Wienekens, Gustav 18 Wiener, Karl 226 Wilder, Audrey 286 Wilder, Billy 285 Wildgans, Anton 18, 288, 366, 455 Wildgans, Friedrich 13, 17, 165f., 168ff., 173, 175, 188, 191, 206ff., 213, 222, 226, 274, 288, 291, 295, 305f., 308ff., 455f. Windbacher, Sabine 453 Wirth, Dora 206 Wise, Robert 353 Wißmann, Friederike 83–96 Wolf, Hugo 15ff. Wolf, Michèle 362f. Wolf, Otto [Peter Loos] 185, 296 Wolff, Hermann 16 Wolf-Ferrari, Ermanno 17 Wotruba, Fritz 226 Wührer, Friedrich 208 Wundt, Wilhelm 15 Wuolijoki, Hella 289 Zeller, Carl 17 Zemlinsky, Alexander 17 Zerbe, Hannes 329 Ziehrer, Carl Michael 17 Zimmer, Albert 363 Zipper, Herbert 189 Zobl, Wilhelm 158f., 161, 210, 305, 328 Zucker-Schilling, Erwin 185 Zucker-Schilling, Stephanie siehe Eisler, Stephanie Zuckmayer, Carl 289 Zuckmayer-Guttenbrunner, Maria Winnetou 289 Zweig, Arnold 282, 363 Zweig, Stefan 18
486
Copyright-Vermerke und Danksagungen
Zunächst sei Prof. Wolfgang Glück, Daniel Pozner, dem Deutschen Verlag für Musik, Leipzig, dem Musikarchiv (Hanns-Eisler-Archiv) der Berliner Akademie der Künste sowie dem Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek herzlich für die Genehmigung gedankt, wesentliche Teile des Briefverkehrs zwischen Hilde Glück sowie Hanns und Louise Eisler abdrucken zu dürfen. Für die Genehmigung, den Mitschnitt der Eislerschen Bühnenmusik zu Nestroys Höllenangst auf einer CD beizulegen, sei einerseits den Sängerinnen bzw. Sängern sowie den Musikerinnen bzw. Musikern des „Ensemble Kontrapunkte“ und seinem Leiter Peter Keuschnig, andererseits (ebenso wie für die Abdruckerlaubnis des Textes) dem Verlag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, herzlich gedankt. Ebenso herzlich danken wir der „Camerata de las Américas“ und ihrem Artistic Director Roberto Kolb, dem „Coro Solistas Ensemble“ und dem Dirigenten Rufino Montero für die Genehmigung, die CD durch ihre Aufnahmen von fünf Kampfliedern von Silvestre Revueltas zu ergänzen. Für die Genehmigung, drei Ausschnitte aus dem Film Schicksal am Lenkrad (Akkord-Film, Regie: Aldo Vergano, Musik: Hanns Eisler) auf einer DVD beizulegen, sei dem Filmarchiv Austria herzlich gedankt (© Wien Film GmbH, Wien). Weitere Copyright-Vermerke: Folgenden Verlagen, Institutionen und Personen wird für die freundliche Genehmigung zur Reproduktion von Notenbeispielen und Abbildungen gedankt: Biblioteca de las Artes, México D. F.: S. 120, 121, 122 Verlag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden: S. 457–473 Conservatorio Nacional de Música, México D. F.: S. 119, S. 124–132 Deutscher Verlag für Musik, Leipzig: S. 68, 69, 75 Alice Eisler +: Georg Eisler, Portrait-Zeichnung Hanns Eislers (Titelbild) Hanns-Eisler-Archiv, Akademie der Künste, Berlin: S. 85, 88, 94 Globus-Verlag, Wien (KPÖ): S. 174 Internationale Gesellschaft für Neue Musik, Sektion Österreich: S. 306 Hartmut Krones: 220, 221, 223, 235, 236, 238, 280 Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung: S. 316 Verlag Peters, Frankfurt: 73, 74, 76, 77, 79, 80 Eugenia Revueltas: S. 141, 142, 146, 147 Jürgen Schebera: 239, 318, Buch-Rückseite Universal[-]Edition, Wien: S. 167, 304 Zentrales Parteiarchiv der KPÖ, Bildarchiv: S. 175, 176, 177, 181
HARTMUT KRONES (HG.)
ARNOLD SCHÖNBERG IN SEINEN SCHRIFTEN VERZEICHNIS – FRAGEN – EDITORISCHES SCHRIFTEN DES WISSENSCHAFTSZENTRUMS ARNOLD SCHÖNBERG, BAND 3
Arnold Schönbergs Schriften, äußerst wertvolle Dokumente für die Musik-, Geistes- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, geben uns überaus wichtige Hinweise auf das Schaffen und Denken des Komponisten, beinhalten darüber hinaus aber auch wesentliche Zeugnisse für die „Wiener Schule“ und die Wiener Moderne insgesamt, weiterhin für die musikästhetischen Auseinandersetzungen jener Zeit sowie schließlich für Zeitgeschichte, Exilforschung und für die Kämpfe der europäischen Juden um ihre Zukunft. Da das Gesamtcorpus dieser Schriften nach wie vor nur zum Teil und zudem in überaus verstreuten Editionen gedruckt vorliegt, wird derzeit an einer Kritischen Gesamtausgabe gearbeitet, als deren erstes Ergebnis der vorliegende Band u. a. ein systematisches Verzeichnis sämtlicher Schriften (mit Incipits, Quellenbeschreibungen und Register) bietet. 2011. 620 S. 74 S/W-ABB, GRAFIKEN UND TAB. GB. 170 X 240 MM ISBN 978-3-205-78331-2
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