Handbuch des Vertriebs: 20 Module zur fortschreitenden Professionalisierung in Distribution und Verkauf. 2 Teilbände [1 ed.] 9783428555796, 9783428155798

Das Thema Vertrieb wird im Fach- und Lehrbuchbereich erstaunlich zurückhaltend behandelt. Dabei gibt es eine solide konz

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German Pages 1061 [1071] Year 2019

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Handbuch des Vertriebs: 20 Module zur fortschreitenden Professionalisierung in Distribution und Verkauf. 2 Teilbände [1 ed.]
 9783428555796, 9783428155798

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Werner Pepels

Handbuch des Vertriebs 20 Module zur fortschreitenden Professionalisierung in Distribution und Verkauf Teilband I

Duncker & Humblot



Berlin

WERNER PEPELS

Handbuch des Vertriebs – Teilband I

Handbuch des Vertriebs 20 Module zur fortschreitenden Professionalisierung in Distribution und Verkauf

Teilband I Von

Werner Pepels

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISBN 978-3-428-15579-8 (Print) ISBN 978-3-428-55579-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85579-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das The­ma Ver­trieb wird im Fach- und Lehr­buch­be­reich er­staun­lich zu­rück­ hal­tend be­han­delt. Man fin­det lis­ten­wei­se Pub­li­ka­ti­o­nen zu Ma­na­ge­ment, Kon­ zep­ti­on, Denk­hal­tung, Con­trolling etc. im Mar­ke­ting und an­ders­wo, aber kaum sol­che zum Ver­trieb. Das mag da­ran lie­gen, dass Wis­sen­schaft­ler re­gel­mä­ßig we­nig Ein­blick in die Ver­triebs­pra­xis ha­ben und wo­mög­lich die­sen Be­reich auch als zu „pra­xis­las­tig“ ge­rin­ger ein­schät­zen, als es sei­ner tat­säch­li­chen Be­ deu­tung ent­spricht. Und Ma­na­ger, die im Ver­trieb er­folg­reich agie­ren, we­der Zeit noch Muße ver­spü­ren, ihre Kennt­nis­se und Er­fah­run­gen zu ver­schrift­li­chen und dies oft auch nicht ih­rem Ta­lent ent­spricht. Bei­des ist be­dau­er­lich, denn der Ver­triebs­sek­tor ist längst zum ent­schei­den­den Eng­pass für den Markt­er­folg prak­tisch je­des Un­ter­neh­mens ge­wor­den und er­for­dert in rest­rik­ti­ven und kom­ pe­ti­ti­ven Märk­ten mehr denn je den Ein­satz ela­bo­rier­ter, for­sche­risch ab­ge­si­ cher­ter Ak­ti­vi­tä­ten. Au­tor und Ver­lag ha­ben sich die­sem wich­ti­gen Sek­tor nicht nur im Rah­men des „Hand­buch des Mar­ke­ting“ ver­tieft ge­wid­met, son­dern be­reits auch in zwei spe­zi­a­li­sier­ten Pub­li­ka­ti­o­nen, „Ver­triebs­ma­na­ge­ment“ (2.  A.) als aus­führ­li­cher Mo­no­gra­phie und „Grund­la­gen des Ver­triebs“ (3.  A.) zum Ein­stieg in die­ses The­ma. We­gen der ho­hen Markt­ak­zep­tanz die­ser Ti­tel und des all­ge­mein auf­ kom­men­den In­te­res­ses an Ver­triebs­the­men im Rah­men an­spruchs­vol­ler Pra­xis war es je­doch an­ge­zeigt, die­ses „Hand­buch des Ver­triebs“ auf­zu­le­gen. Je­des die­ser Wer­ke muss in sich ab­ge­schlos­sen funk­ti­o­nie­ren, den­noch liegt der In­ halts­schwer­punkt im vor­lie­gen­den Band  auf den stra­te­gi­schen As­pek­ten des Ver­triebs, wo­hin­ge­gen die ope­ra­ti­ven Be­lan­ge in den bei­den an­de­ren Bän­den do­mi­nie­ren. In­so­fern wer­den hier in zwei Teil­bän­den die In­hal­te des an­spruchs­vol­len, profes­si­o­nel­len Ver­triebs dar­ge­stellt. Der Au­tor greift da­bei auf sei­ne zwölf­jäh­ ri­ge Pra­xis­er­fah­rung im Dienst­leis­tungs­ver­trieb als Key Ac­coun­ter über alle Ebe­nen vom Kon­takt­as­sis­ten­ten bis zum Part­ner (Ge­schäfts­füh­ren­der Ge­sell­ schaf­ter im Mit­tel­stand) zu­rück. Hin­zu kom­men 27 Jah­re als Pro­fes­sor für BWL im Schwer­punkt Mar­ke­ting und Ver­trieb. Eine sol­che Kom­bi­na­ti­on aus Ver­ triebs- und Hoch­schul­leh­rerer­fah­rung ist durch­aus nicht weit ver­brei­tet. Die In­hal­te die­ses Hand­buchs be­zie­hen sich auf Ver­triebs­kon­zept und -con­ trolling, Op­ti­o­nen der Ver­triebs­ka­nal­ge­stal­tung, Be­son­der­hei­ten in der Ver­trieb­s­ ­­­­po­li­tik und Um­set­zung im Ver­kaufs­ma­na­ge­ment. Im Haupt­ka­pi­tel „Ver­triebs­ kon­zept und -con­trolling“ (A.) wird zu­nächst der Ver­trieb als zent­ra­le Funk­ti­on des Mar­ke­tings er­läu­tert (1.). Da­rauf fol­gen die Ma­na­ge­ment­funk­ti­o­nen des

VI Vorwort

Ver­triebs in Form von Ver­triebs­pla­nung und -ent­schei­dung (2.), die Ver­triebs­ stra­te­gie und -mo­del­lie­rung (3.), die Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on und -ab­läu­fe (4.) so­wie die Ver­triebs­über­prü­fung und -über­wa­chung (5.). Im fol­gen­den Haupt­ka­pi­tel „Op­ti­o­nen der Ver­triebs­ka­nal­ge­stal­tung“ (B.) wer­ den im De­tail die Di­men­si­o­nen des Ver­triebs­ka­nals dar­ge­stellt (6.) so­wie die Kon­zep­te des Di­rekt­ver­triebs (7.) und des In­di­rekt­ver­triebs (8.). Da­rauf fol­gen Er­läu­te­run­gen zu den Dis­tri­bu­ti­ons­be­zie­hun­gen im Ver­triebs­ka­nal (9.) so­wie zum lo­gis­ti­schen Dis­tri­bu­ti­ons­sys­tem (10.). Da­mit ist Teil­band I. des Hand­ buchs ab­ge­schlos­sen, und es wird im Teil­band II. fort­ge­setzt. Im Haupt­ka­pi­tel „Be­son­der­hei­ten in der Ver­trieb­spo­li­tik“ (C.) wer­den Spe­zi­ a­li­tä­ten in Form des sta­ti­o­nä­ren Han­dels (11.) wie auch des vir­tu­el­len Han­dels (12.) dar­ge­stellt. Eben­so wird der in­ter­na­ti­o­na­le Ver­trieb be­leuch­tet (13.) so­wie der Ver­trieb von Dienst­leis­tun­gen (14.) und der Ver­trieb an Ge­wer­be­kun­den (15.). Da­mit sind die wich­tigs­ten Be­son­der­hei­ten be­rück­sich­tigt. Im Haupt­ka­pi­tel „Um­set­zung im Ver­kaufs­ma­na­ge­ment“ (D.) wer­den zu­nächst die Ele­men­te der Kun­den­be­zie­hung be­han­delt (16.). Im ope­ra­ti­ven Teil  geht es dann um die kauf­män­ni­sche Auf­trags­be­ar­bei­tung (17.) und die tech­ni­sche Auf­ trags­ab­wick­lung (18.). Schließ­lich fol­gen­ Er­kennt­nis­se des Käu­fer­ver­hal­tens (19.) als Ba­sis für die Durch­füh­rung des Ver­kaufs (20.). In­so­fern er­gibt sich ein ab­ge­run­de­ter Über­blick über alle re­le­van­ten Fa­cet­ten der The­ma­tik. Der Begriff „Vertrieb“ wird dabei verstanden als die bewusste Beeinflussung der Vermarktungsbedingungen mittels des Instruments der Distributions- und Verkaufspolitik im Marketing, um individuelle Vorzugspositionen bei aktuellen und potenziellen Kunden und deren Kunden zu erreichen. Dies erfolgt durch Nutzung absatzrelevanter Geschäftsbeziehungen in den Phasen Anbahnung, Transaktion, Nachbearbeitung und Reaktivierung. Die Distributionspolitik befasst sich speziell mit der Gestaltung des Zugriffs auf Kaufkraft / Budget im Vertriebskanal (Hauptkapitel B.), die Verkaufspolitik befasst sich speziell mit der profitablen Materialisierung dieser Konstellation in verschiedenen Märkten (Hauptkapitel C.). Das Vertriebsmanagement umfasst diesbezüglich Planung, Entscheidung, Strategie, Modellierung, Organisation und Kontrolle (Hauptkapitel A.). Und die Vertriebsimplementierung umfasst diesbezüglich Kundenbeziehung, Auftragsbearbeitung, Auftragsabwicklung, Käufereinstellung und Verkaufsdurchführung (Hauptkapitel D.). Vertrieb hat sich dabei im Zeitablauf von der rein operativen Ebene auf eine strategische Ebene emanzipiert. Damit einher geht ein Broadening des Vertriebs, also der Einbezug erweiterter Aktivitätenfelder, sowie ein Deepening des Vertriebs, also eine Ausdifferenzierung der Einzelaktivitäten. Daraus ergibt sich nachfolgend die Basis der Ausführungen. Die­ses Hand­buch wäre nicht ohne die kon­struk­ti­ve und ko­o­pe­ra­ti­ve Un­ter­ stüt­zung des Ver­lags Dun­cker & Hum­blot, Ber­lin, insb. von Dr. Si­mon und Dr. Beck sowie Frau Werner, mög­lich. Da­für herz­li­chen Dank für die nun schon

VorwortVII

zum wie­der­hol­ten Mal pro­fes­si­o­nel­le Zu­sam­men­ar­beit (der Au­tor hat da mit an­de­ren Ver­la­gen durch­aus schon un­er­freu­li­che Er­fah­run­gen ge­macht). Das „Hand­buch Ver­trieb“ wen­det sich an Teil­neh­mer in Stu­di­en­gän­gen mit be­triebs­wirt­schaft­li­cher Aus­rich­tung und Schwer­punkt im Mar­ke­ting bzw. Ver­ trieb (Sa­les). Da­bei ist an Stu­die­ren­de an wis­sen­schaft­li­chen Hoch­schu­len (Uni) und sol­che an Hoch­schu­len für an­ge­wand­te Wis­sen­schaf­ten (FH) zu den­ken. Aber auch an Stu­die­ren­de in der ne­ben­be­ruf­li­chen Aus- und Wei­ter­bil­dung, z.  B. bei Du­a­len Hoch­schu­len, IH­Ken, VWA­en, Fern­hoch­schu­len o.  Ä. Wei­ter­hin rich­ten sich die Buch­in­hal­te vor al­lem an Fach- und Füh­rungs­ kräf­te der Wirt­schaft, die be­reits im Ver­trieb tä­tig sind oder dort er­folg­reich tä­tig wer­den wol­len. Dies be­trifft die Ak­tu­a­li­sie­rung wei­ter zu­rücklie­gen­den BWL-Stu­di­en­wis­sens bei ih­nen eben­so wie den Neu­er­werb sys­te­ma­tisch-ana­ly­ ti­schen neu­en Wis­sens zu BWL, Mar­ke­ting und Ver­trieb. Im Hand­buch fin­det sich eine Viel­zahl von Über­sichts­ab­bil­dun­gen und prak­ ti­schen Bei­spie­len. Der Auf­bau ist da­bei so struk­tu­riert, wie man es von ei­nem Lehr­buch zu­ Recht er­war­ten kann, zu­gleich aber auch so an­wen­dungs­be­zo­gen, wie das für ein Fach­buch ty­pisch ist. Ein ver­gleich­ba­res Werk ist im deutsch­ spra­chi­gen Raum da­her auf ak­tu­el­lem Stand schwer zu fin­den. Um­fang­rei­che Li­te­ra­tur­hin­wei­se er­mög­li­chen auf Wunsch ein ver­tief­tes Ein­stei­gen in The­men­ be­rei­che be­son­de­ren In­te­res­ses. Ih­nen als Le­ser sei nun­mehr viel Er­folg bei der An­wen­dung der dar­ge­stell­ten Wis­sens­in­hal­te ge­wünscht. Kre­feld, im Juli 2018

Wer­ner Pe­pels

Inhaltsübersicht Teilband I A. Vertriebskonzept und -controlling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Inhalte des Marketingrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Entwicklung des Marketingansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Aktuelle Marketingsichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Marketing als Beziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.5 Schnittstelle Marketing zu Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.6 Gesamtwirtschaftliche Einbettung der Vertriebsaktivitäten . . . . . . . . 22 2. Vertriebsplanung und -entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1 Vertriebszielsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.2 Vertriebsplanungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3 Vertriebsbudgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4 Vertriebsinformationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.5 Vertriebsentscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.6 Vertriebsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Vertriebsstrategie und -modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1 Vertriebssituationsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2 Vertriebsstrategierahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.3 Vertriebsstrategische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.4 Strategiebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.5 Eckpfeiler der Produktbasis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Vertriebsorganisation und -abläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1 Organisationseinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2 Verrichtungsorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.3 Konfigurationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.4 Koordinationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.5 Hybride Vertriebsorganisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.6 Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Vertriebsüberprüfung und -überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1 Vertriebssegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.2 Wertorientierte Steuerung der Produkterlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.3 Wertorientierte Steuerung der Gebietserlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.4 Wertorientierte Steuerung der Kundenerlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.5 Vertriebs-Audit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

X Inhaltsübersicht 5.6 Vertriebs-Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.7 Kalkulationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.8 Vertriebs-Informationsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6. Dimensionen des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.1 Leistungsströme im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.2 Akteure im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3 Breite des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.4 Tiefe des Vertriebskanals  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.5 Struktur des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.6 Form des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 7. Konzept des Direktvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1 Eigene Vertriebsmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.2 Akquisitorische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 7.3 Vertrieb über reale Marktveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 7.4 Vertrieb über Katalogmedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.5 Vertrieb über Dialogmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 7.6 Vertrieb über Veranstaltungsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7.7 Verkaufsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 7.8 Fachwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 7.9 Streuprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 8. Konzept des Indirektvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.1 Handelsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.2 Handelsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 8.3 Einteilungskriterien des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 8.4 Einzelhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 8.5 Großhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.6 Dynamik der Handelsbetriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 8.7 Vertriebskanaltransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9. Distributionsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.1 Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.2 Konfliktpotenziale im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 9.3 Präsenz im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 9.4 Vertikale Kooperation im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 10. Logistisches Distributionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.1 Bedeutung der Logistik im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.2 Techniken der Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 10.3 Logistikentscheidung Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 10.4 Logistikentscheidung Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 10.5 Redistribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 10.6 Logistische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

InhaltsübersichtXI

Teilband II C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 11. Parameter im stationären Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 11.1 Sortimentsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 11.2 Preisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 11.3 Kalkulationsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 11.4 Raumeinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 11.5 Markenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 11.6 Händlereigenwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 11.7 Kundenservice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 12. Parameter im virtuellen Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.1 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.2 E-Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 12.3 Praktische E-Sales-Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 12.4 Web-Präsenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.5 M-Sales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 12.6 Suchmaschinen-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 12.7 E-Mail-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 12.8 Social Media Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 13. Internationaler Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1 Kriterien der Internationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.2 Treiber der Internationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 13.3 Auslandsmarktprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 13.4 Auslandsmarktrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 13.5 Auslandsmarktwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 13.6 Optionen des Markteintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 13.7 Entscheidung über die internationale Marktabfolge . . . . . . . . . . . . . . 532 13.8 Entscheidung über das internationale Marktareal . . . . . . . . . . . . . . . . 534 13.9 Entscheidung über die internationale Marktbearbeitung . . . . . . . . . . 538 14. Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.1 Kennzeichen von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.2 Besonderheiten im Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 549 14.3 Kundendienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 15. Vertrieb an Gewerbekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.1 Merkmale des Gewerbekundengeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.2 Geschäftsarten im B-t-B  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 D. Umsetzung im Verkaufsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16. Elemente der Kundenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.1 Kundenzufriedenheit als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.2 Unzufriedenheitsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 16.3 Kundenbindung als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634

XII Inhaltsübersicht

17.

18.

19.

20.

16.4 Kündigungsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 16.5 Kundenclubs als Beziehungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 Kaufmännische Auftragsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.1 Elemente des Angebotswesens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.2 Elemente der Preisfeinsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 17.3 Elemente der Absatzfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 Technische Auftragsabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.1 Vertragliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.2 Bedeutung von Dokumenten im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 18.3 Bedeutung von Lieferklauseln im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 18.4 Ökologie als Selbstverständnis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 Erkenntnisse des Käuferverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.1 Organisationales Beschaffungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.2 Privates Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 19.3 Marke als Verkaufsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 Durchführung des Verkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.1 Verkauf-Kauf-Synchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.2 Verkaufsgesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 Über den Autor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017

Inhaltsverzeichnis Teilband I A. Vertriebskonzept und -controlling 1. Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Inhalte des Marketingrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Entwicklung des Marketingansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Aktuelle Marketingsichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Marketing als Beziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.5 Schnittstelle Marketing zu Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.5.1 Nicht-integrierte Marketingfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.5.2 Vertrieb als Hilfsfunktion des Marketings . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.5.3 Vertrieb und Marketing gleich berechtigt . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.5.4 Integrierte Vertriebs- und Marketingfunktionen . . . . . . . . . . 19 1.5.5 Verteilte Marketingfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.5.6 Verteilte Vertriebsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.6 Gesamtwirtschaftliche Einbettung der Vertriebsaktivitäten . . . . . . . . 22 1.6.1 Marktwirtschaftliche Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.6.2 Markt und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.6.3 Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.6.4 Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Vertriebsplanung und -entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1 Vertriebszielsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1.1 Zentrale Zielinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1.2 Zielarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.2 Vertriebsplanungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2.1 Planungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2.2 Planungsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.3 Planungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.3 Vertriebsbudgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4 Vertriebsinformationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.4.1 Wissensressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.4.2 Optionen der Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.4.3 Durchführung der Marktinformationssammlung . . . . . . . . . . 51 2.4.3.1 Schreibtischforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.4.3.2 Datenauswahl in der Feldforschung . . . . . . . . . . . 53 2.4.3.3 Erhebungsform in der Feldforschung . . . . . . . . . . 56 2.4.4 Marktdatenauswertung und -interpretation . . . . . . . . . . . . . . 60

XIV Inhaltsverzeichnis 2.5 Vertriebsentscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.5.1 Entscheidungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.5.2 Entscheidungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.5.2.1 Regelbasierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.5.2.2 Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.6 Vertriebsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.6.1 Qualitative Prognoseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.6.2 Quantitative Prognoseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.6.3 Markterwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Vertriebsstrategie und -modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1 Vertriebssituationsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1.1 Status quo-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1.2 Festlegung der Soll-Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2 Vertriebsstrategierahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.1 Begriff und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.2 Strategisches Geschäftsfeld  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.3 Strategische Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.2.4 Strategische Geschäftseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3 Vertriebsstrategische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.1 Bestimmung des Marktfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.2 Bestimmung der Marktwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.3.3 Bestimmung des Konkurrenzvorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.4 Bestimmung des Konkurrenzverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.3.5 Bestimmung des Konkurrenztimings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.4 Strategiebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.5 Eckpfeiler der Produktbasis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.5.1 Neuprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.5.1.1 Ideenfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.5.1.2 Forschung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.5.1.3 Markttest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.5.1.4 Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.5.2 Bestandsprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.5.2.1 Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.5.2.2 Packung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.5.2.3 Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.5.3 Produktprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Vertriebsorganisation und -abläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1 Organisationseinteilung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1.1 Aufgabengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1.2 Stellenbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.2 Verrichtungsorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.3 Konfigurationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

InhaltsverzeichnisXV 4.3.1 Vertrieb als Einlinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.3.2 Vertrieb als Stablinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.3.3 Vertrieb als Mehrlinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.3.4 Vertrieb als Matrixorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.4 Koordinationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.4.1 Vertrieb als Teamorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.4.2 Vertrieb als Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.4.3 Vertrieb als Gremienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.4.4 Vertrieb als Divisionsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.5 Hybride Vertriebsorganisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.6 Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.6.1 Prozesssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.6.2 Komplexitätsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.6.3 Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.6.4 Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5. Vertriebsüberprüfung und -überwachung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1 Vertriebssegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.2 Wertorientierte Steuerung der Produkterlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.2.1 Erlöse der Hauptleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.2.2 Erlöse der Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.2.3 Erlösschmälerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.2.3.1 Beplante Erlösschmälerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.2.3.2 Unbeplante Erlösschmälerungen . . . . . . . . . . . . . . 158 5.3 Wertorientierte Steuerung der Gebietserlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.3.1 Intranationale Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.3.2 Supranationale Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.4 Wertorientierte Steuerung der Kundenerlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.4.1 Statischer Kundenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.4.2 Dynamischer Kundenwert  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.4.2.1 Schlüsselgrößen zur Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . 168 5.4.2.2 Kapitalwertmethode als Rechenbasis  . . . . . . . . . 172 5.4.3 Stellgrößen zur Kundenwertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.4.3.1 Positionen für Einzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.4.3.2 Positionen für Auszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5.4.3.3 Positionen für Verrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.4.4 Abgestufte Aktivitätslevels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5.4.4.1 Erhöhung der Auszahlungen von Kunden . . . . . . 185 5.4.4.2 Senkung der Einzahlungen in Kunden . . . . . . . . . 187 5.5 Vertriebs-Audit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.5.1 Risikobehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.5.2 Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5.6 Vertriebs-Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

XVI Inhaltsverzeichnis 5.6.1 Einzelkennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.6.2 Hierarchisierte Kennzahlensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.6.3 Ausbalancierte Kennzahlensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.7 Kalkulationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.7.1 Ermittlung der Preisuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.7.1.1 Zuschlagskalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.7.1.2 Deckungsbeitragskalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.7.1.3 Break even-Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5.7.2 Ermittlung der Preisobergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5.7.3 Kostenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5.8 Vertriebs-Informationsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5.8.1 Generationen von Informationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5.8.2 Warenwirtschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5.8.3 Efficient Consumer Response-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.8.3.1 ECR-Systemelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.8.3.2 Angebotsseite des ECR-Systems . . . . . . . . . . . . . 215 5.8.3.3 Nachfrageseite des ECR-Systems . . . . . . . . . . . . . 217 5.8.4 CPFR-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung 6. Dimensionen des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.1 Leistungsströme im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.2 Akteure im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3 Breite des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3.1 Exklusiver Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 6.3.2 Selektiver Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.3.3 Intensiver Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 6.3.4 Ubiquitärer Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6.3.5 Optionale Sichtweisen des Kanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6.3.6 Distributionsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6.4 Tiefe des Vertriebskanals  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.4.1 Direktvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.4.2 Indirektvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6.4.2.1 Einstufig indirekter Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6.4.2.2 Zweistufig indirekter Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6.4.2.3 Mehrstufig indirekter Vertrieb  . . . . . . . . . . . . . . . 233 6.5 Struktur des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.5.1 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.5.2 Mögliche Vertriebskanaldesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6.5.3 Umsetzung des Mehrkanalvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 6.5.4 Gesplitteter Vertrieb nach Produktgruppen . . . . . . . . . . . . . . 240 6.5.5 Gesplitteter Vertrieb nach Absatzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . 241 6.5.6 Gesplitteter Vertrieb nach Kundenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 6.5.7 Cross Channel Distribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

InhaltsverzeichnisXVII 6.6 Form des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 6.6.1 Eigengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 6.6.2 Fremdgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 7. Konzept des Direktvertriebs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1 Eigene Vertriebsmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.1 Mitarbeiteradministration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.1.1 Beschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.1.2 Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 7.1.1.3 Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7.1.1.4 Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 7.1.1.5 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 7.1.1.6 Freisetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7.1.2 Arbeitsentgeltbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 7.1.2.1 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 7.1.2.2 Dauerhaft variable Bezugsbasis . . . . . . . . . . . . . . 268 7.1.2.3 Dauerhaft variable Verlaufsbasis  . . . . . . . . . . . . . 270 7.1.2.4 Punktuell variable Basis (monetär) . . . . . . . . . . . . 271 7.1.2.5 Punktuell variable Basis (nicht-monetär) . . . . . . . 273 7.1.3 Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 7.1.4 Steuerung der Vertriebsmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 7.1.4.1 Gebietsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 7.1.4.2 Zeitbudgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 7.1.4.3 Besuchsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7.1.4.4 Berichtswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 7.1.5 Aufgaben des Innenverkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 7.2 Akquisitorische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 7.2.1 Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 7.2.2 Kommissionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 7.2.3 Handelsmakler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 7.2.4 Handelsversteigerer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 7.2.5 Vergleich Reisender vs. Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . 292 7.3 Vertrieb über reale Marktveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 7.3.1 Organisierte Anbieterkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 7.3.2 Organisierte Nachfragerkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 7.3.3 Zweiseitige organisierte Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 7.3.4 Freie Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 7.4 Vertrieb über Katalogmedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.4.1 Printkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.4.1.1 Katalogarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.4.1.2 Katalogplanung (Kern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 7.4.1.3 Katalogplanung (Package) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 7.4.1.4 Katalogdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

XVIII Inhaltsverzeichnis 7.4.1.5 Katalogproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 7.4.1.6 Order Fulfillment  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 7.4.1.7 Erfolgsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 7.4.2 Elektronischer Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.4.2.1 E-Katalogarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.4.2.2 E-Kataloggestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 7.5 Vertrieb über Dialogmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 7.5.1 Direktaussendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 7.5.2 Sonstige Dialogmedien im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 7.6 Vertrieb über Veranstaltungsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7.6.1 Messe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7.6.1.1 Messearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7.6.1.2 Messestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 7.6.2 Sonstige Eventmedien im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 7.7 Verkaufsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 7.7.1 Verkaufsförderungs-Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 7.7.1.1 Angebots-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 7.7.1.2 Gegenleistungs-Mix  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 7.7.1.3 Informations-Mix  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 7.7.1.4 Verfügbarkeits-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 7.7.2 Verkaufsförderungs-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 7.7.2.1 Zielgruppe Vertriebsmannschaft . . . . . . . . . . . . . . 337 7.7.2.2 Zielgruppe Absatzmittler im Reinverkauf . . . . . . 338 7.7.2.3 Zielgruppe Absatzmittler im Rausverkauf . . . . . . 340 7.7.2.4 Zielgruppe Endabnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 7.8 Fachwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 7.8.1 Mediaauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 7.8.2 Mediaschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 7.8.3 Gestaltungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 7.8.4 Anhaltspunkte für „gute“ Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 7.9 Streuprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 8. Konzept des Indirektvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.1 Handelsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.2 Handelsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 8.3 Einteilungskriterien des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 8.4 Einzelhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 8.4.1 Primäre, stationäre Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 8.4.1.1 Traditionelle Betriebsformen  . . . . . . . . . . . . . . . . 360 8.4.1.2 Moderne Betriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 8.4.1.3 Preisaggressive Betriebsformen . . . . . . . . . . . . . . 363 8.4.2 Primäre, nicht-stationäre Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 8.4.3 Sekundäre, stationäre Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 8.4.4 Sekundäre, nicht-stationäre Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

InhaltsverzeichnisXIX 8.4.5 Spezielle Betriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 8.4.6 Ladenhandwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 8.5 Großhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.5.1 Einteilungskriterien und Ausformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.5.2 Bedeutung des Großhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 8.6 Dynamik der Handelsbetriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 8.6.1 Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 8.6.2 Betriebsformenpolarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 8.7 Vertriebskanaltransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9. Distributionsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.1 Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.2 Konfliktpotenziale im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 9.3 Präsenz im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 9.4 Vertikale Kooperation im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 9.4.1 Abstimmung mit der Handelsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 9.4.1.1 Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 9.4.1.2 Herstellergestützter Mittelstandskreis . . . . . . . . . . 399 9.4.2 Raumvermietung des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 9.4.2.1 Shop in the Shop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 9.4.2.2 Store in the Store . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 9.4.2.3 Hersteller-Rack Jobber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 9.4.2.4 Konzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 9.4.3 Warenvermittlung des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 9.4.3.1 Agenturvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 9.4.3.2 Konsignationsvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 9.4.4 Vertriebsbindung des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 9.4.4.1 Depotsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 9.4.4.2 Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 9.4.4.3 Vertragshändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 9.4.5 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 10. Logistisches Distributionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.1 Bedeutung der Logistik im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.2 Techniken der Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 10.3 Logistikentscheidung Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 10.3.1 Transportmittelbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 10.3.2 Transportmittelwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 10.3.2.1 Wassertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 10.3.2.2 Schienentransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 10.3.2.3 Straßentransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 10.3.2.4 Lufttransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 10.3.2.5 Sonstige Transportmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 10.4 Logistikentscheidung Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 10.4.1 Lagerfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428

XX Inhaltsverzeichnis 10.4.2 Lagerstandortwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 10.4.3 Lagerbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 10.5 Redistribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 10.6 Logistische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 10.6.1 Spediteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 10.6.2 Frachtführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 10.6.3 Lagerhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Entwicklung des Marketingansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Abb. 2:

Erfolgskette des Beziehungsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Abb. 3:

Schnittstelle Marketing zu Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Abb. 4:

Zielsystem des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Abb. 5:

Dimensionen der Zielinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Abb. 6:

Dimensionen der Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Abb. 7:

Verfahren zur Budgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Abb. 8:

Elemente der Marketing Intelligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Abb. 9:

Sekundär- und Primärerhebungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Abb. 10: Auswahlverfahren der Feldforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Abb. 11: Erhebungsmethoden der Feldforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Abb. 12: Schritte einer mündlichen Befragungsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Abb. 13: Verfahren zur Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Abb. 14: Entscheidungssituationen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Abb. 15: Sonderfälle der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Abb. 16: Verfahren zur Vertriebsprognose  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 17: Gängige Verfahren zur Status quo-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Abb. 18: Stufen zur Positionsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abb. 19: Idealpunktverfahren und Idealvektorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Abb. 20: Abgrenzungen des Strategischen Geschäftsfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Abb. 21: Optionen der Strategischen Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Abb. 22: Einteilungen der Strategischen Geschäftseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Abb. 23: Marktfeldoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abb. 24: Optionen der Marktwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Abb. 25: Strategisches Spielbrett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abb. 26: Optionen des Konkurrenzvorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Abb. 27: Optionen des Konkurrenzverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abb. 28: Optionen des Konkurrenztimings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abb. 29: Schema des Outpacing-Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Abb. 30: Programmgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

XXII Abbildungsverzeichnis Abb. 31: Programmstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abb. 32: Programmform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Abb. 33: Schema der Verrichtungsorganisation im Vertrieb  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 34: Schema der Einlinienorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Abb. 35: Schema der Stablinienorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Abb. 36: Schema der Mehrlinienorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Abb. 37: Schema der Matrixorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Abb. 38: Schema der Gremienorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Abb. 39: Schema der Divisionsorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Abb. 40: Prozessanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abb. 41: Komplexitätsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Abb. 42: Beplante Erlösschmälerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Abb. 43: Unbeplante Erlösschmälerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Abb. 44: Aufschlüsselung der Gebietserlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abb. 45: Messung des Statischen Kundenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Abb. 46: Mögliche Kundeneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 47: Alternative Kundenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Abb. 48: Einzahlungen in Kunden/Auszahlungen von Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abb. 49: Erhöhung der Auszahlungen von Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Abb. 50: Senkung der Einzahlungen in Kunden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abb. 51: Formen des Benchmarkings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Abb. 52: Schema der Balanced Score-Card . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Abb. 53: Kalkulationsbasis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Abb. 54: Module des Geschlossenen Waren-Wirtschafts-Systems (GWWS) . . . . . 211 Abb. 55: ECR-Angebotsseite Efficient Replenishment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abb. 56: ECR-Nachfrageseite Category Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Abb. 57: Modell des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. 58: Ausprägungen der Vertriebskanalbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Abb. 59: Ausprägungen der Vertriebskanaltiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Abb. 60: Ausprägungen der Vertriebskanalstruktur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Abb. 61: Ausprägungen der Vertriebskanalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Abb. 62: Mitarbeiteradministration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Abb. 63: Arbeitsentgeltbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Abb. 64: Elemente zur Steuerung der Vertriebsmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Abb. 65: Akquisitorische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

AbbildungsverzeichnisXXIII Abb. 66: Handelsvertreterformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Abb. 67: Reale Marktplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Abb. 68: Dialogmedien im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abb. 69: Spektrum der Verkaufsförderungs-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Abb. 70: Handelsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Abb. 71: Einteilungskriterien des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Abb. 72: Betriebsformen des Einzelhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Abb. 73: Betriebsformen des Großhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Abb. 74: Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abb. 75: Präsenz im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Abb. 76: Vertikale Kooperationen im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Abb. 77: Elemente des Lieferserviceniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Abb. 78: Logistikentscheidungen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Abb. 79: Logistische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Abb. 80: Vertriebsparameter im stationären Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Abb. 81: Sortimentsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Abb. 82: Alternativen des Preispolitischen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 Abb. 83: Informationsbasis für POS-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Abb. 84: Organisationsformen virtueller Marktplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Abb. 85: Arten der Display-Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Abb. 86: Eigenwerbungsformen im WWW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 Abb. 87: Leistungsmesswerte für Werbung im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Abb. 88: Suchmaschinen-Marketing (SEM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Abb. 89: Rahmenvorgaben im internationalen Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Abb. 90: Optionen des internationalen Markteintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Abb. 91: Ausprägungen des Außenhandelsvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Abb. 92: Ausprägungen des Dauervertragsvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Abb. 93: Ausprägungen des Direkten Auslandsvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Abb. 94: Optionen der internationalen Marktabfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Abb. 95: Optionen des internationalen Marktareals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Abb. 96: Dienstleistungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Abb. 97: Kundendienstarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Abb. 98: Geschäftsarten im B-t-B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Abb. 99: Arten von Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Abb. 100: Ansätze zur Kundenzufriedenheitsmessung (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593

XXIV Abbildungsverzeichnis Abb. 101: Ansätze zur Kundenzufriedenheitsmessung (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Abb. 102: Beschwerderkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 Abb. 103: Phasen der Kundenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 Abb. 104: Stufen der Kundenleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 Abb. 105: Phasen im Kundenlebenszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 Abb. 106: Elemente des Angebotswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Abb. 107: Orientierungen zur Preisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 Abb. 108: Preis-Leistungs-Quotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 Abb. 109: Interne Lenkpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 Abb. 110: Basisformen der Absatzfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 Abb. 111: Dokumentinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 Abb. 112: Vertikale Partialmodelle zum Organisationalen Beschaffungsverhalten . . 749 Abb. 113: Demografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Abb. 114: Aktiografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 Abb. 115: Psychografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 Abb. 116: Soziografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 Abb. 117: Markenarchitekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772 Abb. 118: Phasen der Verkauf-Kauf-Synchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Abb. 119: Produktklassen in der Beschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Abb. 120: Lieferantenstatus in der Beschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 Abb. 121: Sourcing-Politiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 Abb. 122: Phasen des Verkaufsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810

Abkürzungsverzeichnis ADM

Au­ßen­dienst-Mit­ar­bei­ter

AEUV

Ver­trag über die Ar­beits­wei­se der Eu­ro­pä­i­schen Uni­on

AFRA

Af­fi­ni­ty – Fre­quency – Re­cency – Amount of Purcha­se (Ver­fah­ren zur sta­ti­schen Kun­den­wert­mes­sung)

AGB

All­ge­mei­ne Ge­schäfts-Be­din­gun­gen

AHK

Au­ßen­han­dels­kam­mer

AIDA

At­ten­ti­on  – In­te­rest  – De­si­re  – Ac­tion (alte Wer­be­wir­kungs­for­mel)

BERI

Busi­ness En­vi­ron­ment Risk In­for­ma­ti­on (Län­der­ri­si­ko­be­wer­tung)

BGB

Bür­ger­li­ches Ge­setz-Buch

B-t-B

Busi­ness to Busi­ness (Ge­wer­be­kunden­ge­schäft)

B-t-C

Busi­ness to Con­su­mer (Pri­vat­kunden­ge­schäft)

CAD

Com­pu­ter Ai­ded De­sign

CAS

Com­pu­ter Ai­ded Sel­ling

CBA

Con­trol Group be­fo­re and af­ter (Test­de­sign)

CBT

Com­pu­ter Ba­sed Trai­ning

C&C

Cash and Car­ry (Ab­hol-Selbst­be­die­nung)

CD

Cor­po­ra­te De­sign

CFR

Cost and Frei­ght (In­co­term)

CIF

Cost  – In­su­ran­ce  – Frei­ght (In­co­term)

CIP

Cost and In­su­ran­ce paid to (In­co­term)

CPFR

Col­la­bo­ra­ti­ve Plan­ning Fore­cas­ting Re­ple­nish­ment

CPT

Car­ri­a­ge paid to (In­co­term)

CRM

Cus­to­mer Re­la­ti­ons­hip Ma­na­ge­ment (Kun­den­be­zie­hungs­ma­na­ge­ment)

DAP

De­li­vered at Point (In­co­term)

DAT

De­li­vered at Ter­mi­nal (In­co­term)

DB

De­ckungs­bei­trag

DDP

De­li­vered Duty paid (In­co­term)

DPMA

Deut­sches Pa­tent- und Mar­ken-Amt

DPP

Di­rek­te Pro­dukt-Pro­fit­abi­li­tät

DPR

Di­rek­te Pro­dukt-Ren­ta­bi­li­tät

DR-R

Di­rect Re­spon­se Ra­dio

DR-TV

Di­rect Re­spon­se Te­le­vi­si­on

XXVI Abkürzungsverzeichnis DSD

Duales System Deutschland

EBA

Experimental Group before and after (Testdesign)

ECR

Efficient Consumer Response

EDI

Electronic Data Interchange (Datenübertragungsstandard)

eG

Eingetragene Genossenschaft

EH Einzelhandel EHP Einheitspreisladen EP

Efficient Promotions (ECR)

EPI

Efficient Product Introduction (ECR)

ERG

Existence – Relatedness – Growth (Motivationstheorie)

ERM

Enterprise Resource Management

ERP

Efficient Replenishment (ECR)

ESA

Efficient Store Assortment (ECR)

EXW

Ex Works (Incoterm)

FAP Fabrikabgabepreis FAQ

Frequently Asked Question

FAS

Free alongside Ship (Incoterm)

FCA

Free Carrier (Incoterm)

FCR

Forwarders Certificate of Receipt (Logistikdokument)

FCT

Forwarders Certificate of Transport (Logistikdokument)

FMCG

Fast Moving Consumer Good (Produkt des täglichen Bedarfs)

FMEA

Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse (Qualitätstechnik)

FOB

Free on Board (Incoterm)

FOC

Factory Outlet Center

FRAC

Frequency – Recency – Amount of Purchase – Category (Verfahren zur statischen Kundenwertmessung)

FRAP

Frequenz-Relevanz-Analyse für Probleme (Qualitätstechnik)

FRAT

Frequency – Recency – Amount of Purchase – Type of Merchandise (Verfahren zur statischen Kundenwertmessung)

FuE

Forschung und Entwicklung

GBG

Geschlossene Benutzer-Gruppe

GE Geldeinheit GH Großhandel GLN

Global Location Number (Strichcode)

GTIN

Global Trade Item Number (Stichcode)

GVO Gruppenfreistellungs-Verordnung GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

GWWS

Geschlossenes Waren-Wirtschafts-System

AbkürzungsverzeichnisXXVII HGB Handelsgesetzbuch HTML

Hyper Text Markup Language

HWK Handwerkskammer ICC

International Chamber of Commerce

IP

Internet Protocol

IPO

Initial Public Offering (Erstmaliger Börsengang)

I-TV

Interactive Television

IuK

Informations- und Kommunikation-Technologie

IVW

Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern

J-i-T

Just in Time

KKV

Komparativer Konkurrenz-Vorteil

KMU

Klein- und Mittelunternehmen

LAN

Local Area Network

LBS

Location Based Service (Mehrwertdienst im Mobilfunk)

LCC

Life Cycle Costing (Kostenmanagement)

LEH Lebensmittel-Einzel-Handel LoI

Letter of Intend

LSP

Leitsätze zur Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten

LTE

Long-Term Evolution (Mobilfunkstandard)

MCD

Multi Channel Distribution (Mehrkanalabsatz)

MDE

Mobile Daten-Erfassung

MRO

Maintenance – Repair – Operations

NFC

Near-Field Communication

OCR

Optical Character Recognition

OEM

Original Equipment Manufacturer („ohne eigene Marke“)

OLAP

Online Analytical Processing (Datenanalysesystem)

OR

Operations Research

PAF Preis-Absatz-Funktion PDCA

Plan – Do – Check – Act (Qualitätstechnik)

PLU

Price Look up (Scanner-Kasse)

POS

Point of Sale (Handelsplatz)

PVH Produktions-Verbindungs-Handel QFD

Quality Function Deployment (Qualitätstechnik)

QR

Quick Response

RCS

Roll Cage Sequencing (ECR)

RFID

Radio Frequency Identification (Kontaktlose Nahfeld-Datenübertragung)

XXVIII Abkürzungsverzeichnis RFMR

Recency – Frequency – Monetary Ratio (Verfahren zur statischen Kundenwertmessung)

RFP

Request for Proposal (Angebotswesen)

RFQ

Request for Quotation (Angebotswesen)

RSS

Really Simple Syndication

SB Selbst-Bedienung SEA

Search Engine Advertising (Suchmaschinen-Werbung)

SEM

Search Engine Marketing (Suchmaschinen-Marketing)

SEO

Search Engine Optimization (Suchmaschinen-Optimierung)

S-R

Stimulus Response (Reiz – Reaktion)

SSCS

Serial Shipping Container Code

TCoO

Total Cost of Ownership (Kostenmanagement)

TQM

Total Quality Management

UE Unterhaltungs-Elektronik UEPV

Unter-Einstands-Preis-Verkauf (regelmäßig verboten)

UGC

User Generated Content (Web 2.0)

URL

Unique Resource Locator (Internet-Adresse)

UWG

Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

VADM Verkaufs-Außendienst-Mitarbeiter VAN

Value Added Network

VKF Verkaufsförderung VPN

Virtuelles Privates Netzwerk

VPöA

Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen

WKZ Werbekostenzuschuss WLAN

Wireless Local Area Network

Teilband I

A.

Vertriebskonzept und -controlling

1.

Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings

Das Un­ter­ka­pi­tel „Ver­trieb als zent­ra­le Funk­ti­on des Mar­ke­tings“ beschäf­tigt sich mit dem be­trieb­li­chen Um­feld des Ver­triebs. Zu­nächst geht es um die In­ hal­te des Mar­ke­ting­rah­mens (1.1), in den der Ver­trieb ein­ge­bet­tet ist. Dann wird die dy­na­mi­sche Ent­wick­lung des Mar­ke­ting­an­sat­zes be­rück­sich­tigt (1.2), wo­bei vor al­lem die ak­tu­el­le Mar­ke­ting­sicht­wei­se dar­ge­stellt wird (1.3). Da­bei steht das Mar­ke­ting als ge­ne­ri­sches Be­zie­hungs­ma­na­ge­ment im Vor­der­grund (1.4). Schließ­ lich wird die Schnitt­ stel­ le zwi­ schen Mar­ ke­ ting und Ver­ trieb (1.5) als we­sent­li­che Er­folgs­vo­raus­set­zung be­leuch­tet.­ Über­grei­fend geht es in 1.6 um die ge­samt­wirt­schaft­li­che Ein­bet­tung der Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ten. Leser ken­nen nach Durch­sicht die­ses Un­ter­ka­pi­tels die Mar­ke­ting­denk­wei­se, sie ver­ste­hen die Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen Mar­ke­ting und Ver­trieb und sie kön­nen die­se Er­kennt­nis­se in ihre wei­te­ren Stu­di­en und Ar­bei­ten ein­brin­gen. 1.1

Inhalte des Marketingrahmens

Die Ur­sprün­ge des Mar­ke­tings lie­gen in Deutsch­land in der Han­dels­be­triebs­ leh­re be­grün­det. In Leip­zig und Köln gab es die ers­ten Lehr­an­stal­ten, die sich mit dem, was man heu­te un­ter Mar­ke­ting sub­su­miert, be­schäf­tig­ten, als Han­ dels­hoch­schu­len. Dies liegt auch nahe, wird doch die abst­rak­te Markt­leis­tung kaum ir­gend­wo sonst so kon­kret und all­täg­lich er­leb­bar wie im Han­del. Aus die­sen An­fän­gen zur Jahr­hun­dert­wen­de ent­wi­ckel­te sich dann etwa zwi­schen 1925 und 1970 die Ab­satz­wirt­schafts­leh­re, we­sent­lich ver­bun­den mit dem Na­ men Erich Gu­ten­berg. Im Mit­tel­punkt der Ab­satz­wirt­schaft stand die Dis­tri­bu­ ti­ons­funk­ti­on als Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung des Ver­kaufs­vor­gangs, also die Ver­wer­tung der wie auch im­mer erstell­ten Un­ter­neh­mens­leis­tung zur Li­qui­ die­rung bei wie auch im­mer ge­ar­te­ten Nach­fra­gern am Markt. Zwi­schen etwa 1965 und 1985 er­gab sich da­raus, auf­bau­end auf weg­wei­sen­den ame­ri­ka­ni­schen An­sät­zen (Phi­lip Kot­ler, The­o­do­re Le­vitt), die Mar­ke­ting­leh­re, hier­zu­lan­de we­ sent­lich ver­bun­den mit dem Na­men He­ri­bert Mef­fert (aber auch den Na­men Bru­no Tietz, Hans Raffée, Er­win Dichtl u. a.). Sie stell­te erst­mals ein in sich ge­schlos­se­nes Kon­zept zur Markt­be­ar­bei­tung dar, das die Aus­rich­tung al­ler Ak­ ti­vi­tä­ten auf die Nach­fra­ge­sei­te postu­lier­te, weil die­se als Eng­pass für den Un­ ter­neh­mens­er­folg iden­ti­fi­ziert wur­de. Ab etwa 1980 wur­de die­ser An­satz ent­ schei­dend da­durch er­wei­tert, dass eine Mar­ke­ting­sicht­wei­se als Maß­ga­be für

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A. Vertriebskonzept und Controlling

jede stra­te­gi­sche Be­triebs­aus­rich­tung an­ge­se­hen wur­de, eben als Mar­ke­ting-Ma­ na­ge­ment, um da­mit ent­schei­den­de kom­pa­ra­ti­ve Kon­kur­renz­vor­tei­le zu er­rei­ chen. Wei­te­re Ent­wick­lun­gen fol­gen bis zum heu­ti­gen Tag und sor­gen für eine ste­ti­ge Ak­tu­a­li­sie­rung der Mar­ke­ting­in­hal­te. Mar­ke­ting ist ein Teil­be­reich der Be­triebs­wirt­schafts­leh­re, die wie­der­um zu den So­zi­al­wis­sen­schaf­ten ge­hört. In­ner­halb der Be­triebs­wirt­schafts­leh­re ist Mar­ ke­ting eine Funk­ti­o­nen­leh­re. Mar­ke­ting ist in Re­la­ti­on zu an­de­ren Funk­ti­o­nen­ leh­ren eine ver­gleichs­wei­se jun­ge Dis­zip­lin. Dies er­gibt sich aus wech­seln­den öko­no­mi­schen Eng­päs­sen im Zeit­ablauf. Da war zu­nächst der Eng­pass der Leis­tungs­erstel­lung, der durch Pro­duk­ti­on mit Hil­fe von Damp­fer­zeu­gung und Elekt­ri­zi­tät rasch über­wun­den wur­de. Dann der Eng­pass der Be­schaf­fung von Rohs­tof­fen, der ele­gant durch Ko­lo­ni­a­li­sie­ rung ge­löst wur­de, von Fi­nanz­mit­teln, der durch Bil­dung von Ka­pi­tal­ge­sell­ schaf­ten aus­ge­schal­tet wur­de, und von Per­so­nal, der durch Aus­bil­dungs­maß­nah­ men im We­sent­li­chen be­sei­tigt wur­de. Da­mit aber trat his­to­risch der Eng­pass der Leis­tungs­ver­wer­tung in Kraft. Nun li­mi­tiert lei­der der Eng­pass den ge­sam­ ten wirt­ schaft­ li­ chen Er­ folg. Das heißt, selbst ein Über­ schuss an Pro­ duk­ ti­ on, Rohs­toff, Ka­pi­tal und Per­so­nal führt zu kei­nem bes­se­ren Be­triebs­er­geb­nis, so­ lan­ge ein Mehr­ab­satz von da­raus re­sul­tie­ren­den Gü­tern nicht ge­währ­leis­tet ist. Dies setzt aber ei­nen auf­nah­me­fä­hi­gen Markt vo­raus, wie er eher für Zei­ten des Man­gels als des Über­flus­ses zu­trifft. In Man­gel­zei­ten, wie vor gar nicht so lan­ger Zeit noch für die jet­zi­gen Neu­en Bun­des­län­der ty­pisch, sind die An­stren­ gun­gen, die Nach­fra­ger un­ter­neh­men müs­sen, um in den Be­sitz ge­wünsch­ter Wa­ren zu ge­lan­gen, grö­ßer als die der An­bie­ter. Man spricht von ei­ner Ver­käu­ fer­markt­si­tu­a­ti­on. Nach­fra­ger dür­fen Schlan­ge ste­hen, um ein An­ge­bot zu er­gat­ tern, müs­sen den tak­tisch bes­ten Zeit­punkt er­wi­schen, ihre ge­rin­ge Chan­ce wahr­zu­neh­men und sind schließlich so­gar be­reit, da­für un­ver­hält­nis­mä­ßig hohe Prei­se zu zah­len. Um­ge­kehrt hat die An­bie­ter­sei­te die Ge­wiss­heit, dass sie ihre Wa­ren bei­na­he un­ab­hän­gig von de­ren Qua­li­tät und Preis in je­dem Fall los­schla­ gen kann. Es ist un­mit­tel­bar ein­leuch­tend, dass sie sich un­ter die­sen Be­din­gun­ gen Mar­ke­ting­an­stren­gun­gen ge­trost er­spart. Glück­li­cher­wei­se ha­ben die ent­wi­ckel­ten In­dust­rie­na­ti­o­nen die­sen Zu­stand je­ doch mehr oder min­ der hin­ ter sich ge­ las­sen. Die Re­a­li­tät ist eher die des Käu­fer­markts. Nun­mehr müs­sen An­bie­ter, zu­mal im Pa­ral­lel­wett­be­werb zu­ei­ nan­der, ver­su­chen, Nach­fra­ger an ihr Pro­dukt zu bin­den, neu zu ak­qui­rie­ren oder vom Mit­be­werb weg­zu­lo­cken, wäh­rend die Nach­fra­ge­sei­te be­quem ver­ schie­dens­te An­ge­bo­te ver­glei­chen und das be­vor­zug­te aus­wäh­len kann. Mar­ke­ ting muss da­bei da­für Sor­ge tra­gen, dass das ei­ge­ne Un­ter­neh­men ge­gen kon­ kur­rie­ren­de an­de­re bei Ab­neh­mern zum Zuge kommt. An­sons­ten wen­den die­se sich Mit­be­wer­bern zu. Mar­ke­ting wird da­mit über­le­bens­wich­tig für je­des er­ folg­rei­che Un­ter­neh­men.



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings5

Da­ mit aber wird Mar­ke­ting zum Eng­pass für den Ge­schäfts­er­folg. Fort­ schritt­li­che Un­ter­neh­men ha­ben dies er­kannt und räu­men der Mar­ke­ting­funk­ti­on Pri­o­ri­tät in­ner­halb ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on ein. Da im Mar­ke­ting die Men­schen im Mit­tel­punkt ste­hen, kom­men in der Pra­xis Op­ti­mie­rungs­ver­fah­ren kaum in Be­ tracht. Denn Men­schen sind, glück­li­cher­wei­se, nicht be­re­chen­bar. Vor al­lem aber, Men­schen den­ken nicht ra­ti­o­nal, son­dern zu­tiefst emo­ti­o­nal. Und des­halb bleibt Mar­ke­ting oft die Fol­ge von Ver­such und Irr­tum. Man tes­tet den Er­folg von Mar­ke­ting­maß­nah­men am Markt und be­hält die­se bei, so­fern sich der ge­ wünsch­te Er­folg ein­stellt, oder ver­än­dert sie so­lan­ge, bis man zum ge­wünsch­ten Er­folg kommt. All­er­dings sor­gen ste­ti­ge Ver­än­de­run­gen der Um­feld­be­din­gun­ gen da­für, dass Vo­raus­set­zun­gen, die ges­tern noch Er­folg zei­tig­ten, die­sen heu­te schon wie­der ver­mis­sen las­sen. 1.2

Entwicklung des Marketingansatzes

Zur Sys­tem­ati­sie­rung bie­tet sich eine Un­ter­schei­dung in fünf Mar­ke­ting-De­ fi­ni­ti­ons­klas­sen an. Vor­ab sei je­doch be­reits er­wähnt, dass das Schwer­ge­wicht der wis­sen­schaft­li­chen Be­trach­tung noch ziem­lich ein­deu­tig im Mar­ke­ting III liegt, al­ler­dings mit Über­gang zu Mar­ke­ting IV, wäh­rend Mar­ke­ting V we­gen der In­ope­ra­ti­o­na­li­tät des Un­ter­su­chungs­ob­jekts zu­min­dest in der Wis­sen­schaft nicht in al­ler Kon­se­quenz ver­tre­ten wird, und Mar­ke­ting II als his­to­risch un­ strei­tig ge­si­chert gilt (siehe Abb. 1). Mar­ke­ting 0 be­trifft noch die Vor-Mar­ke­ting-Ära. In die­ser Zeit wa­ren gleich­ wohl ab­satz­wirt­schaft­li­che Auf­ga­ben zu er­fül­len. Nur wa­ren die­se noch auf ver­schie­de­ne be­trieb­li­che Funk­ti­ons­be­rei­che ver­teilt und die­sen auch un­ter­ge­ ord­net. Auch fand kei­ne kon­zep­ti­o­nel­le In­teg­ra­ti­on die­ser Ak­ti­vi­tä­ten statt. Dies         

  

    

  

  

   

Abb. 1: Entwicklung des Marketingansatzes

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A. Vertriebskonzept und Controlling

wur­de auf­grund weit­hin aus­kömm­li­cher Ver­mark­tungs­si­tu­a­ti­o­nen als nicht wei­ ter er­for­der­lich an­ge­se­hen. Die­se Zei­ten sind längst vor­bei. Mar­ke­ting I be­trifft das Mar­ke­ting als Ab­satz­po­li­tik von Un­ter­neh­men (tra­di­ ti­o­nel­le Ab­satz­wirt­schaft). Dies führt zu ei­ner Sicht­wei­se des ab­satz­po­li­ti­schen In­stru­men­ta­ri­ums (Pro­dukt- und Pro­gramm­po­li­tik, Preis- und Kon­di­ti­o­nen­po­li­ tik, Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Iden­ti­tätspo­li­tik so­wie, mit ei­nem ge­wis­sen Schwer­ punkt, Dis­tri­bu­ti­ons- und Ver­kaufspo­li­tik). Es geht bei Mar­ke­ting I also um die Sti­mu­lie­rung des Flus­ses von (vor al­lem) Wa­ren, (aber auch) Gel­dern und In­ for­ma­ti­o­nen, im Ver­triebs­ka­nal. Nach der Auf­fas­sung des Mar­ke­ting II be­deu­tet Mar­ke­ting pas­si­ve Markt­ an­pas­sung durch Aus­rich­tung al­ler Un­ter­neh­mens­ak­ti­vi­tä­ten an den Markt­er­ for­der­nis­sen (Out­si­de in-Aus­rich­tung). Das heißt kon­kret, dass Un­ter­neh­men kon­ti­nu­ier­lich alle Märk­te be­obach­ten und im­mer dann, wenn sie ei­nen Man­ gel fest­zu­stel­len glau­ben, ein ent­spre­chen­des An­ge­bot of­fe­rie­ren. Die Nach­fra­ ger als Sou­ve­rän des Markts ent­schei­den dann nach Kennt­nis und Be­ur­tei­lung die­ses An­ge­bots, ob sie es erst­mals oder an­stel­le ei­nes an­de­ren An­ge­bots an­ neh­ men wol­ len oder nicht. Es leuch­ tet ein, dass da­ raus für das be­ tref­ fen­ de Un­ter­neh­men ein sehr ho­hes Ri­si­ko er­wächst. Denn alle Ini­ti­al­in­ves­ti­ti­o­nen in ein An­ge­bot ge­hen ver­lo­ren, wenn es von Ab­neh­mern nicht ak­zep­tiert wird. Dies ist ein be­triebs­wirt­schaft­lich sehr un­be­frie­di­gen­der Zu­stand. Wei­ter­hin wird den Un­ter­neh­men eine nur re­ak­ti­ve Rol­le zu­ge­teilt. Sie hecheln den mut­ maß­li­chen Nach­fra­ge­rbe­dürf­nis­sen re­gel­recht hin­ter­her und ver­su­chen, sich ge­ gen­sei­tig in der Be­dürf­nis­be­frie­di­gung zu über­bie­ten. Die dazu er­for­der­li­che Fle­xi­bi­li­tät ist nicht mit den Pla­nungs­er­for­der­nis­sen der Un­ter­neh­men kom­pa­ ti­bel, die auf mög­lichst sta­bi­le, si­che­re und ein­wer­ti­ge Er­war­tun­gen ab­zie­len. Schließ­lich stellt sich bei die­ser Sicht­wei­se auch die Fra­ge, wie Un­ter­neh­men neue Be­darfs­si­tu­a­ti­o­nen er­ken­nen kön­nen. Dazu ist es wich­tig zu be­rück­sich­ ti­gen, dass Nach­fra­ge an sich nicht kre­a­tiv sein kann. Viel­mehr kann sie nur auf vor­han­de­ne Markt­an­ge­bo­te re­a­gie­ren und die­se wäh­len oder ab­leh­nen, nicht aber ak­tiv ar­ti­ku­lie­ren. Au­ßer­dem wech­seln die­se Be­dar­fe ra­pi­de, so dass ein ste­ti­ger Time-lag zur Be­die­nung bes­teht. Und da häu­fig un­re­a­lis­ti­sche An­ ge­bots­merk­ma­le er­war­tet wer­den, ist den­noch Ent­täu­schung vor­ge­zeich­net. Dies ist mit ei­nem zeit­ge­mä­ßen Mar­ke­ting­verständ­nis je­doch nicht mehr un­be­ dingt ver­ein­bar. Zeit­ge­mäß auf­ge­fasst ist Mar­ke­ting III ak­ti­ve Markt­ge­stal­tung, also Be­ein­ flus­sung der Ver­mark­tungs­be­din­gun­gen über In­stru­men­tal­ein­satz mit der Ab­ sicht, die­se den ei­ge­nen Ziel­vor­stel­lun­gen an­zu­pas­sen (In­si­de out-An­satz). Da­ bei star­ren An­bie­ter nicht wie Ka­nin­chen auf die Schlan­ge Markt, son­dern be­ ein­flus­sen den Markt selbst in ei­ner Art und Wei­se, die den un­ter­neh­men­se­go­ is­ti­schen Zie­len ent­spricht. Die­se Be­ein­flus­sung er­folgt durch mehr oder min­der in­ten­si­ven Ein­satz des Mar­ke­ting­in­stru­men­ta­ri­ums. Die­se Sicht­wei­se ent­spricht denn auch weit­aus mehr der Re­a­li­tät der Märk­te. Je­der An­bie­ter ist über­le­bens­



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings7

not­wen­dig da­rauf an­ge­wie­sen, sei­ne Pro­duk­te am Markt zum Er­folg zu füh­ren. Da die­se An­ge­bo­te oft aber nicht den ori­gi­nä­ren Be­dürf­nis­sen von Ab­neh­mern ent­spre­chen, müs­sen An­bie­ter die Ver­mark­tungs­be­din­gun­gen der­art än­dern, dass ihr Pro­dukt ein sol­ches Be­dürf­nis be­frie­digt. Die­se Be­dürf­nis­se sind oft erst zu ge­ne­rie­ren, und zwar über die Nut­zung von Mar­ke­ting­in­stru­men­ten, wel­che die Rah­men­da­ten der­art ver­än­dern, dass ein An­ge­bot am Markt re­üs­sie­ren kann. Die­se Si­tu­a­ti­on ist in wei­ten Tei­len ge­sät­tig­ter Märk­te an­zu­tref­fen. Best­ehen­de Be­dar­fe sind durch eine brei­te Viel­falt von Pro­duk­ten bes­tens ab­ge­deckt. Und zu­sätz­li­cher Ab­satz ist nur durch Ge­ne­rie­rung neu­er bzw. er­set­zen­der oder durch Mo­di­fi­zie­rung bes­te­hen­der Be­dar­fe zu er­zie­len. Dies er­folgt vor al­lem durch So­zi­al­tech­ni­ken, die ge­sell­schaft­li­che Sank­ti­ons­me­cha­nis­men nut­zen, um neue Nach­fra­ge zu schaf­fen. Da­mit schafft sich Mar­ke­ting letzt­lich die Märk­te selbst, auf de­nen es er­folg­reich Pro­duk­te an­bie­ten will. Gleich­zei­tig re­sul­tiert da­raus al­ler­dings der Vor­wurf der Ma­ni­pu­la­ti­on ge­gen­über dem Mar­ke­ting, der grund­sätz­lich be­rech­tigt und nur durch stren­ge Selbst­dis­zip­lin zu un­ter­bin­den ist. Mar­ke­ting III be­trifft da­mit Mar­ke­ting als markto­ri­en­tier­te Un­ter­neh­mens­ füh­rung (Mar­ke­ting-Ma­na­ge­ment). Alle be­trieb­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten, und nicht nur die Ver­trieb­spo­li­tik, ste­hen da­mit im Diens­te ei­ner um­fas­sen­den Kun­den- und Wett­be­werbs­ori­en­tie­rung. Mar­ke­ting IV be­trifft das Ma­na­ge­ment von Aus­tausch­pro­zes­sen und -be­zie­ hun­gen (Be­zie­hungs­ma­na­ge­ment). Es geht um Pro­zes­se von Ein­zel­per­so­nen, Per­so­nen­grup­pen und Or­ga­ni­sa­ti­o­nen. Dies führt zu ei­ner Wei­te­rung der ein­zel­ be­trieb­li­chen Sicht­wei­se um mak­roö­ko­no­mi­sche As­pek­te. Mar­ke­ting IV führt zum Ma­na­ge­ment von Aus­tausch­pro­zes­sen und -be­zie­hun­gen mit un­ter­neh­ mensin­ter­nen und -ex­ter­nen Part­nern, ins­be­son­de­re mit Part­nern auf Ab­satzund Be­schaf­fungs­märk­ten so­wie im Be­reich der all­ge­mei­nen Öf­fent­lich­keit. Die­se wird im Fol­gen­den nä­her aus­ge­führt (1.4). Mar­ke­ting V ist nicht mehr nur auf öko­no­mi­sche Ak­ti­vi­tä­ten be­grenzt, son­ dern be­trifft jeg­li­che Art so­zi­a­ler Be­zie­hun­gen (Gen­eric Mar­ke­ting). Da­mit ist das gan­ze Le­ben durch­setzt von Mar­ke­ting und nichts an­de­res als Aus­druck weit­hin nor­ma­len mensch­li­chen Ver­hal­tens. Mar­ke­ting um­fasst dem­nach die Ge­samt­heit der Be­mü­hun­gen zur Ge­stal­tung der Be­zie­hun­gen zwischen Or­ga­ ni­sa­ti­o­nen und In­di­vi­du­en als So­zi­al­kon­zept. Grund­la­ge sind je­weils Trans­ak­ti­ o­nen, also der Aus­tausch von Din­gen von in­di­vi­du­el­lem Wert wie Sach­leis­tun­ gen, Dienst­leis­tun­gen, Ideen, Ge­füh­le, Ver­hal­tens­wei­sen etc. Dies wird durch neu­e­re The­o­ri­en, wie die In­sti­tu­ti­o­nenöko­no­mik, the­o­re­tisch fun­diert. Im­mer dann, wenn vor ei­nem Trans­ak­ti­ons­pro­zess be­dacht wird, wie ein in­di­vi­du­el­les Ziel un­ter Ein­be­zug der In­te­res­sen be­tei­lig­ter an­de­rer bes­ser er­reicht wer­den kann, han­delt es sich dem­nach um Mar­ke­ting V. Für ein sol­ches Broa­dening des Mar­ke­tings spre­chen eine gan­ze Rei­he von Grün­den, so ein­deu­tig die Er­wei­te­rung der Mar­ke­ting­wis­sen­schaft in ih­rem Gel­ tungs­be­reich und da­mit der Be­deu­tungs­ge­winn die­ser Dis­zip­lin, wei­ter­hin die

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Ver­knüp­fung zu verwand­ten Er­kennt­nis­be­rei­chen der So­zi­al­wis­sen­schaf­ten, die sich bis­lang eher wirk­lich­keits­fremd ge­gen­ei­nan­der ab­gren­zen, so­wie die Chan­ce zur Ent­wick­lung ei­ner, der­zeit noch feh­len­den, (Me­ta‑)The­o­rie der Aus­tausch­pro­ zes­se. Da­ge­gen spricht je­doch der er­heb­li­che Ver­lust an Prä­zi­si­on der da­mit ver­ bun­de­nen Aus­sa­gen (ter­mi­no­lo­gi­sche Kon­fu­si­on), wei­ter­hin die dro­hen­de Ent­ frem­dung zwi­schen The­o­rie und Pra­xis so­wie das Aus­bre­chen des Mar­ke­tings aus der Be­triebs­wirt­schafts­leh­re als ih­rem an­ge­stamm­ten Ob­jekt­be­reich. Den­ noch hat man in der Sa­che der Auf­fas­sung des Broa­dening bis hin zum Gen­eric Mar­ke­ting wohl zu­zustim­men. All­er­dings ist sie, je­den­falls nach dem der­zei­ti­gen Stand des Wis­sens, in­ope­ra­ti­o­nal, d. h., ob­gleich sie zu­tref­fend ist, ist es nicht zweck­mä­ßig, sie als Ba­sis für wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se zu wäh­len. Durch die Über­win­dung der viel­fach als ein­sei­tig emp­fun­de­nen Ori­en­tie­rung des Mar­ ke­tings an er­werbs­wirt­schaft­li­chen Prob­lem­la­gen wird zu­min­dest eine hö­he­re ge­ sell­schaft­li­che Re­le­vanz von Mar­ke­ting­aus­sa­gen er­reicht. 1.3

Aktuelle Marketingsichtweise

Es ist nicht ver­wun­der­lich, dass zu ei­nem ver­gleichs­wei­se kom­ple­xen Be­griff wie dem des Mar­ke­tings un­ter­schied­lichs­te de­fi­ni­to­ri­sche An­sät­ze exis­tie­ren. Wa­ren zu Be­ginn das „dy­na­mi­sche Auf­rei­ßen von Kun­den“, der schnel­le Ab­ schluss, das cle­ve­re Ma­ni­pu­lie­ren do­mi­nant, so wird nun­mehr die Ver­ant­wor­ tung des Mar­ke­tings für das Ge­mein­wohl postu­liert. Die­ser Wan­del ist nicht nur ethisch-mo­ra­lisch fun­diert, son­dern da­durch be­dingt, dass stag­nie­ren­de Märk­te und rest­rik­ti­ve Um­feld­be­din­gun­gen die Be­deu­tung der Ak­qui­si­ti­on neu­er Kun­ den wei­ter hin­ter die der Pfle­ge der Be­zie­hun­gen zu bes­te­hen­den Kun­den zu­ rück­tre­ten las­sen. Denn un­ter die­sen Vor­zei­chen ist es un­mit­tel­bar ein­sich­tig, dass es zu­nächst ein­mal der Ab­si­che­rung der bes­te­hen­den Kun­den be­darf, be­vor man sich an die Ge­win­nung neu­er Kun­den macht, denn an­sons­ten kommt es nur zum kos­ten­auf­wän­di­gen Tausch von Ab­neh­mern im Null­sum­men­spiel. Das heißt, der Fo­kus der Ak­ti­vi­tä­ten ist von der Trans­ak­ti­ons- und der Vor­kauf­pha­se auf die Nach­kauf­pha­se ge­wan­dert. Mehr noch, be­reits früh hat­te Kot­ler fest­ge­stellt, dass ei­gent­lich jeg­li­che Form so­zi­a­len Aus­tauschs Mar­ke­ting­über­le­gun­gen zu­gäng­lich ist, Mar­ke­ting also kei­nes­wegs auf ge­schäft­li­che Zwe­cke be­grenzt bleibt, son­dern eben­so gut auch im pri­va­ten oder ge­mein­wirt­schaft­li­chen Be­reich in­stru­menta­li­siert wer­den kann. Da Wer­te trans­fe­riert wer­den, und die ab­satz­po­li­ti­sche Do­mä­ne in der Ge­stal­tung sol­cher Aus­tausch­pro­zes­se liegt, wird mo­der­nes Mar­ke­ting ganz zwangs­läu­fig zum Be­zie­hungs­ma­na­ge­ment. Legt man die­se rich­tungs­wei­sen­de Mar­ke­ting­auf­fas­sung zu­grun­de, lässt sich da­raus fol­gen­de Mar­ke­ting­de­fi­ni­ti­on (Gen­eric Re­la­ti­ons­hip Ma­na­ge­ment / GRM) ab­lei­ten:



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings9

•• Mar­ke­ting ist die Pla­nung, Or­ga­ni­sa­ti­on, Im­ple­men­tie­rung und Kon­trol­le (Ma­na­ge­ment­as­pekt) al­ler Ak­ti­vi­tä­ten mit der Ab­sicht der Er­rei­chung qua­li­ta­ ti­ver und / oder quan­ti­ta­ti­ver Vor­ga­ben (Ent­schei­dungs­as­pekt) durch Aus­wahl und Auf­bau, Un­ter­halt und Re­fe­ren­zie­rung, Aus­bau und In­ten­si­vie­rung bzw. Wie­der­her­stel­lung oder Aus­gren­zung von Ge­schäfts­be­zie­hun­gen (Pfle­ge­as­ pekt) mit je­weils re­le­van­ten Ziel­grup­pen in Ab­satz, Be­schaf­fung, Pro­duk­ti­on, Um­feld und Me­di­en (An­spruchs­grup­penas­pekt). Da Mar­ke­ting wahr­schein­lich noch auf ei­ni­ge Zeit hi­naus die­sen um­fas­sen­ den An­spruch nicht wird ein­lö­sen kön­nen, bie­tet sich der­zeit eine en­ge­re Ar­ beits­fas­sung wie folgt an (Cus­to­mer Re­la­ti­ons­hip Ma­na­ge­ment / CRM): •• Mar­ke­ting be­in­hal­tet die be­wuss­te Be­ein­flus­sung der Ver­mark­tungs­be­din­gun­ gen über den In­stru­men­tal-Mix mit der Ab­sicht der Er­rei­chung quan­ti­ta­ti­ver und qua­li­ta­ti­ver Ziel­vor­stel­lun­gen über die Nutz­en­stif­tung für Kun­den und de­ren Kun­den durch die ziel­ge­rich­te­te Ge­stal­tung pro­fi­tab­ler Ge­schäfts­be­zie­ hun­gen mit­tels de­ren nach­hal­ti­gem Auf­bau, Un­ter­halt, Aus­bau, Wie­der­her­stel­ lung oder Auf­kün­di­gung. Das heißt, Ak­ti­vi­tä­ten zu an­de­ren Hand­lungs­trä­gern wer­den vor­läu­fig nur in­so­weit als für das Mar­ke­ting re­le­vant be­trach­tet, als sie ei­nen Ein­fluss auf die Ziel­er­rei­chung bei Kun­den und de­ren Kun­den („De­mand­hol­ders“) ha­ben. Ak­ti­ vi­tä­ten mit an­de­ren Hand­lungs­trä­gern zu an­de­ren Zie­len ge­hö­ren da­nach nicht mehr zum Mar­ke­ting­ob­jekt­be­reich. Aus der Sicht­wei­se des Be­zie­hungs­mar­ke­tings wird die für das Mar­ke­ting so ty­pi­sche, ver­brei­tet vor­kom­men­de zweis­tu­fi­ge Kun­den­be­zie­hung deut­lich, näm­ lich die Ge­stal­tung der Be­zie­hun­gen zu (ge­werb­li­chen oder pri­va­ten) End­ab­neh­ mern (Pull) über häu­fig ein­ge­schal­te­te (ge­werb­li­che) Zwi­schen­ab­neh­mer (Ab­ satz­mitt­ler / -hel­fer) (Push). 1.4

Marketing als Beziehungsmanagement

Cus­to­mer Re­la­ti­ons­hip Ma­na­ge­ment (CRM) steht da­bei i. e. S. für drei An­satz­ punk­te des Mar­ke­tings. Ers­tens wird CRM als Ma­xi­me zum zielo­ri­en­tier­ten Ma­ na­ge­ment von le­bens­zy­klus­be­zo­ge­nen Be­zie­hun­gen zu (di­rek­ten und in­di­rek­ten) Kun­den ver­stan­den. Dies stellt die stra­te­gi­sche Denk­hal­tung in den Vor­der­grund. Zwei­tens wird CRM als Mit­tel zur Ge­stal­tung des Auf­baus, des Un­ter­halts, des Aus­baus und ggf. der Wie­der­her­stel­lung oder Aus­gren­zung von Kun­den­kon­ tak­ten ge­mäß ih­rer Pro­fit­abi­li­tät ver­stan­den. Dies stellt die tak­ti­sche In­stru­men­ tie­rung der Kun­den­ak­qui­si­ti­on, -bin­dung, -aus­wei­tung und -rück­ge­win­nung in den Vor­der­grund (da­bei liegt eine zeit­li­che Ori­en­tie­rung am Kun­den­le­bens­zy­ klus zu­grun­de). Und drit­tens wird CRM als Me­tho­de zur da­ten­bank­ge­stütz­ten Kon­tak­tie­rung ak­tu­el­ler (und teil­wei­se auch po­ten­zi­el­ler) Kun­den mit­tels ge­eig­ne­ter Soft­ware

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A. Vertriebskonzept und Controlling

ver­stan­den. Dies stellt den ope­ra­ti­ven Ein­satz in den Mit­tel­punkt. Al­len drei Sicht­wei­sen ist ge­mein, dass die Nach­kauf­pha­se in den Mit­tel­punkt der Mar­ke­ ting­ak­ti­vi­tä­ten rückt und als Eng­pass des markt­be­zo­ge­nen Un­ter­neh­mens­er­folgs er­ach­tet wird. Als Ziel­grup­pen sind generisch, aber auch Lie­fe­ran­ten, Ka­pi­tal­ge­ber, Kon­kur­ ren­ten, Öf­fent­lich­keit, Ma­na­ge­ment etc. (Sta­ke­hol­ders) zu se­hen. Sta­ke­hol­ders sind all­ge­mein Hand­lungs­trä­ger, die in der Lage sind, den Or­ga­ni­sa­ti­ons­er­folg po­si­tiv oder ne­ga­tiv zu be­ein­flus­sen. Sie leis­ten Bei­trä­ge (Sta­kes) für den Ge­ schäfts­er­folg des An­bie­ters und lei­ten da­raus An­sprü­che an den Bei­trags­emp­ fän­ger ab. Die­se An­sprü­che sind ma­te­ri­el­ler und / oder im­ma­te­riel­ler Na­tur. Sie bes­te­hen in bi­la­te­ra­len Trans­ak­ti­ons- und In­ter­ak­ti­ons­be­zie­hun­gen mit ei­nem Fluss von Leis­tun­gen und Ge­gen­leis­tun­gen. An­spruchs­grup­pen tan­gie­ren den Un­ter­neh­mens­zweck und die Über­le­bens­fä­ hig­keit, im Un­ter­schied zu Be­zugs­grup­pen, die ver­hal­tens­be­ein­flus­send wir­ken, oder In­te­res­sen­grup­pen, die kei­ ne di­ rek­ ten Bei­ trä­ ge zum Er­ folg leis­ ten. Sie be­dür­fen da­her ei­nes be­wuss­ten Ma­na­ge­ments für ei­nen best­mög­li­chen In­te­res­ sen­aus­gleich zwi­schen ih­nen und dem Un­ter­neh­men und wer­den durch ei­nen kon­ti­nu­ier­li­chen In­for­ma­ti­ons­aus­tausch mit Le­ben er­füllt. Der Sta­ke­hol­der-An­satz hat den tra­di­ti­o­nel­len Sha­re­hol­der-An­satz (Ge­winn­ ma­xi­mie­rung) in der Dis­kus­si­on ab­ge­löst. Zu den Sta­ke­hol­ders ge­hö­ren in­ter­ne Part­ner, Markt­part­ner und Um­feld­part­ner. Die­se Sta­ke­hol­ders ha­ben al­ler­dings völ­lig un­ter­schied­li­che Zie­le, die sie durch Bei­trä­ge ak­tiv för­dern, und Macht­ mit­tel, mit de­nen sie de­ren Nicht­er­rei­chung sank­ti­o­nie­ren kön­nen. Bei in­ter­nen Part­nern (ho­ri­zon­ta­le Be­zie­hun­gen) handelt es sich etwa um fol­gen­de (je­weils Zie­le, Bei­trä­ge, Macht­mit­tel): •• Eigentümer / Ak­ti­o­nä­re: – Ihre Zie­le: Hohe Di­vi­den­den, Kurs­an­stieg der Ak­ti­en, Ge­winn, Wert­stei­ ge­rung des in­ves­tier­ten Ka­pi­tals, Un­ab­hän­gig­keit, Ent­schei­dungs­au­to­no­ mie, – ihre Bei­trä­ge: ri­si­ko­be­haf­te­te Über­las­sung von Ka­pi­tal, – ihre Macht­mit­tel: Haupt­ver­samm­lungs­auf­tritt, Prü­fung der Ge­schäfts­bü­ cher. •• Füh­rungs­kräf­te: – Ihre Zie­le: Kar­rie­re, Ein­kom­men, Macht, Ein­fluss, So­zi­al­pres­ti­ge, Ent­fal­ tung ei­ge­ner Ideen und Fä­hig­kei­ten, Selbst­ver­wirk­li­chung, Er­fül­lung von Ziel­vor­ga­ben, – ihre Beiträ­ge: Ar­beits­kraft und Wis­sen, Be­zie­hun­gen, – ihre Macht­mit­tel: Kün­di­gung, Wech­sel zur Kon­kur­renz.



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings11

•• Mitarbeiter / Be­triebs­rat: – Ihre Ziele: Leis­tungs­ge­rech­te Be­zah­lung, an­ge­neh­me Ar­beits­at­mo­sphä­re, Ar­beits­platz­si­cher­heit, sinn­vol­le Be­schäf­ti­gung, Ent­fal­tung ei­ge­ner Fä­hig­ kei­ten, Ar­beits­zu­frie­den­heit, Mit­be­stim­mung, – ihre Beiträge: Über­las­sung der ei­ge­nen Ar­beits­kraft, Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Zie­len, Mo­ti­va­ti­on, – ihre Machtmittel: Ge­werk­schafts­un­ter­stüt­zung, Streik, Mo­bi­li­sie­rung der Öf­fent­lich­keit. •• Kre­di­to­ren: – Ihre Ziele: Pünkt­li­che Zins­zah­lun­gen, si­che­re Til­gungs­zah­lun­gen, Bo­ni­tät, be­frie­di­gen­de Ver­zin­sung, – ihre Beiträge: Über­las­sung von Ka­pi­tal zur frem­den Dis­po­si­ti­on ge­gen Ri­si­ko­prä­mie, – ihre Machtmittel: Rück­for­de­rung von Dar­le­hen / Strei­chung der Kre­dit­li­ nie, falls Zah­lun­gen aus­blei­ben, Ent­eig­nung bei ho­hen Rück­stän­den, Ver­ wei­ge­rung zu­sätz­li­cher Kre­di­te. •• Ka­pi­tal­markt­ak­teu­re: – Ihre Ziele: hohe Ge­winn­ra­te / Kurs­stei­ge­rung, an­ge­pass­tes Ma­na­ge­ment, Rest­ruk­tu­rie­rung des Ge­schäfts, – ihre Beiträge: Know-how-Be­reits­tel­lung, – ihre Macht­mit­tel: Vor­ent­halt von Ka­pi­tal, Druck auf Ma­na­ge­ment, Un­ru­he im Un­ter­neh­men, ak­ti­vis­ti­sches Agie­ren, Durchs­te­chen zu Me­di­en. Bei Markt­part­nern (ver­ti­ka­le Be­zie­hun­gen) handelt es sich etwa um fol­gen­de (je­weils Zie­le, Bei­trä­ge, Macht­mit­tel): •• Händ­ler: – Ihre Zie­le: Zeitge­mä­ße Pro­duk­te zu ver­nünf­ti­gen Prei­sen, Pro­duk­te, die vom Ver­brau­cher ge­schätzt wer­den, Ab­ver­kaufs­un­ter­stüt­zung am POS, – ihre Beiträge: Markt­in­for­ma­ti­on, Funk­ti­ons­über­nah­me im Ver­triebs­ka­nal, In­no­va­ti­onsan­re­gung, – ihre Machtmittel: Zu­lie­fer­er­wech­sel bei schlech­ten Ver­trags­be­din­gun­gen, Boy­kott von nicht zu­frie­denstel­len­den An­bie­tern. •• Endkunden: – Ihre Ziele: Fai­res Ge­schäft, si­che­re und zu­ver­läs­si­ge Wa­ren / Diens­te, güns­ti­ge Kon­di­ti­o­nen, hohe Leis­tungs­qua­li­tät, adä­qua­ter Ser­vice, Kun­den­ zu­frie­den­heit, Be­darfs­de­ckung,

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A. Vertriebskonzept und Controlling

– ihre Beiträge: Kauf­preis­zah­lung, Wei­ter­emp­feh­lung, Loya­li­tät, – ihre Machtmittel: Ab­wan­de­rung zur Kon­kur­renz, Boy­kott nicht zu­frie­den­ stel­len­der An­ge­bo­te. •• Lie­fe­ran­ten: – Ihre Z­iele: Regel­mä­ßi­ger Auf­trags­ein­gang, Si­cher­heit ter­min­ge­rech­ter An­ nah­me und Be­zah­lung, güns­ti­ge Kon­di­ti­o­nen, sta­bi­le, fai­re Lie­fer­ba­sis, – ihre Beiträge: Über­las­sung von Vor­leis­tun­gen, Ein­satz von Be­triebs­mit­ teln, Roh-, Hilfs- und Be­triebs­stof­fen, Wert­ket­ten­in­tegra­ti­on, – ihre Macht­mit­tel: Zu­rück­wei­sung von Auf­trä­gen bei schlech­ten Ver­trags­ be­din­gun­gen, Be­lie­fe­rung von Kon­kur­ren­ten. •• Konkurrenten: – Ihre Z­iele: Gewinn, Wachs­tum des Markt­an­teils, Bran­chen­wachs­tum, Ent­ wick­lung von Bran­chen­stan­dards, Ben­chmark­ing, – ihre Beiträ­ge: fai­rer Wett­be­werb, Ko­o­pe­ra­ti­on auf bran­chen­po­li­ti­scher Ebe­ne, Netz­werk­bil­dung, – ihre Machtmittel: In­no­va­ti­o­nen, die zum Nach­zie­hen oder Auf­ge­ben zwin­gen, Preis­un­ter­bie­tung. •• Ko­o­pe­ra­ti­ons­ak­teu­re: – Ihre Ziele: Nut­zung von Ko­o­pe­ra­ti­ons­vor­tei­len (Win-win-Si­tu­a­ti­on), – ihre Beiträge: Ein­brin­gung von Geld- und Sach­mit­teln, Know-how und Ri­si­ko­tra­gung, – ihre Machtmittel: Zu­rück­hal­tung von Res­sour­cen, Auf­kün­di­gung der Ko­ o­pe­ration. Bei Um­feld­part­nern (la­te­ra­le Be­zie­hun­gen) han­delt es sich etwa um fol­gen­de (je­weils Zie­le, Bei­trä­ge, Macht­mit­tel): •• Verbände / Lob­bies: – Ihre Ziele: Flankierung bei An­pas­sung an ver­än­der­te Um­welt­be­din­gun­ gen, – ihre Beiträge: Ein­zel­fall­un­ter­stüt­zung, In­te­res­sen­ver­tre­tung, – ihre Machtmittel: Un­ter­stüt­zung der Un­ter­neh­men, Ver­öf­fent­li­chun­gen. •• Medien / Mei­nungs­bild­ner: – Ihre Ziele: In­for­ma­ti­ons­be­reits­tel­lung, Kon­trol­le der Un­ter­neh­mens­tä­tig­ keit, Ar­ti­ku­la­ti­on der öf­fent­li­chen Mei­nung, – ihre Bei­trä­ge: In­for­ma­ti­ons­ver­brei­tung, Ein­brin­gung ei­ge­ner Kom­pe­tenz,



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– ihre Macht­mit­tel: Ver­öf­fent­li­chun­gen, wel­che die öf­fent­li­che Mei­nung ne­ ga­tiv be­ein­flus­sen („run­ter­schrei­ben“). •• Bür­ger / An­woh­ner: – Ihre Ziele: Be­schäf­ti­gung an­säs­si­ger Ar­beit­neh­mer, Schutz der Um­welt, po­si­ti­ver Ein­fluss auf Inf­ra­struk­tur, – ihre Beiträge: An­sied­lungs­an­rei­ze (Sub­ven­ti­on ­ en / Steu­er­er­leich­te­run­gen), fle­xib­le Ver­wal­tung, Hin­nah­me von Um­welt­be­las­tung, – ihre Machtmittel: Ver­ga­be bzw. Ein­schrän­kung lau­fen­der Ge­neh­mi­gun­ gen, Ein­fluss­nah­me auf Be­hör­den. •• All­ge­mei­ne Öf­fent­lich­keit: – Ihre Ziele: Schutz so­zi­a­ler Wer­te, Ri­si­ko­min­de­rung, Wohls­tands­ma­xi­mie­ rung, – ihre Beiträge: Kauf­kraft, Kauf­be­reit­schaft, – ihre Machtmittel: Aus­ übung von Druck auf die Re­ gie­ rung, Sank­ ti­ o­ nen ge­gen ein­zel­ne Un­ter­neh­men. •• Staat / Öf­fent­li­che Ver­wal­tung: – Ihre Ziele: Steu­er­zah­lun­gen, wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung, So­zi­al­leis­tun­ gen, Ein­hal­tung von Rechts­vor­schrif­ten und Nor­men, öf­fent­li­che Si­cher­ heit und Ord­nung, Hand­lungs­auf­for­de­rung, – ihre Beiträge: Ge­stel­lung von Inf­ra­struk­tur, Ge­wäh­rung von Sub­ven­ti­o­nen und Steu­er­er­leich­te­run­gen, Rechts­si­cher­heit, – ihre Machtmittel: Re­gu­lie­rung, Ver­bo­te und Ge­neh­mi­gun­gen, Sank­ti­o­nie­ rung in­dust­ri­el­ler Ak­ti­vi­tä­ten. Was man un­ter Be­zie­hungs­ma­na­ge­ment zu ver­ste­hen hat, da­für gibt es viel­ fäl­ti­ge, teils noch recht un­schar­fe Be­griffs­be­stim­mun­gen. Hier sind nur Ge­ schäfts­be­zie­hun­gen re­le­vant. Als De­fi­ni­ti­on kann da­für zu­grun­de ge­legt wer­den: •• Ge­schäfts­be­zie­hun­gen stel­len all­ge­mein alle ziel­ge­rich­te­ten Kon­tak­te ei­nes Un­ter­neh­mens mit sei­nen Aus­tausch­part­nern auf Ba­sis ma­te­ri­el­ler und / oder in­for­ma­to­ri­scher In­ter­ak­ti­o­nen dar. Naturgemäß stehen dabei die aktuellen und potenziellen Kunden und deren Kunden im Mittelpunkt, denn Basis für Kaufentscheide sind weniger Leistungsvorteile, die angesichts hoher Austauschbarkeit der Produkte und geringer Vorsprünge sowie rascher Informationsüberlastung und damit begrenzter Beurteilbarkeit wenig tragfähig sind, sondern vielmehr Beziehungsvorteile. Dies vermag zwar keine Leistungsnachteile auszugleichen, aber bei marktüblicher Leistung auf allgemein hohem Niveau geben diese tatsächlich oft genug den Ausschlag.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

             

  

     

  

Abb. 2: Erfolgskette des Beziehungsmanagements

Im Fo­kus des Be­zie­hungs­ma­na­ge­ments steht die Er­folgs­ket­te von der Kun­ den­nä­he (Pro­xi­mi­ty) über die Kun­den­zu­frie­den­heit (Sa­tis­fac­tion), die Kun­den­ bin­dung (Re­ten­ti­on) bis zum Kun­den­wert (Equi­ty) (siehe Abb. 2): •• Kun­den­nä­he meint die Er­for­der­nis zum ge­dank­li­chen Ein­tau­chen in die Sicht­ wei­sen von Kun­den. Teils ist dies vor al­lem durch phy­si­sche Nähe leich­ter ver­mit­tel­bar. Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen füh­ren hier al­ler­dings tat­säch­lich zu ei­ner im­mer grö­ße­ren Fer­ne. •• Kun­den­zu­frie­den­heit meint das Ein­hal­ten von kun­den­be­zo­ge­nen Ver­spre­chen, nicht un­be­dingt de­ren Über­tref­fen, aber kei­nes­falls de­ren Ent­täu­schung. Je­ doch stellt sich die Fra­ge, wor­an fest­zu­ma­chen ist, ob eine Leis­tung denn nun zu­frie­den­heits­stif­tend ist oder nicht. •• Kun­den­bin­dung schafft ein über­durch­schnitt­li­ches Maß an Loya­li­tät in Wie­ der­kauf­si­tu­a­ti­o­nen, das er­folgs­be­deut­sam, weil ge­winn­brin­gend sind. Denn der Erst­kauf ist sel­ten ren­ta­bel, viel­mehr tritt Ren­ta­bi­li­tät erst mit Wie­der­ho­ lungs­käu­fen ein. •• Kun­den­wert er­gibt sich als im­ma­te­riel­ler Ge­schäfts­wert aus dem quan­ti­ta­ti­ven und qua­li­ta­ti­ven Kun­den­po­ten­zi­al und ist die wah­re Exis­tenz­ba­sis je­des Un­ ter­neh­mens. Denn Un­ter­neh­men ba­sie­ren zu­neh­mend auf im­ma­te­riel­len Ge­ schäfts­wer­ten. 1.5

Schnittstelle Marketing zu Vertrieb

Hinsicht­lich der Ge­stal­tung der Schnitt­stel­le zwi­schen Marketing und Ver­ trieb kann im Zeit­ablauf fol­gen­de Ent­wick­lung er­kannt wer­den: •• Ver­kauf als Eng­pass der be­trieb­li­chen Leis­tungs­erstel­lung, Mar­ke­ting­funk­ti­o­ nen sind auf ver­schie­de­ne Be­rei­che ver­teilt,



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings15

Schnittstelle Marketing zu Vertrieb Nicht-integrierte Marketingfunktionen

Vertrieb mit Hilfsfunktion Marketing

Vertrieb und Marketing gleich berechtigt

Integrierte Vertriebsund Marketingfunktionen

Verteilte Marketingfunktionen

Verteilte Vertriebsfunktionen

Abb. 3: Schnittstelle Marketing zu Vertrieb

•• Ver­kauf als Eng­pass, Mar­ke­ting ist Hilfs­funk­ti­on des Ver­triebs, •• Ver­trieb und Mar­ke­ting gleich be­rech­tigt, bei­de ge­mein­sam als Eng­pass, •• integrierte Vertiebs- und Marketingfuntionen, •• Rück­ver­tei­lung der Mar­ke­ting­denk­hal­tung auf alle Funk­ti­o­nen, •• Be­to­nung des Ver­triebs in al­len Funk­ti­o­nen (siehe Abb. 3). 1.5.1

Nicht-integrierte Marketingfunktionen

Die Nach­kriegs­zeit war in der ge­sam­ten west­li­chen Welt durch ein schein­bar un­be­grenz­tes Wachs­tum ge­kenn­zeich­net. Über mehr als drei Jahr­zehn­te hin­weg nahm das Wohls­tands­ni­veau der Be­völ­ke­rung un­auf­halt­sam zu. Zu­nächst wa­ren die Märk­te durch das Be­stre­ben zum Nach­hol­kon­sum für die Ent­beh­run­gen der na­hen Ver­gan­gen­heit ge­kenn­zeich­net. Es wur­de bei­na­he un­dif­fe­ren­ziert al­les ge­kauft, was es zu kau­fen gab, es herrsch­te ein klas­si­scher Ver­käu­fer­markt vor. Spä­ter, in den 1960er Jah­ren, wur­de die­ser Trend dann ab­ge­löst durch den Edel­ kon­sum, der schon ein se­lek­ti­ve­res Kauf­ver­hal­ten auf­zeig­te. Der Kon­sum­be­ reich war be­reits durch ein ho­hes Aus­stat­tungs­ni­veau ge­kenn­zeich­net. Zur Fi­ nan­zie­rung die­ses Kon­sums nah­men die Haus­hal­te Kre­di­te auf, was öko­no­misch auch sehr klug war. Denn durch die Über­nach­fra­ge war die Wirt­schaft durch In­fla­ti­on ge­kenn­zeich­net, Kre­di­te be­deu­te­ten also, dass man mit „gu­tem“, wert­ hal­ti­gem Geld heu­te Kon­sum fi­nan­zie­ren, und sei­ne Schulde­n mit „schlech­tem“, in­fla­ti­ons­ge­schä­dig­tem Geld mor­gen zu­rück­zah­len konn­te.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Die enor­me End­ver­brau­cher­nach­fra­ge im Bin­nen­markt wie, bei­na­he noch stär­ker, im Ex­port war der we­sent­li­che Wachs­tums­mo­tor für die ge­sam­te Wirt­ schaft. Denn Nach­fra­ge auf der End­ab­neh­merstu­fe führt auf al­len vor­ge­la­ger­ten Stu­fen zu mehr Be­schäf­ti­gung, da­mit zu Kauf­kraft bei Ar­beit­neh­mern und In­ ves­ti­ti­ons­mit­teln für Un­ter­neh­mer. Die­se kur­bel­ten die Nach­fra­ge auf den Kon­ sum- und al­len in der Wert­schöp­fungs­ket­te vor­ge­la­ger­ten Märk­ten wei­ter an, was zu noch mehr Wohl­stand führ­te. An­fang der 1970er Jah­re schien das, ab­ ge­se­hen von ei­ner Kon­junk­tur­del­le 1967, aber wei­ter an­ge­trie­ben durch Kriegs­ wirt­schaft, un­end­lich wei­ter ge­hen zu kön­nen. Dass es in ei­ner sol­chen Si­tu­a­ti­on kei­ner Be­to­nung der Ver­mark­tung be­durf­te, ist klar. Der Eng­pass der ein­zel­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung lag viel­mehr in der Pro­duk­ti­on ver­kauf­ba­rer Gü­ter und in der Be­schaf­fung von Rohs­tof­fen, Fi­nanz­ mit­teln und Ar­beits­kräf­ten für die­se Pro­duk­ti­on. Folg­lich such­te man auch in der Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­ti­on ver­geb­lich nach ei­ner Mar­ke­ting­funk­ti­on. Ab­ge­se­hen da­von, dass die­ser Be­griff da­mals nur In­ si­dern be­kannt und in der be­trieb­li­chen Pra­xis so gut wie über­haupt nicht ver­ brei­tet war, gab es auch kei­ne Not­wen­dig­keit, be­son­de­res Au­gen­merk auf die Ver­mark­tung zu le­gen. Viel­mehr wa­ren Res­sour­cen weit­aus bes­ser in der Erstel­ lung von Wa­ren ein­ge­setzt als in de­ren Ab­satz. Den­noch wa­ren na­tur­ge­mäß ab­satz­wirt­schaft­li­che Funk­ti­o­nen zu über­neh­ men, nur wa­ren die­se ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen im Un­ter­neh­men zu­ge­ord­net: •• Die Ab­tei­lung für Fi­nan­zen / In­ves­ti­ti­on be­fass­te sich z. B. mit Fra­gen der Ab­ satz­fi­nan­zie­rung und der Kon­di­ti­o­nen. •• Die Ab­tei­lung für Per­so­nal / Or­ga­ni­sa­ti­on über­nahm z. B. die Aus­wahl des Ver­ kaufs­per­so­nals und des­sen Schu­lung / Trai­ning. •• Die Ab­tei­lung für Pro­duk­ti­on / Qua­li­täts­si­che­rung ver­ant­wor­te­te z. B. die Pro­ dukt­ent­wick­lung und die Pro­zess­ge­stal­tung. •• Die Ab­tei­lung für Con­trolling / Pla­nung führ­te z. B. re­gel­mä­ßi­ge Ver­triebs­seg­ mentrech­nun­gen und Er­folgs­kon­trol­len durch. •• Die Ab­tei­lung für Rech­nungs­we­sen / Kos­ten­rech­nung war z. B. für die Preis­ fin­dung und die An­ge­bots­erstel­lung zustän­dig. •• Die Ab­tei­lung für Ma­te­ri­al­wirt­schaft / Log­is­tik be­in­hal­te­te z. B. die Ver­triebs­ lo­gis­tik in Trans­port, Um­schlag und La­ge­rung als Teil­funk­ti­o­nen. •• Die Ab­tei­lung für In­for­ma­ti­on / EDV be­trach­te­te sich z. B. als für Markt­for­ schungs­fra­gen und Kun­den­stamm­da­ten zustän­dig. Da­ne­ben voll­zog sich in der Ver­triebs­ab­tei­lung die kon­kre­te Ab­satz­för­de­rung. Die ver­teil­te Zu­ord­nung die­ser ein­zel­nen Teil­funk­ti­o­nen in­di­zier­te den ge­rin­gen Stel­len­wert, den man ab­satz­wirt­schaft­li­chen Auf­ga­ben zu­maß.



1.5.2

1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings17

Vertrieb als Hilfsfunktion des Marketings

Ers­te Irr­ita­ti­o­nen über die Fort­ent­wick­lung der Wirt­schaft tauch­ten auf, als 1972 der Club of Rome sei­ ne heu­te be­rühm­te Stu­die über die Gren­zen des Wachs­tums (Li­mits to Growth) vor­leg­te. Da­rin wur­de auf­ge­zeigt, dass der wirt­ schaft­li­che Auf­schwung der Ver­gan­gen­heit sich schon aus rein prag­ma­ti­schen Grün­den der Rohs­toff­ver­sor­gung nicht in der Zu­kunft so fort­set­zen konn­te. Die­se Prog­no­sen wur­den da­mals al­ler­dings in Zwei­fel ge­zo­gen, so dass sie kei­ne rech­te Wir­kung hin­ter­las­sen konn­ten. Da­für gab es eine umso dras­ti­sche­re Wir­kung in­fol­ge des Jom Kip­pur-Kriegs zwi­schen Is­ra­el und sei­nen ara­bi­schen Nach­barn 1973. Letz­te­re wa­ren, und sind es heu­te noch, in der Or­ga­ni­sa­ti­on ölex­por­tie­ren­der Staa­ten zu­sam­men­ge­schlos­ sen (OPEC) und kon­ ter­ ten als Ra­ che für eine ver­ mu­ te­ te Un­ ter­ stüt­ zung der sieg­rei­chen is­ra­e­li­schen Ar­mee durch den Wes­ten mit ei­ner star­ken Dros­se­lung der Öl­för­de­rung. Die Fol­ge war eine Ex­plo­si­on der Roh­öl­prei­se mit stei­gen­den Ben­zin­prei­sen an den Tanks­tel­len hier­zu­lan­de und Un­ter­ver­sor­gung in den eu­ro­pä­i­schen Nach­ bar­län­dern mit Höchst­preis­ver­ord­nun­gen, de­ren Be­lie­fe­rung von den in­ter­na­ti­o­ na­len Öl­kon­zer­nen weit­ge­hend ge­mie­den wur­de. Es kam in den fol­gen­den Jah­ren zu den le­gen­dä­ren au­to­frei­en Sonn­ta­gen mit den Rad­fah­rern auf der lin­ken Spur der Au­to­bahn. Das Dra­ma lös­te sich aber bald auf, weil an­ge­sichts der ho­hen Öl­prei­se die Gier der OPEC-Län­der nach mehr Ein­nah­men durch höhere Öl­för­de­rung stär­ker war als der Sinn nach po­li­ti­scher Ra­che. Den­noch ist die­se 1. Öl­kri­se ein dra­ ma­ti­scher Wen­de­punkt in der Ge­schich­te, denn zum ers­ten Mal wur­de klar, dass das Wachs­tum in der west­li­chen Welt auf tö­ner­nen Füs­sen stand und aus­ge­spro­ chen an­fäl­lig für Irr­ita­ti­o­nen war. Die Un­ter­neh­men sa­hen zu­dem den Zwang, die ges­tie­ge­nen Rohs­toff­kos­ten (auch durch ver­ar­bei­te­te Mi­ne­ral­öl­pro­duk­te wie Kunst­stof­fe, Phar­ma­zeu­ti­ka etc.) durch Ein­spa­run­gen an an­de­rer Stel­le zu kom­pen­sie­ren. Dazu zwang al­lein schon der in­ter­na­ti­o­na­le Wett­be­werb. Als we­sent­li­ches Ein­spar­po­ten­zi­al wur­den die Lohn- und Lohn­ne­ben­kos­ten iden­ti­fi­ziert. Denn in­fol­ge der In­fla­ti­on wa­ren die Ta­rif­ab­schlüs­se über Jah­re hin­weg sehr hoch aus­ge­fal­len, hin­zu ka­men po­ li­tisch mo­ti­vier­te so­zi­a­le Wohl­ta­ten, die sich bis zum heu­ti­gen Tage als letzt­lich nicht fi­nan­zier­bar he­raus­stel­len. Da­her kam es zum Er­satz von Ar­beits­kräf­ten durch Ma­schi­nen, also ar­beits­spa­ren­dem tech­ni­schen Fort­schritt. Die Fol­gen wa­ren ka­ta­stro­phal und sind bis zum heu­ti­gen Tage nicht be­ herrschbar. Es kam zu Mas­sen­ent­las­sun­gen, die bei Ar­beit­neh­mern Irr­ita­ti­o­nen über ihre Ar­beits­platz­si­cher­heit vers­tärk­ten. Im Vor­griff bau­ten die Haus­hal­te da­her Kre­dit­en­ga­ge­ments ab und schränk­ten ihre Nach­fra­ge ein, um Rück­la­gen für noch schlech­te­re Zei­ten zu bil­den. Die­ser Nach­fra­ge­ein­bruch auf dem Kon­ sum­markt setz­te sich auf al­len vor­ge­la­ger­ten Wirt­schafts­stu­fen fort und führ­te

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A. Vertriebskonzept und Controlling

dort eben­falls zu ge­rin­ge­rer wirt­schaft­li­cher Ak­ti­vi­tät, mit der Fol­ge von Ent­ las­sun­gen, Kauf­kraft­aus­fall und wei­te­rer Ak­tiv­itä­ten­ein­schrän­kung. Ende der 1970er Jah­re war zum ers­ten Mal die Zahl der Ar­beits­su­chen­den hö­her als die der of­fe­nen Stel­len. Un­ter­neh­men such­ten Nach­fra­ge­aus­fäl­le im In­land auf Aus­lands­märk­ten aus­ zu­glei­chen. Da Han­dels­hemm­nis­se im­mer wei­ter ab­ge­baut wur­den, kam es auch zu ei­ner vers­tärk­ten Prä­senz aus­län­di­scher An­bie­ter auf dem In­lands­markt, so dass sich die stag­nie­ren­de Nach­fra­ge im­mer mehr An­bie­tern ge­gen­über sah. Es entstand die Si­tu­a­ti­on des Käu­fer­markts. Es leuch­tet ein, dass in ei­ner sol­chen Si­tu­a­ti­on die Ver­mark­tung her­ge­stell­ter Pro­duk­te von zent­ra­ler Be­deu­tung wird. Die Un­ter­neh­men re­a­gier­ten da­rauf mit ei­ner Stär­kung der Ver­triebs­funk­ti­on, denn au­gen­schein­lich wur­de der Ver­trieb zum Eng­pass des Un­ter­neh­menserfo­lgs. Das Au­gen­merk lag aber nur auf der rei­nen Trans­ak­ti­on zwi­schen An­bie­ter und Nach­fra­ger, vor- und erst recht alle nach­be­rei­ten­den Ak­ti­vi­tä­ten, wie sie In­halt des Mar­ke­tings aus heu­ti­ger Sicht sind, wur­den da­bei als we­ni­ger be­deut­sam ein­ge­stuft. Folg­lich wur­de Mar­ke­ting als Hilfs­funk­ti­on des Ver­triebs in den Un­ter­neh­ mens­or­ga­ni­sa­ti­o­nen in­stal­liert: •• Zu den Kern­funk­ti­o­nen des Ver­triebs ge­hör­ten da­bei u.  a. die Ab­satz­fi­nan­zie­ rung, die Ver­kauf­sper­so­nal­aus­wahl, die Ver­kaufs­för­de­rung, die Ver­triebs­lo­gis­ tik, die Wer­bung, die Re­kla­ma­ti­ons­ab­wick­lung, der Kun­den­dienst etc. •• Als eine die­ser Teil­funk­ti­o­nen wur­de die Ab­satz­vor­be­rei­tung an­ge­se­hen, die sich mit den In­hal­ten be­schäf­tig­te, die man heu­te ty­pi­scher­wei­se un­ter den Be­griff Mar­ke­ting sub­su­mieren wür­de. Da­mit wur­de im­mer­hin der Be­deu­tung der Ab­satz­vor­be­rei­tung (Vor­kauf­ pha­se) ge­gen­über der Kon­zen­tra­ti­on auf die Ver­kaufs­ab­wick­lung (Trans­ak­ti­ons­ pha­se) Rech­nung ge­tra­gen. Von ei­ner aus­rei­chen­den Ge­wich­tung der ver­kaufs­ be­glei­ten­den Auf­ga­ben ge­gen­über den rein ver­kaufs­durch­füh­ren­den konn­te al­ ler­dings im­mer noch kei­ne Rede sein. 1.5.3

Vertrieb und Marketing gleich berechtigt

Die Stag­na­ti­on der Märk­te und der ver­schärf­te in­ter­na­ti­o­na­le Wett­be­werb lie­ßen in den 1980er Jah­ren kei­ne merk­li­che Bes­se­rung der ein­zel­be­trieb­li­chen Si­tu­a­ti­on mehr zu. Da­her be­gann man, sich Ge­dan­ken da­rü­ber zu ma­chen, wie man Kun­den be­reits im Vor­feld ei­ner Kauf­ent­schei­dung für das ei­ge­ne An­ge­bot ein­neh­men und ge­gen kon­kur­rie­ren­de An­ge­bo­te im­mu­ni­sie­ren könn­te. Da­bei wur­de das mar­ke­ting­po­li­ti­sche In­stru­men­ta­ri­um als pro­ba­tes Mit­tel der Be­ein­ flus­sung iden­ti­fi­ziert (4 Ps). Es soll­te be­reits im Vor­feld des Kaufs zu ei­ner Be­ein­flus­sung po­ten­zi­el­ler Käu­fer zu ei­ge­nen Guns­ten füh­ren. Die­se Be­deu­tung der Ab­satz­vor­be­rei­tung



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings19

führ­te kon­se­quen­ter­wei­se zu ei­ner Auf­wer­tung der Mar­ke­ting­funk­ti­on in Un­ter­ neh­men. Mar­ke­ting trat als gleich be­rech­tig­te Funk­ti­on ne­ben den Ver­trieb und er­klär­te pri­mär den vor­ver­kau­fen­den, aber auch den nach­ver­kau­fen­den Be­reich als sei­ne Do­mä­ne. Die Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on un­ter­teil­te sich folg­lich in vier gro­ße Grup­pen von Funk­ti­o­nen: •• Ers­tens die Grup­pe der markt­fer­nen Funk­ti­o­nen, z.  B. in Form der Ab­tei­lun­ gen für Fi­nan­zen / In­ves­ti­ti­on, Per­so­nal / Or­ga­ni­sa­ti­on, Ma­te­ri­al­wirt­schaft, Bi­ lan­zen / Steu­ern. •• Zwei­tens die Grup­pe der eher markt­fer­nen Funk­ti­o­nen, in de­nen den­noch Mar­ke­ting­auf­ga­ben über­nom­men wer­den, z.  B. in Form der Ab­tei­lung für Pro­duk­ti­on / Qua­li­täts­si­che­rung in Be­zug auf die Pro­dukt­ent­wick­lung, der Ab­ tei­lung für Con­trolling / Pla­nung in Be­zug auf die Ver­triebs­er­folgs­kon­trol­le, der Ab­tei­lung für Rech­nungs­we­sen / Kos­ten­rech­nung in Be­zug auf die Preis­ fin­dung oder der Ab­tei­lung In­for­ma­ti­on / EDV in Be­zug auf die Markt­for­ schung. •• Drit­tens die Ver­triebs­funk­ti­on, zent­ral ver­bun­den mit Auf­ga­ben wie z.  B. Ver­ kauf­sper­so­nal­aus­wahl, Ver­triebs­lo­gis­tik, Re­kla­ma­ti­ons­ab­wick­lung etc. •• Vier­tens die Mar­ke­ting­funk­ti­on mit zent­ra­len Auf­ga­ben wie z.  B. Wer­bung, Ab­satz­vor­be­rei­tung, Ver­kaufs­för­de­rung und Kun­den­dienst. Dass die­ses Ne­ben­ei­nan­der von Mar­ke­ting und Ver­trieb ei­ner kon­ver­gen­ten Ar­beits­wei­se nicht ge­ra­de dien­lich ist, scheint ein­leuch­tend. Zu­mal bei vie­len Auf­ ga­ ben substan­ ziell frag­ lich ist, ob sie eher der ei­ nen oder eher an­ de­ ren Ab­tei­lung zu­ge­ord­net wer­den sol­len. Denn tat­säch­lich han­delt es sich um in­te­ g­rier­te Auf­ga­ben, de­ren Tren­nung nur künst­lich vor­ge­nom­men wer­den kann, dann aber un­ter Hin­nah­me von Ef­fi­zi­enz- und Ef­fek­ti­vi­täts­ver­lus­ten. 1.5.4

Integrierte Vertriebs- und Marketingfunktionen

Zuneh­mend däm­mer­te es den Un­ter­neh­men, dass Kun­den als „ex­ter­ner Fak­ tor“ so ziem­lich die ein­zi­ge Ein­fluss­grö­ße dar­stell­ten, auf die sie nicht un­mit­ tel­bar Zu­griff neh­men konn­ten. Alle an­de­ren Er­folgs­fak­to­ren muss­ten oh­ne­hin be­herrscht wer­den, um dem im­mer här­te­ren Wett­be­werb stand­hal­ten zu kön­nen. Zur Be­ar­bei­tung des zent­ra­len Er­folgs­fak­tors „Kun­de“ aber stand nur der Mar­ke­ting-Mix zur Ver­fü­gung. Markt­ori­en­tiert agie­ren­de Un­ter­neh­men re­a­gier­ten da­rauf da­mit, dass sie den Ver­trieb kon­se­quen­ter­wei­se als ein In­stru­ment des Mar­ke­ting-Mix ver­stan­den (Dis­tri­bu­ti­ons­po­li­tik). Es kam zu ei­ner in­teg­rier­ten Mar­ke­ting­funk­ti­on. Die­se ist heu­te bei al­len mo­dern ar­bei­ten­den Un­ter­neh­men un­er­läss­lich.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Vie­le Un­ter­neh­men hin­ge­gen, die in der Markt­ori­en­tie­rung, trotz an­ders lau­ ten­der State­ments, of­fen­sicht­lich noch nicht so weit fort­ge­schrit­ten sind, leis­ten sich heu­te noch ei­ne Ver­triebs­funk­ti­on in mehr oder min­der glei­cher Be­rech­ti­ gung ne­ben der Mar­ke­ting­funk­ti­on (z.  B. in In­dust­rie­gü­ter­bran­chen). Die­se künst­li­che, dem or­ga­ni­schen Auf­bau der Mar­ke­ting­denk­wei­se wi­der­spre­chen­de, Tren­nung ist prak­tisch ste­ter Quell für Que­re­len. Selbst dort, wo funk­ti­o­na­le Mar­ke­ting­ab­tei­lun­gen in­stal­liert sind, wird de­ren Tä­tig­keit im­mer noch vor­der­grün­dig mit Ver­trieb gleich­ge­setzt. So tre­ten beim Stich­wort Mar­ke­ting im­mer noch zu­erst die As­so­zi­a­ti­o­nen von Ver­kauf, Ak­qui­ si­ti­on und Ab­schluss zu­ta­ge. Dies ist aber in den heu­ti­gen Märk­ten bei­na­he die leich­te­re Übung ge­gen­über der Ab­satz­vor­be­rei­tung. So kön­nen zwei gro­ße Grup­pen von Ab­tei­lun­gen un­ter­schie­den wer­den: •• Ers­tens die eher markt­fer­nen Funk­ti­o­nen wie z. B. Fi­nan­zen / In­ves­ti­ti­on, Per­ so­nal / Or­ga­ni­sa­ti­on, Pro­duk­ti­on / Qua­li­täts­si­che­rung, Con­trolling / Pla­nung, Rech­nungs­we­sen / Kos­ten­rech­nung, Ma­te­ri­al­wirt­schaft / Log­is­tik, In­for­ma­ti­on /  IT, Bi­lan­zen / Steu­ern. Eine ge­wis­se Son­der­stel­lung nimmt hier die Be­schaf­ fungs­ab­tei­lung ein, da sie zwar durch­aus markt­nah, aber im Lie­fe­ran­ten­markt, agiert. Die Mar­ke­ting­auf­ga­ben sind aus die­sen Be­rei­chen he­raus­ge­nom­men und in der Mar­ke­ting­ab­tei­lung zu­sam­men ge­fasst. •• Zwei­tens die zent­ra­le Funk­ti­on des Mar­ke­tings mit Auf­ga­ben wie z.  B. Pro­ dukt- und Pro­gramm­ge­stal­tung, Preis- und Kon­di­ti­o­nen­be­stim­mung, Kom­mu­ ni­ka­ti­ons- und Iden­ti­täts­wah­rung, Mar­ke­ting­for­schung, Mar­ke­ting­stra­te­gie, Mar­ke­ting­con­trolling, Af­ter Sa­les Ser­vice. Hin­zu tritt die Teil­funk­ti­on des Ver­triebs in Form des Dis­tri­bu­ti­ons- und Ver­kaufs­voll­zugs. 1.5.5

Verteilte Marketingfunktionen

Der Eng­pass des Mar­ke­tings als An­walt des Kun­den führt heu­te dazu, dass zu­neh­mend eine Ori­en­tie­rung al­ler Ab­tei­lun­gen im Un­ter­neh­men, auch der­je­ni­ gen, die vor­geb­lich markt­fern agie­ren, an den Kun­den­be­dürf­nis­sen er­for­der­lich ist. Es ist ein­leuch­tend, dass es für ein schlag­kräf­ti­ges Kon­zept der Markt­ori­en­ tie­rung nicht aus­reicht, die­se nur für die Mar­ke­ting­ab­tei­lung zu postu­lie­ren, wenn das Kon­zept in den üb­ri­gen Tei­len des Un­ter­neh­mens nicht kon­se­quent um­ge­setzt oder gar kon­ter­ka­riert wird. Eine, und sei es auch pri­mä­re, Kon­zen­ tra­ti­on auf die Mar­ke­ting­ab­tei­lung springt da­her zu kurz. Au­ßer­dem wird aus dem Vor­han­den­sein ei­ner Mar­ke­ting­ab­tei­lung in an­de­ren Ab­tei­lun­gen leicht da­rauf ge­schlos­sen, dass ent­spre­chend kun­de­no­ri­en­tier­te Ak­ti­vi­tä­ten sich für die­se er­üb­ri­gen. Dies reicht aber mit­nich­ten aus. Die strik­te Kun­den­ori­en­tie­rung führt nun­mehr dazu, dass die Mar­ke­ting-Denk­wei­se aus dem Mar­ke­ting­be­reich he­raus­ge­löst und auf alle be­trieb­li­chen Funk­ti­o­nen über­tra­gen wird, d.  h., die



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings21

Kun­den­ori­en­tie­rung ist selbst­verständ­li­che Ziel­grö­ße auch für eher markt­fern agie­ren­de Un­ter­neh­mens­be­rei­che ge­wor­den. Be­son­ders deut­lich wird dies im Rah­men der Pro­duk­ti­on durch Qua­li­täts- und Pro­zes­sor­ien­tie­rungs­kon­zep­te. In­ so­fern ist eine ver­teilt vor­ran­gi­ge Stel­lung von Mar­ke­ting in al­len Funk­ti­o­nen ge­ge­ben („Eve­ry­bo­dy’s in Mar­ke­ting“). Die Ver­ga­be von Kom­pe­ten­zen, die in en­gem Be­zug zum Mar­ke­ting ste­hen, an an­de­re als die Mar­ke­ting­ab­tei­lung wird da­her auf den ers­ten Blick häu­fig als eine Schwä­chung des Mar­ke­tings in­ter­pre­tiert. Dies ist aber bei nä­he­rer Aus­­ einan­der­set­zung kei­nes­wegs der Fall. Viel­mehr folgt da­raus im Ge­gen­teil eine Stär­kung des Mar­ke­tings, in­dem der kun­de­no­ri­en­tier­te Ge­dan­ke über die Gren­ zen der Fach­ab­tei­lung hi­naus in das ge­sam­te Un­ter­neh­men ge­tra­gen wird. So trägt die Be­to­nung der pro­duk­ti­ons-(ja­pa­ni­sche Ma­na­ge­ment­tech­ni­ken) und res­sour­ce­no­ri­en­tier­ten Ak­ti­vi­tä­ten (Kern­kom­pe­tenz­ma­na­ge­ment) im Kern das Ge­dan­ken­gut des Mar­ke­tings. Die Pro­duk­ti­on soll da­bei so aus­ge­rich­tet wer­ den, dass nicht mehr in­ter­ne, fak­tor­be­zo­ge­ne Ge­sichts­punk­te im Vor­der­grund ste­hen, son­dern ex­ter­ne, markt­be­zo­ge­ne (z.  B. in Form kür­ze­rer Lie­fer­zei­ten, hö­he­rer Qua­li­tät oder zweck­ge­rech­te­rer Pro­duk­te). Die Kern­kom­pe­tenz kor­ri­ giert die do­mi­nan­te Wett­be­werbs­vor­teilso­ri­en­tie­rung der Ver­gan­gen­heit, bei der die ei­ge­ne Stra­te­gie vor­nehm­lich von den Stra­te­gi­en der Mit­be­wer­ber ge­lei­tet wird, um den Fo­kus der au­to­no­men Aus­rich­tung des Un­ter­neh­mens in ei­ner Art und Wei­se, wie es die von Kun­den am bes­ten ho­no­rier­ten Leis­tun­gen er­bringt. Mit­hin steht auch beim „In­si­de out“ die Kun­den­ori­en­tie­rung im Mit­tel­punkt. 1.5.6

Verteilte Vertriebsfunktionen

Der Ver­trieb wird ver­brei­tet als Eng­pass für den Un­ter­neh­mens­er­folg ge­se­ hen. Die an­de­ren Mar­ke­ting­in­stru­men­te schei­nen ver­gleichs­wei­se gut au­to­nom hand­hab­bar, im Ver­trieb gibt es je­doch zahl­rei­che Sys­tem­ele­men­te, die nicht oder nur schwer im ei­ge­nen Sin­ne be­ein­fluss­bar sind. Dies gilt vor al­lem für die Han­dels­stu­fe. Dort ist ein er­heb­li­ches Maß an Macht­an­bal­lung entstan­den, noch vers­tärkt durch hin­zu­kom­men­de E-Commer­ce-Ak­teu­re, so dass von ei­ner ver­brei­te­ten Käu­fer­markt­si­tu­a­ti­on im Ver­hält­nis zum Her­stel­ler aus­zu­ge­hen ist. So ma­chen im Le­bens­mit­tel­han­del vier gro­ße An­bie­ter (Aldi, Lidl, Ede­ka, Rewe) über 80 % des Markt­vo­lu­mens aus. Vor al­lem ist die Fik­ti­on der In­te­res­ sen­iden­ti­tät zwi­schen Her­stel­ler und Han­del an­ge­sichts des­sen nicht auf­recht zu er­hal­ten. Aber nicht nur ex­ter­ne Ab­neh­mer sind von Re­le­vanz, son­dern auch in­ter­ne Ab­neh­mer und Ver­mark­tungs­be­ein­flus­ser. Ih­nen geht es oft nicht um die rein ma­te­ri­el­le Leis­tung, son­dern an­ge­sichts des Pri­mats des Be­zie­hungs­mar­ke­tings, auch oder so­gar do­mi­nant um ide­el­le Wer­te, die sie im Markt­an­ge­bot ver­wirk­ licht se­hen wol­len. Da­her muss ih­nen das Un­ter­neh­mens­an­ge­bot „ver­kauft“ wer­den, um den Un­ter­neh­mens­er­folg ab­zu­si­chern. Da­für sind dann oft nicht nur

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Mar­ke­ting oder Ver­trieb zustän­dig, son­dern auch gänz­lich an­de­re or­ga­ni­sa­ti­o­ na­le Funk­ti­o­nen. Da­her ist letzt­lich „Eve­ry­bo­dy’s in Sa­les“. Bei in­ter­nen Ab­neh­mern geht es da­rum zu ver­hin­dern, dass die­se sich bei ex­ter­nen Lie­fe­ran­ten ein­de­cken, statt das in­ter­ne Leis­tungs­an­ge­bot in An­spruch zu neh­men. Dies hät­te un­mit­tel­bar ne­ga­ti­ve Kon­se­quen­zen auf die Res­sour­cen­ zu­tei­lung (Bud­get, Man­po­wer, Inf­ra­struk­tur etc.) und könn­te den Be­stand der in­ter­nen Lie­fe­ran­ten akut ge­fähr­den. Da­rü­ber hi­naus ist zu ver­mu­ten, dass da­ raus auch ge­sam­tun­ter­neh­me­ri­sche Nach­tei­le ent­ste­hen (Geld­mit­te­lab­fluss nach au­ßen ei­ner­seits bei Leer­kos­ten im In­nern an­de­rer­seits). In­so­fern ist auch der in­ter­ne Ver­trieb es­sen­zi­ell. Eben­so müs­sen ex­tern Un­ter­neh­mens­leis­tun­gen an Sta­ke­hol­der ver­kauft wer­ den, da­mit die­se die In­ter­ak­ti­on mit dem an­bie­ten­den Un­ter­neh­men der zu an­ de­ren vor­zie­hen. Da­bei kommt es nicht nur da­rauf an, ein at­trak­ti­ves Leis­tungs­ an­ge­bot vor­zu­hal­ten, son­dern die­ses auch an­ge­mes­sen zu ver­tre­ten. Dies gilt z.  B. in Be­zug auf Cor­po­ra­te So­ci­al Re­spon­si­bi­li­ty (CSR), die eine ge­mein­wohl­ kon­for­me Un­ter­neh­mens­verant­wort­lich­keit ein­for­dert und bei Un­ter­las­sen oder Zu­wi­der­hand­len emp­find­li­che, öf­fent­li­che Sank­ti­o­nen pro­vo­ziert. In­so­fern sind alle Un­ter­neh­mens­funk­ti­o­nen im Vertrieb ge­for­dert. 1.6

Gesamtwirtschaftliche Einbettung der Vertriebsaktivitäten

Vertrieb ist nicht los­ge­löst vom Sys­tem der Markt­wirt­schaft denk­bar. In­so­fern ist es sinn­voll, sich die­sen Rah­men vor Au­gen zu füh­ren und des­sen Prin­zi­pi­en kurz Re­vue pas­sie­ren zu las­sen. 1.6.1

Marktwirtschaftliche Prinzipien

Das markt­wirt­schaft­li­che Sys­tem baut auf den Ele­men­ten Markt und Preis auf („un­sicht­ba­re Hand“) und ist durch fol­gen­de Merk­ma­le ge­kenn­zeich­net: •• Es herrscht funk­ti­ons­fä­hi­ger Wett­be­werb, d.  h., An­ge­bot und Nach­fra­ge be­ stim­men den Preis. •• Es sind of­fe­ne Märk­te ge­ge­ben, d.  h., je­der in­te­res­sier­te Markt­teil­neh­mer ist zu­ge­las­sen. •• Es lie­gen eine in­di­vi­du­el­le Pla­nung und Ri­si­ko­tra­gung vor, dies be­deu­tet auch Ge­wer­be­frei­heit für An­bie­ter und Kon­sum­frei­heit für Nach­fra­ger. •• Es herrscht Ver­trags­frei­heit der Wirt­schafts­sub­jek­te. •• Es wird ein Stre­ben nach ma­xi­ma­lem Ge­winn bzw. Nut­zen bei den Markt­ teil­neh­mern un­terstellt. •• An­bie­ter und Nach­fra­ger kön­nen frei über den Ein­satz ih­rer je­wei­li­gen Geld­ mit­tel ent­schei­den.



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings23

•• Es herrscht Pri­vat­ei­gen­tum vor. •• Die Men­schen kön­nen frei ih­ren Be­ruf und ih­ren Ar­beits­platz wäh­len, die Un­ter­neh­men frei ihre Mit­ar­bei­ter. •• Der Staat spielt eine un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le. •• Die Ge­sell­schaft ist de­mo­kra­tisch or­ga­ni­siert. •• Wäh­run­gen ver­schie­de­ner Län­der sind frei kon­ver­tier­bar. Prob­lem­atisch sind da­bei vor al­lem fol­gen­de Sys­tem­de­fek­te: •• ex­ter­ne Ef­fek­te, d.  h., Be­nach­tei­li­gun­gen der All­ge­mein­heit, die nicht von ein­ zel­nen Ak­teu­ren zu tra­gen sind (wie im Be­reich der Öko­lo­gie), •• der Vor­rang der Ge­win­ner­zie­lung vor der So­zi­al­ori­en­tie­rung, •• die all­ge­mei­ne Kri­sen­an­fäl­lig­keit der Wirt­schaft mit Auf­schau­ke­lung­sef­fek­ten (Bull­whip), •• eine zu­neh­mend un­glei­che Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung, •• die man­geln­de Si­che­rung leis­tungs­fä­hi­ger „öf­fent­li­cher Gü­ter“ etc. Die So­zi­a­le Markt­wirt­schaft ist spe­zi­ell durch die Be­to­nung des so­zi­a­len Fort­schritts und der so­zi­a­len Si­cher­heit in­ner­halb der Markt­wirt­schaft ge­kenn­ zeich­net. Die Eck­pfei­ler die­ser Phi­lo­so­phie fin­den sich be­reits im Grund­ge­setz (GG). Der Staat ge­währ­leis­tet da­mit die Frei­heits­rech­te (Si­cherheit nach au­ßen und in­nen), si­chert die Grund­aus­rüstung der Wirt­schaft (Rechts­ord­nung, Geld­ we­sen etc.), hält ei­nen funk­ti­ons­fä­hi­gen Wett­be­werb auf­recht, kor­ri­giert Fehl­ ent­wick­lun­gen öko­no­mi­scher Pro­zes­se durch (ord­nungs-)po­li­ti­sche Ein­grif­fe, über­nimmt Auf­ga­ben, die pri­va­te Markt­teil­neh­mer nicht selbst lö­sen kön­nen (Sub­si­di­a­ri­tät) und si­chert das So­zi­al­staatsprin­zip zum Schut­ze des Ein­zel­nen und des Ge­mein­wohls. Das So­zi­al­staatsprin­zip be­deu­tet so­wohl die Un­ter­stüt­zung der Ge­mein­schaft durch den Ein­zel­nen als auch die Un­ter­stüt­zung des Ein­zel­nen durch die Ge­ mein­schaft. Sub­si­di­a­ri­tät be­deu­tet, dass die Ge­mein­schaft nur die­je­ni­gen Auf­ga­ ben über­nimmt, die Ein­zel­ne nicht in Ei­gen­verant­wor­tung über­neh­men kön­nen. Das „so­zi­a­le Netz“ um­fasst da­bei zahl­rei­che Trans­fer­leis­tun­gen des Staa­tes. Es gilt das er­werbs­wirt­schaft­li­che Prin­zip. Das Pri­vat­ei­gen­tum ist zwar ge­si­ chert, ver­pflich­tet aber zu­gleich zum Ge­mein­wohl (So­zi­al­bin­dung). Der Staat nimmt zu­dem auf die Märk­te viel­fach be­gren­zend Ein­fluss, um Sta­bi­li­tät, Voll­ be­schäf­ti­gung, Wachs­tum und au­ßen­wirt­schaft­li­ches Gleich­ge­wicht zu si­chern. Da­bei gilt die Ta­rif­au­to­no­mie der So­zi­al­part­ner. Ein Ab­gleich der In­te­res­sen des Ein­zel­nen und der Ge­mein­schaft er­folgt durch die ge­ziel­te Um­ver­tei­lung von Ein­kom­men. Da­durch sol­len so­zi­a­le Här­ten ab­ge­fe­dert wer­den, und das macht erst aus ei­ner frei­en eine so­zi­a­le Markt­wirt­schaft.

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1.6.2

A. Vertriebskonzept und Controlling

Markt und Preis

Je­des Zu­sam­men­tref­fen von An­ge­bot und Nach­fra­ge etab­liert ei­nen Markt. Da­bei kön­nen im We­sent­li­chen Märk­te für Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren als In­put (also Ar­beits­markt, Ka­pi­tal­markt, Im­mo­bi­li­en­markt) und Märk­te für Gü­ter als Out­put am Kon­sum­gü­ter­markt für Ge- / Ver­brauch oder am In­ves­ti­ti­ons­gü­ter­markt für Pro­duk­ti­ons- / In­ves­ti­ti­ons­gü­ter un­ter­schie­den wer­den. Ent­spre­chend der An­zahl der je­wei­li­gen Markt­teil­neh­mer er­ge­ben sich ver­ schie­de­ne Markt­for­men. Im Grund­satz gibt es das •• Mo­no­pol als An­ge­bots­mo­no­pol, d.  h., an ei­nem Markt be­fin­den sich ein An­ bie­ter und vie­le Nach­fra­ger, als Nach­fra­ge­mo­no­pol (Mo­no­pson), d.  h. ein Nach­fra­ger und vie­le An­bie­ter, und als zwei­sei­ti­ges Mo­no­pol, d.  h. ein An­bie­ ter und ein Nach­fra­ger. •• Oli­go­pol als An­ge­bots­oli­go­pol, d.  h., an ei­nem Markt be­fin­den sich we­ni­ge An­bie­ter und vie­le Nach­fra­ger, als Nach­fra­ge­oli­go­pol (Oligopson), d.  h. we­ ni­ge Nach­fra­ger und vie­le An­bie­ter, und als zwei­sei­ti­ges Oli­go­pol, d.  h. we­ ni­ge An­bie­ter und we­ni­ge Nach­fra­ger. •• Po­ly­pol mit vie­len An­bie­tern und vie­len Nach­fra­gern an ei­nem Markt. Ein Markt wird da­ bei als voll­kom­men be­ zeich­ net, wenn er die Merk­ ma­ le Ho­mo­ge­ni­tät (völ­li­ge Aus­tausch­bar­keit) der Gü­ter, vollstän­di­ge Markt­tran­spa­ renz, Feh­len von Prä­fe­ren­zen jeg­li­cher Art und so­for­ti­ge Re­ak­ti­on auf Markt­ verän­de­run­gen auf­weist. Feh­len eine oder meh­re­re die­ser Be­din­gun­gen, wird der Markt als un­voll­kom­men be­zeich­net. Dies im­pli­ziert kei­ne Wer­tung, son­ dern nur die Ab­we­sen­heit der ge­nann­ten Prä­mis­sen. Ein Markt kann nach fol­gen­den Kri­te­ri­en be­schrie­ben wer­den: •• nach der Gü­terart han­delt es sich um ei­nen Re­al­gü­ter­markt (Sa­chen) oder No­mi­nal­gü­ter­markt (Rech­te), •• nach den An­bie­tern han­delt es sich um öf­fent­li­che Be­trie­be oder pri­va­te Un­ ter­neh­men, •• nach den Nach­fra­gern han­delt es sich um Kon­su­men­ten, Pro­du­zen­ten, In­sti­ tu­ti­o­nen oder Händ­ler, •• nach den Be­zie­hun­gen der Ak­teu­re han­delt es sich um sol­che der Kom­mu­ni­ ka­ti­on, der Ab­stim­mung, des Wett­be­werbs, der Macht und der Rol­len, •• nach dem Markt­ge­biet han­delt es sich um ein in­tra­na­ti­o­na­les oder su­pra­na­tio­ na­les Ge­bie­t, •• nach dem Markt­zeit­raum han­delt es sich um ei­nen punk­tu­el­len oder dau­er­ haf­ten Markt, •• nach dem Sei­ten­ver­hält­nis han­delt es sich um ei­nen Ver­käu­fer­markt (Nach­ fra­ge > An­ge­bot) oder ei­nen Käu­fer­markt (An­ge­bot > Nach­fra­ge),



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings25

•• nach dem Zu­tritt han­delt es sich um ei­nen of­fe­nen Markt oder ei­nen mehr oder min­der ge­schlos­se­nen Markt, •• nach der Le­ga­li­tät han­delt es sich um wei­ße Märk­te oder graue / schwar­ze Märk­te. Für die Ak­ti­vi­tät der Nach­fra­ger ist de­ren Ziel­set­zung be­stim­mend, die­se wird meist als Nutz­en­ma­xi­mie­rung un­terstellt. Wei­te­re Fak­to­ren sind die Prei­se der ge­wünsch­ten Gü­ter und die Prei­se ähn­li­cher (substi­tu­ti­ver) Gü­ter. Eben­so (frei) ver­füg­ba­res Ein­kom­men und Er­war­tun­gen über zu­künf­ti­ge Wirt­schafts­ent­ wick­lun­gen etc. Für die Ak­ti­vi­tät der An­bie­ter sind eben­falls ver­schie­de­ne Fak­to­ren be­stim­ mend. Zu den­ken ist an de­ren Ziel­set­zung, die­se wird meist als Ge­winn­ma­xi­ mie­rung un­terstellt. Wei­te­re Fak­to­ren sind die Prei­se der an­ge­bo­te­nen Gü­ter und die Prei­se ähn­li­cher Gü­ter. Eben­so die Fak­tor­kos­ten zur Pro­duk­ti­on, die Gewinnerwartungen, das Wett­ be­ werbs­ um­ feld, der Stand der Tech­ nik bzw. der tech­ni­sche Fort­schritt etc. Die Preis­bil­dung an den Märk­ten er­folgt in Ab­hän­gig­keit von den Markt­be­ din­gun­gen. Bei vollstän­di­gem Wett­be­werb, also bei po­ly­po­lis­ti­scher Struk­tur und voll­kom­me­nem Markt, stellt sich die Me­cha­nik wie folgt dar. Die nach­ge­ frag­te Men­ge ist umso grö­ßer, je ge­rin­ger der Preis ei­nes an­ge­bo­te­nen Gu­tes ist. Da je­den Nach­fra­ger eine an­de­re Preis­be­reit­schaft aus­zeich­net, er­ge­ben sich in­di­vi­du­el­le Preis-Men­gen-Kom­bi­na­ti­o­nen, die an ei­nem Markt re­a­li­sier­bar sind. Die­se Kom­bi­na­ti­o­nen an­ei­nan­der ge­reiht er­ge­ben die ne­ga­tiv-ge­neig­te Preis-Ab­satz-Funk­ti­on (PAF) oder Nach­fra­ge­kur­ve. Die an­ge­bo­te­ne Men­ge ist für ge­wöhn­lich umso grö­ßer, je hö­her der Preis des nach­ge­frag­ten Guts ist. Da je­den An­bie­ter eine an­de­re Men­gen­be­reits­tel­lung aus­zeich­net, er­ge­ben sich wie­ der­um zahl­rei­che Preis-Men­gen-Kom­bi­na­ti­o­nen, die ge­gen­läu­fig zur Nachfra­ge­ kurve ver­lau­fen. Sie bil­den die li­ne­ar oder nicht-li­ne­ar ver­lau­fen­de An­ge­bots­ kur­ve. Im Schnitt­punkt an An­ge­bot und Nach­fra­ge er­gibt sich der Gleich­ge­ wichts­preis. Alle An­bie­ter, die ei­nen hö­he­ren als den Gleich­ge­wichts­preis for­ dern, fin­den kei­ne Käu­fer am Markt. Und alle Nach­fra­ger, die nur be­reit sind, ei­nen nied­ri­ge­ren als den Gleich­ge­wichts­preis zu ak­zep­tie­ren, fin­den dort kei­ne Ver­käu­fer. Bei­de ge­hen also leer aus. Alle An­bie­ter, die be­reit ge­we­sen wä­ren, zu ei­nem nied­ri­ge­ren als dem Gleich­ge­wichts­preis an­zu­bie­ten, re­a­li­sie­ren den hö­he­ren Gleich­ge­wichts­preis und strei­chen eine An­bie­ter­ren­te in Höhe der Dif­ fe­renz zwi­schen ih­rer in­di­vi­du­ell nied­ri­ge­ren Preis­for­de­rung und dem hö­he­ren Gleich­ge­wichts­preis ein. Alle Nach­fra­ger, die be­reit ge­we­sen wä­ren, ei­nen hö­ he­ren als den Gleich­ge­wichts­preis zu ak­zep­tie­ren, re­a­li­sie­ren den nied­ri­ge­ren Gleich­ge­wichts­preis und strei­chen eine Nach­fra­ge­rren­te in Höhe der Dif­fe­renz zwi­schen ih­rer in­di­vi­du­el­len Preis­be­reit­schaft und dem nied­ri­ge­ren Gleich­ge­ wichts­preis ein. Prak­tisch ist die Preis­bil­dung am un­voll­kom­me­nen Po­ly­pol­markt am häu­figs­ ten. Hier gibt es kei­nen mark­tein­heit­li­chen Preis, son­dern je­der Po­ly­po­list kann

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A. Vertriebskonzept und Controlling

in Ma­ßen sei­nen re­a­li­sier­ten Preis be­ein­flus­sen, z.  B. in­dem er sein An­ge­bot he­te­ro­ge­ni­siert, Markt­in­tran­spa­ren­zen schafft, in­di­vi­du­el­le Prä­fe­ren­zen auf­baut oder Re­ak­ti­ons­ver­zö­ge­run­gen am Markt nutzt. Es ent­steht eine Si­tu­a­ti­on, in wel­cher der An­bie­ter sich par­ti­ell wie ein Mo­no­ po­list ver­hal­ten kann, par­ti­ell aber auch wie ein Po­ly­po­list ver­hal­ten muss. Im mo­no­po­lis­ti­schen Be­reich sei­ner Preis-Ab­satz-Funk­ti­on sieht er sich ei­ner re­la­tiv star­ren Nach­fra­ge­re­ak­ti­on ge­gen­über, d.  h., sei­ne Preis­verän­de­run­gen füh­ren nur zu un­ter­pro­por­ti­o­na­len Men­gen­ver­än­de­run­gen. Da­raus er­gibt sich die Mög­lich­ keit zu ak­ti­ver Preis­po­li­tik, wo­hin­ge­gen der Po­ly­po­list al­lein als Men­gen­an­pas­ser an sei­ner Ka­pa­zi­täts­gren­ze zum Markt­preis re­a­giert. Ge­dank­lich wird eine zwei­ fach-ge­knick­te Preis-Ab­satz-Funk­ti­on (ak­qui­si­to­ri­sches Po­ten­zi­al / Gu­ten­berg) zu­ grun­de ge­legt, die aus drei Be­rei­chen bes­teht, zwei flach ver­lau­fen­den Be­rei­chen ho­her Preis­elas­ti­zi­tät der Nach­fra­ge und da­zwi­schen ei­nem steil ver­lau­fen­den Be­reich ge­rin­ger Preis­elas­ti­zi­tät. Dort soll­te der Po­ly­po­list im un­voll­kom­me­nen Markt an­bie­ten. The­o­re­tisch er­gibt sich sein Ge­winn­ma­xi­mum dort, wo sei­ne Grenz­er­lö­se (U’) gleich sei­nen Grenz­kos­ten (K’) sind. Die Re­a­li­tät vie­ler Märk­te ist aber durch Oli­go­po­le auf un­voll­kom­me­nen Märk­ten ge­kenn­zeich­net. Die An­bie­ter re­a­gie­ren da­bei we­gen der Enge des Mark­tes ge­gen­sei­tig auf Preis­verän­de­run­gen. Ihre Zie­le sind die Kon­kur­renz­ver­ drän­gung und die Si­che­rung ih­rer Markt­macht. Dies führt zu ei­ner Am­bi­va­lenz zwi­schen Preis­kampf als ru­i­nö­sem Wett­be­werb und Kol­lu­si­on als Wett­be­werbs­ be­schrän­kung. Ge­dank­lich wird eine ein­fach-ge­knick­te Preis-Ab­satz-Funk­ti­on (Sweezy) zu­grun­de ge­legt, die aus zwei Be­rei­chen bes­teht, ei­nem flach ver­lau­ fen­den Be­reich, der für Preis­er­hö­hun­gen gilt und ei­nem steil ver­lau­fen­den Be­ reich, der für Preis­sen­kun­gen gilt, sie ist zu­sam­men­ge­setzt aus zwei un­ab­hän­ gi­gen PAFs. Aus­gangs­punkt ist ein Gleich­ge­wichts­preis am Markt, in dem sich die bei­den PAFs schnei­den. Auf die iso­lier­te Preis­er­hö­hung ei­nes Oli­go­po­lis­ten re­a­gie­ren die an­de­ren An­bie­ter nicht, so dass von ihm vie­le Nach­fra­ger ab­wan­ dern. Auf die Preis­sen­kung ei­nes Oli­go­po­lis­ten re­a­gie­ren die an­de­ren je­doch eben­falls mit Preis­sen­kun­gen, so dass ihm kaum Nach­fra­ger zu­wan­dern. In­so­ fern lohnt sich für ihn we­der eine iso­lier­te Preis­er­hö­hung noch eine -sen­kung. Dies er­klärt die ver­brei­te­te Preis­ru­he auf oli­go­po­lis­ti­schen Märk­ten, die auch ohne Ver­ab­re­dung zu­stan­de kommt. Bei Kol­lu­si­on wird der Gleich­ge­wichts­preis durch Vorab­stim­mung ge­mein­sam auf ein hö­he­res Ni­veau an­ge­ho­ben. Der An­ge­bots­mo­no­po­list ist in sei­ner Preis- und Men­gen­ent­schei­dung au­to­ nom. Er sieht sich ei­ner Nach­fra­ge­funk­ti­on ge­gen­über und bie­tet in der PreisMen­gen-Kom­bi­na­ti­on an, bei wel­cher der Ab­stand zwi­schen sei­nen Ge­samt­kos­ ten und dem Ge­samt­um­satz ma­xi­mal ist bzw. in dem sei­ne Grenz­kos­ten (K’) sei­nen Grenz­er­lö­sen (U’) ent­spre­chen. Da sich meist meh­re­re Teil­märk­te bil­den, er­gibt sich die Chan­ce zu meh­re­ren Preis-Men­gen-Kom­bi­na­ti­o­nen. Die­se Preis­ dif­fe­ren­zie­rung ent­steht, in­dem ein Ge­samt­markt künst­lich in zwei oder mehr Teil­märk­te auf­ge­spal­ten wird (de­glo­me­ra­tiv) oder ge­ge­be­ne Markt­un­voll­kom­



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings27

men­hei­ten vom An­bie­ter zur dif­fe­ren­zier­ten Preis­set­zung ge­nutzt wer­den (ag­ glo­me­ra­tiv). Dem Preis kom­men meh­re­re für die Markt­wirt­schaft es­sen­zi­el­le Funk­ti­o­nen zu: •• Durch die Lenkungs­funk­ti­on wech­seln Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren aus Markt­be­rei­ chen mit ge­rin­ger Ge­win­ner­war­tung in sol­che mit hö­he­rer. In­so­fern wird die ge­samt­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­vi­tät ge­stei­gert. •• Durch die Aus­schal­tungs­funk­ti­on wer­den Nach­fra­ger vom Markt ver­drängt, de­ren Preis­be­reit­schaft nicht aus­reicht bzw. An­bie­ter, de­ren Preis­for­de­rung nicht ak­zep­tiert wird (Markt­räu­mung). •• Durch die Sig­nal­funk­ti­on wer­den die Knapp­heits­ver­hält­nis­se am Markt wi­der­ ge­spie­gelt. We­ni­ger nach­ge­frag­te Gü­ter ha­ben ei­nen nied­ri­ge­ren Preis, stär­ker nach­ge­frag­te ei­nen hö­he­ren. •• Durch die Aus­gleichs­funk­ti­on wird eine Markt­räu­mung er­reicht, d. h., es ent­ steht ein größt­mög­li­ches Trans­ak­ti­ons­vo­lu­men zwi­schen An­bie­tern und Nach­ fra­gern. 1.6.3

Wachstum

Die Wachs­tum­spo­li­tik umfasst alle wirt­schaftspo­li­ti­schen Maß­nah­men zur För­de­rung und Si­che­rung des öko­no­mi­schen Wachs­tums. In­stru­men­te dazu sind u.  a. der Ab­bau von Wett­be­werbs­be­schrän­kun­gen, die För­de­rung von In­no­va­ti­o­ nen, die Qua­li­fi­zie­rung von Ar­beits­kräf­ten, die Ver­bes­se­rung der Inf­ra­struk­tur und Steu­er­ent­las­tun­gen für Haus­hal­te und Be­trie­be. Das Wirt­schafts­wachs­tum wird ge­mein­hin im Zeit­ver­gleich der Ent­wick­lung des Brut­to­in­landspro­dukts (BIP) ge­mes­sen. Es be­zieht sich auf die Er­wei­te­rung des Pro­duk­ti­ons­po­ten­zi­als ei­ner Volks­wirt­schaft. Der Kon­junk­tur­ver­lauf gibt Aus­kunft über des­sen Aus­las­ tungs­grad. No­mi­nel­les Wachs­tum stellt die Zu­nah­me zu lau­fen­den Prei­sen dar, re­a­les Wachs­tum die Zu­nah­me zu kon­stan­ten Prei­sen (ei­nes Ba­sis­jahrs). Be­stim­ mungs­fak­to­ren des Wachs­tums sind •• die na­tür­li­chen Res­sour­cen ei­nes Lan­des (Bo­den, Bo­den­schät­ze, ge­o­gra­fi­sche Lage etc.), •• der Re­al­ka­pi­tals­tock (vor­han­de­ne Pro­duk­ti­ons­mit­tel), •• der tech­ni­sche Fort­schritt durch In­no­va­ti­o­nen bei Pro­duk­ten und Pro­zes­sen, •• das Hu­manka­pi­tal (Kennt­nis­se und Fä­hig­kei­ten der Ar­beits­kräf­te). Wirt­schafts­wachs­tum nützt u.  a. der Stei­ge­rung des Le­bens­stan­dards, dem Ab­ bau so­zi­a­ler Span­nun­gen, der Er­fül­lung von Staats­auf­ga­ben, der Er­hal­tung der so­zi­a­len Si­cher­heit und der Si­che­rung von Ar­beits­plät­zen. Es wird u.  a. ge­för­dert durch mehr Ar­beits­an­ge­bot, Neu­in­ves­ti­ti­o­nen, tech­ni­schen Fort­schritt, Ab­bau

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A. Vertriebskonzept und Controlling

von Rohs­toff­vor­kom­men, Aus­bau der Inf­ra­struk­tur etc. Ge­fah­ren lie­gen je­doch in der Aus­beu­tung na­tür­li­cher Res­sour­cen und stei­gen­der Um­welt­be­las­tung bis hin zur Um­welt­zerstö­rung. Bes­ser wäre wohl statt ei­nes quan­ti­ta­ti­ven ein qua­li­ta­ti­ves Wachs­tum für mehr Le­bens­qua­li­tät der Ein­woh­ner an­zu­stre­ben. Dies be­dingt u.  a. ei­nen spar­sa­me­ren Ener­gie- und Rohs­toff­ver­brauch über ent­spre­chen­de Preis­an­ pas­sung und die Ver­min­de­rung der Um­welt­be­las­tung durch Emis­si­o­nen und Im­ mis­si­o­nen. Doch dies er­for­dert po­li­ti­schen Mut, der lei­der nicht weit ver­brei­tet ist, weil er bei po­li­ti­schen Wah­len meist prompt ab­ge­straft wird. Da­bei muss man wis­sen, dass wir das, was wir ak­tu­ell ver­brau­chen, un­se­ren Kin­dern und En­keln weg­neh­men. Dies ist als we­nig nach­hal­tig zu be­zeich­nen. Kri­ tik macht so­ mit vor al­ lem fest an Verständ­ nis des BIPs als gül­ ti­ gem Wohls­tands­in­di­ka­tor, an der wach­sen­den in­ter­na­ti­o­na­len Ar­beits­tei­lung und der Auf­lö­sung ge­sell­schaft­li­cher Mi­lieus 1.6.4

Wettbewerbsrecht

Das Wett­be­werbs­recht schützt die Nach­fra­ger vor Über­vor­tei­lung und die An­bie­ter vor Leis­tungs­ein­bu­ßen. Es voll­zieht sich zu­neh­mend auf EU-Ebe­ne. Best­im­mun­gen (Art. 101 / 102 AEUV) be­tref­fen dort fol­gen­de: •• Ver­bo­ten ist die miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung ei­ner be­herr­schen­den Stel­lung im Ge­mein­sa­men Markt, so­weit dies dazu füh­ren kann, den Han­del zwi­schen den Mit­glieds­staa­ten zu beschränken, •• Es gibt ein Ver­bot für alle Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Un­ter­neh­men, die den Han­del zwi­schen Mit­glieds­staa­ten be­ein­träch­ti­gen und den Wett­be­werb in­ner­ halb des Ge­mein­sa­men Mark­tes be­ein­träch­ti­gen, •• Un­ter­neh­mens­zu­sam­menschlüs­se sind auf ihre Ver­ein­bar­keit mit dem Ge­ mein­sa­men Markt hin zu prü­fen. •• Der Schutz der Ge­sund­heit, der Si­cher­heit und der wirt­schaft­li­chen In­te­res­sen der Ver­brau­cher so­wie de­ren Recht auf In­for­ma­ti­on wer­den ge­för­dert. Das EU-Recht hat zwi­schen­zeit­lich im Zwei­fel Vor­rang vor na­ti­o­na­len Ge­ setz­ge­bun­gen. Auf na­ti­o­na­ler Ebe­ne grei­fen vor al­lem das Ge­setz ge­gen Wett­be­werbs­be­ schrän­kun­gen / GWB und das Ge­setz ge­gen un­lau­te­ren Wett­be­werb / UWG. Das GWB soll ei­nen funk­ti­ons­fä­hi­gen Wett­be­werb si­cher­stel­len und ent­hält dazu u.  a. fol­gen­de Vor­schrif­ten. Wett­be­werbs­be­schrän­ken­de Ver­ein­ba­run­gen, also sol­che, die eine Ver­hin­de­ rung, Ein­schrän­kung oder Ver­fäl­schung des Wett­be­werbs be­zwe­cken oder be­ wir­ken, sind ver­bo­ten (Kar­tell­ver­bot / § 1 GWB). Da­von aus­ge­nom­men sind Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Un­ter­neh­men, die un­ter an­ge­mes­se­ner Be­tei­li­gung der Ver­brau­cher an dem ent­ste­hen­den Ge­winn zur Ver­bes­se­rung der Wa­ren­er­zeu­



1.  Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings29

gung oder -ver­tei­lung oder zur För­de­rung des tech­ni­schen und wirt­schaft­li­chen Fort­schritts bei­tra­gen (z.  B. Mit­tels­tands­kar­tel­le). Da­rü­ber hi­naus gibt es zahl­rei­ che ge­neh­mi­gungs­fä­hi­ge Kar­tell­for­men (§§ 2–8 GWB). Der Miss­brauch markt­be­herr­schen­der Stel­lun­gen ist ver­bo­ten, d.  h. nicht be­ reits die markt­be­herr­schen­de Stel­lung als sol­che, son­dern erst die Aus­nut­zung die­ser Po­si­ti­on in ei­ner Art und Wei­se, wie sie nur mög­lich ist, weil Markt­be­ herr­schung vor­liegt und wie sie un­ter Wett­be­werbs­be­din­gun­gen nicht mög­lich wäre. Markt­be­herr­schend ist ein Un­ter­neh­men, wenn er als An­bie­ter oder Nach­ fra­ger an ei­nem Markt ohne Wett­be­wer­ber bzw. kei­nem we­sent­li­chen Wett­be­ werb aus­ge­setzt ist oder eine im Ver­hält­nis zu an­de­ren Markt­part­nern über­ra­ gen­de Markt­stel­lung hat. Die­se macht sich fest an seinem Markt­an­teil, seiner Fi­nanz­kraft, seinem Zu­gang zu Be­schaf­fungs- und Ab­satz­märk­ten, seinen Ver­ flech­tun­gen mit an­de­ren Un­ter­neh­men und den Markt­zu­tritts­schran­ken für andere Un­ter­neh­men. Markt­be­herr­schen­de Un­ter­neh­men dür­fen an­de­re im Ge­ schäfts­ver­kehr, der gleich­ar­ti­gen Un­ter­neh­men üb­li­cher­wei­se zu­gäng­lich ist, we­der un­mit­tel­bar noch mit­tel­bar un­bil­lig be­hin­dern oder ge­gen­über gleich­ar­ti­ gen Un­ter­neh­men ohne sach­lich ge­recht­fer­tig­ten Grund un­mit­tel­bar oder mit­tel­ bar un­ter­schied­lich be­han­deln (Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot). Ein Un­ter­neh­men darf an­de­re nicht auf­for­dern, be­stimm­te drit­te Un­ter­neh­men durch Lie­fer­sper­ren oder Be­zugs­sper­ren zu be­ein­träch­ti­gen (Boy­kott­ver­bot). Eine Preis­bin­dung der zwei­ten Hand, bei wel­cher der Her­stel­ler ei­nem Händ­ ler vor­gibt, wel­chen Preis er sei­ner­seits ge­gen­über sei­nen pri­va­ten End­nach­fra­ gern be­rech­nen darf, ist ver­bo­ten. Aus­nah­men gel­ten für be­stimm­te Pres­se­er­ zeug­nis­se und Arz­nei­mit­tel. Un­ter­neh­mens­zu­sam­menschlüs­se sind dann zu un­ter­sa­gen, wenn zu er­war­ten ist, dass da­durch eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung be­grün­det oder vers­tärkt wird (Zu­sam­men­schluss­kon­trol­le). Dazu ist eine An­mel­de- bzw. Ge­neh­mi­ gungs­pflicht ge­ge­ben. Best­ehen­de Kon­zen­tra­ti­o­nen kön­nen je­doch nicht rück­ gän­gig ge­macht wer­den, es ist also kei­ne Ent­flech­tung mög­lich. Das UWG dient dem Schutz der Mit­be­wer­ber, der Ver­brau­cher so­wie sons­ti­ ger Markt­teil­neh­mer und si­chert der All­ge­mein­heit ei­nen un­ver­fälsch­ten Wett­ be­werb. Un­lau­ter sind da­nach Wett­be­werbs­hand­lun­gen, die ge­eig­net sind, Mit­ be­wer­ber, Ver­brau­cher oder sons­ti­ge Markt­teil­neh­mer mehr als un­er­heb­lich zu be­ein­träch­ti­gen. Sol­che Hand­lun­gen sind ver­bo­ten, Zu­wi­der­han­deln ver­pflich­tet zur Un­ter­las­sung (nach Ab­mah­nung). Un­lau­ter han­delt u.  a. •• wer Wett­be­werbs­hand­lun­gen vor­nimmt, die ge­eig­net sind, die Ent­schei­dungs­ frei­heit der Ver­brau­cher oder sons­ti­ger Markt­teil­neh­mer durch Aus­übung von Druck zu be­ein­träch­ti­gen oder die Un­er­fah­ren­heit, Leicht­gläu­big­keit, Angst oder Zwangs­la­ge von Ver­brau­chern aus­zu­nut­zen oder den Wer­be­cha­rak­ter von Hand­lun­gen zu ver­schlei­ern, die In­an­spruch­nah­me von Vor­tei­len nicht klar und ein­deu­tig zu de­fi­nie­ren, Mit­be­wer­ber he­rab­zu­set­zen oder zu ver­un­ glimp­fen oder ge­zielt zu be­hin­dern.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Ty­pi­sche Tat­be­stän­de, die ge­gen das UWG versto­ßen sind etwa fol­gen­de: •• Aus­nut­zen der ge­schäft­li­chen Un­er­fah­ren­heit von Kin­dern und Ju­gend­li­chen, •• Schleich­wer­bung und ge­tarn­te Wer­bung (Spon­so­ring, Pla­ce­ment), •• Wer­ben mit Preis­nach­läs­sen, die an be­stimm­te Be­din­gun­gen ge­knüpft sind, die nicht an­ge­ge­ben wer­den, •• Wer­ben mit Preis­aus­schrei­ben oder Ge­winn­spie­len, ohne die Teil­nah­me­be­din­ gun­gen klar / ein­deu­tig an­zu­ge­ben, •• Kopp­lung von Preis­aus­schrei­ben oder Ge­winn­spiel an den Er­werb ei­ner ­Ware, es sei denn, es bes­teht eine na­tur­ge­mä­ße Ver­bin­dung, •• un­zu­läs­si­ge Be­haup­tun­gen und Mei­nungs­äu­ße­run­gen über Kon­kur­ren­ten so­ wie de­ren ge­ziel­te Be­hin­de­rung (An­schwär­zung), •• Her­kunfts­täu­schung, Ruf­aus­beu­tung und un­zu­läs­si­ge (skla­vi­sche) Pro­dukt­ nach­ah­mung, •• Ir­re­füh­rung über Merk­ma­le von Wa­ren / Dienst­leis­tun­gen wie Ver­füg­bar­keit, Art, Aus­füh­rung, Ver­wen­dungs­mög­lich­kei­ten, Zu­sam­men­set­zung, Her­stel­ lungs­ver­fah­ren, Eig­nung, Men­ge, Be­schaf­fen­heit, Her­kunft, Test­er­geb­nis­se, •• Ir­re­füh­rung durch Preis­he­rab­set­zun­gen, die in Wahr­heit kei­ne sind (Mond­ prei­se), •• Wer­bung mit An­ge­bo­ten, die nicht oder nur in sehr ge­rin­gen Men­gen vor­rä­tig sind (Lock­vo­ge­lan­ge­bo­te).



2.

2.   Vertriebsplanung und -entscheidung31

Vertriebsplanung und -entscheidung

Das Un­ter­ka­pi­tel „Ver­triebs­pla­nung und -ent­schei­dung“ be­han­delt be­reits zent­ra­le Ele­men­te des Ver­triebs. Da­bei geht es um das Ziel­sys­tem des Ver­triebs (2.1) so­wie des­sen Pla­nungs­rah­men (2.2). Wei­te­re Ele­men­te stel­len die Bud­ge­ tie­rung im Ver­trieb (2.3) und die Schaf­fung ei­ner um­fas­sen­den In­for­ma­ti­ons­ba­ sis (2.4) für Ent­schei­dun­gen dar. Die­se Ent­schei­dungs­fin­dung wird im Ab­satz 2.5 spe­zi­fi­ziert. Den Ab­schluss bil­den Ver­fah­ren der Ver­triebs­prog­no­se (2.6) als qua­li­fi­zier­te Vo­raus­schau der Ver­triebs­per­spek­ti­ven. Le­ser wis­sen nach Durch­sicht die­ses Un­ter­ka­pi­tels um die konkrete Be­deu­ tung von Zie­len und Pla­nun­gen im Ver­trieb. Sie kön­nen die­ses Wis­sen in die Bud­ge­tie­rung, die Schaf­fung ei­ner In­for­ma­ti­ons­ba­sis und da­raus fol­gend der Ent­schei­dungs­fin­dung ein­brin­gen. Und sie wen­den die­ses sys­te­ma­ti­sche und in­tu­i­ti­ve Wis­sen im Rah­men der Ver­triebs­prog­no­se an. 2.1

Vertriebszielsystem

Das Ver­triebs­ziel­sys­tem kennt viel­fa­che zent­ra­le Zielin­hal­te und Ziel­ar­ten. Wich­tig ist da­bei, dass Zie­le ope­ra­ti­o­nal vor­ge­ge­ben wer­den müs­sen. Dies ist Auf­ga­be der vor­ge­setz­ten Ebe­ne. Es darf nicht sein, dass Mit­ar­bei­ter sich ihre Zie­le selbst „bas­teln“ oder hi­nein in­ter­pre­tie­ren müs­sen, was wohl ge­nau ge­ meint ist oder wel­che Pa­ro­le ge­ra­de Gel­tung hat. Hier liegt eine Bring­schuld des Ma­na­ge­ments. Ma­na­ger, die Zie­le nicht nach­voll­zieh­bar for­mu­lie­ren, kom­ men ih­rer Auf­ga­be nicht nach. 2.1.1

Zentrale Zielinhalte

Die zent­ra­len Ziel­in­hal­te las­sen sich in Form ei­ner Ziel­py­ra­mi­de ver­sinn­bild­ li­chen (siehe Abb. 4). An der Spit­ze die­ser Py­ra­mi­de be­fin­det sich die un­ter­neh­ me­ri­sche Vi­si­on. Sie be­stimmt das „End­ziel“ des Un­ter­neh­mens und ist meist ab­ge­ho­ben von des­sen re­a­ler Tä­tig­keit. Ge­winn kann kein End­ziel sein, son­dern im­mer nur Er­geb­nis der un­ter­neh­me­ri­schen Ak­ti­vi­tä­ten. Fast je­der er­folg­rei­che Grün­der war von ei­ner Vi­si­on be­seelt, die nicht al­lein ma­te­ri­el­ler Na­tur war. Da­her sind Un­ter­neh­mens­grün­dun­gen nur zum Ziel des Geld­ver­die­nens sel­ten von Er­folg ge­krönt. Ih­nen fehlt es an der in­ne­ren Le­gi­ti­ma­ti­on zum Res­sour­ cen­ver­zehr. Bei­spie­le von Grün­dern sind Steve Jobs, der Men­schen mit­hil­fe von Com­pu­tern pro­duk­ti­ver ma­chen woll­te, Henry Ford, der eine De­mo­kra­ti­sie­rung der Au­to­mo­bi­li­tät an­stel­le der Be­die­nung der „Obe­ren Zehn­tau­send“ schaf­fen woll­te oder Elon Musk, der Elekt­ro­mo­bi­li­tät, Raum­fahrt und Schnell­trans­port er­rei­chen will. Heinz Nix­dorf woll­te plan­mä­ßig ver­teil­te Com­pu­ter­in­tel­li­genz am Ar­beits­platz.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

       

  

    

  

 



Abb. 4: Zielsystem des Unternehmens

Die Kern­kom­pe­tenz ent­spricht dem In­si­de out-Den­ken der Un­ter­neh­men (Res­sour­ce­no­ri­en­tier­ter An­satz / Pen­ro­se). Die­ses wur­de als Ge­gen­pol zum Out­ si­de in-Den­ken (Markt­ori­en­tier­ter An­satz / Por­ter) ent­wi­ckelt. Letz­te­res ging da­von aus, dass ein Un­ter­neh­men sich in sei­nen Ak­ti­vi­tä­ten an den Be­dürf­nis­ sen des Markts bzw. der Markt­kräf­te aus­zu­rich­ten hat, ers­te­res geht da­von aus, dass der Markt sei­ne Be­dürf­nis­se ent­we­der gar nicht kennt, un­re­a­lis­ti­sche For­ de­run­gen an An­bie­ter stellt oder sei­ne An­sprü­che aus­ge­spro­chen schnell­le­big än­dert. Folgt man die­sen An­nah­men, ist eine alleinige Aus­rich­tung des Un­ter­ neh­mens am Markt nicht un­be­dingt sinn­voll. Viel­mehr ist es um­ge­kehrt sinn­ voll, be­son­de­re, un­ter­neh­mens­spe­zi­fi­sche Fä­hig­kei­ten zu iden­ti­fi­zie­ren und die Märk­te dann so zu ge­stal­ten, dass sie die da­raus re­sul­tie­ren­den Leis­tun­gen ak­ zep­tie­ren und vor al­lem ho­no­rie­ren. Dazu ist im ers­ten Schritt zu be­stim­men, wel­che Un­ter­neh­mens­fä­hig­kei­ten über­haupt kern­kom­pe­tenz­fä­hig sind. Im zwei­ ten Schritt geht es dann da­rum zu prü­fen, in­wie­weit die Märk­te ent­spre­chend die­sen Fä­hig­kei­ten tat­säch­lich be­ein­flusst wer­den kön­nen. Zur Best­im­mung der Kern­kom­pe­tenz­fä­hig­keit gilt das VRIO-Sche­ma (Bar­ ney) als Denk­mo­dell. Da­nach sind Vo­raus­set­zun­gen für Kern­kom­pe­tenz­fä­hig­ kei­ten ku­mu­la­tiv fol­gen­de: •• Re­le­vanz für den Be­darf ei­ner ge­nü­gend gro­ßen Nach­fra­ge­rgrup­pe am Markt (Va­lue),



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung33

•• hin­rei­chen­de wett­be­werb­li­che Al­lein­stel­lung und feh­len­de Sub­sti­tu­ti­ons­ge­fahr (Ra­reness), •• wirts­chaft­li­che He­bel­wir­kung durch ein­ge­schränk­te / feh­len­de Nach­ahm­bar­keit (Im­perfect Imi­ta­bi­li­ty), •• Fit mit der Un­ter­neh­mens­kul­tur durch hohe Spe­zi­fi­tät (Or­gan­isa­ti­o­nal Spe­ci­ fi­ci­ty). Er­gän­zen­de Merk­ma­le sind wei­ter­hin fol­gen­de: •• Dau­er­haf­tig­keit der Wir­kung, um eine Ver­läss­lich­keit zu er­rei­chen, •• wirt­schaft­li­che Ver­wert­bar­keit, um den Vor­sprung mo­ne­ta­ri­sie­ren zu kön­nen, •• Un­durch­schau­bar­keit der Ur­sa­chen für Au­ßen­ste­hen­de, um Ko­pis­ten zu ver­ hin­dern, •• Kom­ple­xi­tät der Res­sour­cen, um Markt­ein­tritts­bar­rie­ren zu schaf­fen. Fä­hig­kei­ten, die ku­mu­la­tiv die­se Vo­raus­set­zun­gen er­fül­len, sind kern­kom­pe­ tenz­fä­hig, ob sie dann vom Markt auch als sol­che an­ge­se­hen wer­den, zeigt der Markt. Fä­hig­kei­ten, die aber die­se Vo­raus­set­zun­gen nicht durch­gän­gig er­fül­len, sind nicht ein­mal kern­kom­pe­tenz­fä­hig und bie­ten da­mit al­len­falls die Mög­lich­ keit zur pas­si­ven Markt­an­pas­sung. Die Iden­ti­fi­zie­rung der Kern­kom­pe­tenz hat kon­kre­te Be­deu­tung für die ge­ samt­wirt­schaft­li­che Ar­beits­tei­lung. Denn der Kern­kom­pe­tenz­hal­ter soll die­se Wert­schöp­fun­gen im­mer in ei­ge­nen Hän­den be­hal­ten und darf sie nicht out­sour­ cen. Um­ge­kehrt soll er Ak­ti­vi­tä­ten, die nicht sei­ner Kern­kom­pe­tenz ent­spre­ chen, im­mer out­sour­cen, um sich nicht zu ver­zet­teln. Die­ses Out­sour­cing darf nur an Part­ner er­fol­gen, de­ren Kern­kom­pe­tenz die zu über­neh­men­de Ak­ti­vi­tät wie­der­um ent­spricht. Eine Ebe­ne da­run­ter be­fin­det sich die öko­no­mi­sche Mis­si­on. Sie legt die Art und Wei­se fest, wie das vi­si­o­nä­re End­ziel er­reicht wer­den soll. Sie zeich­net eine wirt­schaft­li­che Er­dung aus. Denn Vi­si­o­nä­re schei­tern zahl­reich an der öko­no­mi­ schen Re­al­i­tät. Da­her ist der Ge­schäfts­zweck zent­ral. Wenn die­ser nicht klar ge­nug de­fi­niert ist, schei­tert je­des un­ter­neh­me­ri­sche Vor­ha­ben. Denk­bar sind etwa die Schaf­fung neu­er Märk­te, die Ge­ne­rie­rung kauf­kraf­tun­ter­leg­ter Proble­me und de­ren Lö­sung, neue An­wen­dun­gen für bes­te­hen­de Pro­duk­te etc. Steve Jobs ließ ei­nen Com­pu­ter kon­stru­ie­ren, der kom­plett auf­ge­baut und ein­fach zu be­ die­nen war und da­mit die brei­te Mas­se der Nut­zer an­sprach. Henry Ford li­mi­ tier­te kon­se­quent den Auf­wand für sein T-Mo­dell, so dass sich nor­ma­le Fab­rik­ ar­bei­ter des­sen An­schaf­fung leis­ten konn­ten. Elon Musk kom­bi­nier­te Tau­sende von Mo­bil­te­le­fon-Ak­kus, um ge­nü­gend Bat­te­rie­po­wer für sein E-Mo­bil zu ha­ ben. Und Heinz Nix­ dorf schuf mo­der­ ne Worksta­ ti­ ons, die zu ei­ nem lo­ ka­ len Netz­werk ver­bun­den wur­den.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Aus der Mis­si­on er­gibt sich eine be­stimm­te Un­ter­neh­mens­kul­tur als „un­sicht­ ba­re Hand“, die denk- und hand­lungs­be­stim­mend ein­wirkt. Zu­meist wird die Al­le­go­rie ei­nes Eis­bergs be­müht (Schein), um deut­lich zu ma­chen, dass es da­ bei zu größ­ten Tei­len um ein hy­po­the­ti­sches Kon­strukt geht, näm­lich in Be­zug auf die Ba­sis­an­nah­men (das Welt­bild, die Wer­te und die Über­zeu­gun­gen) und gro­ßen­teils auch die Nor­men und Stan­dards (Ide­o­lo­gi­en). Tei­le der Ide­o­lo­gi­en sind frei­lich be­reits sicht­bar, z.  B. in Form von Un­ter­neh­mens­leit­sät­zen. Voll­ ends sicht­bar ist erst die Ebe­ne der Ar­te­fak­te, also Sym­bo­le, Hel­den, Ri­tu­a­le etc. Von den sicht­ba­ren Ele­men­ten kann zu­ver­läs­sig auf die un­sicht­ba­ren ge­ schlos­sen wer­den. Die Kul­tur un­ter­liegt nur be­grenz­ten Ver­än­de­rungs­mög­lich­ kei­ten. Da­her sind aus­ge­präg­te Kul­tu­ren zwie­späl­tig zu be­trach­ten. Sie im­pli­ zie­ren eine Ten­denz zur Ver­har­rung. Zie­le stel­len all­ge­mein ge­wünsch­te Zu­stän­de der Zu­kunft dar. An Zie­le sind eine Rei­he in­halt­li­cher An­for­de­run­gen zu stel­len. Zu nen­nen sind etwa Realisier­ bar­keit und Durch­setz­bar­keit, Ord­nung und Ge­wich­tung, Kon­sis­tenz und Wi­der­ spruchs­frei­heit, Voll­stän­dig­keit und Re­le­vanz so­wie Tran­spa­renz / Über­prüf­bar­ keit. Meist wer­den die­se zu SMART ver­kürzt, als Ak­ro­nym aus Ein­fach­heit, Mess­bar­keit, Am­bi­ti­o­niert­heit, Re­a­li­täts­nä­he, Zeit­ba­sie­rung. Der Ab­lauf der Ziel­pla­nung kann wie folgt ge­se­hen wer­den. In der Ziel­sich­ tung geht es um die Best­im­mung der „rich­ti­gen“ aus ei­ner Viel­zahl mög­li­cher Zie­le auf der Sach- und Form­ale­be­ne. Die Ziel­se­lek­ti­on hebt auf die da­bei ver­ folg­ten öko­no­mi­schen Prin­zi­pi­en ab. Die Ope­ra­ti­o­na­li­sie­rung be­trifft die ein­zel­ nen Ziel­di­men­si­o­nen (siehe Abb. 5). Für die ho­ri­zon­ta­len Ziel­be­zie­hun­gen gibt es meh­re­re Aus­prä­gun­gen. Iden­ tisch be­deu­tet da­bei, zwei oder mehr Zie­le sind de­ckungs­gleich. Har­mo­nisch be­deu­tet, die Er­rei­chung ei­nes Ziels hilft auch, an­de­re zu er­rei­chen. Neu­tral be­deu­tet, die Er­rei­chung ei­nes Ziels hat kei­ne Aus­wir­kung auf die Er­rei­chung an­de­rer. Kon­kur­rie­rend be­deu­tet, die Er­rei­chung ei­nes Ziels be­ein­träch­tigt die Er­rei­chung an­de­rer. An­ti­no­misch be­deu­tet, die Er­rei­chung ei­nes Ziels schließt die Er­rei­chung an­de­rer aus. Nach der Ziel­hier­ar­chie kann es sich um Ober­zie­le, Zwi­schen­zie­le oder Un­ ter­zie­le han­deln. Un­ter­zie­le lei­ten sich aus Zwi­schen­zie­len ab, die­se wie­der­um lei­ten sich aus Ober­zie­len ab. Nach der Pri­o­ri­tät han­delt es sich um Haupt­zie­le, die im Fo­kus des Ma­na­ge­ments ste­hen, oder um Ne­ben­zie­le, die als Rand­be­ din­gun­gen gel­ten. Nach dem Ziel­aus­maß kann eine Ext­re­mie­rung oder Sa­tis­fi­zie­rung an­ge­strebt wer­den. Ext­re­mie­rung fin­det als Ma­xi­mie­rung oder Mi­ni­mie­rung statt. Sind da­ bei, wie re­gel­mä­ßig ge­ge­ben, Ne­ben­be­din­gun­gen ein­zu­hal­ten, han­delt es sich um Op­ti­mie­rung. Sa­tis­fi­zie­rung fin­det in ei­ner zu­frie­denstel­len­den Ziel­er­rei­ chung ih­ren Aus­druck, meist in­dem Min­dest- oder Höchst­wer­te (Ziel­kor­ri­dor) da­für vor­ge­ge­ben wer­den.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung35

      

   

    

 

  

  

   

   

   

   

Abb. 5: Dimensionen der Zielinhalte

Nach dem Ziel­in­halt gibt es öko­no­mi­sche (quan­ti­ta­ti­ve / mo­ne­tär-ma­te­ri­el­le) und vo­rö­ko­no­mi­sche (qua­li­ta­ti­ve / nicht-mo­ne­tär-ide­el­le) Ziele, letz­te­re sind ers­ te­ren vor­ge­la­gert, d.  h., im Kern geht es in er­werbs­wirt­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­o­ nen um die Er­rei­chung öko­no­mi­scher Zie­le, nicht-öko­no­mi­sche wie Image, Ver­ trau­en, Re­pu­ta­ti­on etc. sind dazu nach klas­si­scher Sicht nur Mit­tel zum Zweck. Nach der Ziel­rich­tung wer­den im We­sent­li­che fol­gen­de un­ter­schie­den. Es geht um die Schaf­fung ei­nes Wunsch­zu­stands, um das Wachs­tum in Rich­tung die­ses Wunsch­zu­stands, die Hal­tung die­ses Zu­stands oder die ge­ziel­te Re­duk­ ti­on des Zu­stands, etwa bei ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Un­ver­träg­lich­kei­ten. Das Ziel­ob­jekt / -sub­jekt gibt an, um wel­che Sach- und Dienst­leis­tun­gen bzw. Ziel­per­so­nen es sich als Ad­res­sa­ten ziel­füh­ren­der Maß­nah­men han­delt. An die­ sen soll die Ziel­er­rei­chung ver­wirk­licht und dort auch nach­weis­bar wer­den. Nach dem Ziel­zeit­be­zug sind Zie­le kurz-, mit­tel- oder lang­fris­tig an­ge­legt, man spricht von ope­ra­ti­ven (< 1 Jahr), tak­ti­schen (1–3 Jah­re) und stra­te­gi­schen Zie­len (> 3–5 Jah­re). Ty­pi­scher­wei­se bau­en die Zeit­ho­ri­zon­te auf­ei­nan­der auf und fol­gen strin­gent ei­nan­der ab.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Nach dem Ziel­ge­biet kön­nen lo­ka­le, re­gi­o­na­le, na­ti­o­na­le oder in­ter­na­ti­o­na­le Räu­me ad­res­siert sein. Zu­neh­mend sind letz­te­re Ge­gen­stand des Ziel­sys­tems von Un­ter­neh­men. Da­raus er­ge­ben sich be­son­de­re He­raus­for­de­run­gen für das Ma­na­ge­ment. ­Die Ziel­ein­heit schließ­lich gibt die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Zu­stän­dig­keit für die Ziel­er­rei­chung an. Da­bei kann es sich um eine Stel­le, eine Ab­tei­lung oder eine Di­vi­si­on (SGE) han­deln, wel­che die Um­set­zung ver­ant­worten. 2.1.2

Zielarten

Als Ziel­ar­ten kön­nen Sach- und Form­al­zie­le un­ter­schie­den wer­den. Sach­zie­le be­zie­hen sich auf das kon­kre­te Han­deln (Was) in der Un­ter­neh­mens­füh­rung und kön­nen Be­schaf­fungs-, Pro­duk­ti­ons- und Ver­mark­tungs­han­deln oder Geld-, Ka­ pi­tal- und Ver­mö­gens­han­deln be­tref­fen. Sach­zie­le un­ter­tei­len sich im Ein­zel­nen in Leis­tungs-, Er­folgs-, Fi­nanz- und So­zi­al­zie­le: •• Markt­an­ge­bots­zie­le wie Pro­dukt­qua­li­tät, Pro­dukt­in­no­va­ti­on, Kun­den­ser­vice, Pro­gramm­struk­tur etc., •• Markt­stel­lungs­zie­le wie Um­satz, Markt­an­teil, Markt­gel­tung, Markt­er­schlie­ ßung etc., •• Macht- und Pres­ti­ge­zie­le wie Un­ab­hän­gig­keit, Image / Re­pu­ta­ti­on, po­li­ti­scher Ein­fluss etc., •• Er­trags­zie­le wie Ge­winn, De­ckungs­bei­trag etc., •• Wert­schöp­fungs­zie­le wie Pro­duk­ti­vi­tät, Wirts­chaft­lich­keit, Qua­li­tät etc., •• Ren­ta­bi­li­täts­zie­le wie Um­satz­ren­di­te (RoS), Ge­samt­ka­pi­tal­ren­di­te (RoI), Eigen­kapitalrendite (RoE) etc., •• Fi­nanz­wirt­schafts­zie­le wie Kre­dit­wür­dig­keit, Selbst­fi­nan­zie­rung, Ka­pi­tal­struk­ tur etc., •• Li­qui­di­täts­zie­le (sta­tisch, dy­na­misch, pe­ri­o­den­be­zo­gen), •• ver­mö­gens­wirt­schaft­li­che Zie­le (Ei­gen- / Fremd­ka­pi­tal, An­la­ge- / Um­lauf­ver­ mö­gen etc.), •• Mit­ar­bei­ter­zie­le wie Ein­kom­men, Ar­beits­platz­si­cher­heit, Ar­beits­zu­frie­den­heit, per­sön­li­che Ent­wick­lung etc., •• Ge­sell­schafts­zie­le wie nicht-kom­mer­ziel­le Leis­tun­gen für An­spruchs­grup­pen, Bei­trä­ge zur ge­samt­wirt­schaft­li­chen Inf­ra­struk­tur, so­zi­a­le In­teg­ra­ti­on etc., •• öko­lo­gi­sche Zie­le wie Um­welt-, Tier- und Na­tur­schutz. Form­al­zie­le be­tref­fen die Er­folgs­grö­ßen, auf die die­ses Han­deln aus­ge­rich­tet ist (Wie). Sie ori­en­tie­ren sich an be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ma­xi­men wie Ge­winn, Kos­ten, Ren­di­te etc. Da­bei han­delt es sich in all­ge­meins­ter Form um das öko­ no­mi­sche Prin­zip. Die­ses gilt als



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung37

•• Ma­xi­mum­prin­zip, d. h., es geht da­rum, mit ge­ge­be­nem Mit­tel­ein­satz als In­put bzw. Auf­wand ei­nen ma­xi­ma­len Er­folg als Out­put bzw. Er­trag zu er­zie­len. •• Mi­ni­mum­prin­zip, d. h., es geht da­ rum, ei­ nen ge­ ge­ be­ nen Er­ folg als Out­ put bzw. Er­trag mit mi­ni­ma­lem Mit­tel­ein­satz als In­put bzw. Auf­wand zu er­zie­len. •• Sa­tis­fak­ti­onsprin­zip, d. h., es geht da­rum, mit ei­nem ge­ge­be­nen In­put ei­nen zu­frie­denstel­len­den Out­put zu re­a­li­sie­ren, •• Op­ti­mum­prin­zip, d.  h., es soll ein best­mög­li­ches Ver­hält­nis zwi­schen Er­folg als Out­put und Mit­tel­ein­satz als In­put er­reicht wer­den. Dem öko­no­mi­schen Prin­zip die­nen im Ein­zel­nen drei Ma­xi­men. Die Pro­duk­ ti­vi­tät ist eine men­gen­be­zo­ge­ne, re­al­wirt­schaft­li­che Grö­ße, wel­che die Er­gie­big­ keit von Ein­satz­fak­to­ren pro Zeit­ein­heit misst, auch be­zo­gen auf die Teil­pro­ duk­ti­vi­tä­ten von Ar­beit als Ar­beits­pro­duk­ti­vi­tät, Ma­te­ri­al als Ma­te­ri­al­pro­duk­ti­ vi­tät und Be­triebs­mit­teln als Be­triebs­mit­tel­pro­duk­ti­vi­tät. Sie er­gibt sich als Quo­ti­ent aus men­gen­mä­ßi­gem Aus­stoß (Out­put) und men­gen­mä­ßi­gem Ein­satz (In­put) an Ar­beit, Ma­te­ri­al, Be­triebs­mit­teln. Die Wirts­chaft­lich­keit ist eine wert­be­zo­ge­ne, fi­nanz­wirt­schaft­li­che Grö­ße, wel­che die der Pro­duk­ti­vi­tät zu­grun­de lie­gen­de Men­gen­re­la­ti­on mit je­wei­li­gen Markt­prei­sen be­wer­tet. Wirts­chaft­lich­keit und Pro­duk­ti­vi­tät kön­nen durch­aus auch ge­gen­läu­fig sein, etwa wenn Markt­prei­se sin­ken bzw. Ein­satz­fak­tor­kos­ten stei­gen. Sie er­gibt sich als Quo­ti­ent aus wert­mä­ßi­gem Er­trag und wert­mä­ßi­gem Auf­wand. Die Ren­ta­bi­li­tät ist ein re­la­ti­ves Maß für die Um­set­zung des er­werbs­wirt­ schaft­li­chen Prin­zips als Er­trag ei­ner Ak­ti­vi­tät in Re­la­ti­on zu ih­rem Res­sour­ cenein­satz, auch be­zo­gen auf Teil­ren­ta­bi­li­tä­ten als Ei­gen­ka­pi­tal-, Ge­samt­ka­pi­ tal- oder Um­satz­ren­ta­bi­li­tät. Sie er­gibt sich als Quo­ti­ent aus wert­mä­ßi­gem Er­trag und wert­mä­ßi­gem Res­sour­cenein­satz. Ne­ben die­sen drei Ma­xi­men ist ein zent­ra­ler Kenn­wert für das Über­le­ben des Un­ter­neh­mens die Li­qui­di­tät. Sie kann als ab­so­lu­ter Wert, also Ge­gen­wert al­ler li­qui­di­sier­ba­ren Ver­mö­gens­ge­genstän­de, oder als re­la­ti­ve Li­qui­di­tät im Ver­ gleich zwi­schen vor­han­de­ner und er­for­der­li­cher Li­qui­di­tät aus­ge­wie­sen wer­den. Aus kurz­fris­ti­ger Sicht las­sen sich ver­schie­de­ne Gra­de der Li­qui­di­tät un­ter­ schei­den: •• Liquidität 1.  Gra­des als Quo­ti­ent aus Zah­lungs­mit­tel­be­stand und kurz­fris­ti­gen Verb­ind­lich­kei­ten, •• Liquidität 2.  Gra­des als Quo­ti­ent aus Zah­lungs­mit­tel­be­stand + kurz­fris­ti­gen For­de­run­gen (= kurz­fris­ti­ges Um­lauf­ver­mö­gen) und den kurz­fris­ti­gen Verbind­ lich­kei­ten, •• Liquidität 3.  Gra­des als Quo­ti­ent aus Zah­lungs­mit­tel­be­stand + kurz­fris­ti­gen For­de­run­gen + Vor­rä­ten (ge­sam­ten Um­lauf­ver­mö­gen) und den kurz­fris­ti­gen Verb­ind­lich­kei­ten.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Aus lang­fris­ti­ger Sicht las­sen sich drei Grade der Deckung un­ter­schei­den: •• De­ckungs­grad A als Quo­ti­ent aus Ei­gen­ka­pi­tal zu An­la­ge­ver­mö­gen, •• De­ckungs­grad B als Quo­ti­ent aus Ei­gen­ka­pi­tal + lang­fris­ti­ges Fremd­ka­pi­tal zu An­la­ge­ver­mö­gen, •• De­ckungs­grad C als Quo­ti­ent aus Ei­gen­ka­pi­tal + lang­fris­ti­ges Fremd­ka­pi­tal zu An­la­ge­ver­mö­gen und lang­fris­tig ge­bun­de­nem Um­lauf­ver­mö­gen. Die Ver­wirk­li­chung die­ser Zie­le wird über­ge­ord­net an den Grö­ßen Ef­fi­zi­enz und Ef­fek­ti­vi­tät ge­mes­sen. Ef­fi­zi­enz be­deu­tet da­bei die Be­zie­hung zwi­schen er­ brach­ter Leis­tung und Res­sour­cenein­satz und re­prä­sen­tiert da­mit die Wirts­chaft­ lich­keit im Ver­ trieb, oder an­ ders aus­ ge­ drückt, ob „die Din­ ge rich­ tig ge­ tan werden“. Ef­fek­ti­vi­tät be­deu­tet den Grad der Ziel­er­rei­chung und da­mit die Wirk­ sam­keit im Ver­trieb, oder an­ders aus­ge­drückt, ob „die rich­ti­gen Din­ge ge­tan wer­den“. Die Ef­fi­zi­enz wird im Rah­men der Über­wa­chung (Re­vi­si­on) ab­ge­si­ chert, die Ef­fek­ti­vi­tät im Rah­men des Über­prü­fung (Au­dit). Das öko­no­mi­sche Prin­zip ist zu­neh­mend durch so­zi­a­le bzw. hu­ma­ni­tä­re, den Ar­beit­neh­mer als Men­schen in den Mit­tel­punkt stel­len­de, so­wie nach­hal­ti­ge bzw. öko­lo­gi­sche Prin­zi­pi­en zu er­gän­zen, wel­che die Be­lan­ge der all­ge­mei­nen Um­ welt in den Mit­ tel­ punkt stel­ len (CSR) und so­ mit als selbst­ verständ­ li­ che Rest­rik­ti­o­nen für un­ter­neh­me­ri­sches Han­deln an­zu­se­hen sind. Da da­bei ein­zel­ wirt­schaft­li­che Nach­tei­le hin­zu­neh­men sind, muss si­cher­ge­stellt wer­den, dass kei­ne kon­trapro­duk­ti­ven An­rei­ze ent­ste­hen, in­dem alle ex­ter­na­len Ef­fek­te, na­ ment­lich die ne­ga­ti­ven, in­ter­na­li­siert wer­den. 2.2

Vertriebsplanungsrahmen

Im Ver­trieb ist all­ge­mein ein ho­hes Maß an Fle­xi­bi­li­tät er­for­der­lich. Dies darf aber nicht in Akt­io­nis­mus um­schla­gen, bei dem die Be­tei­lig­ten irr­lich­ternd va­ ga­bun­die­ren. Die Not­wen­dig­keit zur Fle­xi­bi­li­tät ent­hebt viel­mehr kei­nes­falls von der Not­ wen­ dig­ keit der Pla­ nung. Viel­ mehr ist die Pla­ nung dann adap­ tiv an­zu­le­gen, da­mit sie auf Ent­wick­lun­gen ein­ge­hen kann, ohne den über­grei­fen­ den Pfad zu ver­las­sen. 2.2.1

Planungsinhalte

Pla­nung stellt das sys­te­ma­ti­sche, zu­kunfts­be­zo­ge­ne Durch­den­ken und Fest­le­ gen von Maß­nah­men, Mit­teln und We­gen zur Ziel­er­rei­chung dar. Kon­trol­le ist spie­gel­bild­lich die Ge­gen­überstel­lung der Ziel­grö­ßen und der er­reich­ten Ist­grö­ ßen ver­bun­den mit der Ana­ly­se von Ab­wei­chun­gen. Pla­nung und Kon­trol­le bil­den somit ei­nen Re­gel­kreis, Pla­nung ohne Kon­trol­le ist eben­so sinn­los wie Kon­trol­le ohne Pla­nung un­mög­lich ist.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung39

Auf­ga­be der Pla­nung ist es, die ge­ne­rel­len un­ter­neh­menspo­li­ti­schen Ziel­set­ zun­gen un­ter Be­rück­sich­ti­gung in­ter­ner und ex­ter­ner Ge­ge­ben­hei­ten und Ent­ wick­lun­gen zu kon­kre­ti­sie­ren. Es han­delt sich um den Ent­wurf ei­ner Ord­nung, nach der sich das be­trieb­li­che Ge­sche­hen der Zu­kunft voll­zie­hen soll. Pla­nung ist also ge­gen­wär­ti­ges Ent­schei­den über zu­künf­ti­ges Tun oder Un­ter­las­sen. Sie ist ab­zu­gren­zen von Prog­no­se als auf prak­ti­scher Er­fah­rung oder the­o­re­ti­scher Er­kennt­nis be­ru­hen­den Aus­sa­gen über die Zu­kunft, wo­bei die Ziel­set­zung fehlt, von Ext­ra­po­la­ti­on als Pro­ji­zie­rung ei­nes Sach­ver­halts mit­hil­fe sta­tis­ti­scher Schätz­me­tho­den, wo­bei die Ge­stal­tung fehlt, und von Im­pro­vi­sa­ti­on als ex postEnt­schei­dun­gen, wo­bei der Zu­kunfts­as­pekt fehlt. Pla­nung ist insofern ge­gen­wär­ti­ges Ent­schei­den über zu­künf­ti­ges Tun und Un­ter­las­sen. Sie geht wil­lens­bil­dend, in­for­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tend und sys­te­ma­tisch vor und ver­sucht da­durch, zu­künf­ti­ge Hand­lungs­spiel­räu­me ein­zu­gren­zen, zu struk­tu­rie­ren und zu op­ti­mie­ren. Pla­nung baut auf den Zie­len auf und setzt eine Prob­lem­ana­ly­se vo­raus. Da­raus lei­ten sich ver­schie­de­ne Op­ti­o­nen für Lö­sun­gen ab, die zu be­wer­ten und zu pri­o­ri­sie­ren sind. Sie be­zieht sich auf •• das Pla­nungsobjekt, also den Gegenstand, der ge­plant wer­den soll, •• das Pla­nungs­sub­jekt, also die Per­son / Stel­le, wel­che die Pla­nung vor­nimmt, •• die Pla­nungs­da­ten, vor al­lem Gel­tungs­raum, Zeit­rah­men, Bud­get­res­sour­cen und all­ge­mei­ne Rest­rik­ti­o­nen. Pla­nung voll­zieht sich in meh­re­ren Pha­sen. In der An­re­gungs­pha­se geht es um die Er­ken­nung und De­fi­ni­ti­on von Prob­lem­stel­lun­gen, die der Pla­nung be­ dür­fen. In der Iden­ti­fi­ka­ti­onspha­se geht es um die Be­schaf­fung, Ana­ly­se und In­ter­pre­ta­ti­on al­ler für die Prob­lem­lö­sung re­le­van­ten Da­ten. In der Such­pha­se geht es um die Ent­wick­lung von Lö­sungs­op­ti­o­nen, die ge­eig­net schei­nen, das Prob­lem zu be­he­ben. In der Aus­wahl­pha­se geht es um die Be­wer­tung die­ser Lö­sungs­op­ti­o­nen und die Prä­fe­renz für eine Lö­sung. In der Durch­set­zungs­pha­se geht es um die Im­ple­men­tie­rung der aus­ge­wähl­ten Op­ti­o­nen. Und in der Kon­ troll­pha­se geht es um evtl. not­wen­dig wer­den­de Kor­rek­tur­ak­ti­vi­tä­ten. 2.2.2

Planungsdimensionen

Die Pla­nung kann da­bei im Vertrieb nach meh­re­ren Di­men­si­o­nen un­ter­teilt wer­den (siehe Abb. 6). Nach der Verb­ind­lich­keit er­gibt sich die star­re oder flexible Vertriebspla­nung. Star­re Pla­nung be­deu­tet, dass ein Plan über den vor­ge­ ge­be­nen Zeit­raum hin­weg un­ver­än­dert bes­te­hen bleibt, fle­xib­le Pla­nung be­deu­ tet, dass ein Plan an Ver­än­de­run­gen der Pla­nungs­be­din­gun­gen an­ge­passt wer­den kann, etwa durch Auf­schie­bung der Ver­ab­schie­dung, Ein­bau von Plan­re­ser­ven, Al­ter­na­tiv­plä­ne (Op­ti­o­nen), Even­tu­al­plä­ne (Schub­la­den­plä­ne) etc. Nach der De­tail­lie­rung gibt es die Grob­pla­nung und die Fein­pla­nung. Ers­te­re dient zu ei­ner ers­ten, kur­so­ri­schen Ori­en­tie­rung in ei­ner Sach­la­ge, letz­te­re dann

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A. Vertriebskonzept und Controlling

  

 

 

 





 



  

 

Abb. 6: Dimensionen der Planung

zur de­tail­lier­ten Durch­struk­tu­rie­rung die­ser Lage. Im Re­gel­fall ist die Grob­pla­ nung als die lo­gi­sche Vorstu­fe der Fein­pla­nung an­zu­se­hen. Nach dem Um­fang be­zie­hen die Plä­ne alle Un­ter­neh­mens­be­rei­che (To­tal­pla­ nung) oder nur ein­zel­ne von ih­nen (Par­ti­al­pla­nung, z. B. im Vertrieb) ein. Die Par­ti­al­plä­ne müs­sen dann zu ei­nem To­tal­plan zu­sam­men­ge­fasst wer­den, was gro­ße Prob­le­me be­rei­tet. Dazu wer­den so­wohl be­triebs­wirt­schaft­li­che Stan­dardSoft­ware (En­ter­pri­se Re­sour­ce Plan­ning / ERP) als auch fort­ge­schrit­te­ne In­for­ ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung (Big Data) ein­ge­setzt. Nach der Fris­tig­keit er­gibt sich die stra­te­gi­sche Pla­nung (> 3–5 Jah­re), sie be­zieht sich auf die Ge­stal­tung der Leis­tungs­po­ten­zi­a­le und wird vom Top-Ma­ na­ge­ment vor­ge­nom­men, die tak­ti­sche Pla­nung (1–3 / 5 Jah­re), sie be­zieht sich auf die Aus­le­gung der so de­fi­nier­ten Po­ten­zi­a­le und wird vom Se­ni­or Ma­na­ge­ ment vor­ge­nom­men, so­wie die ope­ra­ti­ve Pla­nung (< 1 Jahr), sie be­zieht sich auf die De­tail­or­ga­ni­sa­ti­on und wird vom Midd­le Ma­na­ge­ment vor­ge­nom­men. Nach der Rich­tung er­gibt sich die re­tro­gra­de Pla­nung, sie er­folgt Top down in der Hier­ar­chie von der Un­ter­neh­mens­lei­tung an die ein­zel­nen exe­ku­ti­ven Ebe­nen im Vertrieb ge­rich­tet, die pro­gres­si­ve Pla­nung, sie er­folgt Bot­tom up in



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung41

der Hier­ar­chie von der Exe­ku­ti­ve an das Top Ma­na­ge­ment ge­rich­tet so­wie die zir­ku­lä­re Pla­nung, sie er­gibt sich zu­nächst ab­wärts­ge­rich­tet als Rah­men­plan durch die Un­ter­neh­mens­lei­tung, der dann auf­wärts­ge­rich­tet auf den ein­zel­nen Ebe­nen über­prüft und kon­kre­ti­siert wird. Nach der Zeit­ab­fol­ge wird un­ter­schie­den in ge­reih­te, ge­staf­fel­te und ge­ schach­tel­te Vertriebsplä­ne. Bei der ge­schach­tel­ten Pla­nung ist der kurz­fris­ti­ge Plan in­teg­ra­ler Best­and­teil des mit­tel­fris­ti­gen Plans und die­ser wie­der­um Bestand­teil des lang­fris­ti­gen Plans. Bei der ge­staf­fel­ten Pla­nung über­lap­pen die Pla­nungs­ho­ri­zon­te hin­ge­gen ei­nan­der, der kurz­fris­ti­ge Plan ragt also zeit­lich in den mit­tel­fris­ti­gen hi­nein und der mit­tel­fris­ti­ge Plan sei­ner­seits in den lang­fris­ ti­gen. Bei der ge­reih­ten Pla­nung sind die Plä­ne un­ter­schied­li­cher Fris­tig­keit lü­cken­los hin­ter­ei­nan­der ge­schal­tet, die Pla­nungs­ho­ri­zon­te über­lap­pen sich nicht. Nach der Zyk­lik wird wie folgt un­ter­schie­den. Bei ei­nem rol­lie­ren­den Vertriebsplan wird im­ mer, wenn eine ope­ ra­ ti­ ve Pha­ se ab­ ge­ lau­ fen ist, die ers­ te Pha­se der tak­ti­schen Pla­nung ope­ra­tiv aus­ge­füllt, die ers­te Pha­se der stra­te­gi­ schen Pla­nung tak­tisch aus­ge­füllt und die stra­te­gi­sche Pla­nung um eine Pha­se ver­ län­ gert. Die Plä­ ne rü­ cken also ein­ mal im Ge­ schäfts­ jahr nach. Bei ei­ nem re­vol­vie­ren­den Vertriebsplan wird wie beim rol­lie­ren­den vor­ge­gan­gen, al­ler­ dings ist der Akt­ua­li­sie­rungsrhyth­mus un­ter­jäh­rig, so dass in­ner­halb der Rol­lie­ rung eine schnel­le­re An­pas­sung mög­lich wird. Bei ei­nem an­schlie­ßen­den Vertriebsplan wer­den die Plan­pe­ri­o­den ein­mal durch­ge­plant und dann auch nicht mehr ge­än­dert. Die Plä­ne sind da­bei im­mer über­schnei­dungs­frei. Nach der Elas­ti­zi­tät wird un­ter­schie­den in die Even­tu­al­pla­nung, die Al­ter­na­ tiv­pla­nung und die Eng­pas­spla­nung. Die Even­tu­al­pla­nung be­rück­sich­tigt pro­ak­ tiv Stör­fak­to­ren und hält für die­sen Fall eine Fall­back-Lö­sung be­reit. Die Al­ter­ na­tiv­pla­nung geht von zwei al­ter­na­ti­ven Sze­na­ri­en aus, die kom­plett durch­ge­ plant wer­den. Da­nach wird eine der Al­ter­na­ti­ven für das wei­te­re Vor­ge­hen zu­ grun­de ge­legt. Die Eng­pas­spla­nung ori­en­tiert sich am be­triebs­wirt­schaft­li­chen Bott­leneck (Aus­gleichs­ge­setz der Pla­nung / Gu­ten­berg). Der Eng­pass li­mi­tiert das ge­samt­be­trieb­li­che Er­folgs­ni­veau. Da­von ab­wei­chen­de Pla­nun­gen sind un­ re­a­lis­tisch, so­lan­ge die­ser Eng­pass nicht über­wun­den wer­den kann. Nach der Ko­or­dination der Plä­ne un­ter­schei­det man die Si­mul­tan- und die Suk­zes­siv­pla­nung, Ers­te­re ver­sucht, alle Teil­plä­ne in­teg­ra­tiv zu be­rück­sich­tig­ ten, was zwar in ei­ner enor­men Kom­ple­xi­tät re­sul­tiert, wo­durch aber ein Ge­ samt­op­ti­mum mög­lich wird, da ge­gen­sei­ti­ge In­ter­ak­ti­o­nen be­rück­sich­tigt wer­ den. Letz­te­re geht Teil­plan für Teil­plan vor, was al­ler­dings die Ge­fahr birgt, in der Sum­me subop­ti­mal zu blei­ben. Es wird also zu­nächst mit ei­nem Pla­nungs­ be­reich be­gon­nen. Da­bei ist sinn­vol­ler­wei­se der be­trieb­li­che Eng­pass Aus­gangs­ punkt je­der Pla­nung, da die­ser das ge­sam­te Ak­tiv­itä­ten­ni­veau li­mi­tiert, gemeinhin also der Vertrieb. So­lan­ge es nicht ge­lingt, die­sen Eng­pass­sek­tor zu über­ win­den, sto­ßen alle an­de­ren Pla­nun­gen an ihre Gren­zen.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Jede Pla­nung folgt tun­lichst den Grund­sät­zen der Voll­stän­dig­keit, Ge­nau­ig­ keit, Ein­deu­tig­keit, Kon­ti­nu­i­tät und Wirts­chaft­lich­keit. Pla­nung er­for­dert im­mer wirt­schaft­li­che Ent­schei­dung. Soll nur ein Ziel ver­folgt wer­den, sind Ent­schei­ dun­gen ver­gleichs­wei­se klar. Schwie­rig wird es, wenn meh­re­re Zie­le zu­gleich ver­folgt wer­den sol­len oder Ziel­ge­wich­tun­gen er­for­der­lich sind, denn dann ent­ste­hen Ziel­kon­flik­te. 2.2.3

Planungstechniken

Die Ge­stal­tung der Pla­nung wird durch viel­fäl­ti­ge Tech­ni­ken un­ter­stützt. Die Netz­plan­tech­nik stellt den zeit­li­chen Ab­lauf ein­zel­ner Ak­ti­vi­tä­ten dar, ver­deut­ licht de­ren sach­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang, lässt kri­ti­sche Vor­gän­ge als Ak­ti­ vi­tä­ten ohne Zeit­re­ser­ve er­ken­nen und weist Zeit­re­ser­ven bei an­de­ren Vor­gän­ gen aus. Der Netz­ plan ba­ siert auf der Gra­ phenthe­ o­ rie. Un­ ter ei­ nem Graph ver­steht man eine Men­ge von Kno­ten, die durch eine ge­ord­ne­te Men­ge von Kan­ten mit ei­ner Rich­tungs­an­ga­be ver­bun­den sind. Zwi­schen An­fangs­kno­ten und End­kno­ten gibt es ei­nen kür­zes­ten Weg. Ver­zö­ge­run­gen hier füh­ren zu Ver­ zö­ge­run­gen im ge­sam­ten Ab­lauf (Kri­ti­scher Weg). Zur Netz­plan­tech­nik ge­hö­ren ver­schie­de­ne Ver­fah­ren, so •• CPM-Vor­gangs­pfeil­netz­plan (Cri­ti­cal Path Me­thod), MPM-Vor­gangs­kno­ten­ netz­plan (Me­tra Po­ten­ti­al Me­thod), PERT-Er­eig­nis­kno­ten­netz­plan (Pro­gram Eva­lu­a­ti­on and Re­view Technique), GERT-Vor­gangs­pfeil- und -kno­ten­netz­ plan (Gra­phi­cal Eva­lu­a­ti­on and Re­view Technique) etc. Die Idee ist je­weils, aus Grün­den der Zeit­er­spar­nis und Ka­pa­zi­täts­nut­zung ver­schie­de­ne Tä­tig­kei­ten pa­ral­lel aus­zu­füh­ren, ohne dass da­raus Frik­ti­o­nen re­ sul­tie­ren. Dies be­dingt, dass be­stimmt wird, wel­che Tä­tig­kei­ten wann be­gon­nen bzw. be­en­det wer­den müs­sen, um den vor­ge­se­he­nen Zeit­plan ein­zu­hal­ten. Da­ her gibt es frü­hes­te und spä­tes­te An­fangs­zei­ten (FAZ / SAZ) bzw. End­zei­ten (FEZ / SEZ). Am Be­ginn steht da­her eine Struk­tur­ana­ly­se, aus ihr folgt eine Zeit­ana­ly­se. Durch Be­wer­tung ent­ste­hen da­raus eine Ka­pa­zi­täts- und Kos­ten­ ana­ly­se. Maß­nah­men zur Zeit­ver­kür­zung um­fas­sen u.  a.: •• ka­pa­zi­ta­ti­ve Aus­wei­tung, in­ten­si­täts­mä­ßi­ge An­pas­sung, zeit­li­che Aus­deh­nung, Au­to­ma­ti­sie­rung der Ak­ti­vi­tä­ten, bes­se­re Know-how-Nut­zung (Wis­sens­ma­na­ ge­ment), Rou­ti­ni­sie­rung durch Übung (Er­fah­rungs­ef­fekt), Eli­mi­nie­rung „to­ ter“ Pha­sen (Zeit­puf­fer, La­ger), Vers­chrän­kung der Ak­ti­vi­tä­ten, Si­mul­tan­be­ar­ bei­tung der Ak­ti­vi­tä­ten, bes­se­re Vor­be­rei­tung (Rüst­ar­bei­ten, Aus­fäl­le), Wert­ ana­ly­se mit Wahl der nächst­bes­se­ren Al­ter­na­ti­ve, Vor­zie­hen prob­lem­be­haf­te­ter Ak­ti­vi­tä­ten, bes­se­re Un­ter­tei­lung der Ar­bei­ten. Ab­lauf­di­a­gram­me zei­gen gra­fisch die lo­gi­sche Ab­fol­ge von Tä­tig­kei­ten im Vertrieb auf. Ar­beits­mit­tel dazu ist die Ab­lauf­kar­te. Sie un­ter­schei­det Ar­beits­ pha­sen nach Ope­ra­ti­on (O), In­spek­ti­on (I), Trans­port (S) und Still­stand (S).



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung43

Durch die­se ana­ly­ti­sche Auf­ga­ben­zer­le­gung im Block­di­a­gramm kön­nen Ab­läu­fe struk­tu­riert wer­den. Bal­ken­di­a­gram­me (Gantt) zei­gen die zeit­li­che Aus­deh­nung von Ak­ti­vi­tä­ten auf. Die Bal­ken sind zu­meist ho­ri­zon­tal in ei­nem Di­a­gramm mit der Zeit auf der Ho­ri­zon­ta­len und den Ak­ti­vi­tä­ten auf der Ver­ti­ka­len ab­ge­tra­gen. Die Lage der Bal­ken er­gibt sich aus den je­wei­li­gen An­fangs- und End­ter­mi­nen der Ak­ti­ vi­tä­ten. Die Bal­ken zei­gen die Rei­hen­fol­ge der Ak­ti­vi­tä­ten, ih­ren je­wei­li­gen Zeit­ver­brauch und den da­mit ver­bun­de­nen Ka­pa­zi­täts­be­darf an. Mei­len­stein­plä­ne un­ter­tei­len die Ak­tiv­itä­ten­fol­ge in Zeit­ab­schnit­te als Zwi­ schen­ter­mi­ne. Da­bei han­delt es sich um wich­ti­ge Eck­punk­te (Mi­les­to­nes), de­ren Ter­min­ein­hal­tung ge­ra­de bei kom­ple­xen Ak­ti­vi­tä­ten leich­ter kon­trol­liert wer­den kann. Der Pro­jekt­plan trägt die vor­zu­neh­men­den Vertriebsak­ti­vi­tä­ten in der Kopf­ spal­te und das Ka­len­da­ri­um in der Kopf­zei­le. Jede Ak­ti­vi­tät wird durch Mar­ kie­run­gen ab­ge­tra­gen. Un­ab­hän­gi­ge Ak­ti­vi­tä­ten kön­nen ei­nan­der über­lap­pen. Der Pro­jekt­struk­tur­plan geht nach zu be­ar­bei­ten­den Ob­jek­ten vor und in­ner­halb des­sen nach Rei­hen­fol­ge, der Pro­jekt­ablauf­plan geht nach Rei­hen­fol­ge vor und in­ner­halb des­sen nach zu be­ar­bei­ten­den Ob­jek­ten. Der Line of Ba­lan­ce-Plan geht von ei­nem ein­zu­hal­ten­den End­ter­min aus. Von dort wer­den die er­for­der­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten in Be­zug auf ih­ren End­ter­min durch­ ge­plant. En­det der An­fangs­ter­min dann, wie in der Pra­xis häu­fig vor­zu­fin­den, in der Ver­gan­gen­heit, ist der Plan na­tur­ge­mäß zu über­ar­bei­ten. Der Ent­schei­dungs­baum bes­teht aus dem Struk­tur­mo­dell, des­sen Quan­ti­fi­zie­ rung und der Roll­back-Ana­ly­se. Im Stru­kur­mo­dell wer­den die Vertriebsak­ti­vi­ tä­ten ge­ord­net. Die Vi­su­a­li­sie­rung er­folgt in Form ei­nes Bau­mes mit Äs­ten für die Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und Kno­ten (Käst­chen oder Krei­se) für die Aktivi­ tätser­geb­nis­se, de­nen je­weils Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten zu­ge­ord­net sind. Die Äste wer­den in der Quan­ti­fi­zie­rung mit je­wei­li­gen Pe­ri­o­den­kos­ten be­wer­tet und die er­war­te­ten Er­trä­ge aus­ge­wie­sen. In der Roll­back-Ana­ly­se wird rück­wärts die op­ti­ma­le Ent­schei­dung er­mit­telt. Bei Zu­falls­kno­ten wird der Er­war­tungs­wert er­rech­net, bei Ent­schei­dungs­kno­ten wird er ma­xi­miert. Check­lis­ten sind Samm­lun­gen von als re­le­vant er­schei­nen­den Kri­te­ri­en. Die­se kön­nen quan­ti­ta­ti­ver Art sein, dann las­sen sich die Kri­te­ri­en un­ter Ziel­as­pek­ten im Sco­ring über ver­schie­de­ne Hand­lungs­op­ti­o­nen hin­weg be­wer­ten. Das Er­geb­ nis ist ein Ra­ting (me­trisch) die­ser Op­ti­o­nen. Bei qua­li­ta­ti­ven Kri­te­ri­en ist nur ein or­di­na­le Ska­lie­rung mög­lich, das Er­geb­nis ist dann ein Ran­king der Op­ti­o­ nen. Denk­bar ist, die qua­li­ta­ti­ven Kri­te­ri­en zu­nächst in quan­ti­ta­ti­ve Kri­te­ri­en „um­zu­rech­nen“ und dann zu sco­ren / ra­ten. Dies er­folgt im Rah­men der Nutz­ wertana­ly­se. Op­ti­mie­rungs­ver­fah­ren er­ge­ben sich im Rah­men der li­ne­a­ren und nicht-li­ne­ a­ren Pro­gram­mie­rung. Verb­rei­tet ist die li­ne­a­re Op­ti­mie­rung nach der Sim­plex-

44

A. Vertriebskonzept und Controlling

Me­tho­de. Gra­fisch er­folgt die Dar­stel­lung in ei­nem Ko­or­di­na­ten­sys­tem durch Ein­trag der Ziel­funk­ti­on und der Ne­ben­be­din­gun­gen als Rest­rik­ti­o­nen zu ih­rer Er­rei­chung. Da­raus ent­steht gra­fisch ein Po­ly­eder, bei dem die Ziel­funk­ti­on vom Ko­or­di­na­ten­ur­sprung aus so­weit ver­scho­ben wird, bis sie die am wei­tes­ten ent­fern­te zu­läs­si­ge Po­si­ti­on (Kan­te) als Rest­rik­ti­ons­funk­ti­on oder meist Schnitt­ punkt von Rest­rik­ti­ons­funk­ti­o­nen er­reicht. Da­durch las­sen sich vor al­lem Zu­ wei­sungs­prob­le­me von Res­sour­cen wie Ar­beits­kräf­te, Ka­pa­zi­tä­ten, Ma­te­ri­al, Ka­pi­tal etc. für den Vertrieb op­ti­mal lö­sen. 2.3

Vertriebsbudgetierung

Bud­ge­tie­rung ist all­ge­mein die Um­set­zung von Plä­nen in eine Men­ge von Geld­wer­ten für die nächs­ten Pe­ri­o­den durch Ge­gen­überstel­lung der er­war­te­ten Ein­nah­men und Aus­ga­ben, die ei­nem or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ver­ant­wor­tungs­be­reich für ei­nen be­stimm­ten Zeit­raum ver­bind­lich zur Er­fül­lung der ihm über­tra­ge­nen Auf­ga­ben in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung zur Ver­fü­gung ge­stellt wird. Dem Bud­get kom­men im Ver­trieb ver­schie­de­ne Funk­ti­o­nen zu. Das Bud­get hat eine Ori­en­tie­rungs­funk­ti­on für den Ver­ant­wor­tungs­trä­ger. Es hat eine Er­ mäch­ti­gungs­funk­ti­on zur Dis­po­si­ti­on über die fi­nan­ziel­len Mit­tel. Ihm kommt eine Mo­tiv­ati­ons­funk­ti­on zu. Es über­nimmt die Ko­or­di­na­ti­ons­funk­ti­on zur Zu­ tei­lung knap­per Res­sour­cen. Und das Bud­get hat Kon­troll­funk­ti­on durch lau­fen­ den Soll-Ist-Ab­gleich. Die Bud­get­be­stim­mung im Vertrieb kann im Ein­zel­nen durch ver­schie­de­ne ana­ly­ti­sche Ver­fah­ren er­fol­gen (siehe Abb. 7). Einzel­be­trieb­lich sind quan­ti­ta­ ti­ve Grö­ßen wie Men­gen und Wer­te zu nen­nen. Die Men­gen­bud­ge­tie­rung macht an Aus­brin­gung­sein­hei­ten fest, die Wert­bud­ge­tie­rung an Be­triebs­er­folgs­grö­ßen. Ers­te­res be­zieht sich auf Ab­satz, Leis­tungs­ein­hei­ten, Ge­wicht etc. (z.  B. als X  € Bud­get pro ver­kauf­tem Stück), letz­te­res auf Um­satz, Ge­winn, De­ckungs­bei­trag etc. (z. B. Bud­get als Y % der Er­trags­grö­ße). Bei qua­li­ta­ti­ven Grö­ßen ist vor al­lem an eine Ziel-Mit­tel-Bud­ge­tie­rung zu den­ken, d. h., die Vertriebszie­le wer­den mit Maß­nah­men ver­se­hen, die zu de­ren Er­rei­chung für er­for­der­lich ge­hal­ten wer­den (Men­gen­ge­rüst), die­se wer­den wie­ der­um mit Geld­ein­hei­ten be­wer­tet, de­ren Ad­di­ti­on dann das Ge­samt­bud­get bzw. die Teil­bud­gets al­ler Maß­nah­men er­gibt. All­er­dings ist frag­lich, wel­che Mit­tel ge­nau zur Ziel­er­rei­chung ge­eig­net sind und wie die­se dazu aus­ge­legt sein müs­ sen. Dazu kön­nen die Mei­nun­gen weit aus­ei­nan­der ge­hen. Wei­ter­hin ist eine grund­stän­di­ge Neu­be­rech­nung des Bud­ gets (Zero Base Bud­ge­tie­rung / ZBB) möglich. ZBB be­deu­tet, dass alle Bud­gets auf Null ge­setzt und kom­plett neu ar­gu­men­tiert wer­den müs­sen. Die Vor­ge­setz­ten pri­o­ri­sie­ren dann die Bud­gets in ih­rem Be­reich, diese wer­den über die Ver­ant­wor­tungs­be­ rei­che hin­weg quer von de­ren Vor­ge­setz­ten pri­o­ri­siert, bis an die Un­ter­neh­mens­



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung45 Analytische Budgetierungsverfahren

Einzelbetriebliche Basis

Quantitativer Bezug

Menge

Wert

Qualitativer Bezug

Ziel-Mittel-Relation

Zero Base Budgeting

Überbetriebliche Basis

Wettbewerb

Gesamtmarkt

Nicht-analytische Budgetierungsverfahren

Willkürliche Basis

Restwert

Festwert

Angeleitete Basis

Fortschreibung

Verhandlung

Abb. 7: Verfahren zur Budgetierung

spit­ze. Dann wird ent­spre­chend der Be­deu­tung das Ge­samt­bud­get be­stimmt und ein­zeln do­tiert. Eine si­cher­lich sehr sinn­vol­le Vor­ge­hens­wei­se, die je­doch enorm auf­wän­dig ist. Bei über­be­trieb­li­chen Grö­ßen kön­nen ex­ter­ne Pa­ra­me­ter he­ran­ge­zo­gen wer­ den. Bei der Wett­be­werbs­bud­ge­tie­rung wer­den Bud­gets am ver­mu­te­ten oder be­kann­ten Bud­get der wichtigs­ten Kon­kur­ren­ten fest­ge­macht. Die­se sind z.  B. aus der Wer­be­sta­tis­tik (Ni­el­sen) be­kannt, wer­den von Ver­bän­den aus­ge­wie­sen oder sind in­ner­halb ei­ner Bran­che recht gut ab­zu­schät­zen. Dann muss über­legt wer­den, ob man das ei­ge­ne Bud­get un­ter (Un­der­spen­ding) oder über die­sem Ni­veau (Over­spen­ding) an­sie­delt, je nach de­fen­si­ver oder of­fen­si­ver Ein­stel­ lung. Ge­nau ge­nom­men ist das Wett­be­werbs­bud­get noch mit des­sen Markt­an­teil zu ge­wich­ten oder man nimmt nur ver­gleich­bar gro­ße Wett­be­wer­ber als Maß­ stab.

46

A. Vertriebskonzept und Controlling

Bei der Gesamtmarkt­bud­ge­tie­rung wer­den mak­roö­ko­no­mi­sche Grö­ßen zur Best­im­mung zu­grun­de ge­legt. Da­bei ist an Grö­ßen wie Bran­chen­wachs­tums­ra­te, BIP-Wachs­tums­ra­te, In­fla­ti­ons­ra­te etc. zu den­ken. Eine sol­che Orientierung stellt si­cher, dass man mit der Ge­samt­markt­ent­wick­lung mit­hält, ist je­doch nicht in der Lage, die­se zu über­tref­fen und ei­nen in­di­vi­du­el­len Vor­sprung zu erreichen. Verb­rei­tet sind je­doch ge­mein­hin nicht-ana­ly­ti­sche (will­kür­li­che) Ver­fah­ren zur Be­mes­sun­gen an­zu­tref­fen, etwa an­hand ver­blei­ben­der frei­er Bud­get­mit­tel (Rest­wert) oder auf Ba­sis des Vor­pe­ri­o­den­werts (Fest­wert). Die Rest­wert­bud­ge­ tie­rung teilt dem Ver­trieb Bud­get in dem Maße zu, wie an­de­re Be­rei­che die Mit­tel nicht aus­schöp­fen. Dies ist völ­lig in­ak­zep­ta­bel, aber in der Pra­xis durch­ aus weit ver­brei­tet und drückt die oft­mals ge­rin­ge Wert­schät­zung für Ver­triebs­ ar­beit aus („un­ser Pro­dukt ver­kauft sich von al­lein“, „wer sich aus­kennt, kommt auf uns zu“, „an un­ se­ ren Pro­ duk­ ten kommt oh­ ne­ hin nie­ mand vor­ bei“). Die Fest­wert­bud­ge­tie­rung ent­spricht dem Phä­no­men, das wie aus dem Nichts „von oben“ ein Plan mit Bud­get­wer­ten auf­taucht, an de­nen dann nur noch schwer zu rüt­teln ist. Dies ent­spricht dem Prin­zip der nor­ma­ti­ven Kraft des Fak­ti­schen. Die Än­de­rung ei­nes Bud­gets zieht dann in ei­nem Dom­ino­ef­fekt Än­de­run­gen bei zahl­rei­chen an­de­ren Bud­gets nach sich, was al­lein des­halb ab­ge­lehnt wird. Auch kommt eine Fort­schrei­bung des Bud­gets aus der Vor­pe­ri­o­de in Be­ tracht. Da­bei kann der sei­ner­zei­ti­ge Aus­schöp­fungs­grad be­rück­sich­tigt wer­den. Dies ist prak­tisch am häu­figs­ten an­zu­tref­fen, weil da­raus eine Ar­beits­ver­ein­fa­ chung re­sul­tiert. Je­doch ist kei­ner­lei funk­ti­o­na­ler Zu­sam­men­hang in der Bud­ get­be­stim­mung er­kenn­bar. War die Do­tie­rung in der Ver­gan­gen­heit un­zu­rei­ chend, wird sie es da­mit auch für die Zu­kunft sein, et vice versa. Schließ­lich sind auch Ver­hand­lungs­bud­gets weit ver­brei­tet. Dies ist meist dys­funk­ti­o­nal, weil dann zwi­schen­mensch­li­che As­pek­te po­si­tiv wie ne­ga­tiv ein­wir­ken. Im ver­ brei­te­ten Füh­rungs­kon­zep­ten, wie dem Ma­na­ge­ment by Ob­jec­ti­ves (MbO), sind der­art ver­han­del­te Bud­gets als ver­bind­lich zu be­trach­ten („A Bud­get is a Con­ tract“) und be­stim­men we­sent­lich über den in­di­vi­du­el­len Ziel­er­rei­chungs­grad. Da­bei spie­len je­doch Wohl­wol­len oder Miss­trau­en eine er­heb­li­che Rol­le. Budgets kön­nen ih­rer Art nach in­pu­to­ri­en­tiert sein, d.  h. die Be­reits­tel­lung von Res­sour­cen (Geld­mit­tel, Sach­mit­tel, Rech­te, Hu­man­res­sour­cen) de­fi­nie­ren oder out­pu­to­ri­en­tiert, d.  h. ein zu er­rei­chen­des Er­geb­nis vor­ge­ben, etwa in Be­ zug auf den be­ab­sich­tig­ten Markt­an­teil. Sie be­zie­hen sich in ih­rer Dau­er un­ter­jäh­rig auf Mo­na­te, Quar­ta­le, jähr­lich oder mehr­jährig mit­tel­fris­tig so­wie mehr­jäh­rig lang­fris­tig. Häu­fig steigt der Ge­ nau­ig­keits- und Ver­bind­lich­keits­grad der Bud­gets mit wach­sen­der Ge­gen­warts­ nä­he. Nach der Ebe­ne kann ein Bud­get als Stel­len­bud­get, als Spar­ten­bud­get, als Ge­samt­bud­get oder als Pro­jekt­bud­get aus­ge­legt sein. Bei maß­nah­menüber­grei­ fen­den Bud­gets liegt dann die ge­naue Do­tie­rung der Maß­nah­men bei Bud­get­ verant­wort­li­chen.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung47

Durch Hand­lungs­spiel­räu­me bei der Bud­get­er­fül­lung soll die Leis­tungs­be­reit­ schaft der Bud­get­verant­wort­li­chen ge­stei­gert wer­den. Bud­gets kön­nen auch als Be­ur­tei­lungs­grund­la­ge und zur Ver­gü­tungs­be­mes­sung der Bud­get­verant­wort­li­ chen ge­nutzt wer­den. Die Bud­get­grö­ßen ha­ben Vor­ga­be­cha­rak­ter. Die Kon­trol­le der Bud­gets er­mög­licht die Feststel­lung von Ab­wei­chun­gen und die Aus­lö­sung von Lern­pro­zes­sen. Die ver­ti­ka­le und ho­ri­zon­ta­le Ab­stim­mung der fi­nan­ziel­len Res­sour­cen im Un­ter­neh­men führt zu •• pe­ri­odisch-ge­plan­ten Bud­gets, d.  h., das Vertriebsbud­get wird für eine Pe­ri­o­de erstellt, nach Pe­ri­od­ e­nen­de wird ein neu­es Bud­get erstellt, die Bud­gets wer­ den da­bei nicht ver­ket­tet; •• rol­lie­rend-ge­plan­ten Bud­gets, d.  h., das Vertriebsbud­get wird in Teil­pe­ri­o­den un­ter­teilt, die nach­ei­nan­der de­tail­ge­plant wer­den, da­her kann ggf. eine An­pas­ sung er­fol­gen; •• re­tro­grad-ge­plan­ten Bud­gets, die von ei­ner Ge­samt­grö­ße auf die ein­zel­nen Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che wie den Vertrieb he­run­ter ge­bro­chen wer­den; •• pro­gres­siv-ge­plan­ten Bud­gets, die von den Ver­ant­wor­tungs­be­rei­chen auf die Ge­samt­grö­ße ag­gre­giert wer­den (im Ge­gen­strom­ver­fah­ren wer­den re­tro­gra­de und pro­gres­si­ve Vor­ge­hens­wei­sen kom­bi­niert). Proble­me er­ge­ben sich, weil eine Fehl­al­lo­ka­ti­on der fi­nan­ziel­len Res­sour­cen ent­ste­hen kann. Au­ßer­dem ist die Bud­ge­tie­rung ein sehr zeit- und ar­beits­auf­ wän­di­ger Vor­gang. De­tail­lier­te Bud­gets schrän­ken die Fle­xi­bi­li­tät (Re­ak­ti­ons­ge­ schwin­dig­keit) der Un­ter­neh­mens­be­rei­che ein. Bud­get­vor­ga­ben sind häu­fig nicht markto­ri­en­tiert. Ins­be­son­de­re droht durch Fort­schrei­bung eine dau­ern­de Un­wirt­schaft­lich­keit. Zu­dem kommt es zur Ver­nach­läs­si­gung von In­ves­ti­ti­o­nen und In­no­va­ti­o­nen. Schließ­lich sind dys­funk­ti­o­na­le Ver­hal­tens­wei­sen wahr­ schein­lich („De­zem­ber-Fie­ber“, Ab­tei­lungs­ego­is­men, Bud­get­puf­fer etc.). Als Lö­sun­gen kom­men Ver­fah­ren wie Bet­ter Bud­ge­ting (zweck­mä­ßi­ge­re Ver­ fah­ren) und Bey­ond Bud­ge­ting (de­zen­tra­le Steu­e­rung an­stel­le Bud­ge­tie­rung) in Be­tracht. 2.4

Vertriebsinformationsbasis

In­for­ma­ti­o­nen sind im In­for­ma­ti­ons­zeit­al­ter zum wich­tis­ten Rohs­toff ge­wor­ den, so auch im Ver­trieb. Je­der Plan, jede Ent­schei­dung und jede Ak­ti­on ist nur so gut wie der Wis­sens­stand als de­ren Ba­sis. In­so­fern gilt es, per­so­nenun­ab­hän­ gig, ob­jek­ti­viert In­for­ma­ti­o­nen zu sam­meln, aus­zu­wer­ten und da­raus zu schluss­ fol­gern. Nur so kann mo­der­ner Ver­trieb an­ge­sichts rest­rik­ti­ver, im­mer kom­ple­ xe­rer Ver­mark­tungs­be­din­gun­gen er­folg­reich agie­ren.

48

2.4.1

A. Vertriebskonzept und Controlling

Wissensressourcen

Die Ver­triebs­pla­nung be­ab­sich­tigt, das im Un­ter­neh­men expli­zit, in Da­tei­en do­ku­men­tier­te, oder aber im­pli­zit, in­di­vi­du­ell und kol­lek­tiv bei Per­so­nen vor­ han­de­ne Wis­sen (Ta­cid Know­led­ge) zu sam­meln, zu struk­tu­rie­ren, aus­zu­wer­ten und wei­ter zu ent­wi­ckeln. Wis­sen ist all­ge­mein ver­netz­te In­for­ma­ti­on, Trä­ger von Wis­sen sind auf ab­seh­ba­re Zeit nur Men­schen, Trä­ger von In­for­ma­ti­o­nen hin­ge­gen sind be­lie­bi­ge Spei­cher­me­di­en. Im Ein­zel­nen kön­nen da­bei fol­gen­de Auf­ga­ben un­ter­schie­den wer­den. Die Wis­sens­iden­ti­fi­ka­ti­on gibt den für er­for­der­lich ge­hal­te­nen Rah­men der Wis­sens­ba­sis vor. Die Wis­sens­samm­lung schafft Tran­spa­renz über das im Un­ ter­neh­men be­reits vor­han­de­ne Wis­sen aus ver­teil­ten Quel­len. Die Wis­sens­struk­ tu­rie­rung or­ga­ni­siert die­ses Wis­sen und iden­ti­fi­ziert Po­ten­zi­a­le, aber auch Lü­ cken. Die Wis­sens­ent­wick­lung er­folgt zur An­rei­che­rung und Er­wei­te­rung des Wis­sens­stands in Be­zug auf die­se Lü­cken. Die Wis­sens­tei­lung er­folgt in­ner­halb des Un­ter­neh­mens. Die Wis­sens­be­wer­tung qua­li­fi­ziert zu­künf­ti­ge Wis­sens­be­ dar­fe. Die Wis­sens­aus­wer­tung be­trifft die pro­duk­ti­ve Nut­zung des or­ga­ni­sa­ti­o­ na­len Wis­sens. Die Wis­sens­be­wah­rung soll vor­han­de­nes Wis­sen un­ab­hän­gig von Per­so­nen für die Or­ga­ni­sa­ti­on kon­ser­vie­ren. Da­rü­ber hi­naus ist die ste­te Wei­ter­füh­rung von Wis­sen aus ex­ter­nen, per­so­ na­len oder ma­te­ri­el­len Quel­len un­er­läss­lich, um wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben. Dazu ist eine leis­tungs­fä­hi­ge In­for­ma­ti­onstech­no­lo­gie er­for­derlich, die durch die Merk­ma­le Kol­la­bo­ra­ti­on zur Ver­knüp­fung, Ag­gre­ga­ti­on zur Fo­kus­sie­rung und in­tel­li­gen­te Su­che zur Wie­der­auf­fin­dung (Re­trie­val) von Wis­sen ge­kenn­ zeich­net ist. Zu­neh­mend wer­den auch Wis­sens­ge­mein­schaf­ten etab­liert (Ver­ teil­te Sys­te­me / Wi­kis), die als Platt­form für das Wis­sen der Vie­len die­nen, das durch In­ter­ak­ti­on ste­tig wei­te­rent­wi­ckelt wird. Das be­stän­dig an­wach­sen­de Wis­sen drückt sich in tech­ni­schem Fort­schritt aus. Die­ser grün­det auf The­o­ri­en, die Be­kann­tes in neu­er Wei­se oder mit Un­ be­kann­tem kom­bi­nie­ren, und sich in Tech­nik ma­ni­fes­tie­ren. Die­se Tech­nik basiert auf Tech­no­lo­gi­en als na­tur-, so­zi­al- und in­ge­nieur­wis­sen­schaft­li­chen Er­ kennt­nis­sen, die pro­dukt­be­zo­gen, also auf das Er­geb­nis ge­rich­tet, oder pro­zess­ be­zo­gen, also auf die Pro­duk­ti­on ge­rich­tet, aus­ge­legt sein kön­nen. Je nach Fort­schritt­lich­keit die­ser Er­kennt­nis­se kön­nen ver­schie­de­ne Ka­te­go­ri­en un­ter­teilt wer­den. Tech­no­lo­gi­en kön­nen quer­schnitts­be­zo­gen oder an­wen­dungs­spe­zi­fisch aus­ge­legt sein, sie wer­den zu Tech­no­lo­gie­platt­for­men an­ge­ord­net, die Wis­sens­ ba­sen ab­bil­den. Die Halb­wert­zeit des Wis­sens schwin­det, d.  h. die Zeit­span­ne, in­ner­halb de­rer die Hälf­te des vor­mals vor­han­de­nen mensch­li­chen Wis­sens nicht mehr dem ak­tu­el­len Stand der Tech­nik (Sta­te of the Art) ent­spricht. Zug­leich wird der Auf­wand zur Ge­ne­rie­rung neu­en Wis­sens im­mer hö­her, so dass sich für Un­ter­ neh­men ein Di­lem­ma er­gibt. Sie müs­sen im­mer mehr Res­sour­cen zur Schaf­fung



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Abb. 8: Elemente der Marketing Intelligence

von Neu­e­run­gen auf­wen­den, ha­ben aber zu­gleich im­mer we­ni­ger Zeit, die­sen Auf­wand am Markt noch zu­rück zu ver­die­nen. Im Ge­gen­teil, der früh­zei­ti­ge Um­stieg auf die je­weils neu­es­te Tech­nik ist für alle Markt­teil­neh­mer sinn­voll, da da­mit weit­aus hö­he­re Leis­tungs­po­ten­zi­a­le ak­ti­viert wer­den kön­nen als durch das Aus­rei­zen al­ter Tech­ni­ken (Sub­sti­tu­ti­ons­zeit­kur­ve). Die Wis­sens­ba­sis in der Absatzwirtschaft (Mar­ke­ting In­tel­li­gence) un­ter­teilt sich in Markt­wis­sen (Mar­ket In­tel­li­gence), Wett­be­wer­ber­wis­sen (Com­pe­ti­ti­ve In­tel­li­gence) und Kun­den­wis­sen (Cus­to­mer In­tel­li­gence) (siehe Abb. 8). Im Markt­wis­sen geht es um In­hal­te wie Ab­gren­zung des Re­le­van­ten Mark­tes (Are­na), Iden­ti­fi­zie­rung der Stra­te­gi­schen Grup­pen in der Are­na, Iden­ti­fi­zie­rung von Markt­seg­men­ten, Iden­ti­fi­zie­rung der Ab­satz­quel­le, Best­im­mung der Markt­ grö­ßen / Markt­er­war­tun­gen, Markt­trends etc. Eben­so wie Ab­satz­märk­te sind auch Be­schaf­fungs­märk­te re­le­vant, so­wie Um­fel­der, die durch Sta­ke­hol­ders auf die Märk­te des Un­ter­neh­mens ein­wir­ken. Im Wett­be­wer­ber­wis­sen geht es um In­hal­te wie die Best­im­mung der ak­tu­el­len Kon­kur­ren­ten (in der ei­ge­nen Stra­te­gi­schen Grup­pe), der substi­tu­ti­ven Kon­kur­ ren­ten (in an­de­ren Stra­te­gi­schen Grup­pen, z.  B. nach Tech­no­lo­gi­en, Pro­dukt­lö­ sun­gen, An­wen­dun­gen) und der po­ten­zi­el­len Kon­kur­ren­ten nach vor­han­de­nen bzw. schaff­ba­ren Markt­ein­tritts­bar­rie­ren, die Iden­ti­fi­zie­rung des wich­tigs­ten Kon­kur­ren­ten („Feind“), die Po­si­ti­o­nie­rung kon­kur­rie­ren­der An­bie­ter nach Re­ le­vanz­kri­te­ri­en, die Best­im­mung der dort be­fass­ten Stra­te­gi­schen Ge­schäfts­ein­ hei­ten, die Best­im­mung der Ma­na­ger-Pro­fi­le dort, die Be­deu­tung von Un­ter­neh­ mens­ver­bin­dun­gen etc. Im Kun­den­wis­sen geht es um In­hal­te wie Cha­rak­te­ri­sie­rung der Nach­fra­ger und der Wirt­schafts­sek­to­ren, Kon­su­men­ten­ver­hal­ten bzw. Or­gan­isa­ti­o­na­les Be­ schaf­fungs­ver­hal­ten etc. Bei ge­werb­li­chen Ab­neh­mern sind dazu die Rechts­ form, der Stand­ort, der In­ter­na­ti­o­na­li­sie­rungs­grad, die Schutz­rechts­si­tu­a­ti­on, die

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Auf­bau- und Ab­lauf­or­ga­ni­sa­ti­on in Er­wä­gung zu zie­hen. Bei pri­va­ten Ab­neh­ mern sind Kri­te­ri­en wie de­ren De­mo­gra­fie, Akt­io­gra­fie, Psy­cho­gra­fie, So­zi­o­gra­ fie in Er­wä­gung zu zie­hen. 2.4.2

Optionen der Vorgehensweise

Marktinformationen ergeben sich aus meh­re­ren Op­ti­o­nen des Vor­ge­hens. Die For­schung ist da­bei sys­te­ma­tisch, geht also kon­zep­ti­o­nell ge­stützt auf Ba­sis von Ar­beits­hy­po­the­sen vor. Da­von ab­zu­gren­zen­de Be­grif­fe sind: •• Markt­er­kun­dung, sie ist nur zu­fäl­lig an­ge­legt, geht also un­sys­te­ma­tisch vor. •• Markt­be­obach­tung, sie ist eine Un­ter­su­chung als Längs­schnitt in der Zeit. •• Markt­ana­ly­se, sie ist eine zeit­punkt­be­zo­ge­ne Un­ter­su­chung als Quer­schnitt. Für die Da­ten­qua­li­tät stel­len sich da­bei je­weils fol­gen­de Be­dar­fe: •• ho­her re­la­ti­ver In­for­ma­ti­ons­grad, denn die­ser ist meist un­vollstän­dig, da die real ver­füg­ba­ren In­for­ma­ti­o­nen geringer sind als die real vor­han­de­nen bzw. ver­füg­ba­ren In­for­ma­ti­o­nen und die­se wie­der­um geringer als die tat­säch­lich ent­schei­dungs­re­le­van­ten In­for­ma­ti­o­nen, •• ho­her Si­cher­heits­grad der Da­ten, si­cher i.  S.  v. we­der auf Wahr­schein­lich­keit noch auf Er­fah­rung be­ru­hend, son­dern auf ver­läss­li­chen, ob­jek­ti­ven Da­ten, •• ho­her Ak­tu­a­li­täts­grad an­ge­sichts er­ra­tisch sich ver­än­dern­der Um­feld­be­din­ gun­gen, •• gu­tes Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis, vor al­lem in Be­zug auf die zu­sätz­li­chen Kos­ ten ei­nes po­ten­zi­el­len In­for­ma­ti­ons­zu­wach­ses, •• ho­her De­tail­lie­rungs­grad zur fein­tei­li­gen Ana­ly­se der Da­ten. An­for­de­run­gen an die Da­ten­qua­li­tät sind, pri­mär wie se­kun­där, in­tern wie ex­tern, viel­fach. Zu nen­nen ist die Re­li­a­bi­li­tät der Da­ten, d. h., die Wie­der­hol­ bar­keit ei­nes ein­mal er­ho­be­nen Er­geb­nis­ses, im Ein­zel­nen feststell­bar durch Par­al­lel-Test, Test und Re­test, Split Run (50 : 50). Die Va­li­di­tät der Da­ten be­ trifft de­ren Gül­tig­keit für den Un­ter­su­chungs­zweck. Sie kann ge­prüft wer­den durch de­ren Über­tra­gung aus Lo­gik, the­o­re­ti­scher Fun­die­rung, Kor­re­la­ti­on, Ein­satz von zwei un­ab­hän­gi­gen Mess­ver­fah­ren, Zie­hung ei­ner wei­te­ren un­ab­ hän­gi­gen Stich­pro­be, Kon­trast von zwei Ext­rem­grup­pen, so­wie über Aus­schal­ tung von Stör­ein­flüs­sen durch künst­li­che Um­ge­bung (in­tern). Ziel ist je­weils eine hohe Va­li­di­tät bei gleich­zei­tig ho­her Re­li­a­bi­li­tät, d.  h. ge­rin­ge Streu­ung des Mess­er­geb­nis­ses um den wah­ren Wert he­rum. Ob­jek­ti­vi­tät be­deu­tet, dass kei­ne Durch­füh­rungs­be­ein­flus­sung (das Ver­fah­ren ist un­ab­hän­gig vom Be­ur­tei­ler), kei­ne Aus­wer­tungs­frei­räu­me (Strin­genz zwi­schen Da­ten und Er­geb­nis­sen) und kei­ne In­ter­pre­ta­ti­ons­frei­räu­me (in­ter­sub­jek­tiv nach­voll­zieh­ba­re Schluss­fol­ge­run­ gen) vor­lie­gen. Und Sig­ni­fi­kanz be­deu­tet, dass die Er­geb­nis­se sich nicht nur



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung51

       

     

      

  





  





Abb. 9: Sekundär- und Primärerhebungen

auf­grund sta­tis­ti­scher Aus­rech­nung er­ge­ben, son­dern über­zu­fäl­lig sind, und da­ mit aus­sa­ge­fä­hig. Die Un­ter­su­chung kann in­tern als Be­triebs­for­schung oder ex­tern als In­sti­tuts­ for­schung an­ge­legt sein. Es stellt sich also eine klas­si­sche Make or Buy-Ent­ schei­dung. Hin­sicht­lich der In­for­ma­ti­ons­samm­lung ist nach Schreib­tisch- und Feld­for­schung zu un­ter­schei­den (siehe Abb. 9). 2.4.3

Durchführung der Marktinformationssammlung

2.4.3.1 Schreibtischforschung Erster Schritt zur In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung ist im­mer eine Se­kun­där­er­he­bung, häu­fig ist durch de­ren Er­geb­nis­se die Fra­ge­stel­lung be­reits hin­rei­chend zu be­ ant­wor­ten. Selbst wenn nicht, er­hält man auf die­se Wei­se wich­ti­ge Ein­bli­cke für eine spä­te­re Pri­mär­er­he­bung. Se­kun­där­er­he­bung (Desk Re­search) be­deu­tet da­ bei die Nut­zung be­reits vor­han­de­ner In­for­ma­ti­o­nen, wo­bei be­triebs­in­tern oder -ex­tern vor­han­de­ne Da­ten ge­ge­ben sein kön­nen. Bei se­kun­där-be­triebs­in­ter­nen Da­ten han­delt es sich etwa um qua­li­ta­ti­ve Da­ ten wie •• Do­ku­men­ta­ti­o­nen von Stabs­ab­tei­lun­gen o.  Ä., •• Prä­sen­ta­ti­o­nen aus Busi­ness Case Mee­tings o.  Ä., •• Re­ports, die von In­tel­li­gence Ser­vice-Ab­tei­lun­gen erstellt wer­den, •• Copy-Ana­ly­sen der Kom­mu­ni­ka­ti­on am Markt und des Mit­be­werbs.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Oder es han­delt sich um quan­ti­ta­ti­ve Da­ten wie •• Kenn­zah­len (KPIs) etwa zu Fi­nan­zen, Kun­den, Pro­zes­sen, •• Er­geb­nis­se aus Pa­ne­ler­he­bun­gen von In­sti­tu­ten, z.  B. im Han­del, •• Me­di­a­plan­ver­glei­che des ei­ge­nen Wer­be­drucks (GRPs) zum Mit­be­werb, •• Ben­chmark­ing-Re­sul­ta­te, auch aus Schat­ten-Ben­chmark­ing. Bei se­kun­där-be­trieb­sex­ter­nen Da­ ten han­ delt es sich etwa um quan­ti­ta­ti­ve Da­ten wie •• Ver­zeich­nis­se, z.  B. sta­tis­ti­sche Amts­da­ten, Verb­ands­da­ten, Han­dels­re­gis­ter­ ein­trä­ge, Pa­tent­re­cher­chen (DPMA), •• Such­ma­schi­ne­ner­geb­nis­se z.  B. aus Web-Mi­ni­ng, Spe­zi­al­such­ma­schi­nen (Wer lie­fert was?), •• Ge­schäfts­be­rich­te bei bör­sen­no­tier­ten Un­ter­neh­men, Markt­ana­ly­sen von In­sti­ tu­ten, Bran­chen­re­ports, •• Pro­spek­te / Ka­ta­lo­ge von Mes­sen / Aus­stel­lun­gen, aus dem Han­del etc., Ar­ti­kel aus Fach­pub­li­ka­ti­o­nen, Me­di­en­an­kün­di­gun­gen, •• Ab­fra­gen als Quel­len-, Ab­stract-, Voll­text-Da­ten­ban­ken, •• Fi­nanz­ana­ly­sen über Wett­be­wer­ber als Bi­lanz­ana­ly­se (Bi­lanz­re­la­ti­o­nen, Be­ wer­tungs­prin­zi­pi­en etc.), als Fi­nan­ci­al Ra­ti­os wie CVA, CFROI, EBIT, EBIT­ DA, ROCE / ROE, ROA / RONA etc., zur Fi­nanz­mit­tel­aus­stat­tung (Ei­gen­ka­pi­ tal, Fremd­ka­pi­tal, Fris­tig­kei­ten etc.), zu Fi­nan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten (Kre­dit­ li­ni­en, Ge­sell­schaf­ter), zur Ei­gen­tü­mer­struk­tur wie An­ker­teil­ha­ber, Ka­pi­tal­ sam­mels­tel­len etc. Oder es han­delt sich um qua­li­ta­ti­ve Da­ten wie •• Kun­den­be­wer­tun­gen im WWW, Er­geb­nis­se aus Kun­den­zu­frie­den­heits­stu­di­en, •• Sen­ti­ment-Ana­ly­sen in So­zi­a­len Me­di­en, •• Aus­wertung von Blo­gein­trä­gen (z.  B. von On­li­ne-Jour­na­lis­ten), Postings, •• Con­tent-Ana­ly­se aus Per­so­nal­such­an­zei­gen von Mit­be­wer­bern, •• Usa­bi­li­ty-Stu­di­en er­folg­rei­cher On­li­ne-Shops, •• FuE-Auf­wen­dun­gen / -Er­geb­nis­se (in Sta­tus und Ent­wick­lung), •• Ent­gelts­tu­di­en (Ge­halts­struk­tu­ren, So­zi­al­leis­tun­gen, Ak­ti­en­op­ti­o­nen etc.) in der Bran­che, •• Über­sicht über Lie­fe­ran­ten­markt und Netz­werk­part­ner, •• Über­sicht über Pro­duk­ti­ons­stand­or­te, -ka­pa­zi­tä­ten, -aus­las­tun­gen in der Bran­ che, •• Über­sicht über Pro­dukt­qua­li­tä­ten, Öko­stan­dards in der Bran­che,



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung53

•• Clip­ping-Ser­vi­ces (Aus­wahl aus Ver­öf­fent­li­chun­gen nach vor­ge­ge­be­nen To­ pics), •• Deep Web-Da­ten, diese wer­den in „nor­ma­len“ Such­ma­schi­nen nicht hin­rei­ chend ab­ge­bil­det, •• Luft­bil­der, Sa­tel­li­ten­auf­nah­men (Google Maps / Streetview), •• In­hal­te von Ta­gungs­bän­den. Allge­mei­ne Vor­tei­le der Se­kun­där­er­he­bung sind da­bei fol­gen­de: •• ver­gleichs­wei­se ge­rin­ge Kos­ten, •• schnel­ler Zu­griff auf Er­geb­nis­se, •• notwen­dig, wenn pri­mä­re Da­ten nicht zu er­he­ben sind, •• Hil­fe bei der Ein­ar­bei­tung in die The­ma­tik, •• dient zur Ab­run­dung ei­nes pri­mär er­ho­be­nen Bil­des. All­ge­mei­ne Nach­tei­le der Se­kun­där­er­he­bung sind hin­ge­gen fol­gen­de: •• Ak­tu­a­li­tät der Da­ten ist frag­lich, •• Si­cher­heit und Ge­nau­ig­keit feh­len, •• un­ter­ei­nan­der nicht ver­gleich­ba­re Er­geb­nis­se, •• Da­ten­ab­gren­zung bleibt prob­le­ma­tisch, •• De­tail­liert­heit der Da­ten häu­fig un­zu­rei­chend, •• Um­grup­pie­run­gen von Da­ten / Ver­knüp­fun­gen sind schwie­rig, •• ex­ter­ne Da­ten sind auch für Wett­be­wer­ber zu­gäng­lich. 2.4.3.2 Datenauswahl in der Feldforschung Pri­mär­er­he­bung (Field Re­search) be­deu­tet die Neu­er­he­bung von re­le­van­ten In­for­ma­ti­o­nen. Da­bei kann es sich eben­falls um be­triebs­in­ter­ne oder -ex­ter­ne han­deln. Bei pri­mär-be­triebs­in­ter­nen Da­ten han­delt es sich etwa um qua­li­ta­ti­ve Da­ten wie •• Er­he­bung bei Mit­ar­bei­tern, z.  B. hin­sicht­lich In­no­va­ti­on­side­en oder Pro­zess­ ver­bes­se­run­gen, •• Be­wer­bungs­ge­spräch­sin­hal­te, •• In­for­ma­ti­o­nen von aus­ge­schie­de­nen Mit­ar­bei­tern, jetzt selbst­stän­dig / bei an­de­ ren Un­ter­neh­men be­schäf­tigt, •• Pres­se­mit­tei­lun­gen, Pres­se­kon­fe­renz­in­hal­te etc., •• Del­phi-Ana­ly­sen.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Oder es han­delt sich um quan­ti­ta­ti­ve Da­ten wie •• Er­geb­nis­se aus An­ge­bots­ein­ho­lung, •• Kos­ten­in­for­ma­ti­o­nen, etwa aus Re­ver­se En­gi­nee­ring, •• Auf­trags­sta­tis­ti­ken mit ver­glei­chen­den Wer­ten, •• Aus­wer­tun­gen der Nach­kal­ku­la­ti­on. Bei pri­mär-be­trieb­sex­ter­nen Da­ten han­delt es sich etwa um qua­li­ta­ti­ve Da­ten wie •• In­for­ma­ti­o­nen ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter von Kon­kur­ren­ten im Un­ter­neh­men, •• In­for­ma­ti­o­nen von ehe­ma­li­gen Kon­kur­renz­mit­ar­bei­tern, jetzt als Be­ra­ter (evtl. nach Coo­ling-off Pe­ri­od), •• Ex­per­ten­be­fra­gun­gen (Wis­sen­schaft­ler, Fach­jour­na­lis­ten, For­scher) durch Erst­el­lung von Gut­ach­ten, In­hal­te von Hin­ter­grund­ge­sprä­chen etc., •• Analys­ten-State­ments, Fach­vor­trä­ge (Kon­fe­ren­zen), Sym­po­si­en etc., •• Be­obach­tun­gen auf Mes­sen / Aus­stel­lun­gen, Events etc., •• verdeck­ter Kauf beim Mit­be­werb, etwa zur Er­he­bung des Ser­vi­ce­ni­veaus. Oder es han­delt sich um quan­ti­ta­ti­ve Da­ten wie •• Er­he­bung über Lie­fe­ran­ten, •• Zwi­schen- / End­kun­den, •• ak­tu­el­le und po­ten­zi­el­le Wett­be­wer­ber, •• ak­tu­el­le und po­ten­zi­el­le Ko­o­pe­ra­ti­ons­part­ner. Die Pri­mär­er­he­bung setzt die Best­im­mung der ori­gi­när zu er­he­ben­den Ein­ hei­ten vo­raus. Ide­al, aber i. d. R. nicht prak­ti­ka­bel, ist eine Voll­er­he­bung, d. h., die Er­fas­sung al­ler für den Un­ter­su­chungs­zweck re­le­van­ten Ein­hei­ten (Grund­ ge­samt­heit = Stich­pro­be). Da­bei er­ge­ben sich je­doch er­heb­li­che Ab­gren­zungsund Ver­füg­bar­keits­prob­le­me. Da­her ist prak­tisch nur eine Teil­er­he­bung sinn­voll. Da­bei wird an­ge­strebt, eine Stich­pro­be als struk­tu­ri­den­ti­sches Ab­bild der Grund­ge­samt­heit zu ge­win­ nen, die eine Hoch­rech­nung (Pro­jek­ti­on in­fol­ge Re­prä­sentanz) auf die Grund­ ge­samt­heit er­laubt. Dies ist umso bes­ser mög­lich, je ge­rin­ger die Streu­ung der Ur­sprungs­wer­te in der Grund­ge­samt­heit und je bes­ser die Re­la­ti­on von Stich­ pro­ben­grö­ße zu Grund­ge­samt­heit ist. Bei den Aus­wahl­ver­fah­ren han­delt es sich um Zu­falls­aus­wah­len, rein oder ab­ge­wan­delt als sys­te­ma­ti­sche, ge­schich­te­te Aus­wahl etc. oder um Be­wus­staus­wah­len, meist als Quo­ta- oder Kon­zen­tra­ti­ ons­ver­fah­ren. In je­dem Fall ab­zu­ra­ten ist von will­kür­li­chen Ver­fah­ren wie der Aus­wahl sub­jek­tiv ty­pi­scher Fäl­le, Aus­wahl aufs Ge­ra­te­wohl etc., die mit ei­ner se­ri­ö­sen Er­he­bung nichts zu tun ha­ben (siehe Abb. 10).



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung55

Auswahlverfahren der Feldforschung

Vollerhebung

Teilerhebung

Zufallsauswahl

Bewusstauswahl

Abb. 10: Auswahlverfahren der Feldforschung

Die Pri­mär­er­he­bung kann durch ei­nen ex­ter­nen Dienst­leis­ter (In­sti­tut / „Buy“) oder das Un­ter­neh­men selbst (Be­trieb / „Make“) vor­ge­nom­men wer­den. Bei der In­sti­tuts­for­schung geht es um Kri­te­ri­en zur In­sti­tuts­aus­wahl. Da­für kom­men in Be­tracht: •• Er­fah­rung mit der infra­ge ste­hen­den The­ma­tik, leis­tungs­fä­hi­ge Inf­ra­struk­tur für Er­he­bung und Aus­wer­tung, Verb­ands­mit­glied­schaft (ADM / BVM) als Min­dest­stan­dard, Qua­li­täts­si­che­rungs­maß­nah­men, Kon­troll­mög­lich­kei­ten des Auf­trag­ge­bers, Re­fe­ren­zen / Ar­beits­pro­ben, er­folg­te Be­auf­tra­gung in der Ver­ gan­gen­heit, räum­li­che Nähe (strit­tig), „Wel­len­län­ge“ (strit­tig). Der generelle Trend zum Outsourcing von nicht-kernkompetenzrelevanten Leistungen führt auch hier dazu, dass verstärkt Institutsforschung anstelle von Betriebsforschung eingesetzt wird. Dabei spielt sicherlich auch die hoch erscheinende Komplexität der in Frage stehenden Materie eine praktische Rolle, obgleich diese per Saldo doch gut beherrschbar ist. Die Auf­trags­ver­ga­be er­folgt auf Ba­sis ei­ner An­fra­ge mit fol­gen­den In­hal­ten: •• exak­te Prob­lem­be­schrei­bung (Was soll er­ho­ben wer­den?), •• Ziel­grup­pen­be­stim­mung (Bei wem soll er­ho­ben wer­den?), •• ers­te me­tho­di­sche Über­le­gun­gen (Wie soll er­ho­ben wer­den?), •• Ar­beits­tei­lung zwi­schen Auf­trag­ge­ber und Auf­trag­neh­mer (Wer soll er­he­ ben?), •• Auf­schlüs­se­lung der Kos­ten­po­si­ti­o­nen (für An­ge­bots­ver­gleich / Preis­struk­ turana­ly­se), •• Ter­mi­nie­rung des Pro­jekts (Wann sol­len die Er­geb­nis­se be­reitste­hen?), •• „Last­en­heft“ (Wel­che Kern­fra­gen sol­len be­ant­wor­tet wer­den kön­nen?).

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A. Vertriebskonzept und Controlling

All­ge­mei­ne Vor­tei­le der In­sti­tuts­for­schung sind fol­gen­de: •• kei­ne Be­triebs­blind­heit, leis­tungs­fä­hi­ge Er­he­bungs­in­stru­men­te vor­han­den, we­nig in­te­res­sen­ge­färb­te Aus­künf­te (Ob­jek­ti­vi­tät), Me­tho­den­kennt­nis und Er­ fah­rung ver­füg­bar (Ex­per­ten­wis­sen), Er­geb­nis­ver­glei­che dar­stell­bar (aus Da­ ten­bank), Kos­ten­ein­spa­rung, au­ßer­dem va­ri­ab­le statt fi­xer Kos­ten. Nach­tei­le der In­sti­tuts­for­schung sind fol­gen­de: •• Li­qui­di­täts­be­las­tung (Cash-flow), Ein­ar­bei­tungs­zeit in die The­ma­tik er­for­der­ lich (man­geln­de Bran­chen­kennt­nis), un­so­li­de, lieb­lo­se Auf­trags­er­fül­lung mög­ lich (In­sti­tuts­wahl), Ge­heim­hal­tungs­prob­le­ma­tik, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­prob­le­me an der Schnitt­stel­le, kei­ne Wis­sens­ak­ku­mu­la­ti­on im Unternehmen. Die Be­triebs­for­schung er­folgt durch eine in­ter­ne Fach­ab­tei­lung. Was zu be­ vor­zu­gen ist, ist von den Ge­ge­ben­hei­ten des Ein­zel­falls ab­hän­gig. All­ge­mei­ne Vor­tei­le der Be­triebs­for­schung sind da­bei fol­gen­de: •• Ver­traut­heit mit der infra­ge ste­hen­den The­ma­tik, Kon­trol­le über den Pro­zess, weniger Kom­mu­ni­ka­ti­ons­prob­le­me, Auf­bau ei­ge­ner For­schungs­er­fah­rung, Ver­trau­lich­keit bleibt ge­wahrt, Nut­zung bran­chen­spe­zi­fi­scher Kennt­nis­se, kei­ ne Li­qui­di­täts­be­las­tung. Nach­tei­le der Be­triebs­for­schung sind fol­gen­de: •• Ge­fahr der Be­triebs­blind­heit (sub­jek­ti­ve Prä­gung der In­ter­pre­ta­ti­on), Self Ful­ fil­ling Pro­phe­cy (vo­raus­ei­len­der Ge­hor­sam), we­ni­ger All­round-Er­fah­rung, häu­fig feh­len­de Inf­ra­struk­tur (Feld­or­ga­ni­sa­ti­on), län­ge­re Be­ar­bei­tungs­zei­ten we­gen en­ger Ka­pa­zi­tä­ten, hö­he­re Kos­ten bei sorg­fäl­ti­ger Zu­rech­nung. Denk­bar ist auch eine Kom­bi­na­ti­on aus In­sti­tuts­for­schung (z. B. für die Feld­ ar­beit) und Be­triebs­for­schung (z.  B. in der Kon­zep­ti­on). 2.4.3.3 Erhebungsform in der Feldforschung Die Da­ten­er­he­bung selbst er­folgt mit­tels der Me­tho­den der Be­fra­gung oder der Be­obach­tung (siehe Abb. 11). Als Ab­wand­lung kommt auch das Ex­pe­ri­ment in Fra­ge. Die Be­fra­gung wie­der­um er­folgt nach ih­rer Form •• münd­lich, als Ein­zel- oder Grup­pen­in­ter­view durch In­ter­vie­wer durch­ge­führt (Face to Face), •• te­le­fo­nisch, als zwi­schen­zeit­lich häu­figs­te Form, durch In­ter­vie­wer durch­ geführt (Ear to Ear), •• schrift­lich, durch postalischen Ver­sand, al­ler­dings mit Rück­lauf­prob­le­men (da­her pro­ak­ti­ve Vor­keh­run­gen nö­tig). Die Durch­füh­rung er­folgt da­bei tra­di­ti­o­nell (Pen and Pa­per) oder com­puter­ ge­stützt (CAPI, CASI, CATI), letzte­res je­doch mit er­heb­li­chen me­tho­di­schen



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung57

         

  

  

  

Abb. 11: Erhebungsmethoden der Feldforschung

Prob­le­men ver­bun­den, oder on­li­ne­ge­stützt über WWW, IRC, E-Mail o.  Ä., eben­falls mit er­heb­li­chen me­tho­di­schen Prob­le­men ver­bun­den. Bei der Be­fra­gung sind zahl­rei­che Mo­da­li­tä­ten zu klä­ren, so die •• Häu­fig­keit, also ein­ma­lig (ad hoc), mehr­ma­lig-an­lass­be­zo­gen (Ko­hor­te), mehrma­lig-re­gel­mä­ßig (Pa­nel) oder kon­ti­nu­ier­lich (Tra­cking), •• Stan­dar­di­sie­rung, also freie Be­fra­gung, un­struk­tu­rier­te Be­fra­gung auf Ba­sis ei­nes Leit­fa­dens, struk­tu­rier­te Be­fra­gung oder ver­ein­heit­lich­te Be­fra­gung mit vor­for­mu­lier­tem Fra­ge­bo­gen, •• Fra­ge­form, also of­fen oder ge­schlos­sen, d.  h. mit be­grenz­ten Aus­wahl­op­ti­o­ nen, direkt oder in­di­rekt, d.  h. mit ver­deck­ter For­mu­lie­rung, •• The­men­zahl, hier sind Om­ni­bus­be­fra­gun­gen meh­re­rer Auf­trag­ge­ber bzw. meh­re­re The­men ei­nes Auf­trag­ge­bers denk­bar. Die Da­ten­qua­li­tät hängt ent­schei­dend von den In­ter­vie­wern ab, also ist de­ren Aus­wahl, Qua­li­fi­zie­rung, Ein­satz und Kon­trol­le von ho­her Be­deu­tung. Eine Ab­ si­che­rung kann durch eine Pi­lots­tu­die mit an­schlie­ßen­der Über­ar­bei­tung er­fol­ gen (siehe Abb. 12). Die Be­obach­tung als Me­tho­de kann nach ver­schie­de­nen Di­men­si­o­nen ein­ge­ teilt wer­den, so nach •• dem Stan­dar­di­sie­rungs­grad in nor­miert nach vor­ge­ge­be­nen Ka­te­go­ri­en oder in­di­vi­du­ell, je­weils sub­jek­tiv aus­ge­wählt, •• dem Be­obach­tungs­sub­jekt in Selbst­be­obach­tung oder Fremd­be­obach­tung wie Pas­san­ten­fluss, Kun­den­lauf am POS, Kauf­ver­hal­ten, Pro­dukt­hand­ha­bung, •• der Be­obach­tungs­form in per­sön­lich oder un­per­sön­lich / ap­pa­ra­tiv wie Licht­ schran­ke, Zähl­kreuz, Au­dio- / Vi­deo- / Fo­to­auf­nah­men,

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A. Vertriebskonzept und Controlling

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•• der Be­obach­ter­par­ti­zi­pa­ti­on in teil­neh­mend, also mit In­ter­ak­ti­on wie Mys­te­ry Shop­ping, oder aber nicht-teil­neh­mend (pas­siv), •• der Be­obach­tungs­um­ge­bung in Feld­be­obach­tung mit ho­her Va­li­di­tät bei ge­rin­ ger Re­li­a­bi­li­tät oder La­bor­be­obach­tung mit ho­her Re­li­a­bi­li­tät bei ge­rin­ger Va­li­di­tät, •• dem Be­wusst­seins­grad des Be­obach­te­ten in of­fen / durch­schau­bar, nicht-durch­ schau­bar mit ver­deck­ter Er­fas­sung, qua­si-bi­o­tisch mit ver­deck­ter Ziel­set­zung oder bi­ot­isch / un­durch­schau­bar mit ver­deck­ter Er­fas­sung und Ziel­set­zung, am schwie­rigs­ten dar­stell­bar. Das Ex­pe­ri­ment wird als be­son­de­re Aus­prä­gung der Be­fra­gung oder Be­ obach­tung ver­stan­den. Es han­delt sich all­ge­mein um eine Ver­suchs­an­ord­nung zur Wir­kungs­mes­sung, auch Test ge­nannt.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung59

Ele­men­te des Ex­pe­ri­ments sind fol­gen­de: •• Test­ob­jek­te, an de­nen das Ex­pe­ri­ment aus­ge­führt wird, •• un­ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le, de­ren Ein­fluss ge­mes­sen wird (ak­tiv), •• ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le, an de­nen die Wir­kung ge­mes­sen wird (pas­siv), •• kon­trol­lier­te Va­ri­ab­le als Ein­fluss­fak­to­ren, die be­herrscht wer­den kön­nen, •• Stör­ grö­ ßen, die nicht be­ herrscht wer­ den kön­ nen (mög­ li­ ch ist hier­ bei eine Aus­schal­tung durch Kon­stant­hal­tung, Ein­bau in das De­sign, Mat­ching zu ver­ schie­de­nen Durch­gän­gen, Zuord­nung nach Zu­falls­prin­zip). Das Ex­pe­ri­men­tal­de­sign er­gibt sich durch des­sen: •• Ver­suchs­um­feld als Feld­ex­pe­ri­ment in na­tür­li­cher Um­ge­bung mit ho­her Va­li­ di­tät bei ge­rin­ger Re­li­a­bi­li­tät oder als La­bor­ex­pe­ri­ment in künst­li­cher Um­ge­ bung mit ge­rin­ger Va­li­di­tät bei ho­her Re­li­a­bi­li­tät, •• Ver­suchs­be­din­gun­gen pro­jek­tiv be­wusst durch den For­scher so her­bei­ge­führt oder ex post fac­to im Nach­hi­nein aus den prak­tisch ge­ge­be­nen Be­din­gun­gen re­kon­stru­iert, •• Zeit­ein­satz als Si­mul­tan­ex­pe­ri­ment nur zu ei­nem Zeit­punkt ge­mes­sen (vor­her oder nach­her) oder als Suk­zes­si­vex­pe­ri­ment zu zwei Zeit­punk­ten ge­mes­sen (vor­her und nach­her). Prak­tisch am häu­figs­ten wird das In­for­malex­pe­ri­ment ge­nutzt. Die­ses ist ein Ein­fak­to­ren­ex­pe­ri­ment (Qua­si-Ex­pe­ri­ment) mit zeit­li­cher Dif­fe­renz­be­trach­tung. Messpunkte des Ex­pe­ri­ments sind die: •• Ex­pe­ri­men­tal­grup­pe (E) als Basis, •• Kon­troll­grup­pe (C) zum Ver­gleich, •• Mes­sung vor Ein­satz des Ex­pe­ri­men­tal­fak­tors (B) als Null­zu­stand, •• Mes­sung nach Ein­satz des Ex­pe­ri­men­tal­fak­tors (A) als Test­zu­stand. Da­raus er­ge­ben sich ver­brei­te­te Kom­bi­na­ti­o­nen wie u.  a.: •• E B A: Suk­zes­si­vex­pe­ri­ment mit ei­ner Grup­pe und zwei Mess­zeit­punk­ten, al­ler­dings Car­ry Over-, Ent­wick­lungs-, Spill Over-Ef­fek­te, •• E A  – C A: Si­mul­tan­ex­pe­ri­ment mit zwei Grup­pen und ei­nem Mess­zeit­punkt, al­ler­dings Grup­pen-Ef­fek­te, •• E B A – C B A: si­mul­ta­nes Suk­zes­si­vex­pe­ri­ment mit zwei Grup­pen und zwei Mess­zeit­punk­ten, also vier Wer­te. Bei den ge­nann­ten Ef­fek­ten han­delt es sich um fol­gen­de. Ein Car­ry Over-Ef­ fekt be­deu­tet die zeit­li­che Über­strah­lung zwi­schen B und A in den Grup­pen. Ein Ent­wick­lungs-Ef­fekt ent­steht durch Lern­wir­kun­gen in­ner­halb der E-Grup­pe in­fol­ge des Test­fak­tors. Ein Spill Over-Ef­fekt be­deu­tet die sach­li­che Über­strah­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

lung durch ex­ter­ne Fak­to­ren zwi­schen B und A bzw. zwi­schen E und C. Ein Grup­pen-Ef­fekt ent­steht durch man­geln­de Struk­tur­iden­ti­tät und -re­prä­sentanz von E- und C-Grup­pen. Das Form­al­ex­pe­ri­ment ist ein Mehr­fak­to­ren­ex­pe­ri­ment (an­de­re Fak­to­ren als die Zeit), das durch Va­ri­anz­a­na­ly­se zur Kau­sa­li­täts­zu­ord­nung der Ur­sa­chen aus­ ge­wer­tet wird. Es gibt ein fak­to­ri­el­les De­sign, bei dem alle ge­ge­be­nen Kom­bi­ na­ti­o­nen ge­tes­tet wer­den oder ein frak­ti­o­nel­les De­sign, bei dem nur in­te­res­sie­ ren­de Kom­bi­na­ti­o­nen aus al­len ge­tes­tet wer­den, allerdings ohne Be­rück­sich­ti­ gung von In­ter­ak­ti­on­sef­fek­ten. Bei­de kön­nen sym­me­trisch (z.  B. La­tei­ni­sches Qua­drat) oder asym­me­trisch an­ge­legt sein. 2.4.4

Marktdatenauswertung und -interpretation

Gleich, durch wel­che Ver­fah­ren und Me­tho­den Da­ten­er­geb­nis­se im Vertrieb zu­stan­de ge­kom­men sind, ist es Ziel, die­se qua­li­fi­ziert aus­zu­wer­ten und zu in­ ter­pre­tie­ren (siehe Abb. 13). Ba­sis ist da­bei die Mes­sung der Er­geb­nis­se. Die­se kann auf nicht-me­tri­schem (ka­te­go­ri­a­lem) Ska­len­ni­veau, d.  h. no­mi­nals­ka­liert bzw. or­di­nals­ka­liert, oder auf me­tri­schem (kar­di­na­lem) Ska­len­ni­veau, d.  h. in­ter­ valls­ka­liert bzw. ra­ti­os­ka­liert, er­fol­gen. Als Ska­lie­rungs­tech­ni­ken kön­nen Ver­fah­ren der Selbst- und der Fremd­ein­stu­ fung ein­ge­setzt wer­den. Lie­gen mess­ba­re Er­geb­nis­se vor, sind die­se im Sin­ne der For­schungs­ziel­set­zung zu ana­ly­sie­ren. Uni­va­ri­at er­folgt dies durch Häu­fig­ Verfahren zur Datenauswertung

Skalierungstechniken Dependenzanalysen (Abhängigkeiten)

bivariat

multivariat Interdependenzanalysen (Zusammenhänge)

bivariat

multivariat

Abb. 13: Verfahren zur Datenauswertung



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung61

keits­ver­tei­lun­gen bei nur ei­ner Ein­fluss­grö­ße. Da­bei kön­nen vier Mo­men­te un­ ter­schie­den wer­den: •• La­ge­wer­te der Lo­ka­ti­on wie Häu­figs­ter Wert, Zen­tral­wert, arith­me­ti­sches Mit­ tel, Quar­ti­le, Be­reichs­mit­te etc., •• Streu­ungs­wer­te der Dis­per­si­on wie Spann­wei­te, Quart­ilsab­stand, Va­ri­anz, Stan­dard­ab­wei­chung, Va­ri­a­ti­ons­ko­ef­fi­zi­ent etc., •• Form­wer­te wie Schi­efe der Ver­tei­lung und Wöl­bung der Ver­tei­lung, •• Kon­zen­tra­ti­ons­wer­te als In­de­xe nach Gini oder Her­fin­dahl. Bi­va­ri­a­te Ana­ly­sen ge­hen von zwei, mul­ti­va­ri­a­te Ana­ly­sen von mehr als zwei Ein­fluss­grö­ßen aus. Da­bei kann un­terstellt wer­den, dass die­se Grö­ßen ent­we­der in ge­gen­sei­ti­ger Ab­hän­gig­keit ste­hen (De­pen­denz), d. h., es min­des­tens eine un­ ab­hän­gi­ge und ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le gibt, oder sie in ge­gen­sei­ti­gem Zu­sam­men­ hang (In­ter­de­pen­denz) ste­hen, d.  h., kei­ne Ab­hän­gig­keit er­kenn­bar ist: •• bi­va­ri­a­te De­pen­denz­a­na­ly­sen sind z.  B. Kon­tin­genz- oder Re­gress­ionsana­ly­ sen, •• mul­ti­va­ri­a­te De­pen­denz­a­na­ly­sen sind z.  B. Va­ri­anz-, Dis­kri­mi­nanz-, Kon­trast­ grup­pen-Ana­ly­sen oder Con­joint Mea­su­re­ment, •• bi­va­ri­a­te In­ter­de­pen­denz­a­na­ly­sen sind z.  B. Kor­re­la­ti­onsana­ly­se und Bestimmt­ heits­maß, •• mul­ti­va­ri­a­te In­ter­de­pen­denz­a­na­ly­sen sind z.  B. Clus­ter-, Fak­to­ren-, Kau­sa­lana­ ly­sen oder Mul­ti­di­men­si­o­na­le Ska­lie­rung. Zur Kom­plex­itäts­re­duk­ti­on ist an­schlie­ßend meist eine wei­te­re Da­ten­ver­dich­ tung er­for­der­lich, die­se er­folgt über Kenn­zif­fern als Ab­so­lutzah­len (Summe, Differenz) oder als Glie­de­rungs-, Be­zie­hungs-, In­dex­zah­len als Re­la­tiv­zah­len. Die Er­geb­nis­se wer­den dann in Form ei­ner Prä­sen­ta­ti­on dar­ge­stellt. Wich­tig ist da­bei die Sen­si­bi­li­sie­rung al­ler Mit­ar­bei­ter für be­triebs- und ge­ schäfts­ge­heim­nis­re­le­van­te In­for­ma­ti­o­nen. Er­for­der­lich sind u.  a. strik­te Zu­ gangs­kon­trol­len für Da­ten (i.  d.  R. hier­ar­chisch auf­ge­baut), Zu­tritts­kon­trol­len für Per­so­nen zu ge­son­dert ge­si­cher­ten Ge­bäu­de­be­rei­chen / Stand­or­ten, evtl. mit Se­ cu­ri­ty-Diens­ten nur nach Per­so­nal-Check. Hin­zu kommt eine Mal­wa­re-ab­ge­si­ cher­te IT ge­gen Da­ten­ver­lust, -lö­schung, -ver­ber­gung, -tar­nung etc. im Rah­men der IT-Fo­ren­sik. Klar ab­zu­gren­zen ist die­se In­for­ma­ti­ons­re­cher­che von ge­setz­lich oder ethisch zwei­fel­haf­ten Prak­ti­ken. Dazu ge­hö­ren u.  a.: •• fin­gier­te Be­wer­bungs­ge­sprä­che zum Zweck des Aus­hor­chens von frust­rier­ten oder auch be­son­ders en­ga­gier­ten fremden Mit­ar­bei­tern, •• das Ein­schleu­sen von Prak­ti­kan­ten, Leih­ar­beit­neh­mern, Zeit­ar­beits­kräf­ten, Rei­ni­gungs­per­so­nal o.  Ä. als „in­for­mel­le Mit­ar­bei­ter“ in eine fremde Or­ga­ni­ sa­ti­on,

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• das An­zap­fen un­zu­rei­chend ge­si­cher­ter, draht­lo­ser Un­ter­neh­mens­netz­wer­ke (W-LAN), •• der Ein­bau von Sen­dern in Fo­to­ko­pie­rern, die Ko­pie­du­pli­ka­te erstel­len und über­mit­teln, •• die Mon­ta­ge ver­steck­ter Ka­me­ras im fremden Be­trieb zur Ob­ser­va­ti­on, •• die In­stal­la­ti­on von Schad­soft­wa­re, die Back­doors für Vi­ren, Wür­mer, Tro­ja­ ner, Spy­wa­re etc. bie­tet, •• ge­ziel­te Des­in­for­ma­ti­on des Mark­tes, etwa durch Fa­ke­news über Mit­be­wer­ ber, de­ren Ma­na­ger etc., •• An­zap­fen von ge­mein­sa­men Dienst­leis­tern wie Wer­be­agen­tu­ren, Mafo-In­sti­ tu­ten, Con­sul­tan­cies etc. für betriebs- und geschäftsgeheimnisrelevante Daten, •• Be­auf­tra­gung von De­tek­ti­ven, Call­girls / -boys für kom­pro­mi­tie­ren­de Si­tu­a­ti­o­ nen. 2.5

Vertriebsentscheidungsfindung

Zur Ent­schei­dungs­fin­dung ge­hö­ren vor al­lem die An­for­de­run­gen und die Si­ tu­a­ti­o­nen der Ent­schei­dung. Da­bei hel­fen ver­schie­de­ne, sys­te­ma­tisch ab­ge­si­ cher­te Ver­fah­ren. Aber letzt­lich sind rich­ti­ge Ent­schei­dun­gen eine Fra­ge des For­tü­nes. Den­noch lohnt ein Blick auf die be­triebs­wirt­schaft­li­chen Grund­la­gen. 2.5.1

Entscheidungsanforderungen

Wirt­schaf­ten be­deu­tet im­mer Ent­schei­den über knap­pe Res­sour­cen. Dies setzt Wahl­mög­lich­kei­ten vo­raus, die prak­tisch auch re­gel­mä­ßig ge­ge­ben sind. Ent­ schei­de ori­en­tie­ren sich da­bei an Ziel­set­zun­gen, wo­bei je­weils die­je­ni­ge Op­ti­on aus­ge­wählt wer­den soll, die der Ziel­er­rei­chung am bes­ten dient. Dazu sind Ent­ schei­dungs­kri­te­ri­en zur Be­wer­tung fest­zu­le­gen. Da­bei sol­len kumulativ meh­re­re An­for­de­run­gen an sol­che Kri­te­ri­en ge­ge­ben sein: •• Voll­stän­dig­keit be­deu­tet, dass alle re­le­van­ten Kri­te­ri­en auch tat­säch­lich be­ rück­sich­tigt wer­den. •• Sig­ni­fi­kanz be­deu­tet, dass die­se Kri­te­ri­en aus­sa­ge­fä­hig für die der Be­wer­tung zu­grun­de lie­gen­de Ent­schei­dung sind. •• Re­dundanz­frei­heit be­deu­tet, dass je­des Kri­te­ri­um ei­nen an­de­ren As­pekt des Ent­schei­dungs­prob­lems ab­bil­det und kei­ne Dopp­lun­gen auf­tre­ten. •• Ob­jek­ti­vi­tät be­deu­tet, dass die Kri­te­ri­en an­hand per­so­nenun­ab­hän­gi­ger Maß­ stä­be ein­heit­lich be­wer­tet wer­den kön­nen. •• Re­le­vanz be­deu­tet, dass die Kri­te­ri­en für die be­ab­sich­tig­te Ent­schei­dung als be­deut­sam an­ge­se­hen wer­den.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung63

•• Ak­tu­a­li­tät be­deu­tet, dass für die ein­zel­nen Kri­te­ri­en ak­tu­el­le Da­ten­grund­la­gen zur Ver­fü­gung ste­hen. Eine Ent­schei­dung ist die be­wuss­te Wahl zwi­schen zwei Al­ter­na­ti­ven oder zwi­schen meh­re­ren un­ter­schied­li­chen Op­ti­o­nen an­hand be­stimm­ter Kri­te­ri­en und Prä­fe­ren­zen von ei­nem oder meh­re­ren Ent­schei­dungs­trä­gern. Ein ra­ti­o­nal be­grün­de­ter Ent­scheid rich­tet sich nach be­reits vor­ab ab­ge­steck­ten Zie­len oder Wert­maß­stä­ben. All­er­dings ent­ste­hen da­bei auch Ent­schei­dungs­de­fek­te, wie z.  B. fol­gen­de: •• Am­bi­gui­täts­ver­mei­dung, d.  h. Mei­dung un­si­che­rer Si­tu­a­ti­o­nen, die Stress ver­ ur­sa­chen, •• Rück­blicks­ver­zer­rung, d.  h. ex post sich als zu op­ti­mis­tisch he­raus­stel­len­de Ein­schät­zung (Hin­dsight) von Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten, •• Il­lu­si­on of Con­trol, d. h. eine Si­tu­a­ti­on nur schein­bar im Griff zu ha­ben, nicht aber tat­säch­lich, •• Over­con­fi­dence-Bias, d.  h. Über­schät­zung der ei­ge­nen Fä­hig­kei­ten bzw. Un­ ter­schät­zen der Fä­hig­kei­ten an­de­rer, •• Un­ter­las­sungs­ver­zer­rung, d.  h. Hin­aus­zö­gern (Omis­si­on) von Hand­lun­gen zur Ver­mei­dung von Ri­si­ken, •• Herd­en­ver­hal­ten, d.  h. Aus­rich­tung der ei­ge­nen Ent­schei­dung an der Mehr­heit („Tau­send Flie­gen kön­nen nicht ir­ren“), •• Kurz­fris­to­ri­en­tie­rung, d.  h. Ver­nach­läs­si­gung der mit­tel- bis lang­fris­ti­gen Ent­ schei­dungs­kon­se­quen­zen, •• Ver­mei­dung von Ext­re­men (Fra­ming), d.  h. Wahl der „gu­ten Mit­te“, •• Ver­lust­aver­si­on, d.  h. über­trie­be­ne Mei­dung von Ri­si­ken („Ger­man Angst“). 2.5.2

Entscheidungssituationen

2.5.2.1 Regelbasierung Für vertriebs­wirt­schaft­li­che Ent­schei­dun­gen sind ver­schie­de­ne Si­tu­a­ti­o­nen ge­ge­ben (siehe Abb. 14). Eine kla­re Ent­schei­dungs­si­tu­a­ti­on be­deu­tet, dass die Hand­lungs­grund­la­gen und -kon­se­quen­zen vollstän­dig be­kannt sind. Ent­schei­ dun­gen un­ter Si­cher­heit als de­ter­mi­nis­ti­sche Ent­schei­de lie­gen so­mit vor, wenn alle ent­schei­dungs­re­le­van­ten Da­ten und Fak­ten be­kannt sind, so dass eine Ent­ schei­dung mit Si­cher­heit i.  S.  e. ma­xi­ma­len Er­geb­nis­ses ge­trof­fen wer­den kann. Dies ist lei­der in der Pra­xis so gut wie gar nicht ge­ge­ben. Eine un­kla­re Ent­schei­dungs­si­tu­a­ti­on be­deu­tet, dass die Hand­lungs­grund­la­gen und -kon­se­quen­zen zwar un­be­kannt sind, sich je­doch An­halts­punk­te für ob­jek­ ti­ve Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten (ob­jek­tiv-stochas­tisch / pro­ba­bi­lis­tisch) bei

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Entscheidungssituationen im Vertrieb

klare Situation (einwertig) unklare Situation (mehrwertig)

probabilistisch unter Risiko nach Wahrscheinlichkeit heuristisch unter Unsicherheit nach Erfahrung Ungewissheit weder Wahrscheinlichkeit noch Erfahrung

Abb. 14: Entscheidungssituationen im Vertrieb

Ri­si­ko oder zu­min­dest sub­jek­ti­ve Erfah­run­gen (sub­jek­tiv-stochas­tisch / heu­ris­ tisch) bei Un­si­cher­heit fin­den las­sen. Das Ent­schei­dungs­feld ist bei Ri­si­ko durch den Zu­stands­raum der mög­li­chen, nicht be­ein­fluss­ba­ren Um­welt­si­tu­a­ti­o­nen und den Ak­ti­ons­raum der mög­li­chen, be­ein­fluss­ba­ren Hand­lun­gen be­grenzt. Für jede Kom­bi­na­ti­on aus Zu­stand und Ak­ti­on wer­den dann die zu er­war­ten­den Ge­winn­bei­trä­ge er­mit­telt. Die­se wer­ den mit ob­jek­ti­ven Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten ge­wich­tet. So er­ge­ben sich die Er­war­tungs­wer­te. Die Kom­bi­na­ti­on mit dem höchs­ten Er­war­tungs­wert ist die zu prä­fe­rie­ren­de. Die Ein­tritts­wahr­schein­lich­kei­ten ge­ben da­bei Auf­schluss über die Ri­si­ko­scheu oder -gie­rig­keit des Ent­schei­ders. Für ge­wöhn­lich wird Ri­si­ko­ scheu un­ terstellt, dies gilt erst recht für Ma­ na­ ger, die mit dem Ka­ pi­ tal von ­Eigentümern und Kre­dit­ge­bern ar­bei­ten und da­für re­chen­schaftspflich­tig sind. Die Streu­ung der Er­geb­nis­se kann durch die Stan­dard­ab­wei­chung er­fasst wer­ den. Als Re­geln da­für kön­nen vor al­lem fol­gen­de gel­ten. Die Bayes-Re­gel (µ-Re­gel) be­sagt, dass von meh­re­ren Op­ti­o­nen die­je­ni­ge mit dem höchs­ten Er­war­tungs­wert zu wäh­len ist. Da­her wird für jede Op­ti­on ein Er­war­tungswert als Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit fest­ge­legt. Die­ser Wert mul­ti­pli­ ziert mit dem Er­geb­nis der je­wei­li­gen Op­ti­on er­gibt die Ba­sis der Ent­schei­dung. Prob­lem­atisch ist da­bei, die Wahr­schein­lich­keit für eine zu­künf­ti­ge Konstel­la­ ti­on zu be­stim­men. Die Först­ner-Re­gel (µ – σ) be­sagt, dass von meh­re­ren Op­ti­o­nen die­je­ni­ge zu prä­fe­rie­ren ist, wel­che die ge­rings­te Ri­si­ko­streu­ung ge­mes­sen an der Stan­dard­ ab­wei­chung auf­weist.



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung65

Das Bern­oul­li-Prin­zip be­sagt, dass die Ent­schei­dung mit ei­ner von der Ri­si­ko­ ein­stel­lung des Ent­schei­ders ab­hän­gi­gen Nutz­en­funk­ti­on zu be­wer­ten ist, die den Zu­sam­men­hang zwi­schen Er­geb­nis und Nut­zen an­zeigt. Es wird eine sub­jek­ti­ve Ri­si­ko­prä­fe­renz des Ent­schei­ders zu­grun­de ge­legt. Die­se be­stimmt sei­ne Ent­ schei­dung für oder ge­gen jede Op­ti­on. Die­se Ri­si­ko­prä­fe­ren­zen sind aber schwer be­stimm­bar und un­ter­lie­gen vie­len in­ter­nen und ex­ter­nen Ein­fluss­fak­to­ren. Ent­schei­dun­gen un­ter Un­si­cher­heit, also sol­che mit sub­jek­ti­ven Ein­tritts­wahr­ schein­lich­kei­ten, sind häu­fig. Auch für die­se Vertriebssi­tu­a­ti­o­nen gibt es meh­ re­re an­wend­ba­re Re­geln. Die Mi­ni­max-Re­gel strebt an, die Ge­fahr der Ent­täu­schung zu mi­ni­mie­ren. Folg­lich ist die­je­ni­ge Op­ti­on zu wäh­len, de­ren kleins­tes Er­geb­nis al­ler Um­welt­ si­tu­a­ti­o­nen grö­ßer ist als das kleins­te Er­geb­nis al­ler an­de­ren Op­ti­o­nen. Der Ent­schei­dungs­trä­ger ist da­her durch ein sehr ho­hes Maß an Pes­si­mis­mus ge­ prägt. Er geht vom un­ güns­ tigs­ ten Fall aus, un­ ter dem er sei­ nen Ge­ winn zu ma­xi­mie­ren sucht. Po­si­ti­ve Fol­gen der je­wei­li­gen Al­ter­na­ti­ven wer­den da­bei je­doch au­ßer Acht ge­las­sen. Die Ma­xi­max-Re­gel be­stimmt, jene Op­ti­on zu wäh­len, de­ren größ­tes Er­geb­ nis al­ler Um­welt­si­tu­a­ti­o­nen grö­ßer ist als das größ­te Er­geb­nis al­ler an­de­ren Op­ti­on­ en. Der Ent­schei­dungs­trä­ger ist da­her durch ein sehr ho­hes Maß an Op­ ti­mis­mus ge­prägt. Er geht vom güns­tigs­ten al­ler Fäl­le aus, die ne­ga­ti­ven Kon­ se­quen­zen sei­ner Ent­schei­dung lässt er je­doch au­ßer Acht. Die Pes­si­mis­mus-Op­ti­mis­mus-Re­ gel (Hur­ wicz) soll einen Kom­ pro­ miss aus Pes­si­mis­mus und Op­ti­mis­mus er­rei­chen. Dazu wer­den so­wohl die Ma­xi­ma als auch die Mi­ni­ma der Op­ti­o­nen be­rück­sich­tigt, in­dem bei­de mit ei­nem Fak­tor zwi­ schen 0 und 1 ge­ wich­ tet wer­ den. Die­ ser drückt die sub­ jek­ ti­ ve Sicht der Um­welt­si­tu­a­ti­on für den Ent­schei­der aus. Das größ­te Er­geb­nis je­der Op­ti­on wird mit die­sem Fak­tor mul­ti­pli­ziert, das kleins­te Er­geb­nis je­der Op­ti­on mit dem Rest­wert (1  – ∞). Bei ∞ = 0 ent­steht die Mi­ni­max-Prä­fe­renz, bei ∞ = 1 ent­steht die Ma­xi­max-Prä­fe­renz. Bei der Mi­ni­max-Ri­si­ko-Re­gel (Sa­va­ge-Niehans) wer­den die re­la­ti­ven Nach­ tei­le je­der Op­ti­on in den Mit­tel­punkt ge­stellt. Dazu wird für jede Um­welt­si­tu­ a­ti­on die Dif­fe­renz zwi­schen dem größt­mög­li­chen Er­geb­nis und den Er­geb­nis­ sen al­ler an­de­ren Op­ti­o­nen er­mit­telt. Es ist dann jene Op­ti­on zu wäh­len, bei der die ma­xi­mal mög­li­che Ent­täu­schung, tat­säch­lich nicht die bes­te Op­ti­on ge­wählt zu ha­ben, mi­ni­miert wird. Dies ist der Fall, wenn der größt­mög­li­che Nach­teil ver­gli­chen mit den größt­mög­li­chen Nach­tei­len al­ler an­de­ren Op­ti­o­nen am kleins­ten ist. Der Ent­schei­dungs­trä­ger ver­hält sich also ri­si­ko­scheu. Die La­place-Re­gel be­sagt, dass bei un­be­kann­ten Ent­schei­dungs­si­tu­a­ti­o­nen für alle Um­welt­zustän­de man­gels bes­se­ren Wis­sens die glei­che Wahr­schein­lich­ keit un­terstellt wer­den muss. Da­her wird die Si­tu­a­ti­on mit dem höchs­ten Er­war­ tungs­wert prä­fe­riert (Re­gel des un­zu­rei­chen­den Grunds).

66

A. Vertriebskonzept und Controlling

Jede die­ser Ent­schei­dungs­re­geln hat eine ge­wis­se Plau­si­bi­li­tät, führt aber zu ab­wei­chen­den Er­geb­nis­sen. Da­her liegt es im Be­neh­men des Ent­schei­ders, wel­ ches Er­geb­nis er sich zu­ei­gen macht. Eine Ent­schei­dung un­ter Un­ge­wiss­heit be­deu­tet, dass alle Hand­lungs­grund­la­ gen und -kon­ se­ quen­ zen un­ be­ kannt sind und da­ für auch kei­ ner­ lei Da­ ten und Fak­ten vor­lie­gen, we­der nach Wahr­schein­lich­keit noch aus Er­fah­rung. Dies ist vor al­lem bei völ­lig neu­ar­ti­gen Vertriebssi­tu­a­ti­o­nen ge­ge­ben, wie sie auf­grund er­ra­ti­scher Um­feld­verän­de­run­gen (Dis­rup­ti­on) ent­ste­hen. 2.5.2.2 Sonderfälle In Son­der­fäl­len sind wei­te­re Ver­fah­ren ein­setz­bar (siehe Abb. 15). Für Ent­ schei­dun­gen bei kon­kur­rie­ren­den Zie­len gibt es vor al­lem fol­gen­de Ver­fah­ren: •• Paar­ver­gleich, da­bei wer­den rei­hum je­weils zwei Al­ter­na­ti­ven mit­ei­nan­der ver­ gli­chen, die Op­ti­on mit den meis­ten Über­le­gen­heits­ur­tei­len gilt als die bes­te. •• Check­list-Ver­fah­ren, die­se prü­fen di­cho­tom das Vor­han­den­sein oder Nicht­vor­ han­den­sein von Kri­te­ri­en bei je­der Ent­schei­dungs­al­ter­na­ti­ve. Da­bei kön­nen Muss­kri­te­ri­en und Soll­kri­te­ri­en un­ter­schie­den wer­den, je nach­dem, ob die ent­spre­chen­den Kri­te­ri­en als Aus­schluss oder als Wunsch an­ge­se­hen wer­den. •• Nutz­wertana­ly­se, die­se ist er­for­der­lich, wenn qua­li­ta­ti­ve (ka­te­go­ri­a­le) Kri­te­ri­ en vor­lie­gen, die zu­nächst in quan­ti­ta­ti­ve um­zu­rech­nen sind. Dazu ist eine Um­rech­nungs­funk­ti­on er­for­der­lich, die den Nutz­wert je­des Kri­te­ri­ums quan­ ti­fi­ziert. Da­bei kön­nen die no­mi­na­len bzw. or­di­na­len Kri­te­ri­en noch sub­jek­tiv ge­wich­tet wer­den.

       

                



 

  

Abb. 15: Sonderfälle der Entscheidung



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung67

•• Sco­ring, dies ist an­wend­bar, so­fern es sich um quan­ti­ta­ti­ve (kar­di­na­le) Kri­te­ ri­en han­delt, so dass sich die best­mög­li­che Op­ti­on er­gibt. Grund­la­ge ist da­bei eine me­tri­sche Punkt­ska­la. Entschei­dun­gen, de­ren Er­geb­nis nicht von den Um­welt­zustän­den, son­dern den Re­ak­ti­o­nen der Kon­tra­hen­ten ab­hän­gig sind, wer­den in Spiel­si­tu­a­ti­o­nen er­fasst. Da­bei geht es im Re­gel­fall um die Ge­winn­ma­xi­mie­rung bei ra­ti­o­na­lem Ver­hal­ten al­ler Be­tei­lig­ten. Ein­ge­teilt wird nach der An­zahl der Spie­ler (ein oder meh­re­re Geg­ner), nach der Ab­fol­ge der Spiel­zü­ge (gleich­zei­tig oder nach­ ei­nan­der) und nach der An­zahl der Züge (einer oder meh­re­re). Es wer­den vor al­lem zwei Spiel­si­tu­a­ti­o­nen un­ter­schie­den. Ein Null­sum­men­ spiel ist eine kom­pe­ti­ti­ve Si­tu­a­ti­on, bei der die Er­geb­nis­se der Be­tei­lig­ten sich im­mer auf Null kom­pen­sie­ren, was der eine ge­winnt, muss der an­de­re also her­ ge­ben (Win-Lose). Ist ein Spiel be­reits nach ei­ner Run­de be­en­det, han­delt es sich um ein ein­stu­fi­ges Spiel, ana­log gibt es mehrstu­fi­ge Spie­le bei meh­re­ren Run­den. Wür­de sich das Ver­hal­ten in der nächs­ten Run­de nicht ge­gen­über dem in der vor­ her­ge­hen­den Run­de ver­än­dern, ist ein (Nash-)Gleich­ge­wicht er­reicht. Spie­le kön­ nen aber auch kein oder meh­re­re Gleich­ge­wich­te (Sat­tel­punk­te) auf­wei­sen. Im Spe­ zi­ el­ len ist ein sog. Ge­fan­ge­nen-Di­lem­ma da­durch ge­kenn­zeich­net, dass die sich so er­ge­ben­de Si­tu­a­ti­on für bei­de Sei­ten nicht op­ti­mal ist, kei­ne Sei­te al­lein dies aber zu än­dern ver­mag. Än­dert ein Be­tei­lig­ter au­to­nom sein Ver­hal­ten und der an­de­re be­hält sein Ver­hal­ten bei, ge­rät er in Nach­teil. In­so­ fern ist ge­gen­sei­ti­ges Ver­trau­en Vo­raus­set­zung für eine Bes­se­rung der Si­tu­a­ti­on al­ler Be­tei­lig­ter (Win-Win). Dies er­for­dert die Zu­sam­men­ar­beit der Be­tei­lig­ten, es han­delt sich also um eine ko­o­pe­ra­ti­ve Si­tu­a­ti­on. Ent­schei­dun­gen un­ter Ne­ben­be­din­gun­gen wer­den im Rah­men des Ope­ra­ti­ons Re­search (Un­ter­neh­mens­for­schung) an­ge­gan­gen. Hier­zu gibt es meh­re­re An­ sät­ze, der ein­fachs­te ist der der li­ne­a­ren Op­ti­mie­rung. Da­bei wird eine li­ne­a­re Ziel­funk­ti­on mit zwei oder mehr Rest­rik­ti­o­nen un­terstellt. Im Er­geb­nis geht es dann um eine Ext­re­mie­rung un­ter die­sen Ne­ben­be­din­gun­gen (Op­ti­mie­rung). Gra­fisch wird da­bei die Ziel­funk­ti­on an die Kan­te des durch die Rest­rik­ti­o­nen ge­bil­de­ten Lö­sungs­raums ver­scho­ben, die am wei­tes­ten vom Ko­or­di­na­ten­ur­ sprung ent­fernt liegt. Ist eine ma­the­ma­ti­sche Lö­sung nicht mög­lich, wird eine Si­mu­la­ti­on vor­ge­nom­men. Da­bei wer­den die Pa­ra­me­ter sys­te­ma­tisch va­ri­iert, um sich da­durch ei­nem relativen Op­ti­mal­wert zu nä­hern (Tri­al&Er­ror). Kom­pli­zier­ter wird die Lage bei Ent­schei­dungs­si­tu­a­ti­o­nen mit meh­re­ren Zie­len und ei­nem bzw. meh­re­ren Um­welt­zustän­den. Ent­schei­dungs­re­geln schaf­ fen dazu eine kla­ re Dar­ stel­ lung und Struk­ tu­ rie­ rung des Prob­ lems und ma­chen Vertriebsent­schei­dun­gen trans­pa­rent. Sie ba­sie­ren je­doch auf sim­pli­fi­ zie­ren­den Prä­mis­sen wie Ri­si­ko­prä­fe­renz, ein­stu­fi­ge Ent­schei­dung, ein­di­men­­ siona­le Ziel­funk­ti­on etc.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Bei im Vertrieb häufigen Ent­schei­dun­gen in Kol­lek­ti­ven wird ge­mein­hin ver­ mu­tet, dass Mehr­per­so­nen-Ein­hei­ten zu bes­se­ren Er­geb­nis­sen kom­men als ein­ zel­ne Ent­schei­dungs­trä­ger. Dies kann so sein, muss aber nicht. Es gibt viel­ fachen An­lass an­zu­neh­men, dass Kol­lek­ti­ve zu Ent­schei­dungs­de­fek­ten (Group­ think-Phä­no­men) nei­gen. Da­für gibt es vor al­lem zwei Ur­sa­chen. Ein­er­seits kön­nen Kol­lek­ti­ve zu über­trie­ben ri­si­ko­rei­chen Ent­schei­den kom­men, weil je­der Be­tei­lig­te im Fal­le des Schei­terns nur ei­nen Bruch­teil der Kon­se­quen­zen da­raus zu tra­gen hat und Ri­si­ko­freu­de im Üb­ri­gen als so­zi­al at­trak­ti­ve Ei­gen­schaft gilt. An­de­rer­seits kön­nen Kol­lek­ti­ve auch zu über­trie­ben ri­si­ko­scheu­en Ent­schei­den kom­men, weil Be­den­ken­trä­ger sich ge­gen­sei­tig hoch­schau­keln und ins­ge­samt auch mehr Ri­si­ken of­fen­sicht­lich wer­den. 2.6

Vertriebsprognose

Un­ter Ver­triebs­prog­no­se ver­steht man all­ge­mein sys­te­ma­ti­sche und auf Em­ pi­rie be­grün­de­te Vor­her­sa­gen über das zu­künf­ti­ge Ein­tref­fen von ver­triebs­re­le­ van­ten Si­tu­a­ti­o­nen und Er­eig­nis­sen am Markt für Pro­duk­te oder Diens­te bei aus­ge­wähl­ten Käu­fer­schich­ten in ei­nem be­stimm­ten Zeit­ab­schnitt und un­ter ­einer be­stimm­ten Markt­konstel­la­ti­on. Im We­sent­li­chen kön­nen qua­li­ta­ti­ve und quan­ti­ta­ti­ve Prog­no­se­ver­fah­ren un­ter­schie­den wer­den. 2.6.1

Qualitative Prognoseverfahren

Aus den Test­er­geb­nis­sen ist eine Ver­triebs­prog­no­se mög­lich, um wie­der­um da­raus eine Ent­schei­dung ab­zu­lei­ten. Da­bei sind meh­re­re An­la­gen mög­lich (siehe Abb. 16). Nai­ve Ver­fah­ren sind auf his­to­ri­scher Ana­lo­gie ba­siert und un­terstel­len, dass sich die Ent­wick­lung auf dem be­trach­te­ten Markt ana­log zur Ent­wick­lung auf ei­nem an­de­ren, zeit­lich vor­ge­la­ger­ten Markt voll­zieht. Wenn dem so wäre, könn­te aus des­sen his­to­ri­schen Da­ten auf die zu prog­nosti­zie­ren­den Da­ten ge­ schlos­sen wer­den. Eine an­de­re nai­ve Form ist der Frei­handtrend. Da­bei wird un­terstellt, dass sich die Ent­wick­lung der Ver­gan­gen­heit an ei­nem Markt auch in Zu­kunft so fort­set­zen wird. Gra­fisch wird eine Ge­ra­de / Kur­ve durch eine Punkt­wol­ke his­to­ri­scher Da­ten der­art ge­legt, dass die­se hin­rei­chend gut re­prä­ sen­tiert schei­nen und die­se Funk­ti­on in die Zu­kunft ext­ra­po­liert. Da­bei ist ggf. die Kur­ ven­ form zu be­ stim­ men. Dies reicht je­ doch kei­ nes­ wegs für halb­ wegs be­last­ba­re Aus­sa­gen. Daher werden elaborierte Verfahren genutzt. Bei der prog­nosti­schen Be­fra­gung wer­den re­le­van­te Per­so­nen (Ma­na­ge­ment, Mit­ar­bei­ter, Ver­käu­fer, End­kun­den, Ex­per­ten etc.) nach ih­rer Ein­schät­zung eines pro­spek­ti­ven Markt­er­geb­nis­ses er­ho­ben. Da­bei er­ge­ben sich gleich mehr­fa­che Be­ein­flus­sun­gen, etwa in der Aus­wahl der Be­fra­gungs­per­so­nen, in de­ren Ei­gen­



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung69

Verfahren zur Vertriebsprognose

naiv

Qualitative Verfahren

elaboriert

Quantitative Verfahren

deskriptiv kurzfristig

deskriptiv langfristig

analytisch-entwickelnd

analytisch-wirkend

Abb. 16: Verfahren zur Vertriebsprognose

in­te­res­sen bei An­ga­ben, in Wahr­neh­mungs­ver­zer­run­gen etc., so dass auch hier die Be­last­bar­keit als ge­ring ein­zu­schät­zen ist. Bei der Del­phi-Me­tho­de han­delt es sich um eine schrift­li­che Be­fra­gung von Ex­per­ten, die un­ter­ei­nan­der ano­nym blei­ben, in meh­re­ren Run­den mit Rück­mel­ dung ih­rer Schätz­prog­no­se nach je­der Run­de. Dann wer­den alle An­ga­ben von ei­nem Ko­or­di­na­tor kon­so­li­diert und, evtl. auch ge­wich­tet nach ver­mu­te­ter Kom­ pe­tenz der Aus­kunft­ge­ber, al­len Teil­neh­mern mit der Bit­te um deren Prü­fung, d.  h. Zu­stim­mung zum Durch­schnitts­wert oder Be­grün­dung der ei­ge­nen Ab­wei­ chung, zu­ge­sandt. Im Re­gel­fall er­gibt sich über meh­re­re Run­den eine Kon­ver­ genz der Er­geb­nis­se und so­mit der Prog­no­se­wert (= Me­di­an). Die Streu­ung wird da­bei durch Quart­ilsab­stän­de aus­ge­wie­sen. Die Sze­na­rio-Tech­nik be­ruht auf der Ana­ly­se der ge­gen­wär­ti­gen Lage auf dem Prog­no­se­ge­biet und der Er­mitt­lung und Un­ter­su­chung denk­ba­rer Ent­wick­ lun­gen dort. Vor al­lem wird ein Au­gen­merk auf mög­li­che Struk­tur­brü­che (Dis­ rup­ti­on) ge­legt. Dazu wird das Un­ter­su­chungs­um­feld zu­nächst struk­tu­riert. Ein­fluss­grö­ßen wer­den als De­skrip­to­ren iden­ti­fi­ziert und zu An­nah­me­bün­deln zu­sam­men­ge­fasst. Da­raus er­ge­ben sich Sze­na­ri­os, meist als Best Case- und Worst Case-Ver­si­on. Die­se Sze­na­ri­os wer­den auf ihre Sta­bi­li­tät bei Dis­kont­inu­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

i­tä­ten hin ge­prüft und ggf. Al­ter­na­tiv-Sze­na­ri­os dazu aus­ge­ar­bei­tet. Die­se Plä­ne wer­den be­wer­tet und zum Real Case-Sze­na­rio ver­dich­tet. Letzt­lich han­ delt es sich je­doch im­mer noch um sub­jek­ti­ve Ein­schät­zun­gen mit al­len An­ fecht­bar­kei­ten. 2.6.2

Quantitative Prognoseverfahren

In der Grup­pe der deskriptiven Prognosever­fah­ren kom­men wie­der­um meh­ re­re in Betracht. Sie ar­bei­ten auf Ba­sis von Zeit­rei­hen, d. h., es wird auf die aus­drück­li­che Er­mitt­lung und Be­rück­sich­ti­gung von Ein­fluss­fak­to­ren ver­zich­tet und un­terstellt, dass die­se be­reits in den Wer­ten der Zeit­rei­he ent­hal­ten sind, die Zeit so­mit die ein­zi­ge un­ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le bil­det. Kurz­fris­ti­ge Prog­no­sen zur Vor­her­sa­ge des nächs­ten Pe­ri­o­den­werts ba­sie­ren auf Durch­schnitts­be­rech­ nun­gen der Ver­gan­gen­heits­wer­te und de­ren Ext­ra­po­la­ti­on auf den nächs­ten Periodenwert. Dazu wird das (ein­fa­che) arith­me­ti­sche Mittel al­ler zu­grun­de ge­leg­ ten Re­al­wer­te der Ver­gan­gen­heit er­mit­telt und da­raus der nächs­te Re­chen­wert ge­won­nen. Beim glei­ten­den Durch­schnitt wird bei Vor­lie­gen ei­nes neu­en Re­al­ werts der je­weils äl­tes­te Re­al­wert ge­stri­chen, so dass im­mer von der glei­chen Zahl von Re­chen­wer­ten aus­ge­gan­gen wird. Das arith­me­ti­sche Mit­tel glei­tet dann von Pe­ri­o­de zu Pe­ri­o­de und das je­weils ak­tu­ells­te Mit­tel wird fort­ge­ schrie­ben. Beim ge­wo­ge­nen glei­ten­den Durch­schnitt wer­den da­rü­ber hi­naus jün­ge­re Wer­te die­ser ak­tu­a­li­sier­ten Rei­he hö­her ge­wich­tet als äl­te­re, weil ih­nen eine grö­ße­re prog­nosti­sche Re­le­vanz zu­ge­schrie­ben wird. Dazu ist der Ge­wich­ tungs­fak­tor zu be­stim­men. Be­zieht sich die­se Ge­wich­tung auf alle vor­lie­gen­den Wer­te, ent­steht eine Ex­po­nen­zi­el­le Glät­tung. Da­bei wer­den Ver­gan­gen­heits­ wer­ te umso stär­ ker ge­ wich­ tet, je nä­ her sie an der Ge­ gen­ wart lie­ gen. Der Glättungsfak­tor be­stimmt da­bei das Aus­maß und muss sub­jek­tiv jus­tiert wer­ den. Da­durch kann Struk­tur­verän­de­run­gen bes­ser ent­spro­chen wer­den, al­ler­ dings ge­hen ak­tu­el­le „Aus­rut­scher“ auch stär­ker in den Prog­no­se­wert ein. Lang­fris­ti­ge Ver­fah­ren bli­cken als Trend­be­rech­nun­gen wei­ter in die Zu­kunft. Eine Trend­ext­ra­po­la­ti­on be­ruht da­rauf, eine Funk­ti­on durch die Punkt­wol­ke der Ver­gan­gen­heits­wer­te der­art zu le­gen, dass die ad­dier­ten po­si­ti­ven wie ne­ga­ti­ven Ab­stän­de zwi­schen den Re­al­wer­ten und den Funk­ti­ons­wer­ten gleich groß und ins­ge­samt mi­ni­mal sind. Die Funk­ti­on re­prä­sen­tiert dann die Re­al­wer­te best­ mög­lich (= Klein­stqua­dra­tab­wei­chung). Der Trend kann li­ne­ar (glei­che ab­so­lu­te Ver­än­de­rung), pro­gres­siv / de­gres­siv (stei­gen­de / fal­len­de ab­so­lu­te Ver­än­de­rung), ex­po­nen­zi­ell (glei­che re­la­ti­ve Ver­än­de­rung), log­arith­misch (glei­che Ex­po­nen­ten­ ab­stän­de) oder pa­ra­bo­lisch (Po­ly­nom 2. Gra­des) ver­lau­fen. Je­weils han­delt es sich um ein Mo­dell ohne Sät­ti­gung. Wird je­doch, was nahe liegt, ein Sät­ti­ gungs­ni­veau am Markt ver­mu­tet, wer­den lo­gis­ti­sche Funk­ti­ons­ver­läu­fe ein­ge­ setzt (li­ne­a­re Dif­fe­renz mit sym­me­tri­schem Wen­de­punkt bzw. log­arith­mi­sche Dif­fe­renz nach Gom­pertz). All­er­dings er­gibt sich da­bei eine gro­ße Un­si­cher­heit in Be­zug auf das un­terstell­te Sät­ti­gungs­ni­veau (Markt­ka­pa­zi­tät).



2.   Vertriebsplanung und -entscheidung71

Bei den ana­ly­ti­schen Prog­no­se­ver­fah­ren wer­den Kau­sal­be­zie­hun­gen als Ent­ wick­lungs- oder Wir­kungs­prog­no­sen un­terstellt, die eben nicht in der Zeit lie­ gen. Zu­ nächst zu den Ent­wick­lungs­prog­no­sen. Die Kor­re­la­ti­onsana­ly­se stellt ei­nen Zu­sam­men­hang (In­ter­de­pen­denz) zwi­schen zwei oder mehr als re­le­vant er­ach­te­ten Grö­ßen dar, ohne da­bei er­klä­ren zu wol­len, wor­auf die­ser be­ruht. Es han­delt sich also um eine rein for­ma­le Be­zie­hung. Die Stär­ke des Zu­sam­men­ hangs wird durch den Kor­re­la­ti­ons­ko­ef­fi­zi­en­ten „r“ (0–1) aus­ge­drückt, die Rich­tung des Zu­sam­men­hang durch des­sen Vor­zei­chen (+ / –). Für Prog­no­sen sind In­di­ka­to­ren in­te­res­sant, spe­zi­ell zeit­lich vor­lau­fen­de, von de­nen an­zu­neh­men ist, dass sie in ei­ner ge­si­cher­ten Be­zie­hung zur Prog­no­se­ grö­ße ste­hen (z.  B. Ge­schäfts­kli­ma, Brut­to­in­landspro­dukt, Ein­kom­men, Kom­ple­ men­tär­gü­ter, Be­völ­ke­rungs­zahl, Al­ters­py­ra­mi­de, Haus­halts­struk­tur, Kon­sum­ stim­mung). Dann kann aus dem Ver­lauf die­ser In­di­ka­to­ren in der Ver­gan­gen­heit auf die Ent­wick­lung der Prog­no­se­grö­ße in der Zu­kunft ge­schlos­sen wer­den. Dies ist ei­ner rei­nen Trend­ext­ra­po­la­ti­on vor­zu­zie­hen, weil sta­tis­tisch be­gründ­ bar. Denk­bar ist auch die Wahl ei­nes pa­ral­le­len In­di­ka­tors, wenn die­ser leich­ter (bes­ser, si­che­rer) zu prog­nosti­zie­ren ist als die ei­gent­li­che Prog­no­se­grö­ße. Für Wir­kungs­prog­no­sen wird die Re­gress­ionsana­ly­se auf Ba­sis von Ab­hän­ gig­kei­ten (De­pen­denz) ge­nutzt. Dazu sind die Pa­ra­me­ter und Kau­sa­li­tä­ten zu iden­ti­fi­zie­ren und de­ren Wir­kung auf die zu prog­nosti­zie­ren­de Grö­ße ma­the­ma­ tisch aus­zu­wei­sen. Dann wer­den die Pa­ra­me­ter­wer­te für die Zu­kunft qua­li­fi­ziert ge­schätzt und da­raus die Prog­no­se­grö­ße be­stimmt. Da­bei kann es sich um ei­nen oder meh­re­re un­ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le han­deln bzw. um eine oder meh­re­re Prog­ no­se­grö­ßen (ab­hän­gi­ge Va­ri­ab­le). Zu­dem ist der Funk­ti­ons­typ der Re­gres­si­on zu be­stim­men (li­ne­ar, nicht-li­ne­ar, ein­fach, mul­tip­le). All­er­dings kön­nen da­bei Verzerrungen durch Au­to­kor­re­la­ti­on, Mul­ti­kolli­ne­a­ri­tät etc. vor­lie­gen. Al­ter­na­tiv dazu kön­nen auch Markt­re­ak­ti­ons­funk­ti­o­nen zu­ grun­de ge­legt wer­den, die jedoch zu recht kom­ple­xen Mo­del­len wer­den. 2.6.3

Markterwartungen

Hin­sicht­lich der quan­ti­fi­zier­ten Markt­er­war­tun­gen kann nach den Di­men­si­o­ nen der Markt- oder Un­ter­neh­mens­sicht so­wie nach ma­xi­ma­ler, la­ten­ter oder ma­ni­fes­ter Nach­fra­ge un­ter­schie­den wer­den: •• Die Markt­ka­pa­zi­tät er­gibt sich als ma­xi­ma­le Nach­fra­ge aus Markt­sicht. Dies ist die the­o­re­ti­sche Ober­gren­ze ei­nes an­vi­sier­ten Markts, die prak­tisch kaum re­a­li­siert wer­den kann. •• Das Markt­po­ten­zi­al er­gibt sich als la­ten­te Nach­fra­ge aus Markt­sicht. Dies ist die re­a­lis­ti­sche Auf­nah­me­fä­hig­keit ei­nes Markts, da ein Bo­den­satz an Kauf­ ver­wei­ge­rern bleibt.

72

A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Das Markt­vo­lu­men er­gibt sich als ma­ni­fes­te Nach­fra­ge aus Markt­sicht. Dies stellt die tat­säch­li­che Grö­ße ei­nes Markts auf Ba­sis von Men­ge oder Wert dar. •• Das Ab­satz­po­ten­zi­al er­gibt sich als la­ten­te Nach­fra­ge aus Un­ter­neh­mens­sicht. Dies ist die the­o­re­ti­sche Ober­gren­ze für den Ver­triebs­er­folg des Un­ter­neh­ mens. Be­zo­gen auf die Wert­grö­ße er­gibt sich das Um­satz­po­ten­zi­al. •• Das Ab­satz­vo­lu­men ist die ma­ni­fes­te Nach­fra­ge aus Un­ter­neh­mens­sicht. Dies stellt den tat­säch­lich zu er­war­ten­den ei­ge­nen Ab­satz dar. Be­zo­gen auf die Wert­grö­ße er­gibt sich das Um­satz­po­ten­zi­al. Diese Grö­ßen kön­nen nun­mehr in Re­la­ti­on zu­ei­nan­der ge­setzt wer­den: •• Die Re­la­ti­on Ab­satz- / Um­satz­po­ten­zi­al zu Markt­vo­lu­men er­gibt den Markt­an­ teil ei­nes Unternehmens an ei­nem Markt. •• Die Re­la­ti­on Markt­vo­lu­men zu Markt­po­ten­zi­al er­gibt die Markt­sät­ti­gung als Grad der Aus­schöp­fung ei­nes Markts. •• Die Re­la­ti­on Ab­satz- / Um­satz­vo­lu­men zu Ab­satz- / Um­satz­po­ten­zi­al er­gibt die Markt­durch­drin­gung. Dies zeigt die ver­blei­ben­den Wachs­tums­re­serven an einem Markt an. •• Die Re­la­ti­on Ab­satz- / Um­satz­po­ten­zi­al zu Markt­po­ten­zi­al er­gibt die Markt­ aus­schöp­fung. Dies ist zu­gleich die lang­fris­ti­ge Markt­an­teils­ober­gren­ze.



3.

3.   Vertriebsstrategie und -modellierung73

Vertriebsstrategie und -modellierung

Das Un­ter­ka­pi­tel „Ver­triebs­stra­te­gie und -mo­del­lie­rung“ bes­teht aus den dem lo­gi­schen Drei­sprung der Ist­si­tu­a­ti­on­sauf­nah­me im Ver­trieb (3.1), der Ent­wick­ lung ei­ner be­last­ba­ren Stra­te­gie da­rauf (3.2) und den kon­kre­ten Di­men­si­o­nen der Ver­triebs­stra­te­gie (3.3). Es fol­gen Ver­fah­ren zur Stra­te­gie­be­wer­tung (3.4). Die­se In­hal­te hel­fen Ver­trieblern, bei weg­wei­sen­den stra­te­gi­schen Dis­kus­si­o­nen und Ent­schei­den besser mit­re­den zu kön­nen. Zum Ab­schluss wird die Pro­dukt­ ba­sis als Eck­pfei­ler im Ver­trieb nä­her be­leuch­tet (3.5). Le­ser sind nach Durch­sicht die­ses Un­ter­ka­pi­tels in der Lage, eine Ver­triebs­ stra­te­gie zu ent­wi­ckeln, die aus den Bau­stei­nen Ist­si­tu­a­ti­on­sauf­nah­me, Stra­te­ gie­rah­men und Stra­te­gie­be­stim­mung bes­teht. Sie ver­ste­hen die wis­sen­schaft­li­ chen Hin­ter­grün­de die­ser Di­men­si­o­nen und sie kön­nen aus fik­ti­ven oder prak­ ti­schen Rah­men­da­ten eine Stra­te­gie auf Pro­dukt­ba­sis ent­wi­ckeln. 3.1

Vertriebssituationsaufnahme

Ohne Klar­heit über die ak­tu­el­le Si­tu­a­ti­on ist jede Stra­te­gie sinn­los. Für die Auf­nah­me der Ist­si­tu­a­ti­on ste­hen eine Rei­he von Ana­ly­se­ver­fah­ren zur Ver­fü­ gung. Die­se soll­ten durch­aus pa­ral­lel ge­nutzt wer­den. So wie der Arzt sich auch nicht nur auf ein Ana­ly­se­ver­fah­ren ver­lässt, son­dern zwei oder mehr ein­setzt, so soll­ten auch in der Ver­triebs­stra­te­gie ver­schie­de­ne An­sät­ze zur Anam­ne­se ge­nutzt wer­den. Die­ser Ist­si­tu­a­ti­on kann dann eine ge­wünsch­te Soll­po­si­ti­on ge­ gen­über ge­stellt wer­den. Sind bei­de Ori­en­tie­rung klar, kann ver­sucht wer­den, die Dis­tanz zwi­schen ih­nen durch eine Stra­te­gie zu über­brü­cken. 3.1.1

Status quo-Analyse

Die Ana­ly­se des Sta­tus quo (Anam­ne­se) ist un­er­läss­lich, um die ak­tu­el­le Ist­si­tu­a­ti­on be­ur­tei­len zu kön­nen, von der aus die ge­wünsch­te Ziel­si­tu­a­ti­on an­ vi­siert wird. Da­für ha­ben sich ver­schie­de­ne Ver­fah­ren be­währt. Die ver­brei­tets­ ten von ih­nen wer­den im Fol­gen­den kurz er­läu­tert (siehe Abb. 17). Bei der Um­feld-Ana­ly­se wer­den alle für re­le­vant er­ach­te­ten Ein­fluss­fak­to­ren auf die ei­ge­ne Stra­te­gie auf­ge­führt und be­schrie­ben. Um da­bei eine Sys­te­ma­tik zu un­ter­le­gen, er­folgt dies zu­meist in Form ei­ner PESTLE oder STEP-Ana­ly­se. Die­se Be­grif­fe sind Ak­ro­ny­me für sechs bzw. vier Kri­te­ri­en: Po­li­tik, Öko­no­mie, So­zi­a­les, Tech­no­lo­gie, Recht, Öko­lo­gie bzw. So­zi­a­les und Kul­tur, Tech­no­lo­gie, Öko­no­mie, Po­li­tik und Recht. Die­se Kri­te­ri­en si­chern eine ge­wis­se Voll­stän­dig­ keit der Ana­ly­se. All­er­dings wer­den sie in Form ei­ner Auf­zäh­lung ab­ge­ar­bei­tet, also ohne stra­te­gi­sche Schluss­fol­ge­run­gen, son­dern nur zur ers­ten Über­sicht.

74

A. Vertriebskonzept und Controlling

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Abb. 17: Gängige Verfahren zur Status quo-Analyse

Die Bran­chen­struk­tur-Ana­ly­se (Por­ter) un­ter­schei­det fünf Ein­fluss­grö­ßen nach de­ren Macht, auf die ei­ge­ne Stra­te­gie ein­zu­wir­ken. Da­bei han­delt es sich zu­ nächst um die Macht der Lie­fe­ran­ten (upstream) und die der Ab­neh­mer (downstream). Sie li­mi­tie­ren den Spiel­raum in­fol­ge Ab­hän­gig­keit des Un­ter­neh­ mens. Wei­ter­hin han­delt es sich um die Macht der ak­tu­el­len Kon­kur­ren­ten (in der­sel­ben Stra­te­gi­schen Grup­pe) und der substi­tu­ti­ven Kon­kur­ren­ten (in an­de­ren Stra­te­gi­schen Grup­pen des Re­le­van­ten Markts). Hin­zu kommt die Macht po­ten­ zi­el­ler Kon­kur­ren­ten, also von An­bie­tern, die der­zeit noch nicht auf dem Markt tä­tig sind. Die­se fünf Ein­fluss­grö­ßen (Five For­ces) wer­den hin­sicht­lich ih­rer Macht­po­si­ti­on re­la­tiv zum ei­ge­nen Un­ter­neh­men nach Kau­sa­li­tät ana­ly­siert. Ist der Macht­sal­do ne­ga­tiv für das ei­ge­ne Un­ter­neh­men, muss auf die­se Grö­ßen Rück­sicht ge­nom­men und darf de­ren Macht nicht ohne Be­dacht he­raus­ge­for­dert wer­den. Ist der ei­ge­ne Macht­sal­do po­si­tiv, stel­len sie hin­ge­gen kei­ne Li­mi­ta­ti­on dar. Die Ana­ly­se be­ruht da­mit auf ei­nem op­por­tu­nis­ti­schen Ver­hal­ten der re­le­ van­ten Ak­teu­re. Prob­lem­atisch ist bei die­sem markto­ri­en­tier­ten An­satz, dass die ei­ge­ne Stra­te­gie sich erst pas­siv aus der Markt­la­ge und der Wett­be­werbs­po­si­ti­on er­gibt.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung75

Rein de­skrip­ti­ve Ana­ly­se­ver­fah­ren be­ru­hen auf dem Ver­gleich der ma­xi­ma­len ei­ge­nen Vertriebsfä­hig­kei­ten zu den ma­xi­ma­len Leis­tungs­fä­hig­kei­ten der stra­te­ gi­schen Mit­be­wer­ber (Res­sour­cen-Ana­ly­se) so­wie auf dem Ver­gleich der ei­ge­ nen ak­tu­el­len Vertriebs­fä­hig­kei­ten zu den ei­ge­nen ma­xi­ma­len Leis­tungs­fä­hig­ kei­ten (Po­ten­zi­al-Ana­ly­se). Lie­gen in der Res­sour­cen-Ana­ly­se die ei­ge­nen Merk­ma­le über de­nen des Mit­be­werbs, gilt es, die­se aus­zu­bau­en, um die­sen Vor­ sprung best­ mög­ lich nut­ zen zu kön­ nen. In der Po­ten­zi­al-Ana­ly­se sind die Merk­ma­le mit dem größ­ten Ab­stand zwi­schen ak­tu­el­ler und ma­xi­maler Aus­prä­ gung zu be­to­nen, weil die­se die höchs­te He­bel­wir­kung aus­zu­üben ver­mö­gen. Im Rah­men der Eng­pass-Ana­ly­se wer­den die ei­ge­nen so ge­se­he­nen Vor- und Nach­tei­le im Vertrieb ana­log zu ei­ner Bi­lanz als Ak­ti­va und Pas­si­va in Be­zug auf ein­zel­ne, im Ein­zel­fall zu be­stim­men­de Kri­te­ri­en dar­ge­stellt. Den Eng­pass stellt da­bei das Kri­te­ri­um mit den ge­rings­ten Vor­tei­len und zu­gleich den größ­ten Nach­tei­len dar. Dies wirkt er­folgs­li­mi­tie­rend. So­fern es sich um ein exis­ten­zi­ell be­deut­sa­mes Kri­te­ri­um han­delt, ist da­her da­ran un­be­dingt zu ar­bei­ten. Ana­ly­ti­sche Ver­fah­ren be­mü­hen sich, über die­se Be­schrei­bung hi­naus be­reits Schluss­fol­ge­run­gen zu zie­hen. Dazu dient die Stär­ken-Schwä­chen-Ana­ly­se. Dies ist eine Ge­gen­überstel­lung der kom­pa­ra­ti­ven Vor- und Nach­tei­le des ei­ge­ nen Vertriebs ge­gen­über den stra­te­gi­schen Mit­be­wer­bern. Über­le­gen­hei­ten sind da­bei kon­se­quent zu nut­zen (Aus­bau / Ab­si­che­rung), Un­ter­le­gen­hei­ten eben­so kon­se­quent zu mei­den (Auf­ho­len / Mei­dung). Die Chan­cen-Ri­si­ken-Ana­ly­se ver­ folgt die Prü­fung der prog­nosti­zier­ten Markt­ent­wick­lung in Be­zug auf für das Un­ter­neh­men und sei­nen Vertrieb po­si­ti­ve oder ne­ga­ti­ve Fol­gen. Po­si­ti­ve Fol­ gen be­deu­ten „Rü­cken­wind“ (Chan­cen), ne­ga­ti­ve „Ge­gen­wind“ (Ri­si­ken). Die­se Er­kenntnisse k­ön­nen im Rah­men ei­ner SWOT-Ana­ly­se (Ak­ro­nym für Stär­ken, Schwä­chen, Chan­cen, Ri­si­ken) kur­so­risch auf­ge­führt wer­den. Die TOWS-Ma­trix stellt die­se Er­kennt­nis­se in ei­nem Tab­leau ge­gen­über. Aus der Zu­ord­nung der ein­zel­nen Fel­der er­ge­ben sich be­reits wich­ti­ge Hand­lungs­ emp­feh­lun­gen: •• Fal­len Stär­ken und Chan­cen zu­sam­men, geht es um eine Aus­wei­tung durch Ein­satz von Res­sour­cen. •• Fal­len Schwä­chen und Ri­si­ken zu­sam­men, geht es um eine Mei­dung durch Ab­zug von Res­sour­cen. •• Fal­len Stär­ken und Ri­si­ken zu­sam­men, geht es um eine Ab­si­che­rung, da­mit Ri­si­ken die Stär­ken nicht gefähr­den. •• Fal­len Schwä­chen und Chan­cen zu­sam­men, geht es aus­nahms­wei­se um ein Auf­ho­len, weil die Schwä­chen die Nut­zung der Chan­cen ver­hin­dern. In­so­fern ist be­reits eine nor­ma­ti­ve Kom­po­nen­te er­kenn­bar. Prob­lem­atisch ist al­ler­dings, dass es sich bei die­sen Fak­to­ren je­weils um qua­li­ta­ti­ve, sub­jek­tiv höchst un­ter­schied­lich ein­schätz­ba­re Grö­ßen han­delt.

76

A. Vertriebskonzept und Controlling

Die Port­fo­lio-Mo­del­le stre­ben da­her eine Ob­jek­ti­vie­rung die­ser Emp­feh­lun­gen an. Dazu wer­den die Ach­sen der TOWS-Ma­trix mit me­tri­schen / kar­di­na­len Wer­ ten ver­se­hen. Für die Chan­cen und Ri­si­ken (Or­di­na­te) dient die durch­schnitt­li­che Wachs­tums­ra­te, de­rer sich eine Pro­dukt-Markt-Kom­bi­na­ti­on im Un­ter­neh­men (Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ein­heit / SGE) an ih­rem Markt ge­gen­über­sieht, als In­di­ka­ tor. Stell­ver­tre­tend für die Stär­ken und Schwä­chen (Ab­szis­se) steht die Po­si­ti­on auf der dy­na­mi­schen Er­fah­rungs­kur­ve (Boston-Ef­fekt) als Re­la­ti­ver Markt­an­teil. Jede SGE wird nun­mehr hin­sicht­lich die­ser bei­den Grö­ßen ver­mes­sen und im Port­fo­lio po­si­ti­o­niert. Der An­teil je­der SGE am Un­ter­neh­mens­um­satz wird durch die Kreis­grö­ße um den Po­si­ti­ons­schnitt­punkt aus­ge­wie­sen. Ent­spre­chend der vier o.  g. Fel­der der TOWS-Matrix er­ge­ben sich da­raus Norm­stra­te­gi­en für •• Ques­ti­on Marks (Chan­cen zu Schwä­chen, da­her Auf­ho­len), •• Ri­sing Stars (Chan­cen zu Stär­ken, da­her Aus­wei­tung), •• Cash Cows (Ri­si­ken zu Stär­ken, da­her Ab­si­che­rung), •• Poor Dogs (Ri­si­ken zu Schwä­chen, da­her Mei­dung). Die­ses Vier-Fel­der-Port­fo­lio (BCG) ist je­doch um­fang­rei­cher Kri­tik un­ter­ wor­fen, vor al­lem ist es ein sta­ti­sches, ge­schlos­se­nes, the­o­re­tisch an­greif­ba­res und in sei­nen Emp­feh­lun­gen leicht vor­her­seh­ba­res Mo­dell. Das Neun-Fel­der-Port­fo­lio (McKin­ sey) geht zwar nach dem­ sel­ ben An­ satz vor, sieht aber als Ach­sen die Markt­at­trak­ti­vi­tät (Or­di­na­te, ana­log zu Chan­cen und Ri­si­ken zu se­hen) und die re­la­ti­ve Wett­be­werbs­stär­ke (Ab­szis­se, ana­log zur Stär­ken und Schwä­chen zu se­hen) als je­weils mul­tikri­te­ri­el­le Di­men­si­o­nen vor. Das heißt, hin­ter bei­den Di­men­si­o­nen ver­birgt sich nicht eine Grö­ße, son­dern eine Viel­zahl von Grö­ßen, die ge­wich­tet, be­punk­tet und im Durch­schnitt be­mes­ sen wer­den. Die Grö­ße des Re­le­van­ten Mark­tes ent­spricht dem Kreis­durch­mes­ ser um den Schnitt­punkt der SGE, der An­teil der ei­ge­nen SGE am Re­le­van­ten Markt wird als Kreis­ aus­ schnitt dar­ ge­ stellt. So er­ ge­ ben sich neun Fel­ der mit Norm­stra­te­gi­en, die zu­meist in drei Zo­nen ein­ge­teilt wer­den.: •• Die grü­ne Zone steht für Mit­tel­bin­dung durch In­ves­ti­ti­on, •• die rote Zone steht für Mit­tel­frei­set­zung durch Desin­ves­ti­ti­on, •• die gel­be Zone da­zwi­schen er­for­dert eine Zu­ord­nung der SGEs zur Investi­ tion oder Desin­ves­ti­ti­on. Auch die­ser An­satz ist, wie zahl­rei­che an­de­re, wel­che die Di­men­si­o­nen und Ein­fluss­fak­to­ren nur va­ri­ie­ren (z. B. 20-Fel­der-Port­fo­lio / A.D.Little), zahl­rei­cher Kri­tik un­ter­wor­fen. Vor al­lem wird eine Schein­exakt­heit vor­ge­spie­gelt und die Zu­ord­nung der Po­si­ti­o­nen zu Kon­se­quen­zen ist weit­ge­hend un­klar. We­gen die­ ser Nach­tei­le wer­den Port­fo­li­os heu­te nicht mehr zur Stra­te­gie­ntwick­lung, son­ dern, wie hier, zur Ist­si­tu­a­ti­ons-Ana­ly­se ver­wen­det. Sie ge­ben ei­nen ra­schen, gro­ben Über­blick über die Vertriebs- und Un­ter­neh­mens­si­tu­a­ti­on.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung77

3.1.2

Festlegung der Soll-Positionierung

Die Po­si­ti­o­nie­rung be­stimmt, wo­durch das An­ge­bot ei­nes Un­ter­neh­mens sich im Ver­gleich zu an­de­ren dif­fe­ren­ziert und ge­gen­über der Nach­fra­ge pro­fi­liert. Die Po­si­ti­o­nie­rung ist da­bei so­wohl als gra­fi­sches Ver­fah­ren an­zu­se­hen (Map­ ping) wie auch als ver­ba­les Ver­fah­ren (State­ment). Un­ter Map­ping ver­steht man all­ge­mein die An­ord­nung marktre­le­van­ter Mei­ nungs­ob­jek­te in ei­nem mehr­di­men­si­o­na­len, ge­dach­ten Po­si­ti­o­nie­rungs­raum der­ art, wie sie von aktuellen oder potenziellen Kunden sub­jek­tiv wahr­ge­nom­men wer­den oder ob­jek­tiv fak­tisch so ge­ge­ben sind. Die Po­si­ti­o­nen un­ter den Ob­ jek­ten bzw. zu ei­nem fik­ti­ven Ide­al­ob­jekt im Raum sol­len eine mög­lichst hohe Über­ein­stim­mung mit dem Ra­ting / Ran­king die­ser Ob­jek­te hin­sicht­lich der da­ bei zu­grun­de ge­leg­ten ganz­heit­li­chen Ver­gleichs­kri­te­ri­en auf­wei­sen. Zur Ent­ wick­lung ei­nes Map­pings die­nen meh­re­re Stu­fen (siehe Abb. 18). Zu­nächst geht es da­rum, die An­ge­bots­di­men­si­o­nen im Re­le­van­ten Markt zu be­stim­men. Da­bei kann es sich um ob­jek­ti­ve Di­men­si­o­nen als Ei­gen­schafts­ raum oder um sub­jek­ti­ve Di­men­si­o­nen als Wahr­neh­mungs­raum han­deln. Meist ist es sinn­voll, die Di­men­si­o­nen auf die we­sent­li­chen zwei oder drei Di­men­si­ o­nen zu re­du­zie­ren, um eine gute Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit der Er­geb­nis­se zu si­chern. Meist han­delt es sich da­bei um die Di­men­si­o­nen gewünschter Preis bzw. wahr­ge­nom­me­ner Wert ei­ner­seits und Funk­ti­on bzw. wahr­ge­nom­me­ne Leis­tung an­de­rer­seits. In die­sem Raum wer­den nun­mehr die Mit­be­wer­ber der­sel­ben Stra­te­gi­schen Grup­pe po­si­ti­on­ iert. Hand­elt es sich da­bei nur um re­a­le, be­reits am Markt exis­ ten­te Grö­ßen, ent­steht ein Ähn­lich­keits­raum. Hand­elt es sich hin­ge­gen um ide­a­le,

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Abb. 18: Stufen zur Positionsentwicklung

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A. Vertriebskonzept und Controlling

hy­po­the­ti­sche Grö­ßen am Markt, ent­steht ein Prä­fe­renz­raum. Da­bei ist wich­tig, dass die Ide­al­vor­stel­lung von Pro­duk­ten durch neue re­a­le Pro­duk­te be­ein­flusst wer­den kann (z. B. La­ser­dru­cker ge­gen­über Tin­ten­strahl­dru­ckern / HP, oppu­len­te DOB ge­gen­über Jil San­der-DOB). Wer­den so­wohl re­a­le als auch ide­a­le Ob­jek­te im glei­chen Raum ab­ge­bil­det, ent­steht ein Ver­bund­raum (Joint Spa­ce). Beim Ide­al ist zu­dem wich­tig, dass kei­ne un­re­a­lis­ti­schen Merk­mals­kom­bi­na­ ti­o­nen, wie sie häu­fig Er­geb­nis un­zu­tref­fen­der Markt­for­schung sind, zu­grun­de ge­legt wer­den. Au­ßer­dem gibt es durch­aus meh­re­re Ide­al­ob­jek­te je nach Ziel­ grup­pe. Zum Bei­spiel ent­spricht bei ei­ni­gen ein BMW Mini dem Ide­al ei­nes Au­to­mo­bils, bei an­de­ren ein Tes­la X 3 oder ei­ner der vie­len SUVs. In Be­zug auf das zu­grun­de lie­gen­de Ver­fah­ren kön­nen zwei An­sät­ze un­ter­ schie­den wer­den (siehe Abb. 19). Beim Ide­al­punkt­ver­fah­ren gibt es Krei­se / El­ lip­sen um ein ge­dach­tes Ide­al­ob­jekt. Der Prä­fe­renz­wert ei­nes Re­al­ob­jekts sinkt mit stei­gen­dem räum­li­chen Ab­stand ei­ner Ei­gen­schafts­aus­prä­gung von die­sem Ide­al­punkt. Beim Ide­al­vek­torverfahren gibt es eine als ide­al un­terstell­te Kom­ bi­na­ti­on der Merk­ma­le mit ei­ner Rang­ord­nung der­art, dass die Prä­fe­renz auf ei­nem Fahr­strahl als Rich­tung und Be­deu­tung an­ge­ge­ben ist und umso hö­her liegt, je wei­ter das vom Re­al­ob­jekt auf den Vek­tor ge­fäll­te Lot vom Ko­or­di­na­ ten­ur­sprung ent­fernt ist. Der Stei­gungs­win­kel des Vek­tors gibt da­bei die Re­la­ ti­on der zwei Ei­gen­schaf­ten zu­ei­nan­der an. In Bezug auf die In­ter­pre­ta­ti­on der Kon­se­quen­zen der Dar­stel­lung kann die aus­schließ­li­che Wahl des prä­fe­rier­ten Ob­jekts un­terstellt wer­den (Sin­gle Choice) oder eine von der re­la­ti­ven Po­si­ti­on des Re­al­ob­jekts zum Ide­al ab­hän­gi­ge, vari­ ieren­de Wahl­wahr­schein­lich­keit (Wahl­axi­om). Im ers­ten Fall hat nur ein Ob­jekt eine Chan­ce, ge­kauft zu wer­den, im zwei­ten Fall ha­ben alle be­rück­sich­tig­ten

Idealkombination

Idealkombination

Idealpunktverfahren

Idealvektorverfahren

Abb. 19: Idealpunktverfahren und Idealvektorverfahren



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung79

Ob­jek­te eine Chan­ce, ge­kauft zu wer­den, frei­lich in ab­stei­gen­dem Aus­maß ana­ log ih­ rem Ab­ stand vom Ide­ al. Die Dar­ stel­ lung kann da­ bei sta­ tis­ tisch exakt mit­hil­fe mul­ti­va­ri­a­ter Ver­fah­ren er­fol­gen (nor­ma­tiv) oder auf Ba­sis qua­li­fi­zier­ter Ein­schät­zung (heu­ris­tisch). Meist reicht letz­te­res für die Pra­xis aus. Nun­mehr kann ge­prüft wer­den, ob die ei­ge­ne Ist­po­si­ti­on zweck­mä­ßig ist. Die Ide­al­po­si­ti­on und die Raum­di­men­si­o­nen ge­ben da­bei an, in wel­chen Mo­da­li­tä­ ten eine als not­wen­dig er­ach­te­te Ver­än­de­rung vor­ge­nom­men wer­den soll­te. Da­bei gibt es drei An­satz­punk­te. Ers­tens kann ver­sucht wer­den, den Grund­auf­ for­de­rungs­wert ei­nes An­ge­bots ge­gen­über dem Mit­be­werb zu stei­gern (z.  B. Mo­bil­te­le­fo­nie vs. Fest­netz­te­le­fo­nie). Au­ßer­dem kann ver­sucht wer­den, des­sen Zu­satz­auf­for­de­rungs­wert zu stei­gern, d.  h. dif­fe­ren­zie­ren­de Merk­ma­le zu fin­den bzw. zu be­to­nen, die über den Grund­nut­zen hi­naus­ge­hen (z.  B. Tur­bo­die­sel vs. Ot­to­mo­tor). Und drit­tens ist eine Prä­fe­ren­zum­wer­tung bei Nach­fra­gern mög­lich, d.  h. eine Ver­schie­bung des Ide­al­ob­jekts in Rich­tung der ei­ge­nen Ist­po­si­ti­on (z.  B. Elekt­ro­an­trieb vs. Ver­bren­nungs­mo­tor). Dies ist frei­lich das an­spruchs­ volls­te Un­ter­fan­gen. Da­raus er­gibt sich so oder so die Ziel-Po­si­ti­ons­be­stim­mung. Da­mit die­se kom­mu­ni­zier­bar ist, er­for­dert sie eine Ver­ba­li­sie­rung im Po­si­ti­oning State­ment. Die­ses bes­teht aus zwei De­fi­ni­ti­o­nen: •• Der An­ge­bots­an­spruch gibt an, was ein Un­ter­neh­men be­haup­tet, mit sei­nem An­ge­bot bes­ser zu kön­nen als je­des an­de­re (Claim). Da­bei kommt es nicht auf ju­ris­tisch zu ver­tei­di­gen­de Aus­sa­gen an, son­dern es han­delt sich noch um Kon­zept. •• Die An­spruchs­be­grün­dung gibt an, war­um die­se Aus­sa­ge von Glaub­wür­dig­ keit ist (Re­a­son Why). Meist er­folgt die Ar­gu­men­ta­ti­on über tech­nisch-phy­si­ ka­lisch-che­mi­sche Fea­tu­res. Bei­de sind die Ba­sis für wei­te­re Ak­ti­vi­tä­ten. Die Po­si­ti­o­nie­rung kann in viel­fa­cher Form ein­ge­teilt wer­den. Nach der Si­tu­a­ ti­on er­ge­ben sich die Erst­po­si­ti­o­nie­rung beim Launch ei­nes neu­en An­ge­bots. Die Po­si­ti­ons­re­vi­ta­li­sie­rung zielt auf die Ak­tu­a­li­sie­rung die­ser Po­si­ti­on im Zeit­ablauf ab, etwa durch Fa­ce­lifts wie neue Far­ben, Ge­schmacks­rich­tun­gen, Pa­ckungs­grö­ ßen etc. Die Po­si­ti­ons­vers­tär­kung zielt auf die kom­mer­ziel­le Aus­beu­tung der Po­ si­ti­o­nie­rung, etwa durch Flan­kers wie Li­zenz- oder Trans­fer­pro­duk­te, ab. Und die Um­po­si­ti­o­nie­rung strebt die Er­rei­chung ei­ner an­de­ren Po­si­ti­on an (Re­launch). Nach der Rich­tung er­ge­ben sich eine fak­ti­sche oder eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Al­ lein­stel­lung in der Po­si­ti­o­nie­rung. Fak­ti­sche Al­lein­stel­lun­gen (USP) sind kaum noch zu ver­tei­di­gen und da­her ab­zu­leh­nen. Mög­li­cher­wei­se ist eine künst­li­che fak­ti­sche Al­lein­stel­lung über Pro­dukt­zu­sät­ze (Mar­ke­ting In­gre­di­ents) sinn­voll. Kom­mu­ni­ka­ti­ve Al­lein­stel­lun­gen (UAP) sper­ren hin­ge­gen Kon­kur­ren­ten dau­er­ haft aus, so­fern sie wir­kungs­voll be­setzt wer­den. Al­ter­na­tiv dazu kommt, wenn­ gleich nicht son­der­lich ein­falls­reich, eine Par­ti­zi­pa­ti­on an er­folg­rei­chen an­de­ren Po­si­ti­o­nie­run­gen in Be­tracht (Me too, z.  B. Dole vs. Chi­qui­ta, Ma­roc vs. Jaf­fa, Al­pia vs. Mil­ka).

80

A. Vertriebskonzept und Controlling

Nach der Aus­le­gung er­ge­ben sich meh­re­re Mög­lich­kei­ten, so die präg­nan­te Zu­spit­zung mit Ein­samm­lung von Nach­fra­ge im Um­feld ei­ner über­trie­ben fo­ kus­sier­ten Po­si­ti­o­nie­rung (z.  B. Schwep­pes, Af­ter Ei­ght) oder die brei­te Be­ darfs­ab­de­ckung, al­ler­dings mit frag­li­chem Pro­fi­lie­rungs­wert (z.  B. VW, Opel). Wei­ter­hin die Po­si­ti­o­nie­rung an der Schnitt­ stel­ le zwi­ schen zwei oder mehr Märk­ten (z. B. Knus­per­rie­gel, SUV, Eis­rie­gel), um ein in toto über­le­ge­nes An­ ge­bot dar­stel­len zu kön­nen oder eine sol­che in ei­ner Markt­ni­sche. Die­se Markt­ ni­sche kann la­tent sein, d.  h. Nach­fra­ger kau­fen man­gels Al­ter­na­ti­ve wi­der­wil­lig ein an­de­res An­ge­bot oder ma­ni­fest, d.  h. Nach­fra­ger verzi­ch­ten man­gels adä­qua­ ten An­ge­bots ganz auf den Kauf. 3.2

Vertriebsstrategierahmen

Be­vor eine Ver­triebs­stra­te­gie ent­wi­ckelt wer­den kann, ist es zweck­mä­ßig, ei­ni­ge Ein­gren­zun­gen vor­zu­neh­men, um eine Kon­kre­ti­sie­rung zu er­rei­chen. Dazu ge­hö­ren die „Are­na“ (Stra­te­gi­sches Ge­schäfts­feld), die „Fein­de“ dort (Strategische Grup­pe) und die „Unit“ (Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ein­heit), mit der man in die­ser Are­na ge­gen „Fein­de“ bes­te­hen will. 3.2.1

Begriff und Abgrenzung

Der Be­griff Stra­te­gie ist viel­fach und schil­lernd de­fi­niert. Am prä­zi­ses­ten scheint je­doch die Fas­sung als Ent­schei­dung zur Trans­for­ma­ti­on ei­nes ge­ge­be­ nen, nicht be­frie­di­gen­den Ist­zu­stands in ei­nen neu­en, ge­wünsch­ten Soll­zu­stand. Dies be­dingt, dass für eine Stra­te­gie drei Aus­gangs­ba­sen ge­ge­ben sein müs­sen: Das Ziel als End­punkt, die Ist­si­tu­a­ti­on aus Aus­gangs­punkt und der Plan zur Über­brü­ckung der Dis­tanz zwi­schen Ist und Soll. Ob man da­bei mit dem Ziel oder der Ist­si­tu­a­ti­on be­ginnt, ist strit­tig. Be­ginnt man mit der Ist­si­tu­a­ti­on, kommt man zu­min­dest zu re­a­lis­ti­schen Zie­len, viel­leicht aber auch zu sol­chen, die „un­ter der Lat­te“ durch­sprin­gen. Be­ginnt man mit dem Ziel, kom­men zwar am­bi­ti­o­nier­te Vor­ga­ben zum Zuge, viel­leicht sind die­se aber letzt­lich un­re­a­lis­ tisch. Hier wird mit dem Ziel be­gon­nen. Die Stra­te­gie kann im Ein­zel­nen markto­ri­en­tiert oder res­sour­ce­no­ri­en­tiert (mit Ab­wand­lun­gen nach Fä­hig­kei­ten und Wis­sen) an­ge­legt sein. Markt­ori­en­ tiert be­deu­tet, dass die Un­ter­neh­mens­stra­te­gie als vom Um­feld ab­hän­gig an­ge­ se­hen wird. Das heißt, das Un­ter­neh­men prüft, wie sich das Um­feld in Be­zug auf hand­lungs­re­le­van­te Ak­teu­re dar­stellt und wählt dann mög­lichst eine Stra­te­ gie, die von die­sen be­las­se­ne Hand­lungs­fel­der nutzt. Da­mit kann ver­meid­ba­ren He­raus­for­de­run­gen ent­gan­gen wer­den, al­ler­dings de­ter­mi­nie­ren da­mit aber die Um­fel­dak­teu­re den stra­te­gi­schen Hand­lungs­spiel­raum. Res­sour­ce­no­ri­en­tiert be­ deu­tet, dass die Un­ter­neh­mens­stra­te­gie nur auf den ei­ge­nen Vor­tei­len auf­baut und das Um­feld so zu ge­stal­ten sucht, dass es die Nut­zung die­ser Vor­tei­le er­



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung81

folg­reich zu­lässt. Da­mit be­freit man sich zwar von den Rest­rik­ti­o­nen des Um­ felds, muss aber ge­gen­wär­ti­gen, dass die Stra­te­gie auf ma­ni­fes­te Wi­derstän­de stößt. Bei­de An­sät­ze las­sen sich aber durch­aus kom­bi­nie­ren. In­ner­halb der stra­te­gi­schen Grund­la­gen gibt es drei stra­te­gi­sche Säu­len als Eck­pfei­ler je­der Stra­te­gie. Da­bei han­delt es sich um das Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ feld, die Stra­te­gi­sche Gruppe und die Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ein­heit. 3.2.2

Strategisches Geschäftsfeld

Das Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­feld (SGF / Re­le­van­ter Markt) be­stimmt die Ab­ gren­zung des Re­le­van­ten Markts (an­schau­lich auch Are­na ge­nannt). Das SGF weist da­mit aus, auf wel­chem Markt das Un­ter­neh­men ak­tiv ist / sein will und wie die­ses Um­feld sich kon­kret dar­stellt. Eine zu­tref­fen­de Ab­gren­zung des Re­ le­van­ten Markts ist der­zeit nicht be­frie­di­gend lös­bar. Es gibt zwar ver­schie­de­ne An­sät­ze, die aber alle Schwä­chen auf­wei­sen (siehe Abb. 20). Die to­ta­le Kon­kur­renz (v. Sta­ckel­berg) be­sagt, dass letzt­lich al­les mit je­dem in Kon­kur­renz zum knap­pe Kauf­kraft / Bud­gets steht und da­mit die Ge­samt­heit des Markt­ an­ ge­ bots den Re­ le­ van­ ten Markt aus­ macht. Dies ist zwar stim­ mig, aber nicht ope­ra­ti­o­nal und da­mit we­nig hilf­reich. Ab­gren­zun­gen der Kon­kur­renz aus An­ge­bots­sicht wäh­len ver­schie­de­ne An­ sät­ze. Bei der tech­nisch-phy­si­schen Ähn­lich­keit wer­den alle An­ge­bo­te als zum sel­ben Re­le­van­ten Markt ge­hö­rig an­ge­se­hen, die von ih­rer An­ge­botsphy­sis her ver­gleich­bar sind. Dies greift je­doch viel zu kurz. Bei der funk­ti­o­na­len Gleich­ heit wer­den alle An­ge­bo­te als zum sel­ben Re­le­van­ten Markt ge­hö­rig an­ge­se­hen, die die­sel­be Funk­ti­on er­fül­len, un­ab­hän­gig von ih­rem Äu­ße­ren. Dies ist gut dar­stell­bar. Die Kreuz­prei­se­las­ti­zi­tät (Trif­fin) gibt an, wie sich die Nach­fra­ge nach ei­nem Pro­dukt auf­grund der Preis­än­de­rung ei­nes an­de­ren ver­än­dert. Pro­ duk­te, die im Preis auf­ei­nan­der re­a­gie­ren (gleich ob po­si­tiv oder ne­ga­tiv), ge­ Abgrenzungen des Strategischen Geschäftsfelds

Totale Konkurrenz

Angebotskonkurrenz

Nachfragekonkurrenz

Mehrdimensionale Konkurrenz

Abb. 20: Abgrenzungen des Strategischen Geschäftsfelds

82

A. Vertriebskonzept und Controlling

hö­ren da­mit zum sel­ben Re­le­van­ten Markt, Pro­duk­te, die auf­ei­nan­der nicht oder nur schwach reagie­ren, ge­hö­ren ver­schie­de­nen Re­le­van­ten Märk­ten an. Prob­ lem­atisch ist hier die real­e Mes­sung des Elas­ti­zi­täts­ko­ef­fi­zi­en­ten. Bei der sub­ jek­ti­ven Aus­tausch­bar­keit aus An­bie­ter­sicht ge­hö­ren alle Angebote zum sel­ben Re­le­van­ten Markt, die An­bie­ter in ih­ren Stra­te­gie­plä­nen be­rück­sich­ti­gen. Dies ist je­doch ein ge­dank­li­cher Zir­kel­schluss, da die Ab­gren­zung ja erst zur Kon­ kre­ti­sie­rung der Stra­te­gie füh­ren soll. Ab­gren­zun­gen der Kon­kur­renz aus Nach­fra­ge­sicht wäh­len eben­falls ver­schie­ de­ne An­sät­ze. Bei der sub­jek­ti­ven Aus­tausch­bar­keit ge­hö­ren alle Pro­duk­te zum sel­ben Re­le­van­ten Markt, die Nach­fra­ger in ei­ner Si­tu­a­ti­on als gleich­wer­tig in Be­zug auf ihre Phy­sis oder Funk­ti­on er­ach­ten. Dies ist je­doch in­de­ter­mi­niert, da die­se Ab­gren­zung von In­di­vi­du­um zu In­di­vi­du­um un­ter­schied­lich aus­fällt. Beim fak­tisch-tat­säch­li­chen Aus­tausch­ver­hal­ten kommt es auf die Aus­wahl in der kon­ kre­ten Kauf­si­tu­a­ti­on an (Evo­ked Set). Alle Pro­duk­te, die die­sem Set an­ge­hö­ren, bil­den da­mit den Re­le­van­ten Markt. Die Nut­zungs­ähn­lich­keit hebt da­rauf ab, dass alle Pro­duk­te als zum sel­ben Re­le­van­ten Markt ge­hö­rig an­ge­se­hen wer­den, die den glei­chen Nut­zen stif­ten. Auch dies ist weit­hin in­de­ter­mi­niert. Bei der Adres­sie­rung glei­cher Kun­den­ty­pen er­ gibt sich die Ab­ gren­ zung durch gleich defi­nier­te Ziel­per­so­nen, die von An­bie­tern als Käu­fer an­ge­strebt wer­den. Da­mit liegt die Ab­gren­zung in der in­di­vi­du­el­len Er­wä­gung der An­bie­ter. Mehr­di­men­si­o­na­le Kon­kur­renz be­sagt, dass alle Pro­duk­te zum sel­ben Re­le­van­ ten Markt ge­hö­ren, die ku­mu­la­tiv die­sel­be Funk­ti­on er­fül­len, dies mit der­sel­ben Tech­nik er­rei­chen und da­bei die­sel­ben Kauf­ent­schei­der an­spre­chen (Abell). Die­ ser An­satz wird in der Li­te­ra­tur fa­vo­ri­siert, je­doch stellt sich die Fra­ge, war­um ge­ra­de die­se drei Di­men­si­o­nen ge­wählt wer­den und wie Funk­ti­on, Tech­nik und Ziel­grup­pe exakt de­fi­niert wer­den (z.  B. kon­kre­te oder abst­rak­te Funk­ti­o­nen, tech­ni­sche Va­ri­an­ten, de­mo­gra­fi­sche, ak­ti­o­gra­fi­sche, ver­hal­tens­be­zo­ge­ne Cha­ rak­te­ri­sie­rung). So kommt die­ser An­satz zu un­zu­tref­fen­den Ab­gren­zun­gen (z.  B. Nass­ra­sie­rer und Tro­cken­ra­sie­rer als ge­trenn­te Re­le­van­te Märk­te). In­so­fern ist die­se wich­ti­ge Fra­ge bis heu­te lei­der un­ge­löst. Es kommt prak­tisch viel­mehr auf eine auf Er­fah­rung be­ru­hen­de (heu­ris­ti­sche) Ab­gren­zung an. 3.2.3

Strategische Gruppe

Aus die­ser Ab­gren­zung er­gibt sich das Kon­kur­renz­um­feld, mit dem man es zu tun hat. Da­bei stellt sich im Re­gel­fall he­raus, dass die­ses nicht ho­mo­gen struk­tu­riert ist, son­dern aus Grup­pen ei­nan­der ähn­li­che­rer Kon­kur­ren­ten bes­teht, die gleich­zei­tig ver­schie­den­ar­tig zu an­de­ren sind (in­ter­ne Ho­mo­ge­ni­tät bei ex­ ter­ner He­te­ro­ge­ni­tät). Eine sol­che An­bal­lung re­la­tiv gleich­ar­ti­ger Kon­kur­ren­ten stellt eine Stra­te­gi­sche Grup­pe (SGr / Re­le­van­ter Wett­be­werb) dar. Da­bei sind die Wett­be­werbs­be­zie­hun­gen zwi­schen den Kon­kur­ren­ten der sel­ben Stra­te­gi­ schen Grup­pe in­ten­si­ver als zu Kon­kur­ren­ten an­de­rer Stra­te­gi­scher Grup­pen in



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung83

          

    

    

Abb. 21: Optionen der Strategischen Gruppe

der sel­ben Are­na. Häu­fig gibt es so­gar ei­nen „Feind“ als Haupt­wett­be­wer­ber. Da­her ist es im nächs­ten Schritt er­for­der­lich, die Stra­te­gi­schen Grup­pen an ei­ nem Markt zu iden­ ti­ fi­ zie­ ren (z.  B. im Pkw-Markt deut­ sche, japa­ ni­ sche, west- / süd­eu­ro­pä­i­sche, ost­eu­ro­pä­i­sche, an­de­re fern­östli­che An­bie­ter je­weils in der Un­ter-, Mit­tel-, Ober- und Lu­xus­klas­se) und die ei­ge­ne Zu­ge­hö­rig­keit zu be­stim­men. Da­raus fol­gen, vom schwie­ri­gen ge­mein­sa­men Schutz der ei­ge­nen Grup­pe ab­ge­se­hen, drei stra­te­gi­sche Op­ti­o­nen (siehe Abb. 21). Erstens kann eine Dom­inanz in der bes­te­hen­den Stra­te­gi­sche Grup­pe an­ge­ strebt wer­den. Die­ser Ab­sicht liegt zu­grun­de, dass die Grup­pen­füh­rer­schaft zu re­la­ti­ver Wett­be­werbs­si­cher­heit führt, d.  h. im Ver­drän­gungs­fall, der ei­ner sehr häu­fi­gen Markt­re­a­li­tät ent­spricht, müs­sen nor­ma­ler­wei­se zu­nächst Fol­ger in der Grup­pe um ihre Exis­tenz fürch­ten, be­vor es den Grup­pen­anfüh­rer er­wischt. Die Markt­stel­lung wird prag­ma­tisch zu­meist am Um­satz ge­mes­sen (wo­bei mehr als zwei­fel­haft ist, ob dies eine ge­eig­ne­te Mess­grö­ße dar­stellt). Zwei­ tens kann ein Wech­sel in eine als güns­ti­ger an­ge­se­he­ne Stra­te­gi­sche Grup­pe an­ge­strebt wer­den. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Grup­pen­füh­rer­ schaft nicht re­a­lis­tisch er­scheint oder die Grup­pe durch struk­tu­rel­le Nach­tei­le be­droht ist. All­er­dings er­ge­ben sich bei ei­nem Wech­sel so­wohl Aus­tritts­bar­rie­ ren aus der bes­te­hen­den Grup­pe als auch Ein­tritts­bar­rie­ren in eine neue. Es gilt, bei­de zu über­win­den, sich also fak­tisch und wahr­neh­mungs­be­zo­gen von der al­ten Stra­te­gi­sche Grup­pe zu lö­sen und eben­so fak­tisch und wahr­neh­mungs­be­ zo­gen in der neu­en Grup­pe zu plat­zie­ren. Dies ist ein aus­ge­spro­chen schwie­ri­ ges Un­ter­fan­gen, zu­mal die Mit­be­wer­ber in der neu­en Grup­pe zu ver­hin­dern su­chen wer­den, dass ein sol­cher Ein­tritt ge­lingt. Denk­bar sind hier kol­lek­ti­ve Ak­ti­vi­tä­ten wie z. B. die Ab­wehr von Wal-Mart durch die deut­schen LEH-Filia­ listen. Aber auch die Lö­sung von der al­ten Grup­pe ist we­gen der Ima­ge­re­ma­ nenz bei Ziel­per­so­nen ein lang­wie­ri­ger Akt (z. B. Opel im Pkw-Markt).

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Drit­tens kann die Neu­grün­dung ei­ner Stra­te­gi­schen Grup­pe an­ge­strebt wer­ den. Dies ist dann op­por­tun, wenn die bes­te­hen­de Grup­pe als nicht trag­fä­hig ge­nug er­scheint und der Ein­tritt in eine an­de­re Grup­pe als nicht re­a­lis­tisch (z. B. IKEA, Star­bucks, Apple). All­er­dings ist eine sol­che Neu­grün­dung nur mög­lich, wenn es am Markt Be­rei­che gibt, für die zwar la­ten­te Nach­fra­ge bes­teht, die je­doch von bes­te­hen­den Grup­pen nicht ab­ge­deckt wird. Ob sich Nach­fra­ge für ein An­ge­bot, das es in die­ser Wei­se noch nicht gibt, aber in aus­rei­chen­dem Maße mo­ne­ta­ri­sie­ren lässt, ist spe­ku­la­tiv, so dass das Ri­si­ko hier sehr hoch ist. 3.2.4

Strategische Geschäftseinheit

Die Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ein­heit (SGE / Re­le­van­te Unit) hat im Un­ter­schied zu den bis­he­ri­gen Säu­len eine In­nen­sicht zum In­halt. Eine SGE wird all­ge­mein durch eine Pro­dukt-Markt-Kom­bi­na­ti­on konsti­tu­iert. Das An­ge­bot ei­nes Pro­ dukts auf ver­schie­de­nen Märk­ten konsti­tu­iert für ge­wöhn­lich meh­re­re SGEs, die Be­ar­bei­tung ei­nes Mark­tes mit meh­re­ren Pro­duk­ten eben­falls. Die Ein­tei­lung des Un­ter­neh­mens in Stra­te­gi­sche Ge­schäfts­ein­hei­ten kann mit der in­ter­nen Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on über­ein­stim­men, muss aber nicht (Se­kun­där­or­ga­ni­sa­ti­on). Es ist mög­lich, dass eine Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit aus zwei oder mehr SGEs bes­ teht, eben­so wie eine SGE aus zwei oder mehr Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten bes­te­hen kann (siehe Abb. 22). Kom­plex­itäts­re­du­zie­rend wirkt aber si­cher­lich eine Über­

Märkte 1 1

2

4

3

SGE SGE

Produkte

SGE 2 3

SGE SGE SGE

4

Abb. 22: Einteilungen der Strategischen Geschäftseinheit



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung85

ein­stim­mung zwi­schen Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on und Stra­te­gi­schen Ge­schäfts­ein­hei­ ten. Die SGEs sind die Steu­er­grö­ßen der Stra­te­gie. Stra­te­gi­sche Aus­sa­gen be­ zie­hen sich da­her im­mer auf die SGE, nur wenn ein Un­ter­neh­men nur eine Pro­dukt-Markt-Kom­bi­na­ti­on dar­stellt, konsti­tu­iert die­se aus­nahms­wei­se auch die Un­ter­neh­mens­stra­te­gie (z.  B. Ver­poor­ten). An­sons­ten ver­folgt ein Un­ter­neh­ men meh­re­re Stra­te­gi­en, weil jede SGE sich auf ei­nem an­de­ren Re­le­van­ten Markt be­fin­det oder ei­ner an­de­ren Stra­te­gi­schen Grup­pe an­ge­hört oder eine an­de­re Po­si­ti­on re­la­tiv zum Mit­be­werb und zur Ziel­grup­pe dort ein­nimmt. Dazu muss eine SGE meh­re­re An­for­de­run­gen er­fül­len: •• Sie muss von zeit­li­chem Be­stand und räum­li­cher Durch­gän­gig­keit ge­prägt sein. An­sons­ten ist kei­ne sta­bi­le Ab­gren­zung mög­lich. Beim Pro­dukt kann es sich auch um eine Grup­pe ver­wand­ter Pro­duk­te (An­ge­bots-Ran­ge, Nach­fra­geCa­te­go­ry) han­deln, die sich ähn­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen ge­gen­über se­hen. Beim Markt ist nicht nur an Ge­biets­märk­te zu den­ken, son­dern viel­mehr ge­ ra­de auch an Markt­seg­men­te. •• Sie muss ein­deu­tig zu­re­chen­ba­re Auf­wen­dun­gen und Er­lö­se auf­wei­sen. Dies er­for­der­t eine in­ter­ne Kos­ten- und Leis­tungs­rech­nung, wel­che die Er­folgs­ob­ jek­te ab­grenz­bar macht, etwa durch re­la­ti­ve Ein­zel­kos­ten­rech­nung. An­sons­ten ist kei­ne ef­fek­ti­ve Steu­e­rung der SGEs mög­lich. •• Sie muss von hin­rei­chen­der Be­deu­tung im Un­ter­neh­men und am Ge­samt­ markt sein, da­mit eine ge­trenn­te Steu­er­ung ef­fi­zi­ent ist. Denn mit der SGESteu­e­rung ist Res­sour­cenein­satz ver­bun­den, der durch die Er­geb­nis­se le­gi­ti­ miert wer­den muss. •• Sie muss über Steu­er­grö­ßen im Un­ter­neh­men dis­po­nie­ren, die eine ei­genstän­ di­ge Um­set­zung der Stra­te­gie er­mög­li­chen. Dazu ge­hört vor al­lem der von an­de­ren SGEs un­ab­hän­gi­ge Ein­satz des Vertriebsin­stru­men­ta­ri­ums. 3.3

Vertriebsstrategische Dimensionen

Im Rahmen der Vertriebsstrategie ist eine konsistente Konzeption zu entwickeln. Diese dient als langfristige Orientierung für Aktivitäten im Vertriebsmanagement. Dies ist sehr bedeutsam, da dem Vertrieb abschätzig nachgesagt wird, häufig aktionistisch zu agieren. Für den erforderlichen Rückhalt in der Organisation ist es zentral zu verdeutlichen, dass dem Handeln ein gut durchdachter, belastbarer Rahmenplan zugrunde liegt. 3.3.1

Bestimmung des Marktfelds

Innerhalb ei­nes markto­ri­en­tier­ten Stra­te­giean­sat­zes sind fünf Stell­grö­ßen für er­for­der­lich zu er­ach­ten, um eine kon­sis­ten­te Stra­te­gie zu ent­wi­ckeln. Es han­ delt sich da­bei um die Best­im­mung des Markt­felds, die Best­im­mung der Markt­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

wahl, die Best­im­mung des Kon­kur­renz­vor­teils, die Best­im­mung des Kon­kur­ renz­ver­hal­tens und die Best­im­mung des Kon­kur­renz­ti­mings. Das Markt­feld (Sour­ce of Po­ten­ti­al De­mand) baut auf der Schlie­ßung der Stra­te­gi­schen Lü­cke (Gap) zwi­schen dem Sta­tus quo und an­spruchs­vol­len Wachs­tums­zie­len auf. An­soff ana­ly­sier­te da­bei die Wachs­tums­mög­lich­kei­ten ei­nes Un­ter­neh­mens und lei­te­te die­se aus den Grö­ßen Pro­duk­te, die der­zeit oder zu­künf­tig vom Un­ter­neh­men an­ge­bo­ten wer­den und Märk­te, die der­zei­tig oder zu­künf­tig vom Un­ter­neh­men be­ar­bei­tet wer­den, ab. Da­raus er­ge­ben sich dann vier Op­ti­o­nen für mehr Wachs­tum: •• Pro­dukt-Markt-Durch­drin­gung als in­ten­si­ve­res An­ge­bot bes­te­hen­der Pro­duk­te auf bes­te­hen­den Märk­ten, •• Markt­aus­wei­tung als An­ge­bot bes­te­hen­der Pro­duk­te auf für das Un­ter­neh­men neu­en Märk­ten, •• Pro­dukt­er­wei­te­rung als Be­ar­bei­tung bes­te­hen­der Märk­te mit für das Un­ter­ neh­men neu­en Pro­duk­ten, •• Pro­dukt-Markt-Ent­wick­lung als An­ge­bot neu­er Pro­duk­te auf neu­en Märk­ten. Die­se Ab­fol­ge wird zu­gleich im Sin­ne auf­stei­gen­den Ri­si­kos emp­foh­len (gra­ fisch als Z-Stra­te­gie). Von Feld zu Feld er­gibt sich ge­dacht eine ex­po­nen­zi­el­le Er­hö­hung des Ri­si­kos, aus­ge­hend vom In­dex 100 bei der Markt­durch­drin­gung (Mar­ket Pe­ne­tra­ti­on) ge­schätzt über 400 bei Markt­aus­wei­tung (Mar­ket Ex­ten­ si­on), 800 bei Pro­dukt­er­wei­te­rung (Pro­duct De­ve­lop­ment) und 1.600 bei Di­ver­ si­fi­ka­ti­on. An der GAP-Ana­ly­se wird um­fang­rei­che Kri­tik fest­ge­macht (vor al­lem in Be­zug auf die Sta­tik). Den­noch kann die­se gut als Denk­hil­fe für kon­ kre­te Stra­te­gie­an­sät­ze zum Markt­feld die­nen. Für die Pro­dukt-Markt-Durch­drin­gung er­ge­ben sich im All­ge­mei­nen vier Op­ ti­o­nen (siehe Abb. 23): •• More Sel­ling be­deu­tet, dass von bes­te­hen­den Pro­duk­ten auf bes­te­hen­den Märk­ten mehr ab­ge­setzt wer­den soll. Dies kann ab­neh­mer­sei­tig durch ver­ stärkte Nach­fra­ge er­fol­gen oder an­bie­ter­sei­tig durch vor­zei­ti­ge Ver­al­te­rung (ge­brauchs­tech­nisch, so­zi­al, tech­ni­scher Fort­schritt etc.). •• Kun­den­lie­fe­ran­teil (Sha­re of Wal­let) zielt da­rauf ab, dass bes­te­hen­de Ab­neh­ mer in­ner­halb der bes­te­hen­den Pro­dukt­grup­pe ihre Kauf­kraft / ihr Bud­get auf ein An­ge­bot kon­zen­trie­ren statt zu split­ten. Dies ist durch­aus Markt­stan­dard, etwa im B-t-B-Sek­tor durch Sin­gle Sour­cing. •• Kun­den­ab­hän­gig­keit be­deu­tet die er­zwun­ge­ne Bin­dung von Nach­fra­gern an das Un­ter­neh­men (Kunden­ge­bun­den­heit aus tech­ni­scher, wirt­schaft­li­cher, ver­ trag­li­cher oder in­sti­tu­ti­o­nel­ler Bin­dung). Das Ein­ge­hen ei­ner sol­chen Ab­hän­ gig­keit ge­horcht dem An­reiz-Bei­trags-Prinzip. •• Kun­den­re­ak­ti­vie­rung postu­liert, dass in­ak­ti­ve Kun­den in ih­rem Be­darf ak­tu­a­ li­siert wer­den sol­len. Denn die Ak­qui­si­ti­on neu­er Kun­den ist un­gleich auf­



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung87

   

   

  

    

    

 

   

    

   

Abb. 23: Marktfeldoptionen

wän­di­ger als die Be­die­nung bes­te­hen­der. Ein Bei­spiel sind Mo­dell­ei­sen­bah­ nen als Hob­by für „wohl­ha­ben­de Rent­ner“. Für die Markt­aus­wei­tung er­ge­ben sich fol­gen­de vier Op­ti­o­nen: •• Kon­kur­renz­ver­drän­gung ist die nahe lie­ gends­ te Op­ ti­ on. Die Um­ sät­ ze der Wett­be­wer­ber stel­len da­bei die pri­mä­re Ab­satz­quel­le dar. All­er­dings ist dies zu­gleich auch das schwie­rigs­te Un­ter­fan­gen, da die Wett­be­wer­ber ihre Kun­ den zu schüt­zen ver­su­chen wer­den. •• Die Ver­triebs­ge­bietsaus­de­hnung meint die Be­die­nung räum­lich neu­er Märk­te. Ge­lingt es, dort zu re­üs­sie­ren, wach­sen die er­ziel­ten Um­sät­ze dem Un­ter­neh­ men zu. All­er­dings bes­te­hen dort auch frem­de, wahr­schein­lich wid­ri­ge Markt­ ver­hält­nis­se, die ei­nen Er­folg enorm er­schwe­ren kön­nen. •• Die Prä­senz­zeit­stre­ckung meint die Be­ die­ nung zeit­ lich neu­ er Märk­ te. Oft wer­den Pro­duk­te nur un­ter­jäh­rig an­ge­bo­ten, so dass durch zeit­li­che Aus­wei­ tung zu­sätz­li­cher Um­satz ge­schöpft wer­den kann. Die Gren­zen sind le­dig­lich Bran­chen­usan­cen und „Sche­ren im Kopf“. •• Beim Pro­dukt­wan­del wird ein fak­tisch weit­ge­hend un­ver­än­der­tes Pro­dukt wahr­neh­mungs­be­zo­gen neu er­leb­bar ge­macht. Da­durch kön­nen dann neue Ziel­grup­pen (per­so­nel­ler Markt) ak­ti­viert wer­den (z.  B. Jä­ger­meis­ter). Für die Pro­dukt­er­wei­te­rung er­ge­ben sich fol­gen­de Op­ti­o­nen: •• Up Sel­ling meint eine an­bie­ter- bzw. mar­ken­treue „Pro­dukt­kar­rie­re“. Nach­fra­ ger kau­fen da­durch nicht häu­fi­ger, son­dern wert­hal­ti­ger. Dies ent­spricht dem An­lie­gen nach au­ßen­ge­lei­te­tem Kon­sum bzw. in­nen­ge­lei­te­ter Be­loh­nung.

88

A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Cross Sel­ling be­deu­tet, dass Nach­fra­ger ne­ben den bes­te­hen­den Pro­duk­ten auch an­de­re, für sie sub­jek­tiv neue Pro­duk­te aus dem Pro­gramm des Her­stel­ lers kau­fen. Hilf­reich ist da­bei das be­reits an­ge­sam­mel­te Wis­sen über Denkund Ver­hal­tens­wei­sen die­ser Nach­fra­ger. •• Durch Zu­satz­ver­käu­fe ent­ste­hen wei­te­re Um­sät­ze ne­ben dem Pro­dukt (Zu­be­ hör) oder auch durch Bund­ling. In­so­fern kann die Kauf­kraft bes­ser aus­ge­ schöpft wer­den. Die Zu­satz­ver­käu­fe kön­nen zeit­gleich mit dem Haupt­kauf oder zeit­lich ver­setzt dazu er­fol­gen. •• Set-Al­ter­na­ti­ve zielt da­rauf ab, dass das ei­ge­ne Pro­dukt ne­ben an­de­ren zu den prä­fe­rier­ten des Evo­ked Set of Brands bei ei­ner mög­lichst gro­ßen Viel­zahl von Ziel­per­so­nen ge­hört und zu­min­dest im Wech­sel mit die­sen an­de­ren auch ge­kauft wird (z.  B. Claust­ha­ler). Für die Di­ver­si­fi­ka­ti­on (ge­nau­er: Pro­dukt-Markt-Ent­wick­lung) er­ge­ben sich schließ­lich fol­gen­de Op­ti­o­nen: •• Ganz sel­ten kommt es zur Markt­schaf­fung, also zum An­ge­bot ei­nes neu­en Pro­dukts auf ei­nem neu­en Markt, das nicht nur bes­te­hen­de Um­sät­ze substi­tu­ iert, son­dern zu­sätz­li­che Aus­ga­ben ini­ti­iert. Zu den­ken ist etwa an Post it-Zet­ tel / 3M, Sen­seo Por­ti­ons­kaf­fee­ma­schi­ne / Phi­lips oder Mo­bil­te­le­fon. •• Das Kom­ple­men­tär­an­ge­bot nutzt eine ei­ge­ne oder frem­de In­stal­la­ti­ons­ba­sis an Pro­duk­ten, um an de­ren Markt­er­folg zu par­ti­zi­pie­ren. Da­durch kön­nen Ini­ti­al­auf­wen­dun­gen ein­ge­spart wer­den (z.  B. iPho­ne-Zu­be­hör, Kap­sel­kaf­fee, Dru­cker­pat­ro­ne). •• Der Sys­tem­wech­sel schafft eine ge­ne­ri­sche Ar­gu­men­ta­ti­on, wenn es am Markt zwei oder mehr An­ge­bots­sys­te­me gibt, die un­ter­ei­nan­der in­kom­pa­ti­bel sind. Dann gilt es, zu­nächst eine Ent­schei­dung zu­guns­ten des ei­ge­nen Sys­tems zu er­rei­chen, weil da­nach erst der Nach­fra­ge­zu­gang zum ei­ge­nen An­ge­bot besteht (z.  B. Frucht­nek­tar vs. Li­mo­na­de als Obst­saftan­bie­ter). •• Die Prob­lem­we­ckung zielt da­rauf ab, bei Nach­fra­gern ein Prob­lem zu ge­ne­ rie­ren, das die­se für plau­si­bel und für sich auch re­le­vant hal­ten. So­fern der An­bie­ter für kom­pe­tent er­ach­tet wird, eine Prob­lem­lö­sung da­für her­bei­zu­füh­ ren, ge­lingt es, die Nach­fra­ge auf ihn zu­lau­fen zu las­sen. Für die Best­im­mung des Markt­felds ist eine die­ser Ab­satz­quel­len zu wäh­len. In der Stra­te­gie gilt es, ein­ein­deu­tig zu sein, in der spä­te­ren ope­ra­ti­ven Um­set­ zung kommt es oh­ne­hin zu ge­nü­gend prag­ma­ti­schen Ver­wäs­se­run­gen. Wäre aber schon die Stra­te­gie un­scharf, blie­be die Um­set­zung ohne jede Chan­ce auf Pro­fi­lie­rung und Dif­fe­ren­zie­rung. Die­se ers­te Wei­chen­stel­lung ist sehr be­deut­ sam, weil aus der Ab­satz­quel­len­wahl ganz un­ter­schied­li­che ope­ra­ti­ve Maß­nah­ men ab­fol­gen.



3.3.2

3.   Vertriebsstrategie und -modellierung89

Bestimmung der Marktwahl

Bei der Best­ im­ mung der Markt­ wahl geht es um die Ziel­ grup­ pe bzw. das Markt­seg­ment (Teil­men­ge der Nach­fra­ger­schaft), das die Kauf­kraft / das Bud­get, die / das im Markt­feld be­stimmt wor­den ist, ver­kör­pert. Denn Kauf­kraft ist nicht abst­rakt ge­ge­ben, son­dern an Ent­schei­der ge­bun­den. Dies gilt im pri­va­ten so­ wohl als auch im ge­werb­li­chen Be­reich. Dazu ist im­mer un­er­läss­lich, zu­nächst zu prü­ fen, ob Zu­ gang zu dem ge­ wähl­ ten Markt bes­ teht. Denn Märk­ te sind durch Markt­ein­tritts­bar­rie­ren ge­kenn­zeich­net, die es Au­ßen­ste­hen­den er­schwe­ ren, die Po­ten­zi­a­le im Markt zu nut­zen. Tat­säch­lich sind viel­fa­che Ein­tritts­ schran­ken ge­ge­ben, wenn­gleich die­se heu­te durch fi­nan­ziel­le Le­ve­ra­ge-Ef­fek­te ver­gleichs­wei­se gut zu über­win­den sind. Wie beim Ein­tritt wir­ken zahl­rei­che Schran­ken auch beim Aus­tritt hin­dernd. Hier ist fest­zu­stel­len, dass die Markt­ aus­tritts­bar­rie­ren all­ge­mein hoch und ma­ni­fest sind. In­so­fern ist für die Markt­ wahl vor­her zu prü­fen, ob im Miss­er­folgs­fall eine Por­ta­bi­li­tät der inve­s­tier­ten Ver­mö­gens­be­stand­tei­le bes­teht oder die­se im Markt ge­bun­den blei­ben (Exit). In Be­zug auf die Markt­ein­tritts­bar­rie­ren han­delt es sich vor al­lem um fol­ gen­de: •• Hohe er­for­der­li­che Min­dest­in­ves­ti­ti­ons­vo­lu­mi­na, um die Kri­ti­sche Mas­se im Markt zu er­rei­chen, •• Not­wen­dig­keit zur Nut­zung von Be­triebs­grö­ßen­vor­tei­len zur sta­ti­schen Kosten­de­gres­si­on, •• hohe er­for­der­li­che Pro­gramm­brei­te aus Grün­den ei­nes ab­neh­mer­ge­wünsch­ten Sin­gle Sour­cings, •• Not­wen­dig­keit zur Bre­chung von Käufer­loya­li­tät, vor al­lem in Form von Ge­ bun­den­hei­ten, •• un­ver­meid­li­che / pro­hi­bi­ti­ve Um­stel­lungs­kos­ten bei Lie­fe­ran­ten­wech­sel auf Sei­ten der Ab­neh­mer, •• ver­brei­te­te Stand­ort­li­mi­ta­ti­o­nen aus na­tür­li­chen oder ho­heit­li­chen Ge­sichts­ punk­ten, •• Vers­top­fung des Ver­triebs­ka­nal­zu­gangs bei ver­brei­te­tem in­di­rek­ten Ver­triebs­ weg, •• ho­heit­li­che Be­schrän­kun­gen des Markt­zu­gangs, etwa aus Stan­des­recht, Pro­ tek­ti­o­nis­mus etc., •• Mo­no­po­li­sie­rung durch Ge­werb­li­che Schutz­rech­te ohne Li­zenz­er­tei­lung durch den Schutz­rechts­hal­ter. Trotz zahl­rei­cher und ho­her Zu­gangs­schranken ist ein Schei­tern hier doch ver­meid­bar. Ge­fährlicher und oft nicht ge­nü­gend ge­wür­digt sind die Abgangsschranken Bei den Markt­aus­tritts­bar­rie­ren han­delt es sich vor al­lem um fol­ gen­de:

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Tech­ni­sche Rest­rik­ti­o­nen er­ge­ben sich aus in­kom­pa­tib­len oder ge­hei­men Schnitts­tel­len, •• wirt­schaft­li­che Rest­rik­ti­o­nen er­ge­ben sich aus ho­hen Kos­ten für eine Por­ta­bi­ li­tät von As­sets, •• re­ma­nen­te Kos­ten ent­ste­hen bei Be­schäf­ti­gungs­rück­gang durch blei­ben­de sprung­fi­xe Kos­ten, •• nach­fra­ge­mäch­ti­ge Ab­neh­mer si­chern die Lie­fe­ran­ten­prä­senz zu­dem durch Kon­ven­ti­o­nal­stra­fen ab, •• aus dem Ver­las­sen ei­nes Mark­tes schließt das ge­samt­wirt­schaft­li­che Um­feld häu­fig auf Un­ver­mö­gen (Image­scha­den), •• ge­sell­schaft­li­che Rest­rik­ti­o­nen le­ben von der Ver­pflich­tung des Un­ter­neh­mens für sein Um­feld, •• so­zi­a­le Rest­rik­ti­o­nen ent­ste­hen aus sei­ner Ver­pflich­tung ge­gen­über frei­zu­set­ zen­den Mit­ar­bei­tern, •• häu­fig sind So­zi­al­plä­ne ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben, um mensch­li­che Här­ten ab­zu­fan­gen, •• ge­ra­de bei in­ha­ber­ge­führ­ten Un­ter­neh­men bes­te­hen emo­ti­o­na­le Bin­dun­gen an ei­nen Markt. We­gen der ho­hen Be­deu­tung ist es un­be­dingt not­wen­dig, vor der Markt­wahl si­cher­zu­stel­len, dass die Ab­gangs­bar­rie­ren über­wun­den wer­den kön­nen. Aus der Kom­bi­na­ti­on von Markt­ein­tritts- und -aus­tritts­schran­ken, je­weils in der Aus­prä­ gung hoch oder nied­rig, er­ge­ben sich im Üb­ri­gen vier Markt­ty­pen: •• Floh­markt (nied­rig / nied­rig, z. B. Frei­be­ruf­ler), •• Mau­se­fal­le (nied­rig / hoch, z. B. Mo­de­han­del), •• Gold­gru­be (hoch / nied­rig, z. B. Öl­för­de­rung), •• Gol­de­ner Kä­fig (hoch / hoch, z. B. Le­bens­ver­sichung). Ist auf die­se Wei­se ein Markt­seg­ment / eine Ziel­grup­pe iden­ti­fi­ziert, stel­len sich die Fra­gen der Markt­be­ar­bei­tung und der Markt­ab­de­ckung. Wer­den ein­ zel­ne oder alle Markt­seg­men­te gleich­ar­tig be­ar­bei­tet, han­delt es sich um eine un­dif­fe­ren­zier­te Form, die heu­te kaum mehr mach­bar, son­dern nur his­to­risch ge­wach­sen ist. Wer­den ein­zel­ne oder alle Markt­seg­men­te un­ter­schied­lich be­ar­ bei­tet, han­delt es sich um eine dif­fe­ren­zier­te Form. Wer­den alle re­a­li­sier­ba­ren Markt­seg­men­te be­ar­bei­tet, han­delt es sich um eine to­ta­le Ab­de­ckung des (Re­ le­van­ten) Mark­tes. Wer­den nur ein­zel­ne Markt­seg­men­te be­ar­bei­tet, han­delt es sich um eine par­ti­el­le Ab­de­ckung (Markt­seg­men­tie­rung). Da­raus er­ge­ben sich dann acht Kom­bi­na­ti­o­nen (siehe Abb. 24):

Märkte

Abb. 24: Optionen der Marktwahl

differenziertmonoselektiv

Produkte Produkte

Produkte

Märkte

differenziertmultiselektiv

Produkte

Produkte

Produkte

einheitlich-total-markt

Märkte

differenziertpartiell-produkt

einheitlich-total-produkt

Produkte

Produkte

einheitlich-total

Märkte

differenziertpartiell-markt

differenziert-total-produkt

3.   Vertriebsstrategie und -modellierung91

Märkte

Märkte

Märkte

Märkte

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• ein­heit­li­che Be­ar­bei­tung bei to­ta­ler Ab­de­ckung (z.  B. Ni­vea, alle Kos­me­tik­ pro­duk­tar­ten), •• ein­heit­li­che Be­ar­bei­tung bei par­ti­el­ler Markt­ab­de­ckung (z.  B. Por­sche, nur Sport­wa­gen), •• ein­heit­li­che Be­ar­bei­tung bei par­ti­el­ler Pro­dukt­ab­de­ckung (z.  B. Bosch Po­wer Tools für Hand­wer­ker), •• dif­fe­ren­zier­te Be­arbeitung­ bei to­ta­ler Ab­de­ckung (z.  B. Volks­wa­gen, alle PkwKlas­sen), •• dif­fe­ren­zier­te Be­ar­bei­tung bei par­ti­el­ler Pro­dukt­ab­de­ckung (z.  B. Hen­kell Sekt mit meh­re­ren Mar­ken), •• differenzier­te Be­ar­bei­tung bei par­ti­el­ler Markt­ab­de­ckung (z.  B. Kär­cher Hoch­ druck­rei­ni­ger für Kon­su­men­ten), •• dif­fe­ren­zier­te Be­ar­bei­tung bei mul­ti­se­lek­ti­ver Markt­ab­de­ckung (z.  B. Fi­ scher / Kett­ler als Mehr­bran­chen­an­bie­ter), •• dif­fe­ren­zier­te Be­ar­bei­tung bei mo­no­se­lek­ti­ver Markt­ab­de­ckung (z.  B. Vichy, nur apo­the­ken­pflich­ti­ge Na­tur­kos­me­tik). Ei­nen an­de­ren An­satz ver­folgt das Kon­zept des Stra­te­gi­schen Spiel­bretts. Aus­ gangs­punkt ist die Tat­sa­che, dass auf den Märk­ten häu­fig nur noch we­ni­ge, ex­ trem leis­tungs­fä­hi­ge An­bie­ter vor­han­den sind. Die­se nach ei­nem Markt­ein­tritt zu über­tref­fen, ist da­her aus­ge­spro­chen an­spruchs­voll. Aber häu­fig sind die­se Märk­te durch un­ge­schrie­be­ne Ge­set­ze ge­kenn­zeich­net, an die sich alle Be­tei­lig­ ten hal­ten, weil sie es so ge­wohnt sind und es auch im­mer schon so war. Um ei­ nen An­satz­punkt zu er­hal­ten, lohnt es sich, die­se bes­te­hen­den Spiel­re­geln (Old Game) in Fra­ge zu stel­len und durch neue (New Game) zu er­set­zen. Da­durch kann häu­fig noch ein ent­schei­den­der Vor­sprung re­a­li­siert wer­den. Die­se neu­en Spiel­re­geln kön­nen auf dem Ge­samt­markt oder nur auf ei­nem Teil­markt an­ge­ wandt wer­den. In­so­fern er­ge­ben sich da­raus vier Kom­bi­na­ti­o­nen (siehe Abb. 25): •• Anwen­dung be­kann­ter Spiel­re­geln im Kern­markt als Set­zen auf Haupt­er­folgs­ fak­to­ren als „Platz­hirsch“ z.  B. Wal­mart, •• Anwen­dung be­kann­ter Spiel­re­geln in ei­nem neu­en Teil­markt als Seg­men­tie­ rung, z.  B. In­dex­fonds der Fi­nanz­dienst­leis­ter, •• Anwen­dung neu­er Spiel­re­geln in ei­nem be­kann­ten Teil­markt als In­no­va­ti­on, z.  B. Di­rect Ban­king, •• Anwen­dung neu­er Spiel­re­geln im Kern­markt als vollstän­di­ge Dif­fe­ren­zie­rung („Game Chan­ger“, z.  B. Ama­zon). Bei­ spie­ le für Neue Spie­ le sind UPS (24 h Par­ cel Ser­ vice), McDo­ nald’s (Schnell­gast­ro­no­mie), Body Shop (tier­ver­suchs­freie Na­tur­kos­me­tik), Avon (Kos­ me­tik im Door to Door Sel­ling) etc.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung93

   

    

  

  

 

  

  



 

Abb. 25: Strategisches Spielbrett

3.3.3

Bestimmung des Konkurrenzvorteils

Die Best­im­mung des Kon­kur­renz­vor­teils be­ant­wor­tet die wich­ti­ge Fra­ge, war­um die so de­fi­nier­te Kauf­kraft das ei­ge­ne An­ge­bot ge­gen­über dem kon­kur­ rie­ren­der an­de­rer be­vor­zu­gen soll. Dazu gibt es meh­re­re, auf­ei­nan­der auf­bau­ en­de Er­klä­run­gen (siehe Abb. 26). Der Zwei-Fel­der-An­satz (Por­ter) geht von ei­nem sta­bi­len Zu­sam­men­hang zwi­schen Ge­samt­ka­pi­tal­ren­ta­bi­li­tät (RoI) ei­ner­seits und re­la­ti­vem Markt­an­teil an­der­erseits der­art aus, dass die­ser U-för­mig aus­ge­bil­det ist. Das be­deu­tet, die Ren­ta­bi­li­tät ist hoch bei klei­nem re­la­ti­ven Markt­an­teil (Markt­ni­schen­po­si­ti­on) und gro­ßem re­la­ti­ven Markt­an­teil (Markt­ge­samt­po­si­ti­on). Und nied­rig bei ei­ nem mitt­le­ren re­la­ti­ven Markt­an­teil (Markt­mit­läu­fer). Man spricht auch von der Markt­sti­mu­lie­rung (Be­cker) durch Prä­fe­renz­po­si­ti­on (Leis­tungs­füh­rer­schaft) oder Preis-Men­gen-Po­si­ti­on (Preis­füh­rer­schaft): •• Die Prä­fe­renz­po­si­ti­on wird durch fol­gen­de Maß­nah­men er­reicht und ge­fes­ tigt: Be­to­nung von Mar­ke, Ge­winn­pri­o­ri­tät vor Ab­satz, Hoch­preis­level im An­ge­bot, Schaf­fung ei­nes mo­no­po­lis­ti­schen Preis­spiel­raums, hohe Pro­dukt­ qua­li­tät, at­trak­ti­ve Pa­ckung, ima­ge­bil­den­de Wer­bung, se­lek­ti­ve Dis­tri­bu­ti­on. •• Die Preis-Men­gen­po­si­ti­on wird hin­ge­gen durch fol­gen­de Maß­nah­men er­ reicht: Ak­zent auf Preis­wett­be­werb, Um­satz- / Ab­satz­pri­o­ri­tät vor Ge­winn, hohe ab­so­lu­te Preis­güns­tig­keit, Ra­ti­o­na­li­sie­rung zur Kos­ten­ein­spa­rung, Grund­nut­zen­ar­gu­men­ta­ti­on im Ver­kauf, Ein­spa­rung von Pro­fi­lie­rungs­maß­nah­ men, Ak­zep­tanz ho­her Ri­si­ken, brei­te Dis­tri­bu­ti­on.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

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Abb. 26: Optionen des Konkurrenzvorteils

Un­ter­neh­men, die sich in der Ver­drän­gung der Mit­te be­fin­den (Stuck in the Midd­le / Zwi­schen den Stüh­len), be­nö­ti­gen ent­we­der ein Up­sca­ling zur Er­rei­ chung der Prä­fe­renz­po­si­ti­on, ver­bun­den mit klei­ne­rem, da­für aber ge­winn­träch­ ti­gem Markt­po­ten­zi­al, oder ein Down­scaling zur Er­rei­chung der Preis-Men­genPo­si­ti­on, ver­bun­den mit brei­ter Markt­ab­de­ckung bei schma­len Mar­gen. Der Drei-Fel­der-An­satz (Por­ter) be­rück­sich­tigt die­se Markt­ab­de­ckung als Ge­ samt­markt oder Teil­markt ex­pli­zit und kommt so­mit zu drei Er­folgs­po­si­ti­o­nen:



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung95

•• Ers­tens eine Prä­fe­renz­po­si­ti­on nicht nur in ei­ner Markt­ni­sche, son­dern auf dem Ge­samt­markt. Dies ent­spricht der Dif­fe­ren­zie­rung. •• Zwei­tens eine Preis-Men­gen­po­si­ti­on auf dem Ge­samt­markt (s.  o.). Dies ent­ spricht ei­ner Kos­ten­füh­rer­schaft mit Wei­ter­ga­be im Preis. •• Drit­tens eine Kon­zen­tra­ti­on in ei­nem Teil­markt. Dies ent­spricht der Fo­kus­sie­ rung auf Leis­tung bzw. Kosten. Die pa­ral­le­le Er­folgs­träch­tig­keit von Prä­fe­renz- und Preis-Men­gen­po­si­ti­on ist da­durch er­klär­bar, dass es die­sel­ben Ent­schei­der sind, die in bei­den Po­si­ti­o­nen kau­fen. Nur kau­fen sie dort un­ter­schied­li­che Pro­duk­te. In der Prä­fe­renz­po­si­ti­on ent­ste­hen hoch in­vol­vie­ren­de Käu­fe, in der Preis-Men­gen­po­si­ti­on ge­ring in­vol­ vie­ren­de. Die Fi­nanz­mit­tel, die durch ab­so­lu­te Preis­güns­tig­keit ein­ge­spart wer­ den kön­ nen, wer­ den nicht dem Markt ent­ zo­ gen, son­ dern für Aus­ ga­ ben im sub­jek­tiv und emo­ti­o­nal wich­ti­gen an­de­ren Be­reich ge­nutzt. An­bie­ter da­zwi­ schen sind we­der preis­güns­tig ge­nug als dass sie mit Low Cost-An­bie­tern mit­ hal­ten könn­ten, noch sind sie image­stark ge­nug, als dass sie eine Al­ter­na­ti­ve zu Pre­mi­um-An­bie­tern dar­stel­len könn­ten. Sie wer­den folg­lich vom Markt ver­ drängt. Der Vier-Fel­der-An­satz stellt eine Er­wei­te­rung der Fo­kus­sie­rung dar, in­dem die­se de­zi­diert auf die Op­ti­on der Leis­tung oder die des Prei­ses ab­zielt. Da­her er­ge­ben sich vier Op­ti­o­nen (Mef­fert): •• Die um­fas­sen­de Kos­ten­füh­rer­schaft be­deu­tet eine Preis-Men­gen­po­si­ti­on im Ge­samt­markt. Maß­nah­men sind hier die Er­rei­chung ei­nes ho­hen Markt­an­teils, eine stren­ge Auf­wands­kon­trol­le, die Nut­zung al­ler Kos­ten­senkungs­mög­lich­ kei­ten, ein durch­gän­gi­ges Cash-Ma­na­ge­ment und der Ein­satz von Ver­fah­rens­ in­no­va­ti­o­nen bzw. -ver­bes­se­run­gen. •• Die um­fas­sen­de Leis­tungs­füh­rer­schaft (Dif­fe­ren­zie­rung) be­deu­tet eine Prä­fe­ renz­po­si­ti­on im Ge­samt­markt. Maß­nah­men sind hier kun­de­no­ri­en­tier­te In­no­ va­ti­o­nen bzw. Qua­li­täts­stei­ge­run­gen, Markt­prei­se auf Pre­mi­um­ni­veau, Be­ triebs­kos­ten, die vor­wie­gend am Kun­den­nut­zen be­mes­sen sind und ins­ge­samt dif­fe­ren­zie­rungs­fördernde ­In­ves­ti­ti­o­nen. •• Die kon­zen­trier­te Leis­tungs­füh­rer­schaft (Leis­tungs­fo­kus­sie­rung) be­deu­tet die Prä­fe­renz­po­si­ti­on in ei­nem Teil­markt. Maß­nah­men sind hier vor al­lem die Ab­wand­lung des An­ge­bots und eine kon­stant hohe Pro­dukt­qua­li­tät. •• Die kon­zen­trier­te Kos­ten­füh­rer­schaft (Preis­fo­kus­sie­rung) be­deu­tet die PreisMen­gen­po­si­ti­on in ei­nem Teil­markt. Maß­nah­men sind hier vor al­lem die Zie­lung auf aus­ge­wähl­te Markt­seg­men­te und die Nut­zung von Er­fah­rungs­kur­ venef­fek­ten. Für die Kos­ten­füh­rer­schaft ist die Nut­zung von Grö­ßen­ef­fek­ten Vo­raus­set­ zung. Da­bei kön­nen zwei Ef­fek­tar­ten un­ter­schie­den wer­den. Sta­ti­sche Grö­ßen­ ef­fek­te (Sa­vings) ent­ste­hen au­to­ma­tisch, also ohne dass man sie be­wusst an­stre­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

ben muss, in­dem sich die Fix­kos­ten mit stei­gen­der Stück­zahl im­mer güns­ti­ger pro Ein­heit um­le­gen (Bü­cher’sches Ge­setz / k = (Kf : x) + kv. Die­ser Ef­fekt ist seit lan­gem be­kannt und be­ruht auf zwei Grün­den: •• Bei stei­gen­dem Ge­schäfts­um­fang ist eine bes­se­re Ab­stim­mung der nicht-pro­ duk­ti­ven Ka­pa­zi­tä­ten bei mehrstu­fi­ger Wert­schöp­fung mög­lich (Be­triebs­grö­ ßenef­fekt). •• Die ad­mi­nist­ra­ti­ven Kos­ten (Over­heads) ver­tei­len sich bes­ser auf eine stei­ gen­de Pro­dukt­zahl, so­fern eine Kri­ti­sche Mas­se er­reicht ist. Dy­na­mi­sche Grö­ßen­ef­fek­te (Eco­no­mies of Sca­le) sind neu­e­ren Da­tums (Boston-Ef­fekt) und be­sa­gen, dass zu­sätz­lich zu den sta­tisch oh­ne­hin sin­ken­den Fix­kos­ten pro Stück auch die va­ri­ab­len Kos­ten bei je­der Aus­brin­gungs­men­gen­ ver­dopp­lung seit Pro­duk­ti­ons­be­ginn be­zo­gen auf den ei­ge­nen Wert­schöp­fungs­ an­teil (Fer­ti­gungs­tie­fe) und in­fla­ti­ons­be­rei­nigt sin­ken, ins­ge­samt um po­ten­zi­ell 20–30  %. All­er­dings tritt die­se De­gres­si­on nicht au­to­ma­tisch ein, son­dern muss durch Ma­na­ge­ment­maß­nah­men ge­zielt her­bei­ge­führt wer­den. Da­für wer­den vier As­pek­te an­ge­führt: •• Die früh­zei­ti­ge Nut­zung tech­ni­schen Fort­schritts er­mög­licht bald ein nied­ri­ ge­res Kos­ten­ni­veau. Zwar lie­gen zu Be­ginn die Kos­ten ei­ner neu­en Tech­nik noch hö­her als die der ein­ge­fah­re­nen al­ten, schnell kann je­doch eine sig­ni­fi­ kan­te Ver­bes­se­rung er­reicht wer­den (S-Kur­ven-Ef­fekt). •• Im Zeit­ablauf wächst die Ex­per­ti­se in der Um­set­zung ei­ner Auf­ga­be. Die­se kann dazu in im­mer we­ni­ger Zeit mit im­mer hö­he­rer Qua­li­tät re­a­li­siert wer­ den. In­so­fern kommt es zu Er­fah­rungs- und Lern­ef­fek­ten. •• Durch die mehr­fa­che Nut­zung von Wis­sen im Un­ter­neh­men ent­ste­hen Ver­ bund­ef­fek­te (Eco­no­mies of Scope), d.  h., Er­fah­rung aus ei­nem Be­reich kann in ei­nem an­de­ren Be­reich an­ge­wen­det wer­den und ver­bes­sert da­durch die Kos­ten­po­si­ti­on (Sy­ner­gieef­fek­te). •• Die Ra­ti­o­na­li­sie­rung be­trifft die Be­rei­che au­ßer­halb der ei­ge­nen Wert­schöp­ fung, vor al­lem in der Be­schaf­fung durch Ra­bat­te und Nach­fra­ge­macht so­wie in den nicht-pro­duk­ti­ven, ad­mi­nist­ra­ti­ven Be­rei­chen. Bei dy­na­mi­schen Grö­ßen­ef­fek­ten ist viel­fa­che Kri­tik ge­ge­ben. Die­se be­ruht im Ein­zel­nen auf den Da­ten­grund­la­gen, der Un­ter­su­chungs­me­tho­dik und den Stra­te­gie­emp­feh­lun­gen. Vor al­lem ist aber der Ver­dacht der Tau­to­lo­gie zu nen­ nen. 3.3.4

Bestimmung des Konkurrenzverhaltens

Die Best­im­mung des Kon­kur­renz­ver­hal­tens legt die Mit­be­werb­sein­stel­lung und den Füh­rungs­an­spruch des Un­ter­neh­mens fest. Die Mit­be­werb­sein­stel­lung kann au­to­nom, also auf Un­ab­hän­gig­keit, oder ab­hän­gig (kon­jek­tural), also auf



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung97

  

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Abb. 27: Optionen des Konkurrenzverhaltens

An­pas­sung, aus­ge­rich­tet sein. Der Füh­rungs­an­spruch kann ge­ge­ben oder nicht ge­ge­ben sein. Ent­spre­chend er­gibt sich eine Ma­trix mit vier Kom­bi­na­ti­o­nen (siehe Abb. 27). Bei Un­ab­hän­gig­keit und Füh­rungs­an­spruch liegt das Ver­hal­ten ei­nes An­füh­ rers vor. Da­raus fol­gen er­heb­li­che Chan­cen wie Preis­füh­rer­schaft, Kom­pe­tenz­ vor­sprung in der Öf­fent­lich­keit, Markt­macht und Be­ein­flus­sung der Ge­samt­ markt­ent­wick­lung. All­er­dings gibt es auch er­heb­li­che Ri­si­ken wie gra­vie­ren­de Pro­dukt­ent­täu­schung, An­ker öf­fent­li­cher Kri­tik (Wett­be­werbs­recht), In­fle­xi­bi­li­ tät durch pure Grö­ße, In­no­va­ti­ons­hem­mung (Old Game) und Be­güns­ti­gung von Markt­ni­schen. Bei Ab­hän­gig­keit und Füh­rungs­an­spruch liegt das Ver­hal­ten des He­raus­for­ de­rers vor. Er ver­sucht, die Markt­füh­rer­schaft an sich zu rei­ßen. Dazu muss er aber zu­erst am Markt­füh­rer vor­bei. Da­für er­ge­ben sich meh­re­re Tak­ti­ken, die zu­meist in Ana­lo­gie zu Kriegs­tak­ti­ken ge­se­hen wer­den. Es han­delt sich um fol­gen­de: •• Fron­tal­an­griff als di­rek­te Kon­fron­ta­ti­on mit dem An­füh­rer, •• Flan­ken­an­griff auf eine ver­mu­te­te Schwach­stel­le dort, •• Gue­ril­la­an­griff mit Über­ra­schungs­mo­ment, •• Um­zin­ge­lungsan­griff als Ein­kes­seln, •• Vor­bei­an­griff auf ei­nem an­de­ren als dem be­trach­te­ten Markt. Bei­ spie­ le sind Pep­ si vs. Coke, Creme 21 vs. Ni­ vea, Sam­ sung vs. No­ kia. Den­noch gibt es ver­gleichs­wei­se we­ni­ge Bei­spie­le für He­raus­for­de­rer, die Markt­füh­rer über­tref­fen konn­ten (z. B. IBM vs. Nix­dorf, Sixt vs. Eu­ro­pcar).

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Bei Ab­hän­gig­keit und feh­len­dem Füh­rungs­an­spruch liegt das Ver­hal­ten des Mit­läu­fers vor. Er be­fin­det sich in ei­ner Ver­tei­di­gungs­po­si­ti­on, da er von stän­ di­ger Ver­drän­gung be­droht ist. Für ihn er­ge­ben sich fol­gen­de Tak­ti­ken: •• Po­si­ti­ons­ver­tei­di­gung, Flan­ken­si­che­rung ge­gen mög­li­che An­grif­fe, Prä­ven­tiv­ schlag zur „Vor­beu­gung“, Ge­gen­of­fen­si­ve nach ei­ner At­ta­cke, Stra­te­gi­scher Rück­zug zur Ver­mei­dung un­nö­ti­ger Ver­lus­te, be­weg­li­che Ver­tei­di­gung, um kein fes­tes Ziel ab­zu­ge­ben und kon­trol­lier­te Neu­auf­stel­lung. Der Mit­läu­fer ist be­müht, An­füh­rer und He­raus­for­de­rer nicht aus der Re­ser­ve zu lo­cken, son­dern in de­ren Wind­schat­ten zu ko­e­xis­tie­ren. Bei Un­ab­hän­gig­keit und feh­len­dem Füh­rungs­an­spruch liegt das Ver­hal­ten des Seg­men­tie­rers vor. Dies war frü­her eine durch­aus luk­ra­ti­ve Op­ti­on, wa­ren die­se Markt­ni­schen doch zu klein, um für gro­ße An­bie­ter am Markt in­te­res­sant zu sein. Zu­mal sie häu­fig auch rein ob­jek­tiv nicht in der Lage wa­ren, die­se Ni­ schen zu be­die­nen. Das hat sich je­doch er­heb­lich ge­än­dert, heu­te wer­den selb­st klei­ne Markt­ni­schen als at­trak­tiv an­ge­se­hen, und durch mo­der­ne Pro­duk­ti­ons­ kon­zep­te (Mass Cus­to­miza­ti­on) sind selbst gro­ße An­bie­ter in der Lage, auch klei­ne Markt­po­ten­zi­a­le ren­ta­bel zu be­ar­bei­ten. In­so­fern han­delt es sich um eine sehr ri­si­ko­rei­che Po­si­ti­on (z.  B. Loe­we Opta bei LED-Dis­plays). Nach dem Struc­tu­re-Con­duct-Per­for­man­ce-An­satz ist auf Dau­er nur eine Ver­ hal­tens­wei­se er­folg­reich, die der Markt­po­si­ti­on ent­spricht. Das heißt, Ver­hal­ten und Struk­tur soll­ten an­ge­passt sein. Hin­sicht­lich der Er­geb­nis­se wer­den in Deutsch­land sog. wei­te Oli­go­po­le prä­fe­riert, als Kom­pro­miss zwi­schen en­gen Oli­go­po­len und Po­ly­po­len. 3.3.5

Bestimmung des Konkurrenztimings

Die Best­im­mung der Zeit­ab­fol­ge schließ­lich hebt auf die In­no­va­ti­ons­nei­gung von An­bie­tern ab. Da­bei ist die Al­ter­na­ti­ve des Vors­to­ßes eben­so denk­bar wie die der Ver­fol­gung. Dies kann je­weils durch In­no­va­ti­on oder Nach­ah­mung er­ fol­gen. ent­spre­chend er­ge­ben sich vier Kom­bi­na­ti­o­nen (siehe Abb. 28). Bei Vors­toß durch In­no­va­ti­on han­delt es sich um ei­nen Pi­o­nier. Lan­ge Zeit galt dies als Er­folgs­prin­zip we­gen der First Mo­ver Advan­ta­ge, ei­nes ein­ge­bau­ ten Zeit­vor­teils, der prak­tisch nicht mehr auf­hol­bar ist. Dies hat sich heu­te je­ doch re­la­ti­viert. Der In­no­va­ti­ons­füh­rer kann zwar ei­nen De fac­to-Stan­dard am Markt etab­lie­ren, er kann Ab­schöp­fungs­prei­se dar­stel­len, hat ei­nen Er­fah­rungs­ vor­sprung auf der Zeit­ach­se und ge­nießt ei­nen Image-Good­will in der Öf­fent­ lich­keit. All­er­dings hat er auch die größ­te Er­folgs­un­si­cher­heit, muss hohe Markt­er­schlie­ßungs­kos­ten tra­gen („Inf­ra­struk­tur“), ho­hen FuE-Auf­wand be­trei­ ben und lei­det un­ter Image­schä­den bei wohl un­ver­meid­li­chen „Kin­der­krank­hei­ ten“ der Neu­e­run­gen. Au­ßer­dem ist frag­lich, ob ein la­ten­ter Be­darf wie ver­mu­ tet über­haupt vor­han­den ist.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung99

  





 





  

  



Abb. 28: Optionen des Konkurrenztimings

Bei Ver­fol­gung durch In­no­va­ti­on han­delt es sich um ei­nen Frü­hen Fol­ger. Er trägt ein ge­rin­ge­res Ri­si­ko als der Pi­o­nier, kann ei­nen Al­ter­na­tiv­stan­dard zu die­sem etab­lie­ren und sieht sich im Zweifel stark stei­gen­dem Markt­wachs­tum ge­gen­über, bei dem noch nicht alle Markt­po­si­ti­o­nen ver­ge­ben sind. All­er­dings be­darf es der Über­win­dung von Markt­ein­tritts­bar­rie­ren des Pi­o­niers, ei­ner Strategieaus­rich­tung an die­sem und ei­ner schnel­len Re­ak­ti­on, um nicht in eine „Zeit­fal­le“ zu ge­ra­ten, denn ein spä­ter Markt­einstieg mit kür­ze­rer Markt­prä­senz er­laubt kei­nen an­ge­mes­se­nen RoI mehr. Bei Vors­toß durch Nach­ah­mung han­delt es sich um ei­nen Mo­di­fi­ka­tor. Er muss ein dif­fe­ren­zier­tes An­ge­bot ma­chen, da er sich Zeit­nach­tei­len ge­gen­über sieht. Da­bei ist die Be­set­zung von Markt­ni­schen mög­lich, es ent­ste­hen ge­rin­ ge­re FuE-Kos­ten, das Ri­si­ko ist ver­gleichs­wei­se ge­rin­ger und ei­nem Preis­ver­fall kann noch zu­vor­ge­kom­men wer­den. All­er­dings sind erst die Markt­ein­tritts­bar­ rie­ren der etab­lier­ten An­bie­ter zu über­win­den, es sind Zu­satz­nut­zen er­for­der­ lich, die oft er­klä­rungs­be­dürf­tig sind (Nice to have) und im Er­folgs­fall wer­den an­de­re An­bie­ter an­ge­lockt. Bei Ver­ fol­ gung und Nach­ ah­ mung han­ delt es sich um ei­ nen Ko­pis­ten. Er schöpft den Markt bei fort­ge­schrit­te­nem Le­bens­zy­klus mit nied­ri­gen Prei­sen ab. Dies ist mög­lich durch ge­rin­ge­re FuE-Auf­wen­dun­gen, Zu­kauf von Know-how über Fi­nanz­kraft, li­mi­tier­tes Ri­si­ko und Nut­zung etab­lier­ter Stan­dards. All­er­ dings ist ein Auf­bre­chen der Ge­schäfts­be­zie­hun­gen er­for­der­lich, ei­ge­nes Knowhow kann so kaum auf­ge­baut wer­den und es ent­ste­hen Imagenach­tei­le in der Öf­fent­lich­keit. Zu­dem be­droht die „Zeit­fal­le“ den Er­folg (Re­la­ti­on von Af­ter Mar­ket-Pha­se zu Pre Mar­ket-Pha­se).

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A. Vertriebskonzept und Controlling

        

           

     

 

Abb. 29: Schema des Outpacing-Konzepts

Die­se Sicht­wei­se der Zeit­ab­fol­ge ist je­doch sta­tisch. Da­her hat es Be­mü­hun­ gen ge­ge­ben, sie zu dy­na­mi­sie­ren. Dies er­folgt durch das Out­pacing-Kon­zept (Gil­bert / Stre­bel). Da­bei wird an­ge­nom­men, dass Neu­e­run­gen am Markt mit ei­nem ge­rin­gen wahr­ge­nom­me­nen Pro­dukt­wert und ho­hen ef­fek­ti­ven Pro­zess­ kos­ten star­ten. Dies ist kei­ne er­folg­ver­spre­chen­de Kom­bi­na­ti­on. Ziel ist viel­ mehr ein ho­her wahr­ge­nom­me­ner Pro­dukt­wert bei nied­ri­gen ef­fek­ti­ven Pro­zess­ kos­ten. Frag­lich ist, wie der Weg vom Start zum Ziel am schnells­ten zu­rück­ge­ legt wer­den kann, wo­bei ein Über­ho­len des Wett­be­werbs er­for­der­lich ist. Dazu stel­len sich im Grund­satz fol­gen­de Al­ter­na­ti­ven (siehe Abb. 29): •• Das prä­ven­ti­ve Out­ pacing strebt an, zu­ nächst eine Kos­ ten­ füh­ rer­ schaft bei nied­ri­gem ak­zep­tier­ten Pro­dukt­wert durch Kos­ten­sen­kung zu er­rei­chen und da­nach bei un­ver­än­der­tem Preis­vor­teil ei­nen Qua­li­täts­vor­teil zu er­lan­gen. Prob­lem­atisch ist da­bei die Fal­le des nied­ri­gen Pro­dukt­werts zu be­ach­ten, wel­che die Er­rei­chung ei­ner ho­hen Qua­li­täts­an­mu­tung be­hin­dert, weil hohe Ima­ge­re­ma­nenz vor­herrscht. •• Das pro­ak­ti­ve Out­pacing strebt an, zu­nächst eine Leis­tungs­füh­rer­schaft bei ho­hem wahr­ge­nom­me­nen Pro­dukt­wert durch Qua­li­täts­vor­teil zu er­rei­chen und da­nach bei un­ver­än­der­ter Qua­li­tät ei­nen Preis­vor­teil zu er­lan­gen. Problematisch ist da­bei die Fal­le des ho­hem Prei­ses, der Märk­te li­mi­tiert und bei späte­ ren Preis­sen­kun­gen Qua­li­täts­min­de­rung na­helegt. Glei­ches gilt für ein OverEn­gi­nee­ring. Da der Stra­te­gie­fo­kus im Zeit­ablauf wech­selt, spricht man von ei­ner hy­bri­den (suk­zes­siv ge­bro­che­nen) Stra­te­gie. Un­taug­lich ist hingegen eine un­ent­schie­de­ne Stra­te­gie, da die­se in der „Mit­te“ des Mark­tes un­ter­geht.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung101

Das Hy­per Com­pe­ti­ti­on-Kon­zept er­wei­tert die­sen Ge­dan­ken und sieht meh­ re­re Sta­di­en im Out­pacing vor. Die dar­ge­stell­te Kon­kur­renz um Kos­ten- bzw. Leis­tungs­vor­tei­le stellt da­bei nur den ers­ten Fra­me dar. Un­ter­neh­men, die hier nicht mit­hal­ten kön­nen, schei­den im Fol­gen­den aus. Wer als Ers­ter in der Ziel­ po­si­ti­on an­kommt, kann hin­ge­gen mit Vor­sprung in die zwei­te Run­de star­ten, in der es um Zeit- bzw. Wis­sens­vor­tei­le geht. In der drit­ten Run­de geht es um eine ein­zig­ar­ti­ge Markt­po­si­ti­on (ei­nen An­halts­punkt da­für gibt das Kon­zept der „Blue Oce­ans“ als Po­si­ti­o­nie­rung in „Un­con­tes­ted Mar­kets“ / Kim-Mau­borg­ne). Und in der vier­ten Run­de geht es um den fi­nan­ziel­len Spiel­raum, d. h. die Fi­ nanz­kraft als gro­ßen „Gleich­ma­cher“. 3.4

Strategiebewertung

Für jede der ge­nann­ten Be­stim­mungs­grö­ßen ist je­weils eine prä­fe­rier­te Op­ ti­on zu wäh­len, also für das Markt­feld, die Markt­wahl, den Kon­kur­renz­vor­teil, das Kon­kur­renz­ver­hal­ten und die Zeit­ab­fol­ge. Führt man die fünf Fak­to­ren und ihre je­wei­li­gen Aus­prä­gun­gen dazu gra­fisch in Fel­dern un­ter­ei­nan­der auf, kön­ nen die prä­fe­rier­ten Op­ti­o­nen mit­ei­nan­der ver­bun­den wer­den, so dass ein op­ti­ sches Stra­te­gie­pro­fil ent­steht. Die­ses kann dann im Quer­schnitt­sver­gleich mit an­de­ren SGEs oder Wett­be­wer­bern kon­tras­tiert wer­den oder im Längs­schnitt­ ver­gleich mit frü­he­ren ei­ge­nen Pro­fi­len. Dies er­mög­licht eine gute Kom­mu­ni­ ka­ti­ons­fä­hig­keit der Er­geb­nis­se, die für die Um­set­zung be­deut­sam ist. Wahr­schein­lich gibt es aber nicht nur ein prä­fe­rier­tes Stra­te­gie­pro­fil, son­dern zwei oder mehr ne­ben­ei­nan­der. Dann stellt sich Fra­ge nach der ver­glei­chen­den Be­wer­tung die­ser Op­ti­o­nen. Da­für ste­ht eine Rei­he von Ver­fah­ren zur Ver­fü­ gung. Bei der Dom­inanz­prü­fung wer­den die Stra­te­gie­pro­fi­le nach zwei Kri­te­ri­en in Be­zug auf ihre je­wei­li­ge Über­le­gen­heit gra­fisch mit­ei­nan­der be­wer­tet (Paar­ver­ gleich). Bei mehr als zwei Stra­te­gie­op­ti­o­nen wer­den fort­ge­setz­te Paar­ver­glei­che vor­ge­nom­men. Die Op­ti­on mit den meis­ten Vor­zugs­ur­tei­len ist die bes­te. Al­ter­na­tiv dazu ist eine Cross Im­pact-Prü­fung mög­lich, bei wel­cher der Ver­ gleich meh­re­rer Op­ti­o­nen rech­ne­risch er­folgt. Da­bei wird der Ein­fluss von wahr­schein­lich­keits­ba­sier­ten, po­si­ti­ven wie ne­ga­ti­ven Er­eig­nis­sen auf die un­ terstell­ten Er­geb­nis­se der Stra­te­gie­op­ti­o­nen ana­ly­siert. Es ist die Op­ti­on zu prä­fe­rie­ren, wel­che die ge­rings­te Sen­si­ti­vi­tät (An­fäl­lig­keit) auf die­se Er­eig­nis­se auf­weist. So­fern es sich um quan­ti­ta­ti­ve Wer­te han­delt, kann ein Punkt­be­wer­tungs­ver­ fah­ren (Sco­ring) zu­grun­de ge­legt wer­den (Sco­ring). Die Wer­te be­fin­den sich dazu be­reits auf me­tri­schem (ra­ti­os­ka­lier­ten) Ni­veau. Die Op­ti­on mit dem höchs­ten Punkt­wert ist die zu prä­fe­rie­ren­de. Un­ter­stellt wer­den Voll­stän­dig­keit, Re­dundanz­frei­heit, Gleich­ge­wich­tig­keit, Ob­jek­ti­vi­tät etc. der Kri­te­ri­en.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Hand­elt es sich um qua­li­ta­ti­ve Wer­te, sind die­se zu­nächst in ei­ner Nutz­ wertana­ly­se (Va­lue Be­ne­fit Ana­ly­sis) zu quan­ti­fi­zie­ren und dann zu ver­rech­nen. Die Wer­te be­fin­den sich zu­nächst auf or­di­nals­ka­lier­tem Ni­veau. Zur Ver­rech­ nung müs­sen die­se da­her durch Band­brei­ten, Min­dest- oder Höchst­wer­te quan­ ti­fi­ziert wer­den. Von meh­re­ren Stra­te­gie­op­ti­o­nen ist dann die­je­ni­ge mit dem höchs­ten Nutz­wert als die bes­te an­zu­se­hen. Sol­len be­stimm­te Kri­te­ri­en pflicht­ge­mäß er­füllt sein, kann dies in ei­ner Check­list mit evtl. Ge­wich­tung der Kri­te­ri­en ve­ri­fi­ziert wer­den. Da­bei kön­nen die An­zahl / das Ni­veau der Kri­te­ri­en so­lan­ge er­höht / ge­senkt wer­den, bis nur die zu prä­fe­rie­ren­de Stra­te­gie­op­ti­on üb­rig­bleibt. Die Grö­ßen sind no­mi­nals­ka­liert. Bei Be­rück­sich­ti­gung fi­nan­ziel­ler As­pek­te bie­ten sich die Ka­pi­talwert­metho­de (CAPM als zu er­war­ten­der Er­trag re­la­tiv zu ri­si­koad­jus­tier­tem Min­dest­ni­veau) oder Ver­fah­ren der dy­na­mi­schen In­ves­ti­ti­ons­rech­nung (z.  B. Ka­pitalwert als Überschuss der zum Zins­atz dis­kon­tier­ten Ein­zah­lun­gen über die Aus­zah­lun­gen) an. Am Ende soll­te es je­den­falls eine prä­fe­rier­te Stra­te­gie ge­ben, die dann in der nächs­ten Stu­fe im Rah­men des ope­ra­ti­ven Ma­na­ge­ments in den In­stru­men­ten um­ge­setzt wird. 3.5

Eckpfeiler der Produktbasis im Vertrieb

Als Ba­sis der Stra­te­gie hat das An­ge­bot an Sach- und Dienst­leis­tun­gen (Pro­ duk­te) zu gel­ten. Ohne de­ren fun­da­men­ta­le Er­dung hängt jede Stra­te­gie „in der Luft“. Da­her lohnt ein kur­zer Blick auf die­se Pro­dukt­ba­sis. Vor al­lem lohnt ein Blick auf drei Ge­stal­tungs­grö­ßen, die Neu­pro­duk­te, die Be­stands­pro­duk­te und das Pro­dukt­pro­gramm. Dies wird nach­fol­gend er­läu­tert. 3.5.1

Neuprodukte

3.5.1.1 Ideenfindung Jede Pro­dukt­his­to­rie star­tet mit ei­nem neu­en Pro­dukt. Dies ist die Pha­se des Launchs. Die Neu­heit kann da­bei nach drei Di­men­si­o­nen aus­ge­wie­sen wer­den: •• Nach dem Grad der In­no­va­ti­on un­ter­schei­det man die Markt­in­no­va­ti­on als ab­so­lu­te Neu­heit oder die Un­ter­neh­mens­in­no­va­ti­on als re­la­ti­ve Neu­heit, •• nach der Art der In­no­va­ti­on un­ter­schei­det man die Pro­dukt­in­no­va­ti­on (also er­geb­nis­be­zo­gen) oder die Pro­zess­in­no­va­ti­on (also ver­fah­rens­be­zo­gen), •• nach dem Aus­maß der In­no­va­ti­on un­ter­schei­det man die Durch­bruch­sin­no­va­ ti­on (nen­nens­wer­te Neu­heit) oder die De­tail­in­no­va­ti­on (Wei­ter­ent­wick­lung bes­te­hen­der Pro­duk­te). Ba­sis je­der Pro­dukt­neu­heit ist eine Pro­dukt­idee. Die­se kann aus be­triebsinter­ nen Ide­en­quel­len (pri­mär, also ori­gi­när zu die­sem Zweck er­ho­ben oder se­kun­



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung103

där, also aus vor­lie­gen­den Quel­len aus­ge­wer­tet) stam­men oder aus be­trieb­sex­ ter­ne­n I­de­en­quel­len (eben­falls pri­mär oder se­kun­där). Im De­tail ste­hen da­für viel­fäl­ti­ge Ide­en­quel­len zur Ver­fü­gung. Falls dies nicht aus­reicht, sind Ver­fah­ren zur be­wuss­ten Ideen­ge­ne­rie­rung als Kre­a­ti­vi­täts­tech­ni­ken ein­zu­set­zen. Da­für ste­hen im Grund­satz drei Ver­fah­rens­ grup­pen zur Ver­fü­gung: •• in­tu­i­tiv-la­te­ra­le, insb. Brain­stor­ming, Me­tho­de 6 3 5, Sy­nek­tik und Bi­o­nik, hier­bei geht es um das für Kre­a­ti­vi­tät ver­meint­lich ty­pi­sche „freie Spin­nen“, •• lo­gisch-dis­kur­si­ve, insb. Mor­pho­lo­gi­scher Kas­ten und Funk­ti­o­nal-Ana­ly­se, hier­bei geht es um eine ana­ly­ti­sche Auf­be­rei­tung der Ide­en­fin­dung, •• sys­tem­ati­sch-adap­ti­ve, insb. Ei­gen­schafts­lis­te, Fra­ge­nka­ta­log und Crowd­sour­ cing, hier­bei wird von vor­han­de­nem Wis­sen aus­ge­gan­gen. Ganz gleich, ob die Ideen aus bes­ te­ hen­ den Quel­ len stam­ men oder aus Generierungs­ver­fah­ren, folgt im An­schluss an die Pha­se der Ide­en­fin­dung die der Ideen­aus­wer­tung. Vor­ge­nom­men wer­den da­bei eine Ideen­sich­tung (Scre­e­ ning), d.  h. eine ers­te Be­ur­tei­lung der Ideen nach ih­rer po­ten­zi­el­len Re­al­isier­ bar­keit. Prob­lem­atisch ist jedoch, dass zu­nächst „ver­rückt“ er­schei­nen­de Ideen sich post­hum als be­son­ders po­ten­zi­alstark er­wei­sen kön­nen. Wei­ter­hin eine Ide­en­be­wer­tung (Sco­ring), d. h. eine Rang­rei­hung der ver­blei­ben­den Ideen an­ hand de­fi­nier­ter Kri­te­ri­en. Meist wird dazu ein Punkt­be­wer­tungs­ver­fah­ren he­ ran­ge­zo­gen und mit der punkt­stärks­ten Idee im Wei­te­ren be­gon­nen. 3.5.1.2 Forschung und Entwicklung Nun be­deu­tet eine ge­fun­de­ne Idee aber bei wei­tem noch kein ver­markt­ba­res neu­es Pro­dukt. Da­zwi­schen lie­gen diver­se Stu­fen der Umse­t­zung, vor al­lem als For­schung und Ent­wick­lung. Ist noch kein spe­zi­fi­sches Wis­sen um die Pro­dukt­ idee vor­han­den, ist zu­nächst Grund­la­gen­for­schung er­for­der­lich. Da­run­ter ver­ steht man die Ge­win­nung neu­er wis­sen­schaft­li­cher oder tech­ni­scher Er­kennt­ nis­se und Er­fah­run­gen, die als sol­che nur schwer schütz­bar sind (au­ßer Gen­ tech­nik) und weit ver­brei­te­ter Un­ter­stel­lung nach nur für Groß­un­ter­neh­men in Fra­ge kom­men (we­sent­li­ches Ar­gu­ment für Un­ter­neh­mens­kon­zen­tra­ti­on). Sind grund­le­gen­de Er­kennt­nis­se zum The­ma be­reits vor­han­den, be­darf es der an­ge­wand­ten For­schung. Da­run­ter ver­steht man die Ge­win­nung und Wei­ter­ent­ wick­lung von Wis­sen und Fä­hig­kei­ten zur Lö­sung prak­ti­scher Prob­le­me in der Tech­nik. Er­geb­nis­se sind im Er­folgs­fall schütz­ba­re Er­fin­dun­gen. Sind be­reits An­wen­dungs­er­geb­nis­se vor­han­den, be­darf es der Ent­wick­lung zur Nut­zung der Er­kennt­nis­se und Er­fah­run­gen für die An­wen­dung in neu­en Pro­duk­ten oder Pro­zes­sen. Ge­nau­er kön­nen die Stu­fen ei­ner ers­ten, noch ge­ne­ ra­lis­ti­schen Vor­ent­wick­lung und der spe­zi­fi­schen Pro­dukt- bzw. Pro­zess­ent­wick­ lung un­ter­schie­den wer­den.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Da­nach er­folgt die Pha­se der Er­pro­bung, um die Er­fül­lung von Last­en­heft (An­for­de­run­gen an ein Pro­dukt / Was) und Pflich­ten­ka­ta­log (Re­a­li­sie­rung die­ser An­for­de­run­gen / Wie) fest­zu­stel­len. Sie en­det mit ei­nem Hand­mus­ter, ei­nem Vor­ se­rienexem­plar, ei­nem Null­se­ri­en­pro­dukt oder dem Se­ri­en­an­lauf. Die Stu­ fen der Um­ set­ zung wer­ den als For­ schung und Ent­ wick­ lung (FuE) be­zeich­net. Als po­li­ti­sche Stell­grö­ßen für das FuE-Ma­na­ge­ment kom­men vor al­lem drei in Be­tracht: •• die FuE-Stra­te­gie, die­se kann, je nach in­di­vi­du­el­ler In­no­va­ti­ons­nei­gung re­ak­ tiv, also Mar­ket dri­ven / Pull oder pro­ak­tiv, also Tech­no­lo­gy dri­ven / Push aus­ ge­legt sein, •• die FuE-Bud­ge­tie­rung und (Auf­bau, Ab­lauf-)Or­ga­ni­sa­ti­on le­gen den Um­set­ zungs­rah­men für die Ak­ti­vi­tä­ten durch Zu­griff auf spe­zi­fi­sche Res­sour­cen fest, •• das Hand­ling von FuE-Ri­si­ken, die im Be­reich der Tech­nik, der Kos­ten, der Zeit oder der Wirts­chaft­lich­keit lie­gen, ggf. aber auch Se­ren­di­pi­tät-Chan­cen (Zu­falls­nut­zung) um­fas­sen. Nach dem Trä­ger der FuE kann es sich um au­to­no­me Ei­gen-FuE han­deln oder um Fremd-FuE, wo­bei für letz­te­res ein Trend zur Nut­zung von Kern­kom­ pe­ten­zen in For­schung und Ent­wick­lung bes­teht. Dafür er­ge­ben sich fol­gen­de Aus­prä­gun­gen mit je­wei­li­gen Vor­tei­len und Nach­tei­len: •• Auf­trags-FuE: – Vor­tei­le: Ver­zicht auf ei­ge­ne, kos­ten­in­ten­si­ve FuE, Mög­lich­keit, auf Spe­ zi­al­ge­bie­ten Ska­len­ef­fek­te zu er­zie­len, – Nach­tei­le: Ge­fahr der un­ge­woll­ten Wis­sens­dif­fu­si­on, Ent­wick­lungs­er­folg ist nicht di­rekt be­ein­fluss­bar, ei­ge­ne Kern­kom­pe­ten­zen wer­den par­ti­ell auf­ge­ge­ben. •• Ge­mein­schafts-FuE: – Vor­tei­le: Know-how- und Kom­pe­tenz­ge­winn bei gleich­zei­ti­ger Nut­zung von Sy­ner­gie­po­ten­zi­a­len, Kos­ten­re­duk­ti­on durch Ver­kür­zung der Ent­ wick­lungs­zeit, Ri­si­ko­tei­lung und Ver­mei­dung von Dop­pel­ar­bei­ten, Aus­ schöp­fung von Grö­ßen- und Spe­zi­a­li­sie­rungs­vor­tei­len, bes­se­rer Ein­stieg in neue Tech­no­lo­gi­en, Ge­stal­tung ge­mein­sa­mer Nor­men und Stan­dards, Er­leich­te­rung des Markt­zu­gangs durch grö­ße­re Markt­macht, – Nach­tei­le: Ab­hän­gig­keit von Ko­o­pe­ra­ti­ons­part­nern, Ver­lust von Ei­gen­ stän­dig­keit und Fle­xi­bi­li­tät, hohe Trans­ak­ti­ons­kos­ten durch In­for­ma­ti­ons­ aus­tausch und lau­fen­de Ko­or­di­na­ti­on, Schwie­rig­keit bei der Zu­rech­nung von Bei­trä­gen und Er­geb­nis­sen, Ver­lust des ei­ge­nen Wis­sens­vor­sprungs, fal­sche Part­ner­wahl kann zu Ima­ge­ver­lus­ten füh­ren.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung105

•• FuE-Er­geb­nis-Li­zenz­nah­me: – Vor­tei­le: Ver­zicht auf ei­ge­ne kos­ten­in­ten­si­ve FuE, schnel­le und ge­ziel­te Be­schaf­fung von Spe­zi­al­wis­sen, – Nach­tei­le: nicht jede Wis­sens­über­nah­me ist mög­lich, nur be­grenz­te Nutz­ bar­keit der Schutz­rech­te, er­heb­li­cher Zeit­auf­wand bis zum Li­zenz­er­halt, kaum wett­be­werb­li­che Dif­fe­ren­zie­rung durch Ex­klu­si­vi­tät möglich. Spie­gel­bild­lich ist auch die Li­zenz­ver­ga­be ei­ge­ner FuE-Er­geb­nis­se an Drit­te mög­lich. •• FuE-Er­geb­nis-Kauf: – Vor­tei­le: Verzicht auf ei­ge­ne kos­ten­in­ten­si­ve FuE, Mög­lich­keit zum Aus­ gleich in­ter­ner Wis­sens­de­fi­zi­te, – Nach­tei­le: Ge­fahr der Wis­sens­dif­fu­si­on, Ab­hän­gig­keit vom Wis­sens­mo­no­ pol des an­bie­ten­den In­no­va­tors, Auf­ga­be ei­ge­ner wert­schöp­fen­der Ak­ti­vi­ tä­ten. Spie­gel­bild­lich ist auch der Ver­kauf von FuE-Er­geb­nis­sen mög­lich. In Ab­hän­gig­keit von den Grö­ßen Be­herr­schungs­grad und Ge­gen­warts­nä­he kön­nen ab­stei­gend fol­gen­de Optionen der Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung un­ter­schie­ den wer­den: •• Ba­sis-Tech­no­lo­gie, sie ist all­ge­mein ver­brei­tet und be­kannt, schafft da­her aber kei­nen Wett­be­werbs­vor­sprung, •• Schlüs­sel-Tech­no­lo­gie, sie be­stimmt die ge­gen­wär­ti­ge Wett­be­werbs­fä­hig­keit, •• Schritt­ma­cher-Tech­no­lo­gie, sie be­stimmt die zu­künf­ti­ge Wett­be­werbs­fä­hig­ keit, •• Zu­kunfts-Tech­no­lo­gie, sie wird für die fer­ne Zu­kunft er­folgsent­schei­dend sein. Hin­sicht­lich der Tech­no­lo­gie­ab­fol­ge ist das Phä­no­men der „Zeit­fal­le“ an­zu­ tref­fen, denn die Vor­lauf­zei­ten wer­den in­fol­ge stei­gen­der Kom­ple­xi­tät im­mer län­ger und die Kos­ten / Ri­si­ken im­mer hö­her so­wie zu­gleich wird der Ver­mark­ tungs­zeit­raum in­fol­ge ra­schen tech­ni­schen Fort­schritts im­mer kür­zer und da­mit die Amor­ti­sa­ti­ons­chan­cen ge­rin­ger. Ab­hil­fe schaf­fen hier Tech­ni­ken wie: •• Si­mul­tan­eous En­gi­nee­ring, d.  h. die Pa­ral­le­li­sie­rung von Ar­beits­schrit­ten, die tra­di­ti­o­nell se­quen­zi­ell durch­lau­fen wer­den, •• Le­apfrog­ging, d.  h. die Über­sprin­gung ei­ner Ver­mark­tungs­ge­ne­ra­ti­on un­ter Nut­zung des da­für ge­won­ne­nen Know-hows für die dann über­nächs­te Ge­ne­ ra­ti­on, Die Sub­sti­tu­ti­ons­zeit­kur­ve (McKin­sey) be­sagt da­bei, dass ein früh­zei­ti­ger Um­ stieg auf die nächs­te Pro­dukt­ge­ne­ra­ti­on kurz­fris­tig mit Nach­tei­len be­haf­tet ist wie ho­her Preis, tech­ni­sches Ri­si­ko etc., aber schon mit­tel­fris­tig auf ein weit­aus hö­he­res Leis­tungs­ni­veau trägt als das Aus­rei­zen der bes­te­hen­den Ge­ne­ra­ti­on.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Hin­sicht­lich des tech­ni­schen Fort­schritts ist kri­tisch eine Tech­no­lo­gie­fol­ genab­schät­zung er­for­der­lich, denn das nai­ve Stau­nen über Neu­e­run­gen ist längst ei­ner kri­ti­schen Hin­ter­fra­gung der Kon­se­quen­zen von Ver­än­de­run­gen ge­wi­chen. Eine wei­te­re Prü­fung er­gibt sich hin­sicht­lich der Wirts­chaft­lich­keit ei­ner Neu­ pro­duk­tein­füh­rung. Hier geht es vor al­lem um die Er­rei­chung der li­qui­di­täts-, voll­kos­ten- bzw. ge­winn­wirk­sa­men Ge­winn­schwel­le und die Er­geb­nis­se ei­ner In­ves­ti­ti­ons­rech­nung, sta­tisch als Kos­ten-, Ge­winn-, Amor­ti­sa­ti­ons-, Ren­ta­bi­li­ täts­ver­gleich oder dy­na­misch als Ka­pi­tal­wert-, An­nu­i­tä­ten-, Amor­ti­sa­ti­ons­zeit-, In­ter­ne Zins­fuß­me­tho­de. 3.5.1.3 Markttest Sind die tech­ni­schen Vo­raus­set­zun­gen für ein Neu­pro­dukt ge­schaf­fen, ist es un­be­dingt sinn­voll, die­ses vor der flä­chen­de­cken­den Ein­füh­rung zu­nächst auf li­mi­tier­ter Ba­sis zu tes­ten. Als Markt­test-Ver­fah­ren bie­ten sich da­für vor al­lem zwei an. Der Re­gi­o­na­le Test­markt nimmt den pro­be­wei­sen Ver­kauf auf ei­nem räum­ lich ab­ge­grenz­ten Markt mit dem Ziel der Ge­win­nung von Er­kennt­nis­sen über die mut­maß­li­che Markt­gän­gig­keit ei­nes Pro­dukts bzw. die Wirk­sam­keit von Ver­triebs­maß­nah­men vor de­ren groß­flä­chi­ger Ein­füh­rung vor. Vo­raus­set­zun­gen sind da­bei die Ein­hal­tung der Iso­mor­phie­be­din­gung, d.  h. der Gleich­ar­tig­keit von Nach­fra­ge, Han­del, Wett­be­werb und Me­di­en in Be­zug auf den spä­te­ren Ge­samt­markt so­wie des­sen Ab­grenz­bar­keit. Sind die­se Vo­raus­set­zun­gen ge­ge­ ben, ist eine Hoch­rech­nung mög­lich durch •• die Re­la­ti­on Be­völ­ke­rung im Test­markt zu Be­völ­ke­rung im Ge­samt­markt, •• die Re­la­ti­on Kauf­kraft bzw. Ein­kom­men in Test­markt und Ge­samt­markt, •• das Ab­satz­ver­hält­nis der ei­ge­nen Ab­satz­men­ge zu der des Kon­kur­renz­pro­ dukts im Test­markt, •• den lang­fris­ti­gen Markt­an­teil über wie­der­kau­fen­de Haus­hal­te im Test­markt re­la­tiv zum Ge­samt­markt. All­er­dings ent­ste­hen da­bei viel­fa­che Prob­le­me wie folgt: •• hohe Kos­ten für Me­di­aein­satz, Pro­dukt­vor­rat, Log­is­tik, man­geln­de Ge­heim­ hal­tung, ge­ziel­te Stör­ak­ti­o­nen der Kon­kur­renz, man­geln­de Iso­lier­bar­keit des Markts, kein Kon­troll­markt (EBA-CBA), Über­testung ei­nes gee­eig­ne­ten Ge­ biets, re­gi­o­na­le Ge- / Ver­brauchs­ab­wei­chun­gen, bei lan­gen Kauf­in­ter­val­len nicht mög­lich. Da­her wer­den bei Kon­sum­gü­tern vers­tärkt Test­mark­ter­satz­ver­fah­ren ge­nutzt, wel­che die glei­che Aus­sa­ge­fä­hig­keit wie ein an sich wün­schens­wer­ter Re­gi­o­na­ler



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung107

Test­markt ha­ben, aber des­sen Prob­le­me ver­mei­den. Da­für gibt es meh­re­re An­ sät­ze. •• Eine Test­markt­si­mu­la­ti­on ist die wirk­lich­keits­ge­treue Nach­bil­dung der Markt­ re­a­li­tät in Mo­dell­form und das Durch­spie­len der Hand­lungs­op­ti­o­nen in re­a­li­ täts­na­her Wei­se. •• Ein Sto­re­test ist der pro­be­wei­se Ver­kauf von neu­en / ver­än­der­ten Pro­duk­ten un­ter Ein­satz al­ler / aus­ge­wähl­ter ­Ver­mark­tungs­in­stru­men­te un­ter weit­ge­hend kon­trol­lier­ten Be­din­gun­gen in ei­ni­gen / we­ni­gen re­al­en Ge­schäf­ten, die für den Test an­ge­wor­ben und dis­tri­bu­iert wer­den (nur Mes­sung der Ab­ver­käu­fe). •• Ein Mini-Markt­test ist ein zwei­sei­ti­ger Sto­re­test mit Han­dels­pa­nel und Haus­ halt­spa­nel.­In elekt­ro­ni­scher Form gibt es auch den Mik­ro-Markt­test (Haß­ loch). Da­nach steht die Ent­schei­dung über die Ein­füh­rung (Go), eine wei­te­re Über­ ar­ bei­ tung (On) oder den Ver­ zicht (Drop) auf das Neu­ pro­ dukt an. Nach der Ein­füh­rung be­darf das Pro­dukt der ste­ten An­ge­bots­pfle­ge, um sein Po­ten­zi­al voll aus­zu­schöp­fen, es vor Kon­kur­renz­an­grif­fen zu schüt­zen und die Käu­fer­ba­ sis zu stär­ken. 3.5.1.4 Gewerbliche Schutzrechte Bei (Pro­dukt- / Pro­zess-Markt-)Neu­e­run­gen liegt es im In­te­res­se der All­ge­ mein­heit, dem Er­fin­der eine tem­po­rä­re Mo­no­pol­stel­lung da­für zu­zu­bil­li­gen, da­mit er die Er­trä­ge sei­ner Er­fin­dung an­ge­mes­sen nut­zen kann. Zug­leich be­ zieht sich das In­te­res­se auf eine Auf­lö­sung die­ser Teil­mo­no­pols­tel­lung, um funk­ti­ons­fä­hi­gen Wett­be­werb zu si­chern. Die Ab­fol­ge von Vors­toß und Ver­fol­ gung („kre­a­ti­ve Zerstö­rung“ / Schum­pe­ter) si­chert den markt­li­chen Fort­schritt. Dazu die­nen drei Schutz­rech­te: •• Das Pa­tent gilt für tech­ni­sche, ge­werb­lich an­wend­ba­re Er­fin­dun­gen als ab­so­ lu­te Neu­heit (nicht zum Stand der Tech­nik ge­hö­rig) mit ent­spre­chen­der Er­ fin­dungs­hö­he. Die Er­tei­lung er­folgt nach An­mel­dung, Prü­fung und Of­fen­le­ gung mit Ein­spruchs­frist. Die Lauf­zeit des Pa­tents be­trägt ein­ma­lig 20 Jah­re. •• Das Ge­brauchs­mus­ter un­terstellt eine ge­rin­ge­re Er­fin­dungs­hö­he. Es wird nach An­mel­dung mit nur for­mel­ler Prü­fung er­teilt und hat eine Lauf­zeit von ein­ma­lig 10 Jah­ren. •• Das Ge­schmacks­mus­ter be­zieht sich auf äs­the­ti­sche Form- und Farb­ge­bun­gen, die neu und ei­gen­tüm­lich sein müs­sen. Die An­mel­dung er­folgt nach nur for­ mel­ler Prü­fung und wird für 25 Jah­re Lauf­zeit er­teilt. Da­ne­ben ist der Mar­ken­schutz von ho­her Be­deu­tung. Er ist auf drei We­gen er­reich­bar:

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• als ein­ge­tra­ge­ne und be­nutz­te Mar­ke in der je­wei­li­gen Schutz­klas­se des Mar­ ken­re­gis­ters beim Deut­schen Pa­tent- und Mar­ken-Amt (DPMA) (Re­gis­ter­mar­ ke), •• als nicht ein­ge­tra­ge­ne, aber be­nutz­te Mar­ke we­gen Ver­kehrs­gel­tung (> 30  % Be­kannt­heits­grad in der Ziel­grup­pe) als be­rühm­te Mar­ke, so­fern die Mar­ke Ver­kehrs­gel­tung er­wor­ben hat, d.  h. ein er­heb­li­cher Teil  der Nach­fra­ger die Mar­ke ei­nem be­stimm­ten Ab­sen­der zu­tref­fend zu­ord­net (Be­nut­zungs­mar­ke), •• als nicht ein­ge­tra­ge­ne Mar­ke we­gen no­to­ri­scher Be­kannt­heit (> 60  %) über alle Schutz­klas­sen hin­weg, falls eine Mar­ke ge­ne­risch ge­wor­den und da­mit nicht mehr ein­tra­gungs­fä­hig ist (z.  B. Tem­po, Fön, Nu­tel­la, Tesa, Jeep) (Not­orie­täts­ mar­ke). Bei Not­orie­täts­mar­ken ist es ent­schei­dend, sie kon­se­quent durch­zu­set­ zen, da sie an­sons­ten ih­ren Mar­ken­schutz ver­lie­ren wie z.  B. bei Lot­to für Zah­len­glücks­spie­le, Gel­be Sei­ten für Te­le­fon­ver­zeich­nis­se oder Post für Post­ dienst­leis­tun­gen. Ein Schutz kann durch Wa­ren­zei­chen­hin­weis (R oder TM) ver­deut­licht wer­den (z.  B. DAX (R)). Das Ur­he­ber­recht gilt für eine geis­ti­ge Schöp­fung des Ur­he­bers, dem ein un­ver­äu­ßer­li­ches Ver­öf­fent­li­chungs­recht zusteht, des­sen Nut­zung er an Ver­wer­ ter ge­gen Ent­gelt ab­tre­ten kann. Eine wei­te­re Be­son­der­heit stel­len Ar­beit­neh­ mer­er­fin­dun­gen dar. 3.5.2

Bestandsprodukte

3.5.2.1 Pflege Von Zeit zu Zeit ist bei Be­stands­pro­duk­ten eine Pro­dukt­über­ar­bei­tung er­for­ der­lich. Da­für gibt es ver­schie­de­ne Aus­prä­gun­gen. Die Pro­dukt­auf­wer­tung (Face­lift) be­trifft nur klei­ne­re Än­de­run­gen am Pro­dukt, die sich für eine Auslobung kaum eig­nen. Die Pro­dukt­mo­di­fi­ka­ti­on (Ak­tu­a­li­sie­rung) be­trifft hin­ge­gen grö­ße­re Ver­än­de­ run­gen am kon­stan­ten Pro­dukt, die auch für Aus­lo­bun­gen ge­eig­net sind. Die Pro­dukt­va­ri­a­ti­on (Re­launch) be­trifft die Über­ar­bei­tung des kom­plet­ten Mar­ke­ting-Mi­xes, der neu jus­tiert und ak­tu­a­li­siert wird. Da­bei wird ein bes­te­ hen­des Pro­dukt durch ein neu­ar­ti­ges Nach­fol­ge­pro­dukt ab­ge­löst. Die­se Ab­lö­ sung kann auf hö­he­rem Leis­tungs­ni­veau (Up Gra­ding) oder nied­ri­ge­rem Preis­ ni­veau (Down Gra­ding) er­fol­gen. Ide­al­er­wei­se er­folgt der Re­launch im Ma­xi­ mum des Pro­dukt­le­bens­zy­klus­ses und führt die­sen dann durch Ge­win­nung neu­er Käu­fer bei Er­halt der bes­te­hen­den auf ein hö­he­res Ni­veau. All­er­dings er­for­dert dies auf­grund der lan­gen Vor­lauf­zei­ten eine Pla­nung be­reits zu Zei­ten pro­gres­siv wach­sen­den Mark­tes und wird da­her prak­tisch häu­fig ver­säumt. Als neue Ent­wick­lung folgt hier die Mass Cus­to­miza­ti­on als kun­den­in­di­vi­du­ el­le Mas­sen­fer­ti­gung, d.  h. nut­zer­freund­li­che Ein­zel­fer­ti­gung der Pro­duk­te zu



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung109

Kos­ten nä­he­rungs­wei­se de­nen der ra­ti­o­nel­len Mas­sen­fer­ti­gung mit oder ohne Ein­griff in die Pro­duk­ti­on. Am Ende des Pro­dukt­le­bens­zy­klus­ses ist eine Pro­dukt­eli­mi­na­ti­on er­for­der­ lich. Die Grün­de da­für kön­nen ex­tern oder in­tern ver­an­lagt sein, •• ex­tern etwa durch au­to­no­men, ge­sell­schaft­li­chen oder kon­kur­ren­zin­du­zier­ten Wan­del, Wäh­rungs- / Im­port­po­li­tik, Ge­setz­es­än­de­rung, Ver­falls­zeit, •• in­tern etwa durch Qua­li­täts­prob­le­me, schlech­tes Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis, Kos­ten­stei­ge­rung, feh­len­de „Soft­ware“, zu frü­hen / zu spä­ten Launch-Zeit­ punkt, un­zu­rei­chen­de Dis­tri­bu­ti­on, Fehl­ein­schät­zung des Be­darfs, Preis­ein­ bruch, zu we­nig Ein­füh­rungs­druck. Als Ent­schei­dungs­kri­te­ri­en die­nen etwa die ver­dräng­te Eng­pass-De­ckungs­ span­ne in der Pro­duk­ti­on oder ne­ga­ti­ve Ver­bund­ef­fek­te (Kan­ni­ba­li­sie­rung) zu ei­ge­nen an­de­ren Pro­duk­ten. Die Eli­mi­na­ti­on kann je­weils ab­rupt oder glei­tend er­fol­gen, bei letz­te­rem wie­der­um mit An­kün­di­gung an die Ziel­grup­pen oder ohne An­kün­di­gung still­ schwei­gend. 3.5.2.2 Packung Die Pa­ckung ist nicht sinn­voll trenn­ba­rer Best­and­teil des Pro­dukts, die Ver­ pa­ckung ist vom Pro­dukt ab­trenn­bar, die Um­ver­pa­ckung ist die Ver­pa­ckung der Ver­pa­ckung. Der Pa­ckung / Ver­pa­ckung kom­men zent­ra­le Funk­ti­o­nen zu. Zu nen­nen sind vor al­lem fol­gen­de: •• Die Ra­ti­o­na­li­sie­rung be­trifft die Log­is­tik­funk­ti­on, also Trans­port­ver­bes­se­rung, La­ger­fä­hig­keit / La­ger­kon­trol­le, Ro­bust­heit und Sta­pel­bar­keit der Pa­ckung, die Di­men­si­o­nie­rungs­funk­ti­on, also Men­gen­tei­lung, Ge­bin­de­grö­ße, Ab­fül­lungs­ nor­mie­rung und Re­gal­flä­chen­nut­zung so­wie die In­for­ma­ti­ons­funk­ti­on, also Wa­ren­wirt­schaft, An­wen­dungs­sphä­re und Pflicht­an­ga­ben be­tref­fend. •• Die Kom­mu­ni­ka­ti­on be­trifft die Prä­sen­ta­ti­ons­funk­ti­on, also An­mu­tung in der Ziel­grup­pe, Dif­fe­ren­zie­rung und Iden­ti­fi­zie­rung, die Ver­kaufs­er­leich­te­rungs­ funk­ti­on, also Auf­fäl­lig­keit und Wer­be­aus­sa­ge, so­wie die Qua­li­täts­aus­lo­ bungs­funk­ti­on, also Mar­kie­rung, Her­stel­ler­kenn­zeich­nung und Pro­dukt­be­ zeich­nung. •• Die Ver­wen­dungs­er­leich­te­rungs­funk­ti­on be­trifft die Do­sie­rung, die Mehr­fach­ nut­zung und die Sicht­bar­keit des In­halts. Der Pa­ckungs­ge­stal­tung (De­sign) kommt da­bei eine wich­ti­ge Be­deu­tung zu. Eben­so be­deut­sam sind Ent­sor­gungs­an­sprü­che zur Rück­füh­rung der ver­brauch­ ten Wert­stof­fe in den Wert­kreis­lauf.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

3.5.2.3 Qualität Qua­li­tät ist all­ge­mein die Eig­nung ei­ner Leis­tung, An­for­de­run­gen ge­recht zu wer­den. Qua­li­tät hat als zent­ra­ler Er­folgs­fak­tor zu gel­ten und ist ent­schei­dend für die Exis­tenz je­des Un­ter­neh­mens, sie bringt kon­kre­te Kos­ten­vor­tei­le (z.  B. Er­geb­nis­se des PIMS-Pro­jekts) und schafft Wett­be­werbs­vor­sprün­ge. Die Qua­li­tät wird im QM-Sys­tem ge­steu­ert. Ba­sis ist da­bei ein Qua­li­täts-Au­ dit als Pro­dukt­au­dit, Pro­zess­au­dit oder Sys­tem­au­dit, letz­te­rer in Form der Zer­ ti­fi­zie­rung nach DIN EN ISO 9000 ff. (9001, ak­tu­ell 2015). Die­se re­gelt im Ein­zel­nen die Ver­ant­wor­tung der Lei­tung, das Ma­na­ge­ment der Res­sour­cen, die Pro­zess­re­a­li­sie­rung und die Mes­sung / Ana­ly­se / Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät. Dazu wer­den viel­fäl­ti­ge In­stru­men­te ein­ge­setzt. Ei­ni­ge wich­ti­ge von ih­nen sind im Fol­gen­den ge­nannt: •• das Qua­li­ty Func­tion De­ploy­ment / QFD, ope­ra­ti­o­na­li­siert durch das House of Qua­li­ty / HoQ mit der Um­set­zung von kun­den- in tech­nik­ge­rich­te­te An­for­de­ run­gen, •• die Feh­ler­ver­mei­dung durch Vor­keh­run­gen wie Poka yoke, An­don, Gem­ba, Hei­junka, Ji­do­ka, Kai­zen, Kan­ban, Muda / Mura / Muri, Sei­ri / Sei­ton / Sei­ so / Sei­ket­su / Shit­su­ke, die, wie schon die exo­ti­schen Be­grif­fe an­zei­gen, aus der ja­pa­ni­schen Wirt­schaft stam­men, •• die Fish­bo­ne-Ana­ly­se als Ur­sa­che-Wir­kungs-Di­a­gramm für Feh­ler­quel­len durch Mensch, Ma­schi­ne, Ma­te­ri­al, Me­tho­de, Mi­lieu / Um­feld und Mes­sung, •• die Feh­ler-Mög­lich­keits- und -Ein­fluss-Ana­ly­se (FMEA) mit Aus­weis ei­ner Ri­si­ko­pri­o­ri­täts­zahl für die Auf­tritts­häu­fig­keit ei­nes Feh­lers, die Be­deu­tung der Feh­ler­fol­ge und die Wahr­schein­lich­keit für das Verb­or­gen­blei­ben der Feh­ ler­ur­sa­che, •• die Qua­li­täts­re­gel­kar­te durch Stich­pro­ben­zie­hung und Feststel­lung der gra­fi­ schen Streu­ung um den Mit­tel­wert (Re­li­a­bi­li­tät ei­nes Ver­fah­rens), •• die Sta­tis­ti­sche Ver­suchs­pla­nung mit di­ver­sen Ver­fah­ren zur Feh­ler­ver­rin­ge­ rung / -ver­mei­dung, •• die Sta­tis­ti­sche Pro­zess­re­ge­lung zur Pro­zess­be­herr­schung (Re­li­a­bi­li­tät) und Pro­zess­fä­hig­keit (Va­li­di­tät) mit dem Ziel der Six Sig­ma-Qua­li­tät, •• der Qua­li­täts­kreis­lauf (PDCA) aus Pla­nung, ver­suchs­wei­ser Um­set­zung, Er­ geb­nis­mes­sung und Ein­füh­rung von Qua­li­täts­ver­bes­se­run­gen, •• die Rule of Ten-Me­tho­de, die Prä­ven­ti­ons­kos­ten (Feh­ler­ver­mei­dung), Prüf­ kos­ten (Pro­duk­ti­on), in­ter­ne Feh­ler­kos­ten (Kor­rek­tur) und ex­ter­ne Feh­ler­kos­ ten (Kun­de) un­ter­schei­det. Ent­ste­hen den­noch Qua­li­täts­män­gel gel­ten zum Schutz eine ge­setz­li­che Ge­ währ­leis­tung oder ver­trag­li­che Ga­ran­tie. Hin­zu tre­ten Rechts­grund­la­gen der Pro­du­zen­ten­haf­tung und der Pro­dukt­haf­tung.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung111

Eine Pro­du­zen­ten­haf­tung ent­steht aus § 823 BGB und setzt Ver­schul­den des An­spruchs­geg­ners (de­lik­tisch) vo­raus. Sie gilt nur ge­gen­über dem Ver­trags­part­ ner. Da­bei herrscht je­doch eine Be­weis­las­tum­kehr, da der Ge­schä­dig­te selbst we­nig Ein­sicht in den Be­trieb des Schä­di­gers ha­ben und da­her kaum dar­le­gen kann, dass die­ser tat­säch­lich kei­ne Ver­kehrs­iche­rungs­pflicht ver­letzt hat. Die Ver­kehrs­pflicht be­sagt, dass der­je­ni­ge, der eine Ge­fahr in Ver­kehr bringt, zur Haf­tung he­ran­ge­zo­gen wer­den kann, wenn er nicht alle not­wen­di­gen und zu­ mut­ba­ren Vor­keh­run­gen zur Ver­mei­dung von Schä­den an­de­rer un­ter­nom­men hat. Die­ser Nach­weis ist je­doch für Ge­schä­dig­te nicht zu­mut­bar. Der Ge­schä­ dig­te hat aber zu be­wei­sen, dass ein Pro­dukt­feh­ler vor­liegt. An­spruchs­grund­la­ge ist eine Rechts­gut­ver­let­zung, hier an Le­ben, Kör­per, Ge­sund­heit (im­ma­te­ri­ell) und am Ei­gen­tum (ma­te­ri­ell) ei­nes an­de­ren. Das feh­ler­haf­te Pro­dukt muss in ver­kehr­ge­bracht wor­den sein, der Feh­ler muss ur­säch­lich für den Scha­den sein (Kau­sa­li­tät), das Han­deln des Schä­di­gers muss rechts­wid­rig sein (z. B. durch Feh­len ei­ner zu­ge­si­cher­ten Ei­gen­schaft oder arg­lis­ti­ges Vers­chwei­gen), es muss ein Ver­schul­den sei­ner­seits vor­lie­gen, wo­bei der Her­stel­ler sich ent­las­ten muss, so­fern er dies be­strei­tet. Die Rechts­fol­ge ist ein Scha­dens­er­satz­an­spruch. Her­ stel­ler ist das Un­ter­neh­men selbst, es kann sich aber auch um ver­ant­wort­li­che Mit­ar­bei­ter dort han­deln. Bei Mit­ver­schul­den des Ge­schä­dig­ten haf­tet der Her­ stel­ler nur mit sei­nem Vers­chul­den­san­teil. Bei Feh­lern han­delt es sich im Ein­ zel­nen um Kon­struk­ti­ons­feh­ler, die­se be­tref­fen eine Pro­dukt­se­rie / ein gan­zes Los, um Fab­ri­ka­ti­ons­feh­ler, die­se be­tref­fen Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren und haf­ten nur ein­zel­nen Pro­duk­ten an, kei­ne Haf­tung bes­teht je­doch für Aus­rei­ßer, die trotz zu­mut­ba­rer Vor­keh­run­gen un­ver­meid­bar sind, um In­struk­ti­ons­feh­ler, die­se ent­ ste­hen ver­meid­bar durch feh­len­de Warn­hin­wei­se o.  Ä., z.  B. in der Ge­brauchs­ an­lei­tung so­wie um Pro­dukt­be­obach­tungs­feh­ler, die­se füh­ren zum Rück­ruf nach ProdSG. Der An­spruch er­lischt nach drei Jah­ren. Es gibt kei­ne Höchst­gren­ze und kei­ne Selbst­be­tei­li­gung. Das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) greift, wenn ein Produkt durch Mängel oder Fehlfunktionen ein über das akzeptable Maß hinaus deutlich erhöhtes Risiko aufweist, dass Verbraucher / Anwender oder Sachen in de­ren Um­feld zu Schaden kommen können. Es soll private Endabnehmer vor unsicheren Produkten schützen, wenn es wie nach Herstellerangaben vorgesehen oder wie marktüblich verwendet wird. Häu­fi­ge Grün­de für Pro­dukt­rück­ru­fe sind im­mer kom­ple­xe­re Elektronik, Kos­ten­druck auf Zu­lie­fe­rer, be­schleu­nig­te Ent­wick­lung, Platt­form­kon­ zept, län­ge­re Le­bens­dau­er, stei­gen­der Ar­beits­druck etc. Der Rück­ruf erfolgt in Massenmedien, meist auf Basis ei­nes an­ge­bo­te­nen Um­tauschs. Er ist nicht immer zwingend, der Hersteller kann ggf. auch einen Vergleich zu er­war­ten­der Rückruf­ kos­ ten mit möglichen Schadensersatzforderungen vornehmen. Diese Schäden können wiederum von ihm haftpflichtversichert werden. Jedoch wird ein Rückruf wegen des dro­hen­den Ver­trau­ens­scha­dens oft prä­fe­riert. Gen­erell muss die Gefahr schnell, wirksam und zuverlässig beseitigt wer­den. Die Durch­füh­rung ist ab­hän­gig von der Best­im­mung der Ge­fah­ren­klas­se, drei­fach ab­ge­stuft in ge­setz­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

lich zwin­gend, im Er­mes­sen des Her­stel­lers lie­gend, dann aber ver­ant­wort­lich, oder frei­ wil­ lig. Der Rück­ ruf kann of­ fen, ver­ deckt mit an­ de­ rem Grund, still­ schwei­gend oder auch fin­giert ohne Grund er­fol­gen. Bei Gefahr für Gesundheit und Sicherheit von Men­schen müs­sen Her­stel­ler je­doch einen Rückruf einleiten und auch die zuständigen Behörden dazu informieren (z. B. Bun­des­amt für Verbraucherschutz). Automobilhersteller müssen das Kraftfahr-Bundesamt einschalten. Die Be­hör­den kön­nen ihrerseits Maßnahmen an­ord­nen. Die Produkt­haf­tung gilt ne­ben den all­ge­mei­nen de­lik­ti­schen An­spruchs­grund­ la­gen (s.  o.), ein ver­trag­li­cher Aus­schluss der Haf­tung ist un­wirk­sam. Das Ge­setz schützt als Rechts­gü­ter Le­ben, Kör­per und Ge­sund­heit so­wie Ei­gen­tums­schä­den an an­de­ren Sa­chen als dem feh­ler­haf­ten Pro­dukt (Man­gel­fol­ge­schä­den). Es besteht kein Schutz bei sog. Wei­ter­fres­ser­schä­den von Tei­len im sel­ben Pro­dukt. Das Ge­setz gilt nicht für Sach­schä­den im ge­werb­li­chen Be­reich, son­dern nur pri­vat. Da­für ent­steht der An­spruch ge­gen­über je­der­mann. Es ent­steht kei­ne Haf­ tung für Ver­mö­gens­schä­den. Als Pro­dukt gilt eine in­dust­ri­ell oder hand­werk­lich her­ge­stell­te, be­weg­li­che Sa­che (incl. Elekt­ri­zi­tät), wo­bei dazu kei­ne Mas­sen­fer­ti­ gung er­for­der­lich ist. Feh­ler­haft be­deu­tet kon­kret, dass Kon­struk­ti­on, Fab­ri­ka­ti­on und In­struk­ti­on nicht die Si­cher­heit bie­ten, die er­war­tet wer­den kann. Die Er­war­ tung wie­der­um ist ab­hän­gig vom Pro­dukt­preis, der her­stel­ler­sei­ti­gen Wer­be­ auslobung, dem be­stim­mungs­ge­mä­ßen bzw. ei­nem vor­her­seh­ba­ren, nicht-be­stim­ mungs­ge­mä­ßen Ge­brauch so­wie von der Ex­per­ti­se der Nut­zer (Laie / Fach­mann). Das Pro­dukt muss da­bei dem Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik zum Zeit­ punkt des In­ver­kehr­brin­gens ent­spre­chen. Da­bei wird auch eine Haf­tung für Aus­ rei­ßer be­grün­det, also feh­ler­haf­te Pro­duk­te, die trotz zu­mut­ba­rer Sorg­falt den Be­trieb ver­las­sen ha­ben. Der Feh­ler muss kau­sal für die ein­ge­tre­te­ne Rechts­gut­ ver­let­zung sein, die­se Kau­sa­li­tät hat der Ge­schä­dig­te nach­zu­wei­sen. Her­stel­ler des Pro­dukts ist, wer als Un­ter­neh­mer das Pro­dukt / die Zu­lie­fe­rung / den Grundstoff her­ge­stellt hat, er haf­tet aus Mit­ver­schul­den, je­doch nur mit sei­nen Wert­ schöp­fungs­an­teil. Her­stel­ler sind aber auch Qua­si-Her­stel­ler, die ih­ren Namen / ihr Zei­chen auf der Ware an­brin­gen (OEM), Im­por­teu­re aus Nicht-EWR-Staa­ten und Lie­fe­ran­ten, so­fern der Her­stel­ler nicht aus­fin­dig zu ma­chen ist. Die Her­stel­ler­ar­ ten haf­ten ne­ben­ei­nan­der als Ge­samt­schuld­ner. Eine Haf­tung bleibt aus­ge­schlos­ sen, wenn der Her­stel­ler das Pro­dukt nicht wil­lent­lich in Ver­kehr ge­bracht hat, wenn das Pro­dukt zum Zeit­punkt des In­ver­kehr­brin­gens noch nicht feh­ler­haft war, wenn die Her­stel­lung nicht für Ge­win­ner­zie­lungs­zwe­cke er­folgt ist, wenn das Pro­dukt zwin­gen­den, kon­kre­ten Rechts­vor­schrif­ten ent­sprach, wenn das Pro­ dukt zum Zeit­punkt des In­ver­kehr­brin­gens dem Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik ent­sprach (Sta­te of the Art) oder ein Zu­lie­fe­rer nach Vor­ga­ben des ver­ bind­li­chen End­her­stel­lers ge­han­delt hat. Die Be­weis­last für die Aus­schluss­grün­de liegt beim Her­stel­ler. Pro­dukt­haf­tung schafft grund­sätz­lich Scha­dens­er­satz­an­ spruch, es besteht eine Selbst­be­tei­li­gung von 500 €, für Kör­per­schä­den liegt die Haf­ tungs­ höchst­ gren­ ze bei 85 Mio. €. Der Anspruch ver­ jährt drei Jah­ re nach Kenn­en­müs­sen des Feh­lers bzw. zehn Jah­re nach In­ver­kehr­brin­gen.



3.5.3

3.   Vertriebsstrategie und -modellierung113

Produktprogramm

Das Pro­gramm um­fasst die Ge­samt­heit der von ei­nem Un­ter­neh­men an­ge­bo­ te­nen Pro­duk­te. Es kann in drei Di­men­si­o­nen ge­stal­tet wer­den, Pro­gramm­brei­te, Pro­gramm­tie­fe, Pro­grammstruktur und Pro­gramm­form (siehe Abb. 30).

  

   

   

  

 

   

   

 

 

 

  

 



Abb. 30: Programmgestaltung

114

A. Vertriebskonzept und Controlling

Erstens be­zieht sich die Gestal­tung der Pro­gramm­brei­te auf die Pro­gramm­ di­ver­si­fi­zie­rung oder die Pro­gramm­uni­fi­zie­rung. Ers­te­re be­deu­tet die Er­hö­hung der An­zahl ver­schie­den­ar­ti­ger Pro­duk­te in ei­nem Pro­gramm, letz­te­re eine Ver­ rin­ge­rung, ohne dass da­mit Ein­pro­duk­tun­ter­neh­men er­reicht wür­den. Pro­gramm­di­ver­si­fi­zie­rung ent­spricht ei­nem Post­ulat der 1980er Jah­re (bei­ spiel­ge­bend: Ge­ne­ral Electric). Die Idee be­stand da­rin, vie­le, auch un­ter­neh­ mens­neue Pro­duk­te auf vie­len, auch un­ter­neh­mens­neu­en Märk­ten an­zu­bie­ten, um Ge­winn­mög­lich­kei­ten mög­lichst um­fas­send ab­grei­fen zu kön­nen. GE galt so zwi­schen­zeit­lich als das wert­volls­te Un­ter­neh­men über­haupt. Als wei­te­res Plus wur­de die Chan­ce zu ei­nem mög­lichst weit­ge­hen­den Ri­si­ko­aus­gleich ge­ se­hen. Da­bei wer­den zwei Stu­fen der Di­ver­si­fi­ka­ti­on un­ter­schie­den: •• Ho­mo­ge­ne Di­ver­si­fi­ka­ti­on be­deu­tet die Zu­sam­men­fas­sung zu­min­dest ar­tähn­ li­cher Pro­duk­te und / oder stu­fen­glei­cher Märk­te in ei­nem g­emeinsamen Pro­ gramm. Zen­tra­le Ab­sicht ist da­bei die Nut­zung von Sy­ner­gi­en, was zu­min­dest maß­voll durch­aus ak­zep­ta­bel ist. •• Hete­ro­ge­ne Di­ver­si­fi­ka­ti­on be­deu­tet die Zu­sam­men­fas­sung mehr oder min­der ver­schie­de­ner Pro­duk­te und auch stu­fen­ver­schie­de­ner Märk­te in ei­nem ge­ mein­sa­men Pro­gramm. Ab­ge­stuft kann in eine me­di­a­le, di­a­go­na­le, la­te­ra­le oder kon­glo­me­ra­le Fas­sung un­ter­schie­den wer­den, mit auf­stei­gen­dem Grad der Vers­chie­den­ar­tig­keit. Zent­ra­les Ziel ist da­bei der Trans­fer über­le­ge­ner Ma­na­ge­ment­fä­hig­kei­ten. Die­se Ent­wick­lung hat sich an­ge­sichts rest­rik­ti­ver, hoch kom­pe­ti­ti­ver Märk­te ins Ge­gen­teil ver­kehrt. (He­te­ro­gen) di­ver­si­fi­zier­te Un­ter­neh­men wer­den an den Ka­pi­tal­märk­ten mit ei­nem Wert­ab­schlag ver­se­hen und Pro­gram­me folg­lich auf­ ge­spal­ten (z.  B. Ge­ne­ral Electric, Bay­er, Sie­mens), weil un­ver­meid­li­che Kom­ plex­itäts­kos­ten und Fehl­leis­tun­gen dazu füh­ren, dass die Teil­pro­gram­me in der Sum­me wert­hal­ti­ger sind als das Ge­samt­pro­gramm, was ag­gres­si­ve Ka­pi­tal­an­ le­ger verständ­li­cher­wei­se un­gern se­hen. In­so­fern bes­teht heu­te ein Trend in Rich­tung der Pro­gramm­uni­fi­zie­rung. Das Ge­ gen­ teil dazu ist die Pro­gramm­uni­fi­zie­rung als Kür­ zung des Pro­ gramms um Pro­dukt­spar­ten, Pro­dukt­grup­pen, Pro­dukt­fa­mi­li­en oder Ein­zel­pro­ duk­te. Grün­de hier­für sind vor al­lem die Ver­mei­dung von Kom­plex­itäts­kos­ten und die bes­se­re Kern­kom­pe­tenz­nut­zung. Dies führt je­doch nicht zu Ein­pro­dukt­ un­ter­neh­men, son­dern zu stär­ker spe­zi­a­li­sier­ten Pro­gram­men. Zwei­tens be­zieht sich die Ge­stal­tung der Pro­gramm­tie­fe auf die Pro­gramm­ dif­fe­ren­zie­rung oder die Pro­gramm­stan­dar­di­sie­rung. Eine Pro­gramm­dif­fe­ren­zie­ rung (auch un­zu­tref­fend Pro­dukt­dif­fe­ren­zie­rung ge­nannt) be­deu­tet die Er­wei­te­ rung des Pro­gramms als An­zahl ver­schie­de­ner Aus­prä­gun­gen ei­nes Pro­dukts. Zie­le sind da­bei im Ein­zel­nen die Preis­ab­schöp­fung (Ein­be­halt ei­ner Nach­fra­ ge­rren­te) und die Men­gen­aus­wei­tung (Nut­zung der Kosten­de­gres­si­on). Mög­lich wird dies durch Pro­duk­ti­ons­tech­ni­ken wie Mo­dul­fer­ti­gung, Platt­form­prin­zip, Post­po­ne­ment etc. In­so­fern liegt dies durch­aus im Trend.



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung115

Durch Pro­gramm­dif­fe­ren­zie­rung ent­ste­hen ver­schie­de­ne Pro­dukt­ver­si­o­nen in­ner­halb ei­ner Pro­dukt­li­nie in Be­zug auf Per­son, Sa­che, Zeit, Raum, Ausfüh­ rung, Men­ge, ohne dass da­raus be­reits ein neu­es Pro­dukt ent­steht. Die Kri­te­ri­en kön­nen ein­zeln oder si­mul­tan er­füllt wer­den, frei­lich sind die Über­gän­ge da­bei flie­ßend. Die Pro­gramm­brei­te bleibt also gleich, die Pro­gramm­tie­fe je­doch er­ höht sich. Eine Pro­dukt­li­nie bes­teht da­bei aus ver­wand­ten, art- und ver­wen­dungs­glei­ chen Pro­duk­ten (z.  B. Li­mou­si­ne, Cou­pé, Cab­rio, Kom­bi der MB C-Klas­se). Die­se Pro­duk­te gibt es wie­der­um in von­ei­nan­der ab­ge­ho­be­nen Ver­si­o­nen (z.  B. je nach Aus­stat­tung, Mo­to­ri­sie­rung, Leis­tung). Da­raus er­gibt sich die Pro­ gramm­dif­fe­ren­zie­rung. Eine kom­bi­nier­te Dif­fe­ren­zie­rung be­deu­tet, dass die­se Ver­si­o­nen im Markt ne­ben­ei­nan­der an­ge­bo­ten wer­den (Pro­dukt- und Markt­dif­fe­ren­zie­rung), d.  h., im Markt sind ne­ben­ei­nan­der dif­fe­ren­zier­te Ver­si­o­nen ei­nes Pro­dukts er­hält­lich. Eine ein­fa­che Dif­fe­ren­zie­rung be­deu­tet, dass die­se Ver­si­o­nen im Markt ein­zeln an­ge­bo­ten wer­den (nur Pro­dukt-, aber kei­ne Markt­dif­fe­ren­zie­rung), d.  h., im Markt ist je­weils nur eine Ver­si­on er­hält­lich, im Pro­gramm be­fin­den sich aber meh­re­re Ver­si­o­nen für ver­schie­de­ne Markt­räu­me und Zeit­ab­schnit­te. Bei der kom­bi­nier­ten Pro­gramm­dif­fe­ren­zie­rung liegt eine sol­che •• nach der Per­son vor, wenn kun­den­in­di­vi­du­el­le bzw. kunden­grup­pen­spe­zi­fi­ sche Ver­si­o­nen ei­nes Grund­pro­dukts an­ge­bo­ten wer­den, dies ist durch mo­der­ ne Fer­ti­gungs­me­tho­den gut dar­stell­bar und im In­dust­rie­gü­ter­ge­schäft oh­ne­hin gang und gäbe, •• nach der Sa­che vor, wenn zwei oder mehr Leis­tungs­ab­stu­fun­gen / Funk­ti­o­na­ li­tä­ten ei­nes Pro­dukts zeit- und raum­gleich am Markt an­ge­bo­ten wer­den, dies ist durch­aus ty­pisch für An­bie­ter­pro­gram­me (z.  B. tech­ni­sche Ge­brauchs­gü­ter in Mo­to­ri­sie­rung, Schleu­der­tou­ren, Saug­kraft, Ak­ku­lauf­zeit), •• nach Zu­satz­aus­stat­tun­gen vor, wenn jede Pro­dukt­ver­si­on in der Sa­che an­ge­ passt wer­den kann, so dass prak­tisch in­di­vi­du­el­le Pro­duk­te ent­ste­hen, dann geht die sach­li­che Dif­fe­ren­zie­rung im Er­geb­nis in eine per­sön­li­che über. Bei der ein­fa­chen Pro­gramm­dif­fe­ren­zie­rung liegt eine sol­che •• nach der Zeit vor, wenn in­ner­halb ei­ner kür­ze­ren An­ge­bots­frist wech­sel­wei­se zwei oder mehr von­ei­nan­der ab­ge­ho­be­ne Ver­si­o­nen ei­nes Pro­dukts an­ge­bo­ten wer­den, z.  B. Sai­son­auf­ma­chun­gen, •• nach dem Raum vor, wenn in ver­schie­de­nen Ver­triebs­ge­bie­ten von­ei­nan­der ab­wei­chen­de Ver­si­o­nen ei­nes Pro­dukts an­ge­bo­ten wer­den, dies ist üb­lich im In­ter­na­ti­o­na­len Mar­ke­ting, um sich den Be­son­der­hei­ten der je­wei­li­gen Märk­ te an­zu­pas­sen, z.  B. auf­grund ih­rer Kul­tur, •• nach raum-zeit­li­cher Si­tu­a­ti­on vor, wenn Pro­dukt­ver­si­o­nen nur punk­tu­ell an­ ge­bo­ten wer­den, z.  B. als ein­ma­li­ge (Li­mi­ted Edi­ti­ons) oder sich wie­der­ho­len­ de Son­der­se­ri­en (Ak­ti­o­nen), dies un­ter­stützt die Ak­tu­a­li­tät der Pro­duk­te.

116

A. Vertriebskonzept und Controlling

Eine ver­ti­ka­le Pro­dukt­dif­fe­ren­zie­rung er­folgt nur in Be­zug auf die Dar­rei­ chungs­form als Line Ex­ten­si­ons, so •• nach der Aus­füh­rung, wenn zwei oder mehr ver­schie­de­ne Wer­tig­kei­ten ei­nes Pro­dukts an­ge­bo­ten wer­den, z.  B. in Be­zug auf Ma­te­ri­al, Far­be, Ober­flä­che, Ge­schmack, Ge­ruch, •• nach der Men­ge, wenn iden­ti­sche oder ver­wand­te Pro­duk­te in ver­schie­de­nen Ab­ga­be­men­gen (Ge­bin­de­grö­ßen) of­fe­riert wer­den. Im Re­gel­fall ist mit der Pro­dukt- zu­gleich auch eine Preis­dif­fe­ren­zie­rung ge­ ge­ben, so dass sich da­raus eine An­ge­bots­dif­fe­ren­zie­rung (Vers­ioning) er­gibt. Das Ge­gen­teil dazu ist die Pro­gramm­stan­dar­di­sie­rung als Ver­rin­ge­rung der An­zahl ver­schie­de­ner Aus­prä­gun­gen ei­nes Pro­dukts im Pro­gramm. Dies ist nur aus­nahms­wei­se zu be­obach­ten und wider­spricht dem Trend der Märk­te zur In­ di­vi­du­a­li­sie­rung. Bei­spie­le fin­den sich etwa im Han­del bei Dis­coun­ters, aber auch bei wenig nach­ge­frag­ten Pro­dukt­li­ni­en, häu­fig kurz vor der Eli­mi­nie­rung oder auf­grund von Nor­men eng spe­zi­fi­zier­ten Pro­duk­ten. Die Pro­gramm­brei­te und -tie­fe er­ge­ben ge­mein­sam die Pro­gramm­mäch­tig­keit. Da­bei ist ein Trend zur Ver­rin­ge­rung der Pro­gramm­brei­te bei gleich­zei­ti­ger Er­hö­ hung der Pro­gramm­tie­fe zu kon­sta­tie­ren. Das Pro­gramm ei­nes Un­ter­neh­mens wird da­mit ten­den­zi­ell ho­mo­ge­ner. Wo­bei dies auch zu­stan­de kommt, weil he­te­ ro­ge­ne Un­ter­neh­men fort­schrei­tend in kon­zen­trisch or­ga­ni­sier­te auf­ge­spal­ten wer­den, de­ren Pro­gramm also en­ger wird (z. B. Sie­mens zu Ep­cos, In­fi­ne­on, Os­ ram, He­alt­he­neers, Ga­me­sa, Al­strom). So­wie durch tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten zur Pro­duk­ti­ons­an­pas­sung (Push) und markt­li­che For­de­run­gen nach In­di­vi­du­a­li­sie­ rung (Pull). Drit­tens ist eine Ge­stal­tung der Pro­gramm­struk­tur mög­lich. Dabei wird zwi­ schen Produktions­pro­gramm ei­ner­seits und Ver­trieb­spro­gramm an­de­rer­seits un­ter­schie­den (siehe Abb. 31). Bei­de kön­nen über­ein­stim­men oder von­ei­nan­der

      

       

  

   

Abb. 31: Programmstruktur



3.   Vertriebsstrategie und -modellierung117

Markenprogramm Lizenzmarken

Eigenmarken Eigenprodukte

OEM-Produkte

Produktprogramm Abb. 32: Programmform

ab­wei­chen, bei Han­dels­wa­re be­fin­den sich Pro­duk­te im Ver­trieb­spro­gramm, nicht aber im Pro­duk­ti­ons­pro­gramm, bei Zu­lie­fe­run­gen be­fin­den sich Pro­duk­te im Pro­duk­ti­ons­pro­gramm, nicht aber im Ver­trieb­spro­gramm. Die Wahl hängt ab von der Wert­schöp­fungs­span­ne in der Bran­che bzw. von der Fer­ti­gungs­tie­fe im Un­ter­neh­men. Han­dels­wa­re wird ver­kauft, weil vor al­lem nach­fra­ge­mäch­ti­ge Ab­neh­mer ein kom­plet­tes An­ge­bot von ih­ren Lie­fe­ran­ten er­war­ten. Dies ent­spricht dem Trend zum Sin­gle Sour­cing, das nach­fra­ger­sei­tig vor al­lem zur Ein­spa­rung von Pro­zess­ Programmform kos­ten dient. Da­raus folgt in­so­fern Kun­den­bin­dung, auch wenn in der Ab­wick­ lung nen­nens­wer­te Kom­plex­itäts­kos­ten an­fal­len. Dies gilt ge­ne­rell auch, wenn ein Zu­kauf leis­tungs­fä­hi­ger bzw. kos­ten­güns­ti­ger ist als eine Selbst­erstel­lung. Vier­tens ist an die Ge­stal­tung der Pro­gramm­form zu den­ken. Auch da­bei ist zwi­schen dem Mar­ken- und dem Pro­dukt­pro­gramm zu un­ter­schei­den (siehe Abb. 32). Zu ers­te­rem ge­hö­ren die un­ter ei­ge­nem Ab­sen­der ver­mark­te­ten Pro­ duk­te so­wie die in Li­zenz ver­mark­te­ten Pro­duk­te un­ter frem­der Mar­ke. Da­bei will der Li­zenz­ge­ber sein Mar­ken­image mo­ne­ta­ri­sie­ren. Zu letz­te­rem ge­hö­ren ne­ben den ein­stu­fig ver­trie­be­nen, ei­ge­nen Pro­duk­ten auch sol­che ohne ei­ge­ne Mar­ke (Ori­gi­nal Equip­ment Ma­nu­fac­tu­ring), die mehrstu­fig an Drit­te ab­ge­ge­ben und von die­sen dann mit de­ren Mar­ke ver­se­hen wer­den. Dies bie­tet sich im­mer an, wenn de­ren Re­pu­ta­ti­on für ein Pro­dukt als hö­her ein­ge­schätzt wird als die ei­ge­ne. OEM-Ware wird vor al­lem her­ge­stellt, um vor­han­de­ne Ka­pa­zi­tä­ten aus­zu­las­ ten. Da­bei wird in Kauf ge­nom­men, dass die Leis­tun­gen, de­ren Bestand­teil die OEM-Ware wird, den ei­ge­nen Pro­duk­ten am Markt Kon­kur­renz ma­chen. Aber der er­höh­te Durch­satz führt zu fort­ge­schrit­te­ner Kosten­de­gres­si­on nicht nur für die OEM-Ware, son­dern auch für die im Ver­trieb­spro­gramm an­ge­bo­te­nen ei­ge­ nen Pro­duk­te. In­so­fern ist ab­zu­wä­gen, ob die­se Kos­ten­ein­spa­rung hö­her wiegt als die Kan­ni­ba­li­sie­rung oder nicht.

118

4.

A. Vertriebskonzept und Controlling

Vertriebsorganisation und -abläufe

Das Un­ter­ka­pi­tel „Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on und -ab­läu­fe“ be­schäf­tigt sich mit der struk­tu­rel­len und pro­zes­su­a­len Ein­bet­tung des Ver­triebs im Un­ter­neh­men. Dazu wer­den zu­nächst mög­li­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­tei­lun­gen vor­ge­stellt und dis­ ku­tiert (4.1). Da­rauf wer­den sie spe­zi­fi­schen Aus­prä­gun­gen des Ver­triebs in der Di­men­si­on der Ver­rich­tung (4.2), in der Di­men­si­on der Kon­fi­gu­ra­ti­on (4.3) und in der Di­men­si­on der Ko­or­di­na­ti­on (4.4) er­läu­tert und auch be­wer­tet. Kurz wird auf Hy­bri­de Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men ein­ge­gan­gen (4.5), be­vor der In­ halt sich dann der im­mer wich­ti­ge­ren Ab­lauf­or­ga­ni­sa­ti­on (4.6) und ih­ren Stell­ grö­ßen wid­met. Le­ser ken­nen nach Durch­sicht die­ses Un­ter­ka­pi­tels die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­tei­ lun­gen und -di­men­si­o­nen. Sie wis­sen um die Be­deu­tung der Pro­zes­sor­ga­ni­sa­ ti­on für funk­ti­ons­fä­hi­ge Ver­triebs­abläu­fe. Und sie kön­nen die­se Er­kennt­nis­se an­hand ei­ge­ner oder frem­der Un­ter­neh­mens­dis­po­si­ti­o­nen um­set­zen. 4.1

Organisationseinteilung

Zur Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­tei­lung ge­hö­ren so prak­ti­sche Din­ge wie die zu ge­stal­ ten­den Auf­ga­ben, die Stel­len, die da­mit im Ein­zel­nen be­fasst sind in ih­rer Stel­ len­be­schrei­bung, ih­rer auf­bau­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Struk­tur, gra­fisch als Organigramm, so­wie ih­rer Lei­tungs­tie­fe und -span­ne. Die­se Ele­men­te wer­den im Nach­fol­gen­den ver­an­schau­licht. 4.1.1

Aufgabengestaltung

Für den Begriff „Or­ga­ni­sa­ti­on“ gibt es drei In­ter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze: •• Der funk­ti­o­na­le Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­griff ver­steht Or­ga­ni­sa­ti­on als ziel­ge­rich­te­te Tä­tig­keit zur Schaf­fung von Struk­tu­ren (das Un­ter­neh­men wird or­ga­ni­siert), es geht also um die Tä­tig­keit des Or­gan­isie­rens. •• Der in­sti­tu­ti­o­na­le Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­griff ver­steht Or­ga­ni­sa­ti­on als ziel­ge­rich­te­ tes, so­zio-tech­ni­sches Sys­tem mit ei­ner for­ma­len Struk­tur (das Un­ter­neh­men ist da­bei eine Or­ga­ni­sa­ti­on). •• Der in­stru­men­ta­le Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­griff ver­steht Or­ga­ni­sa­ti­on als In­stru­ment der Ord­nung ei­nes Un­ter­neh­mens zur Ziel­er­rei­chung (das Un­ter­neh­men hat dem­nach eine Or­ga­ni­sa­ti­on). Bei Ele­men­ten, die Ge­gen­stand der Or­ga­ni­sa­ti­on sind, han­delt es sich um fol­gen­de: •• Auf­ga­ben, die im Un­ter­neh­men zu er­le­di­gen sind, •• Auf­ga­ben­trä­ger, die die­se Er­le­di­gung über­neh­men,



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe119

•• Sach­mit­tel, die die­se bei der Er­le­di­gung un­ter­stüt­zen, •• In­for­ma­ti­o­nen, die zur Er­le­di­gung er­for­der­lich sind. Eine Auf­ga­be ist all­ge­mein eine dau­er­haf­te Ver­pflich­tung des Mit­ar­bei­ters, be­stimm­te Hand­lun­gen aus­zu­füh­ren, um ein vor­ab de­fi­nier­tes Ziel zu er­rei­chen. Die Auf­ga­ben­ge­stal­tung er­folgt in den Pha­sen Auf­ga­ben­ana­ly­se und Auf­ga­ben­ syn­the­se. Jede Auf­ga­be ist all­ge­mein durch fünf Merk­ma­le ge­kenn­zeich­net, die in der Auf­ga­ben­ana­ly­se er­mit­telt wer­den: •• Ver­rich­tung, d.  h. wel­che Ak­ti­vi­tä­ten wer­den im Ein­zel­nen vor­ge­nom­men, •• Ob­jekt, d.  h. an wel­chem Ge­gen­stand wer­den die­se Ak­ti­vi­tä­ten vor­ge­nom­men, •• Rang, d. h. han­delt es sich um über­wie­gend aus­füh­ren­de oder über­wie­gend ent­schei­den­de Ak­ti­vi­tä­ten, •• Pha­se, d.  h. han­delt es sich um Pla­nungs-, Re­al­isa­ti­ons- oder Kon­troll­auf­ga­ ben, •• Zweck­be­zie­hung, d.  h. han­delt es sich um pri­mä­re Ak­ti­vi­tä­ten (Nutz­leis­tung) oder se­kun­dä­re Ak­ti­vi­tä­ten (Stütz­leis­tung). Nach­dem alle Auf­ga­ben auf die­se Wei­se ana­ly­siert wor­den sind, gilt es in der nächs­ten Stu­fe, sie zu­sam­men zu füh­ren. Dies er­folgt in der Auf­ga­ben­syn­the­se. Die Auf­ga­ben­syn­the­se be­trifft die or­ga­ni­sa­to­ri­sche In­teg­ra­ti­on der Auf­ga­ben durch ihre Zen­tra­li­sa­ti­on (Kon­zen­tra­ti­on auf eine Stel­le) oder De­zen­tra­li­sa­ti­on (Ver­tei­lung an ver­schie­de­ne Stel­len). Eine Stel­le ist da­bei die kleins­te, selbst­stän­dig han­deln­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ein­heit. Meh­re­re Stel­len kön­nen zu Ab­tei­lun­gen zu­sam­men­ge­fasst wer­den. Stel­ len las­sen sich viel­fach dif­fe­ren­zie­ren, so etwa nach der •• Art der Auf­ga­ben­trä­ger in Form von Men­schen, Ma­schi­nen oder Mensch-Ma­ schi­ne-Kom­bi­na­ti­o­nen, •• An­zahl der Auf­ga­ben­trä­ger in Sin­gu­lar- / Ein­per­so­nen- oder Plu­ral- / Mehr­per­ so­nenstellen,­ •• Ent­schei­dungs­be­fug­nis in Lei­tungs­stel­len (Instan­zen) oder Aus­füh­rungs­stel­len ohne Ent­schei­dungs- und Wei­sungs­be­fug­nis. Ziel ist die Zu­sam­men­fas­sung von Auf­ga­ben in ei­ner Stel­le, und zwar als •• ge­mein­sa­me Ver­rich­tung (z.  B. Ge­samt­buch­hal­tung), •• ge­mein­sa­mes Ob­jekt (Pro­dukt, Ge­biet, Kun­de), •• ganz­heit­li­che Ent­schei­dung (Füh­rungs­auf­ga­ben), •• Pla­nung und Kon­trol­le, •• Se­kun­där­ak­ti­vi­tät (Ad­mi­nist­ra­ti­on),

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Sach­aus­stat­tung wie Be­triebs­mit­tel oder Werks­tof­fe (z.  B. IT-Ab­tei­lung), •• Raum als lo­ka­le Zu­ord­nung (z.  B. Be­triebs­stand­or­te), •• Zeit als tem­po­ra­le Zu­ord­nung (z.  B. Pro­jekt), •• Pro­zess (z.  B. Auf­trags­be­ar­bei­tung), •• Per­son (Auf­ga­ben­trä­ger der Ak­ti­vi­tä­ten). 4.1.2

Stellenbildung

Die Zen­tra­li­sa­ti­on von Auf­ga­ben führt zur Stel­len­bil­dung. Instan­zen sind da­ bei Stel­len mit fach­li­cher und dis­zip­li­na­ri­scher Wei­sungs­be­fug­nis (bei­des kann aus­ei­nan­der­fal­len). Sie kön­nen nach ih­ren dis­po­si­ti­ven bzw. exe­ku­ti­ven An­tei­len am obe­ren Ende (Top-Ma­na­ge­ment), in der Mit­te (Midd­le Ma­na­ge­ment) oder am un­te­ren Ende (Lo­wer Ma­na­ge­ment) der Hier­ar­chie an­ge­ord­net sein. Instan­ zen ko­or­di­nie­ren Auf­ga­ben durch per­sön­li­che Wei­sung oder techn­o­kra­tisch über Pro­gram­me und Plä­ne. Ihre Kenn­zei­chen sind Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz und Rech­te in Be­zug auf Ini­ti­a­ti­ve, Ent­schei­dung, Wei­sung und Kon­trol­le. Dies be­trifft so­ wohl die Ver­ant­wor­tung für ei­ge­ne Ver­fü­gun­gen als auch die für un­terstell­te, frem­de Ver­fü­gun­gen. Die per­sön­li­che Wei­sung ent­spricht häu­fig ei­ner si­tu­a­ti­ven Füh­rung. Als Vor­tei­le per­sön­li­cher Wei­sung gel­ten vor al­lem die leich­te Ge­stalt­bar­keit als si­tu­a­ti­ve An­pas­sung und die schnel­le ad hoc-Ein­setz­bar­keit. Als Nach­tei­le sind die po­ten­zi­el­le Über­las­tung der Instanz, das Er­for­der­nis ho­her Qua­li­fi­ka­ ti­on, der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­schuss und Ak­zept­anz­prob­le­me bei feh­len­dem Ta­lent an­zu­se­hen. Al­ter­na­tiv dazu sind Pro­gram­me (Wenn  … dann-Ver­knüp­fun­gen) denk­bar. Ihre Vor­tei­le sind ge­rin­ger Ab­stim­mungs­be­darf, Ent­las­tung der Lei­tungs­spit­ze, Tren­nung von Sach- und Per­so­nen­as­pek­ten, ver­bes­ser­te Ent­schei­dungs­qua­li­tät und mut­maß­lich all­ge­mein hö­he­re Ef­fi­zi­enz. Als Nach­tei­le sind hin­ge­gen ihre Bü­ro­kra­ti­sie­rungs­ten­denz, eine man­geln­de Fle­xi­bi­li­tät, die un­zweck­mä­ßi­ge An­wen­dung und der Rück­gang der Ei­gen­ini­ti­ a­ti­ve an­zu­se­hen. Instan­zen wer­den ggf. durch Lei­tungs­hilfs­stel­len un­ter­stützt (Stab, As­sis­tenz etc.), die ih­nen zu­ar­bei­ten. Die Lei­tung kann auch durch Per­so­nen­grup­pen wahr­ge­nom­men wer­den (Gre­mi­en, Kol­le­gi­en, Aus­schüs­se etc.). Die Dar­stel­lung der Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on fin­det ver­bal als Stel­len­be­schrei­bung, gra­fisch durch Or­gan­igramm oder for­ma­li­siert über Sym­bo­lik statt. Die Stel­len­be­schrei­bung ent­hält zu­meist fol­gen­de we­sent­li­chen In­hal­te: •• All­ge­mei­ne In­for­ma­ti­o­nen wie Stel­len­be­zeich­nung, Auf­ga­ben­be­reich, or­ga­ni­ sa­to­ri­sche Ein­ord­nung, Voll­mach­ten, Ent­loh­nungs­grup­pe etc.,



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe121

•• Instanz­an­ga­ben mit Über- und Un­ter­stel­lung, ak­ti­ver und pas­si­ver Stell­ver­tre­ tung, fach­li­cher und dis­zip­li­na­ri­scher Zu­stän­dig­keit etc., •• exak­te Ziel­set­zung der Stel­le, •• Auf­ga­ben­bild mit Hand­lungs- und Ent­schei­dungs­spiel­räu­men, über­schlä­gi­gen An­tei­len der Teil­auf­ga­ben, er­folgs­kri­ti­schen Ar­beits­in­hal­ten etc., •• Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bild mit Ko­or­di­na­ti­ons-, Be­ra­tungs-, In­for­ma­ti­ons- und Be­ richts­as­pek­ten, •• Leis­tungs­bild mit Qua­li­fi­ka­ti­on, Fach-, Me­tho­den-, So­zi­al- und In­di­vi­du­al­ kom­pe­ten­zen. Stel­len­be­schrei­bun­gen sind per­so­nenun­ab­hän­gig zu be­stim­men. Es ent­spricht ei­nem häu­fi­gen prak­ti­schen Feh­ler, Stel­len­be­schrei­bun­gen um be­stimm­te Mit­ar­ bei­ter he­rum zu de­fi­nie­ren. Doch fal­len die­se Mit­ar­bei­ter aus ir­gend­ei­nem Grund dann spä­ter aus, wird es kaum ge­lin­gen, ei­nen Nach­fol­ger mit exakt dem­sel­ben Leis­tungs­pro­fil zu fin­den. Das be­deu­tet, dass des­we­gen die Stel­len­be­schrei­bung mo­di­fi­ziert wer­den muss. Da Stel­len­be­schrei­bun­gen sich aber wie Puz­zle­tei­le er­ gän­zen, be­deu­tet die Ver­än­de­rung ei­ner Stel­len­be­schrei­bung im Re­gel­fall auch die Ver­än­de­rung an­de­rer, so dass bei je­dem Per­so­nen­wech­sel An­pas­sun­gen er­for­ der­lich wer­den, was zu ei­ner ste­ten Un­ru­he in der Or­ga­ni­sa­ti­on führt. Bei Füh­rungs­stel­len wird auf eine Stel­len­be­schrei­bung oft ver­zich­tet. Als Ar­ gu­ment wird dazu an­ge­führt, dass die Auf­ga­ben dort zu kom­plex und kom­pli­ ziert sei­en, um sie in Stel­len­be­schrei­bun­gen zu nor­mie­ren. Doch bei Ma­na­ge­ ment­que­re­len ist nicht sel­ten der An­lass, dass das, was der Ma­na­ger als Auf­ga­be ver­stan­den hat und ma­chen möch­te, nicht dem ent­spricht, was das Un­ter­neh­men als Auf­ga­be zu be­set­zen hat. Da­raus ent­ste­hen teu­re Miss­verständ­nis­se. Zur ein­fa­chen Er­fas­sung bie­tet sich eine For­mu­lar­lö­sung an. Für pro­fes­si­o­ nel­le Ar­beit sind For­mu­la­re eine un­er­läss­li­che Hil­fe. Man ge­rät als Mit­ar­bei­ter leicht in Ver­ruf, „be­am­tig“ zu sein, wenn man die­se ein­setzt. Doch ge­eig­ne­te For­ mu­ la­ re stel­ len si­ cher, dass man an al­ les ge­ dacht hat und die schrift­ li­ che Form schafft zu­dem eine hohe Verb­ind­lich­keit. Zweck­mä­ßig ist auch die Ver­ wen­dung ver­ein­bar­ter Sym­bo­le. Das Or­gan­igramm ist die gra­ fi­ sche Dar­ stel­ lung der Über- und Un­ ter­ ord­ nungs­ver­hält­nis­se in der Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on so­wie der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Struk­ tu­rie­rung. Da­raus er­ge­ben sich Wei­sungs- und Be­richts­be­zie­hun­gen, Lei­tungs­ span­nen und -tie­fen, die Ver­tei­lung der Auf­ga­ben und Zu­stän­dig­kei­ten so­wie die Ein­ord­nung von Lei­tungs­hilfs­stel­len (an­ge­legt als ver­ti­ka­le / ho­ri­zon­ta­le Py­ra­mi­ den, Säu­len, Blö­cke etc.). Dies er­mög­licht ei­nen ra­schen Über­blick. Als Hier­ar­chie­stu­fen er­ge­ben sich zu­meist fol­gen­de: •• Ge­schäfts­füh­rung / Ge­samt­vorstand, •• Be­reichs­vorstand Ver­trieb und Mar­ke­ting,

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Be­reichs­lei­tung Ver­trieb, •• Haupt­ab­tei­lungs­lei­tung Ver­trieb, •• Ab­tei­lungs­lei­tung Ver­kauf, •• Sach­ge­biets­lei­tung Ob­jekt­grup­pen­ver­kauf, •• Sach­be­ar­bei­tung Ob­jekt­li­ni­en­ver­kauf, •• Vertriebsassis­tenz (Innendienst). In neu­er­er Zeit hat sich die Lei­tungs­tie­fe er­heb­lich ver­rin­gert (Lean Ma­na­ge­ ment). Dies hängt ei­ner­seits an dem Er­for­der­nis zur Re­duk­ti­on der Over­heads (Ge­mein­kos­ten für nicht-wert­schöp­fen­de Tä­tig­kei­ten), an­de­rer­seits an der In­for­ ma­ti­ons­fil­te­rung und -ver­zer­rung über meh­re­re Hier­ar­chiestu­fen hin­weg. Dies ist so­wohl Top down prob­le­ma­tisch, wenn da­durch die Ein­heit der Lei­tung ge­fähr­ det wird, als auch Bot­tom up, da da­von aus­zu­ge­hen ist, dass die Mit­ar­bei­ter an der Ba­sis den bes­ten Ein­blick in kon­kre­te Sach­ver­hal­te ha­ben. Im Ge­gen­zug ver­ brei­tert sich die Lei­tungs­span­ne, d.  h. ei­nan­der gleich­be­rech­tig­te, un­ter­ge­ord­ne­te Per­so­nen bzw. Grup­pen mit ver­gleichs­wei­se ho­her, re­la­ti­ver Au­to­no­mie. Nach­dem die Stel­le abst­rakt be­schrie­ben wor­den ist, wird es er­for­der­lich, da­für die best­ge­eig­ne­te (per­so­nel­le) Be­set­zung zu fin­den. Da­für ste­hen in­ter­ne und ex­ter­ne Be­schaf­fungs­quel­len zur Ver­fü­gung. Ent­spricht das Pro­fil des ge­ plan­ten Stel­len­in­ha­bers nicht den An­for­de­run­gen, kann durch Per­so­nal­ent­wick­ lung über Wis­sens­schu­lung und Ver­hal­tens­trai­ning ein­ge­wirkt wer­den. Al­ter­na­ tiv, wenn­gleich prob­le­ma­tisch ist auch ein Neu­zu­schnitt der Stel­le denk­bar. Un­ter Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on ver­steht man die sach­li­che und lo­gi­sche Auf­tei­lung ei­ner Ge­samt­auf­ga­be in Teil­auf­ga­ben und de­ren Zu­sam­men­fas­sung in Or­ga­ni­ sa­ti­ons­ein­hei­ten zur Er­fül­lung der Un­ter­neh­mens­zie­le. Die Auf­ga­ben­zu­ord­nung hängt von den Kom­pe­ten­zen des je­wei­li­gen Stel­len­in­ha­bers ab, da­bei han­delt es sich im Ein­zel­nen um: •• Wis­sen (be­zo­gen auf be­stimm­te Tä­tig­kei­ten oder all­ge­mein) als Fach­kom­pe­ tenz, •• Kön­nen (ma­nu­el­le oder geis­ti­ge Fer­tig­kei­ten) als Me­tho­den­kom­pe­tenz, •• Ver­halten (in­ter­per­so­nell) als So­zi­al­kom­pe­tenz, •• Ver­ant­wor­tung (mo­ti­va­ti­o­nal) als In­di­vi­du­al­kom­pe­tenz. Me­tho­den-, So­zi­al- und In­di­vi­du­al­kom­pe­ten­zen wer­den auch als Schlüs­sel­ qua­li­fi­ka­ti­o­nen be­zeich­net. Dies ist klar zu un­ter­schei­den von for­ma­len Kom­ pe­ten­zen in Be­zug auf In­for­ma­ti­o­nen, Ver­fü­gun­gen, Ver­pflich­tun­gen, Ent­schei­ dun­gen, Wei­sun­gen, Kon­trol­len, An­trä­ge, Aus­füh­run­gen etc. Die Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on im Vertrieb kann nach den Di­men­si­o­nen Spe­zi­a­li­sie­ rung, Kon­fi­gu­ra­ti­on und Ko­or­di­na­ti­on ein­ge­teilt wer­den. Je­weils er­ge­ben sich da­bei Un­ter­for­men, die spe­zi­fi­sche Vor- und Nach­tei­le auf­wei­sen, die im Fol­ gen­den er­läu­tert wer­den.



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe123

4.2

Verrichtungsorganisation im Vertrieb

Die Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on folgt im Kern dem Prin­zip der Ver­rich­tung ab der zwei­ ten Ebe­ ne (bzw. auf der zwei­ ten Ebe­ ne, weil auf den wei­ te­ ren Ebe­ nen wie­der an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en an­ge­wandt wer­den kön­nen) (siehe Abb. 33). Um zu ei­ner Eva­lu­ie­rung zu ge­lan­gen, ist es zweck­mä­ßig, die Vorund Nach­tei­le der Ver­rich­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on im Ver­trieb zu be­trach­ten. Die Vor­tei­le lie­gen vor al­lem in fol­gen­den As­pek­ten. Es bes­teht die Mög­lich­ keit zur Ein­stel­lung und Be­schäf­ti­gung hoch spe­zi­a­li­sier­ter Mit­ar­bei­ter in al­len Funk­ti­ons­be­rei­chen. Durch ihre Funk­ti­ons­spe­zi­a­li­sie­rung ver­ei­ni­gen die­se Mit­ ar­bei­ter ein ho­hes Maß an Kom­pe­tenz und tra­gen da­mit zu ei­nem ins­ge­samt ho­hen Ni­veau der Tä­tig­keits­er­fül­lung bei. Da­mit ist mut­maß­lich eine hö­he­re Qua­li­tät der Leis­tungs­er­fül­lung ver­bun­den. Es er­gibt sich eine ver­bes­ser­te Pla­ nung und Prob­lem­lö­sung. Denn die spe­zi­a­li­sier­ten Mit­ar­bei­ter kön­nen ih­ren Vorstand BL Vertrieb

HAL Vertriebsservices

BL Produktion

HAL Vertriebsplanung

HAL Vertriebsumsetzung

AL Vertrieb Asien/ Pazifik

AL Vertrieb Europa/ Afrika

BL Finanzen

AL Vertrieb Amerika

BL = Bereichsleitung, HAL = Hauptabteilungsleitung, AL = Abteilungsleitung Abb. 33: Schema der Verrichtungsorganisation im Vertrieb

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Be­reich vor dem Hin­ter­grund ih­res Know-hows nicht nur sach­verstän­di­ger pla­ nen, son­dern auch wir­kungs­vol­ler steu­ern. Dies kann vor al­lem an­ge­sichts kom­ ple­xer Ak­ti­vi­tä­ten, wie sie für den Ver­trieb ty­pisch sind, ein ent­schei­den­der Wett­be­werbs­vor­teil sein. Es kommt zu ei­ner Be­to­nung der Ver­triebs­funk­ti­on durch Dar­stel­lung der Viel­falt der Ar­beits­be­rei­che bei gleich­mä­ßi­ger In­an­ spruch­nah­me der Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen, die für alle Ar­beits­be­rei­che gel­ten und spe­zi­fi­sche Un­ter­stüt­zun­gen leis­ten. Es kommt zu ver­kürz­ten Kom­mu­ni­ka­ ti­ons­we­gen, die zu ei­ner Ent­las­tung der Lei­tungs­spit­ze füh­ren, denn Fach­kom­ pe­tenz wird wich­ti­ger als hier­ar­chi­sche Po­si­ti­on. Der Ef­fek­ti­vi­täts­vor­teil ist im Zuge sich im­mer hek­ti­scher ent­wi­ckeln­der Märk­te von ho­her Be­deu­tung, weil Zeit zu ei­nem zent­ra­len Wett­be­werbs­fak­tor ge­wor­den ist. Die Nach­tei­le lie­gen al­ler­dings in fol­gen­den As­pek­ten. Es kommt zu ei­ner Be­gren­zung der Prak­ti­ka­bi­li­tät auf re­la­tiv ho­mo­ge­ne Pro­gramm­struk­tu­ren. In­so­ weit als Spe­zi­a­lis­ten-Know-how über die rei­ne Ar­beits­tech­nik hi­naus er­for­der­ lich ist, ist der Funk­ti­ons­spe­zi­a­list über­for­dert. Dies be­trifft vor al­lem in­no­va­ti­ve Vor­gän­ge. Es ent­steht eine un­er­wünsch­te Zu­nah­me von Ver­wal­tungs­stel­len bei ei­ner star­ken Auf­fä­che­rung der Funk­ti­ons­be­rei­che (Over­heads). Je fein­tei­li­ger die­se ge­gen­ei­nan­der ab­ge­grenzt sind, des­to grö­ßer ist po­ten­zi­ell der Be­darf an qua­li­fi­zier­tem Per­so­nal. Dies wie­der­um führt zu ei­ner Auf­blä­hung des Kos­ten­ ap­pa­rats, die sich nur we­ni­ge Un­ter­neh­men leis­ten wol­len. Es er­gibt sich die Prob­le­ma­tik in­ten­si­ver Kom­mu­ni­ka­ti­on und auf­wän­di­ger Ko­or­di­na­ti­on der ein­ zel­nen Funk­ti­ons­trä­ger. Die Spe­zi­a­li­sie­rung in­vol­viert ab­tei­lung­se­go­is­ti­sches Den­ken, das von den ganz­heit­li­chen Un­ter­neh­mens­zie­len ab­wei­chen kann. In­ so­fern ist wahr­schein­lich, dass par­ti­el­le Op­ti­ma an­stel­le ei­nes ganz­heit­li­chen Op­ti­mums er­reicht wer­den. Es liegt eine Ge­fahr in der feh­len­den Ein­heit der Lei­tung und der Be­güns­ti­gung von Res­sort­den­ken. Die­se füh­ren evtl. zur Kon­ kur­renz zwi­schen Ver­trieb und Mar­ke­ting statt zu wün­schens­wer­ter Ko­o­pe­ra­ ti­on. Da­mit ent­steht ein auf­wän­di­ger In­te­res­sen­aus­gleich mit gro­ßen Zeit­ver­lus­ ten, der Tei­le der Ef­fek­ti­vi­täts­vor­tei­le wie­der schluckt. In der Pra­xis ist ne­ben den „nor­ma­len“ Kun­den zu­meist noch in Schlüs­sel­ kun­den und Son­der­kun­den zu un­ter­schei­den. Die Ein­tei­lung nach Schlüs­sel­kun­ den er­folgt auf der Ba­sis von Kun­den­wer­tig­kei­ten. Dies ist sehr nahe lie­gend, kann doch ver­ein­fa­chend un­ter­stellt wer­den, dass 20 % der Kun­den (die A-Kun­ den / Pre­fer­red Ac­counts) für 80 % der Er­lö­se ste­hen (nicht un­be­dingt der Er­ trä­ge, da nach­fra­ge­mäch­ti­ge Groß­kun­den re­gel­mä­ßig bes­se­re Kon­di­tio­nen er­rei­ chen und da­mit je Ab­sat­zein­heit we­ni­ger pro­fi­ta­bel sind). Da­bei wer­den Kun­den über alle Ver­wen­der­bran­chen und Ver­kaufs­ge­bie­te hin­weg ein­heit­lich an­ge­spro­ chen. Da­für spre­chen noch wei­te­re Vor­tei­le. Wenn eine hohe wirt­schaft­li­che Ab­hän­ gig­keit von we­ni­gen gro­ßen Ab­neh­mern ge­ge­ben ist, ist es nahe lie­gend, die­se durch be­son­ders qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­ter (Key Ac­count Ma­na­ger) be­treu­en zu las­sen und nicht durch mehr oder min­der zu­fäl­lig zu­ge­ord­ne­te Ver­käu­fer. Groß­



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe125

ab­neh­mer ha­ben oft über ihre eigene Um­satz­be­deu­tung hin­aus auch ei­nen Mul­ ti­pli­ka­to­ref­fekt als Re­fe­renz­kun­den oder kön­nen in die Ent­wick­lung neu­er Pro­duk­te als Lead Users ein­ge­bun­den wer­den, was eine be­son­ders kennt­nis­rei­ che Be­treu­ung er­for­dert. Da­ge­gen spre­chen je­doch fol­gen­de Nach­tei­le. Häu­fig ent­wic­kelt sich un­ter den Ver­kauf­sau­ßen­dienst­mit­ar­bei­tern ein Neid „nor­ma­ler“ Ver­käu­fer auf die Schlüs­sel­kun­den­be­treu­er, die oft deut­lich bes­ser be­zahlt wer­den und ver­meint­ lich leicht ak­qui­rier­te Auf­trä­ge er­zeu­gen. Bei Wachs­tum oder Schrump­fung ei­ nes Kun­denun­ter­neh­mens ist zu­meist ein Wech­sel des be­treu­en­den Ver­käu­fers er­for­der­lich, wo­durch die Kun­den­bin­dung nicht un­be­dingt er­höht wird. Ge­ra­de im Be­reich um die vor­ge­ge­be­ne Grö­ßen­ord­nungs­gren­ze, die zu­dem dy­na­misch ist und häu­fig in ih­rer Set­zung ei­ner ge­wis­sen Will­kür nicht ent­behrt, sind Zu­ stän­dig­keits­pro­ble­me un­ver­meid­lich. Schlüs­sel­kun­den­be­treu­er sind von der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung meist ei­nes oder we­ni­ger Groß­ab­neh­mer ab­hän­ gig, so dass ihr in­di­vi­du­el­les Ar­beits­platz- und Ein­kom­mens­ri­si­ko deut­lich er­ höht ist, weil ein Ri­si­ko­streu­ungs­ef­fekt fehlt. Es ist schwie­rig, Ver­käu­fer mit gu­tem Stan­ding bei wich­ti­gen Kun­den aus­zu­tau­schen, da da­bei die Ge­schäfts­ ba­sis in Ge­fahr ge­rät. Zu­gleich sind sol­che Mit­ar­bei­ter vom Mit­be­werb stark ge­sucht, so dass eine hohe Ab­wer­bungs­ge­fahr bes­teht. Die Ein­tei­lung nach Son­der­kun­den er­folgt auf Ba­sis spe­zi­fi­scher An­for­de­run­ gen. Sol­che Son­der­kun­den kön­nen etwa Be­hör­den­ab­neh­mer, Klein­ab­neh­mer, Di­rekt­kun­den, „schwíe­ri­ge“ Kun­den, Evo­lu­ti­ons­kun­den etc. Dies bie­tet ei­ni­ge gra­vie­ren­de Vor­tei­le. So ist eine Spe­zia­li­sie­rung auf die Be­dürf­nis­se ei­ner be­ stimm­ten Ab­neh­mer­grup­pe mög­lich, was die Ak­zep­tanz dort er­höht. Durch gute Kennt­nis der Ver­hält­nis­se er­schlie­ßen sich viel­fäl­ti­ge Neu­ge­schäfts­po­ten­zia­le. Auch kön­nen früh­zei­tig Bran­chen­trends er­kannt wer­den, auf die sich das Un­ ter­neh­men durch Feed­back ein­stel­len kann. Als Nach­tei­le sind je­doch fol­gen­de zu nen­nen. Es ist eine star­ke Ab­hän­gig­ keit von Son­der­kon­junk­tu­ren ge­ge­ben. Dies ver­ur­sacht schwan­ken­de Ein­kom­ men bei Ver­kauf­sau­ßen­dienst­mit­ar­bei­tern. Der Ver­käu­fer ist re­gel­mä­ßig nur in­ner­halb ei­ner Kunden­grup­pe ein­setz­bar, wor­aus eine ge­wis­se In­fle­xi­bi­li­tät ent­steht, vor al­lem, wenn es sich um we­nig dy­na­mi­sche Grup­pen han­delt. Dem Un­ter­neh­men ent­steht auf­grund der Spe­zi­a­li­sie­rung sei­ner Mit­ar­bei­ter die gro­ße Ge­ fahr der Ab­ wer­ bung, vor al­ lem wenn es sich um auf­ stre­ ben­ de Bran­ chen handelt. 4.3

Konfigurationsformen im Vertrieb

Die Kon­fi­gu­ra­ti­on der Struk­tur­or­ga­ni­sa­ti­on im Vertrieb ist ge­ne­rell in vier Aus­prä­gun­gen mög­lich, als Ein­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on, als Stab­li­ni­en-Or­ga­ni­sa­ti­on, als Mehr­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on oder als Ma­trix­or­ga­ni­sa­ti­on. Zu­nächst zur Ein­li­ni­en­ or­ga­ni­sa­ti­on (siehe Abb. 34).

126

A. Vertriebskonzept und Controlling

Vorstand BL Vertrieb I

HAL Vertrieb Asien

BL Vertrieb II

HAL Vertrieb Amerika

HAL Vertrieb Europa

AL Vertrieb Nordeuropa

AL Vertrieb Mitteleuropa

BL Vertrieb III

AL Vertrieb Südeuropa

BL = Bereichsleitung, HAL = Hauptabteilungsleitung, AL = Abteilungsleitung Schema der Einlinienorganisation im Vertrieb Abb. 34: Schema der Einlinienorganisation im Vertrieb

4.3.1

Vertrieb als Einlinienorganisation

Bei der Ein­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on bes­teht ge­nau ein Wei­sungs- und ein Be­richts­ weg zwi­schen über­ge­ord­ne­ter und un­ter­ge­ord­ne­ter Stel­le. Die Li­nie ist der Dienst­weg, der De­le­ga­ti­ons­weg und der An­ru­fungs­weg. In­so­fern bes­te­hen kla­re dis­zip­li­na­ri­sche und für­sor­gen­de Re­ge­lun­gen. Je­weils eine Stel­le ist für die Ziel­er­rei­chung ver­ant­wort­lich. Da­bei wird im All­ge­mei­nen eine auf­wärts ge­ rich­te­te Hier­ar­chie (Ver­triebs­be­auf­trag­ter, Ver­triebs­ma­na­ger, Se­ni­or-Ver­triebs­ ma­na­ger) ein­ge­hal­ten. Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le des Ver­triebs­ma­na­ge­ments in der Ein­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on sind fol­gen­de. Es kommt zu kla­ren Kom­pe­tenz- und Ver­ant­wor­tungs­zu­wei­sun­ gen bei ein­deu­ti­gen An­ord­nungs- und Fol­ge­ver­hält­nis­sen hin­sicht­lich Ent­schei­ dungs­be­fug­nis und Auf­ga­ben­ver­tei­lung. Da­mit ist dies die über­sicht­lichs­te



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe127

Kon­fi­gu­ra­ti­on ei­ner Struk­tur­or­ga­ni­sa­ti­on. Die Ko­or­di­na­ti­on und Kon­trol­le ge­ stal­ten sich ein­fach, da über­schau­ba­re Lei­tungs­ein­hei­ten bes­te­hen und gut nach­ voll­zieh­ba­re Ent­schei­dungs­we­ge vor­han­den sind. Dies ist un­mit­tel­ba­re Fol­ge der er­wähn­ten Über­sicht­lich­keit. Die kla­re hier­ar­chi­sche Ein­ord­nung schafft or­ga­ni­sa­ti­o­na­le Si­cher­heit so­wohl bei Vor­ge­setz­ten als auch bei Mit­ar­bei­tern durch ein­deu­ti­ge Ab­gren­zung der Kom­pe­ten­zen. Die­se Ori­en­tie­rung wirkt in ho­hem Maße ver­hal­tens­steu­ernd. Da­bei ent­steht eine hohe mo­ti­va­to­ri­sche Wir­ kung durch das Vor­bild Vor­ge­setz­ter und von Auf­stiegs­per­spek­ti­ven durch An­ er­ken­nung. Die­ser An­trieb kommt der täg­li­chen Ar­beits­leis­tung zu­gu­te. Durch Al­lein­ent­scheid sind kla­re dis­po­si­ti­ve Re­ge­lun­gen und eine kon­sis­ten­te Lei­tung mög­lich. Dies er­üb­rigt die, bei an­de­ren Kon­fi­gu­ra­ti­o­nen er­for­der­li­che, meist auf­wän­di­ge Ver­mitt­lung bei In­te­res­sen­di­ver­gen­zen. Kur­ze Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ we­ge schaf­fen die Mög­lich­keit schnel­ler Ent­schei­dungs­fin­dung und Wei­sungs­ er­tei­lung. Da­mit wer­den Ab­läu­fe im Un­ter­neh­men ge­strafft und die Ko­hä­renz der Ma­na­ge­ment­ent­schei­dun­gen steigt. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Der Grund­satz der Spe­zi­a­li­sie­rung wird kon­ter­ka­riert, in­dem im Zwei­fel Hier­ar­chie vor Fach­wis­sen geht. Da­durch kommt es zu ei­ner über­mä­ßi­gen Zent­ra­li­sie­rung der Macht mit Mo­tiv­ati­ons­ver­ lust und ge­rin­gem En­ga­ge­ment der Mit­ar­bei­ter. Dem Sys­tem ist eine Schwer­ fäl­lig­keit und Bü­ro­kra­ti­sie­rungs­ten­denz mit Zeit­ver­lust und Über­be­to­nung der po­si­ti­ons­spe­zi­fi­schen Au­to­ri­tät im­ma­nent, vor al­lem bei tie­fen Or­ga­ni­sa­ti­o­nen (ge­rin­ge Lei­tungs­span­ne), die al­ler­dings zu­neh­mend um­ge­stellt wer­den (auf fla­ che Hier­ar­chie­struk­tu­ren). Durch um­ständ­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge und lang­ wie­ri­ge In­for­ma­ti­ons­flüs­se bes­teht die Ge­fahr der In­for­ma­ti­ons­fil­te­rung auf den ein­zel­nen Stu­fen des Li­ni­en­wegs, die zu Ver­zer­run­gen der ur­sprüng­li­chen In­ten­ ti­on führt („Stil­le Post“-Prin­zip). Die Zwi­schen­stu­fen (Midd­le Ma­na­ge­ment) sind da­bei als „Re­lais­sta­ti­o­nen“ be­son­ders be­las­tet, so­wohl durch den In­for­ma­ ti­ons­fluss von oben nach un­ten als auch um­ge­kehrt. Da­run­ter lei­det ihre ei­gent­ lich wert­schöp­fen­de Tä­tig­keit. Auf der glei­chen Stu­fe ist der di­rek­te Kon­takt zwi­schen Stel­len ver­schie­de­ner Pro­dukt­li­ni­en ge­ring aus­ge­prägt, da ver­ti­ka­le Struk­tu­ren do­mi­nie­ren. Dies ist der Ef­fek­ti­vi­tät die­ser Form nicht ge­ra­de zu­träg­ lich. Um da­rin Ab­hil­fe zu schaf­fen, sind ge­son­der­te Ver­bin­dun­gen zwi­schen Ab­tei­lun­gen er­for­der­lich (Pass­erel­len). 4.3.2

Vertrieb als Stablinienorganisation

Die Stab­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on ist all­ge­mein da­durch ge­kenn­zeich­net, dass es ne­ ben Stel­len im di­rek­ten Li­ni­en­weg noch sol­che ohne Wei­sungs­be­fug­nis gibt, die Lei­tungs­stel­len di­rekt zu­ge­ord­net sind (siehe Abb. 35). Sie über­neh­men be­ra­ ten­de Auf­ga­ben und kön­nen nur durch Über­zeu­gung wirk­sam wer­den. Die zu­ ge­ord­ne­te Instanz setzt dann ggf. Emp­feh­lun­gen in der Or­ga­ni­sa­ti­on durch. Da­mit kommt es zu ei­ner Tren­nung zwi­schen Ent­schei­dungs- und Spe­zi­a­lis­ten­ kom­pe­tenz bei Ein­heit der Auf­trags­er­tei­lung. Auch er­gibt sich eine Auf­tei­lung

128

A. Vertriebskonzept und Controlling Vorstand

Stabsstelle

HAL Vertrieb Asien

HAL Vertrieb Amerika

HAL Vertrieb Europa

AL Vertrieb Nordeuropa

AL Vertrieb Mitteleuropa

BL Vertrieb III

Stabsstelle Referent

BL Vertrieb II

Referent

BL Vertrieb I

Referent

Referent

Stabsstelle

Stabsstelle

AL Vertrieb Südeuropa

BL = Bereichsleitung, HAL = Hauptabteilungsleitung, AL = Abteilungsleitung Schema der Stablinienorganisation im Vertrieb

Abb. 35: Schema der Stablinienorganisation im Vertrieb

zwi­schen Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tung und -durch­set­zung. Das Ver­triebs­ma­na­ge­ ment als Stabs­stel­le ist der Be­reichs-, Haupt­ab­tei­lungs- oder Ab­tei­lungs­lei­tung zu­ge­ord­net. In der Li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on selbst gibt es dann kein Ver­triebs­ma­na­ge­ ment, son­dern an­de­re For­men der funk­ti­ons- oder ob­jek­to­ri­en­tier­ten Or­ga­ni­sa­ ti­on. Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le der Stab­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on sind die Fol­gen­den. Die Ein­ heit der Lei­tung bleibt trotz Spe­zi­a­li­sie­rung durch­gän­gig er­hal­ten, weil der Spe­zi­a­list dem Ent­schei­der nur zu­ar­bei­tet, ihn aber nicht er­set­zen wol­len darf, wes­halb Stabs­stel­len­in­ha­ber Ver­trau­ens­leu­te der ent­spre­chen­den Li­ni­en­po­si­ti­o­ nen sind. Ent­schei­dun­gen wer­den durch sach­kun­di­ge Vor­be­rei­tung ten­den­zi­ell qua­li­ta­tiv bes­ser ge­trof­fen als ohne die­se Hilfs­funk­ti­on, denn teil­wei­se hoch spe­zi­a­li­sier­te Mit­ar­bei­ter wen­den sich ohne ver­en­gen­den Blick auf die kurz­fris­ ti­ge Er­geb­nis­verant­wor­tung re­le­van­ten The­men zu und schaf­fen da­mit eine kom­pe­ten­te Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tung. Es kommt zu ei­nem sinn­vol­len Aus­ gleich zwi­schen Spe­zi­a­lis­ten- und Ge­ne­ral­is­ten­den­ken in Stab und Li­nie, denn die ge­ne­rel­le Sicht der Lei­tungs­stel­len wird durch die fa­che­go­is­ti­sche Sicht der Stä­be kor­ri­giert. Zu­dem kommt es zu ei­nem be­rei­chern­den Ge­dan­ken­aus­tausch. Die Kon­struk­ti­on der Stabs­stel­le bie­tet den dor­ti­gen Mit­ar­bei­tern gute Schu­ lungs- und Trai­nings­mög­lich­kei­ten. Au­ßer­dem kann be­glei­tend ein Netz­werk in



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe129

der Or­ga­ni­sa­ti­on auf­ge­baut wer­den. In­so­fern sind Stabs­stel­len in al­ler Re­gel Kar­rie­re­sprung­bret­ter. Die feh­len­de ope­ra­ti­ve Ver­ant­wor­tung er­leich­tert es, früh­ zei­tig auf Prob­le­me hin­zu­wei­sen, die in der Li­nie in­fol­ge Scheu­klap­pen oder auch aus Ri­si­ko­scheu und Kar­rie­re­in­te­res­sen wo­mög­lich über­se­hen wer­den. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Stabs­or­ga­ni­sa­ti­o­nen wu­chern nicht sel­ten zu ei­nem ei­genstän­di­gen „Was­ser­kopf“ und über­la­gern da­mit die ur­sprüng­li­che Idee. Die feh­len­de ak­tu­el­le Lei­tungs­span­ne wird da­bei oft durch eine Ne­ben­hier­ar­chie der Stabs­stel­len er­setzt, so ent­steht ein „Kü­chen­ka­bi­nett“, das kon­trapro­duk­tiv wir­ken kann, weil Ent­schei­dungen ma­ni­pu­lier­bar wer­den. Man­gels aus­rei­chen­der De­le­ga­ti­on kann es zu ei­ner Fehl­lei­tung von Stä­ben in Zie­len und Auf­ga­ben kom­men, so­fern ope­ra­ti­ve Be­lan­ge eine un­nö­ti­ge Kon­kur­ renz zur Li­nie schaf­fen und bei die­ser zur be­wuss­ten Miss­ach­tung der Stabs­ emp­feh­lun­gen füh­ren. Die Aus­wer­tung der Ar­beits­er­geb­nis­se von Stä­ben in der Li­nie ist zwei­fel­haft zu be­ur­tei­len. Grün­de da­für sind der Wust da­bei oft­mals pro­du­zier­ten Pa­piers, der es bei stei­gen­dem ope­ra­ti­ven Druck bei­na­he un­mög­ lich macht, al­les zu ver­ar­bei­ten, so­wie eine ge­wis­se Markt­fer­ne in­fol­ge man­ geln­der Pra­xis­re­le­vanz. Au­ßer­dem bes­teht ein im­pli­zi­ter Sta­tus­kon­flikt zwi­schen ei­ner­seits ho­her Fach- und an­de­rer­seits ge­rin­ger Form­al­kom­pe­tenz, wes­halb Stabs­stel­len meist nur Durch­gangs­po­si­ti­o­nen ins Top­ma­na­ge­ment und in­so­fern wo­mög­lich nicht mehr fä­hig sind, die kurz­fris­ti­ge Sicht der Li­nie zu kor­ri­gie­ ren. Die Tran­spa­renz der Ent­schei­dungs­pro­zes­se geht ver­lo­ren, weil vielfache In­ter­ak­ti­o­nen zwi­schen Li­nie und Stab ab­lau­fen, die nur schwer zu re­kon­stru­ie­ ren sind. 4.3.3

Vertrieb als Mehrlinienorganisation

Bei der Mehr­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on sind, im Un­ter­schied zur Ein­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ ti­on, die Wei­sungs- und Fol­ge­be­zie­hun­gen der Stel­len un­ter­ei­nan­der viel­fäl­tig ver­netzt, d.  h. je­der Mit­ar­bei­ter hat zwei oder mehr Vor­ge­setz­te, je­der Vor­ge­ setz­te Mit­ar­bei­ter aus zwei oder mehr Fach­be­rei­chen (siehe Abb. 36). Es sind also Mehr­fach­un­ter- bzw. -überstel­lun­gen ge­ge­ben. Im Re­gel­fall ist eine Instanz dis­zip­li­na­risch zustän­dig, eine an­de­re fach­lich wei­sungs­be­fugt. Die­se Form ist etwa in stark tech­nisch do­mi­nier­ten Un­ter­neh­mens­for­men an­zu­tref­fen. Oft­mals ist dies al­ler­dings auch nur eine in­kon­se­quen­te Kon­struk­ti­on und ein „fau­ler“ Kom­pro­miss. Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le der Mehr­linienorga­ni­sa­ti­on sind die Fol­gen­den. Sach­ge­ rech­te Ent­schei­dun­gen ste­hen im Vor­der­grund, die von ho­her Kom­pe­tenz an­ stel­le hier­ar­chi­scher Po­si­ti­on ge­tra­gen sind. Für eine Ent­schei­dung müs­sen nicht mehr un­be­dingt alle Or­ga­ni­sa­ti­ons­stu­fen durch­lau­fen wer­den, son­dern je­der Mit­ar­bei­ter kann sich di­rekt mit dem vor­ge­setz­ten / nach­ge­ord­ne­ten Spe­zi­a­lis­ten kurz­schlie­ßen und ab­stim­men. Die eng­ma­schi­ge Ver­net­zung führt zu sorg­fäl­ti­ ger Ab­stim­mung und ef­fek­ti­ver Ar­beits­ko­or­di­na­ti­on. Die­ses Netz­werk ver­bes­

130

A. Vertriebskonzept und Controlling

Geschäftsleitung HAL Vertrieb I

HAL Vertrieb II

AL Vertrieb Asien

AL Vertrieb Amerika

AL Vertrieb Europa

Vertrieb Schlüsselkunden

Vertrieb Sonderkunden

Vertrieb Akquisition

HAL Vertrieb III

BL = Bereichsleitung, HAL = Hauptabteilungsleitung, AL = Abteilungsleitung Schema der Mehrlinienorganisation im Vertrieb Abb. 36: Schema der Mehrlinienorganisation im Vertrieb

sert das In­for­ma­ti­ons­ni­veau durch di­rek­te, schnel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on und op­ti­ miert da­mit den Maß­nah­men-Mix. Kur­ze In­for­ma­ti­ons­we­ge schaf­fen eine weit­ge­hen­de Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung der Or­ga­ni­sa­ti­on, vor al­lem ma­chen Quer­ver­ bin­dun­gen in­ner­halb der Or­ga­ni­sa­ti­on eine er­for­der­li­che, ra­sche An­pas­sung an dy­na­mi­sche Markt­be­we­gun­gen mög­lich. Sinn­vol­ler­wei­se do­mi­niert die funk­ti­o­ na­le Au­to­ri­tät ge­gen­über der for­ma­len Ver­an­ke­rung, denn fach­li­che Kom­pe­tenz ist kon­sens­för­dern­der als for­ma­le, wo­durch et­wai­ge Kon­flik­te ver­sach­licht wer­den und kon­struk­tiv wir­ken. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Es kommt na­he­zu un­ver­meid­lich zu Kom­pe­tenz­kon­flik­ten zwi­schen den Stel­len ei­ner Ebe­ne, denn durch die viel­ fa­chen Ver­bin­dun­gen un­ter­ei­nan­der bes­teht im­mer An­lass, sich über­gan­gen zu füh­len, wor­aus Schlich­tungs­be­darf ent­steht, bis für die ei­gent­li­che Ar­beit nur­ mehr we­nig Zeit üb­rig­bleibt. Die viel­fa­che Ver­net­zung führt zu ei­nem er­höh­ten Ab­stim­mungs- und Kon­troll­auf­wand, um un­über­sicht­li­che und in­kon­sis­ten­te



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe131

Ak­ti­vi­tä­ten zu ver­mei­den. Da­mit wird je­doch ein mehr oder min­der gro­ßer An­ teil des im­ma­nen­ten Ef­fi­zi­enz­vor­sprungs die­ser Form wie­der ein­ge­büßt. Im Ef­fekt re­sul­tiert da­raus eine kom­pli­zier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­struk­tur mit schwie­ ri­ger Ko­or­di­na­ti­on und Kon­trol­le von Ak­ti­vi­tä­ten ge­ra­de in gro­ßen Sys­te­men, in der die Über­sicht ver­lo­ren zu ge­hen droht. Zu­dem wer­den Res­sort­den­ken und die Über­be­wer­tung der ei­ge­nen Auf­ga­be ge­för­dert, denn der Blick für das Gan­ze fehlt, und es bes­teht die Ge­fahr von Kon­kur­renz statt Ko­o­pe­ra­ti­on zwi­ schen Stel­len mit der Fol­ge er­zwun­ge­ner Kom­pro­mis­se. Die Tran­spa­renz der Ent­schei­dungs­pro­zes­se geht ver­lo­ren, denn an je­dem Vor­gang ha­ben schwer nach­voll­zieh­bar und kaum do­ku­men­tier­bar meh­re­re Stel­len / Per­so­nen / Fach­be­ rei­che in un­ter­schied­li­chem Um­fang mit­ge­wirkt. 4.3.4

Vertrieb als Matrixorganisation

Die Ma­trix­or­ga­ni­sa­ti­on ist eine zwei­di­men­si­o­na­le Auf­bau­form, die eine Ebe­ne ist zu­meist ver­rich­tungs­o­ri­en­tiert an­ge­legt, die an­de­re pro­duk­to­ri­en­tiert (siehe Abb. 37). Denk­bar ist aber auch eine Zu­ord­nung von zwei ob­jek­to­ri­en­ tier­ten Ebe­nen (etwa Pro­dukt und Kun­de oder Pro­dukt und Ge­biet). Oder der Auf­bau in drei Or­ga­ni­sa­ti­ons­di­men­si­o­nen (Ten­sor), mit ei­ner ver­rich­tungs­o­ri­en­ tier­ten, ei­ner pro­duk­to­ri­en­tier­ten und ei­ner wei­te­ren ob­jek­to­ri­en­tier­ten Ebe­ne (Ge­biet oder Kun­de). Da­mit sind im­mer zwei oder mehr Per­so­nen für ein Sach­ ge­biet zustän­dig. Da­bei ent­ste­hen zahl­rei­che Kon­flik­te (Kom­pe­tenz­kreu­zun­gen), die in die­ser Or­ga­ni­sa­ti­ons­form aber ge­wollt sind und eine kon­struk­ti­ve Schlich­ tung er­for­der­lich ma­chen. Die An­hän­ger die­ser Form sind der Mei­nung, dass die­se Kon­flik­te oh­ne­hin in je­der Or­ga­ni­sa­ti­on ent­ste­hen, aber nicht be­wusst ge­löst, son­dern ver­tuscht oder aus­ge­ses­sen wer­den. Die Ma­trix­or­ga­ni­sa­ti­on bringt die­se Kon­flik­te an die Ober­flä­che und zwingt zu ei­ner in­te­res­sen­aus­glei­ chen­den, sach­ge­rech­ten Ei­ni­gung, weil kei­ne Kreuz­li­nie ohne die kom­ple­men­ tä­re an­de­re ent­schei­den kann, son­dern nur bei­de ge­mein­sam. We­sent­li­che Vor­tei­le der Ma­trix­or­ga­ni­sa­ti­on sind die Fol­gen­den. Ei­ni­gun­gen er­fol­gen auf Grund­la­ge kla­rer for­ma­ler Ko­or­di­na­ti­on mit ho­her Tran­spa­renz, d.  h., Kon­flik­te wer­den nicht auf „Ne­ben­kriegs­schau­plät­zen“ aus­ge­tra­gen, son­ dern die im­pli­zi­te Ver­an­la­gung zur Kon­sens­fin­dung führt zu ei­ner ko­o­pe­ra­ti­ven Un­ter­neh­mens­kul­tur. Die Fach­kom­pe­tenz der je­wei­li­gen Mit­ar­bei­ter wird voll­ auf ge­nutzt, hier­ar­chi­sche As­pek­te sind weit­ge­hend neu­tra­li­siert und tre­ten in den Hin­ter­grund, wo­durch zu­gleich das in­ner­be­trieb­li­che Leis­tungs­den­ken for­ ciert wird. Die Lei­tungs­spit­ze wird ent­las­tet und braucht nur in Kon­flikt­fäl­len zwi­schen den Di­men­si­o­nen ein­zu­grei­fen. Tei­le de­ren dis­po­si­ti­ver Tä­tig­keit wer­den auf Zwi­schen­instan­zen mit un­mit­tel­bar ope­ra­ti­ver Ver­ant­wor­tung ver­la­ gert. Da­durch ent­ste­hen auch kür­ze­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge. Durch die im­pli­ zi­te Ten­denz zur Grup­pen­ar­beit wer­den ei­ner­seits die spe­zi­fi­schen Kom­pe­ten­zen der Be­tei­lig­ten ge­bün­delt und an­de­rer­seits grup­pen­dy­na­mi­sche Ef­fek­te frei­ge­ setzt. Dies be­güns­tigt auch die Per­sön­lich­keits­ent­fal­tung der Be­tei­lig­ten durch

132

A. Vertriebskonzept und Controlling

   



 

   

   

   

 



      Abb. 37: Schema der Matrixorganisation im Vertrieb

Team­ar­beit und Kon­sens­fin­dung. Die Be­hand­lung von Prob­le­men von un­ter­ schied­li­chen Stand­punk­ten aus macht auch kom­ple­xe Sach­ver­hal­te be­herrschbar. Da­durch stei­gen die Fle­xi­bi­li­tät und ins­ge­samt die Ent­schei­dungs­qua­li­tät. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Die Kom­pe­tenz­ab­gren­zung ist in der Pra­xis auf­wän­dig und hef­tig um­strit­ten, da­her be­darf es zu­meist ei­nes „Schieds­rich­ters“, um Macht­kämp­fe um Res­sour­cen (vor al­lem Fi­nanz­mit­tel) zu ver­mei­den. Es bes­teht die Not­wen­dig­keit zu in­ten­si­ver Kom­mu­ni­ka­ti­on mit lan­ gen Ver­hand­lungs­zei­ten für Tran­spa­renz und In­te­res­sen­aus­gleich zwi­schen den Stel­len, was wie­der­um zu schwer­fäl­li­gen Ab­läu­fen und schlep­pen­der Ent­schei­ dung führt und Zeit schluckt, die mög­li­cher­wei­se für sacho­ri­en­tier­te Auf­ga­ben ef­fi­zi­en­ter ein­ge­setzt ist. Am Ende ste­hen kaum mehr ein­deu­tig nach­voll­zieh­ ba­re Ent­schei­dungs­pro­zes­se, die eine Er­geb­nis­zu­rech­nung der Di­men­si­ons­lei­ter wie der Be­tei­lig­ten er­schwe­ren und im­mer eine Ex­kul­pa­ti­ons­mög­lich­keit durch



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe133

Ab­stim­mungs­zwang bie­ten. Da­mit aber geht die ge­wünsch­te Tran­spa­renz ver­ lo­ren. Zu­dem bes­teht die Ge­fahr stän­di­ger, un­be­frie­di­gen­der Kom­pro­mis­se mit Ei­ni­gung auf den für alle ge­ra­de noch ver­tret­ba­ren kleins­ten ge­mein­sa­men Nen­ ner, der im Sin­ ne des Un­ ter­ neh­ mens ge­ wiss nicht im­ mer die bes­ te Lö­ sung dar­stellt. Es bes­teht ein gro­ßer Be­darf an qua­li­fi­zier­ten Mit­ar­bei­tern, die Füh­ rungs­auf­ga­ben wahr­neh­men, denn alle Po­si­ti­o­nen der Ma­trix müs­sen erst­klas­sig und ohne ab­ge­stuf­te Qua­li­fi­ka­ti­on be­setzt sein. 4.4

Koordinationsformen im Vertrieb

Im We­sent­li­chen sind in der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ko­or­di­na­ti­on vier Aus­prä­gun­gen mög­lich, Team­or­ga­ni­sa­ti­on, Pro­jekt­or­ga­ni­sa­ti­on, Gre­mi­en­or­ga­ni­sa­ti­on und Di­vi­ si­ons­or­ga­ni­sa­ti­on. Zu­nächst zur Team­or­ga­ni­sa­ti­on. 4.4.1

Vertrieb als Teamorganisation

Ein Team bes­teht aus meh­re­ren Mit­ar­bei­tern der für den Ver­trieb er­heb­li­chen Auf­ga­ben. Es hat ein ho­hes Maß an Selbst­steu­e­rungs­mög­lich­kei­ten, die Mit­glie­ der stim­men ihre Ein­satz­ge­bie­te un­ter­ei­nan­der ab. Dazu wer­den ziel­be­zo­ge­ne Ar­beits­me­tho­den („Spiel­re­geln“) ver­ein­bart. Im Er­geb­nis ent­ste­hen im bes­ten Fall sy­ner­ge­ti­sche Ef­fek­te (Team­geist) mit Ler­ner­fol­gen und Kri­tik­fä­hig­keit. Dazu ist eine of­fe­ne, bar­rie­re­freie und part­ner­schaft­li­che Ar­beits­wei­se er­for­der­ lich. Da­durch wer­den Fair­ness und Ver­trau­en ge­för­dert. Die Team­füh­rung er­ folgt meist wech­sel­wei­se. Alle In­for­ma­ti­o­nen wer­den ide­a­ler­wei­se ge­teilt, Ar­ bei­ten wer­den nach Ein­stim­mig­keit an­ge­gan­gen und die Ak­ti­vi­tä­ten je­der­zeit trans­pa­rent ge­hal­ten. Die Team­mit­glie­der stam­men aus un­ter­schied­li­chen hier­ ar­chi­schen Ebe­nen und Spe­zi­a­li­sie­run­gen (Un­ter­schied zur Di­vi­si­on), sie ar­bei­ ten auf Dau­er an­ge­legt zu­sam­men (Un­ter­schied zum Pro­jekt) und sie exe­ku­tie­ ren eine Auf­ga­be auch (Un­ter­schied zum Gre­mi­um). Ent­schei­dend ist, dass je­der Team-Mit­ ar­ bei­ ter zu­ gleich Mit­ glied in zwei oder mehr Teams ist, also nur zeitan­tei­lig für eine Team­auf­ga­be zur Ver­fü­gung steht. Ein Team bes­teht im Ver­trieb meist aus Spe­zi­a­lis­ten für Markt­for­schung, Preis­ge­stal­tung, Kom­mu­ni­ka­ti­on etc., je nach Auf­ga­ben­stel­lung ge­hö­ren je­doch auch Tech­ni­ker, Ju­ris­ten, Psy­cho­lo­gen etc. dazu. Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le der Team­or­ga­ni­sa­ti­on sind die Fol­gen­den. Eine Bün­de­ lung des Wis­sens vie­ler Per­so­nen in ei­ner Ex­per­ten­grup­pe ist mög­lich. Auf die­se Wei­se ent­ste­hen grup­pen­dy­na­mi­sche Ef­fek­te, die den Out­put ei­nes Teams er­folgs­träch­ti­ger wer­den las­sen als die ku­mu­lier­ten Ar­bei­ten von „Ein­zel­kämp­ fern“. Es entste­hen we­ni­ger Span­nun­gen zwi­schen den Team­mit­glie­dern durch ge­rin­ge Be­deu­tung der Hier­ar­chie im Team. Dies ist ge­ra­de­zu Vo­raus­set­zung für eine kon­struk­ti­ve und ko­o­pe­ra­ti­ve Zu­sam­men­ar­beit. Ein ho­hes Maß an Ab­

134

A. Vertriebskonzept und Controlling

wechs­lung ist durch Aus­tausch mit ver­schie­de­nen Kol­le­gen in un­ter­schied­li­chen Teams im Zuge ab­wei­chen­der Auf­ga­ben dar­stell­bar. Von da­her wird Er­mü­ dungs­ef­fek­ten in der Ar­beit (Wear out) vor­ge­beugt und ein Ide­en­trans­fer be­ wusst sti­mu­liert. Auch kön­nen die je­weils best­ge­eig­ne­ten Mit­ar­bei­ter in­di­vi­du­ell zu Ar­beits­teams zu­sam­men­ge­stellt wer­den. Da­bei ist ne­ben der fach­li­chen Eig­ nung vor al­lem auch an die mensch­li­che Kom­pon­ente („Che­mie“) zu den­ken. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Ein er­höh­ter Ko­or­di­na­ti­ons­auf­ wand durch Über­zeu­gungs­ar­beit und ge­gen­sei­ti­ge In­for­ma­ti­on ist er­for­der­lich. Au­to­ri­ta­ti­ve Ar­beits­for­men sind dem­ge­gen­über ein­fa­cher, weil An­wei­sung und Be­fol­gung kla­re Ver­hält­nis­se schafft. Es kommt zur ste­ten Kon­kur­renz der Auf­ ga­ben um die per­so­na­len Ka­pa­zi­tä­ten zwi­schen Teams. In­so­fern ent­steht ein Kon­flikt zwi­schen der je­wei­li­gen in­ter­nen Er­war­tungs­hal­tung an Team­mit­glie­ der und de­ren Ar­beits­ka­pa­zi­tät. Durch die un­ver­bun­de­nen Ar­bei­ten kann es leicht zu Be­las­tungs­spit­zen und Leer­zei­ten kom­men, näm­lich dann, wenn Ar­ bei­ten für meh­re­re Auf­ga­ben zeit­gleich an­fal­len oder tem­po­rär auch ein­mal aus­blei­ben. Die Leis­tung und Ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen ist we­ni­ger of­fen­ sicht­lich. Da Team­ar­bei­ten Er­geb­nis ver­bun­de­ner Leis­tun­gen sind, fällt eine dif­fe­ren­zier­te Leis­tungs­be­ur­tei­lung ver­gleichs­wei­se schwer. 4.4.2

Vertrieb als Projektorganisation

Ein Pro­jekt ist zeit­lich, sach­lich und u. U. auch räum­lich be­grenzt. Es hat eine de­fi­nier­te Auf­ga­ben- und Ziel­stel­lung und ist im We­sent­li­chen durch die Ein­ ma­lig­keit sei­ner Rah­men­be­din­gun­gen ge­kenn­zeich­net. Ein Pro­jekt be­dingt die Zu­sam­men­ar­beit von Spe­zi­a­lis­ten und un­ter­teilt sich für ge­wöhn­lich in meh­re­re Sub­pro­jekt­pha­sen. Dazu sind alle zur Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung an­fal­len­ den Auf­ga­ben auf die Auf­ga­ben­trä­ger zu ver­tei­len, wo­bei die Ge­bo­te der Wirt­ s­chaft­lich­keit und Wirk­sam­keit zu be­rück­sich­ti­gen sind. Die Pro­jekt­teil­neh­mer rek­ru­tie­ren sich aus al­len ver­triebs­re­le­van­ten Be­rei­chen des Be­triebs und keh­ren nach Er­fül­lung der Auf­ga­be in ihre ur­sprüng­li­che oder eine an­de­re Po­si­ti­on zu­rück. Sie ar­bei­ten voll­zei­tig am Pro­jekt (Un­ter­schied zum Gre­mi­um), nur an ei­nem Pro­jekt zur Zeit (Un­ter­schied zum Team) und de­fi­ni­ti­ons­ge­mäß zeit­lich be­grenzt (Un­ter­schied zur Zen­tral­ab­tei­lung). Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­ gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le sind die Fol­gen­den. Bei in­ter­dis­zip­li­nä­ren Pro­jek­ten wird für alle Be­tei­lig­ten eine zent­ra­le An­sprechstel­le ge­schaf­fen. Dies er­leich­ tert die Ko­or­di­na­ti­on un­ge­mein, da die Ver­ant­wort­lich­keit ge­klärt ist. Eine ko­ or­di­nier­te Ab­lauf­pla­nung von kom­ple­xen Auf­ga­ben wird ge­schaf­fen, wel­che die eher auf rou­ti­ni­sier­te Ab­läu­fe aus­ge­rich­te­te Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on an­sons­ten nur zu leicht über­for­dern kann. Die in­ei­nan­der grei­fen­den Ein­zel­ak­ti­vi­tä­ten kön­nen bes­ser ge­plant, ge­steu­ert und kon­trol­liert wer­den. In vie­len Fäl­len scheint über­ haupt nur durch Pro­jekt­ma­na­ge­ment eine er­folg­ver­spre­chen­de Aus­füh­rung ge­



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe135

währ­leis­tet. Eine ge­samt­pro­jekt­be­zo­ge­ne Er­folgs­rech­nung (Pro­fit Cen­ter) wird mög­lich. Denn die für ein Pro­jekt auf­ge­wen­de­ten Kos­ten sind nicht nur für Sach­leis­tun­gen, son­dern auch für den ho­hen An­teil von Per­so­nal­leis­tun­gen ab­ grenz­bar. Die weit­ge­hen­de Au­to­no­mie der Pro­jekt­lei­tung er­mög­licht ein fle­xib­ les Ein­ge­hen auf Markt­er­for­der­nis­se. So braucht nicht auf star­re in­ter­ne Re­gu­ la­ri­en Rück­sicht ge­nom­men zu wer­den. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Das Zu­sam­men­spiel von be­grenz­ ter Pro­jekt­or­ga­ni­sa­ti­on und ge­ne­rel­ler Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on in der (häu­fi­gen) hy­ bri­den Aus­le­gung schafft Prob­le­me, wenn bei­de, was re­gel­mä­ßig der Fall ist, zu­min­dest par­ti­ell wi­der­stre­ben­de An­for­de­run­gen an Mit­ar­bei­ter stel­len. Vor al­ lem ent­ste­hen Kom­pe­tenz­prob­le­me der Mit­ar­bei­ter durch dop­pel­te Un­ter­stel­lung bei Dis­zip­linar­vor­ge­setz­tem und Pro­jekt­lei­ter. Da­her müs­sen kla­re Pri­o­ri­täts­re­ geln ge­setzt wer­den, die ei­gent­lich nur zu Guns­ten des Pro­jekts aus­fal­len kön­nen, da es an­sons­ten ja nicht des Pro­jekt­ma­na­ge­ments be­dürf­te. Bei der Zu­tei­lung der Res­sour­cen macht sich de­ren be­grenz­te Teil­bar­keit be­merk­bar und er­for­dert Min­ dest­pro­jek­tum­fän­ge. Dies be­zieht sich so­wohl auf ma­schi­nel­le als auch auf per­ so­nel­le Ka­pa­zi­tä­ten. Es gibt wo­mög­lich Rein­tegra­ti­ons­prob­le­me der Pro­jekt­mit­ ar­bei­ter nach Be­en­di­gung ei­nes Pro­jekts. Denn de­ren Auf­ga­ben sind zwi­schen­ zeit­lich auf an­de­re Wei­se ge­löst wor­den, so dass nur ein Fol­ge­pro­jekt den bes­ten Über­gang bie­tet. Das kann aber be­deu­ten: Ein­mal Pro­jekt, im­mer Pro­jekt. 4.4.3

Vertrieb als Gremienorganisation

­Ver­triebs­ent­schei­dun­gen ho­her Trag­wei­te sind häu­fig ei­ner ein­zel­nen Per­son oder ei­nem klei­nen Team al­lein nicht mehr zu­mut­bar. Da­her wer­den Ent­schei­ dungs­gre­mi­en (Stee­ring Com­mit­tees, Lenkungs­aus­schüs­se) mit die­sen Ent­schei­ dun­gen be­traut (siehe Abb. 38). Ihre Teil­neh­mer wer­den nur aus markt­na­hen oder auch aus al­len Fach­be­rei­chen rek­ru­tiert und sind meist hoch­ran­gig sor­tiert. Das Gre­mi­um ist nur tem­po­rär tä­tig (Un­ter­schied zur Di­vi­si­on), be­trifft nur die Dis­po­si­ti­on (Un­ter­schied zum Pro­jekt) und über­nimmt kei­ne exe­ku­ti­ven Tä­tig­ kei­ten (Un­ter­schied zum Team). Es ist vor al­lem in Groß­un­ter­neh­men ver­brei­ tet. Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le sind die Fol­gen­den. Es ist zu un­terstel­len, dass nur be­ rufs­er­fah­re­ne und fach­kom­pe­ten­te Ver­tre­ter in ein Gre­mi­um de­le­giert wer­den, so dass mit ei­ner hö­he­ren Ent­schei­dungs­qua­li­tät zu rech­nen ist als bei ei­nem Ein­zel­ent­scheid. Da Ver­tre­ter al­ler re­le­van­ten in­ter­nen In­te­res­sen­grup­pen re­prä­ sen­tiert sind, ist an­zu­neh­men, dass aus­ge­wo­ge­ne Ent­schei­dun­gen ge­fällt wer­den kön­nen. Durch das Ge­wicht des Gre­mi­ums wer­den des­sen Ent­schei­de in der Or­ga­ni­sa­ti­on nicht in Fra­ge ge­stellt, so ­dass eine kon­struk­ti­ve Im­ple­men­tie­rung zu er­war­ten ist. Es wird eine Ein­heit­lich­keit der Len­kung si­cher­ge­stellt, in­dem kon­sen­su­a­le Be­schlüs­se ge­trof­fen wer­den, die im Er­geb­nis, wenn­gleich nicht in ih­rem Zu­stan­de­kom­men, trans­pa­rent sind.

136

A. Vertriebskonzept und Controlling Geschäftsleitung HAL Vertrieb

HAL Beschaffung

HAL Produktion

AL Vertrieb I

A Vertrieb II

AL Vertrieb III

Vertrieb Europa

Vertrieb Amerika

Vertrieb Asien

Entscheidungen

Entscheidergremien

Gremium Key Accounts

Gremium Sonderkunden

Gremium Akquisition

BL = Bereichsleitung, HAL = Hauptabteilungsleitung, AL = Abteilungsleitung Schema der Gremienorganisation im Vertrieb

Abb. 38: Schema der Gremienorganisation im Vertrieb

Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Gre­mi­en nei­gen zu un­ge­bühr­li­ chen Kom­pro­mis­sen, die nur sel­ten ziel­füh­rend sind, son­dern sich als „faul“ he­raus­stel­len, weil sie häu­fig dem kleins­ten ge­mein­sa­men Nen­ner ge­hor­chen. Gre­mi­en sind meist aus­ge­spro­chen schwer­fäl­lig und die­nen nicht sel­ten als Büh­ne zur Selbst­dar­stel­lung der da­rin ver­tre­te­nen, so dass nur eine be­grenz­te Ziel­füh­rung ge­ge­ben ist. Mit­ar­bei­ter kön­nen sich de­mo­ti­viert füh­len, wenn Ent­ schei­dun­gen von ei­ni­gem Be­lang nicht von ih­nen, son­dern von ei­nem Gre­mi­um er­ar­bei­tet wer­den, zu dem sie al­len­falls Vor­la­gen ein­rei­chen kön­nen. Bei Mehr­ per­so­nenent­schei­den bes­teht ge­ne­rell das Prob­lem der Zu­re­chen­bar­keit von Er­fol­gen und Miss­er­fol­gen, vor al­lem bei letz­te­ren kön­nen die Gre­mi­ums­mit­ glie­der sich hin­ter der Grup­pen­verant­wor­tung weg­du­cken. Grup­pen­ent­schei­de un­ter­lie­gen ver­brei­te­ten Ent­schei­dungs­de­fek­ten (Groupt­hink-Phä­no­men), d.  h., das Gre­mi­um trifft eine Ent­schei­dung, die kei­ner der Gre­mi­ums­mit­glie­der rich­ tig fin­det, weil je­der aber denkt, er ste­he mit sei­ner Ein­schät­zung al­lein da, er­hebt nie­mand Ein­wän­de.



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe137

4.4.4

Vertrieb als Divisionsorganisation

Die Di­vi­si­on (Spar­te) hat sich aus der Mehr­li­ni­en­or­ga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckelt. Die Ar­beit ist dau­er­haft an­ge­legt (Un­ter­schied zum Pro­jekt), be­trifft auch die ­Exe­ku­ti­ve (Un­ter­schied zum Gre­mi­um) und be­zieht sich nur auf markt­na­he Funk­ti­o­nen (Un­ter­schied zum Team). Bei ei­ner Di­vi­si­o­na­li­sie­rung er­folgt eine Auf­tei­lung der Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on des Un­ter­neh­mens in ei­nen oder meh­re­re Ver­triebs­be­rei­che ei­ner­seits (Front End) und markt­fer­ne Be­rei­che (Zen­tral­ab­tei­ lun­gen / Back Of­fice) an­de­rer­seits. Da­durch sol­len die Vor­tei­le der funk­ti­on­sori­ en­tier­ten und mit de­nen der ob­jek­to­ri­en­tier­ten Struk­tur ver­bun­den wer­den. Da­ bei ist zu ent­schei­den, wie die Zu­ord­nung von Di­vi­si­ons und Zen­tral­ab­tei­lun­gen zu er­fol­gen hat. Denk­bar sind al­ter­na­tiv, dass die Di­vi­si­ons zwin­gend auf Funk­ti­ons­leis­tun­gen der Zen­tral­ab­tei­lun­gen zu­rück­zu­grei­fen ha­ben oder aber da­rauf zu­rück­grei­fen kön­nen, je­doch nicht dazu ver­pflich­tet sind (siehe Abb. 39). Eine Eva­lu­ie­rung kommt zu fol­gen­dem Er­geb­nis. We­sent­li­che Vor­tei­le sind die Fol­gen­den. Es er­folgt eine Ent­las­tung und Un­ ter­stüt­zung der Lei­tungs­instan­zen auf al­len Ebe­nen. Und zwar hin­sicht­lich der­ je­ni­gen Auf­ga­ben, die mut­maß­lich von, meist funk­ti­o­na­len Spe­zi­a­lis­ten bes­ser er­le­digt wer­den kön­nen als in­ner­halb der Spar­te. Es bes­teht eine gute Nutz­bar­ ma­chung und Aus­las­tung von kos­ten­in­ten­si­ven Fach­spe­zi­a­lis­ten und An­la­gen

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Abb. 39: Schema der Divisionsorganisation im Vertrieb

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A. Vertriebskonzept und Controlling

für das ge­sam­te Un­ter­neh­men. Durch Zu­sam­men­le­gung der Auf­ga­ben ver­schie­ de­ner Spar­ten tra­gen sich sol­che Zen­tral­ab­tei­lun­gen meist über­haupt erst. Die wirk­sa­me Ko­or­di­nie­rung be­stimm­ter Auf­ga­ben wird er­leich­tert. So wird die, in der Spar­ten­or­ga­ni­sa­ti­on ten­den­zi­ell un­te­rent­wi­ckel­te Quer­ab­stim­mung durch das Zu­sam­men­lau­fen be­stimm­ter Funk­ti­o­nen in der ent­spre­chen­den Zen­tral­ab­tei­lung we­sent­lich ver­bes­sert. Die Or­ga­ni­sa­ti­on ist eher durch funk­ti­o­na­le als hier­ar­chi­ sche Au­to­ri­tät ge­kenn­zeich­net. Das heißt, der je­weils kom­pe­ten­tes­te Mit­ar­bei­ter er­füllt die an­ste­hen­den Auf­ga­ben, die eher markt­na­hen wer­den in der Spar­te er­le­digt, die eher ad­mi­nist­ra­ti­ven in der Zen­tral­ab­tei­lung. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Die Or­ga­ni­sa­ti­on er­for­dert ei­nen zu­neh­men­den Spe­zi­a­lis­ten­be­darf. Denn im funk­ti­o­na­len An­teil der Auf­bau­or­ga­ ni­sa­ti­on wer­den hoch spe­zi­a­li­sier­te Mit­ar­bei­ter be­nö­tigt. Es bes­teht die Ge­fahr von Kom­pe­tenz­strei­tig­kei­ten, da die Be­lan­ge von Spar­te und Zen­tral­ab­tei­lung in­ei­nan­der grei­fen. Da­bei wirkt sich vor al­lem die man­geln­de Ko­or­di­na­ti­on zwi­ schen bei­den Be­rei­chen ne­ga­tiv aus. Es bes­teht die Ge­fahr ei­nes über­mä­ßi­gen Res­sort­den­kens und un­ge­nü­gen­der Be­rück­sich­ti­gung der Be­dürf­nis­se der Spar­te. Dies ist umso be­dau­er­li­cher, als in der Zen­tral­ab­tei­lung eher markt­fer­ne Auf­ gaben er­le­digt wer­den, wel­che die Kun­den­ori­en­tie­rung des Un­ter­neh­mens schmä­lern. Die ope­ra­ti­ven Ein­hei­ten er­lei­den bei ob­li­ga­to­ri­scher Ein­bin­dung der Zen­tral­ab­tei­lun­gen ei­nen Au­to­no­mie­ver­lust und sind nur noch ein­ge­schränkt ver­ant­wort­lich zu ma­chen (Ex­kul­pa­ti­onsmmög­lich­keit). Dies gilt umso stär­ker, je mehr Ent­schei­dungs­fä­hig­keit aus der Spar­te an die Zen­tral­ab­tei­lung ab­wan­ dert. Bei nur fa­kul­ta­ti­vem Rück­griff auf die Zen­tral­ab­tei­lun­gen bes­teht hin­ge­ gen die Ge­fahr, dass dort hoch be­zahl­te Spe­zi­a­lis­ten un­ter­aus­ge­las­tet blei­ben und ihre Ex­per­ti­se nicht an­ge­mes­sen ge­nutzt wird. 4.5

Hybride Vertriebsorganisationsformen

Da jede die­ser Ar­beits­feld­ein­tei­lun­gen ernst zu neh­men­de Nach­tei­le birgt, wird in der Pra­xis meist eine Over­lay-Struk­tur (mehr­stu­fi­ge Ar­beits­feld­ein­tei­ lung) um­ge­setzt. Da­bei han­delt es sich ty­pi­scher­wei­se um eine Kom­bi­na­ti­on der Aus­rich­tung nach Ver­wen­der­bran­chen, Ver­kaufs­ge­bie­ten und Kun­den­wer­tig­kei­ ten. Denk­bar sind da­bei zwei Prin­zi­pi­en. In­ner­halb der Aus­rich­tung nach Ver­kaufs­ge­bie­ten auf der obe­r­sten Ebe­ne (z.  B. in­ter­na­tio­na­le Ver­triebs­lei­tung, kon­ti­nen­ta­le Ver­triebs­lei­tung, na­tio­na­le Ver­triebs­lei­tung, re­gio­na­le Ver­triebs­lei­tung) ist eine Spe­zia­li­sie­rung nach Ver­ wen­der­bran­chen mög­lich (z.  B. na­tio­na­le Ver­triebs­lei­tung für die Fi­nanz­dienst­ lei­stungs­bran­che). Meist wer­den Key Ac­counts als Be­son­der­heit ge­trennt da­von or­ga­ni­siert. In­ner­halb der Aus­rich­tung nach Ver­wen­der­bran­chen auf der ober­sten Ebe­ne (z. B. di­rekt be­lie­fer­ter Ein­zel­han­del, Groß­han­del, Ver­sen­der / C&C, industrielle Ab­neh­mer) wird eine Spe­zia­li­sie­rung nach Ver­kaufs­ge­bie­ten vor­ge­ nom­men (z.  B. in­du­stri­el­le Ab­neh­mer in Ni­el­sen IV). Meist wer­den auch hier



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe139

die Key Ac­counts ge­trennt or­ga­ni­siert. Prob­lem­atisch ist es da­bei, wenn Kun­den in meh­re­ren Bran­chen ak­tiv sind. Eine rei­ne Ein­tei­lung nach Kun­den­wer­tig­kei­ten ist prak­tisch kaum an­zu­tref­ fen. Aus den ge­nann­ten Bei­spie­len wird deut­lich, dass die Ver­ant­wor­tung der Ver­kauf­sau­ßen­dienst­mit­ar­bei­ter für ei­nen Kun­den schwie­rig zu or­ga­ni­sie­ren ist. Dies gilt erst recht, wenn ein Kun­denun­ter­neh­men in ei­nem be­lie­fer­ten Pro­dukt­ be­reich ein Groß­ab­neh­mer ist, da­her durch den Key Ac­count Ma­na­ger be­treut wird, in ei­nem an­de­ren be­lie­fer­ten Pro­dukt­be­reich aber Klein­ab­neh­mer. Zu fra­ gen ist dann, ob die­ ser Kun­ de in bei­ den Pro­ dukt­ be­ rei­ chen durch den Key ­Ac­count Ma­na­ger be­treut wird, ob­gleich der eine Pro­dukt­be­reich dies vom Vo­lu­men her nicht recht­fer­tigt, oder ob der Kun­de durch zwei Ver­käu­fer be­treut wird, ei­nen Key Ac­coun­ter und ei­nen Feldver­käu­fer, was wo­mög­lich zu Frik­ tio­nen führt. Ein an­de­rer Pro­blem­fall ent­steht, wenn ein Un­ter­neh­men in vie­len be­lie­fer­ten Pro­dukt­be­rei­chen nur Klein­ab­neh­mer ist, in der Sum­me die­ser Lie­ fe­run­gen aber ei­nen Groß­ab­neh­mer des Lie­fe­ran­ten dar­stellt. Dann kön­nen bran­chen­spe­zia­li­sier­te Ver­käu­fer ein­ge­setzt wer­den oder aber ein „kun­den­spe­ zia­li­sier­ter“ Key Ac­coun­ter. Ge­gen eine pro­duk­to­ri­en­tier­te Or­ga­ni­sa­ti­on spricht zu­meist die Be­schaf­ fungsstruk­tur des Ab­neh­merun­ter­neh­mens. Wer­den alle Auf­trä­ge dort ge­bün­delt er­teilt, macht es we­nig Sinn, beim Ein­käu­fer ver­schie­de­ne Ver­kaufs­mit­ar­bei­ter für ihre je­wei­li­gen Pro­duk­te auf­tre­ten zu las­sen. Wer­den die Auf­trä­ge hin­ge­gen de­zen­tral, viel­leicht so­gar in­ter­na­tio­nal in ei­nem Kon­zern, ver­ge­ben, ist ein Key Ac­coun­ter eben­so rasch über­for­dert. Im Zuge zu­neh­men­der In­ter­na­tio­na­li­sie­rung der Ab­neh­mer wird auch der Ver­trieb zu­neh­mend in­ter­na­tio­na­li­siert. Dies gilt vor al­lem für Key Ac­counts, bei de­nen durch­aus glo­ba­le Zu­stän­dig­kei­ten für ei­nen Groß­ab­neh­mer üb­lich sind (z.  B. in der Au­to­mo­bil­zu­lie­ferin­du­strie). Pro­ble­me ent­ste­hen da­bei im Ver­ hält­nis zu na­tio­na­len Ver­trieb­sor­ga­ni­sa­tio­nen, die dann ihre be­deu­tend­sten Kun­ den an ei­nen Glo­bal Key Ac­count ab­tre­ten müs­sen. Wenn man noch Span­nun­ gen so­wohl zwi­schen Lan­des­ge­sell­schaf­ten und Kon­zern­füh­rung bei Ab­neh­mern als auch bei Lie­fe­ran­ten be­denkt, ent­steht ein Bild un­ge­hö­ri­ger Kom­ple­xi­tät. Bei Groß­un­ter­neh­men sind die Quer­schnitt­sfunk­ti­o­nen häu­fig in ei­ner Hol­d­ ing an­ge­sie­delt. Dies ist die Dach­ge­sell­schaft ei­nes Kon­zerns. Sie ist als ope­ra­ ti­ve (hier re­le­vant), fi­nan­ziel­le oder stra­te­gi­sche Ein­heit aus­ge­legt. Bei mehrstu­ fi­gen Kon­zer­nen sind auch Zwi­schen-Hol­dings mög­lich. Jede Hol­ding ist da­bei eine recht­lich und wo­mög­lich auch wirt­schaft­lich selbst­stän­di­ge Ein­heit. Da­ durch wird eine bes­se­re Ord­nung, ge­mäß Kri­ti­kern viel­leicht aber auch nur eine Ver­schlei­e­rung der Ord­nung, er­reicht. Die Or­ga­ni­sa­ti­on nach Stra­te­gi­schen Ge­schäfts­ein­hei­ten (SGEs) geht von Pro­dukt-Markt-Kom­bi­na­ti­o­nen aus, die Ge­gen­stand stra­te­gi­scher Über­le­gun­gen sind. Die­se kön­nen mit der Pri­mär­or­ga­ni­sa­ti­on iden­tisch sein oder ver­schie­den

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A. Vertriebskonzept und Controlling

da­von. Meh­re­re Ein­hei­ten der Pri­mär­or­ga­ni­sa­ti­on bil­den da­bei ge­mein­sam eine SGE bzw. eine Ein­heit der Pri­mär­or­ga­ni­sa­ti­on bes­teht aus meh­re­ren SGEs. Dies dient vor al­lem der stra­te­gi­schen Steu­e­rung und Len­kung des Un­ter­neh­mens. Du­a­le Hier­ar­chie­for­men er­mög­li­chen Mit­ar­bei­tern je nach Prä­fe­renz un­ter­ schied­li­che Lauf­bah­nen ein­zu­schla­gen, und zwar als Fach­lauf­bahn bei Ob­jekt­ pri­o­ri­tät, als Pro­jekt­lauf­bahn bei Ko­or­di­na­ti­ons­pri­o­ri­tät oder als Funk­ti­ons­lauf­ bahn bei Ver­rich­tungs­pri­o­ri­tät. Häu­fig wech­seln Mit­ar­bei­ter im Rah­men der Job Ro­ta­ti­ons auch zwi­schen die­sen For­men, denn eine Kar­rie­re in nur ei­ner Form („Schornstein­kar­rie­re“) dürf­te kaum mehr von Er­folg ge­krönt sein. Mo­du­la­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men he­ben auf eine Zer­le­gung der Or­ga­ni­sa­ti­on in meh­re­re iso­lier­te, je­doch mit­ei­nan­der ver­bun­de­ne Ein­hei­ten ab. Dazu ist eine for­ma­li­sier­te Aus­prä­gung der in­ner­be­trieb­li­chen Ko­o­pe­ra­ti­on er­for­der­lich, z.  B. durch vir­tu­el­le Teams. Dies bie­tet sich vor al­lem für in­ter­na­ti­o­na­li­sier­te Groß­ un­ter­neh­men an oder für mit­telstän­di­sche Un­ter­neh­men, die in­ter­na­ti­o­nal tä­tig sind. In­so­fern kommt es zu ei­ner er­heb­li­chen Ar­beits­tei­lung. Eine frak­ta­le Or­ga­ni­sa­ti­on ist ge­ge­ben, wenn die in­ner­be­trieb­li­chen Or­ga­ni­ sa­ti­ons­mo­du­le selbst­stän­dig und ei­gen­verant­wort­lich ar­bei­ten, da­bei aber ein ge­mein­sa­mes Ziel ver­fol­gen. Dies er­for­dert eine ein­heit­li­che Steu­e­rung (Coa­ch­ ing) und wird häu­fig bei Teil­zeit- oder Home Of­fice-Stel­len an­ge­wandt, die den An­sprü­chen der vor­geb­li­chen Work-Life-Ba­lan­ce ent­spre­chen. Eine Netz­werk­or­ga­ni­sa­ti­on bes­teht dem­ge­gen­über aus über­be­trieb­li­chen Ein­ hei­ten, die mit­ei­nan­der ko­o­pe­rie­ren, um da­durch Wett­be­werbs­vor­tei­le zu er­rei­ chen. Die Steu­e­rung über­nimmt meist ein fo­ka­les Un­ter­neh­men. Eine ty­pi­sche Aus­prä­gung ist die Stra­te­gi­sche Al­li­anz, bei der kern­kom­pe­tenz­re­le­van­te Ak­ti­ vi­tä­ten ge­poolt wer­den. Da­bei ist im­mer eine kla­re Ab­gren­zung zur Un­ter­neh­ mens­kon­zen­tra­ti­on mit wett­be­werbs­recht­li­cher Re­le­vanz zu be­ach­ten. Vir­tu­el­le Or­ga­ni­sa­ti­o­nen ar­bei­ten pro­jekt­be­zo­gen als selbst­stän­di­ge Ein­hei­ten mit spe­zi­fi­schen Kern­kom­pe­ten­zen ohne hier­ar­chi­sche Zu­ord­nung, aber räum­ lich ver­teilt mit Hil­fe mo­der­ner IuK-Tech­no­lo­gie (re­al­ti­me) zu­sam­men. Die Steu­e­rung über­nimmt eine Hub-Firm (Nabe). Die ein­zel­nen Ein­hei­ten bil­den dann die Spo­kes (Spei­chen). 4.6

Ablauforganisation

Auf­grund des Schwer­punkts der Über­le­gun­gen bei der Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­on sind Über­le­gun­gen der Ab­lauf­or­ga­ni­sa­ti­on lan­ge Zeit ver­nach­läs­sigt wor­den. Erst mit Über­nah­me ja­pa­ni­scher Ma­na­ge­ment­tech­ni­ken in der west­li­chen He­mi­ sphä­re ha­ben Pro­zes­se er­heb­lich an Be­deu­tung ge­won­nen. Heu­te do­mi­nie­ren sie ganz klar das Ma­na­ge­ment. Pro­zes­se er­for­dern aber im­mer Quer­schnitt­sma­na­ ge­ment, lau­fen also quer zum Or­gan­igramm und sie sind im­mer zeit­ge­bun­den.



4.6.1

4.   Vertriebsorganisation und -abläufe141

Prozesssteuerung

Jeg­li­che Leis­tungs­erstel­lung er­folgt in Pro­zes­sen bzw. Pro­zess­ket­ten. Bei ­ei­nem Ge­schäfts­pro­zess han­delt es sich spe­zi­ell um die plan­vol­le Trans­for­ma­ti­on von In­put zu Out­put un­ter Ein­brin­gung von Ei­gen- und Fremd­leis­tun­gen der­art, dass die Erst­el­lungs­kos­ten da­für nied­ri­ger sind als der Markt­er­lös. Sol­che Ge­schäfts­ pro­zes­se sind eine Fol­ge von ein­zel­nen Funk­ti­o­nen bzw. Auf­ga­ben oder Ak­ti­vi­ tä­ten, die nach­ei­nan­der, se­ri­ell, oder ne­ben­ei­nan­der, pa­ral­lel, sich gleich­ar­tig wie­der­ho­lend ab­lau­fen. Sie wer­den von Er­eig­nis­sen aus­ge­löst und durch Er­eig­ nis­se ab­ge­schlos­sen. Sie lau­fen üb­li­cher­wei­se be­reichsüber­grei­fend ab und sind durch ihre Wie­der­ho­lung ei­ner Stan­dar­di­sie­rung zu­gäng­lich. Am An­fang je­des Pro­zes­ses steht eine Quel­le (z.  B. Auf­trags­er­tei­lung), an des­sen Ende eine Sen­ke (z.  B. Ab­rech­nung), da­zwi­schen er­folgt die ziel­ge­rich­te­te, also wert­schöp­fen­de Trans­for­ma­ti­on des In­put in ei­nen Out­put. Der Pro­zess soll so kos­ten­güns­tig wie mög­lich er­fol­gen, d. h., die Kos­ten der Wert­schöp­fung sol­len mi­ni­miert wer­den, um best­mög­li­che Ge­winn­vo­raus­set­ zun­ gen zu schaf­ fen. Der Pro­ zess soll zu­ gleich so be­schleu­nigt wie mög­ lich ab­lau­fen, d.  h., die Zeit­span­ne, die zur Wert­schöp­fung be­nö­tigt wird, soll mi­ni­ miert wer­den, da­durch wer­den die Ka­pa­zi­tä­ten bes­ser aus­ge­schöpft und die Fix­kos­ten ver­tei­len sich. Der Pro­zess soll sich ab­so­lut man­gel­frei voll­zie­hen, d. h., die Qua­li­tät des Pro­zes­ses soll ma­xi­miert wer­den, denn Feh­ler wer­den vom Markt un­nach­sich­tig be­straft. Und der Pro­zess soll auch best­mög­lich in­ for­ma­ti­ons­ge­la­den statt­fin­den, da­mit In­ef­fi­zi­en­zen ver­mie­den wer­den kön­nen (siehe Abb. 40). Die An­for­de­run­gen sind al­ler­dings kon­fliktär, d.  h., die Er­rei­chung ei­nes die­ ser Teil­zie­le, Kos­ten, Zeit, Qua­li­tät oder In­for­ma­ti­on, be­hin­dert wo­mög­lich die Er­rei­chung der an­de­ren. End­ziel je­des Ge­schäfts­pro­zes­ses ist die Wert­schöp­ fung, d. h., die Er­zie­lung ei­nes Prei­ses für eine Leis­tung am Markt, der über den ad­dier­ten Kos­ten des ei­ge­nen Fak­torein­sat­zes und der zu­ge­kauf­ten Vor­leis­tun­

    

    

    

    

   

Abb. 40: Prozessanforderungen

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A. Vertriebskonzept und Controlling

gen liegt und da­mit ein Ge­winn­re­si­du­um er­mög­licht. Auch da­rin sind alle Un­ ter­neh­men im markt­wirt­schaft­li­chen Sys­tem gleich. Das Un­ter­neh­men ver­fügt über ver­schie­de­ne Stell­grö­ßen zur Pro­zess­ge­stal­ tung, so auch im Vertrieb. Dazu ge­hö­ren vor al­lem die •• Fest­le­gung der zur Auf­trags­be­ar­bei­tung not­wen­di­gen Ak­ti­vi­tä­ten, •• Zu­ord­nung die­ser Ak­ti­vi­tä­ten zu Stel­len bzw. Ab­tei­lun­gen, •• zur Be­ar­bei­tung der Auf­ga­ben ein­zu­set­zen­den Mit­tel und Me­tho­den, •• zur Un­ter­stüt­zung ein­zu­set­zen­de in­for­ma­ti­o­nel­le Ver­net­zung, •• Zu­sam­men­le­gung von Funk­ti­on­ en zur Re­duk­ti­on / Ver­mei­dung von Schnittstel­ len (Cases), •• Stan­dar­di­sie­rung kom­ple­men­tä­rer Auf­ga­ben zur Ver­hin­de­rung von Son­der­pro­ zes­sen, •• Bün­de­lung von Pro­zes­sen zur Er­rei­chung von Ra­ti­o­na­li­sie­rungs­ef­fek­ten. Ge­schäfts­pro­zes­se sind we­gen der auf­bau­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Dom­inanz der Ver­gan­gen­heit be­trieb­lich häu­fig nicht hin­rei­chend do­ku­men­tiert, so dass zu­ nächst eine Ist­be­stand­sauf­nah­me er­for­der­lich wird, z.  B. in Form der er­eig­nis­ ge­steu­er­ten Pro­zess­ket­te (Blue­print). Auf Ba­sis die­ser In­for­ma­ti­on kann ein ziel­ge­rich­te­tes Ge­schäfts­pro­zess­ma­na­ge­ment an­ge­strebt wer­den. Da­bei wird vor al­lem nach fol­gen­den Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­a­len im Vertrieb ge­sucht: •• Struk­tur­ver­bes­se­run­gen wie ein mög­lichst sel­te­ner Wech­sel der be­fass­ten Or­ ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit durch Bün­de­lung bei Pro­cess Ow­ners, da­durch kommt es zu ei­ner Ver­min­de­rung von In­for­ma­ti­ons­ver­lus­ten, Lie­ge­zei­ten, Mehr­ar­bei­ten etc., •• Steu­e­rungs­ver­bes­se­run­gen wie im Rah­men Teil­au­to­no­mer Ar­beits­grup­pen (Teams), •• Ablauf­ver­bes­se­run­gen wie das Pa­ral­lel­isie­ren seit­her se­quen­zi­ell ab­lau­fen­der Pro­zess­stu­fen, das Stan­dard­isie­ren oder Eli­mi­nie­ren von Pro­zes­sen, die kei­ne wei­te­ren Ak­ti­vi­tä­ten aus­lö­sen oder ab­schlie­ßen (Blind­leis­tun­gen), •• mög­lichst ge­rin­ge in­for­ma­ti­onstech­ni­sche Brü­che durch voll elekt­ro­nisch ge­ führ­te Da­ten­ver­ar­bei­tung mit en­ger in­for­ma­ti­o­nel­ler Ver­net­zung (ERP), •• Un­ter­drü­ckung von Er­eig­nis­sen, die nicht wert­schöp­fend sind (= Blind­leis­tun­ gen), •• Ver­gleich un­ter­neh­mensei­ge­ner Pro­zes­se mit un­ter­neh­mens­frem­den, maß­stab­ set­zen­den Pro­zes­sen (= Ben­chmark­ing). Pro­zess­ma­na­ge­ment ist im­mer auch Quer­schnitt­sma­na­ge­ment. Um die da­raus re­sul­tie­ren­den Schnitts­tel­len zu ver­min­dern, wer­den Pro­zess­be­auf­trag­te (Pro­cess Ow­ner) ein­ge­setzt, die ei­nen kom­plet­ten Ge­schäfts­pro­zess funk­ti­onsüber­grei­ fend ver­ant­wor­ten. Dazu ge­hört insb., die Ge­schäfts­pro­zes­se zu­nächst aus­rei­



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe143

chend zu do­ku­men­tie­ren und ent­lang die­ser Pro­zes­se ein Qua­li­täts­con­trolling auf­zu­bau­en. Die Mo­del­lie­rung der Pro­zes­se er­folgt gra­fisch als Pro­gramm­ab­ lauf- oder Fluss­plä­ne. 4.6.2

Komplexitätsreduktion

Kom­ple­xi­tät gilt heu­te als der we­sent­lichs­te Kos­ten­trei­ber. Kom­plex­itäts­kos­ ten sind Kos­ten, die nur ent­ste­hen, weil ein Un­ter­neh­men so unüber­schau­bar ar­bei­tet, wie sie ist und die ver­meid­bar wä­ren, wür­de eine Kom­plex­itäts­re­duk­ ti­on er­reicht. Im De­tail kön­nen fol­gen­de Ver­ur­sa­chungs­grün­de für ver­meid­ba­re Kom­plex­itäts­kos­ten iden­ti­fi­ziert wer­den: •• brei­te He­te­ro­ge­ni­tät der Auf­ga­ben, ge­rin­ge Fle­xi­bi­li­tät der Pro­zes­se, hohe Ver­än­der­lich­keit der An­for­de­rung, star­ke In­ter­de­pen­denz von Ak­ti­vi­täten, viele Frei­heits­gra­de der Ent­schei­dung, tur­bu­len­te Ent­wick­lung im Um­feld, beschränk­te Er­fass­bar­keit re­le­van­ter Da­ten, un­ge­wis­se Prob­lem­lö­sung. Kom­ple­xi­tä­ten ha­ben ihre Ur­sa­chen bei ver­schie­de­nen Fak­to­ren (siehe Abb. 41): •• Markt und Kun­den in­fol­ge Markt­seg­men­tie­rung, Nach­fra­ge­macht, Kun­den­ zahl etc., •• Pro­duk­te und Pro­gramm in­fol­ge Pro­life­ra­ti­on, tech­ni­schen Fort­schritts, Sup­ port­not­wen­dig­keit etc., •• Pro­duk­ti­on und Log­is­tik in­fol­ge kun­den­spe­zi­fi­scher Fer­ti­gung, Ar­beits­tei­lung, Ma­te­ri­a­li­en, Tech­no­lo­gi­en, Pro­zes­sen, ver­schie­de­nen Stand­or­ten etc., •• Or­ga­ni­sa­ti­on und Im­ple­men­tie­rung in­fol­ge In­ter­na­ti­o­na­li­tät, Di­ver­si­tät, Lei­ tungs­tie­fe, Ver­net­zung, Auf­ga­benumfang etc. Es steht zu ver­mu­ten, dass durch die fort­ge­schrit­te­nen Kon­zen­tra­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ ten der letz­ten Jahr­zehn­te vie­le Un­ter­neh­men be­reits ihre op­ti­ma­le Ak­ti­ons­grö­ße

   

   

     

           

Abb. 41: Komplexitätsursachen

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A. Vertriebskonzept und Controlling

über­schrit­ten ha­ben, d.  h., das Un­ter­neh­men könn­te durch­aus kos­ten­güns­ti­ger ar­ bei­ten, wäre sie über­schau­ba­rer. Die­se ist dort er­reicht, wo Kosten­de­gres­si­on in­ fol­ge von Grö­ßen­ef­fek­ten und Ska­len­er­trä­gen ei­ner­seits und Kos­ten­pro­gres­si­on in­fol­ge ver­meid­ba­rer Kom­ple­xi­tä­ten an­de­rer­seits ein Ge­samt­kos­ten­mi­ni­mum er­ ge­ben. Bei Kom­plex­itäts­kos­ten han­delt es sich al­ler­dings um schwer nach­weis­ ba­re Op­por­tu­ni­täts­kos­ten, je­doch wird die Un­ter­neh­mens­grö­ße als we­sent­lich ur­säch­lich da­für an­ge­se­hen. Au­ßer­dem ist „Ma­na­ge­ri­al Ego“, also ir­ra­ti­o­na­le Mo­ti­ve des Top­ma­na­ge­ ments, eine star­ke Trieb­fe­der für Un­ter­neh­mens­grö­ßen weit jen­seits der op­ti­ma­ len. Die­se Un­ter­neh­men er­wei­sen sich dann al­ler­dings als kaum mehr ef­fi­zi­ent steu­er­bar. Die da­raus ent­ste­hen­den De­fi­zi­te füh­ren zu schwe­ren Kri­sen. Den­ noch hat sich die Be­fürch­tung am Ende mo­no­po­li­sier­ter Märk­te nicht be­stä­tigt, denn im­mer, wenn ein An­bie­ter zu mo­no­po­li­sie­ren droht, bil­den sich Ge­gen­be­ we­gun­gen mit dem Ziel der Kraft­ver­tei­lung (z. B. Mi­cro­soft vs. Linux / Apple). An­de­rer­seits ist ggf. nur der Markt­füh­rer von den ne­ga­ti­ven Kon­se­quen­zen des Wett­be­werbs aus­ge­nom­men, so dass es sich lohnt, die­se Po­si­ti­on an­zu­stre­ben. Zur Kom­plex­itäts­re­duk­ti­on ist eine Un­ter­schei­dung in die Pro­zess­klas­sen Schlüs­sel-, Sub-, Teil­pro­zes­se er­for­der­lich. Auf die­ser Ba­sis las­sen sich viel­fa­che Ver­lust­quel­len iden­ti­fi­zie­ren wie An­la­ge­naus­fall, Rüst- / Ein­rich­te­zei­ten, Leer­ lauf / Kurz­stills­tand, ver­rin­ger­te Takt­ge­schwin­dig­keit, Aus­schuss / Nach­ar­beit, An­ lauf­prob­le­me etc. Die­se kön­nen ver­mie­den wer­den durch Ein­hal­tung von Prin­zi­ pi­en wie au­to­no­me In­stand­hal­tung, Sau­ber­keit, Schu­lung / Do­ku­men­ta­ti­on, Stö­ rungs­prä­ven­ti­on, Ord­nungs­schaf­fung / -hal­tung etc. Ent­spre­chen­de Maß­nah­men lau­ten etwa •• Ver­kür­zung der Durch­lauf­zei­ten, Weg­fall von pro­zes­su­a­len Schlei­fen, in­kre­ men­ta­le Ver­bes­se­rung, Über­win­dung von Eng­päs­sen, ein­deu­ti­ge Selbst­verant­ wor­tung, schnel­les Feed­back, Ver­mei­dung von Ver­schwen­dung, Ver­bes­se­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen, Ver­rin­ge­rung der Be­stän­de / Um­lauf­ver­mö­gen. 4.6.3

Willensbildung

Die Ab­lauf­or­ga­ni­sa­ti­on trifft die per­so­nel­len, zeit­li­chen und räum­li­chen Re­ ge­lun­gen der ma­te­ri­el­len und in­for­ma­ti­o­nel­len Ar­beits­pro­zes­se auf Ba­sis der Er­geb­nis­se der Ar­beits­ge­stal­tung. Dies do­mi­niert in neu­e­rer Zeit im Or­ga­ni­sa­ti­ ons­we­sen und über­wiegt so­mit die Sicht der Struk­tur­or­ga­ni­sa­ti­on. Die kleins­te or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ein­heit ist da­mit nicht mehr eine Stel­le, son­dern ein Pro­zess (Case). Die Wil­lens­bil­dung in ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on kann nach fünf Mus­tern er­fol­gen. Top Down-An­satz / re­tro­grad be­deu­tet, dass die Wil­lens­bil­dung im Top-Ma­na­ge­ ment er­folgt und per An­wei­sung in die Or­ga­ni­sa­ti­on ge­ge­ben wird, dies ist schnell und prag­ma­tisch, kann aber auf Wi­der­stand auf al­len Ebe­nen sto­ßen.



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe145

Der Vor­teil der schnel­len Ent­schei­dungs­fin­dung geht somit auf dem Weg durch die Instan­zen oft wie­der ver­lo­ren. Hin­zu kommt je­weils eine un­be­wuss­te Ver­ fäl­schung des In­for­ma­ti­ons­in­halts, die im Er­geb­nis zu Ver­zer­run­gen führt. Da zu­dem die von oben ok­tro­yier­te Ent­schei­dung nicht im­mer sach­ge­recht ist, blei­ ben Ent­schei­de letzt­lich oft Ma­ku­la­tur, und die Un­ter­neh­mens­spit­ze ent­fernt sich zu­neh­mend von der Ba­sis. Prob­le­me lie­gen auch im Vor­ga­be­cha­rak­ter, der die Pla­nungs­mo­ti­va­ti­on be­ein­träch­tigt, in man­geln­der Ko­or­di­na­ti­on und In­for­ ma­ti­on, die häu­fig als re­le­van­te Prob­lem­be­rei­che ver­bor­gen blei­ben, und in der Ge­fahr der Sub­op­ti­mie­rung. Bot­tom Up-An­satz / pro­gres­siv be­deu­tet, dass die Wil­lens­bil­dung an der Mit­ ar­bei­ter­ba­sis er­folgt und als Ori­en­tie­rung an das Top-Ma­na­ge­ment ge­ge­ben wird, das dann ent­spre­chend ent­schei­det, dies ist zwar lang­wie­rig, aber zu­min­ dest kon­sen­su­al. Auf al­len Ebe­nen der Or­ga­ni­sa­ti­on voll­zieht sich eine in­for­ mel­le Wil­lens­bil­dung mit dem Ziel des Einvernehmens. Erst da­nach wird die ver­ein­bar­te Mei­nung an die je­weils vor­ge­setz­te Stel­le wei­ter ge­ge­ben. Dort wie­der­holt sich die­ser Ab­stim­mungs­pro­zess, bis die ge­bün­del­te Mei­nung bei der Un­ter­neh­mens­spit­ze an­ge­kom­men ist. Die­se ent­schei­det ent­spre­chend und die­se Ent­schei­dung wird schlag­ar­tig auf al­len Ebe­nen wirk­sam. Der Vor­teil liegt zum ei­nen in der er­kenn­ba­ren Ein­bin­dung der Mit­ar­bei­ter, die be­rech­tig­ ter­wei­se das Ge­fühl ha­ben, am Er­geb­nis mit­ge­wirkt zu ha­ben, zum an­de­ren in sach­ge­rech­ten Ent­schei­den, die zu hö­he­rer Pro­duk­ti­vi­tät füh­ren. Prob­le­me lie­ gen al­ler­dings in der Ne­ga­tiv­ko­or­di­na­ti­on, der Fort­schrei­bung al­ter Zie­le, dem ho­hen Ar­beits- und Zeit­auf­wand und der Er­for­der­nis zu aus­gie­bi­ger ho­ri­zon­ta­ ler Ko­or­di­na­ti­on. Das Pro­cedere w­ird durch mo­der­ne IuK-Sys­tem im Un­ter­neh­ men er­leich­tert. Top Down-Bot­tom Up-Top Down-An­satz / zir­ku­lär (auch Ge­gen­strom) be­deu­ tet, dass eine Ent­schei­dungs­idee vom Top-Ma­na­ge­ment zu­nächst in die Or­ga­ni­ sa­ti­on ge­ge­ben wird und die Mit­ar­bei­ter ein Feed­back dazu ge­ben sol­len, so dass die ei­gent­li­che An­wei­sung bei Be­darf ent­spre­chend mo­di­fi­ziert wer­den kann, dies er­weist sich zwar als sinn­voll, letzt­lich aber auch als kom­pli­ziert. Best­eht Über­ein­stim­mung zwi­schen Ent­schei­dungs­vor­ha­ben und Mei­nungs­rück­ fluss, wird die Ent­schei­dung ent­spre­chend durch­ge­setzt. Gibt es Di­ver­gen­zen, wird die Ent­schei­dung so­lan­ge mo­di­fi­ziert und er­neut in der Or­ga­ni­sa­ti­on ge­ tes­tet, bis Kon­sens er­zielt wird. Eben­so kann sich eine Mei­nung an der Ba­sis ge­bil­det ha­ben, die dann an die Ge­schäfts­füh­rung wei­ter­ge­ge­ben wird, die die­se ih­rer­seits kom­men­tiert. Von Nach­teil ist der hohe Ko­or­di­na­ti­ons- und Zeit­auf­ wand, so dass de fac­to meist nur aus­ge­wähl­te Gre­mi­en der Or­ga­ni­sa­ti­on (z.  B. Ex­per­ten­bei­rat, Be­triebs­rat) kon­sul­tiert wer­den. Midd­le Ma­na­ge­ment-An­satz be­deu­tet, dass das Top-Ma­na­ge­ment eine An­wei­ sung an die mitt­le­re Füh­rungs­ebe­ne gibt, in der Er­war­tung, dass die­se sie an die Mit­ar­bei­ter­ba­sis wei­ter­ver­mit­telt, da­raus er­gibt sich dort al­ler­dings ne­ben der wei­ter­zu­füh­ren­den ope­ra­ti­ven Ar­beit eine Dop­pel­be­las­tung. Das Midd­le

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Ma­na­ge­ment nimmt auf­grund sei­ner Lei­tungs­funk­ti­on Ma­na­ge­ment­cha­rak­ter an, bringt aber auf­grund sei­ner Ba­sis­nä­he auch prak­ti­schen Sach­ver­stand ein. Da es je­doch vor al­lem mit der ope­ra­ti­ven Ar­beit be­schäf­tigt ist, stellt sich die be­rech­ tig­te Fra­ge, ob es hier nicht zu ei­ner Über­las­tung mit nicht-wert­schöp­fen­den Ak­ti­vi­tä­ten kommt, zu­mal wenn zu­gleich Hier­ar­chie­ebe­nen in­fol­ge Lean Ma­na­ ge­ment ein­ge­spart wer­den. Ma­na­ge­ment-Ker­ne-An­satz be­deu­tet, dass das Top-Ma­na­ge­ment eine An­wei­ sung an in­for­mel­le Kern­grup­pen in der Or­ga­ni­sa­ti­on gibt, von wo aus die­se an die je­wei­li­ge Mit­ar­bei­ter­ba­sis wei­ter­ge­reicht wer­den. Da­bei ent­ste­hen je­doch Ge­fah­ren aus Ver­zer­rung und Un­verständ­nis. Die „Ker­ne“ be­ru­hen auf in­for­ mel­len Kon­tak­ten, auf großer Qua­li­fi­ka­ti­on und auf ho­hem Zu­sam­men­ge­hö­rig­ keits­ge­fühl. Sie wir­ken mei­nungs­be­ein­flus­send auf ihr Um­feld und schaf­fen Lob­bies, die ge­eig­net sind, zu­erst The­men auf die Agen­da der Ge­schäfts­füh­rung zu brin­gen und spä­ter de­ren Im­ple­men­tie­rung in der Or­ga­ni­sa­ti­on als Prob­lem­ lö­sun­gen zu for­cie­ren. 4.6.4

Organisationsentwicklung

Die Or­ga­ni­sa­ti­on ist nicht sta­tisch, son­dern be­darf der Ent­wick­lung. Die­se kann ge­plant oder un­ge­plant ab­lau­fen. Un­ge­plan­ter organisationaler Wan­del ent­steht durch or­ga­ni­sa­ti­o­na­les Ler­nen. Aus­gangs­punkt da­für sind er­fah­rungs­ge­ mäß im Zeit­ablauf ein­set­zen­de Hemm­nis­se wie man­geln­de Ver­än­de­rungs­be­reit­ schaft, -fä­hig­keit, aber auch or­ga­ni­sa­ti­on­sex­ter­ne Fak­to­ren wie Recht, Wer­te, Sta­ke­hol­der etc. Sol­che Hemm­nis­se sind ra­ti­o­nal ba­siert, häu­fi­ger aber auch po­li­tisch und emo­ti­o­nal. Nicht zu­letzt sind Kri­sen­si­tu­a­ti­o­nen An­lass für Ver­än­ de­rung. Da­bei kön­nen drei Ab­fol­gen un­ter­schie­den wer­den: •• Sin­gle Loop Le­ar­ning fin­det als An­pas­sungs­ler­nen in­ner­halb des vor­ge­ge­be­ nen Be­ zugs­ rah­ mens (Re­ gel­ kreis) statt. Es han­ delt sich prak­ tisch um eine Feed­back­schlei­fe zum Durch­lauf im sel­ben Pro­zess. •• Doub­le Loop Le­ar­ning fin­det als Ver­än­de­rungs­ler­nen durch Set­zung neu­er Be­zugs­rah­men statt (par­ti­el­le Ex­tink­ti­on bes­te­hen­der Re­geln). Die Er­fah­rung aus dem Feed­back wird ge­nutzt, den Pro­zess zu ver­än­dern. Dies er­for­dert eine kre­a­ti­ve Über­tra­gung. •• Deu­te­ro Le­ar­ning fin­det als Ler­nen des Ler­nens (Me­ta­ler­nen für Wis­sens­ erwerb und -an­wen­dung) in­ner­halb ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on statt. Das heißt, die Er­fah­rung aus ei­nem Pro­zess wird auf ver­gleich­ba­re an­de­re über­tra­gen. Dies ist die Grund­la­ge der Künst­li­chen In­tel­li­genz, wo­bei die­se, wie häu­fig, re­gel­ ba­siert (Al­go­rith­mus) oder aber re­gel­frei er­fol­gen kann. Hin­sicht­lich des ge­plan­ten or­ga­ni­sa­ti­o­na­len Wan­dels sind drei An­sich­ten ver­ brei­tet: Ers­tens, dass ein kul­tu­rel­ler Wan­del un­mög­lich ist, da er kei­ner­lei Ge­



4.   Vertriebsorganisation und -abläufe147

stal­tung (So­ci­al En­gi­nee­ring) zu­gäng­lich ist. Zwei­tens, dass ein sol­cher Wan­del zwar mög­lich, die­ser aber ma­ni­pu­la­tiv und da­her grund­sätz­lich ab­zu­leh­nen ist. Und drit­tens, dass ein sol­cher Wan­del mög­lich ist und ethisch-mo­ra­lisch auch ver­ein­bar. Dies wird zugrunde gelegt. In­so­fern ist es er­for­der­lich, die Kul­tur von Zeit zu Zeit auf ih­ren Fit zum vo­la­ti­len Ver­triebs­um­feld hin zu prü­fen und ggf. zu ver­än­dern. Dies ist aus­ge­ spro­chen schwie­rig, da die Un­ter­neh­mens­kul­tur ein gro­ßes Be­har­rungs­ver­mö­ gen (Hys­te­re­se-Ef­fekt) auf­weist. Zur Ver­än­de­rung wer­den von Le­win drei Schrit­te vor­ge­schla­gen (UMR): •• Die her­kömm­li­chen In­ter­pre­ta­ti­ons- und Hand­lungs­mus­ter füh­ren nicht wei­ ter. Es tritt Ver­un­si­che­rung ein. Die über­kom­me­nen Wer­te, Zie­le und Nor­men ver­lie­ren an Glaub­wür­dig­keit und wer­den kri­ti­siert. Da­her ist die vor­han­de­ne Struk­tur auf­zu­tau­en (Un­free­zing). •• Es ist ein neu­es Ord­nungs­mus­ter zu ent­wi­ckeln, das ge­eig­net ist, die Kri­se zu meis­tern. Der Über­gang zwi­schen al­ter und neu­er Kul­tur kann evo­lu­ti­o­när oder re­vo­lu­ti­o­när ge­stal­tet wer­den (Mo­ving). Da­raus er­gibt sich eine kri­ti­sche Pha­se. •• Die neue Kul­tur wird nicht zwangs­läu­fig ak­zep­tiert, denn es gibt eine Prä­fe­ renz für Ge­wohn­tes, Be­kann­tes. Da­her muss ver­hin­dert wer­den, dass die neue Kul­tur sich mit der al­ten syn­the­ti­siert und da­her nur ein klei­ner Fort­schritt er­ reicht wer­ den kann oder das Pen­ del gar zu­ rück­ schwingt. Dies ge­ schieht durch or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ver­an­ke­rung der neu­en Kul­tur (Re­free­zing). Der Pro­zess setzt eine Ver­än­de­rungs­be­reit­schaft der Mit­ar­bei­ter vo­raus und wird häu­fig von ex­ter­nen Be­ra­tern als Change Agents be­glei­tet. Häu­fig wer­den neue Prob­lem­lö­sun­gen auch zu­nächst im klei­nen Kreis oder ver­suchs­wei­se an­ ge­wen­det, um ihre Ak­zep­tanz zu er­hö­hen. Prob­lem­atisch ist da­bei, dass star­ke Kul­tu­ren zwar Er­folgs­un­ter­schie­de zwi­ schen Un­ter­neh­men be­wir­ken kön­nen, die an­hand „har­ter Fak­ten“ al­lein nicht er­klär­bar sind, dann aber letzt­lich schwer ver­än­dert wer­den kön­nen, schwa­che, we­nig aus­ge­präg­te Kul­tu­ren hin­ge­gen gut ver­än­der­bar wä­ren, dann aber als Er­ folgs­fak­tor ge­schwächt wer­den. Da­her ist ein mitt­le­rer Grad an Kul­tur­stär­ke aus­zusteu­ern. Aus­ge­präg­te Un­ter­neh­mens­kul­tu­ren zie­hen Mit­ar­bei­ter an, die die­se Kul­tur als at­trak­tiv wahr­neh­men, sto­ßen aber zu­gleich Mit­ar­bei­ter ab, die zu ei­ner Ver­än­de­rung eben die­ser Kul­tur er­for­der­lich wä­ren. So ver­harrt die Kul­tur in sich und wird von dy­na­mi­schen Um­fel­dern ver­drängt. Für den Be­ruf ist es aus­ge­spro­chen wich­tig, die sicht­ba­ren In­di­ka­to­ren ei­ner spe­zi­fi­schen Kultur ernst zu neh­men. Denn Mit­ar­bei­ter, die nicht zur Un­ter­neh­mens­kul­tur passen, wer­den von den an­de­ren be­wusst oder un­be­wusst aus­ge­grenzt („Außen­ seiter“), weil sie als Stör­fak­tor emp­fun­den wer­den. Wei­ter­hin stellt sich die Fra­ge nach dem He­bel zum Wan­del. Da­für wer­den drei An­sät­ze dis­ku­tiert. Ein evo­lu­ti­o­nä­rer (in­kre­men­ta­ler) Wan­del 1. Ord­nung

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A. Vertriebskonzept und Controlling

als Kai­zen (auch Kon­ti­nu­ier­li­cher Ver­bes­se­rungs-Pro­zess / KVP) hat die per­ma­ nen­te Ver­bes­se­rung in al­len Un­ter­neh­mens­be­rei­chen und auf al­len Ebe­nen zum Ziel. Da­bei wird ein Vor­ge­hen in dau­er­haf­ten, klei­nen Schrit­ten prak­ti­ziert, das am Ende des Ta­ges zur Er­rei­chung des Wan­del­ziels führt. All­er­dings bes­teht die Ge­fahr, dass wenn schon die Aus­gangs­ba­sis subop­ti­mal ist, trotz Ver­än­de­rung letzt­lich kein op­ti­ma­les Er­geb­nis er­reicht wer­den kann. Ein re­vo­lu­ti­o­nä­rer (fun­da­men­ta­ler) Wan­del 2. Ord­nung als BPR (Busi­ness Pro­cess Re­en­gi­nee­ring) kennt als zent­ra­le Kom­po­nen­ten ein ra­di­ka­les, sprung­ haf­tes Vor­ge­hen, eine strik­te Pro­zes­sor­ien­tie­rung (Cases), eine hohe in­for­ma­ti­ o­nel­le Ver­net­zung, das Em­po­wer­ment der Mit­ar­bei­ter (Case Wor­kers) und ein Top down-Vor­ge­hen. BPR er­folgt in fol­gen­den Pha­sen, die oft von ex­ter­nen Ex­per­ten ge­tra­gen wer­den, weil sie in­tern kaum leist­bar sind: •• Rest­ruk­tu­rie­rung als Soll­bild ei­nes best­mög­lich auf­ge­stell­ten „neu­en“ Un­ter­ neh­mens nach dem ak­tu­el­len Er­fah­rungs­wis­sen, •• Re­o­ri­en­tie­rung als Ent­wick­lung ei­ner pas­sen­den Wan­del­stra­te­gie, dazu wird die bes­te­hen­de Or­ga­ni­sa­ti­on ge­dank­lich aus­ge­löscht / Ta­bu­la rasa-Prin­zip, •• Re­vi­ta­li­sie­rung zur Ak­ti­vie­rung und Aus­schöp­fung vor­han­de­ner Kom­pe­ten­zen in der Or­ga­ni­sa­ti­on, •• Re­mo­del­lie­rung als Op­ti­mum ei­nes „neu­en“ Un­ter­neh­mens, wo­bei der Über­ gang zwi­schen alt und neu ruck­ar­tig voll­zo­gen wird. All­er­dings wird die­ser An­satz als nicht so­zi­al­ver­träg­lich auf­ge­fasst und da­mit in Kon­sens­ge­sell­schaf­ten nicht ak­zep­tiert. Bei hy­bri­dem Vor­ge­hen ab­wech­selnd als Wan­del 1. und 2. Ord­nung er­folgt zu­nächst eine „re­vo­lu­ti­o­nä­re“ Ver­än­de­rung in begrenztem Aus­maß, auf die­ser Ba­sis fol­gen evo­lu­ti­o­nä­re Ver­bes­se­run­gen in klei­nen Schrit­ten, bis eine Effi­ zienz­gren­ze er­reicht ist, dann folgt wie­der eine begrenzte „re­vo­lu­ti­o­nä­re“ Ver­ än­de­rung mit an­schlie­ßen­den klei­ne­ren Schrit­ten usw. Frag­lich bleibt al­ler­dings das Pacing von ab­rup­ten und ite­ra­ti­ven Ver­än­de­run­gen.



5.

5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung149

Vertriebsüberprüfung und -überwachung

Im Un­ter­ka­pi­tel „Ver­triebs­über­prü­fung und -über­wa­chung“ wer­den die wich­ ti­gen Con­trollin­gas­pek­te im Ver­trieb in­ten­siv prob­le­ma­ti­siert. Auf Ba­sis ei­ner Ver­triebs­seg­men­tie­rung (5.1) wer­den die Mög­lich­kei­ten der Wert­ori­en­tier­ten Steu­e­rung im Ver­trieb über die Pa­ra­me­ter Pro­dukt­er­lö­se (5.2), Ge­biets­er­lö­se (5.3) und vor al­lem Kun­den­er­lö­se (5.4) im De­tail dar­ge­stellt. Im Ver­triebs-Au­dit (5.5) geht es dann um die Wirk­sam­keit von Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ten, in der Ver­ triebs-Re­vi­si­on (5.6) geht es um die Wirts­chaft­lich­keit die­ser Ak­ti­vi­tä­ten. Von zent­ra­ler Be­deu­tung sind da­bei im­mer wie­der Kos­ten und Kal­ku­la­ti­on, die folg­ lich im Ab­satz 5.7 dar­ge­stellt wer­den. Das Un­ter­ka­pi­tel schließt mit der In­for­ ma­ti­ons­ver­sor­gung im Ver­trieb (5.8), der im Rah­men der Au­to­ma­ti­sie­rung im­ mer grö­ße­re Be­deu­tung zu­kommt. Le­ser ken­nen nach Durch­sicht die­ses Un­ter­ka­pi­tels die we­sent­li­chen In­hal­te des Ver­triebs­con­trollings. Sie ver­ste­hen die Be­deu­tung der Con­trollin­ger­geb­ nis­se und kön­nen die­se Er­kennt­nis­se auf ver­trieb­spo­li­ti­sche Fäl­le an­wen­den. 5.1

Vertriebssegmentierung

Die Ver­triebs­seg­men­tie­rung zielt auf die Ab­gren­zung re­le­van­ter und das Auf­ fin­den ver­nach­läs­sig­ter Teil­märk­te ab. Da­mit wird ver­mie­den, An­ge­bots­an­stren­ gun­gen dort zu un­ter­neh­men, wo we­nig Po­ten­zi­al ist, statt­des­sen wird dort an­ge­setzt, wo die größ­te He­bel­wir­kung ver­mu­tet wer­den kann. Bei der de­glo­me­ra­ti­ven Seg­ men­ tie­ rung han­ delt es sich um die künst­ li­ che Auf­split­tung ei­nes Ge­samt­markts in Teil­märk­te durch Bil­dung von in­tern ho­mo­ ge­nen bei gleich­zei­tig ex­tern he­te­ro­ge­nen Seg­men­ten durch plan­mä­ßi­ge An­la­ge von Kri­te­ri­en. Un­ter ag­glo­me­ra­ti­ver Seg­men­tie­rung ver­steht man die Be­ar­bei­ tung von be­reits (na­tür­lich) so ge­ge­be­nen, ver­schie­de­nen Teil­märk­ten (z.  B. Spiel­zeug für Kin­der ver­schie­de­ner Al­ters­klas­sen, Arz­nei­mit­tel für ver­schie­de­ne In­ten­si­täts­gra­de ei­ner Krank­heits­in­di­ka­ti­on, Mund­pfe­ge für Per­so­nen mit ers­ten, zwei­ten, drit­ten Zäh­len). Die Seg­ men­ tie­ rung muss allgemein den An­for­de­run­gen ge­ nü­ gen, dass die Markt­seg­men­te •• feststell­bar / mess­bar sind, d. h. zwi­schen den Seg­men­ten Un­ter­schie­de aus­ge­ macht wer­den kön­nen, die eine ge­trenn­te Be­ar­bei­tung erst er­mög­li­chen, •• zu­gäng­lich / er­reich­bar sind, d. h., die Seg­men­te ge­trennt be­ar­bei­tet wer­den kön­nen und auf­ge­schlos­sen da­für sind, •• be­stän­dig sind, d.  h. sich im Zeit­ablauf ei­ni­ger­ma­ßen sta­bil dar­stel­len und ihre Kon­tu­rie­rung nicht über­mä­ßig häu­fig än­dern, •• trenn­scharf sind, d.  h., kei­ne bzw. mög­lichst ge­rin­ge Un­schär­fe­be­rei­che zwi­ schen den Seg­men­ten bes­te­hen, denn das be­deu­tet In­ef­fi­zi­enz,

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• aus­rei­chend groß / trag­fä­hig sind, d. h. öko­no­misch sinn­voll re­al­i­sier­bar, da­mit der Auf­wand der Seg­men­ta­ti­on nicht den da­raus re­sul­tie­ren­den Nut­zen über­ kom­pen­siert. Vo­raus­set­zun­gen für eine Vertriebsseg­men­tie­rung sind speziell fol­gen­de: •• Es beste­hen vor­han­de­ne oder zu­min­dest kon­stru­ier­ba­re Ab­wei­chun­gen im An­ge­bot oder in der Nach­fra­ge, die eine Markt­seg­men­tie­rung er­mög­li­chen. •• Die Segmen­tie­rungs­va­ri­ab­len sol­len in ei­nem kau­sa­len Zu­sam­men­hang zum Ver­hal­ten der Be­dürf­nis­trä­ger ste­hen und auch zur Best­im­mung des zu­künf­ti­ gen Wahl- bzw. Kauf­ver­hal­tens ge­eig­net, also prä­di­ka­to­risch ein­setz­bar, sein. •• Eine Auf­split­tung des Ge­samt­markts in zwei oder mehr Teil­märk­te ist über­ haupt tat­säch­lich mög­lich. •• Eine Ab­schot­tung der Ver­triebs­seg­men­te ge­gen­ei­nan­der durch hin­rei­chen­de Trenn­schär­fe ist zu­ver­läs­sig dar­stell­bar (Fen­cing). •• Va­ri­ab­le, die zur Iden­ti­fi­ka­ti­on von Markt­seg­men­ten he­ran­ge­zo­gen wer­den, sol­len mit den ver­füg­ba­ren Markt­for­schungs­me­tho­den re­li­a­bel und va­li­de ope­ra­ti­o­na­li­siert wer­den kön­nen. •• Die ein­ge­setz­ten Seg­men­tie­rungs­kri­te­ri­en sol­len zu Seg­men­ten mit ei­nem ge­ nü­gend gro­ßen Ab­satz­po­ten­zi­al füh­ren, da­mit sich eine seg­ment­spe­zi­fi­sche Aus­ge­stal­tung des Mar­ke­ting-Mix als öko­no­misch er­wei­sen kann. •• Die durch die Seg­men­tie­rungs­kri­te­ri­en ge­bil­de­ten Markt­seg­men­te sol­len durch Mar­ke­ting-In­stru­men­te wirk­sam er­reicht und be­dient wer­den kön­nen. •• Durch die Ver­triebs­seg­men­tie­rung ent­steht kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung (nach Grund­ge­setz oder Wett­be­werbs­recht). •• Die Kri­te­ri­en sol­len über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum bes­te­hen blei­ben, dies re­ sul­tiert aus der für die Wirk­sam­wer­dung ei­ner seg­ment­be­zo­ge­nen Stra­te­gie ins­ge­samt be­nö­tig­ten Zeit. Bei all­ge­mei­nen Vor­tei­len der Seg­men­tie­rung im Vertrieb han­delt es sich vor al­lem um fol­gen­de: •• Dif­fe­ren­zier­te Käu­fer­wün­sche kön­nen durch hohe Ent­spre­chung des An­ge­bots mit dem Be­darf be­frie­digt wer­den, wo­durch eine Fehl­jus­tie­rung des An­ge­bots durch nicht vollstän­di­ge Ent­spre­chung mit Käu­fer­wün­schen (= ge­rin­ger Auf­ for­de­rungs­gra­di­ent) ver­mieden wir­d. •• Die Bil­dung ei­nes ak­qui­si­to­ri­schen Po­ten­zi­als wird be­güns­tigt, wo­durch wie­ der­um der Freiraum für eine über­durch­schnitt­li­che Preis­set­zung ent­steht. •• Die Markt­struk­tur kann durch die star­ke An­ge­bots­stel­lung ak­tiv ge­steu­ert wer­den, wäh­rend an­sons­ten nur die pas­si­ve An­pas­sung an von an­de­ren An­ bie­tern ge­setz­te Markt­trends bleibt.



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•• Der Preis als do­mi­nan­ter Ak­ti­ons­pa­ra­me­ter wird zu­neh­mend durch die Leis­ tung er­setzt. Die­se ist da­bei so­wohl ob­jek­tiv als vor al­lem sub­jek­tiv, d. h. im Sin­ne der Be­darfs­be­frie­di­gung, wirk­sam. Bei all­ge­mei­nen Nach­tei­len der Seg­men­tie­rung im Vertrieb han­delt es sich vor al­lem um fol­gen­de: •• Er­spar­nis­se aus Mas­sen­pro­duk­ti­ons­vor­tei­len kön­nen nur ein­ge­schränkt ge­ nutzt wer­den. Je stär­ker ein­zel­ne An­ge­bo­te ge­gen­ei­nan­der dif­fe­ren­ziert sind, des­to we­ni­ger schla­gen Los­grö­ßen­vor­tei­le durch. •• Der Mar­ke­ting-Mix-Ein­satz wird kom­pli­ziert und letzt­end­lich ver­teu­ert. Statt ei­nes durch­schnitt­so­ri­en­tier­ten, ver­ein­fach­ten Mar­ke­ting-Mix ist die in­di­vi­du­ el­le An­pas­sung an Markt­seg­men­te er­for­der­lich. Dies er­for­dert zu­gleich ein ho­hes Mar­ke­ting-Know-how. •• Das Po­ten­zi­al ge­ge­be­ner Märk­te kann bei par­ti­el­ler Ab­de­ckung nur teil­wei­se aus­ge­schöpft wer­den. Da­durch bes­teht die Ge­fahr, dass Zu­satz­er­lö­se aus dif­ fe­ren­zier­ter Be­ar­bei­tung durch Aus­las­sung gan­zer Seg­men­te über­kom­pen­siert wer­den. •• Ein ho­her mar­ke­tin­gor­ga­ni­sa­to­ri­scher Auf­wand ist er­for­der­lich, um sich den wan­deln­den Seg­men­ten an­zu­pas­sen. Denn nur bei exak­ter Jus­tie­rung auf die Markt­spe­zi­fi­ka kön­nen Seg­men­tie­rungs­vor­tei­le re­a­li­siert wer­den. Zur Marktidentifizierung können verschiedene Stufen gewählt wer­den. Ein­ stu­fi­ge Seg­men­tie­rung be­deu­tet, dass nur ein Kriterium für die Segmentation zugrunde gelegt wird. Dabei kann es sich um objektive oder subjektive Kriterien handeln. Zu ersteren gehören Produkte etwa aus den Bereichen Monatshygiene (Segment Frauen), Zahnprothesenreiniger (Segment Träger dritter Zähne) oder Augengläser (Segment Brillenträger). Hier macht es für alle Nachfrager, die nicht diesen objektiven Kriterien unterfallen, keinen Sinn, das Angebot dennoch in Anspruch zu nehmen. Zu letzteren gehören Produkte etwa aus den Bereichen Pflegekosmetik für reife Haut (Segment Frauen ab 40 Jahre), Milchschokolade (Segment Kinder), Stärkungsmittel (Segment ältere Menschen). Hier können durchaus auch Nachfrager, die sich nur subjektiv zugehörig fühlen, obgleich sie es nach objektiven Maßstäben nicht sind, das Angebot sinnvoll in Anspruch nehmen (z. B. Nivea Vital, Kinderschokolade, Gin­seng­prä­pa­ ra­te). Zwei- und mehrstu­fig-suk­zes­si­ve Seg­men­tie­rung be­deu­tet, dass zwei oder mehr Kriterien zugrunde gelegt werden, wobei die jeweils vorausgehende Stufe die Auswahl der nachfolgenden Stufen bestimmt. Dadurch ist eine weitaus feinteiligere Abgrenzung des zu bearbeitenden Marktsegments möglich. Allerdings verringert sich durch kumulative Eingrenzung auch die Schnittmenge des noch verbleibenden Nachfragepotenzials drastisch. Zudem stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Kriterien angelegt werden sol­len.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Zwei- und mehrstu­fig-si­mul­ta­ne Seg­men­tie­rung be­deu­tet, dass zwei oder mehr dieser Kriterien gleichzeitig zur Abgrenzung des intendierten Marktsegments herangezogen werden, es gilt also jeweils die Schnittmenge. Auch dadurch verringert sich das Potenzial verbleibender Nachfrager drastisch. Daher stellt sich die Frage, wie viele Kriterien jeweils zugrunde gelegt werden sollen. Die größtmögliche Segmentzahl liegt bei der Gesamtzahl aller Nachfrager am Markt, die Untergrenze liegt bei zwei Teilmärkten. Unterstellt man naheliegend, dass zwischen den Nachfragererwartungen erhebliche Abweichungen in einer Vielzahl von Einzelfällen bestehen und die Erfolgschance eines Anbieters umso größer ist, je geringer die Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage sind, so steigt die Erfolgschance unmittelbar mit steigender Anzahl differenzierter Angebote. 5.2

Wertorientierte Steuerung der Produkterlöse

Die Wert­steu­e­rung im Ver­trieb stellt da­rauf ab, be­vor­zugt die Seg­men­te mit dem größ­ten Er­lös­po­ten­zi­al zu be­ar­bei­ten, da dort am ehes­ten Wert zu schaf­fen ist. Grund­la­ge sind Er­lö­se aus der Hauptleis­tung, ver­mehrt um Er­lö­se aus Ne­ben­ leis­tun­gen und ver­min­dert um (be­plan­te oder un­be­plan­te) Er­lös­schmä­le­run­gen. 5.2.1

Erlöse der Hauptleistung

Die Er­lö­se aus der Haupt­leis­tung las­sen sich auf drei We­gen stei­gern, ers­tens durch mehr Men­ge ei­nes Pro­dukts, zwei­tens durch hö­he­ren Preis des Pro­dukts und drit­tens durch Be­ein­flus­sung der Auf­trags­struk­tur (wei­te­re Pro­duk­te / More Sel­ling bzw. hö­her­wer­ti­ge­re Pro­duk­te / Up Sel­ling). Eine Stei­ge­rung der Men­ge bei ei­nem Kun­den ist nur mög­lich, wenn sein Be­darf in der spe­zi­fi­schen Pro­dukt­grup­pe steigt oder der ei­ge­ne An­teil am Zu­ kauf­vo­lu­men in der Pro­dukt­grup­pe er­höht wer­den kann. Für eine Be­darfs­stei­ ge­rung ist es im Ver­trieb er­for­der­lich, ei­nen ho­hen Wis­sens­stand über das Kunden­ge­schäft zu ha­ben. Da­bei kann eine zwi­schen­zeit­lich marktty­pi­sche Aus­schrei­bung aus Grün­den von Cor­po­ra­te Go­vernance und Ge­setz zwar be­ reits ab nied­ri­gen Kauf­vo­lu­mi­na nicht mehr ver­hin­dert wer­den, aber es kann zu­min­dest Ein­fluss auf die Aus­schrei­bungs­be­din­gun­gen zu neh­men ver­sucht wer­den oder auf zu er­war­ten­den Be­ur­tei­lungs­kri­te­ri­en und de­ren Ge­wich­tung. Eben­so kann eine Ein­stim­mung der Ent­schei­der ver­sucht wer­den. Eine Er­hö­ hung des ei­ge­nen An­teils am Zu­kauf­vo­lu­men setzt Kennt­nis­se über das Zu­kauf­ vo­lu­men und die je­wei­li­gen Zu­lie­fe­rer die­ses Vo­lu­mens vo­raus. Nur wenn man die­se kennt oder fun­diert ver­mu­ten kann, er­ge­ben sich An­satz­punk­te für die Ar­gu­men­ta­ti­on kom­pa­ra­ti­ver Kon­kur­renz­vor­tei­le und da­mit eine Mo­ti­va­ti­on des Kun­den, Auf­trags­vo­lu­men zu bün­deln. Dies en­det erst im Sin­gle Sour­cing, also bei ei­nem aus­schließ­li­chen Lie­fe­ran­ten für eine Pro­dukt­grup­pe. Hilf­reich sind



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung153

hier etwa Preis­lis­ten mit an­ges­to­ße­nen / in­kre­men­ta­len Ra­bat­ten, die Ein­rich­tung von Kon­sig­na­ti­ons­lä­gern bei Kun­den oder Qua­si-Mo­no­po­li­sie­run­gen durch Schutz­rech­te, Schnitts­tel­len oder Spe­zi­fi­tät der Lie­fe­run­gen. Eine Stei­ge­rung des Prei­ses trifft auf be­son­ders har­ten Wi­der­stand. Dies ge­ lingt am ehes­ten bei Vor­han­den­sein Ge­werb­li­cher Schutz­rech­te oder von Kun­ den­bin­dun­gen (tech­nisch, wirt­schaft­lich, ver­trag­lich, spe­zi­fisch, in­sti­tu­ti­o­nell). An­sons­ten sind Preis­senkungs­run­den üb­lich. Da­bei ist es ein Mi­ni­mal­ziel, den Lis­ten­preis durch­zu­set­zen. Dies ist je­doch viel­fach schwie­rig, da ge­ra­de nach­ fra­ge­mäch­ti­ge Kun­den die­sen nur zu leicht für Ma­ku­la­tor er­klä­ren. Hilf­reich ist hier die Ba­sie­rung auf ei­nem trans­pa­ren­ten, leis­tungs­be­zo­ge­nen und aus­nahms­ los gel­ten­den Kon­di­ti­o­nen­sys­tem. Da­bei gibt nicht der An­bie­ter den Preis vor, son­dern der po­ten­zi­el­le Käu­fer be­stimmt durch sein Ver­hal­ten den ihm zuste­ hen­den Preis. Er weiß, wie sein Be­stell­ver­hal­ten aus­fal­len muss, um in den Ge­nuss von Vor­zugs­kon­di­ti­o­nen ge­gen­über dem Lis­ten­preis zu ge­lan­gen und er muss ent­schei­den, ob er dazu be­reit ist. Wenn ja, ste­hen ihm die­se Kon­di­ti­o­nen selbst­verständ­lich zu, wenn nein, liegt das nicht am An­bie­ter, son­dern am Nach­ fra­ger. Au­ßer­dem ist zur Lis­ten­preis­ver­tei­di­gung un­be­dingt die Ar­gu­men­ta­ti­on über das Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis zu su­chen. Denn ein Preis ist nicht ab­so­lut zu se­hen, son­dern im­mer in Re­la­ti­on zur da­für ge­bo­te­nen Leis­tung. 5.2.2

Erlöse der Nebenleistungen

Die Pro­dukt­er­lö­se kön­nen ge­stei­gert wer­den, in­dem Ne­ben­leis­tun­gen hin­zu­ ad­diert wer­den. So­fern die­se für Auf­trag­ge­ber nut­zen­re­le­vant sind, spricht nichts da­ ge­ gen, dass dies ak­ zep­ tiert wird. Da­ her ist es am An­ bie­ ter zu über­ le­ gen, wel­che Ne­ben­leis­tun­gen von ei­nem spe­zi­fi­schen Kun­den als nut­zen­re­le­vant an­ ge­se­hen wer­den, also sei­ne Preis­be­reit­schaft aus­lö­sen, und wel­che nicht. Da­bei hilft im­mer die gute Kennt­nis des Kun­den, was wie­der­um eine hohe Kun­den­ nä­he im Ver­trieb ver­langt. Da­bei kann es sich um Zu­satz­aus­stat­tun­gen han­deln, die im Pro­dukt selbst ver­an­lagt sind, um Zu­be­hör, das die Nut­zung des Pro­ dukts ver­bes­sert oder aus­wei­tet so­wie um Kun­den­diens­te als pro­dukt­be­glei­ten­de Ser­vi­ces. Zu­satz­aus­stat­tun­gen (Add-ons) müs­sen ak­tiv „ver­kauft“ wer­den, da Kun­den die­se oft nicht ken­nen oder ge­nü­gend wür­di­gen. Häu­fig ist die Er­leich­ te­ rung über ei­ nen Ab­ schluss im Ver­ trieb aber so groß, dass ver­ säumt wird, nach­zu­ver­kau­fen. Doch da­rin liegt die Kunst der Wert­ori­en­tie­rung im Ver­trieb. Zu­be­hör muss da­bei nicht un­be­dingt vom ei­ge­nen Un­ter­neh­men stam­men, son­dern kann auch von Dritt­an­bie­tern stam­men, wenn da­durch die Ak­qui­si­ti­ onschan­cen des ei­ge­nen Pro­dukts stei­gen. Auch hier ist ein ak­ti­ves Ver­kau­fen er­for­der­lich, da Kun­den oft­mals die Markt­tran­spa­renz und auch die Fan­ta­sie dazu fehlt. Häu­fig kann da­durch der Auf­trags­wert be­trächt­lich ge­stei­gert wer­ den. Zu­mal man hier auch Preis­an­rei­ze set­zen kann, ohne die Ba­sis­leis­tung in ih­rer Pro­fit­abi­li­tät zu belas­ten.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Kun­den­diens­te stel­len eben­so ein brei­tes An­wen­dungs­feld dar. Sie set­zen al­ ler­dings ei­nen Fo­kus auf die Prob­lem­lö­sung für Kun­den vo­raus, und nicht ei­nen sol­chen auf den Pro­dukt­ver­kauf. Ge­ra­de da­ran man­gelt es oft. Es gibt je­doch The­o­ri­en (Ser­vice-do­mi­nant Log­ic), die da­von aus­ge­hen, dass, ana­log zum An­ teil von Dienst­leis­tun­gen an der ge­samt­wirt­schaft­li­chen Wert­schöp­fung, auch de­ren An­teil am Auf­trags­wert enorm zu­las­ten der Sach­leis­tung stei­gen wird. Wenn man dem folgt, sind Pro­duk­te nur Ve­hi­kel für den Ver­trieb ei­gent­lich do­mi­nan­ter Dienst­leis­tun­gen. Sol­che Leis­tun­gen sind etwa Fi­nan­zie­rung, In­be­ trieb­nah­me, Schu­lung, Be­ra­tung etc. Aus Son­der­leis­tun­gen re­sul­tie­ren über Preis­zu­schlä­ge wei­te­re Er­lö­se. Dies ist im­mer loh­nend, wenn die da­für an­fal­len­den in­ter­nen Kos­ten zur Leis­tungs­er­ brin­gung un­ter den ex­ter­nen Er­lö­sen aus de­ren Wei­ter­be­rech­nung lie­gen. Dazu ge­hö­ren nach Kun­den­wunsch etwa fol­gen­de Po­si­ti­o­nen: •• Spe­zi­al­ver­pa­ckun­gen, wenn die­se nicht vom Käu­fer oder Fracht­füh­rer ge­tra­ gen wer­den oder über das ge­setz­lich ver­bind­li­che Maß hi­naus­ge­hen, •• Zu­satz­ver­si­che­run­gen, so­fern be­son­de­re Ge­fah­ren ge­ge­ben sind, die nicht mit den üb­li­chen Lie­fe­rungs­be­din­gun­gen ab­ge­gol­ten wer­den, •• Ver­sand­kos­ten wie Fracht­ge­büh­ren, Roll­geld, La­de­ge­büh­ren, Be­hält­nis­kos­ten etc., so­fern dies in den Lie­fe­rungs­be­din­gun­gen so ver­ein­bart ist, •• Kom­mis­si­o­nie­rungs­kos­ten, z.  B. für Just in Se­quence-Lie­fe­rung, Roll Cage Se­quen­cing, Ef­fi­ci­ent Unit Loads, so­fern so ver­ein­bart, •• Re­tour­en­kos­ten aus Grün­den, die nicht beim An­bie­ter oder Pro­dukt lie­gen, z.  B. Nicht­ge­fal­len (au­ßer bei Fern­ab­satz mit Privaten), Un­ter­be­darf, Auf­ tragsän­de­rung. Ebe­no sind zur Ret­tung des Ef­fek­tiv­prei­ses „Ne­ga­tiv­ra­bat­te“ mög­ lich, die kun­den­ver­ur­sacht sind. Zu nen­nen sind hier etwa: •• Min­der­men­gen- / Min­dest­auf­trags­grö­ßen­zu­schlä­ge (Ma­lus) bei Un­ter­schrei­ tung ei­ner als ren­ta­bel de­fi­nier­ten Los­grö­ße, die sich aus Er­geb­nis­sen der Pro­zess­kos­ten­rech­nung meist be­reits bei sehr nied­ri­gen Stück­zah­len er­gibt, •• Eil­zu­schlä­ge für be­son­ders schnell aus­zu­füh­ren­de Leis­tun­gen und Lie­fe­run­ gen, •• Zeit­zu­schlä­ge für au­ßer­ge­wöhn­li­che Aus­füh­rungs­zei­ten, z.  B. nachts, sonnund fei­er­tags, •• Orts­zu­schlä­ge für räum­lich schwer er­reich­ba­re Lie­fer­or­te oder ver­teil­te Lie­ ferziele, •• Son­der­an­fer­ti­gungs­zu­schlä­ge für die Pro­dukt­ion nicht-stan­dar­di­sier­ter Pro­ duk­te (Maß­schnei­de­rung). Die ge­setz­li­che Mehr­werts­teu­er ist hin­ge­gen kein Zu­schlag, son­dern ein durch­lau­fen­der Pos­ten (Ver­rech­nung mit ge­zahl­ter Mehr­werts­teu­er / Vor­steu­er).



5.2.3

5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung155

Erlösschmälerungen

Tat­säch­lich sieht man sich im Ver­trieb je­doch er­heb­li­chen Er­lös­schmä­le­run­ gen ge­gen­über, wel­che die Pro­dukt­er­lö­se ero­die­ren las­sen. Dis­kre­pan­zen von 50 % auf den Lis­ ten­ preis (Bil­ lable Amount) sind durch­ aus kei­ ne Sel­ ten­ heit (etwa im Me­di­a­ge­schäft, im Kon­sum­gü­terhandel etc.). Die­se kön­nen in im Vor­ hi­nein plan­ba­re Er­lös­schmä­le­run­gen und im Vor­hi­nein nicht-plan­ba­re Er­lös­ schmä­le­run­gen un­ter­teilt wer­den und ha­ben viel­fa­che Aus­prä­gun­gen (siehe Abb. 42). In je­dem Fall han­delt es sich um eine 1 : 1-Ge­winn­min­de­rung, was der blu­mi­ge Be­griff Er­lös­schmä­le­rung eher ver­deckt. 5.2.3.1 Beplante Erlösschmälerungen Bei be­plan­ten Er­lös­schmä­le­run­gen sind viel­fa­che For­men zu un­ter­schei­den. Zu­ga­ben wer­den vom Lie­fe­ran­ten ei­nem Ab­neh­mer ne­ben der Haupt­leis­tung ge­bo­ten. Sie kön­nen wa­ren­gleich oder wa­ren­fremd sein. Wa­ren­gleich sind Zu­ ga­ben wie­der­um als Drauf­ga­be oder Drein­ga­be mög­lich. Drauf­ga­be be­deu­tet, dass zu ei­ner ge­kauf­ten Men­ge Ware eine / meh­re­re wei­te­re Einheiten ohne Be­ rech­nung zu­ge­fügt wer­den. Drein­ga­be be­deu­tet, dass in­ner­halb ei­ner ge­kauf­ten Men­ge Ware eine / meh­re­re Einheiten nicht be­rech­net, wohl aber über­eig­net wer­den. In bei­den Fäl­len sinkt der Er­lös je ver­kauf­ter Ein­heit. Bei Zu­ga­ben han­delt es sich um Na­tu­ral­nach­läs­se (im Un­ter­schied zu Geld­nach­läs­sen). Die­se ha­ben den Vor­teil, dass sie in der Wahr­neh­mung von Ab­neh­mern mit de­ren Preis be­wer­tet wer­den, in der Kos­ten­rech­nung des Lie­fe­ran­ten aber „nur“ mit ih­ren Selbstkos­ten zu­bu­che schla­gen. Zu­ga­ben sind ge­setz­lich li­mi­tiert. Denk­bar ist aber, Aus­lauf­ar­ti­kel, Neu­pro­duk­te, Pro­mo­ti­ons­wa­re etc. da­für zu nut­zen.   

  

  



 



 

Abb. 42: Beplante Erlösschmälerungen

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Skon­to ist eine „Be­loh­nung“ des Ab­neh­mers für vor­zei­ti­ge Zah­lung. Lie­fe­ run­gen er­fol­gen in der Re­gel auf Ziel, d. h. der Ab­neh­mer muss erst am Ende ei­ner Frist oder zu ei­nem vo­raus­ge­setz­ten Da­tum die Rech­nung be­zah­len, kann aber be­reits vor­her über sie ver­fü­gen. Un­ter­neh­men ist je­doch da­ran ge­le­gen, in­fol­ge der re­gel­mä­ßig er­for­der­li­chen Vor­fi­nan­zie­rung ih­rer Leis­tun­gen mög­ lichst schnell ei­nen Zah­lungs­ein­gang zu er­rei­chen. Da­her bie­ten sie Kun­den, die ohne oder bei nur kur­zer Aus­nut­zung des Zah­lungs­ziels zah­len, ei­nen Skon­to­ nach­lass. Dies ist für Ab­neh­mer im­mer güns­tig, wenn der zeit­be­zo­ge­ne Skon­ to­satz über dem Zins­satz für Fremd­ka­pi­tal oder dem in­ter­nen Zins­fuß liegt. Ein Wa­ren­skon­to ist ge­ge­ben, wenn in Höhe des Skon­tos eine un­be­rech­ne­te Mehr­ lie­fe­rung er­folgt, ein Kas­sen­skon­to, wenn ein Er­lös­ab­schlag in die­ser Höhe auf den Geld­be­trag er­folgt, was der Re­gel­fall ist. Ra­bat­te sind Ver­güns­ti­gun­gen, die Ab­neh­mern un­ter ver­schie­de­nen As­pek­ten ge­währt wer­den. Zu­nächst zur Grund­la­ge: •• Ein Funk­ti­ons­ra­batt wird Ab­neh­mern ge­währt, wenn und so­weit die­se be­ stimm­te Ab­satz­funk­ti­o­nen über­neh­men. Denk­bar sind Nach­läs­se für Selbst­ab­ ho­lung, für Selbst­be­die­nung / Kom­mis­si­o­nie­rung etc. Durch die Funk­ti­ons­ über­nah­me des Ab­neh­mers ent­steht dem An­bie­ter eine Kos­ten­er­mä­ßi­gung, die die­ser im Preis zu­rück­gibt. •• Der Men­gen­ra­batt wird in Ab­hän­gig­keit von der je­weils ein­zeln (= Ein­zel­ auf­trags­ra­batt) oder über meh­re­re Kauf­ak­te ku­mu­liert (= Ge­samt­um­satz­ra­batt) ab­ge­nom­me­nen Wa­ren­men­ge ge­währt. Die Grund­la­ge des Men­gen­ra­bat­ts liegt in Abatz­ra­ti­o­na­li­sie­rung durch Grö­ßen­de­gres­si­on­sef­fek­te. •• Der Zeit­ra­batt wird nach dem Kauf­ zeit­ punkt ge­ währt, denk­ bar sind da­ für Früh­be­zug (Sub­skrip­ti­on), Kun­den­loya­li­tät (Treue), Sai­son (bzw. Off Sea­son), Aus­lauf etc. Der Kun­de soll da­durch dazu mo­ti­viert wer­den, zu ei­ner Zeit zu kau­fen, die für den An­bie­ter kauf­män­nisch güns­tig ist. Nach der Be­zugs­grö­ße kann es sich um ei­nen Fest­ra­batt han­deln oder um ei­nen Re­la­tiv­ra­batt: •• Ein Fest­ra­batt ist ein ab­so­lu­ter Be­trag, der un­ab­hän­gig von ei­ner Be­zugs­grö­ ße stets in glei­cher ab­so­lu­ter Höhe ge­währt wird. Ein Re­la­tiv­ra­batt ist ein pro­zen­tu­a­ler An­teil, der in­ Ab­hän­gig­keit von ei­ner zu­grun­de ge­leg­ten Be­zugs­ grö­ße ge­währt wird, mit die­ser also schwankt. •• Im Fal­le ei­nes Re­la­tiv­ra­batts kann es sich um ei­nen Ein­heits­ra­batt han­deln, der un­ab­hän­gig von ei­ner Be­zugs­grö­ße pro­zen­tu­al im­mer gleich hoch ge­währt ist. Oder um ei­nen Staf­fel­ra­batt, der pro­zen­tu­al in Ab­hän­gig­keit von der Be­ zugs­grö­ße va­ri­iert. Meist wird dies bei der Be­zugs­grö­ße Ab­nah­me­men­ge an­ge­wen­det. •• Der Ra­batt­ie­rungs­ver­lauf kann da­bei pro­gres­siv (schnel­ler stei­gend als die Be­zugs­grö­ße), de­gres­siv (lang­sa­mer stei­gend als die Be­zugs­grö­ße) oder li­near



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung157

(pa­ral­lel zur Be­zugs­grö­ße stei­gend) ver­lau­fen. Häu­fig, wenn­gleich kom­pli­ ziert, ist ein s-för­mi­ger Ver­lauf, d. h. zu­nächst schnel­ler stei­gend, dann pa­ral­ lel und spä­ter lang­sa­mer stei­gend als die Be­zugs­grö­ße. Nach der Be­rech­nung kann es sich in­ner­halb ei­ner Ra­batt­staf­fel bei ei­nem Re­la­tiv­ra­batt um ei­nen durch­ge­rech­ne­ten oder an­ges­to­ße­nen Ra­batt han­deln: •• Ein durch­ge­rech­ne­ter Ra­batt be­zieht die pro­zen­tu­a­le Ra­batt­hö­he im­mer auf die ge­sam­te Be­zugs­grö­ße. •• Ein an­ges­to­ße­ner (in­kre­men­ta­ler) Ra­batt be­zieht die Ra­batt­hö­he nur auf den je­wei­li­gen Staf­fel­aus­schnitt, für den die­se in der Staf­fel gilt. Die Ra­batt­sät­ze be­we­gen sich da­her von Stu­fe zu Stu­fe auf hö­he­rem Ni­veau. Prob­le­me bei Ra­batt­staf­feln ent­ste­hen durch Rand­un­schär­fen, d.  h. Ra­batt­ gren­zen über­schnei­den ei­nan­der, so dass kei­ne ein­deu­ti­ge Zu­ord­nung mög­lich ist. Oder durch un­at­trak­ti­ve Ra­batt­stu­fen, de­nen kei­ne ge­wünsch­te An­reiz­wir­ kung zu­kommt, oder durch un­re­gel­mä­ßi­ge Klas­sen­grö­ßen, die nicht in eine Rich­tung ge­hen, oder durch in­kon­sis­ten­te Aus­le­gung des Plans. Sehr prob­le­ma­ tisch ist auch der Hin­weis „Ra­batt auf An­fra­ge“, denn die­ser lädt ge­ra­de­zu zum Feil­schen ein. Eben­so prob­le­ma­tisch sind Geheimra­bat­te, die über die Ra­batt­ie­rungs­ba­sis hi­naus­rei­chen und als be­son­de­re An­rei­ze oder auch auf Nach­fra­ge­druck ge­währt wer­den. Die­se füh­ren zu ei­ner Ra­batt­sprei­zung, d.  h. zu leis­tungs­un­ab­hän­gig un­ter­schied­li­chen Net­to­preis­hö­hen der­sel­ben Leis­tung für ver­schie­de­ne Ab­neh­ mer. Es ist un­ver­meid­lich, dass die­se Ge­heim­ra­bat­te nicht ge­heim blei­ben, etwa durch Mit­ar­bei­ter­wech­sel, Un­ter­neh­mens­über­nah­men, Aus­tausch zwi­schen Ab­ neh­mern etc., so dass bald alle Ab­neh­mer den ma­xi­mal er­reich­ba­ren Ra­batt ein­for­dern. Dann aber bricht die Er­trags­struk­tur des An­bie­ters zu­sam­men, da es zu kei­nem kal­ku­la­to­ri­schen Aus­gleich mehr kom­men kann. Ein wei­te­res Phä­no­men ist die Ra­batt­ku­mu­lie­rung. Sie ent­steht durch die so nicht ge­plan­te Auf­ad­die­rung von Ein­zel­ra­batt­sät­zen, etwa für gro­ße Ab­nah­me­ men­ge, für Funk­ti­ons­über­nah­me, für Auf­trags­zeit­raum etc. Zu de­ren Durch­set­ zung ist zu­meist Nach­fra­ge­macht er­for­der­lich. Da­durch ver­rin­gert sich al­ler­ dings das Net­to­er­lös­ni­veau auf un­zu­mut­ba­re Wei­se. Boni sind Gut­schrif­ten, die Ab­neh­mern nach­träg­lich, für ge­wöhn­lich zum Ende ei­nes Ge­schäfts­jahrs, für das ku­mu­lier­te Ge­schäfts­vo­lu­men, meist die Ab­ nah­me­men­ge, ge­währt wer­den, das sie mit ei­nem Lie­fe­ran­ten re­a­li­siert ha­ben. Da­mit kön­nen auch sol­che Ab­neh­mer gra­ti­fi­ziert wer­den, de­ren Ein­zel­auf­trä­ge an­der­wei­tig kei­ne Ra­bat­te ge­ne­riert ha­ben. Der Bo­nus hat ge­gen­über zeit­pa­ral­ lel ge­währ­ten Nach­läs­sen den Vor­teil ei­ner Zins­er­spar­nis auf Lie­fe­ran­ten­sei­te. Denn die bo­ni­fi­zier­ten Be­trä­ge kön­nen über das Jahr hin­weg ein­be­hal­ten wer­ den und ent­we­der im Be­trieb „ar­bei­ten“ oder Soll­zin­sen er­spa­ren. Da­her ist ein Bo­nus im­mer ei­nem Ra­batt vor­zu­zie­hen. Die Aus­le­gung kann als Wa­ren­bo­nus oder Geld­bo­nus er­fol­gen. Bei ei­nem Wa­ren­bo­nus wird der bo­ni­fi­zier­te Be­trag

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A. Vertriebskonzept und Controlling

in Form von un­be­rech­ne­ten Mehr­lie­fe­run­gen ge­währt. Bei dem häu­fi­ger vor­ kom­men­den Geld­bo­nus wird der bo­ni­fi­zier­te Be­trag ent­we­der aus­ge­zahlt oder mit bes­te­hen­den oder zukünftigen For­de­run­gen ver­rech­net (Gutschrift). Zu be­ den­ken ist da­bei die Be­mes­sungs­ba­sis, so kön­nen durch­aus nicht alle Um­sät­ze bo­ni­fi­ziert wer­den, son­dern nur re­gu­lä­re, also nicht Ak­ti­ons­um­sät­ze, die oh­ne­ hin preis­re­du­ziert er­fol­gen. Sinn­voll ist auch, den Bo­nus nur auf die Ef­fek­tiv­ prei­se zu be­zie­hen. Schließ­lich kann der Bo­nus auch erst im Lau­fe des Fol­ge­ jahrs aus­ge­wie­sen wer­den. So­fern der Ver­trieb durch Ab­satz­hel­fer un­ter­stützt wird, er­hal­ten die­se für ihre ak­qui­si­to­ri­sche Tä­tig­keit ein Ent­gelt als Pro­vi­si­on. Dies trifft etwa auf Han­dels­ ver­tre­ter, Kom­mis­si­o­nä­re, Mak­ler (dort Cour­ta­ge ge­nannt) und Vers­tei­ge­rer (dort Auf­geld ge­nannt) zu. Die Höhe der Pro­vi­si­on hängt von der je­wei­li­gen ver­trag­li­ chen Ver­ein­ba­rung ab, eben­so der Ver­lauf. Häu­fig wird ein s-för­mi­ger Ver­lauf ver­ein­bart, zu­sätz­lich häu­fig auch ein pro­vi­si­ons­frei­er So­ckel­be­trag. Pro­vi­si­o­nen wer­den nach Ge­setz spä­tes­tens bis zum Ende des auf die Pro­vi­si­ons­aus­lö­sung fol­gen­den Mo­nats zur Aus­zah­lung fäl­lig. Pro­vi­si­o­nen ha­ben weit­ge­hend va­ri­ab­ len Cha­rak­ter, be­las­ten also we­ni­ger die Ren­di­te als mehr de­n Ge­winn. Die Pro­vi­si­ons­aus­lö­sung kann in ver­schie­de­ner Wei­se er­fol­gen. Meist ist die Auf­trags­ein­ho­lung Aus­lö­ser. Wei­te­re Aus­lö­ser kön­nen aber auch eine Del­kre­de­ re­pro­vi­si­on sein oder eine In­kas­so­pro­vi­si­on. Del­kre­de­re­pro­vi­si­on wird fäl­ lig, so­fern ein Ab­satz­hel­fer sich für die Bo­ni­tät ei­nes Ab­neh­mers ver­bürgt, d.  h., ver­spricht, selbst mit der Zah­lung ein­zu­sprin­gen, falls der ur­sprüng­li­che Schuld­ ner nicht zahlt. Dazu bes­ teht kein Zwang, wenn die­ se Ver­ pflich­ tung je­ doch ein­ge­gan­gen wird, steht dem Ab­satz­hel­fer da­für eine Del­kre­de­re­pro­vi­si­on zu. Eine In­kas­so­pro­vi­si­on wird fäl­lig, so­fern der Ab­satz­hel­fer zu­gleich den Zah­ lungs­ein­zug für das ver­tre­te­ne Un­ter­neh­men über­nimmt (meist bei Klein­lie­fe­ run­gen aus dem Hand­la­ger). Auch dazu bes­teht kei­ne Ver­pflich­tung, wenn die­se Leis­tung aber über­nom­men wird, wird sie mit zu­sätz­li­cher In­kas­so­pro­vi­si­on ent­gol­ten, da sie über die rein ak­qui­si­to­ri­sche Tä­tig­keit hi­naus­geht. Pro­vi­si­o­nen ge­hen zu­las­ten des Ge­winns. Je­doch sind da­ge­gen die Kos­ten für ei­nen al­ter­na­ti­ven Di­rekt­ver­trieb, also ohne Ab­satz­hel­fer, bzw. die Ab­tre­tung von Ge­winn an die Han­dels­stu­fe bei In­di­rekt­ver­trieb, zu stel­len so­wie die po­ si­ti­ven Ef­fek­te, die sich aus der ak­qui­si­to­ri­schen Tä­tig­keit der Ab­satz­hel­fer er­ ge­ben. Ne­ben sol­chen plan­ba­ren Er­lös­schmä­le­run­gen gibt es viel­fa­che nichtplan­ba­re (siehe Abb. 43). 5.2.3.2 Unbeplante Erlösschmälerungen Bei un­be­plan­ten Er­lös­schmä­le­run­gen han­delt es sich um fol­gen­de. Ge­ra­de bei lang lau­fen­den Pro­jek­ten und aus­ge­präg­ten Preis­schwan­kun­gen der Pro­duk­ tions­fak­to­ren ist es schwie­rig, si­cher zu stel­len, dass der Lie­fe­rant bei der Ab­ rech­nung real auch den Be­trag er­löst, den er bei An­ge­bots­ab­ga­be kal­ku­liert hat.



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Abb. 43: Unbeplante Erlösschmälerungen

Um ihn ge­gen Kos­ten­stei­ge­run­gen ab­zu­si­chern, kann eine Preis­gleit­klau­sel ver­ein­bart wer­den. Sie dient auch dem Schutz des Ab­neh­mers da­vor, an zwi­ schen­zeit­li­chen Kos­ten­sen­kun­gen nicht zu par­ti­zi­pie­ren. Die Glei­tung kann sich alle Kos­ten­be­stand­tei­le ein­be­zie­hen oder sich nur auf ein­zel­ne von ih­nen, meist Ma­te­ri­al­kos­ten oder Lohn­kos­ten, be­zie­hen. Die Preis­glei­tung be­rück­sich­tigt fol­ gen­de Ele­men­te: •• den Aus­gangs­preis bei Ver­trags­ab­schluss, •• die Ma­te­ri­al­kos­ten zum End­ter­min und zum Ver­trags­ab­schluss­zeit­punkt, •• die Lohn­kos­ten zum End­ter­min und zum Ver­trags­ab­schluss­zeit­punkt, •• der An­teil des Prei­ses, der nicht glei­tet, •• die An­tei­le von Ma­te­ri­al- und Lohn­kos­ten am Preis. Für den Lie­fe­ran­ten be­deu­tet eine Preis­glei­tung nach un­ten Er­lös­schmä­le­ rung. Bei ei­nem pro­zen­tu­a­len Ge­winn­auf­schlag auf die (Selbst-)Kos­ten be­deu­tet dies auch eine Ge­winn­re­du­zie­rung. Bei Ein­rech­nung des Ge­winns in ab­so­lu­ter Höhe bleibt der Ge­winn, wenn dies durch­setz­bar ist, je­doch un­ver­än­dert. Frag­ wür­dig ist da­bei die Un­ter­stel­lung des al­lei­ni­gen Ein­flus­ses der Kos­ten auf die Preis­hö­he. Da dem Lie­fe­ran­ten durch die Preis­glei­tung eine Kosten­de­ckung zu­ge­si­chert wird, stellt die­se eine ein­sei­ti­ge Be­vor­tei­lung dar. Bei ei­ner Preis­fall­klau­sel si­chert sich der Ab­neh­mer da­ge­gen ab, dass zwi­ schen dem Zeit­ punkt sei­ ner Be­ auf­ tra­ gung und dem Zeit­ punkt der Lie­ fe­ rung

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Preis­sen­kun­gen statt­fin­den, an de­nen er nicht par­ti­zi­piert. Sol­che Preis­sen­kun­ gen kom­men etwa in­fol­ge tech­ni­schen Fort­schritt zu­stan­de, durch hohe Kon­kur­ renz­in­ten­si­tät oder über die Ver­min­de­rung der Einstand­skos­ten (Lan­ded Costs) für ex­tern zu­ge­kauf­te Leis­tun­gen. Ei­gen­tlich kann die Wirk­sam­wer­dung von Preis­sen­kun­gen mit ei­nem Start­ ter­min be­grenzt wer­den, ge­ra­de ge­gen­über nach­fra­ge­mäch­ti­gen Ab­neh­mern ist je­doch eine Preis­fall­klau­sel kaum zu ver­hin­dern. Dadurch wird der Ab­neh­mer, ob­gleich sein Auf­trag vor Wirk­sam­wer­dung der Preis­sen­kung er­teilt wur­de, so ge­stellt wird, als sei er da­nach er­gan­gen. Eine Preis­sen­kung re­sul­tiert dann auch für vor­her va­lu­tier­te Auf­trä­ge in ei­ner Er­lös­schmä­le­rung. Ge­gen­über pri­va­ten Ab­neh­mern ist ein sol­cher Schutz teil­wei­se recht­lich ge­si­chert (z. B. bei Ener­ gie, Au­to­mo­bi­len). Eine Preis­si­che­rung im Aus­lands­ge­schäft ist sinn­voll, um sich ge­gen Pa­ri­tä­ ten­ver­schie­bun­gen von Wäh­run­gen (au­ßer­halb der EU) zu wapp­nen. Denn wer­ tet die Ab­schluss­wäh­rung ge­gen­über der In­lands­wäh­rung ab und kann kei­ne Ab­rech­nung in In­lands­wäh­rung er­reicht wer­den, ge­hen Ge­winn­be­stand­tei­le ver­lo­ren. Eine Ab­si­che­rung kann durch De­vi­sen­ter­min­ge­schäf­te er­fol­gen. Da­bei si­chert sich der Kontraktkäu­fer das Recht zu, die aus der Zah­lung des Ab­neh­ mers resulti­e­ren­de Fremd­wäh­rung zu ei­nem vor­ab fest­ge­leg­ten Kurs spä­ter (auf Ter­min) ver­kau­fen zu kön­nen. Steigt der Wäh­rungs­kurs bis da­hin, er­lei­det er zwar ei­nen Ge­winn­ent­gang, hat aber den­noch eine fes­te Kal­ku­la­ti­ons­ba­sis, sinkt der Kurs, ver­mei­det er hin­ge­gen Ge­winn­ein­bu­ßen. Dies er­for­dert ei­nen Still­hal­ ter, der sich zum An­kauf der Wäh­rung ver­pflich­tet und für den sich die Si­tu­a­ ti­on ge­nau um­ge­kehrt dar­stellt. Ter­min­kon­trak­te be­din­gen al­ler­dings Ge­büh­ren, die ge­gen das Si­cher­heits­den­ken auf­zu­rech­nen sind. Bei Op­ti­ons­ge­schäf­ten ist nicht die tat­säch­li­che Um­wand­lung der Trans­ak­ti­on das Ziel, son­dern die Er­zie­lung von Ar­bi­tra­ge­ge­win­nen durch Spe­ku­la­ti­on. Statt auf Wäh­run­gen kön­nen sich die Preis­si­che­run­gen auch auf Wa­ren be­zie­hen. Sol­che Wa­ren­ter­min- / -op­ti­ons­ge­schäf­te wir­ken sich auf der Be­schaf­fungs­sei­te des Un­ter­neh­mens aus. Bei Geschäfts­ ab­ schlüs­ sen au­ ßer­ halb des EU-Raums oder sol­ chen in ei­ ner Dritt­wäh­rung stellt sich die Fra­ge der Wech­sel­kurs­si­che­rung. Denn an­sons­ten kön­nen die re­a­li­sier­ten Er­lö­se mehr oder min­der er­heb­lich von den ge­plan­ten nach un­ten ab­wei­chen. Hier­für gibt es zwei Al­ter­na­ti­ven: Ers­tens die Hin­nah­me sol­cher Ri­si­ken in der Hoff­nung, dass man da­von nicht be­trof­fen sein wird. Oder zwei­tens das Ma­na­ge­ment sol­cher Ri­si­ken. Eine Mög­lich­keit zur Ri­si­ko­ vor­beu­gung sind De­vi­sen­ge­schäf­te als Ter­min- oder Op­ti­ons­ge­schäf­te. Bei Ter­ min­ge­schäf­ten si­chert man sich jetzt ei­nen Wech­sel­kurs für spä­ter fäl­lig wer­ den­de Zah­lungs­ein­gän­ge. Bei Op­ti­ons­ge­schäf­ten si­chert man sich das Recht, aber nicht die Pflicht, zum Ver­kauf von De­vi­sen zu ei­nem spä­te­ren Kurs. Übt man die Op­ti­on nicht aus, geht der Ein­schuss­be­trag al­ler­dings ver­lo­ren.



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Im Fal­le von Schlecht­lie­fe­rung ist Wie­der­gut­ma­chung ge­gen­über dem Ab­neh­ mer er­for­der­lich. Die­se wird im pri­va­ten Be­reich ge­setz­lich ge­re­gelt (Sach­män­ gel­haf­tung), im pri­va­ten Be­reich zu­sätz­lich und im ge­werb­li­chen Be­reich ge­ne­ rell ver­trag­lich (Ga­ran­tie). Grün­de für Ge­währ­leis­tun­gen sind vor al­lem fol­gen­de: •• Ab­wei­chung der Lie­fe­rung von der ver­ein­bar­ten Be­schaf­fen­heit. Die­se Be­ schaf­fen­heit ist ent­we­der ver­trag­lich fi­xiert oder er­gibt sich, wenn die Ware sich nicht für die nach Ver­trag vo­raus­ge­setz­te Ver­wen­dung eig­net, wenn sie sich nicht für die ge­wöhn­li­che Ver­wen­dung eig­net oder eine Be­schaf­fen­heit auf­weist, die nicht der üb­li­chen von Gü­tern glei­cher Art ent­spricht. •• Falsch­lie­fe­rung (Aliud). Die­se ist ge­ge­ben, wenn eine an­de­re als die zu­ge­si­ cher­te Sa­che ge­lie­fert wird oder eine ab­wei­chen­de Men­ge. Da­mit ent­spricht die Aus­füh­rung ei­nes Auf­trags dann nicht der Be­stel­lung. •• Rechts­man­gel. Der Ab­neh­mer kann über die Lie­fe­rung nicht so ver­fü­gen wie ver­ein­bart (z. B. weil sie mit Rech­ten Drit­ter be­legt ist). In die­sen Fäl­len ent­steht ein Recht auf Nach­er­fül­lung. Die­se be­in­hal­tet für ge­wöhn­lich die (meist zwei­ma­li­ge) Nach­bes­se­rung und, nach­ge­la­gert, die Preis­ min­de­rung, die Rück­ab­wick­lung des Ver­trags (Wand­lung) oder den Um­tausch. Ein Scha­dens­er­satz ist mög­lich, so­fern ein Scha­den entstan­den ist und nach­ge­ wie­sen wird. Im ge­werb­li­chen Be­reich kann auch auf Nach­bes­se­rung ver­zich­tet wer­den und eine Ver­trags­stra­fe fäl­lig wer­den. Ab­hil­fe kann bei letz­te­ren durch Haf­tungs­aus­schluss er­reicht wer­den, so­fern dies im Ver­trag durch­setz­bar ist. Bei ers­te­ren ist die­se Pflicht nicht ab­ding­bar, auch nicht durch AGBs. Die Ga­ran­tie ist all­ge­mein eine Selbst­bin­dung des Ga­ran­tie­ge­bers (Lie­fe­rant) ge­gen­über dem Ga­ran­tie­neh­mer (Ab­neh­mer). Die Ga­ran­tie be­grün­det eine vom Grund­ge­schäft un­ab­hän­gi­ge Leis­tungs­ver­pflich­tung des Ga­ran­ten und muss zu­ sätz­lich zum Grund­ge­schäft ver­trag­lich ver­ein­bart wer­den. Sie ist frei­wil­lig und wirkt ver­schul­densun­ab­hän­gig. Ga­ran­ti­en sind in viel­fäl­ti­ger Form Ge­gen­stand von Er­lös­schmä­le­run­gen, wenn sie denn in An­spruch ge­nom­men werden­, so z. B.: •• Bie­tungs­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass der Bie­ter bei Zu­schlag in einer Marktveranstaltung auch den Ab­schluss tä­tigt), •• An­zah­lungs­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass ge­leis­te­te An­zah­lun­gen bei Nicht­ab­ schluss/ Storno rücker­stat­tet wer­den), •• Er­fül­lungs­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass ein Ver­trag vom Ver­käu­fer er­füllt wird), •• Ab­nah­me­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass ge­lie­fer­te Ware auch tat­säch­lich ab­ge­nom­ men wird), •• Zah­lungs­aus­fall­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass bei Aus­blei­ben der Zah­lung ein Ga­rant dafür ein­springt),

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A. Vertriebskonzept und Controlling

•• Ge­währ­leis­tungs­ga­ran­tie (da­rü­ber, dass Män­gel wäh­rend der Ge­währ­leis­ tungs­frist ab­ge­stellt wer­den). Ziel muss es da­her sein, Ga­ran­tie­ver­trä­ge zu ver­mei­den oder, wenn dies un­ ver­meid­lich ist, da­für Sor­ge zu tra­gen, dass der Ga­ran­tie­fall nicht ein­tritt. Bei Stra­fen han­delt es sich um pri­vat­recht­li­che Straf­zah­lun­gen, die bei Zu­ tref­fen bzw. Aus­blei­ben be­stimm­ter Vo­raus­set­zun­gen fäl­lig wer­den. Da­bei sind zwei Grup­pen von Stra­fen zu un­ter­schei­den. Kon­ven­ti­o­nal­stra­fen set­zen zu ih­ rem Fäl­lig­wer­den ein schuld­haf­tes Ver­hal­ten des Lie­fe­ran­ten vo­raus und sind in ih­rer Höhe auf den nach­zu­wei­sen­den Scha­den be­grenzt. Ohne Ver­schul­den wird da­her kei­ne Zah­lung fäl­lig, etwa bei hö­he­rer Ge­walt (Force ma­jeu­re). Pöna­le sind hin­ge­gen Stra­fen, die im (ge­werb­li­chen) Ver­trags­fall un­ab­hän­gig vom kon­ kre­ten Ver­schul­den des Lie­fe­ran­ten und vom Ent­ste­hen ei­nes Scha­dens beim Ab­neh­mer in ei­ner vor­ge­ge­be­nen Höhe fäl­lig wer­den. Sol­che Pöna­le kön­nen nur von nach­fra­ge­mäch­ti­gen Ab­neh­mern durch­ge­setzt wer­den. Bei­de Strafar­ten stel­len äu­ßerst un­an­ge­neh­me Er­lös­schmä­le­run­gen dar. Ge­gen sol­che Schä­den kann eine Be­triebs­scha­dens­haft­pflicht­ver­si­che­rung ab­ge­schlos­ sen wer­ den, die aber ers­ tens teu­ er und zwei­ tens mit ei­ ner Ma­ xi­ mal­ de­ ckung ver­se­hen ist. Stra­fen sind nur bei Nach­fra­ge­macht durch­setz­bar. An­lass kann etwa die Ver­ein­ba­rung ei­ner Just in Time-Lie­fe­rung oder ei­nes Ab­ruf­ver­trags sein. Da Ab­neh­mer hier la­ger­los oder nur mit sehr ge­rin­gen Puf­fer­lä­gern ar­bei­ ten, be­deu­tet eine ver­spä­te­te An­lie­fe­rung von Ein­satz­stof­fen bei­na­he zwangs­läu­ fig eine Be­triebs­un­ter­bre­chung. Die­se ver­ur­sacht ne­ben den zeitab­hän­gi­gen Fix­kos­ten Ein­mal­kos­ten für das He­run­ter­fah­ren der Pro­duk­ti­on und de­ren Wie­ der­hoch­fah­ren so­wie Er­lös­aus­fall i.  S.  v. Op­por­tu­ni­täts­kos­ten. Da­her kön­nen hier rasch im­men­se Be­trä­ge auf­lau­fen. Da­von ab­ge­se­hen ist ein Straf­zah­lungs­an­lass im­mer auch eine Be­las­tung für das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Lie­fe­rant und Ab­neh­mer und ge­fähr­det akut die Kun­den­ver­bun­den­heit. In wirt­schaft­lich vo­la­ti­len Zei­ten bes­teht vers­tärkt das Ri­si­ko des vollstän­di­ gen oder teil­wei­sen De­bi­to­ren­aus­falls. Zwar ge­hört eine Bon­itäts­aus­kunft zu den Stan­dard­vor­keh­run­gen, ge­ra­de bei Ge­schäfts­ab­schlüs­sen mit Neu­kun­den oder im Aus­land. Die wirt­schaft­li­che Si­tu­a­ti­on kann sich aber, ganz ab­ge­se­hen von der Be­last­bar­keit die­ser Aus­kunfts­da­ten, ra­pi­de ver­än­dert. Da­bei ist vor al­lem auf die Li­qui­di­tät ab­zu­he­ben, also auf die Fä­hig­keit ei­nes Un­ter­neh­mens, sei­nen Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen be­trags- und zeit­ge­treu nach­zu­kom­men. Dies be­wirkt un­mit­tel­bar ei­nen In­sol­venz­an­trag, wird die­ser von der Ge­schäfts­lei­tung des Ab­neh­mer­un­ter­neh­mens nicht ge­stellt, bes­teht die Ge­fahr der In­sol­venz­ver­ schlep­pung. Im Fall der Il­li­qui­di­tät (oder bei ju­ris­ti­schen Per­so­nen der Über­ schul­dung) droht da­her die völ­li­ge oder zu­min­dest teil­wei­se Un­ein­bring­lich­keit ei­ner For­de­rung. Da­bei er­folgt im Re­gel­in­sol­venz­ver­fah­ren die Be­frie­di­gung der Gläu­bi­ger im An­teil ih­rer For­de­run­gen am Rest­ver­mö­gen (Mas­se) des in­sol­ven­ten Un­ter­neh­



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung163

mens. Vor­ab wer­den aus dem Ver­mö­gen je­doch be­vor­rech­tig­te, aus­son­de­rungsund ab­son­de­rungs­be­rech­tig­te For­de­run­gen so­wie die Mass­ekos­ten be­frie­digt, so dass die Rest­quo­te meist aus­ge­spro­chen ge­ring bleibt, wei­ter­ge­hen­de For­de­run­ gen bes­te­hen dann im Re­gel­fall nicht mehr, der Rest­be­trag ist also ab­zu­schrei­ ben. Er­folg­ver­spre­chen­der ist da­her ein In­sol­venz­plan­ver­fah­ren, bei dem nicht auf die Ab­wick­lung, son­dern auf die Wei­ter­füh­rung des Un­ter­neh­mens ab­ge­zielt wird. Hier muss zwar zu­nächst auch auf Tei­le der For­de­run­gen ver­zich­tet wer­ den, da­für bes­teht die Hoff­nung, nach Ge­sun­dung des Un­ter­neh­mens die rest­li­ chen For­de­run­gen doch noch ein­trei­ben zu kön­nen, Er­lös­schmä­le­run­gen sind also wo­mög­lich nur tem­po­rär. Am bes­ten kann man sich vor De­bi­to­ren­aus­fäl­len schüt­zen, in­dem man Zah­lungs­si­che­run­gen mit dem Ab­neh­mer ver­ein­bart. Eine be­son­de­re Stel­lung neh­men Nicht-Leis­tungs­kon­di­ti­o­nen ein. Da­bei han­ delt es sich um sol­che, die nicht auf dem Prin­zip von Leis­tung und Ge­gen­leis­ tung be­ru­hen, son­dern auf pu­rer Nach­fra­ge­macht. Die Käu­fer­markt­si­tu­a­ti­on bringt es mit sich, dass Nach­fra­ger sich oh­ne­hin in der stär­ke­ren Po­si­ti­on be­ fin­den, ver­brei­te­te Un­ter­neh­mens­kon­zen­tra­ti­on führt dazu, dass dies ge­nutzt wird, um Preis­nach­läs­se durch­zu­set­zen, nur weil es geht. Dies ist markt­wirt­ schafts- und wett­be­werbs­fremd, je­doch meist schwie­rig zu sank­ti­o­nie­ren. Es sagt sich leicht, dass man in sol­chen Fäl­len eine Kon­tra­hie­rung eben ab­leh­nen müs­se, aber oft­mals bes­teht eine Ab­hän­gig­keit von sol­chen Nach­fra­gern, weil die­se gro­ße Tei­le der Ka­pa­zi­tät aus­las­ten und da­mit über Fix­kosten­de­ckung den Be­stand des Un­ter­neh­mens ab­si­chern. Als ein­zi­ger Aus­weg kann nur die Er­rei­ chung ei­ner Al­lein­stel­lung gel­ten, denn Nach­fra­ge­macht fin­det dort ihre Gren­ze, wo die Über­le­bens­fä­hig­keit ei­nes Lie­fe­ran­ten ge­fähr­det wird, für den es kei­nen adä­qua­ten Er­satz gibt oder in ab­seh­ba­rer Zeit he­ran­ge­zo­gen wer­den kann. 5.3

Wertorientierte Steuerung der Gebietserlöse

Die Ge­biets­er­lö­se kön­nen aus in­tra­na­ti­o­na­ler Sicht oder su­pra­na­ti­o­na­ler Sicht un­ter­sucht wer­den (siehe Abb. 44). In­tra­na­ti­o­nal ist von lo­ka­len, re­gi­o­na­len oder na­ti­o­na­len Ge­bie­ten aus­zu­ge­hen. Su­pra­na­ti­o­nal ist von Ein­zel­län­dern, Län­der­ grup­pen (wie D.A.CH, E.ME.A, The Ame­ri­cas etc.) oder auch al­len Län­dern ge­mein­sam aus­zu­ge­hen. Zu­nächst zu den in­tra­na­ti­o­na­len Ein­tei­lun­gen. 5.3.1

Intranationale Gebiete

Als kleins­tes Ver­triebs­seg­ment für die Wert­steu­e­rung gilt das Markt­verant­ wor­tungs­ge­biet. Da­bei han­delt es sich um durch Ver­kaufs­au­ßen­dienst­ler zu be­ar­bei­ten­de Be­zir­ke oder um das Ge­biet, das ei­nem Ab­satz­hel­fer zu­ge­ord­net ist oder um den ver­ein­bar­ten Raum ei­ner Ver­triebs­bin­dung im Han­del. Im Re­ gel­fall ist für die­se Ge­bie­te Ge­biets­schutz ver­ein­bart, d.  h. ein­sei­tig, dass der Her­stel­ler nur den be­tref­fen­den Mit­ar­bei­ter, Ab­satz­hel­fer oder Ab­satz­mitt­ler mit

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A. Vertriebskonzept und Controlling

        





 



 

 

Abb. 44: Aufschlüsselung der Gebietserlöse

der Be­ar­bei­tung des Ge­biets be­traut, zwei­sei­tig, dass die­se nicht in an­de­re Ge­ bie­te hi­nein­ak­qui­rie­ren dür­fen (so­weit die­ses Ver­bot recht­lich zu­läs­sig ist). Für die Er­lö­se wer­den den Part­nern zu­meist Stan­dards vor­ge­ge­ben, die sich am Durch­schnitt der an­de­ren Be­zir­ke / Ge­bie­te be­mes­sen. Sinn­vol­ler­wei­se wird dies ge­wich­tet um die Kauf­kraft / das Bud­get im be­tref­fen­den Ge­biet. Ent­spre­ chend kommt es zu ei­ner Un­ter- oder Über­aus­schöp­fung die­ser Stan­dards. Dies ist gän­gi­ger Maß­stab zur Be­ur­tei­lung der Leis­tungs­fä­hig­keit der Part­ner. Meh­re­re Markt­verant­wor­tungs­ge­bie­te wer­den zu Ver­triebs­re­gi­o­nen zu­sam­ men­ge­fasst, meist in Ana­lo­gie zu Bun­des­län­dern oder Ni­el­sen-Ge­bie­ten (I  – VII). Die Ver­triebs­re­gi­on wird häu­fig als Cen­ter ge­führt, d. h. ist nicht nur für die Er­lö­se, son­dern auch für die Kos­ten (Pro­fit Cen­ter), mög­li­cher­wei­se aber auch für In­ves­ti­ti­o­nen und Bud­ge­tie­rung zustän­dig. In­wie­weit da­raus eine Ver­ ant­wort­lich­keit folgt, hängt we­sent­lich vom Aus­maß der Ent­schei­dungs­au­to­no­ mie ab. Je au­to­no­mer eine Ver­triebs­re­gi­on in ih­ren Ent­schei­dun­gen ist, des­to mehr hat sie die sich da­bei he­raus­stel­len­den Er­geb­nis­se zu­rech­nen zu las­sen. Je mehr Vor­ga­ben ei­ner Ver­triebs­re­gi­on zent­ral ge­macht wer­den, des­to eher kann sie sich bei un­zu­rei­chen­den Er­geb­nis­sen ex­kul­pie­ren, da die­se ja un­ter mehr oder min­der gro­ßer Ein­wir­kung der Zen­tra­le zu­stan­de ge­kom­men sind. In­so­fern ist ein ho­hes Maß an Au­to­no­mie wün­schens­wert. Die­ses führt je­ doch zu er­heb­li­chen Flieh­kräf­ten in­ner­halb der Or­ga­ni­sa­ti­on, wo­bei die Cor­po­ ra­te Iden­ti­ty des Un­ter­neh­mens un­ter­zu­ge­hen droht, ver­meid­ba­re Rei­be­rei­en zwi­schen Re­gi­o­nen auf­tre­ten und Sy­ner­gi­en, etwa im Back Of­fice-Be­reich, nur un­zu­rei­chend ge­nutzt wer­den. Der Er­folg wird wie­der­um durch Ver­gleich der Er­lö­se in der be­tref­fen­den Re­gi­on mit dem Durch­schnitt der Re­gi­o­nal­er­lö­se ge­mes­sen, ge­wich­tet mit de­ren Ein­fluss­grö­ßen.



5.3.2

5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung165

Supranationale Gebiete

Ein Land stellt für na­ti­o­nal tä­ti­ge Un­ter­neh­men die größ­te Ge­biets­ein­heit dar, für in­ter­na­ti­o­nal tä­ti­ge zu­gleich die kleins­te. Da­bei wer­den alle Ver­triebs­re­gi­o­ nen ei­nes Na­ti­o­nal­staats zu­sam­men­ge­fasst. Da­raus ent­ste­hen bei na­ti­o­na­len Un­ter­neh­men die Ge­samt­er­lö­se, die dann auf Ver­triebs­re­gi­o­nen und Markt­ verant­wor­tungs­ge­bie­te hin he­run­ter­ge­bro­chen wer­den kön­nen. Bei in­ter­na­ti­o­na­ len Un­ter­neh­men kön­nen zu­dem Län­der­ver­glei­che hin­sicht­lich der Er­lö­se vor­ ge­nom­men wer­den, wo­bei die ab­wei­chen­den Struk­tu­ren der Län­der zu be­rück­ sich­ti­gen sind. Ge­mes­sen am ge­wich­te­ten Durch­schnitt er­ge­ben sich dann Län­der mit Nach­hol­be­darf im Ver­trieb, hier ist über ent­spre­chend ge­eig­ne­te Maß­nah­men zu be­ra­ten, und Län­der, die High Per­for­mer sind, hier muss ana­ ly­siert wer­den, wel­che Ur­sa­chen da­für in Be­tracht kom­men und ob die­se auf ge­rin­ger leis­tungs­fä­hi­ge Land­es­märk­te über­tra­gen wer­den kön­nen. Tat­säch­lich sind aber die meis­ten Un­ter­neh­men, ge­ra­de auch im Klein- und Mit­tel­stand, zwi­schen­zeit­lich län­der­gren­zenüber­schrei­tend tä­tig, be­ar­bei­ten also ver­schie­de­ne Land­es­märk­te. Um die Steu­e­rung da­bei über­sicht­li­cher zu ge­stal­ ten, wer­den zu­meist be­nach­bar­te Län­der zu Län­der­grup­pen zu­sam­men­ge­fasst (wie Deutsch­land / Ös­ter­reich / Schweiz – DACH, Eu­ro­pa / Mitt­le­rer Os­ten / Asi­en – EMEA). Un­ter­stel­lung ist da­bei, dass die­se räum­lich bei­ei­nan­der lie­gen­den Märk­te in ähn­li­cher Wei­se zu be­ar­bei­ten sind. Ob dies zu­trifft, ist frag­lich, da ge­ra­de Nach­bar­län­der sich er­heb­lich in ih­ren Struk­tu­ren von­ei­nan­der un­ter­ schei­den. Ab­sicht ist aber, die Kom­ple­xi­tät der in­ter­na­ti­o­na­len Er­lös­ent­ste­hung zu re­du­zie­ren. Als Maß­stab wer­den da­bei meist vor­han­den oder ver­mu­tet ähn­ li­che Kul­tu­ren un­terstellt, bei fei­ne­rer Aus­ta­rie­rung auch eine ge­mein­sa­me Spra­ che. Ver­bun­den da­mit ist eine ge­rin­ge­re Ziel­ge­nau­ig­keit von Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ ten, da ge­mein­sa­me kleins­te Nen­ner den Aus­schlag ge­ben. Häu­fig wird auch ei­nem Land in­ner­halb der Län­der­grup­pe eine Füh­rungs­po­si­ti­on zu­er­kannt. Ak­ ti­vi­tä­ten wer­den dann auf die an­de­ren Län­der der Grup­pe über­tra­gen oder zu­ min­dest adap­tiert. Bei der Un­über­sicht­lich­keit in­ter­na­ti­o­na­ler Ak­ti­vi­tä­ten ist dies oft die ein­zi­ge Chan­ce, ein an­ge­mes­se­nes Hand­ling si­cher­zu­stel­len. Al­ter­na­tiv ist denk­bar, alle in­ter­na­ti­o­na­len Märk­te zu­sam­men­zu­fas­sen und de­ren ku­mu­lier­te Er­lö­se als Maß­stab zu neh­men und zu ana­ly­sie­ren. Dies gilt vor al­lem für Pro­duk­te, die kul­tu­run­ab­hän­gig ver­mark­tet wer­den kön­nen und Kun­den­struk­tu­ren, die glo­bal ver­streu­te Stand­or­te auf­wei­sen. Die­se Merk­ma­le sind dann die ei­nen­den Grö­ßen, die eine An­pas­sung im Ver­trieb an­ge­zeigt er­ schei­ nen las­ sen. Bei die­ ser He­ li­ ko­ pter­ sicht droht je­ doch, der Blick auf den ein­zel­nen Lan­des- oder auch Re­gi­o­nal­markt ver­lo­ren zu ge­hen. In­so­fern ist eine Grat­wan­de­rung er­for­der­lich, zwi­schen so­viel Zen­tra­li­sa­ti­on, dass eine kon­sis­ ten­te Ver­triebs­stra­te­gie ein­ge­hal­ten, und so­viel De­zen­tra­li­sa­ti­on, dass auf die Be­din­gun­gen der Teil­märk­te an­ge­mes­sen ein­ge­gan­gen wer­den kann. Hier ist an­zu­neh­men, dass durch zu­viel Zen­tra­lis­mus, etwa im Rah­men des Glo­bal Mar­ ke­ting-Post­ulats, er­heb­li­che Er­lös­chan­cen auf den ein­zel­nen Ge­biets­märk­ten

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A. Vertriebskonzept und Controlling

lie­gen ge­las­sen wer­den. Auch ist häu­fig eine un­nö­ti­g starke Hei­mat­markto­ri­en­ tie­rung bei Ent­schei­dun­gen vor­zu­fin­den, etwa auf­grund eth­ni­scher Her­kunft des Top-Ma­na­ge­ments. Nur we­ni­ge Ge­schäfts­mo­del­le las­sen sich zu­dem­ wirk­lich in­ter­na­ti­o­na­li­sie­ren. 5.4

Wertorientierte Steuerung der Kundenerlöse

Die Wert­ori­en­tie­rung der Kun­den­er­lö­se ist zent­ra­le Exis­tenz­vo­raus­set­zung je­des Un­ter­neh­mens. Tat­säch­lich ist die Ope­ra­ti­o­na­li­sie­rung die­ser Er­kennt­nis nicht weit fort­ge­schrit­ten. In der Kos­ten- und Leis­tungs­rech­nung sind tra­di­ti­o­ nell Pro­duk­te als Kos­ten­trä­ger zent­ral. Eine Aus­rich­tung an Kun­den be­darf da­her ei­ner Neu­aus­rich­tung. Wei­ter­hin sind Wer­te als sol­che schon im­mer sub­ jek­tiv, und auch Kun­den­wer­te ent­zie­hen sich weit­ge­hend ei­ner Ob­jek­ti­vie­rung. In­so­fern bleibt zwar viel Raum für wei­te­re Klä­run­gen, der Stand der Tech­nik wird aber nach­fol­gend dar­ge­stellt. 5.4.1

Statischer Kundenwert

Kun­den­wert­be­trach­tun­gen (Cus­to­mer Equi­ty) zur Ana­ly­se der Er­lö­se ha­ben, frei­lich auf de­skrip­ti­ver Ba­sis, eine lan­ge Tra­di­ti­on (siehe Abb. 45). So gibt es da­für ver­schie­de­ne Ver­fah­ren. Am wei­tes­ten ver­brei­tet dürf­ten hier Sco­ring-Ver­ fah­ren sein. Die­se for­men als hin­rei­chend ein­deu­tig an­ge­se­he­ne An­halts­punk­te für die Kun­den­be­deu­tung im Un­ter­neh­men in Punkt­wer­te um. Am be­kann­tes­ten ist wie­der­um wohl das R(Re­cency) F(Fre­quency) M(Mo­ne­ta­ry Ra­tio)-Ver­fah­ren (RFMR). Da­bei wird die Kun­den­be­deu­tung durch drei Kri­te­ri­en als Score (R) ab­ge­lei­tet, aus:    

  

 

 

    



 

Abb. 45: Messung des Statischen Kundenwerts



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung167

•• der Frist, die seit der letz­ten Auf­trags­er­tei­lung ver­gan­gen ist (R), •• der Häu­fig­keit der Auf­trags­er­tei­lung in ei­nem ge­ge­be­nen Zeit­ab­schnitt (F), •• dem Umsatzwert der in die­sem Zeit­ab­schnitt er­teil­ten Auf­trä­ge (M). Ein Kun­de er­hält umso mehr Punk­te zu­ge­rech­net, je we­ni­ger Zeit seit sei­ner letz­ten Auf­trags­er­tei­lung ver­gan­gen ist, je häu­fi­ger er in ei­nem ge­ge­be­nen Zeit­ ab­schnitt be­stellt hat und je hö­her der Auf­trags­wert die­ser Be­stel­lun­gen war. Ent­spre­chend der Ge­samt­punkt­zahl kön­nen dann ab­ge­stuf­te Ak­ti­vi­täts­levels in Be­ zug auf den Kun­ den der­ art be­ stimmt wer­ den, dass Kun­ den mit hö­ he­ ren Punkt­wer­ten in­ten­si­ver be­treut wer­den als Kun­den mit nied­ri­ge­ren Punkt­wer­ ten. Ein an­de­res ver­brei­te­tes Sco­ring-Ver­fah­ren ist das F(Fre­quency) R(Re­cency) A(Amount of Purcha­se) T(Type of Mer­chan­di­se)-Ver­fah­ren (FRAT). Da­bei wird die Kun­den­be­deu­tung aus vier Kri­te­ri­en ab­ge­lei­tet, aus: •• der Häu­fig­keit der Auf­trags­er­tei­lung in ei­nem ge­ge­be­nen Zeit­ab­schnitt (F), wie oben, •• der Frist, die seit der letz­ten Auf­trags­er­tei­lung ver­gan­gen ist (R), wie oben, •• dem Um­satz­wert der in die­sem Zeit­ab­schnitt er­teil­ten Auf­trä­ge (A), wie oben, •• der Art der be­stell­ten Ware in Ab­hän­gig­keit von de­ren Er­trags­kraft (T). Da­mit wird zu­sätz­lich noch dif­fe­ren­ziert, ob ein Kun­de de­ckungs­bei­trags­ star­ke Wa­ren be­zo­gen hat oder nicht. Bei­de Ver­fah­ren lei­den je­doch ein­deu­tig un­ter der Will­kür der Ein­tei­lungs­kri­ te­ri­en (wie­so ge­ra­de die­se und nicht an­de­re wie Be­schwer­de­ra­ten, Zah­lungs­ver­ hal­ten, Kun­den­image etc.) und auch der Will­kür der Be­wer­tungs­gren­zen. Wei­ te­re Will­kür­ele­men­te kom­men durch die Punkt­eab­stu­fung und noch eine häu­fig vor­ge­nom­me­ne Ge­wich­tung der Kri­te­ri­en hin­zu. Vor al­lem aber ist die Be­wer­ tung nur ver­gan­gen­heits­be­zo­gen. Ob die an­ge­ge­be­nen Wer­te in­so­weit taug­li­che In­di­ka­to­ren für die Ge­stal­tung zu­kunfts­be­zo­ge­ner Be­zie­hun­gen zu Kun­den sind, darf er­heb­lich be­zwei­felt wer­den. Die Aus­sa­ge­fä­hig­keit für den Kun­den­wert ist da­mit sehr ge­ring. Da­her be­darf es ana­ly­ti­scher Ver­fah­ren. Häu­fig wird auch der Um­satz im Ge­schäfts­jahr als Ba­sis für eine Kun­den­ ein­tei­lung ge­nom­men (ABC-Ana­ly­se). Da­bei han­delt es sich um eine gra­fi­sche Dar­stel­lung als Ma­trix mit den Um­sät­zen auf der Or­di­na­te und den Kun­den in ab­stei­gen­der Rei­hen­fol­ge ih­rer Um­sät­ze auf der Ab­szis­se. Er­fah­rungs­ge­mäß er­ gibt sich da­bei die Er­kennt­nis, dass re­la­tiv we­ni­ge Kun­den ei­nen re­la­tiv gro­ßen An­teil der ku­mu­lier­ten Um­sät­ze auf sich ver­ei­nen (Pa­re­to-Re­gel). Die umsatz­ wich­ti­ge­ren Kun­den (A-Kun­den, ca. 20  %) wer­den dann mit in­ten­si­ve­ren Be­ treu­ungs­maß­nah­men ver­se­hen als die um­satzun­wich­ti­ge­ren (B-Kun­den, ca. 30  %), da sie die Aus­sicht auf eine bes­se­re Ge­schäfts­ent­wick­lung ver­spre­chen. Die rest­li­chen Kun­den (C-Kun­den, ca. 50 %) wer­den nur nach­ran­gig be­treut.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Ab­ge­se­hen da­von, dass es sich hier­bei bes­ten­falls um eine Ge­gen­warts­sicht han­delt, sagt der Um­satz auch we­nig über die Er­trags­kraft ei­nes Kun­den aus. Da­her kann die­ses Ver­fah­ren statt mit Um­sät­zen auch mit Ge­win­nen oder, in­ fol­ge der Kos­ten­rech­nungs­prob­le­ma­tik, mit De­ckungs­bei­trä­gen vor­ge­nom­men wer­den. Da­für wer­den die Kun­den­um­sät­ze in Ein­zel­auf­trä­ge zer­legt, und für je­den Auf­trag wird der kun­denin­di­vi­du­el­le Ge­winn oder De­ckungs­bei­trag er­mit­ telt und auf­ad­diert. Die­se Er­kennt­nis­se kön­nen wei­ter ent­wi­ckelt wer­den, in­dem die ent­schei­den­ den Grö­ßen (markt­be­zo­ge­ner) Um­satz, in­ter­valls­ka­liert, und (un­ter­neh­mens­­ bezo­ge­ner) Ge­winn bzw. De­ckungs­bei­trag, eben­falls in­ter­valls­ka­liert, in Form ­ei­ner Ma­trix ge­gen­über ge­stellt wer­den. Da­raus er­ge­ben sich bei gro­ber Ein­tei­ lung vier Fel­der ei­ner Ma­trix, denen je­weils, ana­log zu Port­fo­li­os, Norm­stra­te­ gi­en zu­ge­ord­net wer­den kön­nen. Je­der Kun­den kann dann ent­spre­chend sei­ner Um­satz- und Ge­winn- bzw. De­ckungs­bei­trags­wer­te in der Ma­trix ab­ge­tra­gen wer­den. Das Feld, in dem er da­nach lan­det, be­stimmt so­mit das auf ihn an­zu­ wen­den­de Kun­den­ma­na­ge­ment. Zu­sätz­lich kann die Dau­er der Ge­schäfts­be­zie­ hung zu ei­nem Kun­den als Kreis­grö­ße in die­ser Ma­trix ab­ge­tra­gen wer­den, so dass des­sen Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al zu­min­dest ten­den­zi­ell be­rück­sich­tigt wird. Auch hier­bei han­delt es sich aber um eine Ver­gan­gen­heits-, bes­ten­falls Ge­ gen­warts­sicht, au­ßer­dem ist das Blick­feld der Ak­ti­vi­tä­ten auf bes­te­hen­de Kun­ den ver­engt. Alle ge­nann­ten Ver­fah­ren set­zen sich zu­dem nicht nä­her mit dem Kun­den­le­bens­zeit­wert aus­ei­nan­der, son­dern be­grei­fen der Ein­fach­heit hal­ber an­de­re Grö­ßen als Maß­stab für das Kun­den­ma­na­ge­ment. Da ein we­sent­li­ches Ele­ment des Ma­na­ge­ment­kreis­laufs aber die Pla­nung ist, also ein ex­pli­zit zu­ kunftso­ri­en­tier­tes Ele­ment, be­darf es zu ei­ner sach­kun­di­ge­ren Ana­ly­se der Be­ rück­sich­ti­gung auch der Zu­kunfts­sicht. Dazu ist al­ler­dings der Kun­den­le­bens­ zeit­wert in sei­ne Ein­zel­ele­men­te zu zer­le­gen, die­se Ein­zel­ele­men­te sind Ein­zah­ lun­gen in Kun­den und Aus­zah­lun­gen von Kun­den. 5.4.2

Dynamischer Kundenwert

5.4.2.1 Schlüsselgrößen zur Ermittlung Der Kun­den­le­bens­zeit­wert (Cus­to­mer Li­fe­ti­me Va­lue) ist der­je­ni­ge Be­trag, der sich als ku­mu­lier­tes Kun­den­er­geb­nis al­ler Auf­trä­ge mit ei­nem Kun­den im Zeit­ablauf sei­ner Ge­schäfts­be­zie­hung diskontiert er­gibt. Wer­den den ku­mu­lier­ten Er­trä­gen aus Kun­den­auf­trä­gen die ku­mu­lier­ten Auf­ wen­dun­gen zur Ak­qui­si­ti­on und lau­fen­den Be­treu­ung die­ses Kun­den und sei­ner Auf­trä­ge ge­gen­über ge­stellt, er­gibt sich als Dif­fe­renz da­raus der (po­si­ti­ve oder ne­ga­ti­ve) Kun­den­wert. Die Er­mitt­lung des Kun­den­le­bens­zeit­werts ist da­her ein aus­ge­spro­chen kom­ple­xer Vor­gang. Hin­zu kommt, dass alle Auf­wen­dun­gen und Er­trä­ge im Zeit­ablauf ent­ste­hen, also zu­erst fi­nanz­ma­the­ma­tisch auf ei­nen ge­



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung169

mein­sa­men Zeit­punkt, re­gel­mä­ßig den Ent­schei­dungs­zeit­punkt, dis­kon­tiert wer­ den müs­sen, um sie ver­gleich­bar zu ma­chen. Da­bei gibt es: •• Auf­wen­dun­gen der Ver­gan­gen­heit und Er­trä­ge der Ver­gan­gen­heit, die auf ei­ nen Ge­gen­warts­zeit­punkt auf­ge­zinst wer­den müs­sen, •• Auf­ wen­ dun­ gen der Zu­ kunft und Er­ trä­ ge der Zu­ kunft, die auf den Ge­ gen­ warts­zeit­punkt ab­ge­zinst wer­den müs­sen. Für den Kun­den­le­bens­zeit­wert sind drei Be­griffs­ele­men­te zent­ral: die Kun­ den­ei­gen­schaft, die Auf­trags­ent­ste­hung und das Kun­den­er­geb­nis. Zu­nächst stellt sich prag­ma­tisch die Fra­ge, wer ei­gent­lich ge­nau Kun­de ist (siehe Abb. 46). Den wei­tes­ten Kun­den­kreis stel­len alle je­mals be­auf­tra­gen­den Ge­schäfts­part­ner dar. Da­run­ter be­fin­den sich je­doch er­fah­rungs­ge­mäß eine Men­ ge „Kar­ tei­ lei­ chen“, so dass für die Auf­trag­ge­ber­ei­gen­schaft eine hö­he­re An­for­de­rung zu stel­len ist. Emp­feh­lens­wert ist die Vo­raus­set­zung ei­ner Be­auf­ tra­gung in­ner­halb der drei­fa­chen Frist des durch­schnitt­li­chen Wie­der­kaufs für die­se Pro­duk­tart. Da­für ist für je­den Kun­den zu­nächst das be­stell­te Pro­dukt zu iden­ti­fi­zie­ren. Für jede Pro­duk­tart des Pro­gramms, bei in­ak­tu­el­len Pro­duk­ten ent­spre­chen­de Nach­fol­ge­pro­duk­te, bei nicht mehr sor­ti­men­tier­ten Pro­duk­ten ver­gleich­ba­re an­de­re, ist so­dann der Wie­der­kauf­zy­klus zu be­stim­men. Bei al­len ehe­ma­li­gen Auf­trag­ge­bern, de­nen nun nicht mehr die Kun­den­ei­gen­schaft zu­ge­ schrie­ben wird, weil ihre Be­auf­tra­gung län­ger zu­rück­liegt als es dem drei­fa­chen Wie­der­kauf­zy­klus ent­spricht, ist jedoch un­be­dingt zu re­cher­chie­ren, was aus ih­nen ge­wor­den ist, wo sie jetzt be­stel­len und war­um sie ge­wech­selt sind. Häu­ fig sind Kun­den nur in der Or­ga­ni­sa­ti­on ver­nach­läs­sigt und da­mit der Kon­kur­ renz ge­ra­de­zu in die Arme ge­trie­ben wor­den. Bei den ak­ tu­ el­ len Kun­ den ist zu klä­ ren, wel­ che Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit den Auf­trag ge­nau er­teilt. Häu­fig ge­schieht dies for­mell auf Kon­zern­ebe­ne, aber auch auf Ein­zel­un­ter­neh­men­se­be­ne, auf Be­triebs­ebe­ne oder auf Spar­ten­ebe­ne

          

 

   

    

      

Abb. 46: Mögliche Kundeneigenschaft

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A. Vertriebskonzept und Controlling

(Di­vi­si­on). Ent­spre­chend kön­nen im Ein­zel­fall mehr oder min­der ag­gre­gier­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten als Kun­den gel­ten. All­er­dings sagt die for­mel­le Auf­ trags­er­tei­lung we­nig über die tat­säch­li­che Be­schaf­fungs­ent­schei­dung aus. Hier ist es denk­bar, dass Auf­trags­er­tei­lun­gen, etwa für die Aus­übung von Nach­fra­ ge­macht, im­mer auf der höchs­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne er­fol­gen, es ist aber auch denk­bar, dass jede Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit für sich be­stellt, evtl. un­ter Nut­zung über­ge­ord­net aus­ge­han­del­ter Rah­men­ver­ein­ba­run­gen. Dann kann dies wieder­um funk­ti­o­nal durch die Ein­kaufs­ab­tei­lung er­fol­gen, die al­lein zur ex­ter­nen Be­auf­ tra­gung le­gi­ti­miert ist, um ex­ter­ne Be­auf­tra­gun­gen bes­ser kon­trol­lie­ren zu kön­ nen, oder ob­jekt­be­zo­gen durch ein­zel­ne Spar­ten, die pro­dukt-, kun­den- oder ge­biets­be­zo­gen or­ga­ni­siert sind. Ent­schei­dend ist die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit, in der tat­säch­lich die Be­schaf­ fungs­ent­schei­dung fällt. Dies ist häu­fig ex­tern schwie­rig ein­zu­schät­zen. Dann bleibt es aber im­mer noch er­for­der­lich, die Per­so­nen zu iden­ti­fi­zie­ren, wel­che den Be­schaf­fungs­ent­scheid fällt. Häu­fig sind da­bei meh­re­re Per­so­nen ein­be­zo­ gen, die in von au­ßen nur schwer durch­schau­ba­rer Wei­se in­ter­agie­ren. Ge­nau die­se Per­so­nen aber sind die ei­gent­li­chen Kun­den, denn Ge­schäfts­be­zie­hun­gen wer­den im­mer zwi­schen Men­schen un­ter­hal­ten, so auch zwi­schen Men­schen im lie­fern­den und be­stel­len­den Un­ter­neh­men. Die­se Aus­le­gung ist frei­lich aus­ge­spro­chen an­fäl­lig ge­gen Per­so­nal­fluk­tu­a­ ti­on, wie sie in vie­len Bran­chen auf Auf­trag­neh­mer- und Auf­trag­ge­ber­sei­te ver­brei­tet an­zu­tref­fen ist, sei es durch Ar­beit­ge­ber­wech­sel oder auch nur durch die be­lieb­ten Job Ro­ta­ti­ons. Sol­che Ver­än­de­run­gen be­dro­hen da­her den Kun­ den­wert er­heb­lich und be­dür­fen gro­ßer Auf­merk­sam­keit. Vor al­lem geht es da­rum, den be­reits vom / beim Vor­gän­ger auf­ge­bau­ten Good­will für / auf den Nach­fol­ger zu über­tra­gen. Dies ge­lingt nur, wenn ne­ben den ob­jek­ti­ven Auf­ trags­da­ten auch die „Che­mie“ zwi­schen Kun­den­ma­na­ger und Kun­de stimmt. Vor al­lem Un­ter­neh­mens­zu­sam­menschlüs­se ha­ben hier häu­fig eine ver­hee­ren­de Wir­kung auf die Kun­den­be­zie­hun­gen. Da­bei spielt die Ein­stel­lung der Ent­schei­der in Be­zug auf Ver­än­de­run­gen in der Lie­fe­ran­ten­struk­tur eine gro­ße Rol­le. So gibt es Pro­mo­to­ren, die eher die Chan­cen in ei­ner Ver­än­de­rung se­hen und et­wai­ge Ri­si­ken dem­ge­gen­über un­ter­ ge­wich­ten. Aber auch die Op­po­nen­ten, die Ver­än­de­run­gen im Un­ter­neh­men grund­sätz­lich ab­leh­nend ge­gen­über ste­hen, weil sie de­ren Ri­si­ken hö­her schät­ zen als die Chan­cen. Wich­tig ist es da­her, die Pro­mo­to­ren zu ge­win­nen und für sich ein­zu­neh­men. Reicht de­ren Macht­ba­sis aus, sich ge­gen Op­po­nen­ten durch­ zu­set­zen, ist der Weg frei. Noch schwie­ri­ger ist der Fall bei Ein­kaufs­gre­mi­en ge­la­gert, wenn also nicht eine Per­son al­lein, son­dern meh­re­re Per­so­nen gemeinsam­ über eine Auf­trags­er­ tei­lung ent­schei­den. Dann in­ter­agie­ren ver­schie­de­ne Ent­schei­der­ty­pen mit­ei­nan­ der und wir­ken in von au­ßen kaum er­kenn­ba­rer Wei­se auf das Er­geb­nis ein. Wich­tig ist es hier, zu­nächst die an der kon­kre­ten Be­auf­tra­gung be­tei­lig­ten



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung171

   

 



       

     

Abb. 47: Alternative Kundenergebnisse

Per­so­nen zu iden­ti­fi­zie­ren, dann ih­ren In­for­ma­ti­ons­be­darf zu er­ken­nen und zu be­die­nen, und dies be­vor­zugt bei sol­chen Per­so­nen, de­ren Ent­schei­dungs­an­teil in der Grup­pe am höchs­ten ist. Dass ist frei­lich ein schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen. Bei der Kon­zept­grö­ße Kun­den­er­geb­nis sind vor al­lem drei Op­ti­o­nen denk­bar (siehe Abb. 47). Die am ein­fachs­ten zu er­mit­teln­de Grö­ße ist der Um­satz. Er er­gibt sich durch Ad­di­ti­on al­ler Auf­trags­grö­ßen in der Zeit. Da­bei darf al­ler­ dings nur der Net­to­um­satz zu­grun­de ge­legt wer­den, also der Brut­to­um­satz nach Ab­zug al­ler Er­lös­schmä­le­run­gen. Bei die­sen Er­lös­schmä­le­run­gen kann es sich um Drein­ ga­ben je Auf­trag (z. B. Skon­to, Ra­bat­te) oder Drein­ga­ben im Zeit­ ablauf (z.  B. Boni, Rück­ver­gü­tun­gen) oder Drauf­ga­ben im Zeit­ablauf han­deln (z.  B. Ga­ran­tie­leis­tun­gen, Wa­ren­gut­schrif­ten). Der Um­satz sagt je­doch we­nig über den Kun­den­wert, da die­ser u. a. vom Mix der be­stell­ten Wa­ren und de­ren Ge­winn­träch­tig­keit ab­hängt. Da­her ist als wei­te­re Kon­zept­grö­ße der Roh­ge­winn denk­bar, d. h. der Sal­do al­ler auf­trags­spe­zi­fi­schen Um­sät­ze zu al­len auf­trags­spe­zi­fi­schen Kos­ten. Dies setzt frei­lich vo­raus, dass der Ge­winn je Auf­trag bzw. ku­mu­liert im Zeit­ablauf aus­zu­wei­sen ist. Dies wie­der­um setzt vo­raus, dass die Kos­ten kun­den­spe­zi­fisch auf­ge­schlüs­selt wer­den kön­nen. Da die Kos­ten­rech­nungs­struk­tu­ren in Un­ter­neh­ men aber meist pro­dukt­be­zo­gen aus­ge­rich­tet sind, er­for­dert dies eine Än­de­rung der Struk­tu­ren der in­ter­nen Rech­nungs­le­gung in Rich­tung Kos­ten­trä­ger Kun­de. Selbst dann er­gibt sich das Prob­lem, dass ein im­mer grö­ße­rer An­teil am Kos­ ten­block von Fix­kos­ten ge­bil­det wird, die nur will­kür­lich auf Kun­den ge­schlüs­ selt wer­den kön­nen und da­her das ent­schei­dungs­be­zo­ge­ne Er­geb­nis ver­zer­ren. Da­her ist als prak­ti­ka­bels­te Grö­ße der De­ckungs­bei­trag an­zu­se­hen, d.  h. der Über­schuss der kun­den­spe­zi­fi­schen Um­sät­ze über die die­sen zu­re­chen­ba­ren va­ ri­ab­len Kos­ten. Auch dies setzt eine Aus­rich­tung der Kos­ten­rech­nungs­struk­tu­ren auf die Er­folgs­grö­ße Kun­de vo­raus, al­ler­dings wird da­bei auf die prob­le­ma­ti­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

sche Schlüs­se­lung des Fix­kos­ten­blocks ver­zich­tet. All­er­dings birgt dies die Ge­fahr un­zweck­mä­ßi­ger Ent­schei­dun­gen, denn da ein im­mer grö­ße­rer An­teil am Kos­ten­block von Fix­kos­ten ge­bil­det wird und die­se bei der Er­folgs­grö­ße De­ckungs­bei­trag au­ßen vor blei­ben, wird die Ent­schei­dung auf Ba­sis ei­nes im­ mer klei­ne­ren Kos­ten­an­teils ge­fällt, was ein gro­ßes Un­si­cher­heits­mo­ment birgt. Die Fix­kos­ten­las­tig­keit rührt vor al­lem von der An­la­ge­nin­ten­si­tät der Pro­duk­ ti­on und dem ho­hen Ad­mi­nist­ra­ti­ons­an­teil zur Kom­plex­itäts­re­duk­ti­on im­mer grö­ße­rer Un­ter­neh­men her. Der Kö­nigs­weg ist die Struk­tu­rie­rung der Kos­ten­rech­nung mit­tels der De­ ckungs­bei­trags­rech­nung mit re­la­ti­ven Ein­zel­kos­ten. Da­bei wird, an­ders als in der tra­di­ti­o­nel­len De­ckungs­bei­trags­rech­nung, die nach va­ri­ab­len und fi­xen Kos­ ten un­ter­schei­det, wie in der tra­di­ti­o­nel­len Voll­kos­ten­rech­nung nach Ein­zel- und Ge­mein­kos­ten un­ter­schie­den. An­ders als dort wer­den je­doch Teil­kos­te­ne­be­nen zur Ent­schei­dung un­ter­teilt. Da­bei wird ver­sucht, mög­lichst alle kun­den­spe­zi­fi­ schen Kos­ten der sie ver­ur­sa­chen­den Ent­schei­dungs­ebe­ne zu­zu­rech­nen. Kos­ten­ an­tei­le, die auf ei­ner be­stimm­ten Ent­schei­dungs­ebe­ne nicht ein­zeln zu­ge­rech­net wer­den kön­nen, also Ge­mein­kos­ten die­ser Ebe­ne dar­stel­len, wer­den als Ein­zel­ kos­ten auf der da­rü­ber lie­gen­den Ebe­ne er­fasst. Je­weils wird ver­sucht, die Kos­ ten auf der nied­ rigst­ mög­ li­ chen Ebe­ ne zu­ zu­ rech­ nen, es sei denn, dies ist zu auf­wän­dig (un­ech­te Ge­mein­kos­ten). Alle nicht wei­ter zu­re­chen­ba­ren Kos­ten wer­den auf der höchs­ten Ebe­ne als Ein­zel­kos­ten zu­ge­rech­net. Da­mit ist eine wei­test­ge­hen­de, the­o­re­tisch sau­be­re Zu­rech­nung der an­fal­len­den Kos­ten auf Kun­den mög­lich, je­doch ist dazu ein völ­li­ger Um­bau der Kos­ten­rech­nungs­ struk­tu­ren er­for­der­lich. We­gen der da­raus fol­gen­den Kom­ple­xi­tät ist der Ein­satz die­ses Ver­fah­rens in der Pra­xis al­ler­dings aus­ge­spro­chen sel­ten. 5.4.2.2 Kapitalwertmethode als Rechenbasis Nach der Ka­pi­tal­wert­me­tho­de er­gibt sich der Kun­den­le­bens­zeit­wert als Dif­ fe­renz al­ler auf­ge­zins­ten Zah­lungs­sal­den der Ver­gan­gen­heit und al­ler ab­ge­ zinsten ­Zah­lungs­sal­den der Zu­kunft. Ein po­si­ti­ver Ka­pi­tal­wert be­deu­tet dem­ nach, dass die ku­mu­lier­ten, zeit­lich be­rei­nig­ten Ein­zah­lun­gen in ei­nen Kun­den von den ku­mu­lier­ten, zeit­lich be­rei­nig­ten Aus­zah­lun­gen von die­sem Kun­den über­trof­fen wer­den. All­er­dings sind zur Er­mitt­lung des Ka­pi­tal­werts eine Rei­he von Stell­grö­ßen zu be­stim­men. Zu­nächst stellt sich die Fra­ge nach der Wahl des Zins­sat­zes, mit dem die je­wei­li­gen Ein- und Aus­zah­lun­gen be­rech­net wer­den. Denn die Höhe des Zins­sat­zes hat na­tur­ge­mäß ent­schei­den­den Ein­fluss auf die Höhe des Ka­pi­ tal­werts bzw. des Kun­den­le­bens­zeit­werts. Als Ba­sis wird ein Zins­satz ge­wählt, der bei al­ter­na­ti­ver Ver­wen­dung der Ein­zah­lun­gen für eine ri­si­ko­lo­se Ka­pi­tal­markt­an­la­ge er­ziel­bar ist. Denn dem Un­ter­neh­men stel­len sich die Al­ter­na­ti­ven der In­ves­ti­ti­on von Geld­be­trä­gen in



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den Auf­bau und Un­ter­halt ei­ner Kun­den­be­zie­hung, um da­raus Aus­zah­lun­gen zu er­rei­chen, die hö­her lie­gen als die­se In­ves­ti­ti­on, oder statt des­sen der Ver­wen­ dung die­ser Geld­mit­tel für die An­la­ge in ri­si­ko­lo­sen Wert­pa­pie­ren, um da­raus eine marktüb­li­che Ver­zin­sung zu er­zie­len. Ein po­si­ti­ver Ka­pi­tal­wert be­sagt un­ ter die­sen Vo­raus­set­zun­gen, dass die Kun­den­be­zie­hung über die Aus­zah­lun­gen, die al­ter­na­tiv bei Ka­pi­tal­markt­an­la­ge er­ziel­bar sind, hi­naus ei­nen Über­schuss er­bringt. Ein ne­ga­ti­ver Ka­pi­tal­wert be­sagt dann, dass es für das Un­ter­neh­men güns­ti­ger ist, die Kun­den­be­zie­hung auf­zu­ge­ben und da­durch frei­wer­den­de Geld­be­trä­ge ent­we­der am Ka­pi­tal­markt an­zu­le­gen oder in Be­zie­hun­gen zu an­ de­ren Kun­den zu in­ves­tie­ren. Ein ne­ga­ti­ver Ka­pi­tal­wert be­sagt also noch nicht, dass die Kun­den­be­zie­hung nicht loh­nend ist, son­dern nur, dass sie re­la­tiv zu ei­ner al­ter­na­ti­ven An­la­ge zum Markt­zins, we­ni­ger loh­nend ist als die­se. Von meh­re­ren Ka­pi­tal­wer­ten sind die Kun­den­be­zie­hun­gen mit dem höchs­ten Kun­den­le­bens­zeit­wert die Bes­ten. All­er­ dings stellt sich da­bei das Prob­lem der Wahl des Zins­sat­zes, die­ser schwankt durch­aus im Zeit­ablauf, so dass die Ka­pi­tel­wer­te ste­tig neu zu be­rech­nen sind. Im Üb­ri­gen ist frag­lich, ob ein Un­ter­neh­men wirk­lich die Al­ter­na­ti­ve der Ka­pi­ tal­markt­an­la­ge sieht, denn der Un­ter­neh­mens­zweck bes­teht, au­ßer bei Ban­ken, nicht in der ge­winnbrin­gen­den Ver­lei­hung von Geld­mit­teln, son­dern in der Ver­ fol­gung ei­nes Sach­ziels. Zu­sätz­lich hat ein Un­ter­neh­men wohl hö­he­re Er­folgs­ er­war­tun­gen als ein kon­ser­va­ti­ver In­ves­tor. Der Ver­gleich der Ka­pi­tal­wer­te ver­schie­de­ner Kun­den weist un­ter die­sen Vo­ raus­set­zun­gen de­ren un­ter­schied­li­che Ge­winn­träch­tig­keit aus. Dies ist aber nur der Brut­to­kun­den­le­bens­zeit­wert. Denn zwei­fel­los ist die In­ves­ti­ti­on in eine Kun­den­be­zie­hung ri­si­ko­hal­ti­ger als die­je­ni­ge in ei­ne mün­del­si­che­re Ka­pi­tal­ markt­an­la­ge. Da­her ist über den zu­grun­de ge­leg­ten Markt­zins­satz hi­naus eine Ver­zin­sung zu for­dern, die auch das un­gleich hö­he­re Ri­si­ko bei der In­ves­ti­ti­on in den Auf­ bau und Un­ter­halt ei­ner Ge­schäfts­be­zie­hung zu Kun­den kom­pen­siert. Es reicht also für die­se Zwe­cke mit­nich­ten ein Markt­zins­ni­veau aus, son­dern die­ses muss ent­spre­chend um ei­nen Ri­si­ko­zu­schlag er­höht wer­den. Ein po­si­ti­ver Ka­pi­tal­wert be­sagt dann un­ter die­sen Vo­raus­set­zun­gen, dass die Kun­den­be­zie­hung über die Aus­zah­lun­gen, die al­ter­na­tiv bei Ka­pi­tal­markt­an­la­ge er­ziel­bar sind, hi­naus ei­nen Über­schuss er­bringt, der hö­her liegt als die un­ter­neh­men­sin­di­vi­du­ell für er­for­ der­lich an­ge­se­he­ne Ri­si­ko­kom­pen­sa­ti­on aus der Ge­schäfts­tä­tig­keit. Ein ne­ga­ti­ ver Ka­pi­tal­wert be­sagt dann, dass es für das Un­ter­neh­men güns­ti­ger ist, die Kun­den­be­zie­hung auf­zu­ge­ben und da­durch frei­wer­den­de Geld­be­trä­ge in Be­zie­ hun­gen zu an­de­ren Kun­den zu in­ves­tie­ren, die eine Ver­zin­sung ober­halb des Markt­zins­ni­veaus er­brin­gen und als we­ni­ger ri­si­ko­hal­tig an­zu­se­hen sind. Bei der Er­mitt­lung die­ses Ri­si­ko­zu­schlags, etwa nach der CAPM(Ca­pi­tal As­ set Pri­cing Mo­del)-Me­tho­de, ist in­so­fern kun­denin­di­vi­du­ell vor­zuge­hen. Das heißt, jede Kun­den­be­zie­hung ist hin­sicht­lich ih­rer Ri­si­koträch­tig­keit zu be­wer­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

ten. Aus Prak­ti­ka­bi­li­täts­grün­den bie­tet es sich an, Kun­den glei­cher oder ähn­li­ cher Ri­si­ko­hal­tig­keit in Klas­sen mit ein­heit­li­chem Ri­si­ko­ka­pi­tal­zins­satz zu­sam­ menzufas­sen. 5.4.3

Stellgrößen zur Kundenwertermittlung

Zen­tra­le Be­grif­fe der Kun­den­wer­ter­mitt­lung sind die Quel­len für Ein­zah­lun­ gen in Kun­den und die Quel­len für Aus­zah­lun­gen von Kun­den. Ein­zah­lun­gen re­sul­tie­ren wie schon er­wähnt im We­sent­li­chen aus Auf­wen­dun­gen zur Erst­ak­ qui­si­ti­on, zur lau­fen­den Be­treu­ung, für Cross Sel­ling, für Wei­ter­emp­feh­lung an Drit­te, für die Kun­den­re­ak­ti­vie­rung, die Kün­di­gungs­rück­gän­gig­ma­chung, die Kun­denrückge­win­nung und den Kun­den­lie­fe­ran­teil­saus­bau. Aus­zah­lun­gen re­ sul­tie­ren wie er­wähnt im We­sent­li­chen aus Er­trä­gen des Erst­auf­trags, der Folge­ auf­trä­ge, dem Aus­bau der Lie­fe­ran­ten­be­zie­hung, von Dritt­auf­trä­gen aus Wei­ter­ emp­feh­lung, aus In­for­ma­ti­ons­nut­zen, aus Ko­o­pe­ra­ti­ons­nut­zen, aus Neu­auf­trag nach Kun­den­re­ak­ti­vie­rung und aus Kun­den­ka­pi­ta­li­sie­rung (siehe Abb. 48). 5.4.3.1 Positionen für Einzahlungen Kun­den­be­zie­hun­gen kön­nen in al­ler Re­gel nicht auf­wands­los etab­liert wer­ den. Viel­mehr ist ein Ini­ti­al­auf­wand er­for­der­lich, um in Fra­ge kom­men­de Kun­ den zu sich­ten, prä­fe­rier­te Kun­den an­zu­spre­chen, sich als po­ten­zi­el­ler Auf­trag­ neh­mer zu prä­sen­tie­ren und den Erst­auf­trag zu ak­qui­rie­ren. Da die Märk­te weit über­wie­gend durch eine Käu­fer­markt­si­tu­a­ti­on ge­kenn­zeich­net sind, also in­ten­ si­ver Wett­be­werb um Kun­den bes­teht, wer­den die für die Erstak­qui­sition zu in­ves­tie­ren­den Geld­be­trä­ge im­mer grö­ßer. Zug­leich steigt da­mit auch das Ri­ si­ko, denn kommt es nicht zum Erst­auf­trag oder bleibt es al­lein beim Erst­auf­ trag, rei­chen die da­mit er­ziel­ten Rück­flüs­se zu­meist nicht aus, die Ini­ti­al­in­ves­ ti­ti­on auch nur an­nä­hernd zu kom­pen­sie­ren. Da­mit aber bleibt ein ne­ga­ti­ver Kun­den­wert und eine Ein­schrän­kung im ope­ra­ti­ven Er­geb­nis. Um die­ses Ri­si­ko zu ver­min­dern, ste­hen meh­re­re Ein­fluss­grö­ßen zur Ver­fü­ gung. So sind an die Sich­tung po­ten­zi­el­ler Kun­den umso stren­ge­re Maß­stä­be an­zu­le­gen, als je auf­wän­di­ger die Erstak­qui­si­ti­on an­zu­se­hen ist. Es soll­ten nur sol­che Kun­den ak­qui­si­to­risch kon­tak­tiert wer­den, de­ren Ge­winn­träch­tig­keit tat­ säch­lich er­här­tet ist. Auch ist die An­ge­bots­erstel­lung zu prü­fen. Häu­fig sind An­ge­bo­te in Kon­kur­renz zu an­de­ren An­bie­tern in Aus­schrei­bun­gen ab­zu­ge­ben. Liegt da­bei ein ein­heit­li­cher Pflich­ten­ka­ta­log zu­grun­de, kann die Er­folgs­chan­ce nur dann über den Preis hi­naus er­höht wer­den, wenn ein ge­son­der­tes An­ge­bot mit Kun­den­nut­zen stif­ten­der Aus­le­gung ab­ge­ge­ben wird. Mög­lichst ist die Pitch-Si­tu­a­ti­on zu ver­mei­den, in­dem im Vor­feld der Auf­trags­ver­ga­be pro­ak­tiv auf die Kun­den­ent­schei­dung zu ei­ge­nen Guns­ten ein­ge­wirkt wird. Bei ab­ge­ge­ be­nen An­ge­bo­ten ist zu­dem eine An­ge­bots­ver­fol­gung un­er­läss­lich. Zum ei­nen,



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung175

Einzahlungen

Auszahlungen

in Kunden

von Kunden

Erstakquisition

Erstauftragserlös

laufende Betreuung

Folgeauftragserlöse

Cross Selling

Mehrfachauftragserlöse

Weiterempfehlungspotenzial

Weiterempfehlung

Kundenreaktivierung

Neuauftrag nach Kundenreaktivierung

Kündigungsrückgängigmachung

Informationsnutzen

Kundenrückgewinnung

Kooperationsnutzen

Kundenlieferanteilsausbau

Ausbau der Lieferantenbeziehung

Abb. 48: Einzahlungen in Kunden/Auszahlungen von Kunden

um Miss­verständ­nis­se im Kun­den­verständ­nis vor­zu­beu­gen, zum an­de­ren, um evtl. Nach­bes­se­run­gen durch­set­zen zu kön­nen. Selbst wenn das nicht ge­lingt, ent­steht aus den Grün­den für die Ab­leh­nung ei­nes An­ge­bots ein Lern­ef­fekt, der die Zu­schlags­wahr­schein­lich­keit bei der nächs­ten An­ge­bots­ab­ga­be er­höht. In­so­ fern soll­te im­mer nach­ge­hakt wer­den, was kein verständ­nis­vol­ler Part­ner ver­ wei­gern wird. Da­rü­ber hi­naus ist an­zu­stre­ben, Kun­den über den Erst­auf­trag hi­naus wäh­rend ei­nes ge­wis­sen Zeit­raums zu bin­den, um da­mit die Chan­ce auf Re­fi­nan­zie­rung

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A. Vertriebskonzept und Controlling

ge­tä­tig­ter In­ves­ti­ti­o­nen zu er­hö­hen. Ob ent­spre­chen­de ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­ gen durch­setz­bar sind, hängt von der Markt­po­si­ti­on des An­bie­ters re­la­tiv zum Nach­fra­ger ab. Es ent­ste­hen aber nicht nur Auf­wen­dun­gen für die Erstak­qui­si­ti­on, son­dern auch sol­che für die lau­fen­de Be­treu­ung ei­nes Kun­den. Kun­den bin­den durch ihre In­ter­ak­ti­on Res­sour­cen im Un­ter­neh­men, die kos­ten­be­wehrt sind. Die Auf­wands­ hö­ he ist ab­ hän­ gig von der Kun­ den­ wer­ tig­ keit, aber durch­ aus auch von der Kunden­grö­ße. Denn hin­ter der Be­treu­ung von Kun­den ste­hen Ge­schäfts­pro­zes­se, die, un­ab­hän­gig vom Auf­trags­vo­lu­men ei­nes Kun­den, in vie­len Fäl­len im­mer gleich auf­wän­dig sind. Die­se Pro­zess­kos­ten le­gen sich je­doch mit stei­gen­dem Auf­trags­wert im­mer bes­ser je Ein­heit um. Dies spricht für eine Kon­zen­tra­ti­on der Be­treu­ung auf re­la­tiv we­ni­ge gro­ße Kun­den. Für eine brei­te­re Auf­fä­che­rung des be­treu­ten Kun­den­krei­ses spricht je­doch ei­ner­seits die Mög­lich­keit ei­ner ge­wis­sen Ri­si­ko­streu­ung über die­se Kun­den hin­weg und an­de­rer­seits die Tat­sa­che, dass auch „gro­ße“ Kun­den ein­mal „klein“ ge­star­tet sind. Wird die Be­treu­ung von Kun­den mit ge­rin­ge­rem Auf­trags­vo­lu­men da­her ab­ge­lehnt oder zu­min­dest re­du­ ziert, bes­teht die Ge­fahr, dass da­mit eine Be­zie­hung in ei­nem frü­hen Sta­di­um ge­kippt wird, die im Zeit­ablauf sehr pro­fi­ta­bel hät­te wer­den kön­nen. In dem Maße, wie eine Kun­den­be­zie­hung ge­fes­tigt ist, bes­teht die Mög­lich­ keit, die Auf­trags­be­zie­hung auf eine brei­te­re Ba­sis zu stel­len, in­dem über die bes­te­hen­den Pro­duk­te und Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten hi­naus wei­te­re Auf­trä­ge an­ge­ bahnt wer­den. Da­bei ist zu­nächst an die Er­wei­te­rung der Auf­trags­ba­sis auf an­de­re Pro­duk­te im ei­ge­nen Pro­gramm zu den­ken. Dann an die Er­wei­te­rung der Auf­trags­ba­sis auf an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten beim Kun­den und die Er­wei­te­ rung der Auf­trags­ba­sis für an­de­re Ver­triebs­ge­bie­te durch in­ter­ne Wei­ter­emp­feh­ lung. Ak­qui­si­ti­on durch Cross Sel­ling ist die ver­gleichs­wei­se spar­sams­te Form der Aus­wei­tung der Kun­den­ba­sis. Dies ge­lingt umso bes­ser, als ein in­ter­ner Vor­ver­kauf des An­bie­ters durch be­reits in In­ter­ak­ti­on be­find­li­che Kun­den­mit­ar­ bei­ter er­folgt. Wei­ter­hin bes­teht ein In­for­ma­ti­ons­vor­sprung vor ex­ter­nen Kon­ kur­ren­ten um ei­nen Auf­trag, da die Kul­tur und Ge­schäfts­pro­zes­se des Kun­den­ un­ter­neh­mens be­reits ver­traut sind und eine Neu­ge­schäfts­an­bah­nung ziel­ge­rich­ tet ge­stal­tet wer­den kann. Im Zuge die­ser Ge­stal­tung fal­len je­doch un­zwei­fel­haft wie­der­um Auf­wen­dun­gen zur Er­zie­lung von Cross Sel­ling an. Aus zu­frie­denstel­lend ab­ge­wi­ckel­ten Auf­trä­gen er­gibt sich ein er­heb­li­ches Wei­ter­emp­feh­lungs­po­ten­zi­al, da die Ge­schäfts­part­ner ei­ner Funk­ti­on oder Ebe­ne un­ter­neh­mensüber­grei­fend in Kon­takt un­ter­ei­nan­der ste­hen. Häu­fig wird auch die An­ga­be von Re­fe­ren­zen aus­drück­lich als Vo­raus­set­zung für eine neue Auf­ trags­ver­ga­be ver­langt. Da­her kommt es zu ei­nem po­si­ti­ven Mul­ti­pli­ka­ti­onseffekt­ aus der er­folg­rei­chen Ge­schäfts­tä­tig­keit für ei­nen Kun­den auf an­de­re po­ten­zi­ el­le Kun­den. Eben­so wie die­se po­si­ti­ve Mul­ti­pli­ka­ti­on kommt es aber auch, und zwar er­fah­rungs­ge­mäß in noch weit­aus hö­he­rem Maß, zur ne­ga­ti­ven Mul­ti­pli­ ka­ti­on im Fal­le ei­ner un­zu­frie­den­heits­stif­ten­den Ge­schäfts­be­zie­hung.



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung177

Die Wei­ter­emp­feh­lung kann ge­zielt for­ciert wer­den, in­dem Kun­den an­ge­fragt wer­den, ob man sie bei Be­ darf als Re­ fe­renz nen­nen darf (da­bei ist nur die na­ment­li­che Nen­nung er­folg­ver­spre­chend). Au­ßer­dem kann ver­sucht wer­den, vers­tärkt mit he­raus­ge­ho­be­nen Un­ter­neh­men in Ge­schäfts­kon­takt zu tre­ten, de­ nen also Vor­bild­cha­rak­ter in ei­ner Bran­che zu­kommt. Da­durch wer­den nach­ran­ gi­ge Un­ter­neh­men an­ge­reizt, sich mit ei­nem neu­en Lie­fe­ran­ten zu be­schäf­ti­gen. Häu­fig ist es sinn­voll, die Ge­schäftsauf­nah­me mit sol­chen Vor­bild­kun­den zu pro­vo­zie­ren, in­dem die­sen eine kos­ten­lo­se, oder zu­min­dest ri­si­ko­lo­se Auf­trags­ er­tei­lung ge­währt wird. Die da­bei in­ves­tier­ten Geld­be­trä­ge zah­len sich im Er­ folgs­fall leicht durch po­si­ti­ve Mul­ti­pli­ka­ti­on wie­der aus. All­er­dings gibt es in vie­len Bran­chen auch Kon­kur­renz­aus­schluss­klau­seln, so dass eine Wei­ter­emp­feh­lung in­ner­halb der Bran­che nur be­grenzt er­folg­reich ist, wenn näm­lich das wei­ter­emp­foh­le­ne Un­ter­neh­men ei­nen hö­he­ren Kun­den­wert ver­spricht als das wei­ter­emp­feh­len­de. Eine Wei­ter­emp­feh­lung über Bran­chen­ gren­zen hin­weg ist je­doch we­ni­ger wirk­sam. Pas­si­ve Kun­den darf man auf gar kei­nen Fall ab­schrei­ben, viel­mehr ist eine Kun­den­re­ak­ti­vie­rung an­zu­stre­ben. Da­für ist nach Grün­den zu for­schen, war­um die­se Kun­den pas­siv ge­wor­den sind. Die­se kön­nen viel­fäl­tig sein, hier nur ei­ ni­ge häu­fi­ge Grün­de. So kann der ver­trau­te Kon­takt­mit­ar­bei­ter im Kun­den­un­ ter­neh­men ge­wech­selt ha­ben, und es ist un­ter­las­sen wor­den, die Be­zie­hungs­brü­ cke zu sei­nem Nach­fol­ger zu schla­gen. Oder ein Kon­kur­rent hat ei­nen Teil des Lie­fer­an­teils des ei­ge­nen Un­ter­neh­mens beim Kun­den über­nom­men, so dass die Ge­schäfts­be­zie­hung lei­det. Oder der Be­darf an bis­her ge­lie­fer­ten Pro­duk­ten ist beim Kun­den zu­rück­ge­gan­gen, etwa we­gen Ge­schäfts­feld­ver­la­ge­rung oder Kon­ junk­tur­ein­brü­chen. Oder es gibt ver­deck­te Un­zu­frie­den­heit mit der Be­treu­ung beim Kun­den, wor­aus die­ser mit Ver­är­ge­rung durch Be­auf­tra­gung von Kon­kur­ ren­ten re­a­giert. Oder der Kun­den­kon­takt­mit­ar­bei­ter im ei­ge­nen Un­ter­neh­men hat ge­wech­selt, und dem Nach­fol­ger ist der Brü­cken­schlag von sei­nem Vor­gän­ ger nicht ge­lun­gen. So­fern kei­ne ob­jek­ti­ven Grün­de da­ge­gen spre­chen und die Kun­den­wert­prog­ no­se po­si­tiv ist, muss in je­dem Fall ver­sucht wer­den, die Be­zie­hung zum Kunden wie­der auf das vor­he­ri­ge In­ten­si­täts­ni­veau zu brin­gen oder noch da­rü­ber hi­naus zu stei­gern. Denn zum ei­nen bin­det die­ser Kun­de die Ak­qui­si­ti­ons- und Be­treu­ungs­auf­wen­dun­gen der Ver­gan­gen­heit und zum an­de­ren ist man auch als pas­si­ver Lie­fe­rant im­mer noch nä­her am Kun­den dran als je­der außenstehende An­bie­ter, so­ dass auch die Er­folgs­chan­cen hö­her sind als bei an­de­ren An­bie­tern. Mit die­sen Ak­ti­vi­tä­ten sind je­doch un­trenn­bar Auf­wen­dun­gen zur Kun­den­re­ak­ ti­vie­rung ver­bun­den. Häu­fig füh­len Kun­den­mit­ar­bei­ter sich auch nur in der Be­treu­ung ver­nach­läs­ sigt und re­a­gie­ren als Warn­sig­nal mit der Stre­ckung von Auf­trä­gen. Wird die­ses Warn­sig­nal über­se­hen, kann es zu ei­ner Ver­här­tung der Fron­ten kom­men, und ein an sich po­ten­zi­alstar­ker Kun­de ist ver­meid­bar ab­ge­wan­dert.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Falls Kun­den­be­zie­hun­gen durch Dau­er­lie­fer­ver­trä­ge in­sti­tu­ti­o­na­li­siert sind, wird der Rück­zug des Kun­den durch sei­ne Kün­di­gung do­ku­men­tiert. Die­se darf auf kei­nen Fall hin­ge­nom­men wer­den (Kün­di­gungs­rück­gän­gig­ma­chung). Vielmehr gilt es, un­mit­tel­bar nach Be­kannt­wer­den der Kün­di­gung beim Kun­den sei­ne Be­weg­grün­de da­für he­raus­zu­fin­den. So­fern die­se auch nur ent­fernt kor­ri­ gier­bar er­schei­nen, ist un­be­dingt zu ver­su­chen, den Kun­den zur Rück­gän­gig­ma­ chung sei­ner Kün­di­gung zu be­we­gen (Churn Ma­na­ge­ment). Denn wie­der­um be­deu­tet die Kün­di­gung den Zu­sam­men­bruch des Kun­den­werts. Häu­fig ist die Kün­di­gung auch ein Zei­chen des Pro­tests des Kun­den­mit­ar­bei­ters ge­gen eine sub­jek­tiv so von ihm emp­fun­de­ne schlech­te Be­treu­ung­. Oder Kun­den­mit­ar­bei­ter un­ter­lie­gen der Ei­tel­keit des Um­wor­ben­seins durch an­de­re An­bie­ter und ha­ben sich be­reits so­weit ver­ket­tet, dass sie sich beim neu­en An­bie­ter im Wort füh­len. Dann ist es hilf­reich, die voll­mun­di­gen Ver­spre­chun­gen der Kon­kur­ren­ten über de­ren über­ra­gen­de Leis­tungs­fä­hig­keit zu re­la­ti­vie­ren oder zu­min­dest auf die Pro­be stel­len zu las­sen. Ein an­de­rer häu­fi­ger Grund ist die Re­du­zie­rung der Lie­fe­ran­ten­an­zahl auf zwei oder auch nur ei­nen Lie­fe­ran­ten, wo­bei aber bei öko­no­misch ra­ti­o­na­ler Sicht­wei­se die Fra­ge zu stel­len ist, ob der Kun­de da­bei den oder die bei­den „rich­ti­gen“ Lie­fe­ran­ten aus­ge­wählt hat. Die­se Kon­zen­tra­ti­on der Lie­fe­ran­ten­be­ zieh­nun­gen ist im Zuge zu­neh­men­den Out­sour­cings zur Kom­plex­itäts­re­duk­ti­on er­for­der­lich ge­wor­den und er­mög­licht auch eine bes­se­re Vers­chrän­kung der ge­gen­sei­ti­gen Wert­schöp­fungs­ket­ten. Selbst be­reits ver­lo­ren ge­gan­ge­ne Kun­den müs­sen un­ter Kun­den­wer­tas­pek­ten un­be­dingt ver­sucht wer­den, zu­rück zu ge­win­nen (Cus­to­mer Re­co­ve­ry). Die­se Kun­den­rück­ge­win­nung setzt zu­nächst vo­raus, dass der Ab­bruch der Ge­schäfts­ be­zie­hun­gen in ei­ner Art und Wei­se er­folgt ist, dass man sich vor­stel­len kann, spä­ter­hin wie­der prob­lem­los part­ner­schaft­lich zu­sam­men zu ar­bei­ten. Da­her ist bei ei­ner Tren­nung sei­tens des Auf­trag­neh­mers in je­dem Fall da­rauf zu ach­ten, dass kei­ne „ver­brann­te Erde“ zu­rück­ge­las­sen wird. Ne­ben die­ser not­wen­di­gen Be­din­gun­g ist es aber wei­ter­hin er­for­der­lich, dem Kun­den ei­nen An­lass zu bie­ten, sei­ne Ge­schäfts­be­zie­hun­gen wie­der auf­zu­neh­ men. Dies ist ver­gleichs­wei­se ein­fach für den Fall der Un­zu­frie­den­heit mit dem al­ter­na­tiv zum Zuge ge­kom­me­nen Lie­fe­ran­ten. Für den Fall je­doch, dass der jet­zi­ge In Supp­lier kun­denori­en­tiert ar­bei­tet, bes­teht eine weit­aus hö­he­re Wie­ der­ein­tritts­hür­de. Sich da­bei auf ein ob­jek­tiv über­le­ge­nes An­ge­bot zu ver­las­sen, wird im­mer aus­sichts­lo­ser, da die Markt­an­ge­bo­te auf ho­hem Ni­veau zu­neh­mend aus­tausch­bar wer­den. Den Preis oder sons­ti­ge Kon­di­ti­o­nen zur Wie­der­ge­win­ nung ins Feld zu füh­ren, ist ris­kant, kommt man doch spä­ter­hin von die­sen „Kampf­kon­di­ti­o­nen“ nur schwer­lich wie­der he­run­ter. Umso be­deut­sa­mer ist die mensch­li­che Kom­po­nen­te der Zu­sam­men­ar­beit. So­fern ehe­ma­li­ger Kun­den­mit­ar­bei­ter und ehe­ma­li­ger Kun­den­kon­takt­mit­ar­bei­ter



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nach wie vor „mit­ei­nan­der kön­nen“, soll­te es bei bei­der­sei­ti­gem Good­will ei­nen Weg ge­ben, die Ge­schäfts­be­zie­hung wie­der auf­zu­neh­men. Ein ho­hes Maß an Kun­den­bin­dung si­chert den Kun­den­le­bens­zeit­wert ab. Da­ für gibt es zwei Ebe­nen, die Kun­den­ver­bun­den­heit auf vor­nehm­lich emo­ti­o­na­ler Ebe­ne, die zwei­fel­los die hö­he­re He­bel­wir­kung aus­zeich­net, oder die Kunden­ ge­bun­den­heit auf vor­nehm­lich fak­ti­scher Ebe­ne. Eine sol­che Ge­bun­den­heit kann aus Ver­trag, Ge­setz oder be­wuss­ter tech­ni­scher In­kom­pa­ti­bi­li­tät fol­gen, häu­fi­ger aber aus ei­nem gro­ßen Aus­maß an Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Kun­de und Lie­fe­rant. Bei­des führt zum Kun­den­lie­fe­ran­teil­saus­bau. Ein we­sent­li­cher In­di­ka­tor für die In­ten­si­tät der Zu­sam­men­ar­beit und da­mit die Kunden­ge­bun­den­heit ist der An­teil ei­nes Lie­fe­ran­ten mit sei­nen Lie­fe­run­gen am ge­sam­ten Be­schaf­fungs­vo­lu­men des Kun­den­un­ter­neh­mens. Geht man da­von aus, dass die Be­zie­hungs­in­ten­si­tät steigt, je häu­fi­ger Kon­takt­an­läs­se zwi­schen Lie­fe­rant und Ab­neh­mer ent­ste­hen, kann auf die­se Wei­se ein auf­wands­scho­nen­ des Wach­sen mit bes­te­hen­den Kun­den re­a­li­siert wer­den. Be­ginn­end etwa mit Pro­be­lie­fe­run­gen, die zu­frie­denstel­lend er­le­digt wer­den, wird der Kon­takt in­ten­ si­viert und führt da­mit zu An­läs­sen für wei­te­re Lie­fe­run­gen. Wenn die Auf­ nah­me in den Kreis der prä­fe­rier­ten Lie­fe­ran­ten ge­lingt, ist die ers­te wich­tige Hürde ge­nom­men. Durch die­se Qua­li­fi­zie­rung steigt bei­na­he zwangs­läu­fig das Auf­trags­vo­lu­men, so dass es ge­lin­gen kann, zur Al­ter­na­ti­ve für den Erst­lie­fe­ run­gen auf­zustei­gen. Häu­fig wird da­bei im Dual Sour­cing ein 70 : 30-Ver­hält­nis ge­fah­ren. Auf die­ser Ba­sis in­ten­si­viert sich der Kon­takt wei­ter. Zug­leich wird die Durch­set­zung trans­pa­ren­ter, da man sich jetzt nur noch auf ei­nen Kon­kur­ ren­ten kon­zen­trie­ren kann. Bei ent­spre­chen­der Leis­tung, und hier vor al­lem durch pro­duktbe­glei­ten­de Dienst­leis­tun­gen, kann viel­leicht der Auf­stieg zum Erst­lie­fe­ran­ten er­reicht wer­den. Der an­ge­neh­me Ne­ben­ef­fekt die­ser Vor­ge­hens­wei­se ist, dass die für den Lie­ fer­an­teil­saus­bau er­for­der­li­chen Auf­wen­dun­gen im­mer wie­der pro­zessbe­glei­tend durch Er­trä­ge aus Ab­schlüs­sen mit die­sem Kun­den ge­speist wer­den, also im Kern ei­ner Rein­ves­ti­ti­on ent­spre­chen, was durch­aus ri­si­ko­är­mer ist als Neu­in­ ves­ti­ti­o­nen und zu­gleich Fi­nanz­mit­tel für die Ak­qui­si­ti­on wei­te­rer Kun­den frei­ setzt. 5.4.3.2 Positionen für Auszahlungen So­fern eine Ak­qui­si­ti­on er­folg­reich ab­ge­schlos­sen wer­den konn­te, fol­gen da­ raus Aus­zah­lun­gen in­fol­ge aus­ge­stell­ter, und hof­fent­lich auch be­zahl­ter, Rech­ nun­gen. Häu­fig be­auf­tra­gen Kun­den für die ers­te Zu­sam­men­ar­beit nur ein li­mi­ tier­tes Auf­trags­vo­lu­men, um das Ri­si­ko ei­ner Fehl­ent­schei­dung ge­ring zu hal­ten. Aber selbst bei über­durch­schnitt­li­chem Erst­auf­trags­vo­lu­men rei­chen die da­raus re­sul­tie­ren­den Er­trä­ge nor­ma­ler­wei­se bei Wei­tem nicht aus, be­reits die Auf­wen­ dun­gen in die Erst­ak­qui­si­ti­on zu kom­pen­sie­ren. In­so­fern ist ge­ra­de beim Erst­

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A. Vertriebskonzept und Controlling

auf­trag al­les En­ga­ge­ment in eine zu­frie­denstel­len­de Ab­wick­lung zu ste­cken, da­mit Zu­frie­den­heit im Er­leb­nis des Kun­den bleibt, die ihn mo­ti­viert, Fol­ge­auf­ trä­ge an den glei­chen Lie­fe­ran­ten zu ver­ge­ben. In dem Maße, wie es ge­lingt, die­se Fol­ge­auf­rä­ge zu vers­te­ti­gen, wer­den die Ini­ti­al­in­ves­ti­ti­o­nen in die Kun­ den­be­zie­hung auf­ge­holt. Je­doch bes­teht da­bei auch die Ge­fahr, dass mit der Er­le­di­gung des Erst­auf­ trags Er­war­tun­gen beim Kun­den hin­sicht­lich der Leis­tung bei Fol­ge­auf­trä­ge ge­weckt wer­den, die dann nicht ein­ge­löst wer­den kön­nen. Dies führt dann zur Un­zu­frie­den­heit, die der Lie­fe­rant selbst pro­vo­ziert hat. In­so­fern ist auch die frü­her pro­pa­gier­te Be­geis­te­rung des Kun­den zu­rück­hal­tend zu se­hen. Als Pos­ tulat soll­te viel­mehr gel­ten, den Kun­den voll zu­frie­den zu stel­len, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Häu­fig ist aber ge­ra­de der Erst­auf­trag an­fäl­lig für Leis­tungs­män­gel. Die in­ for­ma­to­ri­schen und ma­te­ri­el­len Pro­zes­se im Un­ter­neh­men sind noch nicht für den Kun­den op­ti­miert, Stamm­da­ten feh­len und Zu­stän­dig­kei­ten sind un­klar. Ein schlecht er­le­dig­ter Erst­auf­trag ist aber die denk­bar schlech­tes­te Ein­tritts­kar­te in eine Kun­den­be­zie­hung, so dass an­stel­le weit­hin un­nö­ti­ger Be­geis­te­rungs­leis­tun­ gen bes­ser die Ein­hal­tung selbst ge­setz­ter Qua­li­täts­gra­de, wie sie für Auf­trä­ge bes­te­hen­der Kun­den selbst­verständ­lich sind, ge­si­chert wer­den soll­te. Der Erst­auf­trag wird häu­fig aus Ge­fäl­lig­keit oder auch nur zum Test von Kun­den er­teilt. Teil­wei­se wer­den bes­te­hen­de Lie­fe­ran­ten dann mit den ag­gres­ si­ven Erst­auf­trags­kon­di­ti­o­nen ei­nes neu­en Lie­fe­ran­ten kon­fron­tiert, um bei die­ sen die Kon­di­ti­o­nen zu drü­cken, ohne über­haupt die ernst­haf­te Ab­sicht zu ei­ nem Wech­sel zu ha­ben. In­so­fern ist der Erst­auf­trag kei­ne so gro­ße Kunst, die Kunst bes­teht viel­mehr da­rin, Er­trä­ge aus Fol­ge­auf­trä­gen zu er­zie­len und da­bei eine ge­wis­se Kon­ti­nu­ie­rung zu er­rei­chen. Ob­gleich dies er­heb­li­che Res­sour­cen bin­det, ist die Be­treu­ung ei­nes Be­ stands­kun­den um ein Viel­fa­ches (man geht vom 3–7-fa­chen aus) kos­ten­güns­ti­ ger als die Ak­qui­si­ti­on ei­nes Neu­kun­den. In­so­fern ist zu er­ken­nen, dass die viel­fach be­wun­der­ten Ak­qui­si­teu­re in Un­ter­neh­men tat­säch­lich eher Geld­ver­ nich­ter in gro­ßem Um­fang sind, wo­bei frag­lich ist, ob und wann die­ses ver­nich­ te­te Geld wie­der zu­rück­ge­won­nen wer­den kann. Der viel­fach ge­schmäh­te Be­ stands­kun­den­be­treu­er (Ver­kaufs­in­nen­dienst) je­doch si­chert durch sei­ne Tä­tig­keit das ope­ra­ti­ve Er­geb­nis und da­mit die in­ne­ren Substanz des Un­ter­neh­mens. In der Pra­xis geht es bei eng be­grenz­ten Res­sour­cen oft da­rum, ob die­se eher für die spe­ku­la­ti­ve Ak­qui­si­ti­on neu­er Kun­den oder die schüt­zen­de Be­treu­ung beste­ hen­der Kun­den ein­ge­setzt wer­den sol­len. Ab­ge­se­hen von stark wach­sen­den Märk­ten oder bei Neu­be­ginn ei­nes Un­ter­neh­mens ist da­bei im­mer der Be­stands­ kun­den­be­treu­ung Vor­rang ein­zu­räu­men. Prob­lem­atisch ist vor al­lem der Wech­sel der Be­treu­ung vom Erst- zum Fol­ ge­auf­trag. Meist schi­cken Un­ter­neh­men ihre leis­tungs­fä­higs­ten Ma­na­ger zur Ak­qui­si­ti­on von Erst­auf­trä­gen in den Markt. Die­se über­zeu­gen dann ne­ben der



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung181

als un­ver­zicht­bar an­zu­se­hen­den Pro­dukt­qua­li­tät vor al­lem durch ihre Per­sön­ lich­keit. Ka­um, dass der Erst­auf­trag aber er­teilt ist, wird die Be­treu­ung an ei­nen nach­ran­gi­gen Mit­ar­bei­ter über­tra­gen, der nun das Ta­ges­ge­schäft über­nimmt. Der cha­ris­ma­ti­sche Ak­qui­si­teur ist da­für längst bei an­de­ren po­ten­zi­el­len Neu­ kun­den un­ter­wegs. Dies wird von Kun­den nicht sel­ten als Zu­rück­stu­fung emp­ fun­den, so dass es zu be­vor­zu­gen ist, dass Erst- und Fol­ge­auf­trä­ge vom sel­ben Kun­den­kon­takt­mit­ar­bei­ter be­treut wer­den. Die­ser kann für die Ak­qui­si­ti­onspha­se durch­aus Un­ter­stüt­zung von ei­nem be­son­ders qua­li­fi­zier­ten Ma­na­ger er­hal­ten, soll­te aber von An­fang an da­bei sein und blei­ben. Mehr­fach­auf­trä­ge be­zie­hen sich auf bis­her nicht be­stell­te Pro­duk­tar­ten, auf Auf­trä­ge von an­de­ren, bis­her nicht kon­tak­tier­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten des Kun­den oder aus an­de­ren Ver­triebs­ge­bie­ten des Kun­den. Bei die­sen an­de­ren Pro­duk­ten kann es sich um hö­her­wer­ti­ge Ver­si­o­nen der sel­ben Pro­duk­tart aus dem ei­ge­nen Pro­gramm han­deln und / oder um an­ders­ar­ti­ge Pro­duk­te aus dem ei­ge­nen Pro­gramm. Bei den bis­her nicht kon­tak­tier­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten kann es sich um an­de­re Spar­ten, an­de­re Be­triebs­stand­or­te oder an­de­re Un­ter­ neh­men in­ner­halb ei­nes Kon­zerns han­deln bzw. bei den an­de­ren Ver­triebs­ge­bie­ ten um die Län­der­gren­zen über­schrei­ten­de Ge­schäfts­kon­tak­te. Es ist je­doch na­he­lie­gend, dass das Po­ten­zi­al des Aus­baus der Lie­fe­ran­ten­be­ zie­hung bei der Pro­duk­tart, die be­reits Ge­gen­stand der lau­fen­den Ge­schäfts­be­ zie­hung ist, bald aus­ge­reizt ist. Da­her kommt es da­rauf an, dem Kun­den an­de­re als die­se Pro­duk­te an­zu­die­nen. Er­trä­ge aus Pro­be­auf­trä­gen bei die­sen an­de­ren Pro­duk­ten er­hö­hen den Kun­den­wert al­ler­dings nur dann, wenn da­raus eine kon­ ti­nu­ier­li­che Be­auf­tra­gung folgt. Weit­ge­hend auf­wands­lo­se Er­trä­ge kön­nen aus der Wei­ter­emp­feh­lung bes­te­ hen­der, zu­frie­de­ner Kun­den bei de­ren Ge­schäfts­freun­den ent­ste­hen. Die­ser Mul­ ti­pli­ka­ti­ons­ef­fekt ist zwar ge­rin­ger (bis zu 3-fach) als der ne­ga­ti­ve Mul­ti­pli­ka­ ti­ons­ef­fekt un­zu­frie­de­ner Kun­den (7–13-fach), aber den­noch vor­han­den. Für die Kun­den­wert­be­rech­nung er­gibt sich eine ge­wis­se Prob­le­ma­tik in­so­ fern, als die­se Auf­trags­wer­te dop­pelt ver­rech­net wer­den, näm­lich ein­mal beim Kun­den­le­bens­zeit­wert des wei­ter­emp­feh­len­den Un­ter­neh­mens und dann noch bei den Kun­den­le­bens­zeit­wer­ten die­ser drit­ten Un­ter­neh­men. Eine sol­che Ver­ zer­rung der Rech­nung ist aber nicht ak­zep­ta­bel. Da­her sind die Um­sät­ze durch Dritt­auf­trä­ge aus Wei­ter­emp­feh­lung an­tei­lig auf den bes­te­hen­den Kun­den und die wei­ter­emp­foh­le­nen drit­ten Un­ter­neh­men auf­zu­tei­len. Denk­bar ist etwa eine 50  :  50-Auf­tei­lung, wo­bei 50  % des Auf­trags­vo­lu­mens durch Wei­ter­emp­feh­lung dem Wei­ter­emp­feh­ler und 50  % dem Dritt­un­ter­neh­men zu­ge­rech­net­ wer­den. Es kön­nen aber auch an­de­re An­tei­le be­stimmt wer­den, je nach­dem, ob die Wei­ter­ emp­feh­lungs­wir­kung zur Ge­ne­rie­rung zu­sätz­li­cher Auf­trä­ge bei Drit­ten durch den bes­te­hen­den Kun­den hö­her oder nied­ri­ger ein­ge­schätzt wird.

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A. Vertriebskonzept und Controlling

Eine völ­li­ge an­de­re Vor­ge­hens­wei­se er­gibt sich, wenn man die Wei­ter­emp­ feh­lung durch ei­nen Mul­ti­pli­ka­tor >  1 auf Ba­sis al­ler Aus­zah­lun­gen zu­guns­ten des bes­te­hen­den Kun­den be­rück­sich­tigt und das Auf­trags­vo­lu­men des Dritt­auf­ trags die­sem Dritt­kun­den al­lein und voll zu­schreibt. Da­durch wür­de die Fä­hig­ keit ei­nes Kun­den zum Aus­druck ge­bracht, über sei­ne ei­ge­nen Auf­trä­ge hi­naus zu­sätz­li­che Auf­trags­vo­lu­mi­na zu in­du­zie­ren. Es ist durch­aus ak­zep­ta­bel, dass die­se Fä­hig­keit in Ab­hän­gig­keit vom ab­so­lu­ten Auf­trags­vo­lu­men durch ei­nen Mul­ti­pli­ka­tor zum Aus­druck ge­bracht wird. Bei ei­nem Neu­auf­trag nach Kun­den­re­ak­ti­vie­rung zu ei­nem Kun­den, zu dem be­reits Ge­schäfts­be­zie­hun­gen un­ter­hal­ten wur­den, muss in je­dem Fall der Kun­ den­wert aus der ver­gan­ge­nen Ge­schäfts­be­zie­hung in die ak­tu­ell neu auf­ge­nom­ mene über­nom­men wer­den. Da­mit rech­net sich auch ein Neu­auf­trag, der al­lein nicht trag­fä­hig ist, wenn der Kun­den­wert in der ab­ge­lau­fe­nen Ge­schäfts­be­zie­hung be­reits po­si­tiv war. Neu­auf­trä­ge von Kun­den, de­ren Kun­den­wert in der ab­ge­lau­ fe­nen Ge­schäfts­be­zie­hung je­doch be­reits ne­ga­tiv war, soll­ten ab­ge­lehnt wer­den. Da­bei ist au­ßer­dem zu be­rück­sich­ti­gen, dass auch der Neu­auf­trag sehr wahr­ schein­lich nicht auf­wands­los zu er­rei­chen ist, da­mit also den Kun­den­wert schmä­ lert (im po­si­ti­ven Be­reich verbessert bzw. im ne­ga­ti­ven Be­reich ver­schlech­tert). Dies ist vor Ak­qui­rie­rung bzw. Ak­zep­tie­rung ei­nes Neu­auf­trags ein­zu­rech­nen. Bei Neu­auf­trä­gen kön­nen durch­aus vor­teil­haf­te­re Kon­di­ti­o­nen als vor­dem aus­ge­ han­delt wer­den, als es viel­leicht noch da­rum ging, ei­nen ab­wan­de­rungs­be­rei­ten Kun­den mit Son­der­kon­di­ti­o­nen doch noch zur Auf­recht­er­hal­tung der Ge­schäfts­ be­zie­hung zu be­we­gen, weil die re­ak­ti­vier­ten Kun­den nach ih­rem Um­stieg hoch­ wahr­schein­lich mit an­de­ren ver­gleich­ba­ren Lie­fe­ran­ten un­zu­frie­den­heits­stif­ten­de Kauf­er­leb­nis­se hat­ten, die dazu füh­ren, dass sie be­reit sind, zu ih­rem ver­trau­ten Lie­fe­ran­ten zu­rück­zu­keh­ren und diesem eine „Zu­frie­den­heits­prä­mie“ zu­zu­geste­ hen. Denn un­ter­lag be­reits der da­vor aus­ge­lau­fe­nen Ge­schäfts­be­zie­hung Un­zu­ frie­den­heit, wä­ren die­se Kun­den oh­ne­hin nicht mehr zum Lie­fe­ran­ten zu­rück­ge­ kehrt, son­dern hät­ten an­de­re Lie­fe­ran­ten aus­pro­biert. Wenn es dazu auf­grund vo­rü­ber­ge­hen­der oder dau­er­haf­ter re­la­ti­ver Mo­no­po­le kei­ne Chan­ce gibt, ist erst recht eine Chan­ce zur Kon­di­ti­o­nen­ver­bes­se­rung ge­ge­ben. Kaum hoch ge­nug be­wer­tet wer­den kann der In­for­ma­ti­ons­nut­zen, der ei­nem Lie­fe­ran­ten aus der bes­te­hen­den Ge­schäfts­be­zie­hung ge­gen­über sei­nen Kon­kur­ ren­ten er­wächst, die in kei­ner ak­tu­el­len Ge­schäfts­be­zie­hung zum Kun­den ste­ hen. Dies be­zieht sich ne­ben for­mel­len, auch Au­ßen­ste­hen­den zu­gäng­li­chen In­for­ma­ti­o­nen, vor al­lem auf in­for­mel­le, nicht wei­ter do­ku­men­tier­te In­for­ma­ti­ o­nen, die nur im di­rek­ten Kun­den­kon­takt zu er­lan­gen sind. Da­her soll­ten Top­ ma­na­ger jede sich bie­ten­de Ge­le­gen­heit nut­zen, mit Kun­den­mit­ar­bei­tern di­rekt in Kon­takt zu tre­ten bzw. zu blei­ben. So kann ein Lie­fe­rant sich auf Ge­schäfts­ verän­de­run­gen des Kun­den früh­zei­tig ein­stel­len, z.  B. Grün­dung neu­er Ge­ schäfts­be­rei­che, In­ter­na­ti­o­na­li­sie­rung des Ver­triebs, Umstel­lung der Auf­bau­or­ ga­ni­sa­ti­on. Auch lei­ten sich aus dem auf­merk­sa­men Kun­den­kon­takt viel­fäl­ti­ge



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung183

Ideen für neue Pro­dukt­an­ge­bo­te ab, die durch Ver­än­de­rung bes­te­hen­der Prob­ lem­lö­sun­gen oder Kom­bi­na­ti­on von Pro­duk­ten zu neu­en Prob­lem­lö­sun­gen ent­ ste­hen kön­nen. Über den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal Kun­de wer­den bes­te­hen­den Lie­fe­ran­ten auch viel­fäl­ti­ge In­for­ma­ti­o­nen über das Markt­um­feld des Kun­den, sei­ne Bran­ che und sei­ne ei­ge­ne Kun­den, zu­gäng­lich, die in er­folg­rei­che ge­schäft­li­che Ak­ti­vi­tä­ten mün­den kön­nen. Bei Aus­schrei­bun­gen kann die­ser In­for­ma­ti­ons­vor­ sprung durch zielge­naue An­ge­bo­te in­stru­menta­li­siert wer­den. Sie er­mög­li­chen ein pro­ak­ti­ves Han­deln, das be­reits Fakt ge­wor­den sein kann, be­vor an­de­re An­bie­ter über­haupt die Ge­schäfts­chan­ce ge­wahr wer­den. Auch hier ist eine völ­lig an­de­re Vor­ge­hens­wei­se denk­bar, in­dem der abst­rak­te In­for­ma­ti­ons­nut­zen aus ei­nem Kun­den durch ei­nen Mul­ti­pli­ka­tor >  1, ba­sie­rend auf des­sen Aus­zah­lun­gen, bei die­sem be­rück­sich­tigt wird. Da­durch wird die Fä­hig­keit ei­nes Kun­den zum Aus­druck ge­bracht, über die aus der Zu­sam­men­ ar­beit be­reits re­sul­tie­ren­den Auf­trä­ge hi­naus An­satz­punk­te für wei­te­re Auf­trä­ge zu ge­ben. Da­bei wird un­terstellt, dass die­se Fä­hig­keit mit dem ab­so­lu­ten Auf­ trags­vo­lu­men des be­tref­fen­den Kun­den steigt, was durch ei­nen Mul­ti­pli­ka­tor zum Aus­druck ge­bracht wird. Die Be­zie­hun­gen von Lie­fer- und Ab­neh­mer­un­ter­neh­men wer­den zu­neh­mend un­ter­neh­mensüber­grei­fend als Wert­schöp­fungs­ket­te ver­stan­den, die an den Schnitts­tel­len als Ko­o­pe­ra­ti­ons­nut­zen viel­fäl­tig in­ei­nan­der­greift. So kommt es zum Out­sour­cing bis­her selbst über­nom­me­ner Wert­ak­ti­vi­tä­ten von Kun­den an vor­ge­la­ger­te Lie­fe­ran­ten. Gleich­zei­tig über­neh­men Lie­fe­ran­ten im In­sour­cing gern und ver­mehrt Auf­ga­ben, die vor­her zur Wert­ket­te ih­rer Kun­den ge­hör­ten. Die un­ter­neh­mensüber­grei­fen­de Op­ti­mie­rung der Wert­schöp­fungs­ket­te birgt über­ra­gen­de Ra­ti­o­na­li­sie­rungs­po­ten­zi­a­le, in­dem sich je­der Be­tei­lig­te in der Ket­te ge­nau auf die Ak­ti­vi­tä­ten kon­zen­triert, die sei­ner Kern­kom­pe­tenz ent­spre­ chen und alle an­de­ren Ak­ti­vi­tä­ten anderen über­lässt, de­ren Kern­kom­pe­ten­zen ge­ra­de da­rin lie­gen. Eine sol­che Wert­ket­ten­ver­schrän­kung ist al­ler­dings mit wech­seln­den Part­ nern, aus Sicht nach­fra­gemäch­ti­ger Kun­den also Lie­fe­ran­ten, nur äu­ßerst schwer zu re­a­li­sie­ren. Viel­mehr er­for­dert die­ses Kon­zept die Fo­kus­sie­rung auf ei­nen Lie­fer­part­ner je Pro­duk­tart. Von die­sem Lie­fe­ran­ten wird dann er­war­tet, dass er sei­ne Wert­ak­ti­vi­tä­ten so ge­stal­tet, dass sie sich naht­los in die Wert­ket­te des Kun­den in­teg­rie­ren. Da­mit aber wird aus der vor­mals ein­sei­ti­gen Ab­hän­gig­keit der Lie­fe­ran­ten von nach­fra­gemäch­ti­gen Kun­den im Lau­fe der Zeit eine bei­der­ sei­ti­ge Ab­hän­gig­keit, denn ein sol­cher in­teg­ra­ti­ver Lie­fe­rant ist nicht mehr ohne Wei­te­res ge­gen an­de­re aus­tausch­bar. Aus die­ser Kunden­ge­bun­den­heit er­ge­ben sich viel­fäl­ti­ge Ko­o­pe­ra­ti­ons­nut­zen. Denn die Schnitts­tel­len­op­ti­mie­rung be­lässt es meist nicht bei der Ab­stim­mung in Be­zug auf ein Pro­dukt, viel­mehr kom­men not­wen­di­ge Ab­stim­mun­gen in

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A. Vertriebskonzept und Controlling

viel­fa­cher an­de­rer Wei­se hin­zu, z.  B. in Be­zug auf Lie­fer­ter­mi­ne (Just in Time), Lie­fer­stand­or­te (In­dust­rie­parks) oder in­for­ma­ti­o­nel­le Ver­net­zung. Da­raus er­ wach­sen viel­fäl­ti­ge Ko­o­pe­ra­ti­ons­nut­zen, die un­zwei­fel­haft kon­kret kun­den­ wertstei­gernd wir­ken. Er­trä­ge aus dem Aus­bau der Lie­fe­ran­ten­be­zie­hung bei der bes­te­hen­den Pro­ duk­tart er­ge­ben sich aus der Stei­ge­rung der Ab­satz­men­ge bei die­sen Kun­den und / oder durch die Er­hö­hung des Pro­dukt­prei­ses je Ein­heit. Bei gleich­blei­ben­ dem Be­schaf­fungs­vo­lu­men des Kun­den führt eine Stei­ge­rung des Lie­fer­um­fangs zu ei­nem Aus­bau der Lie­fe­ran­ten­be­zie­hung. Bei stei­gen­dem Be­schaf­fungs­vo­lu­ men des Kun­den führt nur eine über­pro­por­ti­o­na­le Stei­ge­rung des Lie­fer­um­fangs im Ver­gleich zu Kon­kur­ren­ten zu ei­nem Aus­bau der Lie­fe­ran­ten­be­zie­hung. Bei sin­ken­dem Be­schaf­fungs­vo­lu­men des Kun­den reicht be­reits ein Hal­ten des Lie­ fer­um­fangs für ei­nen Aus­bau der Lie­fe­ran­ten­be­zie­hung aus. Die­se Er­trä­ge kom­men aber nur dann zu­stan­de, wenn vor­her der Be­darf des Kun­den gründ­lich re­cher­chiert wor­den ist. Evtl. ist zu prü­fen, ob die Kun­den­ bin­dung durch He­rein­nah­me von Han­dels­wa­re, die nicht selbst pro­du­ziert, son­ dern fer­tig fremd zu­ge­kauft und an den Kun­den wei­ter­ge­ge­ben wird, ge­stei­gert wer­den kann. Eben­so ist über maß­ge­schnei­der­te Pro­duk­te nach­zu­den­ken, die ab­seits des Stan­dard­pro­gramms zielge­naue Prob­lem­lö­sun­gen für Kun­den dar­ stel­len und die­se da­her zur Auf­nah­me und Un­ter­hal­tung zu­sätz­li­cher Ge­schäfts­ be­zie­hun­gen mo­ti­vie­ren. 5.4.3.3 Positionen für Verrechnungen Die klas­si­sche In­ves­ti­ti­ons­rech­nung kennt den Rest­wert ei­ner An­la­ge, der auf die Be­ur­tei­lung ei­ner In­ves­ti­ti­on ent­schei­den­den Ein­fluss hat und da­her ein­zu­ rech­nen ist. Im Fal­le von Kun­den­be­zie­hun­gen kann es durch­aus noch zu ei­ner Aus­zah­lung aus der Kun­den­be­zie­hung nach de­ren Be­en­di­gung kom­men. Eine sol­che Ka­pi­ta­li­sie­rung ist etwa der Fall, wenn die Kun­den­be­zie­hung an ei­nen an­de­ren Lie­fe­ran­ten „ver­kauft“ (ab­ge­tre­ten) wird. Han­dels­ver­tre­ter etwa ha­ben bei Ab­ga­be oder Ent­zug ih­res Kun­den­stamms ge­setz­lich ei­nen An­spruch auf Aus­gleichs­zah­lung für den Ver­lust der ab­ge­tre­te­nen Kun­den­be­zie­hung. Da­für gibt es eine ver­bind­li­che Re­chen­for­mel. Ähn­lich ist die Si­tu­a­ti­on bei Ver­trags­ händ­lern mit Ge­biets­schutz, die aus ih­rem Ver­trag aus­schei­den oder ge­kün­digt wer­den. Auch hier wird der Auf­bau und die Pfle­ge der Ge­schäfts­be­zie­hun­gen zu ei­nem Kun­den­stamm bei Ab­tre­tung ho­no­riert. Be­vor ei­nem Kun­den also ge­kün­digt wird oder sei­ne Kün­di­gung ohne Aus­ sicht auf Rück­gän­gig­ma­chung ab­seh­bar ist, ist es sinn­voll zu prü­fen, wel­che Mög­lich­kei­ten zur Ka­pi­ta­li­sie­rung der Kun­den­be­zie­hung ge­ge­ben sind. Da­durch wer­den, zwar letzt­ma­lig, aber den­noch po­si­ti­ve Zah­lungs­flüs­se, dies­mal nicht vom Kun­den, son­dern von ei­nem an dem Kun­den in­te­res­sier­ten Drit­ten re­a­li­ siert, die den Kun­den­le­bens­zeit­wert freund­li­cher zu ge­stal­ten in der Lage sind.



5.   Vertriebsüberprüfung und -überwachung185

Der Kun­den­wert er­mit­telt sich in­so­fern aus den dar­ge­stell­ten Stell­grö­ßen der Ein­zah­lun­gen in Kun­den und der Aus­zah­lun­gen von Kun­den. De­ren Be­wer­tung er­folgt nach bes­tem Wis­sen und Ge­wis­sen. Je­doch ist mit ei­ner na­tür­li­chen, un­ab­än­der­li­chen Fluk­tu­a­ti­ons­ra­te zu rech­nen. Die da­durch verlor­en ge­hen­den Er­trä­ge stel­len Op­por­tu­ni­täts­kos­ten in der Kun­den­wer­ter­mitt­lung dar, stel­len also dem in­ves­tier­ten Auf­wand kei­nen Er­trag ge­gen­über. Da­bei ist an sol­che Ent­wick­lun­gen zu den­ken, die nicht vo­raus­seh­bar wa­ren (Struk­tur­brü­che, z.  B. durch ge­setz­li­che Best­im­mun­gen, hö­he­re Ge­walt, Kul­tur­wan­del) und vom Lie­ fe­ran­ten auch bei äu­ßers­ter Um­sicht nicht zu ver­tre­ten sind. Als Grün­de sind z. B. zu nen­nen: •• der bis­her be­lie­fer­te Stand­ort ei­nes Kun­den­un­ter­neh­mens wird ge­schlos­sen, •• das Kun­den­un­ter­neh­men geht plei­te, •• das Kun­den­un­ter­neh­men wird mit ei­nem an­de­ren un­ter­ge­hend ver­schmol­zen, •• das Kun­den­un­ter­neh­men gibt das Ge­schäfts­feld des Lie­fer­pro­dukts auf, •• tech­ni­scher Fort­schritt führt dazu, dass das bis­he­ri­ge Lie­fer­pro­dukt ent­fällt. Für die­se Fluk­tu­a­ti­ons­ra­te kann aus Er­fah­rung ein Mig­ra­ti­ons­fak­tor   90  %) ist die Ef­fi­zi­enz ei­ner wei­te­ren Dis­tri­bu­ti­ons­grad­stei­ge­rung da­her frag­lich, da der Auf­ wand zur Ein­be­zie­hung auch der noch aus­ste­hen­den Out­lets über­pro­por­tio­nal steigt. Eine hohe ge­wich­te­te Dis­tri­bu­ti­on be­sagt, dass ein Her­stel­ler be­reits in sol­ chen Handels­ge­schäf­ten mit sei­nem Pro­dukt ver­tre­ten ist, die für mehr Um­satz in der Wa­ren­grup­pe ste­hen als an­de­re, mut­maß­lich also in Groß­be­triebs­for­men un­ter den Out­lets. Dies ist eine sehr gün­sti­ge Aus­gangs­po­si­ti­on. Liegt die ge­wich­te­te Dis­tri­bu­ti­on hö­her als die nu­me­ri­sche, was der Re­gel­fall ist, be­deu­tet dies, dass ein Her­stel­ler mit sei­nem Pro­dukt be­reits in den für die­se Wa­ren­grup­pe be­deu­ten­de­ren Han­dels­ge­schäf­ten ver­tre­ten ist, ein wei­te­rer Zu­ wachs an nu­me­ri­scher Dis­tri­bu­ti­on also eher auf klei­ne­re Out­lets tref­fen wird, so dass das Auf­wands-Nut­zen-Ver­hält­nis pro­ble­ma­tisch wird.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Der Quo­ti­ent aus ge­wich­te­ter und nu­me­ri­scher Dis­tri­bu­ti­on wird Dis­tri­bu­ti­ ons­qua­li­tät ge­nannt. Je grö­ßer die­ser ist, de­sto „bes­se­re“, d. h. in der Wa­ren­ grup­pe um­satz­stär­ke­re Out­lets wer­den di­stri­bu­iert. Bei Be­lie­fe­rung auf di­rek­tem und in­di­rek­tem Weg wird au­ßer­dem in di­rek­ten und in­di­rek­ten Dis­tri­bu­ti­ons­grad un­ter­schie­den, die Sum­me aus di­rek­tem und in­di­rek­tem Dis­tri­bu­ti­ons­grad er­gibt dann den to­ta­len Dis­tri­bu­ti­ons­grad. Die Dis­tri­bu­ti­on von Ab­satz­stel­len be­deu­tet aber lei­der nicht au­to­ma­tisch, dass dort das Pro­dukt auch phy­sisch vor­rä­tig ist. Der Out of Stock-An­teil be­ schreibt da­her die Si­tua­tio­nen, in de­nen Käu­fer (Kon­su­men­ten) zum Kauf­zeit­ punkt in ei­nem La­den­ge­schäft ein be­stimm­tes Pro­dukt er­ste­hen wol­len, die­ses aber, ob­gleich das Ge­schäft ein ge­wünsch­tes Pro­dukt grund­sätz­lich führt, ge­ra­de nicht ver­füg­bar ist. Dieser er­gibt sich als Quo­ti­ent aus der Zahl der Ge­schäf­te, die ein di­stri­bu­ier­tes Pro­dukt im Zeit­punkt t nicht vor­rä­tig ha­ben und der Zahl der Ge­schäf­te, die mit ei­nem Pro­dukt ins­ge­samt dis­tri­bu­iert sind Die Out of Stock-Si­tu­a­ti­on ist für je­den Her­stel­ler eine sehr prob­le­ma­ti­sche, denn sie führt leicht zum An­bie­ter­wech­sel. Dies liegt da­rin be­grün­det, dass aus Ab­neh­mer­sicht zu­meist meh­re­re Pro­duk­te par­al­lel als prä­fe­riert an­ge­se­hen wer­ den (Re­ le­ vant Set). In­ ner­ halb die­ ses Sets wer­ den im­ mer das­ sel­ be oder aber wech­seln­de Pro­duk­te vor­ge­zo­gen. Ist / sind die­se(s) Pro­dukt(e) ein­mal nicht vor­ rä­ tig, wird auf ein an­ de­ res Pro­ dukt im Set aus­ ge­ wi­ chen. Bei der im Markt ver­brei­te­ten ho­hen Qua­li­tät al­ler An­ge­bo­te be­deu­tet dies, dass aus dem durch eine Out of Stock-Si­tu­a­ti­on er­zwun­ge­nen erst­ma­li­gen Wech­sel ein dau­er­haf­ter Mar­ken­wech­sel wer­den kann. Auf die­se Wei­se ge­hen dem Her­stel­ler un­ver­ schul­det Kun­den ver­lo­ren. Zur Ver­hin­de­rung die­ser ge­fähr­li­chen Si­tu­a­ti­on sind sei­tens des Her­stel­lers Push- und Pull-Maß­nah­men ein­setz­bar.­ 6.4

Tiefe des Vertriebskanals

Die Tief­en­di­men­si­on des Ver­triebs­ka­nals be­stimmt die An­zahl der Stu­fen, mit de­nen in­te­ra­giert wer­den soll und be­trifft so­mit die ein- oder mehr­stu­fi­ge Aus­ le­gung für den ge­gen­sei­ti­gen Fluss von Wa­ren, Gel­dern und In­for­ma­tio­nen zwi­schen Her­stel­ler, Ab­satz­mitt­lern und En­dab­neh­mern. Auch da­für kön­nen ver­schie­de­ne Ab­stu­fun­gen un­ter­schie­den wer­den (siehe Abb. 59). 6.4.1

Direktvertrieb

Beim Di­rekt­ver­trieb tre­ten Her­stel­ler un­mit­tel­bar mit ge­werb­li­chen oder pri­ va­ten En­dab­neh­mern, also un­ter Aus­las­sung zwi­schen­ge­schal­te­ter Ab­satz­mitt­ler­ stu­fen, in Kon­takt. Die­se Al­ter­na­ti­ve kommt ohne den Han­del aus (da­her auch nulls­tu­fi­ger Ver­trieb ge­nannt). Statt­des­sen tre­ten Ge­schäfts­lei­tung, Ver­kaufsab­ tei­lung, Ver­kaufs­nie­der­las­sung, Ver­kauf­sau­ßen­dienst, Ver­triebs­hol­ding, Direkt­ aussendung, Te­le­fon­ver­kauf, In­ter­net oder Werks­ver­kauf in Kraft. Dies bie­tet



6.  Dimensionen des Vertriebskanals231

      



  



  



   

 

   

 

   

Abb. 59: Ausprägungen der Vertriebskanaltiefe

sich bei Pro­duk­ten an, die stark er­klä­rungs­be­dürf­tig sind, für die Ga­ran­tie / Ser­ vice vor Ort ge­lei­stet wer­den muss, de­ren ho­her Preis eine La­ger­hal­tung für den Han­del wirt­schaft­lich un­trag­bar macht, die trans­portemp­find­lich sind, sich an ei­nen klei­nen Ab­neh­mer­kreis wen­den oder an Ab­neh­mer, die re­gio­nal stark kon­zen­triert sind, in grö­ße­ren Zeit­ab­stän­den ge­kauft bzw. aus be­triebs­stra­te­gi­ schen Grün­den di­rekt ver­kauft wer­den oder im End­ver­kaufs­preis vom Ab­sen­der be­stimmt wer­den sol­len. Ne­ben die­sem, in­tern-di­rek­ten Ver­trieb ist als Über­gangs­form zum In­di­rekt­ ver­trieb der ex­tern-di­rek­te, halbstu­fi­ge Ver­trieb aus­ge­prägt. Er er­folgt über selbst­stän­di­ge Ab­satz­hel­fer wie Han­dels­ver­tre­ter, Kom­mis­si­o­nä­re, Han­dels­mak­ ler, Han­dels­vers­tei­ge­rer (alle nach HGB). Im Un­ter­schied zum in­tern-di­rek­ten Ver­trieb sind die­se Ab­satz­hel­fer Frei­be­ruf­ler und da­mit nur ein­ge­schränkt an Wei­sun­gen des ver­tre­te­nen Un­ter­neh­mens ge­bun­den. Da­für ar­bei­ten sie vollstän­ dig oder über­wie­gend er­folg­sab­hän­gig und be­las­ten so­mit nicht die Fix­kos­ten­ ba­sis. Hin­zu tre­ten Vor­tei­le aus un­ter­neh­me­ri­scher Ei­gen­ini­ti­a­ti­ve, so dass bei­de For­men durch­aus substi­tu­tiv ne­ben­ei­nan­der ste­hen. Der Umfang des Direktvertriebs nimmt angesichts der Verbreitung von ECommerce erheblich zu. Dadurch werden Erlöse/Erträge auf den Handelsstufen substituiert, so dass vor allem der klein- und mittelständische Handel ausdünnt und sich existenzieller Gefährdung gegenüber sieht, sofern nicht Ideen zur Integration von realem und virtuellem Vertrieb von ihm genutzt werden.

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6.4.2

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Indirektvertrieb

Beim In­di­rekt­ver­trieb tre­ten Her­stel­ler nur mit­tel­bar mit En­dab­neh­mern, also un­ter Ein­bezug zwi­schen­ge­schal­te­ter Ab­satz­mitt­ler­stu­fen, in Kon­takt. Dies bie­tet sich eher bei Pro­duk­ten an, die sich sei­tens des Ab­sen­ders nicht ziel­be­wusst, ef­fi­zi­ent ver­mark­ten las­sen, eine flä­chen­mä­ßig weit ver­teil­te Nach­fra­ge auf­wei­ sen, eine Ein­ord­nung in ein Sor­ti­ment zum Ver­kauf er­for­der­lich ma­chen oder die Ko­sten ei­ner di­rek­ten Be­lie­fe­rung nicht tra­gen. Der In­di­rekt­ver­trieb kann wie­der­um un­ter­schied­lich aus­ge­legt sein. 6.4.2.1 Einstufig indirekter Vertrieb Ein­stu­fig in­di­rek­ter Ver­trieb be­deu­tet, dass im Ver­triebs­ka­nal nur eine Ab­ satz­mitt­ler­stu­fe zwi­schen­ge­schal­tet ist. Meist han­delt es sich da­bei um Ein­zel­ händ­ler, und zwar Groß­be­triebs­for­men (Key Ac­counts). Aus­nahms­wei­se aber auch um Groß­händ­ler, die ih­rer­seits an ge­werb­li­che En­dab­neh­mer lie­fern, und Ver­bin­dungs­händ­ler, die an Pro­du­zen­ten (Wei­ter­ver­ar­bei­ter) lie­fern. Vor- und Nach­tei­le sind die Fol­gen­den. Zu­nächst zu den Vor­tei­len. Es kommt zu ei­ner Ein­spa­rung von Dis­tri­bu­ti­ons­span­ne ge­gen­über zwei- und mehrstu­fi­ gem Ver­trieb und de­ren Nut­zung für Preis­vor­teil oder Zu­satz­ge­winn. Dar­aus er­ge­ben sich wich­ti­ge Wett­be­werbs­vor­tei­le. Die ge­ge­be­ne Qua­li­fi­ka­ti­on und er­wor­be­ne Markt­kennt­nis der Ab­satz­mitt­ler kann ge­nutzt wer­den. In­so­fern re­ sul­tiert aus der Ar­beits­tei­lung eine bes­se­re Funk­ti­onser­fül­lung und hö­he­re Ef­ fek­ti­vi­tät. Über­tra­gungs­ver­zer­run­gen und Zeit­auf­wand kön­nen ver­min­dert wer­ den, wie sie an­son­sten in zwei­stu­fig in­di­rek­ten Ver­triebs­ka­nä­len auf­tau­chen und durch Schnitt­stel­len zu er­heb­li­chen Ver­zer­run­gen füh­ren. Fol­gen­de Nach­tei­le sind zu nen­nen. Ein Groß­teil der Dis­tri­bu­ti­ons­funk­ti­on ver­bleibt als Or­ga­ni­sa­tions- und Geldauf­wand beim Her­stel­ler. Dies bin­det Ka­ pa­zi­tä­ten im Per­so­nal-, Be­triebs­mit­tel- und Ka­pi­tal­be­reich, die an­der­wei­tig wo­ mög­lich bes­ser ge­nutzt sind. Es er­folgt nur eine ge­rin­ge Nut­zung der Mul­ti­pli­ ka­ti­ons­funk­ti­on zwi­schen­ge­schal­te­ter Ab­satz­mitt­ler für die Aus­wei­tung der Ge­schäfts­be­zie­hun­gen. Da­mit kommt es zu ei­ner Un­terer­fas­sung des Nach­fra­ ge­po­ten­zi­als. Die Ab­hän­gig­keit von we­ni­gen gro­ßen Han­dels­nach­fra­gern und de­ren In­ter­es­sen­la­ge ist wahr­schein­lich. Dies ist im Rah­men der Nach­fra­ge­ macht des Han­dels al­ler­dings bei­na­he un­ver­meid­lich ge­wor­den. 6.4.2.2 Zweistufig indirekter Vertrieb Zwei­stu­fig in­di­rek­ter Ver­trieb be­deu­tet, dass im Ver­triebs­ka­nal zwei Ab­satz­ mitt­lerstu­fen nach­ein­an­der zwi­schen ge­schal­tet sind. Meist han­delt es sich da­bei um Groß­händ­ler und Ein­zel­händ­ler, die nach­ein­an­der ak­tiv wer­den. Aus­nahms­ wei­se aber auch um Ver­bin­dungs­händ­ler, die an Wei­ter­ver­ar­bei­ter (Hand­werk



6.  Dimensionen des Vertriebskanals233

o.  Ä.) lie­fern, und Ex­por­teu­re im Au­ßen­han­del, die an fremd­ge­biets­an­säs­si­ge Im­por­teu­re lie­fern. Vor- und Nach­tei­le sind die Fol­gen­den. Zu­nächst zu den Vor­tei­len. Die wei­ test­ge­hen­de Aus­la­ge­rung der Dis­tri­bu­ti­ons­funk­ti­on be­wirkt eine in­ter­ne Or­ga­ni­ sa­ti­ons­ver­ein­fa­chung und Ko­sten­ein­spa­rung. Fix­ko­sten wer­den da­bei im Sin­ne der Fle­xi­bi­li­sie­rung ge­gen va­ria­ble Ko­sten ge­tauscht. Die Markt­brei­te kann durch dop­pel­te Baum­ver­zwei­gungsstruk­tur der Dis­tri­bu­ti­on in ho­hem Maße aus­ge­schöpft wer­den. So kommt es zu ei­ner mög­lichst voll­stän­di­gen Ka­pi­ta­li­ sie­rung des ak­qui­si­to­ri­schen Po­ten­zi­als. Es bes­te­hen über­schau­ba­re Lie­fer-, Ab­rech­nungs- und In­for­ma­ti­ons­be­zie­hun­gen mit we­ni­gen gro­ßen Ab­neh­mern, da die Ver­zwei­gung in die Brei­te erst auf der nach­ge­schal­te­ten Stu­fe er­folgt. Fol­gen­de Nach­tei­le sind zu nen­nen. Die ei­ge­ne Ge­winn­span­ne ver­kürzt sich um das Ent­gelt für die Tä­tig­keit der Be­triebs­for­men auf zwei Ver­triebs­stu­fen. Letzt­lich geht es um eine Ab­wä­gung der Ko­stener­spar­nis ei­ner­seits ge­gen den Ge­winnent­gang an­de­rer­seits. Durch die Selbst­stän­dig­keit auf zwei Stu­fen fehlt weit­ge­hend die Kon­trol­le der Dar­bie­tung der Pro­duk­te ge­gen­über En­dab­neh­ mern. Dar­aus kön­nen Ima­ge­pro­ble­me re­sul­tie­ren, die ab­satz­hem­mend wir­ken. In­ter­ak­ti­o­nen der Ver­triebs­stu­fen un­ter­ei­nan­der füh­ren zu Kom­ple­xi­tät und Ef­ fi­zi­enzein­bu­ßen. Da­bei ste­hen die je­wei­li­gen In­ter­es­sen der Ab­satz­mitt­ler im Vor­der­grund, und das Her­stel­lerin­ter­es­se tritt in den Hin­ter­grund. 6.4.2.3 Mehrstufig indirekter Vertrieb Mehr­stu­fig in­di­rek­ter Ver­trieb be­deu­tet, dass im Ver­triebs­ka­nal mehr als zwei Ab­satz­mitt­ler­stu­fen zwi­schenge­schal­tet sind. Dies ist durch­aus nicht sel­ten der Fall, wenn sich Groß- und Ein­zel­han­dels­stu­fe ih­rer­seits in Teil­stu­fen auf­tei­len. So sind im Wein­han­del Win­zer­ge­nos­sen­schaf­ten, Wein­groß­hand­lun­gen, Le­bens­ mit­tel­groß­hand­lun­gen, Ga­stro­no­mie­be­trie­be bzw. Fachein­zel­han­del und LEH so­wie Im­port- und Ex­port­be­trie­be nach­ein­an­der zwi­schenge­schal­tet, so ­dass der Wa­ren­weg äu­ßerst kom­plex wird, zu­mal es auch Di­rekt­ver­trieb gibt. Vor- und Nach­tei­le sind die Fol­gen­den. Zu­nächst zu den Vor­tei­len. Es ent­ steht eine weitge­hen­de Ent­la­stung von Dis­tri­bu­ti­ons­auf­ga­ben im Ver­triebs­ka­nal, da nun­mehr gleich meh­re­re Ab­satz­mitt­ler­stu­fen die­se über­neh­men. Die Spe­zi­a­ li­sie­rungs­vor­tei­le der ein­zel­nen Ver­triebs­stu­fen kön­nen best­mög­lich ge­nutzt wer­den, so ­dass es ins­ge­samt zu ei­ner funk­tio­na­le­ren Auf­ga­bener­fül­lung kommt. Es wird eine brei­te Mark­ter­fas­sung rea­li­sier­bar, da die mehr­stu­fi­ge Aus­le­gung die best­mög­li­che Aus­schöp­fung des Nach­fra­ge­po­ten­zi­als er­laubt. Die vor­ge­la­ ger­ten Ver­triebs­stu­fen üben Ab­satz­druck (Push) auf die je­weils nach­ge­la­ger­ten aus und be­gün­sti­gen da­mit den Mark­ter­folg der Her­stel­ler­wa­re. Fol­gen­de Nach­tei­le sind zu nen­nen. Die Kom­ple­xi­tät im Ver­triebs­ka­nal steigt im­mens, da­mit wird eine ef­fi­zi­en­te Steue­rung in der Dis­tri­bu­ti­onspo­li­tik er­ schwert. Die­ser Nach­teil kann evtl. Vor­tei­le al­lein über­kom­pen­sie­ren. Ver­bun­

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

den da­mit tre­ten ver­stärk­te In­ter­es­sen­kon­flik­te zwi­schen den Be­tei­lig­ten auf, die zu un­ge­bühr­li­chen Kom­pro­mis­sen und Inef­fek­ti­vi­tä­ten füh­ren. Die Kos­ten­be­las­ tung der ge­han­del­ten Wa­ren steigt, da jede Stu­fe für die von ihr über­nom­me­nen Funk­tio­nen eine Han­dels­span­ne einbehält.­ 6.5

Struktur des Vertriebskanals

Ne­ben dem ein­glei­si­gen Ver­triebs­ka­nal (Mo­no­dis­tri­bu­ti­on) ist es durch­aus üb­lich, ver­schie­de­ne Ver­triebs­ka­nä­le zwei- oder mehr­glei­sig zu be­die­nen (Dualoder Po­ly­dis­tri­bu­ti­on). Dies wur­de zwar schon „im­mer“ prak­ti­ziert, in den Fo­ kus der Be­trach­tung ist dies aber erst mit Auf­kom­men des On­li­ne-Han­dels als vir­tu­el­lem Ver­triebs­ka­nal ge­rückt. Es geht aber mit­nich­ten nur um die Re­la­ti­on von ana­lo­gem und di­gi­ta­lem Ver­trieb, son­dern durch­aus auch um die Re­la­ti­on zwei­er oder meh­re­rer ana­lo­ger bzw. di­gi­ta­ler Ka­nä­le im Mehr­ka­nal­ver­trieb zu­ ei­nan­der. 6.5.1

Inhalt

Der Begriff Mehr­ka­nal­ver­trieb un­terstellt, dass ein Un­ter­neh­men nicht nur ei­nen Ver­triebs­ka­nal dis­tri­bu­iert, son­dern zwei (Dual­di­stri­bu­ti­on) oder meh­re­re (Po­ly­dis­tri­bu­ti­on). Bei Nut­zung nur ei­nes Ver­triebs­ka­nals las­sen sich be­stimm­te Markt­seg­men­te u.  U. nicht er­rei­chen. Eine Aus­wei­tung der Dis­tri­bu­ti­ons­we­ge er­mög­licht so­mit eine bes­se­re Aus­schöp­fung des Markt­po­ten­zi­als. Durch die Nut­zung meh­re­rer Ver­triebs­ka­nä­le kann den un­ter­schied­li­chen Be­dürf­nis­sen der Kun­den bes­ser ent­spro­chen und der Kun­den­nut­zen ge­stei­gert wer­den. Die in den ver­schie­de­nen Ver­triebs­ka­nä­len ge­sam­mel­ten Kun­den­in­for­ma­tio­nen las­sen sich in­te­griert zu­sam­men­füh­ren. Auf­bau­end auf die­sen Da­ten über das Kauf­ver­ hal­ten des Kun­den las­sen sich neue kunden­ge­rech­te Ver­triebs­kon­zep­te ent­wi­ ckeln. Wer­den kos­ten­in­ten­si­ve durch kos­ten­güns­ti­ge­re Ver­triebs­ka­nä­le er­gänzt, las­sen sich Ko­sten­sen­kungs­po­ten­zia­le rea­li­sie­ren, so­ dass die Wirt­schaft­lich­keit der Dis­tri­bu­ti­on ge­stei­gert wird. Im Fal­le ei­ner Aus­wei­tung der Ver­triebs­ka­nä­le las­sen sich Ab­hän­gig­kei­ten von ein­zel­nen Kunden­grup­pen oder Ab­satz­mitt­lern ver­mei­den. Insb. auf­grund der Macht­kon­zen­tra­ti­on im Han­del kommt die­sem Aspekt eine zen­tra­le Be­deu­tung zu. Wird Kun­den das glei­che Pro­dukt über meh­re­re Ver­triebs­ka­nä­le an­ge­bo­ten, kann es daher auch zur Ver­wir­rung und Über­for­de­rung kom­men, da sie u. U. nicht mehr in der Lage sind, die kom­pa­ra­ti­ve Vor­teil­haf­tig­keit der un­ter­schied­ li­chen Dis­tri­bu­ti­ons­we­ge ein­deu­tig zu be­ur­tei­len. Auch eine un­ein­heit­li­che Mar­ kie­rung bzw. Sor­ti­mentsstruk­tur und -zu­sam­men­set­zung kön­nen ei­ner Ver­un­si­ che­rung der Kun­den füh­ren. Da die ver­schie­de­nen Ver­triebs­ka­nä­le mit­ei­nan­der in Kon­kur­renz ste­hen, kön­nen sich be­ste­hen­de Ab­satz­mitt­ler durch die Ein­füh­ rung neu­er Dis­tri­bu­ti­ons­we­ge be­droht füh­len, so dass es zu kon­tra­pro­duk­ti­ven



6.  Dimensionen des Vertriebskanals235

Kon­flik­ten kommt. Mit zu­neh­men­der An­zahl von Ver­triebs­ka­nä­len steigt die Kom­ple­xi­tät des Dis­tri­bu­ti­ons­sy­stems, insb. bei nur be­schränk­ter Tran­spa­renz der Ka­nä­le be­steht die Ge­fahr ei­nes Kon­troll­ver­lusts des An­bie­ters. Da mit un­ ter­schied­li­chen Ver­triebs­ka­nä­len di­ver­gie­ren­de An­for­de­run­gen an den An­bie­ter ver­bun­den sind, be­steht das Ri­si­ko, dass der An­bie­ter mit zu­n­eh­men­der Zahl von Ver­triebs­ka­nä­len nicht mehr in der Lage ist, den je­wei­li­gen An­for­de­run­gen in op­ti­ma­ler Wei­se ge­recht zu wer­den. Mit dem Auf­bau ei­nes neu­en Ver­triebs­ ka­nals sind u.  U. hohe Im­ple­men­tie­rungs­ko­sten ver­bun­den. Auf­grund häu­fig un­si­che­rer Zu­sat­zer­lö­se und Ko­sten­sen­kungs­po­ten­zia­le kann dies ein er­heb­ liches Wirt­schaft­lich­keits­ri­si­ko be­deu­ten. Prob­lem­atisch ist, dass ne­ben den un­ver­meid­li­chen Kon­flik­ten zwi­schen Her­ stel­ler und Han­del in­ner­halb des Ver­triebs­ka­nals (ver­ti­kal) so­mit wei­te­re Kon­ flik­te zwi­schen den dis­tri­bu­ti­ven Akt­eu­en in den Ver­triebs­ka­nä­len (ho­ri­zon­tal) auf­tre­ten. Dies er­höht die Ge­fahr dys­funk­tio­na­ler Span­nun­gen. Denn letzt­lich grei­fen alle Ka­nä­le zu we­sent­li­chen Tei­len auf die­sel­be Kauf­kraft / dasselbe Budget zu. Zu­dem füh­ren Un­ter-, Schnitt- und Leer­men­gen­de­signs zu ei­nem er­höh­ten Grad an Kom­ple­xi­tät im Ver­triebs­ka­nal. Ge­ra­de Kom­ple­xi­tä­ten sind aber zwi­schen­zeit­lich als Ko­sten­trei­ber hin­läng­lich iden­ti­fi­ziert und wer­den da­ her ver­ sucht, un­ ter al­ len Um­ stän­ den zu ver­ hin­ dern. Hier wer­ den sie je­ doch be­wusst ge­züch­tet, so dass eine Ab­wä­gung zwi­schen ent­ge­hen­dem Nut­zen bei Mono-Dis­tri­bu­ti­on und zu­wach­sen­den Kom­ple­xi­täts­ko­sten bei Dual- / Poly-Dis­ tri­bu­ti­on vor­zu­neh­men ist. 6.5.2

Mögliche Vertriebskanaldesigns

Ver­triebs­ka­nä­le kön­nen ver­schie­den­ar­ti­ge Aus­ge­stal­tun­gen an­neh­men. Der (in­ter­ne) Di­rekt­ver­trieb vom Her­ stel­ ler an En­ dab­ neh­ mer über unternehmens­ eige­ne Or­ga­ne (VADM): Bei die­sen han­delt es sich um Mit­ar­bei­ter des Her­stel­ lerun­ter­neh­mens. Je nach Pro­duk­tart kön­nen da­bei un­ter­schied­li­che Ak­teu­re tä­tig wer­den, etwa Ge­schäfts­lei­tungs­mit­glie­der bei In­du­strie­gü­tern, Schlüs­sel­ kun­den­be­treu­er bei Groß­ab­neh­mern, Rei­sen­de in der Fel­dor­ga­ni­sa­ti­on etc. Vor­ teil­haft sind da­bei vor al­lem die hohe Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­tenz der Mit­ar­bei­ ter, die Ge­win­nung von Mark­tin­for­ma­tio­nen und die sehr gute Steue­rung und Len­kung des Ver­triebs. Nacht­ei­lig sind je­doch die hohe Ka­pi­tal­bin­dung, der gro­ße Or­ga­ni­sa­ti­ons­auf­wand und die man­geln­de Aus­schöp­fung des Markt­po­ten­ zi­als. Der (ex­ter­ne) Di­rekt­ver­trieb vom Her­stel­ler an En­dab­neh­mer über un­ter­neh­ mens­frem­de Or­ga­ne, also Ab­satz­hel­fer: Bei die­sen han­delt es sich um vor al­lem Han­dels­ver­tre­ter, Kom­mis­sio­nä­re und Han­dels­mak­ler. Al­len ist ge­mein, dass sie nicht Ei­gen­tü­mer der ge­han­del­ten Pro­duk­te wer­den. Han­dels­ver­tre­ter sind in frem­dem Na­men und auf frem­de Rech­nung tä­tig. Kom­mis­sio­nä­re sind zwar in ei­ge­nem Na­men, aber auf frem­de Rech­nung tä­tig. Bei Re­kla­ma­tio­nen ist also

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

der Kom­mis­sio­när An­sprech­part­ner, die wirt­schaft­li­chen Kon­se­quen­zen dar­aus hat je­doch der Her­stel­ler zu tra­gen. Han­dels­mak­ler sind nur mit dem Nach­weis von Ab­schlus­schan­cen be­schäf­tigt. Sie ha­ben au­ßer­dem die In­ter­es­sen bei­der ver­tre­te­nen Sei­ten zu be­rück­sich­ti­gen, auch wenn sie nur von ei­ner Sei­te be­auf­ tragt wer­den. Der ein­stu­fig-in­di­rek­te Groß­han­dels-Ver­trieb vom Her­stel­ler über den zwi­ schen­ge­schal­te­ten Pro­duk­ti­ons­ver­bin­dungs­han­del an ge­werb­li­che En­dab­neh­mer: Hier wer­den In­ve­sti­ti­ons- und Pro­duk­ti­ons­gü­ter ge­han­delt, Er­ste­re sind Ge­ brauchs­gü­ter und ge­hen in das An­la­ge­ver­mö­gen des ab­neh­men­den Un­ter­neh­ mens über. Letz­te­re sind Ver­brauchs­gü­ter und ge­hen ent­we­der als we­sent­li­cher oder un­we­sent­li­cher Be­stand­teil in die Pro­duk­ti­on mit ein (Roh­stoff, Hilfs­stoff) oder sind zur Auf­recht­er­hal­tung der Pro­duk­ti­on er­for­der­lich (Be­triebs­stoff). Der ein­stu­fig-in­di­rek­te Ein­zel­han­dels-Ver­trieb vom Her­stel­ler über zwi­schen­ ge­schal­te­te Ein­zel­händ­ler an pri­va­te En­dab­neh­mer: Bei die­sen Ein­zel­händ­lern han­delt es sich meist um Groß­be­triebs­for­men des Ein­zel­han­dels. Be­triebs­for­ men un­ter­tei­len sich all­ge­mein in pri­mä­re und se­kun­dä­re. Pri­mä­re Be­triebs­for­ men des Ein­zel­han­dels sind ori­gi­nä­re Be­triebs­for­men, se­kun­dä­re ab­ge­lei­te­te. In­ner­halb der pri­mä­ren Be­triebs­for­men kann wie­der­um nach sta­tio­nä­ren oder nicht-sta­tio­nä­ren un­ter­teilt wer­den. Sta­tio­nä­re Be­triebs­for­men des Ein­zel­han­dels ver­fü­gen über ein La­den­ge­schäft, bei nicht-sta­tio­nä­ren Be­triebs­for­men fehlt die­ ses. Der zweis­tu­fig-in­di­rek­te Groß- und Ein­zel­han­dels-Ver­trieb vom Her­stel­ler über zwi­schen­ge­schal­te­te Groß- und Ein­zel­han­dels­stu­fen: Ne­ben die Ein­zel­han­ dels­stu­fe tritt so­mit die vor­di­stri­bu­ie­ren­de Groß­han­dels­stu­fe. Groß­han­del ist im­mer Han­del un­ter Kauf­leu­ten. Der mehrstu­fig-in­di­rek­te Groß- und Ein­zel­han­dels-Ver­trieb vom Her­stel­ler über mehr als eine zwi­schen­ge­schal­te­te Groß­han­dels­stu­fe bis hin zur Ein­zel­han­ dels­stu­fe: Bei den Groß­han­dels­stu­fen han­delt es sich zu­meist um be­schaf­fungs­ o­ri­en­tier­te, kol­lek­tie­ren­de so­wie ab­sat­zo­ri­en­tier­te, dis­per­sie­ren­de For­men. Dies bie­tet sich vor al­lem bei frak­tio­nier­ten Be­schaf­fungs­märkten, wie etwa in der Land­wirt­schaft, an, bei de­nen vor der Wa­ren­ver­tei­lung eine Wa­ren­samm­lung zweck­mä­ßig ist. Der (in­ter­ne) On­li­ne-Di­rekt­ver­trieb vom Her­stel­ler über das In­ter­net in Form von E-Com­mer­ce an pri­va­te und / oder ge­werb­li­che En­dab­neh­mer: Dazu muss der Her­stel­ler zu­nächst eine Web­prä­senz im­ple­men­tie­ren. Da­bei kön­nen meh­ re­re For­men un­ter­schie­den wer­den, z.  B. Pre­sti­ge-Si­tes mit Ver­weis auf an­de­re Me­di­en zur ei­gent­li­chen Trans­ak­ti­on, wert­schöp­fen­de Prä­sen­zen mit Trans­ak­ ti­on im In­ter­net oder Cy­ber Malls als vir­tu­el­le Ein­kaufs­zen­tren. Da es sich beim In­ter­net um ein Pull-Me­di­um han­delt, ist es un­er­läss­lich, Kon­tak­te zur Web­prä­ senz zu ge­ne­rie­ren. Dies kann wie­der­um in­ner­halb des In­ter­nets auf an­de­ren als den ei­ge­nen Sei­ten er­fol­gen, am be­sten in Por­ta­len, die ei­nen ho­hen Traf­fic



6.  Dimensionen des Vertriebskanals237

auf­wei­sen (z.  B. durch Cross­ver­lin­kung, Af­fi­li­a­te-Pro­gram­me oder Suchma­ schinenein­trä­ge), oder au­ßer­halb des In­ter­nets, also Off­li­ne (z. B. durch Printoder Elekt­ro­nik­me­di­en­wer­bung). Der ex­ter­ne On­li­ne-Di­rekt­ver­trieb vom Her­stel­ler über On­line-Ab­satz­hel­fer wie Preis­agen­tu­ren, Emp­feh­lungs­sei­ten, Auk­ti­ons­platt­for­men etc.: In­ter­net-Ab­ satz­hel­fer sind im Re­gel­fall Mak­ler, d. h., sie neh­men An­bie­ter / An­ge­bo­te in ihre Web­prä­senz auf, sor­gen für Traf­fic auf ih­rer Prä­senz und pro­fi­tie­ren von Listungsgebühren für den Ein­trag, Mitt­ler­pro­vi­si­on bei Ab­schluss und Wer­be­ein­ nah­men. Da­mit In­ter­net-Ab­satz­hel­fer von Ab­neh­mern in An­spruch ge­nom­men wer­den, müs­sen sie ei­nen Lei­stungs­vor­teil bie­ten. Die­ser liegt z. B. in Preis­ nach­lass, In­for­ma­ti­ons­vor­teil oder Ser­vice. Der Ab­schluss kommt dann zwi­ schen Her­stel­ler und Ab­neh­mer un­mit­tel­bar zu­stan­de, eben­so wie der Wa­ren­ fluss, beim Geld- und In­for­ma­ti­ons­fluss ist der Ab­satz­hel­fer meist ein­ge­schal­tet. So­wohl im B-t-B- als auch im B-t-C-Be­reich ha­ben sich vor al­lem Auk­ti­ons­ platt­for­men eta­bliert, die durch ver­schie­de­ne For­men dy­na­mi­scher Preis­bil­dung und er­gän­zen­de Ser­vice­lei­stun­gen ge­prägt sind. Der On­li­ne-In­di­rekt­ver­trieb vom Her­stel­ler über das In­ter­net an On­line-Ab­ satz­mitt­ler, und von dort an ge­werb­li­che oder pri­va­te En­dab­neh­mer: On­line-Ab­ satz­mitt­ler sind vir­tu­el­le Händ­ler, die Lei­stun­gen von Her­stel­lern ein­kau­fen, um sie ohne we­sent­li­che Be- und Ver­ar­bei­tung mit Auf­schlag wie­der an Ab­neh­mer zu ver­kau­fen. On­line-Ab­satz­mitt­ler be­trei­ben ei­ge­ne Web­prä­sen­zen, für die sie Traf­fic durch Pull-Ef­fekt ge­ne­rie­ren müs­sen. Dies kann wie­der­um on­line oder off­li­ne er­fol­gen. Im B-t-B-Be­reich sind etwa Ge­braucht­wa­ren-Händ­ler ver­brei­ tet, die ma­schi­nel­le An­la­gen auf­kau­fen, auf­be­rei­ten und meist mit er­gän­zen­den Ser­vi­ces zum Ver­kauf an­bie­ten. Im B-t-C-Be­reich sind etwa Buch-(z. B. Ama­ zon) und Rei­ se-Händ­ler (z. B. Ex­pe­dia) ver­brei­tet, auch hier mit Preis­ vor­teil oder er­gän­zen­den Ser­vi­ces. Wei­ter­hin der (in­ter­ne) Off­li­ne-Di­rekt­ver­trieb vom Her­stel­ler über Off­li­neMe­di­en: Da­bei ist an ver­schie­de­ne For­men zu den­ken, un­ab­hän­gig da­von, ob dies im Make or Buy funk­ti­o­niert. Dazu ge­hö­ren der Di­rekt­ver­trieb über Te­le­ fon (in­bound / out­bound), Telefax, E-Mail, Di­rekt­aus­sen­dung, Ka­ta­log, Fern­se­ hen / Hör­funk (DR-TV / DR-R) und Print­me­di­en. Die­se zehn Op­tio­nen ge­ben alle denk­ba­ren Ver­triebs­ka­nal­de­signs wie­der, wo­ bei jede Mög­lich­keit noch­mals viel­fach un­ter­teilt ist. Mehr­ka­nal­di­stri­bu­ti­on liegt also vor, wenn die Dis­tri­bu­ti­on ei­nes Her­stel­lers über mehr als ei­nen die­ ser Ver­triebs­ka­nä­le er­folgt. Als Zie­le wer­den da­bei vor­ran­gig zwei ver­folgt. Er­stens die Ver­rin­ge­rung der her­stel­ler­sei­ti­gen Ab­hän­gig­keit von ei­nem oder ei­nem do­mi­nan­ten Ver­triebs­ka­nal durch Auf­bau und Nut­zung al­ter­na­ti­ver Ver­ triebs­ka­nä­le. Da­durch kann der Her­stel­ler die Nach­fra­ge­macht ein­zel­ner Ab­neh­ mer, sei es En­dab­neh­mer oder Wie­der­ver­käu­fer, min­dern. Dar­aus wie­der­um fol­gen er­höh­te Mar­gen. Zwei­tens die brei­te­re Er­fas­sung des Mark­tes, um auf die­se Wei­se Ab­neh­mer be­die­nen zu kön­nen, die im ur­sprüng­li­chen Ver­triebs­sys­

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

tem aus wirt­schaft­li­chen oder tech­ni­schen Grün­den nicht be­dient wer­den konn­ ten. Dar­aus folgt dann ver­stärk­ter Ab­satz. Die Ent­schei­dung für Mul­ti Chan­nel Dis­tri­bu­ti­on setzt also eine Ab­wä­gung nach dem An­reiz-Bei­trags-Prin­zip vor­aus. Den An­rei­zen bes­se­rer Mar­ge und er­höh­ten Ab­sat­zes durch Mehr­ka­nal­di­stri­bu­ti­on ste­hen die Bei­trä­ge durch Ef­fi­ zi­enz- und Ef­fek­ti­vi­täts­ver­lu­ste in­fol­ge ho­ri­zon­ta­ler Kon­flik­te zwi­schen den dis­tri­bu­ier­ten Ver­triebs­ka­nä­len ge­gen­über. Je nach­dem, was man hö­her ge­wich­ tet, wird man da­her die eine oder an­de­re Ent­schei­dung fäl­len. 6.5.3

Umsetzung des Mehrkanalvertriebs

Ge­schieht der Mehr­ka­nal­ver­trieb in al­len Ka­nä­len mit ei­ner weit­ge­hend iden­ ti­schen Ver­triebs­ge­stal­tung, so spricht man von pa­ral­le­lem Ver­trieb, d. h. über zwei oder mehr ver­schie­de­ne Ver­triebs­ka­nä­le wird nach ei­nem ein­heit­li­chen Kon­zept ver­trie­ben. Die Ver­triebs­ka­nä­le un­ter­schei­den sich da­bei von­ei­nan­der durch viel­fäl­ti­ge Kri­te­ri­en wie •• Stu­fig­keit (Ein­zel- und Groß­han­del), •• Rechts­stel­lung (Ab­satz­mitt­ler und Ab­satz­hel­fer), •• Be­triebs­form (ge­mäß ho­mo­ge­ner Be­triebs­for­men des Han­dels), •• Phy­sis (nur ana­ log, ana­ log und di­ gi­ tal oder nur di­ gi­ tal im E-Com­ mer­ ce, M-Com­mer­ce, T-Com­mer­ce). Zu den we­sent­li­chen Vor­tei­len ge­hö­ren fol­gen­de. Bei ver­gleichs­wei­se ein­fa­ cher Dis­tri­bu­ti­ons­an­la­ge kön­nen den­noch gro­ße Tei­le des Mark­tes er­reicht wer­ den. Que­re­len zwi­schen den dis­tri­bu­ier­ten Ver­triebs­ka­nä­len ver­blei­ben we­gen der Gleich­be­hand­lung der Ka­nä­le in en­gen Gren­zen. Es bes­teht die Chan­ce, durch Kon­sis­tenz im Ver­mark­tungs­kon­zept ein kla­res Pro­fil in der Ab­neh­mer­ schaft zu be­hal­ten. Und die Kos­ten des Dis­tri­bu­ti­ons­kon­zepts kön­nen ver­min­ dert und des­sen Ef­fi­zi­enz er­höht wer­den. Als we­sent­li­che Nach­tei­le sind fol­gen­de zu nen­nen. Die spe­zi­fi­schen Vor­tei­le ein­zel­ner Ver­triebs­ka­nä­le kön­nen durch die Ge­ne­ra­li­sie­rung der Ver­triebs­ak­ti­vi­ tä­ten nur un­zu­rei­chend ge­nutzt wer­den. Die Kon­kur­renz zwi­schen den dis­tri­bu­ ier­ten Ver­triebs­ka­nä­len wird in­fol­ge der Gleich­be­hand­lung ge­schürt und führt zu ste­ten Un­ru­hen. Die Chan­ce zur Ab­schöp­fung der Nach­fra­ge­rren­te durch dif­fe­ren­zier­te Ver­mark­tungs­maß­nah­men wird ver­ge­ben. Da­durch kön­nen vor­ han­de­ne Um­satz­po­ten­zi­a­le nur un­zu­rei­chend ab­ge­schöpft werden. ­We­gen die­ser aus­ge­präg­ten Nach­tei­le des pa­ral­le­len Ver­triebs ist das Kon­zept des ge­split­te­ten Ver­triebs ent­wi­ckelt wor­den. Auch da­bei wer­den zwei oder mehr Ver­triebs­ka­nä­le be­dient, zu­sätz­lich wer­den dort je­doch je­weils von­ein­an­der ab­ wei­chen­de Kon­zep­te ge­fah­ren. Die ge­split­te­te Dis­tri­bu­ti­on geht da­von aus, dass ho­ri­zon­ta­le Kon­flik­te zwi­schen Ver­triebs­ka­nä­len da­durch ver­min­dert wer­den



6.  Dimensionen des Vertriebskanals239

kön­nen, dass nicht alle Ka­nä­le auf die­sel­be(n) Nach­fra­ge / Bud­gets zu­grei­fen, son­dern die Ver­triebs­ka­nä­le in Be­zug auf die Kauf­kraft ge­spreizt wer­den. Da­durch kann vor al­lem der Haupt­nach­teil des Pa­ral­lel­ver­triebs, näm­lich die un­ver­meid­li­che Kon­kur­renz der dis­tri­bu­ier­ten Ver­triebs­ka­nä­le um im Prin­zip glei­che Kauf­kraft / gleiches Budet (In­trab­rand Com­pe­ti­ti­on), ver­min­dert wer­den. Zu­gleich kann auf die spe­zi­fi­schen An­for­de­run­gen der im je­wei­li­gen Ver­triebs­ ka­nal nach­fra­gen­den Kun­den durch den dort je­weils an­ge­bo­te­nen ei­ge­nen Ak­ ti­vi­täts­aus­schnitt bes­ser ein­ge­gan­gen wer­den. Da­für ver­min­dert sich für Her­stel­ ler wie Händ­ler die Mark­taus­schöp­fung, und es kommt zu ei­ner Kom­pli­zie­rung des Dis­tri­bu­ti­ons­de­signs beim Her­stel­ler. Zu den ge­ne­rel­len Vor­tei­len des ge­split­te­ten Ver­triebs zäh­len fol­gen­de. Die Be­die­nung un­ter­schied­li­cher Ab­neh­mer­seg­men­te im von ih­nen je­weils prä­fe­rier­ ten Ver­triebs­ka­nal und mit ei­nen spe­zi­el­len Ak­ti­vi­täts­aus­schnitt ist mög­lich. Dies be­wirkt eine bes­se­re Aus­schöp­fung des Markt­po­ten­zi­als. Es bes­teht ein Ko­sten­sen­kungs­po­ten­zi­al durch ge­ziel­te­re Dis­tri­b­u­ti­on in die prä­fe­rier­ten Kaufstät­ten der je­wei­li­gen Ziel­grup­pe hi­nein. Auf die­se Wei­se ist die Er­schlie­ ßung ei­nes grö­ße­ren Ab­satz­mitt­ler­net­zes mög­lich, da die In­trab­rand Com­pe­ti­ ti­on ge­min­dert wird. Durch das spe­zi­el­le An­ge­bot kann den un­ter­schied­li­chen Be­dürf­nis­sen der Kun­den bes­ser ent­spro­chen und da­mit der Kun­den­nut­zen ge­ stei­gert wer­den. Die kauf­ver­hal­tens­re­le­vant ge­sam­mel­ten In­for­ma­tio­nen las­sen sich ver­triebs­ka­nalüber­grei­fend zu­sam­men­füh­ren und für neue kunden­ge­rech­te Ver­triebs­kon­zep­te nut­zen. Die Ab­hän­gig­keit von ein­zel­nen Kunden­grup­pen / Ab­ satz­mitt­lern und die dar­aus fol­gen­de Nach­fra­ge­macht las­sen sich min­dern. Zu den ge­ne­rel­len Nach­tei­len ge­hö­ren fol­gen­de. Es bes­teht die Ge­fahr der En­dab­neh­merir­ri­ta­ti­on / -fru­stra­ti­on durch un­ter­schied­li­che An­ge­botsstruk­tu­ren und -zu­sam­men­set­zun­gen der ver­schie­de­nen Ver­triebs­ka­nä­le. Ein er­höh­ter Auf­ wand (Kom­ple­xi­tät) für die Mar­ke­ting-Kom­mu­ni­ka­ti­on ge­gen­über En­dab­neh­ mern und di­stri­bu­ier­ten Ab­satz­mitt­lern ent­steht. Ein un­ver­meid­lich un­ein­heit­li­ cher Mar­ken­auf­tritt in ver­schie­de­nen Ver­triebs­ka­nä­len führt zur Ver­wir­rung und Über­for­de­rung der Nach­fra­ger. Mit zu­neh­men­der Zahl der Ver­triebs­ka­nä­le kann der An­bie­ter de­ren je­wei­lig ab­wei­chen­den An­for­de­run­gen nicht mehr in ge­eig­ ne­ter Wei­se ge­recht wer­den. Für den Auf­bau ei­nes neu­en Ver­triebs­ka­nals ent­ ste­hen hohe Im­ple­men­tie­rungs­ko­sten, de­ren Wirt­schaft­lich­keit la­tent ge­fähr­det ist. Mehr­fach be­lie­fer­te Ver­triebs­ka­nä­le füh­ren zur Kon­kur­renz der dort be­tei­ lig­ten Ab­satz­mitt­ler un­ter­ein­an­der und mün­den wo­mög­lich in Kon­flik­ten. Zu entschei­den ist nun­mehr, nach wel­chen Kri­te­ri­en der Ver­triebs­ka­nal-Split vor­ge­nom­men wer­den soll. Da­für kom­men Pro­dukt­li­ni­en, Ab­satz­ge­bie­te und Kun­den­ar­ten in Be­tracht (siehe Abb. 60). Dies kann der­art er­fol­gen, dass Ab­neh­ mer sich dem je­wei­li­gen Ver­triebs­ka­nal ih­rer Wahl selbst zu­ord­nen oder dass an­bie­ter­sei­tig eine frem­de Zu­ord­nung vor­ge­nom­men wird. Die Fremd­zu­ord­nung kann durch die An­le­gung von Zu­gangs­kri­te­ri­en er­fol­gen. Die­se kön­nen aus Ziel­ grup­pen­merk­ma­len bes­te­hen oder aus ein­ma­li­gem / lau­fen­dem Geld­bei­trag.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

      

   

    

    

     

   

Abb. 60: Ausprägungen der Vertriebskanalstruktur

6.5.4

Gesplitteter Vertrieb nach Produktgruppen

Dies be­deu­tet, dass nicht alle Pro­duk­te in al­len Ver­triebs­ka­nä­len ver­füg­bar sind, son­dern die Pro­duk­te an­bie­ter­sei­tig be­stimm­ten von ih­nen zu­ge­ord­net wer­ den (z.  B. Kos­me­ti­ka-Her­stel­ler mit Apo­the­ken-Kos­me­tik­li­ni­en). Da­mit sind die Ver­triebs­ka­nä­le in Be­zug auf die be­trof­fe­nen Pro­duk­te in ih­rer Wett­be­werbs­be­ zie­hung ent­zerrt, die ho­ri­zon­ta­len Span­nun­gen zwi­schen ih­nen ver­rin­gern sich ent­spre­chend. Zug­leich ver­rin­gert sich die Pro­dukt­ver­füg­bar­keit je Ver­triebs­ka­ nal und es ent­steht ein er­höh­ter Auf­wand zur Steu­e­rung und Len­kung der Ak­ ti­vi­tä­ten. All­ge­mei­ne Vor­tei­le der An­la­ge nach Pro­dukt / -grup­pen sind fol­gen­de. In der Or­ga­ni­sa­ti­on ist eine po­ten­zi­ell hohe Ef­fi­zienz durch Spe­zi­a­li­sie­rungs­mög­lich­ keit ge­ge­ben. Dies wird un­ter­stützt durch den Ein­satz spe­zi­fi­scher Ver­triebs­me­ tho­den und Ver­triebs­tech­ni­ken. Eine fo­kus­sier­te Aus- und Wei­ter­bil­dung der Mit­ar­bei­ter im Ver­trieb führt zu ho­her Mo­ti­va­ti­on durch ih­ren Ex­per­ten­sta­tus. Es bes­te­hen gute Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und In­for­ma­ti­ons­be­din­gun­gen zwi­schen al­ len Un­ter­neh­mens­funk­ti­o­nen in­ner­halb ei­ner Pro­dukt­spar­te. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Es kommt zu ho­hen / stei­gen­den Kos­ten durch Mul­ti­pli­zie­rung der Ver­triebs­an­stren­gun­gen in der Or­ga­ni­sa­ti­on in­fol­ge Kom­ple­xi­tät. Die An­la­ge kann zu Irr­ita­ti­on und Frust­ra­ti­on der Ab­neh­ mer füh­ren, da die­se sich für ver­schie­de­ne Pro­duk­te pa­ral­le­ler Be­treu­ung ge­ gen­über se­hen. Es bes­teht ein ho­her Be­darf an qua­li­fi­zier­ten Mit­ar­bei­tern. Und es ist eine auf­wän­di­ge Steu­e­rung pro­duktüber­grei­fen­der Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ten er­for­der­lich.



6.5.5

6.  Dimensionen des Vertriebskanals241

Gesplitteter Vertrieb nach Absatzgebieten

Die An­la­ge nach Ab­satz­ge­bie­ten kann in meh­re­ren Ab­stu­fun­gen er­fol­gen. Eine lo­ka­le An­la­ge un­ter­schei­det nach ein­zel­nen Stand­or­ten, dies ist wich­tig hin­sicht­lich der phy­si­schen Er­reich­bar­keit des An­ge­bots, etwa bei Dienst­leis­tun­ gen in Ab­hän­gig­keit von der Pass­aten­fre­quenz oder Kauf­in­ten­si­tät. Eine na­ti­o­ na­le An­la­ge un­ter­schei­det meist in kauf­kraftstar­ke und -schwa­che Ge­bie­te, ty­ pi­scher­wei­se also städ­ti­sche und länd­li­che. Die Dis­tri­bu­ti­on in ers­te­ren lohnt häu­fig mehr (z. B. für Wa­ren des ge­ho­be­nen Be­darfs). Eine in­ter­na­ti­o­na­le An­ la­ge un­ter­schei­det nach grenz­über­schrei­ten­den Ab­satz­ge­bie­ten. Da­bei kann es sich um ein­zel­ne aus­län­di­sche Märk­te, ho­no­ge­ne Län­der­markt­grup­pen oder eine glo­ba­le Di­men­si­on han­deln. Vor­tei­le der An­la­ge nach Ab­satz­ge­bie­ten sind fol­gen­de. Es ist eine in­ten­si­ve und über­schnei­dungs­freie Be­ar­bei­tung der Märk­te mög­lich. Dies führt zu ei­ner ho­hen Ef­fi­zi­enz im Ver­trieb. Die Mit­ar­bei­ter kön­nen im Hin­blick auf re­gi­o­na­le Be­son­der­hei­ten ge­schult wer­den. Durch die ein­deu­ti­ge Auf­ga­ben- und Er­geb­nis­ zu­ord­nung ent­steht ein un­mit­tel­ba­rer Mo­tiv­ati­on­sef­fekt. Es sind ein ge­rin­ger Ko­or­di­na­ti­ons­auf­wand und eine gute Er­geb­nis­kon­trol­le im Ma­na­ge­ment ge­ge­ ben. Au­ßer­dem er­folgt eine Un­ter­stüt­zung von Cross Sel­ling im Pro­gramm. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Es stel­len sich hohe An­for­de­run­ gen an die Mit­ar­bei­ter. Die Durch­set­zung ei­ner an über­ge­ord­ne­ten Zie­len ori­en­ tier­ten, ein­heit­li­chen Ver­trieb­spo­li­tik wird er­schwert. Eben­so er­schwe­ren Men­ ta­li­tät­sun­ter­schie­de die Markt­be­ar­bei­tung. Und es kommt zu Ab­stim­mungs­prob­ le­men bei Ab­neh­mern mit meh­re­ren Stand­or­ten. 6.5.6

Gesplitteter Vertrieb nach Kundenarten

Beim Mehr­ka­nal­ver­trieb nach Kun­den­wert kann sei­tens die­ser Ab­neh­mer eine Selbst­wahl oder eine Fremd­wahl an­ge­wen­det wer­den. Er­ste­res be­deu­tet, dass Kun­den sich selbst ei­nem Ver­triebs­ka­nal zu­ord­nen, letz­te­res be­deu­tet, dass sie durch den Her­stel­ler ei­nem Ver­triebs­ka­nal zu­ge­ord­net wer­den, also Zu­griffs­ be­schrän­kun­gen be­ste­hen. Hin­sicht­lich der Selbst­wahl ist vom An­reiz-Bei­tragsSy­stem zur Prä­fe­renz­bil­dung aus­zu­ge­hen, d.  h., die Wahl er­folgt nach dem emp­fun­de­nen Über­ge­wicht von An­rei­zen durch z.  B. Preis­vor­teil, Be­quem­lich­ keit, In­di­vi­dua­li­tät oder Bei­trä­gen durch z.  B. Ei­gen­lei­stungs­an­teil, In­formations­ aufwand, Er­reich­barkeit.­ Vor­tei­le der An­la­ge nach Kun­den­wert sind fol­gen­de. Es ist ein ho­hes Maß an Ver­traut­heit mit den spe­zi­fi­schen Prob­le­men und Be­dar­fen der Kun­den(-grup­ pen) ge­ge­ben. Dies er­mög­licht eine ge­ziel­te Be­ar­bei­tung ein­zel­ner Kun­ den / -grup­pen durch spe­zi­a­li­sier­te Ver­triebs­me­tho­den und Ver­kaufs­tech­ni­ken. Die Be­deu­tung der ein­zel­nen Kun­den / -grup­pen wird bei der All­oka­ti­on der Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ten be­rück­sich­tigt. Es ist eine schnel­le und fle­xib­le Re­ak­ti­on

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

auf Markt­verän­de­run­gen und Nach­fra­ge­trends mög­lich. Cross Sel­ling wird un­ ter­stützt, da der Kun­de alle Leis­tun­gen aus ei­ner Hand er­hält. Die Mit­ar­bei­ter des An­bie­ters wer­den da­bei zu ver­trau­ten An­sprech­part­nern. Dem ste­hen fol­gen­de Nach­tei­le ge­gen­über. Es ent­ste­hen hohe Kos­ten durch Mul­ti­pli­zie­rung al­ler Ver­triebs­an­stren­gun­gen so­wie ein ho­her Ko­or­di­na­ti­ons­auf­ wand bei der Füh­rung der Mit­ar­bei­ter und der Wahr­neh­mung kun­den(grup­pen-) über­grei­fen­der zent­ra­ler Ver­triebs­ak­ti­vi­tä­ten. Dies setzt eine trag­fä­hi­ge Markt­ seg­men­tie­rung vo­raus, die häu­fig nur schwer im­ple­men­tier­bar ist. Prob­lem­atisch ist je­doch die Er­mitt­lung des zu­grun­de ge­leg­ten Kun­den­werts. Hin­zu kommt die Zeit­per­spek­ti­ve bei dy­na­mi­scher Be­trach­tung, die an­ge­zeigt ist. Au­ßer­dem ist frag­lich, wer im Ein­zel­fall „Kun­de“ ist, etwa die Kon­zern­zen­ tra­le oder eine be­stel­len­de De­pen­dan­ce. 6.5.7

Cross Channel Distribution

Die­se be­fasst sich mit der Auf­tei­lung des Ver­triebs­ka­nals auf be­stimm­te Teil­ auf­ga­ben in der Dis­tri­bu­ti­on. Da­bei kann zwi­schen In­ter­ak­ti­ons­auf­ga­ben und Trans­ak­ti­ons­auf­ga­ben un­ter­schie­den wer­den. Er­ste­re be­zie­hen sich auf die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Lie­fe­rant und Ab­neh­mer. Hier­für ste­hen un­ter­schied­ li­che Ka­nä­le be­reit, die es nach In­halt, Form, Zeit und Raum auf­ein­an­der ab­ zu­stim­men gilt. Dies ist pri­mär Auf­ga­be der Kom­mu­ni­ka­ti­onspo­li­tik. Letz­te­re be­zie­hen sich auf den Über­gang von Sach- und Geld­lei­stun­gen zwi­ schen Lie­ fe­ rant und Ab­ neh­ mer. Dies ist pri­ mär eine Auf­ ga­ be der Distri­ butionspo­li­tik. Die Pha­sen der Dis­tri­bu­ti­on und da­mit die Auf­ga­ben kön­nen wie folgt ru­bri­ziert wer­den: •• Vor­ver­kaufspha­se (In­ter­es­sen­ten­aus­wahl, Kun­den­ak­qui­si­ti­on), •• Nach­ver­kaufspha­se (Be­zie­hungs­auf­bau, Pro­dukt­wer­ter­hö­hung, Pro­duk­tan­zahl­ erhöhung,­ Re­fe­ren­zie­rung und Wei­teremp­feh­lung, In­for­ma­tions- und In­te­gra­ ti­ons­nut­zen, Kun­den­re­vi­ta­li­sie­rung, Kun­den­re­ak­ti­vie­rung, Kun­den­aus­gren­ zung, Kün­di­gungs­prä­ven­ti­on, Kun­den­rück­ge­win­nung). Da­für ste­hen rea­le und vir­tu­el­le Ver­triebs­ka­nä­le zur Ver­fü­gung. Dar­aus kann je­der Pha­se der Dis­tri­bu­ti­on ein Ver­triebs­ka­nal zu­ge­ord­net wer­den. Insb. kön­nen die Ver­triebs­ka­nä­le da­bei in Be­zug auf Off­li­ne (real di­rekt, real in­di­rekt) oder On­line (vir­tu­ell) un­ter­schie­den wer­den und die Dis­tri­bu­ti­ons­auf­ga­ben in Be­zug auf die Vor­kauf­pha­se (Re­cruit­ment) oder Nach­kauf­pha­se (Re­ten­ti­on, Rein­force­ ment, Re­co­ve­ry). Die in­di­vi­du­el­le Cus­to­mer Jour­ney kann sich auf­grund der Kom­bi­na­to­rik die­ser Kon­takt­punk­te aus­ge­spro­chen viel­fäl­tig dar­stel­len. Hier für Tran­spa­renz zu sor­gen, stellt sich als schwie­rig he­raus. In­so­fern ist es das Ziel, Nut­zern durch be­wuss­te Ver­ket­tung der Kon­takt­punk­te be­stimm­te Cus­to­mer Jour­neys na­he­zu­le­gen. Dies er­folgt durch ge­ziel­te Ver­wei­sung un­ter­ei­nan­der, de­fi­nier­te Ein­stiegs­ka­nä­le und ei­nen „Ab­schluss­trich­ter“ (Sa­les Fun­nel).



6.  Dimensionen des Vertriebskanals243

Die Vor­ver­kaufs­pha­se (Pre Sa­les) dient der Kon­tak­tie­rung von In­te­res­sen­ten, ih­rer In­te­res­se­we­ckung und Ver­ket­tung zum Ab­schluss. Kon­takt­punk­te sind da­ bei u.  a. fol­gen­de: •• Print-An­zei­gen mit Cou­pon, Di­rekt­aus­sen­dun­gen, Ka­ta­lo­ge, •• TV-Spots mit Re­spon­see­le­ment, HF-Spots mit Re­spon­see­le­ment, •• Te­le­fon­kon­takt (out­bound), Te­le­fax­kon­takt, •• Aus­stel­lun­gen, Events, Prä­sen­ta­ti­o­nen, •• Ho­me­shop­ping, In­fo­mer­ci­als, Vi­deo­text, •• Me­di­en-Pla­ce­ment, Spon­so­ring, •• E-Mail-Kon­takt (Stand alo­ne), •• ei­ge­ne Web-Prä­senz (auch Wei­ter­lei­tun­gen, Dis­play-Wer­bung, Such­ma­schi­ nen­wer­bung etc.), •• Prä­sen­zen der On­li­ne-Ab­satz­hel­fer, Prä­sen­zen der On­li­ne-Ab­satz­mitt­ler, •• Kon­tak­te durch Her­stel­ler-Ver­triebs­mit­ar­bei­ter (In­nen- / Au­ßen­dienst), •• Kon­tak­te durch Ab­satz­hel­fer (Han­dels­ver­tre­ter, Kom­mis­si­o­nä­re, Han­dels­mak­ ler), •• Kon­tak­te durch Groß­han­dels- oder Ein­zel­han­dels-Ver­triebs­mit­ar­bei­ter am POS, •• Re­fe­ren­zen, Emp­feh­lun­gen, Pro­ben, Pro­spek­te etc. Der Kauf­ab­schluss (At Sa­les) kommt dann sta­ti­o­när, durch ge­prin­te­te oder elekt­ro­ni­sche Me­di­en zu­stan­de. In der Nach­ver­kaufspha­se (Af­ter Sa­les) ste­hen wie­derum viel­fäl­ti­ge Kon­takt­ punk­te zur Ver­fü­gung, u.  a.: •• Print-An­zei­gen, TV- / HF-Spots, Hot­li­ne / Hel­pli­ne, •• News­let­ters, In­stant Mess­aging, SMS / MMS, •• Fo­ren, So­ci­al Shop­ping, FAQ-Si­tes, •• ei­ge­ne Web-Prä­senz, Prä­sen­zen der On­li­ne-Ab­satz­hel­fer / -Ab­satz­mitt­ler, •• Rei­sen­de / Traf­fi­cer des Her­stel­lers, der Groß­händ­ler, der Ein­zel­händ­ler, •• So­ci­al Me­dia (So­zi­a­le Netz­wer­ke, Me­dia Sha­ring, Blog­ging, Tag­ging), •• Be­wer­tungs-Si­tes, Wi­kis, Mash-ups, Lo­ca­ti­on Ba­sed Ser­vi­ces / LBS, •• Kun­den­clubs, Re­warding-Sys­te­me, Cou­poning, •• Pa­ckun­gen, Be­die­nungs­an­lei­tun­gen, Tu­to­ri­als (Erklärvideos) etc. Zu­sam­men­fas­send lie­gen die Vor­tei­le der Mul­ti Chan­nel Dis­tri­bu­ti­on in Fol­ ge­ndem. Es kön­nen neue Ziel­grup­pen er­reicht wer­den. Es wird eine grö­ße­re

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Kun­den­nä­he rea­li­sier­bar. Der Sha­re of Cu­sto­mer er­höht sich. Auch stark frag­ men­tier­te Märk­te kön­nen gut be­dient wer­den. Es ent­ste­hen Wett­be­werbs­vor­tei­le. Und die Ab­satz­ba­sis kann ge­si­chert wer­den. Es wer­den zu­sätz­li­che Kon­takt­ punk­te (Cus­to­mer Touch Points) ge­schaf­fen. Die Ab­hän­gig­keit vom ein­zel­nen Ver­triebs­ka­nal sinkt. Die Dia­log­fä­hig­keit des An­bie­ters steigt. Es kommt zu ei­nem in­ter­nen Ri­si­ko­aus­gleich. Dem ste­hen fol­gen­de all­ge­mei­ne Nach­tei­le ge­gen­über. Es kann zu Kan­ni­ba­ li­sie­rungs­ef­fek­ten kom­men. Evtl. wird die kri­ti­sche Mas­se je Ver­triebs­ka­nal nicht er­reicht. Zu­gleich ent­steht ein ho­hes Maß an Kom­ple­xi­tät. Die­ses er­for­ dert ei­nen ho­hen Ab­stim­mungs­auf­wand. Es kann zur Kun­den­ver­wirrt­heit durch he­te­ro­ge­ne Auf­trit­te kom­men. Es ent­ste­hen ho­ri­zon­ta­le Macht­kon­flik­te um die Han­dels­span­ne. Vor al­lem gibt es Kon­flik­te zwi­schen al­ten und neu hin­zu­ kom­men­den Ka­nä­len (Wahr­neh­mungs-, Rück­sichts­lo­sig­keits-, Ver­tei­ lungs­kon­flikte). 6.6

Form des Vertriebskanals

Hin­sicht­lich des Dis­tri­bu­ti­ons­auf­baus ist konsti­tu­tiv wei­ter­hin die Ent­schei­ dung für eine ei­gen­ge­stal­te­te oder fremd­ge­stal­te­te Ver­triebs­ka­nal­form zu tref­fen (siehe Abb. 61). Im Zuge der Ei­gen­ge­stal­tung kann die­se wie­der­um zent­ral oder de­zen­tral aus­ge­legt sein, im Zuge der Fremd­ge­stal­tung kann die­se aus­ge­glie­dert oder ver­bun­den sein. 6.6.1

Eigengestaltung

Eine ei­gen­ge­stal­te­te Ver­triebs­ka­nal­form be­deu­tet, dass der Ver­trieb von Un­ ter­neh­mens­re­prä­sen­tan­ten selbst über­nom­men wird. Dies kann wie­der­um zent­ral oder de­zen­tral er­fol­gen. Eine zent­ra­le Ver­triebs­ka­nal­form meint da­bei, dass der Ver­trieb vom Un­ter­ neh­mens­sitz aus ini­ti­iert, durch­ge­führt und ko­or­di­niert wird. Dies ist etwa im Industriegeschäft üb­ lich, wo es um An­ la­ gen oder Sys­ te­ me geht, die weit­ ge­ hen­de ge­gen­sei­ti­ge Ver­pflich­tun­gen im­pli­zie­ren wie ho­her Be­trag, lan­ge Bin­ dungs­zeit, Re­pu­ta­ti­ons­be­deu­tung, Er­klä­rungs­be­dürf­tig­keit etc. Dort wer­den das Top-Ma­na­ge­ment, die ei­ge­ne Ver­triebs­ab­tei­lung / In­nen­ver­kauf ak­tiv. Die­ses Sy­ stem im­ pli­ ziert eine re­ la­ tiv gro­ ße Markt­ fer­ ne und ist da­ her vor allem in Bran­chen zu fin­den, in de­nen sich die Mar­ke­ting­denk­hal­tung viel­fach noch nicht mas­siv durch­ge­setzt hat, so etwa bei In­ves­ti­ti­ons­gü­tern. In Be­zug da­rauf sind vier Prin­zi­pi­en mög­lich. Beim Re­si­denz­prin­zip fin­det der Ver­trieb in den Räum­lich­kei­ten des Ver­käu­ fers statt. Der Käu­fer be­gibt sich dazu an den Ort des Ver­kaufs, im Han­del etwa in das La­den­ge­schäft des Händ­lers. Dies gilt aber auch für den Ver­kauf gro­ßer



6.  Dimensionen des Vertriebskanals245

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Abb. 61: Ausprägungen der Vertriebskanalform

Men­gen / ho­her Wer­te durch das Top-Ma­na­ge­ment beim Ab­neh­mer (etwa bei In­ves­ti­ti­ons­gü­tern). Dies bie­tet sich an, wenn der An­bie­ter im­mo­bil ist. Beim Dom­izilprin­zip fin­det der Ver­trieb in den Räum­lich­kei­ten des Käu­fers statt. Der Ver­käu­fer be­gibt sich dazu an den Ort des Kaufs, etwa die Woh­nung der Pri­vat­per­son oder das Büro des Ge­wer­be­trei­ben­den. Die­ser Au­ßen­ver­kauf ist ty­ pisch für die mei­ sten For­ men des B-t-B-Kon­ takts. Dies bie­ tet sich an, wenn Nach­fra­ger im­mobil sind. Beim Treff­prin­zip fin­det der Ver­trieb in „neu­tra­len“ Räum­lich­kei­ten statt. So­ wohl der Ver­käu­fer als auch der Käu­fer be­ge­ben sich dazu an die­sen drit­ten Ort,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

etwa den Mes­se­stand bei Markt­ver­an­stal­tun­gen, auf de­nen dann for­ma­li­sier­te oder aber un­ge­plan­te Trans­ak­tio­nen ab­lau­fen. Vo­raus­set­zung ist hier­bei, dass bei­de Par­tei­en mo­bil sind. Beim Dis­tanz­prin­zip fin­det hin­ge­gen kein per­sön­li­cher Ver­kauf, son­dern nur ein me­dia­ler Kon­takt statt. Die Wil­lens­er­klä­run­gen zu Ver­kauf und Kauf er­fol­ gen also über ge­prin­te­te Me­di­en wie An­zei­gen­cou­pon, Mai­ling, Ka­ta­log etc. oder über elek­tro­ni­sche Me­di­en wie Te­le­fon, Te­le­fax etc. so­wie in verstärk­tem Maße über E-Com­mer­ce. Eine de­zen­tra­le Ver­triebs­ka­nal­form meint, dass der Ver­trieb au­to­nom im ­Re­le­van­ten Markt ver­teilt statt­fin­det. Da­bei sind meh­re­re Aus­prä­gun­gen mög­ lich: •• Nie­der­las­sun­gen sind aus der Zen­tra­le in den Raum aus­ge­la­ger­te Ab­satz­stel­ len mit ei­ge­nem Ge­schäfts­sitz und Ge­richts­stand. Bei­spie­le sind die BMW-, Por­sche- oder Mer­ce­des-Nie­der­las­sun­gen an wich­ti­gen Stand­or­ten. •• Fi­li­a­len sind aus der Zen­tra­le in den Raum aus­ge­la­ger­te Ab­satz­stel­len, die den Ge­schäfts­sitz und Ge­richts­stand der Zen­tra­le über­neh­men. Man spricht da­her von Re­gie­be­trie­ben (z.  B. WMF, Nord­see, Hush Pup­pies, Ro­dier, Ro­ sent­hal, Betty Bar­clay, Sala­man­der, Bal­ly, Bi­jou Bri­git­te). Dies ist häu­fig bei Her­stel­ler­fi­li­a­lis­ten vor­zu­fin­den wie IKEA, H&M, Zara etc. Der Un­ter­schied zur Zen­tra­le ist, dass bei­de For­men über kein ei­ge­nes Ver­ mö­gen ver­fü­gen. Nie­der­las­sun­gen / Fi­lia­len ak­qui­rie­ren Auf­trä­ge ei­gen­stän­dig, or­ga­ni­sie­ren de­ren Ab­wick­lung und sor­gen auch für eine ent­spre­chen­de Nach­ be­rei­tung. Durch die räum­li­che Aus­glie­de­rung kann meist markt­nä­her agiert wer­den, zu­mal wenn an­de­re Spe­zia­li­sie­run­gen hin­zu­kom­men. Dabei ist je­weils zu be­ach­ten, wie sich die­se Ab­satz­stel­len in das De­sign des Ver­triebs­ka­nals ein­fü­gen. Nie­der­las­sun­gen und Fi­lia­len kön­nen viel­fa­che, be­ son­de­re Aus­prä­gun­gen ha­ben, so vor al­lem die nach­fol­gen­den. Flags­hip Stores / Brand Stores die­nen als De­monst­ra­ti­ons­lä­den des Her­stel­ lers. Sie sind in mar­kenad­äqua­ten La­gen (meist hoch­wer­tig, 1a-Lage) lo­ka­li­ siert, füh­ren nur die Pro­duk­te des be­tref­fen­den Her­stel­lers und sind häu­fig zu­ sätz­lich durch Ga­stro­no­mie­be­trie­be, Bü­roflä­chen etc. ab­ge­si­chert. Sie die­nen der Emo­tio­na­li­sie­rung des Mar­kener­leb­nis­ses, dem Auf­bau von Käu­fer­bin­dung und auch Markt­for­schungs­zwec­ken, der Ver­kauf ist nach­ge­ord­net. Mit­tel­fri­stig kann dar­in aber eine neue Di­rekt­ver­triebs­schie­ne lie­gen, um vom Han­del un­ab­ hän­gi­ger zu wer­den. Al­ler­dings ver­ur­sa­chen sie auch hohe Ko­sten bei ge­rin­gen Um­sät­zen. Bei­spie­le von Flags­hip Stores sind Nike Town, Apple, Tif­fany, Pra­da (alle New York). Fac­to­ry Out­lets sind Ver­kaufs­stel­len, ur­sprüng­lich nur am Ort der Her­stel­ lung und für Mit­ar­bei­ter, die wäh­rend be­stimm­ter Öff­nungs­zei­ten aus­ge­wähl­te Sor­ti­men­te (z.  B. II. Wahl oder Aus­lauf­ar­ti­kel) für das Pu­bli­kum an­bie­ten. Dies



6.  Dimensionen des Vertriebskanals247

führt im Er­geb­nis zu ei­ner Ver­stop­fung der Pipe­line und zur Sub­sti­tu­ti­on von Han­dels­ab­sät­zen. Sie sind aus Fa­briklä­den für Be­triebs­an­ge­hö­ri­ge meist un­mit­ tel­bar am Ort der Pro­duk­ti­ons­stät­te ent­stan­den. Das Sor­ti­ment be­steht meist über­wie­gend aus Be­klei­dung (Schu­he, Sport­ar­ti­kel, Haus­rat, Le­der­wa­ren etc.), die Ar­ti­kel stam­men aus Pro­duk­ti­ons­über­hän­gen (Over­run), Aus­lauf­mo­del­len (Dis­con­ti­nued), Vor­jah­res­mo­del­len (Past Sea­son), ir­re­gu­lä­rer Ware (Fac­to­ry Se­ cond), Mu­ster­pro­duk­ten oder spe­zi­ell für FOs pro­du­zier­ter Ware. Die Preis­set­ zung ist ag­gres­siv. Kun­den sind meist jün­ge­re Per­so­nen mit ho­hem Preis- und Mar­ken­be­wusst­sein (Smart Shop­per), die im wei­te­ren Ein­zugs­ge­biet woh­nen. De­monst­ra­ti­ons­lä­den sind re­prä­sen­ta­ti­ve Ge­schäfts­lo­ka­le in hoch fre­quen­tier­ ten La­gen, in de­nen die Pro­duk­te des Her­stel­lers vor­ge­führt und be­ra­ten wer­ den. Da­durch wird der Kon­takt zu den ei­ge­nen Pro­duk­ten in­ten­si­viert, der sich in Käu­fen im Han­del kon­kre­ti­siert. Das heißt, dort fin­det kein Ver­triebs­voll­zug statt, son­dern nur die Ver­triebs­vor­be­rei­tung. 6.6.2

Fremdgestaltung

Eine fremd­ge­stal­te­te Ver­triebs­ka­nal­form meint, dass der Ver­trieb ganz (aus­ ge­glie­dert) oder teil­wei­se (ver­bund­ge­stal­tet) über selbst­stän­di­ge Ak­teu­re (Ab­ satz­mitt­ler / Ab­satz­hel­fer) im Markt er­folgt. Eine aus­ge­glie­der­te Ver­triebs­ka­nal­form be­deu­tet, dass der Ver­trieb nicht vom Her­stel­ler, son­dern von von ihm be­auf­trag­ten Drit­ten über­nom­men wird. Da­bei kann es sich um Ab­satz­mitt­ler (ei­ge­ner Name / ei­ge­ne Rech­nung) oder Ab­satz­ hel­fer (frem­der Name und / oder frem­de Rech­nung) han­deln. Die­se be­zie­hen das Ent­gelt für ihre Tä­tig­keit dann ent­we­der aus der Han­dels­span­ne als Dif­fe­renz zwi­schen ih­rem Einstand­spreis und dem Net­to­ver­kaufs­preis oder aus Pro­vi­si­on für Ver­mitt­lung oder Ab­schluss von Auf­trä­gen. Bei Haus­be­su­chen kon­tak­tie­ren (meist haupt­be­ruf­li­che) Han­dels­ver­tre­ter Haus­hal­te im Door to Door Sel­ling-Prinzip und bie­ten dort ihre Wa­ren an. Da­ bei kann es sich um vor­se­lek­tier­te (hei­ße) Adres­sen han­delt, die der Her­stel­ler zur Ver­fü­gung stellt und die dem­ent­spre­chend grö­ße­re Er­folg­schan­cen bie­ten (z.  B. Vor­werk, Haka, Avon, Fe­li­ci­tas), oder um wahl­los auf­ge­such­te Haus­hal­te (kal­te Adres­sen), de­ren Er­folg­schan­cen eng be­grenzt sind (z.  B. Abon­nen­ten­wer­ bung der Ver­la­ge). Zu­dem sind recht­li­che Be­schrän­kun­gen im Ver­trags­ab­schluss zu be­ach­ten (Haus­tür­ge­schäf­te). Die Ver­tre­ter füh­ren meist ei­nen klei­nen Wa­ ren­vor­rat mit sich (Hand­la­ger), sind mit Wer­be­mit­teln aus­ge­stat­tet, lei­sten Be­ ra­tung, neh­men Auf­trä­ge ent­ge­gen und füh­ren das In­kas­so so­wie die Re­kla­ma­ ti­ons­ab­wick­lung durch. Da­durch sind An­schluss­käu­fe (Zu­be­hör) und mar­ken­ treue Fol­ge­käu­fe wahr­schein­lich. Al­ler­dings lei­det die­ser Ver­triebs­weg un­ter dem schlech­ten Image vie­ler un­se­riö­ser Ge­schäf­te­ma­cher.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Bei Home Par­ties ver­an­stal­tet ein ne­ben­be­ruf­li­cher Re­prä­sen­tant für Per­so­ nen sei­nes so­zia­len Um­felds in sei­ner Woh­nung ein ge­müt­li­ches Tref­fen mit an­re­gen­der Prä­sen­ta­ti­on und in­for­mel­lem Ver­kauf von Wa­ren. Da­bei wird auf pro­fes­sio­nel­le Vor­be­rei­tung gro­ßer Wert ge­legt (z.  B. Tup­per­wa­re, Am­way, Pier­re Lang, Jafra, Mary Kay, AMC). Der Ver­kauf er­folgt eher bei­läu­fig, auf Ba­sis der Sym­pa­thie und Au­then­ti­zi­tät von Be­zugs­per­so­nen, also scheinbar fern­ab je­des Hard Sel­lings in der ent­spann­ten Hei­mat­mo­sphä­re. Auf Schu­lun­gen er­fah­ren die Han­deln­den, wie sie tak­tisch ge­schickt eine ver­kaufs­för­dern­de Stim­mung schaf­fen, das Ge­spräch un­auf­fäl­lig in Rich­tung des ver­tre­te­nen Pro­ dukts len­ken, über­zeu­gend ar­gu­men­tie­ren und nach­ha­ken. Bei Sam­mel­bestel­lern han­delt es sich um (ne­ben­be­ruf­lich tä­ti­ge) Re­prä­sen­ tan­ten ohne kauf­män­ni­sche oder sach­kund­li­che Aus­bil­dung, die in ih­rem so­zia­ len Um­feld Be­stel­lun­gen im Ver­sand­han­del ent­ge­gen­neh­men, zu­sam­men­stel­len und wei­ter­lei­ten. Da­durch er­reich­te Ra­tio­na­li­sie­rungs­ef­fek­te wer­den in Form von Preis­nach­läs­sen durch den Her­stel­ler an Hand­lungs­ge­hil­fen (evtl. auch ­eigentliche Be­stel­ler) wei­ter­ge­ge­ben. Au­ßer­dem über­neh­men sie ak­qui­si­to­ri­sche und lei­stungs­er­gän­zen­de Vor­lei­stun­gen. Die lo­gi­sti­schen Lei­stun­gen (Zu­stel­lung, Um­tausch, Mon­ta­ge etc.) wer­den di­rekt vom Her­stel­ler er­le­digt. Ein Bei­spiel da­für ist der Otto-Ver­sand. Hier gibt es auch haupt­be­ruf­li­che Ab­satz­hel­fer mit Be­stel­l­l­äden. Beim Mul­ti Level Mar­ke­ting (MLM, auch Struk­tur­ver­trieb, Netz­werk­ver­ trieb) han­delt es sich um den Di­rekt­ver­trieb von Wa­ren und Dienst­lei­stun­gen vom Her­stel­ler an pri­va­te En­dab­neh­mer. Die der Di­rekt­ver­trieb­sor­ga­ni­sa­ti­on an­ge­hö­ren­den Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten be­trei­ben ihr En­ga­ge­ment ne­ben- oder haupt­be­ruf­lich als selbst­stän­di­ge Ge­wer­be­trei­ben­de, ohne La­ger­be­stän­de füh­ren oder Ab­nah­me­ver­pflich­tun­gen ein­ge­hen zu müs­sen. Zu­sätz­lich bie­tet die Or­ga­ ni­sa­ti­on je­dem Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten die Mög­lich­keit, nach Vor­ga­ben des Unter­neh­mens, das die be­tref­fen­de Or­ga­ni­sa­ti­on un­ter­hält, neue Ver­triebs­re­prä­ sen­tan­ten zu ge­win­nen, ein­zu­ar­bei­ten, zu schu­len und wei­ter­hin lau­fend zu be­ treu­en. Da­durch ent­ste­hen im Zeitab­lauf viel­stu­fi­ge Ver­triebs­li­ni­en. Zur Kom­ pen­sa­ti­on für die im Ver­kauf von Pro­duk­ten und Dienst­lei­stun­gen selbst er­ziel­ ten Lei­stun­gen er­hält je­der Ver­triebs­re­prä­sen­tant Ver­kaufs­pro­vi­sio­nen. Als Ge­ gen­lei­stung für die Re­kru­tie­rung, Be­treu­ung, Aus­bil­dung und Füh­rung von Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten wer­den je­dem hö­her­stu­fi­gen Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten Lei­tungs­pro­vi­sio­nen (Su­per­pro­vi­si­on) ge­zahlt. Die Pro­vi­si­ons­hö­hen er­ge­ben sich eben­so wie die ggf. zu er­rei­chen­den Be­för­de­rungs­stu­fen aus dem je­weils gel­ten­den trans­pa­ren­ten Kar­riere­plan, den je­der Ver­triebs­re­prä­sen­tant durch­läuft und der als An­reiz­sy­stem glei­cher­ma­ßen für alle Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten gilt. Die Ver­triebs­re­prä­sen­tan­ten han­deln im Ei­gen­han­del, als Kom­mis­sio­när (ohne Ei­gen­tum­ser­werb) oder als Han­dels­ver­tre­ter. Das Sys­tem ist der­art an­ge­legt, dass Ab­satz­hel­fer obe­rer Stu­fen an den Ab­schlüs­sen von Ab­satz­hel­fern un­te­rer Stu­fen par­ti­zi­pie­ren, die mit stei­gen­dem Er­folg selbst auf eine im­mer hö­he­re Stu­fe avan­cie­ren und im­mer mehr pro­fi­tie­ren. Die Tä­tig­keit kann haupt­be­ruf­



6.  Dimensionen des Vertriebskanals249

lich oder ne­ben­be­ruf­lich aus­ge­übt wer­den (z.  B. DVAG, VB, AWD, Quinz, Bonn­fi­nanz, MLP, Plan­se­cur, HMI). Wei­te­re Bran­chen sind Schlank­heits­mit­tel, Si­cher­heits­an­la­gen, An­zei­gen, Des­sous, Bü­cher, Clubs etc. Im Un­ter­schied zu le­ga­len MLM-Sy­ste­men ist es ver­bo­ten, an­de­re zu ver­an­ las­sen, Wa­ren im De­pot ab­zu­neh­men und in erst noch auf­zu­bau­en­de Ver­ triebsstruk­tu­ren hin­ein zu ver­kau­fen (Pro­gres­si­ve Kun­den­wer­bung). Dies ist beim Schnee­ball­sy­stem der Fall. Ein Sy­stem­trä­ger schließt da­bei mit Kun­den Ver­trä­ge ab, die dem Sy­stem­trä­ger wei­te­re Ab­nah­me­ver­trä­ge von Nach­fol­ge­ kun­den si­chern. Der vom Kun­den zu be­glei­chen­de Kauf­preis wird be­zahlt, in­ dem der be­tref­fen­de Kun­de den Ab­schluss wei­te­rer Ab­nah­me­ver­trä­ge an Nach­ fol­ge­kun­den ver­mit­telt und da­für be­son­de­re Pro­vi­sio­nen, Boni etc. er­hält. Kenn­zei­chen sind nur ge­ring wert­hal­ti­ge Pro­duk­te und kein ori­gi­nä­res Ver­ triebs­­in­te­res­se. Eine ähn­li­che Form ist das Py­ra­mi­den­sy­stem. Da­bei ver­an­lasst ein Sy­stem­ trä­ger Kun­den zur Wa­ren­ab­nah­me in ei­nen der­ar­tig ho­hen Aus­maß, dass die­se Kun­den prak­tisch wei­te­re Kun­den zur Wa­ren­ab­nah­me mo­ti­vie­ren müs­sen, die wie­der­um wei­te­re Kun­den zur Wa­ren­ab­nah­me ge­win­nen etc. Der Sy­stem­trä­ger schließt nur mit der zu­erst kau­fen­den Kun­de­ne­be­ne ei­nen Kauf­ver­trag ab, die­se wie­der­um schlie­ßen Kauf­ver­trä­ge mit wei­te­ren Kun­den ab etc. Die Pro­duk­te wer­den ent­spre­chend wei­ter­ge­reicht. Beim Wei­ter­ver­kauf wird in al­ler Re­gel ein Preis­auf­schlag vor­ge­nom­men. Die Ge­win­ner­zie­lung wird also durch Ein­zah­lung von Geld­be­trä­gen er­reicht. Als ju­ris­ti­sches Trenn­kri­te­ri­um gilt meist, ob ein Sy­stem­mit­glied das an­ge­bo­ te­ne Pro­dukt auch er­wer­ben wür­de, wenn es kei­ne Pro­vi­si­on für des­sen Wei­ter­ ver­kauf er­hiel­te und ob die Ver­dienst­mög­lich­kei­ten über­wie­gend aus den Vor­ tei­len be­ste­hen, die für die An­wer­bung neu­er Sy­stem­mit­glie­der ge­währt wer­den. In­so­fern ent­steht die Un­lau­ter­keit und Straf­bar­keit aus der do­mi­nan­ten Pro­gres­ si­on des Sy­stems durch stän­di­ge Neu­auf­nah­me wei­te­rer Teil­neh­mer. Neue Teil­ neh­mer wer­den ge­nö­tigt, für den Er­halt ih­rer Pro­vi­si­ons­be­rechtigung­ mehr Wa­ren / Dien­ste zu kau­fen als für den Ei­gen­be­darf be­nö­tigt, so dass da­durch ein Zwang zum Wer­ben wei­te­rer Teil­neh­mer be­grün­det wird. Eine ver­bund­ge­stal­te­te Ver­triebs­ka­nal­form liegt beim Ver­kauf über recht­lich selbst­stän­di­ge, wirt­schaft­lich aber un­selbst­stän­di­ge Ver­triebs­or­ga­ne vor. Es han­ delt sich um eine Zwi­schen­form we­der völ­li­ger Aus­glie­de­rung noch Ei­gen­wahr­ neh­mung der Ver­triebs­funk­ti­on. Drei wich­ti­ge For­men be­tref­fen hier: •• die Ver­kaufs­hol­ding als recht­lich selbst­stän­di­ge, wirt­schaft­lich ge­bun­de­ne Kon­zern­dach­ge­sell­schaft, an die an­de­re ver­bun­de­ne Kon­zern­tei­le die Ver­ kaufs­funk­ti­on ih­rer Be­trie­be ab­tre­ten, •• das Ver­kaufs­syn­di­kat als recht­lich ge­bun­de­ner, wirt­schaft­lich selbst­stän­di­ger Kar­tell­teil, bei dem Syn­di­ka­li­sten nur die Ver­kaufs­funk­ti­on ih­rer Be­trie­be an ein ge­mein­sa­mes Or­gan ab­tre­ten (dies ist wett­be­werbs­recht­lich verboten),

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• das Kon­trakt­mar­ke­ting als ver­ti­ka­le Ko­ope­ra­ti­on zwi­schen Her­stel­ler- und Han­dels­stu­fen zur För­de­rung der Verkaufs­funk­ti­on im Ver­triebs­ka­nal (dies ist eine völ­lig le­ga­le Aus­le­gung). Die­se Art dau­er­ver­trag­li­cher Schuld­ver­hält­nis­se ist ver­brei­tet vor­zu­fin­den. Sie ist in der Lage, In­te­res­sen­si­den­ti­tä­ten im Ver­ triebs­ka­nal zu för­dern. Das Ver­triebs­ka­nal­de­sign zum Dis­tri­bu­ti­ons­auf­bau er­gibt sich nun­mehr aus der in­di­vi­du­el­len Kom­bi­na­ti­on der Grö­ßen Ver­triebs­ka­nal­tie­fe, Ver­triebs­ka­nal­ brei­te, Ver­triebs­ka­nal­struk­tur und Ver­triebs­ka­nal­form. Es gibt da­für kein „Pa­ tent­re­zept“, zu­mal sich die De­signs auch an­ge­sichts von Markt­strö­mun­gen, Wett­be­werbs­ak­ti­vi­tä­ten, Nach­fra­ge­trends etc. in ste­ter Ver­än­de­rung / An­pas­sung be­finden.



7.

7.   Konzept des Direktvertriebs251

Konzept des Direktvertriebs

Im Un­terkapitel „Konzept des Direktvertriebs“ werden die Elemente des unmittelbaren Kontakts zwischen dem Hersteller einer Sach- oder Dienstleistung und dessen gewerblichen oder privaten Endabnehmern beleuchtet. Der Direktvertrieb erfolgt entweder über eigene Vertriebsmitarbeiter (7.1) oder über verschiedene akquisitorische Absatzhelfer (7.2). Unterstützend kommen reale Marktveranstaltungen (7.3) in Betracht ebenso wie die Nutzung von Medien, sei es in Form des Katalogverkaufs (7.4), des Verkaufs mittels Dialogmedien (7.5) oder mithilfe von Veranstaltungsmedien (7.6). Eine hohe Bedeutung kommen im Vertrieb auch der Verkaufsförderung (7.7), der Fachwerbung (Professional Interest) (7.8) und dem Streuprospekt (7.9) zu. Diese werden daher detailliert untersucht. Leser kennen die verschiedenen, möglichen Ausprägungen des Direktvertriebs. Sie können deren komparative Vor- und Nachteile bewerten. Und sie sind in der Lage, diese Erkenntnisse auf praktische Vertriebssituationen zu transferieren. 7.1

Eigene Vertriebsmitarbeiter

Der Direktvertrieb erfolgt vom Hersteller unmittelbar an Endabnehmer, also unter Ausschaltung zwischengeschalteter Absatzmittler. Dies kann durch unternehmenseigene Vertriebsorgane (= interner Direktvertrieb) oder unternehmensfremde Absatzhelfer (= externer Direktvertrieb) erfolgen. Bei ersteren handelt es sich etwa um Reisende (VADM), bei letzteren um Absatzhelfer, vor allem Handelsvertreter, Kommissionäre und Handelsmakler. 7.1.1

Mitarbeiteradministration

Die Mitarbeiteradministration umfasst im Einzelnen die Aufgaben der Beschaffung, der Auswahl, des Einsatzes, der Beurteilung, der Entwicklung und der evtl. Freisetzung von Vertriebsmitarbeitern (siehe Abb. 62). 7.1.1.1 Beschaffung Die Personalbestandsplanung betrifft den quantitativen und qualitativen Bestand an Vertriebsmitarbeitern in einem Unternehmen. Um die Personalbedarfsbasis zu bestimmten, sind Planungsmethoden anhand von Kennzahlen, Stellenplänen und Erhebungen (z. B. Refa) erforderlich. Dies umfasst die •• aktuelle Personalbestandsanalyse hinsichtlich der Zusammensetzung des Personalbestands, •• quantitative Personalplanung analog zum Einsatzbedarf,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

    

  







  

 

  

Abb. 62: Mitarbeiteradministration

•• qualitative Personalplanung hinsichtlich der Eignung der Mitarbeiter für jeweils anstehende Tätigkeiten, •• zeitliche Personalplanung in Bezug auf die Verfügbarkeit der Arbeitsleistung. Der Personalbestand wird dann mit dem zukunftsorientierten Personalbedarf in Bezug auf Anforderungsprofil und Leistungsprofil abgeglichen. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist absehbar, dass vor allem High Potentials, also Nachwuchsführungskräfte, schon bald knapp werden (War for Talents). In einigen Bereichen ist dies bereits heute erkennbar, z. B. Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler, Techniker (MINT). Diese Lücke kann bisher durch Immigration nicht ausgeglichen werden, erstens ist der Wanderungssaldo negativ, d. h. mehr High Potentials emigrieren als immigrieren, zweitens kommen überwiegend gering qualifizierte Immigranten, die zudem schlecht integriert werden, drittens ist Deutschland als Arbeitsland für qualifizierte Zuwanderer offensichtlich wenig attraktiv und viertens werden für Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern hohe Verbleibshürden aufgebaut. Im Betrieb geht es dann um die optimale Eingliederung der Beschäftigten in den Arbeitsprozess. Dies erfolgt durch Einarbeitung, Stellenzuweisung, Stellenanpassung. Die Aufgabenerweiterung bezieht sich auf eine quantitative Ausdehnung der Tätigkeit (Job Enlargement) oder einen Arbeitsplatzwechsel (Job Rotation). Die Aufgabenanreicherung bezieht sich auf den Anteil dispositiver Arbeit (Job Enrichment) oder den Autonomiegrad der Arbeit (Teilautonome Arbeitsgruppe). Weiterhin gibt die Betriebsordnung wichtige Rahmendaten der Tätigkeit wie Geheimhaltung, Arbeitszeiten, Pausen, Mehrarbeit, Urlaub, Sicherheitsvorschriften, Verhaltensstandards etc. explizit vor.



7.   Konzept des Direktvertriebs253

Die Mitarbeiterbeschaffung befasst sich mit der Bereitstellung von Arbeitskräften infolge Neu-, Ersatz-, Überbrückungs- oder Mehrbedarfen. Die Beschaffung erfolgt auf internen oder externen Wegen. Interne Wege betreffen meist folgende: •• Eine innerbetriebliche Stellenausschreibung kann teils durch den Betriebsrat erzwungen werden, ist aber ohnehin immer sinnvoll, um vorhandene Potenziale zu nutzen. •• Eine Versetzung erfolgt auf Weisung des Arbeitgebers (nur bei Äquivalenz der Arbeitsstelle) oder durch Änderungskündigung (nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer). •• Die Personalentwicklung betrifft die Ausbildung, (Anpassungs- oder Aufstiegs-)Fortbildung und Umschulung von Arbeitnehmern im Rahmen der Personalförderung. •• Mehrarbeit bedeutet eine Verlängerung der Arbeitszeit (durch Überstunden, Zusatzschicht etc.). Dies kann durch Entgeldaufschläge oder zusätzliche Freizeit kompensiert werden. Externe Wege der Personalbeschaffung betreffen meist folgende: •• Die Arbeitsvermittlung erfolgt öffentlich durch die Agentur für Arbeit, die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung oder auch privat gegen 12–15 % Vergütung bezogen auf das Jahresbruttogehalt. •• Eine Stellenanzeige enthält mindestens Inhalte wie Unternehmensvorstellung, Stellenbeschreibung, Anforderungsmerkmale, Gegenleistungen, Bewerbungsunterlagen etc., zunehmend auch im Internet durch Jobbörsen, Homepage etc. publiziert. •• Ein Personalberater leistet begleitende Tätigkeiten zur Personalbeschaffung im gehobenen und höheren Genre. •• Die Arbeitnehmerüberlassung bedeutet eine befristete Entleihung von Arbeitskräften. Entsprechende Vermittler bedürfen der Erlaubnis, diese ist zu versagen bei Unzuverlässigkeit, mangelnder Betriebsorganisation, Missachtung des Tarifvertrags etc., unwirksam sind Verträge bei Missbrauch. Es gilt der Grundsatz der gleichen Bezahlung wie bei festen Arbeitnehmern. Auch jede Arbeitsagentur unterhält eine Personal-Service-Agentur zur Arbeitnehmer­ überlassung. Eine Abwerbung vom Wettbewerb ist nur unzulässig bei sittenwidrigem Verhalten wie z. B. Verleitung zum Vertragsbruch, irreführende Angaben über neue Arbeitsstelle, systematische Konkurrenzschwächung. Als neue Form werden Werkverträge praktiziert, dabei wird keine Arbeit geschuldet, sondern die erfolgreiche Erstellung einer vorab vereinbarten Leistung. Partiell ist damit eine Umgehung von Tarifvertragsbestimmungen möglich.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Stellenanzeigen können geprintet und online geschaltet werden. Oft sind auch Stellenbörsen oder Personalvermittler zwischengeschaltet. Die Anzeigen können reine Wort- oder besser kombinierte Wort-Bild-Anzeigen sein. Das suchende Unternehmen kann dabei offen auftreten oder verdeckt bleiben, dann treten Servicers wie Arbeitsvermittler oder Personalberater als Absender oder unter Chiffre auf. Der Auftritt sagt etwas über die Bedeutung des Unternehmens bzw. der zu besetzenden Stelle aus. Deshalb dienen Personalanzeigen auch Imagezwecken („Second Audience“). Zu den arbeitgeberseitigen Ausschreibungsunterlagen gehören die zu besetzende Position mit einer kurzen Beschreibung der Aufgaben, Kompetenzen und internen Einordnung sowie die Darstellung von Aufstiegschancen, Besetzungstermin, evtl. Ausschreibungsgründe. Dazu gehören die geforderte Qualifikation in Bezug auf Fähigkeiten, Berufserfahrungen, Kenntnisse, Ausbildung etc. Bei externer Suche wird eine Beschreibung des suchenden Unternehmens erforderlich, hinsichtlich Branche, Standort, Größe, Firmenstil etc. Dann wird eine Ansprechperson genannt, evtl. kommen Angaben zu Gehalt, Weiterbildungsoptionen, Sozialleistungen, Einarbeitungshilfen etc. hinzu. Bei der Ausschreibung ist auf diskriminierungsfreie Formulierungen zu achten, z. B. in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Gesundheit, Alter, Hautpigmentierung, sexuelle Orientierung, Behinderung (Diversity Management / Inklusion). Daher werden gelegentlich anonyme Bewerbungen zur Vorauswahl propagiert. Für die Beschaffung ist das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle von zentraler Bedeutung. Dieses basiert auf der Stellenbeschreibung, welche die Hauptaufgaben des Stelleninhabers enthält. Daraus lassen sich die notwendigen Kompetenzen ableiten, die eine Ausfüllung der Stelle erfordern. Solche Schlüsselqualifikationen lassen sich in den vier Dimensionen Fach-, Methoden-, Sozial- und Individualkompetenz beschreiben. Sozial- und Individualkompetenzen stellen Soft Skills dar, die im Berufsleben immer wichtiger werden. Problematisch kann dabei die Operationalisierung dieser Fähigkeiten sein. 7.1.1.2 Auswahl Die Mitarbeiterauswahl findet anhand von Lebenslauf, Personalfragebogen, Vorstellungsgespräch, Testverfahren, Assessment Center, Graphologiegutachten, ärztlicher Eignungsuntersuchung etc. statt und mündet ggf. im Einstellungsentscheid. Am Anfang steht dabei die genaue Analyse der Bewerbungsunterlagen, Nach Prüfung des Eingangs einer aufgeforderten oder auch unaufgeforderten (Initiativ-)Bewerbung wird eine Sichtung vorgenommen. Kriterien zur Beurteilung sind das Bewerbungsschreiben (nach Inhalt, Stil und Aussehen), ggf. das Bewerberfoto (Art, Alter, Äußerlichkeiten etc.), der Lebenslauf (nach Zeitabfolge und Position) sowie ein Personalfragebogen. Formal sind die Vollständigkeit



7.   Konzept des Direktvertriebs255

bzw. Lückenlosigkeit der Unterlagen, Werdegang und Zeugnisangaben von Bedeutung. Die inhaltliche Prüfung bezieht sich vor allem auf die fachliche Kompetenz der Bewerber. Daraus folgt eine Klassifizierung. Telefon- / Videointerviews werden häufig eingesetzt, um sich ein erstes persönliches Bild zu machen. Dabei können offene Fragen aus den Unterlagen geklärt werden, ebenso wie interessierende Sachverhalte, die in schriftlichen Unterlagen möglicherweise nur ungern dargelegt werden wie Kündigungsgrund, Gehaltsvorstellung, Verfügbarkeitstermin etc. Ausgewählte Bewerber werden zum näheren Kennenlernen zu Vorstellungsgespräch, Eignungstest o. Ä. eingeladen. Das Vorstellungsgespräch erfolgt als Einzel- oder Gruppengespräch durch einen oder mehrere Beurteiler aus der Fach- oder Personalabteilung. Es ist als Belastungsgespräch, frei, strukturiert oder standardisiert möglich. Inhalte sind Informationen zur Personen-, Bildungsund Berufssituation, zum Unternehmen, zu Vertragsvorstellungen etc. Das persönliche Interview vertieft dann vor allem die Soft Skills-Eindrücke. Dabei sind zumeist Vertreter sowohl der Personal- als auch der Fachabteilung zugegen. Häufig ist auch eine Rollenteilung der Gesprächspartner anzutreffen (Good Guy / Bad Guy). Das Gespräch kann offen (explorativ), leitfadengestützt oder stark strukturiert durchgeführt werden. Je höher der Standardisierungsgrad, desto vergleichbarer sind verschiedene Interviews untereinander und desto besser ist sichergestellt, dass keine relevanten Informationen vergessen werden. Desto weniger kann allerdings auch auf die Individualität der Person des Bewerbers eingegangen werden. Unpersönliche Testverfahren richten sich auf Eignung, Fähigkeit, Verhalten etc. auf Basis von Graphologiegutachten, Eignungsuntersuchung etc. Unzulässig sind dabei im Regelfall Fragen nach Schwangerschaft, Vermögensverhältnissen, Gewerkschafts- / Partei- / Religionszugehörigkeit etc., daher ist Lügen hier erlaubt (die Frage gilt rechtlich als nicht gestellt). Fragen, die sich auf offen erkennbare Behinderung, chronische Krankheit, Wettbewerbsverbot etc. richten, sind zulässig und daher auch ohne Nachfrage anzugeben (andernfalls ist die Anfechtung des Arbeitsvertrags möglich). Arbeitszeugnisse (Zwischen- / Abschlusszeugnis, einfaches / qualifiziertes Zeugnis nach Arbeitsleistung, Sozialverhalten etc.) müssen zwingend wahr und zugleich wohlwollend formuliert sein, was zu Formulierungsklauseln führt. Weitere Informationsquellen sind Schul- / Studienzeugnisse, Referenzen, Arbeitsproben etc. Eignungstests sind als Persönlichkeitstest, Fähigkeitstest oder Verhaltenstest (Assessment-Center / AC) angelegt. ACs sollen für die Besetzung gehobener Positionen ein konkretes Erleben des Bewerbers ermöglichen. Dazu werden typische Situationen aus dem Arbeitsalltag zugrunde gelegt, um zu beobachten, wie Bewerber damit umgehen. Aufgabenstellungen sind dabei etwa die Präsentation zu einem selbstgewählten oder vorgegebenen Thema, ein Rollenspiel aus

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

dem Berufsalltag, eine Gruppendiskussion, die „Postkorbübung“ sowie weitere Tests. Problematisch ist dabei die „Laborsituation“, die zu vielfachen Verzerrungen führen kann. Dies resultiert in Alpha- oder Beta-Fehlern, d. h., Auswahl der falschen Bewerber bzw. Ablehnung der richtigen Bewerber. Danach fällt die Entscheidung. Abgelehnte Bewerber erhalten ihre Unterlagen mit einem Motivationsschreiben versehen umgehend ewieder zurück. Außer bei Leitenden Angestellten ist dabei zuvor das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten. Häufig bilden Unternehmen im Rahmen des Talentmanagements einen Pool aus Bewerbern, die zwar interessant, aber im Einzelfall nicht zum Zuge gekommen sind, auf die sie bei Bedarf aber aktiv zugehen können. Umgekehrt können Interessenten über Initiativbewerbungen ihre Daten in solche Pools einpflegen. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist es bereits derzeit für Unternehmen sinnvoll, sich als attraktiver Arbeitgeber zu profilieren (Employer Branding). Dies kann erreicht werden durch Teilnahme an Bewerbermessen, durch die Gestaltung von Karriereseiten auf der Website, durch das Angebot von Praktika und Abschlussarbeitsbetreuung, durch das Sponsoring von Veranstaltungen und Hochschulen, die Ausschreibung von Wettbewerben und die Platzierung von Werbemitteln. 7.1.1.3 Einsatz Der Mitarbeitereinsatz wird qualitativ, quantitativ und zeitlich geplant. Er bezieht sich auf die geistige oder physische Arbeit. Die Arbeitsaufnahme erfolgt nach oft kurzer Einführung und Einarbeitung. Der Arbeitsinhalt bezieht sich auf den Grad der Arbeitsteilung als Mengenteilung oder Artteilung. Der Arbeitsplatz muss ergonomischen Anforderungen genügen (Umgebungseinflüsse, Sicherheit etc.). Außerhalb des Unternehmens sind Heim- und Telearbeitsplätze möglich. Außerdem ist eine Entsendung ins Ausland (als Expatriate) denkbar. Bei der Arbeitszeit sind sowohl Ausweitung (Extraschicht) wie auch Kürzung (Kurzarbeit) möglich. Bei Kurzarbeit gleicht die Agentur für Arbeit den Lohnausfall teilweise durch Kurzarbeitergeld aus. Flexible Formen der Arbeitszeit betreffen Teilzeitarbeit, Gleitzeit, Jahresarbeitszeitkonto, KAPOVAZ und Vertrauensarbeitszeit. Die häufigste Form der Teilzeitarbeit kann starr oder flexibel angelegt sein. Sie kann einen oder mehrere Arbeitnehmer betreffen. Sie ist vor allem bei Minijobs (bis 450 €) und Midijobs (bis 850 €) anzutreffen (der Arbeitgeber zahlt dann eine Pauschale zur Sozialversicherung).



7.   Konzept des Direktvertriebs257

Die Gleitzeit besteht aus der Kernarbeitszeit, die nicht gleitet, also für alle anwesenheitspflichtig ist, und der Gleitzeit zu Arbeitszeitbeginn und -ende. Zeitguthaben können ggf. übertragen werden. Bei der Jahresarbeitszeit wird eine jährliche Arbeitszeitsumme variabel über das Jahr verteilbar geleistet. Bei der KAPOVAZ (Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit) stehen die Arbeitnehmer auf Abruf mit einer Ankündigungszeit von vier Tagen je nach Bedarf zum Einsatz bereit (vor allem im Einzelhandel). Bei der Vertrauensarbeitzeit wird auf eine Kontrolle der Anwesenheit verzichtet, dadurch entfällt auch der entsprechende Aufwand zur Arbeitszeiterfassung. Die Arbeitszeit enthält bezahlte Ruhepausen (mind. 30 Min. bei über sechs Stunden Arbeitszeit). Zwischen zwei Arbeitsphasen müssen mind. elf Stunden Ruhe liegen. Der Anteil an Nacht- sowie Sonn- und Feiertagsarbeit am Arbeitszeitvolumen ist limitiert. Die Personalverwaltung deckt die administrativen, routinisierten Tätigkeiten im Rahmen des Personaleinsatzes ab. Dazu gehören die Lohn- und Gehaltsabrechnung und die Führung der Personalstammdaten. Die Personalakte enthält persönliche Unterlagen, vertragliche Vereinbarungen, Unterlagen zur Tätigkeit, zu den Bezügen, zur Abwesenheit etc. Der Arbeitnehmer hat das Recht, diese Akte einzusehen, Erklärungen zum Inhalt abzugeben und die Entfernung bzw. Herausgabe unrichtiger Inhalte zu verlangen. Die Personalkartei / Personaldatei enthält die administrativ relevanten Eckdaten zum Arbeitnehmer. Das Personalhandbuch dokumentiert das Personalkonzept des Unternehmens. Die Personalstatistik dient der Erfassung von Personalbeständen und -bewegungen. Diese Quellen sind gemeinhin in Personal-Informations-Systemen (PIS) IT-gestützt zusammengefasst. Der Arbeitsvertrag regelt die rechtlichen Rahmenbedingungen der Tätigkeit. Für dessen Inhalt sind gesetzliche Regelungen, tarifliche Regelungen, Betriebsvereinbarungen und höchstrichterliche Rechtssprechung (BArbG / BSozG) maßgeblich. Der Arbeitsvertrag kann unbefristet oder befristet geschlossen werden. Inhalte sind Vertragsparteien, Vertragsbeginn, Tätigkeitsbezeichnung, Arbeitsbeschreibung, Vergütung, Sozialleistungen, Arbeitszeit, Urlaubsregelung, Entgeltfortzahlung, Wettbewerbsverbot, Probezeit und Kündigungsfrist. Der Arbeitsvertrag wird regelmäßig schriftlich abgeschlossen. Mängel führen dabei zur Nichtigkeit des Vertrags oder zum Ersatz unwirksamer Regelungen durch die entsprechenden gesetzlichen Regelungen. 7.1.1.4 Beurteilung Die Mitarbeiterbeurteilung stellt fest, inwieweit die Leistung der Mitarbeiter den Anforderungen des Unternehmens und dem Entgelt an die Mitarbeiter entspricht. Die Durchführung kann systematisch (z. B. anhand von Checklists) oder

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

intuitiv erfolgen. Die Beurteilungskriterien beziehen sich auf die Schlüsselqualifikationen oder spezifische Kriterien, die sich aus Anforderungskatalogen ergeben. Mitarbeitergespräche dienen der persönlichen Abstimmung der gewonnenen Eindrücke. Die Beurteilung soll in regelmäßigen Abständen oder aber anlassbezogen, z. B. bei Kündigung, Rückkehr nach langer Krankheit, Problemauffälligkeiten, in beiden Richtungen, d. h., Vorgesetzter gegenüber Mitarbeitern und Mitarbeiter gegenüber Vorgesetztem, durchgeführt werden. Sie kann sich auf die aktuelle Leistung oder das Leistungspotenzial beziehen. Daneben können auch Beurteilungen des Mitarbeiters selbst, Beurteilungen von direkten Kollegen sowie von Kollegen an den Schnittstellen zu anderen Abteilungen eingehen (360°-Beurteilung). Bei der Vorgesetztenbeurteilung ist fraglich, inwieweit realistische Ergebnisse gegeben sind, weil bei kleinen Gruppengrößen auf die einzelnen Beurteilungen durch Mitarbeiter zurückgerechnet oder vermutet werden kann. Mitarbeiterbefragungen sind als Feedbackinstrument ebenso fraglich, da Verzerrungen unterstellt werden müssen. Für die Ergänzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Mitarbeiters in Richtung einer angestrebten Stellenbesetzung ist zunächst das Leistungsprofil des Mitarbeiters mit dem Anforderungsprofil der Stelle zu vergleichen. Entstehen Unterdeckungen, ergibt sich entsprechend ein Qualifizierungsbedarf. Dieser kann durch Wissensschulung oder Verhaltenstraining gedeckt werden. Beide können persönlich (Seminar, Rollenspiel etc.) oder unpersönlich (Lehrbrief, Intranet etc.) erfolgen. Dabei erweist sich die Schulung als sehr viel praktikabler als das Training, daher werden Mitarbeiter heute häufig unter Verhaltenspriorität ausgewählt und Wissensdefizite dann korrigiert, wohingegen dies früher eher umgekehrt war. Wichtig ist zu berücksichtigen, welche Entwicklungspotenziale in Mitarbeitern stecken. Daraus folgen Entwicklungsvereinbarungen mit einem adäquaten Maßnahmenplan. Denkbar ist auch der Einsatz von Potenzial-Assessment Centers, um z. B. Führungskräfte evaluieren zu können. Die Evaluation beruht im Einzelnen auf subjektiven Einschätzungen der Beurteiler, auf objektiven Bewertungen aus Tests und aus Vorher-Nachher-Vergleichen. Die Beurteilung von Mitarbeitern im Vertrieb bezieht sich meist auf die Schlüsselqualifikationen, also Fach-, Methoden-, Sozial- und Individualkompetenzen. Als fachliche Kompetenzen sind zu nennen: •• Pkw-Führerschein, einwandfreier finanzieller Status, polizeiliches Führungszeugnis, Mindestberufserfahrung in der Branche, abgeschlossene Berufsausbildung mit Weiterbildung, PC-Anwenderkenntnisse (z. B. MS-Office-Paket), Produktkompetenz, Kenntnisse über aktuelle Markt- und Konkurrenzentwick-



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lungen, Berücksichtigung von Wechselwirkungen bei Entscheidungen, konzeptionelles Planen, Akzeptanz von Zielsetzungen und deren erfolgsorientierte Verfolgung, Entwicklung eigener Zielvorstellungen und kreativer Ideen, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen, Engagement für Veränderungen, proaktives Denken und Handeln, bewusste Ausrichtung des Verhaltens an Benchmarks, ertragsorientierte Ausrichtung, Fähigkeit, andere für seine Ziele zu gewinnen. Als methodische Kompetenzen sind zu nennen: •• präzise, eindeutige und aktive Artikulation, Einsatz kurzer, prägnanter Sätze, Vermeidung von Weitschweifigkeit, flüssige, klare und verständliche Formulierung, Vermittlung der eigenen Begeisterung, Erkennung des Wesentlichen und Setzung erfolgsorientierter Prioritäten, Identifizierung potenzieller Kunden und Schätzung deren Potenzials, Planung von Kontakten und Nutzung von Anlässen zur Kundenansprache, rechtzeitige Analyse und Erkennung von Wettbewerbssituationen, Beschaffung erforderlicher Informationen, gezielte Vor- und Nachbereitung von Gesprächen, effiziente Zeitplanung und -nutzung, genaues und sorgfältiges Arbeiten, Selbstorganisation, konsequente Arbeit im Kundenstamm, eröffnet Gespräche aktiv und gewinnend, führt Gespräche zielbezogen weiter, gibt den Kunden ausreichende Informationen, analysiert und qualifiziert Bedarfe bei Kunden, hört aktiv und konzentriert zu, weckt proaktiv Bedarfe und spricht Motive an, argumentiert sicher, flexibel und nutzenorientiert, kommt stringent zum Abschluss, präsentiert sicher und wirkt stressstabil, gibt die für die Zielerreichung relevanten Informationen, setzt Anreize zum Zuhören, präsentiert Konzepte und Leistungen überzeugend, bietet das gesamte Programm aktiv an, löst Sog für gemeinsame Ziele aus, ergreift das Wort, ohne dominant zu werden, vertritt Positionen und Interessen klar und bestimmt, argumentiert sachlich und überzeugend, vermeidet vorschnelle Kompromisse und stimmt nicht ungeprüft zu, überwindet Widerstände flexibel und geht sicher mit Einwänden um, führt ein Gespräch ziel­ orientiert, fasst Vor- und Nachteile seiner Lösungen geschickt zusammen, holt aktiv die Zustimmung seiner Zuhörer ein. Als soziale Kompetenzen sind zu nennen: •• erreicht eine teamorientierte Kooperation mit allen Prozessbeteiligten, gibt Informationen offen weiter, engagiert sich für Teamziele, berücksichtigt andere Meinungen und Vorschläge, erzeugt ein offenes und konstruktives Arbeitsklima, motiviert zur Mitarbeit, engagiert sich mit Anregungen / Ideen und Informationen, übernimmt im Team Aufgaben, die seinen Kompetenzen entsprechen, kann Eigeninteressen im Sinne der Sache zurückstellen, gibt ein rollenadäquates und konstruktives Feedback, wird in seiner Arbeitsumgebung respektiert, geht auf andere Menschen zu und knüpft Kontakte, begeistert Partner von seiner Aufgabe, akzeptiert vereinbarte Spielregeln, entwickelt von sich aus vielfältige Beziehungen und Kontakte, zeigt eine unverkrampfte

260

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Grundhaltung, erkennt und berücksichtigt Motive und Gefühle, baut eine Vertrauensbasis auf, kann sich leicht auf verschiedene Gesprächspartner einstellen, zeigt ein gutes Gespür für Stimmungen bei Gesprächspartnern, hat situatives Einfühlungsvermögen, wird unter Stress nicht aggressiv, reagiert nicht sofort mit Abwehrmechanismen wie Entschuldigung oder Angriff, analysiert Konflikte und deren Ursachen objektiv, reflektiert selbstkritisch die eigene Rolle im Konflikt, versucht eigenständig Konfliktlösungen zu erreichen. Als individuelle Kompetenzen sind zu nennen: •• angemessenes Erscheinungsbild (Kleidung), einwandfreie Umgangsformen /  Höflichkeit, sicherer und souveräner Auftritt, realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, positive Grundeinstellung zu Leben und Beruf, Setzung herausfordernder, aber realistischer Ziele, Begeisterungsfähigkeit, flexible Einstellung auf neue Situationen, Antriebsstärke und Ausdauer, schwierige Aufgaben als Herausforderung annehmen, Initiative entwickeln, sich in der Verfolgung seiner Ziele engagieren, Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterbildung zeigen, die Folgen seines Handelns bedenken, auf eine ausgewogene Balance der Interessen achten, arbeitsplatzbedingte Risikofaktoren berücksichtigen, Entscheidungen treffen und Verantwortung dafür übernehmen, das eigene Verhalten mit dem Ziel des Lernens reflektieren. 7.1.1.5 Entwicklung Die Mitarbeiterentwicklung umfasst die Bildung und Förderung der Vertriebs­ mitarbeiter zur Erhöhung ihrer Handlungskompetenz durch Schulung (Wissensaneignung) und Training (Verhaltensoptimierung). Sie dient der Vermittlung der Qualifikationen, die zur optimalen Verrichtung der derzeitigen und zukünftigen Aufgaben im Unternehmen erforderlich sind. Entwicklungsmaßnahmen können dabei vielfältiger Natur sein wie Ausbildung, Anlernung, Mentoring (durch erfahrenen Kollegen), Coaching durch Experten, Rehabilitation, Umschulung, Weiterbildung (Blended Learing, Traineeship o. Ä.) etc. Dies kann am jeweiligen Arbeitsplatz, aber auch extern, z. B. durch Seminare, erfolgen sowie durch Weiterbildung im Unternehmen oder durch Assistenztätigkeit. Wichtig ist jeweils eine Erfolgskontrolle bei den Beteiligten. Im Wesentlichen geht es dabei um die Entwicklung der fachlichen, persönlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen. Umschulungen bereiten auf einen anderen Beruf bei gleicher Qualifikation vor. Ausbildung erfolgt zur Erlernung eines Berufs. In Deutschland hat sich dazu das Duale System aus schulischer und betrieblicher Ausbildung bewährt. Dieses wird von Kammern organisiert (IHK / HWK). Ihnen liegt eine Ausbildungsordnung (Rahmenlehrplan) zugrunde, die eine staatlich anerkannte Abschlussprü-



7.   Konzept des Direktvertriebs261

fung vorsieht. Weiterbildung betrifft die Verbesserung der Qualifikation für einen anderen Beruf. Fortbildung (z. B. Fachwirt) erfolgt in einem erlernten ­ Beruf zum Erhalt der Qualifikation, zu deren Erweiterung, zur Anpassung an Veränderungen oder zum Aufstieg. Dazu ist der Bildungsbedarf zu ermitteln als Gegenüberstellung von Anforderungen an und Qualifikation bzw. Interesse des Mitarbeiters. Daraus ergibt sich ggf. ein Entwicklungsbedarf, dieser kann intern oder extern gedeckt werden. Teilweise erfolgt dies im Rahmen institutionalisierter Programme (Traineeship). Als Methoden kommen dafür seminaristischer Unterricht, programmierte Unterweisungen, Fallstudien, Rollenspiele, Planspiele, Web-based Trainings (WBT) etc. in Betracht. Die Laufbahnplanung bezieht sich auf die Potenzialentwicklung und die Positionsorientierung in der Organisationshierarchie. Die Nachfolgeplanung sucht einen sauberen Übergang bei Freiwerden einer Stelle bzw. Wechsel des Stelleninhabers zu erreichen. Meist werden drei Karrierewege unterschieden: die Führungslaufbahn, die Fachlaufbahn und die Projektlaufbahn außerhalb der Linie. Die Führungslaufbahn schafft Generalisten in Managementpositionen, die Fachlaufbahn Kompetenzspezialisten und die Projektlaufbahn Schnittstellenspezialisten. Immer mehr qualifizierte Mitarbeiter werden angesichts Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Unternehmen temporär oder vollständig, etwa bei Standortverlagerungen ins Ausland entsendet (Expatriates) und umgekehrt immer mehr ausländische Mitarbeiter arbeiten im Inland (Impatriates). Die Auswahl und Vorbereitung bzw. (Re-)Integration solcher Mitarbeiter stellt eine Herausforderung dar. Dies betrifft Kulturspezifika, Traditionen, Werte, aber auch kommunikative und soziale Verhaltensweisen. Hinzu kommen Sprachtrainings. Hürden stellen auch vertragliche und administrative Regelungen dar wie Einreisebestimmungen, Aufenthaltsgenehmigungen, Reise- / Unterkunftskosten, gesundheitliche Absicherung, Kaufkraftausgleich etc. Zugleich sind damit Standortschließungen bzw. -verkleinerungen im Inland verbunden. Gelegentlich haben inländische Mitarbeiter daher das Gefühl, dass ihr Arbeitsplatz durch ausländische Mitarbeiter im Inland oder auch im Ausland konkret bedroht ist. Daraus folgen Ressentiments. Angesichts zunehmend komplexer Vermarktungssituationen ist es für Vertriebsmitarbeiter unerlässlich, sich kontinuierlich weiter zu qualifizieren. Dafür stehen die Möglichkeiten des Verhaltenstrainings und der Wissensschulung bereit. Das Verkaufstraining für Verhaltenskompetenzen erfolgt häufig durch On the job-Methoden (meist durch Assistenz- oder Stellvertretertätigkeit erlernt) wie •• Job Enrichment als Aufwertung des Arbeitsinhalts durch Übertragung von mehr Verantwortung, •• Job Enlargement als Ausweitung des Aufgabenumfangs und / oder der Kon­ trollspanne,

262

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• Job Rotation als Erweiterung des Erfahrungsspektrums durch Ausübung verschiedener Stellen. Daneben können eingesetzt werden: •• Into the Job-Methoden, die der beruflichen Ausbildung und Anlernung dienen, •• Along the Job-Methoden, die im Wesentlichen in Vertriebsassistenz / Zuarbeit bestehen, •• Near the Job-Methoden, die der Einarbeitung dienen (etwa Projekt, Qualitätszirkel), •• Parallel to the Job-Methoden, die durch Mentoring- / Coachingprogramme verwirklicht werden, •• Off the Job-Methoden, die losgelöst von der operativen Tätigkeit erfolgen, z. B. durch Fallstudien, Planspiele, Rollenspiele, Workshops, •• Out of the Job-Methoden, die bei Freisetzung greifen, wie Outplacement, Ruhestandsvorbereitung, gleitender Ruhestand etc. Die Faktenschulung für Fachkompetenzen bedient sich unpersönlicher oder persönlicher Verfahren. Zu den unpersönlichen Verfahren gehören die Auswertung von Büchern und Zeitschriften, das Selbststudium durch Lehrbriefe, programmierte Unterweisungen, die Vorführung von DVDs sowie das computerunterstützte Training (CBT) im Internet oder offline auf CD / DVD, auch durch Education Channels (Company-TV / Extranet). Zu den persönlichen Verfahren gehören der Besuch von Vorträgen und Kongressen, die Teilnahme an Seminaren und Diskussionen, die Erarbeitung von Fallstudien und Simulationen / Planspielen sowie die Übung in Rollenspielen und Gruppenarbeiten. Dabei steht das Learning by Doing im Vordergrund. 7.1.1.6 Freisetzung Der Arbeitsvertrag endet mit einem bestimmten Zeitpunkt, wenn er auf Zeit geschlossen worden ist oder zumeist mit Ablauf der Kündigungsfrist, etwa zum Quartalsende. Arbeitsverträge können aus wichtigem Grund außerordentlich, im Regelfall fristlos, ggf. nur nach Anhörung des Betriebsrats, gekündigt werden, außerdem sind ein Aufhebungsvertrag oder eine Änderungskündigung bei beiderseitigem Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber möglich. Fluktuation allerdings bedeutet immer auch Effektivitätsverlust innerhalb der Organisation, denn Know-how geht verloren und neue Mitarbeiter sind erst noch einzuarbeiten. Davon zu unterscheiden ist der geplante Abbau von Mitarbeitern, z. B. durch Freisetzung bzw. Massenentlassung mit Sozialplan. Dabei hat der Betriebsrat



7.   Konzept des Direktvertriebs263

erhebliche Mitspracherechte. Außerdem sind enge gesetzliche Limitationen zu beachten. Ein vorübergehender Personalabbau ist durch Kurzarbeit, innerbetriebliche Versetzung, Sonderurlaubsregelung, Einstellungsstopp, Kündigung von Zeitarbeitsverträgen, Ansetzung von Renovierungsarbeiten etc. vermeidbar. Wichtig ist wegen der sozialen Auswirkungen eine vorausschauende, vorsichtige Personalbeschaffung. Möglich ist auch der Verzicht auf Ausgleich der natürlichen Fluktuation aus Ruhestandseintritt, Tod, Arbeitgeberwechsel, Vorruhestands- / Altersteilzeitregelung etc. Bei bestehenden Mitarbeitern ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeit möglich. Erfolgt keine Nachbesetzung, reduziert sich der Personalbestand entsprechend. Bei einem Aufhebungsvertrag beschließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Kündigungsfrist existiert dabei nicht (Freistellung), meist wird als Gegenleistung eine Abfindung gezahlt. Outplacement-Maßnahmen dienen dazu, die Vermittlungschancen freizusetzender Mitarbeiter am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Dazu gehören die Einschaltung von Personalvermittlern, die Finanzierung von Zusatzqualifikationen, die Förderung einer Existenzgründung oder die Nutzung von Netzwerkkontakten. Vorruhestands- bzw. Altersteilzeitregelungen betreffen das vorzeitige Eintreten in die Rente und werden durch finanzielle Aufstockungen oder Abfindungen „versüßt“. Häufig ist damit eine Beurlaubung (Freistellung mit Entgeltfortzahlung) verbunden. Eine fristlose, außerordentliche Kündigung gilt ab dem Moment des Zugangs und erfordert einen wichtigen Grund, d. h., es müssen Umstände vorliegen, die dem Betrieb die Einhaltung der Kündigungsfrist unzumutbar machen. Solche Gründe sind als gegeben anzusehen z. B. bei Straftat gegen den Arbeitgeber wie Unterschlagung / Diebstahl, schwerwiegendem / schuldhaftem Verstoß wie schwere Störung des Betriebsfriedens, schwerem Wettbewerbsverstoß oder anderen schwerwiegenden Störungen des Vertrauensverhältnisses zum Arbeitgeber (z. B. Arbeitsverweigerung). Dabei ist dennoch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Gegen die Kündigung kann Kündigungsschutzklage eingelegt werden. Ordentliche Kündigungen betreffen die fristgerechte Freisetzung von Mitarbeitern, die personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt sein kann. Dabei gelten grundsätzlich Kündigungsschutzregelungen wie die Einhaltung von Kündigungsfristen, die Einbeziehung des Betriebsrats und Sonderregelungen für schutzbedürftige Personengruppen. Eine personenbedingte Kündigung betrifft den Mangel der Fähigkeit eines Arbeitnehmers, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen. Dies ist z. B. ge­ geben bei häufiger / lang anhaltender Erkrankung (z. B. Burn-out), Verlust der Arbeitserlaubnis, hohen Fehlzeiten, Drogenabhängigkeit, mangelnden Sprachkenntnissen. Voraussetzungen sind eine erhebliche Beeinträchtigung vertrag­

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

licher oder betrieblicher Interessen, eine negative Prognose für die künftige Entwicklung, keine vorrangigen milderen Mittel und eine Interessensabwägung. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist bei Verletzung der Pflichten durch den Arbeitnehmer möglich. Dies betrifft Störungen des Leistungsbereichs – wie unentschuldigtes Fehlen, notorische Unpünktlichkeit, Geringleistung –, weiterhin Störungen des Vertrauensbereichs – wie Tätlichkeit, Beleidigung – sowie Störungen der betrieblichen Ordnung – wie eigenmächtige Urlaubsnahme, Urlaubsüberschreitung, Mobbing. Diese Tatbestände bedürfen der Abmahnung in jedem Einzelfall, bei Wiederholung des selben Tatbestands ist eine fristgerechte Kündigung ohne Abfindung möglich, ebenso nach drei verschiedenen Abmahnungen. Die Kündigung hat binnen zwei Wochen nach Bekanntwerden des Sachverhalts zu erfolgen. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten (aufgebautes Vertrauenskapital). Eine betriebsbedingte Kündigung ergibt sich aus inner- und außerbetrieblichen Gründen wie Standortverlagerung, Betriebsstilllegung, Zusammenschluss, Geschäftskrise, Teilgeschäftsaufgabe. Dabei wird in der Praxis eine Abfindung fällig (meist 1 / 2 Bruttomonatsgehalt je Jahr der Betriebszugehörigkeit, bis 24.000 € steuerfrei). Bei Kündigungen ist die Sozialauswahl zugrunde zu legen. Als Sozialkriterien gelten die Betriebszugehörigkeitsdauer, Unterhaltspflichten gegenüber Familienangehörigen sowie Schwerbehinderungen. Besonderen Schutz genießen schwer vermittelbare Mitarbeiter. Diese Sozialauswahl führt häufig dazu, dass gerade die leistungsfähigen und -bereiten Vertriebsmitarbeiter als erste von Freisetzungen betroffen sind, was eine nicht unerhebliche Erschwernis für die nachhaltige Betriebsführung darstellt. Hinderungsgründe für eine Kündigung sind keine oder unzureichende Sozialauswahl, Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an anderer Stelle, schutzwürdige Personengruppen (Vertrauensleute, Betriebsrat-Mitglieder, Schwerbehinderte, Auszubildende, Frauen im Mutterschutz, Personen in Erziehungsurlaub etc.). Handelt es sich nicht um betriebsbedingte Einzelkündigungen, sondern um Massenentlassungen, d. h., in größerer Zahl und / oder über längeren Zeitraum, sind diese der Agentur für Arbeit anzuzeigen, und es ist ein Sozialplan in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat auszuarbeiten. Dieser ist abhängig von Größe der Belegschaft, Anzahl zu entlassender Mitarbeiter, Zeitraum der Entlassung (z. B. Schlecker-Insolvenz, Kaiser’s / Tengelmann-Schließung). Darin geht es um den Ausgleich bzw. die Abmilderung wirtschaftlicher Nachteile für freizusetzende Arbeitnehmer. Denkbar sind Outplacement-Maßnahmen, die senioren Mitarbeitern zu einer schnelleren Vermittlung verhelfen sollen, Auffanggesellschaften, in denen ehemalige Mitarbeiter sozialbezuschusst weiterarbeiten, oder freiwillige Abfindungsregelungen, die zur Überbrückung bis zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle dienen sollen.



7.   Konzept des Direktvertriebs265

Ein Sozialplan gilt nicht für Leitende Angestellte, die auch nicht durch den Betriebsrat vertreten werden. Leitend ist, wer eigenverantwortlich Personal einstellen und entlassen kann, wer Generalvollmacht / Prokura hat oder wer auch ohne Ernennung bedeutsame Aufgaben weisungsfrei im Unternehmen wahrnimmt (z. B. bei Projekten). Dieser Personenkreis hat womöglich Anspruch auf Abfindung (i. d. R. 1,2 Bruttogehälter je Beschäftigungsjahr + 3.000 € je Kind, max. 150.000 €). Bei fester Vertragslaufzeit besteht ein Anspruch auf diskontierte Auszahlung des Entgelts incl. Leistungsanteilen und Pensionsansprüchen. 7.1.2

Arbeitsentgeltbemessung

7.1.2.1 Formen Die Mitarbeiterentlohnung bezieht sich auf das regelmäßige Entgelt und hat im Einzelnen dreierlei Anforderungen zu genügen. Als betriebsspezifische Anforderungen sind vor allem die Berücksichtigung aller relevanten Ziele, ein angemessener Flexibilitätsgrad, hohe Wirtschaftlichkeit, weitgehende Leistungsorientierung, geeignete Führungs- und Steuerungsfähigkeit, sinnvolle Einkommensrelationen und eine gewisse Dauerhaftigkeit der Geltung zu nennen. Als mitarbeiterspezifische Anforderungen gelten vor allem die Sicherung einer Mindestentlohnung, ein attraktives Gesamtniveau, gute Übersichtlichkeit und Nachprüfbarkeit, strikte Gerechtigkeit und ein nachvollziehbares Kausalitätserlebnis. Als rechtliche Anforderungen sind vor allem die Einhaltung von gesetzlichen und tariflichen Normen in Betriebsvereinbarungen, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten sowie die Berücksichtigung des Gleichberechtigungs- / Antidiskriminierungsgrundsatzes zu nennen. Dabei bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Entlohnung an. Allgemein lassen sich als Entlohnung unterscheiden: nur Festgehalt, Festgehalt und Provision, Festgehalt und Prämie oder nur Provision. Dabei geht der Entlohnungscharakter sukzessiv von fix nach variabel über (siehe Abb. 63). Das Festgehalt (analog Zeitlohn) ist über einen gewissen, längeren Zeitraum konstant, variiert aber periodenbezogen. Es bietet sich bei Schwerpunkt auf verkaufsbegleitenden Tätigkeiten an, bei langen Verkaufsintervallen (wie bei Investitionsgütern), bei starken saisonalen Schwankungen, bei arbeitslastbezogener Gebietseinteilung, bei Teamtätigkeit und während der Aufbauphase eines Marktes. Vorteile liegen darin, dass es einfach und übersichtlich zu handhaben ist, ein finanzielles Sicherheitsgefühl vermittelt, die Relation zwischen Innen- und Außendienst wahrt, der Kundenpflege dient, bei Gebietsänderung oder -versetzung vereinfachend wirkt und Mengendegressionseffekte aufweist. Nachteile liegen darin, dass Unwirtschaftlichkeiten gefördert werden, eine eher geringe Motivation besteht, die Leistungsgerechtigkeit problematisch ist

266

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Arbeitsentgeltbemessung

Materielle Formen

fix (Festgehalt) dauerhaft variabel (Provision/Sammelentlohnung o.Ä.)

Wahl der Bezugsgröße

Wahl des Verlaufs punktuell variabel (Prämie/Bonus o.Ä.)

Monetäre Anreize (Geldleistungen) Nicht-monetäre Anreize (Sachleistungen)

Immaterielle Formen

ideelle Leistungen

Abb. 63: Arbeitsentgeltbemessung

und eine störende Starrheit der Bemessung vorliegt. Bei fallenden Umsätzen entstehen zudem steigende Kosten pro abgesetzter Einheit, und es besteht die Gefahr der Abwanderung der besten Mitarbeiter und des Verbleibs der weniger leistungsfähigen. Das variable Gehalt (analog Leistungslohn) ist eine von einer Bezugsgröße abhängige, relative Entlohnungsform. Sie bietet sich für rein verkaufsbezogene Tätigkeiten an, sofern diese direkt beeinflusst werden können und einer objektivierten Beurteilung zugänglich sind. Die Provision findet allerdings vorwiegend auf selbstständige Absatzhelfer Anwendung. Vorteile liegen darin, dass ein unmittelbarer, starker Leistungsanreiz besteht, Kontrollmaßnahmen reduziert werden können und ein variabler Kostencharakter gegeben ist. Nachteile liegen darin, dass die Gefahr von Fehlanreizen bei falscher Bezugsgrößenwahl gegeben ist, dass die Kundenzufriedenheit als zentraler Erfolgsfaktor unter möglichem Hard Selling leidet, die Beziehung zwischen Verkaufsinnen- und -außendienst problematisch wird, Anpassungswiderstände bei Versetzung bzw. Gebietsänderung gegeben sind, die Einkommen konjunktu-



7.   Konzept des Direktvertriebs267

rell und saisonal schwanken, Ungerechtigkeiten bei der Zurechnung von externen Effekten entstehen sowie die Zielgrößen diffus sind und eine angemessene Höhe schwierig zu bestimmen ist. Es kann zur Vernachlässigung indirekter (vor- und nachbereitender) Verkaufsaufgaben kommen, und die Integration neuer Mitarbeiter in das Provisionssystem ist schwierig. Um die Bezahlungsstruktur unproblematisch zu halten, wird häufig eine Teamhonorierung vorgezogen. Allerdings stellt sich dann die Frage nach einem „gerechten“ Verteilungsschlüssel, damit keine Fehlanreize entstehen. Die Gerechtigkeit kann sich auf den Arbeitsinput beziehen oder auf den Leistungsoutput, auf individuelle Disposition oder soziale Aspekte. Bei Änderungen der Vergütung ist zudem regelmäßig die Zustimmung des Betriebsrats, und zwar auch bei außertariflich angestellten Mitarbeitern, einzuholen. Solche Sammelentlohnungen als Gruppenprovision gelten nicht mehr nur für einen Verkäufer, sondern für mehrere gemeinsam. Die Entlohnung kann an die Gruppe gemeinsam oder jedes einzelne Mitglied gerichtet sein. Letzteres kann wiederum mit einheitlichen oder differenzierten Beträgen erfolgen. Vorteile liegen vor allem in der Vermeidung von Zurechnungsproblemen auf einzelne Personen, in gruppendynamischen Prozessen zur Leistungssteigerung und der Einbeziehung verkaufsbegleitender Arbeiten (z. B. Telefonkontakt, Kundendienst). Nachteile liegen jedoch in der Nivellierung der Leistung, möglicher Frustration bei höher leistungsfähigen Mitarbeitern, fehlendem Wettbewerb untereinander, schwieriger leistungsgerechter Zurechnung und Stress durch überzogene Gruppenerwartungen. Mischsysteme sollen die jeweiligen Vorteile der Einzelentlohnungssysteme kombinieren und deren Nachteile vermeiden. Zum Beispiel stellt die Kombination aus Fixum (zeitabhängig) und Provision (leistungsabhängig) einen Kompromiss zwischen dem Sicherheitsbedürfnis auf Seiten des Mitarbeiters und dem Leistungsanreiz auf Seiten des Arbeitsgebers dar. So können z. B. Festgehalt und Provision parallel berechnet werden, wobei dann immer der höhere Wert zur Auszahlung kommt. Zu klären ist die Relation zwischen Fixum und Provision. Empfohlen wird höchstens eine Relation von 80 : 20. Dies kann nach der Zeitrelation der verkaufsvorbereitenden und -abwickelnden Tätigkeiten zu den eigentlich verkaufsbewirkenden geschehen. Zu ersteren gehören z. B. Tourenplanung, Terminvereinbarung, Angebotsabgabe, Wege- und Wartezeiten bzw. Auslieferung, Reklamationsbearbeitung, letztere betreffen nur den Verkaufsakt selbst. In der Praxis wird der Anteil des Fixums jedoch immer geringer und meist auf einen niedrigen Absolutbetrag basiert. Auch die Behandlung des zeitlichen Aspekts der variablen Vergütungsanteile während eines lang laufenden Projekts, wie es etwa im Anlagenbau häufig gegeben ist, muss geregelt werden. Üblich sind hier Zahlungen nach Projektfortschritt, z. B. 1 / 3 bei Vertragsabschluss, 1 / 3 bei Auslieferung der Anlage und 1 / 3 bei planmäßigem Zahlungseingang.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

7.1.2.2 Dauerhaft variable Bezugsbasis Als Bemessungsgrundlagen werden meist Umsatz, Absatz, Gewinn oder Deckungsbeitrag angewandt. Am verbreitetsten ist die Umsatzprovision, die sich auf Gesamtumsatz, differenzierte Umsatzanteile, Umsatzvorgaben oder sonstige Größen beziehen kann. Oft wird eine Mindestprovision garantiert, die nur bei Überschreiten einer Zielvorgabe oder auch nur bei deren Einhaltung fällig wird. Der Vertrieb kann seinen Erfolgsbeitrag vor allem auf der Erlösseite leisten. Da eine isolierte Steigerung von Umsätzen ohne Berücksichtigung der Kosten wenig sinnvoll ist, ist es besser, den Gewinn als Summe der Deckungsbeiträge abzgl. der Fixkosten zu definieren. Da die Fixkosten wiederum wenig beeinflussbar sind, bleibt als hauptsächliche Bezugsgröße der Deckungsbeitrag. Der Gesamtdeckungsbeitrag bestimmt sich wiederum aus dem Produkt von Einzeldeckungsbeiträgen (DS / Deckungsspannen) und Absatzmengen. Dies sind zugleich die beiden „Einfallstore“ zur Optimierung, wobei Nebenbedingungen durch Einsatzfaktorkapazitäten gegeben sind. Es geht also, vereinfacht, um die Maximierung der Deckungsspannen und der Absatzmengen unter Restriktionen, zu denen auch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter gehört, denn diese ist wichtig zur Motivation und Bindung erwünschter Mitarbeiter. Der Deckungsbeitrag hat als Vorgabegröße eine Reihe immanenter Vorteile. Deckungsbeitragsziele führen zu einer starken Orientierung des Verkaufs an der Rentabilität, damit werden die stärksten Verkaufsaktivitäten auf die rentabelsten Produkte gelenkt. Ein deckungsbeitragsorientiert arbeitender Mitarbeiter wird versuchen, hohe Erlösschmälerungen zu vermeiden, da diese überproportional auf den Deckungsbeitrag durchschlagen. Insofern kommt es zu ertragsbewusstem Handeln. Es ist jedoch schwierig, den Deckungsbeitrag korrekt auszuweisen, weil sich die tatsächlichen Kosten (etwa gegenüber einer Vorkalkulation) ändern. Daher werden meist Verrechnungssätze angewendet, die mit Normalkosten arbeiten, aber mehr oder minder weit vom realen Deckungsbeitrag abweichen können. Zudem besteht bei offenem Ausweis der Deckungsbeiträge selbst die Gefahr, dass Mitbewerber oder Kunden vermeidbaren Einblick in die Ertragslage des Unternehmens bzw. eines spezifischen Auftrags erhalten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass entsprechende Unterlagen in fremde Hände geraten. Von einer solchen Vorgabe müssen außerdem strategisch wichtige, aber aktuell noch wenig rentable Produkte / Aufträge ausgenommen werden. Hier sind ersatzweise Verrechnungswerte anzuwenden. Außerdem wird der Deckungsbeitragswert durch die Provisionszahlung selbst ebenso beeinflusst wie durch vom Verkäufer nicht steuerbare Kostenblöcke. Dadurch kommt es zur Benachteiligung neuer Produkte (etwa durch hohe Vorkosten). Schließlich kommt es auch zur Verwechslung von Deckungsbeitrag und Gewinn, d. h., ein positiver Deckungsbei-



7.   Konzept des Direktvertriebs269

trag wird als Gewinn interpretiert, obgleich er zusätzlich noch sämtliche Fixkosten abzudecken hat. Alternativ ist denkbar, als Steuergröße ein an Deckungsbeiträgen orientiertes Punktesystem einzusetzen. Werden diese Punktwerte im Markt bekannt, ist der Schaden weitaus geringer als wenn die dahinter stehenden Deckungsbeitragswerte bekannt würden. Zudem besteht die Flexibilität, in der Steuerung auch abweichend von Deckungsbeitragswerten vorzugehen, denn diese Punktwerte sind jederzeit veränderbar, auch unabhängig von konkreten Erfolgsgrößen. ­Außerdem entgeht man der durchaus nicht so fern liegenden Gefahr, dass Verkäufer eine gefährliche Preisnachgiebigkeit an den Tag legen. Allerdings ändern sich bei Preisänderungen die Punktwerte nicht unbedingt automatisch mit, so dass diese immer wieder nachzujustieren sind. Gleiches gilt bei Erlösschmälerungen. Außerdem leidet die Transparenz des Ansatzes durch hohen Administrationsaufwand. Als alternative Bezugsgrößen kommen folgende Erfolgsgrößen in Betracht. Der Gewinn erfordert eine ausdifferenzierte Kosten- und Leistungsrechnung. Über die Anforderungen, die daran hinsichtlich des Deckungsbeitrags gestellt werden, hinaus müssen hier alle Kostenbestandteile berücksichtigt werden. Da die Mehrzahl der Kosten typischerweise aber nicht im Vertriebs- sondern in anderen Unternehmensbereichen verursacht wird, stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit dieser Steuergröße. Der Umsatz ist einfach zu ermitteln und weder Kunden noch Mitbewerber oder Mitarbeiter erhalten dadurch ungewollt Einblick in die Ertragssituation des Unternehmens. Bei Preisänderungen erfolgt weiterhin eine automatische Anpassung ohne administrativen Aufwand. Jedoch besteht die Gefahr, dass dann Umsätze „um jeden Preis“ gemacht werden, wobei Erlösschmälerungen überproportional auf den Gewinn / Deckungsbeitrag durchschlagen. Ebenso ist eine Steuerung auf spezielle Produkte / Kunden / Gebiete schwierig. Die Vertriebskosten gehen in den Umsatzwert gar nicht ein, so dass eine Kostensteuerung dort problematisch ist. Außerdem sagt der Umsatz noch nichts über die Profitabilität eines Abschlusses aus. Die Mengengröße Absatz wird häufig anstelle der Wertgröße Umsatz zur Steuerung eingesetzt. Diese bietet den Vorteil, dass sie sehr leicht messbar ist und auf die Verrechnung im Vertrieb ohnehin schwer erfassbarer Kostengrößen verzichtet. Außerdem kann bei üblicherweise hohem Fixkostenanteil unterstellt werden, dass Aktivitäten umso rentabler sind, je mehr Menge sie repräsentieren (Kostendegressionseffekt). Ebenso werden inflationäre Effekte neutralisiert. Allerdings bedeutet eine solche Leistungsbasis auch, dass auf jegliche Profitabilitätsüberlegungen als Steuergröße verzichtet wird.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Sonstige Bezugsgrößen für Provisionen beziehen sich vor allem auf Rabatte und Spesen. Bei ersteren werden neben dem Umsatz die gewährten Rabatte berücksichtigt, sofern der Verkaufsmitarbeiter die Kompetenz zur Rabattgewährung hat. Dadurch werden Erlösschmälerungen ins Kalkül einbezogen. Bei letzteren werden neben dem Umsatz die entstandenen Auslagen berücksichtigt. Dabei bleibt meist ein Spesensockel unberücksichtigt, um kontraproduktiven Effekten (z. B. kein Besuch weit entfernter Kunden oder Betrieb verschmutzter Geschäftswagen) vorzubeugen. 7.1.2.3 Dauerhaft variable Verlaufsbasis Der Provisionsverlauf kann linear, d. h. als gleich bleibender Satz bei Bezugsgrößenänderung, progressiv, d. h. steigend gegenüber der Bezugsgröße, degressiv, d. h. sinkend gegenüber der Bezugsgröße oder s-förmig gestaltet sein. Bei linearer Auslegung ist ein gleich bleibender Provisionssatz unabhängig von der Bezugsgröße gegeben. Vorteile liegen in der Einfachheit und Übersichtlichkeit dieser Regelung sowie in ihrem variablen Kostencharakter. Nachteile liegen in der gleich gewichtigen Einrechnung sowohl leicht als auch schwer zu erzielender Abschlüsse. Bei progressiver Auslegung steigt der Provisionssatz mit steigender Höhe der Bezugsgröße. Die Berechnung erfolgt (eher selten) integral progressiv, d. h. bezogen auf die gesamten Bezugsgröße, wobei an den Berechnungsschwellen mehr oder minder erhebliche Provisionssprünge entstehen, oder (häufiger) differenziell progressiv, d. h. bezogen auf das Überschreiten festgelegter Schwellen von Bezugsgrößen, wodurch eine gewisse Kontinuität erreicht wird. Vorteile liegen in der Eignung zum Aufbau neuer Absatzgebiete, im steigenden Anreiz für wachsende Abschlüsse und in der Vermeidung von Saturationseffekten. Nachteile liegen im Einkommensverfall bei Gesamtumsatzrückgang, in der Gefahr von Hochdruckverkauf zu Lasten der Kundenzufriedenheit und in steigender Kostenbelastung im Vertrieb. Bei degressiver Auslegung sinkt der Provisionssatz mit steigender Höhe der Bezugsgröße. Wiederum kann dies integral oder differenziell degressiv geschehen. Vorteile liegen in der Stabilisierung des Umsatzes und der Produktion sowie in der Relation von Verkaufsinnendienst- und -außendiensteinkommen. Nachteile liegen in etwaig mangelnder Motivierung der Mitarbeiter, die als Umsatzbremse wirkt. Daher ist diese Auslegung praktisch nur selten anzutreffen. Bei s-förmiger Auslegung ist eine Kombination aus progressiver, linearer und degressiver Provision im Ablauf steigender Bezugsgröße gegeben. Dies nutzt weitgehend die jeweiligen Vor- und vermeidet deren Nachteile. Zu Beginn werden somit kräftige Erfolgsanreize gesetzt, in einer Phase oberhalb der Normalleistung wird der Einkommenszuwachs linearisiert und danach zur Vermeidung



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von Überbeanspruchungen wieder abgeschwächt. Jedoch ist diese Auslegung ziemlich kompliziert. Der Verlauf ist rechnerisch treppenförmig. Das Basiseinkommen jedes Mitarbeiters ist, meist in Abhängigkeit von Lebensalter, Betriebszugehörigkeitsdauer, Qualifikationsprofil etc., zu justieren. Dieses Einkommen ergibt sich als Summe aus fixem und variablem Anteil, wenn die Vorgaben für den variablen Anteil zu 100 % erfüllt werden, und ist damit Ausgangspunkt der Entlohnungsstaffel. Üblich ist dabei eine Zoneneinteilung im Verlauf mit einem Mindesteinkommen, d. h. einem fixen Anteil, der dem Mitarbeiter eine auskömmliche Existenz auch dann sichert, wenn Vertriebserfolge vorübergehend ausbleiben, sowie ­einem Höchsteinkommen, das den variablen Anteil deckelt, weil bei auffällig hoher Übererfüllung der Leistungsstandards daran zu zweifeln ist, dass die Vorgabewerte realistisch sind. Für den Fall, dass das komplette Einkommen variabel ist, wird meist eine Untergrenze als Einkommenssicherung eingezogen. Hemmend wirken hier allerdings die Unübersichtlichkeit der Kriterien und der administrative Aufwand zur Berechnung. Dabei können auch Einflussfaktoren berücksichtigt werden wie „Renner“- und „Penner“-Produkte, Auftragsgrößen (um Kleinstaufträge zu reduzieren), Kundengruppen (um Kunden mit guter Perspektive zu fördern), Saison (die antizyklische Anreize setzt) oder Absatzgebiet. Denkbar ist auch, die Vertriebsmitarbeiter selbst über die Aufteilung von fixen und variablen Einkommensbestandteilen entscheiden zu lassen. Dies ermöglicht nicht nur eine stärkere Identifikation mit den Vorgabezielen, sondern offenbart zugleich auch die Leistungserwartung jedes Mitarbeiters (Self Selection). Verzerrend wirkt dabei allerdings, dass exogene Ereignisse, auf welche der Mitarbeiter selbst keinen Einfluss hat, auf sein Einkommen durchschlagen, wie er aber auch an Mitnahmeeffekten (Windfall Profits) partizipiert. 7.1.2.4 Punktuell variable Basis (monetär) Anreize sollen punktuell die besondere Leistungsbereitschaft der Vertriebsmitarbeiter entfalten. Dafür kommen materielle oder immaterielle Anreize in Betracht. Die Prämie als materieller Anreiz stellt eine variable Entlohnungsform dar, die immer zusätzlich zu anderen Größen verwendet wird. Prämien werden fallweise für spezielle Vertriebsziele, die durch Festgehalt oder Provision so nicht erreichbar scheinen, in Form von Absolutwert, Punktzahl, Korrekturfaktor zur sonstigen Entlohnung oder Zuschlagssatz eingesetzt. Prämien sind diskontinuierlich angelegt. Solche Sonderziele sind z. B. Spitzenleistung, Neukundengewinnung, Neuprodukteinführung, Lagerabbau, Besuchsfrequenz, Distributionsaufbau bzw. -haltung, Inkasso, Planerfüllung, Saison, Kundenzufriedenheit,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Auftragswert, Aktionsrunde. Diese Ziele können kurz- oder langfristig angestrebt werden, sich auf Haupt- oder Nebenleistungen beziehen, quantitativer oder qualitativer Natur sein. Vorteile liegen in der Flexibilität des Einsatzes, der Zusatzmotivation der Verkäufer und einer hohen Gerechtigkeit. Nachteile liegen in einer gewissen Unübersichtlichkeit sowie in Gefahren für Fehlanreize und Verzerrungen. Zudem sind Prämien nur schwer rückgängig zu machen. Die Festlegung der Prämienhöhe erfolgt unterschiedlich. Beim fixen Prämienfonds wird ein vorher definierter Geldbetrag analog der Leistung auf alle prämienberechtigten Verkäufer im Anteil ihrer Leistungen aufgeteilt. Beim variablen Prämienfonds ist dieser Geldbetrag von einer Bezugsgröße abhängig (z. B. Umsatz oder Gewinn). Dann ist der auszuschüttende Betrag allerdings im Vorhinein nicht bekannt. Die Prämie kann aber auch als gleicher Geldbetrag je Verkäufer definiert sein, sich auf Grundlage seines jeweiligen Festgehaltsockels berechnen oder durch individuelle Zu- und Abschläge beeinflusst sein. Bei Poolprämien partizipieren alle Gruppenmitglieder gleichmäßig unabhängig von ihrer individuellen Leistung. Neben diesen quantitativen kommen auch qualitative Zielgrößen in Betracht, die allerdings der subjektiven Verzerrung unterliegen (z.  B. nach Besuchsberichten, Kundenzufriedenheitsgrad, Verkaufsgesprächsführung). Gratifikationen und Boni stehen normalerweise dem gesamten Personal eines Betriebs zu, nicht nur den Vertriebsmitarbeitern und werden erst nach Perioden­ ende vergütet. Dabei ist der Zusammenhang zwischen individueller Leistung und Belohnung jedoch nur sehr indirekt einsichtig. Außerdem ist eine Erfolgsbeteiligung möglich. Sie bemisst sich als Leistungsbeteiligung nach Akquisition, Produktivität, Kostenersparnis, als Ertragsbeteiligung nach Umsatz, Rohertrag, Wertschöpfung, Nettoertrag oder als Gewinnbeteiligung nach Betriebsgewinn, Division-Gewinn, Ausschüttungsgewinn oder Substanz. Incentives sind i. d. R. ein steuerpflichtiger Sachbezug. Die Geldbewertung von Sachbezügen ist mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen und als geldwerter Vorteil zu versteuern. Bei Incentives-Reisen wird wegen der eingeschränkten Disposition der Teilnehmer darüber ein Abschlag von ca. 1 / 3 vorgenommen. Eine pauschale Umlage von Kosten auf die Teilnehmer ist nicht zulässig. Der Transport zum Zielort gehört jedoch zu den Reisekosten, ebenso Mahlzeiten und Übernachtungen auf dem Weg zum Zielort. Eine Aufsplittung in einen steuerpflichtigen und einen steuerfreien Teil ist nicht zulässig. Entscheidend ist, dass der Vorteil angenommen wurde, auch eine Verpflichtung zur Teilnahme wirkt nicht befreiend. Incentive-Reisen sind insb. keine Betriebsversammlungen (weil nicht allen Mitarbeitern zugänglich). Für das veranstaltende Unternehmen stellen Incentives eine Betriebsausgabe dar, die sich auf den steuerlichen Gewinn mindernd auswirkt. Außer, das Incentive wird als Geschenk ohne Gegenleistung gewährt, dann darf dieses als Be-



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triebsausgabe veranschlagt werden, wenn eine Anschaffungsobergrenze pro Kalenderjahr nicht überschritten wird. Bei Selbstständigen (Handelsvertreter etc.) stellen Incentives umsatzsteuerpflichtige Entgelte dar, allerdings nicht als Eigenverbrauch. Bei Absatzmittlern werden Incentives als „Preisnachlass“ des Lieferanten verstanden, daher muss der Vorsteuerabzug berichtigt werden. Es ergibt sich zunehmend eine Verlagerung von fixer zu erfolgsabhängiger Entlohnung und von Geld- zu Sachleistungen. 7.1.2.5 Punktuell variable Basis (nicht-monetär) Neben den monetären gibt es auch indirekt materielle und immaterielle Entlohnungssysteme. Erstere betreffen geldwerte Sach- und / oder Dienstleistungen, die Verkäufern unentgeltlich oder subventioniert zur Verfügung gestellt werden. Weit verbreitet ist das Cafeteria-System. Dabei hat der Mitarbeiter die Auswahl, sich unter verschiedenen Anreizen (Fringe Benefits) zu entscheiden. Zu denken ist etwa an folgende: •• Zusätzlicher Urlaub, kürzere Tagesarbeitszeit, kürzere Wochenarbeitszeit, kürzere Jahresarbeitszeit, freie Arbeitstage, Langzeiturlaub (Sabbatical), Vorruhestandsregelung / Frühverrentung, Teilzeitarbeit, Job Sharing, Geld statt Urlaub, Heimarbeit (Teleworking), •• Urlaubsangebote, flexible Arbeitszeiten, •• Arbeitgeberdarlehen, Kapitalanlagen, Investivlohn, Vermögensbeteiligung /  Stock Options, Gewinnbeteiligung / Profit Sharing, Studien- / Erziehungsgelder, zusätzliche betriebliche Altersversorgung, •• Bildungsurlaub, Auslandsaufenthalt, Forschungsmöglichkeiten, Kongressteilnahme, •• Lebensversicherung / Direktversicherung, zusätzliche Krankenversicherung (zahnärztlich, stationär, augenärztlich etc.), Unfallversicherung, Arbeitsunfähigkeits- / Invaliditätsversicherung, Haftpflichtversicherung, Rechtschutzversicherung, Versicherung gegen Vermögensschäden, •• periodische kostenlose ärztliche Vorsorgeuntersuchung, •• kostenlose / vergünstigte Rechts- und Steuerberatung, Geldanlageberatung, •• Firmenwagen, Firmenwohnung, Firmeneinkäufe, Entlohnung in Naturalien, verbesserte Büroausstattung, reservierter Parkplatz, Sportangebote, FlugreisenUpgrades, längere Kündigungsfristen. Letztere betreffen emotionale, ideelle Leistungen, die Verkäufer im Betrieb hervorheben. Dabei ist an Anerkennungen (z. B. 100 %-Club), Leistungsaus-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

zeichnungen (Verkäufer des Monats o. Ä.) oder Ernennungen (Titel) zu denken. Weitere Formen sind aufwertende Stellenbeschreibungen, Aus- und Weiterbildungsangebote, Statussymbole wie reservierter / nahe gelegener Parkplatz, Raumgröße / Etage / Anzahl Fensterachsen / Eckbüro, Sekretariatszuweisung / Assistenz, Berufung in Gremien, Ausstattungsfreiheit bei Büroausstattung, Spesenbudget / Firmenkreditkarte, Travel Upgrade etc. Am motivierendsten ist aber wohl die Ausgestaltung der Tätigkeit selbst. Allerdings kommt es auch hier zu Wear out-Effekten, und die Chancengleichheit der Teilnehmer ist durchaus fraglich. Außerdem wird die Attraktivität der Anreize interpersonell stark unterschiedlich bewertet. Weiterhin besteht die Gefahr, dass diese Anreize im Verlauf der Zeit als fester Vergütungsbestandteil angesehen werden und weder abbaubar noch mehr sonderlich leistungsfördernd sind. Als sehr wirksam haben sich die Vereinbarung einer Laufbahnperspektive oder anlassbezogene Karrieregespräche herausgestellt. 7.1.3

Führungsstile

Über die Notwendigkeit der Führung von Mitarbeitern bestehen kontroverse Vorstellungen. Beim eindimensionalen Führungsmodell lassen sich zwei Grundund jeweils vier Untertypen unterscheiden. Die autoritäre Grundhaltung ist generell dadurch gekennzeichnet, dass der Vorgesetzte entscheidet und anordnet: •• Beim despotischen Führungsstil handelt es sich um einen charismatischen Herr im Haus-Standpunkt, bei dem das Eigentum an Produktionsmitteln Herrschaftsdenken legitimiert. •• Beim patriarchalischen Führungsstil entscheidet immer noch der Vorgesetzte allein, allerdings ist er bestrebt, seine Untergebenen zu überzeugen, bevor er anordnet. •• Auch beim paternalischen Führungsstil dominiert das autokratische Herrschen, jedoch besteht ein Verantwortungsgefühl für die Belange der Mitarbeiter, ohne diese aber aktiv zu beteiligen. •• Beim pädagogischen Führungsstil wird die Selbstständigkeit der Mitarbeiter gefördert und entwickelt, indem Fragen gestattet werden, um die Akzeptanz von Entscheidungen zu erhöhen. Die demokratische Grundhaltung ist generell dadurch gekennzeichnet, dass der Vorgesetzte lenkt und koordiniert: •• Beim partnerschaftlichen Führungsstil fordert der Vorgesetzte seine Mitarbeiter auf, an der Zielfindung mitzuwirken und informiert diese über anstehende Entscheidungen. •• Beim partizipativen Führungsstil werden Entscheidungsvorlagen unter Einbeziehung von Wissen, Können und Interesse der Mitarbeiter gemeinsam erarbeitet, die der Vorgesetzte sanktioniert.



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•• Beim kollektiven Führungsstil zeigt der Vorgesetzte das Problem und den Handlungsspielraum auf und überlässt es Mitarbeitern, unter seiner Anleitung selbstständig Lösungen zu erarbeiten. •• Beim autonomen Führungsstil entscheidet die Gruppe selbst, und der Vorgesetzte vertritt deren Gruppenmeinung nach innen und außen mit formaler Kompetenz. Führungsstile haben sich als Management by-Techniken etabliert, die es in zahlreichen, auch ironischen Ausprägungen gibt. Im Nachfolgenden sind einige im Vertrieb wichtige skizziert. Management by Objectives (MbO) gilt als zielorientierte Führung durch die Vereinbarung operationalisierter Ziele auf jeder Hierarchiestufe der Vertriebsorganisation auf Basis von Zielerreichungszusagen durch die beteiligten Mitarbeiter sowie ein System von Commitments, Budgetierungen und Kontrollen. Es entstehen konkrete Ergebnisverantwortung, persönliche Arbeitsziele und ein relativer Freiheitsgrad für die Realisierung. Management by Delegation (MbD) bedeutet die Übertragung von Aufgaben, Verantwortungen und Rechten an nachfolgende Instanzen und Personen durch selbstständiges Arbeiten innerhalb des jeweiligen Kompetenzbereichs. Dadurch entsteht eine hohe Akzeptanz der Unternehmensziele durch die Mitarbeiter und eine Transparenz über die Prozesse. Management by Exception (MbE) erlaubt Eingriffe in einen beliebigen Prozess durch das Management, sofern Abweichungen von vereinbarten Toleranzgrenzen aufteten. Als Indikatoren dafür gelten Abweichungs- und Problemanalysen sowie Methoden zur Stabilisierung von Prozessen. Insofern kommt es zu einer Entlastung des Managements, hoher Selbstverantwortung der Mitarbeiter und Motivation durch Ergebnisbeteiligung. Management by Control (MbC) stellt Ergebnis-, Verhaltens- und Leistungskontrollen für die Überwachung aller Prozesse und der damit beauftragten Personen durch ein System von Kennziffern in den Mittelpunkt. Dadurch ergeben sich kurze Reaktionszeiten und ein hoher Beeinflussungsgrad. Management by Coordination (MbCoo) bedeutet die Zusammenfassung von Teilaktivitäten im Hinblick auf vertriebsweite Ziele mit einer Vielzahl von Koordinationsaufgaben in sachlicher, organisatorischer, personeller, finanzieller, informationeller und zeitlicher Hinsicht. Dies führt zu einer Entlastung des Managements und zur Arbeitsteilung zwischen personellen und fachlichen Aufgaben. Management by Communication (MbCom) sieht eine funktionierende Kommunikation als Voraussetzung für jede effektive Führung an. Es kommt zu einer starken Betonung der zwischenmenschlichen Beziehungen mit Übergang von der fachlichen Anweisung zur sozialen Interaktion mit hohen Anforderungen an

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

die Sozialkompetenz der Manager. Dabei erfolgt eine Einbindung der Führungskräfte in den Problemlösungsprozess der Teams. Management by Development (MbDev) bezieht sich auf die Aus- und Weiterbildung und das Training einzustellender oder vorhandener Mitarbeiter für neue Aufgaben zur Erzielung eines hohen Standards. So sollen die Schlüsselqualifikationen entwickelt werden. Dadurch ist eine langfristige Sicherung qualifizierter Mitarbeiter im Vertrieb bei sich ändernden Aufgaben gegeben. Management by Motivation (MbM) hebt auf die Erzielung einer größtmöglichen Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter durch Anreize ab, die ihren Motiven entsprechen. Als Ziel gilt die Selbstverwirklichung des Menschen im Beruf. Anreizsysteme stellen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sicher. Dadurch kann eine konstruktive Verhaltenssteuerung erreicht werden (Sozialtechnik). Management by Systems (MbS) hat eine Gesamtschau der Prozesse i. S. e. Regelkreises zum Inhalt. Komplexitäten und Interdepdenzen können auf diese Weise dargestellt und durchschaubar gemacht werden. Allerdings kommt dem eher ein didaktischer, denn ein praktischer Nutzwert zu. Dennoch ist allein die Verdeutlichung des Systems häufig eine große Hilfe. 7.1.4

Steuerung der Vertriebsmitarbeiter

Für die Steuerung der Vertriebsmitarbeiter sind vor allem vier Arbeitsbereiche durch Vorgaben zu klären, die Gebietsaufteilung, die Zeitbudgetierung, die Besuchsnormen und das Berichswesen (siehe Abb. 64). 7.1.4.1 Gebietsaufteilung Der Vertrieb bedingt zu seiner effektiven Steuerung eine zweckmäßige Aufteilung der Verkaufsbezirke. Dazu dienen vor allem zwei Verfahren. Das Umsatzpotenzialverfahren ist von seiner Anlage her output-orientiert, geht damit davon aus, dass die Produktivität jedes Verkäufers in Bezug auf den Umsatz der Kunden gleich hoch, er also in der Lage ist, in einem bestimmten Zeitraum die gleichen Umsätze zu erzielen wie jeder seiner Kollegen auch. Das Verfahren geht wie folgt vor. Zunächst wird das Marktpotenzial ermittelt. Daraus ergibt sich das Umsatzpotenzial als wertmäßiger Marktanteil. Insofern lässt sich der Arbeitsumfang jedes einzelnen Mitarbeiters ermitteln. Dividiert man das Umsatzpotenzial durch den Arbeitsumfang, ergibt sich daraus die Anzahl der Verkaufsbezirke. Vorteile des Umsatzpotenzialverfahrens sind vor allem der mögliche direkte Wettbewerb zwischen den Außendienstmitarbeitern, da jeder von ihnen a priori gleiche Verkaufschancen hat, sowie die einfache und verständliche Provisionsregelung. Nachteile liegen in der unvermeidlich ungleichen



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Abb. 64: Elemente zur Steuerung der Vertriebsmitarbeiter

Gebietsgröße und damit unterschiedlichem Reiseaufwand und unterschiedlicher Arbeitslast. Vor allem aber liegt ein logischer Zirkelschluss vor, wenn die Zahl einzusetzender Verkäufer aus einem geschätzten Abschlussvolumen hergeleitet wird. Gerade dieses soll ja durch den Einsatz der Verkäufer erst beeinflusst werden. Das Arbeitslastverfahren ist hingegen input-orientiert, basiert also auf der Grundidee, dass jeder Verkäufer dieselbe Arbeitslast in Bezug auf den Aufwand für Kunden bewältigen kann. Zur Ermittlung der Anzahl der Verkaufsbezirke ist es nötig, den gesamten Arbeitsaufwand zu ermitteln, der für die Bearbeitung des anvisierten Marktes notwendig ist. Dazu geht das Verfahren wie folgt vor. Potenzielle Kunden werden nach ihrem Umsatzpotenzial eingeteilt. Dann wird die Besuchshäufigkeit pro Zeiteinheit je nach Bedeutung der Kunden festgelegt. Daraus ergibt sich das Produkt aus Kundenzahl und Besuchshäufigkeit. Dage-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

gen werden die Arbeitstage je Verkäufer gestellt. Dividiert man die Bruttobesuchstage durch diese Arbeitstage, ergibt sich die Anzahl der erforderlichen Verkäufer. Vorteile des Arbeitslastverfahrens sind vor allem die faire Verteilung des Betreuungsaufwands sowie seine Einfachheit und Verständlichkeit. Nachteile liegen in den unterschiedlichen Umsatzpotenzialen, die in der Provisionsregelung zu berücksichtigen sind. Zudem müssen auch neue Kunden akquiriert werden. Es empfiehlt sich, die Aufteilung der Verkaufsbezirke nur in Abstimmung mit den betroffenen Mitarbeitern vorzunehmen und dann mittelfristig unverändert beizubehalten. Denkbar ist aber auch die umgekehrte Vorgehensweise, also von der gegebenen Arbeitslast auf die erforderliche Zahl der ADMs. 7.1.4.2 Zeitbudgetierung Da Zeit auch im Vertrieb der Engpass ist, gilt es, diese Limitation bestmöglich zu nutzen. Dazu dienen die Variablen der Tourenplanung und der Routenplanung. Die Tourenplanung bezieht sich auf die Festlegung der Anzahl der Kunden, die auf derselben Tour besucht werden. Am häufigsten geht man dabei wie folgt vor. Um den Sitz jedes Außendienstlers herum wird anhand einer Landkarte konzentrisch sein Verkaufsbezirk abgegrenzt. Dieser Verkaufsbezirk wird wiederum in fünf Abschnitte („Kuchenprinzip“) unterteilt, wobei jeder Abschnitt für einen Arbeitstag der Woche steht. Analog können mehr oder weniger Abschnitte bestimmt werden, in Abhängigkeit von den jeweils festgelegten (nicht unbedingt als gleichmäßig zu unterstellenden) Besuchshäufigkeiten. Nach dem Sprungtourenverfahren werden die Segmente so gewählt, dass sie an aufeinander folgenden Arbeitstagen möglichst weit entfernt liegen. So können außerplanmäßige Termine kurzfristig „am Weg“ aufgefangen werden. Bei längeren Besuchsabständen ist auch eine Aufteilung des Verkaufsbezirks nach Wochenturnus möglich. Die Kunden eines Segments werden dann innerhalb einer Woche besucht, die des nächsten Segments in der nächsten Woche. Die Segmente ergeben sich jeweils asymmetrisch, wenn der Wohnort des Verkaufsaußendienstmitarbeiters nicht in der Mitte oder außerhalb des jeweiligen Gebiets liegt. Die Routenplanung betrifft die Reihenfolge der Kundenbesuche, die meist computergestützt in Abhängigkeit von Entfernungen zwischen zu besuchenden Kunden, Arbeitszeiten der Mitarbeiter, Reise- und Verweilzeiten bei den einzelnen Kontakten etc. ermittelt wird. Dazu dienen komplexe mathematische Verfahren (Traveling Salesman Problem / OR), die umso schwieriger beherrschbar sind, je mehr Parameter dabei einbezogen werden. Zumindest ansatzweise ist somit theoretisch eine Optimierung möglich. Bei n Zielorten gibt es n! Kombinationen, dies ist nicht praktikabel.



7.   Konzept des Direktvertriebs279

Praktisch werden innerhalb jedes Segments die Besuchsadressen an den Gebietsrändern als Kette verbunden (Außenring), jeweils startend und endend mit dem Sitz des Außendienstlers (bei größeren Gebieten mit Zwischenstop). Die einzelnen Kundenstandorte werden dann im Innenring derart miteinander verbunden, dass möglichst keine spitzen Winkel, keine Kreuzungen von Strecken und keine gegenläufig zurück zu legenden Strecken entstehen. So ergibt sich die Reiseroute (vorausgesetzt, das Verkehrsnetz spricht nicht dagegen). Alternativ kann durch Navigationssystem computergestützt die optimale Route ermittelt werden. Dabei werden sinnvollerweise Zeitreserven eingeplant, um unvorhergesehene oder unvermeidliche Ausfälle zu kompensieren (etwa bei Kundendienstfahrten, bei denen die Termine eines Tages nicht planbar sind oder bei Paketdiensten, die Pakete auch abholen). Ziel der Touren- und Routenplanung ist eine Gebietsoptimierung derart, dass die Gebiete den Feldmitarbeitern so zugeordnet sind, dass die Kosten der Bearbeitung bei gleichmäßiger Auslastung der Mitarbeiter minimiert werden. Neben dem Standort des Mitarbeiters sind dazu auch der Besuchsrhythmus und die Besuchsdauer zu bestimmen. Zur Ermittlung gibt es statische Verfahren, die voraussetzen, dass alle Informationen bekannt sind und unverändert bleiben, so dass die Planung nur einmalig zu erfolgen hat, und dynamische Verfahren, die annehmen, dass die Informationen nicht alle bekannt sind und sich ändern können. Es bieten sich folgende Methoden an: •• Einkreis-Methode: Dabei werden Zielorte und Standort in einer Landkarte markiert, die Tour ergibt sich als Kreise analog Blütenblättern. •• Hauptstraßenmethode: Die Zielorte werden entlang einer Hauptverkehrsader (z. B. BAB) eingezeichnet und gruppiert. •• Sprungverfahren: Das Gebiet wird in Segmente aufgeteilt und naheliegende Ziele in zwei oder mehr Segmenten werden auf einer gemeinsamen Tour besucht. 7.1.4.3 Besuchsnormen Zu den wichtigsten Aufgaben im Verkauf gehören zweifellos die Besuchsaktivitäten. Dabei geht es um Besuche bei verschiedenen Kaufentscheidern, die Initiierung von Besuchen durch andere Mitarbeiter des anbietenden Unternehmens (z. B. Fachspezialisten, Geschäftsleitung) sowie Besuche kooperierender Anbieter (z. B. in Konsortien). Daneben stehen die Kommunikationsaktivitäten des Verkaufsaußendienstes, also vor allem die inhaltliche Gestaltung der Kommunikation zwischen Nachfrager und Anbieter, die gemeinsame Entwicklung von Problemlösungsvorschlägen mittels kundenindividueller Angebote sowie das Durchsetzen von Preisforderungen bzw. das Aushandeln von Konditionen im Vordergrund.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Hinzu treten interne Aufgaben wie die Ausarbeitung von Angeboten, die Verfolgung dieser Angebote, die Überwachung der damit verbundenen administrativen Prozesse (Auftragsbearbeitung, Rechnungslegung, Zahlungseingang, Garantieabwicklung) und auch die eigenständige Fortbildung. Für die Koordinierung und Auswertung dieser Aktivitäten stehen Informationssysteme zur Verfügung. Weiterhin liegen der Vertriebstätigkeit meist Besuchsnormen zugrunde, die standardisiert oder kundengruppenspezifisch ausgelegt sein können. Basis dieser Regelung ist eine Sales Response-Funktion über die mutmaßliche funktionale Beziehung zwischen der Anzahl der Besuche und dem Verkaufsergebnis bei Abnehmern. Damit kann z. B. vermieden werden, dass Verkaufsaußendienstmitarbeiter Besuche bei unangenehmen, aber ertragreichen Kunden nur ungern angehen und statt dessen Kunden mit besserem Arbeitsklima vorziehen, die aber betriebswirtschaftlich wenig attraktiv sind. Die Besuchsaktivitäten sollen auch unter Kostenaspekten geplant werden. Gerade in geografisch großen Verkaufsgebieten ist dabei eine Optimierung der Reisekosten und -zeiten erforderlich. Die Steuerung kann anhand verschiedener Parameter erfolgen. Dabei ist allerdings eine Gratwanderung erforderlich, denn eine zu enge Vorgabe von Besuchsstandards kann zur Inflexibilität und Demotivation der Mitarbeiter führen. Dennoch ist die beabsichtigte Einflussnahme auf das Verhalten zur Erreichung der von der Geschäftsleitung vorgegebenen Ziele unerlässlich. Unter Besuchsvorgaben versteht man allgemein Standards in Bezug auf die Betreuung von Kunden. Dazu gehören vor allem folgende. Die Häufigkeit der Kundenbesuche innerhalb einer Periode variiert je nach Bedeutung der zu besuchenden Kunden. A-Kunden (Key Accounts) werden häufiger besucht als Bund C-Kunden. Evtl. wird auf den Besuch der C-Kunden auch ganz verzichtet und deren Betreuung von der persönlichen auf die mediale Kommunikation (Direktansprache) umgestellt. Oder vom Push-Prinzip auf das Pull-Prinzip des E-Commerce. Einfluss auf die Besuchshäufigkeit haben Bestellrhythmen und Mitarbeiterkapazitäten. Auch die Besuchsdauer bemisst sich im Wesentlichen an der Bedeutung der Kunden. A-Kunden rechtfertigen längere Besuchszeiten als B- oder gar CKunden. Leider haben Verkäufer die Tendenz, gern bei den falschen, wenig werthaltigen Kunden präsent zu sein, weil die werthaltigen, großen Kunden „feindliche“ Umfeldbedingungen bieten, kleine Kunden hingegen häufig freundliche. Dies verleitet dazu, immer wieder Ausreden zu finden, warum Termine bei A-Kunden nicht wahrgenommen werden können oder zu kurz ausfallen. Dies ist verhängnisvoll für die Profitabilität. Interessentenkontakte sind in ausgewogenem Verhältnis zur Bestandskundenbetreuung erforderlich. Zwar hat die Betreuung der Bestandskunden unbedingten Vorrang, da sie im Regelfall ertragreicher ist als jede Akquisition, dennoch



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ist zur Auffüllung des unvermeidlichen Abwachses an Kunden und zur Induzierung zusätzlicher Wachstumseffekte immer auch der Kontakt zu Prospects erforderlich, den Reisende häufig scheuen, weil er vergleichsweise selten zu unmittelbaren Abschlüssen führt. Präsentationen bei Bestandskunden und / oder Interessenten führen zwar selten zu unmittelbaren Abschlüssen und sind daher im Vertrieb ebenfalls unbeliebt. Dennoch sind sie unerlässlich, um Bestandskunden über neue Produkte im Programm angemessen zu informieren und Interessenten von den Vorteilen des Eingehens einer Geschäftsbeziehung mit dem vertretenen Anbieter zu überzeugen. Die Anfragengenerierung sollte sich idealerweise auf die erfolgversprechendsten Produkte mit der höchsten Profitabilität konzentrieren. Damit es dazu kommt, ist ein entsprechender Vorverkauf dieser Leistungen erforderlich, statt auf die am leichtesten anzudienenden Produkte zu reflektieren. Nur dadurch können Anfragen erreicht und damit die Chancen auf eine Auftragserteilung geschaffen werden. Selbst Routineaufträge innerhalb bestehender Geschäftsbeziehungen werden kaum mehr ohne formale Angebotseinholung erteilt. Insofern hat die Vernachlässigung des Angebotswesens einen entscheidenden Sperrklinkeneffekt. Vor allem kommt es darauf an, die Qualität der Angebote so auszugestalten, dass sie eine realistische Chance auf Erfolg haben (ablesbar an der Hitrate, d. h. der Relation aus erhaltenen Aufträgen zu abgegebenen Angeboten). Dazu bedarf es der nutzenspezifischen, individuellen Ausarbeitung anstelle von 08/15-Angeboten, deren Erfolgschance so eng begrenzt bleibt, dass man sich die damit verbundene, wenngleich überschaubare Arbeit ebenso gut ersparen kann. Die Nutzung von Verkaufsaktivitäten auch bei Servicekontakten führt gerade bei Kunden mit zufriedenstellend behobenen Reklamationen und Kunden, die aktuell den guten Service eines Anbieters erleben, zu hohen Chancen auf Abschlüsse. Dies kann sich auf Nachverkäufe (Zubehör), Ersatz- oder Erweiterungsanschaffungen oder weitere (entgeltliche) Nachkaufservices beziehen. Dem Vertriebsmitarbeiter werden dabei zahlreiche Verkaufshilfen zur Hand gegeben wie Salesfolder (zum Verbleib beim Kunden), Verkaufshandbuch (zur Einsicht), Argumenter (kurzgefasste Information zur eigenen Vorbereitung), Ordersatzbeilage (im Handel), Produktmuster (zur Ansicht), Give-away (zur Einstimmung), Präsentationskoffer und Werbemittelgrundausstattung. 7.1.4.4 Berichtswesen Von hoher Bedeutung im Vertrieb ist das Vorgabe- und Ergebniswesen, also die Informationierung seitens des Unternehmens vor jedem Besuch und seitens der Verkaufsmitarbeiter nach jedem Besuch bei Kunden. Wichtig ist dabei eine

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Orientierung an den Erfordernissen des Kundenmanagements. Informationen sind daher so anzulegen, dass sie in Bezug auf diese Orientierung aussagefähig sind. Ein modernes Berichtswesen muss so ausgestaltet sein, dass es zweckdienliche Erkenntnisse zu z. B. Indikatoren für Kundenunzufriedenheiten, die Anzeichen einer bevorstehenden Kündigung sein können, Begründungen zur Ablehnung von Angeboten, Informationen über die Aufnahme neuer Lieferanten oder Anhebung anderer Lieferanten in den Status eines „Preferred Supplier“ liefert. Über diese routinemäßigen Informationen hinaus sind zusätzliche Informationen bedeutsam, z. B. über die Eröffnung neuer Geschäftsfelder beim Kunden, bevorstehende Akquisitionen, Personal- oder Zuständigkeitsveränderungen. Das Berichtswesen erfolgt zunehmend computergestützt. Dazu werden verschiedene Systeme der Sales Automation eingesetzt. Es handelt sich vor allem um folgende. •• Computergestützte Abwicklungssysteme disponieren über eingebundene Warenwirtschafts-, Auftragsabwicklungs- und Fakturierungssysteme. •• Vertriebsinformationssysteme umfassen Database Marketing (z. B. als Kundendatenbank), Salesmen Information-Systeme für die Verkaufsaußendienstmannschaft, Product Information-Systeme, meist in Form von Produktkatalogen, Office Preparation-Systeme für die Schnittstelle zum Back Office sowie Customer Service Support-Systeme für die Kundendienstunterstützung. •• Kundenfokussierte Systeme beziehen sich auf CRM-Systeme, die den Kundenlebenszyklus begleiten und Customer Integration-Systeme, bei denen eine informationelle Wertkettenverschränkung stattfindet. •• Außerdem gibt es die spezifische Unterstützung zur Außendienststeuerung in Form von Computer Aided Selling-Systemen (CAS). 7.1.5

Aufgaben des Innenverkaufs

Für die Realisierung der vielfältigen Aufgaben des Vertriebs ist es erforderlich, diesen zielgerichtet zu organisieren. Üblicherweise besteht der Vertrieb neben dem Verkaufsaußendienst aus Mitarbeitern des Vertriebsinnendienstes (Back Office), der den Außendienst bei administrativen Aufgaben entlastet. Diese Mitarbeiter werden überwiegend fest honoriert, obgleich sie zum Gelingen oder Ausbleiben von Abschlüssen ebenso beitragen wie die Mitarbeiter „an der Kundenfront“. Daraus resultieren häufig gravierende Einkommensunterschiede mit der Gefahr von Friktionen. Häufig werden erfolgreiche Innendienstmitarbeiter auch zu Außendienstmitarbeitern befördert, was nicht unbedingt adäquat sein muss, da die Anforderungsprofile der Stellen doch erheblich voneinander abweichen (z.B Hard Skills vs. Soft Skills).



7.   Konzept des Direktvertriebs283

Die Aufgaben des Innenverkaufs sind ausgesprochen vielfältig. Dabei geht es um die hauptverantwortliche, ständige Überwachung der reibungslosen Auftragsabwicklung und die Weitergabe der gewonnenen Erfahrungen und Informationen in der Vertriebsorganisation. Weiterhin erfolgt die Segmentierung von Kunden aufgrund der Vorgaben der Verkaufsleitung und eine Modularisierung zur rationell vereinheitlichenden und dennoch individuell erscheinenden Kundenberatung, insb. in Bezug auf Angebots- und Verkaufsschwerpunkte gemäß vorhandenen bzw. entwickelbaren Umsatzpotenzialen. Die laufende Aktualisierung aller kundenindividuellen Steuerungsdaten als erforderliche Grundlage für Aktivitäten in Kooperation mit der internen Vertriebsorganisation gehört ebenso zu den Aufgaben wie die Mitwirkung bei der Bonitätsüberwachung. Auch soll eine ständige Verbesserung durch Besuchsvorbereitungstechniken, Argumentationslisten, Angebotschecklisten, Verkaufsförderungsprogramme, Kundendiensteinsätze, Auslieferungsverfahren, Werbeaktionen, Coop-Aktionen oder besondere Vertragsgestaltungen für einzelne Spezialkunden erreicht werden. Unterstützend wirkt die Anregung besonderer Aktionen speziell für diese Kunden bei der Vertriebsleitung oder beim Kunden selbst mit Ausarbeitung der dazugehörigen Strategie und Überwachung der Durchführung mit dem Ziel von Synergieeffekten. Hinzu kommt die Durchführung der laufenden Bearbeitung von Sonderkunden nach Routine und bei besonderen Anlässen sowie die Erstellung und Aktualisierung von Prognosen über die Vertriebsentwicklung und Analyse deren Einkaufsverhaltens. Ein ständiger Kooperationskontakt mit Kundenmitarbeitern, die Einkaufsund Aktionsentscheidungen treffen und Abverkaufsverantwortung tragen, wird gepflegt, verbunden mit dem Recht, bei allen Stellen Informationen einzuholen, Einsicht in Unterlagen zu nehmen und alle benötigten Daten abzurufen (interne Kommunikation und Schnittstelle). In Abstimmung mit der internen Vertriebsorganisation erfolgt die Verfolgung der absprachegemäßen Auftragsausführung durch Kooperation mit den Bereichen Verkaufsförderung, Category-Management und Vertriebsleitung. Es werden Information über die Wettbewerbssituation der Kunden allgemein zusammengestellt, um Beratungsgespräche besser fundieren und Vorschläge für die spezifische Vermarktungspolitik in Bezug auf Spezialkunden erarbeiten zu können. Erforderlich ist auch die ständige Ermittlung des Trainings- und Schulungsbedarfs der Mitarbeiter und die Förderung deren Weiterbildung etwa durch In-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

terpretation der Bedeutung der Bestandskundenerfahrung für die Betreuung anderer Kunden. Zentral sind die Unterstützung der Vertriebsleitung für einen reibungslosen Arbeitsübergang zur Außendienstbetreuung und Mitentscheidung über Sonderkonditionen, den Einsatz von Merchandisern, Sonderaktionen und die Neuaufnahme bzw. Eliminierung von Spezialkunden. Eigenständig werden Entscheidungen über den Ablauf der Arbeiten innerhalb des Bereichs, über die Weiterleitung von Anregungen, Reklamationen, Beobachtungen und Vorschlägen getroffen. Weitere Aufgaben sind die Auftragsbearbeitung (Order Processing), die Mitarbeit in der Kundenbetreuung, die eigenverantwortliche Kleinkundenbetreuung, die Fakturierung, das Nachhalten von Kundenbonitäten, das Beschwerdehandling, die Abstimmung der Logistik, der Televertrieb, die Mitarbeit auf Messen und die Kundenbetreuung im Stammhaus. 7.2

Akquisitorische Absatzhelfer

Neben Absatzmittlern sind auch Absatzhelfer im Vertriebskanal tätig. Sie begleiten den Weg der Ware vom Hersteller zum Endabnehmer, ohne, im Gegensatz zu Absatzmittlern, dabei selbst Eigentümer der Ware zu werden. Sie sind im Einzelnen akquisitorisch, logistisch oder leistungsergänzend tätig. Zunächst zu den akquisitorischen Absatzhelfern. Es handelt sich im Wesentlichen um Handelsvertreter, Kommissionäre sowie um Handelsmakler und Handelsversteigerer (siehe Abb. 65).

      

    

  

  

    

Abb. 65: Akquisitorische Absatzhelfer



7.2.1

7.   Konzept des Direktvertriebs285

Handelsvertreter

Der Handelsvertreter ist in fremdem Namen und auf fremde Rechnung tätig. Handelsvertreter ist, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Er ist Kaufmann kraft Grundhandelsgewerbe und wird auch Agent genannt, sein Geschäftsbetrieb ist eine Agentur. Seine Alimentierung erfolgt auf Provisionsbasis. Auf diese hat er Anspruch, wenn Geschäfte während des Vertragsverhältnisses zustande kommen, diese auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind und rechtlich wirksam werden. Der Provisionsanspruch umfasst auch Folgegeschäfte und ggf. Inkasso und Delkredere. Handelsvertreter können nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden, es muss sich nicht um eine natürliche Person handeln. Als Formen können vor allem folgende unterschieden werden (siehe Abb. 66). Nach der Ermächtigung zum Verkaufsabschluss gibt es Vermittlungsvertreter, die keine Geschäftsabschlüsse tätigen dürfen, sondern Nachfrage nur sondieren und Erklärungen mit Wirkung für und gegen das vertretene Unternehmen entgegennehmen und zur Entscheidung an dieses weiterleiten, sowie Abschlussvertreter, die für den Auftraggeber verbindlich zu dessen Konditionen Geschäftsabschlüsse tätigen dürfen, also Handlungsvollmacht haben. Im Zweifel ist vom Vermittlungsvertreter auszugehen, der nur Empfangsbote ist, der Antrag kann dann vom Vertretenen angenommen oder abgelehnt werden, bei Annahme kommt der Vertrag direkt zwischen Vertretenem und Kunden zustande. Es sind also Außen- und Innenverhältnis zu unterscheiden.

Handelsvertreterformen Vermittlungsvertreter / Abschlussvertreter

Einfirmenvertreter / Mehrfirmenvertreter

Platzvertreter / Rotationsvertreter

Alleinvertreter / Bezirksvertreter

Generalvertreter / Untervertreter

Hauptberuflicher Vertreter / nebenberuflicher Vertreter

Abb. 66: Handelsvertreterformen

286

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Insofern nimmt der Abschlussvertreter eine sehr viel höhere Vertrauensstellung ein, denn von ihm abgeschlossene Verträge sind in jedem Fall im Außenverhältnis für das vertretene Unternehmen bindend. Im Innenverhältnis kann es natürlich auf den Abschlussvertreter zurückgreifen, wenn dieser sich entgegen Weisungen verhalten hat oder anderweitig grob fahrlässig. Mit welcher Art von Handelsvertreter man es zu tun hat, ist leicht feststellbar. Reicht der Vertreter einen Antrag des Interessenten an das vertretene Unternehmen zur Annahme ein und erfolgt von dort erst die Auftragsannahme als Kunde, so handelt es sich um einen Vermittlungsvertreter, der häufigere Fall. Wird der Antrag hingegen, womöglich noch an Ort und Stelle, durch Gegenzeichnung angenommen, um einen Abschlussvertreter. Nach der Zahl der übernommenen Vertretungen sind Einfirmenvertreter, die ausschließlich für einen Auftraggeber tätig sind, was jedoch eher die Ausnahme darstellt, sowie Mehrfirmenvertreter zu unterscheiden, die für mehrere, jedoch nicht konkurrierende Auftraggeber zugleich tätig sind und den Regelfall darstellen. Der Konkurrenzausschluss ist, wie das gesamte Handelsvertreterrecht, abdingbar, d. h., bei genügender Nachfragemacht kann ein Handelsvertreter darauf hinwirken, dass die gemeinsamen Anbieter von ihm auch dann vertreten werden, wenn sie untereinander konkurrieren. Dies ist etwa bei Vermögensanlageberatern (wie Bonnfinanz, AWD / Swiss Life, MLP) der Fall, die für verschiedene Finanzdienstleister tätig werden und zusätzlich auch im Eigenhandel Finanzprodukte abschließen. Nach dem Marktverantwortungsgebiet können Platzvertreter, sie bearbeiten immer das gleiche Gebiet, und Rotationsvertreter, sie wechseln ihr Gebiet, unterschieden werden. Wegen der Selbstständigkeit der Handelsvertreter kann eine Rotation nur im gegenseitigen Einvernehmen vorgesehen werden. Sie bedeutet für den Vertreter zumeist eine Erschwernis, etwa durch Umzug, aber auch durch Neuaufbau einer Kontaktbasis und ist daher selten produktiv. Nach dem Umfang der Rechte sind Alleinvertreter, die für das vertretene Unternehmen in ihrem Bezirk ausschließlich allein tätig sind, wobei jedoch Anfragen von Bedarfsträgern aus Kollegenbezirken bearbeitet werden dürfen, sowie Bezirksvertreter zu unterscheiden, die Anspruch auf Provision aus allen Geschäften haben, die mit Abnehmern ihres Bezirks abgeschlossen werden, unabhängig davon, ob sie dabei selbst tätig geworden sind oder nicht. Der Handelsvertretervertrag kann zwar die aktive Akquisition in fremden Gebieten untersagen (Outbound), nicht jedoch die passive Bearbeitung von Anfragen aus anderen Gebieten (Inbound). Nun ist der Vertretungsgeber bestrebt, auch solche passiven Bearbeitungen zu verhindern, dies ist jedoch rechtlich unzulässig. Daher wird das Konstrukt des Bezirksvertreters gewählt. Dieser hat Anspruch auf einen Provisionsanteil für Abschlüsse mit allen Kunden in seinem Bezirk, auch wenn er daran selbst nicht aktiv beteiligt war. Insofern ist



7.   Konzept des Direktvertriebs287

die Motivation eines Alleinvertreters, Anfragen aus anderen Bezirken zu bearbeiten, begrenzt, denn es entfällt zwar der gesamte Aufwand auf ihn, aber der Lohn der Arbeit ist von ihm zu teilen. Daher liegt es nahe, dass bei Anfragen aus fremden Gebieten von ihm auf den dortigen Bezirksvertreter verwiesen wird. Im Effekt werden so auch Inbound-Aktivitäten unterbunden. Nach der Berufsausübung gibt es hauptberufliche Handelsvertreter und nebenberufliche Handelsvertreter. Letztere sind keine Kaufleute und haben z. B. keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung, erstere immer. Häufig sind nebenberufliche Handelsvertreter für Generalvertreter tätig, welche die Vermittlungstätigkeit für das vertretene Unternehmen durch eigene Untervertreter ausüben lassen, also über eine eigene Vertriebsorganisation verfügen. Die Handelsvertreterbeziehung kennzeichnen umfangreiche Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. Zu den wichtigsten gehören, dass der Handelsvertreter seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Er soll das Interesse des vertretenen Unternehmens wahren und hat Anspruch auf Provision für Abschlüsse und alle gleichartigen Folgegeschäfte, die er durch Bucheinsicht nachprüfen (lassen) kann. Die Provisionszahlung ist normalerweise unabhängig davon, ob mangelfrei und rechtzeitig geliefert wird oder nicht. Geschäfte mit „faulen“ Kunden bringen allerdings keine Provision. Die Abrechnung erfolgt spätestens zum Ende des Folgemonats des Abschlussmonats. Inkassoprovision ist für das Einziehen von Forderungen und Delkredereprovision für die schriftliche Haftung für Zahlungseingänge fällig. Die Provisionspflicht gilt auch für Nachbestellungen (Folgeprovision), zahlbar bis zum Ende des Folgemonats (nur Abschlussvertreter). Der Handelsvertreter kann über alle zum Verkauf nötigen Unterlagen disponieren (wie Produktmuster, Preislisten, Prospekte etc.) und wird unverzüglich über die Annahme oder Ablehnung von ihm vermittelter Geschäfte benachrichtigt. Bei Auflösung der Vertretung durch das Unternehmen hat er Anspruch auf eine angemessene finanzielle Abfindung (Ausgleichszahlung), die sich nach einer festen Formel berechnet. Es besteht die Pflicht zur dauernden Geheimhaltung über bekanntgewordene betriebliche Verhältnisse des Auftraggebers, auch nach Vertragsauflösung, und zum Wettbewerbsverbot für gleiche oder gleichartige Vertretungen (es sei denn, alle Beteiligten sind damit einverstanden). Außerdem ist das vertretene Unternehmen unverzüglich von jedem Auftrag zu informieren und die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns in allen geschäftlichen Belangen walten zu lassen. Handelsvertretersysteme finden sich z. B. bei Versicherungen / Bausparkassen, Reisebüros (z.  B. als Lufthansa-Agentur), Anzeigen (für Insertionsaufträge), Lotto- / Totoannahmestellen (für die lokale Lotteriehoheit), Markentankstellen (für Mineralölkonzerne), Deutsche Post / DHL (als Postagentur), Verlagen (für Abonnentenwerbung) oder im Versandhandel (als Sammelbesteller).

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Ein Problem speziell bei Einfirmen-Handelsvertretern ist immer der Anschein der Scheinselbstständigkeit. Diese ist nach Gesetz zu bejahen, wenn drei der nachfolgenden fünf Indizien gegeben sind: •• keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, •• ausschließlich für einen Auftraggeber tätig, •• eine alternative Verrichtung durch Beschäftigte ist möglich, •• kein kaufmännisch eingerichteter Geschäftsbetrieb, •• eine ähnliche Tätigkeit wie als Arbeitnehmer zuvor. Die Vermutung der Scheinselbstständigkeit kann widerlegt werden. Wird diese jedoch bejaht, ist der Auftraggeber des Einfirmen-Handelsvertreters für diesen sozialversicherungsabgabenpflichtig. 7.2.2

Kommissionär

Der Kommissionär ist in eigenem Namen, aber (regelmäßig) auf fremde Rechnung tätig, indem er Waren oder Anrechte kauft oder verkauft. Er ist Kaufmann kraft Grundhandelsgewerbe und kann in einem dauernden oder nur fallweisen Vertragsverhältnis stehen. Nach dem Funktionsbereich kann es sich um einen Einkaufs- oder Verkaufskommissionär handeln, ersterer erwirbt zunächst das Eigentum am Kommissionsgut solange, bis er es an den Kommittenten übereignet, letzterer erwirbt kein Eigentum am Kommissionsgut, jedoch an der Forderung aus dem Verkauf (eigener Name), die er an den Kommittenten abtritt. Eigentlich liegen somit zwei Verträge vor, einer zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär, in dem sich der Kommissionär verpflichtet, sich um den Verkauf zu bemühen, und ein weiterer zwischen Kommissionär und Käufer, in dem der Kommissionär alle Pflichten und Rechte eines Verkäufers einnimmt. Damit ist allein der Kommissionär Vertragspartner des Käufers, folglich steht ihm auch die Kaufpreisforderung zu. Der Geschäftsbetrieb eines Kommissionärs wird auch Agentur genannt. Die Entlohnung erfolgt über Provision für ausgeführte Geschäfte und Auslagenersatz für alle Fremdkosten durch den Auftraggeber. Überschüssige Ware oder Geld ist exakt herauszugeben. Der Kommissionär nimmt das Interesse des Kommittenten wahr und folgt dessen Weisungen, andernfalls ist er schadenersatzpflichtig. Ein Selbsteintritt für Geschäfte ist möglich, d. h. Verkauf aus ­Eigentum bzw. Kauf in Eigentum. Er kann auch Ware als Pfand für unbefriedigte, fällige Ansprüche einbehalten. Preisabweichungen von der Order sind auf Anzeige und ohne Widerspruch des Auftraggebers möglich (Schweigen ist Zustimmung). Ansonsten hat der Kommissionär den Anweisungen des Kommittenten zu folgen und die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns walten zu lassen. Er haftet für Verlust und Beschädigung von Ware in seinem Besitz und ist zur



7.   Konzept des Direktvertriebs289

unverzüglichen Benachrichtigung bei Geschäftsausführung verpflichtet. Vorteilhaft bei der Einschaltung eines Kommissionärs ist, dass kein eigenes Lager erforderlich ist, da der Kommissionär seinerseits ein Konsignationslager unterhält, dass kurze Lieferzeiten möglich sind, da der Kommissionär im Regelfall sofort lieferfähig ist, und dass kurze Transportwege bestehen, da dezentrale Standorte mehrerer Kommissionäre die Entfernungen zu Kundenstandorten minimieren. Eine im B-t-B-Sektor häufige Form ist die des Konsignationslagers. Der Lieferer liefert dabei Ware in das Lager des Abnehmers, die dieser erst bezahlt, wenn er sie dem Lager entnimmt. Das Lager des Lieferanten befindet sich damit praktisch am Abnehmerstandort. Bei Unterschreiten von Mindestmengen füllt der Lieferant das Lager wieder auf. Die Abrechnung kann auch periodisch erfolgen. Vorteile für den Abnehmer sind folgende. Die Absicherung logistischer Risiken ist gegeben, ebenso eine Befreiung von Lagerverwaltung und Kapitalbindung. Das Warenrisiko verbleibt beim Lieferer. Es entsteht eine Kapitalfreisetzung durch verzögerten Eigentumsübergang der Waren. Dies erlaubt eine Bestandshöhe auf Pufferniveau. Es kommt zu einer Erhöhung der Lieferflexibilität und Reduzierung der Prozesskosten. Dadurch steigt die Kundenzufriedenheit. Der Lieferer hat folgende Vorteile. Es kommt zu einer Reduzierung der Konkurrenz durch Single Sourcing für Konsignations-Identnummern. Es ist eine Optimierung der Produktionslosgrößen ebenso möglich wie ein Ausgleich der Produktionsplanung. Und es ergibt sich eine Reduzierung der Lagerhaltung. Beispiele finden sich bei Bäckereien mit Kaffeenebengeschäft (Tchibo), in der Gebrauchtwagenvermarktung, im Buchhandel gegenüber Verlagen (Barsortiment), im Getränkehandel etc. 7.2.3

Handelsmakler

Der Handelsmakler ist in fremdem Namen und auf fremde Rechnung nur mit der fallweisen, gewerblichen Vermittlung von Abschlüssen befasst, ohne selbst in den Warenfluss eingeschaltet zu sein. Gewerbsmäßig bedeutet, dass die Tätigkeit auf planmäßige Gewinnerzielung gerichtet ist. Dazu reicht der bloße Nachweis von Abschlussgelegenheiten nicht aus (Vermittlungsmakler). Er ist Kaufmann kraft Grundhandelsgewerbe und initiiert Geschäftsabschlüsse durch Kontakt zu mehreren potenziellen Käufern und Verkäufern und erhält dafür Provision (= Courtage), normalerweise von beiden Parteien je zur Hälfte. Er ist zur Interessenwahrung beider Seiten verpflichtet und haftet für durch Verschulden von ihm verursachte Schäden. Denn der Handelsmakler tritt mit beiden Parteien in vertragliche Beziehungen, auch wenn er nur von einer Partei beauftragt wird.

290

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Über das vermittelte Geschäft wird eine Schlussnote an jede Partei erstellt und unverzüglich zugestellt. Ein Tagebuch dient dem Nachweis der Tätigkeit als Entlohnungsvoraussetzung. Er hat den Parteien auf Verlangen Auskunft über seine Geschäftsanbahnungsaktivitäten zu geben. Er bewahrt Warenmuster beim Kauf nach Probe auf und kann bei fehlendem Beauftragungsnachweis einer Partei selbst in das Geschäft eintreten. Ein Maklerlohn wird nur fällig, wenn der Geschäftsabschluss rechtswirksam zustande gekommen ist, abhängig von Bedingungen, aber unabhängig von der Ausführung. Bei Widerruf besteht kein Anspruch auf Maklerlohn, es sei denn, das Geschäft wird nur widerrufen, um danach einen Direktabschluss ohne Maklervermittlung durchzuführen. Der Handelsmakler hat ein Anrecht auf Auslagenersatz, er darf keine Zahlungen der Parteien entgegennehmen. Bei allen gesetzlichen Regelungen handelt es sich um abdingbares Recht. Typisch sind Waren-, Wertpapier-, Versicherungs-, Frachten- und Schiffsmakler. Nicht hierzu gehört der Zivilmakler. Makelung ist in bestimmten Bereichen restriktiv geregelt (so für Arbeitsplätze oder Adoptionen). Zivilmakler befassen sich mit BGB-Verträgen, sie haben bereits bei Nachweis einer Gelegenheit Anspruch auf Courtage (Nachweismakler). 7.2.4

Handelsversteigerer

Der Handelsversteigerung ist in fremdem Namen und auf fremde Rechnung tätig. Die Entlohnung erfolgt durch Aufgeld (meist vom Käufer) plus Spesen (meist vom Verkäufer) aus dem Auktionserlös. Der Versteigerer tritt auf öffentlich angekündigten Marktveranstaltungen auf, um nicht-fungible Waren im Wege des Bieteverfahrens an denjenigen zu versteigern, der das beste (höchste /  niedrigste) Gebot dafür abzugeben bereit ist. Dabei handelt es sich für gewöhnlich um schnell verderbliche Waren (z. B. Obst und Gemüse), Waren mit stark schwankender Qualität (z. B. Rohstoffe), Notversteigerungen als Verwertung (z. B. von Pfändern) oder Sammlerstücke für Liebhaber (z. B. Kunst). Versteigerer bedürfen einer Erlaubnis nach GewO. Diese wird vom Ordnungsamt / Gewerbeamt erteilt (evtl. mit öffentlicher Bestellung und Vereidigung für öffent­ liche Versteigerungen durch die IHK), sofern keine Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen (z. B. wegen bestimmter Vorstrafen, ungeordneter Vermögensverhältnisse). Versteigerungen sind vorab anzuzeigen, und es ist Gelegenheit zur Besichtigung des Versteigerungsguts durch potenzielle Bieter zu geben. Der Handelsversteigerer darf selbst nicht mitbieten, auch nicht durch Verwandte oder Bekannte mitbieten lassen und keine Objekte versteigern, mit denen er selbst handelt oder an denen er Pfandrechte besitzt. Die typische Versteigerung ist ein öffentliches Bietverfahren mit Zuschlag für das Höchstgebot und Barzahlungspflicht für physisch vorhandene Güter, die nicht standardisierbar sind (§ 156 BGB). Die Preisgebote der Nachfrager gehen



7.   Konzept des Direktvertriebs291

von unten nach oben (auf Aufstrich). Stellt der Anbieter hingegen eine Preisforderung, geht diese von oben nach unten (auf Abstrich / Veiling). Es handelt sich damit um die Organisation des Marktes für ein bestimmtes Angebot durch Anziehung einer Mehrzahl von Kaufinteressenten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Die Präsenz der Auktionsobjekte am Ort bzw. in dessen Nähe ist gegeben. Deren Inaugenscheinnahme durch Kaufinteressenten kann erfolgen. Die Abgabe von Preisgeboten bewirkt eine Tendenz zum gegenseitigen Überbieten. Der Zuschlag erhält jeweils das Höchstgebot bzw. die Höchstannahme. Versteigerungen sind zu bevorzugen, wenn es auf einen sicheren und schnellen Absatz ankommt, für den sich ein adäquater Preis erst noch bilden muss, wie dies bei nicht-fungiblen Waren notwendig ist. Die Verkäufer ordnen dem ihr Preisinteresse unter, worin wiederum die Attraktivität für potenzielle Käufer liegt. Beispiele finden sich bei Kunstobjekten, Antiquitäten, Nutztieren, Immobilien, Rechten, Zollaservaten, Pfändern etc. Elemente jeder Versteigerung sind ein Startpreis, das Gebotsinkrement und die Verbindlichkeit der Gebote (keine Spaßbieter). Die Zeitdauer ist vorgegeben (früher durch Kerzenabbrennen). Versteigerungen nehmen damit mehrere Funktionen wahr: •• die Koordinationsfunktion besagt, dass sie markträumende Preise ermitteln, die das Angebot und die Nachfrage so koordinieren, dass alle Produkte abgesetzt werden, •• die Preisbildungsfunktion besagt, dass sie auch für kaum oder selten gehandelte Güter (wie Unikate) Preise ermitteln können, ohne auf Schätzungen angewiesen zu sein, •• die Allokationsfunktion besagt, dass sie auch als Zuweisungsmechanismus für schwer zu vermarktende Produkte (z. B. Restplätze auf einem Linienflug) dienen können, •• die Distributionsfunktion besagt, dass sie geeignet sind, eine große Zahl von Bietern anzuziehen und damit einen separaten Vertriebskanal darstellen. Leistungsergänzende Absatzhelfer fördern den Vertrieb durch Finanzierung (z. B. als Kreditinstitut), Absicherung (z. B. als Versicherung), Information (z. B. als Auskunftei) und Beratung (z. B. als Werbeagentur). Sie sind parallel zum Warenfluss selbstständig tätig, ohne dabei deren Eigentümer zu werden. Da sie jedoch unverzichtbares Komplement zum Warenfluss sind, kommt ihnen dabei erhebliche Bedeutung zu. Man findet hier sowohl Outsourcings als auch Insourcings vor. So erwerben Anlagenhersteller eigene Banklizenzen zur Absatzfinanzierung, unterhalten Intelligence-Abteilungen für Wissenserwerb und -schutz, gründen interne Unternehmensberatungen mit spezifischer Expertise oder nutzen komplizierte FinanzTools zur Risikovermeidung bzw. -verringerung. Aus diesen Leistungen lassen sich hoch interessante Verkaufsargumente ableiten.

292

7.2.5

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Vergleich Reisender vs. Handelsvertreter

Häufig ist beim Direktvertrieb die Entscheidung zwischen unternehmenseigenen Verkäufern als angestellte Reisende (Verkaufsaußendienstmitarbeiter) und unternehmensfremden Verkäufern als selbstständige Handelsvertreter zu treffen. Dafür können qualitative und / oder quantitative Kriterien zugrunde gelegt werden. Reisende haben Arthandlungsvollmacht für eine bestimmte Art von Rechtsgeschäften, Generalhandlungsvollmacht für alle Rechtsgeschäfte oder Spezialhandlungsvollmacht für einzelne Rechtsgeschäfte. Meist wird der Vergleich zwischen (selbstständigen Einfirmen-) Handelsvertretern und (unselbstständigen) Reisenden im Außenverkauf gezogen. Für die Präferenz zwischen beiden sind sowohl qualitative wie quantitative Aspekte bedeutsam. Zunächst zu den qualitativen, die Effektivität betreffenden. Die Vor- und Nachteile des intern-direkten Vertriebs über unternehmens­ eigene Organe sind die Folgenden. Zunächst zu den wesentlichen Vorteilen. Eine Einsparung der Distributionsspanne und deren Instrumentalisierung für Preisvorteil oder Zusatzgewinn ist möglich. Daraus entstehen Wettbewerbsvorteile, welche die Zugkraft der Produkte verstärken. Es kommt zu einer effizienten Steuerung und Kontrolle der Vertriebsaktivitäten unter eigener Bestimmung. Anders als bei selbstständigen Kaufleuten im Handel, die regelmäßig ihr eigener Souverän sind. Der direkte Kontakt zu Abnehmern fördert die Kundenbindung und schafft einen besseren Informationsfluss. Damit können auch schwache Signale zur Risikenvermeidung und Chancennutzung wahrgenommen werden. Die große Produktkompetenz ermöglicht eine hohe Anpassungsflexibilität an Kundenbedarfe. Es bestehen zumeist gute Voraussetzungen für den Aufbau einer Stammkundschaft, verbunden mit guten Kundenbonitätskenntnissen. Dies schafft die Bedingungen für eine rasche Markterschließung und intensive Marktdurchdringung. Es gibt eine unmittelbare und zuverlässige Rückkopplung vom Markt mit guter Abschätzbarkeit des Kundenbedarfs. Die Vertriebskon­ trolle bis zum Endabnehmer bietet gute Bedingungen zur Kontaktverstetigung. Und es sind hohe Potenziale für innovative Produktideen gegeben. Folgende Nachteile sind hingegen zu nennen. Ein hoher Organisationsaufwand zur Planung und Kontrolle ist erforderlich. Vor allem stellt der Vertriebsbereich einen Fixkostenblock dar, der die Flexibilität des Unternehmens nachhaltig beeinträchtigt. Akquisitionschancen, die außerhalb des Verfügungsbereichs des eigenen Unternehmens liegen, sind nicht nutzbar. Dadurch kann das objektiv erreichbare Absatzpotenzial nicht vollständig monetarisiert werden. Ein hoher Kapitaleinsatz zur Etablierung sowie hohe laufende Aufwendungen sind bei breiter Abdeckung erforderlich. Vor allem in der Anlaufphase sind die Gefahren für Unwirtschaftlichkeiten hoch. Es entstehen hohe Kosten der Kommunikation für Kundengewinnung, persönliche und telefonische Kundenberatung. Zusätz­



7.   Konzept des Direktvertriebs293

liche Kapitalbindung ist durch Messebeschickung und Niederlassungsleitung gegeben. Die Steuerung der Vertriebsmitarbeiter ist aufwändig, z. B. zu deren Gewinnung und Schulung. Hinzu kommt eine hohe Fluktuationsrate der Vertriebsmitarbeiter. Es entstehen teils hohe Abwicklungs- und Logistikkosten. Und eine hohe Abhängigkeit von der kommerziellen und persönlichen Kompetenz der Mitarbeiter ist hinzunehmen. Die Vor- und Nachteile des extern-(halbstufig-)direkten Vertriebs über unternehmensfremde Absatzhelfer sind die Folgenden. Zunächst zu den wesentlichen Vorteilen. Die Kontakt- und Akquisitionsfunktion kann an eigenverantwortliche Absatzhelfer abgetreten werden. Diese werden, je nach Lage der Dinge, in eigenem oder fremdem Namen, für eigene oder fremde Rechnung aktiv. Es ­ kommt zur Monetarisierung zusätzlicher Kontakte im Markt zugunsten des ­eigenen Unternehmens, die aus der Erfahrung und dem Know-how der eingeschalteten Absatzhelfer resultieren. Die Substitution von Fixkosten durch variable Kosten trägt zur Risikoreduktion bei. Absatzhelfer arbeiten regelmäßig ausschließlich oder weit überwiegend erfolgsbezogen, verursachen also nur Kosten, wenn diesen auch Erlöse gegenüber stehen. Ein hohes Maß an Anpassungsflexibilität ist gegeben. So können Absatzhelfer zumindest in Maßen ausgetauscht werden, weiterhin können ihre Arbeitsbedingungen den Geschäftszielen angepasst werden. Ebenso sind sehr gute Marktkenntnisse (Potenziale, Bedarfe, Bonitäten etc.) gegeben. Dieses Know-how kommt vor allem neuen Anbietern zugute, die sich nicht so gut auskennen und Beziehungen erst aufbauen müssen. Folgende Nachteile sind zu nennen. Ein Entgelt für die Akquisitionsaktivitäten der Absatzhelfer ist in Form von zu zahlender Provision notwendig. Dies schmälert die Gewinnspanne oder zwingt zum Aufschlag auf den Ab WerkPreis. Die Selbstständigkeit der eingeschalteten Absatzhelfer kann durchaus eine instabile Vertriebsbasis bewirken. So besteht die Gefahr hoher Fluktuationsraten mit vagabundierenden Kundenpotenzialen. Es entsteht Koordinations- und Abwicklungsaufwand für die Kommunikation mit Absatzhelfern. Diese bedürfen der umfassenden Unterstützung im eigenen Sinne mit Verkaufs- und Werbemitteln. Teilweise bestehen restriktive gesetzliche Regelungen. Diese beziehen sich auf die Strenge der Beziehung zwischen Unternehmen und Absatzhelfer sowie auf den Interessenschutz der Absatzhelfer (z. B. Ausgleichszahlung). Quantitativ, also die Effizienz betreffend, liegen mit steigender Absatzmenge die Kosten eigener Verkaufsmitarbeiter, die Fixum und Prämie erhalten, unter denen selbstständiger Absatzhelfer, die auf Provisionsbasis arbeiten. Dementsprechend ist zu Beginn der Geschäftstätigkeit eher ein Einsatz von Absatzhelfern empfehlenswert, auch wegen der qualitativen Aspekte, mit zunehmendem Geschäftserfolg aber ab einem Break even-Punkt der Umstieg auf eigene Mitarbeiter ratsam. Dies kann rechnerisch und grafisch dargestellt werden.

294

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

In der Praxis sind die Unterschiede freilich nicht so gravierend. Die Trennung von einzelnen Absatzhelfern ist bei geeigneter Vertragsgestaltung trotz eines evtl. Ausgleichsanspruchs unkompliziert, denn die Ausgleichszahlung wird meist vom Nachfolger übernommen, da ihm Einnahmen zufließen, für deren Erschließung er keinen Arbeitseinsatz geleistet hat. Auch werden Zusatzaufgaben übernommen, wie ansonsten nur bei eigenen Mitarbeitern üblich. Demgegenüber kann sich die Trennung von eigenen Mitarbeitern als durchaus schwierig erweisen, wenn der Betriebsrat entscheidend mitredet. Auch ist deren Steuerung durchaus nicht problemlos, dazu bedarf es vielmehr ausgefeilter Planungs- und Kontrollmechanismen. 7.3

Vertrieb über reale Marktveranstaltungen

Marktveranstaltungen stellen allgemein die bewusste Zusammenführung von Angebot und Nachfrage für eine bestimmte Leistung an einem bestimmten Ort und / oder zu einem bestimmten Zeitpunkt dar. Sie dienen primär der Gewinnung von Informationen über die Marktlage, der Herstellung und Pflege von Kontakten zu Abnehmern und Lieferanten sowie der Anbahnung und Einholung von Aufträgen. Sofern der Abschluss dabei im Vordergrund steht, handelt es sich um, hier interessierende, Abschlussmärkte (ansonsten Repräsentationsmärkte). Diese können in organisierter Anbieter- oder Nachfragerkonkurrenz sowie in zweiseitiger Konkurrenz und / oder als freie Formen stattfinden (siehe Abb. 67). 7.3.1

Organisierte Anbieterkonkurrenz

Die organisierte Anbieterkonkurrenz erfolgt als Lizitation oder Submission. Die Lizitation ist eine offene Bieterkonkurrenz, bei der sich Anbieter Nachfragern gegenüber im Preis ihrer angebotenen Leistung gegenseitig solange unterbieten, bis der Anbieter mit der niedrigsten Preisforderung den Zuschlag erhält. Voraussetzung ist hier eine extreme Käufermarktsituation, d. h. hoher Angebotsüberschuss. Da dies in diesem Ausmaß für entwickelte Volkswirtschaften eher untypisch ist, kommt die Lizitation recht selten vor (z. B. in der Schiffsraumvercharterung). Die Submission ist eine von einem Nachfrager (Submissionar) zum Zwecke des Vertragsabschlusses an potenzielle Anbieter (Submittenten) gerichtete Aufforderung, für bestimmte, durch eine Beschreibung präzisierte Leistungen schriftlich Angebote abzugeben. Diese werden unter Einhaltung genauer Verfahrensregeln geöffnet, wobei das unter Einbeziehung aller Umstände günstigste Angebot den Zuschlag erhält. Eine Nachbesserungsmöglichkeit besteht nicht. Ein vom vorgelegten Lastenheft abweichendes Angebot kann nur zusätzlich



7.   Konzept des Direktvertriebs295

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Abb. 67: Reale Marktplätze

abgegeben werden. Dieses rivalisierende, verdeckte Bewerben von einer Mehrzahl von Anbietern um den Auftrag eines Nachfragers ist typisch für die Beschaffung der Öffentlichen Hand, um die Auftragsvergabe möglichst kostengünstig und präferenzfrei zu gestalten. Problematisch sind die Gefahr informeller oder auch organisierter (verbotener) Absprachen der Anbieter (Ringbildung) und die Einschränkung deren Dispositionsfreiheit nach Ende der Zuschlagsfrist, weil sie an ihr Angebot gebunden sind. Vorher kann ein Gebot zurückgezogen oder durch ein neues ersetzt werden. 7.3.2

Organisierte Nachfragerkonkurrenz

Die organisierte Nachfragekonkurrenz erfolgt als Versteigerung oder Einschreibung. Die Versteigerung ist ein öffentliches Bieteverfahren mit Zuschlag für das Höchstgebot und Barzahlungspflicht für physisch vorhandene Güter, die nicht standardisierbar sind (also über keinen Marktpreis verfügen, ansonsten

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

wäre ein Vertrieb über Börsen möglich). Die Preisgebote der Nachfrager gehen von unten nach oben. Stellt der Anbieter hingegen eine Preisforderung, auf die Nachfrager reagieren, geht diese von oben nach unten (Veiling). Die Inaugenscheinnahme der Versteigerungsobjekte durch Kaufinteressenten kann an Ort und Stelle erfolgen. Die Abgabe von Preisgeboten durch verschiedene Nachfrager löst eine Tendenz zum gegenseitigen Überbieten aus. Den Zuschlag erhält jeweils das Höchstgebot. Versteigerungen sind zu bevorzugen, wenn es auf sicheren und schnellen Absatz ankommt, für den sich ein adäquater Preis erst noch bilden muss, wie dies bei nicht-fungiblen Waren (für die keine Marktpreise vorliegen) gegeben ist. Der Verkäufer ordnet dem sein Preisinteresse unter, worin wiederum die Attraktivität für potenzielle Käufer liegt. Versteigerungen können nach vielfältigen Kriterien gegliedert werden. So nach •• der Teilnehmerzahl in freie oder begrenzte Teilnahmemöglichkeiten, •• einer zu entrichtenden Teilnahmegebühr, oft auch nur symbolisch, •• der Versteigerungsdauer in fixierte oder variable Dauer, •• einem vorhandenen Mindestgebot, und dem Verfahren, wenn dieses Gebot nicht überboten wird, •• den Regelungen, die starr oder flexibel (heikel) ausgelegt sein können, •• der Verbindlichkeit oder Unverbindlichkeit der Gebote, •• den Gebotsschritten in festen oder beliebigen Wertabständen (Inkremente). Vorteile des Verkäufers sind die Konzentration der Nachfrage, ein großer Umsatz in kurzer Zeit, ein besserer Preis durch gegenseitiges Überbieten und die Einschaltmöglichkeit von Absatzhelfern. Nachteile des Verkäufers sind der Preisdruck bei geringer Nachfrage und ein schwieriger Absatz bei geringer Qualität der Lose. Vorteile der Käufer sind der gute Überblick über die Marktlage, bei Überangebot ein günstiger Einkauf auch kleiner Mengen und die vorherige Besichtigungsmöglichkeit. Nachteile der Käufer sind der oft zu hohe Preis durch Überbieten sowie die meist erforderliche Übernahme von Mittlergebühren und Lagerspesen. Bei der Einschreibung geben potenzielle Käufer nach öffentlich verbreiteter Ankündigung ihr Gebot für ein Einzelobjekt / -los bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schriftlich in einem verschlossenen Umschlag beim Anbieter ab. Es handelt sich also um eine verdeckte Bieterkonkurrenz. Dadurch sollen Preisabsprachen (Ringbildung) verhindert werden. Den Zuschlag erhält der am höchsten bietende Nachfrager. Die Höhe aller Gebote ist nur dem Anbieter bekannt, der die Angebote erst nach Ablauf der Bietfrist öffnet. Ein nachträgliches Überbieten ist nicht möglich, es sei denn, dies ist ausdrücklich vorgesehen. Es besteht kein Zwang zur Angebotsannahme gegenüber Kaufwilligen (daher wird



7.   Konzept des Direktvertriebs297

meist eine Bietungsgarantie vereinbart, die bei Ablehnung verfällt und bei Annahme verrechnet wird). Vorteile des Verkäufers sind die Meidung eines zu starken Preisdrucks bei geringer Nachfrage, durch die fehlende Teilung in Lose auch der Mitverkauf von Nebenware und die Möglichkeit, ein Angebot abzulehnen. Nachteile des Verkäufers sind die Gefahr der Absprache unter den Käufern und die Unmöglichkeit einer nachträglichen Erlösverbesserung. Vorteile der Käufer liegen in der Präsenz nur weniger Großabnehmer bei überschaubarer Konkurrenz. Nachteile der Käufer sind die Unsicherheit, wie hoch die Konkurrenz bietet, somit die Notwendigkeit eines hohen Gebots, wenn die Ware gebraucht wird und der begrenzte Abnehmerkreis mangels Losteilung. 7.3.3

Zweiseitige organisierte Konkurrenz

Bei diesen Formen liegen Netzwerkeffekte vor. Das wohl verbreitetste Beispiel sind Börsen (N : N). Die Börse ist eine regelmäßig stattfindende, korporativ organisierte Marktveranstaltung, an der bestimmte Kaufleute nach festliegenden normierten Bedingungen und Verfahren Geschäfte in physisch nicht präsenten Objekten abschließen. Voraussetzung ist dabei die Fungibilität der Waren, d. h., jedes Einzelexemplar einer Gattung kann das Warengesamt hinreichend vertreten, die Waren sind also untereinander austauschbar und müssen daher nicht physisch am Ort des Handels vorhanden sein. Muster sind bei überbetrieblichen, zu Standards erhobenen Normen ebenso verzichtbar. Damit sind auch die Verträge fungibel, weil deren wesentliche Bestandteile wie Vertragsmenge, Lieferungstermin, Andienungsplatz, Zahlungsweise, Streitregelung etc. standardisiert sind. Durch beschränkten Zugang, straffe Organisation und raum-zeitliche Konzentration werden Transaktionen übersichtlich gestaltet und vereinfacht. Alle anderen Entscheidungsparameter als der Preis entfallen. Häufigste Erscheinungsform sind Effekten-, Devisen- und Warenbörsen. 7.3.4

Freie Formen

Als freie Form der zweiseitigen Konkurrenuz (N : N) sind Märkte zu nennen. Diese sind raum-zeitlich definiert und meist sachlich begrenzt. Anbieter und Nachfrager treffen sich dort und schließen frei ausgehandelte Geschäfte meist formlos (durch konkludentes Handeln) ab, denen aktive Preisverhandlungen vorausgehen. Ware und Geld werden dabei jeweils physisch übergeben. Der Wochenmarkt bietet frische Lebensmittel, Blumen, Pflanzen, Kleidung etc. und wird von Landwirten beschickt und den Kommunen organisiert. Flohmärkte bieten Gebrauchtwaren, teilweise themenspezifisch, aber immer mehr mit gewerblichem Angebot, meist auf Wiesen mit angrenzenden Parkplätzen, sonnund feiertags, in größeren Abständen, sonntags erst ab 11 Uhr beginnend (wegen

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Kirchgang), die Artikel stammen aus Haushaltsauflösungen, der Preis ist Verhandlungsbasis, die Besichtigung erfolgt an Ort und Stelle, der Kauf wie besichtigt. Flohmärkte eignen sich für Waren, die wegen hoher Versandkosten im Internet nicht adäquat zu vermarkten sind. Auf Krammärkten bieten gewerbliche Händler überwiegend Neuwaren an, es handelt sich um Kleinartikel. Jahrmärkte sind jährlich stattfindende Märkte mit Volksfest-Charakter, die überwiegend der Vergnügung dienen. Weitere Beispiele sind Großmärkte, Sondermärkte oder Spezialmärkte. Neben dieser zweiseitigen Konkurrenz gibt es auch Formen der einseitigen (Anfrager- oder Anbieter-)Konkurrenz (1 : N / N : 1). Beim First come-first served geben Nachfrager ihre Annahme eines Angebots zu fest stehenden Konditionen ab und erhalten den Zuschlag in der zeitlichen Reihenfolge deren Abgabe. Man spricht auch von einer Vergabe im Windhundverfahren. Meist werden dazu Kaufbegehren gesammelt, bis die Tendergrenze erreicht ist. Dabei kommt es je nach Attraktivität des Angebots zu Überzeichnungen. Überschüssige Nachfrage wird nicht mehr akzeptiert, Angebot für fehlende Nachfrage wird beim Anbieter „geparkt“. Bei Repartierungen wird das Angebot hingegen gemäß der überschüssigen, insgesamt angemeldeten Nachfrage anteilig zugeteilt. Beim Bookbuilding erfolgt im Pre-Marketing zuerst die Sondierung der Wertschätzung eines Angebots bei potenziellen Nachfragern, daraus werden dann realisierbare Preis-Mengen-Kombinationen abgeleitet, indem Nachfrager angeben, wie viel Ware sie zu welchem Preis abnehmen wollen. Daraus wird weiterhin eine Preis-Absatzfunktion ermittelt, und daraus erst der Preis zur bestmöglichen Markträumung bzw. zur mutmaßlichen Gewinnmaximierung. 7.4

Vertrieb über Katalogmedium

Kataloge sind ein traditionelles Verkaufsmedium. Trotz aller Digitalisierung gibt es sie vielfältig weiterhin in geprinteter Form, und auch im Internet spielen Kataloge, meist aus der früheren Printversion adaptiert, eine große Rolle. Dabei ist vor allem an den B-t-B-Bereich zu denken. 7.4.1

Printkatalog

7.4.1.1 Katalogarten Die Aktivitäten des Direktvertriebs und der Direktwerbung laufen im Medium Katalog zusammen, der sowohl als Bestellunterlage wie auch als Werbemittel dient. Die Definition des Katalogs ist nicht ganz einheitlich (so werden auch Wechselvokabeln wie Prospekt, Broschüre, Leaflet verwendet). Der Katalog unterscheidet sich von diesen Wechselvokabeln dadurch, dass er Transak­ tionsmittel ist, also die Lieferanten-Abnehmer-Beziehung herstellen kann, wo-



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hingegen die Wechselvokabeln nur Werbemittel sind, die Transaktionsbasis also zusätzlich (z. B. durch Händlerbesuch) hergestellt werden muss. Kataloge bieten einige generisch bedeutsame Vorteile. Er schafft über eine personalisierte Form die Möglichkeit zur individuellen Ansprache von Zielpersonen. Über vorab selektierte Adressen ist ein gezielter Kontakt wirtschaftlich darstellbar. Er verfügt als Werbemittel über ein großzügiges Platzangebot und ist in seiner zeitlichen Bestimmung unabhängig von Medien, er ist damit aktuell und schnell steuerbar. Er bietet eine freie Wahl der Aufmachung nach Papierart, Druckverfahren, Format, Umfang etc. Wenn es erst einmal zur Nutzung kommt, hat das Angebot die ungeteilte Aufmerksamkeit des Lesers. Es besteht ein Schutz vor Konkurrenzreaktionen aus frühzeitigem Bekanntwerden eigener Aktionen. Die Wirksamkeit des Katalogs kann in kleinen Fallzahlen kostengünstig vorgetestet und optimiert werden. Bei kleinteiligen Zielgruppen entstehen nur geringe Kosten und wenig Streuverluste zu deren Konfrontation mit dem Angebot. Die Reaktion der Zielpersonen wird durch Reaktionsauslöser und Response-Elemente erleichtert. Es besteht die Möglichkeit zu einer aussagefähigen Erfolgskontrolle durch direkte Kosten- und Erlöszurechnung bzw. Deckungsbeitragsausweis je Werbeplatz. Durch mehr oder minder lange Auflagezeit entsteht eine nachhaltige Werbewirkung. Es kann eine gezielte Aufmerksamkeit auf Sonderangebote oder Schlüsselartikel gerichtet werden, verbunden mit der konkreten Preisnennung und Stopperelementen. Der Nutzer bestimmt den Zeitrahmen zum Studium der Angebote selbst, kann sich also Zeit nehmen oder die Nutzung beliebig unterbrechen oder wiederholen. Die Adresse des Absenders zur Reaktion ist jederzeit verfügbar, evtl. wird zusätzlich eine Hotline-Nummer zum telefonischen Kontakt angeboten. Angebote können bei Interesse aufgehoben und jederzeit wieder hervorgeholt werden. Man kann Angebote anderen Personen leicht zugänglich machen und mit ihnen darüber diskutieren. Es ist eine ausführliche Beschreibung der Angebotsvorteile mit nach Format und Farbigkeit freier Bebilderungswahl möglich. Die Gestaltung kann ganz nach Belieben des Absenders hochwertig, interessant, übersichtlich, originell etc. gehalten sein. Man unterscheidet im Einzelnen verschiedene Katalogtypen. Der Erlebniskatalog hat neben der Funktion der Sortimentsdarstellung auch eine unterhaltende Aufgabe. Dies kommt in den Gestaltungselementen und im Inhaltsaufbau zum Ausdruck. Der Warenkatalog hingegen ist ein technisches Transaktionshilfsmittel ohne akquisitorische Aufmachung (z. B. Preisliste, Verzeichnis). Zwischenformen werden auch Katazin (mit Betonung auf den Warenaspekt) oder Magalog (mit Betonung auf den Erlebnisaspekt) genannt. Der Universalkatalog enthält Teilsortimente aus verschiedenen Produktgruppen, das Angebot hat eine hohe Sortimentsbreite. Der Spezialkatalog enthält nur ein oder wenige Teilsortimente, das Angebot hat eine geringe Sortimentsbreite. Meist verhält sich die Dimension der Sortimentstiefe genau entgegen gesetzt dazu, d. h., sie ist im Universalkatalog eher gering, im Spezialkatalog eher hoch.

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Der B-t-B-Katalog richtet sich an gewerbliche Empfänger, der B-t-C-Katalog an private Empfänger. Analog handelt es sich bei ersterem um einen Industriegüterkatalog, bei letzterem um einen Konsumgüterkatalog. Der Anbieter erbringt entsprechend investive oder konsumtive Dienstleistungen. Der Printkatalog besteht aus bedrucktem Papier und ist die traditionelle Form des Katalogs. Er wird zunehmend abgelöst durch den (virtuellen) E-Katalog, der nur über Computerzugriff (offline via DVD oder online via Internet) erschlossen werden kann. 7.4.1.2 Katalogplanung (Kern) In der Katalogplanung im Printbereich werden die Rahmendaten für die Kataloggestaltung festgelegt. Zu den wichtigsten Elementen gehört das Format als Form und Größe des Katalogs. Am weitesten verbreitet sind Kataloge im DIN-Format, vor allem als DIN A 4- oder DIN A 5-Kataloge. Größere Formate helfen, die Wertanmutung der ausgelobten Produkte zu steigern. Von DIN-Formaten abweichende Formate (wie Quadratform, ausgeprägtes Hoch- oder Querformat) haben zwar möglicherweise einen höheren Aufmerksamkeitsgrad, dem stehen jedoch nennenswerte Handlingnachteile gegenüber. Hinzu kommen höhere Kosten durch Papierverschnitt und Portogebühren bei Postversand. Die Festlegung des Seitenumfangs ist vom ausgelobten Sortiment abhängig. Als Erfahrungswert gilt, dass max. sieben Produkte wahrnehmungsverträglich auf einer Seite untergebracht werden können. Ein weiterer Anhaltspunkt ist die Teilung der Druckbögen (meist als 16er-, 24er- oder 32er-Teilung). Dadurch erhält man eine praktische Größenordnung (z. B. ca. 200 Produkte bei 32 Seiten, ca 300 Produkte bei 48 Seiten). Die Obergrenze der Seitenzahl ergibt sich aus der Handhabung, die Untergrenze liegt dort, wo es ansonsten an der Kataloganmutung mangelt. Wichtig ist zu beachten, dass Kunden / Interessenten oft vereinfachend vom Umfang des Katalogs auf die Leistungsfähigkeit des Absenders schließen und umfangreichere Kataloge für gewöhnlich länger aufbewahrt werden, weil die Entsorgungsschwelle höher liegt. Unter Pagination versteht man die Verteilung der Produkte auf die einzelnen Seiten, vor allem in Bezug auf die Dichte der Produkte je Seite. Je mehr Produkte einer Seite zugeteilt werden, desto kürzer kann die durchschnittliche Betrachtungsdauer werden, weil der Leser angesichts Informationsüberlastung die Wahrnehmung rationalisiert. Außerdem treten diese Produkte in Konkurrenz zueinander um die verbleibende Wahrnehmung. Neben der Wahrnehmung spielt vor allem die Umsatzerwartung der betreffenden, zu paginierenden Produkte eine große Rolle. Je umsatzträchtiger (ge-



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nauer gewinnträchtiger) ein Produkt ist, desto mehr Präsentationsfläche verträgt es, je weniger Umsatz / Gewinn zu erwarten ist, desto weniger Fläche darf es beanspruchen. Allerdings ist gerade bei Neuprodukten die Marktgängigkeit durchaus ungewiss, so dass die Pagination spekulativ erfolgen muss. Eine gewisse Großzügigkeit der Pagination wirkt sich jedoch in aller Regel förderlich auf die Qualitätsanmutung aus. Außerdem ist auch eine Verteilung der Produkte auf die einzelnen Seiten / Katalogabschnitte erforderlich. Hier sind vor allem Hotspots von Bedeutung, also Coverseite, Rückcoverseite, 2. Umschlagseite, 3. Umschlagseite, Mittelbruchseiten (bei gehefteten Katalogen). Die Coverseite bietet zumeist den ersten Kontakt zum Adressaten und stellt daher hohe Ansprüche an die Gestaltung. Sie soll auf den Kataloginhalt einstimmen (z. B. durch Pagination eines sortimentsrepräsentativen, eher am oberen Leistungsniveau angesiedelten Produkts). Es kann aber auch auf die Präsentation eines Verkaufsangebots verzichtet und stattdessen eine klassische Titelseite vorgesehen werden. Die Rückcoverseite hat ebenso eine hohe Bedeutung, weil sie aufliegt, wenn die Coverseite verdeckt ist oder wenn der Katalog zur ersten Übersicht von hinten nach vorn durchgeblättert wird. Daher bietet sich dafür neben der Präsentation von Verkaufsartikeln die Auslobung kaufmotivierender Argumente an wie Bestellservice, Garantieaussagen etc. Die 2. Umschlagseite enthält häufig einen einleitenden, persönlichen Katalogbrief des Inhabers / Geschäftsführers sowie eine Auflistung kaufentscheidender Vorteile. Gleichfalls finden sich Erläuterungen zu neuen Produkten im Katalog oder Besonderheiten (wie neuen Services). Ebenso soll durch einen Index eine leichte Orientierung im Katalog möglich werden. Aufgrund des verbreiteten Primacy-Effekts wirken diese Eingangsseiten prägend für den gesamten späteren Eindruck des Katalogs. Die 3. Umschlagseite wird häufig genutzt, um die Menschen, welche den Anbieter tatsächlich ausmachen, nämlich die Mitarbeiter, vorzustellen. Dies fördert zum einen die Vertrauensatmosphäre zwischen Kunden / Interessenten und Anbieter und wirkt zum anderen motivierend auf die Belegschaft. Die Mittelbruchseiten (bei gehefteten Katalogen) fallen beim Aufschlagen besonders leicht offen und bieten sich daher für die Präsentation von Produkten an, die forciert werden sollen. Bestellformulare befinden sich zumeist im vorderen oder hinteren Teil des Katalogs. Hier können zugleich Impuls- und Kleinartikel paginiert werden, welche den Bonwert erhöhen, weil sie mehr oder minder absichtslos mitbestellt werden (häufig auch durch Vordruck im Bestellformular). Unter Pacing versteht man die Dramaturgie des Ablaufs auf den Doppelseiten des Katalogs. Zumeist werden Kataloge zunächst eher zufällig durchgeblättert. Daher kommt es bereits hier auf einen Spannungsbogen an, welcher dem

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Nutzer durch abwechslungsreiche Gestaltung die Angebotsvielfalt transparent macht und wahrnehmbare Highlights setzt. Dafür eignen sich vor allem Neuheiten, Preisknüller, exklusive Produkte oder Trendwaren. Verschiedene Teilsortimente sollten durch Auftaktseiten voneinander abgetrennt sein. Hinzu kommen Stopperseiten, die durch auffällige Gestaltung Akzentuierungen schaffen. Allerdings darf diese Dramaturgie nicht mit Beliebigkeit im Layout verwechselt werden. Im Gegenteil ist es erforderlich, ein standardisiertes Layoutraster einzuhalten, um die Übersichtlichkeit der Inhalte zu gewährleisten. Im Rahmen dieses Rasters kann beispielsweise zwischen mehreren hell gestalteten Seiten eine dunkle Doppelseite herausstechen, die Anordnung vieler kleiner Abbildungen durch die Einbindung einer großformatigen Abbildung durchbrochen werden oder zwischen mehreren freigestellten Aufnahmen eine Milieuseite (mit Motivfond) platziert werden. Gleichwohl darf durch diese Dramaturgie keine Überreizung erfolgen, die kontraproduktiv wirkt. Denn wird alles akzentuiert, ist tatsächlich nichts mehr akzentuiert. Gerade konstant eingesetzte Gestaltungselemente helfen darüber hinaus, einen konzeptionellen Zusammenhalt trotz Reizdarbietung zu erreichen. In Bezug auf die Periodizität unterscheidet man jährliche und unterjährige Kataloge. Die Periodizität hängt vor allem von der Aktualität des Angebots ab. Häufig ist auch die Kombination aus einem ganzjährig aufliegenden Hauptkatalog und unterjährig regelmäßig oder fallweise hinzu kommenden Sonderkatalogen anzutreffen. Damit ist es möglich, taktisch auf aktuelle Marktbewegungen oder Preisveränderungen zu reagieren. Allerdings führt dies neben einer Flut von Katalogen, die zur Reaktanz bei den Adressaten führen, auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit des Angebots, da häufig nicht klar ist, welcher Katalog mit welchen Teilsortimenten und Konditionen denn nun der aktuell gültige ist. Dies gilt erst recht, weil ein Trend zu immer frühzeitigerem Versand der Kataloge besteht, um Konkurrenzanbieter faktisch zu preempten. Bei den Sonderkatalogen kann es sich um Sortimentsauszüge aus dem Hauptkatalog handeln oder ergänzende oder auch Inhalte des Hauptkatalogs ersetzende Produkte. Häufig handelt es sich um schnell drehende Produkte, die ein hohes Bestellpotenzial darstellen, um Auslaufprodukte, Neuprodukte oder Langsamdreher, die auf diese Weise forciert werden sollen. Hinzu kommen Themenkataloge, etwa zu Saisonzeiten oder Messeanlässen. Gelegentlich werden Sonderkataloge auch nur als Nachfass an seitherige Nichtbesteller versandt, um diese zu aktivieren oder aus der Datenbank auszusteuern oder einem niedrigeren Aktivitätenlevel in der Datenbank zuzuweisen.



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7.4.1.3 Katalogplanung (Package) Der Katalog wird im Allgemeinen nicht allein versandt, sondern im Package mit weiteren Informationsmitteln. Ein wahrnehmungsstarkes Katalogumfeld wirkt hier generell bestellauslösend. Zu einem solchen Package zählen mindestens die Versandhülle (die ihrerseits bedruckt werden kann), Stuffer als aktuelle Beilagen oder um Portogrenzen auszuschöpfen, ein Anschreiben, das möglichst personalisiert formuliert sein soll, sowie ein Responseelement (Bestellmittel). Das Package kann für Zielgruppen individuell zusammengestellt und abgestimmt sein. Wichtig ist dabei, dass nicht zu viele Einzelelemente auftauchen, welche das Handling rasch unübersichtlich werden lassen, und dass eine formale (gestalterische) und inhaltliche (bestellverkettende) Ordnung innerhalb dieser Einzelelemente besteht. Die Versandhülle stellt dabei den ersten Kontakt mit Adressaten her. Sie muss Neugier auslösend wirken und die Wegwerfschwelle überwinden. Häufig wird dazu ein Teaser vorgesehen, welcher die Sendung als besonders wichtig, persönlich, gewinnbringend etc. auslobt. Hilfreich ist auch ein Terminhinweis. Materialmäßig kann die Versandhülle alternativ aus verstärktem Papier, Karton, Folienschlauch oder Plastik bestehen. Neben der werblichen Aufmachung sind auch alle versandtechnischen Erfordernisse (Adressfelder etc.) zu berücksichtigen. Je umfangreicher der Katalog bzw. das Package ausfällt, desto stabiler hat die Verpackung dafür zu sein. Außerdem wird von der Stabilität der Verpackung bevorzugt auf die Werthaltigkeit des Inhalts geschlossen (Auspackqualität). Zu berücksichtigen ist auch die Transportbeanspruchung (z. B. durch Witterung, Lagerung). Durchsichtige Verpackungen bieten den Vorteil, dass das PackageInnere von außen bereits sichtbar ist und insofern die Aufmerksamkeit weckt. Nach dem Öffnen wird zunächst das Anschreiben genutzt. Es hat, im Unterschied zu Direct Mailings, nicht die Funktion des Verkaufens von Produkten, sondern des „Verkaufens“ des Transaktionsmittels Katalogs, in aller Regel durch Nutzenauslobung. Diese Nutzenauslobung wird dann zweckmäßigerweise auf dem Cover des Katalogs aufgefangen und weitergeführt. Der Briefstil soll persönlich und partnerschaftlich gehalten sein. Inhalte sind eine kurze Firmenbzw. Kataloggeschichte, Einblicke in das betriebliche Geschehen, die Philosophie des Unternehmens sowie besondere Angebotsattribute wie Rückgaberecht etc. Stuffer bieten die Chance, aktuelle Angebote, die im Katalog nicht mehr berücksichtigt werden konnten, oder Sonderangebote, die verstärkt penetriert werden sollen, hervorgehoben zu präsentieren. Denkbar sind auch handlungsauslösende Elemente (Actiongetter). Dazu gehören kleine Werbegeschenke, Anreize für Frühbesteller (Early Bird), Preisausschreiben ohne oder mit vorausgelosten Gewinnen (Sweepstake) oder Valuta-Offerten (besonders langes Zahlungsziel).

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Ein Responseelement ist nur notwendig, falls dieses im Katalog selbst nicht vorgesehen ist, es kann aber auch zusätzlich beigepackt werden, um die Reaktionschancen zu erhöhen. Es muss eine besonders bequeme Bestellform anbieten, möglichst mit vorgedruckten Stammdaten, optionierten Bestellartikeln (Orderstart-Artikel) und einfacher Übermittlung (Fax-Antwort, Adressfenster). In Bezug auf die Funktionalität des Responseelements werden in der Praxis häufig leicht vermeidbare Fehler gemacht. So ist bei den Bestellzeilen darauf zu achten, dass diese ausreichend breit sind. In Bezug auf die Bestellspalten ist auf eine ausreichende Länge zu achten, damit alle gewünschten Artikel auch wirklich unterzubringen sind. Insgesamt darf die Bestellausführung nur so wenig Arbeit wie möglich verursachen. Alle Responseelemente sollten codiert sein, entweder mit den vorgedruckten Stammdaten des Bestellers oder mit einem neutralen Code, der Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Katalogs bzw. der zugrunde liegenden Adressliste zulässt. Denkbar ist auch die Beilage eines voradressierten und vorfrankierten Rückumschlags oder die Beilage eines Fax-Antwortformulars z. B. im Handwerk. Innerhalb des Katalogs sind einige Seiten von besonderer Bedeutung. Sie werden Hotspots genannt. Dabei handelt es sich vor allem um folgende: •• Die Titelseite bietet die Gelegenheit, spektakuläre Neuheiten oder andere Knüllerangebote zu platzieren. Die Headline gibt ein Nutzenversprechen und das Logo signalisiert den Absender dieser vorteilhaften Leistung. Bei alledem darf die Titelseite jedoch keinesfalls überladen wirken. •• Die Rückseite (4. Umschlagseite) bietet ebenfalls die Chance zur Platzierung von besonderen Angeboten, weil ein Katalog oft von hinten nach vorn durchgeblättert und die Rückseite daher zuerst wahrgenommen wird. Daraus folgt eine hohe verkäuferische Wirkung. Außerdem sind Absender und Bestell­ adresse hier häufig vorgesehen. •• Die letzte Innenseite (3. Umschlagseite) kann für differenzierende Serviceleistungen ebenso genutzt werden wie für die technische Bestellanleitung, also Bestellkarte / -formular, Zweigstellenverzeichnis, Adressen für Selbstabholer und (aus Gründen der Rechtssicherheit) AGBs. Evtl. können die Verkaufs­ innendienstmannschaft oder zugeordnete Ansprechpartner im Unternehmen hier im Bild gezeigt werden. •• Den Seiten 2 und 3 (2. Umschlagseite und gegenüberliegende Seite) kommt ebenfalls eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Hier sind etwa ein Anschreiben der Geschäftsleitung (mit Foto, Funktionsbezeichnung und leserlicher Unterschrift) oder ein Foto des Firmengebäudes / -geländes denkbar.



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7.4.1.4 Katalogdesign Zum Katalogdesign gehört die Anordnung der Abbildungs- und Textelemente im Kataloginneren. Dem Bildmaterial kommt dabei besondere Bedeutung zu, da die Imagery-Forschung belegt, das Bilder schneller wahrgenommen, besser verarbeitet, vollständiger abgespeichert und leichter aus dem Gedächtnis reaktiviert werden können als Texte. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte. Bilder sind auch besser zur (wohl verstandenen) Manipulation der Adressaten in der Lage und wirken als Aufmerksamkeitsstopper. Bildinformationen werden ganzheitlich in der rechten Gehirnhälfte (bei Rechtshändern) und getrennt von Textinformationen, die in die linke Gehirnhälfte gelangen, gespeichert. Beim Informationsabruf (etwa bei der Bestellung) werden Bild- und Textinformationen daher getrennt abgerufen und, falls beide zutreffend abgespeichert sind, wieder zu einem Ganzen verbunden. Der Abruf von Bildinformationen ist zuverlässiger und umfassender als der von Textinformationen. Dies ist gerade für technische Produkte wichtig, die dazu tendieren, mit dominanter Textinformation ausgelobt zu werden. Diese Texte sind zwar als Spezifikation unerlässlich, können jedoch nicht als Wahrnehmungsanker dienen. Zur Illustration der Bilder sollten Produkte nicht „nackt“ dargeboten, sondern um Requisiten anschaulich ergänzt werden. Möglichst sollte es sich dabei wiederum um Produkte aus dem Sortiment handeln oder um Anwendungshilfsmittel. Dabei ist jedoch mit der Anzahl und Auswahl dieser Requisiten sparsam umzugehen, um Ablenkungen (Vampire-Effekt) zu vermeiden und sicher zu stellen, dass das ausgelobte Produkt tatsächlich im Mittelpunkt steht. Vor allem ist auf eine hinreichende Figur-Grund-Differenzierung zu achten, d. h. eine Abhebung des ausgelobten Produkts vom Fond. Hilfreich ist dazu eine starke Kontrastierung, d. h. helle Gegenstände vor dunklem Grund, kaltfarbige Produkte vor warmfarbigem Grund etc. Hinsichtlich der Farben ist auf eine komplementäre Abstimmung zwischen Vorder- und Hintergrund zu achten. Bei der Farbwahl ist zudem der Symbolcharakter der meisten Farben zu beachten (bekannt aus der Farbenlehre). Auffällige Farben eignen sich dabei nicht als Fondfarben, eine aggressive Farbgebung bietet sich eigentlich nur zur Akzentuierung an. Zu prüfen ist, ob Fotoaufnahmen outdoor, also in natürlicher Umgebung, oder indoor, also im Studio, erstellt werden sollen. Außenaufnahmen sind in aller Regel aufwändiger, dafür wirken Innenaufnahmen häufig gestellt und steril. Wenngleich durch geschickte Dekoration des Studios dieser langweilige und leblose Eindruck vermieden werden kann. Die Motive sollten nicht nur Sachaufnahmen (Stills) darstellen, sondern auch Menschen als Präsentatoren oder Nutzer einbinden. Bei der Modelauswahl sollte berücksichtigt werden, dass Leser dazu neigen, sich mit der im Katalog abgebildeten Person zu identifizieren. Daher sollte der Modeltyp sich nicht zu

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weit vom vermuteten Typus der Zielpersonen entfernen. Allerdings ist es hilfreich, wenn Models sich innerhalb dieses Rahmens an der oberen Grenze in Bezug auf Attraktivität und Jugendlichkeit bewegen. Von Illustrationen zur Visualisierung ist regelmäßig abzusehen, da es ihnen an Authentizität fehlt. Sie können allenfalls unterstützende Funktion einnehmen. Hilfreich sind hingegen Detailabbildungen (Zoom-Effekt), die interessante Produktfeatures zeigen oder eine nähere Wareninformation bieten. Das Layout betrifft die Seitenaufteilung nach Text- und Bildelementen. Zur Unterlegung der Seiten ist eine Rasterung sinnvoll, die als Ordnungshilfsmittel dient. Durch dieses Layoutraster erhalten die Seiten Halt und bleiben trotz aller Variationen wahrnehmungsstabil. Um jedoch eine schablonenhafte Anmutung zu vermeiden, werden im Allgemeinen Rasterfelder unterschiedlicher Größe zugrunde gelegt, die allein schon für eine abwechslungsreiche Anmutung sorgen. Zudem ist es dann einfacher, innerhalb eines Layoutrasters einzelne Produkte auszutauschen oder ihrer Bedeutung gemäß neu anzuordnen. Bei einem Katalogaufbau nach Doppelseiten hat das Layoutraster beide gegenüber liegenden Katalogseiten einzubeziehen. Allerdings ist Vorsicht bei Abbildungen, die in gelumbeckten Katalogen über Bund gehen, geboten. Dabei dürfen keine wichtigen Details im Bundsteg verschwinden. Andere Hervorhebungen sind durch Umrahmungen oder asymmetrische Formate möglich. Eine hohe Aufmerksamkeit kommt erfahrungsgemäß der rechten oberen Ecke einer Doppelseite zu. Nach gemeinhin unterstelltem Leseverhalten, geht der Blickverlauf von rechts oben quer über das Blatt nach links unten. Platzierungen im oberen Drittel der Seite gelten somit allgemein als wahrnehmungsstärker. Alle Abbildungen sollen mit kurzen Untertexten (Captures) versehen sein, die erfahrungsgemäß stark genutzt werden. Dabei soll der Text nicht den Bildinhalt wiederholen, sondern ergänzende Informationen bieten. Alternativ ist eine Platzierung der Texterläuterungen rechts vom Bild vorteilhaft. Möglichst soll eine Zuordnung von Bildern und Texten durch Ziffern vermieden werden, da dies recht umständlich in der Nutzung durch Leser wirkt. Personen und Produkte in Abbildungen sollen möglichst in Richtung der Textbeschreibung zeigen bzw. in Richtung des inneren Seitenrandes. Man weiß, dass Leser dazu tendieren, der Perspektive der Personen oder Produkte in Abbildungen zu folgen. So kann die Brücke zur Textbeschreibung bzw. zu anderen Angeboten im Katalog geschlagen werden. Der Text nimmt primär die Aufgabe wahr, das Interesse des Lesers zu ­ ecken und konkrete Sachinformationen zu liefern. Eine besondere Aufgabe w kommt ihm bei erklärungsbedürftigen Produkten zu. Ebenfalls kann der Text als erzählendes Element einen Unterhaltungswert bieten, wobei darauf zu achten ist, dass die Textinhalte sich immer eng an die Verkaufsfunktion des Katalogs anlehnen.



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Wie dem Textinhalt kommt auch der Textgestaltung hohe Bedeutung zu. Hier geht es um Schriftgröße und Schrifttyp, Satz- und Spaltenbreite, Laufweite der Schrift, Wortabstand und Zeilendurchschuss. Hinsichtlich der Schrifttypen ist zwischen serifenbetonten (Antiqua-)Schriften und serifenlosen (Grotesk-)Schriften zu unterscheiden. Serifen sind kleine, abschließende Querstriche am oberen oder unteren Rand der Lettern, die für die Lesbarkeit stabilisierend wirken. Andererseits wirken serifenlose Schriften meist moderner und sachlicher, was sich vor allem für technische Produkte anbietet. Flattersatz ist gegenüber Blocksatz (bei dem alle Textzeilen immer gleich lang sind, indem die Wortzwischenräume variiert werden) besser lesbar, wenngleich der rechte Textrand unruhig wirkt (rechtsbündiger Flattersatz ist zu vermeiden). Als optimale Spaltenbreite in Katalogen gelten 40–60 Anschläge pro Zeile. Bei engeren Spalten ergeben sich unnötige Worttrennungen, bei längeren Textspalten geht die Orientierung in den einzelnen Zeilen leicht verloren. Die Laufweite der Schrift gibt den Letternabstand an. Dabei sind sowohl eng als auch gesperrt laufende Schriften zu vermeiden. Der Durchschuss gibt den Abstand zwischen benachbarten Zeilen ober- und unterhalb an. Als optimal hat sich ein Durchschuss, der einen Punkt über der Typogröße liegt, erwiesen. Bei größerem Durchschuss wirkt das Satzbild zerrissen, bei kleinerem Durchschuss entsteht ein gedrängter Eindruck. Schriftauszeichnungen, wie Fettung oder Kursivierung, springen zwar ins Auge, müssen jedoch gezielt eingesetzt werden, da ansonsten eine Überaktivierung beim Lesen entsteht, die nicht leistungsfördernd, sondern leistungsmindernd wirkt (Lambda-Hypothese). Dies gilt auch für farbliche Hervorhebungen. Die Textformulierungen sollen klar, einfach und verständlich sein. Hilfreich ist eine erlebnisbetonte, bildhafte und spritzige Formulierung. Sinnvoll sind dabei kurze, pointierte Sätze und ein ehrlicher, überzeugender Stil. Besondere Bedeutung kommt der Formulierung von Headlines und Slogan zu, die eindeutig werbliche Aufgaben haben. Der Slogan ist die auf einen Satz verdichtete, stetig wiederkehrende Kernaussage über den Anbieter und sein Angebot. Die Headline bildet den Einstieg in das Bildverständnis. Dabei sind vertraute, aktivierende und informative Formulierungen zu bevorzugen. Wichtige Schlüsselwörter wie „neu“, „gratis“, „exklusiv“, „jetzt“, „Gütesiegel“ o. Ä. sollen gezielt eingestreut werden. Entscheidend ist, dass die Headline das Nutzenversprechen des Angebots transportiert. Eindeutig erklärende Aufgaben haben hingegen warenkundliche und abwicklungstechnische Aussagen. Hier ist eher eine ausführlichere, detailliertere Formulierung zu wählen, um Unklarheiten und Zweifel, die responsehemmend wirken, zu vermeiden. Vor allem sind alle behaupteten Leistungsmerkmale durch Begründungen zu untermauern. Hinzu kommen notwendige Bestelldaten und sonstige administrative Angaben.

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Denkbar ist auch der Abdruck nachprüfbarer Dankesschreiben (Applause Mail) zufriedener Kunden oder die Angabe von Zuverlässigkeits- und Verbreitungsdaten, welche dem Sicherheitsbedürfnis des Adressaten gerecht werden. Wichtig ist des Weiteren die Einbindung von Cross Selling-Hinweisen. Diese können neben dem verbalen Hinweis auch durch benachbarte Platzierung im Katalog unterstützt werden (analog zum Category Management im stationären Handel). Weiterhin ist das Inhaltsverzeichnis obligatorisch. Es soll neben der administrativen Vollständigkeit eine Orientierungshilfe in der Angebotsvielfalt bieten. So können Suchbegriffe auch mehrfach, jeweils an ihrer alphabetisierten Stelle, aufgeführt werden. Gleichfalls sind Synonyme getrennt aufzuführen, um den Zugriff in jedem Fall sicher zu stellen. Hilfreich sind auch Erläuterungen von Fachbegriffen, um ein gleiches Verständnis zu gewährleisten (Glossar), sowie die Verwendung von Symbolen für häufig wiederkehrende oder besonders wichtige Features. In gleicher Weise können Spezialleistungen wie Eillieferung und neue Produkte akzentuiert werden. Dafür haben sich Piktogramme als sehr praktisch erwiesen. Die „Nicht-Angebots-Seiten“ des Katalogs betreffen Verkaufsbedingungen, Maß- und Umrechnungstabellen etc. Hilfreich ist dabei eine Anordnung in Tabellen- oder Listenform. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen schließlich sind unvermeidlich und gehorchen eher juristischen als sprachlichen Belangen. Dennoch kann auch hier durch geschickte Formulierung (Sie-gerichtet, positiv, nicht zwingend etc.) Einfluss genommen werden. Dabei dürfen jedoch nicht die rechtlichen Konsequenzen tangiert werden. Dies gilt auch für Bestelleinschränkungen wie Mindermengenzuschläge, Mindestbestellmengen etc. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung kaufbestätigender Formulierungen zur Reduzierung unvermeidlich auftretender kognitiver Dissonanzen vor Abgabe der Bestellung. Hier gilt es, die letzte Schwelle im kundenseitigen Kaufprozess zu überwinden. 7.4.1.5 Katalogproduktion Zur Katalogproduktion gehören die Anzahl der Druckfarben, die verwendete Papierqualität und die buchbinderische Verarbeitung. Eine farbige Aufmachung ist einer schwarz-weißen im Regelfall überlegen. Drucktechnisch lassen sich alle Farben aus den vier Grundfarben (Cyan, Magenta, Yellow, Black / Tiefe) erzeugen. Gerade techniklastige Kataloginhalte können im eintönigen Umfeld durch Farbe entscheidend aufgewertet werden, bei erlebnislastigen Inhalten ist sie geradezu unverzichtbar. Denkbar ist zudem die Betonung einer dominierenden Farbe, etwa als Hausfarbe. Auch die Papierwahl hat erheblichen Einfluss auf die Anmutung des Katalogs. So wird von der Haptik des Papiers auf die Wertigkeit der dort angebotenen Pro-



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dukte geschlossen. Für brillante Abbildungen ist zudem ohnehin eine höhere Papierqualität erforderlich. Holzfreie Papiere sind Standard (sie vergilben nicht unter Lichteinwirkung), ebenso chlorfrei gebleichte hochweiße Papiere. Gestrichene Papiere wirken qualitativ hochwertiger (klarere Konturen, leuchtendere Farben). Abweichendes gilt nur, wenn der Katalog in seiner Aufmachung bereits die Preisgünstigkeit der angebotenen Produkte unterstreichen soll. Weiterhin ist die Reißfestigkeit des Papiers angesichts des oft unsensiblen Umgangs mit Katalogen als Arbeitsmittel wichtig. Diese ist im Wesentlichen von der Papierdicke, gemessen in gr / qm, abhängig (empfohlen ist mindestens 90 gr. / qm spezifisches Papiergewicht / Grammatur, außer bei Discountangeboten). Dies bietet sich auch angesichts der regelmäßig vorzufindenden beidseitigen Bedruckung der Blätter gegen Durchscheinen (Opazität) an. Sinnvoll ist ein stärkerer Schutzumschlag, welcher die Widerstandsfähigkeit des Katalogs ebenso erhöht wie seine Präsentationsqualität. Für reine Textseiten empfiehlt sich die Verwendung leicht getönten GelbWeiß-Papiers, welches den Kontrast zur Schrift relativiert und damit die Lesebequemlichkeit erhöht. Alternativ ist auch die Wahl einer farbigen Schrift (tiefblau) denkbar. Kataloge sind geklammert bzw. geheftet oder geklebt (gelumbeckt). Letzteres bietet sich vor allem bei umfangreicheren Katalogen an. Ringösenheftungen haben darüber hinaus Ausbuchtungen in den Klammern, die eine Ablage in Aktenordnern ermöglicht, Plastikeffekt-(Spiral-)heftungen lassen sich leicht wieder öffnen, um zusätzliche Seiten hinzuzufügen oder Seiten auszutauschen. Geklebte Kataloge sind tendenziell anfällig gegen ein Aufbrechen der Falz bei starkem Auseinanderfallen der Seiten, die sich dann evtl. einzeln herauslösen lassen. Der Katalogdruck erfolgt, je nach Auflagenhöhe, im Offset- oder Tiefdruck. Bogenoffsetdruck erfolgt von einzelnen Papierbögen, Rollenoffsetdruck von einer Papierbahn, die erst anschließend geschnitten wird. Tiefdruck erfolgt immer ab Rolle, lohnt aber gemeinhin erst bei sehr hohen Auflagen (ab 10 Mio. Exemplare). Der Druck erfordert eine extreme Sorgfalt, um Fehler zu vermeiden, aus denen von Rezipienten irradiierend auf mindere Leistungsfähigkeit des Absenders geschlossen wird. Danach muss der Katalog mit den anderen Packagebestandteilen zusammen geführt werden. Dies erfolgt beim Konfektionieren. Es umfasst im Einzelnen das Falzen, Kleben und Schneiden der Werbemittel, die Einkuvertierung und Adressierung der Packages, das Freimachen und Aufliefern der Sendungen. Diese Aufgaben übernehmen Lettershops, zumeist als freie Dienstleister. Dort werden auch Kataloganforderungen bearbeitet. Die Distribution der Aussendungen erfolgt durch die Post oder private Zustelldienste. Endverbraucherkataloge werden zwischenzeitlich aber auch über den Zeitschriftenhandel gegen Entgelt abgegeben (z. B. D&W-Autozubehör).

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7.4.1.6 Order Fulfillment Unter Fulfillment versteht man die Abwicklung des gesamten Bestellvorgangs von der Bestellannahme über die Bearbeitung bis hin zur physischen Auslieferung der Waren. Dafür können eigene Abteilungen oder fremde Dienstleister (Service Provider) eingesetzt werden. Das Outsourcing empfiehlt sich vor allem für Klein- und Mittelunternehmen wegen der Vermeidung fixer zugunsten variabler Kosten, bei neuen Anbietern, welche die Nachfrage noch nur ungenügend einzuschätzen vermögen, und für Anbieter, die professionelles Know-how von Spezialisten nutzen wollen oder eigene Lager- und Transportarbeiten (Logistik) nicht zu ihren Kernkompetenzen zählen. Die feste Kalkulationsbasis und die Flexibilität der Inanspruchnahme sind wichtige Vorteile. Dafür entsteht ein erhöhter Abstimmungsaufwand, und die häufig lebensnotwendige Marktnähe leidet, wenn nicht entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Die Bestellannahme sollte so einfach und transparent wie irgend möglich gehalten werden. Dafür werden meist mehrere Kommunikationswege angeboten: Telefon, Telefax, Antwortkarte / Brief als Bestellformular oder E-Mail. Bei voraus gehender Informationsanforderung kann durch Einbau bewusster Hürden eine Selektion der Reagierer erreicht werden, z. B. durch Frankierung, persönliche Angaben, Unterschrift. Die telefonische Bestellannahme erfolgt über Call Centers oder durch gebührenfreie Leitungen (0800). Davon sind Servicerufnummern zu unterscheiden (0180…), die für den Anrufer gebührenpflichtig sind. Die Bestellannahme per Telefax ist nur noch vereinzelt üblich und kann durch entsprechend vorformatierte Bestellformulare erleichtert werden. Die Online-Bestellannahme ist jedoch zeitgemäß. In allen Fällen ist eine Bestätigung des Eingangs der Bestellung möglich. Bei der Zahlungsabwicklung stellen sich ebenfalls mehrere Optionen. Häufig erfolgt die Bezahlung per Nachnahme, d. h. nach Aushändigung der Ware durch die Post an den Auftraggeber. Der Rechnungspreis setzt sich dann aus dem Warenwert, den (anteiligen) Porto- und Versandkosten sowie der postseitigen Nachnahmegebühr zusammen. Dies verteuert vor allem Sendungen mit geringem Warenwert. Außerdem muss der Auftraggeber bei Anlieferung Zuhause sein oder die hinterlegte Sendung später bei der Post / Poststation abholen. Dafür ist das Risiko für den Absender gering, da Zahlungsausfälle vermieden werden. Eine andere Option ist die Ablieferung gegen Rechnung. Mit der Aushändigung der Ware übernimmt der Auftraggeber die Verpflichtung, den Rechnungsbetrag innerhalb einer Zahlungsfrist zu begleichen. Dies impliziert allerdings ein Zahlungsausfallrisiko, das vom Absender durch Einholung von Zahlungsfähigkeitsauskünften (Schufa-Listen, brancheninterne Negativlisten etc.) nur unzulänglich verringert werden kann.



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Als weitere Option stellt sich die Forderung der Vorauskasse (etwa durch Abbuchungsauftrag, Schecküberlassung, Kreditkartennummer etc.). Damit ist das Zahlungsrisiko behoben, dafür werden aber hohe Bestellhürden aufgebaut. Daher werden häufig im Gegenzug Sonderkonditionen wie porto- / versandkostenfreie Lieferung oder Anreize wie Gewinnspielteilnahme geboten. Die Kreditkartenzahlung impliziert zudem im Dreiparteiensystem die Abführung einer Mittlerprovision an die Kreditkartenorganisation. Schließlich kann auch eine vollständige oder teilweise Kreditierung des Kaufbetrags erfolgen. Die Kreditierung kann durch den Anbieter selbst, durch Banken gegen Gestellung von Sicherheiten in der Person oder Sache oder durch Kreditdienstleister wie Leasing- und Factoringunternehmen erfolgen. Im OnlineBereich kommen zudem digitale Zahlungsvarianten in Form des Electronic Cash zum Zuge. Zu den weit verbreiteten Serviceangeboten gehören die 24-Stunden-Bestellannahme an sieben Tagen der Woche, die Auswahl unter mehreren Kanälen zur Bestellannahme und Zahlungsabwicklung sowie Umtausch- / Rückgabegarantien. Diese Serviceangebote sind jedoch mit mehr oder minder hohen Kosten für den Anbieter bewehrt, z. B. höhere Retourenrate. Denn sie erfordern betriebliche Vorkehrungen, die Schnelligkeit und Zuverlässigkeit in der Auslieferung sichern, was wiederum nur durch prozessorientiertes Beschaffungs- und Lagermanagement möglich ist. Die Kommissionierung muss Just in Time erfolgen. Dazu wiederum ist ein leistungsfähiges Warenwirtschaftssystem erforderlich. Wichtig ist auch die Auspackqualität der Sendung, d. h. der unversehrte Zustand der Sendung und deren akquisitorisch ansprechende Aufmachung, denn es gilt, kognitiven Nachkaufdissonanzen vorzubeugen. Erwartet wird darüber hinaus eine Zustellung spätestens am darauf folgenden Tag. Dies verlangt den Einsatz leistungsfähiger Frachtführer (DHL, DPD, GLS, Hermes, TNT, UPS etc.). Die Dauer zwischen Aufgabe und Empfang der Sendung ist wesentlich für die Zufriedenheit mit dem Versand. Zur Anlieferung werden gelegentlich mehrere Zustellversuche unternommen, bevor die Ware retourniert oder posthinterlegt wird. 7.4.1.7 Erfolgsmessung Die Erfolgsmessung wird zentral an der Bestellquote festgemacht. Sie errechnet sich aus der Relation von „Menge der eingegangenen Bestellungen“ zu „Streumenge der ausgesandten Kataloge“. Für den Erfolg ist jedoch weiterhin der durchschnittliche Auftragswert von Bedeutung. Dies ist auch für die Erreichung des Break even-Punkts relevant. Eine weitere Kennzahl ist die Retourenquote, denn nicht alle Bestellungen sind umsatzsteigernd. Retouren entstehen aus fehlerhafter Ware, Falschzustel-

312

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

lungen oder Nutzung von Umtauschgarantien. Hohe Retouren sind ein Alarmsignal und müssen unbedingt auf ihre Ursachen hin analysiert werden. Zumal daraus konkrete Hinweise auf Fehlerquellen im betrieblichen Leistungsprozess abgeleitet werden können (mangelhafte Wareneingangskontrolle, missverständliche Katalogbeschreibung, schlechte Zustellqualität etc.). Die Überwachung der Bestellzeit- und Auslieferungszeitkontrolle hilft, die betrieblichen Kapazitäten zu planen. So wird ein bis zwei Tage nach Erzielung des Bestellmaximums die „Halbwertzeit“ erreicht, d. h., bis zu diesem Zeitpunkt liegt etwa die Hälfte der insgesamt zu erwartenden Bestellungen vor. Aus diesem Erfahrungswert kann eine Grobplanung der Kapazitäten vorgenommen werden. In gleicher Weise muss die Auslieferungszeit überwacht werden, da sie wesentlicher Parameter für die Kundenzufriedenheit ist, erst recht, wenn entsprechende Ankündigungen an potenzielle Kunden gemacht worden sind. Dies gilt in gleicher Weise für die Lieferung von Waren wie auch die Lieferung von Katalogen auf eingegangene Anforderung hin. Zur Kontrolle können verdeckte Testbestellungen an eigene Kontrolladressen sowie Laufzeitanalysen eingesetzt werden. Eine wesentliche Kennzahl ist der Recency-Frequency-Monetary Ratio(RFMR-)Wert als wichtigste Scoring-Kennzahl. Recency steht dabei für die Aktualität des Kaufverhaltens, Frequency für die Kaufhäufigkeit und Monetary für den Wert der getätigten Käufe. Entsprechend dieser Methode werden alle Kunden nach diesen Kriterien klassifiziert. Die Kriterien können gleich gewichtig oder gewichtet (z. B. 50 : 35 : 15) in diese Kennzahl (Ratio) eingehen. Daraus ergibt sich für jeden Kunden eine Punktsumme, die seine Attraktivität für den Anbieter kennzeichnet und damit Ausgangspunkt für entsprechende Aktivitätslevels ist. Vorher ist eine Transformation in Form einer Nutzwertanalyse erforderlich, d. h. unterschiedlichen qualitativen Ausprägungen je Kriterium (z. B. Kontaktintensität, Konditionen) sind entsprechende Punktwerte zuzuordnen. Somit ergibt sich aus dem individuellen Bestellverhalten jedes Kunden sein Punktwert je Kriterium. Werden die Kriterien addiert bzw. entsprechend gewichtet, ergibt sich somit seine Punktsumme. Diese wiederum ermöglicht die Zuordnung seiner Daten zu einem vordefinierten Aktivitätslevel. Zumeist führt dies zu einer Einteilung in A-, B- und C-Kunden. Problematisch ist dabei allerdings, dass es sich um eine Zeitpunktaufnahme handelt, es sei denn, das Entwicklungspotenzial von Kunden wird ausdrücklich in die Analyse mit aufgenommen. Ansonsten kann es gut sein, dass Kunden im Zenit ihres Lebenszyklus bevorzugt behandelt werden, obwohl ihre Prognose (Grenzumsatz) negativ ist, während Kunden am Start ihres Lebenszyklusses, also mit großem Entwicklungspotenzial, vernachlässigt werden. Zudem sagen Umsätze nicht unbedingt etwas über die Gewinnträchtigkeit von Kundenbeziehungen aus (so klaffen bei A-Kunden typischerweise Umsatz- und Gewinnanteil auseinander). Die Nutzungshäufigkeit von Katalogen kann über die Auswertung der Codierung von Bestellkarten nach Kataloggenerationen bzw. Teilkatalogen festgestellt



7.   Konzept des Direktvertriebs313

werden. Für den Fall der Ansprache über Massenmedien kann zudem ein Anhaltspunkt für die Mediaeffizienz gewonnen werden. Allerdings ist eine aussagefähige Zuordnung von Ursachen und Wirkungen nur schwer möglich, selbst durch eine kostenaufwändige Direktbefragung nicht. Denkbar ist allerdings die Erweiterung der Bestellnummer um ein dem Werbemittel zuordnenbares Kürzel (Präfix oder Suffix), so dass auch die Auswertung für in mehreren Katalogen angebotene Produkte möglich wird. Der Artikel-Deckungsbeitrag ergibt sich als Differenz zwischen den eindeutig einem Artikel zurechenbaren Erlösen und den durch ihn verursachten Kosten. Dieser Deckungsbeitrag steht für die Deckung der nicht exakt zurechenbaren Kosten sowie zur Erzielung eines angemessenen Gewinns zur Verfügung. Über den Artikel-Deckungsbeitrag lässt sich unmittelbar die ökonomisch gerechtfertigte Präsentationsfläche im Katalog (Seite / Seitenanteil) ermitteln, indem je Flächeneinheit des Katalogs ein erforderlicher Deckungsbeitrag vorgegeben wird. Produkte, die diese Vorgabe nicht erreichen, müssen im nächsten Katalog mit geringerer Präsentationsfläche auskommen, Produkten, die diese Vorgabe überschreiten, kann rational mehr Präsentationsfläche zugewiesen werden. Allerdings ist diese ökonomische Zurechnung um die Notwendigkeit der gestalterischen Einflussnahme zu ergänzen, so dass sich letztlich wohl immer ein Kompromiss aus beiden Aspekten im Katalog finden wird. Die Leistungsfähigkeit eines Katalogangebots kann vor Marktwirksamwerdung durch verschiedene Tests gemessen werden: •• Ein Listentest gibt Auskunft über die mutmaßliche Qualität der zugrunde gelegten Adressbasis. Dies unterstützt die Effizienz der Aussendung. •• Ein Produkttest gibt Auskunft über die Akzeptanz der Produktleistung nach Art, Preisniveau, Zusammenstellung etc. Somit kann der Kataloginhalt optimiert werden. •• Ein Zielgruppentest gibt Auskunft über das mutmaßliche Zutreffen der vorgenommenen Zielgruppendefinition. Insofern können Fehlstreuungen verringert werden. •• Ein Werbemitteltest gibt Auskunft über die Wirkung der werblichen Gestaltung des Katalogs. Hier sind alternative Gestaltungsansätze denkbar. •• Ein Regionaltest gibt Auskunft über die mutmaßlich zweckmäßige Abgrenzung des Direktwerbegebiets. •• Ein Timingtest gibt Auskunft über den mutmaßlich besten Zeitraum für die Direktwerbung.

314

7.4.2

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Elektronischer Katalog

7.4.2.1 E-Katalogarten Bei E-Katalogen ist sowohl an Offline- als auch an Online-Transaktionsmittel zu denken. Der Offline-Katalog in Form der DVD dürfte nur eine vorübergehende Episode auf dem Weg zum Online-Katalog sein. Wenn schon Neue Medien, dann ist der Online-Katalog die konsequentere Alternative. Daher erfolgt im Folgenden eine Konzentration auf E-Commerce-Kataloge. Neben der personalisierten Ansprache (über Cookies und Datenbankauswertung) kann ein umfangreiches Serviceangebot realisiert werden (etwa E-Mail, IRC-Chats, WebForen, Newsletters etc.). Dadurch kann dem Ideal eines Segment of One-Marketing nahezu entsprochen werden. Für Nutzer ist der Zugriff bequem von Zuhause aus und rund um die Uhr möglich, die Daten sind stets aktuell und vergleichbar. Das Layout des Printkatalogs bedarf allerdings für die Online-Präsentation einer gründlichen Überarbeitung. Zwar können möglicherweise dieselben Bildvorlagen verwendet werden, aber die Dramaturgie (Screen Design) erfordert ein deduktives Vorgehen (vom Allgemeinen zum Besonderen). Hilfreich ist dabei der Aufbau einer Bilddatenbank, in der zentral alle Bildvorlagen digital abgespeichert sind. Die Strukturierung ist durch Links möglich, hinzu sollten intelligente Hilfefunktionen wie Navigatoren, Abfrageformulare, Indexe etc. treten. Die Entwicklung des Online-Auftritts kann zumeist in fünf Phasen eingeteilt werden: •• Bei Produktpräsentation im Internet handelt es sich um statische Websites, die meist nur einen Kontakt über E-Mail zulassen. Häufig dominiert dabei noch die absenderorientierte Strukturierung des Auftritts, also nach Produkten. Dies ist nicht mediengerecht. Vielmehr bedarf es einer adressatenorientierten Strukturierung, also nach Bedarfen. Dabei kann die Nutzerführung etwa durch geschickte Filter erfolgen. •• Über Interaktive Website können vor allem wiederkehrende Besucher eingebunden werden. Zumindest ist eine Personalisierung der Ansprache möglich. Besser noch wird durch Auswertung der Transaktionshistorie dem Besucher ein Angebot zusammen gestellt, das seinem vermuteten Nutzerprofil entspricht. Auch können vergleichende Produktübersichten und Selbsthilfen für Anfragen geboten werden. Evtl. ist die E-Mailbox mit Servicemitarbeitern verbunden (evtl. auch Helpline). •• Bei Transaktionsfähigkeit wird über die Kommunikationsfunktion hinaus auch die konkrete Distributionsfunktion geboten, etwa durch Aussagen über Vorräte und Liefertermine. Auch kann der Status der Auftragsabwicklung vom Kunden jederzeit verfolgt werden. Durch Einbindung von EDI-Systemen lässt



7.   Konzept des Direktvertriebs315

sich der gesamte geschäftliche Datentransfer in Zusammenhang mit der Transaktion über Internet abgewickeln. •• Mit Einbindung externer Partner wird neben dem unternehmenseigenen Angebot das Angebot Externer aufgesetzt (Affiliates), das im Sinne einer integrierten Lösung das Leistungsprofil der Anbieter in maximale Übereinstimmung mit dem Bedarfsprofil des Kunden bringt (z. B. produktbegleitende Dienstleistungen). Wegen der hohen Bedeutung kommt nur eine feste Einbindung dieser Partner, evtl. auf Gegenseitigkeit, in Betracht. •• Im Virtuellen Unternehmen wird die gesamte Wertschöpfungskette in allen Verzahnungen über Internet eingebunden, dargestellt und gesteuert. Dies ist vor allem bei mehrstufigen Lieferketten und komplexen Produktionsbedingungen infolge Kosten- und Zeiteinsparung hilfreich. Kunden können dann ganze Lieferketten oder nur Ausschnitte davon ordern. 7.4.2.2 E-Kataloggestaltung Die Gestaltung des Online-Katalogauftritts erfordert die Einhaltung einiger Grundsätze. So bedarf es der Integration in den gesamten KommunikationsMix. Dazu muss die WWW-Adresse auf allen Publikationen und Unterlagen ausgewiesen sein, um Traffic zu erzeugen. Zusätzlich ist die Aufnahme in Verweise (Links) anderer Adressen und der eigene Verweis auf diese anderen Adressen notwendig. Hinzu kommt evtl. Werbung auf Portal-Seiten. Der Elektronikkatalog erfordert eine medienspezifische Adaptation, nicht einfach eine bloße Kopie des Printauftritts. Auch ist die Bereitstellung interessanter Informationen über den engen Kreis des eigenen Angebots hinaus erforderlich. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer stetigen inhaltlichen Aktualisierung, um Wiederholungsbesuche der Seite zu motivieren und eine Kontaktaufnahme mit Unternehmen / Repräsentanten zu ermöglichen. Auch ist eine stetige Anpassung an technische Aktualisierungen erforderlich, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Große Abbildungen sollten erst nach einer erneuten Anwahl laden, hilfreich ist auch der Verzicht auf Tonuntermalung (wegen des Speicherbedarfs). Eine „Under Construction“-Meldung ist in jedem Fall zu vermeiden, besser ist es, mit einem zwar reduzierten, aber arbeitsfähigen Auftritt zu starten und auf den Ausbau hinzuweisen. Primär ist im B-t-C-Bereich eher der Unterhaltungsgehalt, im B-t-B-Bereich eher der Informationsgehalt des Zugriffs als Nutzenversprechen. Als Maßgaben für die Gestaltung eines Website-Angebots im B-t-B-Bereich gelten folgende: •• Logische Angebotsstruktur (bedarfsorientiert), übersichtliches Bildschirmlayout, max. drei Mausklicks bis zum ersten Produkt, Aktionsseite mit Sonderangeboten, tagesgenaue Preisangaben, komplette Programmübersicht, klare Angaben zu Lieferungs- und Zahlungskonditionen, Preiszuschläge für Bestel-

316

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

lungen nur bei Gegenleistung, Bestellanreize bieten, einfache, automatisch erzeugte Bestellformulare mit Warenkorb, Abtrennung von Sonderkundenbereichen. Problematisch ist, dass vielfach Beschaffungen außerhalb der organisational formalisierten Anweisungen erfolgen, etwa infolge Dringlichkeit oder wegen vermeintlich geringen Warenwerts. Diese Vorgänge kumulieren zu enormen Beträgen hoch, was gravierende Unwirtschaftlichkeit bedeutet (Maverick Buying). Durch Zugangsebenen kann hier eine unauthorisierte Beschaffung vermieden oder durch Einbindung in vorprogrammierte Rahmenvereinbarungen mit Lieferanten zumindest kanalisiert werden. Denkbar ist vor allem der fallweise oder regelmäßige Bestellabruf auf Basis einer Rahmenvereinbarung. Das für Beschaffer ideale Katalogprofil sieht folgende Bausteine vor: •• Sehr effiziente, d. h. übersichtliche und flach strukturierte, Kundenschnittstelle, •• vergleichende Darstellung von Produkten und Dienstleistungen, •• elaborierte Suchmöglichkeiten (vom Produkt oder Begriff aus), •• Anzeige meistverkaufter Produkte, neuer Produkte und aktionierter Produkte, •• einfache Bestell- und Bezahlverfahren aufgrund kundendefinierter Kriterien, •• automatische Benachrichtigung über Angebote aufgrund kundendefinierter Parameter, •• intelligente Verknüpfung begleitender Dienstleistungsangebote, •• Auftragsverfolgung in jedem Stadium der Abwicklung, •• aktive Beratung während des Einkaufsvorgangs, evtl. mit Durchgriff auf Support-Mitarbeiter, •• Online-Auktionen von Rest- und Sonderposten, •• Multimedia-Unterstützung auf Wunsch (z. B. 3-D-Darstellung, Videospots), •• Download von einfachen Produktkatalogen, •• nachfragegerechte Informationsbündelung (also nicht nach Produkten, sondern nach Bedarfen), •• Online-Transaktionshistorie. Fraglich ist nicht, ob elektronische Kataloge geprintete ablösen, sondern vielmehr wann. Dabei sind erstaunlicherweise gerade im B-t-B-Sektor erhebliche Beharrungspotenziale auszumachen. Vielfach sind konservative Branchen vorzufinden (z.B. Handwerk, Behörden, Fach-/Spezialhandel), deren Gewohnheiten sich nur langsam umstellen, zumal auch deren Prozesslandschaft die generischen Vorteile von E-Katalogen meist nicht angemessen zu nutzen weiß. Daher lohnt es, nach wie vor zumindest auch im Medium Printkatalog zu denken.



7.5

7.   Konzept des Direktvertriebs317

Vertrieb über Dialogmedien

Dialogmedien stellen den unmittelbaren Kontakt zwischen Absender und Empfänger her. Sie richten sich an individuelle Adressaten und / oder enthalten ein Reaktionsmittel. Bei Individualkontakt reicht bereits ein Informationsangebot zur Qualifizierung, bei disperser Kontaktaufnahme hat die Reaktion über ein Werbemittel oder auf andere definierte Art zu erfolgen und sich auf ein Angebot zu beziehen (siehe Abb. 68). 7.5.1

Direktaussendung

Bei der Direktaussendung als adressiertes, postalisches Direct Mailing handelt es sich um die anlassbezogene Aussendung von Angebotsinformationen auf dem Postweg an Adressaten, die vorher anhand von Auswahlkriterien als dafür erfolgversprechend selektiert wurden. Entsprechende Adressen sind über Adressverlage anzumieten oder werden der eigenen Datenbank entnommen. Dabei sind vielfältige Gewichts-, Formatund Anordnungsbegrenzungen der Poststücke zu beachten, um Portokosten zu minimieren. Das gleiche Ziel erfüllt die Vorsortierung der Poststücke vor der Postauflieferung. Der Inhalt besteht meist aus mehreren Teilen (DM-Package), von denen eines der Rückantwort (Information / Bestellung) dient und deren Prozess oft in mehreren Phasen abläuft (Teaser / Roll out / Reminder). Moderne Drucker ermöglichen personalisierte, mit Tinte unterzeichnete Anschreiben. Im Rahmen von Kunden-Kontakt-Programmen wird Kunden eine systematische Nachkaufbetreuung zur zeitlichen Überbrückung bis zum nächsten Bedarf gewährt. Die Reaktionsquote soll dabei durch Einsatz von Aktivierungstechniken gesteigert werden, wie: •• Early Bird (Subskriptionspreis für ein Angebot), •• Free Gift (Werbegeschenk), •• Free Trial (Warenlieferung zur Ansicht), •• Limitierung des Angebots nach Zeit und / oder Menge, •• Sweepstake (Preisausschreiben mit vorausgelosten Gewinnern), •• Teilzahlungs- und / oder Valutamöglichkeit, •• Negative Option (Nichtabschluss nur bei Widerruf). Nach der Zielgruppe handelt es sich um Privatkunden (Business to Consumer) oder Geschäftskunden (Business to Business). Das Adressenhandling wird durch eine Datenbank erleichtert. Sie enthält Angaben über: •• Namensdaten wie Firma, Branche, Rechtsform, Kundennummer, Größenordnung, Ansprechpartner, Titel, Anrede / Geschlecht, Funktion / Position etc.,

318

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Dialogmedien im Vertrieb Direktaussendung

Postwurfsendung

Haushaltsverteilung

DR-TV

DR-R

I-TV

DR-Anzeige

Telefon

Telefax

Abb. 68: Dialogmedien im Vertrieb

•• Adressdaten wie Straße / Straßenzug, Postfach, PLZ, Ort, Datum für letztes Update, Telefon, Region / Nielsen-Gebiet, •• Auftragsdaten wie Auftragsweg, Bestellwert, Artikelwahl, Preisklasse, Zahlungsart, Kaufkraftklasse etc., •• Bestellstammdaten wie Bestelltermine, Stammprodukte, Cross Selling etc., •• Bonitätsdaten wie Schufa-Auskunft, Mahnungen etc., •• Werbedaten wie Werbeart, Anzahl, Zeitraum etc., •• Betreuungsdaten wie Reklamationen, Besuchshäufigkeit, Dauer der Geschäftsbeziehung etc. Adressen aus eigenem Bestand sind im Wissensmanagement Vermögen und bedürfen der ständigen Pflege und Aktualisierung. Zudem müssen neue Adressen kontinuierlich generiert oder fremd angemietet werden. Quellen für eigenrecherchierte Fremdadressen sind:



7.   Konzept des Direktvertriebs319

•• Adressbücher, Telefonbücher / Gelbe Seiten, Außendienstinformationen, Innendienstnotizen, Messenotizen, Interessentenwerbung, Anfragen auf Presseveröffentlichungen, Adressen aus Verkaufsförderungsaktionen, HandelskammerVerzeichnisse, Botschaften / Konsulate (im Ausland), Messekataloge / Aussteller­ verzeichnisse, Seminarteilnehmerlisten, Handelsregistereintragungen, Adressentausch, Ausschnittdienstematerial, Händlerinformationen, eigene Befragung, Empfehlungen / Freundschaftswerbung, öffentliche Bekanntmachungen etc. Listbroking (Adressenmakelung) beinhaltet die Vermittlung des Nutzungsrechts betriebsinterner Adressen anderer Unternehmen über Dritte. Dabei dürfen die Adressen nicht an Konkurrenten des Eigentümers vergeben werden. Sofern Adressverlage eingeschaltet sind, vermieten diese eigene Adressen zur einmaligen Nutzung. Es handelt sich also nicht um einen Adressenkauf, sondern eine Adressenmiete. Zur Kontrolle gegen Missbrauch sind Dummy-Adressen eingebaut, die bei wiederholtem Gebrauch zu Rückläufern beim Adressverlag führen. Die Qualität der so angemieteten Adressen ist trotz aller Optimierungen oft zweifelhaft. Für die Gestaltung eines Direct Mailings gelten folgende Anforderungen: •• Wegwerfstopper (z. B. Neu, Achtung) vorsehen, um zumindest die Lesechance zu erhöhen oder diese auch überhaupt erst zu schaffen, •• Opener als eine kurze Einstimmung auf das bevorstehende Anliegen formulieren, •• positive Verstärker, die den Nutzen des Lesers aus dem Angebot herausstellen, •• Beweisführung als kurze Argumentation, weil Leser vor Kaufentscheiden immer nach Sicherheit suchen, •• Vorwegnahme von Einwänden des Adressaten im Text, •• Telefonnummer / E-Mail-Adresse zur Kontaktaufnahme angeben, falls Probleme oder Fragen auftreten, das schafft zusätzliches Vertrauen, •• Reaktionselement (Bestellbogen, Antwortumschlag) so anlegen, dass es einfach zu handhaben ist, •• P.S. mit dem wichtigsten Argument und einem Appell zum Handeln, also zur Bestellung oder Informationsanforderung, •• Führung des Auges berücksichtigen, sie erfolgt vor allem durch Schlagzeilen, Bilder bzw. Hervorhebungen, •• Blickverlauf des Lesers berücksichtigen, von oben rechts nach links, dann z-förmig über den gesamten Text zum Textanfang zurück, anschließend vom Briefkopf zur Anrede und zum P.S.

320

7.5.2

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Sonstige Dialogmedien im Vertrieb

Postwurfsendungen werden durch den öffentlichen Postdienst undifferenziert an alle Haushalte, alle Abholer von Briefsendungen oder alle Bewohner eines Hauses verteilt (unadressierte oder teiladressierte Briefsendungen). Haushaltsverteilungen werden durch private Zustelldienste und Verteilerkolonnen durch Abgabe in Briefkästen oder an Passanten verteilt. Die Übergabe kann auch durch Türsignal oder persönliche Ansprache begleitet sein. Bei Direct Response-Fernseh-Spots (DR-TV) handelt es sich um klassische Fernsehspots, die neben ihrer Kommunikationsaufgabe auch die Verkaufsaufgabe erfüllen sollen. Dazu wird im TV-Spot angegeben, auf welche Art man dort beworbene Artikel bestellen kann. Meist erfolgt ein Hinweis auf eine Telefonnummer (meist 0800 / 0180 / Vanity) oder eine Internetadresse (Homepage). Eine besondere Ausprägung des mediengestützten, non-internet-Vertriebs ist das Teleshopping. Dabei besteht das Programm auf besonderen TV-Verkaufskanälen oder bei Werbelangsendungen auf „nomalen“ Kanälen aus Verkaufsangeboten, die (kontinuierlich oder fallweise) vorgestellt und promotet werden. Bei Direct Response-Hörfunk-Spots (DR-R) handelt es sich um klassische Hörfunkspots, die neben ihrer Kommunikationsaufgabe auch noch die Verkaufsaufgabe erfüllen sollen. Dazu wird im HF-Spot angegeben, auf welche Art man dort beworbene Artikel bestellen kann. Im Regelfall erfolgt ein Hinweis auf eine Telefonnummer (meist 0800 / 0180 / Vanity), seltener auch eine Internet­ adresse (Homepage). Der Verkauf via Interactive Television (I-TV) erfolgt durch Fernsehspots, Werbelangsendungen oder Shopping-Kanäle bei digitaler Breitbandübertragung mit einem schmalbandigen Rückkanal (Settop Box). Der Rückkanal identifiziert und lokalisiert den I-TV-Zuschauer und erlaubt einerseits individualisierte Sende­inhalte für jeden einzelnen Teilnehmer, hier in Form von Bestellangeboten, und andererseits die Rückmeldung der Beauftragung an den Absender. Bei Direct Response-Anzeigen handelt es sich um klassische Anzeigen, die neben ihrer Kommunikationsaufgabe auch noch die Verkaufsaufgabe erfüllen sollen. Dazu wird in der Anzeige angegeben, auf welche Art man dort beworbene Artikel bestellen kann. Meist erfolgt dazu ein Hinweis auf einen Coupon, der auszuschneiden und einzusenden oder eine Telefonnummer oder Internet­ adresse, die zu kontaktieren ist. Der Verkauf via Telefon kann Inbound oder Outbound erfolgen, ersteres bedeutet, dass Interessenten eine ihnen bekanntgegebene Telefonnummer anrufen, um Bestellungen für spätere Lieferungen aufzugeben oder sofort entgeltlich abzurufen, letzteres bedeutet, dass der Anbieter Kunden oder Interessenten seinerseits anruft, um Aufträge zu akquirieren. Beim Inbound-Telefonverkauf handelt es sich häufig um gebührenfreie Rufnummern (0800). Sowohl beim



7.   Konzept des Direktvertriebs321

Inbound- als auch beim Outbound-Telefonverkauf werden zumeist Call Center eingesetzt. Aktiver Telefonverkauf (Outbound) eignet sich vor allem für die Kontaktanbahnung mit Interessenten / Neukunden, zur Aktivierung von Altkunden, zur Kundenbindung nach dem Kauf und zum Zusatzverkauf. Der Telefonverkauf ist allerdings sehr engen rechtlichen Restriktionen unterworfen. Die Kontaktaufnahme darf im privaten Bereich nur bei bestehender Geschäftsbeziehung (kein Cross Selling) oder ausdrücklicher, in aller Regel schriftlicher Zustimmung von Interessenten erfolgen, im gewerblichen Bereich nur, soweit das vertretene Angebot dem Gewerbezweck des Angerufenen entspricht. Passiver Telefonverkauf (Inbound) besteht in der Entgegennahme von Anrufen für Aufträge, Terminwünsche, Kurzinformationen etc. Oft wird eine personenbezogene Trennung zwischen bloßer Kontaktgenerierung (Sales Lead Generation) und eigentlichem Verkaufsgespräch (durch den Verkäufer selbst) vorgenommen. Denn der Verkauf über Telefon erweist sich als ausgesprochen schwierig, da das Spektrum der Kommunikationsmöglichkeiten auf Inhalt und Akustik reduziert ist und kein Einblick in die spezifische Umfeldsituation des Angerufenen besteht. Der Verkauf via Telefax kann ebenfalls Inbound oder Outbound erfolgen. Ersteres bedeutet, dass Interessenten einen Faxabruf mit Informationen anwählen, die gebührenpflichtig sind oder per Fax Aufträge erteilen. Zu unterscheiden ist in: •• Polling: Der Anrufer stellt dabei sein Faxgerät auf Abruf um, wählt die Nummer des Polling-Dienstes und erhält das Angebot via Fax. •• Fax on Demand: Der Anrufer wählt die Leistung, die ihm per Fax übermittelt werden soll, auf der Tastatur seines Telefons an. •• Faxback: Der Anrufer gibt die Fax-Nummer, auf der er ein Angebot erhalten will, über Telefon an. Letzteres bedeutet, dass Kunden oder Interessenten auf dem Faxweg Angebote vorgelegt werden, die zur Auftragserteilung führen sollen. Dies erfolgt als Fax Broadcasting, d. h., der Versand eines Angebots erfolgt an beliebig viele Empfänger. Der Telefaxverkauf ist ebenfalls engen rechtlichen Restriktionen unterworfen, die denen des Telefonverkaufs entsprechen. Der Telefax-Einsatz ist gerade modernen Berufseinsteigern schwer zu vermitteln, aber in konservativen Branchen immer noch weit verbreitet. Dazu gehören z. B. Ärzte, Reisebüros. So verwundert es nicht, dass die Verbreitung gerade von Multifunktionsgeräten (Drucker, Kopierer, Scanner, Fax) sogar noch steigt. Wer also in diesen Branchen unterwegs ist, sollte sich darauf einstellen und die Akzeptanz nutzen, solange sie denn noch verfügbar ist. Dennoch handelt es sich zweifellos um eine Auslauftechnik.

322

7.6

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Vertrieb über Veranstaltungsmedien

Veranstaltungsmedien organisieren den akquisitorischen Kontakt zwischen einer Vielzahl von physisch präsenten Personen, um deren Transaktionsbereitschaft zu fördern bzw. zu schaffen. Im Vertrieb verfolgen sie dabei das Ziel der konkreten Verkaufsanbahnung und / oder -abwicklung. Damit unterscheiden sie sich von Präsentationen, die primär informativen (vorökonomischen) Charakter haben, woraus dann eine (ökonomische) Transaktion folgen mag oder auch nicht, sie gehören daher zu den, hier nicht relevanten, Kommunikationsinstrumenten. 7.6.1

Messe

7.6.1.1 Messearten Die Messe ist eine zeitlich begrenzte, im Allgemeinen regelmäßig wiederkehrende Marktveranstaltung, auf der eine Vielzahl von Ausstellern das wesentliche Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige ausstellt und überwiegend nach Bestellmustern an gewerbliche Wiederverkäufer, gewerbliche Endverbraucher oder Großabnehmer vertreibt. Dazu werden bewusst und geplant Anbieter und Nachfrager in großer Zahl zusammen geführt. Es wird ein umfassendes Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige gezeigt. Messen finden in regelmäßigem Turnus (im Gegensatz zu Sonderschauen) am gleichen Ort (im Gegensatz zu Wanderschauen) statt, sie sind zeitlich limitiert (im Gegensatz zu Musterlägern / Trademarts) und meist nicht für Endabnehmer bestimmt (im Gegensatz zu den meisten Ausstellungen), sondern für Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter, gewerbliche Nutzer und Großabnehmer. Sie lassen sich nach zahlreichen Kriterien rubrizieren, so nach der: •• geografischen Herkunft der Teilnehmer in lokal, regional, überregional, national, international, •• Art der Besucher in Fachmesse (B-t-B) oder Publikumsmesse (B-t-C), •• Güterklasse in Konsumgüter, Investitionsgüter, Dienstleistungen, vor allem Neuheiten, •• Branchenorientierung als Einbranchen- oder Mehrbranchenmesse, •• Dauer (dauerhaft, punktuell), •• beteiligten Wirtschaftsstufe in Landwirtschaft (primär), Industrie (sekundär), Dienstleistung (tertiär), •• Absatzrichtung an Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter, Endabnehmer, •• Funktion in nur Information, in Information und Order, in Information, Order und Verkauf,



7.   Konzept des Direktvertriebs323

•• Einarbeitung von Rahmenprogramm (als Kongress), Get together, Meet & Great, •• Bedeutung als Leitmesse, Zweitmesse oder Nebenmesse, •• Zusammensetzung von Ausstellern und Exponaten als Universalmessen (mehrere Branchen, mehrere Produktarten), Spezialmessen (mehrere Branchen, eine Produktart), Branchenmessen (eine Branche, mehrere Produktarten), Monomessen (eine Branche, eine Produktart), •• Organisation (durch Verband o. Ä.) und Verbandseinfluss auf die Veranstaltung, •• Ausrichtung entweder herstellerbranchenzentriert oder abnehmerinteressenzentriert. Der Vertrieb erfolgt im Wege des Lieferungsgeschäfts erst nach Kaufabschluss. In der Realität ist die Abgrenzung zur bekanntesten Form des Repräsentationsmarkts, der Ausstellung, nur schwer möglich, da sich zunehmend Mischformen herausbilden, die sowohl Züge der Messe als auch der Ausstellung vereinen. Die Offizialdefinitionen lauten wie folgt: •• Eine Ausstellung ist eine zeitlich begrenzte Marktveranstaltung, auf der eine Vielzahl von Ausstellern ein repräsentatives Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige bei vorrangiger Ansprache des allgemeinen Publikums ausstellt und vertreibt oder über dieses Angebot zum Zwecke der Absatzförderung informiert. Die Ausstellung ist daher primär ein Instrument der Kommunikationspolitik. •• Eine Messe ist eine im Allgemeinen regelmäßig wiederkehrende Veranstaltung, auf der das wesentliche Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige präsentiert und überwiegend nach Muster an gewerbliche Wiederverkäufer, gewerbliche Endabnehmer oder Großabnehmer vertrieben wird. Sie grenzt sich damit von der Ausstellung dadurch ab, dass letztere nicht unbedingt zeitlich wiederkehrend ist, ein repräsentatives Branchenangebot zeigt und auch für Endverbraucher zugänglich ist (Definition aus Gewerbeordnung /  GewO, §§ 64, 65). Der Akzent liegt bei der Messe also auf der Distributionsfunk­tion. 7.6.1.2 Messestand Die Kosten der Teilnahme an einer Messe setzen sich im Wesentlichen aus Standbau / ‑ausstattung / -gestaltung, aus Personal- und Reisekosten, aus Mietkosten, aus Standservice und Telekommunikation sowie Transport und Entsorgung zusammen. Die Standlage betrifft die Platzierung des Standes im Messegelände. Die Aufteilung der Gesamtfläche wird durch den Veranstalter vorgenommen. Dabei

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

spielen neben technischen und rechtlichen Restriktionen auch die erwartete Besucherzahl und die Besucherführung eine wichtige Rolle. Die daraus sich ergebenden besten Plätze sind meist dauerhaft ausgebucht, die restlichen Plätze werden nach zeitlicher Priorität vergeben. Wichtig ist auch die Nachbarschaft des eigenen Stands (so kann man sich in die Nähe des Marktführers begeben oder diesem gerade ausweichen). Denkbar ist die Konzentration des gesamten Angebots auf einem Stand oder deren Verteilung auf mehrere Stände, etwa bei heterogenem Angebot zur Erhöhung der Kontaktchance. Rechts vom Gang gelegene Stände sind bevorzugt. Die erforderliche Standfläche ist u. a. von der Art und Anzahl der Exponate, der Form der Präsentation, dem Verhältnis von Präsentations- zu Besprechungsfläche, der erwarteten Besucherzahl, den geplanten Aktionen am Stand, der Zahl der Mitarbeiter am Stand, dem Bewirtungsaufwand und der Repräsentationsabsicht abhängig. Die Größe wird meist an der eigenen Marktposition oder der Standgröße des Wettbewerbs ausgerichtet. Die Standfläche wird von Besuchern zumindest unterschwellig als Indiz für die Bedeutung des Ausstellers gewertet. Nach der Standart unterscheidet man verschiedene Formen: •• Der Reihenstand hat eine Standfront nach außen, die übrigen Seiten schließen an Nachbarstände oder Hallenwände an. Die Miete richtet sich nach der Grundfläche. Der Auf- und Abbau ist meist einfacher als bei anderen Stand­ arten. Jedoch muss bei Aktivitäten auf die anschließenden Reihennachbarn Rücksicht genommen werden. Außerdem gibt es Einschränkungen in der Gestaltung, etwa in der Zugänglichkeit für Besucher oder der Präsentationsfläche für Exponate. •• Der Hofstand ist zu zwei parallel laufenden Gängen offen, also ein zweiseitiger Reihenstand. •• Der Eckstand ist zu zwei Seiten hin offen zu vorbeiführenden Gängen. Dadurch ist vor allem eine bessere Fernerkennbarkeit gewährleistet. Allerdings ist ein Teil der Exponate nicht unmittelbar einsehbar, und nicht alle Besucher nutzen beide Seiten des Standes. •• Der Kopfstand ist ein Stand, der zu drei Seiten hin auf vorbeiführende Gänge führt. Diese Standart ist besonders attraktiv, weil besucherwirksam. Sie bietet die Möglichkeit, an der Kopfseite aufmerksamkeitsstark aufzutreten oder Besucher aus den beiden Seitenflächen zu attrahieren. •• Der Inselstand ist von allen vier Seiten her zugänglich. Dadurch wird eine gewisse Alleinstellung erreicht, allerdings ist zugleich ein großer Bau- und Gestaltungsaufwand erforderlich. Meist sind auch hohe Mindestgrößen für die Belegung vorgegeben.



7.   Konzept des Direktvertriebs325

Für die Wahl der Standbauweise müssen Auf- und Abbauzeiten, Brandschutzvorschriften, ökologische Anforderungen sowie Transport und Lagerung berücksichtigt werden. Der konventionelle Standbau stellt eine Einzelanfertigung dar. Dadurch kann ein Höchstmaß an Individualität der Präsentation erreicht werden, allerdings entstehen auch die mit Abstand höchsten Kosten. Die Systembauweise besteht aus standardisierten und vorgefertigten Bauelementen, die nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt und miteinander kombiniert werden. Dies ermöglicht einen unkomplizierten, kostengünstigen und schnellen Aufbau, allerdings um den Preis einer gewissen Uniformität, dem nur unter Aufgabe von Kosten- und Zeitvorteilen entgegenzuwirken ist. Die Mischbauweise ist eine Kombination aus konventioneller und standardisierter Bauweise, je nach Bereich des Messestands. Dadurch werden die jeweiligen Vor- und Nachteile dieser Bauweisen ebenso kombiniert. Der Stand kann im Betrieb angemietet, angekauft oder geleast sein. Miete lohnt sich vor allem für Aussteller, die nur selten teilnehmen. Als Vermieter treten Schauwerbeunternehmen und Ausstellungsveranstalter auf. Sie übernehmen meist auch den Auf- und Abbau, die Lagerung, Wartung und Reparatur des Stands. Dabei handelt es sich durchweg um Systemstände, da ein Mehrfacheinsatz gewährleistet sein soll. Beim Kauf werden variable Kosten durch zwar niedrigere, aber dafür inflexiblere fixe Kosten substituiert. Dies lohnt sich vor allem bei mehrfacher Veranstaltungsbeschickung. Allerdings muss man auch die Vor- und Folgekosten berücksichtigen. Leasing wird selten praktiziert, da der Verwaltungsaufwand zwischen den Beteiligten (Aussteller, Leasinggesellschaft, Schauwerbeunternehmen) sich erst bei sehr großen Volumina rechnet. Die Realisierung des Standbaus kann in Eigenregie oder als Auftragsvergabe erfolgen. Die Durchführung in Eigenregie setzt entsprechende Erfahrung mit der Branche voraus. Dafür sind oft spezialisierte Mitarbeiter erforderlich, deren kontinuierliche Auslastung nur schwer gesichert werden kann. Evtl. bestehen auch Kostenzurechnungsprobleme. Die Planung, der Aufbau und Abbau durch Dritte sichert die Partizipation am Know-how spezialisierter Partner, wie etwa Consulting-Anbieter. Sie leisten Full Service bis hin zur schlüsselfertigen Übergabe des Stands (incl. Dekoration, Personaltraining, Licht- und Showeffekten etc.). Die Standgestaltung soll die Aufmerksamkeit der Besucher gewinnen und das Interesse für die Leistungen des Anbieters wecken. Daneben soll eine entspannte, angeregte und faszinierende Erlebnisatmosphäre entstehen. Dazu dienen drei Standbereiche. Der Präsentationsbereich dient der Darbietung der Exponate und der „Filterung“ interessierter Besucher. Im Kommunikationsbereich finden informelle oder anbahnende Gespräche statt. Im Funktionsbereich wird die gesamte Infrastruktur wie Bewirtung, Garderobe, Lager etc. abgedeckt. Der Flächenanteil dieser Bereiche schwankt je nach Schwerpunkt des Konzepts. Als wesentliche Gestaltungsmittel können Licht, Farbe, Boden, Wände,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Decke, Mobiliar, Informations- und Präsentationsmittel eingesetzt werden. Konstruktive, bauliche und sicherheitstechnische Vorgaben setzen vielfältige Gestaltungsgrenzen. Vorab erfolgt daher eine Ausstellungsbegehung mit Abnahme der Bauten durch den Veranstalter. Dabei festgestellte Mängel sind vor Eröffnung zu beseitigen. Die Auswahl qualifizierten Standpersonals ist von großer Bedeutung. Dabei sind fachliche und soziale Kompetenzen zu beachten. Das Standpersonal kann aus eigenen oder geliehenen Mitarbeitern bestehen. Vor Beginn der Ausstellung sind die Mitarbeiter intensiv zu schulen und zu trainieren. Dazu gehört vor allem die Vermittlung der Ausstellungsziele, der Unternehmensidentität, der Produktpräsentation und der Kommunikationsstandards. 7.6.2

Sonstige Eventmedien im Vertrieb

Die Sonderform der Messe als Musterung dient der Präsentation von Prototypen, anhand derer von Nachfragern geordert wird, und wird genutzt, um die sich einstellenden Nachfragereaktionen vorzutesten und erst danach zu produzieren. In großem Stil wird dies in der Modebranche mehrmals jährlich durch aufwändige Modeschauen praktiziert. Eine Musterung mit inländischen Anbietern im Ausland heißt Exportmusterschau, eine kontinuierlich stattfindende Musterung Musterlager. Dies sind permanent zugängliche Mustermessen für Fachleute, auf denen Muster industriell oder handwerklich gefertigter Erzeugnisse gezeigt werden. (Sales-)Events sind eigeninszenierte Veranstaltungen, die durch erlebnisorientierte Unternehmens- und Produktpräsentationen atmosphärische und physische Reize darbieten, die einen Aktivierungsprozess auslösen. Ihr Ziel ist die emotionale Bindung der Teilnehmer an den Initiator. Events setzen Botschaften integrativ in tatsächlich erlebbare Ereignisse um, die Teilnehmer bringen sich durch ihr Verhalten ein. Dies unterscheidet sich bewusst stark von der Alltagswirklichkeit der Zielpersonen und bietet ihnen Abwechslung und Attraktion. Events sind zielgruppenfokussiert, kontaktstark und dialogisch angelegt. Typisch sind ihr Projektcharakter, die Präsenz der Teilnehmer und die Abhängigkeit von der Darbietung. Beispiele betreffen Außendienstkonferenzen zur Motivation der Vertriebsmannschaft (Incentives), Startveranstaltungen bei initiierten Verkaufsrunden (Kick-offs) oder Händlerpräsentationen zur Einstimmung bei Produktneueinführungen (Hospitalities). Oft werden zur Realisierung Prominente als Gäste eingesetzt, attraktive Locations gewählt und aufwändige Caterings geboten. Die Präsentation erfolgt meist über Multimedia und Effekte (Beleuchtung, Musik, Dekoration, Ausrüstung, Pyrotechnik etc.).



7.7

7.   Konzept des Direktvertriebs327

Verkaufsförderung

Verkaufsförderung (VKF) bedeutet die Stimulierung einer punktuell erhöhten Transaktionsbereitschaft bei Vertriebspartnern. Diese Definition hat verschiedene begriffliche Bestandteile. Unter „Stimulierung“ versteht man eine Aktivierung durch Schlüsselreize. Diese Aktivierung kann affektiv z. B. durch Bilder oder Gewinnanreize, kognitiv z. B. über Preisvorteil oder Mengenbeschränkung oder physisch z. B. mittels Haptik oder Degustation erfolgen. Die Aktivierungsrichtung soll auf Appetenz zielen, das Aktivierungsausmaß dabei möglichst hoch sein. Aus ethischen Gründen ist es bedeutsam, dass diese Aktivierung bewusst erfolgt. „Punktuell“ meint eine aktional begrenzte Aktivierung. Diese Begrenzung kann zeitlich, räumlich oder inhaltlich ausgelegt sein, sich also auf einen bestimmten Aktionszeitraum beziehen, auf ein bestimmtes Aktionsgebiet oder auf bestimmte Produkte, wobei dies Sachleistungen sowohl wie auch Dienstleistungen einbezieht. Das Definitionsmerkmal „Transaktionsbereitschaft“ bedeutet, dass es bei Verkaufsförderung um die Erreichung ökonomischer, quantitativer Vertriebsziele geht, also nicht nur um vorökonomische, qualitative Größen wie Bekanntmachung, Imageprofilierung, Akzeptanz, Vertrautheit etc., die in irgendeiner Form zu Erfolg führen mögen oder auch nicht. Bei „Vertriebspartnern“ schließlich handelt es sich um alle Interessenhalter im Vertriebsbereich. Dazu gehören die eigenen Mitarbeiter im Verkauf sowie selbstständige Absatzhelfer, weiterhin Handelsentscheider im Einkauf und Verkauf sowie gewerbliche Zwischen- bzw. Endabnehmer und private Endkunden. 7.7.1

Verkaufsförderungs-Instrumente

VKF-Maßnahmen können als eigenständiger Promotion-Mix innerhalb des Marketings aufgefasst werden, der seinerseits die Leistungspolitik (Produkt und Programm), die Entgeltpolitik (Preis und Konditionen), die Transferpolitik (Distribution und Verkauf) und die Informationspolitik (Kommunikation und Identität) umfasst. 7.7.1.1 Angebots-Mix Im Angebots-Mix lassen sich vielfache Ansatzpunkte für Verkaufsförderungsmaßnahmen finden. Im Folgenden sind einige, häufig vorkommende Beispiele genannt. Bei Packungen handelt es sich entweder um die Umhüllung der Produktsubstanz, wobei diese auch ohne Packung (Verpackung) nutzbar ist, oder sinn-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

voll nur mit dieser (Packung i. e. S.). Sonderpackungen sind Packungen oder Verpackungen, die aus promotionalen Gründen Abweichungen von der Serie aufweisen. Dabei kann es sich z. B. um Zweitnutzenpackungen handeln, die nach Verbrauch der Produktsubstanz für einen anderen Zweck als dem der Verpackung, erhalten bleiben und idealerweise auch das Branding weitertragen. Bei Sonderabmessungen handelt es sich um Einheiten, die ein besseres PreisLeistungs-Verhältnis darstellen, also konkret mehr Menge zum gleichen oder zu einem nur unterproportional höheren Preis bieten. Die Ausformung erfolgt als Multipacks, d. h. zwei oder mehr gleiche Produkteinheiten, die zu einer Verkaufseinheit fest verbunden sind. Eine andere Form sind Overfills, d. h. Packungsgrößen, die nach oben von den herkömmlichen Abmessungen abweichen. Ziel ist die erhöhte Bevorratung der Nachfrager mit dem Produkt, so dass für Mitbewerber der Vertriebskanal „verstopft“ bleibt. Die Attraktivität ist hoch, weil Nachfrager darin eine günstige Gelegenheit sehen und sie das Produkt ohnehin benötigen. Bei Sonderversionen handelt es sich um Versionen eines Produkts, die außerhalb der VKF-Aktion nicht erhältlich sind. Denkbar sind hier besondere Geschmacksrichtungen etwa bei Getränken oder Speiseeis, besondere Farben etwa bei Automobilen oder UE-Geräten, besondere Duftrichtungen etwa bei Reinigungsmitteln, besondere Materialien etwa bei Kaffees etc. Durch diese Versionen soll die Bevorratung bei bestehenden Kunden beschleunigt, aber auch die Probierkaufneigung erhöht werden. Darauf aufbauend wird auf einen „Klebeeffekt“ der Kunden gehofft. Für Packungszusätze gelten eine ganze Reihe von Optionen. Von Onpacks spricht man, wenn Zugaben zum Produkt geboten werden, die fest mit dem Produkt verbunden und von außen getrennt zugänglich sind. Von Inpacks spricht man, wenn solche Zugaben zum Produkt erst nach Öffnung der Verpackung zugänglich sind (vor allem aus Diebstahlschutzgründen). Von Crosspacks spricht man, wenn diese Zugaben aus anderen Produkten im Herstellerprogramm bestehen. Und von Nearpacks spricht man, wenn solche Zugaben nur lose mit dem Produkt verbunden und von außen zugänglich sind. Ziele dieser Packungszusätze sind die erhöhte Attraktivität des Produkts und damit die Förderung des Abverkaufs. Bei Servicezusätzen handelt es sich um produktbegleitende Dienstleistungen (Kundendienste), die mit dem Angebot verbunden offeriert werden. Diese Kundendienste können vor allem technischer oder kaufmännischer Art sein. Sie werden unentgeltlich oder gegen eine Pauschalgebühr angeboten. Denkbar ist etwa die Freischaltung von Internet-Seiten mittels Zugangscode im Produkt selbst (Flaschenverschluss). Dort werden dann bestimmte Leistungen zugänglich gemacht, die für andere Personen nicht oder nur gegen höheres Entgelt zugänglich sind.



7.   Konzept des Direktvertriebs329

Maßnahmen zur Produkteinführung beziehen sich auf die promotionale Unterstützung von Neuprodukten. Die Einführungsphase ist eine sehr sensible, denn hier kommt es darauf an, möglichst rasch eine Verbreitung bei Innovatoren zu erreichen, da ansonsten die Absatzbasis für Multiplikationseffekte und Nachkäufe fehlt und ein Flopp droht. Davon zeugen hohe Floppraten in vielen Branchen, etwa bei Fast Moving Consumer Goods (FMCGs). Ziel ist die Induzierung von Erstkäufen der Gattung bzw. Probierkäufen der Marke. Angebote bedürfen im Laufe ihres Lebenszyklus immer wieder der Produktaktualisierung durch VKF-Aktivitäten. Sofern es dafür im Produkt selbst keine Anlässe gibt, sind diese promotional zu schaffen. Ansonsten dienen auch Pseudoanlässe wie Facelifts oder kleine Produktaufwertungen als willkommene Anlässe zur Aktualisierung. Man spricht hier auch von einer Revitalisierung, also von der Wiederbelebung eines in den Wahrnehmungshintergrund getretenen Produkts. Die Positionierung des Produkts bleibt dabei im Wesentlichen unverändert. Im Zuge des Lebenszyklus wird, idealerweise, wenngleich nur theoretisch, im Zenit der Ertragsentwicklung versucht, das bestehende Produkt vom Markt zu nehmen und durch ein gleichartiges neues zu ersetzen. Um dadurch einen Wachstumsimpuls für das Angebot zu erreichen, muss die Produktvariation als neuartig erlebt werden. Dies wird durch eine Aufwertung des variierten Produkts gegenüber dem bestehenden (Up Grading) bei ähnlichem Preis oder durch dessen Verbilligung (Down Grading) bei ähnlicher Leistung erreicht. Damit ist eine geänderte Positionierung am Markt verbunden. Am Ende des Lebenszyklus ist es erforderlich, ein Produkt rechtzeitig vom Markt zu nehmen, um nicht vermeidbar Ressourcen darin zu binden. Diese eher defensive Maßnahme kann dennoch promotional genutzt werden, indem die Produkteliminierung angekündigt wird (z. B. Braun Last Edition). Verbunden damit kann die gezielte Überleitung der ausfallenden Kaufkraft auf ein anderes Produkt im eigenen Programm versucht werden. In dem Maße wie dies gelingt, kann das Umsatzniveau weitgehend unverändert gehalten werden. Bei einer Programmdifferenzierung geht es um eine Erhöhung der Programmtiefe, d. h. der Anzahl der verschiedenen Ausprägungen eines Produkts. Die Einführung neuer Produktversionen (Line Extension) ist häufig Anlass für VKFMaßnahmen. Ziel ist es dabei, die Attraktivität des Anbieterprogramms zu stärken und auch einen Anlass zu schaffen, die bereits bestehenden Produktversionen in das Bewusstsein der Zielgruppe zu rücken. Allerdings darf die Zugkraft des Stammprodukts auch nicht überfordert werden, da ansonsten der Erfolg kippt (Negativbeispiele: Nivea, Milka). Bei einer Programmdiversifizierung geht es um eine Erhöhung der Programmbreite, d. h. der Anzahl der verschiedenen Produkte im Programm. Häufig kommt es dabei zu einem Markentransfer, d. h. zur Übertragung der Marke aus

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

einer Produktkategorie in eine andere eigene (z. B. P&G: Meister Proper vom Allzweckreiniger zum Waschmittel), oder zu einer Markenlizenz, d. h. zur Übertragung der mehr oder minder eingeschränkten Nutzungsrechte eines fremden Markenhalters für eigene Produkte (z. B. P&G: Vidal Sassoon Shampoo). Die Übernahme solcher Diversifizierungen unter einer Marke ist häufig Anlass für VKF-Aktivitäten. Ziel einer vertikalen Markenhierarchie ist die Etablierung von Marken oberhalb der Erstmarke (Upscale als Premium- oder Luxusmarke) oder unterhalb der Erstmarke (Downscale als Zweit- oder Drittmarke) innerhalb derselben Produktkategorie. In beiden Fällen soll aktiv die Abschöpfung der Nachfragerrente bzw. passiv der Schutz vor Konkurrenzmaßnahmen erreicht werden (z. B. Syoss unterhalb von Poly bei Henkel analog Garnier unterhalb von L’Oréal de Paris bei L’Oréal). Solche Maßnahmen werden meist durch promotionale Maßnahmen unterstützt, um eine Erstkäuferrate abzusichern, die über die Wiederkaufrate die Prosperität der Marke sichert. 7.7.1.2 Gegenleistungs-Mix Im Gegenleistungs-Mix lassen sich ebenso vielfache, sehr typische Ansatzpunkte für Verkaufsförderungsmaßnahmen finden. Im Folgenden sind einige, häufig vorkommende Beispiele genannt. Der Sonderangebotspreis stellt die klassische VKF-Aktion dar (man spricht daher auch vom Aktionspreis). Er wird temporär gegenüber dem Normalpreis gesenkt, um eine Nachfragestimulierung zu erreichen. Dies ist nicht unproblematisch, erfordert doch ein gesenktes Preisniveau eine weit überproportionale Absatzsteigerung, um auch nur zum gleichen Ertragsniveau zu führen. Die Motivation liegt eher in der Gewinnung von Probierkäufern und der Generierung von Eroberungen (Fremdmarkenkäufer). Die Hoffnung besteht im „Klebeeffekt“, also darin, dass ein Teil der derartig mit einem Produkt in Kontakt geratenen Nachfrager diesem treu bleibt. Allerdings ist auch diese Hoffnung trügerisch, hat doch das hohe Preisinteresse in der Käuferschaft zu Schnäppchenjägern geführt, die nicht markenloyal wiederkaufen, sondern zum nächsten Sonderangebot abwandern, sobald dieses erkennbar wird. Dies hat signifikante Nachteile. So führt die hohe Bevorratung während der Aktionszeit zu einer Verstopfung des Absatzes zum danach folgenden Normalpreis, der freilich spannenattraktiver ist. Auch führt die permanente Wahrnehmung von Aktionspreisen bei Nachfragern dazu, dass sie diesen Preis für „normal“ erachten, weil er ja ständig wahrzunehmen ist, und die Rückkehr zum Normalpreis als Preiserhöhung erleben, was zur Abwanderung führen dürfte. Generell fördern Aktionspreise die einseitige Fokussierung der Nachfrager auf den Preis, statt auf Leistungsmerkmale. Letztlich wird bei einem niedrigeren wahrgenommenen Preis häufig auch eine mindere Qualität vermutet. Vor allem aber ist der Herstellerstufe der Preisparameter weitgehend



7.   Konzept des Direktvertriebs331

aus der Hand genommen, da die Preise, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allein von der Handelsstufe bestimmt werden dürfen. Es besteht also immer die Gefahr, dass Anreize für Sonderangebotspreise auf der Handelsstufe als zusätzliche Spanne absorbiert werden. Denkbar ist allenfalls die Vorgabe von ausdrücklich als unverbindlich zu bezeichnenden Preisempfehlungen. Auch beim Rabatt handelt es sich um eine klassische VKF-Aktivität. Rabatt ist allgemein die Differenz zwischen einem Listenpreis (Bruttopreis) und dem tatsächlich ausmachenden Betrag (Effektivpreis), der auf Preisnachlässe zurückzuführen ist. Für diese gibt es zahlreiche Kriterien. Rabatte sollen nur gewährt werden, sofern dem eine äquivalente Leistung des Abnehmers gegenüber steht. Denn nur dann führen Preisnachlässe zu erhöhtem Markterfolg. Aufgrund verbreiteter Nachfragemacht werden jedoch häufig Rabatte von der Leistung entkoppelt und allein aus Gründen ihrer machtvollen Durchsetzbarkeit gefordert. Solche Nichtleistungskonditionen sind abzulehnen. Sie taugen auch nicht als promotionale Maßnahmen. Unter Preisbündelung versteht man das Angebot mehrerer Produkte zu einem gemeinsamen Bündelpreis. Diese Bündel können nach verschiedenartigen Kriterien zusammengesetzt sein: •• Produkte, die nur im Bündel (Pure Component) oder auch einzeln (Mixed Bundle) erhältlich sind, •• fixe Anzahl von Produkten, nach oben oder nach unten limitierte Anzahl im Bündel, •• mehrere gleiche Produkte (Multi Units), mehrere verwandte oder mehrere verschiedene Produkte, •• komplementäre Produkte, substitutive Produkte, unverbundene Produkte, •• Produkte nur eines Herstellers, Produkte von zwei oder mehr Herstellern, •• herstellerseitig zusammengestellte Bündel, handelsseitig zusammengestellte Bündel, •• Bündel nur aus Sachleistungen, Bündel nur aus Dienstleistungen, Bündel aus Sach- und Dienstleistungen, •• nur Markenprodukte oder markierte und namenlose Produkte, •• Bündel mit im Vorhinein bekannter Zusammensetzung oder mit überraschender Zusammensetzung, •• Bündel mit Aufpreis gegenüber den addierten Einzelpreisen, mit Preisnachlass gegenüber den addierten Einzelpreisen oder preisgleich zu den addierten Einzelpreisen, •• mit Preisnachlass nur auf das / die bündelexklusive / n Produkt / e. Ein Coupon ist ein Gutschein, der Endabnehmer zu einem preisreduzierten / kostenlosen Erwerb einer Leistung, ggf. unter Beachtung bestimmter Einlö-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

sebedingungen, berechtigt. Dessen Herausgeber gibt einer ausgewählten Personengruppe dabei medial einen Berechtigungsnachweis, bei dessen Einsatz in einer vorab ausgelobten Akzeptanzstelle während eines definierten Zeitraums ein spezifischer Vorteil gewährt wird, sofern die Zielperson ein gewünschtes Verhalten zeigt. Einteilungsdimensionen des Couponings sind im Einzelnen möglich nach •• der Art der Vorteilsvergabe: Rabatt- / Cash-Coupon artikelbezogen, zeitraumbezogen, mengenbezogen, Bundling-Coupon für dasselbe oder ein anderes Produkt, Einkaufs- / Shopping-Gutschein (nicht definierte Produkte), Warengutschein (definiertes Produkt), •• den zeitlichen Bedingungen: Pre Sale-Coupon an Interessenten, After SaleCoupon an Kunden, •• dem Distributionsweg: Massenmedien als eigenständiges Kommunikationsmittel, in Anzeige eingebunden, als Beileger / Beihefter / Beikleber, Dialogmedien als Direktaussendung oder Haushaltsverteilung / Katalog, Point of Sale am Regal, Eindruck im Kassenbon, Inpack im Artikel, Onpack am Artikel, durch Promotion People, durch Couponautomaten, durch Pfandbeleg, virtueller Coupon über Websites, Social Media, Coupon-Portale oder Direktmedien wie E-Mails oder SMS- / QR-Coupons (Mobiltelefon), •• dem Akzeptanzweg am Point of Sale oder als Mail-in (durch physisches oder virtuelles Einschicken), •• dem Herausgeber durch Hersteller oder Handel, evtl. auch Service Provider, •• der Wirkung als Instant-Benefit (sofortige Gutschrift) oder Deferred-Benefit (spätere Verrechnung). Der Coupon-Herausgeber vergibt die Coupons über Distributionssysteme an Zielpersonen. Diese lösen die Coupons ein und erhalten dafür eine Gutschrift von der Akzeptanzstelle. Die Akzeptanzstelle gibt die Coupons ggf. an ein Clearinghaus, dieses rechnet mit dem Coupon-Herausgeber ab. Der CouponHerausgeber erstattet den Gutschriftsbetrag plus einer Handlinggebühr an die Akzeptanzstelle. Probleme entstehen durch dabei involvierte Handlingzeit und -kosten, durch Fehleinlösungen und durch Betrugsversuche (Fälschungen). Für Zahlungs- und Lieferungsbedingungen als VKF bieten sich mehrere Stellgrößen an (Sonderkonditionen). 7.7.1.3 Informations-Mix Der Informations-Mix stellt für gewöhnlich einen weiteren Schwerpunkt der VKF-Aktivitäten dar. Hier ist vor allem an Pull-Effekte zu denken. Diese entstehen durch verschiedene Möglichkeiten.



7.   Konzept des Direktvertriebs333

So kann vorübergehend der Kampagnendruck erhöht werden, um Nachfragesog zu erzeugen. Diese Aufwendungen führen zu einem höheren Share of Voice, also zu einer besseren Durchsetzung der Promotion-Botschaft im Markt. Dabei ist zu bedenken, dass es bereits ein sehr hohes „Grundrauschen“ von Botschaften am Markt gibt. Um dann noch einen Pull-Effekt zu erreichen, muss ein Absender erheblichen Aufwand treiben, denn nur die Differenz zwischen dem Grundrausch-Level (Pink Noise) und der VKF-Botschaft ist aufgrund des Verdeckungseffekts wahrnehmungsrelevant. Denkbar ist auch der vorübergehende Einsatz zusätzlicher Medien. Es ist typisch für die Medienlandschaft, dass Botschaftsabsender auf mehreren Kanälen parallel versuchen, ihre Zielpersonen zu erreichen. Jeder zusätzliche Kanal erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Pull-Effekts. Dabei ist auf eine harmonische Abstimmung des inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Einsatzes im Rahmen der integrierten Kommunikation zu achten. Naheliegend ist auch der Einsatz größerer, längerer Formate in der Medienkommunikation, also mehr Seiten / Sekunden / Flächen. Dadurch wird c.p. die Wahrnehmung verbessert. Fraglich ist allerdings die Beziehung zwischen dieser Formaterhöhung und dem daraus resultierenden Kosteneinsatz. Damit muss nicht zwangsläufig eine Budgeterhöhung einhergehen, wenn dabei die Einschalthäufigkeit gestreckt oder auf absolut kostengünstigere Medien gesetzt wird. Weiterhin ist eine Verbesserung der Ausstattung der Kommunikationsmittel denkbar, z. B. 4-c statt s / w, Standbild mit Ton statt ohne Ton, mit ReminderSpot statt nur Solo-Spot. Auch dadurch wird die Wahrnehmungschance erhöht. Wiederum ist fraglich, ob der Zuwachs an Aufmerksamkeit der VKF-Botschaft die höheren Kosten überwiegt oder nicht. Vor allem wird versucht, durch Nutzung nicht-klassischer Medien den Botschaftstransfer zu verbessern. Dazu gehören alle Medien außer Zeitung, Zeitschrift, Fernsehen, Hörfunk, Kino und Außenwerbung. Dabei stellt sich jedoch heraus, dass Medien, die zunächst noch zur Erhöhung der Wahrnehmung beitragen, mit zunehmender Nutzung durch Absender inflationieren und ihre Transfereignung dabei einbüßen, weil Zielpersonen mit Reaktanz reagieren. Denkbar sind hier Dialog-Promotion, Schauwerbe-Promotion und Online-Promotion. In besonderem Maße ist die Dialog-Promotion für VKF-Aktivitäten geeignet. Dabei werden verschiedene Medien genutzt. Im Direktwerbefernsehen werden TV-Spots für Direct Response (DR-TV) genutzt, meist verbunden mit einem Medienwechsel (Telefon, Internet), immer häufiger aber nicht mehr mit einem Wechsel des Endgeräts (IP-TV) und bei aufkommendem I-TV (Breitbandverkabelung) auch nicht mehr mit einem Wechsel des Mediums.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Im Direktwerbehörfunk (DR-R) werden Radio-Spots mit Direct Response genutzt, derzeit zwangsweise mit einem Medienwechsel verbunden. Die Eignung ist vor allem bei Promotions für Produkte des täglichen oder täglichhäufigen Bedarfs gegeben. In vielen Regionen / Branchen spielt auch Telefax noch eine bedeutende Rolle, aktiv durch Aussendung von VKF-Angeboten (je nach Rechtslage nur an gewerbliche Adressaten), passiv durch Entgegennahme von Botschaften von Interessenten, die über andere Kanäle erreicht worden sind, aber auch durch Fax-Abruf (Polling). Eine immer größere Bedeutung erhält der Mobilfunk durch Übertragung von Sprache, Schrift / SMS, Bild / MMS oder Bewegtbild / IM raumunabhängig, individuell, personalisiert und zeitlich unbegrenzt. Hier werden ständig neue Hilfsmittel eingesetzt wie etwa Quick Response-Codes (QR), also zweidimensionale Scans, häufig auch designed, oder NFC (Nearfield Communication). Die Festnetztelefonie kann outbound erfolgen, also aktiv an Adressaten gerichtet, dies ist hierzulande engen rechtlichen Restriktionen unterworfen, oder inbound, also von Interessenten, die über andere Kanäle erreicht worden sind, an den Anbieter gerichtet. Im postalischen Weg sind Direct Mailings üblich, die promotionale Angebote in die Haushalte und Betriebe von Zielpersonen transportieren und adressiert sind. Nicht-adressierte Nachrichten sind als Postwurfsendung oder als private Haushaltsverteilung möglich wie z.  B. von lokalen Händlern und anderen Dienstleistern genutzt. Ein wichtiges Instrument sind auch Kataloge und Prospekte. Der Unterschied liegt darin, dass der Katalog eine Bestellgrundlage ist, der Prospekt hingegen nicht. Hier ist vor allem an Sonderkataloge / -prospekte zu denken, die zusätzlich zu den regulären für promotionale Zwecke aufgelegt werden. Schließlich sind auch Printmedien nutzbar, indem in Anzeigen Reaktionsmittel eingearbeitet werden, sei es in Form von Telefonnummer (Tollfree, Vanity etc.), Internet-Adressen etc. oder als Coupon, Beikleber, Postkarte o. Ä. Hier ergibt sich allerdings die Frage der Zielgruppensteuerung. In der Schauwerbe-Promotion geht es darum, über Live-Kommunikation Pull-Effekte zu erreichen. Medien hierfür sind Messen, Musterungen, Hausmessen, Events, Roadshows etc. Bei Online-Promotions können verschiedene Dienste genutzt werden, am verbreitetsten das World Wide Web und der E-Mail-Dienst. Im WWW sind Formen der Displaywerbung üblich, aber auch Partnerprogramme und Cross Media-Vernetzungen. Bei E-Mails sind Stand alone-Nachrichten und vor allem Newsletters üblich, für beide gelten enge rechtliche Grenzen. Eine eigenständige Bedeutung hat dabei Social Media (Web 2.0) gewonnen.



7.   Konzept des Direktvertriebs335

7.7.1.4 Verfügbarkeits-Mix Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich an die im Vertriebskanal nachfolgende Stufe wenden, werden als Push-Aktivitäten bezeichnet, solche, die sich an im Vertriebskanal davor liegenden Stufen wenden, als Pull-Aktivitäten. Push-Aktivitäten zielen auf eine unmittelbare Einflussnahme auf das Order- /  Kaufverhalten der nachfolgende Stufe ab, Pull-Aktivitäten zielen auf die mittelbare Einflussnahme der übernächsten (Kunden des Kunden) oder weiter hinten liegende Stufe ab, um dadurch Einfluss auf das Order- / Kaufverhalten der nachfolgenden Stufe zu nehmen. Das Zusammenwirken von Push- und Pull-Aktivitäten kommt einer Zangenbewegung auf die Zielgruppe gleich. Die Aktivitäten wenden sich an verschiedene Zielgruppen. Leihaußendienste stellen die Anmietung von Manpower zur Entlastung der Vertriebsmannschaft und zur besseren Marktdurchdringung dar. Dies bietet sich vor allem an, wenn mehrere, mehr oder minder zeitgleiche Aktivitäten durchgeführt werden oder neue Vertriebskanäle mit risikoträchtigen Eigenheiten bedient werden sollen. Die Vertriebskanalselektion dient der Bevorzugung bestimmter Absatzmittler durch Aufnahme / Bestätigung der Distribution. Diese Option steht freilich nur profilierten, marktstarken Anbietern offen, die es geschafft haben, durch überlegten Marketing-Mix-Einsatz einer Austauschbarkeit am Markt zu entgehen. Die Redistribution sieht den Warenweg nicht als Einbahnstraße, Ware an den Handelsplatz zu schaffen, sondern durch geeignete Vorkehrungen zur geordneten Rückführung gebrauchter Waren, nicht der Verpackungen (dies ist durch haushaltsnahe Entsorgung gelöst / DSD), von Konsumenten, den Handel zu entlasten und für eine weitere Zusammenarbeit geneigt zu machen. Propagandisten bedeuten den Einsatz von eigenen / eigen organisierten Verkäufern am Handelsplatz (POS) zur Forcierung des Absatzes. Am POS kommen die Vorzugsplätze hinzu, die zwar vielfältig sind, aber dennoch nur einen Bruchteil des gesamten Regalplatzes ausmachen. Dazu gehören Regalplätze horizontal rechts von der Mitte des Warenträgers oder vertikal im Regal in Sicht- oder Griffhöhe. Weitere Vorzugsplätze befinden sich an der Kassenzone (wegen der gewöhnlichen Wartezeiten dort) und in den Kopfzonen der Regale (wegen der alleinstellenden Wahrnehmung). Außerdem gibt es solche am Kopfende des Ladens, wo sich „Magnetabteilungen“ befinden, die ein komplettes Durchqueren des Ladens erforderlich machen etwa für Produkte des täglichen oder täglich-häufigen Bedarfs. Gerade im Rahmen von VKF-Aktivitäten sind Zweitplatzierungen anzutreffen. Darunter versteht man eine temporäre oder dauerhafte Platzierung von Waren außerhalb ihrer zugehörigen Warengruppe (Out of Category). Dadurch wird die Kontaktwahrscheinlichkeit erhöht. Einige Betriebsformen des Einzelhandels nutzen Dauerzweitplatzierungen auch für Verbundkäufe komplementärer Warengruppen.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Als Aktionsmittel am POS kommen folgende in Betracht. Im Schaufensterbereich ist an Fensterplakate, Fensterfriese, Fensterstreifen o. Ä. zu denken. Auch die Ladenfront kann für promotionale Zwecke genutzt werden. Der Eingangsbereich hat vor allem die Funktion der Schwellenüberwindung, hier können Aktionsmittel Interessenten zum Eintritt motivieren. Im Laden selbst gibt es Möglichkeiten durch Regalwinker / Wobbler für die darunter liegende Ware, Regalnasen für die daneben liegende Ware, Regalschürzen für die darüber liegende Ware etc. Die Decke bietet die Möglichkeit zu Deckenhängern, die vor allem bei „Fernsicht“ gut erkennbar sind. Auf dem Boden können Bodendisplays mit Ware oder sonstige Reiter ohne Ware, auf der Theke Thekendisplays mit Ware oder sonstige Aufsteller ohne Ware platziert werden. Außerdem gibt es elektronische Medien (Monitore), etwa als Kiosksysteme, vor den Kassen etc. Einkaufswagen bieten ebenso Möglichkeiten wie Bodenfliesen, Kassenbänder, Einkaufstaschen etc. Ferner stellen Beleuchtung und Beduftung wichtige promotionale Maßnahmen dar, die indirekt wirken. Die Möglichkeiten sind weitgespannt, allerdings erwartet der Handel, dass diese Aktionsmittel im jeweiligen Auftritt einer Vertriebsschiene stattfinden und nicht im Auftritt des Herstellers. Damit setzt sich die Identität des Händlers gegen die des Herstellers durch. 7.7.2

Verkaufsförderungs-Maßnahmen

Für eine Rubrizierung von VKF-Maßnahmen bietet sich eine Unterteilung in Phasen der VKF einerseits und Zielgruppen der VKF andererseits an (siehe Abb. 69). Hinsichtlich der Phasen der VKF können, in Anlehnung an alte Stufenmodelle des Käuferverhaltens, die Phasen •• von Aufmerksamkeit und Kontakt, •• von Interesse und Motivation sowie •• von Auslöser und Umsetzung unterteilt werden. In der Aufmerksamkeits- und Kontaktphase geht es darum, neue Angebote im Bewusstsein der Zielpersonen zu etablieren und bestehende Angebote zu aktualisieren. In der Interesse- und Motivationsphase geht es darum, intrinsische oder extrinsische Anreize zur Auseinandersetzung mit dem Angebot zu setzen. Und in der Auslöser- und Umsetzungsphase geht es darum, die Aktivität bei Einzelpersonen oder Gruppenentscheiden zu erreichen. Hinsichtlich der Zielgruppen der VKF können Herstellermitarbeiter, Einkäufer im Handel, Verkäufer im Handel und private oder gewerbliche Endabnehmer unterschieden werden. Bei den internen Mitarbeitern (Staff Promotions) handelt es sich im Wesentlichen um Vertriebsaußendienstler, also Personen in der Feldorganisation, oder Verkaufsinnendienstler, also Personen im Traffic. Bei den Einkäufern im Handel (Trade-in Promotions) handelt es sich um Personen, die



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Abb. 69: Spektrum der Verkaufsförderungs-Maßnahmen

für die Listung im Zentraleinkauf einer Handelsorganisation zuständig sind. Diese zentrale Listung erlaubt erst die Bestellbarkeit von Waren. Sie sichert für Hersteller, abgesehen von einigen Pflichtartikeln des Handels, jedoch in keiner Weise die tatsächliche Bestellung. Der Kontakt zu Zentraleinkäufern wird durch Schlüsselkundenbetreuer (Key Accounter) des Herstellers geleistet. Bei den Verkäufern im Handel (Trade-out Promotions) handelt es sich um Personen, die für die tatsächliche Bestellung von Waren zuständig sind, sofern diese zuvor in die zentrale Listung aufgenommen wurden. Sie organisieren außerdem die Platzierung von Waren, die für den Abverkauf von hoher Bedeutung ist. Bei den Endabnehmern (Consumer Promotions) handelt es sich um private Endverbraucher (B-t-C, Konsumenten i. e. S.) oder gewerbliche Endabnehmer (B-t-B). 7.7.2.1 Zielgruppe Vertriebsmannschaft Zur Erzeugung von Aufmerksamkeit / Kontakt bei der Vertriebsmannschaft dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Veranstaltungen als motivierende Events zur Vermittlung von Gruppendynamik helfen bei der Erreichung von mehr Involvement und verbesserter Leistungswilligkeit im Bereich des personalen Faktors. Durch das Arbeitsgespräch als Vertriebsmannschafts-Meet­ ing oder -Konferenz sollen die Mitarbeiter auf ein gemeinsames Ziel eingeschworen werden. Eine interne Mitteilung als spezielles Memo oder Infomaterial

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

bietet sich an, wenn es nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, die Mitarbeiter zu einem persönlichen Gespräch zusammenzuführen. Zum Ausbau von Interesse / Motivation bei der Vertriebsmannschaft dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Bei Wettbewerben / Incentives im Verkauf mit Hilfe von Prämienkatalogen wird das Anreizsystem auf eine Zielgröße, meist Verkaufsumfang, Besuchsanzahl, Neukundengewinnung etc., ausgerichtet. Üblicherweise werden dazu Punkte gesammelt, die wiederum einzeln oder kumuliert zum Bezug vorher ausgelobter Prämien, meist Sachprämien, aber auch Reisen oder Erlebnisinhalte, berechtigen. Unter der Installation von Verkaufsrunden versteht man die Aufteilung eines Verkaufszeitraums in Einzelaktionen derart, dass in einzelnen Zeiträumen bestimmte Produkte besonders forciert werden. Dazu wird ein gesondertes Anreizsystem installiert. Die Vorbereitung durch Vorverkauf im Handel (z. B. durch Fachanzeigen mit absatzmittlerspezifischer Argumentation über Appell an den Geschäftssinn) wird intensiv betrieben. Fachzeitschriften (Professional Interest-Titel) forcieren dabei zusätzlich durch redaktionelle Beiträge die Bekanntmachung neuer Angebote und die Aktualisierung bestehender. Zur Auslösung und Umsetzung des Verkaufsakts bei der Vertriebsmannschaft dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Durch ein Bonussystem als Geldanreiz wird eine Gratifizierung am Ende der Verkaufsperiode bezogen auf das gesamte getätigte Abschlussvolumen geschaffen. Zunehmend erfolgt daher eine Ablösung von Geldanreizen durch die Inaussichtstellung von Sachprämien. Häufig handelt es sich um Reisen, auch als Reise plus außergewöhnlichem Erlebnis. Vielmehr noch als Geld- oder Sachwerte, die jedermann zugänglich sind, schafft die Privilegierung im Kollegenkreis mit sozialer Profilierung eine hohe Anreizwirkung (Verkäufer des Monats, 100 %-Club-Mitglied, Senior-Manager etc.). 7.7.2.2 Zielgruppe Absatzmittler im Reinverkauf Zur Erzeugung von Aufmerksamkeit / Kontakt bei Absatzmittlern im Reinverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Die Präsentation im Händlergespräch bzw. beim Zentraleinkäufer der Handelsorganisation ist nicht einfach zu bewerkstelligen, weil der Handel meist nur gering involviert ist und daher einer Präsentation nur in seltenen Fällen genügend Aufmerksamkeit widmet, um eine optimale akquisitorische Wirkung zu erreichen. Das Jahresgespräch als Rahmenvereinbarung hat hingegen für den Handel eine große Bedeutung, weil dabei die Bedingungen der Zusammenarbeit mit den wichtigsten Herstellern für das kommende Geschäftsjahr vereinbart werden. Ein Salesfolder als vorverkaufende Dokumentation dient einerseits als Reminder im Nachgang zur Präsentation und ermöglicht die Reaktivierung von Informationen sowie deren Ergänzung im Detail beim Ansprechpartner und andererseits gegenüber



7.   Konzept des Direktvertriebs339

Einkaufsgremien, die letztlich die Entscheidung über Aufnahme und Weiterführung von Artikeln im Sortiment treffen. Zum Ausbau von Interesse / Motivation bei Absatzmittlern im Reinverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Absatzmittlerstufen-übergreifende Sprungkommuinikation in Medien direkt an Endabnehmer ist zweischneidig, da sie auch als „Drohung“ missverstanden werden kann. Denn durch Sprungkommunikation beabsichtigt der Hersteller, sein Produkt zur Pflichtmarke des Handels zu machen, der dann nicht umhin kann, die betreffende Ware zu ordern. Das Angebot von Regalpflege und Werbekostenzuschüssen (WKZ) stellt die Präsenz von Produkten in der knappen Regalfläche des Handels sicher. Dabei muss mehrstufig vorgegangen werden. Zunächst ist der Zentraleinkäufer der Handelsorganisation zu überzeugen, das Produkt in die Listung seines Zuständigkeitsbereichs aufzunehmen, möglichst zu einem Pflichtartikel zu deklarieren oder gar nicht erst auszulisten. Dann sind die einzelnen Marktleiter in den Filialen vor Ort zu überzeugen, dieses Produkt auch tatsächlich oder verstärkt zu ordern. Danach ist sicher zu stellen, dass das Produkt am POS auch angemessen präsentiert wird. Dies übernehmen Merchandiser, die herstellerseitig beauftragt oder zumindest bezahlt werden. Dabei erfolgt eine artikelgenaue Platzierungsvorgabe durch auf Optimierungsverfahren beruhende Regalspiegel. Bei betriebswirtschaftlicher Beratung handelt es sich um das Angebot von Herstellern, ihr Vermarktungs-Know-how dem Handel derart zur Verfügung zu stellen, dass dieser in der Betriebsführung beraten wird. Teilweise werden Expertenteams für diese Betreuungsaufgabe bereitgestellt (Customer Business Development). Zur Auslösung und Umsetzung des Kaufakts bei Absatzmittlern im Reinverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Durch die Offerte von Rabatten, Valutierung oder Bestellschluss soll ein Orderdruck ausgeübt werden. Problematisch ist dabei allerdings, dass Rabatt und Valuta beim Hersteller unmittelbar als Erlösschmälerungen wirken. Individuelle Koop-Aktionen entsprechen einem wichtigen Bedürfnis des Handels. Denn im Rahmen des Geschäftsstättenwettbewerbs muss jedem einzelnen Händler daran gelegen sein, sich gegenüber seinem Kundenpotenzial von anderen Händlern positiv zu differenzieren (Intrabrand Competition). Geschenke an Einkaufsentscheider sind als Bestechung im Handel strikt verboten. Einkäufer müssen alle erhaltenen Geschenke zentral melden oder deren Entgegennahme verweigern, weil zurecht befürchtet wird, dass ihre Entscheidung für oder gegen einen Lieferanten ansonsten nicht mehr nur aus objektiven Erwägungen heraus gefällt wird, sondern zumindest auch persönliche Vorteile dabei im Spiel sind. Einkäufer laufen hier ein hohes Risiko, denn häufig werden Verstöße nicht unmittelbar moniert, sondern wandern in die Personalakte. Sie lassen sich dann instrumentalisieren, etwa wenn es darum geht, einen Mitarbeiter ohne Abfindung (wegen Verstoß gegen die Betriebsordnung, evtl. Straftat) freizusetzen.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

7.7.2.3 Zielgruppe Absatzmittler im Rausverkauf Zur Erzeugung von Aufmerksamkeit / Kontakt bei Absatzmittlern im Rausverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Dem Verhaltenstraining für die Verkaufsgesprächsführung kommt große Bedeutung zu, weil der Handel oft mit gering qualifizierten, weil kostengünstig einsetzbaren Arbeitskräften agiert, welche die Feinheiten ihres Berufs nur zu einem Mindestmaß beherrschen wie Teilzeitbeschäftigte, Quereinsteiger, geringfügig Beschäftigte etc. Der Wissensschulung über Angebotsbesonderheiten vor allem bei erklärungsbedürftigen Produkten kommt angesichts raschen technischen Fortschritts und zunehmender Proliferation der Sortimente ein hoher Stellenwert zu, um den Überblick über Sortimente zu behalten. In der Anleitung durch Argumenter / Argumentationshilfe oder Verkaufshandbuch geht es sowohl um die Vermittlung von Kenntnissen zur Verkaufsgesprächsführung als auch um das bessere Verständnis der Produktleistung. Zum Ausbau von Interesse / Motivation bei Absatzmittlern im Rausverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Durch den Hinweis auf erfolgreiche Markttests soll einem wesentlichen Risiko des Handels entgegengewirkt werden. Denn dieser übernimmt es bei Neuprodukten, für dessen Hersteller den Markt zu bereiten. Bei der weithin sehr hohen Floprate (über 80 % bei FMCGs) ist dies sehr risikoreich und bedarf der Abfederung. Zudem neigt der Handel dazu, in Ergänzung seines Handelsmarken-Sortiments sein Einkaufsvolumen zur Erzielung von Mengeneffekten auf wenige Anbieter je Produktgruppe (Category) zu konzentrieren. Und zwar auf die bedeutendsten drei von ihnen. Oftmals werden Warenmuster zur persönlichen Überzeugung der Verkaufsberater eingesetzt. Wenn diese überzeugt sind, fällt es ihnen leichter, ihrerseits Endabnehmer zu überzeugen. Allerdings handelt es sich oft lediglich um eine Verbilligung des Einstandspreises, indem die kostenlosen Warenmuster wie die käuflich erworbene Ware aus dem Regal verkauft werden. Zur Auslösung und Umsetzung des Verkaufakts bei Absatzmittlern im Rausverkauf dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Zur Belohnung der Geschäftsstättentreue wurde früher das klassische Instrument der Rabattsammelmarken eingesetzt, das in verwandter Form heute wieder als Couponing auflebt. Ganz ähnlichen Zwecken dient die Ausstellung von Kundenkarten bei Geschäftsstättentreue, etwa von Warenhäusern. Für die Bereitstellung von Dekodienst und POS-Material liegt die Überlegung zugrunde, dass der Handelsplatzauftritt vom Handel selbst nur durch kontinuierlichen Einsatz qualifizierter Mitarbeiter, und damit sehr kostenaufwändig, zu bewältigen ist und daher häufig unterbleibt. Will also ein Hersteller Inhalt und Form seiner Warenpräsentation sicherstellen, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als dies in eigener Regie zu übernehmen. Der Unterstützung beim Kompetenzaufbau bzw. -ausbau des Handelsbetriebs liegt die Überlegung zugrunde, dass die Profilierung des Händlers in seinem Einzugsgebiet gegenüber dort konkurrierenden Händlern bei



7.   Konzept des Direktvertriebs341

ansonsten wenig differenzierten Leistungen wohl ausschlaggebend für seinen Geschäftserfolg ist. Denn der größte Konkurrent des einzelnen Händlers ist immer noch der gleichartige Händler am selben Ort / im Einzugsgebiet. 7.7.2.4 Zielgruppe Endabnehmer Zur Erzeugung von Aufmerksamkeit / Kontakt bei Endabnehmern dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Die Anpreisung über Demonstration, Degustation oder Sampling durch Propagandisteneinsatz oder Leihaußendienst ist eine vor allem für Food-Produkte erfolgversprechende Form der Promotion. Denn das unmittelbare Erleben der Produktleistung durch Probieren, Anfassen, Zeigen etc. überzeugt immer noch am meisten. POS-Werbemittel in Schaufenster und / oder Innenraum sind besonders bedeutsam, weisen sie doch Angebote am Ort des Verkaufs aus, wo überwiegend erst die Kauf- zumindest aber die Markenentscheidung fällt. Nur dadurch ist es jenseits der medialen Kommunikation möglich, in der konkreten Einkaufssituation präsent zu sein. Meist handelt es sich dabei um gedruckte Kommunikationsmittel wie Plakate, Deckenhänger, Regalstopper, Folder etc., zunehmend aber auch um elektronische wie Ladenfunk, Ladenfernsehen, elektronische „Kioske“ etc. Beim Hinweis auf die Produktausstattung (Onpack) handelt es sich weniger um Zugaben des gleichen Produkts, als vielmehr um Zugaben anderer eigener, ausnahmsweise auch fremder Produkte, die ein Cross Selling provozieren sollen, oder um die Zugabe von Werbegeschenken, die zum Sammeln anreizen oder geeignet sind, Goodwill und Beschäftigung mit dem Produkt zu generieren. Zum Ausbau von Interesse / Motivation bei Endabnehmern dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Mittels des Hinweises auf ein Warentest­ ergebnis steht die Risikoreduktion bei Abnehmern im Mittelpunkt, denn deren Beurteilungsvermögen ist bei komplexen und neuen Produkten leicht überfordert. Die Auslobung von Testergebnissen unterliegt jedoch engen rechtlichen Vorgaben. Das Angebot von Warenrückgabe, Warenwertgutschein, Umtausch oder Probeeinheit zur Risikoreduktion kann nur als Ultima ratio angesehen werden, denn diese massive Einschränkung der Transaktion stellt ihren Erfolg latent in Frage. Die Absicht besteht meist darin, Erstkäufer zu generieren, die infolge des gering eingeschätzten subjektiven Risikos ihrem bisherigen Produkt / Hersteller untreu werden. Durch Mehrfachplatzierungen auf Vorzugsplätzen (z. B. Kasse im LEH) oder Offshelf (z. B. im Display) wird beabsichtigt, neben dem Stammplatz in der Warengruppe zusätzliche Kontaktchancen außerhalb zu erreichen. Dabei sind diese regelmäßig mit Sonderpreisaktionen verbunden. Erfolgreich sind vor allem Out of Category-Platzierungen (z. B. Sauerkraut an der Fleischtheke). Zur Auslösung und Umsetzung des Kaufakts bei Endabnehmern dienen z. B. folgende Verkaufsförderungsmaßnahmen. Für Sonderkonditionen werden bei

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Zeigerwaren hochwertige Produkte bevorzugt, die, subventioniert durch eben diese Sonderkonditionen, sogar unter regulären Selbst- / Einstandskosten angeboten werden. Dies führt im Zuge des One Stop Shoppings zu hoher Attraktivität bei breiten Nachfragerkreisen. Die Idee der auflagenbegrenzten Sonderserie folgt dem Prinzip der Verknappung, das immer geeignet ist, eine erhöhte Nachfrage zu generieren und sogar höhere Preise am Markt durchsetzbar zu machen. Zu denken ist an Produkte in limitierter Stückzahl, mit begrenzter Bezugszeit oder in Extraausführung. Auch der Selektion der beteiligten Verkaufsstellen liegt das Prinzip der Verknappung zugrunde. Diesmal allerdings nicht in der Ware selbst, sondern in deren Erhältlichkeit. Davon profitieren die berücksichtigten Absatzmittler, indem sie Nachfrage von ihren lokalen Konkurrenten abziehen, die ein solches Angebot nicht machen können. 7.8

Fachwerbung

Werbung in Fachmedien (Professional Interest-Titel) betrifft die Ansprache von Personen in ihrer Eigenschaft als Berufsverantwortliche. Damit kommt der Fachwerbung eine grundsätzlich andere Bedeutung zu als der Publikumswerbung. Werbung wird in diesem Zusammenhang eher als berufsbedingte Information aufgefasst denn als verführerischer Schein. Dementsprechend sind Inhalt und Stil auch verschieden von dem der Publikumsansprache. Es werden primär geschäftsrelevante Argumente ausgelobt, wobei von der Anmutung her nicht selten die Endabnehmerwerbung, falls vorhanden, aufgegriffen wird. Die Inhalte beziehen sich jedoch auf Leistungsfähigkeit, Verkaufserfolg, Testmarktergebnis, Kostenersparnis etc. Diesen Argumenten kommt in der Fachwerbung eine nicht minder hohe Emotionalität zu, obgleich sie scheinbar rational ausgelegt sind. Dies ist auch völlig in Ordnung so, handelt es sich doch unzweifelhaft nach wie vor um Menschen, die umworben werden, die eher gefühls- denn verstandesgesteuert sind. 7.8.1

Mediaauswahl

Die Mediaauswahl stellt sich im Firmenkundenbereich völlig anders als bei Privatkundenansprache dar. Die Vielfalt der klassischen Mediengattungen reduziert sich auf Printmedien, vor allem Zeitungen und Zeitschriften (z. B. Lebensmittelzeitung, Textilwirtschaft). Innerhalb dieser Mediagattung gibt es zwar eine beinahe unüberschaubare Vielzahl von Titeln. Da jedoch der Fachwerbung meist eine Branchengliederung zugrunde liegt, reduziert sich diese Auswahl tatsächlich auf wenige Titel je Branche. Nun reicht das Fachwerbungsbudget regelmäßig nicht aus, eine Belegung aller Titel einer Branche zu finanzieren. Insofern hat auch hier ein Intramediavergleich stattzufinden. Allerdings liegen nicht, wie im Publikumsbereich, aus-



7.   Konzept des Direktvertriebs343

sagefähige Markt-Media-Analysen vor, die eine objektivierte Entscheidungsanleitung bieten. Vielmehr gibt es nur werbeträgereigene Daten, die mit Vorbehalten zu betrachten sind. Ein wichtiger Anhaltspunkt ist die Auflagenzahl. Falls diese IVW-geprüft ist, ist sie verlässlich, ansonsten unterliegen die Zahlen erheblichen Unwägbarkeiten. Gleichfalls ist wichtig, Informationen über die Leserschaft einzubeziehen. Und zwar nach Branche, Hierarchiestufe und Funktion getrennt. Daraus ergeben sich Anhaltspunkte darüber, ob die intendierten Zielpersonen auch tatsächlich eine Chance haben, durch einzelne Titel erreicht zu werden. Fachtitel sind wegen ihres arbeitsspezifischen Inhalts meist Pflichtlektüre für Berufsverantwortliche. Sie helfen, Markttrends zu erkennen, Neuheiten gewahr zu werden, Brancheninteressen zu erfassen, die Qualifikation zu steigern etc. Dementsprechend besitzen die Anzeigen darin ihrerseits höhere Chancen der Beachtung als im Publikum. Insofern kann Werbeträgerkontakt ausnahmsweise gleich Werbemittelkontakt gesetzt werden. Oft verfügen Verlage über Ergebnisse von Leserbefragungen, über Copytest-Daten oder Rücklaufzahlen aus Kennzifferndienst, Dialogangebot des Verlags, Responseelement etc. Daraus lassen sich weitere Anhaltspunkte ableiten. Schließlich sind auch die Insertionskosten von Bedeutung, die sich allerdings überwiegend, in Relation zu den Druckvorlagenkosten, in engen Grenzen halten. Entscheidenden Aufschluss gibt die Durchsicht von Musterexemplaren der Fachtitel. Daraus sind Elemente wie Papier- und Reproduktionsqualität, Seitenumfang, Anzeigenanteil, redaktioneller Stil etc. ersichtlich. Meist gibt es je Branche auch Pflichttitel, die von praktisch allen relevanten Entscheidern gelesen werden. Dabei ergibt sich generell das Problem der Bestimmung von Entscheidungsträgern im Rahmen multipersonaler Entscheidungsprozesse. Insofern geht es nur um die Ergänzung dieser obligatorischen Titel um fakultative. Da von Werbungtreibenden selten mehr als eine Branche angesprochen wird, ergibt sich somit der Mediaplan folgerichtig. Hinsichtlich des Werbetimings gibt es meist je Branche Saisonhöhepunkte, die allein aus Präsenzgründen („Flagge zeigen“) Insertionen zu diesem Termin erfordern. Dazu zählen nationale und internationale Messetermine. Außerdem gibt es Schwerpunktausgaben, die Themenkreise aufgreifen und sich zur Belegung anbieten. Schließlich gibt es die Orderzeit (z. B. für Süßwaren im Spätsommer), um eine etwaige Aktualisierung zu bewirken. Aufgrund einer gewissen Abhängigkeit der Fachtitel von den Branchenwerbungtreibenden sind diese zu weit gehenden Zugeständnissen bereit. So sind oft erhebliche Nachlässe gegenüber der Preisliste vereinbar. Außerdem sind Platzierungen auf der Titelseite möglich. Auch können unternehmensbezogene Nachrichten als Gegenleistung für Anzeigen im redaktionellen Teil (einer anderen Ausgabe) abgedruckt werden. Hinzu kommt die Möglichkeit zu Interviews, Titelstorys oder Unternehmensporträts. Fortdrucke dieser Ausgaben werden den

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Werbungtreibenden zur Verfügung gestellt. Gelegentlich kommt es sogar zu kostenlosen Mehrfacheinschaltungen. Eine Erfolgskontrolle ist in engem Rahmen durch den Rücklauf bei Kennzifferntiteln möglich. Dabei werden alle Anzeigen mit Kennziffern versehen, die über eine Responsehilfe (Postkarte, Coupon, Beihefter etc.) die Anforderung von Informationen erleichtert. Der Verlag leitet Anfragen an die Werbungtreibenden weiter, die dann ihrerseits direkt mit dem Interessenten in Kontakt treten können. Ähnliche Wirkung hat die Angabe von Adresse / Telefonnummer in der Anzeige zur Einholung von Informationen bzw. die Einsendung eines Coupons. Dennoch kommt der Fachwerbung eher Alibifunktion zu. Sie dient der Aktualisierung des Angebots bzw. Anbieters, der Präsenz im Wettbewerbsumfeld und der Erreichung neuer, nicht im Datenstamm vorhandener Interessenten. Ansonsten bieten die Möglichkeiten der Direktansprache, im Persönlichen Verkauf, über Aussendungen oder Telefonansprache, individuellere, bessere Akquisitionschancen. Oft hält Fachwerbung die Kontaktbrücke als Basis zu allen Kunden, wobei A- und B-Kunden zusätzliche Aktivitäten erfahren. 7.8.2

Mediaschaltung

Die Durchführung der geplanten Werbemaßnahmen baut auf einem Mediaplan auf, der sinnvollerweise Angaben zu Werbeträgern, Einschaltungen, Werbemittelausstattungen, Motiven, Sondervereinbarungen und Einschaltkosten enthält. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Bestimmung der zeitlichen Verteilung des Einsatzes. Dies erfolgt in einem Streuplan. Dieser ist eine optische Darstellung der zeitlichen Verteilung der Einschaltungen in Werbeträgern in Form eines Kalendariums. Die Kennzeichnung der Einschaltungen erfolgt durch Kreuze in der Woche des Erscheinungstermins bzw. Balken für die Dauer der Werbeträgerauflage. Als nächste Unterlage ist der Kostenplan wichtig. Dieser enthält im Einzelnen Angaben zu belegten Werbeträgern, Ausstattungen, Belegungsfrequenz, Einschaltkosten, Rabattierungen und Nettopreisen verschiedener Abstufungen. Daraus ergibt sich die Vorauszahlungsübersicht bei Zusammenarbeit mit einer Werbe- / Mediaagentur / Werbeberatung. Der vierte Plan ist der Produktionsplan. Dabei handelt es sich um eine Übersicht der zu erstellenden Produktionsvorlagen. Im Einzelnen sind darin aufgeführt Werbeträger, Ausstattungen, Einschalttermine, Produktionsverfahren, Einschaltvorlagen, Motive, Versandadressen und Deadlines zur Vorlageneinreichung. Alle Kostenbeträge und Produktionsvorlagen für nicht-klassische Werbemittel sind in gesonderten Plänen zu erfassen. Dabei geht man am besten mit einer exakten Beschreibung des Werbemittels wie folgt vor:



7.   Konzept des Direktvertriebs345

•• Format, Farbigkeit, Auflage, Anzahl der Abbildungen, besondere Ausstattungsmerkmale wie Stanzung, Prägung etc., besondere Verarbeitungsmerkmale wie Heftung, Falzung etc., Terminierung. Diese Daten werden zur Ausschreibung an mindestens drei potenzielle Lieferanten gegeben. Diese kalkulieren, und daraus wird das günstigste, nicht unbedingt das billigste Angebot ausgewählt. Bei Vergabe über eine Werbeagentur / einen Werbeberater kommen zumeist noch 17,65 % Service Fee-Aufschlag hinzu, dafür ist man dann aber von fehlerträchtigen Koordinationsaufgaben entlastet, so dass sich dieser Betrag leicht bezahlt machen dürfte, wenn man die ersparte Zeit in die noch bessere Betreuung von Kunden investiert. Unbedingt empfehlenswert ist auch die Führung einer Projektliste. Diese wird jeweils zum Wochenanfang aktualisiert und gibt Auskunft über den Arbeitsstand jedes Werbeprojekts. Dazu sind die folgenden Spalten in einem Arbeitsblatt / einer Bildschirmmaske vorzusehen: •• Projekt-Nummer (wichtig für die Kostenzurechnung), Projekt-Bezeichnung, Status des Projekts, Nächste Schritte, Zuständigkeit (intern oder extern) und Termin. 7.8.3

Gestaltungshinweise

Um ein konsistentes Erscheinungsbild des Absenders bei der Zielgruppe zu vermitteln und der Gefahr der Diffusität entgegen zu wirken, werden differenzierte Quellen der Kommunikation im Zuge der Integrierten Kommunikation zur gewünschten Profilierung eingesetzt. Dazu sind fünf Maßnahmenbereiche einsetzbar. Die Werbebotschaften sollen einer zentralen Aussage folgen, die über alle Medien unverändert beibehalten wird. Denkbar ist eine additive Ergänzung einzelner Teilbotschaften, eine völlige oder eine teilweise Wiederholung der Inhalte. Um eine gestalterische Klammer für alle Maßnahmen in den verschiedenen Medien zu erreichen, ist die gemeinsame Verwendung formaler Elemente angezeigt. Dazu gehören alle Corporate Design-Elemente als Stilkonstanten. Die Form kann jeweils medienadäquat adaptiert oder konstant durchgehalten sein. Die Maßnahmen sollen auch zeitlich koordiniert ablaufen. Nach der Intensität kann dabei unterschiedlich vorgegangen werden. Das Mix der eingesetzten Medien kann im Zeitablauf konstant bleiben oder variiert werden. Auch die Einsatzgebiete der Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt sein. Zu unterteilen ist nach lokalem, regionalem, nationalem, internationalem oder globalem Einsatz. Außerdem kann eine räumliche Verdichtung des Einsatzes vorgenommen werden.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Ziel ist eine effektive Arbeitsteilung der Medien zur optimalen Erreichung der Kommunikationsziele. Dabei sind weiterhin von Bedeutung die Mediengewichtung, d. h. der relative Anteil der einzelnen Medien am gesamten Mix, die Medienanzahl, d. h. die Vielfalt eingesetzter Medien, und die Zusammenfassung nach Medien, nach Zielgruppen oder auch kombiniert. Die Botschaften eines Absenders sollten eine zentrale Aussage beinhalten, die über alle Medien, zwar in medienadäquater Form abgewandelt, im Kern aber doch unverändert, übergebracht wird. Denkbar sind eine additive Ergänzung sowie eine völlige oder teilweise Wiederholung der Inhalte. Ziel ist dabei die Erreichung einer Corporate Identity. Daher ist es unbedingt empfehlenswert, einheitliche Gestaltungselemente beizubehalten. Diese müssen einmal gut durchdacht und angemessen geplant werden, um sie dann langfristig unverändert beizubehalten. Und falls Änderungen erforderlich sind oder als notwendig erachtet werden, sind diese nur in kleinen, vorsichtigen Schritten zu vollziehen. Die Stilkomponente betrifft die eigentliche kreative Gestaltung der Werbung. Als Gestaltungsmittel werden folgende Elemente eingesetzt. Die Tonalität (Tone of Voice) ist der Stil der Ansprache der Zielpersonen im Selbstverständnis des Kommunikators. Hier gibt es erhebliche Unterschiede. Manche Werbungtreibenden duzen ihre Zielpersonen, andere stellen sich sehr distanziert dar, manche argumentieren stark verklausuliert, wieder andere bemühen sich, allgemein verständlich zu bleiben. In jedem Fall werden mit der Wahl der Tonalität eminent wichtige Signale gesetzt, deren Nutzung gut überlegt sein will. Zur Visualität (Key Visual) gehören die Kernbilder zur Veranschaulichung der Leistung (Big Pictures). Solche Abbildungen sollen besonders merkfähig sein. Sie komprimieren eine komplexe werbliche Aussage auf eine einzige Szene, die, allgemein vertraut, einerseits das Bewusstsein der Problematik und andererseits die Problemlösung durch das Produkt selbst symbolisiert. Das Layoutraster ist eine ebenso prägnante wie zweckmäßige Flächenaufteilung nach gestalterisch bestimmten Ordnungsprinzipien. Dies unterstützt die Wiedererkennbarkeit eines Absenders. Meist wird diese Aufteilung ohnehin in umfänglichen CD-Manuals festgeschrieben und für alle Betroffenen als verbindlich erklärt. Dazu werden sämtliche gängigen Formate und Werbemittel durchdekliniert und hinsichtlich bestimmter grafischer Faktoren (wie Bild‑ / Text-Relation) beschrieben. Die Typographie betrifft die Auswahl und Anordnung von Schriften nach Zeichensatz, Stil, Punktgröße etc. Jedermann ist bewusst, dass es eine ganze Reihe verschiedener Zeichensätze, diese zudem noch in verschiedenen Schnitten und Größen, gibt. Ebenso geht es um die Textanordnung. Beide Elemente haben bestimmenden Einfluss auf die Anmutung von Werbemitteln, sollen daher



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mit Bedacht und Stringenz ausgewählt und eingesetzt, d. h. einheitlich bestimmt und für alle Werbeauftritte verwendet werden. Die Farbstimmung umfasst eine als Hausfarbe definierte Anmutung, die sich auf allen Werbemitteln (auch Packungen, Messeständen etc.) wiederfindet. Diese Farbe wird zumeist nach HKS- oder Pantone-Farbskalen oder in DTPColor-Management-Systemen vorgegeben. Dabei ist die unterschiedliche Bedeutung der Farben zu berücksichtigen. Bereits Nuancenverschiebungen können hier zu Irritationen führen. Im Einzelnen ist es dabei zweckmäßig, nach Schrift-, Bild-, Auszeichnungs- oder Fondteilen zu unterscheiden. Der Bildstil ist eine für einen Absender oder für ein Angebot typische Bildauffassung. Sie unterstützt die Alleinstellung des Absenders / Produkts durch die optische Inszenierung. Erweitert kann es sich auch um einen bestimmten Bildduktus als Bekenntnis zu einem typischen Illustrationsstil handeln, der die Prägnanz des Auftritts fördert, oder auch einen Videostil in der Bewegtbildkommunikation (Online). Das Logo fasst als merkfähiges Zeichen die Absendersignalisation des Werbungtreibenden zusammen. Es kann sich dabei um ein Wort-, Zahlen-, Bildoder kombiniertes Zeichen handeln. Seine Verwendung hat auch konkrete rechtliche Konsequenzen (Markenschutz). Insofern darf das Logo keinesfalls ungeplant verändert werden. Meist findet es sich am rechten unteren Rand von Werbemittel-Flächen und ist räumlich mit dem Slogan zu einer Verdichtung von Werbebotschaft und Absender verbunden. Der Slogan ist die in einem Satz zusammengefasste Kernaussage an die ­ dressaten. Einprägsame, stimmige Slogans sind extrem schwierig zu finden, A setzen sich aber, hinreichende Penetration vorausgesetzt, in den Köpfen der Menschen fest. Jingles dienen der zusätzlichen emotionalen Untermalung der Werbebotschaft. Je nach Produktart haben sie eine erhebliche werbliche Bedeutung (z. B. IntelProzessor). Dabei ist vor allem der Audio-Visual-Transfer von Bedeutung, der die Bildkomponente der Werbebotschaft bei jeder Tonwiedergabe aktualisiert. 7.8.4

Anhaltspunkte für „gute“ Werbung

Immer wieder stellt sich die Frage, ob es belastbare Regeln für „gute“ Werbung. Dies muss (leider) eindeutig mit Nein beantwortet werden. Werbliche Umsetzungen sind so individuell wie das jeweilig zu lösende Kommunikationsproblem. Dennoch lassen sich einige notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingungen für erfolgreiche Werbung finden, die im Folgenden erläutert sind. Fachwerbung muss eigenständig und unverwechselbar sein, um das eigene Angebot vom relevanten Wettbewerb positiv zu differenzieren. Jede Verwechslungsfähigkeit der Kommunikationsmaßnahmen eines Werbungtreibenden mit

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

denen konkurrierender Werbungtreibender muss weitestgehend ausgeschlossen werden. Denn sonst bedeutet Werbung bestenfalls unproduktive Mittelverwendung, schlechtestenfalls, bei Übereinstimmung innerhalb einer Produktgattung, sogar Unterstützung der Konkurrenz. Fachwerbung muss kontinuierlich angelegt sein, da nur stete, konsistente Einwirkung Lernergebnisse zeitigt. Damit sich das Profil eines Angebots in Konkurrenz zu allen anderen täglich zu verarbeitenden und im Regelfall weitaus wichtigeren Informationen entwickeln und halten kann, müssen Werbemaßnahmen längerfristig planvoll erfolgen. Fachwerbung muss Inhalte vermitteln, die plausibel und interpersonell argumentierbar sind. Es reicht nicht aus, nur ästhetisch Formales zu bieten. Spätestens, wenn die Zielgruppe feststellt, dass sich hinter der schönen Fassade wenig Substanzielles verbirgt oder etwas ganz anderes als vermutet, lässt die Begeisterung spürbar nach. Auf Dauer vermögen somit nur Inhalte zu fesseln. Fachwerbung muss vor allem Kaufsicherheit als Äquivalent zum gezahlten Geldbetrag erzeugen. Und zwar umso mehr, je höher der Kaufpreis ist. Diese Sicherheit entsteht aus Vertrauen, das freilich nur gewonnen werden kann, wenn keinerlei Zweifel entstehen, dass das Produkt wirklich über die ausgelobten, besonders geschätzten und bewusst gesuchten Eigenschaften verfügt. Fachwerbung muss flexibel angelegt sein, um zwanglos auf aktuelle Marktströmungen und Nachfragetrends einzugehen. Statt Starrheit ist Adaptation von Zeitströmungen erforderlich, ohne allerdings die Typik des Auftritts zu verlieren. Dies gelingt nur bei einem schrittweisen, überlegten, beinahe unmerklichen Vorgehen, so dass Veränderungen vollzogen werden können, ohne die Zielgruppe zu irritieren. Fachwerbung muss sich auf eine zentrale Aussage konzentrieren, denn bei der weit verbreitet zu unterstellenden, geringen Aufmerksamkeit haben mehrere Botschaften kaum eine nennenswerte Chance, wirksam überzukommen. Diese Kernaussage ist das Konzentrat aller werblichen Bemühungen mit dem Ziel, die typprägenden Eigenschaften eines Angebots beim Publikum zu verfestigen, ein besseres Verständnis und die Erinnerbarkeit der Werbeaussage zu erzeugen. Fachwerbung soll möglichst die Kernaussage beweisen, weil man geneigt ist, werblichen Aussagen skeptisch gegenüber zu treten. Der Beweis muss glaubhaft und stimmig geführt werden, d. h. auch wirklich der vollständigen Unterstützung dessen dienen, was behauptet wird. Hilfreich ist es zudem, wenn die Beweise umfassend und abwechslungsreich sind. Fachwerbung muss eine Begründung für die Angebotswahl liefern, die überzeugend und nachvollziehbar ist. Also darlegt, warum und wie die besonders vorteilhaften Eigenschaften eines Angebots zustande kommen. Damit wird ein Wahlentscheid zudem interpersonell kommunizierbar, weil nunmehr rationale Argumente anstelle schwer vermittelbarer Gefühle verfügbar sind.



7.   Konzept des Direktvertriebs349

Fachwerbung muss den Angebotsnutzen erlebbar machen, denn nur das Nutzenversprechen reizt zur Auseinandersetzung mit dem Angebot. Dessen begehrenswerte Auslobung schafft eine hohe Anziehungskraft am Markt. Letztlich ist für das Publikum nur dieser Nutzen von Bedeutung. Je unmittelbarer und einleuchtender er dargestellt wird, desto höher sind die Kaufappetenz und auch die Preisbereitschaft einzustufen. Fachwerbung muss die Marke als Absender deutlich machen, um die affektive Zuwendung auf das richtige Angebot zu kanalisieren. Alle zugeschriebenen positiven Eigenschaften müssen eindeutig auf den Namen des Absenders zurückgeführt werden können. So wie man Menschen durch Namen voneinander unterscheidbar macht und nicht durch vage, missverständliche Umschreibungen, so werden auch Produkte erst durch ihre Marke differenzierbar und bewusst wählbar. Insofern kommt der Absenderkennzeichnung zentrale Bedeutung in der Werbung zu. Und schließlich und vor allem muss Fachwerbung auffallen, denn das ist die notwendige Voraussetzung für jedwede erfolgreiche Werbung. Um in das Bewusstsein der Zielpersonen vorzudringen und zur weiteren Beschäftigung mit den Werbeinhalten anzuregen, ist die Umsetzung so zu gestalten, dass sie zur Auseinandersetzung anreizt. Erst dann kann es zur nachhaltigen Verarbeitung der kommunikativen Kernaussage kommen. Als weitere Anhaltspunkte für die kreative Gestaltung gibt es beliebte Techniken der Umsetzung in der Werbung, die zumindest als Ideenanregung genutzt werden können: •• Bei Nutzerzeugen (Testimonial) handelt es sich um Verwender, die sich zum beworbenen Produkt bekennen und es i. d. R. auch selbst nutzen. Sie überbringen somit glaubhaft die Werbebotschaft. Zu unterscheiden sind Experten als authentische Kundenzeugen, „erfundene“ Experten oder „erfundene“ Nutzer /  Verwender. •• Prominente (Celebrity) setzen sich als Testimonial für ein Produkt ein. Dies ist nur sinnvoll, wenn man ihnen die Beurteilung des Produkts tatsächlich glaubhaft abnimmt. Dies dürfte im Fachwerbungsbereich selten der Fall sein. •• Der Präsenter (Spokesman) ist ein Repräsentant, der das Produkt auf mehr oder minder geschickte Weise anpreist. Dabei handelt es sich um Unternehmensangehörige wie Manager, Vertriebler, Mitarbeiter etc. •• Ein Demonstrator führt den Produktvorteil vor, indem die Wirkung oder Anwendung des Produkts in einer realitätsnahen Situation erfolgt. Dabei wird erläutert, welche Problemstellungen gelöst werden können, wie man bei der Lösung vorgeht, durch welche besonderen Eigenschaften des Produkts die Problemlösung gelingt etc. Meist werden dazu Personen der Zielgruppe eingesetzt, mit denen sich die Werbeadressaten identifizieren können.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• Humor erregt in der Werbung Aufmerksamkeit, fördert das Verständnis der Botschaft und unterstützt die Sympathie des Absenders. Wenn Humor allerdings zum Selbstzweck wird, also nicht durch die Produktleistung „geerdet“ ist, lenkt er vom Produkt ab (Vampireeffekt). Ebenso sind die Geschmäcker darüber, was humorvoll ist, interindividuell verschieden. •• Kompetenz bedeutet, dass der Stil dieser Werbung bewusst distanziert und technokratisch gehalten ist, er soll damit Respekt vor der Leistungsfähigkeit des Anbieters erreichen und seine Produkte besonders qualifizieren. Dies gilt vor allem für solche Produkte, die anderweitig nicht viel hergeben und auf diese Weise dramatisiert werden oder die ohnehin im Hightech-Bereich angesiedelt sind. •• Bei der Erzählung (Narrative / Storytelling) wird über ein Produkterlebnis berichtet, ohne vordergründig werblich zu sein. Dabei handelt es sich meist um eine kleine Geschichte, deren Aufbau jedoch, soll er nachvollziehbar sein, kostbare Werbefläche / -zeit beansprucht, die für das beworbene Angebot verloren geht, so dass die Hinführung oft fragmentarisch bleibt, worunter dann die Verständlichkeit leidet. •• Beim Torture Test wird das Produkt Extremanforderungen unterworfen und bewiesen, dass wenn es sogar diesen standhält, es sich erst recht in den ihm eigentlich zugedachten, weniger herausfordernden Situationen bewährt. Insofern wird eine beabsichtigt überzogenes Erschwernis für die Leistungsentfaltung vorgesehen. •• Bei einer Symbolic Demonstration wird die Produktleistung auf Analogiebasis dramatisiert, also nicht in einer realitätsnahen, wohl aber direkt übertragbaren Situation. Dazu dienen oft Computeranimationen, die Vorgänge veranschaulichen, die ansonsten unsichtbar oder unspektakulär sind. Auf diese Weise ist es möglich, komplexe, meist chemische oder physikalische Zusammenhänge, die für das Verständnis der Produktleistung wichtig sind, vereinfacht darzustellen. •• Ausgangspunkt der Vorher-Nachher-Situation (Problem-Problemlösung) ist dabei ein nach aller Erfahrung verzwicktes Problem, welches das beworbene Produkt dennoch in der Lage ist zu lösen. Daraus folgt auch Anerkennung für den Entscheider im Kollegenumfeld und bei Vorgesetzten, also soziale Aspekte von erheblicher Bedeutung. •• Beim Side by Side-Vergleich wird die Überlegenheit des eigenen Produkts parallel zu meist anonymisierten Konkurrenzprodukten bewiesen. Die Wirkung erlaubter vergleichender Werbung wird in der Wissenschaft unterschiedlich beurteilt. •• Im Nutzenfacetten-Beispiel wird exemplarisch eine behauptete Teilleistung bewiesen und darauf gebaut, dass dieses Beispiel im Wege der Irradiation auch auf alle anderen Teilleistungen übertragen wird. Dies ist eine clevere Möglichkeit, komplexe Argumente in konsumierbare Einheiten zu portionieren.



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7.   Konzept des Direktvertriebs351

Streuprospekt

Streuprospekte dienen der vertieften, aussagefähigen Erläuterung eines Angebots. Sie realisieren eine Informationsfülle, wie sie in anderen Medien nur schwer überzubringen ist. Oft wird eine ganze Serie von Broschüren, Folders, Flyers etc. aufgelegt, die von der Gesamtübersicht gestaffelt bis zum Detaileinblick reichen. Das bietet sich für Angebote an, die komplex und erklärungsbedürftig sind. Solche Literaturstücke sind meist ausführlich betextet und reich bebildert, enthalten technische Angaben, Einsatzbeispiele etc. Sie werden an Multiplikatoren überreicht oder gezielt versendet und helfen den Kontakt zu Kunden herzustellen oder diese zu binden. Für den Inhalt ist ein klarer didaktischer Aufbau erforderlich, der dem Leser logische Lernschritte und somit Erfolgserlebnisse ermöglicht. Eine Ausgewogenheit ist durch Unterteilung der Information in etwa gleich lange Kapitel herzustellen. Sätze sind knapp zu formulieren, d. h. nicht mehr als 20–25 Worte und zwei Präpositionen pro Satz. Ein gewisses Maß an Redundanz ist hilfreich, z. B. durch Zusammenfassungen, Merksätze, Übersichten. Der Einsatz von Farben nutzt deren psychologische Wirkung und kennzeichnet wichtige Textpassagen. Handlungsabläufe werden am besten tabellarisch dargestellt, so entsteht eine größere Transparenz, die selektives Lesen, leichte Orientierung und das Erkennen von Zusammenhängen ermöglichen. Es sollte eine kooperative Tonalität verwendet werden. Exotische Fremdwörter sind zu vermeiden. Unvermeidbare Fachwörter sind bei erstmaliger Verwendung zu erklären. Für gleiche Dinge und Tätigkeiten sind stets gleiche Begriffe zu verwenden. Ebenso ist für eine Synthese von Text und Bild zu sorgen. Bilder / Grafiken lockern den Lesefluss auf. Abkürzungen sollen vermieden oder zu Beginn zumindest erklärt werden. Beim Format muss bedacht werden, dass der Prospekt im Zweifel einfach / kostengünstig zu verschicken ist. Dazu bietet sich ein Lang-DIN-Format an. Beim Gewicht des Literaturstücks ist auf die einschlägigen Portogrenzen zu achten. Zum Gewicht des Poststücks gehören auch das Anschreiben, der Briefumschlag, das Reaktionswerbemittel (Postkarte etc.) und die Briefmarke. Als Variable des Gewichts ist die Papierstärke wichtig. Hier sollten 100 gr / qm nicht unterschritten werden. Bei mehrseitigen (gelumbeckten, gehefteten oder heißgeklebten) Druckwerken kann evtl. ein stärkeres Papier nur für die Umschlagseiten verwendet werden. Überlegenswert ist auch eine Lackierung der Umschlagseiten, die diese schmutzabweisend macht. Damit ist ein besserer Dauereindruck gewährleistet. Denkbar sind bei aufwändigerer Gestaltung auch ein- oder zweiseitig ausklappbare Seiten sowie Ausstanzungen oder Pergamentpapier als Trennseiten. Es empfiehlt sich, Literaturstücke trotz der erheblichen Kostendegression bei höheren Druckauflagen, nur in kleinen Auflagen (Reichweite ca. sechs Monate) aufzulegen, da sich erfahrungsgemäß zwischenzeitlich Änderungen ergeben haben, die ohnehin eine Neuauflage erforderlich machen.

352

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Empfehlenswert ist auch die Anlage von zwei Dokumentationen, eine Kurzversion als „Streuartikel“ und eine Langversion für die ausführliche Darstellung. Eine geschickte Konzeption läuft dabei darauf hinaus, dass sich die Kurzversion aus der Langversion als „Abfallprodukt“ ergibt. Für die Aufteilung der Inhalte ist ein Handmuster 1 : 1 hilfreich. Eine weitere Möglichkeit ist die themenspezifische Auslegung mehrerer Dokumentationen. Als Aufhänger können dafür Anwendungssituationen, aber auch häufig vorkommende Fragen / Anliegen dienen. Dabei ist immer auf eine enge Kopplung dieser Fachinformationen an den Absender zu achten. Praktisch können dazu, wenn rechtzeitig eingeplant, entsprechende Seiten in den Ablauf einer Rahmenbroschüre integriert werden. Auf diese Weise ist eine leichte Aktualisierung durch Austausch einzelner Seiten möglich. Verbreitet sind auch Präsentationen auf DVD / Blue-ray. Abgesehen von der recht aufwändigen Erstellung solcher Werke wohnt ihnen immer auch eine gewisse Inflexibilität und emotionale Kälte inne, wohingegen Marktleistungen von der Beziehung der Menschen zueinander leben („People Business“). Häufiger sind aber heute Erklärvideos (Tutorials) im Internet anzutreffen. Diese sind gedruckter Verkaufsliteratur durch ihre Bewegtbilddarstellung überlegen und elektronischen Speichermedien durch ihre ubiquitäre Verfügbarkeit. Tutorials werden von Nutzern sehr geschätzt, weil sie konkrete Problemlösung bieten.



8.

8.   Konzept des Indirektvertriebs353

Konzept des Indirektvertriebs

Im Unterkapitel „Konzept des Indirektvertriebs“ werden die Elemente des nur mittelbaren Kontakts des Herstellers einer Sach- oder Dienstleistung zu seinen gewerblichen oder privaten Endabnehmern unter Zwischenschaltung von Absatzmittlern betrachtet. Dazu wird zunächst der Handel als Institution dargestellt (8.1) und dann der Handel in seinen Funktionen (8.2). Die Institutionen ergeben sich nach Zugrundelegung von Einteilungskriterien (8.3) als Einzelhandels­ betriebe mit B-t-C-Charakter einerseits (8.4) und als Großhandelsbetriebe mit ­B-t-B-Charakter andererseits (8.5). Kennzeichnend für die Handelslandschaft ist eine hohe Dynamik der Betriebsformen, auf die im Absatz 8.6 eingegangen wird. Schließlich stellt sich die Frage der Transparenz im Vertriebskanal (8.7). Leser kennen nach Durchsicht die verschiedenen, möglichen Ausprägungen des Indirektvertriebs. Sie können deren komparative Vor- und Nachteile bewerten. Und sie sind in der Lage, diese Erkenntnisse auf Vertriebssituationen in Theorie und Praxis zu transferieren. 8.1

Handelsinstitutionen

Institutional werden die Träger der Handelstätigkeit unterschieden, vor allem der Einzelhandel als Handel mit privaten Endabnehmern und der Großhandel als Handel mit Wiederverkäufern (und Weiterverarbeitern bzw. Großabnehmern). Es können aber durchaus noch weitere Stufen im Absatzkanal einbezogen sein. Ein Betrieb ist eine technische, soziale, wirtschaftliche, umweltbezogene Einheit mit selbstständiger Entscheidung und eigenen Risiken. Betriebe zur Fremdbedarfsdeckung werden auch Unternehmen genannt, Betriebe zur Eigenbedarfsdeckung Haushalte. Bei den Betrieben zur Fremdbedarfsdeckung gibt es Gewinnungsbetriebe, Be- und Verarbeitungsbetriebe sowie Dienstleistungsbetriebe, zu denen Handelsbetriebe gehören. Die Funktionen, die im Vertriebskanal anfallen, sind unabhängig von den Institutionen, die sie wahrnehmen. Sie können von Handelsbetrieben wahrgenommen werden, die für die Erfüllung dieser Funktionen eine Handelsspanne einbehalten. Sie können aber auch von Herstellerbetrieben (rückwärtsverlagert) oder Endabnehmerbetrieben bzw. -haushalten (vorwärtsverlagert) wahrgenommen werden. Jedes Unternehmen muss für sich ermitteln, ob die Wahrnehmung dieser Funktionen kostengünstiger selbst, verbunden mit der Einsparung von Handelsspanne, oder durch Handelsbetriebe, verbunden mit der Abtretung von Handelsspanne, erfüllt werden können, oder ob Funktionen auf Endabnehmer verlagert werden können (Externalisierung), regelmäßig gegen Preisnachlass. Diese Entscheidung fällt von Unternehmen zu Unternehmen verschieden aus. Letztlich geht es um eine Abwägung der Anreize (Zusatzgewinn, Konkurrenzvorteil) und Beiträge (Funktionswahrnehmung).

354

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Der Handel stellt eine Mischung aus Warenprozess- und Dienstleistung dar, wobei der Dienstleistungsanteil teilweise kaum mehr wahrnehmbar ist (z. B. Selbstbedienungsgeschäfte). Dennoch wird der Handel dem Dienstleistungssektor zugeordnet. Von besonderer Bedeutung für die Leistungserstellung ist der Mensch als Dienstleister. Von ihm hängt der Aufbau eines akquisitorischen Potenzials (= Kundenpräferenz) entscheidend ab. Zugleich stellt der Mensch aber auch den Engpass für den Markterfolg dar. Der Wiederverkäufermarkt ist die Drehscheibe zwischen Herstellern als Vorverarbeiter und Abnehmern als Weiterverarbeiter oder Endabnehmern. Im Reinverkauf ergibt sich eine Bündelungswirkung, im Rausverkauf eine Dispersionswirkung. Daraus leitet sich die überragende Bedeutung des Handels im Vertriebskanal ab. Absatzmittler übernehmen bei der Vermarktung viele Funktionen. Da die Waren selbst meist unverändert bleiben, wurde allerdings die Produktivität des Handels früher in Zweifel gezogen (Physiokraten). Damit eng verbunden ist die moralische Berechtigung für den Einbehalt eines Gewinnaufschlags. Der Wiederverkäufer ist vom ihm zur Verfügung gestellten Warenangebot seiner Zulieferer abhängig, denn dieses bestimmt seine akquisitorische Wirkung in der Zielgruppe. Ist kein vorteilhaftes Angebot verfügbar, reagiert der Handel durch Angebot eigener Waren (Handelsmarken). Diese treten zunehmend in Konkurrenz zu den Herstellerwaren. Es herrscht eine latente Konfliktsituation zwischen Hersteller- und Handelsstufe vor, beide verfolgen eigenständige Ziele, die untereinander in einer Vielzahl von Fällen konfliktär sind. In vielen Fällen haben Händler von Herstellern die Führerschaft im Vertriebskanal übernommen. Der Wiederverkäufermarkt ist durch einen hohen Konzentrationsgrad gekennzeichnet. Die daraus resultierende Nachfragemacht nutzt der Handel zur Durchsetzung eigener Interessen. Die dabei eingesetzten Mittel sind nicht immer frei von Kritik durch die Marktpartner. Die Marktstruktur ist sehr heterogen. Dies drückt sich durch verschiedene Geschäftsmodelle, Marktarten, Geschäftsgrößen etc. aus, die in Betriebsformen des Handels zusammen gefasst werden. Diese rubrizieren die Vielfalt der Realität zu intern einigermaßen homogenen Gruppen. Es herrscht eine Orientierung am Preis als wesentlichem Konkurrenzparameter vor. Dies drückt sich durch vielfältige Aktionen aus, die wiederum günstige Einkaufskonditionen vorausbedingen. Andere Aktionsparameter setzt der Handel nur zögerlich ein, mit verhängnisvollen Ergebnissen für die Branche. Es ist ein Geschäftsstättenwettbewerb gegeben, d. h., die Markenpräferenz der Industriestufe wird in eine Geschäftsstättenpräferenz der Absatzmittlerstufe umgewertet, bei der jeder Händler um die Ecke der schärfste Mitbewerber ist (von der Interbrand Competition zur Intrabrand Competition). Die Warenumschlaggeschwindigkeit ist von großer Bedeutung für den Betriebserfolg. Sie bestimmt über Kapitalbindungskosten und Flächenproduktivität unmittelbar die Rentabilität des Betriebs. Daher rückt sie im Controlling über integrierte Erfolgsermittlungssysteme in den Vordergrund (siehe Abb. 70).



8.   Konzept des Indirektvertriebs355

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Abb. 70: Handelsmerkmale

8.2

Handelsfunktionen

Funktional lassen sich diverse Handelsfunktionen unterteilen, die von den Handelsbetrieben wahrgenommen werden und neben dem reinen Waren- und Geldfluss auch den Informationsfluss umfassen. Diese werden im Folgenden näher beleuchtet. Aus der Kennzeichnung des Handels als Dienstleister folgt, dass die von ihm erbrachten Leistungen in vielen Fällen nicht unmittelbar erkennbar sind. Handelsfunktionen können in vier umfassende Bereiche eingeteilt werden: die Raumüberbrückung, die Zeitüberbrückung, die Kundenakquisition und den Mengenausgleich. Zunächst zur Raumüberbrückung. Diese bedeutet die Anpassung von Angebot und Nachfrage durch inner- und zwischenbetrieblichen Transport. Der Handel gleicht den von der Erstellung räumlich abweichenden Bedarf aus, indem er Waren vom Ort der Herstellung an den Ort des Ge- oder Verbrauchs bzw. zumindest in dessen unmittelbare Nähe verbringt. Ohne den Handel ist eine flächendeckende, differenzierte Versorgung der Nachfrage somit nur schwer vorstellbar.

356

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Die Zeitüberbrückung bedeutet die Anpassung von Angebot und Nachfrage durch Lagerung und Vordisposition. Der Handel gleicht damit den von der Nachfrage zeitlich abweichenden Anfall von Angebot und allgemeine Nachfrageschwankungen (z. B. Saisons) durch eigene Vorratshaltung aus. Dabei achtet er darauf, eine kontinuierliche Versorgung mit einem für ihn repräsentativen Angebot zu ermöglichen, ohne dabei unnötig hohe Vorräte aufzubauen. Die Kundenakquisition bedeutet die Absatzsteigerung der Waren des Herstellers. Dies erfolgt auf vielfältige, essentielle Weise, so durch: •• Kreditgewährung als Absatzfinanzierung des Handels an Endabnehmer, dadurch wird deren diskretionäre Kaufkraft erhöht, die von diesen in vermehrte Warenkäufe umgesetzt wird; •• Nachfragegenerierung über Informationsabgabe in Medien (Händlereigenwerbung) oder persönlich durch Anfragenbearbeitung, Bemusterung, Vorführung etc.; •• Angebots- und Nachfrageermittlung bzw. -lenkung über Bedarfserfassung und -beeinflussung, d. h. Eruierung der Bedarfe und Fahndung nach Waren, die diese befriedigen können bzw. Veränderung von Nachfrage und Angebot zur Markträumung und Potenzialnutzung; •• Markterschließung für Hersteller beim Angebot von Neuprodukten, die zunächst noch unbekannt sind und daher vom Handel auf eigenes Risiko ins Sortiment aufgenommen und Abnehmern initiativ angedient werden müssen; •• flexible Preisgestaltung, dadurch ist die gezielte Positionierung und Förderung bestimmter Waren darstellbar; •• Veredelung der Waren im Angebotsumfeld (Erlebnishandel) zur Stimulierung des Einkaufs durch ein Bündel aus Hardware und Software, also purer Ware und verbundenem Serviceeinsatz; •• Beratung beim Kaufentscheid sowie Services davor und danach, wobei die Kompetenz und Akzeptanz des Handelsberaters einen immateriellen Mehrwert zugunsten des empfohlenen Produkts darstellt und dieses damit aktiv forciert; •• Endkundenkontakt und Vertriebsvollzug mit physischer Warenübergabe und Inkasso, also konkrete Interaktion zwischen Kunde und Produkt mit Waren-, Geld- und Informationsübergang; •• Kundenpflege über Erzielung von Käuferpräferenz, diese fördert über Kundenzufriedenheit die Marken- und Geschäftsstättenloyalität, dazu gehört auch das Handling von Reklamation, Kulanz, Umtausch etc; •• Gewährleistung von Einkaufsbequemlichkeit und -schnelligkeit, dadurch wird eine vergleichsweise leichte Bedarfsdeckung für anspruchsvolle und zeitlimitierte Nachfrager möglich.



8.   Konzept des Indirektvertriebs357

Der Mengenausgleich bedeutet die Strukturierung des Angebots nach manifesten oder vermuteten Nachfragerwünschen. Dies erfolgt durch: •• Aufsplittung großer angelieferter Lose in verbrauchsgerechte Teilmengen, denn Hersteller stellen Waren in Losgrößen bereit, die für Abnehmer nur ausnahmsweise interessant ist. •• Warenumgruppierung nach Handels- und Güteklassen, so werden Lieferungen verschiedener Hersteller zu homogenen Einheiten aufgebrochen und neu angeordnet, dies schafft eine bedarfsgerechte Qualitätsübersicht. •• Preisanpassung nach Tragfähigkeit einzelner Waren im Rahmen des Sortimentsverbunds, dies kommt durch interne Subventionierung von Ausgleichsnehmern durch Ausgleichsgeber zustande. •• Zusammenstellung von Einzelbedarfen zu rentablen Auftragslosen, die gemeinsam geordert und abgerufen werden können, um eine unkomplizierte, differenzierte Bedarfsdeckung zu ermöglichen. •• Sortimentsgestaltung nach ausgedrückter oder vermuteter Bedarfsstruktur der Abnehmer, wobei der Handel umso erfolgreicher ist, je kongruenter sich sein Sortiment zu den Bedarfen seiner Zielgruppe darstellt. 8.3

Einteilungskriterien des Handels

Es wurde bereits ausgeführt, dass der Wiederverkäufermarkt äußerst heterogen strukturiert ist. Um dennoch etwas Übersicht darin zu gewinnen, hat man bereits früh begonnen, nach Klassifikationen zu suchen bzw. die Handelsbetriebe zu typologisieren, um zu Betriebsformen des Handels zu gelangen. Dazu bedarf es jedoch zugrunde zu legender Kriterien (siehe Abb. 71). Die Sortimentsbreite gibt die Anzahl verschiedenartiger, additiver Artikel innerhalb des Handelsangebots wieder. Eine hohe Sortimentsbreite meint, dass der Handel viele verschiedenartige Warengruppen führt, und umgekehrt. Eine hohe Sortimentsbreite führt in Richtung des Universalhandels, eine geringe in Richtung des Spezialhandels. Die Sortimentstiefe gibt die Anzahl gleichartiger, alternativer Artikel innerhalb des Handelsangebots wieder. Eine hohe Sortimentstiefe meint, dass der Handel viele verschiedene Varianten innerhalb einer Warengruppe führt, und umgekehrt. Bei gleicher Geschäftsgröße geht eine hohe Sortimentstiefe zu Lasten der Sortimentsbreite und umgekehrt. Das Sortimentsniveau gibt den allgemeinen Qualitätslevel wieder, auf dem das Warenangebot einzuordnen ist. Denkbar sind Abstufungen von anspruchslos über gediegen bis zu luxuriös, wobei die Spannbreite mehr oder minder groß sein kann. Am Markt prosperieren sowohl hoch qualitativ angelegte Sortimente als auch solche, die nur bescheidenen Ansprüchen genügen.

358

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Einteilungskriterien des Handels Sortimentsbreite

Sortimentstiefe

Sortimentsniveau

Sortimentsinhalt

Sortimentsausrichtung

Preisniveau

Standortwahl

Beeinflussungs-Mix

Akquisitionsform

Abgabeprinzip

Verkaufspunkt

Integrationsform

Organisationsanbindung

Güterart

Abb. 71: Einteilungskriterien des Handels

Der Sortimentsinhalt bezieht sich auf die wahrgenommene Artikelart, z. B. nach Kaufbedeutung (High Interest / Low Interest), Warenselbstverkäuflichkeit (problemlos / erklärungsbedürftig), Entscheidungsbedeutung (Gewohnheits-, Spontan-, Sozialkauf) oder Kauffristigkeit (langlebig / kurzlebig). Dies hat entscheidende Konsequenzen für die Profilierung des Handels. Die Sortimentsausrichtung kann sich an der Homogenität angebotener Artikel in Bezug auf gleiche Materialien (z. B. alles aus Keramik), gleiches Wissen (z. B. Arzneimittel) oder gleiche Problemlösung (z. B. Do it yourself) orientieren. Ziel ist dabei immer die Realisierung von Synergieeffekten bei Werkstoffen, Verfahren und Anwendungen.



8.   Konzept des Indirektvertriebs359

Das Preisniveau bezieht sich auf die geforderte Gegenleistung der Abnehmer für das Warenangebot. Denkbar sind hier Abstufungen von aggressiv über konventionell bis exklusiv, wobei diese Preise durchgängig starr oder flexibel gehalten sein können. Aggressiv sind Preise, die beständig und erheblich unter dem marktüblichen Niveau liegen und umgekehrt. Flexible Preise sind von wechselnden Sonderangeboten durchbrochen. Die Standortwahl beschreibt die gewählte Geschäftslage. Bestimmend sind hier mikro- oder makroökonomische Kennzeichen, die bei ersteren zu Einteilungen in zentrale Haupt-(City-)Lage, innerstädtische Neben-(City-)Lage, Wohn­ gebiets-(Stadtrand-)Lage, Rand-(Vorort-)Lage, Außenlage (grüne Wiese) etc. führen, bei letzteren zu Einflussgrößen wie Verkehrsanbindung, Betriebsmittelbeschaffung, Steuerbestimmungen etc. Der Beeinflussungs-Mix umfasst Kommunikation, Konditionen und Service des Handels, die zur Kundengewinnung und -bindung eingesetzt werden, wie Merchandising, Rabattierung, Kundendienste etc. Da damit immer zugleich auch Kostenpositionen verbunden sind, kann eine durchaus abweichende Politik eingeschlagen werden. Die Akquisitionsform meint den Warenübergang und die Bedienung. Dabei kann nach Hol- (Residenz-, z. B. Laden- und Lagergeschäft) oder Bringprinzip (Domizil-, z.  B. Haustür- und Versandhandel) unterschieden werden, wobei erstere wiederum primär entnahme- (z. B. Selbstbedienung und Medien) oder übergabeorientiert (z. B. Fremdbedienung und Vorwahl) sein können. Dazwischen sind beliebige Abstufungen und Kombinationen umsetzbar. Das Abgabeprinzip betrifft in verschiedenen Abstufungen die Erhältlichkeit angebotener Waren. Dies kann von undifferenzierter Verfügbarkeit (z. B. Automatenverkauf) bis zu unterschiedlicher persönlicher Privilegierung gehen (z. B. Mitarbeiter, Gewerbetreibende, Verbandsmitglieder). Jede Art der Selektion muss allerdings enge wettbewerbsrechtliche Restriktionen beachten. Der Verkaufspunkt meint die Standortfixierung des Betriebs. Denkbar sind immobile Verkaufspunkte (z. B. in Form von Ladengeschäften) oder mobile Verkaufspunkte, wobei diese regelmäßig wiederkehrend (z. B. Wochenmarkt), regelmäßig wechselnd (z. B. Verkaufswagen) oder unregelmäßig wechselnd sein können (z. B. Hausierhandel). Hinzu kommen virtuelle Verkaufspunkte im medialen Verkauf des Versandhandels. Die Integrationsform betrifft die wirtschaftliche Organisation des Betriebs. Denkbar sind Ausprägungen wie der klassische Einzelbetrieb, filialisierte Betriebe an dezentralen Standorten innerhalb von Handelsketten (Standortspaltung in Regiebetrieben) oder angebundene Betriebe in Gemeinschaftsstandorten (Standortagglomeration als aus Einzelbetrieben abgeleiteten, sekundären Betriebsformen).

360

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Die Organisationsanbindung betrifft die Eingliederung des Betriebs. Denkbar sind die Ausprägungen der Selbstständigkeit oder der Abhängigkeit. Letztere kann durch horizontale, primär rechtliche (z. B. Konzernübernahme) oder vertikale, primär wirtschaftliche Anbindung (z. B. Kontraktmarketing) verursacht sein. Der Trend geht dabei zum Zusammenschluss von Einzelbetrieben zu Ketten und von Ketten zu Holdings. Die Güterart schließlich setzt bei der Warentypologie an und charakterisiert die unterschiedlichen Waren, die das Sortiment des Handels ausmachen. Zu unterscheiden sind Konsumtivgüter für Ge- und Verbrauch (Food / Nonfood) sowie Produktivgüter für Investition und Produktion. Die Betriebsgröße ist ein häufig genanntes Kriterium. Problematisch ist dabei jedoch einerseits der dafür anzulegende Maßstab (Umsatz, Fläche, Mitarbeiterzahl etc.), andererseits die Vermutung, dass diese eher Resultante des Betriebserfolgs denn Aktionsparameter als solcher ist. Insofern ist fraglich, ob es sich dabei um ein selbstständiges Kriterium handelt. Dennoch wird es allein seiner Praktikabilität wegen oft angewendet. 8.4

Einzelhandelsbetriebe

Betriebsformen des Handels gelten als häufig vorkommende Kombinationen spezifischer Ausprägungen dieser genannten Kriterien. In Anlehnung an den Ausschuss für Handel und Distribution des IfH / Uni Köln lassen sich verschiedene prototypische Handelsgeschäfte unterscheiden, die anhand der wichtigsten Kriterien charakterisiert werden können (siehe Abb. 72). Bei primären Betriebsformen des Einzelhandels handelt es sich um originäre Formen der Kombination spezifischer Ausprägungen, bei stationären um solche mit fixiertem Verkaufspunkt. Im Rahmen des analogen Handels sind vor allem drei Gruppen (traditionell, modern, preisaggressiv) zu nennen. 8.4.1

Primäre, stationäre Formen

8.4.1.1 Traditionelle Betriebsformen Zu den traditionellen Betriebsformen zählen vor allem die Nachfolgenden. Merkmale eines Fachgeschäfts (z. B. Spielwaren, Sportartikel) sind folgende: Eher enges, dafür tiefes Sortiment, gediegenes Sortimentsniveau, konventionelle Preisbildung, zentrale Lage, klein- bis mittelständische Betriebsgröße, geringer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (Ausnahme: Service), Akquisition durch Ladengeschäft mit Fremdbedienung, stationärer Einzelstandort, Unabhängigkeit, evtl. horizontale Integration. Merkmale eines Spezialgeschäfts (z. B. Brautmoden, Jagdwaffen, Tee, Juwelier, Porzellanwaren, Regenschirme) sind folgende: Engeres, dafür tieferes



8.   Konzept des Indirektvertriebs361

        

   

  

                    

 

Abb. 72: Betriebsformen des Einzelhandels

Sortiment als beim Fachgeschäft, mindestens gediegenes, oft luxuriöses Sortimentsniveau, exklusive Preisbildung, zentrale Lage, kleinständische Betriebsgröße, geringer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (Ausnahme: Service), Akquisition durch Ladengeschäft mit Fremdbedienung, stationärer Einzelstandort, Unabhängigkeit. Merkmale eines Warenhauses (z. B. Galeria Kaufhof, Karstadt) sind folgende: Sehr breites, flaches Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau (neuerdings aber Trading up), flexible Preisbildung, durchsetzt von aggressiven Preisen, zentrale Lage, Großbetriebsform, intensiver Einsatz des Beeinflussungs-Mix

362

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

(insb. Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft mit Selbst- und Fremdbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, starke horizontale Integration im Konzern. Merkmale eines Kaufhauses (z. B. C&A, P&C) sind folgende: Schmaleres Sortiment als ein Warenhaus bei größerer Tiefe, anspruchsloses Sortimentsniveau (aber Trading up), konventionelle Preisbildung, durchsetzt von aggressiven Preisen, zentrale oder Cityrandlage, auch in Vorortzentren vertreten, Großbetriebsform, jedoch kleiner als Warenhaus, intensiver Einsatz des BeeinflussungsMix, aber weniger als Warenhaus, Akquisition durch Ladengeschäft mit dominanter Fremdbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, horizontale Integration in Konzern, jedoch geringer als Warenhaus. Merkmale eines Gemischtwarenladens (z. B. „Tante Emma-Geschäft“, „Onkel Ali-Bude“) sind folgende: Enges, sehr flaches Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, meist täglicher Bedarf, starre, konventionelle Preisbildung, Cityrand- oder Vorortlage, kleinständische Betriebsform, geringer systematischer Einsatz des Beeinflussungs-Mix, Akquisition durch Ladengeschäft mit Fremdbedienung, stationärer Einzelstandort, Unabhängigkeit, evtl. horizontale Integration (Kooperation). 8.4.1.2 Moderne Betriebsformen Zu den modernen Betriebsformen zählen vor allem die Nachfolgenden. Merkmale eines SB-Warenhauses (z. B. Marktkauf, Real, Globus, Kaufland) sind folgende: Extrem breites, ausreichend tiefes Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, aggressive, flexible Preisbildung, Stadtrandlage oder „grüne Wiese“, Großbetriebsform (über 5.000 qm / Food und Nonfood), mittlerer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (vor allem Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft in dominanter Selbstbedienung, stationärer Einzelstandort durch Agglomeration, häufig arrondierende Betriebe, horizontale Integration in Konzern. Das SB-Warenhaus führt vorwiegend Lebensmittel (ca. 60 % Umsatzanteil) sowie ein breites Sortiment an Ge- und Verbrauchsgütern bei weitgehendem Verzicht auf modische Waren. SB-Warenhäuser führen ca. 30.000 Artikel. Es werden Konzessionärsflächen im Eingangsbereich geboten, außerdem viele Pkw-Stellplätze. Eingeschossige Bauten dominieren. Die Lage ist verkehrsorientiert, auch in Stadt- und Stadtteilzentren. Merkmale eines Verbrauchermarkts (z. B. Comet, E-Center, Extra, Familia, Toom) sind folgende: Sehr breites, ausreichend tiefes Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, aggressive, flexible Preisbildung, Stadtrandlage oder „grüne Wiese“, Großbetriebsform (1.000 bis unter 5.000  qm / Food und Nonfood), geringer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (Ausnahme: Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft in dominanter Selbstbedienung, stationärer Einzel­ standort durch Agglomeration, horizontale Integration in Konzern.



8.   Konzept des Indirektvertriebs363

Verbrauchermärkte führen vorherrschend Lebensmittelangebote zur periodischen Bedarfsdeckung und einen vergleichsweise hohen Anteil an NearfoodArtikeln. Mit zunehmender Größe verlagert sich der Schwerpunkt zu Sortimenten mit aperiodischer Bedarfsdeckung, soweit diese für Selbstbedienung geeignet sind und rasch umgeschlagen werden können. Verbrauchermärkte führen ca. 17.500 Artikel, ca. 70 % des Umsatzes entfallen auf Lebensmittel. Sie sind in Nahversorgungszentren, Stadtteilzentren, Einkaufszentren gelegen. Merkmale eines Supermarkts (z. B. Minimal, E-Neukauf, Spar) sind folgende: Breites, flaches Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, aggressive, flexible Preisbildung, Cityrand- oder Vorortlage, Großbetriebsform (400–1.000  qm / Food und Nonfood), geringer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (Ausnahme: Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft in dominanter Selbstbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, horizontale Inte­ gration in Konzern (Filialisierung). Supermärkte führen ca. 7.500 Artikel, davon ca. zwei Drittel Lebensmittel und ein Drittel Nearfood. Einzelne Betreiber setzen verstärkt auf große Sortimentsanteile von Bio-Produkten, zugleich werden Grundsortimente angeboten, die preislich mit Hard-Discounters konkurrieren. Als Lage kommen vorwiegend Nachbarschaftslage, Stadtteilzentren, in Kleinstädten häufig auch Innenstadt, in Mittelstädten im Randbereich des Zentrums in Betracht. Merkmale eines SB-Geschäfts (z. B. Kaiser’s, Rewe, Edeka) sind folgende: Schmales, flaches Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, konventionelle, flexible Preisbildung, Cityrand- und Vorortlage, mittelständische Betriebsform (unter 400  qm / nur Food oder Nearfood), geringer Einsatz des BeeinflussungsMix (Ausnahme: Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft in dominanter Selbstbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, horizontale Integration in Konzern (Filialisierung). SB-Geschäfte bieten Lebensmittel als spezialisierter Einzelhandelsbetrieb an. Sie befinden sich vorwiegend in Nachbarschaftslagen. Meist werden auch Frischwaren sowie kleinere Nonfood-Sortimente über Selbstbedienung vertrieben, vorwiegend in Nachbarschaftslage. 8.4.1.3 Preisaggressive Betriebsformen Zu den preisaggressiven Betriebsformen zählen vor allem die Nachfolgenden. Merkmale eines Fachmarkts (z. B. Saturn, Media-Markt, Bauhaus, OBI) sind folgende: Sehr breites, sehr tiefes Sortiment, gediegenes Sortimentsniveau, flexible Preisbildung, tendenziell aggressiv, Cityrandlage, mittelständische Betriebsform, je Standort jedoch groß, hoher Einsatz des Beeinflussungs-Mix (insb. Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft mit Fremdbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, horizontale Inte­ gration in Konzern.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Merkmale eines Fachdiscounters (z. B. Praktiker, Basic, Adler, Roller) sind folgende: Enges, tiefes Sortiment, branchenbeschränkt, anspruchsloses Sortimentsniveau, allerdings Trading up, aggressive, starre Preisbildung, zentrale Lage, Großbetriebsform, hoher Einsatz des Beeinflussungs-Mix (insb. Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft mit Fremdbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, horizontale Integration in Konzern. Merkmale eines LEH-Discounters (z. B. Aldi, Lidl, Norma, Netto) sind folgende: Enges, flaches Sortiment, anspruchsloses Sortimentsniveau, oft Gattungsware, aggressive, starre Preisbildung, Stadtrandlage, mittelständische Betriebsform, geringer Einsatz des Beeinflussungs-Mix (Ausnahme: Kommunikation), Akquisition durch Ladengeschäft mit Selbstbedienung, dezentrale Standortspaltung mit stationären Verkaufspunkten, starke horizontale Integration in Konzern (Filialisierung). Man unterscheidet Hard-Discounter und Soft-Discounter. Bei beiden entfallen durchschnittlich 80 % des Sortiments auf Lebensmittel, der Anteil ist jedoch fallend. Beide vertreiben ausschließlich in Selbstbedienung. Hard-Discounter haben ein stark begrenztes Sortiment (800–1.000 Artikel) mit hoher Umschlaggeschwindigkeit. Der Sortimentsschwerpunkt sind Eigenmarken. Der Sortiments­ anteil von Markenartikeln liegt bei max. 30 %. Außerdem werden Bekleidungs-, Elektro-, Unterhaltungselektronik- und Hausratsposten angeboten, sowie Obst /  Gemüse, Backwaren und Tiefkühlwaren. Der Aufwand für Warenpräsentation, Ladeneinrichtung und Service ist vergleichsweise gering, wenngleich die Läden eine ansprechende Gestaltung erfahren. Die Fläche beträgt bis 1.200 qm Verkaufsfläche (je Geschoss), meist jedoch unter 800 qm. Sie sind an Ein- und Ausfallstraßen und in Gewerbegebieten gelegen. Soft-Discounter führen ein erweitertes Sortiment mit 2.000–2.500 Artikeln und sind häufig durch Bäcker oder Metzger ergänzt. Der Sortimentsschwerpunkt liegt bei Markenartikeln, bevorzugt werden Nachbarschaftslagen. Dennoch scheint es, als sei der Lebenszyklus der Discounter im Höhepunkt angekommen. Als Gründe für die zwischenzeitliche Stagnation der Discounter gelten vor allem folgende: •• Die Geiz ist geil-Welle ist ausgereizt und kommt nicht mehr weiter voran. •• Das Wachstum der Discounter war zuletzt vor allem durch Neueröffnungen getrieben, nunmehr ist die Standortdichte bereits sehr hoch. •• Discounter kannibalisieren sich mittlerweile vorwiegend gegenseitig, statt anderen Betriebsformen Kunden weg zu konkurrieren. •• Lebensmittel sind im Preis allgemein an der absoluten Untergrenze angekommen. •• Die Aktionsartikel wiederholen sich zunehmend und locken nicht mehr so viele Kunden an.



8.   Konzept des Indirektvertriebs365

•• Sortimentsausweitungen um Frischwaren wie Brot und Obst erhöhen die Handlingkosten und vermindern die Umschlaggeschwindigkeit. •• Die Expansion im Ausland kommt nicht so schnell voran wie erwartet, da dort durch andere Konsumverhältnisse Widerstände auftreten. •• Viele ältere Standorte haben nicht genug Parkplätze oder eine schlechte Verkehrsanbindung. 8.4.2

Primäre, nicht-stationäre Formen

Primäre, nicht-stationäre Betriebsformen des Einzelhandels zeichnen sich allgemein dadurch aus, dass sie keinen festen Verkaufspunkt haben. Dazu gehören die Nachfolgenden. Merkmale eines Universalversandhandels (z. B. Otto) sind folgende: Sehr breites, relativ flaches Sortiment, gestaffelt nach Jahreszeiten, Sonderanlässen, Thematiken etc., anspruchsloses Sortimentsniveau (Trading up über Spezialitäten), starre, konventionelle Preisbildung, teilweise aggressiv, Großbetriebsform, intensiver Einsatz des Beeinflussungs-Mix (insb. Kommunikation), Akquisition durch Distanzprinzip (Katalog) und Bestellung (Auftrag), evtl. Telefon, Vertreter, Sammelbesteller etc., horizontale Integration in Konzern. Merkmale eines Fachversandhandels (z. B. Baur, Oppermann, Witt) sind folgende: Eher enges, ausreichend tiefes Sortiment, meist beschränkt auf eine Branche oder verwandte Produktgruppen (z. B. Schmuck, Mode), gediegenes Sortimentsniveau, starre, konventionelle Preisbildung, teilweise aggressiv, mittelständische Betriebsform, intensiver Einsatz des Beeinflussungs-Mix, Akquisition durch Distanzprinzip (Katalog) und Bestellung (Auftrag), evtl. auch über Telefon, Vertreter, Sammelbesteller etc., horizontale Integration in Konzern. Der Mobile Handel findet in verschiedenen Formen statt, so als •• Markthandel, z. B. Wochenmarkt für Produkte des täglichen oder täglichhäufigen Bedarfs, vor allem Frischwaren, •• Straßenhandel, z. B. Verkaufswagen / Frischedienst, vor allem zur Abdeckung chronisch unterversorgter Gebiete, •• Hökerhandel, z. B. Trödel- / Andenkenstand, die eher provisorisch ausgerichtet sind, •• Hausierhandel, z. B. Haustürverkauf, der nicht durch Hersteller gesteuert ist, •• Wanderhandel, z. B. Teppichverkauf, wo oft nur temporäre Geschäftslokale unterhalten und diese nach Abwicklung aufgelöst werden. Diese Formen sind allerdings weitgehend überholt und ihre praktische Bedeutung wird immer geringer.

366

8.4.3

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Sekundäre, stationäre Formen

Sekundäre Betriebsformen entstehen durch Konzentration primärer Betriebsformen, und zwar räumlich (stationär) oder formal (nicht-stationär), also nach Einheit des Standorts (Agglomeration) oder der Führung (rückwärts / vorwärts gerichtet), gekennzeichnet. Hinsichtlich der räumlichen Konzentration handelt es sich um Einkaufszentren, als Shopping Centers, vorwiegend an peripheren Standorten (z. B. CentrO, Oberhausen) oder als überdachte Einkaufspassagen (Malls), vorwiegend an zentralen Standorten (z. B. Kö-Galerie, Hanse-Viertel, Levanthe-Haus, Höfe Fünf, Mädler-Passage) geführt. Beim Einkaufszentrum handelt es sich um die gewachsene oder aufgrund einer Planung entstandene räumliche Konzentration von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben verschiedener Art und Größe. Es wird meist als Einheit vom Betreiber als Konzentration kooperativ tätiger Gewerbetreibender geplant, errichtet und verwaltet und besteht aus einer größeren Anzahl rechtlich selbstständiger Gewerbetreibender. Es befindet sich meist in einheitlichem Besitz. Entscheidungen werden durch Verwaltungsgesellschaft und Mietervereinigung getroffen. Die Miete ist fix, umsatzabhängig oder kombiniert ausgestaltet. Die Ausrichtung erfolgt auf das Einzugsgebiet mit eigenen Parkplätzen, verkehrsgünstig gelegen, oft als City-Center in geplantem Gebäudekomplex. Die Frage des optimalen Mieter-Mix ist im Einzelnen von den jeweiligen Betriebsformen, Sortimentsinhalten und Geschäftsgrößen abhängig. So bedarf es einerseits einer gewissen Anzahl von Impuls-Outlets, die Waren des täglichen oder täglich häufigen Bedarfs führen und als Frequenzbringer dienen. Zu viele dieser Impuls-Outlets bergen jedoch die Gefahr, die hochwertige Anmutung zu unterminieren. Ebenso bedarf es einer gewissen Anzahl Edel-Outlets, die Flair und Extravaganz verbreiten und auf die gesamte Betriebsform abstrahlen lassen. Hinzu kommen Gastronomie-Betriebe, die zum Verweilen einladen und Ladenhandwerksbetriebe, die den Bequemlichkeitscharakter betonen. Dann ist deren relative Lage innerhalb des Einkaufszentrums zu bestimmen, etwa nahe am Eingang oder „in der Tiefe des Raumes“. Schließlich ist auch für Sauberkeit (Reinigungstrupps) und Ordnung (Sicherheitsteams) zu sorgen. Hilfreich sind ebenso anlassbezogene unterhaltende oder informative Veranstaltungen, um im Gespräch zu bleiben. Dafür sorgt auch kontinuierliche Kommunikation, die als Kollektivwerbung angelegt ist und durch Werbekostenumlage der Zentrumsmieter finanziert wird. Es lassen sich Betriebsformen verschiedener Generationen unterscheiden, solche der: •• 1. Generation (ca. 1965–1975), deren Merkmale sind grüne Wiese-Lage, groß, offen, ebenerdig angeordnet, anspruchslose Architektur,



8.   Konzept des Indirektvertriebs367

•• 2. Generation (ca. 1975–1985), deren Merkmale sind meist innerstädtische Lage, kleiner, geschlossen (Klimatisierung etc.), mehrgeschossig, multifunk­ tionale Auslegung, •• 3. Generation (ca. 1985–1995), deren Merkmale sind innerstädtische Lage, kleiner, als Galerie ausgestaltet, mehrgeschossig, mit Freizeitanbindung, •• 4. Generation (ab 1995), deren Merkmale sind grüne Wiese-Lage, mittlere Größe, als Galerie ausgestaltet, ebenerdig, multifunktionale Auslegung, •• 5. Generation (ab 2005), deren Merkmale sind die Ergänzung der Einkaufsmöglichkeiten um Erlebniselemente (Gastronomie, Freizeit, Kino etc.). Man unterscheidet weiterhin nach: •• der Zuordnung (in Wohnsiedlungsgebiete) integrierte oder nicht-integrierte Einkaufszentren, •• der Hierarchie Unterzentren (für den Basisbedarf), Mittelzentren (für Basisund gehobenen Bedarf), Oberzentren (für den gehobenen Bedarf), •• dem Einzugsgebiet Nachbarschaftszentrum (bis 15.000 Personen im Umkreis), Stadtteilzentrum (bis 100.000 Personen) oder Regionalzentrum (ab 100.000 Personen), •• dem Sortiment spezialisierte (nur Betriebe einer Branche) oder nicht spezialisierte Einkaufszentren (Betriebe mehrerer Branchen), •• dem Layout die Anordnung als Ladenzeile, als Innenhof oder als Wegesystem. Übergreifende Merkmale von Einkaufszentren sind die Folgenden: sehr breites, ausreichend tiefes Sortiment mehrerer Anbieter, je nachdem anspruchsloses bis gediegenes / luxuriöses Sortimentsniveau, je nachdem aggressive, flexible bis exklusive, starre Preisbildung, Großbetriebsform mehrerer ansonsten selbstständiger Einzelhändler, je nachdem geringer bis hoher Einsatz des BeeinflussungsMix, Akquisition durch Ladengeschäfte in Selbst- oder in dominanter Fremdbedienung, stationärer Einheitsstandort durch Agglomeration, Unabhängigkeit und Einmaligkeit. Darüber hinaus haben sich in neuerer Zeit zahlreiche Sonderformen von Einkaufszentren herausgebildet. Power Centers bieten einen Mix aus normalerweise mindestens drei Magnetbetrieben (Category Killers wie Toys ‚R‘ Us) und wenigen arrondierenden Kleinbetrieben. Die Magnetbetriebe machen dabei gemeinsam den weitaus größten Flächenanteil des Centers aus. Off Price Centers werden aus nicht branchenüberschneidenden Handelsbetrieben gebildet, die qualitativ hochwertige Markenartikel des Nonfood-Bereichs nachhaltig unter dem vergleichbaren Verkaufspreis in traditionellen Outlets anbieten. Häufig handelt es sich dabei um Ware aus Überschussproduktion, Auslaufmodelle, Saison- und Endware, Reklamationsware, Ware zweiter Wahl oder aus Konkur-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

sen (Postengeschäft). Theme Centers weisen eine Agglomeration auf, die gemeinsam einen Bedarfsbereich, meist hochpreisig, abdeckt (z. B. Stilwerk mit Einrichtungsbedarf). Urban Entertainment Centers kombinieren Freizeitanlagen und Einkaufsmöglichkeiten (z. B. Centerparc, Cinemaxx). Das Angebot beschränkt sich allerdings auf Impulswaren mit ausgeprägtem Fun-Charakter. Factory Outlet Centers bestehen aus einer Agglomeration herstellerinitiierter Filialbetriebe unter einem Dach, die Waren aus eigener Produktion zu niedrigeren als den am Markt üblichen Preisen abgeben. Meist wird nur behauptete Ware zweiter Wahl, aus Überbeständen oder Retouren verkauft. FOCs werden von Betreibergesellschaften geplant, entwickelt und geführt. Die Gesamtverkaufsfläche beträgt mehrere tausend Quadratmeter. Das Sortiment besteht aus Markenartikeln, die Preise liegen deutlich unter denen des traditionellen Einzelhandels. Das Mall-Konzept ist überdacht, das Village-Konzept unter offenem Himmel. Standortanforderungen sind verkehrsgünstige Lage, akzeptable Grunderwerbskonditionen, ausreichende Distanz zum lokalen Fachhandel, mögliche Expansionsflächen etc. Dafür kommen vor allem ländliche Räume, Industrie­ brachland, Grenzstandorte etc. in Betracht. Die Umsätze gehen überwiegend zu Lasten des lokalen Einzelhandels. Es gibt in Europa an die 200 FOCs, in Deutschland besteht ein erheblicher Nachholbedarf, jedoch ist die Genehmigung sehr schwierig. 8.4.4

Sekundäre, nicht-stationäre Formen

Sekundäre, nicht-stationäre sind formal konzentrierte Betriebsformen des Einzelhandels. Innerhalb dieser Verbundgruppen sind vor allem Freiwillige Ketten und Einkaufsverbände zu nennen. Freiwillige Ketten sind Zusammenschlüsse von Einzelhandelsbetrieben auf Initiative und unter Beteiligung der Großhandelsstufe (Top down), um Kooperationsvorteile zu nutzen. Diese liegen bei den Einzelhändlern vor allem in der Kostendegression großer Lose durch Zentraleinkauf und im Erfahrungsaustausch, beim Großhändler in der engeren Einbindung der Einzelhändler für dauerhafte Geschäftsbeziehungen. Beispiele sind Freiwillige Ketten im Lebensmittelbereich, so Spar und A&O. Ausgangspunkt ist dabei die Situation des Großhandels, der sich zunehmend mit der Gefahr seiner Ausschaltung konfrontiert sieht. Um seine Absatzbasis zu sichern, hat er daher ein Interesse daran, seine Abnehmer im Einzelhandel enger an sich zu binden, damit diese gegenüber Anfechtungen einstufig indirekter Belieferung immunisiert werden. Zugleich kann der Großhandel die Interessen der ihm verbundenen Einzelhändler geschlossen bei Herstellern geltend machen (auch im Preis). Einkaufsverbände basieren auf der Übereinkunft von Einzelhändlern, ihr Sortiment ganz oder teilweise über eine gemeinsame Großhandelszentrale zu beschaffen (Bottom up), um von den dabei entstehenden Verhandlungsvorteilen



8.   Konzept des Indirektvertriebs369

zu profitieren. Die Initiative geht dabei von den Einzelhändlern aus, ist also im Unterschied zur Freiwilligen Kette rückwärts gerichtet. Beispiele finden sich in der UE-Branche z. B. mit AERA, Interfunk, Electronic Partner, Euronics. Auch hierbei geht es um die Bündelung der Interessen, wobei eher eine defensive Wettbewerbseinstellung traditioneller Betriebsformen gegeben ist, die ihren Bestand gegenüber aggressiven Großbetriebsformen durch Bündelung ihrer Kräfte zu retten suchen. Bei beiden Formen sind Verrechnungskontore denkbar und häufig auch gegeben. Der Lieferant stellt dann nur eine Sammelrechnung für alle angeschlossenen Einzelhandelsbetriebe aus, die vom GH-Kontor gesammelt beglichen wird. Das GH-Kontor bündelt die Rechnungen verschiedener Lieferanten an einen Handelsbetrieb und zieht von diesem den Rechnungsbetrag ein. Da das GHKontor damit das Einzugsrisiko für die bezahlten und eingezogenen Beträge gegenüber dem Lieferanten übernimmt, das Delkredere (Bürgschaft), wird von diesem eine Inkassoprovision gefordert. Dadurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für Wettbewerbsvorteile. So kommt es zu einer effektiveren Zuordnung durch Zentralisieren bzw. Dezentralisieren geeigneter Aktivitäten sowie zum Verlagern auf andere Einheiten oder nach außen. Eine höhere Effektivität ergibt sich auch durch Straffung der Abläufe, Standardisierung bzw. Pauschalierung von Vorgängen sowie durch bessere Kapazitätsauslastung. Gemeinsam sind zudem bessere Arbeitsvoraussetzungen möglich, so durch IT-Einsatz, Anlage- / Bauinvestitionen und organisatorische Hilfsmittel. Doppelarbeiten können völlig wegfallen, andere Arbeiten sind in geringerem Umfang bzw. mit geringerer Frequenz möglich. Zugleich wird eine bessere Qualitätssicherung erreicht. Die Abstimmung führt auch zu weniger Stress durch „Blitzaktionen“. Häufig sind Verbundgruppen juristisch in der Form von Genossenschaften organisiert. Genossenschaften (eG) sind Personenvereinigungen mit nicht geschlossener Mitgliederzahl (mindestens sieben), welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb bezwecken, ohne dass diese persönlich für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft haften. Der Vorstand wird von der Generalversammlung oder dem Aufsichtsrat gewählt und führt die Geschäfte eigenverantwortlich. Die Generalversammlung wählt den Aufsichtsrat. Jeder Genosse darf an der Generalversammlung teilnehmen, sofern nicht eine Vertreterversammlung (bei über 3.000 Mitgliedern) vorgesehen ist. Abstimmungen erfolgen nach Köpfen, nicht nach Geschäftsanteilen. Die Bedeutung der Genossenschaft liegt im Zusammenschluss der wirtschaftlich Schwachen im Wettbewerb mit Großbetrieben. Die Genossen sind zugleich der Kundenstamm der Genossenschaft. Die Verhandlungsposition verbessert sich sowohl im Ein- wie im Verkauf. Man unterscheidet Warengenossenschaften zum Bezug landwirtschaftlicher Bedarfsstoffe, zur Erfassung, Vermarktung und

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, und Einkaufsgenossenschaften zum Großeinkauf von Waren und zur Materialbeschaffung. Daneben gibt es Konsumgenossenschaften als Vereine zum gemeinschaft­ lichen Einkauf von Lebensmitteln oder Wirtschaftsbedürfnissen im Großen und Absatz im Kleinen (z. B. Edeka / Nahrungs- und Genussmittel). Sie stellen hilfswirtschaftliche Zusammenschlüsse von privaten Haushalten dar, um diese zu möglichst günstigen Preisen zu versorgen. Allerdings dürfen auch Nichtmitglieder beliefert werden (Erwerbswirtschaftlichkeit). 8.4.5

Spezielle Betriebsformen

Spezielle Betriebsformen des Einzelhandels bestehen abseits des Mainstreams und betreffen etwa die im Folgenden genannten Ausprägungen. Der Nebenverkauf betrifft Absatzstellen in Kantinen von Betrieben oder Verwaltungen. Dort werden ausschließlich Kleinpreisartikel des Impulssortiments im Nebengeschäft abgegeben, wobei jedoch erhebliche Umsätze zustande kommen. Dazu gehören des Weiteren auch die Verkäufe in Szenelokalen, Fußballstadien, Hotels, Ferien- und Freizeitclubs etc. Der Automatenverkauf erfolgt z.  B. für Zigaretten, Getränke, Süßwaren, Snacks, Blumen, Kaugummi, Kondome. Als Vorteile sind die Unabhängigkeit von Ladenöffnungszeiten und spezielle Standortmöglichkeiten zu nennen, als Nachteile die Anlagenintensität, der stete Nachfüllbedarf, die technische Störanfälligkeit und die eingeschränkte Wareneignung. Man unterscheidet: •• Innenautomaten ohne freien Zugang (in öffentlichen oder privaten Gebäuden), etwa in Kantinen, Pausenräumen, Schulen, Behörden etc., •• Außenautomaten mit freiem Zugang (bedienungslos) an Straßenrändern, auf Plätzen etc., •• Automatenläden als dauergeöffnete Geschäftslokale mit totaler Selbstbedienung durch mechanisierte Wahl, Bezahlung, Entnahme und Betriebsbereitschaft, etwa an Bahnhöfen, Flughäfen, Freizeitparks etc. Der Katalogschauraum bietet die Möglichkeit, aus einem Katalog Waren auszuwählen, die dann unmittelbar nach Kauf vom Lager ausgehändigt oder beim Hersteller bestellt werden. Fallweise können Probeexemplare der Waren besichtigt, geprüft und weitergehende Informationen, oft unter Zuhilfenahme elektronischer Kommunikationsmittel, eingeholt werden. Hierzulande bieten einige Otto-Bestellcenters diese Möglichkeit. Näherungsweise ist dies auch bei IKEA gegeben, wo die Vorwahl nach einem Katalog stattfindet, und die Ware dann aus dem Lager in verpackter Form von Kunden selbst entnommen oder vom Anbieter kommissioniert wird. Dabei handelt es sich jedoch um keine Handelsform, sondern um ein Herstellerniederlassungssystem (Vertical).



8.   Konzept des Indirektvertriebs371

Convenience Stores bieten ein breites, aber sehr flaches, schnell drehendes Sortiment an Waren des kurzfristigen Bedarfs auf vergleichsweiser kleiner Geschäftsfläche an (Impulshandel, Kioske). Das Sortiment umfasst Tabakwaren, Zeitschriften, Getränke, Spirituosen, Süßigkeiten u.Ä. und ist hochpreisig kalkuliert und fremdbedient, der Standort ist meist in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohngegenden, es wird kaum Beeinflussungs-Mix geboten. Die Ladenschlusszeiten gelten nur eingeschränkt. Hierzu gehören auch Tankstellenshops, seit der Anteil der Nicht-Mineralöl-Produkte am Umsatz dieser Betriebsformen in immer stärkerem Maße zunimmt. Sie führen alle Produkte, die als Autofahrer­ bedarf deklariert werden können. Drogeriemärkte sind die modernen Nachfolger der klassischen Drogerien und verbinden deren Fachgeschäftscharakter mit der Anmutung von SB-Geschäften. Hierzulande konzentrieren die Ketten DM und Rossmann die weitaus größten Umsatzanteile auf sich. Das Sortiment erstreckt sich neben klassischen Drogeriewaren auch auf allgemeine Verbrauchsartikel, Parfüms und dekorative bzw. pflegende Kosmetika. Hinzu kommen Aktionsartikel im Gebrauchswarenbereich. Zunehmend an Bedeutung gewinnen auch die Bahnhöfe als Einkaufsorte. Moderne Bahnhöfe (z. B. Leipzig, Berlin) sind mit kompletten Einkaufszeilen ausgestattet, in denen alles, was zum Reisebedarf gehört, frei von Ladenschlusszeiten verkauft werden darf. In ähnlicher Weise werden Flughäfen nach Rückgang des Dutyfree-Geschäfts mit großzügigen, hochpreisigen Ladengeschäften ausgestattet (z. B. Frankfurt). In Urlaubsgebieten werden spezielle Einkaufsmöglichkeiten für Touristen geboten. Das Angebot beschränkt sich nicht unbedingt auf Artikel ethnischer Herkunft, sondern umfasst auch alltägliche Produkte (z.  B. Bekleidung, Schmuck), die in der Euphorie des Urlaubs unter Hintanstellung von PreisLeistungs-Vergleichen erworben werden. Im Trend zu natürlicher Ernährung gewinnt auch die landwirtschaftliche Direktvermarktung auf Bauernmärkten oder Bauernhöfen an Bedeutung. Dort werden Naturprodukte, also Fleisch, Käse, Wurst etc., aber auch verarbeitete Naturprodukte wie Teppiche, Decken, Oberbekleidung etc. hochpreisig angeboten. Eine wichtige Rolle spielt dabei das „Landlust“-Ambiente, die Frische der Waren ist hingegen in Zweifel zu ziehen. Das Second Hand-Geschäft wird in vielfältiger Weise betrieben. So gibt es spezielle Gebrauchtwarenläden, die vor allem technische Geräte und andere Hartwaren anbieten (Kinderspielzeug, Damenoberbekleidung, Computer-Hardware / -Software etc.). Häufig werden diese Läden von Migranten oder Jugendlichen betrieben. Kommerzialisiert ist zwischenzeitlich auch das Angebot auf Trödelmärkten. Je nach Produktgattung kann es sich dabei um nennenswerte Volumina handeln. Eine Abwandlung sind Dritte-Welt-Läden (Fairtrade).

372

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Bei neueren Betriebsformen des Einzelhandels handelt es sich auch um Partievermarkter (Tchibo, Tankstellenshops, Kodi) und Restpostengeschäfte (Inferno, Zeeman). Beide haben ein branchenübergreifendes Sortiment, das nicht fest, sondern regelmäßig oder unregelmäßig, aber inhaltlich nur begrenzt voraussehbar, wechselnd ausgelegt ist. Bei den Artikeln handelt es sich um besonders preisgünstige Handelswaren. Das Sortiment kann isoliert vermarktet (Restposten) oder themenzentriert vermarktet (Partie) werden. Die Partie- und Restpostenvermarktung kann ausschließlich (ohne Stammsortiment) oder ergänzend zum Stammsortiment (z. B. Aldi, Rossmann) erfolgen. Es handelt sich weit überwiegend um markenlose Ware. Weiterhin gibt es Einheitspreisläden (EHP). Dort wird ein wechselndes Sortiment zu artikelgleichen Preisen oder absolut sehr niedrigen Preisen geführt (Tedi). Angesichts besorgniserregender Verarmungstendenzen in der Gesellschaft und Geizdenken sind diese Outlets vor allem in ansonsten Fach- und Spezialgeschäften vorbehaltenen Lagen auf dem Vormarsch. Mehrfachgeschäfte sind Betriebsformen des Einzelhandels, die verschiedene, mehr oder minder verbundene Sortimente in Ausschnitten vorhalten, z. B. Dänisches Bettenlager: Bettwäsche, Dekoration und Möbel, Strauss Innovation: Bekleidung, Accessoires und Genussmittel. Pop up-Stores sind nur kurzfristig eingerichtete Verkaufsstellen, auch abseits der üblichen Geschäftslagen, in denen Aktionsartikel (Bekleidung, Accessoires, Sportartikel o. Ä.) in stark begrenzter Zahl offeriert und die danach wieder aufgelöst werden. Die Bekanntmachung erfolgt zumeist über Soziale Medien, Zielgruppe sind Jugendliche. Dadurch soll ein „In“-Effekt erreicht werden. 8.4.6

Ladenhandwerk

Eine weitere Sonderform stellt das Ladenhandwerk dar, dies sind Handwerker, die ihre Leistungen in ihrer Betriebsstätte anbieten. Jeder Handwerksbetrieb ist in die Handwerksrolle der zuständigen Handwerkskammer eingetragen. Es gibt zulassungspflichtige, zulassungsfreie und handwerksähnliche Gewerbe. Zu den zulassungspflichtigen handwerklichen Gewerben gehören z. Zt. 41 Berufe, die in der Anlage A des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks aufgeführt sind. Für die Zulassung, die Eintragung und den Betrieb sind ein Qualifikationsnachweis in Form einer Meisterprüfung und eine Rechtsform erforderlich. Zu den zulassungsfreien Handwerken, die in der Anlage B1 der Handwerksordnung aufgeführt sind, zählen z. Zt. 53 Berufe. Für deren Eintragung sind kein Qualifikationsnachweis und keine Zulassungsnachweise erforderlich. Ein Eintrag bei der HWK erfolgt dennoch. Außerdem gibt es z. Zt. 57 handwerksähnliche Gewerbe, die in der Anlage B2 der Handwerksordnung aufgeführt sind. Sie erfordern ebenfalls keinen Qualifikationsnachweis, sind jedoch bei der HWK einzutragen. Was genau ein handwerksmäßiger Betrieb ist, ist dennoch nicht definiert.



8.   Konzept des Indirektvertriebs373

Es gibt in Deutschland knapp 1 Mio Betriebe mit über 5 Mio. Beschäftigten (= 12,6 % aller Beschäftigten). Nur 18,4 % aller Betriebe haben mehr als zehn Mitarbeiter. Handwerksbetriebe sind zumeist inhabergeführt und lokal tätig. Die Ausbildungsquote liegt hoch, der Anteil von Frauen und Abiturienten ist unterdurchschnittlich. Abnehmer der Leistungen sind zu ungefähr gleichen Teilen private Haushalte und Unternehmen, 13 % stammen von der Öffentlichen Hand, 2 % aus dem Auslandsgeschäft. 8.5

Großhandelsbetriebe

Die Aufgabe, die dem Großhandel in einer arbeitsteilig gegliederten Volkswirtschaft zufällt, ist identisch mit den Handelsfunktionen des gesamten Handels, nämlich bestehende Spannungen zwischen Produktion und Konsumtion in zeitlicher, räumlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht auszugleichen. Infolgedessen sind die einzelnen Betriebe aufgrund ihrer jeweils spezifischen, nach Distributionsökonomisierung strebenden Leistungsangebote am gesamtwirtschaftlichen Prozess der Wertschöpfung beteiligt. Funktionaler Großhandel ist die wirtschaftliche Tätigkeit der Beschaffung und des Absatzes von Waren an Produzenten, Weiterverarbeiter, Wiederverkäufer und Großabnehmer mit Umschlag von relativ großen Mengen pro Verkaufsakt. Im institutionellen Großhandel werden jene marktlichen Transaktionsprozesse erfasst, die von solchen Betrieben durchgeführt werden, die diese Handelsfunktionen wahrnehmen. 8.5.1

Einteilungskriterien und Ausformungen

Der Großhandel ist durch seine Position zwischen Lieferanten und Zwischenoder Endabnehmern determiniert. Dabei gibt es eine Vielzahl von Betriebsformen. Diese betreffen die Art und Weise, mit der Handelsbetriebe auf der Großhandelsstufe ihre Distributionsaufgaben im Hinblick auf den Umfang, die Intensität der Funktionsausübung und die Art der Kombination der Betriebsfaktoren wahrnehmen. Allerdings sind die Grenzen zwischen den einzelnen Betriebsformen aufgrund der Dynamik fließend. Dennoch lassen sich Betriebsformen des Großhandels bestimmen. Dafür gibt es charakterisierende Kriterien zur Einteilung (siehe Abb. 73). Der Warenübergang kann am Ort des Großhändlers (Residenzprinzip) oder am Ort des Abnehmers (Domizilprinzip) erfolgen. Dementsprechend handelt es sich um den Abhol-Großhandel (auch Cash & Carry-GH genannt) oder den Zustell-Großhandel (welcher die Regel ist). Ein C&C-GH ist durch die Merkmale Selbstbedienung, Barzahlung, Kommissionierung und Warentransport durch Abnehmer gekennzeichnet. Dies erfolgt ansonsten allenfalls bei kleinen Warenmengen. Er ist seit geraumer Zeit (auch) zur Bruttopreisauszeichnung verpflichtet, an die Laden-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

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Abb. 73: Betriebsformen des Großhandels

schlusszeiten gebunden und zu strikten Zutrittskontrollen über Einkaufsausweise angehalten. Die Logistikleistung kann die Warenprozessleistung beinhalten (also mit Warenlagerung) oder ausschließen (also ohne Warenlagerung). Dementsprechend handelt es sich um den Lager-Großhandel (der die Regel ist) oder den Überlager-Großhandel, auch Strecken-Großhandel. Bei diesem sind der Realgüterstrom einerseits und die Nominalgüter- und Informationsströme andererseits voneinander getrennt, ersterer läuft auf direktem Vertriebsweg zwischen Hersteller und Endabnehmer, letztere laufen über den indirekten Vertriebsweg. Dadurch werden die Vorteile, aber auch die Nachteile beider Vertriebswege kombiniert. Das Streckengeschäft bietet sich an, wenn auf dem Vertriebsweg aufwändige logistische Manipulationen erforderlich sind (Umladung, Zwischenlagerung), die auf diese Weise eingespart werden können. Allerdings laufen Handelsbetriebe, die Streckengeschäfte zulassen, Gefahr, sich selbst weg zu rationalisieren. Dies entspricht im Übrigen dem Trend zur Disintermediation für Kosten- und Zeiteinsparung. Der Serviceumfang kann die reine Warenverfügbarkeit betreffen oder darüber hinaus die Auffüllung, Pflege und Abrechnung der Platzierung auf angemieteter EH-Fläche. Es handelt sich um Regalflächen im Einzelhandel, die in eigener Regie durch Großhändler mit eigenständigem Sortiment bestückt und wirtschaftlich betreut werden. Der Service umfasst u. a. die Zurverfügungstellung



8.   Konzept des Indirektvertriebs375

von Ware, die Betreuung, Kontrolle, Auffüllung und Pflege angemieteter Flächen, die verkaufstechnische Unterstützung, Lagerung, Transport und Rücknahme. Man spricht in diesem Fall vom Service-Großhandel (GH-Rack Jobb­ ing), der sich im Haarmoden-, Toiletteartikel-, Kurz-, Papier-, Schreib-, Spielund Haushaltswarenbereich, bei Kleintextilien, Strümpfen, Tonträgern etc. findet. Service-GH haben einen Full Service-Vertrag für alle Funktionen oder einen Part Service-Vertrag, z. B. nur für die Bestandsaufnahme, Bedarfsermittlung und Sortimentspflege. Die Vorteile für den Einzelhandel liegen in der Verminderung des Informationsaufwands, der Verringerung der Bestellkosten, der Bereitstellung von Verkaufseinrichtungen, der einheitlichen Warenpräsentation, der Verlagerung des Vertriebsrisikos und zusätzlichen Aktionen. Nachteile betreffen die fehlende Disposition über Regalfläche, den geringen Einfluss auf die Preisgestaltung und die Einbuße an Entscheidungsfreiheit. Die Bezahlung der Verkaufsfläche erfolgt durch Mietzins oder umsatzabhängige Vergütung bei getrennter Abrechnung der Erlöse. Die Sortimentsplanung kann Waren als durchgängiges Programm oder fallweise Spots vorsehen. Dementsprechend handelt es sich um den SortimentsGroßhandel (bei breitem Angebot) bzw. den Spezial-Großhandel (bei engem Angebot) einerseits sowie den Posten-Großhandel (Partievermarkter) andererseits. Der Sortiments-Großhandel erlaubt aufgrund der Vielfalt die unkomplizierte Transaktion mit einem Geschäftspartner, der Spezial-Großhandel bietet jedoch die individuellere Transaktion, der Posten-Großhandel eignet sich nur zum Ausgleich unvorhergesehener Bedarfsspitzen und für reine Mitnahmegeschäfte. Er hat kein festes Sortiment und verkauft Waren nur solange der Vorrat reicht. Dabei kann es sich ausschließlich (Havariehandel) oder teilweise um Partien handeln. Die Marktausrichtung kann am Warenaufkauf, also einkaufsorientiert, oder am Warenabsatz, also verkaufsorientiert, erfolgen. Dementsprechend handelt es sich um den Aufkauf-Großhandel oder den Absatz-Großhandel, ersterer ist sammelnd, rückwärts integrierend angelegt und bündelt Bezugsquellen, letzterer ist verteilend, vorwärts integrierend angelegt und bedient Verkaufsstellen, die nicht private Endabnehmer sind. Bei den Warenarten kann es sich um eine erzeugungsnahe oder verbrauchsnahe Orientierung handeln. Dementsprechend gibt es den naturnahen Großhandel oder den konsumnahen Großhandel. Naturnaher Großhandel handelt mit Ur- und Rohstoffen, die zur Be- oder Verarbeitung in Produktionsbetrieben bestimmt sind, konsumnaher Großhandel handelt mit ge- und verbrauchsreifen Produkten, die keiner weiteren Be- oder Verarbeitung mehr zu ihrer Nutzung bedürfen. Das Aktionsgebiet kann sich auf den Inlandsmarkt oder auf Auslandsmärkte erstrecken. Dementsprechend handelt es sich um den Binnen-Großhandel oder den Außen-Großhandel. Der Außen-GH befasst sich mit Export, d. h. dem Verkauf inländischer Waren im Ausland, dem Import, d. h. dem Verkauf ausländi-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

scher Waren im Inland, dem Transit, d. h. dem Ankauf / Verkauf ausländischer Waren in Drittländern, und der Durchfuhr, d. h. dem Ankauf / Verkauf ausländischer Waren und deren Verbringung in weitere Drittländer. Der Produktionsverbindungs-(PVH)Großhandel handelt mit Investitions- und Produktionsgütern, die an Gewerbetreibende als Endabnehmer oder Weiterverarbeiter sowie gewerbliche (ausnahmsweise auch große private) Endabnehmer verkauft werden. Der PVH beschafft schwerpunktmäßig Güter, um sie unverändert bzw. nach handelsüblicher Manipulation an Organisationen weiter zu veräußern, die damit ihrerseits Güter für die Fremdbedarfsdeckung erstellen. Man unterscheidet den: •• Produktorientierten PVH für Massengüter (Massenguthandel / Bulk Products) oder Spezialitäten (Spezialitätenhandel / Specialities), Bei Massengütern handelt es sich entweder um Rohstoffe ohne wesentliche Be- oder Verarbeitung oder um normierte Produkte (Commodities). Der Handel ist durch weitgehend standardisierte Geschäftsprozesse gekennzeichnet, der Preis spielt dabei eine dominante Rolle. •• Herstellerorientierten PVH (rechtlich selbstständig, aber wirtschaftlich konzerngebunden als konzerneigene Werksverkaufs- / -handelsgesellschaften (direkt / indirekt). Diese sind zwar rechtlich selbstständig, aber wirtschaftlich unselbstständig (konzerngebunden) tätig und übernehmen die Funktionen ansonsten selbstständiger Absatzmittler als Andienungsstelle für konzernintern erstellte Leistungen (ggf. plus zugekaufter, fremderstellter Handelsware /  OEM). Letztlich lohnt dies, sofern hierarchisierte Transaktionen vorteilhafter sind als solche über die Marktmechanik (Transaktionskostenbetrachtung). •• Länderorientierten PVH (meist nach Ländergruppen oder Regionen ausgerichtet). Dies ist naturgemäß beim Außenhandel von Bedeutung. Der länderorientierte PVH kann sich im Inland auf bestimmte Auslandsmärkte kaprizieren oder im Ausland auf bestimmte Bezugsgebiete. Dies hängt mit Markttransparenz und Erfahrung in diesen Gebieten zusammen, die willkommene Sicherheit bei ansonsten risikobeladenem Außenhandel bietet. •• Verwenderorientierten PVH (nach Branchen oder Anwenderproblemen zur Lösung abwicklungs- oder beschaffungstechnischer Probleme). •• Der Handwerks-Großhandel erfüllt den Kleinbedarf des Handwerks, das handelsnahe Funktionen in Verbindung mit Werklieferungs-, Kauf- oder Werkvertrag erfüllt. Zum Ladenhandwerk gehören Bäcker, Konditoren, Fleischer, Optiker, Uhrmacher, Augenoptiker, Goldschmiede, Friseure etc., zum Verrichtungshandwerk gehören Elektriker, Fliesenleger, Kfz-Mechaniker etc. Entsprechend diesen Kriterien lassen sich dann Betriebsformen des Großhandels als praktisch häufig vorkommende Kombinationen bilden. Der derzeitige Wettbewerb im Großhandel ist durch Großbetriebe und Verbundsysteme gekennzeichnet, die eine Vielzahl kleiner und mittlerer Betriebe verdrängt haben.



8.   Konzept des Indirektvertriebs377

Vor allem besteht die Gefahr der Ausschaltung aus dem Vertriebskanal bzw. der Reduktion der Großhandelsfunktionen auf die reine Logistikfunktion (Großhandelsspediteure), die mit erheblichen Spanneneinbußen verbunden ist. 8.5.2

Bedeutung des Großhandels

Der Großhandel ist historisch gewachsen. Zum einen verstand sich das produzierende Gewerbe lange Zeit als technisch und nicht unbedingt kaufmännisch orientiert. Von daher war es bestrebt, seinen Vertriebsaufwand so gering wie möglich zu halten. Der Großhandel entlastete hier den Hersteller von der Notwendigkeit, umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu zahlreichen Abnehmern zu unterhalten. Zum anderen gerieten seine Organisationskapazitäten mit sich ausweitendem Absatz an die Grenzen, so dass es erforderlich wurde, die Geschäftsbeziehungen zu bündeln, um sie noch angemessen bewältigen zu können. Der Großhandel ermöglichte hier eine von der eigenen Administration unabhängige Absatzausweitung. In neuerer Zeit wird seitens der Hersteller jedoch ein starker Trend zur Ausschaltung von Vertriebsstufen hin zu einem immer direkteren Vertriebsweg sichtbar (Disintermediation). Denn jede Handelsstufe behält naturgemäß ihren Distributionsgewinn in Form von Kalkulationsaufschlag / Handelsspanne ein, der den Endverkaufspreis verteuert und damit die Wettbewerbsfähigkeit erschwert. Können Stufen umgangen werden, hier vor allem der Großhandel, erhöht dies bei gleichem Endverkaufspreis den Nettoertrag des Herstellers. Es stellt sich daher die Frage, welche spezifischen Vor- und Nachteile aus der Sicht des Herstellers die Einschaltung des Großhandels in den Vertriebsweg erbringt. Wesentliche Vorteile aus der Einschaltung des Großhandels im Vertriebskanal sind folgende. Der großhandelseigene Außendienst wird zur Akquisition von Aufträgen eingesetzt, die mit Waren des Lieferanten abgewickelt werden. Dadurch vergrößern sich die Akquisitionschancen und generieren Erlöse, die anderweitig nicht anfallen, bei Kunden, zu denen der Hersteller normalerweise keinen Zugang hat. Zusätzlicher Werbedruck entsteht durch Aufnahme der Waren in großhandelseigene Werbemittel, die sich an die Einzelhandelsstufe richten. Dadurch entstehen Kontaktchancen zwischen Warenangebot und Zielpersonen, die anderweitig nicht vorhanden sind. Auch Kleinaufträge sind auf diese Weise für den Hersteller kostengünstig abwickelbar, indem auftragsfixe Kosten vermieden werden, die ansonsten die Rendite stark belasten. Vorhandene Kundenbeziehungen des Großhandels führen zu einer schnelleren Markterschließung. Dies gilt gerade für neue Produkte und Hersteller, die dadurch Marktzutrittsschranken überwinden können. Selbst weit verteilte, kaufkraftschwache Gebiete mit geringer Gewerbedichte können für den Absatz erschlossen werden, da der Großhandel flächendeckend arbeitet und hohe Transportkosten aus Zentralstandort vermeidet.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Nachteile sind hingegen folgende. Das eigene Produkt wird wegen des breiten Sortiments im Großhandel zu wenig gefördert. Es steht zudem in direkter Konkurrenz zu gleichartigen anderen Produkten von Mitbewerbsherstellern. Die Akquisition beim Großhandel erfordert ihrerseits eine eigene Außendienstorganisation, welche die Rentabilität, wenngleich weniger als bei direktem Vertrieb, belastet. Konflikte im Vertriebskanal sind möglich, wenn der Großhandel egoistische eigene Ziele, die von denen der Hersteller abweichen, verfolgt und durchsetzt. Solche Konfliktpotenziale sind vielfältig latent vorhanden und brechen immer wieder durch. Womöglich entsteht eine Abhängigkeit von großen Großhändlern durch fehlenden eigenen Zugriff auf die Einzelhandelsstufe. Die damit verbundene Nachfragemacht engt Entscheidungsspielräume ein. Der Einbehalt einer Distributionsspanne durch die Großhandelsstufe verteuert die Ware am Markt bzw. schmälert die Herstellermarge. Der Großhandel versucht zudem, durch leistungsergänzende Aktivitäten seinen Bestand im Vertriebskanal zu sichern. Dazu gehören etwa die: •• Unterstützung in der Betriebsorganisation bei den belieferten Einzelhändlern, •• Hilfe bei der Absatzförderung durch Mittel zur Präsentation, Dekoration etc., •• zielorientierte Produktservicierung für Sortimentsauswahl, Mengen, Bestellzeitpunkte etc., •• Finanzierung durch vorteilhafte Kreditierung (Zinssatz, Laufzeit) von Lieferungen, •• Personalentwicklung in Bezug auf Beschaffung, Auswahl, Schulung etc., •• Beratung bei der Kommunikation in Werbung, Aktionen, Events etc., •• Logistik durch Hilfen bei Transport und Lagerung, •• Entwicklung von Hausmarken und deren Vertriebsunterstützung. 8.6

Dynamik der Handelsbetriebsformen

Der Handel vollzieht im Zeitablauf zahlreiche Entwicklungen. Er ist also nicht statisch zu sehen, sondern dynamisch. Handelsbetriebe unterliegen damit einem Wandel ähnlich den Produkten, der von Entstehung und Aufstieg neuer Formen bis zu deren Reife und Assimilation geht. Neue Betriebsformen entstehen und alte verschwinden damit am Markt bzw. passen sich Wandlungen an. Man spricht auch von der Dynamik der Betriebsformen. Eine disruptive Komponente erhält diese Dynamik durch die Etablierung von Online-Händlern (E-Trade). Diese bieten überlegene Leistungsmerkmale, wenngleich um den Preis hoher Belastungen (z. B. Zahlungssicherheit, Logistikaufwand, Datenabgriff). Per Saldo kommt es zu einer Verdrängung des traditionellen durch den virtuellen Handel (dazu ausführlich 12.).



8.6.1

8.   Konzept des Indirektvertriebs379

Erklärungsansätze

Für die Dynamik der Handelsbetriebsformen gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Der bekannteste Ansatz ist der des Wheel of Retailing (McNair). Danach versuchen neue Betriebsformen des (Einzel-)Handels, mit niedrigeren Preisen, niedrigeren Margen und niedrigerem Imagestatus Fuß im Markt zu fassen. Sie setzen damit vor allem auf die Wirkung aggressiver Preispolitik. Dies hat Konsequenzen auf die Gestaltung ihrer betrieblichen Prozesse. Im Laufe der Marktpräsenz werden jedoch die nicht preislichen Parameter zunehmend betont. Auf diese Weise nähert sich der ehemalige Newcomer seinen etablierten Vorgängern an. Dies öffnet den Markt für neue, preisaggressive Anbieter. Insofern kommt es zum Wettbewerb zwischen den Betriebsformen, moderne, leistungsfähigere setzen sich gegenüber tradierten, überkommenen durch und verdrängen diese über kurz oder lang. Gegen diese Theorie sprechen jedoch praktische Beispiele, die sowohl ein erfolgreiches Einsteigen in den Markt „von oben“ zeigen (z. B. Boutique), als auch das erfolgreiche Verharren auf der Betonung des Preisparameters (z. B. Discounter). Nieschlag hat diesen Ansatz insofern erweitert, als er nicht nur auf den Preis als Verdrängungs­ instrument abgehoben hat, sondern auch auf andere Aktionsparameter. Dafür hat er den Ausdruck „Dynamik der Betriebsformen“ geprägt, der Ansatz wird als Verdrängungstheorie bezeichnet. Eine Verallgemeinerung dieses Ansatzes findet sich in der Lebenszyklustheorie von Institutionen. Dabei werden, analog zum Lebenszyklus von Produkten oder Märkten, vier Phasen behauptet, die Innovationsphase, in der Handelsbetriebe mit der Konkurrenz überlegenem Angebot auf den Markt kommen, die Wachstumsphase, in der diese äußerst erfolgreich am Markt agieren, die Reifephase, in der die Dynamik nachlässt und bereits Komplexitätsprobleme auftreten, sowie die Niedergangsphase, in der die Handelsbetriebe ihrerseits von vitalen Konkurrenten verdrängt werden. Fraglich ist jedoch, ob sich diese Aussagen auf ganze Betriebsformen oder tatsächlich nur auf einzelne Handelsbetriebe beziehen. So gibt es innerhalb einer stagnierenden Betriebsform durchaus erfolgreiche einzelne Handelsbetriebe und umgekehrt (z. B. Fielmann bei Augenoptikern, Kamps bei Bäckereien). Dies kann sowohl als Ausnahme von der Regel wie gerade auch als Widerlegung der Gültigkeit eben dieser Regel gedeutet werden. Die Theorie dialektischer Prozesse geht in Bezug auf Betriebsformen des Handels davon aus, dass bestehende erfolgreiche Institutionen (These) durch erfolgshungrige andere Institutionen (Antithese) heraus gefordert werden. Die Aktionsparameter beider Gruppen sind im Allgemeinen entgegengesetzt ausgelegt. Zur Nutzung des Erfolgspotenzials bietet es sich daher an, die Merkmale beider Gruppen bestmöglich zu kombinieren (Synthese). Dies geschieht, indem etablierte Betriebsformen einzelne Aktionsparameter der aufstrebenden Betriebsformen in ihr Konzept übernehmen und damit einen Teil deren Erfolgs zu

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

kappen vermögen (z. B. Fachgeschäfte mit partiell aggressiver Preisbildung), und aufstrebende Betriebsformen in Zuge ihrer Saturierung einzelne Aktionsparameter der etablierten Betriebsformen übernehmen, die sich als bewährt erwiesen haben (z. B. Discounter mit Markenartikel-Präsenz). Das Crisis Change-Modell geht von vier Phasen der Auseinandersetzung zwischen etablierten und neuen Anbietern aus. Zunächst kommt es zu einer merklichen Schockphase für die etablierten Anbieter angesichts des Aufkommens wettbewerbsüberlegener Konkurrenten. Daraus folgt in einer zweiten Phase der Versuch dieser etablierten Anbieter, Markteintrittsschranken aufzubauen oder zu erhöhen, um das eigene Terrain gegen Newcomer zu schützen. Da dies in marktwirtschaftlich organisierten Strukturen kaum möglich ist, wird in einer dritten Phase notgedrungen das eigene Konzept auf den Prüfstand gestellt und untersucht, inwieweit es angesichts der Konkurrenz aktualisiert werden kann (etwa durch Kooperationen). In einer vierten Phase entscheidet sich dann, ob diese Anpassung vom Markt honoriert wird, entsprechend vermögen die etablierten Anbieter, ihrerseits andere zu „schocken“. Andernfalls werden sie selbst vom Markt verdrängt. Die Marktlückentheorie postuliert, dass neue Betriebsformen des Handels den Markt bereichern, indem sie Lücken im Profil der bestehenden Betriebsformen nutzen (z. B. Fachmärkte die Lücke zwischen Fachgeschäft und Verbrauchermarkt). Zunächst sind diese Lücken nur von begrenztem Potenzial, und es ist ungewiss, inwieweit sie sich überhaupt als tragfähig für eine neue Betriebsform erweisen. Ist dies nicht der Fall, verschwinden diese Ansätze rasch wieder vom Markt. Wird jedoch eine grundsätzliche Marktakzeptanz erreicht, weiten sich diese Lücken zu respektablen Angebotsfeldern aus. Insofern die Märkte insgesamt stagnieren, kann dieser Zuwachs nur zu Lasten der weniger erfolgreichen Betriebsformen in den übrigen Marktfeldern gehen. Diese verschwinden damit vom Markt, die Newcomer ihrerseits werden bedeutsamer. Bis weitere Anbieter neue Marktlücken entdecken, die sie initiativ bedienen, und sich dieser Kreislauf wiederholt. Der General Specific General-Zyklus unterstellt eine fortwährende Assimilierung von institutionalen Besonderheiten (Specific) durch die institutionale Allgemeinheit (General). Als Ausgangspunkt wird dabei eine stabile Struktur der Betriebsformen des Handels am Markt unterstellt. Einzelne Anbieter haben darin nur eine Chance, spezifisch zu prosperieren, wenn es ihnen gelingt, aus dieser Allgemeinheit positiv hervor zu stechen. Dies erreichen sie durch bewusst anders gesetzte Parameter als der Rest der Anbieter. Für den Fall, dass dies keine ausreichende Marktakzeptanz findet, verschwinden diese Anbieter vom Markt oder passen sich rasch wieder dem Mainstream an. Für den Fall aber, dass dies vom Markt akzeptiert wird, entsteht daraus eine erfolgreiche Alleinstellung. Dieser Erfolg reizt die übrigen Anbieter an, sich ähnlich zu verhalten wie der nunmehr profilierte Konkurrent, um an dessen Erfolg zu



8.   Konzept des Indirektvertriebs381

partizipieren. Damit aber wird die Besonderheit zur Allgemeinheit, die breit am Markt vertreten ist. Abweichende Betriebsformenmerkmale werden also entweder assimiliert oder erledigen sich von selbst. Diese Allgemeinheit ist dann Ausgangspunkt für die nächste profilierende Abweichung. Die Gegenmachttheorie bezieht auch die Nachfrageseite des Marktes in die Dynamik der Betriebsformen mit ein. Danach haben Nachfrager ein Interesse daran, sich nicht allzu sehr von einer bestimmten Gruppe von Handelsanbietern abhängig zu machen. Sobald also eine solche Gruppe zu erfolgreich wird, unterstützen Nachfrager bewusst oder intuitiv Anbieter anderer Betriebsformen, um deren Erfolg zu stärken. Zugleich wird der Erfolg der ersten Gruppe gedämpft. Insofern kommt es zu einem stetigen Wechsel der Präferenzen der Nachfrager für bestimmte Betriebsformen und damit auch zu einer stetigen Bewegung der Proportionen dieser Betriebsformen innerhalb der Handelsinstitutionen. Folglich verändert sich die Struktur der Betriebsformen des Handels fortwährend. In gleicher Weise wird Macht auch zwischen den Handelsstufen (Groß- und Einzelhandel) ausbalanciert. Der evolutionstheoretische Ansatz setzt bei der Darwin’schen These des Survival of the Fittest an. Danach entstehen, mehr oder minder zufällig und ohne langfristige Strategie, neuartige Kombinationen von Betriebsformenmerkmalen am Markt. Erweisen sich diese gegenüber ihren etablierten Konkurrenten als leistungsüberlegen, werden diese Merkmale von vielen anderen Anbietern übernommen und setzen sich somit am Markt durch. Zugleich verliert die etablierte Kombination von Betriebsformenmerkmalen an Impetus und wird kannibalisiert. Da fortwährend neue Ausformungen durch zufällige Merkmalskombination entstehen, sind die Betriebsformen des Handels einer stetigen Entwicklung auf ein höheres Leistungsniveau unterworfen, das nur die Leistungsfähigsten erreichen. Dieser Ansatz stellt also auf die Flexibilität und schnelle Lernfähigkeit von Handelsbetrieben ab. Die Anpassungstheorie (ähnlich als makroanalytischer Ansatz) vertritt die Auffassung, dass die Dynamik der Betriebsformen sich aus den Anforderungen des Vermarktungsumfelds ergibt und Ausdruck der Anpassung des Handels an diese Veränderungen ist. Die Dynamik entsteht also nicht initiativ aus der Handelspolitik heraus, sondern entspringt dem Bemühen, sich durch andere Merkmalsausprägungen in den Aktionsparametern an die sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen (z. B. Wertvorstellungen, z. B. Dritte Welt-Läden, technische Entwicklung, z.  B. Online-Shops, Bildungsgrad, z.  B. Fachmärkte, Kaufkraft, z. B. Boutiquen, Rechtsprechung, z. B. Cash&Carry). Der Erfolg dieser Reaktion hängt davon ab, ob die Anpassung rasch genug und adäquat vollzogen wird. Dementsprechend entstehen bei Erfolg neue Betriebsformen, die den Platz verharrender Betriebsformen einnehmen. Der mikroökonomische Modellansatz (verwandt zum transaktionskostentheoretischen Ansatz) erklärt das Entstehen neuer Betriebsformen des Handels aus

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

einer Gegenüberstellung der Kosten der Inanspruchnahme des Handels und den alternativen Erträgen anderweitiger Aktivitäten. Die Inanspruchnahme des Handels verursacht für Nachfrager Transaktionskosten, die nur dann eingegangen werden, wenn dadurch Nutzen erreichbar sind, die höher eingeschätzt werden als diese Kosten und die ansonsten entgehen würden. Je mehr Handelsfunktionen eine Betriebsform durch ihre Aktionsparameterwahl übernimmt, desto geringer sind die Kosten der Nachfrager für die Beschaffung. Die dadurch freiwerdenden Ressourcen können sie anderweitig einsetzen. Je nachdem als wie werthaltig diese anderweitige Nutzung angesehen wird, sind sie bereit, diese durch mehr oder minder hohe Preise zu honorieren. Dies ist auch erforderlich, weil zugleich die Betriebskosten des Handels steigen. Neue Betriebsformen entstehen demnach dann, wenn die Merkmalsausprägung eine nutzbringende Entlastung der Nachfrager erreicht und damit bei diesen soviel Preisbereitschaft erzeugt, dass die entstehenden höheren Kosten damit kompensiert werden können (z. B. Versandhandel). 8.6.2

Betriebsformenpolarisierung

Im Rahmen der Theorie der Betriebsformenpolarisierung vollzieht sich der Wandel parallel in zwei Richtungen, einerseits hin zum Erlebnishandel durch ein Trading up und andererseits zum Versorgungshandel hin durch ein Trading down. Dies wird an dieser Stelle vertieft. Trading up bedeutet Imagedominanz durch Verbesserung der betriebsindividuellen Leistungsstandards bei Sortiment, Personal, Ausstattung, Zusatzleistung etc. Dazu gehört die Betonung der Sortimentstiefe bei traditionell sortimentsbreiten Händlern und umgekehrt. Hinzu kommt die Aufnahme vorwiegend höherwertigerer Artikel, die zwar zur Einengung des Kundenpotenzials, aber zugleich zur Erhöhung des Einkaufswerts je Besuch führt. Es erfolgt die Eingliederung in horizontale und vertikale Kooperationen zur Nutzung betriebswirtschaftlicher Vorteile, die nicht immer ohne Weiteres von außen erkennbar ist. Ziel ist die Verbesserung der Angebotspräsentation, die Nutzung agglomerierter Standorte (z. B. Gemeinschaftswarenhaus, Ladenpassage), die Intensivierung der Kundenberatung, etwa durch Anwendung dominanter Fremdbedienung. Die Betonung liegt dabei auf der Erlebniskomponente des Einkaufs. Dies führt zum Angebot eher beratungsintensiver Produkte mit hohem Nutzen. Qualität und Image werden zu Hauptargumenten im Verkauf. Die Vermittlung von Freude am Einkauf durch ein anregendes Verkaufsumfeld steht im Mittelpunkt. Die attraktive Präsentation der Artikel genießt Priorität gegenüber der Rationalisierung. Trading down bedeutet demgegenüber Preisdominanz durch Senkung der Betriebskosten und Spannen. Dazu gehört die kostengünstigere Standortwahl, die preisliche Zugeständnisse möglich werden lässt, die ihrerseits neue Kundenkreise anspricht. Wiederum ist die Beteiligung an Kooperationen oder die



8.   Konzept des Indirektvertriebs383

Konzentration betriebswirtschaftlich vorteilhaft. Bei geringerer Sortimentsbreite bzw. -tiefe werden mit den verbleibenden Artikeln größere Absatzmengen und höhere Umschlaggeschwindigkeiten realisiert. Zugleich werden Servicekürzungen akzeptabel. Dies drückt sich in weniger Verkaufsberatern und Übergang zu dominanter Selbstbedienung aus, in schlichterer Warenpräsentation durch Einsparung an Dekoration, Medienwerbung und Ladenwerbemittel. Daraus folgt ein Gefühl der Cleverness beim Einkauf auf Seiten der Kunden. Die Priorität liegt hier auf der schnellen und einfachen Versorgung beim Einkauf mit dem Preis als Hauptargument. Dies bedingt das Angebot problemloser, selbsterklärender Waren. Betriebswirtschaftliche Kostenrechnung mit schnell drehenden Artikeln, niedrigen Einstandspreisen und hoher Flächenausnutzung genießt Priorität vor der Emotion. Parallel zur Polarisierung des Angebots ergibt sich auch eine solche bei der Nachfrage. Hybride Verbraucher trennen dabei nach Grundnutzen, als der Eignung einer Sach- oder Dienstleistung, den gestellten Anforderungen gebrauchstechnisch, d. h. in Bezug auf ihre Funktionserfüllung, gerecht zu werden, und Zusatznutzen, als deren differenzierende Wirkung im affektiven Bereich. Sie sind dadurch charakterisiert, dass ihre Einkaufsprogramme für beide Arten von Leistungen, Grundnutzen- und Zusatznutzen-Produkte, voneinander abweichen. Sie handeln also nicht mehr konsistent, sondern gespalten, eben hybrid. Grundnutzenprodukte sind dem Low Interest-Bereich zuzuordnen und werden unter dominanter Preisorientierung gekauft. Dies führt zur Bevorzugung von Gattungsware. Als Einkaufsstätte wird dafür der Versorgungshandel gewählt. Im Vordergrund stehen dann Rationalargumente mit dem Ziel der Einsparung von Haushaltsbudget. Anders hingegen bei Zusatznutzenprodukten. Sie sind dem High Interest-Bereich zuzuordnen und werden unter dominanter Leistungsorientierung gekauft. Dies führt zu einer Bevorzugung von Markenartikeln. Als Einkaufsstätte wird der Erlebnishandel gewählt. Im Vordergrund stehen also Emotionalargumente, mit der Möglichkeit, die im Grundnutzenbereich eingesparten Geldmittel hier zusatznutzenstiftend einzusetzen. Das heißt, die Einsparungen im Grundnutzenbereich werden nicht gehortet, sondern in diesen, emotional viel wichtigeren Bereich investiert. Daher können auch beide Gruppen des Handels, Erlebnis- bzw. Trading up-Outlets und Versorgungs- bzw. Trading down-Outlets, nebeneinander prosperieren, denn es kaufen dort jeweils dieselben, hybriden Verbraucher ein. Diese Marktpolarisierung ist auch durch die Porter-U-Kurve erklärbar. Danach gibt es einen Zusammenhang zwischen Betriebserfolg (Gewinn / ROI) und Mengenoutput (Absatz / Marktanteil) derart, dass der Betriebserfolg hoch ist, wenn der (relative) Mengenoutput entweder sehr niedrig (=  Präferenzposition /  Differenzierung) oder sehr hoch ist (=  Preis-Mengen-Position / Kostenführerschaft), und niedrig, wenn der (relative) Mengenoutput ein mittleres Niveau erreicht. Von daher muss jeder Betrieb entweder eine Präferenzposition anstreben, bei der zwar nur kleinere Mengen abgesetzt werden, sich jedoch aufgrund

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

des akquisitorischen Potenzials höhere Preise am Markt realisieren lassen, die zu hoher Rendite führen, oder eine Preis-Mengen-Position, bei der zwar nur niedrigere Preise realisiert werden, die jedoch über große Absatzmengen letztlich wieder zu einer stimmigen Rendite führen. Die Präferenzposition entspricht dem Erlebnishandel (Trading up-Tendenz, z. B. Boutiquen), die Preis-MengenPosition dem Versorgungshandel (Trading down-Tendenz, z. B. Discounters). Problematisch ist allerdings die Position dazwischen. Diese gilt etwa für Warenhäuser. Sie werden von ihren Kunden weder als hochwertig genug erlebt, als dass sie gleichwertig zum Erlebnishandel eingestuft würden, noch als preisgünstig genug, als dass sie mit dem Versorgungshandel konkurrieren könnten. Moderne Fachabteilungskonzepte (z. B. Galeria Kaufhof) führen durch die notwendige Beibehaltung der dem Warenhaus typischen Kriterien wie Großflächigkeit, Massenpublikum, Teilselbstbedienung etc. nicht dazu, die Einkaufsstätte anders einzuschätzen und deshalb die Preisbereitschaft zu erhöhen. Umgekehrt führen preisaggressive Konzepte (z. B. Kaufhof Kaufhalle) aufgrund des betriebstypischen Kostenniveaus, verursacht durch Faktoren wie Fachpersonal, Ausstattungsaufwand, Zentralstandort etc., nicht zu einer Konkurrenzfähigkeit gegenüber Einkaufsstätten mit Trading down-Charakter. Damit zieht es die preissensible Kundschaft aber nach wie vor dorthin, während die erlebnissensitive Kundschaft besser gleich originäre Trading up-Einkaufsstätten aufsucht. Die Warenhäuser befinden sich also in einer Zwischen den Stühlen-Position. Diese, ehemals erfolgreichste, Einzelhandelsform scheint sich in der Dynamik der Betriebsformen überlebt zu haben. Wie eine unzureichende strategische Orientierung sogar branchenweit zu heftigen Problemen führen kann, ist im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zu beobachten. Dort liegt schon seit geraumer Zeit die Inventurdifferenz (die im Wesentlichen durch Diebstähle von Kunden und Mitarbeitern zustande kommt) höher als die Umsatzrendite, und es herrscht ein überzogener Preiskampf vor (mit weit verbreiteten Untereinstandspreisverkäufen). Die Gründe dafür sind offensichtlich. So hat die überwiegend vorhandene eigentümerorientierte Struktur (z. B. in Form von Genossenschaften) wenig Investitionsfähigkeit und auch -bereitschaft zur Folge, so dass ein konstanter Eigenkapitalmangel vorhanden ist (der etwa eine notwendige Internationalisierung des LEH hemmt). Übereilt eröffnete neue Standorte, vor allem in den Neuen Bundesländern, führen zu einem Flächenwachstum das über dem Nachfragevolumen angesichts deutlich erkennbarer Sättigungserscheinungen im Markt liegt. Diese Standorte können dann nur durch Verdrängung von Mitbewerbern halbwegs rentabel betrieben werden. Teilweise herrscht eine antagonistische Sichtweise zwischen Hersteller einerseits und Handel andererseits vor, statt eine dringend erforderliche Symbiose voranzutreiben. Traditionell bestimmen immer noch die Einkäufer mit ihrer handelstypischen „Pfennigfuchser-Mentalität“ die Organisation („der Gewinn liegt im Einkauf“). Daraus folgt, dass eine notwendige Absatzmarktorientierung, etwa durch Händlermarkenprofilierung (außer bei Aldi) kaum vorhan-



8.   Konzept des Indirektvertriebs385

den ist. Die Organisationen sind denn gegeneinander auch weitgehend austauschbar. So wird seit Jahrzehnten unverständlicherweise fast völlig auf die Ausprägung von Dienstleistungen (wie Wickelräume, Wein- und Fischseminare, Restaurant etc.) verzichtet. Da dann der Preis in der Tat zum entscheidenden Wettbewerbsparameter wird, ist Aktionismus Tür und Tor geöffnet. Diese überharte Verdrängungskonkurrenz hat zu einer Verwilderung der Geschäftssitten in der Branche geführt, die in kollektiv dysfunktionalem Verhalten mündet (z. B. 50 % Grundrabatt auf Möbel). 8.7

Vertriebskanaltransparenz

Bei indirektem Vertrieb besteht Transparenz hinsichtlich der Situation im Vertriebskanal nur in Bezug auf die nachfolgende Wiederverkäuferstufe, nicht in Bezug auf die Endabnehmerstufe. Und es besteht Transparenz nur hinsichtlich der eigenen Daten dort, nicht hingegen die konkurrierender Anbieter. Ebenso besteht Transparenz nur in Bezug auf die belieferten Wiederverkäufer, nicht hingegen auf andere. Dies erschwert eine erfolgversprechende Steuerung. Um diese Mängel zu beheben, werden Panelerhebungen eingesetzt. Panels sind eine Form der Kohortenanalyse und umfassen die Erhebung eines gleich bleibenden Kreises von Untersuchungseinheiten in regelmäßigen Abständen zum selben Thema (Längsschnittanalyse), womit ein erheblicher organisatorischer Aufwand für Einrichtung und Unterhalt verbunden ist. Es können mehrere Arten von Panels unterschieden werden: •• Industriepanel (Zwangsstatistiken) als Herstellerpanel (OEM) oder Vorverbraucherpanel (Lieferanten), •• Handelspanel als Einzelhandelspanel oder Großhandelspanel (Wiederverkäufer), •• Verbraucherpanel als Haushaltspanel oder Einzelpersonenpanel (haushaltsführende Person), •• Spezialpanels für Großverbraucher, Medianutzung etc. Händlerpanels können traditionell oder modern erhoben werden. Traditionell durch physische Inventur (Anfangsbestand + Warenzugänge – Endbestand = Warenabgänge) in einem Zweimonatsrhythmus (Nielsen-Periode), künstlich auf den mittleren Erhebungsstichtag umgerechnet. Die Stichprobe ist geschichtet nach Betriebsform, Verkaufsfläche, Organisationsform und dysproportional zwischen Anzahl der Handelsbetriebe und deren jeweiliger Umsatzbedeutung. Die Erfassung erfolgt durch Vordrucke und Messen, Zählen, Wiegen bzw. mobile Datenerfassungsgeräte (MDE), und zwar für Gebrauchsgüter vorwiegend durch GfK und Verbrauchsgüter vorwiegend durch Nielsen.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Die Daten umfassen u. a. Inhalte zu: •• Verkauf nach Menge, Verkauf nach Wert, Zukauf nach Menge, Bestand nach Menge am Lager, im Regal, in Displays, Distribution numerisch (nach Verkauf, Zukauf, Bestand, Bestandslücken), Preis pro Mengeneinheit, Umsatz in Perioden mit Distributionslücken, Bevorratungsdauer in Monaten, Umschlaggeschwindigkeit, Lagerproduktivität, Lagerdruck in Menge, Lagerkapitalbindung, Distributionsqualität, Distribution gewichtet (nach Verkauf, Zukauf, Bestand, Bestandslücken), Distributionspotenzial (bei 100 %) etc. Die moderne Erfassung erfolgt durch Scanner-Panel mit Zugriff auf die händlereigenen GWWS-Daten, und zwar tagesgenau / kurzfristig verfügbar und mit hoher Kostenersparnis (da „Abfallprodukt“ des Kassiervorgangs). Standardprogramme sind z. B. Madakom, InfoScan / EuroScan (GfK) oder ScanTrack / Scan Pro (Nielsen). Probleme entstehen bei Händlerpanels vor allem durch die unvollständige Marktabdeckung (Coverage), z. B. fehlen Beziehungshandel, Kioske, Bäckereien, Getränkeautomaten, Fastfood-Betriebe, Kantinen, Hotels, nur eingeschränkt repräsentiert sind Tankstellen, Drogeriemärkte, Spiel- / Sportfachgeschäfte, Discounter, Heimdienste etc. Die Ergebniseinteilung wird nach Nielsen-Gebieten (in Deutschland) wie folgt ausgewiesen: •• Nielsen I: Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, •• Nielsen II: Nordrhein-Westfalen, •• Nielsen III a: Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, •• Nielsen III b: Baden-Württemberg, •• Nielsen IV: Bayern, •• Nielsen V: Berlin, •• Nielsen VI: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, •• Nielsen VII: Sachsen, Thüringen. Verbraucherpanels wiederum können traditionell oder modern erhoben werden. Traditionell durch Haushaltsbuchführung und Meldebögen, die wöchentlich abgeholt werden. Die Aufschreibungen umfassen u. a. Daten zu: •• Packung, Preis, Einkaufsstätte, Einkaufsort, Einkaufsanlass, Einkaufsperson, Anzahl der Käufe, Menge / Wert pro Kopf je Produktart und Marke, Erstkäufer / Wiederholungskäufer, Kauffrequenz, Marktanteile nach Menge / Wert von Marken, Nichtkäufer, räumliche Abweichungen, Einkaufstage, Einkaufsdatum, Markentreue, Käuferwanderung, Sonderangaben, soziodemographische Daten etc. Die moderne Erfassung erfolgt über Homescanner, GTIN-Code, 10er-Tastatureingabe, Speicherung auf Datenträger und Datenfernübertragung in Cloud.



8.   Konzept des Indirektvertriebs387

Probleme entstehen bei Verbraucherpanels durch die: •• Panelsterblichkeit, die zu einer sukzessiven Überleitung in ein Tracking führt, daher wird mit Reserve gefahren, •• Panelroutine als ungenaues / unvollständiges Reporting infolge nachlassenden Interesses im Zeitablauf, •• Paneleffekte als Overreporting / Underreporting, d. h., es werden Käufe als getätigt angegeben, die nicht getätigt wurden bzw. Käufe, die getätigt wurden, werden nicht angegeben. Abhilfe kann hier geschaffen werden durch Panelrotation als periodischem Austausch der Teilnehmer, Gratifikationen zur Motivation und eine „Anlernphase“ ohne Auswertung.

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9.

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Distributionsbeziehungen

Das Unterkapitel „Distributionsbeziehungen“ beschäftigt sich mit den Relationen der Vertriebskanalakteure untereinander. Begründend sind dafür die Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal (9.1). Diese haben zu weitreichenden Konfliktpotenzialen im Vertriebskanal geführt (9.2). Daraus leiten sich Optionen für die Präsenz im Vertriebskanal ab (9.3). Eine wichtige dieser Optionen betrifft die vertikale Kooperation im Vertriebskanal (9.4), die in vielfältigen Varianten praktiziert wird. Leser wissen nach Durchsicht dieses Unterkapitels um die Problematik der Distributionsbeziehungen im Vertriebskanal. Sie verstehen wie Konzentration und Vertikalisierung auf Konflikte und Kooperation zwischen den Akteuren einwirken. Und sie sind fähig, dieses Wissen auf konkrete Anwendungssituationen zu übertragen. 9.1

Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal

Die Distribution im Vertriebskanal stellt für Hersteller zunehmend den Engpass für ihren Markterfolg dar. Vor allem kennzeichnet der Kampf um den Regalplatz die Marktsituation. Wobei Regalplatz hier nicht konkret zu verstehen ist, sondern abstrakt als Punkt der gedanklichen Konfrontation prospektiver Kunden mit Waren zum Zwecke der Umsatzerzielung von Hersteller und Händlern. Die Realität im Vertriebskanal ist durch ausgeschöpfte Kapazitäten gekennzeichnet, so dass die Etablierung eines neuen Angebots beinahe zwangsläufig nur zu Lasten der Verdrängung eines anderen, bestehenden möglich ist. Dies sollte, durch die Brille des Herstellers betrachtet, möglichst kein eigenes, sondern ein Konkurrenzprodukt sein. Weil die Konkurrenz das aber ganz genauso sieht, wird der Kampf um den Regalplatz mit äußerster Verbissenheit geführt. Knappheitsfaktoren liegen dabei sowohl im Konsumenten-, im Hersteller- als auch im Handelsbereich (siehe Abb. 74). Knappheitsfaktoren im Konsumentenbereich betreffen folgende Ursachen. Zunehmende Bedürfnisdifferenzierung resultiert aus der Proliferation der Anbieterprogramme und führt somit zu verstärkter Nachfrage nach Regalplatz. In einer pluralistischen Gesellschaft (Multi Options Society) hat derjenige Anbieter die besten Chancen, zum Zuge zu kommen, dessen Angebot den geringsten wahrgenommenen Abstand zum idealen Nachfragerbedürfnis aufweist. Wandlungen im Einkaufsverhalten durch Bequemlichkeitsstreben führen zur Erwartung der Überallerhältlichkeit von Waren (zumindest des täglichen Bedarfs). Dazu tragen (immer noch) beschränkte Ladenöffnungszeiten, zunehmende Berufstätigkeit des Haushaltsführers, aber auch knappes Parkplatzangebot und hohe Nahverkehrspreise bei. Ebenso beanspruchen erwartete Zusatzleistungen Regalplatz.



9.   Distributionsbeziehungen389



  

      



    



   



Abb. 74: Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal

Knappheitsfaktoren im Herstellerbereich betreffen folgende Ursachen. Stark steigende Warenvielfalt, auch bedingt durch zunehmende Anzahl ausländischer Anbieter, führt zur Ausweitung des Warenangebots durch Innovation, Diversifizierung, Produktdifferenzierung und Markentransfer. Zwar scheitern die weitaus meisten Neuprodukteinführungen, aber diejenigen, die durchkommen, beanspruchen dann Regalplatz. Monomarken werden durch Angliederung verwandter Produktgruppen (Flankers) zu Dachmarken, die eine Vielzahl von Artikeln unter sich vereinen. Bestehende Marken werden durch Abwandlungen in der Produktgruppe (Line Extenders nach Geschmack, Farbe, Gebindegröße etc.) stärker „gemolken“. Schließlich kommen auch produktgruppenfremde Marken durch Transfer hinzu, die gleich mehrfach Regalplätze beanspruchen. Diese Tendenz verstärkt sich eher noch. Das Streben nach hoher Distributionsdichte ist bei verbreiteter Impulskaufneigung die notwendige Voraussetzung für Aussicht auf Geschäftserfolg. Bei gleichartig wahrgenommenen Artikeln gibt meist die reale Verfügbarkeit am Handelsplatz den Ausschlag für den Kaufentscheid. Denn nicht präsente Ware kann nun einmal nicht gekauft werden. Für jeden Artikel bestehen Bemühungen zur Vergrößerung der Ausstellungsfläche je Platzierung (Facing) bzw. um Mehrfachplatzierungen. Je größer die Kontaktstrecke bzw. -wahrscheinlichkeit mit einer Ware, desto höher ist gemeinhin auch die Kaufwahrscheinlichkeit. Dies bedeutet aber eine wachsende Verkaufsflächenbeanspruchung durch Dauerzweitplatzierungen. Knappheitsfaktoren im Händlerbereich betreffen folgende Ursachen. Die Grenzen der Vermehrbarkeit von Regalplatz sind durch hohe Kosten für Fläche und Personal sowie immer rarer werdende attraktive Standorte erreicht. I a-Lagen sind heute kaum mehr zu finanzieren, Stadtrandlagen werden durch Baunutzungsverordnungen der Städte und Gemeinden (zum Schutz der innerstädtischen

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Infrastruktur) vereitelt. Darüber hinaus ist seit Jahren ein verbreitetes Ladensterben vor allem bei Outletgrößen zu beobachten, die Rentabilität nicht mehr gewährleisten. Der Regalplatz geht also dort real zurück. Der Handel neigt zu einer konzentrierten Regalplatzvergabe an wenige, große und verlässlich berechenbare Lieferanten. Denn auch auf der Herstellerstufe hat ein enormer, vor allem internationaler Konzentrationsprozess stattgefunden. Dies wirkt für Markteinsteiger als Zutrittsschranke, außer sie sind bereit, exzessive Eintrittsgelder zu zahlen. Die zu beobachtende Verdrängungskonkurrenz durch eine steigende Zahl von Handelsmarken und deren Bevorzugung bei der Regalplatzvergabe führt zu verstärktem Eigenbedarf am POS der Händler. Dies geht zulasten der Herstellermarken. Im Zuge der fortschreitenden Konzentration kommt es zu vermehrten Geschäftsschließungen vor allem bei Klein- und Mittelbetrieben des Handels, teils mit der Tendenz zur Unterversorgung ganzer Landstriche („Dörfer ohne Läden“). Diese betrifft vor allem die unzureichende Bereitstellung von Produkten zur Deckung des täglichen oder täglich häufigen Bedarfs durch Handel und Handwerk, die sich darin äußert, dass die Wohnbevölkerung sich nurmehr unter Hinnahme erheblicher Einkaufsanstrengungen versorgen kann. Dies gilt auch für städtische Randlagen und „Schlafsiedlungen“ in Großstadtvororten. Dort reicht die Kaufkraft oft nicht mehr aus, die Existenz von Einzelhandelsbetrieben zu ermöglichen, weil einerseits die optimale Betriebsgröße für Absatzmittler gestiegen ist und andererseits eine höhere Mobilität der Konsumenten Kaufkraft in lokale Einkaufszentren abzieht (= objektive Unterversorgung). Davon werden vor allem weniger kaufkräftige, z. B. ältere, immobile, Personen betroffen. Außer­ dem sind für anspruchsvolle Käufer im näheren Umkreis, wenn überhaupt, nur wenig differenzierte Sortimente verfügbar (= subjektive Unterversorgung). 9.2

Konfliktpotenziale im Vertriebskanal

Auf der Handelsstufe hat die Konzentration im Vertriebskanal zur Bildung von Großbetriebsformen mit Nachfragemacht gegenüber konzentrierten Lieferanten der Industrie geführt. Der Markt wandelt sich so zu einem – wettbewerbspolitisch unerwünschten – engen Oligopol. Die Kanalführerschaft geht damit zunehmend auf die Handelsstufe als Inhaber des Regalplatzes über. Die Beziehungen sind weitgehend durch Gruppenwettbewerb gekennzeichnet. Es ist immer noch die Ansicht verbreitet, dass die Interessen von Hersteller und Handel weitgehend deckungsgleich und beide gemeinsam bemüht sind, den Markt zu erobern. Dies ist jedoch mitnichten der Fall. Vielmehr haben Hersteller einerseits und Händler andererseits vielfältig abweichende Interessen, die im Vertriebskanal zu Konflikten führen. Diese erstrecken sich über alle Marketing-



9.   Distributionsbeziehungen391

parameter, also bei Angebot, Gegenleistung, Information, Verfügbarkeit und Strategie. Im Angebots-Mix betreffen sie folgende Aspekte. Hersteller sind daran interessiert, das Image ihrer Produkte / Marken zu individualisieren und auszuprägen, also zum Wettbewerb hin abzugrenzen und gegenüber den Konsumenten zu profilieren. Händler wollen demgegenüber das Image des von ihnen angebotenen, geschlossenen Sortiments, also die Zusammenfassung der Angebote verschiedener Hersteller, durchsetzen. Hersteller zeichnet oft eine hohe Innovationsrate aus, erzwungen aus der Umsetzung technischen und / oder geschmacklichen Fortschritts sowie als Konkurrenzreaktion oder -antizipation, was eine zyklische Neuordnung des Angebots bedingt. Händler stehen Innovationen regelmäßig abwartend gegenüber, sind doch mit jedem neuen Angebot organisatorische Umstellungen und Risiken aus der Abnehmerakzeptanz verbunden. Hersteller zielen auf eine Individualisierung ihrer Marke ab, d. h. auf eine Abhebung vom Mitbewerb und eine Hervorhebung bei Kunden des Handels. Händler haben ein Interesse an der Etablierung und Forcierung eigener (Handels-)Marken, um die Abhängigkeit von Herstellern zu vermindern und neue, besonders preissensitive Käufergruppen für sich zu erschließen. Hersteller denken immer in Einzelangeboten, d. h. Produkten bzw. Ranges, oder in eigenen Programmdimensionen. Händler funktionalisieren Produkte zur gezielten Schließung von Sortimentslücken, damit Kunden das Fehlen bestimmter Waren nicht als beeinträchtigend empfinden und beim Geschäftsbesuch reklamieren. Für Hersteller dient die Packung in erster Linie der Profilierung und positiven Differenzierung des eigenen Angebots gegenüber allen anderen vergleichbaren, was oft in außergewöhnlichen, eigenständigen Kreationen resultiert. Eben diese Extravaganzen behindern Händler in der Rationalisierung ihres Warenhandlings, weshalb sie auf standardisierte Größen, normierte Formen und gewohnte Materialien Wert legen. Im Gegenleistungs-Mix betreffen Konflikte folgende Felder. Hersteller sind meist an konventioneller Preisgestaltung interessiert, um Irritationen auf Nachfrageseite über Preishektik zu vermeiden. Händler verfolgen indes die Absicht preislicher Differenzierung von ihren regionalen Mitbewerbern, was ihrer Ansicht nach vor allem über punktuell aggressive Preisgestaltung als besondere Anreize gelingt. Hersteller sind eher an einheitlichen, hohen Preisen interessiert, nicht so hoch, als dass sich das Käuferpotenzial einschränkt, aber auch nicht so niedrig, als dass sich damit Qualitätszweifel verbinden. Händler bevorzugen markant niedrige Preise, da der sich im Preisvergleich dann ergebende Vorteil ihnen vom Publikum erfahrungsgemäß als eigene Leistung zugeschrieben wird. Sonderan-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

gebote etablieren allerdings in Dauer und Breite eine völlig unrealistische Preiseinschätzung am Markt, die das betreffende Produkt zum Normalpreis kaum mehr absetzbar macht. Hersteller sind an hohen Fabrikabgabepreisen (FAP) interessiert, die bei minimaler Handelsspanne dennoch zu einem konkurrenzfähigen Abverkaufspreis führen. Der Händler sieht dies naturgemäß völlig anders, er ist an niedrigen Einkaufspreisen (EK) interessiert, damit der Kalkulationsaufschlag höher ausfallen kann oder bei üblichem Kalkulationsaufschlag ein besonders konkurrenzfähiger Preis zustande kommt (ein klassischer Interessenkonflikt). Hersteller wollen möglichst hohe Einführungspreise für neue Angebote (Skimming), vor allem um eine Innovatorenrente abzuschöpfen, das Produkt­ image hoch anzusiedeln und Spielraum für spätere Preissenkungen zu lassen. Händler wollen demgegenüber niedrige Einführungspreise (Penetration), um eine rasche Durchdringung in der Kundschaft zu erreichen, die Drehgeschwindigkeit zu erhöhen und sich einen angemessenen Absatzanteil zu sichern. Hersteller setzen auf Klimaverbesserung und Partnerschaftsappelle, die helfen sollen, von Konditionenverhandlungen abzulenken. Händler fordern hingegen Nichtleistungskonditionen, die nur auf Macht beruhen. Im Informations-Mix betreffen Konflikte folgende Felder. Hersteller sind an der Generierung von Markentreue interessiert, also Kunden, die mit hoher Frequenz unbeirrt immer wieder die eigene Marke kaufen, gleich in welchem Handelsgeschäft. Händler sind an Einkaufsstättentreue interessiert, also Kunden, die mit hoher Frequenz unbeirrt immer wieder das eigene Geschäftslokal aufsuchen, fast gleichgültig, welche Waren sie dabei kaufen. Hersteller verfolgen in ihrer Kommunikation den Aufbau von Produktimage und -profilierung. Händler verfolgen demgegenüber den Aufbau von Geschäftsstättenimage und -profilierung, was etwas ganz Anderes bedeutet. Hersteller müssen zur Aktivierung ihres Absatzpotenzials eine maximale Reichweite für die Bekanntheit / Vertrautheit ihres Produkts im gesamten Verbreitungsgebiet erreichen. Händler wollen nur eine maximale Bekanntheit / Vertrautheit für ihre Betriebsstätte in deren lokalem Einzugsgebiet erreichen. Alle nicht punktuell wirksamen Maßnahmen sind für sie daher wertlos. Hersteller zielen primär auf eine positive Einstellung und Motivation im Vorfeld der Kaufentscheidung ab. Vor allem geht es darum, in den Evoked Set of Brands eines möglichst großen Zielgruppenanteils zu gelangen. Händler wollen hingegen die Auslösung unmittelbarer Kaufbereitschaft am POS, also Begierde und spontane Handlungswirkung. Hersteller wünschen eine Präsentationsunterstützung durch eigenständigen Auftritt und aktuelle Dekoration. Händler fordern demgegenüber Merchandising als unbezahlte Abverkaufshilfe am POS, Incentives für besondere Dekorationen und Werbekostenzuschüsse für anderweitige Kommunikationsmaßnahmen.



9.   Distributionsbeziehungen393

Für Hersteller ist der einheitliche Auftritt ihrer Werbeaktivitäten hoch bedeutsam, um ein konsistentes Markenbild aufzubauen (CD / Look&Feel). Händler stellen ihren am Outlet bezogenen Aktionsauftritt in den Vordergrund, der Marken instrumentalisiert und sorgsam aufgebautes Image oft genug mit dem „Schweinebauch“ erschlägt. Im Verfügbarkeits-Mix betreffen Konflikte folgende Felder. Herstellern ist an möglichst hohen Bestellmengen in langen Lieferintervallen gelegen, da dies zur rationellen Auftragsbearbeitung und -ausführung beiträgt und Druck in der Pipeline erzeugt. Händler disponieren demgegenüber kurzfristig gestaffelte Bestellmengen analog dem Markterfolg, weil dies die Kapitalbindung reduziert. Hersteller sind regelmäßig an hoher Distributionsdichte bis hin zur Ubiquität ihres Angebots interessiert, weil dies über mehr Facing ihre Absatzchancen erhöht. Händler präferieren eher selektive bis exklusive Distribution mit begrenztem Wettbewerbsschutz durch Marktzutrittsschranken, hoher Ausschöpfung des Nachfragepotenzials und umfangreicher Unterstützung des Herstellers. Hersteller wollen die absolut beste Platzierung für ihr Produkt innerhalb des Handelsbetriebs. Händler streben eine optimale innerbetriebliche Platzierung an, die abhängig ist von Größen wie Gesamtdeckungsbeitrag, Kundenstrom und Präsentationsumfeld. Hersteller wünschen eine vollständige und permanente Bevorratung ihres Programms am Handelsplatz im „Full line“-Prinzip (keine Out of Stocks). Händler wünschen eine möglichst niedrige Vorratshaltung mit sachlich und zeitlich ausgewählten Artikeln nach dem „Rosinenpicker“-Prinzip. Herstellern ist an einem intensiven Beratungsservice vor Ort (POS) gelegen, vor allem wenn es sich um erklärungsbedürftige Produkte handelt, deren komparative Leistungsvorteile nicht offensichtlich sind. Dafür sind sie auch zu Schulungs- und Trainingsmaßnahmen bereit. Händler hingegen wollen eine möglichst rationelle Personalorganisation, d. h. keine übertriebene Spezialisierung, sondern flexibler Einsatz nach Arbeitsanfall, Ausfallzeiten und Fluktuation. Konflikte im Strategie-Mix sind übergreifend und betreffen folgende Felder. Hersteller zielen auf die Ausweitung ihrer Einflussnahme auf Endabnehmer ab, indem sie handelsstufenübergreifend unmittelbar auf diese mittels Sprungwerbung intensiv einwirken. Dies soll Händler umgehen, die dann nur noch die herstellerinduzierten Wünsche ihrer Kunden ausführen. Dem stellt der Handel eine Verstärkung seines Einflusses durch Rückwärtsintegration entgegen. Dies betrifft die Durchsetzung angemeldeter Produktwünsche, die Abwälzung originärer Handelsfunktionen und die Herstellung eigener Handelsmarken. Hersteller versuchen, ihre Produkte zu Pflichtmarken des Handels zu stilisieren, bei denen es sich kein Händler mehr leisten kann, sie nicht zu führen, weil er damit rechnen muss, dass Kunden, welche die gewünschte Ware nicht finden,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

verärgert das Outlet wechseln, und zwar nicht nur hinsichtlich des nicht geführten Produkts, sondern auch hinsichtlich anderer Produkte, die zum Einkauf vorgesehen waren. Der Handel setzt den Profitabilitätsnachweis von Produkten als Voraussetzung für die Sortimentsaufnahme dagegen (DPP / DPR). 9.3

Präsenz im Vertriebskanal

Überlegt man, wie diese Limitationen überwunden werden können, so ist es hilfreich, sich den Vertriebskanal als Pipeline vorzustellen, die durch Anzahl, Abmessung und Struktur den Markterfolg begrenzt. Am einen Ende füllen Hersteller Waren in diese Pipeline hinein, der Handel nimmt eine Ventilfunktion in dieser Pipeline wahr, und am anderen Ende fließen Waren an Endabnehmer ab. Limitationen in dieser Pipeline lassen sich durch verschiedene Maßnahmen überwinden. Angesichts restriktiver Vermarktungsbedingungen stellt sich die Frage, wie sich Hersteller- und Handelsstufe erfolgversprechend miteinander arrangieren können. Dabei ist der Anspruch auf die Kanalführerschaft der einen oder anderen Seite von Bedeutung. Dafür ergeben sich vier Kombinationen (siehe Abb. 75). Ein aktiver Einfluss auf die Gestaltung des Vertriebskanals bei Außerachtlassung etwaiger Handelsreaktion darauf, um die Herstellerinteressen durchzusetzen (Konflikt), bietet sich vor allem bei geringer Austauschbarkeit des Angebots an, ansonsten weicht der Handel auf kooperativere Lieferanten aus. Nur „Pflichtartikel“ des Handels, die wegen ihrer extrem hohen Publikumsvertrautheit und -nachfrage im Handelssortiment praktisch unverzichtbar sind, können sich ein solches Vorgehen erlauben. Ob es sinnvoll ist, muss selbst dann bezweifelt werden. Im Wesentlichen stellen sich zwei Alternativen: •• Druckerzeugung in die Pipeline hinein erfolgt durch Push über Inaussichtstellung materieller oder ideeller Vorteilsgewährung in Abhängigkeit von absatzförderndem Verhalten. Materielle Incentives schlagen jedoch voll auf die Rentabilität durch, ideelle Incentives unterliegen einem Abnutzungseffekt durch Gewöhnung. Werbemittelunterstützung stellt dabei oft nur einen verdeckten Nachlass dar, der sich dauerhaft nicht in mehr Facing auswirkt und bald in den Besitzstand des Handels übergeht. •• Sogerzeugung aus der Pipeline heraus erfolgt durch Pull, meist über Sprungwerbung der Hersteller direkt an Endabnehmer. Diese sollen ein Produkt zielsicher anderen vorziehen, so dass der Handel es sich nicht leisten kann, das massenmedial beworbene Produkt nicht zu führen. Durch Kombination mit dem Push-Ansatz kann der Warenumschlag je Regalflächeneinheit erhöht und diese damit für alle Seiten effektiver genutzt werden. Eine Dominanz des Herstellers bei Subordination des Handels unter Nutzung besserer Kontrollmöglichkeiten seitens des Herstellers bedeutet, dass hierbei vor



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Abb. 75: Präsenz im Vertriebskanal

allem an direkten Vertrieb unter Ausschaltung der Absatzmittler zu denken ist. Damit sind jedoch regelmäßig erhebliche investive Aufwendungen verbunden, die vor allem in der Aufbauphase die meisten Hersteller überfordern. Als Alternativen stellen sich insgesamt aber mehrere Möglichkeiten: •• Der Aufbau einer eigenen Pipeline strebt eigene Herstellerabsatzstellen (Direktvertrieb) an. Dies ist nur in Einzelfällen ein Ausweg, wenn Investitionen problemlos getätigt oder durch (vertikale) Kooperationsformen im Vertriebs-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

kanal limitiert werden können. Allerdings stellt sich durch E-Commerce die Möglichkeit einer geschäftsstättenlosen und damit investitionsschonenden Distribution. •• Eine Substitution der Pipeline bedeutet den Wechsel in einen neuen Vertriebskanal. In der Praxis bleibt diese Chance allerdings eher marginal, weil für große, marktmächtige Absatzmittler nicht so leicht Ersatz zu schaffen ist. Ein Ausweichen auf andere ist daher unweigerlich mit hohen Verlusten an Kontaktchancen (= Regalplatz) verbunden. Außerdem verändert sich dadurch die Qualität der Absatzstellen. •• Eine Erweiterung der Pipeline bedeutet die Mehrkanaldistribution in zwei / mehreren Vertriebskanälen. Meist sind damit jedoch Konfliktsituationen verbunden, denn die dabei parallel distribuierten Absatzmittler fürchten zurecht Geschäftseinbußen infolge des jeweilig anderen Vertriebskanals. Deshalb ist dies nur bei gleichzeitiger Programmaufteilung derart sinnvoll, dass jeder Vertriebskanal bestimmte Waren für sich exklusiv erhält. •• Eine Vergrößerung des Durchmessers der Pipeline strebt die Distributionsgradsteigerung an. Der hohe allgemeine Konzentrationsgrad führt jedoch dazu, dass bei etablierten Produkten eine Erhöhung der numerischen Distribution nur von einem weit unterproportionalen Zuwachs der gewichteten Distribution begleitet wird. Eine Dominanz des Handels bei Subordination der Hersteller als Abgabe der Kanalführerschaft an den Handel bedeutet in Anbetracht der hohen Machtkonzentration auf der Handelsstufe und fehlenden eigenen Zugriffs auf Endabnehmer einen sehr risikoreicher Ansatz. Der Hersteller begibt sich damit in die Abhängigkeit, wenn kein ausreichendes Profil bei aktuellen und potenziellen Kunden besteht, das Nachfrageattraktivität ausübt. Die Finanzmittel dazu sind bei die Konditionen drückender Abnahmepolitik des Handels auch nur schwerlich zu erwirtschaften. Insofern entsteht ein Teufelskreis. Diese Aspekte werden im Rahmen der Konzentration im Vertriebskanal, vor allem der Nachfragemacht der Handelsstufe, diskutiert. Der Versuch der Regalplatzausdehnung (Facing) stellt eine wichtige Möglichkeit dar. Da der Regalplatz der Engpass für den Geschäftserfolg des Handels und zugleich streng limitiert ist, scheint das vermehrte Facing eines Angebots nur zulasten dessen direkten Mitbewerbs über den Nachweis der betriebswirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit dieses Austauschs (aus dem Verkauf selbst oder über Nebenleistungen) möglich. Eine weitere Chance besteht in der Schließung von Sortimentslücken für den belieferten Handel. Somit kann zumindest für Angebotsnischen Augenhöhe erreicht werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass, sobald sie sich als lukrativ herausstellen, der Handel diese selbst besetzt (Handelsmarken). Eine gleichzeitige Subordination von Hersteller und Handel als Kooperation und Interessenintegration wird als Weg verstärkt eingeschlagen, da Auseinandersetzungen leicht dysfunktionale Züge tragen und keinen der Beteiligten be-



9.   Distributionsbeziehungen397

friedigen. Daher werden gemeinsame Interessenfelder identifiziert und im Rahmen der Co-Organisation bearbeitet. Entsprechende Lösungsmöglichkeiten werden im Rahmen des Kontraktmarketing praktiziert. Die Verringerung des Fließwiderstands in der Pipeline als wichtiger Bestandteil bedeutet einen erhöhten Durchsatz durch Anreize. Dies geschieht meist durch Nutzung informationeller Abstimmung im Vertriebskanal. Dafür stehen umfangreiche Techniken zur Verfügung, insb. Warenwirtschaft, DPP / DPR, Efficient Consumer Response /  ECR, CPFR. Diese führen zu Win-win-Partnerschaften zwischen Hersteller und Handel. 9.4

Vertikale Kooperation im Vertriebskanal

Die Formen der vertikalen dauervertraglichen Kooperation im Vertriebskanal werden gemeinhin unter dem Begriff Kontraktmarketing (Regulated Distribution) zusammen gefasst. Ihr primäres Ziel ist die Überwindung der latent oder manifest vorhandenen Interessenkonflikte im Vertriebskanal, die zahlreich und mit starken Machtmitteln versehen, vorhanden sind. Solche Kooperationen im Vertriebskanal (Vertriebsbindungen) treten in vielfältigen Anlagen auf: •• Der Inhalt kann sich auf bestimmte Produktgruppen (Alleinvertrieb), Absatzgebiete (Gebietsschutz, Export, Reimport, Weiterexport), Angebotsfristen (Termin- / Lagerklauseln) oder Kundengruppen beziehen (Direktlieferung, Rücklieferung, Vorbehalts- / Selektionsklauseln). •• Nach der Art gibt es offene und eingeschränkte Systeme (selektive Bindungen bestehen zu mehreren Partnern eines Inhalts, exklusive Bindung besteht nur zu einem Partner je Inhalt). •• Nach der Richtung kann die Verpflichtung einseitig (von der marktschwächeren Seite ausgehend) oder gegenseitig ausgelegt sein. •• Nach dem Fokus kann es sich um inputbezogene (Beschaffung, Eingangslogistik), throughputbezogene (Koordination, Administration) oder outputbezogene Aktivitäten handeln (Verkauf, Kundendienst). •• Die Stufigkeit kann sich auf Hersteller und Großhandel, Hersteller und Einzelhandel oder Großhandel und Einzelhandel (Verbundgruppe) beziehen. Dabei können zwei oder mehr Vertriebsstufen involviert sein. Die wesentlichen Ausprägungen dieser Anlagen werden im Folgenden vorgestellt, so die Abstimmung mit Handelsstufen, die Raumvermietungsgeschäfte des Handels, die Warenvermittlungsgeschäfte des Handels und die Warenverkaufsgeschäfte des Handels (siehe Abb. 76).

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

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Abb. 76: Vertikale Kooperationen im Vertriebskanal   

    



9.4.1

9.   Distributionsbeziehungen399

Abstimmung mit der Handelsstufe

Innerhalb der Abstimmung mit der Handelsstufe ergeben sich wiederum die Ausprägungen der Rahmenvereinbarung und des Herstellergestützten Mittelstandskreises. 9.4.1.1 Rahmenvereinbarung Die Rahmenvereinbarung ist eine Absichtserklärung im Zuge der planvereinbarten Vermarktung, in der zwischen Hersteller und Handel die Eckpunkte des Geschäftsinhalts in Bezug auf Zielumsatz, Bestellsortiment, Stammplatzierung, Umsatzprämie, Leistungen des Abnehmers wie Listungsstandard halten, Neulistungen, Umlistungen, Aktionsrunden, Leistungen des Lieferanten wie Grundkonditionen, Zentralkonditionen, Werbekostenzuschüsse, Zielabstimmung etc. für das nächste Jahr definiert werden. Daran nehmen Key Account- bzw. TradeManager des Herstellers sowie Zentraleinkäufer des Handels als Repräsentanten ihrer Organisationen teil, die das Gespräch auch detailliert vorbereiten, da es sich für beide Seiten um ein sensibles Unterfangen handelt. Praktisch werden Rahmenvereinbarungen nur zwischen großen Markenartiklern und wichtigen Absatzmittlern (Großbetriebsformen des Handels) abgeschlossen. Es handelt sich deswegen um ein sensibles Unterfangen, weil die ausgehandelten Konditionen hohen Einfluss auf die Ertragssituation im Geschäftsjahr nehmen, zumal diese quasi als Besitzstand auf den Handel übergehen und im folgenden Geschäftsjahr nicht mehr Ergebnis, sondern vielmehr Ausgangspunkt von Verhandlungen sind. Davon gab es in neuerer Zeit nur eine Ausnahme, im Zuge von Kapazitätsengpässen unmittelbar nach der Wiedervereinigung Deutschlands. 9.4.1.2 Herstellergestützter Mittelstandskreis Der Herstellergestützte Mittelstandskreis ist ein Zusammenschluss klein- und mittelständischer Händler zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Großbetriebsformen der Branche, wobei deren Teilnehmer ausnahmsweise Verabredungen treffen, die Marktwirksamkeit haben. Hersteller dürfen dort auf Initiative der Händler, meist konstituiert durch einen Beirat, partizipieren, allerdings nicht Mitglied werden, sich engagieren, jedoch keinerlei Druck zur Durchsetzung ausüben. Vielmehr muss die Einigung allein auf Händlerebene zustande kommen. Die kleine und mittlere Größe definiert sich dabei nicht absolut, sondern in Relation zu den Großen der Handelsbranche. So gehören im Handel selbst Großbetriebsformen zum Adressatenkreis. Mittelstandskreise dürfen ihren Mitgliedern gegenüber Empfehlungen aussprechen, auch in Bezug auf Preise, die intern bekannt zu geben und ausdrücklich nur als unverbindlich zu bezeichnen sind (dieser Zusatz ist aber nicht in den Werbemitteln erforderlich).

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Alle ausgesprochenen Empfehlungen müssen die Leistungsfähigkeit der Beteiligten gegenüber den Branchenriesen zu fördern geeignet sein. Dann brauchen sie nicht beim Kartellamt angemeldet zu werden. Dieses beobachtet jedoch Mittelstandskreise und beanstandet sie bei Missbrauch. Hersteller bieten oft an, bestimmte Produktlinien nur über Mitglieder des Mittelstandskreises zu vertreiben. Diese erhalten dadurch einen Wettbewerbsvorteil und sind aus der Preisvergleichbarkeit herausgenommen. Beispiele finden sich in der Elektrobranche bei Weißer oder Brauner Ware (Rowenta). Als Rechtsform kommt eine GbR in Betracht, die interne Organisation erfolgt durch Selbstverwaltung. Die wichtigsten Vorteile aus Herstellersicht sind stabile Preislagen in größeren Regionen, eine höhere Motivation der Händler für „exklusive“ Mittelstandsware, bessere Produktionsplanung und harmonische Abstimmung im Vertriebskanal. Die wichtigsten Nachteile sind die kartellrechtliche Anfechtbarkeit wegen der Selektion der Mitglieder im Handel und des Engagements des Herstellers, zudem die fehlende Mengenwirkung und Distributionskraft der Großbetriebsformen des Handels. 9.4.2

Raumvermietung des Handels

Auch bei der Raumvermietung des Handels (Flächenpartnerschaften) ergeben sich verschiedene Ausprägungen, das Shop in the Shop-System, das Store in the Store-System, der Hersteller-Rack Jobber und die Konzession. 9.4.2.1 Shop in the Shop Das Shop in the Shop-System basiert auf der Untervermietung von Geschäftsfläche im größeren Handel (Dachgeschäft) an Hersteller, wobei diesen ein bestimmter Platz im Laden zugewiesen wird, der auch der eigenständigen Präsentation dient („Koje“). Neben Mietzahlungen werden auch MerchandisingLeistungen wie Möbel, Musik, Werbemittel etc. geboten. Daneben gibt es eine händlereigene Abteilung derselben Category. Vorteile für den Einzelhandel liegen in Folgendem. Es kommt zu einer Auflockerung der Warenpräsentation und zu einer Anreicherung des Sortiments um prominente Marken. Dies erhöht die Attraktivität des Ladengeschäfts. Die Betriebseinnahmen können durch Mietzins erhöht werden. Insgesamt kommt es zu einer Risikominderung und zur Vermeidung von Kapitalbindung. Nachteile entstehen dem Handel aus der Einbuße an Autonomie und der Gefahr der Verwässerung der Corporate Identity. Zudem kommt es zu einer Angebotsidentität mit konkurrierenden Dachgeschäften. Synergieeffekte zum eigenen Angebot sind nur begrenzt nutzbar. Vorteile für den Hersteller liegen in Folgendem. Es kommt zur Sicherung knapper Regalplätze an den vorteilhaftesten Standorten. Dabei kann die Corpo-



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rate Identity gewahrt bleiben. Durch den direkten Kontakt zu Endkunden kommt es zu einem Erfahrungsgewinn. Die Kundenfrequenz (Traffic) des Einzelhandels kann genutzt werden, zudem entsteht eine Partizipation an den Werbeaktivitäten des Dachgeschäfts. Gegenüber eigenen Filialen kann zudem die Schwellenangst bei Nachfragern gesenkt werden. Nachteile entstehen Herstellern aus dem erhöhten Organisations- und Abwicklungsaufwand. So kommt etwa die Akquisition, Einsetzung und Steuerung des Personals als Zusatzaufwand hinzu. Es besteht die Gefahr, dass die Dachgeschäfte das Herstellerkonzept kopieren. Außerdem sind meist restriktive Auflagen des Dachgeschäfts zu beachten. Es handelt sich also um Unterabteilungen, denen Magnetwirkung in I a-Lagen zukommt. Beispiele dafür sind Esprit, S.Oliver, Tom Tailor, Lerros, Oui, Mustang, Casamoda, Street One, Wrangler. 9.4.2.2 Store in the Store Das Store in the Store-System ist eine weitergehende Form der Untervermietung, bei der eine komplette Abteilung des Ladenlokals einem Dritten (Hersteller oder Großhandel) zur Bewirtschaftung überlassen wird. Oder ein Laden innerhalb eines Gemeinschaftswarenhauses zugewiesen wird. Daneben gibt es keine händlereigene Abteilung derselben Category. Dieser führt die überlassene Fläche wie ein eigenständiges Geschäft, trägt alle Kosten, behält Gewinne ein und leistet dafür eine Mietzahlung. Beispiele sind Spar-Lebensmittelabteilungen oder Saturn-Unterhaltungselektronikabteilungen bei Galeria Kaufhof. Nur auf diese Weise sind für diese noch attraktive City-Lagen verfügbar. Oft handelt es sich jedoch um frequenzabhängige Abteilungen, die infolge hoher Mietkosten, aufwändiger Präsentation und dauerniedriger Preise kaum rentabel zu führen sind. 9.4.2.3 Hersteller-Rack Jobber Beim Hersteller-Rack Jobber handelt es sich um einen geringeren Grad der Präsentation und Untervermietung, nämlich nur in Form von Regalflächen, die von Hersteller fest angemietet und selbst bewirtschaftet werden. Die Erlöse werden getrennt abgerechnet. Der Rack Jobber übernimmt auf eigene Rechnung die Warenbereitstellung und das Merchandising, also die Platzierung der Warengruppen und Artikel, die Gestaltung der Schaufläche, die Auszeichnung der Waren, die Aufstellung von Displays / Verkaufshilfen, die Abwicklung von Reklamationen und die logistische Organisation. Der Händler stellt somit nur den Platz zur Präsentation zur Verfügung. Ersterer profitiert von der Agglomera­ tionswirkung der frequentierten Geschäftsstätten, letzterer von der Arrondierung seines Sortiments und der Zahlung von Miete und Umsatzprovision. Rack Jobber eignen sich für den Handel bei kleinpreisigen Ergänzungssortimenten

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

und problemlosen (selbstbedienungsfähigen) Artikeln, die verkaufsförderungsbetont und risikobehaftet sind, denn der Rack Jobber trägt Beschaffungs-, Lagerungs-, Transport-, Bereitstellungs-, Service- und Rücknahmerisiken. Beispiele sind Herlitz Schreibwaren, Alpha Bild- und Tonträger oder Wenco Haushaltswaren. Ein weiteres Beispiel ist das Tchibo-Präsentation im LEH, dort werden in der Regie von Tchibo Kaffee und Merchandising-Artikel platziert, disponiert und dekoriert. Vorteile für den Hersteller sind der direkte Kontakt zu Endabnehmern, die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen dadurch und der Zuwachs von Marktkenntnissen. Nachteile liegen in der Übernahme der Distributionsfunktion und der Abhängigkeit von der Handelsstufe. Vorteile für den Händler sind die Verringerung des Absatzrisikos und -aufwands sowie die Verantwortungsdelegation, der Anfall konstanter Einnahmen mit aktueller Ware. Nachteile liegen in der Abhängigkeit vom Hersteller, Ausfällen bei eigenen Umsätzen und der Autonomieeinbuße. 9.4.2.4 Konzession Die Konzession betrifft Händler, die im Rahmen eines Untervermietungssystems in Ladenpassagen, Einkaufszentren, Gemeinschaftswarenhäusern etc. sortimentsergänzende oder periphere Angebote machen und dafür Verkaufsfläche als Ladenlokal eingeräumt erhalten (zur Abgrenzung von Konzessionären in der Gastronomie mit Ausschankerlaubnis durch Brauereien oder von Lizenznehmern). Konzessionäre sind rechtlich selbstständig, jedoch in strenge Generalklauseln eingebunden. Aufgrund des Pachtcharakters stehen ihnen die Erträgnisse ihrer Tätigkeit voll zu, sie leisten dafür jedoch, teils erfolgsabhängige, Pachtzinszahlungen. Der Verpächter profitiert von der Abrundung seines Serviceangebots (One Stop Shopping) und erhöht damit die Attraktivität seiner gesamten Geschäftsstätte, zudem erhält er Mieteinnahmen, die Pächter profitieren von der Agglomerationswirkung der Einkaufsstätte, die einen Traffic generiert, den sie selbst nicht darzustellen imstande wären. Nachteilig sind die Einschränkung der Dispositionsfreiheit beim Pächter und der Verwaltungsaufwand beim Verpächter. Beispiele sind Pächter wie Bäckereien, Fachhändler für Tierbedarf, Gastronomiebetriebe wie Cafés oder Schnellrestaurants, Dienstleistungsflächen für Friseure, Schlüsseldienste, Reinigungen, Lotto-Toto-Annahmestellen etc. im Vorraum von Einkaufszentren. Denkbar ist auch die Nutzung von Außenflächen, etwa für eine Tankstelle auf dem Parkplatz oder für ambulante Händler für Schmuck, Mobiltelefonie, Fotografie etc. im Eingangsbereich.



9.4.3

9.   Distributionsbeziehungen403

Warenvermittlung des Handels

Bei der Warenvermittlung des Handels gibt es zwei unterschiedliche Ausgestaltungsformen, den Agenturvertrieb und den Konsignationsvertrieb. 9.4.3.1 Agenturvertrieb Beim Agenturvertrieb wirken Distributoren als Handelsvertreter für Hersteller und vertreiben Ware für deren Rechnung und in deren Namen als Agenten. Damit verbunden sind ein einheitliches Präsentationskonzept und Gebietsschutz. Da die Handelsstufe nur als Absatzhelfer agiert, ist sie weisungsgebunden hinsichtlich aller Auftragsparameter. Daraus ergeben sich als Vorteile aus Herstellersicht eine hohe Distributionsdichte durch Gewinnung kleinerer Händler, eine einfache Einsatzlenkung und leichte Kommunikation, die Möglichkeit der festen Preisvorgabe, eine bevorzugte Platzierung durch Empfehlung der Agenturware und die Feinsteuerung durch differenzierte / variierte Provisionssätze. Nachteile, die sich daraus aus Herstellersicht ergeben, sind, dass die Finanzierungs- und Umsatzrisiken allein beim Hersteller liegen, ein Rückgaberecht der Absatzhelfer für nicht verkaufte Ware besteht, die Versuchung zur gegenseitigen Preisunterbietung durch Provisionsweitergabe gegeben ist, Einbußen an Wettbewerbsflexibilität durch starre Preisangaben entstehen und preisaggressive, moderne Betriebsformen hier nur schwierig einzubinden sind, da sie sich ihres wichtigsten Wettbewerbsparameters begeben. Vorteile aus Absatzhelfersicht sind hingegen die Folgenden. Es kommt zur Ausschließung des Preiswettbewerbs in Bezug auf die Agenturware, gesicherte Spannen sind durch feste Provision für jedes vermittelte abgeschlossene Geschäft gegeben, nur eine begrenzte Anzahl konkurrierender Absatzhelfer im Einzugsgebiet ist vorhanden, und die enge Anbindung macht umfangreiche akquisitorische Unterstützung des Herstellers möglich. Nachteile aus Absatzhelfersicht sind vor allem folgende. Es besteht Vergleichbarkeit der Absatzstellen durch Ausfall des wichtigsten Wettbewerbsparameters Preis, die Bevorzugung der Agenturware geht zu Lasten der Präsentation des übrigen Sortiments, eine hohe Abhängigkeit von einer dauerhaft erfolgreichen Geschäftspolitik des Herstellers der Agenturware ist gegeben und hohe Investitionen in ein Vertriebsinformationssystem sind erforderlich. Beispiele finden sich bei Mineralölkonzernen (Marken-Tankstellen) und Reiseunternehmen (Lufthansa-Agentur) etc.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

9.4.3.2 Konsignationsvertrieb Beim Konsignationsvertrieb erfolgt der Vertrieb im Handel zwar in eigenem Namen, aber auf fremde Rechnung. Der Kommittent (Hersteller) bleibt auf diese Weise Eigentümer (nicht Besitzer) der Ware und kann weitreichenden Einfluss auf deren Vermarktung nehmen. Der Abnehmer (Kommissionär) schließt mit seinem Lieferanten einen Kommissionsvertrag ab, wobei der Lieferer Eigentümer der Ware bleibt, der Abnehmer aber deren Besitzer. Endkunden können nur durch Nachprüfung erkennen, wem die Ware gehört. Der Erlös geht in vollem Umfang an den Kommittenten, dieser erstattet dem Kommissionär eine Provision darauf. Oder der Kommissionär zieht die Provision gleich vom eingezogenen Betrag ab und leitet den Restbetrag weiter. Für nicht verkaufte Ware hat er ein Rückgaberecht. Meist wird deren Wert dem Rechnungsbetrag für die nächste Lieferung gutgeschrieben. Daraus ergeben sich als Vorteile aus Herstellersicht, dass festgesetzte einheitliche Preise vorgegeben werden können, eine straffe Organisation und rasche Aktionsfähigkeit gegeben ist und ein direkter Informationsfluss vom Absatzhelfer an Hersteller besteht. Nachteile, die sich aus Herstellersicht ergeben, sind das erforderliche hohe Finanzierungsvolumen durch zumindest einmalige Vorfinanzierung der Ware, die schwierige Einbindung preisaggressiver, moderner Betriebsformen und die wettbewerbsrechtliche Problematik. Vorteile für Absatzhelfer sind hingegen die Folgenden. Es besteht kein Vertriebs- und Finanzierungsrisiko für die Kommissionsware, es ist eine gesicherte Rendite bei Absatz gegeben, einige der akquisitorischen Tätigkeiten werden vom Hersteller übernommen. Nachteile aus Absatzhelfersicht sind vor allem folgende. Eine eigenständige Differenzierung vom Mitbewerb ist durch zahlreiche Vorgaben erschwert, die unvoreingenommene Umsetzung der eigenen Vertriebsstrategie ist durch die wirtschaftliche Abhängigkeit behindert, und Erfolg und Image des Kommittenten beeinflussen die eigene Geschäftsstätte und engen Transferbedingungen ein. Ein Beispiel findet sich im Tchibo-Nebengeschäft der Bäckereien, die in Bezug auf Brot und Backwaren Absatzmittler sind, in Bezug auf Kaffee und Merchandising-Artikel aber Kommissionäre. Weitere Beispiele sind Autohändler (Gebrauchtwagen), ebay-Shop, Kartenvorverkauf in Reisebüros, Kunst- und Antiquitätenhandel, Briefmarkenhandel etc. 9.4.4

Vertriebsbindung des Handels

Bei der vertikalen Vertriebsbindung bestehen wiederum mehrere Möglichkeiten, das Depotsystem, das Franchising und der Vertragshändler.



9.   Distributionsbeziehungen405

9.4.4.1 Depotsystem Beim Depotsystem (im Eigenhandel) beliefert der Hersteller den Handel selektiv unter der Voraussetzung der Sortimentsabnahmepflicht (Franchise- und Vertragshändler-Systeme sind exklusiv). Dadurch führen ausgewählte Händler ein repräsentatives Angebot der Marke, beraten dieses kompetent und bevorzugt und präsentieren es prominent. Ansonsten sind sie frei in der Geschäftsführung. Der Hersteller leistet umfangreiche Hilfestellung bei der Vermarktung, vor allem durch attraktive Produkte und vorverkaufende Werbung. Beispiele sind hochwertige Kosmetikmarken in Parfümerien oder exklusive Uhrenmarken bei Juwelieren. Im Unterschied zu den Warenvermittlungsgeschäften wird der Depothändler Eigentümer der Ware und trägt daher auch alle damit verbundenen Kosten und Risiken. Dafür ist er frei in der Geschäftsführung. Da es sich bei der Depotware um vorverkaufte, hoch attraktive Produkte handelt, deren Produzent jedoch auf einer vertikalen Vertriebsbindung besteht, ist er bereit, als Gegenleistung für die Aufnahme in die Distribution bestimmte Verpflichtungen einzugehen. Dazu gehört die Führung eines repräsentativen Sortiments, da der Hersteller bei nur begrenzter Distribution darauf angewiesen ist, dass in den wenigen Absatzstellen sein Programm möglichst vollständig vertreten ist. Dazu gehört auch die bevorzugte Beratung der im Depot geführten Waren, indem die Präferenz des Herstellers für den Absatzmittler von diesem an seine Endabnehmer weitergegeben wird. Und die prominente Präsentation der Depotwaren im Innenraum / Eingangsbereich und Schaufenster, damit Kunden dieses Angebot zuvörderst gewahr werden. 9.4.4.2 Franchising Franchising ist ein vertikal kooperativ organisiertes Vertriebssystem rechtlich selbstständig bleibender Unternehmen auf Basis eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses. Dieses System tritt am Markt einheitlich auf und wird durch ein arbeitsteiliges Leistungsprogramm der Systempartner geprägt, sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem zur Sicherung systemkonformen Verhaltens. Das Leistungsprogramm des Franchisegebers besteht aus einem umfangreichen und vielfältigen Beschaffungs-, Vertriebs- und Organisationskonzept, das ständig weiterentwickelt wird, der Nutzungsmöglichkeit an Gewerblichen Schutzrechten, der Aus- und Weiterbildung des Franchisenehmers und der Verpflichtung, diesen aktiv und laufend zu unterstützen, der Bereitstellung von Produkt-, Firmen- und Markenzeichen, der Überlassung von S ­ ystem-Know-how, der Gewährung von Nutzungsrechten am Systemimage, der Hilfe bei Betriebsaufbau, Werbung, Verkaufsförderung, Aktionen, Sortimentsplanung, laufender Beratung auf allen Betriebsgebieten, betriebswirtschaftlichen Dienstleistungen und Organisationshilfsmitteln, Erfahrungsaustausch, Belieferung bzw. Nachweis

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

von Bezugsgelegenheiten zu festgesetzten Konditionen, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Systems, Gewährung von Gebietsschutzrechten etc. Der Franchisenehmer liefert im Gegenzug dazu Arbeit, Kapital und Information an, führt das Geschäft nach vorgegebenen Richtlinien, verwendet Marke und Zeichen des Franchisegebers, setzt sich vorbehaltlos für das System ein, wahrt alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, meldet periodisch Daten und Ergebnisse, bezieht ausschließlich beim Franchisegeber oder bei von diesem vorgegebenen Bezugsquellen, duldet Kontrollen und Inspektionen im Betrieb, erkennt das Weisungsrecht des Franchisegebers an, bildet Sortimente nach einzuhaltenden Systemstandards, nutzt das Dienstleistungsangebot etc. Als Erfolgsfaktoren des Franchisesystems sind vor allem folgende zu nennen: •• arbeitsteilige Konzentration auf die jeweiligen Kernkompetenzen mit Funktionsbündelung, Nutzung der Motivation, von Synergiepotenzialen und Größeneffekten des gesamten Systems, Schaffung von Marktzutrittsbarrieren für potenzielle Konkurrenten bei gleichzeitiger Steigerung der Attraktivität für Interessenten, sich an diesem System zu beteiligen, Standardisierung der internen und externen Leistungen, marktnahe, individuelle Kundenbetreuung unter einem gemeinsamen Markendach. Zweck des Franchisings ist es, filialähnliche Systeme zu bilden, in denen durch interorganisationale Arbeitsteilung Produktions- und Koordinationskosten gesenkt und zugleich die strategische Flexibilität verbessert werden kann. Franchising kann sich auf den Vertrieb von Produkten, die Erbringung und den Vertrieb von Dienstleistungen oder die Produktion und den Vertrieb von Produkten beziehen: •• Beim Vertriebsfranchising verkauft der Franchisenehmer bestimmte, fremd hergestellte Waren in seinem Geschäft, welches den Namen seines Franchisegebers trägt. Beispiele sind OBI, Der Teeladen oder Yves Rocher. •• Beim Dienstleistungsfranchising erstellt der Franchisenehmer mit Hilfe des Know-hows, das er vom Franchisegeber vermittelt erhält, eine Dienstleistung selbst, die er auch verkauft. Beispiele sind McDonald’s, Burger King, Holiday Inn, Musikschule Fröhlich. •• Beim Produktionsfranchising vertreibt der Franchisenehmer Produkte, die er selbst nach Produktionsverfahren bzw. Rezeptur des Franchisegebers hergestellt, bearbeitet oder veredelt hat. Dazu nutzt er das Know-how seines Franchisegebers. Der Unterschied zum reinen Lizenzsystem liegt im mitgelieferten Organisations- und Vermarktungskonzept. Beispiele sind Portas oder Biffar. Hinsichtlich der Stufigkeit kann beim Vertriebsfranchising die Produktion der Produkte auch beim Franchisegeber liegen, dann fungiert dieser als Hersteller (Herstellerfranchising). Oder der Franchisegeber bezieht die abzusetzenden Produkte seinerseits von einem Hersteller, dann fungiert er als Großhändler



9.   Distributionsbeziehungen407

(Großhandelsfranchising). Bekanntestes Beispiel ist Coca-Cola, hier erhalten die Franchisees verplompte Kapseln mit dem Coke-Konzentrat, das diese, nur mit Kohlensäure und Wasser versetzt, abfüllen und an Wiederverkäufer distribuieren (Gastronomie, Hotellerie etc.). Organisatorischer Kern des Franchisesystems ist die Systemzentrale. Sie betreibt die erfolgreiche Entwicklung des Geschäftskonzepts sowie die Etablierung und Weiterführung der Franchisebetriebe. Dazu wird zunächst ein Franchisepaket entwickelt. Alle zukünftigen Bestandteile werden darin weitestgehend festgelegt und in einem eigenen Pilotbetrieb getestet sowie die Geschäftsprozesse und die Ausstattung bestimmt. Dann sucht die Systemzentrale geeignete Partner, um das Konzept zu vervielfältigen. Die Partner werden langfristig eingebunden. Basis der Zusammenarbeit ist der Franchisevertrag. Nach deutschem Recht gibt es kein gesondertes Franchiserecht, sondern es sind unterschiedliche Bestandteile des Lizenz-, Know-how-, Gesellschafts-, Warenlieferungs- und Kaufvertrags involviert. Zwischenzeitlich sind zahlreiche Gerichtsurteile dazu aufgelaufen. Außerdem gibt es einen Verhaltenskodex für Franchising. Aufgrund der Vertragsfreiheit ist die Gestaltung der Inhalte grundsätzlich frei. In einer Präambel wird eine Zusammenfassung des jeweiligen Franchisekonzepts gegeben und die Selbstständigkeit des Franchisenehmers betont. Dann werden die Pflichten des Franchisegebers genannt, z. B. die Überlassung der Marken- / Firmenzeichennutzung und die Übertragung von Know-how. Bei den Pflichten des Franchisenehmers geht es vor allem um die Zahlung von einmaligen und laufenden Gebühren sowie ein Wettbewerbsverbot. Abschließend folgen Regelungen zur Vertragsverlängerung, zu Kündigungsbestimmungen, Abfindungsansprüchen etc. Für Details wird auf das Franchisehandbuch verwiesen, das jeweils dem aktuellen Stand angepasst werden kann. Dort sind sämtliche Informationen über das System in Wort und Bild festgehalten. Sie beziehen sich auf die Organisation des Franchisebetriebs, dessen Einrichtung und Ausstattung, Anweisungen zur Ausführung der Leistungen, Informationen über das Bestell- und Lieferwesen, Vermarktung und Werbung sowie Formulare. Die Inhalte werden in Schulungen für das tägliche Geschäft nutzbar gemacht. Je nach System werden dafür Kostenbeiträge fällig. Eine rechtliche Notwendigkeit ergibt sich aus der GruppenfreistellungsVO für Franchising. Damit sind anderweitig als wettbewerbsbeschränkend auszulegende Sachverhalte legal, sofern ein Franchisesystem vorliegt. Zum Nachweis eines solchen Systems dient u. a. das Handbuch. Da dessen Inhalte einem stetigen Wandel unterworfen sind, ist es zweckmäßig, sie nicht explizit zum Vertragsbestandteil zu machen, sondern auf die Dokumentation als Vertragsbestandteil hinzuweisen. Dort ist der tatsächliche Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer niedergelegt.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Die Franchisenehmer zahlen für die Weitergabe des Know-hows an sie, für ihre Nutzung eines fremden Markenzeichens etc. eine Franchisegebühr. Diese Gebühr ist grundsätzlich frei aushandelbar, darf jedoch nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen (z. B. Wucher). Die Gebühr unterteilt sich in eine einmalige Eintrittsgebühr, durch welche die Übernahme des Geschäftsmodells abgegolten wird sowie laufende Gebühren, durch welche die Fortentwicklung des Systems durch den Franchisegeber abgegolten wird. Der Verlauf dieser Gebühren kann linear, progressiv oder degressiv ausgelegt sein und bezieht sich zumeist auf den Umsatz als Basisgröße. Gelegentlich wird auch eine Mindestgebühr oder Pauschale vereinbart. Hinzu kommt häufig eine Werbegebühr, durch welche die Bekanntmachung / -haltung des Systems abgegolten wird. Es kommt auch vor, dass keine laufende Gebühr zu entrichten ist, dann besteht aber eine Warenbezugsverpflichtung, in die dieser Betrag bereits eingerechnet ist (verdeckte Franchisegebühr). Das Franchisesystem hält sowohl Chancen als auch Risiken für beide Seiten vor: •• Wesentliche Chancen des Franchisenehmers sind seine Risikominderung, die Partizipation an der Reputation des Franchisegebers, die Initiierung durchsetzungsfähiger Maßnahmen durch die Systemzentrale, das gegenseitige Lernen aus der Kooperation und die hohe Produktivität des Betriebs durch Erfahrungs- und Degressionseffekte. •• Wesentliche Risiken des Franchisenehmers sind die Erfüllung hoher Anforderungen seitens des Franchisegebers, die intensive Leistungsbewertung im System, das Eingehen weitreichender Vertriebsbindungen, eine hohe Abhängigkeit vom Franchisor und zugleich außerordentlich starke Einschränkungen in der eigenen Dispositionsfähigkeit. •• Wesentliche Chancen des Franchisegebers sind die Einsparung von Personalund anderen Fixkosten, die rasche Expansionsfähigkeit durch Skalierung, der geringe Kapitalbedarf für Initiierung und Betrieb, die hohe Kundennähe durch die Systempartner, daraus eine intensive Marktbeobachtung und eine eingebaute Frühwarung in Bezug auf Veränderungen. •• Wesentliche Risiken des Franchisegebers sind die Wahl der Franchisenehmer, die durchgängige Umsetzung des Systems mit Weisungen und Kontrollen, die Teilung der Gewinnspanne, die Kalminierung von horizontalen und vertikalen Konflikten im System sowie die schwierige Umsetzbarkeit einer Vertragsbeendigung infolge der hohen gegenseitigen Bindung. 9.4.4.3 Vertragshändler Der Vertragshändler übernimmt als rechtlich selbstständig bleibender Absatzmittler das Herstellervertriebskonzept in eigenem Namen und auf eigene Rech-



9.   Distributionsbeziehungen409

nung. Dies wird durch weit reichende Vereinbarungen sanktioniert, diese betreffen Vertrieb, Beschaffung, Schulungsteilnahme, Werbemaßnahmen, Lagervorhaltung etc. Der Vertragshändler ist selbstständiger Kaufmann, der durch ein Dauerschuldverhältnis in die Vertriebsorganisation eines Lieferunternehmens eingegliedert ist. Es handelt sich um einen Sukzessivliefervertrag auf der Grundlage eines generellen Rahmenvertrags und eines Kaufvertrags über jede einzelne Lieferung. Er ist verpflichtet, sich aktiv um den Vertrieb der Produkte dieses Lieferanten zu bemühen und Konkurrenzerzeugnisse nur mit ausdrücklicher Gestattung des Vertragspartners zu vertreiben. Sofern die Ware unter Eigentumsvorbehalt erworben wird, liegt eine Rechtsstellung ähnlich dem Kommissionär vor. Der Vertragshändler erhält jedoch keine gesonderte Vergütung. Er alimentiert sich allein aus der Handelsspanne. Das System ist auch nicht einmalig oder laufend gebührenpflichtig (anders als beim Franchising), der Handel verpflichtet sich aber insbesondere zur Förderung des Vertragswarenabsatzes und zum Konkurrenzausschluss und erhält dafür Gebietsschutz und umfangreiche Dienstleistungen (wie beim Depotsystem). Beispiele finden sich bei Automobilen, Tankstellen, Bosch Profi-Handwerksgeräten, Kärcher Profi-Reinigungsgeräten etc. Meist wird eine mehrfache Exklusivität vereinbart: in Bezug auf die alleingeführte Marke, in Bezug auf die Abgrenzung des Marktverantwortungsgebiets, in Bezug auf den Ausschluss der Konkurrenz und in Bezug auf die Erfüllung qualitativer Anforderungen. Weitreichende Wettbewerbsberuhigungen, die sie früher vertraglich vereinbart wurden, sind nach GVO verboten. Eine räumliche Einschränkung der Tätigkeit des Vertragshändlers ist untersagt. Serviceleistungen dürfen, falls nicht selbst übernommen, nur an autorisierte Werkstätten delegiert werden. Jede Werkstatt, welche nachvollziehbare Servicestandards erfüllt, muss als Vertragswerkstatt zugelassen werden. Das Herstellermonopol für den Vertrieb von Originalersatzteilen entfällt. Wesentliche Pflichten des Vertragshändlers lauten: •• Die Einrichtung des Verkaufs erfolgt nach den Vorstellungen des Herstellers, die dieser detailliert festlegt und überprüft. Produkte anderer Hersteller in derselben Preisklasse dürfen nicht in das Sortiment aufgenommen werden. Es bestehen vorgegebene Mindestabnahmemengen pro Zeitraum, woraus ein gewisser Verkaufsdruck resultiert. Das Sortiment ist auf die Produkte eines oder weniger Hersteller begrenzt. Es sind Mindestlagerbestände zu beachten, um eine jederzeitige Lieferbereitschaft zu gewährleisten. Die Imageübernahme vom Lieferanten erfolgt im Wege der Adaptation dessen Signalisation am Handelsplatz. Die Kundendienstübernahme betrifft die Gewährleistung ausreichender Nachverkaufsservices. Werbemaßnahmen schaffen eine Forcierung der vertretenen Produkte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Die

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Übernahme der Marktbeobachtung für den Hersteller und die Niederlegung aller Geschäftsvorgänge in einem standardisierten Reporting werden meist vereinbart. Es darf nicht in andere Vertragsgebiete hinein akquiriert werden, jedoch dürfen „Kommkunden“ bedient werden. Wesentliche Rechte des Vertragshändlers lauten: •• Der Händler vertreibt in seinem Gebiet die Produkte ausschließlich, und er kann Unterorganisationen aufbauen. Der Händler kann das Herstellerzeichen verwenden und profitiert so von dessen Goodwill. Der Hersteller ist aufgrund seiner Kontakte bemüht, den Absatz des Händlers zu sichern. Der Hersteller unterstützt ihn auch bei der Ausbildung seiner Mitarbeiter durch Schulung und Training. Die Betriebsberatung des Herstellers gibt Aufschluss über Optimierungschancen und relativen Erfolg verglichen mit anderen Händlerkollegen. Es wird Verkaufsförderung am POS und in Medien gewährt. Ebenso erfolgt die Ersatzteil- / Zubehörversorgung mit qualitätsnormierten Teilen und entsprechenden Applikationshilfen (Warenträger, Werkzeuge etc.). Beispiele finden sich vor allem im Kfz-Vertrieb. Automobilhersteller können dabei zwischen exklusivem und selektivem Vertrieb entscheiden. Exklusivrechte in einem Marktverantwortungsgebiet gelten aber nur, wenn der Verkauf von Händlern an nicht-autorisierte Wiederverkäufer (z. B. Supermärkte) unbeschränkt möglich ist. Alternativ dazu kann Vertragshändlern der Verkauf an nicht-autorisierte Wiederverkäufer vom Automobilhersteller verboten werden (Selektivoption), sofern die Vertragshändler überall in Europa frei Verkaufsniederlassungen oder Auslieferungslager eröffnen dürfen. Händler dürfen dann mehrere Automarken nebeneinander verkaufen, Hersteller können jedoch wegen der Verwechslungsgefahr auf einer optischen Separierung durch markenspezifische Verkaufsbereiche bestehen. Von Herstellern unabhängige Leasinggesellschaften können die gleichen Rabatte erhalten wie Großabnehmer, die teilweise höher liegen als die Händlerrabatte, daher entsteht ein Wettbewerb mit den Vertragshändlern. Automobilhersteller müssen schriftliche Gründe nennen, wenn sie einen Vertrag mit ihrem Händler auflösen wollen. Vertragshändler müssen die Wartung und Reparatur ihrer verkauften Fahrzeuge nicht selbst durchführen, sie können den Service auch nach entsprechender Schulung durch andere (autorisierte Servicewerkstätten) erbringen lassen. Dafür ermöglichen die Automobilhersteller freien Werkstätten Zugang zu jeglichen technischen Informationen. Die Servicewerkstätten dürfen nicht vom Hersteller selektiert werden, sondern jede Vertragswerkstatt, die vorgegebene Standards erfüllt, ist zugelassen (Nichtdiskriminierung). Werkstätten können die Ersatzteile auch von Automobilzulieferern direkt beziehen, statt teure Original­ ersatzteile zu verwenden. Als solche gelten alle Ersatzteile, die vom Teilehersteller auf der gleichen Montagelinie wie die Erstausrüstungsteile hergestellt werden (OEM).



9.   Distributionsbeziehungen411

Die Risiken des Vertragshändlers bestehen im Einzelnen aus den Komponenten Entgelt, Ware und Lager, denn sein Entgelt ist u. a. von den Einkaufskonditionen des Herstellers abhängig, aus der Ware resultiert zugleich die Haftung für mangelfreie und rechtzeitige Lieferung, und das Lager unterliegt der Entwertungsgefahr, speziell bei Lieferantenwechsel. Verpflichtet sich der Vertragshändler zur Überlassung des Kundenstamms bei Ausscheiden (z. B. als Kundenkartei), so hat er einen Ausgleichsanspruch. Der Hersteller darf ihn im Übrigen nicht in der Freiheit der Gestaltung von Preisen und Konditionen beschränken (z. B. Hauspreise) und auch nicht diskriminieren. Der Händler ist umgekehrt und an sich selbstverständlich zur Interessenwahrung und allgemeinen Loyalität nach Treu und Glauben verpflichtet. 9.4.5 Bewertung Vertikale Kooperationen von Hersteller und Handel bestehen infolge der Interessenkonflikte aus einem labilen Gleichgewicht. Daher ist für die Wahl der präferierten Kooperationsform ausschlaggebend, ob und welche Freiheitsgrade eingeschränkt werden und welche Vorsprungsposition am Markt dadurch erreichbar ist. In vorliegenden Text werden die Kooperationsformen als Abfolge steigender Verpflichtung der Beteiligten ausgeführt. Am schwächsten ist die Ausprägung bei der Abstimmung mit der Handelsstufe, am stärksten bei der Vertriebsbindung des Handels. Die schwachen Formen bieten den Beteiligten auskömmliche Freiheitsgrade, also weitgehende Unabhängigkeit, materialisieren dabei aber nur begrenzt Vorsprungspositionen, die starken Formen sind geeignet, markante Vorsprungspositionen zu erreichen, dies jedoch um den Preis starker Einschränkung der jeweiligen Freiheitsgrade, also gegenseitiger Abhängigkeit. Es kommt auf die Zielsetzungen der beteiligten Unternehmen an, welchen Grad an Abhängigkeit man einzugehen bzw. welchen Grad an Unabhängigkeit man zu verteidigen bereit ist. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich dann die Präferenz für eine dieser vertikalen Kooperationsformen oder eben auch die Präferenz für Dominanz bzw. Konflikt in der Relation oder aber Direktvertrieb unter Ausschaltung der Handelsstufe. Wesentliche Aspekte stellen dabei die Dispositionsfreiheit, der Ressourceneinsatz zur Kollaboration und das gegenseitige Vertrauen dar. Die Dispositionsfreiheit bestimmt sich unmittelbar aus der als unverzichtbar vorausgesetzten Unabhängigkeit der Entscheidungen. Der Ressourceneinsatz bezieht sich auf Zeit, Geld, Wissen und Manpower, die alle mit Kosten bewehrt sind, die etwaige Nutzen einschränken. Und das gegenseitige Vertrauen, das aus Reputation und faktischem Handeln resultiert, ist unerlässlich für eine funktionsfähige Zusammenarbeit. Je nach Ausmaß dieser drei Einflussfaktoren ergibt sich die zweckmäßigste Form. Der Erhalt der Dispositionsfreiheit begünstigt, wenn denn

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

eine vertikale Kooperation gewollt ist, schwache Formen. Der Ressourceneinsatz korreliert für gewöhnlich zu möglichen Nutzen, geringer Einsatz bringt mutmaßlich wenig Nutzen, hoher Einsatz viel. Und ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen ist Voraussetzung jeder Zusammenarbeit, und Verstöße können im Zweifel Sanktionen in Kraft setzen. Zur wissenschaftlichen Erklärung dieser Aspekte stehen drei moderne Theorien (als Teile der Neuen Institutionenökonomie (Coase/Williamson) bereit: •• Die Property Rights-Theorie beschäftigt sich allgemein mit der Verteilung von Handlungs- und Verfügungsrechten aus Eigentum, vor allem durch Nutzung (z. B. Gewohnheiten), Ertragseinbehalt (z. B. Nießbrauch), Veränderung (z. B. Form / Aussehen) und Übertragung (z. B. Kapitalisierung) dieser Rechte. Die daraus resultierenden Vorteile sind jedoch gegen die entstehenden Transaktionskosten zu stellen. •• Die Transaktionskosten-Theorie befasst sich mit den Beziehungen der Partner untereinander, insb. der Übertragung von Verträgen. Dabei entstehen Kosten für Anbahnung, Vereinbarung, Abwicklung und Anpassung der Verträge. Es liegen drei Verhaltensmodelle zugrunde: begrenzte Rationalität der Entscheidungsfindung, Opportunismus (Maximierung des eigenen Nutzens) und Streben nach Risikoneutralität. Als Alternativen zur Kooperation stellen sich dabei eine Abwicklung über den Markt (durch permanentes Aushandeln) oder eine feste Strukturierung in Organisationen. Kooperationen stellen hybride Zwischenformen dar. •• Die Principal-Agent-Theorie unterstellt unvollständige Informationen sowohl bei Auftragsgeber (Principal) als auch Auftragnehmer (Agent). Zentral sind Informationsasymmetrien, d. h., ein Partner verfügt über Informationen, die er dem anderen Partner überhaupt nicht zur Verfügung stellt oder die diesem nicht ohne Weiteres zugänglich sind (Hidden Information). Dabei weichen die Nutzenfunktionen voneinander ab. Dies kann zu nachteiliger Auswahl führen (Adverse Selection) und zu notleidenden Investitionen infolge Leistungsreduzierung (Hidden Action / Moral Hazard). Abhilfe schaffen Überwachung (Screening) und Kontrolle (Monitoring) durch den Principal. Da diese jedoch unvollkommen bleiben, helfen anreizkompatible Verträge (z. B. Ergebnisbeteiligung) und interessensausgleichende Sicherheiten (z. B. Garantien). Seitens des Agents kommen ein Signaling und ein Ausweichen vor Drohpotenzialen in Betracht. Voraussetzung aller Formen der vertikalen Kooperation ist eine Position des Herstellers, die ihn als Partner der Händler attraktiv erscheinen lässt. Und eine Position der Händler, die vom Hersteller als wichtig angesehen wird. Es kann also nicht um eine Zusammenarbeit schwacher Partner gehen, die im Zweifel weder in der Lage wären, eine Dominanzposition einzunehmen, noch einen Konflikt durchzustehen oder ihren Erfolg unabhängig zu realisieren.



9.   Distributionsbeziehungen413

Die wissenschaftliche Erklärung dieser Konstellation erfolgt im GefangenenDilemma (Tucker) als mathematische Spielsituation. Dabei stehen zwei Parteien (im Modell zwei Gefangene) vor der Wahl, jeweils ihre Chancen zu maximieren, indem sie den anderen als Täter denunzieren und selber straffrei ausgehen (Dominanzoption) oder ihr Risiko zu minimieren, indem sie beide leugnen und, sofern man sich auf den anderen verlassen kann, straffrei ausgehen (Kooperationsoption). In einem wirtschaftlichen Umfeld, das durch ausgeprägte Risikoscheu im Management gekennzeichnet ist und durch existenzielle Sanktionspotenziale in einem machtvollen Umfeld, scheint es daher unter den o. g. Voraussetzungen sinnvoller, auf Vereinbarung zu setzen, statt auf Maximierung des eigenen Nutzens zu Lasten des anderen. Allerdings ist es ein weiter Weg, sich angesichts einer ausgeprägten Antinomie tatsächlich auf das kooperative Handeln des anderen zu verlassen. Durch kontinuierliches Commitment, aber auch faktische informationelle und logistische Vernetzung ist hier gegenseitige Sicherheit entstanden, so dass es allenfalls noch punktuell zu Aussetzern kommt (z. B. Nestlé – Edeka, Mars – Kaufland).

414

10.

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Logistisches Distributionssystem

Im Unterkapitel „Logistisches Distributionssystem“ geht es um die physische Warenversorgung im Markt durch Logistik. Dazu wird zunächst die zentrale Bedeutung der Logistik im Vertrieb dargestellt (10.1). Darauf aufbauend werden verschiedene Techniken der Logistik (10.2) erläutert. Vor allem geht es um sachkundige Logistikentscheidungen in den Bereichen Transport (10.3) und Lagerung (10.4). Immer bedeutsamer wird auch die Redistribution (10.5) als Umkehrung der physischen Distribution. Bei beiden, Distribution wie Redistribution, werden logistische Absatzhelfer vielfach tätig (10.6). Leser kennen nach Durchsicht dieses Unterkapitels die erhebliche Bedeutung der physischen Distribution für den Vertriebserfolg. Sie verstehen, welche Stellschrauben innerhalb der Logistik fördernden Einfluss darauf haben. Und sie sind in der Lage, diese Parameter kenntnisreich zu handhaben. 10.1

Bedeutung der Logistik im Vertrieb

Logistische Prozesse beschäftigen sich allgemein mit Vorgängen des Transports, der Speicherung und der Handhabung von Gütern, Lebewesen, Informationen und Energien. In logistischen Prozessen werden Objekte von einem Anfangs- in einen Endzustand transformiert, wobei sich mindestens eine der Systemgrößen Zeit, Ort, Menge, Klasse ändert, ohne dass die Objekte dabei eine unerwünschte Änderung ihrer Eigenschaften erfahren. Logistik umfasst die Bereitstellung der richtigen Menge der richtigen Warenart im richtigen Zustand am richtigen Ort zur richtigen Zeit, und das zu minimalen Kosten. Von daher ist es auch korrekt, Logistik mit physischer Distribution gleichzusetzen, einem Begriff, der aus dem Militärwesen stammt, dort wiederum aus der Nachschubtechnik. Logistik gewinnt im Zeitalter des E-Commerce weiterhin an Bedeutung, weil hinter jedem elektronischen Bestellvorgang ein physischer Liefervorgang steckt (sofern es sich nicht um digitale Produkte handelt). Bei weiter steigendem internationalen Marktdruck ist die Lieferfähigkeit zu einem wichtigen Wettbewerbsparameter geworden. Zudem müssen immer mehr Waren (= Proliferation der Programme) über immer weitere Entfernungen (= Globalisierung der Märkte) verbracht werden. Hinzu kommen differenzierte Kundenwünsche mit kleineren, aber häufigeren Bestellungen sowie systemübergreifende Aufgaben in der Supply Chain. Dadurch ist Logistik von einer eher routinisierten Hilfsaufgabe zu einer Kernfunktion für die Nachfragestimulierung und Wettbewerbsprofilierung geworden. Denn der Absatzerfolg ist ganz entscheidend von der tatsächlichen Präsenz der Ware abhängig. Die physische Distribution von Waren ist zudem Voraussetzung für deren Honorierbarkeit am Markt und damit mitbestimmend für die Unternehmensexistenz. Denn es ist leicht einsehbar, dass, selbst bei medialen Formen der Kontaktaufnahme, nur



10.   Logistisches Distributionssystem415

              

   

   

        

       

Abb. 77: Elemente des Lieferserviceniveaus

ein solches Angebot abgesetzt werden kann, das physisch überhaupt vorhanden ist, und zwar genau dann und genau dort, wenn bzw. wo Bedarf entsteht und kaufwirksam wird. Der Lieferservice setzt sich aus den Komponenten der (kurzen) Lieferzeit, der (großen) Lieferzuverlässigkeit, der (hohen) Lieferflexibilität, der (steten) Lieferbereitschaft und der (exakten) Lieferbeschaffenheit zusammen (siehe Abb. 77). Die Lieferprozesszeit ist definiert als die Zeitspanne der gesamten Auftragsabwicklung, und zwar vom Zeitpunkt der Auftragserteilung an gerechnet bis zum Eintreffen der Ware am Bestimmungsort. Die Lieferzeit setzt sich zusammen aus den Zeiten für die Übermittlung des Auftrags vom Kunden an den Lieferanten, für die Auftragsbearbeitung, die Zusammenstellung / Kommissionierung, die Warenverpackung und -verladung, den Transport zum und die Einlagerung beim Kunden. Dies entspricht der Beschaffungszeit der Kunden. Eine Verringerung der Lieferzeit bedeutet also eine Senkung des durchschnittlichen Lagerbestands, damit eine Reduktion der Kapitalbindung. Das dadurch freizusetzende Kapital schafft einen Wettbewerbsvorteil. Die höhere Umschlaggeschwindigkeit führt c.p. zu einer Absatzsteigerung beim Lieferanten. Die Lieferzuverlässigkeit stellt sicher, dass es sich bei einer Lieferung nicht um irgendwelche, sondern genau um die gewünschten Produkte handelt. Sie beschreibt die Fähigkeit zur Ausführung der Bestellung direkt ab Lager. Dies drückt aus, in welchem Umfang die tatsächlich auftretende Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit vom Lager aus befriedigt werden kann. Eine Quantifizierung ist durch Termintreue- bzw. Lieferbereitschafts-Kennziffern möglich.

416

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Die Lieferzuverlässigkeit wirkt akquisitorisch, jedoch auch kostentreibend beim Lieferanten, da dafür ein höherer Sicherheitsbestand erforderlich ist. Eine Lieferflexibilität ergibt sich durch die Fähigkeit zur Berücksichtigung von Änderungen oder Sonderwünschen seitens der Abnehmer beim Lieferanten. Sie betrifft die Modalitäten der Auftragserteilung (z. B. Lieferklauseln, Mindestabnahmemenge, Art der Auftragsübermittlung, Zeitpunkt der Auftragserteilung, Rabattpolitik), die Information des Kunden (über Auftragsbearbeitungsstand, Liefertermin, zu erwartende Verzögerungen, Bearbeitung von Beschwerden etc.) und die Kompatibilität der Logistiksysteme zwischen der Vertriebslogistik des Lieferanten und der Beschaffungslogistik des Kunden. Die Lieferbereitschaft ist die Sicherheit der unmittelbaren Verfügbarkeit gewünschter Waren ab Lager, wobei der subjektiv vom Markt verlangte Sicherheitsgrad u. a. abhängig ist von der Substituierbarkeit der Ware, von der Länge des Produktlebenszyklus, den Nachfrageschwankungen der Ware, vom monopolistischen Aktionsspielraum des Anbieters, von der Kundenstruktur etc. Die Lieferbeschaffenheit stellt den Grad der Einhaltung aller bei Geschäftsabschluss vereinbarten Konditionen im Vergleich zu den tatsächlich bereitgestellten Waren dar. Sie ergibt sich aus der Liefergenauigkeit und dem einwandfreien Zustand der gelieferten Produkte. Ersteres meint die Lieferung in der von Kunden bestellten Art und Menge, letzteres die Qualität der Lieferung. Dabei gibt es einen grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen Serviceniveau als Output des Logistiksystems und Serviceaufwand als dessen Input. Dies erfordert eine Servicedifferenzierung nach Kundenmerkmalen, wobei kostenrechnerische (Vollkostendeckung) oder akquisitorische Aspekte (Kundengewinnung) im Vordergrund stehen können. Da das Logistiksystem umso effizienter arbeitet, je günstiger die Relation von generiertem Lieferservice zu dadurch verursachten Kosten ist, wird das Optimum dort erreicht, wo jede Erhöhung des Serviceniveaus in ihrem akquisitorischen Nutzen für den Anbieter durch eine Logistikkostenerhöhung überkompensiert wird bzw. jede Logistikkostensenkung zu einer Serviceniveausenkung führt, die einen vergleichsweise größeren Nutzenentgang für Nachfrager bedeutet. Eine Erfolgskontrolle ist daher auch immer zweiseitig anzulegen, umfasst also einerseits Kostenkontrolle und andererseits Leistungskontrolle. Sinnvoll ist eine nach Kundengruppen individuelle Segmentierung, wobei jedes Kundensegment nicht besser als aus dessen Sicht mindestens notwendig bedient werden soll, da einmal gewährte Serviceleistungen nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Allenfalls ist eine Kompensation durch andere Zugeständnisse denkbar, die ihrerseits auch wieder kostenträchtig sind. Außerdem sollen Steigerungsmöglichkeiten offen bleiben, ohne gleich aus der Rentabilitätszone abzusinken. Die Logistikkosten ergeben sich als der bewertete Verzehr an Gütern und Diensten zur betrieblichen Warenverteilung, evtl. unter Zuschlag von Opportunitätskosten für logistikbedingten Auftragsentgang.



10.2

10.   Logistisches Distributionssystem417

Techniken der Logistik

Die Beschaffung umfasst die Beschaffungsquelleninformation über Produkt, Markt, Lieferanten, Preis etc. aus der Beschaffungsmarktforschung. Die Bestellhäufigkeit erfolgt entweder nach Bestellzeitpunkt- (bei Meldebestand) oder Bestellrhythmusverfahren (nach festen Terminen). Die Preisplanung berücksichtigt Beschaffungspreis, Bezugskosten, Einstandspreis, Preisvergleich, Rabatte nach Menge, Zeit, Funktion und Skonto. Die Mengenplanung berücksichtigt Lieferbereitschaft und Fehlmengenkosten. Dabei lässt sich die optimale Bestellmenge ermitteln. Die Beschaffung erfolgt als Einzelbeschaffung auf Bestellung oder als Vorratsbeschaffung auf Lager. Die Beschaffungswege sind direkt oder indirekt über Beschaffungsmittler / -helfer. Die Beschaffungsorganisation erfolgt zentral über die Einkaufsabteilung oder dezentral über Funktionsabteilungen. Dabei sind Kooperationen in der Beschaffung möglich (Einkaufsvereinigung, Freiwillige Kette etc.). Die Abwicklung erfolgt nach Bedarfsfeststellung und Lieferantensuche über Angebotseinholung und -abgabe durch Lieferanten. Diese enthält Angaben zu Preis, Rabatt, Skonto, Mindermengenzuschlag, Verpackung, Zahlungs- / Lieferungsbedingungen, Erfüllungsort. etc. Das Angebot kann bindend, befristet, unbefristet oder freibleibend sein. Darauf folgt die Angebotsbewertung und dann die eigentliche Auftragsvergabe (Bestellung). Beim zugrunde liegenden Kaufvertrag kann es sich um ein Spezifikations-, Gattungs- oder Fixgeschäft handeln, sowie um einen Werk- oder Werklieferungsvertrag. Nach der Art der beschafften Waren handelt es sich um Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe, unfertige (Teile) oder fertige Erzeugnisse (Handelsware). Dabei stellt sich die Entscheidung über Eigenfertigung oder Fremdbezug. Die Beschaffungskosten beinhalten in Bezug auf die Bestellmenge variable und fixe Bestellkosten (letztere sind variabel in Bezug auf die Bestellanzahl) sowie variable Anlieferungskosten in Bezug auf die Anlieferungszahl. Aufgabe in der Eingangslogistik ist die Erfassung aller Lagerbewegungen, die Buchung der ein- und ausgehenden Waren nach Art und Menge und die Fortschreibung des Lagerbestands. Dabei erfolgen die Warenprüfung (Beleg-, Mengen-, Zeit-, Qualitätsprüfung) und die Rechnungsprüfung (sachlich, rechnerisch, preislich). Die Einlagerung erfolgt nach den Freiplatzsystem mit Lagerplatznummer oder nach dem Festplatzsystem in geschlossenen, halboffenen, offenen und Hoch-Regalen. Lagerarbeiten betreffen die Manipulation und Kommissionierung von Waren. Man unterscheidet dazu Zentral- und Dezentrallager, Fremd-, Konsignations-, Eigen- und Gemeinschaftsläger, Reserve-, Sammel-, Verteilungs-, Manipulations-, Umschlags-, Spekulations- und schließlich Normallager. Für den Lagerbestand ist zum Ende des Geschäftsjahres eine Inventur als Aufstellung über Vermögen und Schulden durch Messen, Zählen, Wiegen erforderlich (bzw. nach elektronischer Warenerfassung). Das Ergebnis

418

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

ist das Inventar. Die Bestandsbewertung erfolgt als Einzel- oder Sammelbewertung nach dem Niederstwertprinzip (HGB). Unter Umständen sind dafür FiFo (First in – first out, d. h., es wird unterstellt, dass in der Abrechnungsperiode die zuerst eingegangenen Waren verbraucht wurden), LiFo (Last in – first out) und HiFo (Highest in – First out) nach Handels- bzw. Steuerrecht zulässig. Wichtige Einflussgröße auf die Lagerbestandsplanung sind die Fehlmengenkosten. Sie umfassen zusätzliche Kosten für Eillieferungen, Konventionalstrafen, Stillstandskosten, Einsatz höherwertigerer Güter etc., Erlösschmälerungen wegen entfallender Preisnachlässe, Opportunitätskosten durch entgangene Deckungsbeiträge bei Einschränkung der Geschäftstätigkeit in Abhängigkeit von Fehlmengen, die nicht nachgeliefert werden können und Fehlmengen, die als Auftrag verloren gehen. Eine Bestandssenkung kommt hier einer hohen Umsatzsteigerung gleich. Lagerkennzahlen umfassen Mindestbestand, Meldebestand, durchschnittlichen Bestand, Umschlagshäufigkeit und Lagerdauer. Lagerkosten umfassen Raumkosten wie Abschreibung, Instandhaltung, Versicherung, Energie etc., Personalkosten wie Löhne, Sozialaufwendungen etc., Risikokosten wie Versicherung, Abschreibung, Schwund, Verderb, Veralterung, Preisschwankung) und Zinskosten etc. Bei der Wareneinteilung sind vor allem zwei Analysen zu unterscheiden, die ABC- und die XYZ-Analyse. Zunächst zur ABC-Analyse. Ihr liegt die Erfahrungstatsache zugrunde, dass sich der Absatz sehr unterschiedlich auf verschiedene Produkte des Unternehmensprogramms verteilt. So gibt es einige wenige „Renner“ und viele Langsamdreher („Penner“). Betriebswirtschaftlich ist es sinnvoll, den „Renner“-Produkten (A) mehr Aufmerksamkeit zu widmen als weniger bedeutsamen Produkten (B) oder gar „Penner“-Produkten (C). Dementsprechend werden abgestufte Aktivitätslevels vorgesehen. A-Produkte werden intensiv betreut, C-Produkte extensiv und B-Produkte liegen dazwischen. Praktisch bedeutet dies, dass A-Produkte ständiger Überwachung unterliegen, während B-Produkte eher unregelmäßig und C-Produkte nur sporadisch hinsichtlich Bestand, Zu- und Abgängen kontrolliert werden. Bei der XYZ-Analyse erfolgt eine Einteilung der Materialen nach ihren Verbrauchsschwankungen. X-Produkte haben konstanten Verbrauch mit nur gelegentlichen Schwankungen und damit hoher Vorhersagegenauigkeit. Ziel ist hier die fertigungssynchrone Beschaffung mit geringer Reichweite der Bestände. YProdukte haben konstant fallenden oder steigenden Verbrauch mit saisonalen Schwankungen und daher mittlerer Vorhersagegenauigkeit. Ziel ist hier die Vorratsbeschaffung mit hoher Reichweite der Bestände. Z-Produkte haben einen völlig unregelmäßigen Verbrauch mit unvermeidlich geringer Vorhersagegenauigkeit. Ziel ist hier die bedarfsabhängige Beschaffung mit geringer Reichweite der Bestände.



10.   Logistisches Distributionssystem419

Transportentscheidungen

Transportmittelbetrieb (eigen/fremd)

Transportmittelwahl

Wasser

Schiene

Straße

Luft

Lagerungsentscheidungen

Lagerstandortwahl

zentral

dezentral Lagerbetrieb (eigen/fremd)

Abb. 78: Logistikentscheidungen im Vertrieb

Die Lagerhaltungskosten steigen mit steigendem durchschnittlichen Lagerbestand, gleichzeitig sinken jedoch die Fehlmengenkosten aus nicht ausgeführten bzw. unnötig aufwändigen Aufträgen. Zwischen beiden gegenläufigen Größen ergibt sich das Kostenminimum als Optimum. Gleichfalls steigen mit steigenden Bestellgrößen die Lagerhaltungskosten pro Stück, jedoch sinken die Einstandskosten je Einheit. Zwischen beiden gegenläufigen Größen ergibt sich wiederum das Kostenminimum als Optimum. Im Rahmen des Vertriebs sind vor allem vier Entscheidungen der Logistik von Bedeutung, die Transportmittelwahl, der Transportmittelbetrieb, die Lagerstandortwahl und der Lagerbetrieb (siehe Abb. 78).

420

10.3

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Logistikentscheidung Transport

Beim Transport sind mehrere Einflussfaktoren von Bedeutung: •• die Versandart, d. h. persönlich, durch Boten, mit eigenem Fahrzeug oder durch Frachtführer, •• die Frachtbasis, d. h. der Ort, von dem ab der Käufer die Frachtkosten tragen muss, unabhängig vom tatsächlichen Abgangsort, •• die Frachtparität, d. h. der Ort, bis zu dem der Verkäufer die Frachtkosten tragen muss, unabhängig vom tatsächlichen Ankunftsort, •• die Lieferzeit, d. h. sofort abgehend, sofort abnehmend (nach Gesetz), mit Frist, nach Datum, •• der Erfüllungsort, d. h. der Ort, an dem der Schuldner durch rechtzeitige und mangelfreie Leistung von seiner vertraglichen Verpflichtung frei wird, •• der Gerichtsstand, d. h. Ort des Beklagten (Geldschulden sind Schickschulden, Warenschulden hingegen Holschulden nach Gesetz). Es stellen sich vor allem die Fragen nach der Wahl der Transportmittel und deren Betrieb. Bei den Transportmitteln handelt es sich im Einzelnen um Schiff, Flugzeug, Zug und Automobil. Beim Betrieb sind Eigen- oder Fremdbetrieb möglich. 10.3.1 Transportmittelbetrieb Für den Betrieb ist eine Entscheidung zwischen Eigen- und Fremdbetrieb, die sich grundsätzlich bei jedem Transportmittel stellt, zu treffen. Im Eigenbetrieb erfolgt der Einsatz der Fahrzeuge nach Bedarf und Tourenplan. Es besteht keine Genehmigungs- und Versicherungspflicht. Im Nahbereich kann dadurch der Kundenservice erhöht werden. Für den Eigenbetrieb (Werkverkehr) sprechen die größere Kontrolle über Leistungen, vor allem die Lieferzeit, und über Waren, vor allem die Qualität. Außerdem ist der Einsatz von Spezialausrüstungen möglich. Die Verkehrsmittel können zugleich als (akzidentelle) Werbeträger genutzt werden. Es ist eine erhöhte, vor allem kurzfristige Flexibilität des Einsatzes gegeben. Auch entsteht ein stärkerer Abnehmer-Lieferanten-Bezug, der akquisitorisch wirkt (z. B. kann eine Kaufnachbereitung vor Ort vorgenommen werden). Nachteilig sind jedoch häufige Leerzeiten, weil Fremdtransporte nicht gestattet sind, außerdem Standzeiten bei Spezialfahrzeugen wegen ungleichmäßigen Transportanfalls sowie der Fixkostencharakter von Fahrzeugen und Personal. Für den Fremdbetrieb hingegen sprechen die Gewährleistung von spezialisierten, professionellen Services, die größere räumliche Abdeckung aus dem Verkehrsmitteleinsatz, die (reklamationsfähige) Delegation von Pflichten und



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Verantwortung gegen Rechnung, eine willkommene Fixkostenersparnis durch fehlende Investitionen und Instandhaltungsaufwendungen sowie die freie Transportmittelwahl nach den Umständen des Einzelfalls. Zwischen diesen Einflussgrößen ist in jedem Einzelfall eine unternehmerische Abwägung als optimale Lösung zu treffen. Eine weitere Funktion, die sich daran anschließt, ist die der Verwertung und Entsorgung. Angesichts zunehmend strengerer Umwelt- und Abfallbeseitigungsrichtlinien ergeben sich hier wichtige Einzeltätigkeiten der Redistribution, d. h. der Abfall- und Überschussmaterialbeseitigung bzw. -rückführung, der Reduktion von Schadstoffemissionen und der Sammlung, Aufbereitung und Umformung von Verwertungsprodukten, vor allem Verpackungen. Die hohe Sensibilisierung der Öffentlichkeit führt hier berechtigterweise dazu, dass diesem Problemkreis besonderes Augenmerk zufällt. Mit ganz erheblichen Erfolgen in Sachen Ökologie, wo Deutschland noch zu den führenden Nationen zählt. 10.3.2 Transportmittelwahl 10.3.2.1 Wassertransport Beim Transportmittel Schiff ist zu unterscheiden zwischen See-, Küsten- und Binnenschifffahrt. Entscheidungen betreffen hier im Einzelnen vor allem die Hafenwahl in Abhängigkeit von den dort befindlichen Hafenanlagen, die Reederwahl in Abhängigkeit vom Preis-Leistungs-Verhältnis und die Transportart als Linien- oder Trampschifffahrt. Linienschifffahrt vollzieht sich nach einem festgelegten Fahrplan auf einer im Voraus bestimmten Route. Schließen sich mehrere Reedereien zur Routenabstimmung zusammen, entsteht eine Schifffahrtskonferenz (Kartell). Die Trampschifffahrt vollzieht sich hingegen ohne vorhersehbaren Fahrplan nach wechselnden Zielen (in „wilder“ Fahrt). Der Binnenschifffahrtsverkehr benutzt das Wasserstraßennetz, dessen Ausbau, Unterhalt und Überwachung mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Dort verkehren Motor-, Schub- und Schleppschiffe zum Transport von Massengütern. Eigner dieser Schiffe sind Reeder und Partikulierschiffer (mit bis zu drei Schiffen). Der Frachtvertrag wird formfrei abgeschlossen, üblich ist jedoch der Schiffsbefrachtungsschein mit Vereinbarungen über Verfrachtungsart, Frachtdokumente, Güterverladung, Transportkosten, Haftungsbegrenzung etc. Die Verfrachtung kann ein Schiff als Ganzes, einzelne Laderäume oder Stückgüter betreffen. Der Absender kann vom Frachtführer die Ausstellung eines Ladescheins verlangen, der ein Empfangsbekenntnis und die Verpflichtungserklärung, dass die Güter der im Ladeschein genannten Person gegen Rückgabe des Ladescheins ausgehändigt werden, enthält. Der Ladeschein ist ein Warenwertpapier. Der rechtmäßige Besitzer ist damit zugleich auch Eigentümer der Ware. Eigentumsübertragung und Verpfändung der Ware sind dadurch schon vor ihrer

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

physischen Ankunft möglich. Der gewöhnliche Ladeschein ist ein Namenspapier (Rektapapier) und kann nur durch Zession übertragen werden. Der Orderladeschein ist durch die Klausel „an Order“ zum Wertpapier geworden (gekorenes Orderpapier) und kann durch Indossament übertragen werden. Im Allgemeinen ist der Absender dafür verantwortlich, die Güter zu verladen, er muss sich dabei an gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Ladezeiten halten (ansonsten entstehen Überliegegelder). Der Frachtführer hat dem Absender die Ladebereitschaft anzuzeigen, die Güter mit der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers zu ­befördern und an den berechtigten Empfänger am vereinbarten Löschplatz zur Entladung zur Verfügung zu stellen. Die Transportkosten setzen sich aus ­Frachtgebühren, die zwischen Frachtführer und Auftraggeber vereinbart werden, Kanal­gebühren, die für die Benutzung künstlicher Wasserstraßen und ihrer technischen Einrichtungen fällig werden, sowie Umschlaggebühren zusammen, die bei der Umladung auf andere Transportmittel bzw. in Lagerräume entstehen (z.  B. Ufergeld, Liegegeld, Benutzungsgebühr). Der Frachtführer haftet für Schäden, sofern ihn oder seine Erfüllungsgehilfen ein Verschulden trifft. Die Höhe der Ersatzleistung ist unbegrenzt, sofern der Vertrag nicht Haftungsbegrenzungen vorsieht. Bei „Rettung aus gemeinsamer Gefahr“ entstandene Schäden werden zwischen Schiffseigner, Frachtführer und Gütereigentümer nach amtlicher Schätzung geteilt. Der Seeschiffsverkehr dient dem weltweiten Austausch von Gütern über Meere und zwischen Kontinenten. Er wird von Reedereien betrieben, die Fracht-, Container-, Fähr- und Massengutschiffe sowie Tanker einsetzen. Die Schiffsgröße wird in Volumen (Registertonnen) angegeben, der gesamte Raum ist der Bruttoraum, der reine Laderaum der Nettoraum. Die Tragfähigkeit wird in Gewichtstonnen angegeben. Die Schiffe sind mit ihren Merkmalen in das Schiffsregister eingetragen (Baujahr, Eigentümer, Größe, Beleihung etc.). Der Seefrachtvertrag ist formfrei, er bezieht sich auf das Schiff als Ganzes, einen Anteil daran, einen bestimmten Raum oder einzelne Güter. Wichtige Fracht­ papiere sind der Verladeschein, der vom Verfrachter bei Annahme der Güter erteilt wird, das Konnossement, das ein vom Kapitän oder einem ermächtigten Vertreter der Schifffahrtsgesellschaft ausgestelltes Wertpapier ist, in dem die Annahme der Güter und die Auslieferung an den durch das Konnossement beurkundeten Berechtigten bestätigt wird (der Inhalt des Konnossements ist maßgeblich für das Rechtsverhältnis zwischen Schiffseigentümer und Empfänger) sowie die Charterpartie, die eine Beweisurkunde über Abschluss und Inhalt eines Chartervertrags ist. Die zur Abladung vorgesehenen Güter müssen in Lagerschuppen (witterungsempfindlich) oder am Kai gestapelt werden, damit die Beladung keine unnötigen Liegekosten verursacht. Die Abfertigung wird normalerweise vom Schiffsmakler vorgenommen, der alle Unterlagen von den Hafenbehörden, der Zollverwaltung und den Ladungseignern besorgt und nötige Dokumente ausfertigt. Der Schiffsmakler am Bestimmungshafen erhält vor Ankunft des Schiffes einen Stauplan zur Vorbereitung der Entladung. Die Lö-



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schung erfolgt am Kai, unmittelbar auf Flussschiffe oder auf Barken zum Lagerhaus. Die Schiffsfrachten sind tariflich festgelegt (Linie) bzw. werden ausgehandelt (Charter). Stückgüter sind in Wertklassen und innerhalb dieser Klassen wiederum in leichte und schwere Güter eingeteilt. Güter, die spezifisch leichter als Wasser sind, werden nach Raum berechnet, solche, die schwerer sind, nach Gewicht. Schäden während der Fahrt entstehen aus Havarien. Der Kapitän hat ein weit reichendes Verfügungsrecht über die Ladung während der Fahrt, er kann sogar die Ladung über Bord werfen lassen, um Schiff und Besatzung zu retten. Bei gemeinsamer Havarie sind mehrere Beteiligte betroffen, der Schaden wird dann auf alle Versender umgelegt, auch solche, die nicht betroffen sind. Bei besonderer Havarie trägt nur der Betroffene den Schaden. Der Verfrachter haftet für Schäden, die durch Verlust oder Beschädigung in der Zeit von der Annahme bis Ablieferung entstehen (meist durch Transportversicherung abgedeckt). Zur Rationalisierung werden häufig Containerschiffe eingesetzt, sie ermöglichen eine durchgehende Transportkette von Haus zu Haus und werden in besonderen Hafenanlagen gelöscht. Der Weitertransport erfolgt auf EisenbahnTragwagen oder Lkw-Fahrgestellen. Einige Staaten räumen ausländischen Reedereien, die ihre Schiffe dort registrieren lassen („Billigflaggen“) Steuervorteile ein. Andere Länder begünstigen den Transport mit eigenen Schiffen bzw. benachteiligen fremde Flaggen. Die Linienschifffahrt bietet Vorteile wegen der klaren Terminkalkulation, da sie nach festen Routenplänen verkehrt, des Anlaufs bestimmter Standardhäfen in verlässlichen, regelmäßigen Zeitabständen, der guten Klassifizierung der eingesetzten Schiffe für den speziellen Transportzweck und des vorhersehbaren, festen Ankunftstermins für die Organisation des Weitertransports. Nachteile der Linienschifffahrt betreffen hingegen die Frachtraten und die Bindung an zugeteilte Schifffahrtslinien, die auf den jeweiligen Routen fest verkehren. Vorteile der Trampschifffahrt sind die frei aushandelbaren Frachtraten, die sich allein nach Angebot und Nachfrage bemessen, und die Flexibilität der Routenwahl, die auf individuelle Anforderungen abgestimmt werden kann. Nachteile der Trampschifffahrt liegen in der oftmals leicht mangelnden Seriosität und Bonität von Reederei und Kapitän, der mangelnden Eignung des Schiffs für den qualitätsgetreuen Transport spezieller Waren, der latenten Gefährdung der Termintreue durch teilweise unzuverlässige Verbindungen und der problematischen Kostenplanbarkeit, da die Frachtraten durch wechselnde Auslastung unvorhersehbar schwanken. Generelle Nachteile des Transportmittels Schiff liegen in der latenten Gefährdung der Termintreue durch Natureinflüsse wie Sturm, Hochwasser etc. Außerdem handelt es sich um eine sehr langsame Beförderungsart. Zudem liegen die Häfen meist nicht am Bestimmungsort, so dass ein gebrochener Verkehr erforderlich ist. Dafür ist als wichtiger Vorteil zu nennen, dass es sich um eine, je

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Transporteinheit gerechnet, sehr kostengünstige Transportart handelt. Auch sind sperrige, großvolumige Waren problemlos beförderbar. Die Verfahrensweise ist durch standardisierte Lieferklauseln (Incoterms) vereinfacht und differenziert möglich. 10.3.2.2 Schienentransport Das Transportmittel Eisenbahn ergibt die Alternativen der Beförderung als Massengut oder Stückgut einerseits sowie als normales Frachtgut oder Eilgut andererseits. In Abhängigkeit von den Eisenbahntarifen erfolgt die Berechnung der Transportkosten. Im Eisenbahngüterverkehr sind folgende Versandarten zu unterscheiden. Nach dem Umfang gibt es Stückgüter, d. h. einzelne Sendungen (Kisten, Fässer, Ballen etc.), die am Güterbahnhof angeliefert bzw. am Stückgutort übernommen und von der Bahn verladen werden. Das Gewicht wird festgestellt, die Zustellung erfolgt meist bahnamtlich. Wagenladungen sind Sendungen, für die der Absender einen ganzen oder mehrere Güterwagen bestellt. Er hat dann selbst für die Beladung zu sorgen, die Entladung ist Aufgabe des Empfängers. Nach der Schnelligkeit gibt es Frachtgut, das am Frachtschalter des Güterbahnhofs während der Schalterstunden aufgegeben und mit gewöhnlichen Güterzügen befördert wird. Bei Wagenladungen kann eine Verkürzung der Lieferfrist erreicht werden. Expressdienstgut kann am Personenbahnhof zu jeder Tages- und Nachtzeit aufgegeben werden, auch sonn- und feiertags. Es wird mit Personen- und Schnellzügen befördert. Die Sendungen werden bevorzugt abgefertigt und befördert. Die Zustellung erfolgt meist bahnamtlich. Sendungen für IC- / ICE- / EC-Kurierdienste werden der Bahn am Gepäckschalter oder unmittelbar am Intercity-Zug zur Beförderung an jeden IC-Bahnhof auf der Fahrstrecke übergeben. Der Empfänger muss die Sendung am Zug oder am Gepäckschalter abholen. Der Frachtvertrag kommt zustande, wenn Beförderungsgut und Frachtbrief der Eisenbahn übergeben und von dieser angenommen werden. Dann verpflichtet sich diese, die übernommenen Güter vollständig, unversehrt und innerhalb der vorgesehenen Lieferfristen nach dem angegebenen Empfangsort zu befördern und dort dem genannten Empfänger auszuliefern. Der Absender verpflichtet sich zur Ausstellung eines Frachtbriefs und zur Zahlung der Fracht sowie aller Nebengebühren. Der Frachtbrief ist zugleich Beweisurkunde für die Auflieferung des Frachtguts, Begleitpapier, das mit dem Frachtgut dem Empfänger ausgehändigt wird, sowie Sperrpapier, d. h., solange der Absender seine Ausfertigung besitzt und das Transportgut noch nicht dem Empfänger übergeben ist, kann er es durch nachträgliche Verfügung unterwegs anhalten, zurückrufen oder auf einen anderen Bestimmungsbahnhof umleiten. Erst mit Aushän-



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digung der Ausfertigung (Frachtbriefdoppel) verliert der Absender sein Verfügungsrecht. Die Frachtberechnung erfolgt nach Marktgegebenheiten, Güterart, Verladungsart, Wagenart und -anzahl, Entfernung, Gewicht und Schnelligkeit. Das Grundpreisangebot für Wagenladungen ist nach Entfernungen gestaffelt. Frachtzahler ist normalerweise der Absender, die Bahn kann den Betrag aber auch beim Empfänger einziehen. Die Bahn haftet ohne Rücksicht auf ihr Verschulden für einen Schaden, der zwischen der Annahme des Gutes zur Beförderung und der Ablieferung entsteht (Gefährdungshaftung). Sie haftet nicht, wenn der Schaden durch höhere Gewalt, Gutsbeschaffenheit, fehlende oder mangelhafte Verpackung oder durch Selbstverladung verursacht ist. Ersatzansprüche hat nur der Verfügungsberechtigte. 10.3.2.3 Straßentransport Beim Transportmittel Lastkraftwagen unterscheidet man Nah- und Fernverkehr einerseits sowie Flotten- und Einzelbuchung andererseits. Güternahverkehr betrifft die Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen im Gebiet innerhalb eines Umkreises von 75 km, gerechnet in der Luftlinie vom Mittelpunkt des KfzStandorts. Er ist erlaubnispflichtig. Die Erlaubnis wird einem fachkundigen Unternehmer für seine Person erteilt. Er kann beliebig viele Fahrzeuge einsetzen. Eine Versicherung des Transportguts ist nicht vorgeschrieben. Abschluss und Erfüllung des Frachtvertrags sind formfrei. Güterfernverkehr betrifft die Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen über beliebige Entfernungen. Die Genehmigung dazu wird nur einem fachkundigen Unternehmer erteilt. Der Frachtbrief muss von den Vertragspartnern unterschrieben werden und mit dem amtlichen Kennzeichen des eingesetzten Fahrzeugs versehen sein. Die Erfüllung erfolgt durch Übergabe des Frachtbriefs und des Transportguts an den im Frachtbrief genannten Empfänger. Die Frachtberechnung wird frei ausgehandelt. Als Orientierung dienen die von Verkehrsverbänden veröffentlichten Preistafeln. Zur Überwachung des Güterkraftverkehrs müssen eine Reihe von Dokumenten mitgeführt werden. In das persönliche Kontrollbuch werden die Lenk- und Ruhezeiten des Fahrpersonals eingetragen. Dies erübrigt sich nur, sofern ein Fahrtenschreiber installiert ist, der Lenk- und Ruhezeiten automatisch aufzeichnet. Im Fahrtenbuch werden alle Bewegungen und Standzeiten vermerkt. Alle Güter, die im Frachtbrief eingetragen sind, gelten als versichert. Für den Güternahverkehr gilt die Verschuldenshaftung des Frachtführers, d. h., der festgestellte Schaden muss voll ersetzt werden, soweit er zu vertreten ist, im Güterfernverkehr gilt die Gefährdungshaftung, wobei Schäden durch die Versicherung ersetzt werden.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

10.3.2.4 Lufttransport Das Transportmittel Flugzeug wird wegen des hohen Kapitalbedarfs überwiegend von großen, meist staatlichen Gesellschaften getragen. Der Frachtvertrag kommt durch Luftfrachtbrief zustande, der zugleich Beweisdokument für den Abschluss, Begleitdokument für den Transport und Frachtrechnung ist. Der Versand kann im Linienflugzeug als einzelne Sendungen, Gepäck und Post oder in Charterflugzeugen als Ganzes oder in einer bestimmten Menge erfolgen. Die Haftung umfasst Flughafenaufenthalt und Flug und wird durch eine Transportversicherung abgedeckt. Die Berechnung der Fracht erfolgt nach Gewicht, bei sperrigen Gütern nach Volumen. Vorteilhaft sind Container und Paletten. Die Luftfrachtraten liegen in jeder Beziehung deutlich über den Seefrachtraten. Die Transportdauer ist dafür jedoch unvergleichlich viel kürzer. Der Zielflughafen liegt meist näher am Bestimmungsort als der Zielseehafen, so dass auch binnenländische Destinationen gut erreicht werden können. Die erhöhte Lieferfähigkeit der Luftfracht steigert die Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters. Bei hohem spezifischen Warenwert, d.  h. hohem Preis je Gewichtseinheit, schrumpft zudem der Transportkostenanteil an den Gesamtkosten. Der Verpackungsaufwand ist gegenüber anderen Transportarten gemindert, da eine äußerst schonende Manipulation gegeben ist. Die Versicherungsprämien für den Transport sind niedriger, da bezogen auf die transportierten Mengen und zurückgelegten Strecken, die Luftfahrt als sicheres Transportmittel gilt (nicht jedoch in Bezug auf die Transportzeit). Die größere Lieferschnelligkeit bewirkt zugleich eine geringere Kapitalbindung durch frühere Rechnungsstellung. In Abhängigkeit von diesen Parametern muss bestimmt werden, ob und inwieweit das Flugzeug als Transportmittel jeweilig vorteilhaft ist oder nicht. 10.3.2.5 Sonstige Transportmittel In Bezug auf das Entscheidungskriterium Kostengünstigkeit kann mit steigender Menge die Reihenfolge Flugzeug, Lastkraftwagen, Eisenbahn und Schiff unterstellt werden. Eine wichtige Sonderform sind Behältnisse, die auf verschiedenen Transportmitteln befördert werden können oder auf keines von ihnen angewiesen sind (Pipeline). Der Container rationalisiert als Normverpackung den Stückguttransport, denn gesonderte Umverpackungen können entfallen. Die Beladung und Löschung von Waren wird dadurch vereinfacht. Kleinere Ladungen werden effizient zu Sammeltransporten kombiniert und nutzen Kapazitäten voll aus. Container sind transportmittelneutral und können an Terminals effizient umgeschlagen werden. Sie sind ganz entscheidend für die Bewältigung des explodierenden Transportvolumens verantwortlich. Container sind kastenartige Behälter, die zollsicher verschließbar, kran- und rollbar sind. Sie sind besonders geeignet zur Beförde-



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rung von unverpackten oder leicht verpackten transportempfindlichen Gütern, die ohne Umladung vom Lager des Absenders zum Lager des Empfängers gebracht werden. Die durchgehende Transportkette erspart Packmittel, Arbeit und Kosten, schont das Gut und vermindert die Diebstahlgefahr. Die Fracht wird in der Regel nur für das Gewicht des Containerinhalts berechnet. Collicos sind auf 20 % ihres Fassungsvermögens zusammenlegbare Lademittel der Bahn aus Stahl oder Leichtmetall mit eingeprägten Nummern für Ladegewichte bis 150 kg. Sie werden meist für ein Jahr vermietet. Sie sind in wenigen Handgriffen einsatzund versandbereit, stapelbar, gewähren Sicherheit und Schutz, reisen ohne Berechnung des Eigengewichts, werden frachtfrei leer zurückgesandt, und ersparen eigene Investitionen und Reparaturen des Auftraggebers. Paletten sind Ladeplatten, auf denen Güter bis zu einem Gesamtgewicht von 1 t befördert werden können. Sie haben eine international genormte Ladefläche von 800 x 1.200 mm. Es gibt Flachpaletten ohne Aufbau, Boxpaletten mit rahmenförmigem Aufbau und Gitterboxpaletten mit Aufbau aus Gitterwänden. Box- und Gitterboxpaletten haben einen Stahlbügelaufsatz, der ihr Aufeinandersetzen ermöglicht. Sie können mit Gabelhubwagen oder -staplern unterfahren, angehoben, bewegt und gestapelt werden. Die Pipeline für den Transport flüssiger oder granulierter Produkte stellt durch ihren immobilen, unflexiblen Charakter eine systemdurchbrechende, wenngleich bedeutsame Besonderheit dar. Sie lohnt sich nur, wenn es feste Abgangs- und Ankunftsorte gibt und eine pipelinefähige Konsistenz des Transportinhalts gegeben ist. Häufig spielen Sicherheitsaspekte eine entscheidende Rolle. Die Güterbeförderung kann auch durch Postdienste erfolgen. Dazu zählen Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP). 10.4

Logistikentscheidung Lagerung

Als Lager bezeichnet man den Bestand an Gütern, die noch nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht am Produktionsprozess teilnehmen. Man unterscheidet planmäßige (gewollte) Läger und unplanmäßige (zu vermeidende) Läger, die durch Friktionen im Wertschöpfungsprozess entstehen und Unwirtschaftlichkeit bedeuten. Ziele der Lagerhaltung sind die Aufrechterhaltung der Verkaufsbereitschaft durch den Ausgleich zwischen Beschaffung und Absatz, die Möglichkeit der Nutzung von besonders günstigen Angeboten bzw. der Ausnutzung von Mengenrabatten, dies bei niedrigen Lagerkosten. Zwischen diesen Größen besteht ein Zielkonflikt.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

10.4.1 Lagerfunktionen Dem Lager kommen wichtige Funktionen im Vertrieb zu, so die: •• zeitliche Ausgleichsfunktion bei voneinander abweichendem Materialzufluss und -bedarf, •• Sicherungsfunktion bei unvorhergesehenen Produktions‑ / Absatzschwankungen, •• Assortierungsfunktion zur Sortimentsbildung, •• Spekulationsfunktion zur Bevorratung bei vermuteten Preiserhöhungen, •• Veredelungsfunktion zur Qualitätsverbesserung etwa durch Alterung, Gärung, Reifung, Trocknung etc. Das Lager lässt sich unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Die beiden wichtigsten sind folgende. Nach dem Standort unterscheidet man Zentralläger und Dezentralläger. Nach dem Eigentum unterscheidet man Eigenbetrieb und Fremdbetrieb durch Lagerhalter. Spezialfälle sind Konsignationsläger, d. h., das Lagergut befindet sich noch im Eigentum des Lieferanten, aber schon im Besitz des Abnehmers, und Gemeinschaftsläger, d. h. mehrere Unternehmen betreiben gemeinsam ein Eigenlager. Läger können nach Konzentration, Warenfluss, Unterbringungsart, baulichen Gegebenheiten und Einlagerungsweise wie folgt unterteilt werden: •• Nach dem Warenfluss sind die Warenannahme, Lagerung und Warenausgabe in zeitlicher, räumlicher, inhaltlicher und kostenmäßiger Abstimmung zu beachten. •• Nach der Unterbringungsart handelt es sich um eine Lagerung im Freien (offene Läger), die nur bei witterungsbeständigen Waren mit relativ geringem Wert möglich ist, oder um eine Lagerung in Räumen (Innenlagerung), für Waren, die höheren Schutz, größere Sicherheit und bessere Kontrolle erfordern. •• Nach den baulichen Gegebenheiten handelt es sich um eingeschossige Läger, bei denen anliefernde Fahrzeuge, Lagerplatz und übernehmende Fahrzeuge auf einer Ebene bewegt werden, oder mehrgeschossige Stockwerkläger, die zusätzliche technische Einrichtungen zur Überbrückung des Höhenunterschieds erfordern, dafür aber mit geringerer Grundfläche auskommen. •• Nach der Einlagerungsweise gibt es Stapellager, wo Waren in die Höhe gestapelt werden. Voraussetzung ist dabei eine entsprechende Belastbarkeit der Warenverpackung. Im Hochregallager werden die Waren in mehreren Regalebenen untergebracht. Für die Einlagerung kann eine bestimmte Lagerstelle reserviert oder die jeweils nächste freie Lagerstelle bestimmt werden (chaotische Lagerung). Im ersten Fall muss nur die Lagerstelle markiert werden, im zweiten Fall jedes einzelne Lagerstück. Voraussetzung sind entsprechende



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Lagereinrichtungen, Verlade- und Beförderungsmittel sowie Informationsund Sicherungsvorrichtungen. Kommissionierung bezeichnet dabei allgemein die Zusammenstellung verschiedener Artikel nach einem vorgegebenem Bedarf aus dem Lager. Dabei kann es sich um einen oder mehrere Aufträge handeln. Der Auftrag wird manuell durch den Kommissionierer oder automatisch durch Kommissioniersysteme zusammengestellt. Bei eindimensionaler Kommissionierung werden Artikel nur bis zur Greifhöhe entnommen, bei zweidimensionaler Kommissionierung bewegt sich ein hubfähiges Regalförderzeug zu den Artikeln. Eine auftragsorientierte Kommissionierung erfolgt auf Basis des einzelnen Kundenauftrags. Das hat jedoch zur Folge, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Artikelstandorte im Lager wiederholt aufgesucht werden muss, um den gleichen Artikel für verschiedene Aufträge zu kommissionieren. Die Kontrolle der entnommenen Artikel erfolgt manuell oder automatisch (z. B. beleglos durch optische Anzeige). Die Kommissionierungszeit setzt sich im Einzelnen aus der Basiszeit für die Arbeitsbereitschaft, der Wegezeit zu den Artikeln, der Greifzeit für diese Artikel, der Totzeit als Wartezeiten und der Verteilzeit als Sozialzeiten zusammen. Man unterscheidet verschiedene Kommissionierungsverfahren. Beim Ringsammelverfahren werden alle Waren eines Auftrags von einem Kommissionierer-Team auf einem ringförmigen Weg eingesammelt. Das Sternsammelverfahren ist eine Kommissionierung, bei der Teile von Aufträgen parallel oder nacheinander in einzelnen Lagerbereichen unabhängig kommissioniert werden. Das Umlaufverfahren ist eine Kommissionierung, bei der Lagereinheiten zu einem Kommissionierplatz und nach der Warenentnahme wieder an den Lagerplatz gebracht werden. Das Karussellverfahren ist eine Kommissionierung, die eine Verbindung mit der Umlaufkommissionierung derart darstellt, dass die Ware zusätzlich an einen Stellplatz gebracht wird, an dem sie sich an dem Kommissionierer vorbei bewegt und von diesem eingesammelt wird. Das Durchlaufverfahren ist eine Kommissionierung, bei welcher die Lagereinheiten in Durchlaufregalen gelagert und automatisch oder manuell zusammengestellt werden. Für die Erfüllung der genannten Lagerfunktionen sind sowohl der Lager­ standort als auch der Lagerbetrieb bedeutsam. Hinsichtlich des Lagerstandorts ergeben sie die grundsätzlichen Alternativen eines zentralen oder mehrerer dezentraler Standorte. Zentral bedeutet gemeinhin am Standort der Fertigung (Fertigwarenlager), dezentral bedeutet in der Fläche verteilt in der Nähe von Kundenstandorten. Hinsichtlich des Lagerbetriebs ergeben sich die Alternativen des Eigentums oder der Anmietung. Im Kern handelt es sich damit um einen Make or Buy-Entscheid. Die für diese Wahl wichtigen, vertriebsrelevanten Vorund Nachteile werden daher im Folgenden kurz dargestellt.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

10.4.2 Lagerstandortwahl Der Entscheidung zwischen zentralem oder dezentralem Lagerstandort liegt folgende Überlegung zugrunde. Mit steigender Zahl dezentraler Lagerstätten sinken zwar die Transportkosten von den einzelnen Lagerstätten zu den jeweiligen Kunden, gleichzeitig steigen jedoch die Lagerhaltungskosten (Fixkostenintensität) für den Betrieb dieser Lagerstätten sowie die Transportkosten vom Lieferanten zu den Lagerstätten. Zwischen diesen beiden gegenläufigen Entwicklungen ergibt sich ein relatives Optimum beim Gesamtkostenminimum. Umgekehrt steigen bei zentraler Lagerstätte die Transportkosten von diesem Lager zu den jeweiligen Kunden, gleichzeitig sinken jedoch die Lagerhaltungskosten sowie die Kosten für den Transport vom Lieferanten zur Lagerstätte. Auch hier ergibt sich aus den beiden gegenläufigen Entwicklungen ein relatives Optimum. Der Vergleich beider relativer Optima bei ansonsten gleichen Bedingungen führt zur Entscheidung für oder gegen einen zentralen oder mehrere dezentrale Lagerstandorte. Das Zentrallager bietet folgende Vorteile für Abnehmer: •• Erhöhung der Artikelpräsenz, verbesserte Sortimentspolitik, schnellere Nachlieferung, Reduzierung der Bestände, Verringerung des administrativen Aufwands, Senkung der Transport- und Verpackungskosten, Chancen zur Konditionenverbesserung, Einsatzmöglichkeiten von Lager-, Kommissionier- und Beförderungstechnik. Dem stehen folgende Nachteile für Abnehmer gegenüber: •• Nicht geeignet für alle Sortimentsarten, höhere Kapitalbindung, hoher Umstellungsaufwand, Verwundbarkeit durch Streik, Boykott etc. Das Zentrallager bietet folgende Vorteile für Lieferanten: •• Übersicht über Art und Menge der Lagergüter, rationelle Nutzung der Räume und Einrichtungen, geringe Kapitalbindung in den Waren und geringer Personalbedarf, reduziertes Handling, Erfüllung höherer Serviceanforderungen der Abnehmer, Reduzierung der Bestände, reduzierte Distributionskosten, flexibler Ausbau der technischen Einrichtungen, flexible Verteilsysteme. Dem stehen folgende Nachteile für Lieferanten gegenüber: •• Größeres Risiko (Kundenferne) und längere Transportwege bei der Auslieferung zu Kunden, Zusammenlagerungsverbot bestimmter Waren (z. B. genmanipuliertes und natürliches Getreide), Verbot der Lagerung gefährlicher Waren in bestimmten Gegenden (z. B. Sprengstoffe in Wohngebieten), keine Nutzung von Speziallagerräumen, hohe Kapitalbindung. Für das Dezentrallager ergeben sich spiegelbildlich die genannten Vor- und Nachteile des Zentrallagers. Im Wesentlichen handelt es sich um Vorteile aus Lieferantensicht wie große Übersichtlichkeit, leichte Bestandserfassung, Zugriff auf alle Lagerdaten, gute Lagerplanung, einfache Bestands- und Bewegungs-



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kontrollen, weniger Administrationskosten. Sowie um Nachteile wie längere Transportwege zu Kunden, damit potenzielle Störungen und höhere Kosten des Transports. Eine verbreitete Form des Dezentrallagers ist das Regionallager (Auslieferungslager) als Pufferlager zwischen Produktion und Absatz, das auf regionaler Ebene den Lieferservice sicherstellt. 10.4.3 Lagerbetrieb Bei der Verwaltung des Fertigwarenlagers sind Eigen- und Fremdbetrieb möglich. Eigenbetrieb bietet sich vor allem dann an, wenn: •• die Nachfrage stabil ist, also ein erforderlicher Warenpuffer kontinuierlich verfügbar sein muss. Dann gebietet die Notwendigkeit auf schnellen Zugriff den autonomen Unterhalt. •• die Märkte räumlich stark konzentriert sind, man also mit einem oder wenigen Standorten auskommt. Dies lässt sich aber nur bei vergleichsweise kurzen Wegen zu den Abnehmern realisieren, da ansonsten Wegevorteile zugleich Zeitnachteile mit sich bringen, die wiederum Wettbewerbsnachteile bedeuten. •• ein hoher Lagerdurchsatz gewährleistet scheint, ein Lager also gleichmäßig ausgelastet ist. Dann werden die vergleichsweise hohen Fixkostenanteile durch entsprechende Auslastung zu Nutzkosten relativiert. •• eine direkte Kontrolle erforderlich bleibt, die aus Qualitätssicherungsgründen ungern delegiert wird. Es ist zu Zeiten von TQM eine unerlässliche Voraussetzung, dass hohe Eingangsqualität nicht durch Lagerung leidet und so reklamationsfähig wird. •• gesonderte Ausrüstungen zur Manipulation nötig werden, die anderweitig nur schwerlich verfügbar sind. Dies gilt vor allem bei Investitionsgütern, bei denen weitgehend nicht-standardisierte Waren manipuliert werden. •• eine spezielle (wenn auch unwesentliche) Be- oder Verarbeitung vor der Auslieferung erforderlich ist. Dabei stellt sich allerdings zunehmend die Alternative des Outsourcings als Auftragsvergabe an externe Be- und Weiterverarbeiter. Fremdbetrieb bietet sich hingegen an, wenn: •• die Nachfrage im Zeitablauf erheblich schwankt, also kein kontinuierlicher Warenpuffer erforderlich ist. Dies verhindert eine unzureichende Auslastung der Fixkosten und lässt absolut höhere variable Kosten vorziehenswürdig erscheinen, die Nutzkosten darstellen. •• Märkte räumlich stark verstreut liegen, so dass mehrere Läger nur unrentabel zu betreiben sind. Dann ist es im Sinne des Wettbewerbsfaktors Zeit günstiger, Lagerstandorte in der Nähe großer Abnehmer fallweise oder dauerhaft anzumieten.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• Märkte häufiger wechseln, etwa wenn es sich um spezialisierte Waren mit wechselnden Abnehmerstandorten handelt. Dann bedeutet ein Eigenbetrieb eine unnötige Fixierung der Tätigkeiten in einem offensichtlich flexiblen Markt. •• verschiedene Transportmittel eingesetzt werden, die intern nicht vorgehalten werden können. Als Alternative bietet sich dann nur noch das Leasing als Form der nutzungskonformen Abzahlung an. •• das implizierte Lagerrisiko besser eine Verantwortungsdelegation angezeigt erscheinen lässt. Insofern können Gewährleistungsansprüche eingefordert werden und gehen nicht zu Lasten eigener Rechnung. •• eine Produktgruppe erst neu eingeführt werden soll, der erforderliche Lagerbedarf also noch ungewiss ist. Nach Ablauf einer Zeitspanne kann dann die erforderliche Lagerraumdimensionierung besser abgeschätzt werden. 10.5

Redistribution

Bei der Redistribution handelt es sich um die Umkehrung des Waren-(und evtl. Geld-)flusses im Vertriebskanal. Der Redistributionskanal bezeichnet insofern die Art und Weise, wie die zu verwertenden Konsumrückstände aufgrund der Arbeitsteilung zwischen den beteiligten Wirtschaftssubjekten vom Nutzer wieder zurück zum Verursacher oder dessen Verwerter gelangen. Dabei handelt es sich um Verpackungen, Umverpackungen, Transportverpackungen und Altprodukte. Es geht um die ökonomisch und ökologisch effiziente Ausgestaltung aller Tätigkeiten der Überbrückung von Konsumrückständen vom Anfallort bis zum Ort der erstmaligen (Weiter-)Verarbeitung oder (Wieder-)Bearbeitung, wobei die Reststoffe in ihrem ursprünglichen Zustand eine abgeschlossene Distribution durchlaufen. Der Logistik kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Sie schließt den Stoffkreislauf zwischen Produktgebrauch / -verbrauch und Recycling durch Rückführung von Altprodukten bzw. deren Rückständen in die Produktion (Verwertung) oder den erneuten Gebrauch (Verwendung). Statt von Reststoffen ist es bei Verpackungen und Produkten besser, von Konsumrückständen zu sprechen, da ansonsten Produktionsrückstände mit in die Redistribution einzubeziehen wären. Ökonomische Effizienz bedeutet praktisch insgesamt eine kostenneutrale Systemgestaltung. Redistribution muss dazu bereichsübergreifend an der gesamten Prozesskette ansetzen. Ziel ist die Rückführung der herstellereigenen Konsumrückstände in künstliche Recyclingkreisläufe zu deren Aufarbeitung und Wiedereinsatz in die Produktion bzw. zur Energieerzeugung. Dabei geht es um die für die Entstehung von Transaktionen unabdingbare Überbrückung von zeitlichen, räumlichen, quantitativen und qualitativen Diskrepanzen zwischen dem Entstehungsbereich von Konsumabfällen und dem Verwendungsbereich dieser Konsumrückstände.



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Diese Funktionen werden durch beteiligte Unternehmen wahrgenommen und stellen sich wie folgt dar: •• quantitative Konsumrückstandsumgruppierung durch Zusammenfassung der zu verwertenden Verpackungen und Produkte zu größeren Lade- und Transporteinheiten durch Sammelrhythmus bei Konsumenten und entsprechende Logistiksysteme, •• qualitative Konsumrückstandsumgruppierung durch Sortierung und Trennung der verschiedenen Konsumrückstände für eine spätere Verwertung durch Klassifikation der Wertstoffarten und Qualitätsgruppen bzw. deren Reinigung, •• Raumüberbrückung durch Transport zwischen den verschiedenen Rückstandsstationen und dem Verwertungsweg nach Wahl des Transportmittels und der Ladehilfsmittel, •• zeitlicher Ausgleich durch Kontinuierung von Mengenschwankungen zur gleichmäßigen Auslastung der verschiedenen Verwertungsanlagen, •• Rückstandsermittlung, d.  h., Bekanntmachung redistributiver Maßnahmen durch deren Anbieter und Identifizierung des Redistributionssystems mit ­einem Hersteller, •• Rückstandslenkung, d. h., Bekanntmachung des Steuerungsbedarfs der Rückstände zu geeigneten Sammel- und Verwertungsstellen, •• Entgelttragung, d. h., angemessene Verteilung der dabei anfallenden Lasten und Kosten gemäß dem realisierten Koordinationsprinzip, •• Reverse Logistics, d. h., Bereitstellung der Konsumrückstände zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Menge, am richtigen Ort und in richtiger Art. Eine einfache Umkehrung der Gestaltung des herkömmlichen Distributionskanals scheitert aber daran, dass •• neue Institutionen in das Verhaltenssystem des Herstellers eintreten, dazu gehört auch die Entsorgungswirtschaft, die durch die Distribution nicht tangiert ist, •• Marktpartner aus den ursprünglichen Absatzbeziehungen neue und / oder erweiterte Aufgaben übernehmen, nämlich neben der Abgabe von Leistungen auch deren Rücknahme, •• unterschiedliche Transportanforderungen zwischen neuwertigen und gebrauchten Gütern bestehen, dies bezieht sich u. a. auf die Qualitäts- und Zeitsensibilität, •• weder die Kapitalbindung noch die Verfügbarkeit der Konsumrückstände eine bedeutende Rolle spielt, wie das bei Neuwaren regelmäßig der Fall ist, •• die Volumendifferenzen zwischen neuwertigen und gebrauchten Gütern teilweise immens sind,

434

B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• ein zusätzlicher Teil der hoch rationell genutzten Betriebsfläche im Handel beansprucht werden kann, •• Verbraucher mit anderen (privaten) Verhaltensmustern als Ausgangspunkt von Warenströmen auftreten (die Notwendigkeit der Redistribution führt hier zu Dissonanz und Nutzenentgang, daher wird eine Minimierung des Aufwands angestrebt, so dass der Bequemlichkeitsfaktor zu berücksichtigen ist, was wiederum steigende Kosten verursacht). In Bezug auf die Redistribution lassen sich Hol- und Bringsysteme unterscheiden. Bei Holsystemen werden die Mengen unmittelbar am Anfallort bei Konsumenten abgeholt (z. B. Gelbe Tonne). Dadurch steigt die Motivation zur Sammlung und Beteiligung, allerdings entstehen auch hohe Transportkosten. Zur Anpassung können mehrstufige Holsysteme dienen. Beim Bringsystem werden die Konsumrückstände von Konsumenten an einen Sammelort verbracht (z. B. Altglas). Dadurch steigt jedoch der Entledigungsaufwand, mithin sinkt die Motivation zur Teilnahme, dafür sind aber die Transportkosten geringer. Denkbar ist auch eine Kombination in Treffsystemen, d. h., der erste Halbweg wird im Bringsystem bis zu Sammelstellen zurückgelegt, der zweite Teilweg im Holsystem bis zum Verwertungspunkt, wobei die Aufteilung der Strecken zu diskutieren ist. Eine weitere Möglichkeit ist die gesetzliche Verpflichtung zur Verbringung von Konsumrückständen (Elektronikschrott, Arzneimittel etc.). Das Redistributionssystem kann eigen- oder fremdgestaltet sein. Eigengestaltet bedeutet, dass jeder Hersteller selbst für die Rückholung seiner Altverpackungen und -produkte Sorge trägt (direkter Weg). Dies scheint allerdings wenig praktikabel. Fremdgestaltet bedeutet, dass Hersteller diese Aufgabe an Dritte vergeben (indirekter Weg). Dabei kann es sich um eine dezentrale Vergabe handeln, die im Effekt aber den Nachteilen der Eigengestaltung nahe kommt, oder um eine zentrale Vergabe, bei der sich mehrere (alle) Verursacher eines gemeinsamen Dritten zur Funktionserfüllung bedienen. Dabei kann es sich um Hersteller einer Branche, um Hersteller verschiedener Branchen oder Verursacher verschiedener Wirtschaftsbereiche wie Hersteller und Absatzmittler handeln (z. B. DSD). In diesem Fall ist eine zwei- oder mehrstufige Redistribution unter Einschaltung von Mittlern oder Helfern gegeben. Allerdings müssen die rückgeführten Verpackungen und Produkte nicht unbedingt beim Verursacher auftauchen, sondern dieser kann sich zur Entsorgung gleichfalls Dritter bedienen, die gegen (positives oder negatives) Entgelt bzw. gegen Warentausch (Rohstoff gegen Recyclat) tätig werden und nur die Gestaltung der Redistribution übernehmen. Bei indirekter Redistributionsstrategie können viele Mittler auf einer Stufe eingeschaltet werden, damit möglichst alle Konsumrückstände flächendeckend wieder- und weiterverwertet werden können. Oder nur wenige, qualitativ ausgewählte Mittler, um ökonomische Randbedingungen einzuhalten, oder aber nur ein Mittler (wie in Form des DSD bei Verpackungen). Zudem sind vielfältige



10.   Logistisches Distributionssystem435

Kooperationen denkbar, zumal sich Verwertungen meist nur bei hohem und stetigem Einsatzmaterialaufkommen rechnen (weshalb vielfach bereits Abfall fremd zugekauft wird). Allgemein marktregulierend greift der Gesetzgeber ein. Die Verordnung über die Entsorgung von Altautos sieht etwa vor, dass alle Automobile, die nach dem 1.1.1998 zugelassen und nicht älter als zwölf Jahre sind, in anerkannten Annahmestellen oder in Verwertungsbetrieben für den Halter kostenlos entsorgt werden müssen. Bei Fahrzeugabmeldung an den Zulassungsstellen verlangen diese ­einen Verwertungsnachweis oder eine Verbleibserklärung. Kfz-Betriebe können als anerkannte Annahmestellen für Altautos zertifiziert werden. Die Automobilhersteller sind zunächst verpflichtet, alle Fahrzeuge, die ab 2006 zugelassen wurden, kostenlos für eine ordnungsgemäße Verwertung zurückzunehmen. Ein weiterer Aspekt betrifft die Retourenlogistik, dabei handelt es sich um das Handling von Artikeln, die von End- oder Zwischenkunden an den Handel zurückgegeben werden. Dabei stellen sich Aufgaben sowohl zur Retourenvermeidung (aktiv) als auch zur Retourenbehandlung (passiv). Es geht also darum, Retouren erst gar nicht entstehen zu lassen und anfallende Retouren effizient abzuwickeln. Dies ist insb. im Rahmen des E-Commerce ein bedeutsames Problem, wo Retourenquoten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (Fernabsatzrichtlinie im B-t-C) enorme Höhen erreichen können (bei Bekleidung etwa 50 %). Die Retourenvermeidung kann durch Qualitätssicherung nach Art und Menge sowie durch Logistikoptimierung nach Raum und Zeit erreicht werden. Die Retourenabwicklung betrifft die Rückführung der Retouren in den Warenbestand, die Nachbesserung zur Wiederherstellung der Verkaufsfähigkeit, die anderweitige Verwertung der Waren oder deren Vernichtung. Retouren betreffen nicht nur Artikel, sondern auch Verpackungen. In Bezug auf Verpackungen sind Mehrwegbehältnisse zu bevorzugen. Die Abwicklung kann durch betriebseigene Systeme, Multi-Partner-Systeme oder Poolsysteme mit standardisierten Behältern und Depots erfolgen. Dabei kann ein Zug um Zug-Tausch erfolgen (z. B. Paletten) oder ein Direkttausch (z. B. voll gegen leer) oder ein Saldenausgleich (nach Volumen). Die Berechnung erfolgt per pauschalem Pfand oder durch individuelle Berechnung. Die „Grüne“ Logistik (Green Logistics) soll ein Gleichgewicht zwischen ökonomischer und ökologischer Effizienz durch nachhaltige Konzepte erreichen, die der sozialen Verantwortung der Unternehmen entsprechen. Zur Verringerungen von Emissionen bieten sich zahlreiche Maßnahmen an: •• Verkehrsvermeidung durch bessere Kapazitätsauslastung, Reduzierung der Fahrtstrecken, Verringerung von Anlieferstopps, •• Verkehrsverlagerung durch Nutzung alternativer Verkehrsträger, vor allem Schiff und Bahn,

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• Gestaltung der Verkehre durch rollwiderstandsoptimierte Reifen, Leichtlauföle, umweltschonende Antriebstechniken, leichtere Fahrzeuge, •• präferenzielle Verwendung nachwachsender Rohstoffe für Verpackungen, Modularisierung von Logistiklägern, •• Materialoptimierung, Sendungsverdichtung, Transportbündelung etc. Die Überprüfung erfolgt durch eine Umweltmanagement-Zertifizierung nach DIN ISO 14001. 10.6

Logistische Absatzhelfer

Logistische Absatzhelfer sind vor allem Transport- und Lagerunternehmen, sie organisieren den Zeit- und Raumtransfer von Waren, ohne dabei deren Eigentümer zu werden. Der Spediteur übernimmt im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Auftraggebers die Planung und Durchführung des Transports vom Absender zum Empfänger inklusive aller Nebendienste. Der Frachtführer verbringt hingegen die Waren selbst, muss aber nicht mit dem Spediteur identisch sein. Der Lagerhalter trägt für die Einhaltung der Qualität und Quantität der Ware Sorge (siehe Abb. 79). 10.6.1 Spediteur Der Spediteur ist selbstständiger Kaufmann im logistischen Bereich, der gewerbsmäßig in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung (des Versenders) die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle der Beförderung von Gütern vom Absender zum Empfänger durch einen Frachtführer oder durch Verfrachter von Seeschiffen besorgt (§§ 453 ff. HGB). Er tritt damit als Transportvermittler auf und übernimmt meist alle zum Transport gehörenden Nebenleis-

     

  

   

  

Abb. 79: Logistische Absatzhelfer



10.   Logistisches Distributionssystem437

tungen wie Versicherung, Zwischenlagerung, Dokumentenbeschaffung, Verzollung etc. Die Vermittlung beinhaltet die kaufmännische Verwaltung und organisatorische Handlung und Kontrolle der Frachtführer. Oft übernimmt der Spediteur auch selbst die Funktion des Frachtführers, indem er die Ware mit eigenen Transportmitteln befördert, und evtl. auch die Funktion des Lagerhalters. Wird der Versand zu bestimmten Beförderungskosten durchgeführt, hat er nur die Rechte und Pflichten eines Frachtführers. Der Versandspediteur übernimmt im Vorlauf Sendungen bei verschiedenen Versendern, stellt diese Sendungen nach Verkehrsrichtungen zusammen und sorgt für den Transport im Hauptlauf als Sammelladung. Der Empfangsspediteur wird beauftragt, im Nachlauf die Ladung in Empfang zu nehmen, sie zu entladen, nach Einzelsendungen zu sortieren und dem einzelnen Empfänger auszuliefern. Dabei sind auch Zwischenspediteure eingeschaltet. Spediteure im gewerblichen Güternahund -fernverkehr werden behördlich zugelassen. Vertragsgrundlage sind die Allgemeinen Deutschen Spediteursbedingungen (ADSp). Sie schließen Frachtverträge ab und erscheinen auf Frachtbriefen als Absender. Der Spediteur erhält als Vergütung Provision und Übernahme- / Auslagenersatz, hat ein gesetzliches Pfandrecht am Beförderungsgut, wenn der Versender seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt, kann auch selbst als Frachtführer in die Ausführung des Vertrags eintreten und wählt in Abstimmung die bestgeeignete Beförderung. Der Spediteur haftet bei Verlust oder Beschädigung bei nachweisbarem Verschulden. Er hat seine Sorgfaltspflicht bei der Ausführung des Transportgeschäfts walten zu lassen (insb. bei der Auswahl eines geeigneten Frachtführers) und die Interessen als Treuhänder seiner Kunden zu wahren. Und er hat Weisungen gegenüber dem Versandauftrag des Auftraggebers zu befolgen und (Gewährleistungs-) Rechte gegenüber seinem Auftraggeber zu wahren. Das Speditionsbuch ist Teil der betrieblichen Buchführung einer Spedition, das Aufträge und ausgeführte Leistungen in einem entsprechenden Ordnungssystem enthält. Die Eintragungen erfolgen chronologisch und sind jeweils zur Kontrolle mit einer IdentNummer als Kennung versehen. Bei der Gebietsspedition werden regional zusammen liegenden Lieferanten Spediteure zugeordnet, welche die einzelnen Beschaffungsvorgänge konsolidieren und einen oder mehrere Abnehmer in Sammelladungen beliefern. Damit werden alle mit gleicher Versandrichtung zu befördernden Güter zusammengefasst. Das bringt einen Kostenvorteil, zugleich aber auch einen Zeitnachteil. Es lassen vier Generationen von Logistik-Services wie folgt unterscheiden: •• First Party Logistics bezeichnet die Beauftragung von Frachtführern zur Übernahme logistischer Dienstleistungen, die vom Unternehmen selbst organisiert werden. •• Second Party Logistics bezeichnet die Beauftragung von Spediteuren mit logistischen Leistungen (Transport, Umschlag, Lagerung), die diese von Frachtführern ausführen lassen.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

•• Third Party Logistics bezeichnet die dauervertragliche Übernahme von Logistikdienstleistungen (TUL) durch Spediteure im Rahmen der Kontraktlogistik. •• Fourth Party Logistics bezeichnet das komplette Outsourcing von LogistikServices an entsprechende Dienstleister, die nach vorgegebenen Standards (Service Level Agreements) zu vereinbarten Festkonditionen eigenverantwortlich diese Aufgaben mit Absatzhelfern koordinieren, ohne sie selbst auszuführen. Die Tätigkeiten des Spediteurs sind dabei vielfältig: •• Beratung und Besorgung für die Wahl des Frachtführers, des Transportmittels / -wegs, Aushandeln von Frachtraten und Konditionen, Abschluss von Frachtverträgen, Beschaffung von Dokumenten, •• Beförderung mit Durchführung von Frachtführertätigkeiten (bei Selbsteintritt), •• Beratung über geeignete Lagermöglichkeiten, Durchführung des Ein- und Auslagerns, Lagerung, Warenmanipulation, Lagerbestandsmanagement, Kommissionierung, •• Sammeln, Verteilen, Durchführen des Spediteur-Sammelgutverkehrs, •• Besorgen und Durchführen des physischen Güterumschlags, •• Verpackung, Markierung, Entfernung von Herkunftszeichen, Umpacken, Umsignieren, Bemusterung, Mengen- und Qualitätsfeststellung, •• Warenversicherung und Ausführung spezieller Dienste in Treuhänderfunktion, •• Inkasso bei Fracht- und Warennachnahmen, •• Zollbehandlung, •• Ausführung spezieller Services als Treuhänder zwischen Käufer und Verkäufer, insb. im Auslandsvertriebs, •• Abwicklung von Anlagetransporten, Spezialverkehr (Frucht, Gefahrgut, Kühlgut, Möbel etc.). 10.6.2 Frachtführer Als Frachtführer zur Güterbeförderung gilt, wer sich als selbstständiger Kaufmann durch Abschluss eines Beförderungsvertrags gewerbsmäßig verpflichtet, die Beförderung von Gütern per Schiene, Straße, See, Luft, Binnengewässer oder in einer Kombination dieser Transportarten je nach Zweckmäßigkeit durchzuführen (§ 437 HGB, § 442 HGB). Der Frachtführer verbringt Waren selbst, ohne sich jedoch mit den zum Transport erforderlichen Vor- und Hilfsleistungen zu befassen. Die Beförderung erfolgt in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung, sie gilt als erfüllt, wenn Gut und Frachtbrief beim Empfänger übergeben werden. Sichtbare Mängel der Fracht sind sofort zu rügen, versteckte



10.   Logistisches Distributionssystem439

Mängel innerhalb einer Woche nach Annahme. Der Frachtführer hat ein Recht auf Ausstellung eines Frachtvertrags (meist als Frachtbrief), welcher die Bedingungen für die Beförderung enthält, und übergibt den Frachtbrief und alle Begleitpapiere. Er hat außerdem ein gesetzliches Pfandrecht am Beförderungsgut bei Zahlungsverweigerung für begründete Forderungen, und erhält die Transportkosten incl. Auslagen vom Auftraggeber erstattet. Dafür leistet er fristgerechte Beförderung und Erfüllung aller vertraglichen Pflichten, befolgt Weisungen des Auftraggebers, benachrichtigt diesen unverzüglich bei Ablieferungshindernissen und haftet für Verlust, Lieferfristüberschreitung und Beschädigung sowie Nichtbefolgung nachträglicher Verfügungen des Absenders. Der Frachtführer hat dem Absender die Ladebereitschaft anzuzeigen, die Güter mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu befördern und an den berechtigten Empfänger am vereinbarten Entladeplatz zur Verfügung zu stellen. Der Frachtführer haftet für Schäden, sofern ihn oder seine Erfüllungsgehilfen ein Verschulden trifft. Den Entlastungsbeweis muss er führen, sofern aus dem Vertrag nichts Gegenteiliges hervorgeht. Die Haftungshöhe ist unbegrenzt, sofern nicht anders vertraglich vereinbart. Er hat die Weisungen des Empfängers zu befolgen und alle vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, vor allem die Übergabe der Ware und die Ausstellung eines Ladescheins. Der Frachtführer erhält ein gewichtsbezogenes Rollgeld für den Transport von Waren vom Lager des Versenders bis zum Versandbahnhof bzw. vom Bestimmungsbahnhof bis zum Lager des Empfängers. Ablader ist derjenige, der aufgrund eines zwischen Befrachter und Verfrachter geschlossenen Beförderungsvertrags Güter zur Beförderung mit Seeschiffen übergibt. Der Luftfracht-Agent ist ein Absatzhelfer, der speziell die Abwicklung des Vor- und Nachtransports, die Verpackung und Versicherung bei Luftfracht übernimmt. Teilweise erledigt er seine Dienste auch in Terminals außerhalb des Flughafens. Zudem werden kleinere Versandmengen von ihm kostengünstig zusammengefasst. 10.6.3 Lagerhalter Der Lagerhalter ist ein selbstständiger Kaufmann, der gewerbsmäßig und gegen Entgelt die Lagerung und Aufbewahrung von Gütern übernimmt (zum Ausgleich von Produktionsschwankungen, Absatzschwankungen oder zur Veredelung / § 467 HGB). Er ist praktisch häufig identisch mit dem Frachtführer oder Spediteur. Für das eingelagerte Gut wird ein Lagerschein ausgestellt, der ein Inhaberpapier, Namenspapier oder Orderpapier sein kann. Lagerfähig sind bewegliche Sachen, nicht jedoch Geld, Wertpapiere oder Tiere. Das Lagergeschäft wird von Spediteuren, Transportunternehmen sowie den staatlichen und privaten Lagerhausgesellschaften betrieben. Der Lagervertrag kommt durch Antrag und Annahme zustande und ist formfrei. Leistungen sind meist Einla-

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

gern, Lagern, Auslagern sowie damit verbundene Nebenleistungen. Die Art der Lagerung bestimmt sich aus den bau- und feuerpolizeilichen Vorschriften, der Art der Güter und den Anweisungen des Auftraggebers. Für die eingelagerten Waren wird eine Lagerkartei geführt. Die Spesen richten sich nach Stückzahl, Gewicht, Fläche und Zeit der Lagerung. Der Lagerhalter trägt für die Einhaltung der Qualität und Quantität der Ware während einer Zeitüberbrückung Sorge. Rechte des Lagerhaltes sind sein Anspruch auf Lagergeld und Aufwendungsersatz, das Pfandrecht am Gut bei Nichtzahlung der Lagerkosten durch den Einlagerer, der Selbsthilfeverkauf des Lagerguts und die Kündigung des Lagervertrags. Pflichten des Lagerhalters sind neben der Lagerung und sorgfältigen Behandlung des Guts die Warenprüfung des einzulagernden und die laufende Kontrolle des eingelagerten Guts, die Erlaubnis zur Besichtigung des Guts, zur Entnahme von Proben und die Rückgabe des Guts durch den Einlagerer, die Ausstellung eines Lagerscheins bei Übernahme, die Benachrichtigung des Einlagerers bei drohender Verschlechterung des Guts (Wertminderung / Verderb), die Versicherung der gelagerten Ware und Aushändigung an den Empfangsberechtigten, die Verhinderung der Vermischung während der Lagerung und die Haftung bei Verletzung der Sorgfalts- und Benachrichtigungspflicht. Bei der Einzel-(Sonder-)lagerung wird das Lagergut des Kunden getrennt von anderen Gütern gehalten, auch wenn eine Vermischung möglich wäre. Der Kunde hat also die Gewissheit, dass seine Ware jederzeit genau identifizierbar bleibt. Dadurch steigt allerdings der Lageraufwand. Bei Sammellagerung ist eine Vermischung / Vermengung des Lagerguts verschiedener Eigentümer erlaubt, wenn diese damit einverstanden und die Lagergüter im Übrigen gleichwertig sind. Die Zwischenlagerung übernimmt eine Ausgleichsfunktion zwischen dem Zeitpunkt der Lieferung und dem des Absatzes. Das Zwischenlager nimmt dabei zentrale Funktionen wahr, so eine •• Pufferfunktion im Ausgleich zwischen Lagerzu- und -abgang, •• Sicherungsfunktion gegen unvorhersehbare Schwankungen im Lagerzu- und -abgang, •• Veredelungsfunktion, wenn Waren im Zeitablauf ihren Zustand wertsteigernd verändern (z. B. durch Reifung, Gärung), •• Umschlagfunktion für die innerbetriebliche Manipulation (unwesentliche Be- / Verarbeitung). Das Zwischenlager besteht im Grundsatz aus folgenden Raumbereichen: •• dem Wareneingangsbereich, hier erfolgt die Abladung, die Eingangserfassung (RFID / Scan), die Eingangskontrolle, die Güterannahme und die Lagervorbereitung,



10.   Logistisches Distributionssystem441

•• dem eigentlichen Lagerungsbereich, •• der Kommissionierzone, hier werden Liefereinheiten nach Auftrag zusammengestellt, •• der Verpackungszone, •• dem Warenausgangsbereich, hier erfolgt die Bereitstellung zur Abholung, die Ausgangserfassung, die Verladung, •• der Lagerverwaltung, hier erfolgt die Steuerung und Koordination. Bei den Waren kann es sich um feste Güter als Stück- oder Schüttgüter (Commodities), um flüssige Güter ohne oder mit Behältnis sowie um gasförmige Güter mit oder ohne Druck handeln. Hinzu kommen verschiedene Lagergestelle. Die Lagerung kann auf offenen Flächen oder in ein- oder mehrstöckigen Gebäuden erfolgen. Hinsichtlich der Zuteilung des Lagerplatzes sind folgende Optionen gegeben, die hohen Einfluss auf die Produktivität haben: •• Bei einer festen Platzzuteilung wird für jedes Gut ein bestimmter Lagerbereich reserviert. Dies ist übersichtlich, nutzt aber die insgesamte Lagerkapazität nur unzureichend. Diejenigen Waren, die häufig kommissioniert werden und klein sind, werden nahe am Kommissionierplatz gelagert. •• Bei der Querverteilung werden für jedes Gut mehrere Lagerbereiche reserviert, um auch bei Blockierung von Wegen innerhalb des Lagerraums dennoch Zugriff zu erhalten. •• Bei der Zonenlagerung wird für jedes Gut ein Lagerbereich reserviert, die Detaileinräumung erfolgt dann nach Gewicht, Klima, Zugriffssicherheit, Gefahrgutklasse, Umschlagshäufigkeit, Lagerdauer etc. Dadurch können Wege für Fördermittel reduziert werden. •• Bei der chaotischen Lagerung erfolgt eine völlig freie Lagerplatzzuordnung. Dadurch kann die Lagerkapazität bestmöglich genutzt werden, allerdings bedarf es einer dezidierten Zugriffsordnung für die Wiederauffindbarkeit der Waren. Das Zusammenstellen eines Vertriebsauftrags wird Kommissionierung genannt. Dabei ist über die Form der Kommissionierung zu entscheiden: •• sequenziell erfolgt diese je Auftrag nacheinander in den einzelnen Arbeitsschritten, •• parallel erfolgt diese in Erfüllung gleichartiger Teilaufträge, die danach kollektiert werden, •• stückweise erfolgt diese je Artikel über alle Arbeitsschritte hinweg, •• relational erfolgt diese bis zur Komplettierung eines Transportmittels (wie Palette), •• im Pick-Pack-Verfahren erfolgt diese bis zur Komplettierung einer Transportverpackung.

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B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung

Beim „Mann zu Ware“-Prinzip bewegt sich der Kommissionierer bzw. das Kommissionierfördermittel auf den benötigten Artikel (Pick) zu. Beim „Ware zum Mann“-Prinzip werden die Artikel zum Kommissionierer bzw. Handhabungsroboter gebracht und dort gesammelt. Die Zusammenstellung erfolgt nach Pickliste (schriftlich) oder per mobilem Datenerfassungsgerät (MDE), durch Leuchtanzeige am Regalfach (Pick by Light) oder durch Sprachausgabe (Pick by Voice / Headset). Die Fortbewegung des Kommissionierers kann nur horizontal oder horizontal und vertikal erfolgen. Die Abgabe der Ware erfolgt dann an einem zentralen Sammelplatz oder dezentral zu Zwischenstationen oder zum nächsten Kommissionierplatz. Bei den Fördermitteln handelt es sich um flurgebundene, stetige oder unstetige, sowie flurfreie Transportmittel. Erstere transportieren auf dem Boden, letztere auf eigenen Verbringungsebenen wie als Deckenkran, Portalkran, Hebezeug, Winde etc. Verbreitet sind neuerdings auch Fahrerlose Transport-Systeme (FTS). Förderhilfsmittel erleichtern den Transport, das Handling und die Ein- / Auslagerung des Förderguts, schützen es gegen äußere Einflüsse oder bieten Informationen zum Fördergut an. Häufig anzutreffen sind umschließende Förderhilfsmittel wie Kästen, Kartons, Säcke, Plastikbeutel, Boxpaletten, Gitterboxpaletten (für Kleinteile), ebene Förderhilfsmittel wie Rungenpaletten, Bügelpaletten, Flachpaletten (wie Euro- oder Chep-Paletten) für mittelgroße Fördergüter und Großgutförderhilfsmittel.

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ISBN 978-3-428-15579-8 (Print) ISBN 978-3-428-55579-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85579-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Inhaltsübersicht Teilband I A. Vertriebskonzept und -controlling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Vertrieb als zentrale Funktion des Marketings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Inhalte des Marketingrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Entwicklung des Marketingansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Aktuelle Marketingsichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Marketing als Beziehungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.5 Schnittstelle Marketing zu Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.6 Gesamtwirtschaftliche Einbettung der Vertriebsaktivitäten . . . . . . . . 22 2. Vertriebsplanung und -entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1 Vertriebszielsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.2 Vertriebsplanungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3 Vertriebsbudgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4 Vertriebsinformationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.5 Vertriebsentscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.6 Vertriebsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Vertriebsstrategie und -modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1 Vertriebssituationsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2 Vertriebsstrategierahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.3 Vertriebsstrategische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.4 Strategiebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.5 Eckpfeiler der Produktbasis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Vertriebsorganisation und -abläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1 Organisationseinteilung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2 Verrichtungsorganisation im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.3 Konfigurationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.4 Koordinationsformen im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.5 Hybride Vertriebsorganisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.6 Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Vertriebsüberprüfung und -überwachung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1 Vertriebssegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.2 Wertorientierte Steuerung der Produkterlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.3 Wertorientierte Steuerung der Gebietserlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.4 Wertorientierte Steuerung der Kundenerlöse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.5 Vertriebs-Audit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

VI Inhaltsübersicht 5.6 Vertriebs-Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.7 Kalkulationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.8 Vertriebs-Informationsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 B. Optionen der Vertriebskanalgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6. Dimensionen des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.1 Leistungsströme im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.2 Akteure im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3 Breite des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.4 Tiefe des Vertriebskanals  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.5 Struktur des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.6 Form des Vertriebskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 7. Konzept des Direktvertriebs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1 Eigene Vertriebsmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.2 Akquisitorische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 7.3 Vertrieb über reale Marktveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 7.4 Vertrieb über Katalogmedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.5 Vertrieb über Dialogmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 7.6 Vertrieb über Veranstaltungsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7.7 Verkaufsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 7.8 Fachwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 7.9 Streuprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 8. Konzept des Indirektvertriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.1 Handelsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8.2 Handelsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 8.3 Einteilungskriterien des Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 8.4 Einzelhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 8.5 Großhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.6 Dynamik der Handelsbetriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 8.7 Vertriebskanaltransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9. Distributionsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.1 Knappheitsfaktoren im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.2 Konfliktpotenziale im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 9.3 Präsenz im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 9.4 Vertikale Kooperation im Vertriebskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 10. Logistisches Distributionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.1 Bedeutung der Logistik im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.2 Techniken der Logistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 10.3 Logistikentscheidung Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 10.4 Logistikentscheidung Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 10.5 Redistribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 10.6 Logistische Absatzhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

InhaltsübersichtVII

Teilband II C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 11. Parameter im stationären Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 11.1 Sortimentsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 11.2 Preisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 11.3 Kalkulationsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 11.4 Raumeinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 11.5 Markenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 11.6 Händlereigenwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 11.7 Kundenservice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 12. Parameter im virtuellen Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.1 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.2 E-Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 12.3 Praktische E-Sales-Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 12.4 Web-Präsenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.5 M-Sales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 12.6 Suchmaschinen-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 12.7 E-Mail-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 12.8 Social Media Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 13. Internationaler Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1 Kriterien der Internationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.2 Treiber der Internationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 13.3 Auslandsmarktprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 13.4 Auslandsmarktrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 13.5 Auslandsmarktwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 13.6 Optionen des Markteintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 13.7 Entscheidung über die internationale Marktabfolge . . . . . . . . . . . . . 532 13.8 Entscheidung über das internationale Marktareal . . . . . . . . . . . . . . . 534 13.9 Entscheidung über die internationale Marktbearbeitung . . . . . . . . . . 538 14. Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.1 Kennzeichen von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.2 Besonderheiten im Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 549 14.3 Kundendienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 15. Vertrieb an Gewerbekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.1 Merkmale des Gewerbekundengeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.2 Geschäftsarten im B-t-B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 D. Umsetzung im Verkaufsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16. Elemente der Kundenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.1 Kundenzufriedenheit als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.2 Unzufriedenheitsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 16.3 Kundenbindung als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634

VIII Inhaltsübersicht

17.

18.

19.

20.

16.4 Kündigungsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 16.5 Kundenclubs als Beziehungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 Kaufmännische Auftragsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.1 Elemente des Angebotswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.2 Elemente der Preisfeinsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 17.3 Elemente der Absatzfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 Technische Auftragsabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.1 Vertragliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.2 Bedeutung von Dokumenten im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 18.3 Bedeutung von Lieferklauseln im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 18.4 Ökologie als Selbstverständnis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 Erkenntnisse des Käuferverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.1 Organisationales Beschaffungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.2 Privates Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 19.3 Marke als Verkaufsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 Durchführung des Verkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.1 Verkauf-Kauf-Synchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.2 Verkaufsgesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 Über den Autor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017

Inhaltsverzeichnis Teilband II C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik 11. Parameter im stationären Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 11.1 Sortimentsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 11.2 Preisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 11.3 Kalkulationsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 11.4 Raumeinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 11.5 Markenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 11.6 Händlereigenwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 11.7 Kundenservice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 12. Parameter im virtuellen Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.1 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 12.2 E-Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 12.3 Praktische E-Sales-Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 12.3.1 E-Shop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 12.3.2 Virtueller Marktplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 12.3.2.1 Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 12.3.2.2 Dynamische Preisbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 12.4 Web-Präsenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.4.1 Website-Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.4.1.1 Nutzeroberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.4.1.2 Nutzerführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 12.4.2 Display-Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 12.4.2.1 Eigenwerbungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 12.4.2.2 Optionen des Targetings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 12.4.2.3 Affiliations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 12.4.3 WWW-Metrics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 12.5 M-Sales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 12.6 Suchmaschinen-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 12.7 E-Mail-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 12.8 Social Media Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 13. Internationaler Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1 Kriterien der Internationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.2 Treiber der Internationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 13.3 Auslandsmarktprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502

X Inhaltsverzeichnis 13.4 Auslandsmarktrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 13.4.1 Risikoarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 13.4.2 Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 13.5 Auslandsmarktwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 13.5.1 Vermarktungsumfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 13.5.2 Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 13.6 Optionen des Markteintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 13.6.1 Außenhandelsvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 13.6.1.1 Formen des Exportgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . 511 13.6.1.2 Veredelungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 13.6.1.3 Transit und Durchfuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 13.6.1.4 Kompensationsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 13.6.2 Dauervertragsvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 13.6.2.1 Lizenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 13.6.2.2 Kontrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 13.6.2.3 (Master-)Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 13.6.2.4 Betreibermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 13.6.2.5 Einfache Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 13.6.2.6 Strategische Allianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 13.6.3 Direkter Auslandsvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 13.6.3.1 Geschäftsbeteiligung und -übernahme . . . . . . . . . 526 13.6.3.2 Alleingründung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 13.6.3.3 Gemeinschaftsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 13.6.4 Wahl der Markteintrittsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 13.7 Entscheidung über die internationale Marktabfolge . . . . . . . . . . . . . . 532 13.8 Entscheidung über das internationale Marktareal . . . . . . . . . . . . . . . . 534 13.9 Entscheidung über die internationale Marktbearbeitung . . . . . . . . . . 538 13.9.1 Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 13.9.2 Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 14. Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.1 Kennzeichen von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.1.1 Begriff und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.1.2 Immaterialität des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 14.1.3 Vor- und Endkombination im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 14.1.4 Kundenintegration als Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 14.2 Besonderheiten im Vertrieb von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 549 14.2.1 Standortwahl des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 14.2.2 Lagerung und Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 14.2.3 Abwicklungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 14.3 Kundendienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 15. Vertrieb an Gewerbekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.1 Merkmale des Gewerbekundengeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558

InhaltsverzeichnisXI 15.1.1 Vertriebsrelevante Marktkennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 15.1.2 Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 15.2 Geschäftsarten im B-t-B  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 15.2.1 Vertrieb von Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 15.2.1.1 Investitionsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 15.2.1.2 Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 15.2.2 Vertrieb von Rohstoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 15.2.2.1 Urprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 15.2.2.2 Rohstoffähnliche Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 15.2.3 Vertrieb von Systemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 15.2.3.1 Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 15.2.3.2 Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 15.2.4 Vertrieb von Zulieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 15.2.5 Vertrieb von investiven Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 D. Umsetzung im Verkaufsmanagement 16. Elemente der Kundenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.1 Kundenzufriedenheit als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.1.1 Konstrukterklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 16.1.2 Objektive Zufriedenheitsindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 16.1.3 Subjektive Qualitätsvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 16.1.4 Subjektive Zufriedenheitsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 16.1.4.1 Explorative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 16.1.4.2 Merkmalsorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 603 16.1.4.3 Ereignisorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 16.1.4.4 Problemorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 16.2 Unzufriedenheitsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 16.2.1 Bedeutung von Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 16.2.2 Beschwerdepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 16.2.3 Beschwerdemotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 16.2.4 Beschwerderkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 16.2.5 Beschwerdeinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 16.2.6 Beschwerdestruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 16.2.7 Beschwerdeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 16.2.8 Beschwerdergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 16.2.9 Beschwerdeauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 16.3 Kundenbindung als Erfolgsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 16.3.1 Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 16.3.2 Kundenleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 16.3.3 Phasen im Kundenlebenszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 16.3.3.1 Interessentenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 16.3.3.2 Kundenakquisition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 16.3.3.3 Beziehungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642

XII Inhaltsverzeichnis 16.3.3.4 Produktwerterhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 16.3.3.5 Produktanzahlerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 16.3.3.6 Referenzierung und Weiterempfehlung . . . . . . . . 645 16.3.3.7 Informations- und Integrationsnutzen . . . . . . . . . 645 16.3.3.8 Kundenreaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 16.3.3.9 Kundenausgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 16.3.3.10 Kundenrückgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 16.4 Kündigungsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 16.4.1 Schwierigkeiten einer Kundenrückgewinnung . . . . . . . . . . . . 649 16.4.2 Begründung eines proaktiven Eingreifens . . . . . . . . . . . . . . . 651 16.4.3 Frühwarnsignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 16.4.3.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 16.4.3.2 Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 16.4.4 Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 16.5 Kundenclubs als Beziehungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 17. Kaufmännische Auftragsbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.1 Elemente des Angebotswesens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 17.1.1 Interessentensichtung und -ansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 17.1.2 Anfragengenerierung bei Neu- und Bestandskunden . . . . . . 665 17.1.3 Bearbeitung von Inbound-Anfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 17.1.4 Auftragsdurchführbarkeit und Ressourcenverfügbarkeit . . . . 667 17.1.5 Kalkulation der Angebotsbestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 17.1.6 Durchführung der Angebotserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 17.1.7 Risikoabdeckung der Gegenleistung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 17.1.8 Angebotsverfolgung und Erfolgsauswertung . . . . . . . . . . . . . 676 17.2 Elemente der Preisfeinsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 17.2.1 Erfolgsbedeutung von Preisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 17.2.2 Mechanik des Preis-Leistungs-Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . 680 17.2.3 Erhöhung der Kaufwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 17.2.4 Determinanten des Preisinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 17.2.5 Verringerung der Preistransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 17.2.5.1 Preisdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 17.2.5.2 Preisbaukästen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 17.2.5.3 Preisbündelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 17.2.5.4 Yield Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 17.2.6 Internes Pricing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 17.2.6.1 Lenkpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 17.2.6.2 Marktstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 17.2.7 Konditionensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 17.2.7.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 17.2.7.2 Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 17.3 Elemente der Absatzfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698

InhaltsverzeichnisXIII 17.3.1 Darstellung und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 17.3.2 Basisformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 17.3.2.1 Alleinfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 17.3.2.2 Refinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 17.3.2.3 Drittfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 17.3.3 Besonderheiten in der Außenhandelsfinanzierung . . . . . . . . . 706 18. Technische Auftragsabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.1 Vertragliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 18.2 Bedeutung von Dokumenten im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 18.2.1 Dokumentarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 18.2.2 Dokumentinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 18.2.2.1 Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 18.2.2.2 Lagerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 18.2.2.3 Versicherung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 18.2.2.4 Zahlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 18.2.2.5 Verzollung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 18.2.2.6 Spezifikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 18.3 Bedeutung von Lieferklauseln im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 18.3.1 Gängige Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 18.3.2 Internationaler Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 18.3.3 Formen der Incoterms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 18.3.3.1 E-Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 18.3.3.2 F-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 18.3.3.3 C-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 18.3.3.4 D-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 18.3.4 Handelshemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 18.4 Ökologie als Selbstverständnis im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 18.4.1 Postulat der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 18.4.2 Umwelt als Produktionsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 18.4.3 Umweltbewusstsein als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . 737 18.4.4 Betrieblicher Maßnahmenrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 19. Erkenntnisse des Käuferverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.1 Organisationales Beschaffungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.1.1 Merkmale geschäftlicher Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 19.1.2 Einteilung geschäftlicher Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 746 19.1.2.1 Relevante Kauftypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 19.1.2.2 Buygrid und verwandte Ansätze . . . . . . . . . . . . . 747 19.1.3 Vertikale Partialmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 19.1.3.1 Buying Center-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 19.1.3.2 Innovatorenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 19.1.3.3 Reagiererkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 19.1.3.4 Informationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753

XIV Inhaltsverzeichnis 19.1.4 Horizontale Partialmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 19.1.5 Interaktionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 19.1.6 Zielgruppenabgrenzung im B-t-B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 19.2 Privates Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 19.2.1 Demografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 19.2.2 Aktiografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 19.2.3 Psychografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 19.2.4 Soziografische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765 19.2.5 Typologische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 19.2.6 Neuroökonomische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 19.3 Marke als Verkaufsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 19.3.1 Bedeutung der Marke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 19.3.2 Horizontale Markenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772 19.3.3 Vertikale Markenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 19.3.4 Laterale Markenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 19.3.5 Markenlebenszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 19.3.5.1 Markenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 19.3.5.2 Markenablösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 20. Durchführung des Verkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.1 Verkauf-Kauf-Synchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.1.1 Initialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 20.1.2 Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 20.1.3 Sondierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 20.1.4 Anfrageentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792 20.1.5 Angebotseinholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793 20.1.6 Angebotsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796 20.1.7 Anbieterauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 20.1.8 Nachverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799 20.1.9 Kaufabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 20.1.10 Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 20.2 Verkaufsgesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 20.2.1 Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 20.2.1.1 Kontaktvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 20.2.1.2 Gängige Gesprächsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 20.2.2 Bedarfsqualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810 20.2.3 Einwandbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 20.2.4 Konfliktüberwindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 20.2.5 Preisargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 20.2.6 Kaufabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815 20.2.7 Nachbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 Über den Autor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017

Teilband II

C.

Besonderheiten in der Vertriebspolitik

11.

Parameter im stationären Handel

Der stationäre Einzelhandel stellt immer noch die verbreitetste Form des Handels im Markt dar (der Online-Handel wird im nachfolgenden Kapitel betrachtet). Ihm stellen sich mehrere Parameter im Vertrieb zur Profilierung gegenüber seiner aktuellen und potenziellen Kundschaft sowie zur Abgrenzung von seinem Mitbewerb (siehe Abb. 80). Das Unterkapitel „Parameter im stationären Handel“ beschäftigt sich mit den wesentlichen Erfolgsfaktoren der Sortimentsbildung (11.1), den Prinzipien der Preisgestaltung (11.2) und dem entsprechenden Kalkulationsrahmen (11.3). Außerdem geht es um die Bedeutung der Laden- und Regalorganisation (11.4). Darauf folgen die Markenbildung auf der Handelsstufe (11.5), die Anlage der Händlereigenwerbung (11.6) und der Stellenwert des Kundenservices dort (11.7). Leser wissen nach Durchsicht dieses Unterkapitels um die Möglichkeiten zur Profilierung des stationären Handels in einem modernen Umfeld. Sie verstehen,

          

 

  

 

   

  

  

Abb. 80: Vertriebsparameter im stationären Handel

446

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

dass erhebliche Potenziale für eine Weiterentwicklung bestehen. Und sie können entsprechende Maßnahmen zielführend umsetzen. 11.1

Sortimentsbildung

Das Sortiment des stationären Handels umfasst alle von ihm angebotenen Artikel. Es lässt sich hinsichtlich seiner Dimensionierung und Inhalte beschreiben. Die Sortimentsdimensionen beschreiben dabei im Einzelnen Sortimentsbreite, -tiefe, -struktur und -verbund (siehe Abb. 81). Die Sortimentsbreite umschreibt die Anzahl verschiedenartiger Warengruppen im Sortiment. Ein Sortiment ist breit, wenn es vergleichsweise viele verschiedenartige Warengruppen umfasst, und es ist schmal, wenn es eher wenige davon umfasst. Als Vorteile einer hohen Sortimentsbreite sind folgende zu nennen: •• Es werden unterschiedliche Käuferpotenziale durch das vielfältige Angebot an die Geschäftsstätte gebunden. Es besteht die Möglichkeit zu ungeplanten Zusatzeinkäufen in verschiedenen Sortimentsteilen. Zwischen verschiedenen Sortimentsteilen kann eher ein kalkulatorischer Ausgleich erreicht werden. Als Nachteile ergeben sich spiegelbildlich weitgehend die Vorteile der Sortimentstiefe. Die Sortimentstiefe beschreibt die Anzahl verschiedenartiger Ausprägungen innerhalb einer Warengruppe im Sortiment. Ein Sortiment ist flach, wenn es vergleichsweise wenige Versionen einer Warengruppe umfasst, und es ist tief, wenn es eher viele umfasst. Als Vorteile einer hohen Sortimentstiefe sind folgende zu nennen: •• Es ist ein vergleichsweise übersichtliches Sortimentsmanagement durch homogene Warengruppen gegeben. Es kommt zu einer Profilierung des Sortiments in Richtung Spezialisierung und damit verbundener Kompetenz. Es werden nur limitierte Anforderungen an Kapazitätsfaktoren wie Verkaufsraum und -personal gestellt. Als Nachteile ergeben sich weitgehend die Vorteile der Sortimentsbreite. Sortimentsveränderungen können sowohl die Breiten- als auch die Tiefendimension betreffen. In der Breitendimension kommt es zu Erweiterung, Kürzung oder Austausch. Die Erweiterung erfolgt, indem Warengruppen aufgenommen werden, die entweder völlig neu am Markt sind oder die bisher im Sortiment nicht geführt wurden, obgleich sie am Markt vorhanden sind. Neue Sortimentsteile aktualisieren immer auch das Geschäftsimage und sind deshalb unerlässlich. Die Verkürzung erfolgt, indem Warengruppen gestrichen werden, die bisher im Sortiment geführt wurden, weil sie vom Markt verschwinden oder sich nicht mehr tragen. Eine kontinuierliche Suche nach solchen Sortimentsteilen beugt Unwirtschaftlichkeiten vor und ist deshalb ebenso unerlässlich. Die Bereinigung entsteht, indem mehr Artikel aufgenommen als gestrichen werden und umgekehrt.



11.  Parameter im stationären Handel447

  

  

   

    

 

   

    

 

   

  

  





Abb. 81: Sortimentsbildung

In der Tiefendimension kommt es zu Erweiterung, Kürzung oder Bereinigung. Die Erweiterung erfolgt, indem verschiedene Artikel innerhalb einer Warengruppe, die bisher im Sortiment nicht geführt wurden, am Markt aber vorhanden oder auch völlig neu sind, in das Sortiment aufgenommen werden. Die Verkürzung erfolgt, indem bestehende Artikel, die bisher im Sortiment geführt wurden, am Markt aber verschwinden oder sich nicht tragen, innerhalb einer Warengruppe aus dem Sortiment gestrichen werden. Die Bereinigung

448

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

entsteht mit der Folge höherer Sortimentstiefe, indem mehr Artikel aufgenommen als gestrichen werden und umgekehrt. In Bezug auf die Sortimentsstruktur sind Fremdmarken (der Hersteller) und Eigenmarken im Handel zu unterscheiden. Eigenmarken (Handelsmarken) machen zwischenzeitlich große Teile des Sortiments aus. Handelsmarken haben eine umso höhere Bedeutung, je niedriger das Bestandsrisiko ist, je weniger Innovation in der Warengruppe liegt, je besser die Produktqualität vergleichbar ist und je sicherer die Beschaffung ausfällt (z. B. Frischwaren, Convenience-Produkte, alkoholfreie Getränke, Generika-Arzneimittel, Gebrauchstextilien). Handelsmarken haben eine umso geringere Bedeutung, je höher das mit der Warengruppe verbundene Prestige ist, je länger die Nutzungszeit ausfällt, je körpernaher die Anwendung stattfindet und je höher das Kaufrisiko eingeschätzt wird. Zum Eigenmarkensortiment können i. w. S. auch Gattungswaren (No Names wie „Gut und Günstig“ / Edeka, „Ja“ / Rewe, „Tip“ / Real etc.) gezählt werden, die konsequent auf markenartikeltypische Merkmale verzichten. Es handelt sich um abgestrippte Angebote, die meist nur in preisaggressiven Handelsbetriebsformen vertreten sind. Als wesentliche Kennzeichen von Gattungsware gelten die Folgenden: •• Einfache Verpackung, die im Wesentlichen nur die Produktbezeichnung trägt und Preisgünstigkeit signalisiert, nach der Einführung nur noch schwache Bewerbung, um die Kosten niedrig zu halten, gleich bleibende Qualität am unteren Durchschnitt, die für den Nachfrager klar erkennbar und gut einschätzbar ist, günstiger Preis, der alle Kostenvorteile aus der Rationalisierung an Endabnehmer weitergibt. Gattungswaren werden oft von Markenartiklern auf identischen Anlagen mit nur unwesentlicher Qualitätsabstufung zum Markenprodukt herstellt, um Leerkapazitäten zu füllen und weitere Kostendegression zu erreichen. Allerdings wird dadurch das Preisbewusstsein der Verbraucher geschärft und eigene und fremde andere Artikel im Sortiment werden womöglich kannibalisiert. Der positive Sortimentsverbund resultiert aus Verbundkäufen, die entstehen, weil ein komplexer Bedarf erst mit mehreren Artikeln in Kombination erreichbar ist, weil geplante Bedarfe gesammelt und zeitlich und räumlich konzentriert befriedigt werden und weil neben geplanten Käufen weitere ungeplante Käufe aus spontaner Beeindruckung erfolgen. Eine solche Umsatzerhöhung kann am Handelsplatz gezielt provoziert werden, indem Sortimentsteile, die zueinander in positivem Verbund stehen (partizipativ), räumlich benachbart platziert werden, indem Werbemittel am Platz der jeweils verbundenen Sortimentsteile Querverweise tragen (Cross Selling) und entsprechende Beratung im Persönlichen Verkauf oder über Medien gegenüber Kunden gegeben wird. Eine substitutive (ersetzende) Wirkung bedeutet, dass mehrere Artikel im Sortiment zueinander in einem internen Konkurrenzverhältnis um die Bedarfs­



11.  Parameter im stationären Handel449

erfüllung von Kunden stehen. Dies ist kostenwirtschaftlich nachteilig, weil mehrere Angebote doch nur zu maximal einem Kaufakt führen, ist aber akquisitorisch bedeutsam, weil Käufer häufig auf Auswahl am POS Wert legen. Dies kann sich sowohl auf die Sortimentsbreite wie die Sortimentstiefe beziehen. Oftmals reicht auch bereits die reine Menge je Artikelbereich (Mächtigkeit). Allerdings steht dagegen die Irritation von Käufern (Consumer Confusion) in vielen Bereich infolge kognitiver Überforderung, restriktiver Kaufkraft, Zeitknappheit etc. In der Hierarchie der Sortimentsbildung ergeben sich folgende Ebenen: •• ein Sortiment besteht aus zwei oder mehr Warenbereichen / Categories (z. B. Radsport, Fahrräder, Zubehör, Kleidung), •• ein Warenbereich besteht aus zwei oder mehr Warengattungen (z. B. Radsportbekleidung wie Hosen, Trikots etc.), •• eine Warengattung besteht aus zwei oder mehr Warengruppen (z. B. RadsportTrikots), •• eine Warengruppe besteht aus zwei oder mehr Artikelgruppen (z. B. Trikots der Marke X), •• eine Artikelgruppe besteht aus zwei oder mehr Artikeln (z. B. Trikots mit kurzem Arm für Herren), •• ein Artikel besteht aus zwei oder mehr Sorten (z. B. Farbe blau, Größe 50). Nach der Bedeutung wird weiterhin unterschieden in Grundsortiment, d. h. Waren, die das hauptsächliche Angebot eines Handelsbetriebs umfassen und Randsortiment, d. h. Waren, die mit geringerer Gewichtung zur Vervollständigung nebenher geführt werden (z. B. Tageszeitung in Bäckerei). Nach dem Ziel wird unterschieden in Kernsortiment, d. h. Waren, welche die Rendite des Betriebs sicherstellen sollen und Akquisitionssortiment, d. h. Waren, die der Anlockung von Kunden dienen, indem sie besondere Vorteilhaftigkeit signalisieren (z. B. Partiepositionen). Nach der Zeitdauer wird unterschieden in Standardsortiment, d. h. Waren, die kontinuierlich im Handelsbetrieb geführt werden und Saisonsortiment, d. h. Waren, die nur temporär präsent sind, um sich Nachfrageschwankungen anzupassen (z. B. Grillkohle im Supermarkt). Nach der Präsenz wird unterschieden in Lagersortiment, d. h. Waren, die ab Lager grundsätzlich jederzeit lieferbar sind und Bestellsortiment, d. h. Waren, die nur auf Bestellung ausgeliefert werden können. Nach dem Eigentum wird unterschieden in Eigensortiment, d. h. Waren, die sich im Eigentum des Handelsbetriebs befinden und Fremdsortiment, d. h. Waren, die sich nur im Besitz des Handelsbetriebs befinden, aber im Eigentum eines Dritten (z. B. Agentur- bzw. Kommissionsware).

450

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Die Sortimentszusammenstellung erfolgt nach verschiedenen Prinzipien. Nach der Herkunft ist sie orientiert an •• Material als gemeinsamem Urprodukt, z. B. Keramikwaren als Vasen, Geschirr, Wandteller etc., •• Verfahren als gemeinsamem Prozess, z. B. Wirkwaren als Strümpfe, Pullover, Westen etc., •• Hersteller als gemeinsamem Absender, z. B. Automobilmarke mit mehreren Modellreihen, •• Region als gemeinsamem Ursprungsgebiet, z. B. Provenienz für Wein oder Käse. Nach der Hinkunft ist sie orientiert an •• Bedarfsart als gemeinsamer Produktgruppe, z. B. Arzneimittel wie Pillen, Cremes, Tropfen etc., •• Bedarfsträger als gemeinsamer Nutzung, z. B. Atelierbedarf wie Pinsel, Farbe, Leinwand etc., •• Bedarfsanlass als gemeinsamem Kaufauslöser, z. B. Babywaren wie Spielzeug, Kinderwagen, Puppen etc., •• Interessenfeld als gemeinsamer Emotionalisierung, z. B. Hobby wie Do it yourself-Bedarf etc. Und nach dem Betrieb ist sie orientiert an •• Artikelart als gemeinsamer Funktion, z. B. Kleinbedarf wie an Tankstellen oder Kiosken, •• Tradition als gemeinsamen Geschäftswurzeln, z. B. Schmuck wie Ringe, Armreifen, Ketten etc., •• Angebot als gemeinsamer Selbstverkäuflichkeit, z. B. SB-Waren wie bei Discountern, •• Preis als gemeinsamer Qualitätseinstufung, z. B. Luxusartikel wie Mode, Uhren, Kosmetika etc. Angestrebt wird eine Idealsortierung (im Gegensatz zur Unter- oder Übersortierung mit zuwenig bzw. zuviel Ware) gemäß händlerindividueller Zielsetzung. 11.2

Preisgestaltung

Ein pulsierender Preis bedeutet, dass ein grundsätzlich starrer Preis durch pulsierende Preisänderungen im Zeitablauf flexibel gehalten wird. Die Variation ohne unzulässige Preisschaukelei erfolgt durch Häufigkeit, Dauer und Ausmaß der Preisänderung, auch in Form von Preisnachlässen.



11.  Parameter im stationären Handel451

Daraus folgen mehrere Vorteile. Die Überwindung kurzfristiger Liquiditäts­ engpässe durch vorübergehende Preissenkung mit sprunghaftem Nachfrage­ anstieg ist möglich. Es entsteht eine Verringerung der Lagerkosten durch schnelleren Warenabfluss. Motivation und Erfolgserlebnisse der Verkaufsberater entstehen durch leichteren Absatz der Artikel. Eine Verbesserung der Marktdurchdringung ist durch neue Abnehmer über Probierkäufe (Eroberung), Bindung bestehender Abnehmer, Erhöhung der Kaufintensität und Induzierung von Impuls- und Vorratskäufen gegeben. Die gezielte Unterstützung absatzschwacher Phasen zum Saisonausgleich ist möglich. Die rasche Lagerräumung bei Auslaufartikeln ist sinnvoll, die Platz und Geld zum Einkauf der nunmehr aktuellen Ware freisetzen. Nachteile liegen vor allem in Folgendem. Eine negative Verkettungswirkung in der Nachaktionsphase durch Preisanstieg auf Normalniveau ist gegeben. Es kommt zur Förderung des Preisinteresses in der Kundschaft mit dem Effekt der preissensitiven Anbieterilloyalität, d. h. zu Vorteils- anstelle von Überzeugungskäufen. Die Preisbereitschaft in der Kundschaft wird verringert, dies bewirkt Minderakzeptanz des regulären Preisniveaus. Die Tendenz zu Vorratskäufen zum Aktionspreis führt zur „Marktverstopfung“, dadurch wird eine Mischkalkulation zum internen Preisausgleich vereitelt. Das Problem der Imagegefährdung prestigeträchtiger Artikel mit der Folge nachlassender Akzeptanz dieser Sortimentsbestandteile besteht. Ein erhöhter Handlingaufwand durch Preisänderungen bei nicht im Price Look-up-System (PLU) erfassten Artikeln ist gegeben. Im Bereich der FMCG (Fast Moving Consumer Goods / Güter des täglichen Bedarfs) haben Preisnachlässe erhebliche Absatzsteigerungseffekte zur Folge. Ob sich eine Price-off-Aktion monetär lohnt, hängt allerdings allein davon ab, ob dieser positive Mengeneffekt den negativen Preiseffekt überwiegt. Denn Preisnachlässe gehen unmittelbar zulasten des Gewinns, d. h., zum Ausgleich einer Gewinneinbuße ist ein vielfacher Absatzzuwachs erforderlich, so dass selbst erhebliche Mengeneffekte oft nicht ausreichen, den negativen Preiseffekt zu kompensieren. Zumal in der Nachaktionszeit zu regulären Preisen und damit planmäßigen Gewinnen der Absatz durch Bevorratung der Nachfrager einbricht. Die Handelsstufe ist grundsätzlich frei in der Gestaltung ihrer Preise, sofern sie rechtlich selbstständig ist und die gehandelten Waren sich in ihrem Eigentum befinden. Dennoch wirken vielfältige Einflussfaktoren ein, so etwa folgende: •• Herstellerpreisvorgaben als unverbindliche Preisempfehlungen, allerdings mit Missbrauchsaufsicht seitens des Kartellamts bei Mondpreisverdacht, d. h. erheblicher Abweichung des realen Marktpreises vom empfohlenen Preis nach unten, hingegen mit Abweichungsfreiheit bei Angabe als Hauspreis, •• Festpreise als Preisbindung der Zweiten Hand trotz Verbots durch einige Ausnahmen wie Verlagserzeugnisse, ethische Arzneimittel, Saatgut etc.,

452

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

•• Handelsspanne als Differenz zwischen den realen Selbstkosten und dem potenziellen Preissetzungsspielraum, •• Liquidität verschiedener Grade zur Deckung der direkt ausgabewirksamen Kostenpositionen, •• Sortimentsbereinigung durch forcierten Abverkauf objektiv oder subjektiv obsoleter Waren (z. B. als Sonderangebot vor Verderb oder Auslauf), •• Lagerräumung über informelle Sonderverkäufe zum Saisonende, •• Anlässe wie Renovierung, Jubiläum, Geschäftsaufgabe etc., die jedoch im UWG restriktiv definiert sind, •• Akquisitionseffekte über Loss Leader, die im Wege der Mischkalkulation ausgeglichen werden oder Image Leader, die ein Trading up der Geschäftsstätte verkörpern, •• Preissetzung der lokalen Konkurrenz, •• Schlüsselwaren (Eckartikel), welche die Profilierung des Händlers schärfen sollen. Als Hilfe für die Handelspreisgestaltung wird von Herstellerseite vor allem die Unverbindliche Preisempfehlung (UPE) angesehen. Die Vorteile dieser Preisempfehlung für den Handel liegen in Folgendem: •• konkrete Hilfestellung bei der Kalkulation, •• Vorauszeichnung der Produkte durch Packungsaufdruck seitens des Herstellers, was die Handlungskosten verringert, •• Schutz des mittelständischen Handels gegenüber preisaggressiven Großbetriebsformen. 11.3

Kalkulationsrahmen

Kennzeichen des Preispolitischen Ausgleichs im Handel ist, dass der Preis nicht mehr für jeden Artikel isoliert, sondern für alle Angebote im Verbund kalkuliert wird, um für das gesamte Sortiment einen maximalen Nutzen zu erreichen. Dafür werden zwei Prinzipien eingesetzt, das Tragfähigkeits- und das Kompensationsprinzip (siehe Abb. 82). Das Tragfähigkeitsprinzip unterscheidet in Artikel, bei denen der für realistisch erachtete Marktpreis unter dem unternehmerisch für erforderlich gehaltenen Zielpreis liegt (Kosten > Wert). Diese werden Ausgleichsnehmer genannt. Und solchen Artikeln, bei denen es gerade umgekehrt ist, d. h. der realisierbare Marktpreis über dem notwendigen Zielpreis liegt (Wert > Kosten). Diese werden Ausgleichsgeber genannt. Ausgleichsgeber kompensieren im Rahmen des preispolitischen Ausgleichs Ausgleichsnehmer auf das gewünschte Gesamt­ ertragsniveau.



11.  Parameter im stationären Handel453

Alternativen des Preispolitischen Ausgleichs

Tragfähigkeitsprinzip

Ausgleichsnehmer

Ausgleichsgeber

Kompensationsprinzip

Simultanausgleich

Sukzessivausgleich

Abb. 82: Alternativen des Preispolitischen Ausgleichs

In der Mischkalkulation kann die zusätzliche Spanne der Ausgleichsgeber durch Ausnutzung deren Preisspielraums nach oben die fehlende Spanne der Ausgleichsnehmer mehr oder minder kompensieren. Dabei werden folgende Grade unterschieden: •• Ausgleichsnehmer 3. Grades haben einen Preisansatz noch unterhalb der Einstandskosten (UEPV), •• Ausgleichsnehmer 2. Grades haben einen Preisansatz zu Einstandskosten (= Einkaufskosten plus Bezugskosten), •• Ausgleichsnehmer 1. Grades haben einen Preisansatz zu Selbstkosten (Einstandspreis plus Betriebskosten), jedoch ohne Gewinn, •• Ausgleichsgeber 1. Grades haben einen Preisansatz zu Selbstkosten plus unterdurchschnittlichem Gewinnzuschlag, •• Ausgleichsgeber 2. Grades haben einen Preisansatz zu Selbstkosten plus planmäßigem Gewinnzuschlag, •• Ausgleichsgeber 3. Grades haben einen Preisansatz zu Selbstkosten plus überdurchschnittlichem Gewinnzuschlag. Das Kompensationsprinzip unterscheidet demgegenüber nach der Dimension des Sortimentsinhalts und des Zeitablaufs. Der Ausgleich nach dem Programminhalt nutzt die Möglichkeit zum Simultanausgleich, bei dem preisliche

454

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Über- und Unterdeckungen verschiedener Artikel sich im gleichen Abrechnungszeitraum aufheben. Der Ausgleich nach dem Zeitablauf nutzt den Sukzessivausgleich, indem die Erlöse ein und desselben Artikels in mehreren Abrechnungsperioden zur Kompensation dienen. Wenn ein und derselbe Artikel im gleichen Abrechnungszeitraum zu unterschiedlichen Preisen angeboten wird, handelt es sich um den Spezialfall der Preisdifferenzierung. Die Spekulation besteht jeweils darin, dass sowohl knapp als auch reichlich kalkulierte Artikel gemeinsam abgesetzt werden und so per Saldo die angestrebte Marge erbringen. Für die Handelskalkulation gibt es einige prägende Kennziffern zur Orientierung. Dabei handelt es sich etwa um folgende: •• Der Kalkulationsfaktor ist der prozentuale Aufschlag auf den Einstandspreis zur Ermittlung des Bruttoverkaufspreises. Er ist bei Ausgleichsgebern höher als bei Ausgleichsnehmern. •• Der Kalkulationsdivisor ist die prozentuale Differenz zwischen Bruttoverkaufspreis und Einstandspreis. Er ist bei Ausgleichsgebern höher als bei Ausgleichsnehmern. •• Für die Mischkalkulation ist die Betriebshandelsspanne ausschlaggebend. Sie ergibt sich prozentual aus den mit dem Umsatzanteil gewichteten Handelsspannen der einzelnen Artikel im Sortiment. Ausgleichsnehmer drücken hier die Betriebshandelsspanne, Ausgleichsgeber heben sie an. •• Die Bruttonutzenziffer zeigt an, wie viel Umsatz (Bruttoverkaufspreis) aus 100 € Wareneinsatz (Einstandspreis) je Periode zurückfließt (Return on Investment). Je größer der Bruttonutzen, desto lohnender ist die Investition in das Sortiment. •• Die Umschlaggeschwindigkeit in Tagen ergibt sich als Quotient aus Zinstagen je Periode und Umschlagshäufigkeit. Je höher die Umschlaggeschwindigkeit ist, desto weniger Kapitalbindung erfordert das Sortiment. •• Die Umschlagshäufigkeit ergibt sich als Quotient aus abverkaufter Menge und durchschnittlichem Warenbestand im Geschäft. Je höher die Umschlagshäufigkeit ist, desto weniger Kapitalbindung erfordert das Sortiment. 11.4

Raumeinteilung

Die Geschäftsfläche stellt im stationären Handel zumeist die entscheidende Restriktion für den Geschäftserfolg dar. Daher gilt es, diese bestmöglich zu nutzen. Dabei kommt das GWWS zuhilfe. Daraus ist der Wareneinstandspreis (nach Nachlässen des Herstellers plus Anlieferungskosten) bekannt. Bekannt ist auch, wie viel eine Regalflächeneinheit im Verkaufsraum je Zeiteinheit an direkten Einzelkosten und vor allem indirekten Gemeinkosten verursacht. Bekannt ist schließlich der Abgabepreis der Ware. Daraus kann die DPP ermittelt werden.



11.  Parameter im stationären Handel455

Die Direkte Produkt-Profitabilität (DPP) basiert auf Vollkosten und verrechnet alle Kosten möglichst als relative Einzelkosten (direkte Kosten). Dabei handelt es sich vor allem (jeweils im Zentrallager und im Einzelhandel) um •• Personalkosten, liegen dienstleistungstypisch trotz geringer Tarife hoch, •• Raumkosten, fallen je nach Betriebstyp unterschiedlich hoch aus, •• Gerätekosten, sind vor allem im Zentrallager erheblich, •• Einrichtungskosten, fallen ebenfalls stark ins Gewicht. Die Kalkulation geht, bezogen auf die einzelne Wareneinheit, wie folgt vor: •• Vom Netto-Einkaufsspreis (Brutto-EK abgzl. MwSt.) werden die Nachlässe des Herstellers abgezogen (wie verbilligen den Einstand, z. B. durch Boni, WKZs) und die Bezugskosten zugeschlagen (sie verteuern den Einstand, z. B. durch Transport, Versicherung). Es ergibt sich der Netto-Netto-Einstandspreis. •• Vom Netto-Verkaufspreis (Brutto-VK abzgl. MwSt.) werden die Nachlässe an Abnehmer abgezogen (sie vermindern den Abgabepreis, z. B. durch Rabatte, Absatzfinanzierung) und die Zuschläge hinzuaddiert (sie verbessern den Abgabepreis, z. B. durch Zustellung, Sonderanfertigung). Es ergibt sich der Netto-Netto-Verkaufspreis. •• Von der Differenz aus Verkaufspreis und Einstandspreis werden die direkten Kosten der Handelsstufen, also alle relativen Einzelkosten und die geschlüsselten bzw. unechten Gemeinkosten, abgezogen. Es ergibt sich die Direkte Produkt-Profitabilität. Diese muss die (echten) Gemeinkosten decken und eine Gewinnspanne sichern. Werden von der DPP die Gemeinkosten abgezogen, verbleibt die NettoHandelsspanne (Gewinn). Neben der Wirtschaftlichkeit ist aber auch die Rentabilität auf Basis der Kapitalbindung von hoher Bedeutung. Die Direkte Produkt-Rentabilität (DPR) ergibt sich, wenn man die DPP in Relation zum mit (Einstandspreis-)Geldeinheiten bewerteten durchschnittlichen Lagerbestand setzt. Dieser wird wiederum durch zwei Größen beeinflusst: •• Durch die Umschlagsgeschwindigkeit, denn je weniger Zeiteinheiten ein Artikel im Handel verbringt, desto häufiger kann er seinen Stückerfolg erlösen, desto profitabler ist er also. •• Durch den beanspruchten Regalplatz, denn je weniger Fläche / Raum ein Artikel je Gewinneinheit einnimmt, desto effizienter kann der vorhandene Platz als Restriktion genutzt werden. Einflussgrößen auf die DPR sind also der Verkaufspreis, der Einstandspreis, die Einzelkosten (direkte Produktkosten), die Umschlaggeschwindigkeit, die Flächenbeanspruchung und die DPP. Problematisch ist dabei allerdings, dass

456

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

diese Rentabilität erst im Nachhinein berechnet werden kann und die doch erheblichen Gemeinkosten nicht verursachungsgerecht je Wareneinheit geschlüsselt werden können, da eine direkte Zurechnung aller Kosten nicht möglich ist. Anhand der DPR können nunmehr Steuerungen vorgenommen werden und zwar in Bezug auf die •• Sortimentszusammensetzung nach Pflichtsortiment, Impulssortiment, Profilierungssortiment, Aktionsartikel etc., •• warenwirtschaftlichen Vorgaben wie Mindestbestand, Facing im Regal, Anteil Lokalsortiment, Handelsmarken / Gattungswaren, Saisonartikel etc., •• betrieblichen Vorgaben wie Sozialräume, Lagerzugang, Fluchtwege etc., •• Sortimentsbreite, also nach Anzahl verschiedener Warengruppen, •• Sortimentstiefe, also Anzahl verschiedener Ausprägungen einer Warengruppe, •• Sortimentsmächtigkeit, also Anzahl der Artikel je Warengruppe, •• Anordnung der Waren im Laden nach verschiedenen Flächenwertigkeiten, die sich aus Kundenlauf, Möblierungsintensität, Funktionsbereichen ergeben, •• Anordnung der Waren im Regal nach verschiedenen Regalwertigkeiten, die sich aus vertikaler und horizontaler Platzierung ergeben. Letzteres wird durch Regalspiegel veranschaulicht. Mit DPR gibt der Handel also durch artikelgenaue Platzierungsvorgaben an, wo Mitarbeiter bzw. Merchandiser der Hersteller wie viel Ware welcher Art platzieren sollen. Die Einhaltung dieser Vorgaben, für den Handel Gewinnvoraussetzung, wird strikt geprüft. Oftmals geben Hersteller Hilfestellung bei der Optimierung des Regalplatzes (Shelf Management). Insgesamt führt DPR zu einer Versachlichung der Transaktionen zwischen Hersteller und Handel, denn es wird nicht mehr über Erfolgsgrößen spekuliert, sondern harte Fakten liegen zugrunde. Damit können Konflikte im Vertriebskanal entemotionalisiert werden. Im Übrigen bietet DPP interessante Marktforschungserkenntnisse, so z. B. über Verbundkäufe mehrerer Artikel (Sortimentsverbundanalyse), Auswirkungen von Platzierungen auf den Abverkauf, Auswirkungen von Preisveränderungen etc. Vor allem lassen sich strategische Schlussfolgerungen für Maßnahmen aus den DPR-Aussagen generieren. Nimmt man dazu die beiden Parameter Umschlagsgeschwindigkeit bzw. Raumbedarf und Direkte Produkt-Profitabilität und unterteilt diese jeweils in überdurchschnittlich und unterdurchschnittlich, so ergibt sich eine Matrix mit vier Feldern. Diese ergeben folgende Kombinationen (siehe Abb. 83). Bei unterdurchschnittlicher DPP und unterdurchschnittlichem Warenumschlag / überdurchschnittlichem Raumbedarf handelt es sich um Verliererartikel, die folgender Maßnahmen bedürfen:



11.  Parameter im stationären Handel457

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Abb. 83: Informationsbasis für POS-Maßnahmen

•• engere Platzierung, um mehr Rohertrag durch mehr platzierte Ware zu erreichen, •• Rack Jobbing, also Tausch von Flächenertrag gegen Miete aus Fremdbewirtschaftung, •• Preiserhöhung, um den Rohertrag durch mehr Einnahmen zu verbessern, •• Preiserhöhung oder Kostensenkung, um zu einer günstigeren Relation je Raumeinheit zu gelangen, •• Auslistung als Ultima ratio, wenn andere Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg zeitigen, •• Ersatz des Artikels durch einen anderen, besser vorverkauften des gleichen oder eines anderen Anbieters, •• Auslistung des Artikels, falls kein Ersatz möglich bzw. dieser nicht erfolgversprechend ist. Bei überdurchschnittlicher DPP und überdurchschnittlichem Warenumschlag bzw. unterdurchschnittlichem Raumbedarf handelt es sich im Gegenteil um Gewinnerartikel, die folgender Maßnahmen bedürfen: •• mehr Werbung, um das Chancenpotenzial auch voll und ganz auszuschöpfen, •• Zweitplatzierung, da die zusätzliche Fläche von der hohen Flächenproduktivität getragen wird, •• intensive Regalpflege, damit keine betrieblichen Unzulänglichkeiten das Ertragsvolumen schmälern,

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

•• Überprüfung des Kundenlaufs im Laden, um maximale Kontaktfrequenz zu erreichen, •• ausgedehnte Platzierung, da der Rohertrag auch eine größere Fläche trägt und eine Bevorzugung verdient, •• bevorzugte Beratung, welche die Artikel forciert und deren Umschlagsgeschwindigkeit erhöht, •• Produktpflege durch Aktualisierung, Sortimentsabrundung, Werbemitteleinsatz etc. Bei unterdurchschnittlichem DPP und überdurchschnittlichem Warenumschlag bzw. unterdurchschnittlichem Raumbedarf handelt es sich um Nachholartikel, die folgender Maßnahmen bedürfen: •• Kostensenkung, um bei gegebenem Preis zu einem höheren Rohertrag zu gelangen (z. B. weniger Werbung), •• Kostensenkung bei Wareneinstand und / oder Handling, um den Rohertrag zu verbessern, •• Einrechnung von Verbundeffekten (Partizipation) mit anderen Artikeln des Sortiments, •• engere Platzierung, um mehr Rohertrag durch mehr platzierte Ware zu erreichen, •• Preiserhöhung, soweit dadurch die Umschlagsgeschwindigkeit nicht negativ tangiert wird, •• Aktion, um die Artikel in den Mittelpunkt zu rücken und die Umschlagsgeschwindigkeit zu steigern. Bei überdurchschnittlicher DPP und unterdurchschnittlichem Warenumschlag bzw. überdurchschnittlichem Raumbedarf handelt es sich um Potenzialartikel, die folgender Maßnahmen bedürfen: •• Aktion, um die Artikel in den Mittelpunkt zu rücken und die Nachfrage spürbar zu beleben, •• Zweitplatzierung, um die Umschlagsgeschwindigkeit und damit den Rohertrag zu erhöhen, •• Verkaufshilfen (wie Propagandisteneinsatz), um die Aufmerksamkeit für das Angebot zu erhöhen, •• Preissenkung, soweit dadurch die Rentabilität des Artikels nicht gefährdet oder diese durch eine Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit überkompensiert wird, •• engere Platzierung, um zu günstigerer Relation je Raumeinheit zu gelangen, •• Shop in the Shop-Einheit zur weiteren Attraktivitätssteigerung des Angebots.



11.5

11.  Parameter im stationären Handel459

Markenbildung

Für die Markenbildung stehen der Handelsstufe zwei Möglichkeiten offen. Erstens kann diese für einzelne oder alle der geführten Artikel angestrebt werden (als Handelsmarke), zweitens für die Geschäftsstätte selbst (als Händlermarke). Bei der Handelsmarke (Private Label) kann eine echte oder unechte Handelsmarke vorliegen, bei letzterer produzieren überwiegend Markenartikelhersteller Handelsmarkenprodukte zur Nutzung von Kostendegressionseffekten und Vermeidung von Leerkapazitäten auf ihren Anlagen. Bei ersterer plant und implementiert die Handelsstufe ihre Produkte selbst. Die Handelsmarke kann sich dabei auf ein Produkt (z. B. Tandil von Aldi), eine Warengruppe (z. B. Mibell von Edeka), ein Teilsortiment (z. B. Balea von DM) oder das gesamte Sortiment (z. B. Tip von Real) beziehen. Im Laufe der Zeit haben die Handelsmarken dabei ein kontinuierliches Up Grading durchlaufen, von Basisprodukten über das Durchschnittsniveau bis zum Premiumlevel (z. B. Bio-Bio von Netto). Der Handel kann damit den preissensitiven Teil seines Publikums erreichen und die Produkte dafür passgenau selbst konzipieren. Er macht sich von etwaiger Angebotsmacht der Hersteller unabhängig, kann Sortimentslücken schließen und Artikel handelsgruppenexklusiv führen. Durch die Einsparung des Herstellergewinnaufschlags ist zudem eine gute Ertragssituation erreichbar, welche die Einräumung großer Regalflächen am POS rechtfertigt. Allerdings stehen die Handelsmarken in direktem Verdrängungswettbewerb vor allem zu werblich unterstützten Zweit- und Drittmarken der Hersteller. Dem Handel entstehen außerdem Transaktionskosten für die Realisierung, die seine Marge belasten. Zudem können meist nur Sortimentsnischen am Markt besetzt werden. Handelsmarken haben vor allem bei wenig erklärungsbedürftigen Produktgruppen hohe Category-Anteile erobert und sind dank guter Qualität weiter auf dem Vormarsch, meist zulasten von Gattungsware (No Name / Weiße Ware), die nur generischen Mindestansprüchen genügt. Mit der Händlermarke (Geschäftsstättenmarke / Storebrand) soll erreicht werden, dass nunmehr bei Interessenten für einen Einkauf zunächst eine Geschäftsstättenentscheidung getroffen wird und dann innerhalb des dort vorzufindenden Sortiments erst die Markenentscheidung (z. B. Douglas, Media-Markt / Saturn). Dazu werden meist die Argumente der Kaufvereinfachung, Auswahlberatung und Einkaufsemotion angeführt. Allerdings setzt dies markenbildende Maßnahmen für die Geschäftsstätte / Handelsgruppe voraus, die seither infolge dominanter Preisorientierung unterblieben sind. Zu unterscheiden sind Händlermarken von Herstellern mit Direktvertrieb über eigene Filialen (Verticals) mit Artikeln nur eigener Marke (Mono Label Stores), im Unterschied zu Absatzmittlern (Multi Labels Store). Herstellerfilialisten werden hier funktional zu Händlern, bleiben institutional aber Produzenten. Der Anteil der Eigenware beträgt 100 %. Beispiele im DOB-Haka-Bereich sind

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Hennes&Mauritz, K&L, Ruppert, Orsay, Jean Pascale, New Yorker, Ernstings’s Family, Ulla Popken, M&S Moden, Bonita, Esprit, Zero. Bei Händlern mit Eigenmarken verhält es sich genau umgekehrt, sie sind funktional Produzenten, institutional aber Händler (Eigenmarkenhändler). Bei diesen Händlern kann der Eigenmarkenanteil mehr oder minder hoch liegen (z. B. Deichmann, Aldi, DM). Je niedriger der Anteil der Eigenmarken, desto mehr wird der Eigenmarken- zum Fremdmarkenhändler, im Grenzfall dann zum reinen Wiederverkäufer im Indirektvertrieb. 11.6

Händlereigenwerbung

Die Kommunikation zum Endabnehmer hin ist im Normalfall eine duale, nämlich einerseits vom Hersteller im Wege der Sprungwerbung zur Markenkonditionierung, andererseits vom Handel im Wege der Händlereigenwerbung zur Geschäftsstättenkonditionierung. Zu unterscheiden ist davon die Handelswerbung, d. h. die Umwerbung des Handels durch Hersteller in Fachmedien / in der Fachöffentlichkeit. Idealerweise greifen beide integrativ ineinander. Faktisch jedoch wird die Werbung des Handels zur Verlängerung der Werbung des Herstellers benutzt oder konterkariert diese sogar. So kann von der Händlereigenwerbung sogar die Gefahr der Reputationsbeeinträchtigung für die Herstellermarke ausgehen. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: •• Aggressive Niedrigpreiswerbung, wodurch die Qualitätsanmutung eines Produkts im Publikum und damit deren Preisbereitschaft mangels demonstrativen Konsums sinken, •• indirekt vergleichende Werbung zu eigenen Handelsmarken mit überlegenem Preis-Leistungs-Verhältnis, etwa durch gemeinsame Darbietung im gleichen Werbemittel, •• irreführende Werbung, z. B. durch Übertreibung, die über Präferenzmanipulation der Nachfrager zu deren Enttäuschung auch hinsichtlich der Ware führt, •• negative Ausstrahlung vom Image des Werbeträgers (z. B. Anzeigenblatt) auf das ausgelobte Produkt, dem vom Hersteller eine gewisse Hochwertigkeit und Selektivität zugedacht ist, •• negative Ausstrahlung des Werbeumfelds und der Gestaltung auf das ausgelobte Produkt (z. B. beim Angebot von hochwertigen Gebrauchsgütern in Faltblättern von Verbrauchermärkten zu beobachten), •• Gewinnspiele mit Markenartikeln als Preisen, die deren Wertigkeit ausbeuten und mindern,



11.  Parameter im stationären Handel461

•• nicht individualisierend wirkende Standardwerbung aus vorgefertigten Gestaltungsmodulen (Anzeigenbaukasten), bei denen der Absatzmittler-Auftritt den des Produkts dominiert. Für die Eigenwerbung im stationären Handel steht vor allem das Verkaufs­ lokal (POS) zur Verfügung. Dabei ist an die Ladenfront zu denken, die als Stopper für Passanten funktionieren soll. Dabei soll die Hemmung im Eingangsbereich des Ladens möglichst niederschwellig sein (ebenerdig, trichterförmig, beleuchtet etc.). Ein wichtiges Element ist auch die Schaufenstergestaltung, die für Profil und Sortiment des Betriebs aussagefähig ist („Visitenkarte“). Der Verkaufsraum selbst soll ebenso akquisitorisch wirken, vor allem durch Aufteilung, Farbgebung, Möbel, Beleuchtung, Leitsystem etc. Hinzu kommen Innenraumwerbemittel in Form von Regal- und Deckenwerbung, Displays, Aufstellern etc. Weiterhin sind akustische Medien (Ladenfunk) sowie Beduftung, Verkostung und Ausprobieren hilfreich. 11.7

Kundenservice

Handelsleistung ist Dienstleistung, und Dienstleistung ist durch eine Reihe von Besonderheiten gegenüber Sachleistungen charakterisiert (siehe dazu auch 14.1 und 14.2). Dienste sind als solche abstrakt und immateriell, d. h. sie sind nicht stofflich fassbar, wie bei anderen Produkten, sondern flüchtig. Daraus resultieren erhebliche Probleme in ihrer Vermarktung. Denn die physische Präsenz eines Produkts allein wirkt aufmerksamkeitsfördernd und interesseweckend, wohingegen in Dienstefall solche Wirkungen nicht gegeben sind, sondern nur anderweitig entstehen können. Zugleich bietet die physische Präsenz die willkommene Möglichkeit der Absicherung durch Begutachtung, um vorab festzustellen, ob ein Angebot zur subjektiven Bedarfsdeckung fähig ist. Diese Absicherungsfunktion fehlt notwendigerweise bei Diensten. Dienste sind zudem personen- und kundenpräsenzgebunden, d. h. sie werden für und unter Beteiligung des Kunden erbracht. Es bedarf zu ihrer Wirksamwerdung der Mitarbeit des Kunden, an dem die Dienstleistung individuell erbracht wird. Insofern sind Dienste einmalig bzw. schwer standardisierbar. Von daher bedarf es rigider Kontrollmechanismen, um eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter ist von entscheidender Bedeutung, denn davon hängt die Qualität des geleisteten Dienstes ab. Insofern ist es wichtig, durch Trainings- und Schulungsmaßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, die bestmögliche Leistung zu erbringen und dieses Niveau auch zu halten. Außerdem ist es erforderlich, durch Anreiz- und Belohnungssysteme den Willen der Mitarbeiter zur Ausschöpfung ihrer Leistungsgrenzen aufrecht zu erhalten. Dienste sind nicht lagerund nur ausnahmsweise transportfähig. Das heißt, im Gegensatz zu Produkten

462

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

können Dienste regelmäßig nicht zur Zeitüberbrückung verbracht werden. Dies macht sie weitgehend standort- und zeitgebunden. Dienste müssen also dort und dann erbracht werden, wo die Nachfrage anfällt, nicht vorher oder nachher und auch nicht anderswo (Uno actu). Daraus ergibt sich wiederum eine Kapazitätsauslastungsproblematik, denn Kapazitäten müssen sich, sollen sie nicht selbstbeschränkend wirken, an der Maximalauslastung orientieren. Ansonsten werden Geschäftschancen vertan. Daraus folgende hohe Fixkosten führen zur Ergebnisbelastung. Produktion und Konsumtion von Diensten erfolgen immer synchron, also zeitlich parallel oder unmittelbar aufeinander abfolgend. Im Unterschied zur Zeitüberbrückbarkeit bei Produkten müssen Dienste sofort verbraucht bzw. können nur angeboten werden, wenn und soweit Nachfrage vorhanden ist. Dienstleistungen sind darüber hinaus nicht wiederverkäuflich und verlieren mit ihrer Bereitstellung an Marktfähigkeit. Von daher bewirken sie einen sofortigen Werteverlust. Im Ergebnis ist der Arbeitsanfall fremdbestimmt. Im Gegensatz zu Produkten, bei denen der Hersteller die Produktionsmodalitäten autark gestalten kann, werden diese bei Diensten durch die Abnehmer determiniert. Dies macht es erforderlich, eine stetige Leistungsbereitschaft vorzuhalten, um Dienste in vertretbarer Frist und auf hohem Niveau anbieten zu können. Daraus wiederum resultiert, dass eine konstante Produktqualität nur schwierig zu gewährleisten ist. Denn die Parameter der Leistung wechseln von Mal zu Mal mit den daran jeweils beteiligten Personen. Da Dienste sich aber nur in diesen verkörpern, wechseln auch diese von Mal zu Mal und zeichnen sich durch ein hohes Maß an Individualität aus. Hinter Diensten verbergen sich aber vor allem erklärungsbedürftige, objektiv kaum nachprüfbare Qualitätsmerkmale. Selbst wer sich der Mühe unterzieht, Angebotsmerkmale zu katalogisieren und zu vergleichen, bleibt stets in weiterer Verwirrung zurück, dann aber auf höherer Ebene. Insofern gelten Imagemerkmale als kaufbestimmend, weil die objektive Leistung oft nicht nachprüfbar ist. Damit herrscht ein auffälliger Informationsmangel über Dienste vor, der deren Vermarktung erschwert. Da Angebote nur bedingt messbar und bewertbar sind, leidet die Feststellung eines PreisLeistungs-Verhältnisses als Kaufvoraussetzung.



12.

12.   Parameter im virtuellen Handel463

Parameter im virtuellen Handel

Das Unterkapitel „Parameter im virtuellen Handel“ behandelt im Einzelnen die Strukturen im E-Commerce (12.1), die gängigen E-Geschäftsmodelle spe­ ziell im Vertrieb (12.2) sowie die Ausprägungen von E-Shops und virtuellen Marktplätzen als häufigste Vertriebsformen (12.3). Weiterhin werden Web-Präsenzen (12.4), insb. in Form der Website-Gestaltung und Display-Werbung, betrachtet. Als weitere Stellgrößen werden M-Sales (12.5) und SuchmaschinenMarketing (12.6) beleuchtet. Es folgen Aspekte des E-Mail-Marketings (12.7) und des Social Media Commerce (12.8). Leser kennen nach Durchsicht dieses Unterkapitels die Gestaltungs- und Einflussfaktoren im virtuellen Handel. Sie verstehen die Besonderheiten der Geschäftsmodelle dort und können diese Erkenntnisse auf ihre konkrete Studien- und Berufspraxis übertragen. 12.1

Strukturen

Als virtueller Handel wird die digitale Absatzmittlung über Online-Kommunikation ohne oder zumindest ohne wesentlichen stationären Anteil verstanden. Man bezeichnet dies auch, nicht ganz trennschaft als E-Commerce. Virtueller Handel lässt sich nach Beteiligten, Handelsobjekten, Interaktionsformen und Einkünften rubrizieren. Nach den Handelsobjekten geht es um Wartungs- und Reparaturleistungen (Kundendienste) sowie Hilfsstoffe (gehen als unwesentlicher Bestandteil in ein Endprodukt ein) und Betriebsstoffe (dienen dem Lauf der Betriebsmittel) und indirekte Produkte (gehen überhaupt nicht in das Endprodukt ein), aber auch Restposten, Gebrauchtwaren etc. (MRO-Produkte). Weiterhin werden dort CProdukte (geringer Wertanteil im Beschaffungsbudget, direkte Produkte) ge- und verkauft sowie Commodities (durch Normen standardisierte, weitgehend generische Güter). Bei beiden handelt es sich um physische Produkte / Dienste, daneben sind digitale Produkte / Dienste konstitutiv auf das Internet als Vertriebsweg angewiesen wie Textnachrichten, Musikdateien, Videostreams. Die höchsten Online-Umsätze werden in folgenden Branchen erzielt: •• Bekleidung / Textilien / Schuhe, Computer, Unterhaltungselektronik, Handys, Zubehör, Accessoires (ohne Schmuck), Software, Musik, Videos, Games, Möbel, Dekorationsartikel, Bücher, CDs / DVDs, Hobby-, Sammel- und Freizeitartikel, Medikamente, Spielwaren / Babyartikel, Sportartikel, Auto / Motorrad / Zubehör, Do it yourself- / Bastelbedarf, Bürobedarf, Foto, Druck, Books on Demand, Outdoor-Artikel, Lebensmittel, Tierbedarf, Drogeriewaren, Kosmetik.

464

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Nach den Handelsbeteiligten handelt es sich um Gewerbetreibende (Business / B), Private (Consumer / C) oder Verwaltungen (Administration / A), die miteinander in Kontakt treten, entsprechend ergeben sich B-t-B-, B-t-C-, B-t-A-, C-t-C-, C-t-A-, C-t-B-, A-t-A-, A-t-C-, A-t-B-Beziehungen als Kombination. Im Vertrieb sind zweifellos B-t-B- und B-t-C-Beziehungen am bedeutsamsten. Nach der Interaktionsform der Partner handelt es sich um indirekte Kontakte über Intermediäre wie Agenten, Co-Shopper, Makler für Börsen, Malls, Auktionen etc. oder direkte Kontakte zwischen Anbieter und Nachfrager. Direkte Kontakte erfolgen intern direkt über Intranet oder extern direkt über Extranet als Geschlossene Benutzergruppe. Indirekte Kontakte erfolgen über zwischengeschaltete Intermediäre, meist E-Shops und virtuelle Marktplätze. Im virtuellen Handel (E-Trade) erfolgt der Vertrieb von einem Hersteller über Online-Absatzmittler an Endabnehmer. Diese rufen dazu das Angebot bei diesen ab. Der Zugang erfolgt als öffentlich zugängliches, weltweites Computersystem (Internet), als geschlossenes Computersystem anstelle von EDI (Extranet) oder als unternehmensinternes Computersystem mit LAN / WAN (Intranet). Dies versteht sich als klassischer Direktvertrieb (Disintermediation), d. h., Absatzmittler werden nicht vom Unternehmen angesprochen bzw. haben keine Möglichkeit, auf dessen Angebot zuzugreifen. Dies ist problematisch, weil bestehende Absatzmittler sich ausgebootet fühlen und durch diese gehaltene Kundenbeziehungen erodieren können. Die Distribution kann daher auch als Integrationsvertrieb erfolgen, d. h., der Kontakt erfolgt zwar direkt zwischen Abnehmer und Unternehmen, die Auftragsabwicklung vollzieht sich jedoch über zwischengeschaltete Absatzmittler, die dafür Provision erhalten. Auf diese Weise können Kundenbeziehungen erhalten werden, allerdings vermindert sich die Rendite des Geschäfts. Bei diesem „inversen Streckengeschäft“ wird also nur die Auftragsabwicklung durch Absatzmittler bewerkstelligt, die -durchführung erfolgt vom Hersteller selbst. Die Distribution kann schließlich auch in der Online-Form des Indirektvertriebs (Reintermediation) erfolgen, wobei die Absatzmittler mit ihren Geschäftsprozessen in das E-Commerce-treibende Unternehmen einbezogen werden. Bei diesem Lagergeschäft werden sowohl die Auftragsabwicklung als auch -durchführung durch Absatzmittler bewerkstelligt. Dabei kann abgestuft unterschieden werden nach Herstellern, die nur OnlineDirektvertrieb treiben (Pure Online Players), solchen, die zwar primär OnlineDirektvertrieb treiben, aber auch Offline-Indirektvertrieb, solchen, die zwar primär Offline-Indirektvertrieb treiben, aber auch Online-Direktvertrieb sowie solchen, die nur Offline-Indirektvertrieb (Pure Offline Players) treiben.



12.2

12.   Parameter im virtuellen Handel465

E-Geschäftsmodelle

Im E-Commerce des B-t-C-Bereichs haben sich vier Geschäftsmodelle durchgesetzt (in Anlehnung an Wirtz). Erstens geht es um die Sammlung, Selektion, Systematisierung und Kompilierung von Inhalten auf einer publikumszentrierten, personalisierten Plattform (Content). Die Finanzierung erfolgt über indirekte Erlöse (Werbung / Links). Die Angebote betreffen folglich: •• Information, d. h. politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Inhalte, vorwiegend über indirekte Erlösformen (Werbeeinnahmen) finanziert (Spiegel Online), Unterhaltung, d. h. unterhaltende Inhalte wie E-Music (mp3), E-Games (Moorhuhn), E-Movies, E-Books sowie Infotainment, d. h. Hybridformen aus Information und Unterhaltung und Bildung, d. h. Wissensplattformen. Zweitens geht es um die Anbahnung und Aushandlung von Geschäftsbedingungen sowie die Abwicklung von Geschäftstransaktionen in Ergänzung bzw. Substitution traditioneller Transaktionen (Commerce). Die Finanzierung erfolgt über direkte (Provisionszahlung) und / oder indirekte Erlöse. Die Angebote betreffen folglich: •• Bannerschaltung, Shopping Malls (Immoscout24), Auktionen (Ebay), Preisagenturen (Priceline), Finanzmakler, Zahlungsabwicklung (Onvista), Auslieferung (Amazon), Rewardingsysteme (z. B. Webmiles). Drittens geht es um die Klassifizierung und Systematisierung von im Internet verfügbaren Informationen zur Komplexitätsreduktion und Erleichterung der Navigation (Context). Die Finanzierung erfolgt über indirekte Erlöse. Die Angebote betreffen folglich Suchmaschinen (Google), Metasuchmaschinen (Metager) oder Web-Kataloge (Yahoo). Und viertens geht es um die Herstellung des Informationsaustauschs auf technologischer, kommerzieller oder kommunikativer Basis in Netzen (Connection). Die Finanzierung erfolgt über direkte Erlöse. Die Angebote betreffen folglich Communities (Portale wie Ciao oder Internet-Zugang (T-Online). Hinsichtlich der Internet-Geschäftsmodelle im B-t-B-Bereich gibt es ebenfalls vier Optionen (Wirtz). Das Sourcing-Modell betrifft die beschaffungsseitige Nutzung von E-Trade. Dies ist besonders wichtig, da einer alten Handelsweisheit zufolge der Gewinn im Einkauf liegt. Darin liegen enorme Rationalisierungspotenziale, die durch Marktplatz- und Börsenbetreiber verfügbar gemacht werden. Die Initiative geht für gewöhnlich von der Nachfrageseite aus, Nachfrager handeln dabei kooperativ und erschließen immer mehr Produktarten. Das Sales-Modell betrifft die absatzseitige Nutzung von E-Commerce zur Verminderung der Transaktionskosten, Erleichterung der Transaktion und Erhöhung des Informationsstands. Insofern handelt es sich spiegelbildlich um die Schaffung elektronischer Plattformen im Vertrieb. Diese funktionieren häufig nach dem Katalogmodell, also mit festen Preisen, zunehmend aber auch durch dynamische Preisbildung.

466

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Das Servicer-Modell betrifft leistungsergänzende Absatzhelfer im E-Commerce. Sie ermöglichen durch Information, Finanzierung, Versicherung, Beratung etc. erst den Erfolg der Transaktionspartner (Enabler). Teilweise wird der Service selber bereitgestellt, teilweise dieser nur vermittelt. Hier ist vor allem an Bezahl-, Sicherheits- und Logistikdienste zu denken. Das Support-Modell betrifft die Nutzung verteilter Systeme mittels informationeller Vernetzung (Netzwerkorganisation) zur Nutzung jeweiliger Kernkompetenzen. Zumeist ist dabei ein fokales Unternehmen koordinierend tätig, das dieses Geschäftsmodell auch aufsetzt. Dies ermöglicht eine Delokalisierung der Wertschöpfung. Als besonders E-Commerce-geeignet sind alle standardisierten Produkte in „Selbstbedienung“ des Kunden anzusehen. Individualisierte Produkte sind hingegen weniger geeignet. Allerdings kann eine Annäherung durch Modularisierung von Standardprodukten erreicht werden, die durch Nachfrager je nach deren Bedarfen zu quasi-individuellen Produkten konfigurierbar sind. In Extranets können Schlüsselkunden mit ihren Bedarfen enger in die Unternehmensprozesse eingebunden werden. Dabei wird der Datensicherheit dadurch Rechnung getragen, dass neben einer Authorisierung des Zugangs (Password) auch eine Verschlüsselung der eigentlichen Kommunikation stattfindet. Diese Sicherheit kann durch den Einsatz Virtueller privater Netzwerke (VPNs) noch gesteigert werden, die allerdings durch Standleitungen sehr kostenintensiv sind (dafür ist die Übertragungsgeschwindigkeit ggf. höher). Auch ist dann eine hohe Kritische Masse an Datenbewegungen der Teilnehmer zur Effizienz erforderlich. In jedem Fall verbessert sich die Datenbasis über aktuelle und potenzielle (anfragende) Abnehmer erheblich. Nutzerprofile etwa ergeben sich zwangsläufig durch eine Reihe unvermeidbar hinterlassener Datenspuren (Logfiles), so per: •• Cookie, entsprechend den Nutzerangaben, •• Log-in-Protokoll, mit Informationen zu Browserart, Browserversion, Betriebssystem / -version, Computerart, •• IP-Datenbank, mit Informationen zu Land (Top Level Domain), Gebiet (Bundesland, Vorwahl), Branche, •• Internet-Zugang, entsprechend dem Provider, •• Content aus Session-IDs, mit Informationen zu Sucheingaben, Besuchsfrequenzen, E-Mails, Bestell- / Kaufvorgängen, Formulareinträgen, Directory, Sektion, Seite. Diese werden durch Künstliche Intelligenz (AI) ausgewertet und für akquisitorische Aktivitäten aus eigenen und fremden Datenbeständen angereichert (Bigdata).



12.3

12.   Parameter im virtuellen Handel467

Praktische E-Sales-Ausprägungen

Der virtuelle Handel kann als E-Shop oder Virtueller Marktplatz ausgeprägt sein. Ersterer erfolgt in einer 1 : 1-Situation von Anbieter und Nachfrager, letzterer erfolgt als 1 : N bzw. N : 1-Situation von Anbietern und Nachfragern. In Bezug auf die Preisbildung werden häufig dynamische Verfahren eingesetzt, also solche, bei denen der Preis nicht festgelegt ist (Optionsfixierung), sondern sich erst aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im Prozess ergibt. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Ausprägungen. 12.3.1 E-Shop Ein E-Shop kann auf verschiedene Weise realisiert werden, etwa in Eigenregie programmiert, als Fertigprodukt fremd zugekauft, als Fertigprodukt gemietet mit der Möglichkeit kontinuierlicher Updates, aus Open Source-Software kostenlos bereitgestellt und nach eigenen Vorstellungen modifiziert oder in Untermiete von Category Killers (Amazon, Ebay). Die wichtigsten Elemente jedes E-Shops betreffen folgende. Eine Produktdatenbank gibt möglichst detailliert und aussagefähig Auskunft über die im Sortiment angebotenen Artikel. Die Stammdatenverwaltung ist wichtig, um Artikel und Besteller sicher zuordnen und verwalten zu können. Das Präsentationssystem sorgt für eine attraktive Darstellung der Produkte und Dienste im Internet. Ein Empfehlungsdienst gibt Erfahrungen anderer Nutzer weiter und wirkt dadurch risikoreduzierend. Das Bezahlverfahren muss sicher, eindeutig und bequem sein, Anforderungen, die gerade in einem offenen System wie dem Internet nur schwer zu erfüllen sind. Konfiguratoren sollen einen akquisitorischen Eindruck vom individuell genutzten Angebot vermitteln. Sofern es sich beim E-Shop um ausgelobte Festpreise handelt, spricht man vom Katalogverfahren. In Web-Katalogen erhalten autorisierte Interessenten ortsunabhängig und permanent Informationen durch virtuelle Präsentation von Produkten und kundenspezifische Problemlösungen. Diese Kataloge können Funktionalitäten zur direkten Bestellung oder nur zur Einsicht bieten, sie können nur die Angebote eines Anbieters oder die mehrerer Anbieter vereinen und Produktinhalte oder auch nur Adressinhalte (analog zu Gelben Seiten) enthalten. Es erfolgt keine Individualisierung, außer durch übliche Rahmenverträge, Rabattstaffeln o. Ä. Ein E-Shop muss über eine Reihe von Funktionalitäten verfügen, damit er arbeitsfähig ist. Dazu gehören vor allem folgende: •• intelligente Suchfunktionen mit fehlertoleranter Eingabe, Produktfinder für Produktvorschläge, Zoom-Bilder mit Detailansichten und 3-D-Animationen, unterschiedliche Farbvarianten, Lupenfunktion, Abruf von Produktvideos, Abruf von Erklärvideos (Tutorials) z. B. für Bedienungsanleitungen, Drag&Drop-

468

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Funktion, Warenkorb-Funktion, automatische Präsentation der Topseller auf der Webseite, Speicherfunktion für Produkte und Produktkonfigurationen, Produktkonfigurator, Online-Vermessung des Betrachters (z. B. bei Bekleidung), Angebot von Produkt-Bundles, Kaufempfehlungen durch Analyse der Transaktionshistorie oder Interaktionen, Hinweise auf Zusatzprodukte (Add-ons, Upgrades etc.), gewünschte Kommunikationskanäle (Telefon, E-Mail, Fax, CallbackButton, Call Button, Co-Browsing, Online-Chat), FAQs, Nutzer helfen NutzerPlattform, Versandkostenausweis, Lokalisierung der Ansprache, evtl. Verknüpfung mit Ladengeschäft (z. B. Ebay Mönchengladbach), Featuring von Sonderangeboten, Rückgabemöglichkeiten, Integration eines Like Buttons, Integration eines Pinterest Pins, Integration des Follow-us on Twitter, Vergabemöglichkeit von Social Bookmarks, Vernetzung zu Produktvideos auf Youtube, Hinweise auf Online-Foren / Communities, Angebot eines RSS-Feeds (Push-E-Mail), verschiedene Bezahlmethoden (Vorkasse, Rechnung, Direktüberweisung, Nachnahme, Lastschrift, Kreditkarte, Online-Bezahlsystem), multiple Währungen, Couponing-Aktivität / Geschenk-Gutschein, Freundschaftswerbung (Prämie), Send a Friend Button, Merkliste / Suchliste, Shopbewertungsmöglichkeit, Mehrsprachenfähigkeit, Monitoring / Kampagnenanalyse (Visits, CpO, abgebrochene Bestellungen, Shop Stickiness, Weiterempfehlungen, Kommentare etc), Schnittstelle zum Warenwirtschaftssystem (Einkauf, Bestand, Versand etc.), Schnittstelle zum CRM-System, Schnittstelle zum Content Management System, M-Com­merce-Fähigkeit, Sicherheitsvorkehrungen (SSL etc.), Hinweise auf Impressum, AGBs, Datenschutzhinweis, Cookies-Hinweis, Preisausweis, Angebot von Prospektmaterial (online), Hinweise auf Kontaktzeiten, Adresse, Telefonnummer etc., Barrierefreiheit, Serviceleistungen, Bonitätsprüfung im Hintergrund, Statusabfrage der Bestellung durch Kunden, komfortable Suchmöglichkeiten, Angabe von Verfügbarkeit, Lieferzeit, Zahlungsbedingungen, Garantieleistungen etc., Merkzettel, Wunschliste, vertrauensstiftende Elemente wie Referenzen, eigene App / Partner-App etc. 12.3.2 Virtueller Marktplatz 12.3.2.1 Organisationsformen Unter virtuellen Marktplätzen versteht man Marktveranstaltungen, die online eine Vielzahl von an Angebot und Nachfrage interessierten Teilnehmer zusammenführen (N : N), um dort Abschlüsse anzubahnen, auszuhandeln und abzuwickeln. Virtuelle Marktplätze können nach vielfachen Kriterien eingeteilt werden (siehe Abb. 84). Man unterscheidet im Einzelnen nach ihrer Ausrichtung horizontale Marktplätze, auf denen für branchenübergreifende Anwendungen Angebote einer Produktgruppe offeriert werden und vertikale Marktplätze, auf denen



12.   Parameter im virtuellen Handel469

        

 

   

 

   

  

Abb. 84: Organisationsformen virtueller Marktplätze

für branchenspezifische Anwendungen Angebote verschiedener Produktgruppen offeriert werden. Weiterhin laterale Marktplätze mit verschiedensten Produkten für unterschiedlichste Anwendungen sowie fokussierte virtuelle Marktplätze, auf denen nur ein Produkt für eine Branchenanwendung gehandelt wird. Außerdem unterscheidet man nach der Veranlassung anbieterorganisierte Marktplätze (Sellside), die von Lieferanten zum Zwecke der Offerte ihrer Produkte installiert werden. Dort können sich potenzielle Nachfrager einen raschen Marktüberblick verschaffen. Und nachfragerorganisierte Marktplätze (Buyside), die von Abnehmern zum Zwecke der Bedarfsdeckung installiert werden. Dort können sich potenzielle Lieferanten melden und ihren Lieferwunsch abgeben. Sowohl anbieter- wie auch nachfragerinitiierte Marktplätze dienen der direkten Transaktionsaufnahme. Daneben gibt es von Maklern organisierte Marktplätze, auf denen diese Angebot und Nachfrage sammeln und von der Provision (Courtage) zur Herstellung des Kontakts zwischen beiden profitieren. Dazu eröffnet der Makler (Broker) eine Plattform, auf dem Anbieter und Nachfrager unabhängig voneinander Leistungen bzw. Gebote platzieren. Oft kann auch die Zahlungsabwicklung und -besicherung über diese Marktplätze vorgenommen werden. Kommt dann eine Transaktion auf diesem Marktplatz zustande, wird die Provision fällig. Außerdem gibt es von Mittlern organisierte Marktplätze, die ebenfalls der Aggregation von Angebot und Nachfrage dienen. Mittler sind dabei rechtlich nicht als Makler tätig und bestreiten ihre Einnahmen daher durch andere Quellen, meist aus Werbeeinschaltungen auf der Website oder von Eintragungsgebühren für die Notierung. Auf freien, nicht-proprietären virtuellen Marktplätzen treffen

470

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

sich die Beteiligten auf Basis informeller Verabredungen. Reglementierte, proprietäre Marktplätze werden häufig durch Verbände, Konsortien o. Ä. betrieben. Hinsichtlich des Zugangs können virtuelle Marktplätze offen oder geschlossen angelegt sein. Offen bedeutet, dass sie für Jedermann zugänglich sind, der daran Interesse hat, geschlossen bedeutet, dass sie über Zugangsregularien verfügen, die nur einen limitierten Zugriff (Geschlossene Benutzer-Gruppe / Password) erlauben. Der Zugang kann dabei durch bloße Anmeldeerfordernis limitiert sein, durch die Notwendigkeit eines Antrags zur Aufnahme in den Kreis der Teilnehmer oder durch einseitige Einladung / Aufforderung des Veranstalters zur Teilnahme. Virtuelle Marktplätze können unter dem Zeitaspekt nur einmalig für ein definiertes Projekt „geöffnet“ sein oder dauerhaft / zeitlich unbegrenzt zu Transaktionen genutzt werden oder sich zyklisch, also in regelmäßig sich wiederholenden Abständen, oder auch unregelmäßig, also fallweise / anlassbezogen, wiederholend. Nach den Einkunftsarten aus E-Commerce sind verschiedene Quellen denkbar. Direkte Erlöse folgen aus dem Verkauf von Produkten und Diensten. Da im Internet jedoch häufig eine „Kostenlos-Mentalität“ verbreitet ist, sind viele Anbieter auf indirekte Erlösquellen angewiesen. Dabei kann es sich um Einnahmen aus Bannerschaltungen handeln (Displaywerbung), um Provisionen aus der Weiterleitung von der eigenen Site auf eine andere (Affiliations), um Provisionen aus der Transaktion infolge dieser Weiterleitung, um Abonnementerlöse aus vertraglicher Bezugsbindung oder um Erlöse aus dem Verkauf von Daten der Nutzer an interessierte Dritte. Gerade letzteres ist eine ausgesprochen ergiebige Einnahmequelle. Generische Vorteile virtueller Marktplätze sind ihre grundsätzlich ständige Verfügbarkeit, d. h. Zeit (24 / 7) und Raum (ortsungebunden) spielen für die Nutzung keine Rolle. Die Informationsbeschaffung wird für alle Marktteilnehmer erheblich erleichtert (Angebote können rasch miteinander verglichen werden). Durch leichtere und schnellere Informations- und Kommunikationsprozesse bleiben die Transaktionskosten gering. Ebenso können grundsätzlich alle Anbieter am Markt teilnehmen. 12.3.2.2 Dynamische Preisbildung Regelmäßig ist auf virtuellen Marktplätzen eine dynamische Preisbildung anzutreffen. Diese wird allgemein unter dem Begriff „Auction“ zusammengefasst und umfasst mehrere Formen. Bei der englischen Auktion (English Auction / auf Aufstrich) wird der Preis, ausgehend von einer Mindesthöhe durch Gebote der Nachfrager kontinuierlich gesteigert, bis der Höchstbietende den Zuschlag erhält. Wird der Mindestpreis nicht erreicht, kann die Auktion abgebrochen oder erneut mit einem niedrigeren



12.   Parameter im virtuellen Handel471

Mindestpreis gestartet werden. Durch den Zuschlag kommt ein Kaufvertrag mit beiderseitigen Lieferungs- und Leistungspflichten zustande. Bei der holländischen Auktion (Dutch Auction / auf Abstrich) wird der Preis, ausgehend von einem imaginären Höchstpreis, automatisch und kontinuierlich oder in festen Schritten solange gesenkt, bis ein Nachfrager durch Annahme den gerade gültigen Preis akzeptiert. Dabei liegt der Abschlussdruck auf der Nachfrageseite, denn eine zu frühe Reaktion führt zu einer überhöhten Zahlungspflicht, eine zu späte Reaktion zum Verpassen des Zuschlags. Gesamtmengen werden im Regelfall in mehrere Lose aufgeteilt, um unterschiedlichen Nachfragedruck auszunutzen. Häufig ist diese Form bei „Veralterung“ unterliegenden Sach- und Dienstleistungen gegeben wie Naturprodukten und Dienstleistungen. Bei der geheimen Auktion (Silent Auction / analog zur Einschreibung auf realen Marktplätzen) geben Nachfrager ihre Gebote oberhalb des Mindestpreises verdeckt, also ohne dass andere Bieter Kenntnis von deren Höhe erhalten, aber auch ohne die Gebote anderer Bieter zu kennen, gegenüber einem Anbieter bis zu einer Deadline ab. Der Zuschlag erfolgt nach Ablauf der Deadline an den Höchstbietenden. Dabei ist durch eine genaue Beschreibung der auktionierten Leistung sicherzustellen, dass keine Unklarheiten hinsichtlich der dann ersteigerten Lieferung / Leistung bestehen. Bei der umgekehrten Auktion (Inverse Auction / analog zur Lizitation auf realen Marktplätzen) geben Anbieter ihre Gebote zur Übernahme und Ausführung eines Auftrags gegenüber einem Nachfrager ab. Dabei erhält derjenige Anbieter den Zuschlag, der dafür die geringste Preisforderung erhebt. Dies erfordert eine extreme Käufermarktsituation, also Überkapazitäten und Fixkostendruck. Wiederum ist durch eine genaue Beschreibung des erwarteten Auftrags sicherzustellen, dass beide Seiten Klarheit über Leistung und Gegenleistung haben und es zumindest daraus zu keinen Querelen kommt. Bei der Submissions-Auktion (Tender Auction / analog zur Ausschreibung auf realen Marktplätzen) geben Anbieter ihre Preisforderungen für die Übernahme einer Lieferung oder Leistung verdeckt bis zu einem Ausschlusstermin (Deadline) gegenüber einem Nachfrager ab. Den Zuschlag erhält der Bieter mit der niedrigsten Preisforderung. Zur Vereinheitlichung wird dabei eine verpflichtende Auftragsbeschreibung zugrunde gelegt, so dass alle Angebote über den Preis vergleichbar sind. Häufig erhält nur der unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte günstigste Bieter den Zuschlag oder es werden Vorqualifikationsrunden eingeschaltet, in denen Bieter vom Verfahren ausgeschlossen werden oder wegen preislicher Nachteile ausscheiden. Dies ist die häufigste Ausprägung bei Beschaffungs-Plattformen großer Unternehmen, von Unternehmensverbindungen oder der Öffentlichen Hände. Häufig findet auch ein Auftrags-Split auf zwei oder mehr Anbieter auf Basis der niedrigsten Preisforderung statt, um Risiken zu verringern.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Bei der Vickrey-Auktion (Zweithöchstpreiszuschlag) ist eine Submission gegeben, bei welcher der Zuschlag an den Höchstbietenden zur Preisbereitschaft des Zweithöchstbietenden ergeht. Hintergrund ist, dass Bieter danach streben, eine individuelle Nachfragerrente zu behalten. Diese ergibt sich aus der Differenz zwischen ihrer maximalen Preisbereitschaft (Reservationspreis) und dem tatsächlichen Zuschlagspreis. Eine solche verbleibt aber nur, wenn das eigene Gebot unterhalb des Reservationspreises bleibt, also niedriger ausfällt, als der maximalen Preisbereitschaft entspricht. Diese Nachfragerrente entgeht also dem Anbieter. Die Vickrey-Auktion strebt daher danach, die Nachfragerrente abzuschöpfen. Dies gelingt, wenn der Bieter auf jeden Fall weniger als seinen Reservationspreis zahlen muss, weil er entweder als Höchstbietender den Zuschlag erhält, aber nur den Zweithöchstpreis zahlen muss oder ein anderer Bieter den Zuschlag erhält und er dadurch von seinem Gebot entbunden ist. Darüber hinaus gibt es weitere Ausprägungen: •• Bei der amerikanischen Auktion als Variante der klassischen Auktion erfolgt nur die Inkrementeinzahlung zwischen dem alten und dem eigenen neuen, höher liegenden Gebot. Der Verkäufer erhält also den Preis nicht von einem, sondern kumuliert über alle Bieter. Dabei erhält der Höchstbietende den Zuschlag für die Einzahlung nur seines Inkrements, also für gewöhnlich zu ­einem sehr niedrigen Betrag, woraus die Attraktivität resultiert. •• Die japanische Auktion als Variante der klassischen Auktion sieht feststehende Inkremente vor, um die sich ein Gebot automatisch erhöht, wenn der Bieter signalisiert, auf den neuen Preis einsteigen zu wollen. Dies vereinfacht das Bietprocedere und verhindert taktische Gebote, etwa auf nur einem minimal höheren Level als das aktuelle Gebot. Das vorgegebene Inkrement wird zumeist von der absoluten Preishöhe abhängig gemacht. •• Die Ebay-Auktion stellt eine Abwandlung der Vickrey-Auktion mit der Möglichkeit der Erhöhung des Höchstgebots durch einen Bieter dar, wobei dieses nach außen hin unsichtbar bleibt und ein festes Inkrement als Mindestschritt vorgegeben wird. Insofern handelt es sich um eine Kombination aus VickreyAuktion, englischer Auktion und japanischer Auktion. •• Bei einer Niedrigstpreis-Auktion erhält derjenige Nachfrager den Zuschlag, der das niedrigste, nur einmal abgegebene Gebot für eine Lieferung oder Leistung abgibt. Zu jeder Gebotsabgabe muss vorab ein Token gekauft werden, der bei einem Scheitern nicht erstattet wird. Die Einkünfte des Anbieters entstehen aus den Einnahmen der kumuliert eingesammelten Tokens (mehrheitlich) sowie dem Kaufpreis. Die Attraktivität für Bieter ist wegen des oft niedrigen Preises und der begrenzten Token-Gebühren sehr hoch. •• Die Scratch-Auktion startet mit einem Höchstpreis (Dutch Auction). Dieser sinkt sukzessiv, aber für die Teilnehmer unsichtbar. Erst wenn ein Interessent einen Token kauft, wird der aktuelle Preis für ihn sichtbar. Er kann sich dann



12.   Parameter im virtuellen Handel473

für einen Kauf zum angegebenen Preis entscheiden oder die Gebühr verfallen lassen. Die Auktion läuft solange, bis ein Interessent den Kauf realisiert. Die Einkünfte des Anbieters entstehen wiederum aus den Einnahmen der kumuliert eingesammelten Tokens (minderheitlich) sowie dem Kaufpreis. 12.4

Web-Präsenzen

Web-Präsenzen beschreiben den Auftritt eines Anbieters im Internet. Dabei geht es um die Website-Gestaltung, vor allem in Form der Nutzeroberfläche und der Nutzerführung, sowie um die Display-Werbung auf eigenen und fremden Websites bzw. für eigene und fremde Angebote. Entsprechend ergeben sich die Formen der Eigenwerbung (eigenes Angebot auf eigener Website), des Targetings (eigenes Angebot auf fremder Website) und der Affiliations (fremdes Angebot auf eigener Website). 12.4.1 Website-Gestaltung 12.4.1.1 Nutzeroberfläche Die Dimensionen des Webauftritts betreffen vor allem den Domainnamen, den Inhalt, die Gestaltung und die Nutzerführung. Die Wahl eines passenden Domainnamens ist sehr entscheidend. Eine komplette URL besteht aus Dienst (z. B. www), Protokoll (z. B. http), der eigentlichen Domainadresse und Top Level Domain (z. B. de). Der Dienst zeigt an, welchen Online-Service man gerade nutzt, das Protokoll zeigt die technischen Verbindungsbasis an, die Top Level Domain gibt Auskunft über die Herkunft bzw. den Inhalt der Website (z. B. com, biz, net, org). Jedermann kann beliebig viele Domains registrieren lassen, die Registrierung erfolgt über einen Internet-Provider. Dabei gilt grundsätzlich das Prinzip der zeitlichen Priorität. Um die Anzahl möglicher URLs zu erhöhen, sind zahlreiche neue Top Level-Domains eingeführt worden, auch die Domainadressen sind flexibilisiert (z. B. nur zwei Buchstaben). Besteht keine zeitliche Priorität, kann evtl. dennoch eine Domain gerichtlich erstritten werden. Ein Unternehmen kann etwa die Herausgabe seines Namens als Domain verlangen, wenn die überwiegende Mehrzahl der Nutzer das Unternehmen unter dieser Adresse erwartet und nicht den tatsächlichen Halter mit zeitlicher Priorität. Auch die Verwechslung mit Markennamen ist zu vermeiden, dazu ist ein zeichenrechtlicher Kurzcheck beim DPMA möglich. Die Prüfung freier Domainnamen erfolgt unter denic.de für .de-Domains oder bei einem Webhoster. Bereits vergebene Domains können evtl. gekauft werden (z. B. sedo.de). Bei besonders gesuchten, generischen Domains stimmen Suchbegriff und Domainname überein (z. B. Vertrieb), möglich sind auch Zwei-WortDomains, meist mit Bindestrich verbunden. Bei mehr als zwei Worten besteht

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

die Gefahr der Verwechslung mit Suchmaschinen-Spammers. Second LevelDomains tragen den Hostnamen, Third Level-Domains sind zusammengesetzt, z. B. de.tt für Audi tt. Eine Website wird durch inhaltliche (Text, Bilder), emotionale (persönliche Ansprache, Farben) und interaktive Elemente (Hyperlinks, Kontaktmöglichkeiten, Konfigurator) gekennzeichnet. Die Texte sind jeweils mit kurzer Zusammenfassung am Anfang zu versehen. Aufzählungen und Zwischenüberschriften helfen bei der notwendigen Strukturierung. Wichtig sind eine leichte Lesbarkeit und die Vermeidung unnötiger Anglizismen / Fremdwörter. Wichtige Textelemente sind die Headline mit max. sechs Worten und im übrigen selbsterklärend, die Subline / Skyline zur Erläuterung der Headline, ein Teaser als Vorspann, der eigentliche Fließtext, zunächst mit den wichtigen Fakten, dann mit Einzelheiten, dann in Vertiefung und die Formulierung, aktiv, d. h. Verben anstelle von Substantiven, in der Sprache der Zielgruppe, ohne Füllwörter, ohne Schachtelsätze, mit kurzen Wörtern und Absätzen bei jedem neuen Gedanken. Bilder sollen authentisch und mit einer Unterzeile versehen sein, Bild und Text sollen sich dabei nicht doppeln, sondern ergänzen. Die Lesegeschwindigkeit am Bildschirm ist weitaus geringer als bei Print, die Auflösung ist deutlich geringer, so dass Schlüsselwörter verwendet werden sollten. Inhalte werden meist zuerst grob überflogen und auf relevante Informationen durchsucht, die Verarbeitungstiefe ist dabei gering (Scanning). Danach werden Kernelemente des Textes erfasst, die Lesegeschwindigkeit sinkt (Skimming). Die wichtigsten Inhalte werden dann in vergleichsweise niedriger Geschwindigkeit gelesen und vollständig erfasst. Die Typographie sollte bekannte Schriften einsetzen, häufig wird „Verdana“ verwendet, die Schriftgröße sollte 9–11 Pkt. betragen, Versalien sind zu vermeiden. Der Zeilenabstand sollte 120 % der Textgröße betragen. Die Zeilenlänge ist auf 45–55 Zeichen oder elf Wörter einzustellen (ganze Seite). Zeilenumbrüche sollten fest programmiert werden (harte Trennung). Als Schriftfarbe haben sich schwarz auf weiß oder blau auf weiß bewährt. Für den grafischen Webauftritt sind Screenlayout mit Gestaltungsraster, Typographie und technische Elemente wie Ladezeit, technische Darstellung kennzeichnend. Webdesign ist dabei die Gestaltung von Webseiten nach den Kriterien Information und Funktionalität sowie Ästhetik und Unterhaltung. Texte werden im HTML- bzw. xHTML-Format eingegeben. Cascading Style Sheets (CSS) gelten für die Gestaltung von Farbe, Form, Anordnung und Gruppierung. Die Farbauswahl hat anhand eines kalibrierten Monitors (RGB) zu erfolgen, um Farbverfälschungen zu vermeiden. Höchstens drei Farben plus schwarz und weiß sind auf einer Seite zumutbar. Dabei sollen Komplementärfarben, also solche, die sich zu Grundfarben ergänzen und im Farbkreis gegenüber liegen, gemieden werden.



12.   Parameter im virtuellen Handel475

Das Seitendesign wird sinnvollerweise in einer Minimalauflösung gestaltet (800 × 600 Pixels), was für Endgeräte mit kleinem Bildschirm (PDAs, Netbooks etc.) bedeutsam ist. Technisch möglich ist auch ein flexibles Seitendesign, das sich dem Bildschirmformat anpasst. Für die Wiedergabe von Animationen (Flash) muss der Browser um Plug-ins ergänzt werden, diese sind, wenn ansonsten unvermeidlich, als Download-Angebot auf der Site zu implementieren. Die Gestaltung der Website hängt von der Zielgruppe und der intendierten Botschaft ab. Neben der Grafik kommt es besonders auf Funktionalitäten an. Nur noch wenige Websites sind statisch aufgebaut, d. h. mit HTML-Programmierung. Änderungen erfordern dann eine Änderung im Quelltext, dies setzt wiederum Programmierkenntnisse voraus. Auch muss die komplette Navigation jeweils angepasst werden. Eine Erleichterung bieten hier Wysiwig-Editoren (z. B. Macromedia), bei denen statt im Quelltext im angezeigten Seitentext gearbeitet wird, allerdings kann es dabei zu Fehldarstellungen kommen. Häufiger sind Content Management Systeme (CMS). Diese arbeiten auf Basis von Temp­ lates (Webseiten-Rahmen), in denen die Inhalte eingestellt werden. Die Verlinkung und die Übersetzung in Quelltext erfolgen automatisch. Erweiterungen erlauben darüber hinaus z. B. die Suchmaschinenoptimierung oder multimediale Inhalte. Wichtig ist der Aufbau der Website und der einzelnen Webseiten. Die Webseite ist meist nach Header als Kopfbereich, z. B. Logo, eigentlichem Inhalt und Footer mit z.  B. Kontaktangaben, AGBs, Partner gegliedert. Die Startseite (Homepage) ist dabei die wichtigste. Da sie meist wenige Inhalte trägt, wird sie durch Suchmaschinen nur unzureichend gefunden. Außerdem sind häufig dort anzutreffende Flash-Animationen nicht von allen Nutzern einsehbar und verlängern die Ladezeit. Sinnvolle Inhalte einer Startseite sind ein Überblick über den Site-Inhalt, die Verlinkung zu Unterseiten und die Erfassung der E-Mail-Adresse. Der Aufbau der Unterseiten sollte einer gängigen Struktur folgen, die beim Nutzer durch den Besuch tausender anderer Seiten bereits geprägt ist. Bei der Gestaltung von grafischen Benutzeroberflächen sollen sich Entwickler an vorgegebenen Standards (Styleguide) orientieren. Dies gilt etwa in Bezug auf die Anordnung und Reihenfolge von Menü-Punkten. Die technischen Rahmenbedingungen des Nutzers wie Browser, Bildschirmauflösung, Übertragungskapazität etc. sollen auf allgemeine Standards, im Zweifel eher am unteren Level, einjustiert werden. Ebenso sollte horizontales Scrollen vermieden werden. Der Kontrast zwischen Vorder- und Hintergrund ist wichtig (Figur-GrundDifferenzierung). Die Terminologie soll zielgruppengerecht und Überschriften, Schlagwörter etc. sollen hervorgehoben sein. Längere Texte können alternativ zum Ausdruck angeboten werden. Hinweise auf Autoren und Verantwortliche der Website sind obligatorisch (Impressumspflicht). Außerdem sind Linksammlungen, ÜberUns-Seiten und FAQs wünschenswert. Für Dateien sind kurze Ladezeiten not-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

wendig. Die Bildschirmauflösung soll angegeben werden. Hinweise für unvermeidliche Plug-ins und Systemeinstellungen müssen gegeben werden. Gehen Inhalte über mehrere Webseiten, sollen diese mit einer Übersicht versehen werden. Besucher sollen auch über die weitergehende Verwendung von Eingabedaten und die Wirkung von Cookies informiert werden. Bei sicherheitskritischen Eingaben soll ein Hinweis auf gesicherte Übertragung (https) erfolgen. Führungstexte sollen links von kurzen Eingabefeldern bzw. oberhalb von längeren Eingabefeldern platziert werden. Zusammengehörige Eingabefelder sollen gruppiert werden und jedes Eingabefeld soll eine angemessene Größe haben. Bei Standardeingabefeldern sollen häufig vorkommende Werte vorbesetzt werden (z. B. Herr / Frau). Muss- und Kann-Eingaben sollen optisch abgesetzt, Kontrollkästchen und Optionsfelder in Spalten angeordnet werden. Bei mehreren Optionsfeldern sollen stattdessen Listfelder verwendet werden (Pulldown-Menü). Schaltflächen und Eingabefelder sollen aussagefähig bezeichnet, zusammengehörige Schaltflächen identisch in ihren Abmessungen und bündig platziert werden. Hilfreich sind Plausibilitätsprüfungen zur Vermeidung von Eingabefehlern. Ebenso soll auf Falscheingaben hingewiesen werden. Bereits getätigte Eingaben sollen problemlos wieder geändert werden können. Alle Eingabedaten und Übersichten sollen ausdruckbar sein, evtl. auch in zusammenfassender Darstellung. Formulare müssen dabei nutzerorientiert gestaltet werden. 12.4.1.2 Nutzerführung Damit die Nutzer sich nicht in der Angebotsvielfalt verlieren, ist eine Führung durch die Website durch Navigationselemente wie Scrolling, Paging sowie Orientierungselemente wie Sitemap, Icons erforderlich. Dazu dient etwa eine Navigationsleiste mit Steuerbefehlen. Auch ist eine vorgegebene Verkettung der Seiten zweckmäßig, um didaktische Aspekte bei der Nutzung zu berücksichtigen. Pro Webseite werden von Nutzern erfahrungsgemäß nicht mehr als sieben Ankerpunkte erfasst. Die Positionierung einzelner Elemente muss sich daher an Standards orientieren. Die höchste Aufmerksamkeit ist links oben auf der Seite, die geringste rechts unten. Wichtige Elemente sind der Seitennamen, das HomeLogo, um zurück zur Startseite zu gelangen und die Kennzeichnung der bereits besuchten, der noch nicht besuchten und der insgesamt besuchbaren Links (meist farbig unterlegt). Hinzu kommt eine fehlertolerante Volltextsuche, die Groß-Kleinschreibung, Buchstabendreher o. Ä. ignoriert, üblich sind bis zu 27 Zeichen Suchwortumfang. Die Suche sollte sich nur auf den internen Bereich beziehen, nicht auf das WWW insgesamt, da der Nutzer dann „verlorengeht“. Sie macht nur bei größeren Präsenzen Sinn.



12.   Parameter im virtuellen Handel477

Häufig liegt nur ein Teil der gesamten Seite im sichtbaren Bereich. Da ­ crollen möglichst vermieden wird, kann somit ein Teil der Seite nicht wahrgeS nommen werden (Eisberg-Effekt). Dem kann Paging entgegengewirken, d. h. eine Seitengestaltung derart, dass Scrollen nicht erforderlich ist. Hilfreich ist auch die Verwendung von Metaphern, d. h. die Nutzung vertrauter Umgebungen auf der Website wie Pinnwand, Icons etc. Das Website-Logo soll links oder rechts oben platziert werden, es soll einen Link zur Startseite haben. Die Po­ sitionierung der Navigationselemente soll auf allen Seiten identisch bleiben. Dabei kann in primäre und sekundäre Navigation unterschieden werden. Eine Site­map soll einen Überblick über die gesamte Webpräsenz bieten. Die Navigationsleiste erscheint am linken oder rechten Rand oder oben, mit nicht mehr als zehn Punkten. Der Aufruf von Unterpunkten zur Verfeinerung erfolgt durch Pulldown-Menüs. Die Suche erfolgt immer über Worte. Nach Möglichkeit ist ein Test mit Probanden in Bezug auf die Usability durchzuführen. Möglichst führen nicht mehr als drei Clicks bis zur Zielseite, also kurze Navigationswege und flache Site-Strukturen. Hilfreich ist außerdem eine Navigationsübersicht, um zu zeigen, wo man sich gerade befindet oder Breadcrumbs, d. h. die Anzeige des Pfads bis zur aufgerufenen Seite, so dass man direkt zurückspringen kann. Die Kontaktseite sollte unterschiedliche Kontaktwege zur Auswahl anbieten. Teilweise wird eine Rückruf-Möglichkeit (Callback) oder eine Toll Free-Nummer geboten. Wichtig ist die korrekte Darstellung bei verschiedenen Browsers und in verschiedenen Auflösungen, am häufigsten sind 1.024 x 768 Pixels. Nur wenige Nutzer haben verschiedene Browser installiert, so dass sie unterschiedliche Auflösungen und Funktionalität nutzen können. Daher sind die Browserdarstellungen vorab zu testen, wichtig ist ebenso die Ladezeit, die immer unter fünf Sekunden betragen sollte. Dazu können Datenkomprimierungsverfahren genutzt werden. Die Bandbreite des Internetzugangs ist heutzutage meist kein Problem mehr. Hilfreich sind Angebote zum Download auf der Seite, z. B. Gebrauchsanleitungen, Handbücher, Software, Spiele, Bildschirmschoner, Videos, Rezepte, Fallstudien, White Papers, virtuelle Fabrikführungen, Bildergalerien, Experteninterviews (Podcast), Glossar, Testergebnisse etc. Auch Bilder der Kontaktpersonen wirken gut. Bei der Verwendung von Farben, der Einteilung des Bildschirms sowie bei der Verknüpfung und beim Einsatz multimedialer Elemente wie Audio oder Video herrscht zwar weitgehende Gestaltungsfreiheit. Dennoch gibt es eine Reihe von Empfehlungen zur Gestaltung von Webseiten. So sollte auf Frame­ seiten, also getrennte Bildschirmrahmen, möglichst verzichtet werden. Die Text­ terminologie sollte zielgruppengerecht ausgelegt sein. Überschriften, Schlag­ wörter etc. sollten hervorgehoben sein. Usability-Tests sichern die Einhaltung der Funktionalität. Dazu eingesetzte Methoden sind Logfile-Analysen, die protokollieren, welche Navigationsele-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

mente und Seiten in welcher Reihenfolge aufgerufen wurden und wie lang die Verweilzeiten auf den einzelnen Seiten sind. Logfiles enthalten alle Informationen, die während eines Nutzungsvorgangs vom Browser des Nutzers im httpHeader an den Server übermittelt werden. Die Daten werden um Hits irrelevanter Einträge (Frames) von Suchagenten, interne Zugriffe etc. bereinigt. Dann erfolgen eine Datenverdichtung mit Zuordnung der Nutzer zu IP-Adressen (Besucheridentifikation) und die Pfadvervollständigung (Cache). Darüber hinaus können weitere Informationen über den Nutzer / die Nutzung gewonnen werden. Session-IDs stellen dazu eine vorübergehende Markierung des Browsers beim WWW-Server dar. Cookies sind kleine Textdateien im ASCII-Format, die vom Server auf die Festplatte des Nutzer-PC geschrieben werden und den Browser dauerhaft markieren. Unter Login versteht man Eingabedaten zur personalisierten Anmeldung, wodurch die Nutzungsvorgänge dem Nutzer zur Erstellung eines Nutzerprofils zugeordnet werden können. Bei Formulareinträgen werden die Transaktionsdaten erfasst. Hinzu kommen Primärstudien durch Videoanalysen, die bei ausgewählten Nutzern eingesetzt werden können, z. B. als Blickverlaufsmessung. Dadurch können auch Mimik und Gestik des Nutzers beobachtet werden. Allerdings ist dafür ein relativ hoher technischer Aufwand notwendig. Laboruntersuchungen sind hingegen problematisch, sie führen etwa mittels Eye Eracking zu sog. Heatmaps. Eine zentrale Anforderung an jede Website-Usability ist die Barrierefreiheit. Dafür gibt es eine Reihe von Anforderungen. So müssen für Bilder, Töne und Videos äquivalente Alternativen anderer Modalität zur Verfügung stehen. Texte, Bilder und Grafiken müssen für Fehlsichtige deutlich, auch ohne Farben, erkennbar sein. Die HTML-Seitenbeschreibung und die CSS-Seitengestaltung sind gemäß ihrer Spezifikationen zu verwenden. Sprachliche Besonderheiten wie Abkürzungen oder Sprachwechsel müssen kenntlich gemacht werden. Tabellen dürfen tatsächlich nur zur Darstellung tabellarischer Daten verwendet werden. Internetangebote müssen weitgehend browserunabhängig nutzbar sein. Zeitgesteuerte Inhalte müssen durch den Nutzer kontrollierbar sein. Automatische Aktualisierungen oder Weiterleitungen dürfen nicht erfolgen. Der Zugriff auf Benutzerschnittstellen z. B. durch Datenbankanbindung, muss behinderungsfrei möglich sein. Der gesamte Funktionsumfang eines Internetauftritts muss unabhängig vom Ein- oder Ausgabegerät genutzt werden können, z. B. durch Navigation ohne angeschlossene Maus. Das Internetangebot muss auch mit älterer Software nutzbar sein, evtl. unter Verzicht auf Funktionalitäten. Alle zur Erstellung der Webseiten verwendeten Technologien müssen vollständig dokumentiert sein. Dem Nutzer müssen Orientierungshilfen zur Verfügung gestellt werden. Die Navigation muss übersichtlich und nachvollziehbar sein, z. B. durch Angabe von Hyperlink-Zielen, Sitemaps, Suchfunktionen.



12.   Parameter im virtuellen Handel479

War dieser Anspruch ursprünglich auf den Zugang Behinderter zu Internetinhalten abgestellt, hat sich zwischenzeitlich erwiesen, dass alle Maßnahmen, die Behinderten helfen, auch für die Nutzung von Internetinhalten durch alle anderen hilfreich sind. 12.4.2 Display-Werbung Die Display-Werbung im WWW kann in verschiedenen Arten ausgeprägt sein. Werden die eigenen Angebote auf eigenen Webseiten geschaltet, handelt es sich um Eigenwerbungsformen. Sollen eigene Angebote auf fremden Webseiten geschaltet werden, handelt es sich um Optionen des Targetings. Und sollen fremde Angebote auf eigenen Webseiten geschaltet werden, handelt es sich um Affiliations (siehe Abb. 85). 12.4.2.1 Eigenwerbungsformen Häufigste Form der Eigenwerbung im Web 1.0 sind Banner (Display-Werbung). Nach ihrer Anlage unterscheidet man verschiedene Banner-Arten, einfach-integrierte und elaboriert-integrierte Banner sowie New Window Ads und Layer Ads (siehe Abb. 86). Einfache Banner leiten den Nutzer mit einem Click auf den Banner aus der Website heraus zum Onlineangebot eines werbungtreibenden Unternehmens. Dazu gehören folgende Formen:

      

     

     

   

    

   

   

 



Abb. 85: Arten der Display-Werbung

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Eigenwerbungsformen im WWW Einfache Banner (in die Webseite integriert)

New Window Ads (öffnen neues BrowserFenster)

Transaktive Banner (in die Webseite integriert)

Layer Ads (befinden sich auf einer anderen Displayebene)

Abb. 86: Eigenwerbungsformen im WWW

•• Statische Banner erlauben nur ein Anklicken durch den User, worauf sich die verlinkte Webseite des Werbungtreibenden öffnet. Da Banner, wie andere Werbemittel auch, häufig als Störung in der Mediennutzung angesehen werden, treten sie teilweise getarnt auf. Die Größen sind auf Halfsize-Banner (234 × 60 Pixels), Full-Banner (468 × 60 Pixels) und Super-Banner (728 × 90 Pixels, ganze oder halbe Bildschirmbreite) o. Ä. standardisiert. •• Scroll Ads stellen eine mitlaufende, anklickbare Werbefläche am Bildschirmrand dar, die nicht zu schließen ist. •• Skyscrapers sind nicht scrollbar, nutzen aber die gesamte rechte Seitenhöhe für einen vertikalen Werbebalken (120 × 600 Pixels), denkbar auch als breiter Skyscraper (160 × 600 Pixels). •• Hockey Sticks sind L-förmig am oberen und rechten Rand der Webseite angelegt. •• Midpage Banner sind direkt im redaktionellen Content des Werbeträgers integriert und können daher nicht aus Versehen oder mit Absicht weggeklickt werden. Durch ihre Größe bieten sie erweiterte kreative Möglichkeiten in der Gestaltung, vergleichbar mit Inselanzeigen im Printbereich. Größen sind 180 × 150 Pixels, 300 × 250 Pixels, 336 × 280 Pixels und 240 × 240 Pixels. Transaktive Banner ermöglichen zusätzliche Funktionen innerhalb des Banner-Felds: •• Animierte Banner bestehen aus sich wiederholenden Einzelbildsequenzen, die ohne weitere softwaretechnische Voraussetzungen kleinere Animationen erlauben. Dadurch kann eine hohe Aufmerksamkeit beim Nutzer erreicht werden. Sie starten ebenfalls per Anklicken, benötigen allerdings hohe Speicher- und Übertragungskapazitäten.



12.   Parameter im virtuellen Handel481

•• HTML-Banner erlauben den Einsatz von aus der Software bekannten Auswahlboxes oder Pull down-Menüs. Dadurch können einzelne Informationsangebote, z. B. Programme wie kleine Spiele oder Datenbestände, die vom Werbungtreibendem vorrätig gehalten werden, direkt aus dem Banner heraus angewählt werden. Er besteht dazu aus mehreren Bildern, Formularelementen und Texten im Quellcode der Seite, so dass keine Plugs-ins erforderlich sind. •• Nanosite-Banner sind komplett funktionsfähige Webseiten im Miniformat. Sie enthalten interaktive Elemente mit Funktionalitäten, z. B. Mini-Shops. Alle Inhalte werden im Bannerfenster und nicht in einem neuen Fenster angezeigt. Die einzelnen Elemente sind durch beliebige Links miteinander verknüpft. Allerdings ist die Programmierung recht aufwändig. Sie basieren auf Java oder anderen Skriptsprachen, so dass womöglich nicht alle potenziellen Nutzer tatsächlich erreicht werden. Sie erlauben Datenbankabfragen und Transaktionsvorgänge ohne Verlassen des Werbemittels. •• Richmedia-Banner erlauben die Einbeziehung multimedialer Elemente wie 3-D-Animationen, Videoclips, Audiosequenzen, Interaktionsmöglichkeiten etc. Dabei setzt die Datenübertragungskapazität zuweilen noch Grenzen, teilweise werden auch Plug-ins benötigt. •• Microsites sind in sich geschlossene, mehrseitige Werbeauftritte auf hoch frequentierten Websites. Damit lässt sich ausreichend Information transportieren, ohne dass Nutzer eine neue Website aufrufen müssten. Es ist also kein Wechsel zur Homepage des Werbungtreibenden erforderlich. Außerdem sind umfangreiche Funktionalitäten eingebaut wie Bestellung, Auftragsbestätigung, Rechnung, Versandbescheid, Retourenavis etc. New Window Ads erscheinen automatisch in einem sich neu öffnenden Browserfenster und umfassen verschiedene Formen: •• Pop-up Ads öffnen beim Ladevorgang selbsttätig ein eigenes, neues Browserfenster beliebiger Größe über der gerade betrachteten Webseite, unterbrechen also nicht die eigentlich beabsichtigte Navigation. Sie stellen insofern eine „sanftere“ Form der Unterbrecherwerbung dar, allerdings können Nutzer das Fenster bereits weggeklickt haben, bevor dessen Inhalt fertig aufgebaut ist, so dass es für den Erfolg auf kurze Ladezeiten und inhaltlich wie gestalterisch attraktive Aufmachung ankommt. •• Blow-up Ads sind eine Variante der Pop-ups. Sie „blasen“ sich beim Seitenaufruf erst allmählich auf ihr Endformat auf. •• Interstitials werden zwischen zwei aufgerufenen Seiten während des üblichen Seitenaufbaus auf dem Bildschirm eingeblendet und nehmen vorübergehend das gesamte Format in Anspruch (ähnlich TV-Werbung). Sie können nicht weggeklickt werden, weil sie kein eigenes Browser-Fenster benötigen. Die Einblendung verschwindet nach einer gewissen Standzeit von selbst, es sei denn, der Nutzer aktiviert das Interstitial, um zu einer angehängten Webseite

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

zu gelangen. Durch die Übertragung verlängert sich die Ladezeit, es kommt zu einer Unterbrechung der Nutzung. •• Superstitials laden sich im Hintergrund, während der User weiter auf der Site navigiert, sobald sie vollständig geladen sind, erscheint die Werbebotschaft großformatig. Möglich ist auch die Einbindung von Multimedia-Elementen wie animierten Flash-Spots, Grafiken und Sounds. Die Werbung muss dann akiv weggeklickt werden und wird durchgängig als ärgerlich empfunden. Layer Ads liegen eine Ebene über oder unter der Content-Seite und erscheinen nicht in einem sich öffnenden Fenster. Dazu zählen folgende Formen: •• Floating Ads schweben scheinbar über der betrachteten Website und können ausgeblendet werden. •• Sticky Ads bestehen aus Buttons, die unabhängig vom Scrolling optisch immer an derselben Stelle auf dem Bildschirm, meist am rechten Rand, stehen bleiben. •• Expanding Ads vergrößern ihr Format, sobald der Nutzer das Banner berührt, wenn der Mauszeiger die Fläche wieder verlässt, zieht es sich auf seine Ursprungsgröße zurück. •• Beim Mouse Move Ads erscheint direkt neben der Mausposition ein Werbebanner, der sich mit der Bewegung des Mauszeigers bewegt. •• Comet Cursors sind Mauszeiger, die ihre Form verändern, während sie über Webseiten und Banners bewegt werden (z. B. die Form des Logos des beworbenen Produkts, sofern Plug-in installiert). •• Pop-under Ads werden erst beim Schließen der Browserfenster als letztes Bild auf dem Bildschirm sichtbar, weil sie unter den anderen Fenstern liegen (640 × 480 Pixels). Von dort verschwinden sie mit dem Ausschalten. •• Tandem Ads stellen eine Kombination aus Standardformat und Flash Layer dar, nach Ablauf des Flash Layers bleibt die Botschaft im Standardformat erhalten. Die Schaltung der Banner-Werbung erfolgt auf General Interest Sites wie Portalen mit hoher Reichweite, aber auch hohen Streuverlusten oder auf Special Interest Sites mit dementsprechend weniger Verbreitung, aber höherer Zielgenauigkeit (Affinität). Für die Vergütung gibt es verschiedene Varianten: •• Pay per Sale: Umsatzbindung (Erstumsatz, Zeitraumumsatz, Folgeumsatz), •• Pay per Sign up: Ausfüllung eines Kontaktformulars, z. B. als NewsletterAnmeldung •• Pay per Click: Anklicken eines in der Seite eingebundenen Werbemittels (allerdings Verzerrungsgefahr durch Klick-Generatoren),



12.   Parameter im virtuellen Handel483

•• Pay per Print-out: Ausdruck einer werblichen Information, z. B. Preisliste, Produktbeschreibung, •• Postview: Cookie-Setzung zur Erfassung einer späteren Nutzung des gerade gesetzten Werbemittels, •• Pay per Action: Vergütung bei gewünschter Aktion, z. B. Login, Bestellung / Kauf, Informationsanfrage, Gewinnspielteilnahme, Download, Newslettereintrag, •• Set-up Fee: Einmalige Aufnahmegebühr in ein Affiliation-Netzwerk. 12.4.2.2 Optionen des Targetings Beim Targeting geht es um die Platzierung von Display-Werbung auf fremden Websites, um dort Nutzer im Pull-Prinzip zu erreichen, die durch objektive Tatbestände, ihr manifestiertes Verhalten oder ihre zu vermutenden Einstellungen dem Profil der eigenen Zielpersonen entsprechen. Auf objektiven Tatbeständen beruhen folgende Ansätze. Regional Targeting konzentriert sich auf bestimmte Gebiete, Städte, Postleitzahlzonen etc., speziell als Geo-Targeting. Anhand der IP-Adresse kann abgeschätzt werden, aus welcher Gegend ein Nutzer stammt bzw. wo er sich gerade aufhält. Technological Targeting liefert auf die jeweilige Hard- und Software-Umgebung zugeschnittene Werbemittel aus. Parameter sind dabei Browsertyp, Netzbandbreite, Nutzungszeiten etc., evtl. mit Begrenzung der Kontaktfrequenz. Predictive Targeting basiert auf statistischen Algorithmen aus Erhebungsdaten über die hochgerechneten Web-Eigenschaften von Nutzern meist nach Nutzerprofil, Soziodemographie, Lebenswelt o. Ä. Dadurch lassen sich Streuverluste minimieren. Auf manifestiertem Verhalten beruhen folgende Ansätze. Behavioral Targeting basiert auf dem bisherigen Surfverhalten der Nutzer und segmentiert diese nach Interessensgebieten (meist auf Basis von Cookies, Netzwerkbeobachtung oder Log in-Daten), allerdings sind Interessensfelder oft eng begrenzt. Re-Targeting adressiert Nutzer, die eine Interaktion auf einer Website abgebrochen haben, nach Verlassen dieser Website auf einer anderen Website (meist in einem Werbenetzwerk / Affiliation). Ziel ist der Abschluss der Interaktion, Voraussetzung zur Wiedererkennung sind Cookies im Nutzer-Computer. Auf zu vermutenden Einstellungen basieren folgende Ansätze. Contextual Targeting geht vom thematischen Umfeld einer Website (Affinität) aus, das besonders gut zur Werbebotschaft passt, Basis sind Suchanfragen und E-Mails. Semantic Targeting basiert auf Suchworteingaben und ordnet Einzelwörtern, Wortkombinationen, Satzteilen und Texten Inhalte zu (allerdings gibt es hier

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semantische Grenzen, z. B. Essen als Stadt oder als Nahrungsaufnahme oder Tokio Hotel als Boygroup oder Unterkunft in der japanischen Hauptstadt). Erlöse stammen aus Transaktionen als Pay per Click / Pay per Use, Abo-Gebühren und sofortiger Verbindung als Pay per Visitor, Pay for Availability, Pay per View, Pay per Action etc. 12.4.2.3 Affiliations Affilations sind ein internetgestütztes Geschäftsmodell, das aus drei Parteien besteht, einem Anbieter / Werbungtreibenden (Merchant), mehreren Werbedurchführenden (Affiliates) und ggf. einem Werbemittler (Affiliate Network), die ein virtuelles Mittlernetz auf zielgruppen- bzw. themenorientierten Websites bilden. Die Affiliates platzieren dazu Displaywerbung auf ihrer Website, die beim Anklicken zum Merchant durchverbindet. Je nach vereinbarter Aktion erhalten die Affiliates darauf eine Provision. Zur Erleichterung der Durchführung werden Affiliate Networks zwischengeschaltet, die den Kontakt zwischen der Partnern herstellen sowie die technische und kaufmännische Abwicklung organisieren. Alternativ dazu kann der Merchant diese Aufgaben auch selber übernehmen und erspart sich dann die Kosten (Make or Buy). Die Erfassung (Tracking) erfolgt reaktiv oder nicht-reaktiv durch Cookies, URLs, Session-iD, Webbugs etc., die üblicherweise 30 Tage nachverfolgt werden. Dazu werden die Werbemittel des Merchants auf dem Link mit einem Partnercode versehen. Durch eine CSVDatenbank können damit Besucheraktivitäten dem jeweiligen Partner zugeordnet werden. Die Angebote werden so automatisch nach Maßgabe des Merchants platziert und aktualisiert. Die Kennung weist z. B. eine Provision bei Transaktion innerhalb 24 Stunden nach Aufruf zu. Merchant-seitige Ziele der Aktivität sind etwa die Erhöhung seiner Bekanntheit, der Anstieg der Website-Besucherzahlen, die Gewinnung von NewsletterAbonnenten, der Verkauf von Leistungen etc. Für den Merchant ist AffiliateMarketing damit eine kostengünstige Alternative zu anderen Werbeformen. Die Präsenz der Leistung kann vervielfältigt werden, eine Vergütung ist i. d. R. nur im Erfolgsfall fällig. Dies erlaubt eine effiziente Werbeerfolgskontrolle, zusätzlich werden Informationen über das Surf-Verhalten der Besucher der Website erlangt. Affiliate-seitige Ziele sind die Erzielung von zusätzlichen Einnahmen und die Erhöhung der Site-Attraktivität. Affiliate-Netzwerkbetreiber wie Affilinet, Zanox, Tradedoubler etc. übernehmen administrative Aufgaben wie die Bereitstellung der Technologie, Einrichtung des Programms und Einblendung der Partner bis hin zur Abrechnung. Vorteile für den Merchant sind vor allem folgende. Es besteht ein geringer Handlingaufwand. Die laufenden Kosten zur Teilnahme sind niedrig. Standard-



12.   Parameter im virtuellen Handel485

verträge bieten juristische Sicherheit. Im Netzwerk erfolgt eine Multiplikation des Angebots. Die Verbreitung erfolgt durch zahlreiche Affiliates parallel. Das Abrechnungsprocedere ist transparent. Und die Programme werden in kurzen Abständen upgedated. Nachteile sind hingegen folgende. Es ist die Entrichtung einer Setup-Gebühr zur Teilnahme erforderlich. Für Provisionen muss eine Kaution bei einer Network-Organisation hinterlegt werden. Außerdem sind die Provisionseinnahmen mit dem Organisator zu teilen (Split Commission). Eine Zulassung zum Network erfolgt nur nach positiver Einzelfallprüfung. Das System ist ungeeignet für Nischenprodukte. Die Auslieferung von Werbung erfolgt im Einzelnen durch •• Rotation verschiedener Werbemittel auf demselben Werbeplatz, •• Rotation innerhalb eines Web-Auftritts auf verschiedenen Seiten, •• Netzwerkrotation innerhalb einer Gruppe aus mehreren Anbietern, •• zeitabhängige Werbemittelauslieferung. Für die Bezahlung sind verschiedene Modelle üblich, hier die gebräuchlichsten von ihnen: •• Cost per Click, dabei wird die Provision pro erfolgtem Klick auf das Werbemittel fällig, •• Cost per Lead, dabei wird die Provision bei Kundenidentifikation gezahlt, •• Cost per Order, dabei wird die Provision bei Geschäftsabschluss fällig, •• Pay per Click-out, dabei wird die Provision nur fällig, wenn sie zu einem vorgemerkten Anbieter weiterleitet, •• Cost per Link, dabei wird das bloße Einblenden des Werbemittels auf der Webseite bezahlt, •• Cost per View, dabei wird die Provision bei jedem Aufruf einer Webseite mit dem Werbemittel fällig, •• Pay per Sign-up, dabei wird die Provision fällig, wenn sich ein Interessent auf der Seite des Merchants registriert, •• Lifetime-Provision, hier werden auch die Folgekäufe eines Kunden mit Erstkontakt über den Affiliate provisioniert. 12.4.3 WWW-Metrics Die Erfolgsmessung der Online-Werbung ist nicht unproblematisch. Man kann werbeträgerbezogene, werbemittelbezogene und nutzerbezogene Kennzahlen unterscheiden (siehe Abb. 87). Werbeträgerbezogene Messwerte sind vor allem folgende:

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Leistungsmesswerte für Werbung im Internet

werbeträgerbezogen

werbemittelbezogen

werbeadressatbezogen

Abb. 87: Leistungsmesswerte für Werbung im Internet

•• Hits geben an, wie viele Einzeldaten einer Site abgefragt worden sind, sei es als HTML-Seiten, Grafiken o. Ä., ablesbar an der Zeilenzahl im Logfile. •• Page Views / Page Impressions sind die Anzahl der abgerufenen Einzelseiten, wobei nur Content-Seiten gezählt werden. Sie sind damit ein Maß für den Sichtkontakt mit einzelnen Seiten analog zum Reichweitenwert bei OfflineMedien. •• Visits: sind zusammenhängende Besuche einzelner Nutzer auf einer Website unter Aufruf einer oder mehrerer Webseiten einer Site. Ein Nutzungsvorgang ist ein technisch erfolgreicher Seitenzugriff eines Internet-Browsers auf das aktuelle Angebot. •• Fehlerlogs stellen eine Auswertung der Fehlercodes beim Zugriff zur Optimierung der Website dar. Werbemittelbezogene Messwerte sind vor allem folgende: •• Adclicks sind die Anzahl der Nutzungen von werbungtragenden Hyperlinks, die zur Website oder zu anderen Informationen des Werbungtreibenden führen. Dies ist analog zum Kontaktintensitätswert bei Offline-Medien. •• AdImpressions sind die Anzahl der Sichtkontakte mit Werbemitteln im Internet. Allerdings handelt es sich dabei nur um die technische Anforderung des Werbemittels, unabhängig davon, ob der Nutzer nach Auslieferung noch die Webseite nutzt oder nicht. •• Click through Rate ist der Anteil angeklickter Werbemittel (AdClicks) an allen Sichtkontakten mit Werbemitteln (AdImpressions). •• Exposure Duplications sind der Anteil der Besucher einer Seite, der einen Werbebanner mehrmals sieht. •• Banner Reach ist die Anzahl der Nutzer mit mindestens einem Sichtkontakt zum Werbemittel als „tatsächliche“ Media-Reichweite.



12.   Parameter im virtuellen Handel487

•• Banner Frequency ist die Anzahl der Sichtkontakte je Nutzer als „tatsächliche“ Media-Kontaktintensität. •• Viewtime ist die Zeitspanne, während der ein werbeführender Teil eines Internet-Angebots potenziell sichtbar ist (Viewability). Dies bedeutet jedoch nicht eine tatsächliche Sichtbarkeit. •• Stickiness betrifft die Verweilzeit auf einer Website, ermittelt aus Frequenz, Dauer und Reichweite. Werbeadressatbezogene Messwerte sind vor allem folgende: •• Bei Referring Pages wird festgestellt, von welcher Website (URL) ein User kam und wohin er von der Site aus ging (URL). •• Entry Pages / Exit Pages sind die Einstiegs- und Ausstiegsseiten einer Web­ site, z. B. über Suchmaschinen indexiert. •• Das Navigationsmuster zielt auf die Erkennung von Bewegungsschemata innerhalb einer Website ab, um deren Content zu optimieren. •• Visit Length ist die durchschnittliche Verweildauer vom ersten bis zum letzten Seitenabruf innerhalb einer Visit. •• Bei Unique Users handelt es sich um die Anzahl unterschiedlicher Besucher einer Website. •• Unter Conversion Rate versteht man den Anteil der gewünschten Transaktionen an allen Besuchen der Site. Die Aussagefähigkeit dieser Messwerte ist jedoch mehrfach eingeschränkt. So erfolgen Zugriffe auf Internet-Angebote statt über den Server des Anbieters über dezentrale Proxy Servers, wenn es sich um häufig aufgerufene Webseiten handelt. Diese Zugriffe können nicht gemessen werden, da sie im Logfile des Anbieter-Servers nicht eingetragen sind. Ähnlich verhält es sich bei Einsatz von Cache-Speichern, die im Nutzer-PC reserviert sind und Inhalte lokal bereitstellen, ohne bei erneutem Aufruf den Anbieter-Server zu kontaktieren. Ebenso wirken Firewalls verzerrend, weil statt der eigentlich datenabrufenden internen IP-Adresse nur die Firewall-IP-Adresse im Logfile erscheint. Weiterhin werden von vielen Providers Vorrats-IP-Adressen verwaltet, die fallweise verschiedenen Nutzern nach jeweiliger Verfügbarkeit zugewiesen werden (dynamische IPAdressen). Damit ist ein korrekter Ausweis der Nutzer nicht mehr möglich. Zudem bieten Offline Reader-Funktionen die Möglichkeit, Webseiten- und damit auch dort befindliche Werbeinhalte, zu betrachten, ohne online zu sein, d. h., der zeitbezogene Ausweis der Werbung ist verfälscht. Wählen sich Nutzer via Direktwahl auf die werbetragende Seite ein, ohne sich über Links dorthin verbinden zu lassen, sind die Messwerte ebenfalls unrichtig. Besteht eine Webseite aus mehreren unabhängigen Elementen (Frames), wird der Aufbau einer Seite als mehrfacher Abruf (Hit) je Frame gewertet. Verstärkt unterdrücken kostenlose Adblocker Werbeeinblendungen (man geht hier von 30 % aller Schaltungen

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

aus). Rechtlich ist das Angebot solcher AdBlocker unbedenklich. Für die verbleibenden Banner besteht das Phänomen der sog. Banner Blindness, d. h., Werbung wird, obwohl technisch sichtbar, subjektiv in der Wahrnehmung bewusst ausgeblendet. Auch wird die Standzeit der Werbung erheblich überschätzt, da Seiten bis zu 30 Minuten als aufgerufen gemeldet werden, auch wenn sich kein Nutzer vor dem Bildschirm befindet. Verbreitet ist weiterhin das versehentliche Anklicken von mitgezählten Banners (sog. Fat Finger Clicks), deren Standzeit dann nicht ausreicht, überhaupt Inhalte wahrzunehmen. Zur Schaffung einer „harten Online-Währung“ hat die IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) ein Messverfahren standardisiert, das zumindest eine Vergleichbarkeit der somit erhobenen Daten gewährleistet. Es basiert im Wesentlichen auf den Messkriterien PageImpressions und Visits. 12.5

M-Sales

Mobile Sales (auch M-Commerce) befasst sich allgemein mit der Anbahnung und Abwicklung von Transaktionen über elektronische Netzwerke unter Nutzung räumlich flexibler Endgerät. Als wesentliche Merkmale gelten dabei die: •• Interaktivität als Fähigkeit zur wechselseitigen Kommunikation zwischen Sender und Empfänger und damit die grundsätzliche Dialog- bzw. Rückkopplungsmöglichkeit, •• Multifunktionalität als Fähigkeit, je nach Situation unterschiedliche Kommunikationsformen über das Medium abzuwickeln, •• Aktualität, um Informationen über prinzipiell unbegrenzte Distanzen und unabhängig von der zeitlichen Präsenz eines Kommunikationspartners zu übermitteln und abzufragen, •• Digitalisierung erfolgt mit Zugriff auf eine Fülle von Daten und Programmen, die auf Rechnersystemen abgelegt sind, •• Individualität durch personalisierte bzw. gruppierte Nachrichten und Informationen, •• Ubiquität durch zeitlich unbegrenzte Sende- und Empfangsmöglichkeiten mit Zugriff von Jedermann für Jedermann, •• Lokalisierbarkeit durch nutzerinitiierte (Cell), endgerätbasierte (UUID) oder netzbasierte Ortung (GPS), •• Mehrwertdienste durch Anreicherung der Inhalte z. B. i. S. d. Bequemlichkeit oder Kostengünstigkeit. Endgeräte im M-Commerce sind überwiegend Mobiltelefone, aber auch Palm-Tops, Personal Digital Assistants (PDA) und portable Computer (Note-



12.   Parameter im virtuellen Handel489

book / Subnotebook / Laptop / Tablet). Zur Funktionsfähigkeit bedarf es elaborierter technologischer Grundlagen. Für die Datenübertragung sind dazu derzeit im Gebrauch: •• Longterm Evolution (LTE / 4G), Mobilfunkstandard, •• Bluetooth für die Übertragung über Kurzstreckenfunk bis 10 m ohne Sichtkontakt zwischen Sende- und Empfangsgerät, •• Nearfield Communication (NFC) als Übertragungsstandard zum kontaktlosen Austausch von Daten per Funk über kurze Strecken, •• Wireless LAN (Local Area Network) als kabellose lokale Netzwerke, die im Umkreis von Hotspots funktionieren. Typische, vertriebsgrelevante Anwendungen ergeben sich im •• Privatkundenbereich für Finanzdienstleistungen (Mobile Banking), Bezahlsysteme (Mobile Payment), Identifikation (als Zugangsberechtigung), Einkauf (Mobile Shopping), Unterhaltung (Mobile Entertainment, z. B. Spiele), Navigation (Tracking, z. B. Verkehrsinformation) etc., •• Geschäftskundenbereich für Supply Chain Management (z. B. Datenbankabfrage, Lagerbestandsübermittlung, Auftragsstatus), Sendungsverfolgung (Tracing), Telemetrie (Fernwarten) etc. M-Commerce profitiert von verbesserten technischen Standards in der Übertragung mit hoher Datenrate, aber auch in den Endgeräten durch Displaygröße, höhere Akkuleistung, leichtere Dateneingabe (z. B. Sprache), schnellere Prozessoren, größere Arbeitsspeicher etc. Bei der Nutzung gelten eine klare Identifikation des Absenders, die Impressumspflicht und der Versand von Werbenachrichten nur mit vorheriger Einwilligung des Empfängers. Eine wesentliche Werbeform stellen Banner dar, und zwar vor allem als •• Sky (längs senkrecht am Rand), Wallpaper (am oberen und unteren Rand), Medium Rectangle (Rechteck in der Mitte), Maximum Wallpaper (am oberen, linken und rechten Rand), Superbanner (Streifen am oberen Rand), Ad (Rechteck am linken Rand). Das Banner muss wegen der abweichenden Bildschirmdiagonalen in verschiedenen Formaten ausgeliefert werden, jeweils ist eine Werbekennzeichnung (W) am Rand, in kontrastreicher serifenloser Schrift in Mindestgröße erforderlich. Häufige Anwendungen mobiler Medien sind folgende. RSS-Feeds sind ein Push-Dienst im Internet im Unterschied zu E-Mails als Pull-Dienst, d. h., Nachrichten müssen nicht extra abgerufen werden. RSS (Really Simple Syndication) dient der einfachen, XML-strukturierten Veröffentlichung von Änderungen auf Websites. Anbieter sind RSS-Channels, die Schlagzeilen und Links zu indexierten Seiten an Abonnenten verschicken (Feeds). Die Nachrichten sind im Feed-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

reader einsehbar, teilweise auch als Volltext. Dadurch können verdeckt große Mengen an Quellen, z. B. auch Weblogs, gesichtet werden. Die Nachrichten lassen sich durch RSS-Parsers in eigene Websites integrieren (Syndication). Es werden nur Inhalte, vor allem Texte, aber auch Audio- und Videodateien, übertragen, jedoch keine Navigationselemente oder Funktionalitäten. Apps (Applets) sind kleine Programme, teils mit Werbung als Kaufpreisersatz, die vor allem auf Smartphones / Tablet-PCs mit mobilrelevanten Inhalten angeboten werden, z. B. Timer, Analogzeituhr, Flugtermine, Rezepte. Im Regelfall handelt es sich um eine End to End-Lösung, d. h. Hardware, BetriebssystemSoftware und Anwendungs-Software sind perfekt aufeinander abgestimmt, so gibt es keine Schnittstellenprobleme wie Zeitverzögerung oder Absturz. Dafür muss eine gewisse „Zensur“ durch den Systemintegrator hingenommen werden, indem Apps von diesem auf ihre Lauffähigkeit hin geprüft, ggf. verändert und danach erst freigegeben werden. Native Apps werden spezifisch für ein Betriebssystem geschrieben, dies setzt die Registrierung der App (z. B. AppStore) voraus. WebApps sind endgeräteunabhängig über Browser nutzbar und basieren auf modernen Web-Technologien (HTML5, CSS3 etc.). Hybride Apps kombinieren beide Ansätze. Mash Ups verbinden separate Medieninhalte nahtlos. Dies setzt offene Programmierschnittstellen voraus wie JavaScript, Flash etc. Denkbar ist die Einbindung von Landkarten oder Satellitenfotos mit individuellen Markierungen in eigene Websites, aber auch eingebettete Fotos oder Videos. Dadurch entstehen Mehrwert-Informationen. Diese können server- oder clientseitig aggregiert und aufbereitet sein, dauerhaft oder anlassbezogen, global oder individuell gesteuert. Sie werden vor allem im Long Tail Business genutzt, d. h. für digitale Nischenprodukte, bei denen Kapitalbindung aufgrund der Digitalisierung praktisch keine Rolle mehr spielt und daher eine extreme Programmvielfalt möglich wird, die in der realen Welt nicht finanzierbar wäre. Im Rahmen von Location Based Services (LBS) werden Funktionen und Informationen auf Basis des geografischen Standorts eines Nutzers oder Objekts dem Nutzer selbst (Position-aware Services) oder einer anderen Person / Organisation bereitgestellt (Location Tracking Services). Bei Pull-Diensten fordert der Nutzer aktiv Daten zu seinem aktuellen oder zukünftigen Standort ab, bei Push-Diensten erhält er diese automatisch zugesandt. Dabei werden mobile Endgerätetechnologien (Nutzerschnittstelle), mikrogeografische Informationssysteme (Datenquelle) und Internet als Transportweg kombiniert. Die Positionsermittlung erfolgt satellitenbasiert (GPS-Netz), netzwerkbasiert (CellID) oder im Nahbereich (NFC / Bluetooth). Bei GPS ist Sichtkontakt zu mindestens vier Satelliten erforderlich. Cell-ID basiert auf Mobilfunkzellen unterschiedlicher Größe. Anwendungen beziehen sich etwa auf Navigation, lokale Soziale Netzwerke (z. B. Foursquare), Flottenmanagement (Tracing) oder ortsbezogene Abrechnung (Ticketing).



12.   Parameter im virtuellen Handel491

Beim Instant Messaging handelt es sich um Dienste, die eine direkte, synchrone und schriftliche Kommunikation zwischen Personen erlauben. Über verschiedene proprietäre Protokolle können Kurznachrichten sofort zwischen den Usern übermittelt werden. Je nach System ist auch eine Übertragung von Dateien sowie Audio- und Videostreams möglich. Voraussetzung ist, dass die Kommunikationspartner zeitgleich aktiv sind und eine direkte Kommunikation miteinander anstreben. Der Empfänger der Nachricht kann darauf unmittelbar reagieren. Push-Dienste bringen Inhalte nach vorher vereinbarten Regeln vor, ohne dass der Nutzer diese vom Anbieter des Informationsdienstes abholen müsste, dazu gehören z. B. Börsen-Ticker, Datenbank-Inhalte oder Browser-Updates. Broadcasting findet über Podcasts (Kunstwort aus Broadcast für „an viele senden“ und pod für iPod von Apple) statt. Podcasts dienen der Verbreitung von Audio- und Videodateien im Internet (Videodateien werden Vodcasts genannt). Als Podosphäre wird das Umfeld von Podcasts bezeichnet. Bei den Dateien handelt es sich um online-zugängliche mp3-Files, die sich Nutzer herunterladen und auf ihrem Telecom-Endgerät oder mp3-Player abspielen. In kostenfreien Podcasts wird Werbung akzeptiert. Auch ein Abonnement mittels RSS-Feed durch Podcatcher wie iTunes ist möglich. Die Aufnahme erfolgt an Rechnern mit Soundkarte / Videokarte, Mikrophon / Webcam und Internet-Anbindung. Die Software ist häufig kostenlos. Für den Schnitt und die Umwandlung in mp3Files sind die Urheberrechte (GEMA) zu beachten. Der fertige Cast wird auf eigenen Webspace hochgeladen oder bei Podhosters gespeichert, wo man sich ein Konto mit Speicherplatz einrichten kann. Die Veröffentlichung des Podcasts erfolgt in Podcast-Portalen. M-Commerce gehört die Zukunft, da Probleme wie geringe Displaygrößen, unbefriedigende Übertragungsgeschwindigkeit oder mangelnder Datenschutz im Zuge des technischen Fortschritts rasch behoben werden können. Die Netzdichte steigt, die Endgeräte werden komfortabler und bieten mehr Funktionalitäten. 12.6

Suchmaschinen-Marketing

Damit eine Website gleich welcher Art gefunden werden kann, ist ihr Eintrag in Suchmaschinen unerlässlich. Es können vier Typen von Suchmaschinen unterschieden werden, Volltextsuchmaschinen durchsuchen das Web nach Inhalten, Web-Kataloge auf Basis vorab indexierter Web-Inhalte und Meta-Suchmaschinen als Suche in Suchmaschinen sowie Spezialsuchmaschinen vor allem im gewerblichen Einkauf. Suchmaschinen erfassen mittels Suchrobotern (Crawlers) alle bei der Suchmaschine verfügbaren URLs und folgen dort den Links bis zu einer bestimmten Tiefe, um zu weiteren Seiten zu gelangen. Alle gesammelten Seiten werden analysiert und indexiert. Bei Google werden Quellen nach ca. 200 verschiede-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

nen Kriterien, die im Einzelnen geheim sind, durchsucht. Aus diesem Index werden Nutzeranfragen entsprechend den Ranking-Kriterien der Suchmaschine mit einer geordneten Liste von URLs und deren Beschreibungen beantwortet. Angestrebt wird für eine Webpräsenz eine möglichst gute Platzierung in den Suchergebnislisten. Ein relevantes Problem stellen dabei die Daten des Deep Webs dar. Darunter versteht man nicht frei zugängliche Inhalte (password-geschütztes Private Web), Inhalte, die von Suchmaschinen nicht erfasst werden können (z. B. weil sie grafisch verschlüsselt sind) und dynamisch-erstellte Inhalte (PHP o. Ä.), die sich zeitabhängig seit der letzten Indexierung verändert haben. Das Deep Web entsteht infolge des Aussperrens von Crawlers durch Website-Betreiber, durch nicht-aussagefähige Metatags, Passwort-Schutz für die Seiten, dynamische Programmierungen (Datenbanken), Echtzeit-Seiteninhalte, fehlende Verlinkung von und zu anderen Seiten, zahlungspflichtigen Zugang (Paywall), CampusLizenzen (Authorisierung) etc. Teilweise kann das Deep Web durch Fachdatenbanken erschlossen werden. Suchmaschinen-Marketing (SEM) lässt sich in SEO und SEA einteilen (siehe Abb. 88). Suchmaschinen-Optimierung (Search Engine Optimization / SEO) befasst sich mit der technischen Optimierung der Auffindbarkeit und Zuordnenbarkeit von Webseiten (Platzierung). Diese Optimierung kann onsite erfolgen, d. h. durch Maßnahmen auf der Site selbst zur Verbesserung der Position von Suchergebnissen bei Anfragen (z. B. höhere Stichwortdichte) oder offsite, d. h. durch Verlinkung / Referenzierung von Webseiten von / auf dritte(n) Sites, um dadurch zu mehr Relevanz zu gelangen (z. B. Google Pagerank 0–10). Ein suchmaschinen-freundliches Webdesign erhöht die Wahrscheinlichkeit guter Platzierungen. Einer guten Platzierung abträglich sind hohe Downtime des Servers, kopierter Content auf mehreren Seiten, Links von Low Quality-Seiten ausgehend, identische Metatags auf vielen Unterseiten und die Teilnahme an Linkfarmen.

    

 

 

  

  

Abb. 88: Suchmaschinen-Marketing (SEM)



12.   Parameter im virtuellen Handel493

Bei der Suchmaschinen-Werbung (Search Engine Advertising / SEA) erfolgt der Kauf von Werbeplatzierungen, die bei Eingabe definierter Suchbegriffe neben den organischen Ergebnissen der Suche als bezahlte Ergebnisse erscheinen. Die Bezahlung erfolgt durch Pay per Click, d. h., jeder Werbungtreibende bietet einen bestimmten Geldbetrag für eine Platzierung in einen definierten Zeitraum. Die relative Höhe der Gebote entscheidet über den Rangplatz im bezahlten Listing, die Adresse wird solange ausgewiesen, bis durch Clicks auf den Link das Budget aufgebraucht ist. Der Werbungtreibende kann dann sein Budget erhöhen oder auf eine weitere Platzierung verzichten. Meist werden zwei bis fünf zugehörige Suchwörter definiert. Je beliebter die Suchwörter, desto höher ihr Preis. Die Bedeutung ist sehr hoch, da die meisten Nutzer Suchmaschinen zur Übersicht im Internet einsetzen, insb. vor Kaufentscheiden. Zumeist werden dabei nur die Links auf der ersten Seite gesichtet und ggf. ausgeführt. Allerdings gibt es Click-Betrug durch Konkurrenten. Hinweise darauf sind eine hohe Zahl von Seitenaufrufen aus dem Ausland, Seiten, die über wechselnde IP-Adressen aufgerufen und dabei nicht identifiziert werden können, vermehrte Seitenzugriffe, bei denen die Besucher der Site diese unmitelbar nach Aufruf wieder verlassen sowie Clicks, die zu unüblichen Uhrzeiten ausgeführt werden. Weitere Indikatoren sind sehr niedrige Konversionsraten (Click-Umwandlung in eine gewünschte Aktivität), Besuche von Seiten, die nicht mit eigenen Werbemitteln versehen sind, häufige Stornos von getätigten Käufen bei E-Commerce sowie insgesamt technische Rahmenbedingungen, die auffällig vom Üblichen abweichen. 12.7

E-Mail-Marketing

E-Mail-Marketing umfasst im Einzelnen Stand alone-E-Mails und E-Newsletters. E-Newsletters sind regelmäßige Zusendungen elektronischer Nachrichten an einen im Vorhinein bestimmten Personenkreis. Eine Stand alone-E-Mail hingegen ist einmalig und besteht meist aus Anschreiben und Anhang. Um das Postfach von unverlangt zugesandten Nachrichten freizuhalten, setzen E-MailClients Spam-Filter ein. Diese suchen nach Stichwörtern und verteilen daraufhin Scores (der Schwellenwert ist einstellbar). Außerdem werden Blacklists abgeglichen, d. h. bekannte Spammail-Adressen. Daher stößt ein unvorbereiteter Versand auf enge Restriktionen. Um diese zu umgehen, ist eine Erlaubnis (Permission-Marketing) erforderlich (außer bei bestehender Kundenbeziehung / B-t-C oder wenn ein Interesse des Adressaten vermutet werden kann / B-t-B, wofür der Absender im Zweifel beweispflichtig ist). Rechtlich wird dabei ein Double opt-in verlangt, d. h., erstens die aktive Anforderung einer E-Mail (Single opt-in, etwa durch Anfrage, in den Verteiler aufgenommen zu werden, oder durch Eintrag in den Verteiler / Initiali-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

sierung), zweitens die Bestätigung der Anforderung (Confirmed opt-in / Quittierung) und drittens die Bestätigung der Bestätigung (Double opt-in, um unerwünschte Einträge durch Dritte zu verhindern). Dies muss protokolliert werden. Weiterhin ist ein deutlicher Hinweis auf die jederzeitige Widerrufmöglichkeit erforderlich (Opt-out). Werbemails müssen als solche erkennbar sein. Die E-Mails müssen zudem mit einer Anbieter- / Absenderkennzeichnung (Impressum mit Name, Postanschrift, Vertretungsberechtigte, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Handelsregisternummer, Umsatzsteueridentifikationsnummer) und einem Datenschutzhinweis (Datensparsamkeit) versehen sein. Werden bei jeder Interaktion zusätzliche Daten abgefragt, kann dennoch ein Adressatenprofil daraus erstellt werden (Name, Postadresse, Interessen etc.). Für die Erstellung eines Newsletters ist dessen technisches Format (ASCII, HTML PDF, Flash etc.) zu bestimmen. Die Adressgenerierung erfolgt durch Kauf von Adressen (vorausgesetzt, die Adressaten haben dem zugestimmt), durch deren Miete (zur einmaligen Nutzung bei bestätigter Anmeldung), durch Tausch von Adressen oder durch Eigengenerierung (etwa in Werbemaßnahmen mit Weiterleitung auf die Anmeldung). Weitere Quellen sind Adressen aus Freemailers (wie GMX), aus Geschäftsaufgaben im Web oder aus Gewinnspielen, die dann allerdings nicht zielgruppensegmentiert sind. Bei Kauf und Miete wird die Qualität der Adressen oft als zweifelhaft angesehen. Die Eigengenerierung erfolgt aus Kundendaten, Hinweis auf den Newsletter in der Korrespondenz oder Initial-E-Mails. Ebenso kann auf der eigenen Homepage (z. B. durch Banner) darauf aufmerksam gemacht werden (etwa durch Vorschau auf Inhalte oder eine Archivfunktion). Außerdem können Anreize zur Registrierung gegeben werden wie Informations- / Preisvorteil, bevorzugte Behandlung etc. Bei den Eingabefenstern (Templates) ist auf Plausibilitätskontrolle und Eingabefehlertoleranz zu achten (nur gültige Zeichen, mindestens acht Zeichen Adresslänge, nach dem @-Zeichen mindestens vier Zeichen). Vorteilhaft ist die Individualisierung von Newsletters durch dynamischen Content, z. B. durch Zusammensetzung aus unterschiedlichen Textbausteinen oder automatische Anpassung an das Klickverhalten des Adressaten. Für die Umsetzung ist zunächst die Aussendungsfrequenz zu bestimmen, etwa wöchentlich, vierzehntäglich oder monatlich. Ebenso ist eine Landing Page einzurichten, d. h. die Webseite, auf die von Links in Newsletters weitergeleitet wird. Ob die Weiterleitung richtig funktioniert, kann durch Testversand ermittelt werden. Dabei sind auch die anderen Gestaltungselemente der E-Mail prüfbar, wie Betreffzeile, Formate, Überschriften, Abbildungen etc. Weiterhin ist der Aussendungszeitpunkt zu bestimmen (Wochentag, Uhrzeit). Das Responsemanagement bezieht sich auf mehrere Parameter. Erstens die Identifizierung von Stichworten für Autoresponder (z. B. für Auftragsbestätigung, AGBs, Preisliste, FAQs, Bestellformulare, Bedienungsanleitung). Zwei-



12.   Parameter im virtuellen Handel495

tens auf die Abmeldung, die mehr oder minder einfach gestaltet werden kann. Und drittens Hilfefunktionen, etwa bei vergessenem Passwort o. Ä. Dann muss der Newsletter bekannt gemacht werden. Dies kann offline erfolgen, z. B. durch Angabe in Klassischen Medien, auf Packungen, bei Events, oder online. Dabei ist ein Zielgruppenabgleich erforderlich, etwa aus den Profildaten der Registrierung, dem Interaktionsverhalten oder der Inhaltsindividualisierung. Der Versand selbst kann über einen Servicer oder interne Ressourcen erfolgen. Die Programmierung kann individuell oder über Standardsoftware als Komplettlösung vorgenommen werden. Wichtige Funktionalitäten sind die ­Weiterempfehlungsfunktion, die Erfassung von Rückläufern und ggf. ein Online-Shop mit Anbindung an bestehende CRM- und ERM-Systeme. Wichtig ist eine aussagefähige, aber kurze Betreffzeile. Der Newsletter selbst besteht aus dem Kopf-(Headline), dem Text-(Angebot) und dem Fußteil (Verstärker). Die Schriftgröße sollte mindestens 11 Punkt haben, die Texte sollen möglichst kurz gehalten sein. Eingearbeitete Links müssen vollständig sein, auf Ausrufe- und Prozentzeichen ist möglichst zu verzichten, da diese als Indiz für Spams gelten und im Posteingang herausgefiltert werden. Da nur Interessierte sich für einen Newsletter anmelden dürften, kann im Zweifel eine sehr genaue Zielgruppensteuerung erreicht werden. Dennoch ist eine Erfolgskontrolle erforderlich. Kennzahlen sind hier die Rückweisungsrate (nicht zustellbare E-Mails, nach Hard Bounces / falsche Adresse und Soft Bounces / überfüllter Briefkasten), die Öffnungsrate (Opening Rate), die Click through-Rate (bei Ausführen von Klicks / Hyperlinks in Bezug auf Kontakte und Reichweite) oder die Umwandlungsrate (Conversion Rate) in gewünschte Aktionen wie Bestellung, Informationsanforderung etc. Daraus lässt sich die Kostenwirtschaftlichkeit ermitteln (Cost per Thousand, per Click, per Order). Hinzu kommen qualitative Daten wie Befragungsergebnisse zu Abmeldegründen, Bewertung beliebtesten Inhalte etc. Allerdings muss man berücksichtigen, dass E-Mails regelmäßig nicht datengeschützt sind. Theoretisch, und auch praktisch, kann ein Systemverwalter (Postmaster) die E-Mail an jedem Knoten, den sie während des Versands passiert, lesen und verändern. Die genaue Zahl der E-Mail-Adressen ist nicht bekannt, da die Betreiber den Namen für Server-Adressen über Wildcards für einzelne Buchstaben / Ziffern vergeben, die es erlauben, aus sämtlichen Namensund Zahlenkombinationen Adressen zu generieren. So dürften an jeder Domain zwei bis drei E-Mail-Clients hängen, wobei jedoch unbekannt ist, welche dieser Adressen wirklich genutzt werden und welche tatsächlich stillliegen. E-Mail-Marketing eignet sich wohl eher zur gezielten Kontaktierung denn zur breiten Streuung. Andererseits kostet eine breite Streuung denn auch kaum mehr, so dass sie im Einzelfall durchaus zweckmäßig sein kann.

496

12.8

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Social Media Commerce

Web 2.0-Medien (Social Media) treten in folgenden Formen auf. Bei Sozialen Netzwerken wie Xing, LinkedIn, Facebook, Stayfriends, Baidu, Renren etc. handelt es sich allgemein um geschlossene Nutzergruppen (CUGs) von Webdiensten. Jedes Mitglied kann sich dazu eine persönliche Seite einrichten (Profil), um sich anderen Mitgliedern mit abgestuften Sichtbarkeitseinstellungen zu präsentieren. Eine werbliche Erfolgsmessung ist schwierig, aber durch „Zuhören“ anhand der Erfassung von Schlüsselwörtern wie Fachtermini, Marke /  Firma oder Trendthemen möglich. Wichtig ist dabei eine Sentiment-Analyse (Tonalität), diese ist wiederum schwierig bei Ironie, Redewendungen, Abkürzungen, Slang, verbreiteten Rechtschreibfehlern, doppelten Negationen, Mehrdeutigkeiten etc. Besonders wichtig ist dabei eine Meinungsführeridentifizierung. Messwerte sind bei Facebook durch Minilytics möglich, z. B. nach „Gefällt mir“ (Fans bzw. Freunde von Fans in absoluten und relativen Werten), Reichweite (Anzahl der Personen, die mit der Seite verknüpft sind bzw. diese abonnieren), Personen, die darüber posten etc. Mit jeder Aktion gibt der Teilnehmer immer mehr Daten von sich preis, meist ohne sich dessen bewusst zu sein, aus denen ein scharfes Nutzerprofil generiert werden kann, aus dem wiederum zukünftiges (Kauf-)Verhalten prognostizierbar wird. Werbungtreibende Unternehmen können damit sehr differenziert und ohne große Streuverluste Zielpersonen kontaktieren, jedenfalls weitaus genauer als mit jedem anderen Medium. Darin liegt das Geschäftsmodell Sozialer Netzwerke, denn Produkte bedeuten Umsatz, Daten aber Vermögen. Innerhalb der beruflichen Sphäre haben sich Karrierenetzwerke etabliert (z. B. LinkedIn, Xing). Hier geht es um berufliche Kontakte und das Kennenlernen „interessanter“ Personen, um die Kontaktpflege zu Kollegen, Geschäftspartnern, potenziellen Kunden etc., also geschäftsrelevante Inhalte. Insofern sind diese Sites für die Pflege von B-t-B-Kontakten prädestiniert. Blogging wie bei Twitter, Tumblr, Blogspot etc. dient der Bereitstellung von Authoring Tools zur Erstellung von Weblogs, zum Hosting von Blogs und zu deren Kategorisierung, auch als RSS-Feeds und Microblogs. Weblogs (Blogs) sind allgemein häufig aktualisierte Webseiten, auf denen Inhalte jeglicher Art in chronologisch absteigender Reihenfolge angezeigt werden. Alle Inhalte sind meist durch Links mit anderen Webseiten verbunden und können unmittelbar durch den Nutzer kommentiert werden. Weblogs sind thematisch organisiert und können Kategorien zugeordnet werden. Autor ist entweder eine einzelne Person oder eine Gruppe. Ein wesentliches Problem ist das „Am-Leben-erhalten“ der Weblogs. Denn diese profitieren von aktuellen Einträgen und Kommentaren und wenn zu wenig Aktivität auf Weblogs erfolgt, werden sie rasch uninteressant. Außerdem erfordert die Auswertung der Weblogs viel Zeitaufwand, daher ist eine Auslagerung an Dritte dafür ratsam. Problematisch ist die Verbreitung von



12.   Parameter im virtuellen Handel497

Fakenews, d. h. falschen oder verzerrten Informationen durch vertrauenswürdige Absender. Beim Microblogging handelt es sich ebenfalls um ein einsehbares Tagebuch. Der Abruf ist stationär oder mobil im Internet möglich. Das Besondere ist, dass die Textnachrichten meist nur max. 140 Zeichen lang sein dürfen, darüber hinaus sind auch (Stand- / Bewegt-)Bildnachrichten einbindbar. Es handelt sich um ein Echtzeitmedium. Die Suchfunktion kann durch Hashtags (#) im Text unterstützt werden. Die Darstellung erfolgt chronologisch abwärts geordnet in einem Log als Tagebuch. Durch Mediasharing wie Instagram, Pinterest, Snapchat, Flickr, SlideShare, Scribd, Youtube, Vimeo, Vine, Google Fotos, Shazam, Rhapsody, Soundcloud etc. kann jeder Nutzer Videos, Fotos, Audios und Charts auf Plattformen hochladen und andere Videos, Fotos, Audios und Charts kommentieren. Es ist auch möglich, Mediadateien bestimmter anderer Nutzer zu abonnieren. Videos wiederum werden vor allem als Tutorials etwa in Form von Gebrauchsanleitungen oder Schnellkursen offeriert. Über ein Partner-Programm werden Urheber für die Downloads ihrer Dateien provisioniert. Werbespots werden häufig der Anzeige von Videos vorgeschaltet, teilweise können diese übersprungen werden (Skip). Häufig ist auch Bildbearbeitungs-Software eingebettet. Verbreitet sind weiterhin virtuelle Pinnwände für favorisierte Fotos, die öffentlich einsehbar sind. Chart-Präsentationen dienen vor allem der Nutzung für berufliche / studische Zwecke. Audios hingegen dienen überwiegend unterhaltenden Zwecken. Communicating dient als Verbindung in einer Gruppe von Nutzern, die im Internet miteinander kommunizieren (wollen). Dazu werden Plattformen angeboten, die kommerziell oder nicht-kommerziell ausgelegt sind. Beispiele sind Online Communities (realtime über Chatsysteme / IRC, Instant Messaging / App, Blackboards, Tauschbörsen etc.) und Online-Foren (asynchron als Newsgroups im Usenet / NNTP) als virtueller Raum. Die Archivierung von Beiträgen erfolgt, im Unterschied zum Board, sowohl chronologisch als auch thematisch sortiert (Beispiele: Gutefrage, Chefkoch, Motor-Talk, loff.de, HiFi-Forum). Bei offenen Listen ist es jedermann möglich, an der Diskussion teilzunehmen. Meist werden dazu Pseudonyme verwendet, teils sind auch Gastzugänge möglich. Oft wird auch Voting / Rating einbezogen. Um als Teilnehmer aufgenommen zu werden, schickt man eine E-Mail an die Listserver-Adresse und bezieht sich auf eine bestimmte Diskussionsgruppe. Damit ist man dort angemeldet und man sendet eine E-Mail mit seinem Beitrag an die Listenadresse. Bei moderieren Listen werden die Diskussionsbeiträge zuerst an einen Moderator geschickt, der sie im Hinblick auf bestimmte Grundsätze der Diskussionsliste und auf ihre inhaltliche Eignung zum relevanten Thema hin prüft. Bei nicht-öffentlichen Listen ist an den Listenverwalter ein Aufnahmeschreiben zu richten. Dieser bestimmt dann über die Aufnahme.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Aggregating dient zur Sammlung, Ordnung und Darstellung verteilten Wissens zu spezifischen Themen. Durch diese Aggregation und Organisation können die Inhalte verschlagwortet werden (Folksonomy). Beispiele sind Wikis (Wikipedia), Bewertungsportale (Yelp, Foursquare, Qype, Kununu, Holidaycheck etc.) und Social Bookmarking (Delicious, Digg, Stumble Upon, Mr. Wong). Ein Wiki ist allgemein ein Hypertext-System von Webseiten, dessen Inhalte von Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch online neu eingegeben oder verändert werden können. Dem liegt die „Weisheit der Vielen“ als Wissensmanagement zugrunde. Die Software für Wikis (Wiki Engine) als vereinfachtes Content Management System (CMS) ist frei verfügbar, so dass jeder WebsiteBetreiber sein eigenes Wiki einrichten kann. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Versionsmanagement. Erforderlich ist weiterhin eine Kritische Masse an Nutzern und Beiträgen. Offene Wikis sind im Regelfall werbefrei und finanzieren sich durch Spenden. Geschlossene Wikis sind ein zunehmend wichtiges Mittel der übergreifenden unternehmensinternen Kommunikation, z. B. bei Lastenheft / Pflichenkatalog, Produktbeschreibung, Anwendungshandbuch, Servicedokumentation, Qualitätshandbuch, Produktideen, Reporting, Team Collaboration, Marktwissen, Vertriebssupport. In Unterschied zu Blogs sind die Einträge thematisch organisiert, nicht zeitlich. In Bewertungsportalen werden von Nutzern online Produkte, Dienste, Unternehmen und Organisationen bewertet. Üblich ist auch die Zusammenführung von Kartendiensten und Bewertungsinhalten. Online-Bewertungen gewinnen ständig an Bedeutung, von einer Vielzahl von Nutzern werden sie vor Kaufentscheidungen zurate gezogen. Aber auch Hersteller nutzen sie als Basis für Angebotsverbesserungen. Empfehlungsportale veröffentlichen nur positive Bewertungen, Feedbackportale leiten Bewertungen ohne Veröffentlichung an Betroffene zur Auswertung weiter. Bei Schmähkritiken und unwahrer Kritik von Mitbewerbern besteht ein Anspruch auf Löschung des Eintrags. Häufig finden sich Gateways zu Preisvergleichsportalen (z. B. billiger, ciao, idealo). Wichtig ist die zeitnahe und konstruktiv-positive Stellungnahme des Beurteilten. Als persönliche Favoriten gespeicherte Webseiten können mit Tags (InternetLesezeichen) versehen und von anderen Nutzern übernommen bzw. mit anderen Nutzern über Server im Extranet oder Intranet geteilt werden. Dazu werden solche Links im Social Bookmarking „öffentlich“ markiert. Diese gemeinschaftlichen Indexierungen werden von Suchmaschinen registriert und verbessern damit das Ranking der verwiesenen Seiten (Backlinks). Zur Beschränkung von Missbrauch sind Bewertungen von Lesezeichen eingeführt worden. Die Gliederung kann nach Schlagwörtern, Kategorien oder Nutzern vorgenommen werden. Außerdem gibt es Favoriten-Rankings.



13.

13.   Internationaler Vertrieb499

Internationaler Vertrieb

Das Unterkapitel „Internationaler Vertrieb“ umfasst eine Vielzahl von Gestaltungen. Zunächst geht es um die Kriterien (13.1) und die Treiber der Interna­ tionalisierung (13.2). Zur Internationalisierung bedarf es der Ermittlung eines Auslandsmarktprofils (13.3) vor allem unter Berücksichtigung der Auslandsmarktrisiken (13.4). Daraus ergibt sich die Auslandsmarktwahl (13.5). Konkret geht es um die Optionen des Markteintritts (13.6) über Außenhandel, Dauervertrag und Direktinvestition. Weiterhin sind das Vertriebstiming (13.7), das Vertriebsareal (13.8) und die Marktbearbeitung (13.9) als wichtige Stellgrößen zu bestimmen. Leser kennen nach Durchsicht dieses Unterkapitels die Elemente, die den internationalen Vertrieb gegenüber nationalen Formen auszeichnen. Sie verstehen, warum die Internationalität in besonderer Weise eine Herausforderung im Vertrieb darstellt. Und sie können die so gewonnenen Erkenntnisse auf konkrete Vertriebssituationen im internationalen Kontext übertragen. 13.1

Kriterien der Internationalität

Als international wird ökonomisch allgemein die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens über Ländergrenzen hinweg bezeichnet. Wann aber ein Unternehmen genau als international zu bezeichnen ist, ist weithin strittig. Meist werden dazu quantitative Kriterien zugrunde gelegt wie: •• Anzahl der Länder, in denen die Wertschöpfung eines Unternehmens erfolgt, •• Umfang des im Ausland vorhandenen Vermögens eines Unternehmens, •• Zahl der aus dem Ausland kommenden Inhaber / Teilhaber, •• Umfang der Beteiligungen im Ausland, •• Anteil der im Ausland tätigen Mitarbeiter an der Gesamtbelegschaft, insb. im Top-Management, •• Zahl der Expatriates (ins Ausland entsandte Mitarbeiter), •• im Ausland erzielte Erlöse des Unternehmens / aus dem Ausland stammender Auftragseingang, •• im Ausland erwirtschafteter Gewinn (abs. / rel.), im Ausland getragene Steuerlast (abs. / rel.), •• im Ausland getätigte Investitionsvolumina (abs. / rel.), •• Marktanteile auf den Auslandsmärkten, •• Anteil der Wertschöpfung der ausländischen Betriebsstätten.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Stattdessen oder ergänzend dazu können auch qualitative Kriterien angeführt werden wie: •• mentale Ausrichtung der Unternehmenspolitik auf eine internationale Geschäftstätigkeit, •• Anpassung der Organisationsstruktur an die Erfordernisse internationaler Geschäfte, •• manifest internationale Denk- und Verhaltensweisen des Topmanagements, •• auslandsorientierte oder internationalisierte Unternehmenskultur, •• Orientierung der Qualifizierung von Mitarbeitern in Bezug auf das Merkmal Internationalität. Die Problematik dieser und anderer Indikatoren liegt in zahlreichen Faktoren wie der hohen Abstraktionsebene der Vergleiche, in stark unterschiedlichen Marktgrößen der Länder, in abweichenden Währungsrelationen und Spielräumen der internationalen Rechnungslegung. Hinzu kommen extern Probleme hinsichtlich der Existenz, Verlässlichkeit und Vollständigkeit der Daten, deren Erhebungsmethoden, Aktualität, Bewertung etc. Jedenfalls stellt sich heraus, dass danach mittelständische Unternehmen häufig wesentlich stärker internationalisiert sind als Großunternehmen. Sie sind oft Nischenanbieter, die das wirtschaftliche Potenzial haben, aber auch die betriebliche Notwendigkeit sehen, weit jenseits der eigenen Landesgrenzen anzubieten und dort erhebliche Markterfolge zu erzielen. 13.2

Treiber der Internationalisierung

Dem unvermindert starken Trend zur Internationalisierung liegen zahlreiche Treiber zugrunde, die jeweils auch theoriegeleitet erklärbar sind. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um folgende: •• Nutzung von absoluten Kostenvorteilen im Inland und deren Übertragung zum eigenen Vorteil ins Ausland, •• Nutzung von komparativen Kostenvorteilen (im Vergleich zu anderen Unternehmen) durch internationale Arbeitsteilung (z. B. infolge Know-how), •• Nutzung reichlich vorhandener Produktionsfaktoren, für die im Inland nicht genügend rentable Verwendung besteht (z. B. „billiges“ Kapital), •• Nutzung eines unternehmensbezogenen, technologischen Vorsprungs zum Wettbewerbsvorteil auf Auslandsmärkten, •• Nutzung vorhandener Kapazitäten im Inland, die nicht hinreichend ausgeschöpft werden können (z. B. zur Kostendegression), •• Nutzung von Technik, die im Inland nicht nutzbar ist (wegen Restriktionen aus Gesetz, Ethik, Kosten etc.),



13.   Internationaler Vertrieb501

•• Nutzung günstiger Finanzierungsmöglichkeiten im In- oder Ausland, etwa durch Zinsdifferenzen / Geldmarktpolitik des Staates, •• Nutzung geringerer Wettbewerbsintensität im Ausland bei saturiertem Markt im Inland sowie von dort als unausgeschöpft vermuteten Marktpotenzialen, •• Übertragung der Lernerfahrung aus einem bereits fortgeschrittenen Produkt­ lebenszyklus aus dem Inland auf das Ausland, •• Nachziehen zu Aktivitäten der Konkurrenz, die sich internationalisiert, um dieser gegenüber keine Nachteile hinnehmen zu müssen, •• speziell Vorteile durch Internalisierung von Transaktionskosten bei Direkt­ investition statt über internationale Marktaktivitäten, •• Konzentration von Verfügungsrechten jenseits von Ländergrenzen zur versuchten Monopolisierung von Märkten, •• positive Differenz zwischen Grenznutzen der Internationalisierung und deren Grenzkosten zur Gewinnmaximierung, •• Nachziehen bei einem offensichtlichen, langfristigen Trend zur Internationalisierung, insofern Herdenverhalten, •• Nutzung von Opportunitäten (Zufälligkeiten), die ungeplant eine Auslandstätigkeit ermöglichen / erfordern (z. B. internationales Zuliefergeschäft), •• besserer Ausgleich von Risiken aus Geschäftsfeldern, Konjunkturen, Absatzmärkten etc. (räumliche Diversifikation), •• Standardisierung von Produkten und Märkten als Ausgangsbasis zur Ermöglichung einer Internationalisierung, •• Antrieb durch politische / rechtliche / soziale Faktoren wie Senkung der Handelsschranken, staatliche Motivierung zur Auslandstätigkeit, Nutzung kostengünstigerer Arbeit etc., •• eigener Unternehmenserfolg zulasten Dritter im Ausland als Geschäftsstrategie, etwa um Inlandsmärkte zu schützen. Einzelne oder mehrere dieser Treiber sind als ursächlich für den unverminderten Trend zur Internationalisierung anzusehen. Im Weiteren sind dann das Auslandsmarktprofil zu recherchieren, die Auslandsmarktrisiken zu evaluieren und die Auslandsmarktwahl zu vollziehen (siehe Abb. 89). Die Internationalisierungstreiber können nach Yip wie folgt zusammengefasst werden: •• Marktkräfte wie ähnliche Kundenbedürfnisse, globale Kunden, übertragbares Marketing, •• Kostenkräfte wie Größenvorteile, geringe länderspezifische Unterschiede, günstige Logistikkosten,

502

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Rahmenvorgaben im internationalen Vertrieb Auslandsmarktprofil

Auslandsmarktrisiken

Auslandsmarktwahl

Abb. 89: Rahmenvorgaben im internationalen Vertrieb

•• Wettbewerbskräfte wie Abhängigkeit von Ländern untereinander, globale Strategien der Konkurrenten, •• Staatliche Kräfte wie handelspolitische Maßnahmen, technische Standards, Regelungen der Gastgeberregierungen. 13.3

Auslandsmarktprofil

Bevor ein internationaler Vertrieb erstmals oder fortschreitend ins Auge gefasst werden kann, ist es erforderlich zu definieren, welches Land bzw. welche Länder zur Bearbeitung in Betracht gezogen werden sollen. Dazu lassen sich Auslandsmärkte hinsichtlich verschiedener Kriterien deskriptiv charakterisieren. Zu denken ist dabei an außerökonomische, gesamtwirtschaftliche und einzelwirtschaftliche Faktoren. Außerökonomische Faktoren wirken vielfach auf die Beschreibung von Auslandsmärkten ein. Zu denken ist u. a. an folgende: •• politisches Umfeld, z. B. politische Risiken, individueller Freiheitsraum für Geschäftsleben, Investitionsklima, Gefahr von Verstaatlichung, Art und Stabilität der Staatsform, •• Rechtsordnung, z. B. funktionsfähige öffentliche Verwaltung, Vertragsrecht und seine Durchsetzung, Maße und Gewichte, Prozesswesen, Akzeptanz erwerbswirtschaftlicher Prinzipien, •• sozio-kulturelles Umfeld, z. B. Sitten und Gebräuche, Religion, Mentalität, Bildungsstand, Bevölkerungsdichte, Geburten-/Sterberate, Anteil des tertiären Sektors, Demographie, Altersverteilung, Geschlechtsverteilung etc., •• technologisches Niveau, z.B. qualifizierte Experten, Ausbau des Nachrichtenwesens, Verkehrsinfrastruktur, Kfz-Dichte, Energieverbrauch, Zeitverständnis, Raumeinteilung etc.,



13.   Internationaler Vertrieb503

•• geografische Bedingungen, z.B. Bodenschätze, Energiegewinnung, Anbaumöglichkeiten, Topographie, Transportmöglichkeiten etc., •• klimatische Bedingungen wie Arbeitsbedingungen, Umweltschutz etc. Gesamtwirtschaftliche Faktoren wirken ebenfalls vielfach auf die Beschreibung von Auslandsmärkten ein. Zu denken ist u. a. an die Folgenden: •• makroökonomische Struktur, z. B. Geldentwertungsrate, Wirtschaftsordnung, -wachstum, Währungsstabilität, -konvertibilität, -parität, Beschäftigungslage, Subventionierung, Steuererleichterung, •• Außenwirtschaft, z. B. Zahlungsbilanzsituation, Transferierbarkeit von Erträgen, Außenhandelsbeschränkungen, •• Importbedingungen, z. B. Marktzugangsbeschränkungen durch Zölle / Zollformalitäten und Abgaben, Devisenvorschriften, •• Bedarfs- und Nachfragesituation, z. B. Bedarfsstruktur / -höhe, Kaufkraft, Bedarfsträger, Verbrauchsgewohnheiten, Nachfrageschwankungen, Marktsättigung, Demographie, Kaufverhalten, •• Pro Kopf-Einkommen, anhand dieser Kennziffer werden Kaufkraft-Kategorien nach Ländern eingeteilt, •• Einkommensverteilung, funktional und personell, funktionale oder egalitäre Verteilung, •• Exporte / Importe nach Höhe und Struktur, •• Auslandsverschuldung, d. h. Höhe / Anteil der Verbindlichkeiten inländischer Schuldner gegenüber Ausländern zu einem bestimmten Stichtag, •• Direktinvestitionen, d. h. Höhe der Investitionen, die von Inländern im Ausland bzw. von Ausländern im Inland getätigt werden, und zwar durch Beteiligung an anderen Unternehmen, Unternehmenskauf oder Eigengründung, •• Inflationsrate, d. h. prozentualer Anstieg des Preisniveaus in einem Jahr, bedeutsam für die Terms of Trade, •• Bruttoinlandsprodukt, d. h. gesamte Enderzeugung an Gütern und Diensten, die ein Land innerhalb eines Jahres erbringt, das reale BIP ist um die Inflationsrate bereinigt, Aufschluss gibt die Entstehung und die Verwendung des BIP. Für die Auslandsmarktbeschreibung sind vor allem auch einzelwirtschaftliche Faktoren bedeutsam. Zu denken ist dabei u. a. an folgende: •• Distributionssystem, z. B. Verkaufsorgane, Vertriebswege, Absatzhelfer, Logistik, •• Sortimentsgestaltung, z. B. Geschmack, Design, Verpackung, Serviceanforderungen, Markenwesen,

504

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

•• Konditionen, z. B. Preisbewusstsein, Kostenverhältnisse, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen, Preisklassen, Nachlässe, •• Verkaufsförderung, z. B. Werberecht, Werbemittel und -trägerverfügbarkeit, Etatvolumina, •• Wettbewerbsstruktur, z. B. Qualitätslevel, Konkurrenzintensität, Koalitionsbildung, Image, •• betriebswirtschaftliche Bedingungen, z. B. Managementqualität, Eigenkapital-, Kreditverfügbarkeit, Lohnkosten / -nebenkosten, Produktivität. 13.4

Auslandsmarktrisiken

Eine Rechtfertigung zur besonderen Betrachtung des internationalen Vertriebs ergibt sich aus den dort sich ergebenden höheren Risiken. Dabei gibt es verschiedene Risikoarten, die es jeweils zu bewerten gilt. 13.4.1 Risikoarten Als Risiken im internationalen Geschäft sind vor allem folgende Bereiche anzusehen. Das Fabrikationsrisiko betrifft die Schadensmöglichkeit des Lieferanten wegen der Notwendigkeit zum Abbruch der Fertigung oder zur Unterlassung des Warenversands, dadurch bleibt oft nur die anderweitige Verwertung der fertiggestellten Waren u. U. mit erheblichen Verlusten. Das Warenabnahmerisiko betrifft die Schadensmöglichkeit des Lieferanten wegen Nichtabnahme bestellter Waren durch den Abnehmer, dies bedingt den Rücktransport der Waren bzw. die Verwertung im Importland u. U. mit erheblichen Verlusten. Das Delkredererisiko betrifft die Zahlungsunfähigkeit, also das voraussichtlich dauernde Unvermögen, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, den Zahlungsverzug, also die Überschreitung des eingeräumten Zahlungsziels bzw. eines vereinbarten Zahlungstermins, und die Zahlungsunwilligkeit, also die Verweigerung der Zahlung trotz Zahlungsfähigkeit und ohne berechtigte Einreden. Von besonderer Bedeutung sind weitere Risikoarten: •• kommerzielle Risiken als in der (juristischen / natürlichen) Person ausländischer Vertragspartner liegende Gründe wie Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit, Nichterfüllung von Vertragspflichten (Lieferung / Annahme), strafrechtlich relevante Handlungen, •• politische Risiken wie Kriege / Revolutionen oder dirigistische Maßnahmen von Staaten wie ethnische Unruhen / Bürgerkrieg, internationale Konfliktverwicklungen, Ein- / Ausfuhrverbote / -kontingente, Verbot der Gewinnrepatriie-



13.   Internationaler Vertrieb505

rung, Konvertierungs- und Transferverbote für Währungsbestände, Änderung gesetzlicher Grundlagen bei Steuern / Abgaben, Enteignung / Verstaatlichung, Putsch, Boykott, Embargo, •• marktliche Risiken durch Änderungen der Marktlage wie Preisverfall, Technologiewandel, Eintritt neuer Konkurrenten, Wandel im Käuferverhalten, •• kursbezogene Risiken (außerhalb EU) aus Wechselkursänderungen wie Währungsab- / -aufwertung, Wechselkursschwankung, •• elementare Risiken aus Naturereignissen und technischem Versagen wie Überschwemmung, Feuer, Erdbeben, Schiffsuntergang / Flugzeugabsturz, technische Mängel, •• sonstige Risiken durch Eingriffe Dritter oder eigenes Handeln wie Diebstahl, Verstoß Dritter gegen Gesetze / Vorschriften, Qualitätsmängel, Mitarbeiterfehler / -defizite, Transportrisiken, Kreditrisiken etc. Zur Verdichtung ist bei diesen Risiken vor allem an drei Risikoarten zu denken, nämlich das •• Dispositionsrisiko für die Geschäftstätigkeit innerhalb eines Auslandsmarkts, d. h. die Beschränkung autonomer Aktivitäten durch Rahmenbedingungen, •• Transferrisiko im Geschäftsverkehr zwischen Gastland und Stammland, d. h. die Beschränkung der Grenzüberschreitung von Kapital und Vermögen, •• Enteignungsrisiko als Sicherung vorhandener Eigentumsrechte im Ausland, d. h. die Sicherung von Eigentum bzw. Entschädigungen. 13.4.2 Risikobewertung Diese Risiken stellen sich von Land zu Land verschiedenartig dar. Insofern bietet sich der Versuch einer einheitlichen Bewertung der Länderrisiken an. Solche Länderrisikobewertungen (Country Ratings) setzen bei den mit der unternehmerischen Tätigkeit verbundenen und aus dem Gastland resultierenden Verlustgefahren bzw. Gefahren der Beeinträchtigung oder Nichterreichung unternehmerischer Zielsetzungen an, die aus der gesamtwirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Situation eines Landes resultieren. Die Länderrisiken können mit Hilfe spezieller Untersuchungsansätze bestimmt werden. Dabei gibt es •• qualitative Konzepte wie Euromoney-Index, World Political Risk Forecast (WPFR) etc., •• quantitative Konzepte objektiviert wie Two Gap Model etc., subjektiv-eindimensional wie Institutional Investor Country Rating (IICR), World Economic Survey etc. oder subjektiv-mehrdimensional wie BI-Country-Index, Forelend, Hermes-Risiko etc.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Am bekanntesten ist unter den subjektiv mehrdimensionalen Konzepten aber sicherlich der BRS-Index (Business Risk System, früher BERI) des privaten schweizerischen BRS-Informationsinstituts. Die Bewertungen können für die ausgewiesenen Länder gegen moderate Gebühr gekauft werden. Es handelt sich um ein Punkt- bzw. Nutzwert-Modell mit 31 qualitativen, auf Expertenschätzung beruhenden und 9 quantitativen Kriterien aus statistischen Daten abgeleitet für ca. 50 Länder. Die Bewertung wird dreimal jährlich durchgeführt und umfasst 1- und 5-Jahres-Prognosen. Sie erfolgt hinsichtlich jedes Kriteriums je Land nach einem Punktsystem („sehr günstig“ bis „unerträglich“). Der BRSIndex setzt sich aus drei Subfaktoren zusammen: •• Der PRI (Political Risk Index) bewertet das politische Klima. Dazu dienen zahlreiche Kriterien. Alle Kriterien sind gleich gewichtet, die Punkte addieren sich bei max. 10 Punkten je Kriterium zu max. 100 auf. •• Der ORI (Operation Risk Index) beurteilt das Investitions- und Geschäftsklima anhand von 15 Kriterien, die gewichtet sind. Die Summe der Gewichte ist 25, bei max. 4 Punkten je Kriterium ergeben sich daraus max. 100 Punkte. •• Der RFI (Remittance and Repatriation Factor Index) beschreibt die außenwirtschaftliche Zahlungsfähigkeit eines Landes. Je Kriterium können max. 100 Punkte dotiert werden, da die Gewichtungsfaktoren sich auf 1 addieren, ist die Summe der gewichteten Punktwerte auch hier max. 100. Im Durchschnitt dieser Werte ergibt sich der PORI (Profit Opportunity Recommendation Index) mit folgenden Bewertungen: •• 55–100 Punkte: Diese Länder sind für Direktinvestitionen geeignet. Beispiele sind USA, Schweiz, Belgien, Japan, Niederlande, Portugal, Österreich, Türkei, Tschechien. •• 45–54 Punkte: Diese Länder sind nur für dividendenlose, ertragsunabhängige Zahlungen als Lizenz geeignet. Beispiele sind Ungarn, Polen, China. •• 35–44 Punkte: Diese Länder sind nur für Außenhandel geeignet. Beispiele sind Indonesien, Pakistan. •• 0–34 Punkte: Diese Länder sind nicht für geschäftliche Transaktionen geeignet. Beispiele sind Argentinien, Bolivien, Ecuador, Venezuela, Kuba, Kasachs­ tan, Mongolei, Iran, Libyen, Kongo, Nigeria, Elfenbeinküste, Kolumbien. 13.5

Auslandsmarktwahl

Bei der Auslandsmarktwahl sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung. Erstens die Erfassung und Auswertung des jeweiligen ausländischen Vermarktungsumfelds und zweitens die Auswahl des / der zu bearbeitenden Märkte innerhalb der potenziell möglichen.



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13.5.1 Vermarktungsumfeld Eine internationale Marktanalyse geht üblicherweise von folgenden Faktoren aus. Sozio-kulturelle Einflussfaktoren umfassen alle Aspekte der gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Dazu gehören z. B. Nachfragerverhalten, religiöse Aspekte, Soziale Milieus, Wertvorstellungen, Sprache, Ausprägung des Nationalbewusstseins, Sozialverhalten, Konventionen etc. Technologisch-natürliche Einflussfaktoren umfassen alle Aspekte der naturwissenschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen. Dazu gehören z. B. Technikorientierung, Know-how, Fortschrittsbewusstsein, Automatisierungsgrad, IuK-Technologien, Topographie, Klima, Ressourcenausstattung, Infrastruktur, Kommunikationsmöglichkeiten, Energieversorgung etc. Erwerbswirtschaftliche Einflussfaktoren umfassen alle Aspekte der infrastrukturellen und einzelwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehören z. B. Währungssystem, Kaufkraft, Marktstrukturen, Wettbewerbssituation, Bevölkerungszahl, -wachstum, Bruttoinlandsprodukt, -entwickungen, Pro-KopfEinkommen, -entwicklung, Einkommensverteilung, protektionistische Maßnahmen, Mitgliedschaft in Wirtschaftsvereinigungen, Zahlungsbilanz, Währungskonvertibilität, Inflationsrate etc. Politisch-rechtliche Einflussfaktoren umfassen alle Aspekte der administrativen, ordnungspolitischen und juristischen Rahmenbedingungen. Dazu gehören z.  B. Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Gewährleistungsansprüche, politisches System etc. Zu jedem Faktor werden zunächst alle relevanten Aspekte katalogisiert. Diese können außerdem nach der Stärke ihres Handlungseinflusses gewichtet werden. Daraus ergibt sich bereits ein grober Überblick über den anvisierten Markt. Diese Form der Marktanalyse wird im Akronym STEP-Analyse (für socio-cultural, technological, economical, political-legal, evtl. mit einem zweiten P für physical / Umwelt), in verwandter Form auch PESTLE (als Akronym für political, economical, social, technological, legal, ecological) genannt. Je detaillierter und aussagefähiger diese und andere relevante Daten beschafft und ausgewertet werden, desto besser sind die Voraussetzungen für eine erfolgversprechende internationale Strategie gegeben. Dabei handelt es sich meist um reine Fleißarbeit. Diese zahlt sich jedoch aus, denn, Garbage in – Garbage out, ein wirkungsvoller Output bedingt sicherlich einen qualifizierten Input. Im Ergebnis soll es zu einer aussagefähigen Verdichtung aller Faktoren kommen, um planungsrelevante Tatbestände pointiert herauszuarbeiten. Dadurch werden zugleich bereits erste Strategieperspektiven eröffnet.

508

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

13.5.2 Auswahlverfahren Darauf baut die Auslandsmarktselektion auf, bei der kategoriale und / oder metrische Verfahren eingesetzt werden. Kategorial arbeiten Checklistverfahren. Diese legen verschiedene Kriterien zugrunde, deren Vorhandensein oder positive Ausprägung ermittelt wird. Bei solchen Kriterien kann es sich um folgende handeln: •• Marktpotenzial, d. h. erwartete hinreichende Größe eines Auslandsmarktes, •• Faktorkosten, d. h. nutzbare wirtschaftliche Vorteile z. B. beim Faktor Arbeit, •• Wettbewerbsintensität, d. h. weniger Konkurrenz als im Inland gegeben, •• Steuern und Abgaben, d. h. geringere Nebenkosten im Ausland vorhanden, •• wirtschaftliche Entwicklung, d. h. höhere Wachstumsraten als im Inland, •• Kosteneffekte, d. h. Kostendegression durch mehr abgesetzte Stück in der Produktion erreichbar, •• Zeitvorteile, d. h. Nähe zu jeweiligen ausländischen Abnehmern gegeben, •• Kontrollierbarkeit, d. h. Einflussnahme auf die Vertriebsbedingungen vor Ort gegeben, •• marktseitige Barrieren, d. h. Sprache, Marktzugang etc. schaffbar, •• administrative Barrieren, d. h. Risiko, Rechtssystem, Devisenkontrollen überwindbar. Dieses Vorgehen setzt bei nominalen Daten an. Bei ordinalen Daten setzen hingegen Auswahlheuristiken an. Dabei unterscheidet man kompensatorische und nicht-kompensatorische Regeln. Zu letzteren gehören wiederum folgende: •• Die konjunktive Regel besagt, dass für jedes Angebotsattribut eines Landesmarktes ein Mindestanspruchsniveau festgelegt wird. Es wird derjenige Markt ausgewählt, der hinsichtlich aller Attribute diesem Mindestanspruch genügt. •• Die disjunktive Regel besagt, dass für jeden Landesmarkt als unverzichtbar angesehene Angebotsattribute festgelegt werden. Es wird nur derjenige Markt ausgewählt, der alle diese Attribute erfüllt. Ein Markt, der einzelne dieser Attribute nicht erfüllt, kommt nicht zum Zuge. •• Die lexikografische Regel besagt, dass die verschiedenen Landesmärkte hinsichtlich ihrer wichtigsten Attribute verglichen werden. Es wird derjenige Markt gewählt, der in diesen Attributen die besten Ausprägungen hat. Bleiben dabei mehr Märkte übrig als diskretionär aufgrund sachlicher, zeitlicher, personeller, struktureller Ressourcen gewünscht, wird das Mindestanspruchsniveau entsprechend heraufgesetzt, und umgekehrt. Kompensatorische Regeln besagen, dass die verschiedenen Landesmärkte ebenfalls hinsichtlich ihrer wichtigsten Attribute verglichen werden. Allerdings



13.   Internationaler Vertrieb509

können negative Ausprägungen hinsichtlich einzelner Attribute dabei, im Unterschied zu den vorgenannten Regeln, durch positive Ausprägungen hinsichtlich anderer Attribute ausgeglichen werden. Die Filterung wird dadurch zwar unschärfer, jedoch wird vermieden, dass ein ansonsten aussichtsreicher Markt allein wegen der Nichterfüllung eines oder weniger Kriterien ausscheiden muss, obgleich diese Monita womöglich durch gezielte Maßnahmen zu beheben wären. Metrische Daten werden hingegen bei folgenden Verfahren angelegt. Punktwertverfahren (Scorings) gehen nur von quantitativen Beurteilungskriterien aus, bewerten diese dann mit Punkten und gewichten die Kriterien evtl. noch untereinander. Präferiert wird das Land / die Länder mit der höchsten Punktzahl. Probleme ergeben sich jedoch vielfach, so aus der Art (Signifikanz) und Anzahl (Vollständigkeit) der verglichenen Kriterien, der subjektiven Bepunktung (Validität / Reliabilität), der unterstellten Gleichgewichtigkeit der Kriterien, evtl. Redundanz der Kriterien etc. Investitionsrechnungsverfahren prognostizieren die Ein- und Auszahlungen in Verbindung mit einem Markteintritt / einer Marktbearbeitung und diskontieren diese jeweils auf einen gemeinsamen Zeitpunkt. Meist wird dabei der Kapitalwert zugrunde gelegt, d. h. ein über eine Mindestverzinsung hinausgehender Auszahlungsüberschuss. Präferiert wird das Land / die Länder mit dem höchsten diskontierten Auszahlungsüberschuss. Abgesehen vom komplizierten Rechenprocedere spielen hier Unklarheiten in der Erfassung und Abgrenzung von Vergangenheitsdaten sowie Unsicherheiten in der Schätzung und Prognose von Zukunftsdaten eine große Rolle. Portfolioverfahren streben eine matrixbezogene (zweidimensionale) Klassifizierung von Ländermerkmalen anhand eines (monokriteriell) oder mehrerer (multikriteriell) als entscheidend angesehenen Merkmale an, von denen eine Ebene immer marktbezogen und eine andere Ebene immer unternehmensbezogen ist, z. B. Marktriken und Auslandserfahrung oder Marktattraktivität und Wettbewerbsposition. Entsprechend der jeweiligen Position der einzelnen Länder in dieser Matrix ergeben sich Handlungsempfehlungen. An Portfolioverfahren wird verbreitete Kritik geäußert, so hinsichtlich der Wahl der Kriterien, der Skalierung qualitativer Größen, der Abgrenzung der Matrixfelder etc. Wegen der Unwägbarkeiten der Ermittlung und Auswertung bietet es sich im Einzelfall durchaus an, mehrere dieser Verfahren gestuft einzusetzen, um zu einer Absicherung der Ergebnisse zu gelangen. Dabei bleibt allerdings die Gefahr, dass ein aussichtsreicher Markt bei einer frühen Stufe bereits ausscheidet, obgleich er nach den Daten später einsetzender Verfahren eigentlich zu präferieren gewesen wäre.

510

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

      

    

    

    

Abb. 90: Optionen des internationalen Markteintritts

13.6

Optionen des Markteintritts

Für die Vertriebstätigkeit im Ausland stellen sich drei Hauptoptionen, der Außenhandelsvertrieb, der Dauervertragsvertrieb und der Direkte Auslandsvertrieb (siehe Abb. 90). Jede dieser Hauptoptionen besteht als mehreren Unteroptionen. so kann der Außenhandelsvertrieb in Formen des Exports, der Veredelung, des Transits / der Durchfuhr oder der Kompensation ausgeprägt sein. Der Dauervertragsvertrieb kann in Formen der Lizenzierung, der Kontraktierung, des Franchisings sowie der einfachen oder strategischen Kooperation ausgeprägt sein. Und der Direkte Auslandsvertrieb kann als Geschäftsbeteiligung / -übernahme, als Allein- oder Gemeinschaftsgründung ausgeprägt sein. Im Allgemeinen, jedoch keineswegs zwangsläufig, entspricht dies auch der üblichen Reihenfolge der Internationalisierung, startend mit niedrigem Risiko, aber auch begrenzten Chancen (Außenhandel) und sich über Dauervertrag entwickelnd hin zu besseren Chancen, aber auch höherem Risiko (Direktinvestition). 13.6.1 Außenhandelsvertrieb Im Auslandsvertrieb sind vielfältige Risiken gegeben. Das Risikoausmaß kann dabei in drei Schritte abgestuft werden, am geringsten beim grenzüberschreitenden Handel, mittelhoch beim Vertrieb auf Vertragsbasis und am höchsten beim direkten Auslandsvertrieb. Der grenzüberschreitende Handel als erste Stufe gehorcht noch dem Transportprimat und erstreckt sich über verschiedene Ausprägungen als direkter Export, indirekter Export, Veredelung, Transit / Durchfuhr oder Kompensationsgeschäft (siehe Abb. 91).



13.   Internationaler Vertrieb511

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Abb. 91: Ausprägungen des Außenhandelsvertriebs

13.6.1.1 Formen des Exportgeschäfts Export ist allgemein derjenige Teil des Außenhandels, der alle betrieblichen Tätigkeiten bei der Unterhaltung von wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland auf der Grundlage grenzüberschreitenden Waren- und Diensteverkehrs sowie von Rechtsübertragungen umfasst. Import ist der grenzüberschreitende Bezug von wirtschaftlichen Leistungen aus dem Ausland und verhält sich weitgehend spiegelbildlich zum Export. Direkter Export liegt vor, wenn eine Sach- oder Dienstleistung ohne einen zwischengeschalteten inländischen Außenhandelsbetrieb an einen im Ausland ansässigen Handelsbetrieb, einen Absatzhelfer oder gewerblichen oder privaten Endabnehmer abgesetzt wird. Der direkte Export erfolgt vor allem bei Investitionsgütern, da hier der unmittelbare persönliche / organisatorische Kontakt notwendig ist. Nicht selten sprechen aber auch Kostenersparnisgründe dafür. Voraussetzung ist jeweils eine profunde Kenntnis des Auslandsmarkts hinsichtlich aller relevanten Dimensionen wie Verkehr, Wirtschaft, Bevölkerung, Mentalität, Sprache, Kaufkraft etc. Außerdem verlängert sich die Finanzierungsdauer, wodurch wiederum das Kreditrisiko steigt. Zudem muss selbst akquiriert werden, dies erfordert die Einrichtung entsprechender Stellen (Exportabteilung, Auslieferungslager, Kundendienst etc.). Der Kaufvertrag wird vom Exporteur und vom Importeur ausgehandelt und unterschrieben. Sämtliche Leistungen aus dem Kaufvertrag sind von beiden Vertragsparteien selbst vorzunehmen oder durch Dritte zu veranlassen. Sämtliche Ansprüche aus Kaufvertragsstörungen richten sich nur gegen den jeweiligen Vertragspartner. Die Abwicklung der Zollformalitäten und der außenwirtschaftsrechtlichen Erfordernisse werden vom Exporteur vorgenommen.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Vorteile des direkten Exports liegen in folgenden Aspekten. Es besteht ein direkter Einfluss auf die Marktbearbeitungspolitik. Eine stärkere Markt- und Kundennähe ist gegeben. Daraus ergibt sich eine bessere Marktbeobachtung, und spezifisches Ländermarkt-Know-how kann erworben werden. Ein gründlicherer Marktüberblick ist gegeben. Beschaffungsquellen können besser gesichert werden. Ein breit gestreuter Import aus mehreren Ländern ist in kostengünstiger Weise möglich. Es besteht ein geringes Transaktionsrisiko. Die Nutzung des Fachwissens von Spezialisten ist möglich. Ein spezielles InternationalisierungsKnow-how ist nicht erforderlich. Nachteile sind folgende. Es besteht eine Abhängigkeit von administrativen und rechtlichen Ex- und Importbestimmungen. Wechselkursrisiken treten auf. Ein steigender Ressourcenbedarf ist gegeben. Ein hohes Transaktionsrisiko entsteht. Es ist ein höheres Vertriebs- und Internationalisierungs-Know-how erforderlich. Es besteht nur eine geringe Markt- und Lieferantennähe. Wichtige Abnehmer können nur unzureichend gesichert werden. Evtl. entstehen längere Lieferzeiten. Außerdem besteht meist ein nur unzureichender Überblick über Marktentwicklungen. Beim indirekten Export verkauft ein inländisches Unternehmen eine Sachoder Dienstleistung an einen ausländischen Mittler mit dem Ziel, dass dieser die Leistung an einen ausländischen Wiederverkäufer oder Endabnehmer weiterleitet. Die Kontaktanbahnung zu Kunden oder die Auftragsakquisition und Lieferung kann aber auch über inländische Dritte (Händler) erfolgen, d. h., Exporthäuser werden zur Abwicklung des Exportgeschäfts eingeschaltet. Diese haben meist eine spezifische Länderorientierung mit genauen Kenntnissen des jeweiligen Landes / der Region, guten Kontakten zu dort ansässigen Abnehmern und Vertrautheit mit den landes- / regionsspezifischen Vermarktungsmodalitäten. Die gesamte Marktbearbeitung sowie die Anbahnung und Realisierung der Einzelabschlüsse wird diesem Zwischenhändler überlassen. Kosten und Risiken liegen also im Weiteren beim Distributeur, der dafür einen Kalkulationsaufschlag erhebt. Dabei kann es sich um Exporthandelshaus, -gemeinschaft, Importmakler oder Generalvertreter / Niederlassung handeln. Dies ist besonders bei mittelständischen Unternehmen und geringen bzw. wechselnden Umsatzvolumina günstig. So kann eine etwaige Spezialisierung von Absatzmittlern / Absatzhelfern auf bestimmte Märkte genutzt werden. Denkbar ist dabei eine Exklusivbindung zwischen Hersteller und Absatzmittler / -helfer oder auch nur eine fallweise Zusammenarbeit. Vertragsstörungen werden vom ausländischen Unternehmen bei dessen Vertragspartner reklamiert. Die Abwicklung der Zollformalitäten und der außenwirtschaftsrechtlichen Erfordernisse wird ausschließlich vom eigentlichen Exporteur vorgenommen. Vorteile des indirekten Exports liegen in folgenden Aspekten. Er ist kostengünstig darstellbar. Es ist nur ein geringes Risikopotenzial gegeben. Das spezi-



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fische Wissen fachkundiger Exportmittler kann genutzt werden. Die Bearbeitung mehrerer Länder ohne länderspezifische Kenntnisse ist möglich. Nachteile sind folgende. Die Vertriebsaktivitäten im Zielland sind nur gering beeinflussbar. Es ergibt sich eine große Markt- und Bedarfsferne. Das Marktpotenzial wird womöglich nicht optimal ausgeschöpft. Eine Abhängigkeit vom Exportmittler besteht. Spiegelbildlich zum Export verhält sich der Import, und zwar als direkter Import, wenn ein zwischengeschalteter inländischer Außenhandelsbetrieb (Importhändler) fehlt, und als indirekter Import, der über einen solchen inländischen Außenhandelsbetrieb erfolgt. Im Export haben sich zudem vielfältige Sonderformen herausgebildet. Eine Exportgemeinschaft besteht aus mehreren Exporteuren, welche die anstehenden Aufgaben unter sich aufteilen. Das Exportkartell betrifft vertragliche Vereinbarungen zur Wettbewerbsbeschränkung im Ausland. Der Exportring ist eine Kooperation zwischen mehreren Herstellern und dem Exporteigenhandel. 13.6.1.2 Veredelungsgeschäft Unter Veredelung versteht man die Bearbeitung, Verarbeitung oder Ausbesserung von Waren im Ausland und deren Rücksendung an das Herkunftsland innerhalb bestimmter Fristen. Wird eine Ware in ein Land versandt, um dort in einem oder mehreren Produktionsschritten bearbeitet oder zu einem anderen, höherwertigeren Produkt verarbeitet oder repariert und ausgebessert / wiederhergestellt zu werden, handelt es sich also um eine Veredelung. Veredelung dient vor allem dem Ausgleich von Bedarfsspitzen. Die Absatzfähigkeit von Waren des Bestellerlands (Made in … / Country of Origin-Effekt) bleibt erhalten, ohne dessen Standortnachteile hinnehmen zu müssen. Zudem sind höher veredelte Produkte wettbewerbsfähiger und erlösen womöglich einen zu den Veredelungskosten überproportionalen Preis. Vorteile für den Besteller liegen vor allem in Folgendem. Es besteht die Möglichkeit zur Ausnutzung von Kostenvorteilen bei den Produktionsfaktoren. Es entstehen Imagevorteile im Hinblick auf vorgesehene Absatzmärkte, wenn dort Erzeugnisse veredelt werden. Auf diese Weise können auch Importrestriktionen im Auftragnehmerland überwunden werden. Es können Wettbewerbsvorteile durch größere Flexibilität realisiert werden. Investitionsrisiken werden vermieden, zudem werden fixe Kosten gegen variable getauscht. Auflagen zur Betriebsstättenbetreibung werden umgangen. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber. Ein Gewinnanteil geht an den Lohnveredeler. Eine aufwändige Qualitätskontrolle ausgeführter Arbeiten ist erforderlich. Es muss wertvolles Know-how überlassen werden. Es entstehen zusätzliche Transport- und Lagerrisiken, die allerdings versicherbar sind.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Bei der Veredelung sind zwei Unterscheidungen von Bedeutung. Eine Fremdveredelung / Lohnveredelung liegt vor, wenn ein Produktionsbetrieb auf kommerzieller Basis, also gegen Entgelt, in der speziellen Funktion eines Veredelers für andere Produktions- und Handelsbetriebe auf eigenen Anlagen und eigene Rechnung tätig wird. Sie besteht im Wesentlichen aus erbrachten Dienstleistungen und der Be- und Verarbeitung vertriebsfähiger Erzeugnisse. Betriebsveredelung / Eigenveredelung bedeutet hingegen, dass ein Anbieter selbst auf eigenen Anlagen auf eigene Rechnung die Veredelung vertriebsfähiger Erzeugnisse im Ausland vornimmt. Von passivem Veredelungsverkehr spricht man, wenn inländische Halbfertigerzeugnisse zur Veredelung ins Ausland verbracht und anschließend re-importiert werden, um dort zu verbleiben, be- bzw. weiterverarbeitet oder endgültig exportiert zu werden. Von aktivem Veredelungsverkehr ist die Rede, wenn ausländische Waren zur Veredelung ins Inland verbracht und anschließend zur endgültigen Wiederausfuhr re-exportiert werden. 13.6.1.3 Transit und Durchfuhr Transithandel bedeutet, dass Inländer Waren von Ausländern erwerben und sie wieder an Ausländer veräußern, ohne dass die Waren physisch ins Inland verbracht werden (und umgekehrt). Wird beim Transport von einem Land in ein drittes das Land des Transithändlers berührt, besteht die Möglichkeit der Einlagerung in einer zollfreien Zone (z. B. Freihafen), um Einfuhrzoll zu vermeiden. Die an die erfolgte Einfuhr anschließende Transaktion der Wiederausfuhr wird auch als Re-Export bezeichnet. Beim passiven Transithandel (Transitausfuhr) verkauft ein ausländischer Transithändler Waren aus Drittländern an inländische Abnehmer oder Inlandsprodukte an Abnehmer in Drittländern. Aus der jeweiligen Ländersicht liegt aktiver Transithandel hingegen vor, wenn ein inländischer Transithändler im Ausland befindliche Waren an ausländische Dritte weiterverkauft. Wenn der Transithändler in einem Freihafen oder Zolllager eine Bearbeitung vornimmt, handelt es sich um gebrochenen Transithandel (Lagergeschäft). Tauchen die Waren nicht physisch im Land des Transithändlers auf, handelt es sich um echten Transithandel (Streckengeschäft). Ein solcher Transithandel ist üblich bei Stapelgütern (Rohstoffe), Massengütern und im Rahmen von Gegengeschäften, die oft aus politischen Gründen erforderlich werden. Die Durchfuhr betrifft die (physische) Beförderung von Waren aus dem Ausland durch das Inland hindurch wieder in ein Drittland, ohne dass diese in den freien Verkehr des Inlands gelangen, dort also marktwirksam werden. Bei der passiven Durchfuhr hat der Ablader (Verfrachter) seinen Sitz im Ausland, bei der aktiven Durchfuhr hat er ihn im Inland. Die Ware wird versie-



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gelt, um eine unberechtigte Zu- oder Abladung im Inland zu verhindern. In Durchfuhrland entsteht kein Eigentum an der Ware. 13.6.1.4 Kompensationsgeschäft Unter Kompensationsgeschäften (Gegengeschäfte) versteht man Abwicklungen, bei denen die Zahlung einer Warenlieferung nur teilweise oder gar nicht in Geldform erfolgt. Dabei sind sowohl die Inzahlungnahme von Gebrauchtware und deren Anrechnung auf den Kaufpreis als auch ein direkter oder indirekter Naturaltausch von Neuwaren denkbar. Dabei werden nach Arten, Qualitäten, Mengen und Lieferpunkten genau ausspezifizierte gegenseitige Warenlieferungen vereinbart. Ein Verkauf ist also davon abhängig, dass umgekehrt vom Abnehmer Güter oder Dienste gekauft oder für weitere Abnehmer vermittelt werden. Jede Partei fungiert gleichzeitig als Abnehmer und Lieferant (wobei diese auch als Koalitionen ausgebildet sein können). Oft werden auch Absatzhelfer (Middlemen) eingeschaltet. Bei der Inzahlungnahme wird ein Teil der Gegenleistung durch Zahlungsmittel geleistet und ein weiterer durch Hingabe einer gebrauchten Ware. Der Anteil von Kompensationsgeschäften am Welthandel beträgt ca. 10 %. Gründe dafür liegen in weit verbreiteten, ernsthaften Störungen des konventionellen Handels aus politischen, strukturellen oder konjunkturellen Gründen. Meist werden solche Geschäfte mit devisenarmen Ländern assoziiert, vor allem Entwicklungsländern, welche die Versorgung mit teilweise lebensnotwendigen Gütern durch Abgabe adäquater eigener Güter gewährleisten. Oder hoch verschuldeten Ländern, die strengen Auflagen des IMF unterliegen, um ihre Schulden zu tilgen. Sich verschlechternde Terms of Trade drücken ein Missverhältnis der Preise für die Hauptexportwaren gegenüber den Importwaren aus. Hinzu kommen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten. Dadurch können fehlendes Export-Know-how verlagert und ansonsten unergiebige Märkte erschlossen werden. Auch müssen die Preise nicht offengelegt werden, so dass Handelshemmnisse umgangen und Kartellpreise unterlaufen werden können. Weitere Vorteile sind die Einsparung von Devisen (ausländischen Zahlungsmitteln), die Kopplung von Beschaffung und eigenem Absatz, die Entlastung des Vertriebs, die Überbrückung von Liquiditätsengpässen etc. Kompensationsgeschäfte können nach vielfältigen Kriterien rubriziert werden. Nach der Tauschquote ist Folgendes möglich. Wird nur ein Teil der Gegenleistung in Waren erbracht und der Rest in Devisen, handelt es sich um eine Teilkompensation, entweder als Restschuld des Importeurs bei Unterlieferung mit Gegenware oder als Restforderung des Importeurs bei Überlieferung mit Gegenware. Bei Vollkompensation entspricht das Zweitgeschäft in vollem Umfang dem Hauptgeschäft.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Nach der Anzahl der Beteiligten ist Folgendes möglich. Bei zwei Beteiligten spricht man häufig, wenngleich nicht durchgängig von Barter (Tauschgeschäft), bei mehr als zwei Beteiligten hingegen vom Clearing-Geschäft. Nach der Verwertung kann die getauschte Ware in vollem Umfang selbst eingearbeitet werden, dann handelt es sich um Eigenkompensation. Oder aber die Tauschware wird durch Dritte eingesetzt, dann handelt es sich um Fremdkompensation. Nach der Abfolge der Transaktionen können diese gleichzeitig (im Regelfall) oder zeitlich versetzt zueinander (beim Deferred Barter oder Advanced Purchase) erfolgen. Nach der Verbundenheit der in die Transaktionen einbezogenen Waren handelt es sich um verbundene Leistungen (Buyback- oder BOT-Geschäft) oder (regelmäßig) unverbundene Leistungen. Nach der Anzahl der Verträge können nur ein (gekoppelte Transaktionen) oder zwei und mehr getrennte Verträge (nach außen hin ungekoppelte Transaktionen) zugrunde liegen. 13.6.2 Dauervertragsvertrieb In einer zweiten Stufe des Auslandsvertriebs kommt es für gewöhnlich zum Eingehen einer vertraglichen Bindung mit einem ausländischen Anbieter. Es herrscht der Transferprimat vor. Als Ausprägungen kommen dafür in erster Linie die Lizenzierung, die (einfache) Kooperation und die Strategische Allianz in Betracht, aber auch die Kontraktierung, das (Master-)Franchising und das Betreibermodell (siehe Abb. 92). 13.6.2.1 Lizenz Eine Lizenz ist allgemein die Erlaubnis zur vertraglich abgesicherten entgeltlichen Nutzung einer durch Patente geschützten Erfindung (Produkt, Verfahren, Zeichen) oder ungeschützten Wissens des intellektuellen Eigentümers oder von beidem, durch einen Lizenznehmer gegen Entgelt, meist verbunden mit der Zusicherung weiterer Dienstleistungen kaufmännischer oder technischer Art.  Dies erfolgt durch vollständige oder teilweise, d. h. sachlich, räumlich oder zeitlich beschränkte, Übertragung von Gewerblichen Schutzrechten durch den Urheber an andere Personen oder Organisationen. Und zwar als einfache oder ausschließliche Lizenz. Erstere ist nicht ausschließlich, d. h., der Lizenzgeber kann mehreren Lizenzgebern sachlich, räumlich und / oder zeitlich parallel die gleichen Rechte einräumen.



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Ausprägungen des Dauervertragsvertriebs Lizenz

Betreibermodell

Kontrakt

Einfache Kooperation

(Master-)Franchising

Strategische Allianz

Abb. 92: Ausprägungen des Dauervertragsvertriebs

Gegenstand eines Lizenzvertrags ist immer die Befugnis, das Recht eines anderen zu nutzen. Dabei kann es sich um eine Lizenz unmittelbar vom Rechte­ inhaber handeln oder um die Unterlizenz eines nur mittelbaren Lizenznehmers (z. B. Master-Franchise). Das Entgelt erfolgt als Pauschalgebühr (Lump Sum) oder umsatz- / absatzabhängige Zahlungen (Royalties) sowie als Mischformen aus einmaliger Lizenzerteilungsgebühr (Down Payment) und laufenden Nutzungsgebühren (Fees) mit oder ohne garantierten Mindestbetrag. Beim Lizenznehmer kann es sich um eine Person, einen Betrieb oder einen Konzern handeln. Die Nutzung kann dabei jeweils als Zwangslizenz erfolgen (z. B. bei Monopolbetrieben) oder als freiwillige Lizenz. Es gibt verschiedene Arten von Lizenzen. Bei Know-how-Lizenzen werden nicht geschützte, aber geheime, technische und kaufmännische Kenntnisse und Fertigkeiten transferiert. Diese Lizenz ist die weitreichendste und betrifft die Benutzung von technischem und / oder betriebswirtschaftlichem Wissen, die dem Know-how-Nehmer FuE, Beschaffung, Produktion und / oder Absatz gestatten bzw. ermöglichen. Etwas enger gefasst handelt es sich um eine Patentlizenz über durch Gewerbliche Schutzrechte geschütztes Know-how. Produktionslizenzen betreffen die Genehmigung zur Herstellung (und zum Vertrieb) eines bisher vom Licensor produzierten Erzeugnisses. Dies bedeutet, dass ein Hersteller materieller Güter einem ausländischen Produzenten auf vertraglicher Grundlage und gegen Vergütung (Lizenzgebühr) die Ergebnisse seiner Produktentwicklung und Produktionsvorbereitung zur Verfügung stellt und

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

ihm das Recht einräumt, danach gleiche Produkte herzustellen und / oder zu verbrauchen. Vertriebslizenzen betreffen eine vollständige oder teilweise Übertragung von Gewerblichen Schutzrechten durch den Urheber an andere Personen oder Organisationen, die Produkte in Lizenz vertreiben. Je stärker der Lizenzgeber Einfluss nehmen kann, desto geringer ist dabei sein Risiko. Daher wird ihm an einer inhaltlichen Begrenzung der Lizenzvergabe gelegen sein. Markenlizenzen betreffen die (Mitbe-)Nutzung einer bestehenden Marke (in anderem Marktfeld). Die Systemlizenz wird als Franchise bezeichnet. Ziele der Lizenzpolitik sind vor allem die Erschließung neuer Märkte bei begrenzten Ressourcen, die Senkung der Transportkosten bei großer Distanz, die Realisierung niedriger Produktionskosten, die Sicherung kundennaher Services, die Überwindung von Kapazitätsengpässen, die Nutzung von FuE-Knowhow, die Erschließung von Marktnischen, die Überwindung von Schutzzöllen, Einfuhrsperren etc., die Erfüllung von Local Content-Auflagen, die Unterbindung von Konkurrenzerfindungen, die Umgehung von Marktanteilsbegrenzungen, die Senkung des Investitionsrisikos, die Erzielung zusätzlicher Einnahmen, die schnelle Amortisation getätigter Investitionen und die Gewinnverlagerung. Dazu sind freilich vorsichtige und zweckmäßige vertragliche Vereinbarungen erforderlich. Vorteile der Lizenzvergabe (beim Licensor) liegen in folgenden Aspekten. Tarifäre und nicht-tarifäre Markteintrittsbarrieren können umgangen werden, da der Lizenznehmer Inländer ist. Ein schneller und leichter, kostengünstiger Markteintritt wird möglich. Die Marktrisiken sind geringer als bei anderen Formen. Durch Lizenzaustausch (Cross Licensing) besteht die Möglichkeit zur Ausweitung des eigenen Angebots. Eine einfache Anpassung an größere Marktvolumina auf Auslandsmärkten ist möglich. Importrestriktionen und staatliche Sanktionen können umgangen werden. Es kommt zu einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit durch die Lizenzzulieferung aus dem Ausland. Es ist ein leichtes Ausweichen bei Streiks, Betriebsfriktionen etc. darstellbar. Es fließen laufende Zusatzeinnahmen aus Lizenzgebühren zu. Die Regelung von Schutzrechts- und Konkurrenzproblemen und die mögliche Expansion bei Kapitalmangel im eigenen Unternehmen sind vertraglich regelbar. Die günstigere Kostensituation im Lizenznehmerland kann ausgenutzt werden, und es entstehen Transportkosteneinsparungen. Als Nachteile sind folgende zu nennen. Es bestehen Steuerungs- und Kon­ trollprobleme des Vertriebs. Zwischen Lizenznehmer und Lizenzgeber kann es bei falscher Auswahl zu einem ungewollten negativen Imagetransfer (Badwill) kommen. Aus dem Lizenznehmer kann durch Verselbstständigung ein potenzieller Konkurrent auf dem Zielmarkt und auf Drittmärkten erwachsen. Bei un­ berechtigter Lizenzweitergabe kommt es zu einem ungewollten Know-howAbfluss. Die Überprüfung und Einhaltung vertraglicher Abmachungen sind



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schwierig zu realisieren. Das Lizenzentgelt ist wohl immer geringer als ein Gewinn bei Eigenleistung, dies bedeutet Verzicht auf Renditemaximierung. Die Qualifikation / Kompetenz der ausländischen Partner bei falscher Vorbereitung ist unzureichend. Vor allem mangelt es dann an notwendigen produktbegleitenden Dienstleistungen. Es entstehen sprachliche Verständigungsprobleme (z. B. in der Korrespondenz). Die Qualität der Leistung weicht negativ ab, und es kann zu einem Transferrisiko für die Einkünfte aus der Lizenzvergabe kommen. Die Vor- und Nachteile der Lizenznahme (beim Licensee) sind entsprechend spiegelbildlich zu sehen. Im Wesentlichen handelt es sich bei den Vorteilen um folgende: •• Einsparung von Forschungs- und Entwicklungskosten, beschleunigte Produkteinführung, Erschließung von Know-how, das anderweitig nicht zugänglich wäre, Umgehung von Handelshemmnissen, Partizipation am Image des Lizenzgebers, Risikoreduktion wegen gesicherter Produktentwicklung und überschaubarer Kalkulation, erste Stufe für weitergehende Zusammenarbeit. Als Nachteile sind vor allem folgende zu nennen: •• mögliche Konkurrenz bei nicht-exklusiver Lizenzvergabe, Einschränkung der unternehmerischen Freiheit in Bezug auf die Lizenzvereinbarungen, Gefahr der technologischen Abhängigkeit. 13.6.2.2 Kontrakt Hierbei übernimmt es ein Distributeur im Ausland, im Auftrag des Partners dort Waren auf fester vertraglicher Basis dauerhaft oder zeitlich begrenzt zu vertreiben, evtl. auch zu assemblieren, montieren oder anderweitig unwesentlich zu be- oder verarbeiten. Nach der Zeitdauer kann es sich um einen projektbezogenen Vertrag oder um eine auf Dauer angelegte Regelung handeln. Die Zusammenarbeit erfolgt normalerweise exklusiv für ein Land. Der Umfang der Tätigkeiten erfordert die mehr oder minder strenge Supervision des Auftraggebers. Bei der weitergehenden Vertragsfertigung (Contract Manufacturing) lässt ein inländisches Unternehmen seine Produkte oder wesentliche Teile davon von einem ausländischen Unternehmen auf fester vertraglicher Basis nach seinen Spezifikationen fertigen (Lohnfertigung). Dabei kann es sich um Vor- oder Endproduktion handeln sowie um Veredelung. Im Rahmen eines einzelnen Geschäfts vollzieht sich somit zwischen den beteiligten Geschäftspartnern ein auf die gemeinschaftliche Herstellung von Gebrauchswerten gerichteter Austausch materieller Güter in Gestalt von Erzeugnissen mit Rohstoff- bzw. Materialcharakter und von daraus hergestellten Erzeugnissen. Innerhalb und mittels Lohnfertigungsgeschäft findet jedoch grundsätzlich kein Verkauf bzw. Kauf der genannten Güter statt. Das Geschäftsobjekt ist vielmehr eine auf das (positive)

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Verändern der Gebrauchseigenschaften materieller Güter gerichtete, industrielle, evtl. auch handwerkliche Dienstleistung (Werkvertrag). Der Verkäufer dieser Leistung wird als Fertiger, der Käufer als Besteller bezeichnet. Die Ausgangsstoffe des Leistungsprozesses werden meist vom Besteller oder durch einen von ihm beauftragten Dritten beschafft und dem Fertiger durch einen lieferähnlichen Vorgang zur Verfügung gestellt. Diese Werkstoffe bleiben jedoch fremdes Eigen­tum, und der Fertiger fungiert nur als Lagerhalter. Das Ergebnis des Fertigungsprozesses steht dem Besteller zu. Es besteht also eine Rücklieferungspflicht gegen Leistungsvergütung. Als Vorteile für den Auftraggeber sind folgende zu nennen. Der Kapitaleinsatz auf dem ausländischen Markt bleibt begrenzt, die Kostenbelastung durch Zölle und Einfuhrnebenabgaben wird reduziert, wodurch die Transportkosten verringert und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann. Ausländer benachteiligende Investitionsgesetze können umgangen werden. Die Lagerfunktion wird eingegrenzt und Logistikkostenvorteile im Ausland können genutzt werden. Außerdem besteht kein Markt- und Investitionsrisiko. Es fließen sofortige Erträge ohne umfangreiche Vorinvestitionen. Markt- und LänderKnow-how für einen späteren Markteintritt können erworben werden und die „Managed Firm“ kann als möglicher Kooperationspartner oder Akquisitionsobjekt „live“ kennengelernt werden. Die Umgehung von produktions- und vertriebsrelevanten Vorschriften im Inland ist möglich. Hinzu tritt u. U. eine Unterstützung durch staatliche Förderung. Es kommt zur Nutzung des spezifischen Produktions- und Vertriebs-Know-hows ausländischer Partner und von evtl. Imagevorteilen eines ausländischen Herstellers und / oder eines (ausländischen) Country of Origin-Effekts. Als Nachteile für den Auftraggeber sind folgende zu nennen. Teile des Betriebsgewinns gehen auf den Partner über. Die Weitergabe von Know-how ist unvermeidlich. Die Auswahl geeigneter Partner bleibt problematisch und die Gewährleistung von Qualitätsstandards fraglich. Außerdem liegt kein echter Markteintritt vor. Die Partizipation am Markterfolg ist begrenzt. Management-Knowhow fließt ab und potenzielle Konkurrenzgefahr auf Heimat- und Drittmärkten droht. Es besteht eine Abhängigkeit von der Qualität, Lieferzuverlässigkeit und -pünktlichkeit des Partners. Evtl. entstehen hohe Transaktionskosten bei einem Partnerwechsel bzw. bei Fortsetzung der Bindung an den Partner. Hinzu kommen das Wechselkursrisiko und die üblichen sonstigen Auslandsrisiken. 13.6.2.3 (Master-)Franchising Das Master-Franchising als Form des internationalen Franchisings regelt die Rahmenbedingungen für ausländische Systemnehmer im Franchise. Dabei erhält der Franchisenehmer das Recht eingeräumt, seinerseits in einer Region Unterfranchisen zu vergeben. Vollfranchisen erstrecken sich über den gesamten Be-



13.   Internationaler Vertrieb521

triebsbereich, Abteilungsfranchisen nur auf einzelne Bereiche des Fremdunternehmens. Unterscheidungsmerkmale sind die Internationalisierungsintensität (Zahl der Länder, kulturelle / geografische Distanz), der Umfang (Zahl der Franchisenehmer, Betriebsgrößen), der Gegenstand (Hauptziel, Branche, Produktklasse), der Marktauftritt (Einheitlichkeit), die Finanzen (einmalige und laufende Zahlungen) und die Rechte / Pflichten. Dabei sind verschiedene Ausprägungen möglich. Beim Vertriebs-Franchising geht es nur um das vertriebsseitige Zusammenwirken der Partner. ProduktFranchising deckt hingegen auch die Herstellung dieser Waren und die Erbringung selbstständiger Dienstleistungen ab. Direktes Franchising bedeutet im Rahmen des Master-Franchise die unvermittelte Vergabe von Franchisen an rechtlich vom Franchisegeber unabhängige Unternehmen im Ausland, die als Franchisenehmer auftreten. Indirektes Franchising erfolgt im Rahmen des Master-Franchise durch eine im Land des Franchisenehmers ansässige Tochtergesellschaft des eigentlichen Franchisegebers bzw. ein kapitalbeteiligtes oder anderweitig beherrschtes, dort ansässiges Fremdunternehmen, das im eigenen Namen Franchisebeziehungen mit Partnern eingeht und unterhält. Die Waren werden entweder vom Franchisor selbst oder durch von ihm kontrollierte Dritte bereitgestellt. Zwar kann der Franchisee auf diese Weise das größere Know-how des Franchisors nutzen und sich mit geringem Kapitaleinsatz selbstständig machen und an einem marktgerechten System partizipieren, doch muss er dafür in Kauf nehmen, dass sein Handlungs- und Entscheidungsspielraum erheblich eingeschränkt wird und er sich dem Willen des Franchisors weitgehend unterzuordnen hat. Damit besteht die Selbstständigkeit dann de facto wiederum nicht mehr. Der Franchisor kann ebenfalls mit geringem Risiko eine gewünschte Marktdurchdringung erreichen. Vorteile des Franchisegebers liegen in folgenden Aspekten. Es ist nur ein geringer Kapitalbedarf bei starker Intensität des Engagements gegeben. Die eige­ne Betriebskonzeption kann durchgesetzt werden. Auch ist eine starke Einflussnahme auf den Franchisee möglich. Durch dessen rechtliche Selbstständigkeit bleibt zudem das Markteintrittsrisiko begrenzt. Die Eigenmotivation des Franchisees als Unternehmer ist hoch. Seine Nachteile sind folgende. Es sind aufwändige Steuerungs- und Kontrollmechanismen erforderlich. Daraus entstehen hohe Koordinationskosten. Der Anspruch an die Managementqualifikation ist hoch. Das System ist wenig flexibel. Es besteht die Gefahr des Know-how-Abflusses.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

13.6.2.4 Betreibermodell Beim Managementvertrag (Management Contracting) führt der Systemgeber international das Unternehmen auf Rechnung und im Namen des Systemnehmers (z. B. Mövenpick, Kempinski in der Hotellerie). Dabei stellt ein Unternehmen aus einem fremden Wirtschaftsgebiet als Contracting Firm also Management-Know-how, wenn gewünscht begleitet durch die erforderliche personelle Ausstattung, zur Verfügung, während die Partnerseite (Managed Firm) aus dem Gastland und / oder einem fremden Wirtschaftsgebiet die Direktinvestition tätigt. Im Zusammenhang mit der Errichtung großer Anlagen oder zum Aufbau / zur Führung eines Betriebs werden dem ausländischen Vertragspartner meist Führungskräfte zur Verfügung gestellt. Dies sichert dem Contractor zugleich den Einfluss auf die Geschäftsführung der Managed Firm. Die Abrechnung erfolgt zumeist auf Basis einer fest vereinbarten Pachtzahlung. Als wesentliche Vorteile des Systemgebers sind folgende zu nennen. Es besteht praktisch kein Marktrisiko. Dafür fließen sofortige Erträge ohne größere Vorinvestitionen. Es kommt zum Erwerb von Markt- und Länder-Know-how für einen späteren eigenen Markteintritt. Insbesondere kann die Managed Firm als möglicher Kooperationspartner oder als Akquisitionsobjekt näher kennengelernt werden. Wesentliche Nachteile sind hingegen. Es liegt kein echter Markteintritt vor. Folglich ergibt sich auch nur eine beschränkte Partizipation am Markterfolg. Ein Abfluss wertvollen Management-Know-hows ist beinahe unvermeidlich. Insofern wird sogar potenzielle Konkurrenz auf dem Heim- und / oder Drittmärkten gefördert. 13.6.2.5 Einfache Kooperation Jede auf freiwilliger Basis beruhende vertraglich geregelte Zusammenarbeit rechtlich selbstständig bleibender und wirtschaftlich eingeschränkter Betriebe zum Zweck der Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit wird Kooperation genannt. Ein Unterfall dieser Form mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit ist die internationale Kooperation. Die homogene, konzentrische Kooperation findet horizontal statt, wenn sich Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe und gleicher Wirtschaftsbranchen zusammenschließen bzw. vertikal, wenn sich Unternehmen unterschiedlicher, vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungsstufen der gleichen Wirtschaftsbranche zusammentun. Die heterogene, anorganische Kooperation findet medial statt, wenn sich Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe anderer (verwandter) Wirtschaftsbranchen zusammentun, diagonal, wenn sich Unternehmen verschiedener, vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungsstufen anderer (verwandter) Wirtschaftsbranchen zusammentun, und lateral, wenn sich Unternehmen gleicher Wertschöpfungsstufe und verschiedener



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(nicht verwandter) Wirtschaftsbranchen zusammentun sowie konglomeral, wenn sich Unternehmen verschiedener, vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungsstufen verschiedener (nicht-verwandter) Wirtschaftsbranchen zusammentun. Als Ziele der Kooperation werden zumeist die Folgenden genannt: •• Effizienz durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Know-how, Erhöhung des Marktpotenzials, Risikoteilung bzw. -minderung, erleichterter Marktzutritt, insb. bei Existenz von Markteintrittsbarrieren, Know-how-Steigerung, gezielte Gestaltung des Konkurrenzumfelds im jeweiligen Land, Akquisitionsvorbereitung durch Analyse und Bewertung des potenziellen Akquisitionsobjekts in einer Kooperation. Nach der Fristigkeit wird in projektbezogene und dauerhaft angelegte Kooperationen unterschieden, nach dem Inhalt in operative und strategische. Nach den Partner kann es sich um eine Inländerkooperation (mit Gebietsansässigen) oder eine Ausländerkooperation (mit Drittlandansässigen) handeln. Als Vorteile der Kooperation sind allgemein folgende zu nennen. Oft ist ein schnellerer Markteintritt als bei selbstständigem Vorgehen möglich. Es besteht Zugang zu Ressourcen, Potenzialen und Fähigkeiten anderer Unternehmen. Die Überwindung von Markteintrittsbarrieren ist darstellbar. Man kann von einer höheren Akzeptanz auf ausländischen Märkten bei Kooperation mit dort ansässigen Partnern ausgehen. Meist ist nur ein geringeres Ressourcenpotenzial bei Auslandsmarkterschließung einzusetzen. Es kommt zu einer Kosten- und Risikoteilung mit Partnern. Rationalisierungs- und Synergieeffekte durch gegenseitige Ausnutzung der komparativen Vorteile der Partner können genutzt werden. Als Nachteile sind hingegen zu nennen. Es ist nur eine eingeschränkte Selbstständigkeit gegeben. Daraus folgen eine beschränkte Einflussnahme auf die Geschäftspolitik und dadurch Einschränkungen der eigenen Flexibilität. Oft entstehen hohe Koordinationskosten bei der Entscheidungsfindung. Die Teilung von Markterfolgen / Gewinnen ist notwendig. Oft entstehen auch Verteilungsund Nutzungskonflikte bei gepoolten Ressourcen. Integrationsschwierigkeiten der kooperativen Aktivitäten in die eigene Unternehmenspolitik können sich ergeben. Es drohen Know-how-Abflüsse und das Entstehen leistungsfähiger Wettbewerber aus den aktuellen Kooperationspartnern. 13.6.2.6 Strategische Allianz Bei der Strategischen Allianz handelt sich um die begrenzte, meist horizontale (seltener auch vertikale oder diagonale) Zusammenarbeit zwischen mindestens zwei oder mehr rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen, die aktuelle oder zumindest potenzielle Wettbewerber sind, im Hinblick auf eine oder mehrere Wertaktivitäten, die auf ihre Kernerfolgspotenziale hin ausgelegt sind und in gegenseitigem Austausch von Leistungen bzw. gegenseitigem Zugang zu Kernkompetenzen bestehen, wobei alle beteiligten Unternehmen einen

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

wesentlichen Teil ihres Beitrags zur Allianz in nicht-monetären Leistungen erbringen. Sie ist dauerhaft (strategisch) und evolutionär angelegt, kann also Vorstufe für einen Zusammenschluss sein und soll durch Einsatz ihrer gemeinsamen Ressourcen eine nachhaltige Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit anstreben, insb. sollen dabei das Potenzial an Ressourcen erhöht und die dafür erforderlichen Kosten und Risiken verteilt werden. Die räumliche Erstreckung kann sich auf alle oder ausgewählte Märkte beziehen oder nur neue Märkte betreffen. Der Inhalt kann in gegenseitiger Arbeitsteilung oder Poolung von Kapazitäten liegen, ist aber immer nur auf Teilbereiche der Aktivitäten im Bündnisfeld gerichtet, und zwar mit interner Wirkung und (zumindest nicht formal) als abgestimmtes Verhalten am Markt (z. B. Star Alliance). Strategische Allianzen verlangen das bewusste, freiwillige Eingehen von Abhängigkeiten, dies setzt entsprechendes Vertrauen voraus. Weitere Voraussetzungen für das Gelingen sind ein gemeinsames Ziel, komplementäre strategische Interessen (Fit) und komplementäre Leistungsbeiträge. Strategische Allianzen sind evolutionär als frei gestaltbare Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen angelegt und verfolgen das Ziel, die individuellen Stärken der Beteiligten in einzelnen Geschäftsfeldern und / oder operativen Bereichen so miteinander zu verbinden, dass dadurch strategisch relevante Wettbewerbsvorteile realisiert und Erfolgspotenziale aufgebaut oder gesichert werden. Ohne klar festgelegtes Ziel der Zusammenarbeit ist eine Allianz jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt, es fehlt die Grundlage für abgestimmtes, gemeinsames Handeln. Sind diese Interessen nicht kompatibel, besteht die Gefahr, dass Interessengegensätze die Verbindung sprengen. Die relative Bedeutung der Beiträge der einzelnen Partner bestimmt ihren Einfluss in der Allianz. Ein Partner, dessen Beitrag zur Erreichung der Allianzziele nicht gebraucht wird, verliert an Gewicht. Charakteristisches Merkmal einer Strategischen Allianz ist die geschäftsfeldbezogene Einschränkung der Selbstständigkeit, wobei zwei oder mehr Unternehmen auf einen Teil ihrer Entscheidungsautonomie verzichten, um ihre Ziele gemeinsam besser verfolgen zu können. An die Stelle einer einzelnen, spontanen Abwicklung ökonomischer Transaktionen tritt somit eine längerfristige bzw. dauerhafte Art der Zusammenarbeit oder Beherrschung. Hinsichtlich der Form unterscheidet man: •• vertragsfreie Allianzen, z. B. zum zwanglosen Austausch von Know-how bezogen auf FuE, Beschaffung, Produktion, Logistik, Marketing, Vertrieb, •• vertraglich begründete Allianzen, z. B. als langfristige Lieferverträge, Lizenzabkommen, im FuE-Bereich. Nach ihrer hauptsächlichen Zielsetzung unterscheidet man: •• Markterschließungsallianzen zum schnellen und wirkungsvollen Eindringen in neue Auslandsmärkte,



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•• Volumenallianzen zur Wahrnehmung von Economies of large Scale und Kostensenkungen im Overhead-Bereich, •• Burden Sharing-Allianzen zur Verteilung von Kosten und Risiken bei Großprojekten, damit werden die Markteintrittsschranken gesenkt, •• Kompetenzallianzen zur Bewältigung komplexer Aufgaben durch Wissens­ poolung (Economies of Scope). Als Vorteile der Strategischen Allianz sind folgende zu nennen: •• Reduktion von Entwicklungszeiten durch Partnerschaften, raschere Reaktion auf Umfeldveränderungen durch Interfusion mit Kunden und Lieferanten, Erschließung neuer technologischer Kompetenzen und Verbesserung der Prozessbeherrschung durch wechselseitiges Lernen, Nutzung von Kostendegressionsvorteilen und Synergien durch Zusammenführung bestimmter Aktivitäten der Partner, Erschließung neuer Absatzmärkte und Vertriebskanäle durch einen Partner, der über gute Marktkenntnis und Zugang zu Vertriebswegen verfügt sowie Reduktion des FuE-Risikos durch gemeinsame Durchsetzung von Innovationen. 13.6.3 Direkter Auslandsvertrieb Der direkte Auslandsvertrieb ist mit Direktinvestitionen verbunden. Als wesentliche Motive dafür werden häufig folgende genannt: •• Erschließung neuer und Sicherung bestehender Märkte, Nutzung der Größe und Dynamik des Auslandsmarkts, Nutzung niedriger Arbeitskosten, Vorteil des Standorts als Exportbasis für Drittländer, Überwindung von Importbar­ rieren, Erzielung höherer Renditen, bessere Beschaffungsmöglichkeiten, weniger administrative Hindernisse, höhere Flexibilität des Arbeitsmarkts, Zugang zu öffentlichen Aufträgen im Ausland, höhere Produktivität, Inanspruchnahme staatlicher Investitionsförderung, bessere Arbeitskräftequalifikation, bessere Infrastruktur. Vorteile liegen in der eigenen Präsenz auf dem Auslandsmarkt, der Nutzung niedrigerer Lohnkosten im Ausland, der Verringerung von Währungsrisiken sowie im Paritätenausgleich, der Nutzung billigerer Rohstoffe, der niedrigeren Transportkostenbelastung zu Abnehmern, der Umgehung von Importrestriktionen, der kostengünstigen Reimportmöglichkeit (zur Veredelung), der Förderung der Gastländer durch Know-how-Transfer und der Nutzung von Steueranreizen des Gastgeberlands. Nachteile liegen in der Gefahr des Abbaus von Arbeitsplätzen im Inland, der Möglichkeit der Gewinnverschiebung durch Transferpreise (beides vorwiegend aus gesamtwirtschaftlicher Sicht), der evtl. Notwendigkeit zur Minderheitsbeteiligung von Gastländern und den politischen Risiken dort.

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Abb. 93: Ausprägungen des Direkten Auslandsvertriebs

Als wesentliche Ausprägungen des Direkten Auslandsvertriebs gelten die Geschäftsbeteiligung und -übernahme bei Bestandsunternehmen, die Alleingründung und die Gemeinschaftsgründung bei Neuunternehmen (siehe dazu Abb. 93). 13.6.3.1 Geschäftsbeteiligung und -übernahme Nach der Form kann aktive und passive Beteiligung unterschieden werden. Aktiv meint, dass sich ein Unternehmen an einem anderen beteiligt, um seine internationale Vermarktungsposition zu verbessern. Passiv meint, dass ein Unternehmen die Beteiligung eines anderen sucht, um sich auf diese Weise besseren Zugang zu den internationalen Märkten zu verschaffen. Gerade für Unternehmen, welche die kritische Größe nicht erreichen, besteht darin oft die letzte Chance zum Überleben. Dem weiteren Gewinn an Finanzmitteln steht damit ein mehr oder minder großer Verlust an Selbstständigkeit gegenüber. Eine Beteiligung kann verschiedenen Umfang haben. Eine Minoritätsbeteiligung (25 %–  50–95 %) bringt zum Ausdruck, dass eigene unternehmerische Initiative und Durchsetzung eingebracht werden soll. Nach der Marktstufe kann es sich um eine horizontale (auf gleicher Marktstufe), eine vertikale (auf vor- oder nachgelagerter Marktstufe) oder eine laterale Auslegung (anderer Wirtschaftsbereich) handeln. Nach der Intensität handelt es sich entweder um eine Erhaltungsbeteiligung mit Autonomie und selbstständiger Identität des akquirierten Unternehmens,



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eine symbiotische Beteiligung mit weitgehender Selbstständigkeit oder eine Absorptionsbeteiligung mit völliger Anpassung an den akquirierenden Betrieb. Die wichtigsten Ziele der Beteiligung sind folgende: •• Schnellerer Markteintritt, Vergrößerung der Marktmacht gegenüber Lieferanten, Wettbewerbern und Abnehmern, Streuung des Risikos mittels Diversifikation, Umgehung von Markteintrittsbarrieren, Erwerb von einheimischem Markt-Know-how, Erzielung von Synergien in verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette, Ausschaltung von Konkurrenten, Erhöhung des Unternehmenswerts, Nutzung von Abschreibungs- und Investitionsgelegenheiten. Bei der Übernahme wird ein übernommenes Unternehmen voll und ganz in das übernehmende integriert. Damit sind dann eindeutige Verhältnisse gegeben. Allerdings involviert dies auch den größten Finanzmittelaufwand. Außerdem können wettbewerbsrechtliche Gründe gegen die Übernahme sprechen. Die Fusionskontrolle (GWB) etwa kennt größenabhängige Anmelde- und Anzeigekriterien sowie Interventionsmöglichkeiten bei Entstehung oder Verstärkung marktbeherrschender Stellungen ohne eine diese überwiegende Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse oder ohne das dominante Interesse der Allgemeinheit daran. Nach dem Ausmaß der Übernahme handelt es sich um eine Teilakquisition (nur einzelne Betriebsteile betreffend, etwa als Buy-out) oder um eine Gesamtakquisition (alle Betriebsteile betreffend). Nach dem Verhalten handelt es sich um eine feindliche Übernahme (Unfriendly Takeover) ohne Zustimmung des akquirierten Unternehmens (nur bei bestimmten Rechtsformen) oder um eine freundliche Übernahme mit dessen Zustimmung. Nach der Ausrichtung handelt es sich um eine nur kurzfristige Orientierung (Raider / Hedgefonds für Ad hoc-Gewinn) oder eine langfristige (Private Equity als Eigentum auf Zeit) in Schaffung und Ausbau von Erfolgspositionen. Als Vorteile der Übernahme sind vor allem folgende zu nennen. Ein schneller Zukauf von Marktanteilen und eine rasche Positionierung am Markt sind möglich. Es besteht unmittelbarer Zugang zu Ressourcen, heimischem Markt-Knowhow und Distributionsstrukturen des Auslandsmarkts. Die Umgehung von Markteintrittsbarrieren ist möglich. Es kommt zur Nutzung des bestehenden Images des Akquisitionsobjekts. Als Nachteile sind hingegen folgende zu nennen. Ein hoher erforderlicher Ressourcenbedarf ist einzukalkulieren. Daraus resultiert die Hinnahme eines hohen Risikos. Oft entstehen Integrationsprobleme in das Gefüge des eigenen Unternehmens. Es ist von hohen Transaktions- und Koordinationskosten bei der Partnerwahl, -analyse und -integration auszugehen.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

13.6.3.2 Alleingründung Bei der Alleingründung entschließt sich ein Unternehmen, aus bestehendem Potenzial heraus im Ausland zu internationalisieren (z. B. durch Repräsentanz, ständige Vertriebsvertretung). Dies bedingt neben einer Reihe von Vorteilen, wie optimale Ausgestaltung, Alleinbestimmung etc., zwei gravierende Nachteile. Zum einen handelt es sich um eine Langsamstrategie, d. h., die Zuwachsrate über internes Wachstum wird wahrscheinlich immer unter der durch externes Wachstum liegen. Das liegt darin begründet, dass durch letzteres schlagartig Umsatzvolumen zuwächst, während dies bei ersterem erst sukzessiv im Zeitablauf gelingt. Zum anderen sind die Wettbewerbsvorteile bereits am Markt etablierter Anbieter regelmäßig so stark, dass es selbst potenten Neueinsteigern selten gelingt, allein eine adäquate Marktposition zu erreichen. Insofern ist die Risikorate bei internem Wachstum höher als bei externem. Dies gilt erst recht auf ausländischen Märkten, die weniger transparent und zugänglich sind. Im Falle einer solchen Eigengründung wird eine neue Kapital- oder Personengesellschaft geschaffen. Als wichtigste Ziele sind dafür zu nennen die Wahrung der Unabhängigkeit, Durchsetzung der eigenen Unternehmenspolitik, Umsetzung einer einheitlichen Corporate Identity, schnelle Entscheidungsfindung und Marktbearbeitung, Know-how-Schützung sowie Vergrößerung der eigenen Internationalisierungs­ intensität. Die Vorteile der Alleingründung liegen in folgenden Aspekten. Es bestehen starke Kontroll- und Einflussmöglichkeiten. Wettbewerbsvorteile können geschützt werden. Es fließt kein Know-how ab. Ein verbleibender Gewinn steht voll zur Verwendungsverfügung. Man ist von fremden Partnern unabhängig. Die Auslandsaktivitäten lassen sich nahtlos in die Geschäftspolitik integrieren. Es ist eine einheitliche Positionierung in mehreren Ländermärkten möglich. Nachteile sind hingegen folgende. Es ist ein hohes Ressourcenpotenzial erforderlich. Man trägt das alleinige Risiko. Die Umsetzung ist zeit- und arbeitsintensiv, damit entstehen hohe Kosten. Eintrittsbarrieren können auf diese Weise evtl. nicht überwunden werden. 13.6.3.3 Gemeinschaftsgründung Bei einem Joint Venture gründen zwei oder mehr Partner ein gemeinschaftlich geführtes Unternehmen, in das Kapital, Know-how und ggf. auch bereits existierende Unternehmensteile eingebracht werden. Es handelt sich damit um eine spezielle Ausgestaltung der kooperativen Zusammenarbeit, die durch kapitalmäßige und vertragliche Bindung der Partner bestimmt ist, ohne dass ein Partner seine Unabhängigkeit verliert. Alle Partner sind vertraglich gebunden, kapitalmäßig beteiligt und tragen anteiliges Risiko. Merkmale sind die geteilte



13.   Internationaler Vertrieb529

Verantwortung, die Beibehaltung der individuellen Unternehmensidentitäten, ein kontinuierlicher Ressourcentransfer und die Unteilbarkeit der Ergebnisse. Dabei kann man verschiedene Formen unterscheiden. Das Joint Venture kann national oder, hier interessierend, international angelegt sein. Es kann organisch horizontal, also auf der gleichen Wertschöpfungsstufe einer Branche, vertikal, also auf vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufen einer Branche, oder aber anorganisch auf gleichen oder verschiedenen Wertschöpfungsstufen verwandter oder verschiedener Branchen angesiedelt sein. Joint Ventures können sich neben dem Absatzbereich auch auf Beschaffung, FuE, Produktion, Service etc. beziehen. Ein internationales Joint Venture kann bilateral (Dual Joint Venture mit zwei Partnerländern) oder multilaterial (mehr als zwei Partnerländer) angelegt sein. Denkbar sind dabei folgende Kombinationen: •• die Partner kommen aus dem gleichen Stammland und gründen für das Zielland, •• die Partner kommen aus verschiedenen Stammländern und gründen für das Zielland, •• die Partner kommen aus Stamm- und Zielland und gründen für das Zielland. Das Joint Venture kann kurzfristig (Contractual Joint Ventures) oder, typischerweise, mittel- bis langfristig ausgelegt sein. Es kann eine Imparität der Beteiligung mit Minderheit eines Partners und entsprechend Mehrheit des anderen, oder, typischerweise, eine Parität der Partner vorsehen. Die Eigentumsund Kontrollrechte entsprechen dabei meist der Verteilung der Kapitalanteile. Ein (internationales) Joint Venture bezeichnet somit die Führung eines neu zu gründenden Gemeinschaftsunternehmens durch die Anteilseigner als zwei oder mehr wirtschaftlich voneinander unabhängigen Unternehmen im In- und Ausland, die gemeinsam die führungsmäßige Verantwortung und das finanzielle Risiko aus einem Vorhaben tragen. Joint Ventures können kooperativ angelegt sein (typisch), also aus sich selbst heraus wirtschaftlich lebensfähig, mit geschäftspolitischen Entscheidungen im eigenen Interesse und damit im Wesentlichen unbeeinflusst von anderen, ähnlich gelagerten Interessen der Eignerunternehmen, oder konzentrativ angelegt sein, was GWB-relevant ist (mit Beteiligung). Joint Ventures implizieren oft eine 50:50-Beteiligung (Equity Joint Venture) zwischen den Partnern. Dabei treten allerdings leicht Interessenkonflikte auf, und es drohen Prestige- und Machtkämpfe, die zu ungebührlichen Kompromissen zwingen (daher werden meist Entscheidungsbereiche bei Stimmengleichheit einem Partner zugeordnet). Dennoch erfährt gerade diese Form bei grenzüberschreitenden Neugründungen einen Boom. Oftmals bilden dabei das Gastland selbst und ein Investorenunternehmen die Partner (Local Content). Dies liegt

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

im Wunsch des Gastlandes begründet, am wirtschaftlichen Erfolg und dessen Management angemessen beteiligt zu sein. Viele Entwicklungsländer machen z. B. zwischenzeitlich Direktinvestitionen von mehr oder minder hohen Local Content-Anteilen abhängig. Oder sie finden als Formen mehrheitlicher bzw. minderheitlicher Beteiligung eines Partners statt, meist als 51 : 49-Beteiligung (Majority / Minority Joint Venture), wobei häufig ein Unternehmen vorrangig Kapital und das andere Know-how einbringt. Das Engagement kann mehr oder minder eng sein. Oft handelt es sich dabei auch um erzwungene Joint Ventures, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, im Ausland Fuß zu fassen, da die Gesetze des Gastlandes die Beteiligung eines einheimischen Partners zwingend vorschreiben. Als Vorteile eines Joint Venture (gegenüber der Alleingründung) sind folgende zu nennen. Es ist ein geringerer Kapitaleinsatz notwendig. Daraus resultiert eine niedrige Risikobelastung. Durch den Gastlandanteil besteht eine geringere Enteignungsgefahr. Durch Poolung kann ein besseres Informationsniveau erreicht werden. Es besteht ein verbesserter Zugang zu Behörden / öffentlichen Aufträgen und lokalem Kapitalmarkt. Der Gastlandanteil führt zu einer verbesserten Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Nachteile eines Joint Venture sind hingegen folgende. Es kommt leicht zu Leitungskonflikte. Zudem ist nur eine unvollständige Kontrolle gegeben. Es herrscht ein labiles Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht vor. Meist liegen divergierende Interessen in Bezug auf Gewinnverwendung, Exportpolitik, Transferpreisfestsetzung etc. vor. Oft ist daher nur eine zeitlich befristete Lösung sinnvoll. Dafür spricht auch die erfahrungsgemäß hohe Auflösungsquote dieser Ansätze. 13.6.4 Wahl der Markteintrittsform Die Entscheidung hinsichtlich der Form des internationalen Vertriebs kann nach verschiedenen Verfahren erfolgen. Am verbreitetsten ist das Checklistenverfahren. Dabei werden Kriterien zur Beurteilung festgelegt und diese in Bezug auf die Markteintrittsformen nach vorhanden / nicht vorhanden (ja / nein) beurteilt. Die Form mit den meisten „Ja“-Antworten ist zu bevorzugen. Alternativ dazu kann auch ordinal in Klassen abgestuft werden (z. B. sehr gut bis sehr schlecht). Dann ist jene Form zu bevorzugen, welche die meisten positiven Bewertungen erhält. Praktisch relevante Kriterien sind etwa folgende: •• Schwerpunkt des Wertschöpfungsengagements im Ausland, •• Verteilung der Ressourcen zwischen In- und Ausland, •• Art und Ausmaß des Ressourcentransfers,



13.   Internationaler Vertrieb531

•• Amortisationsziel und Gewinnpotenzial des Ressourceneinsatzes, •• rechtliche Einschränkungen, •• mit dem Auslandsengagement verbundene Risiken (z. B. Wettbewerbsintensität), •• Option der Reversibilität des Auslandsengagements, •• Notwendigkeit zur Dauer des Auslandsengagements, •• Kontrollnotwendigkeiten des Auslandseinsatzes, •• für erforderlich gehaltene Eigentumsstruktur, •• Akzeptanz des Engagements im Ausland, •• Förderung des Auslandsengagements (öffentlich oder privat), •• Nutzung von Erfahrungs- (Economies of Scale) oder Verbundeffekten (Economies of Scope) im Ausland. Beim Verfahren der aspektweisen Elimination werden diese Kriterien zusätzlich mit einem als unerlässlich angesehenen Anforderungsniveau oder einer notwendigen Bandbreite festgelegt. Dann werden die Kriterien für jede Form sukzessiv einzeln geprüft und solche Formen eliminiert, die diesen Anforderungen / Bandbreiten nicht entsprechen. Durch Anpassung der Niveaus bzw. Verengung der Bandbreite kann dies solange fortgesetzt werden, bis nur noch eine Form übrigbleibt. Bei Scoring-Verfahren werden für diese Kriterien nach Expertenschätzung relational jeweils Punkte vergeben. Ggf. können die Kriterien nach ihrer zugrunde gelegten Bedeutung auch zueinander gewichtet werden. Dies erfordert für qualitative Kriterien zunächst eine Umrechnung von kardinalen / ordinalen Werten in metrische im Rahmen einer Nutzwertanalyse. Es ist dann diejenige Markteintrittsform zu präferieren, welche die höchste Gesamtpunktzahl über alle Kriterien erhält. Denkbar ist weiterhin, zwei präferierte Markteintrittsformen einer Dominanzprüfung zu unterziehen. Dabei erfolgt ein Paarvergleich der in Betracht gezogenen Optionen in Bezug auf jedes für erforderlich gehaltene Kriterium. Diejenige Form ist dominant, die dabei mehr Überlegenheitsurteile erreicht. Bei der Investitionsanalyse werden die mit der Markteintrittsform erwartungsgemäß verbundenen Kosten- und Zahlungsströme bewertet und verglichen. Dabei können die interne Verzinsung, die Höhe der erwarteten Annuität, die Amortisationszeit oder der Kapitalwert als Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt werden. Es ist dann diejenige Markteintrittsform zu wählen, die in Bezug auf den gewählten Maßstab am besten abschneidet. Eine Auswertung der Ergebnisse ist im Rahmen des Capital Asset Pricing Model möglich. Dabei ist diejenige Form zu präferieren, deren Risiko-Rendite-

532

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Relation als günstigste einzuschätzen ist. Dafür wird zusätzlich zu der generischen Mindestverzinsung eine risikogradabhängig steigende Zinsprämie aufgeschlagen. Akzeptabel sind Optionen, deren Rendite höher als dieser Referenzwert liegt. 13.7

Entscheidung über die internationale Marktabfolge

Da die Zeit einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor darstellt, handelt es sich beim Auslandsmarkttiming um einen zentralen Aspekt. Diese kann sich auf das Timing innerhalb eines Auslandsmarkts beziehen (intranational) oder auf das Timing zwischen zwei oder mehr Auslandsmärkten (supranational). Beide Perspektiven werden im Folgenden erläutert (siehe Abb. 94). Der Wasserfall-Ansatz bedeutet, dass neue ausländische Märkte erst langsam und nach ausgiebiger Informationssuche erschlossen werden, und zwar im Zeitablauf sukzessiv Land für Land. Dies bietet sich an, wenn die Markteintrittskosten gestreckt werden sollen, wenn Länder mit unterschiedlichen administrativen und marktlichen Strukturen, abweichendem Abnehmerverhalten und -bedürfnissen sowie abweichendem technologischen und innovativen Stand gegeben sind. Das Wasserfall-Vorgehen bietet folgende Vorteile. Es schont die betrieblichen Ressourcen und begrenzt damit zugleich Risiken. Eine angemessene Differenzierung der bearbeiteten Märkte zueinander ist möglich. Der Markteintritt für „spätere“ Märkte kann aus den Gewinn „früherer“ Märkte finanziert werden. Aus Fehlern in den „frühen“ Märkten kann für „spätere“ Märkte gelernt werden. Nachteile sind hingegen folgende. Es besteht die Gefahr, dass Marktchancen zeitlich verpasst werden. Ein etwaiger Überraschungseffekt für den Wettbewerb geht verloren. Konkurrenten werden frühzeitig für das Vorgehen des Marktein-

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Abb. 94: Optionen der internationalen Marktabfolge



13.   Internationaler Vertrieb533

tritts sensibilisiert. Erfahrungseffekte sind bei großen Unterschieden zwischen den Märkten ohnehin kaum nutzbar. Ein Sprinkler-Ansatz liegt demgegenüber vor, wenn ein Unternehmen in kurzer Zeit möglichst viele Länder für den Auslandsvertrieb erschließen will, indem es simultan in mehreren Märkten vorgeht. Dies bietet sich an, sofern länderübergreifende Zielgruppen existieren, Güter mit kurzen Lebenszyklen gegeben sind und geringe Markteintrittsbarrieren bestehen. Das Sprinkler-Vorgehen bietet folgende Vorteile. Es ist ein frühzeitiger Markteintritt möglich. Pioniervorteile können hinreichend genutzt werden. Es kommt zu einer raschen Amortisation des eingesetzten Kapitals. Es besteht die Chance, einen De-facto-Standard an den Märkten zu etablieren. Die Reaktionsmöglichkeiten des Wettbewerbs sind eingeschränkt. Nachteile sind hingegen folgende. Es ist ein hoher Ressourcenbedarf erforderlich (Zeit, Budget, Manpower etc.). Ein hohes Maß an Komplexität entsteht, verbunden mit vermeidbaren Kosten / entgehenden Erlösen. Es ist nur eine geringe Anpassung an Marktbesonderheiten möglich. Ein hohes Risiko für Fehlschläge ist gegeben. Erfahrungen aus anderen Märkten können nicht genutzt werden. Eine Mischform stellt das hybride Vorgehen, also wechselweise Sprinkler und Wasserfall (Brückenkopf-Ansatz) dar. Dieses versucht, die Nachteile der jeweiligen Form zu vermeiden und zugleich die Vorteile der jeweilig anderen zu nutzen. Dabei dient ein Land im „Wasserfall“-Prinzip zunächst als Sprungbrett für zwei oder mehr anschließende Länder im „Sprinkler“-Prinzip. Häufig betrifft dies räumlich benachbarte Länder (z. B. D.A.CH oder E.ME.A), weil diese meist eher als vergleichbar angesehen werden. Die Vorteile liegen dabei in Folgendem. Die Erschließungszeit für mehrere Ländermärkte ist relativ kurz. Erfahrungen aus bereits vollzogenen Markterschließungen können genutzt werden. Ein kalkulatorischer Ausgleich von Anfangsverlusten bei Marktneueintritt durch bereits erfolgreich vollzogene Markt­ erschließungen ist möglich. Zumindest teilweise kommt es zur Ausnutzung von Standardisierungspotenzialen und zur Begrenzung des internationalen Flopp­ risikos. Nachteile sind hingegen folgende. Es besteht die Gefahr der Fehleinschätzung neuer Märkte durch Erfahrungstransformation aus vollzogener Marktbearbeitung. Ebenso besteht die Gefahr der Ressourcenverzettelung. Die eigenen Handlungsabsichten können durch Wettbewerber bereits frühzeitig erkannt werden. Benachbarte Länder weisen häufig Animositäten auf, die eine Übertragung gefährden. Eine weitere hybride Form ist mit dem Lead Country-Ansatz gegeben. Dabei wird eine größere regionale Einheit bzw. für den Weltmarkt insgesamt ein Land als Basis für die Vermarktungsaktivitäten zugrunde gelegt. Die anderen Länder haben diese dann parallel zu übernehmen, können aber im Rahmen begründeter

534

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Besonderheiten mehr oder minder umfangreiche Abwandlungen (Adaptationen) vornehmen. Dies reicht von der bloßen Übersetzung von Werbemitteln bis zur multikriteriellen Einflussnahme auf Vertriebsparameter oder der Auswahl unter verschiedenen Konzeptansätzen (Patterns). Vorteile liegen in Folgendem. Es handelt sich um einen pragmatischen Kompromiss. Zumindest ein wichtiger / der wichtigste Markt wird auf diese Weise gut fokussiert, für Nebenmärkte werden Ineffizienzen i. S. d. Komplexitätsreduktion bewusst in Kauf genommen. Eine transparente Steuerung und ein guter Zugriff sind darstellbar. Durch wechselnde Lead Countries, z. B. nach Produkten, Kunden, Zeitablauf, kann ein Interessensausgleich zwischen den Ländern erreicht werden. Nachteile sind hingegen folgende. Für alle anderen Länder besteht nur eine mehr oder minder gute Anpassung, so dass Potenzial vergeben wird. Häufig sind emotionale Widerstände in den anderen Ländern vorzufinden. Die Bestimmung der Lead Countries ist angreifbar, ebenso die Bestimmung der Adapta­ tionsländer. Adaptationen sind häufig kaum weniger aufwändig als Eigen- / Neuentwicklungen. 13.8

Entscheidung über das internationale Marktareal

Beim Marktareal ist im Falle einer supranationalen Sicht die Behandlung ausländischer Märkte relativ zum Inlandsmarkt zu bestimmen. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, am verbreitetsten ist der EPRG-Ansatz (Perlmutter). Dieser unterscheidet in einer Matrix in Bezug auf die Raumdimension nach •• ethnozentrischer (weder Fokussierung, noch Generalisierung), polyzentrischer (Fokussierung ohne Generalisierung), regiozentrischer (sowohl Fokussierung als auch Generalisierung) und geozentrischer Anlage (Generalisierung ohne Fokussierung) von internationalen Unternehmensaktivitäten (siehe Abb. 95). Meist werden dabei die gesellschaftlichen Vermarktungsbedingungen im Ausland mit denen des Inlands verglichen. Als ausschlaggebend für die Entscheidung über die Marktbearbeitung wird dabei allgemein die Kultur angesehen. Eine Landeskultur umfasst Einstellungen und Verhaltensweisen, die einer Gesellschaft gemein sind. Problematisch daran ist, dass es sich bei der Kultur um ein theoretisches Konstrukt handelt, das zur Anwendung zunächst operationalisiert werden muss. Dazu bedarf es Indikatoren, die im Unterschied zum Konstrukt direkt beobachtbar sind. Allerdings kann man trefflich darüber streiten, welche Indikatoren geeignet sind, etwas zu messen, was selbst nicht beobachtbar ist. Daher gibt es zahlreiche Studien, die versuchen, Kultur zu „vermaßen“. Die bekannteste und älteste ist die von Hofstede. Er nennt fünf Dimen­ sionen zur Kennzeichnung der Landeskultur:



13.   Internationaler Vertrieb535

             

  

   

  

Abb. 95: Optionen des internationalen Marktareals

•• Machtdistanz, Gender-Orientierung, Risikoumgang, Zeitorientierung, Gesellschaftsprinzip. Andere Modelle stammen von Hall / Hall mit den Dimensionen Kontextorientierung (explizite vs. implizite Kommunikation), Raumorientierung (Nähe vs. Distanz), Zeitorientierung (sukzessiv vs. simultan) und Informationsgeschwindigkeit, oder von Trompenaars. Die neueste Studie (Globe) schreibt die Hofstede-Studie fort und kommt zu folgenden Indikatoren: •• Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Gruppenstolz, Kollektivismus, Gender-Orientierung, Durchsetzungsvermögen, Zukunftsorientierung, Humanität, Leistungsbewusstsein. Ob die Kultur für die Vermarktung als ausschlaggebend anzusehen ist, ist allerdings fraglich. Ob sie durch die vorhandenen Indikatoren zutreffend operationalisiert wird oder überhaupt operationalisierbar ist, ist noch fraglicher. Aus der Einteilung zur Standardisierung durch Ethnozentralität oder Geozentralität sowie zur Differenzierung nach Polyzentralität oder Regiozentralität folgen konkrete Konsequenzen. Ethnozentralität bedeutet, dass der Heimatmarkt den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit bzw. der Vertriebsaktivitäten bildet. Dabei werden die Auslandsaktivitäten aus der Perspektive des Heimatmarktes gesteuert und umgesetzt, indem die stammlandorientierte Strategie auf die Auslandsmärkte übertragen wird. Der Betrieb im Stammland trifft daher zentral alle anfallenden Entscheidungen. Schlüsselpositionen bei ausländischen Betriebsteilen sind mit Managern aus dem Stammland besetzt. Typisch ist der Export- / Importprimat. Die Organisation ist komplex im Heimatland, aber einfach bei den Niederlassungen vor Ort. Die ­Autorität ist stark auf die Muttergesellschaft konzentriert. Die Standards des Heimatmarkts werden auch auf die ausländische Leistungsbeurteilung angewandt. Es gibt eine hohe Anzahl von Aufträgen, Weisungen und Ratschlägen an die Nieder-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

lassungen. Und die Identifikation erfolgt mit der Nationalität der Muttergesellschaft, deren Mitarbeiter für weltweite Schlüsselpositionen ausgebildet werden. Vorausgesetzt, ein Unternehmen ist im Inland mit zeitlichem Vorlauf zum Ausland bereits erfolgreich, spricht einiges dafür, diesen erfolgreichen Vertrieb im Inland auf das Ausland zu übertragen. Weichen die gesellschaftlichen Vermarktungsbedingungen im Ausland jedoch von denen des Inlands ab, ist eher eine individuelle Ausgestaltung des Vertriebs angezeigt, da eine einfache Übertragung möglicherweise nicht zum Erfolg führen könnte. Für diese Anlage spricht die stringente Fokussierung der verschiedenen Auslandsengagements auf die übergeordnete Unternehmensstrategie. Außerdem kommt es zu einer klaren Zuordnung der Koordinationskompetenzen, was zur Vermeidung von Konflikten und Mehrfachfunktionen beiträgt. Dagegen sprechen der hohe Koordinationsaufwand in der Zentrale und die Gefahr der Vernachlässigung spezifischer Einflüsse in den Auslandsmärkten. Polyzentralität bedeutet, dass alle Auslandsmärkte gleichberechtigt und spezifisch behandelt werden. Die einzelnen Ländermärkte werden individuell mit auf ihre jeweiligen Besonderheiten zugeschnittenen Beschaffungs- und Absatzkonzepten bearbeitet. Dies wird vor allem mit abweichender Kultur begründet (Culture-bound). Meist werden Entscheidungen national vor Ort getroffen. Die Führungspositionen sind mit Managern aus den jeweiligen Ländern besetzt. Die Organisa­ tionen sind voneinander unabhängig. Die Autorität liegt bei den Tochtergesellschaften, Entscheidungen werden lokal getroffen, ausgewertet und kontrolliert. Der Kommunikationsfluss zwischen Zentrale und Tochtergesellschaften ist limitiert. Eine Identifikation erfolgt nach der Nationalität des jeweiligen Gastlandes. Dessen Mitarbeiter nehmen die Schlüsselpositionen in der Organisation ein. Für diese Anlage spricht die Förderung flexiblen Handelns sowie die rasche, angepasste Reaktion in den Auslandsmärkten. Außerdem der Freiraum hinsichtlich der Berücksichtigung spezifischer lokaler und nationaler Einflüsse in den jeweiligen Gastländern sowie die Verringerung des Koordinationsaufwands in der Zentrale. Dagegen spricht die Erschwerung in der Durchsetzung einer einheitlichen Unternehmensstrategie mit der Gefahr der Entwicklung paralleler Substrategien in den Auslandsmärkten. Außerdem ist ein erhöhter Aufwand durch Mehrfachfunktionen gegeben, da die Auslandsaktivitäten weitgehend dezentral ablaufen. Damit besteht die Gefahr der Zersplitterung knapper Ressourcen. Regiozentralität bedeutet, dass Auslandsmärkte zu homogenen Ländergruppen (z. B. hinsichtlich Kultur, Sprache, Ökonomie) zusammengefasst und innerhalb einer Gruppe einheitlich bearbeitet werden. Entscheidungen innerhalb einer Ländergruppe werden zentral getroffen. Die Entscheidungsabstimmung zwischen den Ländergruppen erfolgt dezentral. Die Führungskräfte stammen aus den jeweiligen Regionen. Typisch ist die Triade-Orientierung. Es besteht eine



13.   Internationaler Vertrieb537

hohe gegenseitige Abhängigkeit auf regionaler Ebene. Die Autorität liegt bei der regionalen Führung. Der Kommunikationsfluss ist gering zwischen den Regionen und der Zentrale, aber intensiv innerhalb jeder Region. Die Identifikation erfolgt als regionales Unternehmen. Mitarbeiter der jeweiligen Region nehmen Schlüsselpositionen in der Organisation ein. Sofern mehrere Länder parallel bearbeitet werden, können dazu Ländergruppen gebildet werden, deren gesellschaftliche Vermarktungsbedingungen unter­ einander als hinlänglich gleichartig angesehen werden (intern homogen), von Ländergruppe zu Ländergruppe jedoch als verschiedenartig (heterogen). Für diese Anlage spricht, dass sie den Anforderungen der vertikalen Arbeitsteilung in Großunternehmen entgegenkommt. Globale und regionale Teilstrategien können sinnvoll aufeinander abgestimmt werden, insb. im Hinblick auf die Nutzung von Synergiepotenzialen. Dagegen spricht die erhebliche Komplexität der Beziehungen mit der Gefahr von Friktionen und Intransparenz, so dass lange und aufwändige Entscheidungsvorbereitungsprozesse erforderlich sind. Geozentralität bedeutet, dass die Vertriebsaktivitäten prinzipiell länderunabhängig konzipiert werden. Die Menge aller Länder wird als einheitlicher Markt betrachtet, bestehende Ländergrenzen und -unterschiede werden bewusst negiert. Entscheidungen werden unter Berücksichtigung aller beteiligten oder zumindest der wesentlichen Länder (Key Markets) in einem globalen Netzwerk erarbeitet und getroffen, so dass sie durchgängig umsetzbar sind. Die Schlüsselpositionen sind von weltweit rekrutierten Managern besetzt. Die Komplexität der Arbeiten ist erheblich. Die Autorität der Unternehmensführung liegt bei allen Beteiligten gemeinsam. Es gelten sowohl globale als auch lokale Standards. Die Kommunikation ist sehr intensiv sowohl unter den Tochtergesellschaften als auch zwischen diesen und der Zentrale. Die Identifikation erfolgt als globales Unternehmen unter Hintanstellung nationaler Interessen. Die besten Mitarbeiter innerhalb der gesamten Organisation werden unabhängig von lokalen Standorten dort eingesetzt, wo sie am besten „passen“ (Fit). Dies begünstigt Produkte / Dienste, die sich kulturübergreifend in allen oder zumindest sehr vielen Ländern weitgehend gleichartig vermarkten lassen (Culture-free). Diese können losgelöst von einzelnen Märkten konzipiert werden, weil anzunehmen ist, dass ein Vertriebskonzept in allen Märkten gleichermaßen funktioniert. Oder es wird bewusst eine Generalisierung der Vermarktung angestrebt, also gänzlich losgelöst von einzelnen Ländermärkten. Für diese Anlage spricht die konsequente Nutzung weltweiter Synergieeffekte unter Einbeziehung nationaler Einflussgrößen sowie die Einräumung kreativer Freiräume für die Auslandsgesellschaften, von denen das Gesamtunternehmen profitiert. Dagegen sprechen die Komplexität der Koordination und die damit verbundenen Probleme der Intransparenz. Wegen der multilateralen Ausrichtung ist ein hoher Abstimmungsaufwand erforderlich. Dies vermindert die Entscheidungsgeschwindigkeit und beeinträchtigt damit womöglich die Reaktionsfähig-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

keit auf den jeweiligen Auslandsmärkten. Per Saldo bietet die Generalisierung einen Vorteil an Effizienz (Wirtschaftlichkeit), die Fokussierung hingegen einen Vorteil an Effektivität (Wirksamkeit). Letztlich geht es bei der Entscheidung um die Abwägung dieser Vor- und Nachteile zueinander. Der Ansatz nach Bartlett / Ghoshal unterteilt in internationale, multinationale, globale und transnationale Unternehmen. Dabei stehen die strategische Ausrichtung sowie organisatorische Charakteristika und Einstellungen des Managements im Mittelpunkt. Entsprechend der Denkachsen, Vorteile der Standardisierung einerseits und Vorteile der Differenzierung andererseits, ergeben sich daraus vier Kombinationen in Bezug auf die Raumdimension. 13.9

Entscheidung über die internationale Marktbearbeitung

Bei der internationalen Marktbearbeitung im Vertrieb bestehen die Alternativen der Fokussierung für Differenzierungsvorteile oder der Generalisierung für Standardisierungsvorteile. Beide werden in ihren Inhalten und Aspekten im Folgenden ausgeführt, zunächst zur Standardisierung. 13.9.1 Standardisierung Als Gründe für eine Standardisierung werden vor allem folgende genannt (Levitt). Die Reduzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten auf eine Angebotsversion ist möglich, die raumübergreifend vermarktet werden kann. Es kann ein einheitliches Produkt- / Firmenimage auf allen bearbeiteten Märkten durch gleiche Positionierung geschaffen werden. Es kommt zur Erleichterung effizienter Planung durch einheitliche Zielsetzung, die nicht der Berücksichtigung divergierender Interessen bedarf. Ähnlichkeiten in den Zielgruppen und deren steigende Mobilität führen ohnehin zu einer Konvergenz der Vermarktungsbedingungen. Die Koordination und Kontrolle wird durch bessere Übersichtlichkeit und Reduktion der Anzahl der Strategien vereinfacht. Die Ausnutzung von Know-how-Transfer durch ähnliche Umsetzungen auf taktischer und operativer Ebene gelingt. Eine Zentralisation des Managements führt zu effizienterer Steuerung des Unternehmens durch die damit betrauten Stellen. Real entsteht eine Internationalisierung des Wettbewerbs, wobei nicht mehr Einzelmärkte, sondern ohnehin Marktzusammenhänge entscheidungsrelevant werden. Media-Overlappings bzw. nicht zu verhindernde grenzüberschreitende Kommunikation infolge Satellitenrundfunks und Online-Präsenzen können ausgenutzt werden. Dies betrifft vor allem Märkte für Rohstoffe, High tech- und High touchProdukte. Deshalb ist es für international tätige Unternehmen möglich, ihr Angebot zu standardisieren, überall gleichartige Verkaufskonzepte anzuwenden und Leistungsstandards zu gewährleisten. Dadurch wird es weiterhin möglich,



13.   Internationaler Vertrieb539

Kosteneinsparungen zu realisieren. Insofern soll der Zielkonflikt zwischen Qualität und Preis überwindbar werden. Von daher sind global agierende Unternehmen vorgeblich erfolgreicher. Es ist jedoch wohl unbestritten, dass trotz unverkennbarer Annäherung internationaler Sozialstrukturen und der Internationalisierung des Wettbewerbs in Abhängigkeit vom Angebotsumfeld dennoch genügend signifikante Unterschiede verbleiben, die eine nach Form und Inhalt länderspezifisch abweichende Vermarktung erfordern. Derartige Marktspezifika sind für einen Anbieter umso besser nutzbar, je treffender, markanter, spitzer seine Positionierung ist. Oder umgekehrt: Unvermeidliche Generalisierungen des Vertriebskonzepts führen beinahe zwangsläufig zu Effektivitätseinbußen, da die jeweils spezifischen Vermarktungsbedingungen besser durch individuell abgestimmte Aktivitäten nutzbar sind als durch globale. 13.9.2 Differenzierung Als Gründe für eine Differenzierung werden folgende genannt. Eine mangelnde Berücksichtigung länderspezifischer Besonderheiten, die Absatzerfolge negativ tangieren können, ist ansonsten nicht ausgeschlossen. Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Medienlandschaft nach Struktur und Nutzung, z. B. in Bezug auf Print- oder TV-Dominanz. Abweichende Produktgebrauchsbedingungen sind nicht korrigierbar, wenn sie sich nur aus dem kulturellen und mentalen Zusammenhang des jeweiligen Landes heraus erklären. Es können unterschiedliche Phasen im Marktlebenszyklus gegeben sein, die eine abweichende Vermarktung erfordern, da verschiedene Personengruppen im Diffusionsprozess angesprochen werden sollen. Eine zentrale Kontrolle und Koordination ist letztlich nicht praktikabel, da davon demotivierende Wirkungen und inakzeptable Entscheidungsverzögerungen ausgehen. Das Not invented here (NHI-)-Syndrom, das auf verständlichen Landesegoismen beruht, behindert die Übernahme fremder Vorleistungen. Unterschiedliche Vertriebsmethoden (Distributionsformen, -wege, -systeme) lassen unterschiedliche Approaches erforderlich werden. Generalisierende Kosteneinsparungen fallen bei näherem Hinsehen geringer aus als vielfach unterstellt, so dass sie durch Effektivitätsnachteile leicht überkompensiert werden. Eine unterschiedliche Preisstruktur (Nachfrage, Wettbewerb, Kosten) erfordert ohnehin eine abweichende preisliche Positionierung von Angeboten. Dem liegt die Ansicht zugrunde, dass die Kulturdimensionen und Vermarktungsbedingungen sich einander nicht nur nicht annähern, sondern sich sogar evolutionär voneinander entfernen (Naisbitt). Deshalb muss im Gegenteil eine Individualisierung des Angebots angestrebt werden. So stehen die Konzepte der globalen Generalisierung und der lokalen Fokussierung gegeneinander.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Abschließend sei der Vollständigkeit halber noch bemerkt, dass sich internationale Unternehmen großen Vorbehalten in der öffentlichen Meinung gegenübersehen. Zu nennen sind etwa ordnungspolitische Gefahren durch multinationale Konglomerate und deren ökonomische Machtmittel, Steuervermeidung durch teilflexible Transferpreisbildung für konzerninterne Leistungen, Wettbewerbsverzerrung durch die Möglichkeit interner Subventionierung von Angeboten, irreversible Konzentration mit der Folge sukzessiver Wettbewerbsausschaltung, Ausspielung der Nationalstaaten durch die Möglichkeit zur kapitalistischmotivierten internationalen Arbeitsteilung (etwa über Bevorzugung von Staaten mit moderaten Sozial-, Fiskal-, Rechts- und Ökologiestandards).



14.

14.   Vertrieb von Dienstleistungen541

Vertrieb von Dienstleistungen

Das Unterkapitel „Vertrieb von Dienstleistungen“ erläutert zunächst die Kennzeichen von Dienstleistungen (14.1) und die Besonderheiten des Vertriebs von Dienstleistungen (14.2). Ein Augenmerk wird neben primären Diensten auch auf sekundäre in Form von Kundendienstleistungen gelegt (14.3). Leser kennen nach Durchsicht dieses Unterkapitels die Besonderheiten des Dienstleistungsvertriebs. Sie verstehen, warum Erkenntnisse nicht ohne Weiteres von Sachleistungen übertragen werden können. Und sie sind in der Lage, diese Herausforderungen auf der Basis anspruchsvoller Praxisorientierung theoriegestützt zu bewältigen. 14.1

Kennzeichen von Dienstleistungen

Die Beschäftigung mit Dienstleistungen ist, zumindest im deutschsprachigen Raum, noch relativ jung. Dies ist umso erstaunlicher als Dienstleistungen bereits seit geraumer Zeit den weitaus größten Teil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ausmachen. So ist das Wissen über deren Eigenarten und die betriebs- und erst recht vertriebswirtschaftlichen Konsequenzen durchaus fragmentarisch. Als geklärt gilt die Tatsache, dass Dienstleistungen in ihrem Ergebnis immateriell, in ihrem Prozess zweistufig und in ihrem Potenzial kundenintegrativ angelegt sind. 14.1.1 Begriff und Abgrenzung Dienstleistungen können funktional betrachtet werden, d. h., was macht primäre und sekundäre Dienste aus, oder institutional, d. h., wer erbringt diese Dienste ganz oder überwiegend. Da die Übergänge zwischen Dienst- und Sachleistungen weitgehend gleitend sind, erbringt praktisch jedes Unternehmen sowohl Dienst- als auch Sachleistungen. Beide werden gleichartig produziert, nämlich durch Kombination der Produktionsfaktoren, wobei bei Dienstleistungen noch der Leistungsbeitrag des Kunden als Externer Faktor hinzu kommt, wohingegen Sachleistungen autonom durch den Anbieter erstellt werden können. Es gibt also bei Diensten eine Vor- und eine Endkombination. Neben primären, selbstständigen Dienstleistungen gibt es auch sekundäre, an Sach- oder andere Dienstleistungen gekoppelte Kundendienste. Dienstleistungen sind auf den Externen Faktor gerichtet und erfordern somit die Integration des Kunden. Sie sind vornehmlich immateriell und bedingen zugleich Verrichtungen (Prozesse) und Kapazitäten (Potenziale). Sie sind auf Ergebnisse gerichtet und damit nutzenstiftend. Die internen Faktoren ebenso wie der Externe Faktor sind lagerfähig und transportfähig wie Sachleistungen, jedoch ist die Interaktion zwischen beiden Gruppen weder lager- noch trans-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

portfähig (Uno-actu-Prinzip). Eine Ausnahme stellen digitalisierte Dienstleistungen (z. B. als Datenbankrecherche) dar. Durch Veredlung können Dienstleistungen zu Sachleistungen (z. B. Datenträger) werden. Dienstleistungen sind immer so individuell wie der Externe Faktor, an dem sie erbracht werden. Gelingt es, diesen zu standardisieren, ist auch die Dienstleistung standardisierbar. Eine Scheinindividualisierung des Angebots ist durch Modularisierung darstellbar, eine Scheinstandardisierung der Nachfrage durch Marktsegmentierung. Dienstleistungen weisen als Besonderheit auf, dass sie zuerst verkauft und dann erst produziert werden, es handelt sich daher überwiegend um Vertrauensgüter, die anbieterseitig des Kompetenznachweises bedürfen und nachfragerseitig des Vertrauens. Eine Angebotsflexibilität ist aufgrund weitgehend starrer Kapazitäten kaum darstellbar, eine Nachfrageflexibilität wird durch preisgesteuerte Nachfragelenkung (Preisdifferenzierung) angestrebt. Dienstleistungen sind durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet. So sind vor- und nachgelagerte Qualitätsprüfungen nicht einsetzbar und eine Nachbesserung ist nur sehr bedingt möglich. Der Kundeninput zur Leistungserstellung ist nur schwer zu beeinflussen, das Kontaktpersonal ist „Teil des Produkts“ und das „Produktionsumfeld“ dabei vom Kunden unmittelbar wahrzunehmen. Dienstleistungen sind immer qualitätsanfällig. Sie sind nur bedingt mathematisch-physikalisch beschreibbar, da nur wenige objektivierbare Messund Bewertungsgrößen vorhanden sind. Und die Zeit ist ein relevanter Konzeptparameter, weil Dienstleistungen vergänglich sind. Aus aktueller Sicht sind Dienstleistungen vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet. Erstens durch ihr Ergebnis, d. h. die geldwerte Leistung, zweitens durch ihren Prozess, d. h. die zeit-synchrone Interaktion mit dem Kunden (Externer Faktor) und drittens durch ihr Potenzial, d. h. die Leistungsbereitschaft. Alle drei Merkmale treffen aber isoliert auch auf Sachleistungen zu, in Kombination sind sie jedoch in der Lage, Dienstleistungen zutreffend abzugrenzen. Daraus ergibt sich dann folgende Arbeitsdefinition: •• Dienstleistungen sind marktfähige Verrichtungen und Leistungsbereitschaften am Externen Faktor. Sie resultieren kumulativ aus der Bereitstellung interner Leistungspotenziale, der Durchführung kundenintegrierender Leistungsprozesse und dem Angebot immaterieller Leistungsergebnisse. Diese Definition ist jedoch nicht erschöpfend, denn für Dienstleistungen sind darüber hinaus noch zahlreiche andere Merkmale kennzeichnend. Sie werden zweistufig erstellt, zuerst verkauft und dann produziert. Sie sind individuell ausgelegt und in ihrem Arbeitsanfall fremdbestimmt. Ihre Logistik, Kapazitätssteuerung und Standardisierung sind eingeschränkt. Und sie haben Vertrauensgutcharakter. Diese Besonderheiten sind die Begründung eines eigenständigen Dienstleistungsmanagements. Dabei werden drei dominante Merkmale zugrunde gelegt (siehe Abb. 96).



14.   Vertrieb von Dienstleistungen543

    

                  

  

Abb. 96: Dienstleistungsmerkmale

14.1.2 Immaterialität des Ergebnisses Der weit überwiegende Vertrauensgutcharakter von Dienstleistungen folgt aus ihrer Intangibilität (Nicht-Anfassbarkeit) des Dienstleistungsergebnisses. Vor dem Kauf können sie nicht beurteilt werden, auch beim Kauf nicht und häufig nicht einmal danach. Aus der Intangibilität folgen die grundsätzliche Nichtlagerfähigkeit von Dienstleistungen und ihre grundsätzliche Nichttransportfähigkeit. Nichtlagerfähigkeit bedeutet, dass Dienstleistungen nicht im Voraus produziert und dann bis zum Verkauf zwischengelagert werden können, denn der Verkauf findet ja vor der Produktion statt. Daher sind die Kapazitäten der zu erwartenden Nachfrage anzupassen oder es ist zu versuchen, die Nachfrage den bereitgestellten Kapazitäten anzupassen. Bei zu knapp bemessenen Kapazitäten entstehen dann allerdings Wartezeiten für Kunden, die bei diesen als Unzufriedenheitsstifter wirken. Und bei zu großzügig bemessenen Kapazitäten entstehen Pausenzeiten der personalen und maschinellen internen Produktionsfaktoren mit der Folge von Ineffizienz. Eine flexible Anpassung der Kapazitäten wird durch soziale Restriktionen in Bezug auf den personalen Faktor und technische Res­ triktionen in Bezug auf den maschinellen Faktor eng begrenzt. Insofern bleibt häufig nur eine stete Leistungsvorhaltung in der Hoffnung auf Verständnis bei Kunden bzw. Verteilarbeiten in Produktion und Administration. Aus der Intangibilität folgt auch die grundsätzliche Nichttransportfähigkeit von Dienstleistungen. Anbieter und Nachfrager müssen also zeitgleich und raumgleich (Uno actu) zusammenkommen, damit eine Wertschöpfung möglich ist. Dafür bestehen im Grundsatz drei Möglichkeiten. Erstens kann der Externe Faktor sich an den Ort der internen Produktionsfaktoren begeben. Die Leistungserstellung erfolgt dann im Residenzprinzip (z. B. Besuch in der Arztpraxis). Zweitens können sich die internen Produktionsfaktoren an den Ort des Externen Faktors begeben. Die Leistungserstellung erfolgt dann im Domizilprinzp (z. B.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Arztbesuch zuhause). Und drittens können sich interne Produktionsfaktoren und Externer Faktor an einem gemeinsamen Ort einfinden, um dort die Leistungserstellung im Treffprinzip zu vollziehen (z. B. mobile Gesundheitssprechstunden auf dem Land). Wenn die internen Faktoren nicht transportabel sind, muss die Dienstleistung an deren Ort stattfinden (z. B. MRT-Untersuchung). Wenn der Externe Faktor nicht transportabel ist, muss die Dienstleistung an dessen Ort stattfinden (z. B. Notdienst bei Arbeitsunfall). Wenn beide Faktoren nicht transportabel sind, kann eine Dienstleistung nicht stattfinden, es sei denn, es gelingt, sie zu veredeln (z. B. Tele-Operation / Tele-Sprechstunde). Eine Veredelung von Dienstleistungen bedeutet den Versuch zur Überwindung der Nichtlagerfähigkeit und / oder der Nichttransportfähigkeit. Dies gelingt durch Speicherung der Leistung auf Medien sowie durch Übertragung der Leistung in Netzen. Eine Speicherung erlaubt die Überbrückung der zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der Leistungserbringung und dem Zeitpunkt des Leistungsverbrauchs. Dies erfolgt etwa durch Datenträger, die mediale Dienstleistungen zeitunabhängig verfügbar machen wie z. B. bei Fußballspiel, Rockkonzert, Theaterstück. Eine Übertragung erlaubt die Überbrückung der räumlichen Diskrepanz zwischen dem Ort der Leistungserbringung und dem Ort des Leistungsverbrauchs. Dies erfolgt etwa durch Live-Übertragung, Streaming, Mediasharing, Non-linear TV o. Ä. Ob es sich im Falle von Datenträgern (CD / DVD, USB-Stick, SD-Karte etc.) dann noch um eine Dienstleistung handelt, ist strittig. Einerseits ist keine Intangibilität gegeben, sondern eine Sachleistung, andererseits ist nicht der Datenträger die Leistung, sondern dessen Inhalt, der nach wie vor intangibel ist. In jedem Fall sind Dienstleistungen damit einer Logistik zugänglich wie ansonsten nur Sachleistungen. Es gibt die Möglichkeit der Zwischenlagerung der internen Produktionsfaktoren (z. B. Pausenzeiten des Praxispersonals) und des Externen Faktors (z. B. Wartezeiten der Patienten) und die Möglichkeit der Verbringung der internen Produktionsfaktoren und des Externen Faktors. Entsprechend sind auch logistische Kundendienste möglich und wichtig sowie logistische Absatzhelfer. 14.1.3 Vor- und Endkombination im Prozess Dienstleistungen werden produziert wie auch Sachleistungen, nämlich durch die Kombination der betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Betriebsmittel, Werkstoffe und dispositive bzw. exekutive Arbeit. Dienstleistungen werden jedoch in einem zweistufigen Prozess produziert, zunächst als Vorkombination der internen Produktionsfaktoren durch Bereitstellung von Leistungsfähigkeiten (Potenzial). Danach erst erfolgt die Endkombination mit dem Externen Faktor als Gleichzeitigkeit der Produktion (Prozess) und Konsumtion (Ergebnis) der Dienstleistung.



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Aus dieser Besonderheit folgen erhebliche Konsequenzen. So ist keine Vorratsproduktion möglich, da es des Kunden zur Erstellung der Produktion bedarf. Der Arbeitsanfall ist damit fremdbestimmt, d. h., wann produziert wird, bestimmt der Kunde, nicht der Anbieter. Um die Lieferfähigkeit zu erhalten, ist eine stetige Leistungsbereitschaft erforderlich. Daraus wiederum folgt eine hohe Fixkostenbelastung, insb. auch ungedeckte Fixkosten (Leerkosten), die sofern sie pagatorischer Natur sind, die Existenz des Unternehmens gefährden. Zumal für gewöhnlich hohe Nachfrageschwankungen am Markt zu verzeichnen sind. Hinzu kommt eine oftmals geringe Angebotsflexibilität, verursacht durch Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge etc. (z. B. Kontingentierung bei niedergelassenen Ärzten oder Alten-Pflegeheimen). Lösungsmöglichkeiten ergeben sich aus drei Ansätzen. Bei der Zeitanpassung der Leistungsbereitschaft geht es um zweierlei. Erstens um die Anpassung von Angebot und Nachfrage. Diese erfolgt durch Zeitfenster, während derer der Anbieter Kapazität für einen Nachfrager bereithält (z. B. Anmeldung beim Physiotherapeuten) oder durch Zeitfenster der Nachfrager, während derer ein Anbieter tätig werden kann (z. B. Kurtermine). Dadurch kann eine bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage erreicht werden. Zweitens kann anbieterseitig versucht werden, die vorhandenen Kapazitäten effizienter zu nutzen, um Wartezeiten bei Übernachfrage zu vermeiden oder vorhandene Nachfrage mit geringeren Kapazitäten bearbeiten zu können. Dies wird durch kürzere Prozesszeiten erreicht sowie durch eine Homogenisierung des Inputs, der dann rationeller und qualitätstreuer in den gewünschten Output transformiert werden kann. Um Wartezeiten und Unzufriedenheiten entgegen zu wirken, bieten einige Anbieter Servicegarantien als Selbstbindung (z. B. Commerzbank, UPS). Anrechtsbelege bei absehbaren Kapazitätsrestriktionen haben zwei Aspekte. Einerseits erhält der Anbieter durch die Reservierung von Kapazität einen Eindruck vom Ausmaß der Nachfrage nach seiner Dienstleistung und kann seine Potenziale und Prozesse gemäß dieser Erwartung einsteuern. So können, wo möglich, Kapazitäten abgebaut oder verschoben werden, wenn weniger Nachfrage absehbar ist, um Fixkosten einzusparen. Oder Kapazitäten ausgebaut oder verlagert werden, wenn mehr Nachfrage absehbar ist, um diese erlösbringend zu bedienen. Andererseits hat der einzelne Nachfrager durch Anrechtsbelege die Gewissheit, die Dienstleistung in Anspruch nehmen zu können, unabhängig davon, wie viele andere Nachfrager diese auch in Anspruch nehmen wollen und wie hoch die Restkapazität auch immer ist. Insofern gewinnen beide Seiten Sicherheit. Hinsichtlich der Art der Anrechtsbelege können Namens- und Orderpapiere sowie Inhaberpapiere unterschieden werden, bei ersteren ist berechtigt, wessen Name angegeben ist (z. B. Überweisung durch den behandelnden Arzt), bei letzterem ist berechtigt, wer Besitzer ist (z. B. Reihenfolgenummer im Sozialamt).

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Bei häufig vorzufindenden, starren Kapazitäten ist eine solche Anpassung anbieterseitig allerdings nicht möglich. Daher hat der Anbieter ein Interesse daran, weder Unter- noch Überauslastungen zu riskieren. Dabei ergibt sich das Problem der No Shows und der Go Shows. Unter No Shows versteht man Nachfrager, die ein Leistungspotenzial für sich reserviert haben, ohne es tatsächlich abzurufen. Für den Anbieter bedeutet dies ungedeckte Fixkosten. Es hängt von der Vertragssituation und seiner Geschäftspolitik ab, inwieweit er dafür Ersatz erhält (z. B. Ausfallhonorar in der Zahnarztpraxis). Ein wichtiger Aspekt ist dabei, ob es verdrängte anderweitige Erlöse gibt oder nicht. Unter Go Shows versteht man Nachfrager, die keine Reservierung für sich haben vornehmen lassen, jetzt aber erwarten, Leistungspotenzial bereitgestellt zu erhalten. Auch hierbei hängt es vom Beschäftigungsgrad ab, wie zu reagieren ist. Besteht Unterauslastung, können zusätzliche Deckungsbeiträge hereingeholt werden. Besteht Überauslastung, kann geprüft werden, inwieweit ein kurzfristiger Kapazitätsausbau möglich ist oder Kapazitätsbelegungen umorganisiert werden können (z. B. Terminverlegung oder -tausch). Dabei ist eine Kapazitätsanpassung zu prüfen. Restriktionen finden sich hier vielfältig in internen und Externem Faktor(en). Dennoch sind sowohl eine quantitative wie eine qualitative Anpassung möglich. Quantitativ ist eine kapazitative Anpassung bei maschinellen und personalen Kapazitäten darstellbar. Diese erfolgt durch Stilllegung / Entlastung bzw. Aufstockung vorhandener Kapazitäten. Dabei sind allerdings die Konsequenzen bei Wiedereintritt des Normalbeschäftigungsgrads zu prüfen. Eine intensitätsmäßige Anpassung erfolgt durch wechselndes Arbeitstempo. Dabei kann es allerdings zu einer erhöhten Fehlerrate kommen (z. B. Pflegeheim), die Opportunitätskosten bedingt. Eine zeitliche Anpassung erfolgt über Kurzarbeit bzw. Überstunden. Hier entstehen remanente bzw. überproportionale Stückkosten. Die Flexibilität gerade des Faktors Arbeit ist allerdings vielfach reglementiert. Qualitativ wird eine mutative Anpassung durch Prozessveränderung vorgenommen. Dabei können situative Faktoren wie Raum, Zeit, Arbeitsmittel etc. geändert werden (etwa Digitale Patientenakte, Einlesen der Gesundheitskarte). Tatsächlich werden Dienstleistungen zuerst verkauft und dann erst produziert. Im Unterschied zu Sachleistungen, die immer zuerst produziert und dann erst verkauft werden (Ausnahme: Kundenindividuelle Sachleistungsproduktion / Maßschneiderung). Das bedeutet aber, dass Nachfrager bei Dienstleistungen „die Katze im Sack“ kaufen, also ein Geldopfer für etwas erbringen, von dem sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, was genau es ist. Daraus folgt ein gravierendes Vertrauensproblem.



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14.1.4 Kundenintegration als Potenzial Das Uno actu-Prinzip besagt, dass Endproduktion und Konsumtion zeit- und raumsynchron durch Interaktion von Externem und internen Faktoren (Potenzialintegration) stattfinden. Der Kunde als Externer Faktor ist damit inhärenter Bestandteil der Produktion. Man spricht von Prosumership (Kofferwort aus Producer und Consumer). Reine Dienstleistungen sind ohne Kunden nicht möglich (veredelte hingegen schon). Da jeder Kunde anders ist als der vorherige oder nächste, ist auch jede Dienstleistung im Grundsatz anders als jede vergangene oder nachfolgende. Dienstleistungen sind immer so individuell wie der Kunde, dem sie gelten. Das bedeutet betriebswirtschaftlich jedoch, dass die Losgröße = 1 ist. Für jede Produktion entstehen Rüstkosten, die nur für diesen einen Leistungsfall genutzt werden können und für andere Leistungsfälle wieder erneut getragen werden müssen (z. B. Vorbereitung des Behandlungszimmers für eine Wurzelspitzenresektion). Dies bedeutet, dass keine Stückkostendegression erreicht werden kann. Und dies wiederum bedeutet, dass die Effizienz der Dienstleistungsproduktion akut gefährdet ist. Die Rüstkosten entstehen für Zeiten der Konzeptplanung (z. B. Typberatung bei der Kosmetikerin), der Mittelbereitstellung (z. B. Werkzeugdisposition je Kfz-Typ in der Werkstatt), der Mitteljustierung (z. B. Einstellung des Röntgengeräts beim Arzt), der Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft (z. B. Saubermachen beim Frisör) etc. Erst wenn es gelingt, diese Rüstkosten für mehrere gleichartige Leistungsfälle zu nutzen, könnte eine Rationalisierung erreicht werden. Dies setzt jedoch eine Standardisierung der Wertschöpfungsbedingungen voraus. Dafür gibt es mehrere Ansatzpunkte. Eine Potenzialstandardisierung zielt darauf ab, vermeidbare Leistungsschwankungen zu reduzieren. Eine Standardisierung der Betriebsmittel kann etwa durch gleichartige Wartung, gleiche Ersatzteile, gleiche Bedienung etc. einen höheren Leistungsgrad bewirken, d. h. einen höheren Anteil der wertschöpfenden Nutzleistung an der Gesamtleistung. Bei Standardisierung der Werkstoffe kann etwa durch gleiche Anwendung, gleiche Handhabung, gleiche Wirkung etc. eine Rationalisierung erreicht werden. Eine Standardisierung der Mitarbeiter bezieht sich auf deren Qualifikation und Motivation. Die Qualifikation ergibt sich durch Berufs- bzw. Studienabschlüsse, die ein bestimmtes Leistungspotenzial verbriefen. Die Motivation ist hingegen einer Standardisierung nur schwer zugänglich, übliche Maßnahmen sind Incentives, Veranstaltungen, Prämien. Eine Prozessstandardisierung zielt darauf ab, die Leistungsausführung zu normieren. Dabei spielt das Qualitätsmanagement eine zentrale Rolle, genauer die Qualitätszertifizierung. Diese soll sicherstellen, dass Prozesse in gleichartiger Weise auf hohem Niveau ablaufen. Dazu werden diese Prozesse dokumentiert (QM-Handbuch) und auf Übereinstimmung (Konformität) mit den Quali-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

tätssicherungsanforderungen der Normenreihe hin überprüft. Externe Zertifizierer (aber auch nachfragemächtige Kunden) prüfen dann stichprobenartig, ob die realen Prozesse mit den vorgegebenen übereinstimmen. Ist dies der Fall, bestätigen sie dies auf Zeit durch ein Zertifikat (meist nach DIN ISO 9001). Eine andere Stellgröße ist eine straffe Auslegung der Organisation. Gemeinhin wird zwar postuliert, dass Mitarbeitern unternehmerische Freiräume zu gewähren sind. Angesichts der Tatsache, dass bei Dienstleistungen oft gering qualifizierte, ungelernte oder temporäre Mitarbeiter betroffen sind, entspricht es jedoch der Erfahrung, dass nur durch direktive Organisation die strikte Einhaltung anspruchsvoller Vorgaben möglich scheint, zumal dieser Personenkreis dies meist nicht als Entmündigung, sondern als konstruktive Handlungs-Guideline empfindet (z. B. Schnellgastronomie, Hotellerie, Einzelhandel). Eine Ergebnisstandardisierung zielt darauf ab, zumindest stabile Leistungsergebnisse zu erreichen. Dies ist verbreitet durch Service Level Agreements (SLAs) gegeben. Dabei verpflichtet ein Abnehmer einen Lieferanten zur Einhaltung vorab definierter Leistungsstandards. Dies setzt voraus, dass dafür geeignete Parameter identifiziert und justiert werden. Was dabei wünschenswert ist, definiert sich allein aus der Sicht der Abnehmer. SLAs sind bei Nichteinhaltung mit Sanktionen versehen, und zwar meist verschuldensunabhängig. Damit hat der Abnehmer die erhärtete Gewissheit, dass sein Leistungsbegehren erfüllt wird. Der Dienstleister hat seine Potenziale und Prozesse dann so auszurichten, dass dem entsprochen werden kann. Eine Standardisierung des Externen Faktors ist schwierig, da Dienstleistungen immer so individuell sind wie der jeweilige Kunde. Wenn es jedoch gelingt, Kunden mit gleichartigen Bedarfen zeitlich und räumlich so anzuordnen, dass sie konzentriert auftreten, können diese mit gleichartiger Produktion bedient werden, wodurch sich der gewünschte Rationalisierungseffekt ergibt. Nun kann ein Unternehmen nur sehr begrenzt über Kunden disponieren. Machbar ist jedoch eine solche Konzentration über Marktsegmentierung. Dabei kommuniziert ein Anbieter gegenüber potenziellen Kunden, welche Leistung er erbringen kann. Kunden ordnen sich dann den jeweiligen Anbietern zu, die signalisiert haben, die gewünschte Leistung zu erbringen. Der Markt teilt sich damit in vergleichsweise homogene Nachfragersegmente auf, die eine standardisierte Bearbeitung erlauben. Zugleich ist dabei eine hohe Kundenzufriedenheit erreichbar, weil das Leistungserlebnis der Erwartung entspricht. Kunden mit anderen Leistungserwartungen, die dementsprechend unzufrieden wären, tauchen beim Anbieter erst gar nicht auf, weil sie aus seiner Kommunikation wissen, dass er die präferierte Leistung nicht bereitstellen kann und wird. Zur Rationalisierung werden daher häufig zwei Konzepte genutzt. Die Automatisierung von Dienstleistungen erfolgt durch Substitution von Arbeit durch Kapital, d. h., Leistungen, die vordem von Menschen erbracht wurden, werden nunmehr von Maschinen erbracht (z. B. Geldautomat bei der Bank). Die Durch-



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setzung dieses Ansatzes erfolgt zumeist durch Bestrafung personaler Dienstleistung bzw. Belohnung maschineller (z. B. Überweisungsgebühren für händische Belege oder beleglose Ausführung bei der Bank). Verbreitet bestehen jedoch Berührungsängste der Kunden gegenüber Apparaten oder sie präferieren individuell den persönlichen gegenüber dem mechanischen Kontakt. Zugleich gibt es eine Gegenbewegung zur Personalisierung von Dienstleistungen (z. B. Handwäsche von Autos). Die Externalisierung von Dienstleistungen erfolgt durch Verlagerung von Aktivitäten vom Anbieter auf den Nachfrager, d. h. Leistungen, die vordem von Anbieter erbracht wurden, werden nunmehr vom Nachfrager erbracht (z. B. SBTankstelle). Die daraus resultierenden Kostenvorteile werden in Form niedrigerer Preise / unterlassener Preiserhöhungen an den Markt weitergegeben oder als zusätzlicher Gewinn einbehalten. Eine Externalisierung ist naturgemäß umso schwieriger, je komplexer die Dienstleistung ist. Verbreitet ist auch eine Kombination aus Externalisierung und Automatisierung, d. h., Leistungen werden vom Anbieter auf den Nachfrager verlagert und dort von Maschinen erbracht (z. B. Fahrscheinautomat im ÖPNV, Online-Banking). Dadurch wird jedoch die Kontaktbasis im Beziehungsmanagement geschwächt. Anbieter wissen immer weniger über ihre Kunden und deren Bedarfe und die Austauschbarkeit der Leistungen steigt. Ob dies angesichts der Marktentwicklung eine schlaue Entwicklung ist, mag dahingestellt bleiben. Dienstleistungen weisen somit eine Reihe von vertriebsrelevanten Dimensionen auf, die eine gesonderte Betrachtung rechtfertigen. Allerdings ist festzustellen, dass es bislang keine belastbare Definition, geschweige denn eine Theorie der Dienstleistungen gibt, was angesichts der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung dieses Sektors bedauerlich ist. 14.2

Besonderheiten im Vertrieb von Dienstleistungen

Für den Vertrieb von Dienstleistungen sind vor allem die Aspekte der Verfahren zur optimalen Standortwahl des Betriebs, der Lagerung und des Transports im Rahmen der Logistik sowie der Verkürzung der Abwicklungszeiten relevant. 14.2.1 Standortwahl des Betriebs Bei standortgebundenem Dienstleistungsangebot (Residenzprinzip) gehen von der Wahl des Standorts zahlreiche akquisitorische Wirkungen aus. Der Standort ist der geografische Ort, an dem der Dienstleistungsanbieter zum Zweck der Erreichung seiner Ziele Produktionsfaktoren zur Leistungserstellung kombiniert. Häufig kommt dabei der bequemen Erreichbarkeit zentrale Bedeutung zu. Ein Ausweg stellen allenfalls Angebote zur schnellen und kostengünstigen Überbrü-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

ckung von Entfernungen für den Externen Faktor dar (dies gilt auch für standortungebundene Dienstleistungsangebote / Domizil- oder Treffprinzip in Bezug auf interne Produktionsfaktoren, da Convenience ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist). In jedem Fall ist eine Steuerung der Distributionsdichte gemäß der Nachfrageverteilung wichtig, also breit distribuiert für engmaschig verteilt nachgefragte und schmal distribuiert für weitflächig verteilt nachgefragte Dienstleistungen. Ausschlaggebend dafür ist wiederum der relative Standort des Anbieters. Viele Dienstleistungen sind nicht zu multiplizieren und an verschiedenen Standorten zugänglich zu erbringen, z. B. weil sie von einer Person abhängig sind (professionelle Services wie Freie Berufe). Die Spannweite der Standorte eines Dienstleistungsbetriebs geht (am Beispiel Kultur) von einem zentralen Standort, an dem allein die Leistungserbringung stattfinden kann (z. B. Führung im Louvre) über einige wenige räumlich verteilte Standorte (z. B. Opernhauspremieren) bis zu vielen räumlich verteilten Standorten (z. B. Museumsbesuche) oder beinahe beliebig vielen Standorten (z. B. Kinovorführungen). Die Standortentscheidung ist in jedem Fall konstitutiver Natur und erforderlich bei Neugründung bzw. Umsiedlung des Betriebs, Veränderung der Betriebsgröße, Ausweitung bzw. Differenzierung der Tätigkeit sowie Zusammenlegung und Schließung von Betrieben. Dabei spielen qualitative und quantitative Einflussgrößen eine Rolle. Vor allem ist das Einzugsgebiet des Standorts von Bedeutung. Zu dessen Erfassung gibt es verschiedene Methoden, eine davon ist die Erfassung in umfangreichen, individuell anzulegenden Checklisten: •• Der Faktor Geschäftsstruktur des betrieblichen Standorts dient dem Dienstleistungsanbieter zur Bestimmung des Absatzpotenzials des Standorts. Zum Beispiel sind Schuster, die Leistungen des täglichen Bedarfs anbieten, auf eine hohe Einwohnerdichte bzw. Passantenfrequenz angewiesen, da ihr Einzugsgebiet typischerweise begrenzt ist. •• Der Faktor Umfeld bezieht sich auf die Harmonie des betrieblichen Standorts mit dem Image des Dienstleistungsbetriebs. Dies gilt vor allem für Dienstleistungen mit Vertrauensgutcharakter, bei denen aus den Umfeldfaktoren, wie I a-Lage, mangels anderer Anhaltspunkte, auf die Leistungsfähigkeit des Anbieters geschlossen wird (zu denken ist etwa an Rechtsanwaltskanzleien). •• Der Faktor Konkurrenz kann zu einer Meidung konkurrierender Dienstleistungsbetriebe führen (Evitation) oder gerade zu einer Suche der Nähe solcher Betriebe (Agglomeration), um von der gemeinsam höheren Anziehungskraft des eigenen betrieblichen Standorts zu profitieren (man denke nur an die Kneipenviertel jeder größeren Stadt). •• Der Faktor Erreichbarkeit betrifft die Zugänglichkeit des betrieblichen Standorts in der Verkehrsanbindung (ÖPNV, Parkplätze etc.). Dies ist umso wich-



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tiger, als je austauschbarer eine Dienstleistung von Nachfragern angesehen wird, diese wiederum ist abhängig von der Emotionalität zugunsten eines Anbieters / Angebots, oder deren Fehlen, bei der Kaufentscheidung (problematisch etwa für SB-Warenhäuser auf der grünen Wiese). •• Der Faktor Raum orientiert sich an den Raumkosten (Mietkosten, Bauinvestitionen etc.), an der Raumqualität (Architektur, Grünflächen etc.) und der Raumkapazität (Quadratmeter, Lagerfläche etc.). Dies fällt vor allem für Fachgeschäfte in den Fußgängerzonen der Innenstadt ins Gewicht. Bei der Analogmethode wird ein strukturidentischer Vergleichsstandort eines Dienstleistungsbetriebs herangezogen, von dem aus auf den eigenen Standort projiziert wird, wobei etwaige Abweichungen umgerechnet werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vergleichsstandort auch wirklich hinsichtlich aller relevanten Elemente hinlänglich vergleichbar ist, was ausgesprochen selten zutrifft. Bei Raumgebietsmodellen geht es um die Abgrenzung der Absatzreichweiten zwischen zwei Standorten (genauer Geschäftszentren). Dazu gibt es aus der Physik entlehnte Gravitationsmodelle und Potenzialmodelle. Gravitationsmodelle ermitteln, ob eine Person in einem zwischen zwei vergleichbaren Standorten liegenden Gebiet entweder Kunde am einen oder am anderen Standort wird, es erfolgt also eine dichotome Zuordnung. Die Anziehungskraft eines Standorts wird, vereinfacht dargestellt, als proportional zur Entfernung zwischen dem Standort eines potenziellen Kunden und den Nachbarregionen / -betrieben angesehen. Dort, wo die Anziehungskräfte zweier Standorte auf Kunden gleich stark sind, liegt die relative Grenze der jeweiligen Einzugsgebiete. Auf alle umgebenden Regionen bezogen, ergibt sich eine fortlaufende Grenzlinie (Isokurve). Potenzialmodelle ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person Kunde am einen und mit welcher am anderen Standort wird, es kommt somit zu überlappenden Absatzreichweiten. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein potenzieller Kunde seinen Leistungsbedarf nicht am (Wohn-)Standort, sondern in einer Nachbarregion / bei einem Konkurrenzbetrieb deckt, als direkt abhängig vom Agglomerationsgrad (Attraktivität) der für ihn erreichbaren (Einkaufs-)Standorte und deren Entfernung zu seinem (Wohn-)Standort angesehen. Ausschlaggebend ist damit sein Nettonutzen. Bei der Distanzenmethode wird umgekehrt die Entfernung vom Standort des Anbieters ausgehend betrachtet. Distanzen lassen sich jedoch unterschiedlich definieren, so als geografische Entfernung (Luftlinie), als topografische Entfernung (Wegstrecke), als Zeitdauer zur Überwindung der Distanz oder als Kostenaufwand zur Überwindung dieser Distanz. Jedenfalls werden dann konzen­ trische Linien mit definiertem Radius um den eigenen Standort gelegt, um das entsprechende Einzugsgebiet zu ermitteln. Die akzeptierten Distanzen variieren allerdings mit der Art der in Anspruch genommenen Leistung.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Sofern es sich um Ladengeschäfte handelt, wird zudem nach Geschäftslagen zur Klassifikation unterschieden (z. B. I a / I b, II a / II b). Gerade diese guten Lagen sehen sich vielfachen Begrenzungen zur Verfügbarmachung für Dienstleistungsbetriebe gegenüber (so Bundesraumordnung, Bundesbaugesetz, Baunutzungsverordnung etc.). 14.2.2 Lagerung und Transport Zunächst scheint es fraglich, inwieweit Lagerungs- und Transportmaßnahmen angesichts der postulierten Nichtlager- und Nichttransportfähigkeit von Dienstleistungen überhaupt relevant sind. Dies ist aber tatsächlich in vielfältiger Weise der Fall, wenn die internen Produktionsfaktoren oder der Externe Faktor transportiert oder (zwischen-)gelagert werden. So sind etwa der Externe Faktor zum betrieblichen Standort zu verbringen (z. B. Abschleppen eines liegen gebliebenen Pkw in die Autowerkstatt) oder die Internen Faktoren zum Standort des Externen Faktors (z. B. Gärtner und Gerätschaften in den heimischen Garten). Dies sind eindeutig logistische Vorleistungen, ohne welche die eigentliche Dienstleistungserstellung nicht stattfinden kann. Oder logistische Nachleistungen, ohne die diese nicht komplett ist (z. B. Rücksendung des entwickelten Films vom Fotolabor, Zustellung des ausgearbeiteten Rechtsgutachtens an den Mandanten). Außer diesen Zusatzleistungen müssen logistische Kernleistungen durch Anbieter immer dann erbracht werden, wenn der Externe Faktor immobil ist, um die richtigen Internen und Externen Faktoren zum geplanten Zeitpunkt, am richtigen Ort, in der richtigen Menge und in der vereinbarten Qualität zur Verfügung zu stellen. Logistische Zusatzleistungen sind hingegen für die eigentliche Leistungserbringung nicht unbedingt notwendig, runden aber das Angebot ab (z. B. Parkservice für Gästefahrzeuge im Hotel). Es handelt sich also wieder um eine zweistufige Dienstleistung, einmal im Kern- und dann im Zusatzservice. Eine weitere Entscheidung betrifft die nach der Erfüllung dieser logistischen Leistungen. Sie können selbsterstellt werden, also durch den Dienstleistungsbetrieb, oder fremderstellt, also im Wege des Outsourcings (Outside Resource Using) an Dienstleistungszulieferer vergeben werden (z. B. Zustellunternehmen für die Einholung und Verbringung reparierter Geräte). Wichtige Entscheidungen betreffen dabei die Wahl von Transportmittel, Transportzeit, Transportsicherheit und die Konsequenzen der Transportkosten daraus. Weitere Maßnahmen betreffen die Lagerung der Internen Faktoren, also der Materialien, die zur Leistungserbringung benötigt werden (z. B. Schrauben im Handwerksbetrieb) und der „Lagerung“ von Personalreserven (z. B. Pausenraum). Sowie die „Lagerung“ des Externen Faktors, dies bezieht sich sowohl auf vom Kunden beigestellte Produkte als auch die Person des Kunden selbst



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(z. B. eingereichte Akten in der öffentlichen Verwaltung oder Patientenwartezimmer beim Arzt). Insgesamt kommt es auf eine bestmögliche Abstimmung der Angebotszeit (Endkombination) und der Bedarfszeit (des Externen Faktors) an. Dabei sind folgende Ausgestaltungen denkbar: •• der Verkauf und die externe Endkombination finden zu einem gemeinsamen Zeitpunkt statt, •• der Verkauf und die externe Endkombination finden zu verschiedenen Zeitpunkten statt (ein Ausgleich erfolgt über Anrechtsbelege), •• die Dienstleistung findet nach vorheriger Anmeldung statt, der Zeitpunkt wird vom Anbieter bestimmt, •• die Dienstleistung findet auf Abruf (selbsttätig) statt, den Zeitpunkt dazu bestimmt der Kunde, •• die Dienstleistung findet nach Bereitstellung (also Zug um Zug) statt, der Zeitpunkt wird von beiden Seiten gemeinsam bestimmt, •• die Dienstleistung findet während eines Zeitfensters des Anbieters statt (z. B. Ladenöffnungszeiten bei Vertrieb im Residenzprinzip), •• die Dienstleistung findet während eines Zeitfensters des Kunden statt (z. B. Bürozeiten bei Vertrieb im Domizilprinzip). 14.2.3 Abwicklungszeiten Die Abwicklungszeiten zur Leistungserbringung setzen sich aus Transferzeiten (Stützleistung), Vorbereitungszeiten (Stützleistung), eigentlichen Ausführungszeiten (Nutzleistung), Nachbereitungszeiten (Stützleistung) und Wartezeiten (Blindleistung) zusammen. Bei mangelnder Abstimmung von Angebots- und Bedarfszeit kommt es zu ärgerlichen Wartezeiten. Sie dienen weder der Produktion noch dem Verkauf von Dienstleistungen. Es handelt sich also um Verlustzeiten zum Transfer und zur Abwicklung zwischen Internen und Externen Faktoren. Transferzeiten (für den Externen Faktor) sind u. a. erforderlich für Fahrten zum Dienstleister und zurück, für die Suche nach einem Parkplatz, für Wege innerhalb des Gebäudes. Sie können abgebaut werden durch geeignete Standortwahl (verkehrsgünstig gelegen, ausreichendes Parkplatzangebot), innerbetriebliche Leitsysteme (Piktogramme) oder Nutzung von Tele- anstelle Face to Face-Kommunikation, Abholbzw. Bringservices sowie Veredelung von Dienstleistungen. Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten sind u. a. erforderlich für Terminabsprachen, Ausfüllen von Formularen, Übergabe bzw. Übernahme eingebrachter Objekte (beigestellte Produkte), Buchungen oder Check-outs. Sie dienen der

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Vor- bzw. Nachbereitung der eigentlichen Leistungserbringung. Sie können durch Verfahrensvereinfachung (Standardisierung der Prozesse) oder Externalisierung der Leistungserbringung (Prosumer) bzw. Automatisierung der Leistungserstellung abgebaut werden. Wartezeiten überbrücken Pausen zwischen Stufen der Leistungserbringung bzw. vorher und nachher. Auch sie können durch die Schaffung von Unterhaltungs- bzw. Aktivitätsmöglichkeiten (z.  B. Monitor mit Videoprogramm im Sichtfeld des Zahnarztpatienten) oder Unterlassung der sichtbaren, aber unverständlichen Vorzugsbehandlung einzelner Kunden vor anderen abgebaut werden (z. B. getrennte Sprechstundenzeiten für Privat- und Kassenpatienten). Hilfreich sind allgemein die frühzeitige Einbeziehung des Kunden in alle Prozessphasen oder seine Information über plausible Wartegründe und die voraussichtliche Wartedauer (etwa durch eine Restwartezeitanzeige), eine vorherige Terminvereinbarung, die dann aber auch realistisch sein sollte, die Trennung von Angebotselementen mit unterschiedlichem subjektiven Wert, etwa als Schnellservice für limitierte Leistungsumfänge (z. B. Express-Schalter), eine zeitliche Preisdifferenzierung (Yield Management), bei der höhere Preise Kunden in Stoßzeiten verdrängen, ein flexibler Personaleinsatz nach Kundenanfall (z. B. durch Einsatz von Teilzeitkräften) und entsprechende arbeitsorganisatorische Vorkehrungen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Zeitverkürzung. Die lineare Strategie strebt eine Verkürzung aller drei Arten von Wartezeiten (Transfer-, Abwicklungs-, Transaktionszwischenzeiten) an. Dazu ist eine bessere Abstimmung der Teilprozesse aufeinander erforderlich. Die prozedurale Strategie strebt die Füllung der Transfer-, Abwicklungs- und Wartezeiten durch andere Aktivitäten an (z. B. Beschäftigung). Es ist auch eine Kombination aus linearer und prozeduraler Strategie denkbar. Als allgemeine Anhaltspunkte zum Umgang mit Wartezeiten sind die Folgenden hilfreich. Aktiv verbrachte Zeit wird im Vergleich zu passiv verbrachter Zeit von Kunden als kürzer empfunden. Wartezeiten während des Prozesses (z. B. zwischen Setzen einer Betäubungsspritze und Aufbohren einer Kavität beim Zahnarzt) erscheinen kürzer als das Warten auf den Prozess selbst (also die Zahnbehandlung). Wartezeiten, die mit Ungewissheit verbunden sind, werden als länger wahrgenommen. Weiß man, wie lange die Wartezeit dauern wird, erscheint sie kürzer (deshalb wird im ÖPNV vielfach die verbleibende Zeit herunter gezählt). Gleiches gilt, wenn man weiß, warum es so lange dauert (z. B. Hinweis auf einen zwischengeschobenen Notfall in der Arztpraxis). Wartezeiten, die interpersonell als „fair“ empfunden werden, werden als kürzer wahrgenommen als „unfaire“. Wartezeiten auf subjektiv „wertvolle“ Dienstleistungen werden als kürzer erlebt. Wartet man innerhalb einer Gruppe, vergeht die Wartezeit meist schneller als allein (wobei es allerdings auch auf die Interaktion in der Gruppe ankommt, ggf. erscheint die Wartezeit in der Gruppe dann sogar länger).



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Kundendienstleistungen

Bei Kundendiensten handelt es sich um sach- oder dienstleistungsbegleitende Dienstleistungen. Dabei können verschiedene Arten unterschieden werden (siehe Abb. 97). Nach dem Inhalt gibt es vorwiegend kaufmännische Kundendienste, die wirtschaftliche Dimensionen abdecken und vorwiegend technische Kundendienste, die verfahrenstechnische Dimensionen abdecken. Zu ersteren gehören etwa Beratung, Wirtschaftlichkeitsanalyse, Bestelldienst etc., zu letzteren etwa Installation, Wartung, Entsorgung etc. Nach dem Zeitpunkt relativ zum Kauf gibt es Vorkaufkundendienste und Nachkaufkundendienste. Erstere (Pre Sales Services) dienen der Akquisition, dazu gehören etwa telefonische Bestellannahme, Anproberäume, Inzahlungnahme etc., letztere (After Sales Services) der Kundenbindung, dazu gehören etwa Zustellung, Verpackung, Änderungsservice etc.

   

 



  

  



 

 

 



 

  

Abb. 97: Kundendienstarten

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Nach dem Absender gibt es industrielle, also herstellereigene und institutionelle, also herstellerfremde Kundendienste. Bei ersteren ist der Dienst- bzw. Sachleistungsanbieter zugleich der Kundendienstleister, letztere werden hingegen durch eigenständige Service Providers (Third Party Maintenance) erbracht, nicht aber durch den Dienst- oder Sachleistungsanbieter selbst. Nach den Adressaten gibt es konsumtive Kundendienste im Rahmen der Privatkundenbeziehung (B-t-C) und produktive Kundendienste im Rahmen der Gewerbekundenbeziehung (B-t-B). Zu ersteren gehören etwa Leihgerätbereitstellung, Transportversicherung, Ersatzteilversorgung etc., zu letzteren etwa Zeitanalyse, Risikountersuchung, Durchführbarkeitsstudie, Dokumentenerstellung etc. Nach der Auslegung gibt es standardisierte und individualisierte Kundendienste, erstere werden einheitlich für mehrere oder alle Kunden erbracht (z. B. Reinigung der Geschäftsräume), letztere werden speziell nach den Wünschen der Abnehmer erstellt (z. B. Anpassung des IT-Referenzmodells an die jeweilig anzutreffenden Geschäftsprozesse). Nach der Leistungserbringung gibt es personelle und maschinelle Kundendienste. Erstere werden von den Mitarbeitern des Kundendienstbetriebs oder von ihm beauftragten Externen persönlich erbracht, letztere werden von Automaten selbsttätig, allenfalls unter menschlicher Bedienung oder Aufsicht, erbracht. Der Trend zu dieser Automatisierung ist durch technischen Fortschritt und Entlastung von Kosten manifest. Nach dem Leistungsbezug gibt es persönliche Kundendienste und apparative Kundendienste. Erstere werden an einzelnen Personen / Personenmehrheiten erbracht, und zwar unmittelbar subjektgerichtet (z. B. Personalschulung) oder mittelbar subjektgerichtet (z.  B. Finanzierung für den Kfz-Käufer), letztere werden an Objekten im Eigentum / Besitz dieser Personen erbracht (z. B. Reparatur). Hinsichtlich der Verpflichtung können obligatorische Kundendienste, die rechtlich so vorgeschrieben sind und daher nicht positiv differenzieren können (Muss-Leistungen, z. B. Kfz-Haftpflichtversicherung beim Autokauf), präferenzielle Kundendienste, die zwar nicht verpflichtend, wohl aber marktüblich sind (Soll-Leistungen, z. B. Umtausch bei Fehlkauf einwandfreier Produkte) und fakultative Kundendienste, die nicht unbedingt marktüblich sind (Kann-Leistungen, z. B. Video- / Online-Zugang im Zug), unterschieden werden. Nach der Affinität zur Primärleistung kann diese hoch, mittel oder niedrig ausgeprägt sein. Da hochaffinie, primärleistungsnahe Kundendienste bereits weit verbreiteter Status im Markt sind, besteht die Tendenz, zunehmend fernere, mittel- bis niedrigaffine Services anzubieten. Deren akquisitorische Wirkung ist jedoch zweifelhaft und deren ökonomische Tragfähigkeit bei genauerer Betrachtung häufig nicht gegeben.



14.   Vertrieb von Dienstleistungen557

Die Berechnung erfolgt einzeln ausgewiesen, und zwar gewinnbringend, vollkosten- bzw. teilkostendeckend, oder pauschaliert, teils mit Selbstbeteiligung des Kunden, oder im Preis der Primärleistung bereits eingerechnet. Grundsätzlich gilt, dass Leistungen, die nutzbringend wirken, vom Kunden akzeptiert sind und ihm auch berechnet werden können / sollen. Die Organisation der Kundendienste kann zentral, also über ein Servicezentrum, z. B. bei Facharbeiten wie Flugzeug-Wartung, oder dezentral über Kundendienststützpunkte in der Fläche ausgelegt sein (Niederlassung, Filiale, Werkstatt etc.), wenn die Arbeiten weniger anspruchsvoll ausgelegt oder kurze räumliche Entfernungen erforderlich sind. Aus diesen Stellgrößen kann jeder Anbieter sein eigenes Kundendienstprofil erstellen. Klar ist, dass nicht nur Produkte als Primärleistungen in Frage kommen, sondern auch Dienste, es sich dann also um eine doppelte Dienstleistung handelt, einmal die selbstständige Dienstleistung an sich und dann der dienstleistungsbegleitende Kundendienst (z. B. Kaffee beim Frisör, Zeitschriften in der Arztpraxis, Autowäsche in der Kfz-Werkstatt).

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15.

C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Vertrieb an Gewerbekunden

Das Unterkapitel „Vertrieb an Gewerbekunden“ beschäftigt sich im Wesentlichen mit zwei Aspekten, den übergreifenden Merkmalen des Gewerbekundengeschäfts (15.1) und den Besonderheiten der verschiedenen Geschäftsarten dort (15.2). Wichtig ist dabei zu realisieren, dass auf jeden Euro Privatkundenumsatz ca. 250 % Gewerbekundenumsatz kommen (nach Backhaus u. a.). Das heißt, Gewerbekunden sind primär im Vertrieb. Leser kennen nach Durchsicht dieses Unterkapitels die Besonderheiten des Gewerbekundengeschäfts (B-t-B) und dessen Entwicklungslinien. Sie verstehen darüber hinaus die Besonderheiten der verschiedenen Geschäftsarten im B-t-B in Form von Anlagen, Rohstoffen, Systemen, Zulieferungen und Produkten. Dabei können sie diese Erkenntnisse auf geeignet erscheinende Situationen systematisch-analytisch fundiert übertragen. 15.1

Merkmale des Gewerbekundengeschäfts

Der Gewerbekundenmarkt ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet, die bei näherem Hinsehen dann doch keine so großen Besonderheiten sind. Vielmehr gelten die wesentlichen Einflussfaktoren bei Privatkunden wie Internationalisierung, Dienstleistungsanteil, Kundenbeziehungsmanagement erst recht für Gewerbekunden. Insofern sind wohl allenfalls Adaptationen erforderlich, aber die Entwicklungslinien der Vertriebspolitik stimmen überein. 15.1.1 Vertriebsrelevante Marktkennzeichen Der Gewerbekundenmarkt ist der Markt für den gewerblichen Ge- und Verbrauch von Produktions- und Investitionsgütern. Dafür lassen sich eine Reihe von Besonderheiten wie folgt ausmachen. Der Kaufentscheid erfolgt oft durch ein Kollektiv im Wege gruppendynamischer Prozesse mit organisiertem, meist kollektivem Kaufentscheid im Buying Center. Dabei sind mehrere Beteiligte involviert (Buyer, User, Influencer, Decider, Gatekeeper). Dies hat vor allem zwei Gründe. Erstens sind die finanziellen Dimensionen von Industriegüterobjekten oft so hoch, dass es nicht opportun erscheint, die Entscheidung dafür oder dagegen von einer Person abhängig zu machen. Vielmehr kann die Qualität der Entscheidung gesteigert werden, wenn verschiedene Personen, möglicherweise aus verschiedenen funktionalen Bereichen, ihre jeweilige Einschätzung einbringen. Zweitens ist jedoch der Wunsch nach Absicherung des Arbeitsplatzes ausschlaggebend. Eine Einzelperson macht sich sehr angreifbar, falls ihr Entscheid sich posthum als falsch herausstellt. In einem Kollektiv kann sich jeder Teilnehmer jedoch hinter der Gremienentscheidung „verstecken“. Die negativen Konsequenzen einer falschen Entscheidung



15.   Vertrieb an Gewerbekunden559

schlagen also nur vermindert durch. Dass die positiven Konsequenzen einer richtigen Entscheidung dafür nicht allein eingezogen werden, tritt demgegenüber dahinter zurück. Dabei ist bekannt, dass Gremien zu Entscheidungsdefekten neigen. Wohl jeder kennt die Situation, dass man aus einem Meeting kommt und die Beteiligten im Nachhinein ihr Unverständnis über die kollektiv getroffene Entscheidung ausdrücken. Offensichtlich ist es also möglich, dass Gremien Entscheidungen treffen, die jeder einzelne Teilnehmer so nicht getroffen hätte. Da jeder sich jedoch mit seinen Zweifeln allein wähnt, denn sonst würden die anderen sich schließlich kritisch geäußert haben, bleiben Einwände unausgesprochen. Bekannt ist, dass Gruppen entweder zu übertrieben risikoreichen Entscheiden neigen, weil sich die negativen Konsequenzen auf mehrere Schultern verteilen und Risikofreudigkeit als sozial akzeptierte Eigenschaft gilt oder zu übertrieben risikoscheuen Entscheiden, weil die Bedenkenträger nur noch einen unzuläng­ lichen Restkompromiss zulassen, der zur Zielerreichung ungeeignet ist. Es handelt sich um eine überschaubare Anzahl von Anbietern und eine beschränkte Zahl von Nachfragern mit der Folge eines nicht-anonymen Marktes. In den meisten Industriegütermärkten ist bekannt, wer in der Lage ist, eine bestimmte anspruchsvolle Leistung zu erbringen und diesen wiederum ist bekannt, wer Bedarf an solchen Leistungen hat. Insofern herrscht häufig eine hohe Markttransparenz vor. Dies gilt sogar bei weit verbreitet internationalen Geschäftstätigkeiten, so dass eine disziplinierende Wirkung auf alle Beteiligten davon ausgeht. Kein Akteur kann es sich leisten, „verbrannte“ Erde zu hinterlassen, weil die Anzahl der übrig bleibenden alternativen Transaktionspartner gering ist und eine hohes Maß an informationellem Austausch dafür sorgt, dass der Kreis möglicher Partner weiter schrumpft. In Konsumgütermärkten hingegen kennt der Anbieter seine Kunden nur sehr ungenau und kann allenfalls auf allgemeine statistische Daten zurückgreifen. Oftmals bestehen bereits langjährige Geschäftsbeziehungen. Diese hohe Transparenz führt zweifellos zur Disziplinierung in der Zusammenarbeit. Anders als in anonymen Märkten, wo das quantitative Verhältnis beider Marktseiten sehr ungleichgewichtig ist, besteht hier eine engere Bindung der Marktteilnehmer mit der Folge zur Selbstbeschränkung. Anders als in Konsumgütermärkten sind häufige Anbieterwechsel untypisch. Dies hängt vor allem davon ab, dass viele Leistungsobjekte eine hohe Spezifität aufweisen, d. h. kunden- bzw. problemlösungsindividuell konzipiert und erstellt worden sind und damit nicht ohne Weiteres von einem Partner zu einem anderen transferiert werden können, ohne Verluste hinzunehmen. Dies motiviert zu einem gewissen Maß an Geschäftstreue. Insofern kommt es zu stabilen Marktpartnerbeziehungen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass Ausweichmöglichkeiten auf weitere Anbieter bzw. Kunden meist eng begrenzt sind. Zum anderen aber auch darin, dass bei der wirtschaftlichen Bedeutung des jeweils anstehenden Kaufentscheids die

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Erfahrung aus bereits erfolgreich abgewickelten Geschäftsbeziehungen der Vergangenheit angestrebte Sicherheit vermittelt. Überwiegend sind stark formalisierte Willensbildungsprozesse vorhanden. Deshalb sind die Ergebnisse wohl abgewogen und werden unter mehreren Gesichtspunkten von verschiedenen Personen beleuchtet. Allerdings spielen immer wieder auch irrationale Faktoren eine Rolle. Außerdem ist der Anteil der einzelnen Beteiligten am Endergebnis schwierig zu steuern oder nachzuvollziehen und wechselt von Fall zu Fall. Die Formalisierung dient vor allem der Nachvollziehbarkeit einer Entscheidungsfindung und erfolgt durch Scorings, Checklists oder Nutzwertanalysen. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine strikt rationale Entscheidungsfindung vorherrscht. Dies liegt in den Personen begründet, die im Konsumgüter- und Industriegüterbereich letztlich die selben sind. Es wäre auch befremdlich, wenn eine Person, die im privaten Bereich, ihr eigenes Budget betreffend, durchaus emotional basierte Kaufentscheide tätigt, kaum dass sie das Werkstor passiert hat, zum reinen „Number Chruncher“ mutieren würde. Vielmehr bleiben Entscheide von irrationalen Faktoren wie Präferenz, Kompetenz­ anmutung, Sympathie, Vertrauen etc. geprägt, nur hat man als Manager gelernt, diese Faktoren hinter rational erscheinenden Formalia zu verbergen. Am Ende geht es aber darum, dass ein Kauf ohne persönliches Involvement der Entscheider im Industriegüterbereich ebenso untypisch ist wie im Konsumgüterbereich. Zur Not wird der Rationalität durch Gestaltung der Kriterienauswahl, durch entsprechende Punktvergabe oder Gewichtung der Kriterien nachgeholfen. Dies kann man gar nicht hoch genug wichten. Es sind lange, harte Entscheidungsprozesse mit ökonomischer Bewertung gegeben. Das heißt, das Angebot eines Industriegüterherstellers wird selten unverhandelt akzeptiert oder abgelehnt. Vielmehr liegt wegen der Komplexität der Materie meist das Erfordernis der Nachverhandlung und Erläuterung vor. Dazu treffen sich die Mitglieder des Buying Centers auf Abnehmer- und des entsprechenden Selling Centers auf Lieferantenseite, um gemeinsam Details eines Angebots zu diskutieren. Dies bietet sich vor allem an, um Äquivalenz in den Verhandlungsbedingungen herzustellen. Allein eine numerische Unterlegenheit führt zu einer gravierenden Verschlechterung der Position. Zudem ist es hilfreich, wenn die Kompetenzen des Buying Centers im Selling Center gespiegelt werden, so dass jeder Kundenentscheider einen Ansprechpartner auf der Lieferantenseite findet. Dabei kommt es darauf an, durch geschickte Argumentation und Rollenverteilung die eigene Position zu stärken. Die Illusion einer Win-Win-Situation ist dabei regelmäßig nur durchzuhalten, wenn dies zulasten einer außenstehenden dritten Partei geht. Denn insgesamt handelt es sich bei geschäftlichen Transaktionen für gewöhnlich um Null-Summen-Spiele. WinWin-Konstellationen dienen im Wesentlichen der Stützung der Fiktion einer Partnerschaft zwischen den Akteuren und verdecken, dass es letztlich darum geht, die eigene Position gegen andere zu verteidigen.



15.   Vertrieb an Gewerbekunden561

Industriegüter sind häufig erst nach relativ großen Zeitabständen erneuerungsbedürftig, so dass die Chance, demselben Kunden die gleiche Ware erneut zu verkaufen, von Erweiterungsinvestitionen einmal abgesehen, eher gering ist. Dementsprechend wichtig ist es, einen Geschäftsabschluss jetzt zu erreichen. Anders als bei Serien- und Massenprodukten, bei denen von einem stetigen Nachfragefluss ausgegangen werden kann, sind viele Industriegüter durch diskontiniuerlichen Auftragseingang charakterisiert. So kann es durchaus vorkommen, dass über eine längere Zeit kein Auftragseingang zu verzeichnen ist, was gravierende betriebswirtschaftliche Konsequenzen hat. Denn die Fixkosten der Leistungsbereitschaft sind, zumindest kurzfristig, nicht abbaubar und mutieren zu Leerkosten, wenn ihnen keine Erlöse gegenüber gestellt werden können. Dies kann über Cash-flow-Abflüsse durchaus zu Illiquiditätsgefahren führen und damit zur Notwendigkeit der Insolvenzanmeldung. Aber es kann auch vorkommen, dass mehrere Projekte zeitnah eingehen, so dass die bestehenden Kapazitäten nicht ausreichen, die Nachfrage zu bedienen. Dann führen Wartezeiten rasch zu Unzufriedenheiten bei Kunden, was unbedingt zu vermeiden ist. Eine Ausweitung der Kapazität ist umso schwieriger, je höher deren Spezifität ist, d. h., je spezieller sie auf die Prozesse eines Anbieters ausgerichtet und daher auf andere nicht ohne Weiteres übertragbar ist. Im Personalbereich wird eine Ausweitung zudem zurückhaltend betrachtet, da man sich von eingestellten Mitarbeitern in konjunkturellen Flautezeiten, aus guten sozialpolitischen Gründen, nicht mehr ohne Weiteres lösen kann. Gleichzeitig ist damit eine hohe Bindungsdauer gegeben, d. h., die einmal festgelegte Entscheidung gilt für eine nennenswerte Zeitspanne und kann so schnell nicht revidiert werden. Damit ist eine Unterstützung bei der finanziellen Gegenleistung erforderlich. Diese erfolgt im Rahmen des Financial Engineerings, d. h. maßgeschneiderter Finanzierungskonzepte, die den hohen Auftragswert oft erst in die finanzielle Reichweite von Abnehmern rücken. Ohne solche Finanzierungskonzepte sind nennenswerte Abschlüsse kaum noch darstellbar. Es hilft wenig, wenn ein Nachfrager ein Angebot attraktiv findet, sich dieses aber nicht leisten kann oder, häufiger, nicht leisten will. Eine solche Absatzfinanzierung macht aus Nachfragersicht naturgemäß nur Sinn, wenn damit Konditionen verbunden sind, die vorteilhafter ausfallen als wenn der Nachfrager selbst sich die Finanzmittel besorgt oder bereitstellt. Dafür kommen mehrere Ansatzpunkte in Betracht. Erstens kann ein Unternehmen nur begrenzt kreditfähig sein und muss daher prohibitiv hohe Zins- und Tilgungszahlungen leisten. Dann reicht bereits ein zu marktüblichen Konditionen bereitgestellter Kredit zur Präferenzbildung aus. Oder das Kundenunternehmen verfügt nur über ein schlechteres Rating als das Lieferantenunternehmen. Dann kann letzteres ersterem die Vorteile seiner besseren Bonität weitergeben. Oder die Öffentliche Hand im Lieferantenland unterstützt die Wirtschaftstätigkeit seiner Unternehmen durch Einräumung von Kreditsicherheitsleistungen, die das Risiko einer Absatzfinanzie-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

rung mildern oder Ausfallleistungen ermöglichen. Dies ist etwa im Exportgeschäft durch staatliche Unterstützung zulasten des Steuerzahlers üblich. Es ist ein kurzer Vertriebsweg vorhanden, meist erfolgt sogar Direktvertrieb, also im unmittelbaren Kontakt zwischen Hersteller und Endabnehmer. Dies hat den Vorteil, dass der Hersteller seine Vermarktungsaktivitäten ohne die Gefahr negativer Beeinflussung durch autonome Handelsstufen steuern kann. Andererseits benötigt er umfangreiche Kapazitäten zur Beratung und Betreuung seiner Kunden. Allerdings wird oftmals der Produktionsverbindungshandel (PVH) als Form des Großhandels im B-t-B-Bereich eingeschaltet, der Waren ohne wesentliche Be- oder Verarbeitung von Herstellern zu Weiterverarbeitern leitet. Der direkte Vertriebsweg ist von unschätzbarem Vorteil, weil er Möglichkeiten bietet, die sich Konsumgüterherstellern schon seit langer Zeit verbieten. So ist die Preis- und Distributionshoheit auf den Handel als nachfragemächtigem Abnehmer übergegangen. Damit sind dem Hersteller zentrale Instrumente der Marktbearbeitung praktisch aus der Hand genommen. Industriegüterhersteller sind jedoch Kanalführer gegenüber ihren Kunden, da sie die Aktionsparameter, innerhalb vorgegebener Restriktionen, nach eigenem Wunsch einsetzen können. Das Angebot besteht aus komplexen Hardware-Software-Kombinationen (Systems Selling). Immer bedeutsamer wird dabei, neben der reinen Gerätelösung, auch die notwendigen anwendungsbezogenen Hilfen zu geben, um im harten internationalen Wettbewerb zu bestehen. Darin drückt sich ganz konkret bereits eine kundenorientierte Denkweise dieses Sektors aus. Während es früher nicht selten vorkam, dass das Industriegut geliefert bzw. aufgestellt und dann der Abnehmer mit den üblichen Problemen der Inbetriebnahme allein gelassen wurde, gehört es heute zu den Selbstverständlichkeiten, auch die Implementierung der Anlage zu übernehmen. Damit lassen sich gerade auch Preisnachteile in der Hardware kompensieren, vorausgesetzt man bietet kundennutzen-intensive Lösungen an. Dies ist besonders am deutschen Standort relevant, denn weder preislich noch technisch sind nennenswerte Vorteile gegeben. Erst durch die intelligente Bündelung mit kaufbegleitenden Dienstleistungen können häufig daraus resultierende Nachteile überkompensiert werden. Ebenso typisch ist der Drittparteieneinfluss durch Architekten, Betriebsingenieure, Berater etc. Diese nehmen qua Fachkompetenz Einfluss auf die Entscheidung über Art, Umfang, Auslegung etc. des Industrieguts und damit auch auf die Anbieterwahl. Oft werden diese Berater auch erst genau zu jenem Zweck engagiert. Da sie über fremdes Geld befinden, bedürfen sie ihrerseits eines hohen Verantwortungsbewusstseins. Ob sie allerdings als Externe in der Lage sind, die nachfragerspezifischen Bedarfe und Potenziale besser einzuschätzen als Interne selbst, kann bezweifelt werden. Insofern ist die Einschaltung solcher Dritter oft nur Zeichen mangelnder Kompetenz der internen Stelleninhaber und damit die schlechteste aller Lösungen.



15.   Vertrieb an Gewerbekunden563

Von großer Bedeutung als Vorqualifikation sind Referenzen. Diese beziehen sich auf bereits erfolgreich abgewickelte vergleichbare Projekte des Anbieters und bieten damit willkommene Risikoreduktion. Dadurch wird aber zugleich der Markteintritt neuer Anbieter erschwert, die an referenzfähige Projekte nicht herankommen, weil ihnen eben die Referenzen dazu fehlen. Naturgemäß fragt sich jeder Interessent, wieso noch kein anderer Nachfrager auf das offerierte Angebot eingestiegen ist, wenn es denn tatsächlich so vorteilhaft ist, wie es dargestellt wird. Daher ist es für einen Anbieter unbedingt erforderlich, ein Referenzprojekt nachzuweisen. Dazu bedarf es nicht selten einer erheblichen Subventionierung, um den ersten Nachfrager davon zu überzeugen, eine Installation zuzulassen. Vorausgesetzt, diese „funktioniert“, kann sie dann zur Akquisition nachfolgender Kunden dienen. Gelingt ein solches Referenzprojekt nicht, besteht die Gefahr, dass auch nachfolgende Akquisitionen ins Leere laufen. Dadurch bleiben häufig bestehende Lieferanten unter sich, d. h., es kommt zu einem Marktschließungseffekt. Der Zuschlag von öffentlichen Aufträgen erfolgt meist durch Ausschreibung mit Ausschlussfristen, nur ausnahmsweise auch durch freihändige Vergabe. Dies unterstreicht die formalisierte Anbahnung von Kaufabschlüssen und führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der Offerten. Dabei muss das Lastenheft in jedem Fall erfüllt werden, davon abweichende Spezifikationen können nur zusätzlich angeboten werden. Aber auch im privatwirtschaftlichen Bereich sind Ausschreibungen zumeist Pflicht. Problematisch daran ist, dass dann ein Präferenzaufbau allenfalls dazu führen kann, dass ein Anbieter zum Kreis der angefragten Unternehmen bei geschlossener Ausschreibung gehört, aber keinen akquisitorisches Vorsprung mehr aufbauen kann. Daher ist es hilfreich, proaktiv bei potenziellen Kunden vorstellig zu werden, bevor diese eine Ausschreibung einleiten. Dies kann zwar die unliebsame Konsequenz einer Ausschreibung wohl kaum verhindern, aber man kann womöglich auf die Ausschreibungsbedingungen Einfluss nehmen. Dies kann erfolgen, indem man dem Nachfrager anbietet, bei deren Formulierung behilflich zu sein. Dabei sollten solche Kriterien in den Vordergrund gerückt werden, bei denen das eigene Unternehmen wettbewerbsüberlegen ist und solche in den Hintergrund gedrängt werden, bei denen anderen überlegen sind. Auf diese Weise können die Chancen für einen Zuschlag signifikant erhöht werden. Eine solche Handreichung stößt bei Nachfragern zudem infolge Arbeitsersparnis auf deren Seite nur selten auf Widerstand. Auf Grund dieser Umfeldbedingungen herrscht weitgehender Preiskonservatismus vor. Dies bezieht sich weniger auf die Preishöhe, denn diese gerät angesichts zunehmend internationaler Konkurrenz erheblich unter Druck, sondern vielmehr auf die Preis- und Konditionentaktik, die Nachlässe von Gegenleistungen abhängig macht. So ist es nicht üblich, im Rahmen der Bruttopreisbildung mit Aktionen zu agieren, wie das im Konsumgüterbereich zwischenzeitlich breit anzutreffen ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass auf intensive Preisverhandlungen verzichtet würde. Diese beziehen sich vielmehr auf den Nettopreis, betref-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

fen also die Konditionen. Diese lassen angesichts der Komplexität des Leistungsaustauschs breiten Raum für Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei ist sowohl an Zahlungs- wie auch an Lieferungsbedingungen zu denken, weiterhin an Rabatte und Kreditierungen. 15.1.2 Entwicklungslinien Die unterschätzte Bedeutung des Gewerbekundengeschäfts ist auch deshalb verwunderlich, als viele dominante Marketingentwicklungen in diesem Sektor bereits seit langem praktiziert werden. Dazu nur drei Beispiele. Seit geraumer Zeit wird die Notwendigkeit zur Internationalisierung proklamiert. Dabei wird auf die zunehmende Enge heimischer Märkte abgehoben, die es erforderlich macht, ins Ausland zu expandieren. In diesem Zusammenhang werden vor allem die Marktwahl, der Markteintritt und die Marktführung diskutiert. Im Industriegüterbereich ist die internationale Unternehmenstätigkeit längst etabliert. Schon immer haben spezialisierte Anbieter die einzige Chance zur Geschäftsausweitung im internationalen Engagement gesehen, so dass beeindruckende Auslandsmarktanteile gang und gäbe sind. Ein anderes Beispiel ist der hohe Dienstleistungsanteil der Geschäftstätigkeit. Man spricht von einer Dominanz der Dienstleistungen angesichts von Anteilen an der Bruttowertschöpfung bzw. Beschäftigtenzahl von jeweils gut 67 %. Dabei wird vor allem der Stellenwert von Kundendiensten zur Abrundung des wahrgenommenen Produktangebots proklamiert. Im Industriegüterbereich sind Angebotsbündel aus Sach- und begleitenden Dienstleistungen längst etabliert. Angesichts hoher Serviceansprüche der Nachfrager besteht anders kaum noch eine Chance, an Aufträge zu lukrativen Konditionen zu gelangen. Dies gilt vor allem angesichts möglicher Nachteile beim Sachleistungsanteil. Schließlich sei auch das Kundenbeziehungsmanagement angeführt. CRM ist ein zentrales Thema. Dabei geht es um den Aufbau, die Pflege, den Ausbau und den Erhalt von Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager. Daraus resultiert im Ergebnis der Kundenwert und daraus wiederum der Unternehmenswert, so dass diese Stellgröße von hoher Erfolgsbedeutung ist. Dies ist im Industriegüterbereich schon lange Handlungsmaxime. Bei weitgehend transparenten Märkten mit limitierter Anzahl von Akteuren auf Anbieter- wie Nachfragerseite ist eine nachhaltige Unternehmenssicherung nur darstellbar, indem beidseitig auf profitable, belastbare und weitreichende Zusammenarbeit gesetzt wird. Verscherzt es sich ein Anbieter mit einem Nachfrager, zieht dies leicht weite Kreise. Allein schon die oft lange Laufzeit der Transaktionsbeziehungen bedingt einen partnerschaftlichen Umgang miteinander, der durch gegenseitige Wertkettenverzahnung noch verstärkt wird.



15.2

15.   Vertrieb an Gewerbekunden565

Geschäftsarten im B-t-B

Der B-t-B-Sektor ist nicht homogen strukturiert, sondern unterscheidet sich zwischen mehreren Geschäftsarten sehr stark. Dabei können folgende Geschäftsarten zugrunde gelegt werden: Anlagen als klassische Investitionsgüter, Rohstoffe als klassische Produktionsgüter, Systeme als vernetzte Leistungselemente, Zulieferungen auf Basis des Outsourcings und Produkte mit konsumnahen Charakterisitika (siehe Abb. 98). 15.2.1 Vertrieb von Anlagen 15.2.1.1 Investitionsgüter Anlagen sind Leistungsangebote, die ein durch die Vermarktungsfähigkeit abgegrenztes, von einem oder mehreren Anbietern in einem geschlossenen Angebot erstelltes, kundenindividuelles Hardware- oder Hardware-Software-Bündel zur Fertigung weiterer Güter darstellen. Sie werden meist in Einzelfertigung oder Kleinserie gefertigt, regelmäßig erfolgt die funktionsfähige Montage erst beim Kunden (z. B. handelt es sich um Raffinerien, Walzwerke, Flugsicherungsanlagen). Im Anlagengeschäft werden komplexe Projekte vermarktet. Die Spezifikation der zu erstellenden Anlage wird zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt. Die Kaufentscheidung fällt projektspezifisch zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Realisierung des Projekts erstreckt sich dann meist über einen längeren Zeitraum. Das Projekt ist damit in der Regel abgeschlossen, systematische Erweiterungs- und Ergänzungskäufe finden nicht mehr statt. Als bestimmende Merkmale des Anlagengeschäfts gelten folgende. Es erfolgt regelmäßig eine kundenindividuelle, einmalige Leistungserstellung (Auftragsfertigung). Damit handelt es sich um Angebote, die gemäß jeweiliger Spezifikation speziell für einen Einsatzzweck zusammengestellt oder zumindest dafür modifiziert werden. Anders als bei Serien- und Massenfertigung handelt es sich häufig um Sorten- oder Einzelfertigung mit den daraus üblicherweise folgenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen für die Kalkulation. Denn bei kleinen Losgrößen oder gar der Losgröße 1 sind die Rüstkosten unverhältnismäßig hoch im Verhältnis zu den Erlösen, denn in jedem Einzelfall müssen neuerliche Produktionsvoraussetzungen geschaffen werden. Zur Lösung sind zwei Wege nutzbar. Der eine Weg führt über die Modularisierung von Leistungseinheiten. Dabei wird eine komplexe Leistung konzeptionell in einzelne Module zerlegt, deren Schnittstellen zueinander vorab exakt definiert werden. Dies erlaubt es, diese Module zu einer größeren Anzahl von Fertigprodukten zu kombinieren, die sich weitestgehend kundenindividuell darstellen, jedoch rationell zu produzieren sind. Denn jedes Modul wird standardisiert in einer größeren Stückzahl hergestellt, so dass die Vorteile der Kostendegression nutzbar sind. Dies setzt freilich voraus, dass bereits bei der Konstruktion jedes Moduls sämtliche Schnittstellen

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Geschäftsarten im B-t-B

Anlagen

Investitionsgüter

Immobilien

Rohstoffe

Urprodukte

Rohstoffähnliche Waren

Systeme

Lösungen

Charakteristika

Zulieferungen

Produkte

Bereiche

Markierung

Abb. 98: Geschäftsarten im B-t-B



15.   Vertrieb an Gewerbekunden567

zu anderen Modulen in Richtung Kompatibilität berücksichtigt sind. Dies gilt auch für die Änderung jedes einzelnen Moduls. Ein anderer Weg ist das Plattformkonzept. Dabei handelt es sich um eine zeitlich möglichst weit herausgezögerte Individualisierung in der Produktion (Postponement). Mehreren Leistungen liegt dabei eine gemeinsame Produktionsplattform zugrunde, die unter Nutzung von Kostendegression in größerer Stückzahl aufgelegt wird. Da jedoch kundenindividuelle Leistungen erforderlich sind, wird diese Plattform erst in einem möglichst weit fortgeschrittenen Fertigungsstadium heterogenisiert. Ab dann entstehen Kostenprogressionen durch Einzel- / Sortenfertigung. Da diese jedoch mehr oder minder weit unter den Rationalisierungseffekten des Plattformkonzepts liegen, kann per Saldo eine kostengünstige Lösung dargestellt werden. Langfristigkeit bedeutet, dass lange Zeiträume zwischen Angebotsabgabe, Auftragsvergabe und Projektabschluss liegen. Hier ist von der Multitemporalität und der Multioperativität die Rede. Erstere bedeutet, dass es sich um eine lange Transaktionsperiode von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Projektabnahme handelt. Dabei können nicht selten mehrere Jahre ins Land gehen. Letztere bedeutet, dass dabei mehrere Episoden durchlaufen werden, während derer bestimmte Teilschritte des Projekts abgearbeitet werden. Bei diesen Episoden ist aus Vertriebssicht an folgende Phasen zu denken: •• Problemweckung bei potenziellen Kunden, Bestimmung des Anforderungsprofils, Sicherstellung der Kontaktberücksichtigung, Akquisition von Anfragen, Erstellung von Angeboten, Beeinflussung der Bewertung, Erzeugung einer Anbieterpräferenz, Hingabe von Zugeständnissen, Lieferungsausführung und Geschäftsnachbereitung. Die Episoden stellen sich aus Nachfragersicht etwa wie folgt dar: •• Problemerkennung, Bestimmung des Bedarfs, Sondierung des Marktes nach potenziellen Lieferanten, Erstellung von Anfragen, Einholung von Angeboten, Vergleich dieser Angebote, Auswahl des präferierten Anbieters, Nachverhandlung der Geschäftsbedingungen, Kaufabwicklung und Nutzung / Integration des Kaufgegenstands. Gleichzeitig kommt jedem Kauf durch seinen bloßen Warenwert große Bedeutung zu, so dass nicht erreichte Abschlüsse nachhaltig auf das Unternehmensergebnis durchschlagen. Gleichfalls repräsentiert das Kaufobjekt einen hohen Projektwert im Budget des Nachfragers. Damit lohnt sich für ihn eine umfangreiche Informationssuche, um Angebote gründlich zu vergleichen und sorgfältig das für ihn vorteilhafteste auszuwählen. Das kaufmännische Volumen rechtfertigt also eine gründliche Auseinandersetzung mit der Transaktionssituation sowohl auf Anbieter- wie auf Nachfragerseite. Der grenzüberschreitenden Auftragsvergabe kommt große Bedeutung zu, somit ist die internationale Ausrichtung im Vertrieb weit fortgeschritten. Unter-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

nehmen der Anlagenbranche weisen daher erhebliche Auslandsmarktanteile auf. Dies liegt in der meist hohen Spezifität der vermarkteten Objekte begründet, die nur eine begrenzte Anzahl von Abnehmern zulässt. Um die für den Geschäftserfolg gewünschten Absatzvolumina dennoch darzustellen, bleibt selbst bei großen Binnenmärkten keine andere Chance, als Erlösquellen im Ausland aufzutun. Zudem ist es mit einem einfachen Export nicht getan, vielmehr verlangt der Charakter von Anlagen ein nachhaltiges Engagement in fremden Ländern und Kulturen. Weiterhin entsteht im Projektfortschritt eine enge Interaktion zwischen internationalen Unternehmen und deren Mitarbeitern. Dies alles führt dazu, dass Internationalität selbstverständlicher Bestandteil der Geschäftstätigkeit in der Anlagenbranche ist. Wegen des hohen Auftragswert kommt der Planung und Ausarbeitung von maßgeschneiderten Finanzierungskonzepten durch Erschließung und Kombi­ nation aller zweckadäquaten Alternativen als Absatzfinanzierung (Financial Engineering) hohe Bedeutung zu. Im internationalen Geschäft kommt häufig noch das Erfordernis einer Exportkreditversicherung hinzu. Nicht selten verlangt der Nachfrager, vor allem wenn es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt, auch die Errichtung lokaler Infrastrukturmaßnahmen. Üblich sind Anund Zwischenzahlungen nach Projekt-Fortschritt sowie durchaus auch Zahlungsziele von bis zu zehn Jahren. Neuerdings werden hier verstärkt computergestützte Angebotssysteme mit den Zielen der Abgabe korrekter und treffender Angebote, Erweiterung der Dienstleistungen (Finanzierungsberatung etc.), des aktuellen Informationsstands für alle Mitarbeiter, der sicheren Beurteilung des Kunden und seiner Bedarfe, der zielgenauen Nutzung der eigenen Vertriebs­ kapazität, der Abstimmung zwischen Vertrieb und Produktion sowie des Knowhow-Transfers eingesetzt. Dazu sind dann so verschiedenartige Elemente wie Kundendatenbank, elektronischer Produktkatalog, Know-how-Datenbank, Zeichnungsdatenbank, rechnergeführte Bedarfserhebung, Konfigurator („Angebots-Baukasten“), Kalkulation, Preisfindung, Finanzberatung, Folgekostenabschätzung, Zuordnung von Informationen, Angebotsdruck und Angebotsverfolgung erforderlich. Die Diskontinuität des Auftragseingangs ergibt sich daraus, dass jeweils Einzelaufträge akquiriert werden, die schwer planbar eingehen, dann aber über lange Zeit Beschäftigung sichern. Daraus entstehen erhebliche betriebsswirtschaftliche Probleme, denn die Betriebsbereitschaft muss aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich aufrecht erhalten werden. Diese verursacht Fixkosten, die zu einem gewissen Teil kalkulatorischer Natur sind und daher auf Zeiten besserer Beschäftigung vorgetragen werden können, zu einem gewissen Teil aber auch pagatorischer Natur, also ausgabewirksam, insb. Personalkosten. Dies bedeutet, dass schwankenden Einnahmen feste Ausgaben gegenüber stehen, die eine stetige Illiquiditätsgefahr bergen. Zumal der Fixkostenblock definitionsgemäß kurzfristig nicht abbaubar ist. Andererseits werden bei Auflaufen paralleler Aufträge rasch Kapazitätsgrenzen erreicht und überschritten, die dazu



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führen, dass Aufträge abgelehnt oder teuer extern untervergeben werden müssen, so dass dann, wenn Erlöse zu erwirtschaften wären, diese entgehen oder von womöglich hohen Kosten aufgezehrt werden. Dies ist eine sehr unwirtliche Beschäftigungssituation. Anlagen werden nicht mehr nur als „Hardware“, sondern als Hardware-Soft­ ware-Bündel angeboten, also mit produktbegleitenden Dienstleistungen (genauer Kundendiensten). Diese können sich vor allem auf kaufmännische und technische Dienste beziehen und sowohl vor dem Kaufabschluss als auch danach entstehen. Diesem Ansatz liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass auch im Anlagengeschäft das einzelne Produkt nicht mehr differenzierungsfähig ist, im Gegenteil häufig sogar komparative Nachteile aufweist. Dann ist es erforderlich, durch produktverbundene Kundendienste eine ganzheitliche Wahrnehmung des Angebots zu erreichen, die dann den Ausschlag zu eigenen Gunsten geben kann. Hinzu kommt, dass gerade Kundendienste sich einer unmittelbaren Preisvergleichbarkeit entziehen und damit Ertragspotenziale bieten sowie eine längerfristige Beziehung auch nach Projektabschluss ermöglichen und damit die Chance auf weitere Aufträge. Aufgrund der technischen Dominanz in diesem Bereich wurden dererlei Aspekte jedoch häufig vernachlässigt. Lag früher der Akzent der Vertriebsaktivitäten auf dem Vorkaufbereich, so ist heute klar, dass die entscheidenden Vorteile in der Nachkaufphase liegen. Inhaltlich ist dabei die Anbieterkompetenz notwendige Voraussetzung, vermag jedoch allein keine Konkurrenzvorteile mehr zu generieren. Hinzu treten muss zwangsläufig das Kundenbeziehungsmanagement, in dessen Mittelpunkt die emotionale Bindung zwischen den Mitarbeitern des Anbieters und des Nachfragers steht. Bei ansonsten gleichen Voraussetzungen (Ausschreibung), verschafft diese die hinreichende Voraussetzung für Geschäftserfolg. Auch im Gewerbekundengeschäft sind es Menschen, die interagieren und die neben unerlässlichen Daten und Fakten soziale Ansprüche haben, die befriedigt werden wollen. Anlagen bieten aufgrund ihres hoch involvierenden Charakters, ihrer Komplexität und Laufzeit geradezu ideale Bedingungen für ein solches Beziehungsmanagement. Die endgültige Ausgestaltung einer Anlage erfolgt oft erst unter Abnehmereinfluss. Spezifikationen sind nicht immer so eindeutig, dass sich daraus allein bereits ein befriedigend operationales Lastenheft ableiten lässt. Insofern kommt es zu einem engen Feedback mit dem Abnehmer. Umgekehrt ist sich der präsumptive Auftraggeber keineswegs immer so klar über Art, Umfang, Auslegung etc. der Anlage, dass sich auf dieser Basis schon ein verbindliches Angebot erstellen lässt. Hier wird dann das Know-how des Anbieters erforderlich, um zu einer praktikablen Lösung zu gelangen. So wie selten ein Haus so gebaut wird, wie es am Reißbrett des Architekten entworfen wurde, so wird selten eine Anlage so gebaut, wie sie bestellt wurde. Dies ist auch ganz normal so, stellt sich doch meist erst in der Konkretisierung heraus, dass vorgegebene Lösungen suboptimal bleiben oder relevante Erfordernisse nicht berücksichtigt sind. Eine

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Herausforderung, die daraus resultiert, ist die produktionsbegleitende Erfassung dieser Änderungswünsche und der kostenmäßigen bzw. preislichen Konsequenzen daraus. Wird dies nicht unmittelbar kalkulatorisch erfasst, können Schwierigkeiten in der Liquidierung daraus resultierender Mehrkosten entstehen, weil Änderungen vergessen, übersehen, rückwirkend schwer eingeschätzt oder auch negiert werden. Maßgabe hat daher zu sein, dass Änderungswünsche unmittelbar kalkulatorisch erfasst und dem Auftraggeber zur Genehmigung unterbreitet werden. Nur wenn dieser die Kosten freizeichnet, sollte geändert werden, denn dann besteht später ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch. 15.2.1.2 Immobilien Die Besonderheiten der Immobilie als Wirtschaftsgut und des Immobilienmarkts führen zur Notwendigkeit einer gesonderten Berücksichtigung, die am ehesten der einer Anlage vergleichbar ist. Zu den Besonderheiten der Immobilie als Wirtschaftsgut gehören: •• Standortgebundenheit durch räumliche und sachliche Teilmärkte, Heterogenität (nicht normiertes Angebot), Dauerhaftigkeit der Investition, hohe Investitionsvolumina, hohe Transaktionskosten (Formvorschriften und Sicherheiten), beschränkte Teilbarkeit, beschränkte Substituierbarkeit, geringe Markttransparenz (Thin Markets), Abhängigkeit von anderen Märkten (Zinsen, Steuern), geringe Anpassungselastizität an Marktveränderungen. Gewerbeimmobilien betreffen die Nutzung von Raum zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken, Wohnimmobilien betreffen die Nutzung von Raum zur Befriedigung von Wohnbedürfnissen (ist hier nicht relevant). Ein Immobilienprojekt ist ein Grundstück im Zustand der Bebauung (Entwicklung), das anschließend einer neuen bzw. veränderten Nutzung zugeführt wird sowie ein bebautes Grundstück, das bereits einer Nutzung zugeführt wurde. Dabei lassen sich drei Phasen unterscheiden: •• Projektentwicklung bedeutet, die Faktoren Standort, Projektidee und Kapital so miteinander zu verbinden, dass eine einzelwirtschaftlich rentable und zugleich gesamtwirtschaftlich sozialverträgliche Investition gewährleistet ist. Zentrale Entscheidungskriterien sind dabei Kosten, Qualität und Termin. •• Projektmanagement bedeutet die Wahrnehmung aller Führungsaufgaben, die zur zielorientierten Abwicklung eines Immobilienprojekts nach dessen Realisierungsentscheid erforderlich sind. •• Objektmanagement umfasst die Wahrnehmung kaufmännischer und technischer Dienste. Das Angebot rekrutiert sich aus Flächen und Räumen (durch Leerstand, Neubau, Umwidmung), die Nachfrage bezieht sich auf Eigennutzung, Mietnutzung oder Kapitalanlage. Das heißt, man teilt nach Vermietungs- und Verkaufsge-



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schäft, in der Makelung auch das Einkaufsgeschäft, ein. Voraussetzung für die effiziente Bearbeitung sind daher permanente Nutzer- und Standort-Analysen. Diese dienen vor allem der Kundennähe, einer intensiven Betreuung und optimalen Beratung. 15.2.2 Vertrieb von Rohstoffen Rohstoffe sind solche Industriegüter, die Bestandteile von Folgeprodukten werden, aber keiner weiteren Bearbeitung unterzogen worden sind als derjenigen, die erforderlich ist zur Verfügbarmachung, zum Schutz, zur Lagerung, zum Transport und / oder bei denen gewisse Manipulationen zur Erreichung der Vermarktungsfähigkeit vorgenommen wurden wie Zerkleinerung, Klassifizierung, Konzentrierung etc. Der Markt der Rohstoffe umfasst im Einzelnen Urprodukte und rohstoffähnliche Waren. 15.2.2.1 Urprodukte Urprodukte sind Anbauwaren, die aus der Natur gewonnen werden als landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Abbauwaren, die meist nicht regenerierbar sind. Rohstoffe sind dabei Ausgangsstoffe für nachfolgende Verarbeitungsstufen und werden ohne weitere Umformungsprozesse erstmals einer wirtschaftlichen Verwendung zugeführt. Sie verändern sich in der Produktion. Urprodukte umfassen im Wesentlichen land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Mineralien und fossile Träger. Diese werden zumeist als Commodities bezeichnet, die wiederum in Soft Commodities, d. h. börsenfähige Rohstoffe, die nicht-metallisch sind (Getreide, Zucker, Kakao etc.), und Hard Commodities, die metallisch sind, unterscheidbar sind. Für deren Börsenfähigkeit sind die Fungibilität (d. h. eine Einheit kann stellvertretend für alle anderen Einheiten stehen) sowie die Standardisierung der Kontrakte (in Bezug auf alle wesent­ lichen Vertragsbestandteile) Voraussetzung. Als atypische Commodities werden oft solche Rohstoffe bezeichnet, die nicht börsenfähig sind wie Business Goods (Geschäftsgegenstände), Capital Goods (Investitionsgüter), Consumer Goods (Verbrauchsgüter) und Staple Goods (Einsatzstoffe) sowie Halbfabrikate (Handelsware). Wesentliche Kennzeichen von Urprodukten sind die Folgenden. Die Geschäftstätigkeit ist standortgebunden nur dort möglich, wo Urprodukte gewonnen bzw. geerntet werden können. Der Marktzugang ist also objektiv begrenzt. Sofern es sich um nicht regenierbare Rohstoffe / Energien handelt, ist ein wesentliches Anliegen die Sicherung der Rohstoffverfügbarkeit, z. B. durch Abbaulimitationen, sowie die Recylierbarkeit der verwerteten Rohstoffe zur Rückgewinnung. Solche natürlichen Monopole sind wettbewerbspolitisch nicht angreifbar, denn sie beruhen auf objektiven Faktoren, nicht auf beschränkenden

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

­ bsprachen wie künstliche Monopole. Problematisch ist, wenn die RohstoffverA fügbarkeit dadurch gefährdet wird, dass diese Standorte in politisch anfälligen Gebieten liegen. Zumal, wenn keine adäquaten Ausweichmöglichkeiten bestehen. Dann müssen Zugeständnisse geleistet werden, um den Zugang zu diesen Rohstoffen nicht zu gefährden (etwa in Form von Joint Ventures mit den Ursprungsländern). Die Waren sind starken Quantitäts- und Qualitätsschwankungen unterworfen, die aus den Unwägbarkeiten natürlicher Bedingungen folgen, also z. B. Witterung, Fundstätte. Durch Bildung von Güteklassen soll deshalb eine Standardisierung erreicht werden. Bei Abbauwaren sind naturgegeben abweichende Qualitäten vorhanden. So gibt es Rohöl verschiedener Schweregrade, leichtere Rohöle sind einfacher zu verarbeiten, wohingegen schwerere Rohöl erst noch gecrackt werden müssen, um zu Mineralölprodukten verarbeitet werden zu können. Solche Qualitätsabweichungen sind auch bei Anbauwaren verbreitet, etwa wenn ungünstige Witterungseinflüsse auf den Geschmack von Weinen Einfluss nehmen. Dies ist so hinzunehmen. Quantitätsabweichungen entstehen aus der verschiedenen Ergiebigkeit von Abbaustellen, bis hin zur Erschöpfung einzelner Fundstätten bzw. zur Notwendigkeit überproportionalen Aufwands zum weiteren Abbau, der wirtschaftlich nicht mehr tragfähig ist. Bei Anbauwaren ergeben sich Quantitätsschwankungen durch Fehlernten, Schädlingsbefall oder Naturkatastrophen. Auch dagegen ist kaum etwas auszurichten. Diese Abweichungen ziehen jeweils erhebliche Preisschwankungen nach sich, da die Nachfrage oft mehr oder minder starr, das Angebot aber mengenmäßig schwankend ist. Insofern wird versucht, eine Homogenität der Urprodukte herzustellen, da ansonsten eine sinnvolle Handelbarkeit nicht gegeben ist. Dies geschieht durch Klassifikationen, denen Urprodukte innerhalb definierter Toleranzgrenzen zugeordnet werden. Diese erschwert die vertriebspolitische Einflussnahme erheblich. Denn Absicht ist für gewöhnlich die Profilierung und Absetzung des eigenen Produkts von anderen. Dort, wo dies tatsächlich gegeben ist, wird durch Klassifikationen gerade eine Vereinheitlichung des Angebots erreicht. Dabei werden alle Produkte, die gleichen Beurteilungskriterien entsprechen, zu einer Klasse zusammengefasst. Dabei ist es dann unerheblich, welches konkrete Produkt einer Klasse gerade gehandelt wird, denn alle Produkte sind in einer Klasse homogen. Ein Produkt steht stellvertretend für alle, nennenswerte Differenzierungsmöglichkeiten sind damit vereitelt. Diese Fungibilität der Waren ist unverzichtbare Voraussetzung für deren Handelbarkeit. Ansonsten wäre es erforderlich, die jeweilige Ware physisch am Ort des Verkaufs zu Prüfzwecken vorrätig zu halten. Dies wäre bei den gehandelten Volumina unmöglich. So reicht die glaubhafte Zuordnung zu einer Güteklasse aus, die Identität der Waren zu sichern, eine Überprüfung erübrigt sich, damit auch die Notwendigkeit der physischen Verfügbarkeit von Waren.



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Der Handel erfolgt an Warenbörsen. Dort werden An- und Abbauwaren auf Termin ge- und verkauft. Die Kontrakte sind dabei vollkommen standardisiert. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Qualitäten, sondern auch die Quantitäten, Lieferzeiten und -orte, so dass der Preis das einzige Differenzial darstellt. Der Handel an Warenbörsen birgt beiderseitige Chancen und Risiken. Nachfrager können sich damit auf Termin die Konditionen von heute für eine spätere Lieferung sichern. Dies ist vorteilhaft, wenn man davon ausgeht, dass die Preise steigen werden, denn dann ist die Lieferung zum jetzt vereinbarten, niedrigeren Preis fällig, unabhängig davon, wie der Preis zum Liefertermin lautet. Allerdings gilt dies auch, wenn der Preis zwischenzeitlich gefallen ist, dann hat der Verkäufer den Vorteil, weil er sich den höheren Preis von heute für eine spätere Andienung sichert. Die Erwartungen von Käufer und Verkäufer sind also genau entgegengesetzt. Dies macht für Nachfrager etwa Sinn, wenn mit Lieferengpässen zu rechnen ist oder auch nur eine feste Kalkulationsbasis erreicht werden soll bzw. für Anbieter, wenn mit einem Warenüberschuss zu rechnen ist oder eine feste Erlösbasis gesichert werden soll. An Optionsbörsen erfolgt der Handel auf Termin ohne konkrete Liefer- bzw. Abnahmeabsicht. Da bei Abschluss jeweils nur eine Anzahlung zum Kontrakt erforderlich ist, kann auch nur aus spekulativen Absichten heraus gehandelt werden. Die Kontrakte werden dann im positiven Fall erfüllt und erzeugen ­einen Differenzialgewinn und im negativen Fall verfallen gelassen, wobei nur die Einschusssumme, nicht aber der gesamte Abschlussbetrag verloren geht. Die Märkte für Urprodukte werden infolge ihrer geringen Angebotselastizität, oft zu unrecht, als wenig funktionsfähig angesehen, weshalb sie bewirtschaftet (z. B. Agrarmarkt) oder besichert (z. B. durch Termingeschäft) sind, wodurch deren Marktergebnisse aber nicht unbedingt besser werden. Das Postulat nichtfunktionsfähiger Urproduktemärkte ist mit Skepsis zu betrachten. Ihm liegt die Meinung der nationalen wie internationalen Politik zugrunde, „schlauer“ als der Markt zu sein, also in der Lage, Unzulänglichkeiten des Marktes durch Eingriffe proaktiv korrigieren zu können. Dies ist jedoch insofern zweifelhaft, als der Markt die gebündelte „Intelligenz“ aller Marktteilnehmer repräsentiert und es fraglich scheint, dass einige wenige Akteure, wie „schlau“ sie individuell auch immer seien, in der Lage sind, diese „Intelligenz“ zu überbieten. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass diese Märkte erst durch dirigistische Eingriffe dysfunktional werden. Dies kann an den grotesken Auswüchsen des europäischen Agrarmarkts nachvollzogen werden. Sicherlich ist eine Anfälligkeit durch Angebots- und Nachfrageschwankungen gegeben. Es steht jedoch zu bezweifeln, ob diese Nachteile wirklich größer sind als die Nachteile, die durch unüberschaubare Regulierungen, vor allem weitgehend unabhängig vom Marktpreisniveau zugesicherte Mindestpreise, im Markt verursacht werden. Die Konsequenzen sind hinlänglich bekannt, es entstehen Butterberge, Schweineberge etc., die mit großem Aufwand zuerst gelagert und dann zu Bruchteilen der Gestehungskosten verkauft oder gar verschenkt werden. Der Preis für ver-

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

meintliche Dysfunktionalitäten scheint damit sehr hoch bemessen zu sein, vielleicht höher als es wert ist. Es kommt immer wieder zu natürlichen Monopolen aufgrund gegebener, nicht beeinflussbarer Betriebsbedingungen, die nicht wettbewerbsrechtlich, wohl aber sozialpolitisch angegriffen werden. Ökonomisch ist der hohe Konzentrationsgrad nicht zu beanstanden. Oft steht dem sogar eine Nachfragemacht entgegen. Natürliche Monopole bieten, vor allem im Bereich der nicht-regenerativen Energiestoffe, latent das Potenzial zur Druckausübung. Daher wirken hier erhebliche politische Interessen ein. Historisch sind die Aktivitäten des OPECKartells im Nahen Osten bekannt. In dem Maße, wie jedoch Ölvorkommen in „sicheren“ Gebieten genutzt werden konnten, schwand die Monopolstellung und damit auch die Machtbasis. Aktuell sind gleiche Tendenzen in Bereich der Erdgasvorkommen zu beobachten, die zumal bei zunehmender Erschöpfung der Erdölreserven, an Gewicht gewinnen. Dabei ist vor allem an die Länder der ehemaligen Sowjetunion zu denken. Da die Nachfrage gleichzeitig preisstarr und durch Takeoff Markets verursacht, steigend ist, besteht wiederum ein erhebliches „Erpressungspotenzial“. Das Aufkommen an Rohstoffen ist teilweise nur begrenzt lagerfähig, z. B. wegen drohenden Verderbs, oder steuerbar, z. B. wegen anfallender Anlaufkosten. Zum Ausgleich werden häufig Rahmenverträge abgeschlossen, die einen hinlänglich verstetigten Absatz bewirken und damit Risiken begrenzen. Die begrenzte Lagerfähigkeit ergibt sich bei Anbauwaren durch die implizite Verderblichkeit von Produkten. Insofern entsteht ein Druck auf Erzeuger, ihre Waren loszuschlagen, beinahe unabhängig vom Preis. Diesem Problem kann jedoch durch Pufferlager, Rohstofffonds etc. wirksam begegnet werden. Bei Abbauwaren ist die Lagerfähigkeit vor allem durch die entstehenden Kosten limitiert, verursacht durch große Mengen, Infrastrukturleistungen, Kapitalbindung etc. Allerdings liegt die Vorhaltung von Sicherheitsbeständen im allgemeinen Interesse. Dies scheint heute aktueller denn je, stammen doch viele Energierohstoffe aus politisch durchaus instabilen Gebieten, zumal sich die Vorkommen in gesicherten Gebieten bedauerlicherweise deutlich dem Ende zuneigen. Da überwiegend die Bestimmung zur Weiterverarbeitung gegeben ist, besteht eine hohe Abhängigkeit von Folgemärkten. Die Nachfrage ist dabei häufig international und sehr heterogen, weil ein und derselbe Rohstoff zu sehr unterschiedlichen Verarbeitungszwecken eingesetzt werden kann (z. B. Mineralöl in der Chemie / Pharmazie und als Treibstoff / Energie). Unterliegen Primärmärkte konjunkturellen Schwankungen, so schlagen jene auf die Nachfrage der Folgemärkte durch. Können Betriebsmittel in mehreren Branchen gleichermaßen eingesetzt werden, kann es günstigenfalls zur gegenseitigen Kompensation der Schwankungen, aber ungünstigenfalls auch zu deren Aufschaukelung, kommen. Die Nachfrage nach Industriegütern ist damit eine abgeleitete Größe aus konsumnäheren Märkten und verstärkt deren Zyklus. Nach spricht dabei auch von



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einem Peitscheneffekt, d. h., bereits kleine Schwankungen am Endmarkt schlagen sich in nennenswerten Amplituden auf den jeweiligen Vorstufen nieder. Damit können bereits vergleichsweise kleine Unschärfen in der Marktdiagnostik grobe Abweichungen in den Vertriebsplänen bewirken. Dies führt zu einer signifikaten Risikoerhöhung. 15.2.2.2 Rohstoffähnliche Waren Neben An- und Abbauwaren gibt es weitere, rohstoffähnliche Waren, die nicht in allen Belangen lupenrein den Merkmalen von Rohstoffen entsprechen, dennoch aber ähnlichen Marktgesetzmäßigkeiten gehorchen. Dabei handelt es sich um Einsatzstoffe, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Energie. Einsatzstoffe betreffen verarbeitete oder bearbeitete Vorprodukte (Unterschied zu Commodities), die den Ausgangspunkt weiterer Produktionsprozesse bilden, in Folgeprodukte eingehen und Veränderungen unterliegen, die sie von Halb- zu Fertigfabrikaten werden lassen. Ihre Produktion erfolgt durch Verarbeitung oder Rückgewinnung (Recycling). Es ist eine heterogene Nachfragerschaft, oft mit zwischengeschaltetem Produktionsverbindungshandel, bei niedrigem Verarbeitungsgrad und hoher Homogenität der Produkte gegeben. Zu den Hilfsstoffen gehören Rohstoffe, die als Nebenbestandteile in die Produktion eines Fertigprodukts eingehen. Dazu gehören z. B. Steine, Erden, Eisen, Stahl, NE-Metalle, chemische Säuren, Granulate, Glas, Schnittholz, Papier, Rohtextilien. Betriebsstoffe dienen zur Aufrechterhaltung der Leistungsprozesse, gehen aber selbst nicht in das Endprodukt ein. Zu denken ist z. B. an Klebstoffe, Farben, Schmiermittel, Bohrer, Schrauben. Eine abgewandelte Rohstoffart ist die Energie. Die Energienachfrage ist eine abgeleitete, woraus erhebliche Auslastungsschwankungen der Kapazitäten folgen. Die Verwendung von Rohstoffen für die Energieumwandlung ist von Sekundäranforderungen (vor allem Ökologie und Politik) stark beeinflusst. Die Substitutionskonkurrenz verschiedener Energien ist begrenzt, daraus folgt eine eingeschränkte Preiskonkurrenz. Die Kapazität ist starr, eine Anpassung nach oben ist nur mittelfristig, eine solche nach unten nur unter Hinnahme von Leerkosten möglich. Die Energie wird oft durch Großverbraucher selbst erzeugt bzw. Energieerzeuger haben eigene Verbraucher. Die Energieerzeugung folgt aus Kuppelproduktion. Der Energiemarkt ist einer der wenigen, in denen DeMarketing greift (Aufruf zum Energiesparen). Dies ist durch die Erschöpfbarkeit der meisten Energieressourcen (nicht-regenerative Energien) bedingt. Dies erfordert einen gesamtwirtschaftlich verantwortungsvollen Umgang mit Einsparungszielen und die nachdrückliche Förderung alternativer Energieträger. Dies gilt zumal, als der Wirkungsgrad der traditionellen Energieträger durch Umwandlungs- und Leitungsverluste vergleichsweise gering ist.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Energie kann sowohl auf den Vorstufen der Primär- und Sekundärenergieträger vermarktet werden wie Kohle, Erdgas, Rohöl, die zunächst der Vornahme von Umwandlungsprozessen bedürfen, als auch als Endenergieträger in unmittelbar verwendungsfähigem Zustand (allenfalls mit Umspannungen). Sofern es sich um leitungsgebundene Energien handelt, unterliegt der Leitungsaufbau trotz vollzogener Marktliberalisierung vielfältigen rechtlichen Beschränkungen. Als Anbieter treten meist Großkonzerne oder kommunale Betriebe auf, die vertikal integriert und regional flächendeckend arbeiten. Dies ist vor allem durch die hohen Markteintrittsschranken bedingt, die außenstehenden Wettbewerbern eine Teilnahme erschwert. Folglich sind die Wettbewerbsbedingungen äußerst sensibel. In Deutschland haben sich vier Energieversorgung etabliert (RWE, E.ON, Vattenfall, ENBW), die infolge hohen Kapitalbedarfs und begrenzten Leitungszugangs unter sich bleiben. Wegen der stark schwankenden Auslastung und der Versorgungspflicht ist eine umfassende Kapazitätsbereitstellung erforderlich, die eine hohe Fixkostenbelastung impliziert. Das Erfordernis ubiquitärer Distribution im Verbreitungsgebiet ist teils nur unter Einschaltung indirekter Vertriebswege (Energiebörsen) möglich. An diesen Spotmärkten werden überschüssige Kapazitäten gegen ungedeckte Bedarfe vermakelt. Die Geschäftsbedingungen der Energieversorgungsunternehmen (EVUs) sind mit Tarifabnehmern häufig standardisiert, mit Sonderabnehmern jedoch frei aushandelbar. Dies gilt vor allem für Großabnehmer mit (zumindest theoretischer) Möglichkeit der Eigenversorgung mit Energie. Das Rohstoffgeschäft ist bei aller vermeintlichen Transparenz der vermarkteten Objekte gerade deshalb ein sehr anspruchsvolles und komplexes. Das Rohstoff- und rohstoffähnliche Geschäft sieht sich angesichts der absoluten Begrenztheit natürlicher Vorkommen neuen Herausforderungen ausgesetzt. Bereits derzeit wird das Wachstum durch die Knappheit der Ressourcen begrenzt, z. B. im Bereich Seltener Erden für die Herstellung von ICs oder Akkus. Hinzu kommt, dass diese Rohstoffe häufig nur in politisch sensiblen Regionen der Erde vorkommen. Und deren Ausbeutung durch internationale Konzerne in Teilen an frühkapitalistische Zustände erinnern muss. Relevante Teile der Gesellschaft schreiben sich zudem, wenngleich nicht selten militant, den Schutz der natürlichen Vorkommen auf die Fahne, was zwangsläufig zu Konflikten führt (z. B. Braunkohleabbau zur billigen Verstromung). Dabei steht vermehrt ein qualitatives Wachstum im Vordergrund, das nachhaltig wirkt, also nicht zukünftigen Generationen ihre Freiheitsgrade zugunsten des Wohlstands der aktuellen Generation nimmt. Dies überfordert freilich viele Rohstoffunternehmen, die mit ihrem Denken noch im überkommenen quantitativen Wachstum verwurzelt sind.



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15.2.3 Vertrieb von Systemlösungen Systemgeschäfte beinhalten Transaktionen, bei denen die Entscheidung über die Vorteilhaftigkeit eines Kaufs abhängig von anderen Käufen ist, und zwar von eigenen sowohl als auch fremden. Sie bilden ein durch ihre Verkaufsfähigkeit abgegrenztes, von einem oder mehreren Anbietern in einem geschlossenen Angebot erstelltes Sach- oder Sachleistungs-Dienstleistungs-Bündel zur Befriedigung eines komplexen Bedarfs. Dabei lassen sich mehrere Ausformungen von Systemgeschäften unterschieden. Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte dargestellt (siehe Abb. 99). 15.2.3.1 Arten Nach der Systemrichtung können horizontale und laterale Systeme unterschieden werden. Horizontale Systeme sind additiv angelegt, bestehen also aus einer Aneinanderreihung gleicher Teilsysteme. Es handelt sich um Erweiterungssysteme. Laterale Systeme (Verkettungssysteme) entstehen integrativ, also aus der Verknüpfung verschiedenartiger Systeme, indem diese gemeinsam einen Zusatznutzen (Value Added Service) stiften. Bei (lateralen) Verkettungssystemen erfolgt eine Verkettung eigenständig konzipierter Teilkonzepte durch eine flexible Systemarchitektur, welche die Integration unterschiedlicher, interaktiver Teilsysteme erlaubt, dadurch bestehen unterschiedliche Schnittstellen. Es ist also keine einheitliche Architektur gegeben, sondern das System wird kundenindividuell zusammengestellt (z. B. Autobahn-Mautsystem aus Datenerfassung, Satellitenübertragung, Auswertung und Abrechnung).

   

  

  

    

 

  

Abb. 99: Arten von Systemen

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Verkettungssysteme bestehen aus Systemlieferanten, die für die Systemarchitektur und Hardware / Software Sorge tragen, aus Komponentenlieferanten für Teile wie Kabel, Stecker, Handys etc., aus Infrastruktur-Providers, die Leitungen zur Verfügung stellen (z. B. Telekom), aus Systembetreibern, die Netzkapazitäten anmieten (z. B. Netze bei Mobilfunk) und aus Service Providers, die Mehrwertdienste (Value Added Network Services) im System anbieten. Daraus entsteht ein Value Added Network System, das in Kombination mit einer Primärleistung ein Leistungsbündel ergibt, das Abnehmern einen zusätzlichen Nutzen gegenüber anderen Angeboten mit gleicher Primärleistung verspricht und damit dem Angebot eine positive Differenzierung ermöglicht. Nach dem Leistungsumfang können Teilsysteme und Systemkomponenten unterschieden werden. Teilsysteme (Stand alone-Systeme) sind zwar erweiterungsfähig, jedoch auch bereits isoliert funktionsfähig und sinnvoll einsetzbar (z.  B. Fotokopierstation, Schreibtischkombination, Beleuchtungsinstallation). Systemkomponenten sind allein nicht funktionsfähig und erst im Verbund mit anderen Systemkomponenten sinnvoll nutzbar, indem sie zu Teilsystemen werden (z. B. PC-Drucker, Scanner, USB-Stick). Der Leistungsumfang wird von einem Anbieter als Gesamtauftrag geliefert oder aus den Angeboten mehrerer Lieferanten als Elementenkauf zusammengestellt. Verbreitete Merkmale sind dabei: •• der Systembindungseffekt, d. h., bei ggf. systemindividueller Spezifikation legt der Initialkauf systemtreue Folgekäufe fest. Die Bindung des Abnehmers an den Anbieter bzw. seine Systempartner impliziert dabei erhebliche Risiken. •• das Informationsdefizit, d. h., das Angebot zukünftig zu beschaffender System­ elemente ist notwendigerweise zum Zeitpunkt des Initialkaufs unbekannt. Dies verursacht einen erheblichen Informationsbedarf. •• die hohe Komplexität, d. h., die funktionsfähige Integration verschiedener Systemelemente (evtl. von verschiedenen Herstellern) birgt technische Pro­ bleme. Systeme werden recht schnell kompliziert und intransparent, daher ist Anbieterhilfe erstmalig und laufend erforderlich (dies erhöht den Umfang begleitender Dienstleistungen). •• der Vertrauensgutcharakter, d. h., die Systembindung erfolgt auf Basis kompetenzerweckender Signale, die von Anbietern gezielt auszusenden sind. •• die fragliche Wirtschaftlichkeit, d. h., den Vorteilen eines Systemwechsels sind die Kosten der Anschaffung und die untergehenden Kosten des alten Systems entgegenzustellen (die oft nurmehr zu geringem Restwert zu monetarisieren sind). Beim Nachfrager werden demnach vorausgesetzt: •• Kompatibilität, d. h., nur solche Systemkomponenten kommen für die Beschaffung in Betracht, die zu bestehenden verträglich sind oder verträglich gemacht werden können,



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•• eigenes Know-how, d. h., die Fähigkeit, professionell zu beurteilen, welche Systemkomponenten in Kombination die individuell geforderte Leistung bestmöglich erbringen, •• bekannter Bedarf, da Systemkomponenten nur zur Lösung vertrauter Pro­ blemstellungen planvoll geeignet sind, •• hohe Markttransparenz, d. h., ein Informationsstand, der nicht nur die erforderlichen Systemkomponenten repräsentiert, sondern auch die jeweils dafür gegebenen Anbieterstärken und -schwächen, •• Risikofreude, d. h. die Bereitschaft, für die Nutzbarkeit von Leistungen die Gefahr von Fehlinvestitionen einzugehen. Meist sind Informationsdefizite bei Nachfragern gegeben. Anbieterseitige Abhilfe für eine daraus resultierende hohe Risikowahrnehmung kann auf mehrerlei Weise geschehen. Generell hilfreich sind der Aufbau und die Kommunikation von Kompetenz in Form eines bewussten Managements der Geschäftsbeziehungen. Dabei spielt das Timing des Markteintritts eine zentrale Rolle. Sinnvoll ist auch das Angebot kundengewünschter Systemkonfigurationen. Ein breites Feld bietet sich für die Gestaltung des Dienstleistungsumfangs. Zu denken ist an Turnkey Projects, Folgedienste (besonders geeignet zum Kontakthalten mit Kunden), Cross Selling oder Paketangebote (Bundling). Umgekehrt bedeutet Unbundling die Autonomie in der Leistungszusammenstellung seitens der Nachfrager. Bedeutsam sind auch die Breite und Tiefe des begleitenden Dienstleistungsangebots für technische, soziale, organisationale, absatzmäßige und finanzielle Hilfestellungen. Dazu gehört die Integration der Abnehmer in den Systementwicklungs- bzw. -weiterentwicklungsprozess (z. B. Fachbeirat). Außerdem werden oft Lead Users mit Prototypen (Beta-Versionen) versorgt, um eine möglichst hohe Kundenwunschentsprechung des Systems zu erreichen. Nach der Systemverbreitung sind Kritische Masse-Systeme bedeutsam. Deren Nutzen steigt mit steigender kumulativer Verbreitung des Systems im Markt. Ein Kritische Masse-System ist ein erweiterungsfähiges System mit eindeutiger Schnittstellendefinition, das zu seiner sinnvollen Nutzung eine gewisse Mindestverbreitung gegenwärtiger oder zukünftig zu erwartender Anwender braucht (problematisch z. B. Telefax, Bildtelefon). Kritische Masse-Syteme sind somit abhängig von einer (Mindest-)Anzahl gegenwärtiger oder zukünftiger Anwender (Netzeffekt). Netzeffekt bedeutet, dass der Nutzen eines Systems für jeden Beteiligten umso höher ist, je mehr andere Systemnutzer bereits vorhanden sind (positive Netzwerk-Externalität bzw. direkter Netzeffekt) und nicht, wie ansonsten üblich, je knapper das Gut ist. Der Nutzen steigt weiterhin mit der besseren Verfügbarkeit komplementärer Infrastruktur-Leistungen (indirekter Netzeffekt). Dies rechtfertigt dann anbieterseitig selbst das Verschenken von Systemkomponenten, um eine Schwelle der Mindestverbreitung zu überschreiten.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Nach der Integralqualität können geschlossene und offene Systeme unterschieden werden. Geschlossene Systeme sind nur intern kompatibel, d. h. ihre Schnittstellen zu anderen Systemen bleiben geheim (proprietär), folglich gibt es nur einen Anbieter des Systems. Offene Systeme sind auch extern kompatibel, d. h. ihre Schnittstellen zu anderen Systemen werden im Rahmen von Lizenzen bekannt gegeben (propagativ), folglich kann es mehrere Anbieter des Systems geben. Eine Systembindung kann technisch oder funktional basiert sein. Technischbasiert bedeutet, dass naturwissenschaftliche Bindungsgründe bestehen (z. B. Leitungen und Protokolle wie bei einer Telefonanlage), funktional-basiert bedeutet, dass nutzungsbezogene Bindungsgründe bestehen (z. B. ergonomische oder auch nur ästhetische Zuordnung wie bei Büromöbeln). Außerdem kann die Bindung aus Spezifität folgen (z. B. individuelle Systemanpassung an die Organisation wie bei betriebswirtschaftlicher Software). Bei geschlossenen Systemen wird eine Bindung zu einem bestimmten Anbieter hergestellt, bei Erweiterungen oder Modernisierungen dieses Systems muss ggf. über einen längeren Zeitraum auf diesen entsprechenden Anbieter zurückgegriffen werden. Dies ist vor allem ein Problem bei immer kürzeren, unter­ einander selbst intern inkompatiblen Produktlebenszyklen. Von großer Bedeutung ist für Nachfrager daher die externe Kompatibilität, d. h. die Möglichkeit der Verbindung mit vorhandenen oder neuen Systemkomponenten anderer Lieferanten (Integralqualität), denn dadurch wird einerseits die Abhängigkeit von einem Anbieter reduziert und andererseits eine größere Flexibilität im Systemdesign erreicht. Ein Beispiel solcher offener Systeme ist UNIX, welche die Integration unterschiedlicher Anwendungs-Software erlaubt. Ist Kompatibilität hingegen nicht gegeben, bedeuten Anfangsinvestitionen eine Bindungswirkung für Folgegeschäfte, die Systemarchitektur legt den Anwender damit langfristig bei der Erweiterung des Systems in der Auswahl der Erweiterungsbausteine fest. Geschlossene (intern kompatible, proprietäre) Systeme haben daher keine Architekturschnittstellen, insofern besteht eine hohe Erstentscheidungsbedeutung. Ein geschlossenes System ist wegen der Beschaffungsrestriktion und Konkurrenzeinschränkung jedoch praktisch nur durch große Anbieter durchsetzbar, z. B. Apple, bietet für diese aber einen extrem hohen Kundenwert. Die Kompatibilität ist aber auch bei Teilsystemen von hoher Bedeutung, und zwar immer dann, wenn eine Vernetzung zwischen ihnen vorgenommen werden soll. Bei offenen Systemen ist diese auch bei Einsatz von Teilsystemen verschiedener Hersteller problemlos möglich, bei proprietären Systemen können nur die Teilsysteme eines Herstellers vernetzt werden, es sei denn, die Vernetzung wird durch Konvertierung möglich gemacht. Entscheidend ist dafür die Schnittstellengestaltung (Interface). Schnittstellen sind die Übergangspunkte zwischen den Teilsystemen / Komponenten eines Sys-



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tems. Bei einem offenen System sind die Komponenten verschiedener Anbieter frei nach dem Wunsch des Abnehmers miteinander kombinierbar. Dies setzt standardisierte Schnittstellen voraus. Bei einem geschlossenen System hingegen sind nur die Komponenten eines einzigen Anbieters miteinander kombinierbar. Folgekäufe haben daher anbietertreu zu geschehen. Die Standardisierung von Schnittstellen fördert die rasche Marktdurchdringung des Systems, züchtet aber zugleich auch Wettbewerb, so dass durchaus ein Interessenkonflikt entsteht. Die Individualisierung von Schnittstellen wirkt zwar als Markteintrittsbarriere für Konkurrenten, behindert jedoch die schnelle Diffusion des Systems. Dabei können Kritische Masse-Systeme unterhalb ihrer Mindestverbreitung bleiben und floppen. Eine Lock-in-Situation liegt immer dann vor, wenn ein Entscheidungsträger erzwungen aufgrund spezifischer Investitionen und / oder eigenständig aufgrund positiver Erfahrungen durch seine jetzige Entscheidung in seinen zukünftigen Handlungsweisen mehr oder minder stark festgelegt ist. Wechselkosten entstehen zu anderen Systemen, was eine Entwertung der Initialinvestitionen und der aufgelaufenen Folgeinvestitionen bedeutet, sowie bei gänzlichem Systemausstieg. Insofern bedarf es der Abwägung zwischen dem Nutzenvorteil eines ExitEntscheids und dem Nutzenentgang eines Stay-Entscheids, wobei letzterer sich aus dem Saldo zwischen Nutzenzuwachs von Systemtreue und Nutzenentgang aus Systemwechsel ergibt. Je mehr vom Nachfrager bereits in ein bestehendes System investiert wurde, desto höher sind für ihn die Systemwechselkosten (Entwertung / Sunk Costs). So verleiten die bereits getätigten Investitionen in ein System selbst angesichts offensichtlich leistungsfähigerer anderer Systeme oft zur, betriebswirtschaftlich irrationalen, Aufrüstung des bestehenden Systems, um die darin bereits investierten Geldmittel nicht untergehen zu lassen. Letztlich wird dabei allerdings meist nur gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen, denn die Abschreibung des bestehenden Systems und der anderweitige Einsatz der Geldmittel für ein überlegenes, neues System führt rasch auf ein weitaus höheres technisches Niveau und alimentiert die zusätzlichen Investitionen durch gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit. Nach der Zeitausdehnung gibt es vertikale Systeme. Diese bestehen aus e­ inem Initialkauf und Folgekäufen innerhalb eines Systems im Zeitablauf. Bei letzteren kann es sich um gleichartige Folgekäufe handeln, d. h., das System ist multiplikativ angelegt oder verschiedenartige Folgekäufe, d. h., das System ist mutativ angelegt. Bei vertikalen Systemen steht das einzelne Vermarktungsobjekt in einem objektiv-technischen Bedarfsverbund zu anderen Vermarktungsobjekten, woraus eine zeitraumbezogene Nachfrageverbundenheit resultiert. Bildet das Vermarktungsobjekt den Startpunkt, handelt es sich um einen Initialkauf, während Folgekäufe dann vorliegen, wenn das Vermarktungsobjekt auf der Nachfragerseite in eine existierende Systemlandschaft integriert werden muss.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Hinsichtlich der Folgekäufe kann es sich um eine Multiplikation, also eine gleichartige Vervielfältigung des Vermarktungsobjekts des Initialkaufs handeln (z. B. zusätzliche Fotokopierer) oder um eine Mutation, also einen verändernden Wandel. Dieser kann als Systemerweiterung, d. h. mit mehr Einsatzmöglichkeiten, oder Systemspezialisierung, d. h. mit vertieften Einsatzmöglichkeiten, erfolgen. Vertikale Systeme bestehen typischerweise aus systematischen, sukzessiv getätigten investiven Erweiterungs- und Ergänzungskäufen. Der Begriff Systemgeschäft ist dabei begrifflich von vielfältigen anderen Bedeutungen von Systemgeschäft zu trennen, so von Systemgastronomie, wie in Franchisebeziehungen, Systemlieferant, wie in Zuliefergeschäften, oder Systems Selling, wie bei Hardware-Software-Paketen. Charakteristisch ist ein technologisches Begriffsverständnis, also ein sachlicher Verbund zwischen Systemelementen, so dass Käufe nicht in einem Zug, sondern im Zeitablauf getätigt werden. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: •• ökonomische Gründe liegen darin, dass die Investitionssumme für ein Einmalgeschäft als zu hoch angesehen wird, •• risikobezogene Gründe liegen darin, dass Nachfrager erst sukzessiv ein System kennenlernen möchten, •• zeitbezogene Gründe liegen darin, dass Nachfrager auf Sicht jeweils mit dem System up to date bleiben will und Abrufe tätigen, •• organisatorische Gründe liegen darin, dass zunächst innerbetriebliche Anpassungen vorgenommen werden sollen, •• netzeffektbedingte Gründe liegen darin, dass erst eine ausreichende Diffusion der Systembasis abgewartet werden soll, •• erzwungene Gründe liegen darin, dass das System als Ganzes nicht wie eigent­lich gewünscht auf einmal verfügbar ist. 15.2.3.2 Charakteristika Das Systemgeschäft ist durch vertriebsrelevante Besonderheiten des Transaktionsprozesses zwischen Anbieter und Nachfrager gekennzeichnet. Diese beruhen auf sukzessiv gekauften, investiven Leistungen, die durch ein spezifisches Schnittstellenkonzept, eine Systemarchitektur miteinander verknüpft sind. Erstkäufe führen so zu einer Festlegung, die den Käufer bei den Folgekäufen an die einmal gewählte Architektur binden. Es besteht also ein enger Verbund zwischen einer langfristig wirkenden Architekturentscheidung (Systemphilosophie) und einer durch z. T. extrem kurzfristige Lebenszyklen gekennzeichneten Systemkomponenten-Beschaffung. Dies setzt freilich voraus, dass das System, für das



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man sich entschieden hat, weiterentwickelt wird bzw. der Systemanbieter, für den man sich entschieden hat, weiterhin erfolgreich am Markt agiert. Für die Zukunftssicherheit ist es daher bedeutsam, dass die Weiterentwicklung des Systems nicht nur möglich ist, sondern auch tatsächlich realisiert wird, und zwar in einer Art und Weise, die dem jeweilig fortschreitenden Marktleistungsniveau entspricht. Die Anbieterreputation gilt dafür als ein geeigneter Indikator, daher ist es ein wesentliches Ziel der Anbieter, eine im Wahrnehmungsumfeld der Nachfrager verankerte bessere Beurteilung der Zukunftssicherheit zu erreichen als Konkurrenzanbieter. Der Systemträger versucht zudem, durch ein breites Produktprogramm sämtliche für die Systemrealisierung benötigten Komponenten und Teile anzubieten (evtl. gemeinsam mit Komponentenlieferanten als Handelsware) oder durch ein enges Angebot Spezialistentum oder auch erst einmal den Systemeinstieg zu schaffen. Komponentenanbieter liefern bestimmte Teilleistungen, zumeist mit technologischer Schrittmacherfunktion, um ihre Substituierbarkeit zu verringern. Der Integrator als Anbieter hat Problemlösungskompetenz, ist unabhängig in der Systemwahl und bietet den Service zur Anwendbarkeit und Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft. Wichtige Vermarktungsziele sind der Aufbau von Kompetenz (Vertrauen) in die zukünftige Leistungsfähigkeit des Anbieters, die Umsetzung von Kundenbindung, um von den systemtreuen Folgekäufen tatsächlich auch zu profitieren und das richtige Timing, um schnell den Markt zu durchdringen und das eigene System womöglich zum Standard zu erheben (selbst wenn es das technisch unterlegene ist). Zu berücksichtigen ist vor allem, ob die Folgeinvestitionen zum Zeitpunkt der Initialinvestition bekannt sind oder nicht. Dies bezieht sich sowohl auf die Art der Folgeinvestitionsobjekte als auch auf den Anschaffungszeitpunkt und deren Nutzungsmöglichkeit. Je transparenter diese Aspekte sich darstellen, desto eher wird ein Nachfrager zur Tätigung der für ihn sehr risikoreichen Investition bereit sein. Weiterhin kommt es auf die Balance zwischen Initial- und Folgeinvestition(en) an. Je höher der Anteil der Folgeinvestitionen, desto problematischer die Entscheidung aus Nachfragersicht. Daher wird häufig die Initialinvestition anbieterseitig subventioniert. Dies ist etwa bei Computerdruckern der Fall. Der Gerätekauf ist geradezu kostengünstig im Vergleich zu den Ausgaben für Verbrauchsmittel (Toner, Tinte). Da sich das System insgesamt für Anbieter nur bei systemtreuen Folgekäufen rechnet, versuchen diese einen Wechsel zu Fremdverbrauchsmitteln zu verhindern (durch Kennung, Freischaltung etc.). Nachfrager versuchen gerade, diese Sperren auszutricksen, indem IDs gefälscht oder Verbrauchsstoffe nachgefüllt werden. Letztlich handelt es sich dabei um ein „HaseIgel-Rennen“.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

15.2.4 Vertrieb von Zulieferungen Das Zuliefer- oder OEM-Geschäft erfolgt zur Erstausrüstung, zur Nachrüstung oder als Ersatzteilversorgung. Die Vermarktung tangiert den Ursprungshersteller (Original Equipment Manufacturer / OEM-Lieferant), die gewerblichen Zwischenabnehmer / Weiterverarbeiter (OEM-Abnehmer) und die Endnutzer. Zum Zuliefer-Geschäft gehören der OEM-Lieferant und der OEM-Bezieher als Partner. Bei OEM-Lieferanten weicht das Vertriebsprogramm vom Produktionsprogramm ab. Der Grund liegt darin, dass Produkte, die eigen gefertigt sind, nicht selbst abgesetzt, sondern als OEM-Ware an Dritte abgegeben und dort eingebaut oder weiterverarbeitet bzw. von diesen als Handelsware angeboten werden. Das Vertriebsprogramm ist damit enger / flacher als das Produktionsprogramm. Bei OEM-Beziehern liegt der Grund darin, dass Produkte fremd bezogen, aber nicht selbst hergestellt werden. Das Vertriebsprogramm ist dann breiter / tiefer. Dabei kann es sich um Vorprodukte, die als wesentlicher oder unwesentlicher Bestandteil in ein Endprodukt eingehen, oder um Handelsware handeln, die fremd zugekauft und ohne wesentliche Be- oder Verarbeitung im eigenen Herstellerprogramm abgesetzt wird. Zumeist erfolgt dies aus Gründen der endkundenseitig so erwarteten Komplettierung des Angebots. Werden standardisierte, vorproduzierte Systeme, Komponenten oder Teile an die nachfolgende Wertschöpfungsstufe abgegeben, liegt ein vertikales OEMGeschäft vor. De facto handelt es sich oft nur um den Einbau in ein Gehäuse mit dem Label des OEM-Beziehers, anzutreffen etwa in der UE-Branche, bei der die fernöstlichen Originalhersteller nach außen hin gar nicht mehr in Erscheinung treten. Diese legen zur Nutzung von Größeneffekten Produktionsmengen auf, die sie unter eigenem Namen nicht vermarkten können und die sie deshalb an Dritte abgeben. Da sich jedoch die Kostenersparnis auf das gesamte Fertigungslos bezieht, kommt der OEM-Lieferant schließlich auch für seine zum Eigenbedarf gedachten Produktionsmengen in den Genuss niedrigerer Stückkosten. Andererseits erhalten OEM-Bezieher Konditionen, die für sie bei Eigenfertigung nicht darstellbar wären. Insofern können beide Seiten zufrieden sein (Win-win-Strategie). Vor allem erklärt sich auf diese Weise, wieso es für Hersteller sinnvoll ist, im horizontalen OEM-Geschäft auch direkte Konkurrenten zu beliefern, nämlich immer dann, wenn die Kostenersparnis für den unter eigener Flagge zu vermarktenden Losanteil aufgrund von Größeneffekten höher einzuschätzen ist als Marktanteilsverluste aus Absätzen von mit dem Restlos belieferten Mitbewerbern. Der Hersteller überträgt weiterhin das Vermarktungsrisiko an den OEM-Bezieher, weil es ihm an Nachfragervertrauen mangelt oder weil Protektionismuspolitik in manchen Ländern den weiteren Marktzugang unmöglich macht. Außerdem liefert er hoch standardisierte Teile, die erst für den Endmarkt relativ aufwendig individualisiert werden.



15.   Vertrieb an Gewerbekunden585

Dies kann dazu führen, dass ein Markenartikler mit OEM-Ware bei identischer Leistung höhere Preise am Markt erzielt als der Originalhersteller. Außerdem profitiert der Markenartikler nicht nur von der mehr oder minder ausgiebigen Weitergabe der Kostenersparnis in seinem Einstandspreis, sondern auch vom gesammelten Know-how und vom hohen Qualitätsstandard seines Lieferanten. Vor allem werden Fixkosten vermieden, etwa aus FuE, Anlageinvestition, Sozialplan etc., und stattdessen weitgehend variable Kosten erreicht. Neue Technologie ist sofort verfügbar, ohne endlose, risikoreiche Entwicklungszeiten eingehen zu müssen, und falls sich der gewünschte Markterfolg nicht einstellen will, wird, im Rahmen vereinbarter Lieferkontingente, der Bezug eingestellt. Die Entscheidung über Eigenfertigung oder Fremdbezug (Make or Buy) ist im Einzelnen von zahlreichen und individuellen Einflussgrößen abhängig. Eigen­fertigung ist u. a. zu bevorzugen, wenn •• fertigungstechnische Zwänge dies nahelegen, Selbstherstellung kostengünstiger ist, dadurch eine spürbar höhere Qualität erreicht werden kann, spezielles Know-how erforderlich ist, vorhandene Kapazitäten besser ausgelastet werden können, durch Rückwärtsintegration freies Kapital investiert werden kann, vertriebliche Vorteile erzielbar sind oder mehr zeitliche Flexibilität erreicht werden kann. Fremdbezug ist u. a. zu bevorzugen, wenn •• bestehende Gewerbliche Schutzrechte dazu zwingen, dadurch Kostenvorteile entstehen, infolge Spezialisierung eine bessere Qualität gewährleistet ist, das Know-how von Zulieferern zu eigenem Nutzen materialisiert werden soll, dadurch bei Vollbeschäftigung noch eine Geschäftsausweitung möglich wird, dies zu geringeren finanzwirtschaftlichen Belastungen führt oder Elastizitätsvorteile entstehen. Dem Zuliefer-Geschäft kommt infolge der Verschränkung der Wertschöpfungsketten verschiedener Wirtschaftsstufen eine hohe und steigende Bedeutung zu. Dabei geht der Trend dahin, dass Lieferanten nicht mehr nur Vorprodukte anliefern, sondern zunehmend auf der Wertschöpfungsstufe des Beziehers integriert werden und sich in Betreibermodellen engagieren. Sie haben dabei angesichts nachfragemächtiger Abnehmer Investitionsentscheidungen in fremder Hand (Anlagen) sowie Teile des Geschäftsrisikos des Beziehers (Pay on Production) zu übernehmen. Dies stellt fundamental neue Anforderungen im Vertrieb. Eine andere Form der innovativen Verschränkung stellt das Pay per UseModell dar. Hierbei wird nicht mehr das Zulieferprodukt als solches, sondern vielmehr dessen Nutzung in Rechnung gestellt, also die tatsächliche Laufleistung der aufgezogenen Lkw-Reifen, die Schubleistung der Flugzeugtriebwerke oder die Beleuchtungsleistung der installierten Scheinwerferanlage.

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

15.2.5 Vertrieb von investiven Produkten Das Produktgeschäft umfasst alle Gebrauchsgüter und damit verknüpften Dienste, die von Unternehmen / Organisationen für Zwecke der Fremdbedarfsdeckung beschafft und eingesetzt werden, sofern sie nicht zugleich Anlagen (da nicht kundenindividuell), Rohstoffe (da nicht unverarbeitet) oder Systemgüter (da kein Kaufverbund) sind. Typisch ist eine Produktion für den anonymen Markt, also Sorten-, Serien- oder Massenfertigung, auf jeden Fall in größeren Stückzahlen über einen längeren Zeitraum hinweg. Abnehmer sind investive Verwender, daher erfolgt die Gestaltung im Produktgeschäft teilweise in Abstimmung mit diesen und in längerfristigen Rahmenverträgen (Abrufauftrag) eingebunden. Begleitenden Dienstleistungen kommt dabei, wie überall, steigende Bedeutung zu. Kooperationen mit anderen Anbietern sind selten anzutreffen. Die konjunkturellen Amplituden sind gemäßigt. Der Vertrieb erfolgt zumeist über den Produktionsverbindungshandel. Beim Kauf standardisierter Produkte liegt nur eine kurze Zeitspanne zwischen dem Bestellvorgang und dem Einsatz des Produkts (Lieferung ab Lager). Erfahrungen mit dem Produkt bzw. Lieferanten können so ohne größere Verzögerung bei späteren Kaufentscheidungen eingebracht werden und zur Festigung der Lieferantenbeziehung (Stay) bzw., bei Unzufriedenheit, zum Lieferantenwechsel (Exit) führen. Es handelt sich um vorgefertigte, meist in Mehrfachfertigung erstellte Leistungen, die der Abnehmer zum isolierten Einsatz nachfragt. Das Produktgeschäft besteht im Einzelnen aus folgenden Bereichen. Einzelteile und Baugruppen sind solche Elemente, die ohne wesentliche Be- oder Verarbeitung unter Wahrung ihrer Identität in andere Produkte eingebaut bzw. zu Fertigprodukten zusammengefügt werden. Sie werden jedoch nicht getrennt verkauft wie bei Handelsware. Dies ist möglich für Einzelteile (z. B. Mikroprozessor) oder Baugruppen (z. B. Lenkservo-Einheit oder Lichtmaschine beim Pkw, CD-Laufwerk beim PC, Elektromotor bei der Lok). Ein Einzelteil oder eine Baugruppe wird damit Element eines größeren Ganzen oder kann es werden. Im Gegensatz zur Gesamtauftragsvergabe eines geschlossenen Systems werden hier einzelne Elemente gekauft, die dann vom Nachfrager zu größeren Einheiten zusammengefügt werden. Im Unterschied zu Halbfabrikaten unterliegen Einzelteile und Baugruppen Veränderungen im Produktionsprozess durch Verarbeitung. Sie können vielfältig charakterisiert werden nach Produktart, Komplexität, Erklärungsbedürftigkeit, Grad der physischen Verbundenheit mit dem Folgeprodukt, Funktionsnotwendigkeit, Funktionalität / ästhetische Dimension, Evidenz (Sichtbarkeit), Ausrichtung auf bestimmte Endprodukte, relativer Lebensdauer und Wertdimension. Was ein Aggregat ist und was ein System, bestimmt sich nicht von der Produktphysis her, sondern nur von der Vermarktung. Aggregate sind allein funk­ tionsfähig, Systeme nur im Verbund. Einzelaggregate erfüllen beim Nachfrager



15.   Vertrieb an Gewerbekunden587

eine bestimmte Funktion, ohne dass ihre Integration in größere Systeme entscheidende Bedeutung hat (z. B. Fotokopierer, Hebekran). Es handelt sich also um mehr oder minder komplexe, isoliert einsetzbare, bestimmte Teilfunktionen erfüllende Betriebsmittel, die mit anderen zu komplexen Anlagen zusammengefügt oder selbstständig vermarktet werden können. Der Unterschied zu Teilen / Baugrupen besteht darin, dass Einzelaggregate sowohl im System weiterintegriert als auch als selbstständiger Potenzialfaktor nutzbar (z. B. Büromaschinen, Nutzfahrzeuge) sind. Sie werden oft in größerer Stückzahl beschafft (Unterschied zum Systemkauf). Kennzeichnende Merkmale sind ein hoher Standardisierungsgrad, technische Komplexität, hohe Losgröße, hoher Wert und Integralqualität. Bedeutsam sind hier vor allem Ersatzteillieferungen, Wartungsund Reparaturleistungen und die technische Weiterentwicklung sowie produktverbundene Dienstleistungen. Das gleiche Produkt kann durchaus Aggregat (selbstständig einsetzbar) oder Teil / Baugruppe sein, denn es kommt nicht auf die Ware an sich an, sondern auf den Prozess. Produkte unterscheiden sich in ihrer Vermarktung nicht sehr stark vom Konsumgütern. Sie werden für einen mehr oder minder anonymen Markt entwickelt, vorgefertigt und unter Einsatz der üblichen Vertriebsinstrumente vermarktet. Für Teile und Baugruppen ist die Integralqualität bedeutsam, d. h., das Produkt eines Anbieters muss sich als Element in das Endprodukt und den Produktionsprozess eines Abnehmers im Hinblick auf Produkteigenschaften, Lebensdauer, räumliche / zeitliche Verfügbarkeit etc. möglichst gut einfügen. Handelt es sich um weitgehend standardisierte (genormte) Produkte, entfällt ein großer Teil der Differenzierungsmöglichkeiten und der Preis wird zentral. Bei nicht-standardisierten Produkten hat der Anbieter deutlich größere Möglichkeiten, durch Differenzierung gegenüber Wettbewerbern seine Kundenbeziehungen zu sichern, z. B. durch weitestgehende Einhaltung der Qualitätsanforderungen des Kunden (Qualitätssicherung) oder Synchronisierung von Lieferservice und Produktionsprozessen des Kunden (J-i-T). Außerdem bietet sich die Kooperation von Zulieferern und ihren Abnehmern bei FuE und technologischen Innovationen des Zulieferers an, die dem Abnehmer der entsprechenden Elemente Wettbewerbsvorteile verschaffen (z. B. ABS von Bosch und Mercedes-Benz). Die Parallelen zu Konsumgütern machen sich immer mehr Anbieter zunutze, indem sie deren Markenmechanik anwenden (Produktmarkierung). Charakteristisch für Konsumgüter ist, dass Aktivitäten sich nicht nur an die unmittelbar nachfolgende (Handels-)Stufe im Vertriebskanal wenden, die direkten Kunden, sondern auch an die daran anschließende mittelbare Stufe, die Kunden der Kunden (Multistage Branding). Die nachfolgende Stufe wird dadurch in eine Zangenbewegung gezwungen, einerseits wird herstellerseitiger Druck auf sie ausgeübt (Push), andererseits wird von der übernächsten Stufe aus eine Sogwirkung initiiert (Pull). Dies setzt freilich voraus, dass dort eine nennenswerte Bekanntheit und Vertrautheit mit dem Angebot erreicht wird, dies ist wiederum nur durch stufenübergreifende Kommunikationsmaßnahmen möglich. Auf diese

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C. Besonderheiten in der Vertriebspolitik

Weise kann eine eigenständige Marke etabliert werden, der eine Attraktivität bei den Kunden der Kunden zukommt, so dass diese das Angebot gezielt nachfragen. Zugleich kann im Reinverkauf die Pipeline gefüllt werden, so dass das Produktangebot auch abgenommen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die Marke auf der unmittelbar nachfolgenden Produzentenstufe im Endprodukt erkennbar bleibt und nicht, wie üblich, untergeht, denn nur dann kann auf der mittelbar folgenden Kundenstufe eine markenspezifische Wahrnehmung erreicht und Präferenz aufgebaut werden. Das zeigen Beispiele wie Goretex, TetraPak, Hostalen, Sympatex, Trevira, Lycra, Nutrasweet, Shimano, Teflon, Nirosta, Alcantara, Ceran, Dolby, Recaro, Scotchlite oder Styropor (Ingredient Brand). Weiterhin werden in hohem Maße produktive Dienstleistungen für Gewerbekunden erbracht. Diese beziehen sich nicht, wie im B-t-C-Sektor, auf Ergebnis und Prozess, sondern auf das Potenzial.

D.

Umsetzung im Verkaufsmanagement

16.

Elemente der Kundenbeziehung

Im Unterkapitel „Elemente der Kundenbeziehung“ wird die entscheidende Bedeutung der Kundenzufriedenheit als Faktor in der Erfolgskette untersucht (16.1). Dazu zählt auch, Kundenunzufriedenheiten so zu bearbeiten, dass Zufriedenheit wieder hergestellt wird (16.2). Gelingt dies, folgt daraus ein hohes Maß an Kundenbindung (16.3), ein weiterer Faktor in der Erfolgskette. Wiederum ist einer gegenteiligen Entwicklung durch Kündigungsprävention entgegen zu treten (16.4). Schließlich wird auf Kundenclubs als Beziehungsinstrument eingegangen (16.5). Leser wissen nach Durchsicht dieses Unterkapitels um die herausgehobene Bedeutung des Kundenbeziehungsmanagements in Ablösung des tradierten Hard Sellings. Sie verstehen, welche Herausforderungen dabei gerade in den Bereichen Kundenzufriedenheit, Unzufriedenheitsbearbeitung, Kundenbindung und Kündigungsprävention liegen. Und sie sind in der Lage, diesen Herausforderungen durch zielführende Maßnahmen zu entsprechen. 16.1

Kundenzufriedenheit als Erfolgsfaktor

So zentral Kundenzufriedenheit ist, so schwierig ist sie zu operationalisieren. Denn es handelt sich bei ihr um ein theoretisches Konstrukt, also etwas, was im Kopf des Kunden zu vermuten, aber keiner direkten Messung zugänglich ist. Also muss durch indirekte Messung versucht werden, das Konstrukt über Indikatoren, die messbar sind und von denen ein enger Zusammenhang zur eigentlich interessierenden Größe Zufriedenheit vermutet wird, messbar zu machen. Welche Indikatoren aber am besten geeignet sind, dies zu leisten, bleibt strittig. Aber nicht nur wie man misst, ist unklar, sondern weithin auch, was man eigentlich misst. Angesichts der Bedeutung der Kundenzufriedenheit als Er­ folgsfaktor ist dies sehr bedauerlich. 16.1.1 Konstrukterklärung Zur Erklärung des Begriffs der Kundenzufriedenheit bieten sich eine Reihe theoretischer Ansätze an, die sich mit deren Entstehung und Auswirkung beschäftigen. Überwiegend wird allerdings davon ausgegangen, dass in der Vorstellung der Kunden ein prä-konsumtiver Idealstandard besteht, der durch den

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

Vergleich mit den tatsächlichen Erfahrungen bestätigt bzw. widerlegt wird, was im ersten Fall zur Zufriedenheit, im zweiten zur Unzufriedenheit führt (Confirmation-Disconfirmation- / C-D-Paradigma). Ein Paradigma ist ein Denkmuster, das zwar unbewiesen, aber breit anerkannt ist. Die Erwartungen leiten sich aus den individuellen Bedürfnissen der aktuellen und potenziellen Kunden bzw. Interessenten ab, aus ihren Erfahrungen in gleichen Situationen mit anderen Anbietern bzw. in vergleichbaren Situationen mit dem selben Anbieter und aus an sie gerichteter Kommunikation (Kompetenzvermutung), die vom Anbieter ausgeht. Hinzu kommt die Einschätzung der Kunden bzw. Interessenten dahingehend, ob der Anbieter letztlich fähig ist, die Leistung in der erwarteten Qualität zu erbringen (Kompetenz). Weitere Quellen sind Hörensagen (aus sozialem Umfeld, Medienberichterstattung etc.) sowie die Preis-Qualitäts-Vermutung. Das (Un-)Zufriedenheitsurteil ist somit das Resultat eines komplexen Informationsverarbeitungsprozesses im Rahmen dessen das Individuum die Erwartungen an die Leistung den Erfahrungen mit dieser Leistung gegenüberstellt. Die Erwartungen verkörpern die Soll-Komponente, die Erfahrungen damit repräsentieren die Ist-Komponente. Aus der (Nicht-)Bestätigung der Erwartungen (Soll) resultiert die (Un-)Zufriedenheit. Erwartung ist damit die Eignung einer Leistung, den in sie gesetzten Anforderungen gerecht zu werden. Erlebnis ist der Grad der Erfüllung berechtigter oder vermeintlicher Erwartungen. Zufriedenheit ist der Vergleich von Erwartung und Erlebnis, wobei beide übereinstimmen, Unzufriedenheit ergibt sich, wenn die Erwartung höher ist als das Erlebnis, Begeisterung, wenn das Erlebnis höher ist als die Erwartung. Zufriedenheit ist von eminenter Bedeutung, weil davon auszugehen ist, dass ein wirtschaftlich entscheidender Wiederkauf (Stay) nur dann zustande kommt. Bei Unzufriedenheit wechseln die Nachfrager ohne nähere Auseinandersetzung den Anbieter (Exit), weil sie glauben, sich dies in einem Käufermarkt nicht bieten lassen zu müssen, womit der Kundenwert erodiert. Sowohl auf die Erwartungs- als auch auf die Erlebniskomponente kann dabei im Sinne der Zufriedenheit individuell Einfluss genommen werden. Bei den Erwartungen stellt sich die Frage, woran diese sich bemessen. Denkbar sind dabei verschiedene Niveaus, so als: •• Idealniveau der Leistung, also die bestmögliche Ausprägung, wobei diese am absoluten Niveau oder am relativen Preis-Leistungs-Verhältnis orientiert sein kann, •• realistisch wünschbares Niveau der Leistung, also unter Berücksichtigung praktischer Restriktionen (z. B. ethisch-sozialer Art), •• durchschnittlich am Markt bzw. beim Mitbewerb üblicherweise vorzufindendes Niveau, das als weithin akzeptiert anzusehen ist, •• faires Niveau, das von einem gutwilligen „christlichen Kaufmann“ zu erwarten ist und leicht oberhalb des Durchschnitts liegt,



16.  Elemente der Kundenbeziehung591

•• zur Tolerierung unerlässlich angesehenes Mindestniveau der Leistung, dessen Unterschreiten als inakzeptabel anzusehen ist. Jeweils weichen diese Erwartungen intersubjektiv voneinander ab. Eine Einflussnahme vornehmlich auf die Erwartungen vor Transaktionen erfolgt durch: •• gezielte Informationssteuerung an prospektive Kunden, z. B. durch Betonung der Reputation des Anbieters, von vertrauenswürdigen Leistungsnachweisen (Testergebnisse o. Ä.) oder durch Selbstbindungen zur Risikoreduktion (z. B. Garantien), weitere Signale gehen vom Marketing-Mix aus, z. B. Vertriebskanalwahl, Preisniveau, Werbestil, •• Anreize zum Anbieterwechsel, z. B. Probeangebote, die unverbindlich oder kostenfrei sind, innovative Leistungen, die latente Bedarfe aufgreifen und mit nutzenbringendem Angebot versehen, Events, die für Aufmerksamkeit sorgen, dadurch werden etwaige negative Erlebnisse aus der Erfahrung prospektiver Kunden mit anderen Anbietern genutzt, •• Nutzung von Empfehlungen zufriedener eigener gegenüber prospektiven Kunden, z. B. durch Prämien zur Kundenwerbung (Kunden werben Kunden), Kundenforen im Internet, meist in moderierter Form, teils unter Beteiligung von Mitarbeitern, Stimulierung der Mund-zu-Mund-Propaganda, etwa durch Likes, Influencer, positive Emojis etc. Ziel muss es sein, die Erwartungen so auszusteuern, dass sie hoch genug sind, um ein Angebot als attraktiv erscheinen zu lassen, aber nicht so hoch, als dass eine spätere tatsächliche Leistungserfahrung sie nicht einlösen könnte. Werden Erwartungen zu niedrig justiert, ist es zwar leicht, sie durch Erlebnisse zu übertreffen, ihre akquisitorische Wirkung wird jedoch notleidend. Werden Erwartungen hingegen zu hoch justiert, geht von ihnen zwar eine hohe akquisitorische Wirkung aus, jedoch fällt es schwer, diese durch Erlebnisse einzulösen und damit Zufriedenheit zu generieren. Eine Einflussnahme vornehmlich auf die Erlebnisse bei vollzogenen Transaktionen ist ebenfalls möglich. Dazu dient das Customer Experience Management, also die Schaffung herausgehoben positiver Kundenerfahrungen durch: •• sensorische Erlebnisse beim Kauf des Produkts / dem Vollzug der Dienstleistung, z. B. Musikuntermalung, Beduftung von Schauräumen, diese reichern die Transaktion an und werten sie wahrnehmungsbezogen auf, •• affektive Erlebnisse beim Kauf des Produkts / dem Vollzug der Dienstleistung, z. B. Ruhezonen im Handelsplatz, Einkaufsberatung, keine Wartezeiten, diese begleiten die Transaktion und runden dadurch das Erlebnis ab, •• kognitive Erlebnisse bei Umsetzung durch Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung, z. B. kaufbegleitende Information, dies erhöht die individuell wahrgenommene Übereinstimmung,

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

•• stilbezogene Erlebnisse zur Bestätigung / Bestärkung der Wahl von Angebot und Anbieter, z. B. durch ökologische Komponenten, sozial-ethische Fairness, dies reduziert etwaige Dissonanzen, •• verhaltensbezogene Erlebnisse aus der Interaktion mit anderen Kunden, z. B. Kundenclubs, Fanclubs, Interessenclubs, dies verbessert die Akzeptanz der Leistung durch „Gleichgesinnte“. Ziel ist jeweils die Erreichung von Zufriedenheit. Denn diese führt nach landläufiger Meinung zu einer Stay-Entscheidung, d. h. Anbieter- und Markentreue, da jeder Wechsel ein Risiko der Verschlechterung der Situation impliziert. Unzufriedenheit hingegen führt dann zu einer Exit-Entscheidung, d. h. Anbieterund Markenwechsel, denn in einem Käufermarkt braucht man sich eine unzureichende Leistungsqualität nicht bieten zu lassen. Allerdings gibt es in beiden Fällen Ausnahmen. So kann es trotz Zufriedenheit zu einer Exit-Entscheidung kommen, etwa aus der Suche nach Abwechslung (Variety Seeking Behavior /  VSB) und trotz Unzufriedenheit zu einer Stay-Entscheidung, etwa aus Mangel an Ausweichmöglichkeiten (Sole Sourcing). Begeisterung hingegen kann kein sinnvolles Ziel sein, da unter dynamischer Betrachtung eine „­ Anspruchsinflation“ entsteht. Begeisterungselemente werden so im Ablauf zu Leistungselementen, die als selbstverständlich hingenommen werden und schließlich zu Basiselementen, die nurmehr geeignet sind, Unzufriedenheit zu verhindern. Solche Unzufriedenheiten ergeben sich im Einzelnen aus vier Gründen (Gaps) die hoch kumulieren: •• Lücke 1 ist die Informationslücke zwischen dem, was ein Anbieter meint, was für Kunden wichtig ist und dem, was tatsächlich für Kunden wichtig ist. Eine Schließung ist durch Kundennähe möglich sowie durch Nutzung von Marktinformationen, Aufwärtskommunikation in der Organisation oder Reduzierung der Hierarchiestufen. •• Lücke 2 ist die Normierungslücke zwischen den Kundenerwartungen und der tatsächlichen Umsetzung daraus resultierender Qualitätsstandards. Eine Schließung ist durch angemessene Leistungsstandards möglich sowie durch Verpflichtung des Managements zu qualitätsbezogenen Zielen, Standardisierung von Aufgaben bzw. Sicherung deren Durchführbarkeit. •• Lücke 3 ist die Umsetzungslücke zwischen den Spezifikationen aus der Qualitätssicherung und der überwiegend erfolgenden realen Leistungsausführung. Eine Schließung ist durch QM-Maßnahmen möglich sowie durch Teamarbeit, Mitarbeiter-Arbeitsplatz-Entsprechung, eingebaute Systemkontrollen, Klärung von Rollenkonflikten und -unklarheiten. •• Lücke 4 ist die Kommunikationslücke zwischen der tatsächlichen Leistungsausführung und der an Kunden gerichteten Auslobung der Leistung. Eine Schließung ist durch konservative Kommunikation möglich sowie durch



16.  Elemente der Kundenbeziehung593

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Abb. 100: Ansätze zur Kundenzufriedenheitsmessung (I)        

h­ orizontale Kommunikation in der Organisation, Vermeidung unrealistischer Versprechungen bzw. Einhaltung von Versprechen. Angesichts der hohen Bedeutung der Kundenzufriedenheit stellt sich die Frage, wie diese zuverlässig und gültig gemessen werden kann. Dafür gibt es die verschiedensten Ansätze, letztlich jedoch noch keinen „Königsweg“, sondern nur mehr oder minder belastbare Optionen. Dabei können mehrere Gruppen von Ansätzen unterschieden werden, die im Folgenden vorgestellt werden (siehe Abb. 100). 16.1.2 Objektive Zufriedenheitsindikatoren Bei Umsatz / Marktanteil geht es um die Erfassung von (absoluten) Umsatzbzw. (relativen) Marktanteilswerten. Diese Indikatoren geben jedoch nur sehr bedingt konkrete Hinweise auf das Zufriedenheitsniveau der Nachfrager, denn Käufe werden auch trotz vorhandener Unzufriedenheit mangels geeigneter Alternativen oder hinreichender Markttransparenz getätigt. Sie wiegen also leicht in falscher Sicherheit. Dem erliegen vor allem Marktführer, die sich aufgrund

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

ihrer Marktergebnisse in der Richtigkeit ihres bisherigen Verhaltens bestärkt sehen und daraus auf ein hohes Maß bereits realisierter Leistungsqualität schließen. Tatsächlich verleitet eine solche Position jedoch eher zur Selbstzufriedenheit als zur Nachfragerzufriedenheit und damit gerade zur Vernachlässigung kundenrelevanter Bedürfnisse. Bei Eroberungen / Loyalitätsraten geht es um die Erfassung von Eroberungsraten, d. h. den Anteil vom Wettbewerb neu hinzugewonnener Kunden in einer Zeiteinheit, bzw. Loyalitätsraten, d. h. den Anteil treu wiederkaufender, bestehender Kunden in dieser Zeiteinheit. Hohe Eroberungsraten können danach als Indikator für ein hohes Maß an Zufriedenheit aufgefasst werden, denn zufriedene Kunden wirken als positive Multiplikatoren im sozialen Umfeld und konditionieren damit andere Personen auf ein Angebot  /  einen Anbieter. Damit sind diese eher geneigt, sich auf dieses Angebot  /  diesen Anbieter einzulassen. Unzufriedenheiten hingegen multiplizieren sich ebenfalls, in noch weitaus stärkerem Maße, im sozialen Umfeld und erschweren damit den Zugang weiterer Personen zum Angebot  /  Anbieter, so dass dessen Eroberungsrate niedrig bleibt. In gleicher Weise lassen hohe Loyalitätsraten vordergründig den Schluss zu, dass diese Kunden ein hohes Maß an Zufriedenheit verspüren, weil sie ansonsten zu anderen Angeboten  /  Anbietern wechseln würden. Dies kann aber auch darin verursacht sein, dass Konkurrenten noch schlechtere Leistungen anbieten oder ein lokales Monopol gegeben ist (z. B. im Handel). Umgekehrt kann eine niedrige Loyalitätsrate auch im Streben der Kunden nach Abwechslung trotz Zufriedenheit (Variety Seeking Behavior) begründet sein. Ein weiterer Indikator ist die Anzahl bzw. der Anteil zurückgewonnener Kunden von / an allen Kunden, welche die Geschäftsbeziehung bereits aufgekündigt haben. Die Kundenrückgewinnung ist sehr schwierig, weil sie zu spät kommt. Dennoch gibt es durchaus Kunden, die dies als „Hilferuf“ verstehen, also gar nicht wechseln wollen, sondern damit nur mehr Aufmerksamkeit für ihre Belange fordern. Daher ist es immer sinnvoll, wenngleich begrenzt erfolgversprechend, kündigenden Kunden ein Angebot zur Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu unterbreiten. In dem Maße, wie dies gelingt, kann daraus ein Anhaltspunkt für die Zufriedenheit gezogen werden. Hohe Rückgewinnungszahlen / -anteile indizieren zumindest eine Grundzufriedenheit. Die Interpretation ist jedoch schwierig, da die Rückkehrerraten generell ausgesprochen niedrig ausfallen. Jeder verbleibende Kundenverlust muss analysiert werden (Lost CustomerAnalyse), um weitere Kundenverluste aus gleichen Ursachen zu verhindern. Meist besteht kein Zugriff mehr auf verlorene Kunden, so dass spekulativ vorgegangen werden muss. Dabei lassen sich im Wesentlichen fünf kundenseitige Kündigungsgründe feststellen:



16.  Elemente der Kundenbeziehung595

•• die Geschäftsbeziehung wurde aus Unzufriedenheitsgründen abgebrochen (Unintentionally pushed away Customers), hier sind diese Gründe unbedingt zu identifizieren und abzustellen, der Kunde kann dann wieder angesprochen werden, •• durch Mitbewerbermaßnahmen wegakquirierte Kunden (Pulled away Customers), hier ist zu prüfen, inwieweit Kunden gegen diese Abwerbemaßnahmen immunisiert werden können, etwa durch Kundengebundenheit, •• durch Mitbewerber aus der bestehenden Beziehung herausgekaufte Kunden (Bought away Customers), hier ist zu prüfen, inwieweit ein Anbieter dagegen halten will, dies ist vom jeweiligen Kundenwert abhängig, •• Kunden, die über kein Budget zum Kauf mehr verfügen (Unwillingly going away Customers), hier sind Aktivitäten zur Umstellung auf andere eigene Angebote zu prüfen, ansonsten sind diese Kunden weiter zu beobachten, •• Kunden, die keinen Bedarf mehr aufweisen (Moved away Customers), hier sind die ehemaligen Kunden weiter zu beobachten und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten anzusprechen, sobald sie wieder Bedarf zeigen können. Großen Erkenntnisgewinn verspricht, wenn möglich, ein Abgangsinterview mit abwandernden Kunden. Häufig sind diese dann, weil sie subjektiv keinerlei Verpflichtung mehr verspüren, bereit, „ehrliche“ Auskünfte über ihre Kündigungsgründe zu geben. Wichtig ist auch zu analysieren, ob sich die Kundenverluste auf bestimmte Leistungen, Marktverantwortungsgebiete, Branchen oder Unternehmensgrößen konzentrieren, um daraus Rückschlüsse auf Unzufriedenheitsstifter zu ziehen. 16.1.3 Subjektive Qualitätsvermutungen Bei der (nicht-teilnehmenden) Expertenbeobachtung registrieren und analysieren geschulte Fachleute (Peers) typische Kundenkontaktsituationen (teils mit Hilfe von Fotoaufnahmen, Tonband- bzw. Videoaufzeichnungen) und reporten Auffälligkeiten, die zur Leistungsverbesserung genutzt werden können. Dies erfolgt anhand tatsächlicher oder simulierter Kontaktsituationen mit Hilfe eigener Erkenntnisse der Experten oder eines vorher mit dem Management abgestimmten Kriterienkatalogs mit Punktbewertungsschema. Dabei können auffällige Schwächen gezielt verbessert werden. Als Experten werden zumeist externe Coaches beauftragt, um der vorgeblichen oder tatsächlichen „Blindheit“  /  Befangenheit betriebsinterner Mitarbeiter entgegenzuwirken. Von Vorteil ist, dass die Geschehnisse während ihres spontanen Vollzugs beobachtet und gleichzeitig spezifische Umweltsituationen aufgenommen werden können. Auch ist die Beobachtung unabhängig von der Auskunftsbereitschaft der Beteiligten wie auch deren, im Einzelfall womöglich, begrenztem Ausdrucksvermögen. Dies gilt allerdings nur, sofern eine verdeckte (biotische) Beobachtung

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

gegeben ist, d. h. die Zielperson weder um die Beobachtung noch um den Untersuchungszweck der Beobachtung weiß. Weiterhin lassen sich bestimmte Sachverhalte, wie etwa die wichtige Körpersprache, nur durch Beobachtung ermitteln. Dies gilt auch für Sachverhalte, die sich auf Gruppen beziehen. Als problematisch ist dabei die Authentizität der Ergebnisse zu beurteilen, ebenso können bei bewusster (offener) Testsituation atypische Beobachtungseffekte bei den Betroffenen auftreten. Abhilfe schafft hier die unbewusste (biotische) Beobachtung, die allerdings leicht an ethische Grenzen stößt. Die Anzahl der beobachteten Fälle ist zudem begrenzt, es ist fraglich, inwieweit sie als typisch anzusehen sind, und bei seriöser Erhebung entstehen hohe Kosten, weil die Beobachtungssituationen zeitlich kundenabhängig und schwierig steuerbar sind. Eine Repräsentanz ist bei der Beobachtung kaum darstellbar, und die Aufnahmekapazität des Beobachters bleibt begrenzt. Zudem ist zweifelhaft, wer in dieser Beziehung als Experte anzusehen ist. Die Unsicherheit über die Qualität wird somit letztlich ersetzt durch die Unsicherheit über die Experteneignung. Weiterhin kann nur Verhalten beobachtet werden, verborgen bleiben hingegen Einstellungen. Auch wird die Qualitätswahrnehmung des Beobachters nicht mit der von Kunden übereinstimmen. Aus diesen Gründen sind aufwändige Nachbefragungen erforderlich, mit allen Problemen, die dabei auftreten. Beim Mystery Shopping (auch Silent Shopping oder Scheinkäufe genannt) treten Personen als verdeckte Interessenten / Käufer auf und simulieren eine reale Kaufsituation, um dadurch Hinweise auf wesentliche Verbesserungen in der Leistungserbringung zu gewinnen. Diese reporten sie dann an den Anbieter. Im Unterschied zur nicht-teilnehmenden Beobachtung greift der Mystery Shopper aktiv in die Transaktion ein (teilnehmende Beobachtung). Es ist allerdings fraglich, ob solche Scheinkunden in der Lage sind, die Wahrnehmungen und Empfindungen realer Kunden nachvollziehbar zu machen. Dennoch ist dieses Verfahren, zumindest stichprobenartig angewendet, weit verbreitet und lohnend. Dennoch ist dieser Ansatz problematisch, weil die Operationalisierung und Beurteilung qualitativer Leistungsfaktoren weitgehend ungelöst ist, diese Leistungsfaktoren von situativen Umständen abhängen (z. B. Warteschlange vor der Kasse, Zeitdruck beim Lebensmitteleinkauf, Schmerzpatienten in der Arztpraxis) und verzerrende Interaktionen zwischen Testkunden und Beurteiler auftreten. Außerdem ist dieses Verfahren ethisch problematisch, da Probanden sich der Erhebung nicht entziehen können. Diese freie Wahlmöglichkeit aber ist moralische Grundlage jeder Erhebung. Außerdem nimmt der Vorgang die Zeit des betreffenden Mitarbeiters in Anspruch. Wird dann nicht abgeschlossen, kann es zu Opportunitätskosten kommen (Provisionsausfall), weil tatsächliche Kunden währenddessen nicht bedient werden können. Ausnahmen stellen Fälle dar, in denen die Mitarbeiter, die erhoben werden, vorher davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie voraussichtlich in eine solche Studie einbezogen werden, was



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dann aber ihr Verhalten verändern mag. Dies ist oft durch Betriebsvereinbarungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat zwingend vorgeschrieben. Schließlich erfolgt auch die Auswahl der Erhebungseinheiten aufs Geratewohl, also willkürlich, was allein schon dafür bürgt, dass die Ergebnisse verzerrt sind. Ein weiteres Verfahren sind neutrale Tests durch Dritte. Idealerweise erfolgt dies anhand statistisch abgesicherter Stichprobenverfahren (z. B. Stiftung Warentest), tatsächlich aber werden zumeist willkürliche Einzelfälle erhoben und verbreitet. Die Ergebnisse sind zumeist durchwachsen und streifen die Grenzen des ethisch Vertretbaren (etwa, wenn einzelne Mitarbeiter mit ihren fallbezogenen Unzulänglichkeiten in Pressemedien namentlich benannt werden). Insofern ist dieser Ansatz umstritten. Außerdem bietet die subjektive Beurteilung breiten Raum für Diskussionen, zumal, wenn Beurteilungskriterien zahlreich und untereinander gewichtet sind. Darin kommen dann eher die Präferenzen der Tester, denn die der Kunden zum Ausdruck. Letztlich gilt für die Initiatoren oft „Bad News are good News“, allein um ihre Berechtigung zu rechtfertigen. Daher gibt es dafür einen internationalen Kodex der IHK / Esomar. Danach müssen neutrale Leistungstests so angelegt und ausgeführt werden, dass Geld und Zeit der Organisation und der Personen, bei denen die Informationen erhoben werden, nicht unangemessen in Anspruch genommen werden. Die Ergebnisse der Arbeit sollen so analysiert und präsentiert werden, dass die einzelnen Verkaufsstätten oder Mitarbeiter nicht identifiziert werden können. Situationen, die danach akzeptabel sind, sind etwa Kontrollen des Verhaltens von Mitarbeitern durch reine Beobachtung, kurze Interviews (von 2–3 Min. Dauer) oder Situationen, in denen ein Kauf tatsächlich getätigt wird (etwa bei geringwertigen Leistungen). Nicht akzeptable Situationen sind Kontrollen durch Beobachtung, die den Mitarbeitern oder anderen Kunden lästig sein können, Befragungen, wenn sie die Zeit der betroffenen Mitarbeiter in erheblichem Umfang in Anspruch nehmen oder Analysen der gesammelten Daten, aufgrund derer bestimmte Mitarbeiter identifiziert werden können. Ausnahmen gelten, wenn eine Organisation als Gegenstand dieser Untersuchung ausdrücklich damit einverstanden ist, das Risiko möglicher Unannehmlichkeiten und  /  oder Umsatzverluste in Kauf zu nehmen und die Personen, die in dieser Organisation tätig sind und erhoben werden, vorher in Kenntnis gesetzt worden sind, dass sie voraussichtlich in eine derartige Studie einbezogen werden. Inakzeptabel sind Erhebungen, die der Kontrolle der Leistung bestimmter, namentlich genannter Personen dienen sollen, sowie Aktionen, mit denen konkret die Absicht verfolgt wird, den Vertrieb auszuweiten oder durch die Schaffung einer Scheinnachfrage direkt den Umsatz zu beeinflussen. Im Rahmen des Willingness to Pay-Verfahrens werden potenzielle Kunden dahingehend erhoben, welche Preisbereitschaft sie für ein bestimmtes Angebot

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im Vergleich zu konkurrierenden Angeboten empfinden bzw. vor allem, welche Veränderungen der Preisbereitschaft zu Angebotsveränderungen korrespondieren. Aus der relativen Höhe der Preisnennung wird auf die wahrgenommene Qualität geschlossen, d. h., je höher die Preisbereitschaft, desto höher die Qualitätsvermutung. Dabei ist es bedeutsam, zwischen relativer und absoluter Preisbereitschaft zu unterscheiden. Die relativen Preisabstände (Preishierarchie) bieten durchaus gute Indikatoren für die komparativ eingeschätzte Qualitätseinstufung. Allerdings ist die Äußerung der absoluten Preisbereitschaft mit großen Vorbehalten zu sehen. Zwar ist eine enge Korrelation zwischen Preisbereitschaft und Qualitätsvermutung wahrscheinlich, jedoch ist die Annahme, dass die hinter einer geäußerten Preisbereitschaft gewähnte Preisakzeptanz dann vom Anbieter am Markt auch liquidiert werden kann, fehlleitend. Vielmehr wird nicht selten vom Nachfrager die hohe Qualität eines Angebots am Markt nicht erkannt oder nicht für erforderlich gehalten, so dass entsprechend bepreiste Waren und Dienste tatsächlich am Bedarf vorbeigehen. Problematisch ist auch die Signifikanz anderer Faktoren als der Qualität, die im Preis zum Ausdruck kommen wie Prestige, Knappheit etc. Die Verfechter dieses Verfahrens sehen jedoch auch darin Aspekte der wahrgenommenen Qualität. Eine unkonventionelle Form der subjektiven Qualitätsvermutung ist die unerkannte Mitwirkung von Vorgesetzten bei der Arbeitsdurchführung („Undercover Chef“), um einen unmittelbaren, unverfälschten Eindruck von den Leistungsbedingungen, anbieter- wie nachfragerseitig, zu erhalten. Auch diese Ergebnisse sind mit großen Vorbehalten zu betrachten, einerseits, weil die Vorstellung über Zufriedenheit bei Leitenden Angestellten, Geschäftsführern oder Inhabern erheblich von denen unvoreingenommener Kunden abweichen dürfte und andererseits, weil Manager die Interaktionen an der „Kundenfront“ häufig viel zu wenig kennen, um sie angemessen beurteilen können (siehe Abb. 101). 16.1.4 Subjektive Zufriedenheitsmessung 16.1.4.1 Explorative Ansätze Explorative Ansätze beruhen auf der Befragung von Probanden, d. h. Kunden oder Nichtkäufern. Dabei handelt es sich um die nahe liegendste Form der Erhebung. Zugleich ist sie jedoch diejenige mit den höchsten Verzerrungsgefahren. In der Theorie werden daher andere Erhebungsformen propagiert, in der Praxis ist diese Form jedoch noch weitest verbreitet. Bei der Globalbeurteilung wird die erlebte Zufriedenheit bei Kunden undifferenziert abgefragt. Solche Fragestellungen vermögen weder die Art der Be-



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Abb. 101:        Ansätze zur Kundenzufriedenheitsmessung (II)

weggründe für die Urteilsabgabe auszuweisen noch deren Gewichtung innerhalb des Globalurteils. Insofern ist nicht erkennbar, wie es zum geäußerten Urteil kommt. Und deshalb auch nicht, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, was wiederum erforderlich wäre, um gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Zufriedenheit einleiten zu können. Dennoch wird ein solches Global-

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urteil vergleichsweise häufig erhoben, weil es leicht und schnell erfassbar ist und quantitativen Erhebungsanforderungen entgegenkommt. Zumindest ergeben sich daraus erste Anhaltspunkte für Qualitätsprobleme, die Anlass zum gezielten Einsatz differenzierterer Messmethoden sind. Oftmals ist es erstaunlich, dass Anbieter nicht einmal über systematische Erkenntnisse aus solchen Globalurteilen verfügen. Vielmehr wird unzulässigerweise aus einzelnen, positiv wie negativ willkürlichen Meinungsäußerungen auf die mutmaßliche Zufriedenheit innerhalb der Kundschaft geschlossen. Oft steht dahinter auch die Befürchtung, Kritik an der eigenen Leistung zu hören, vor der man sich irrationalerweise sperrt. Außerdem wird die Emotionalität einer Anbieter-Kunden-Beziehung („Chemie“) nur äußerst unvollkommen abgebildet. Auch wäre es viel interessanter, Nicht-Käufer oder Ex-Kunden zu befragen, ob ein wesentlicher Grund ihrer Kontaktvermeidung darin liegt, dass sie befürchten, auf ein qualitativ unzureichendes Leistungsangebot zu stoßen. Dabei wird nicht auf tatsächliche Erfahrungen zurückgegriffen, sondern auf die einem Anbieter zugeschriebene Kompetenz, Zufriedenheit zu erzeugen. Dies ist deshalb von hoher Bedeutung, weil es häufig nicht möglich ist, vor dem Kauf eine objektive Leistungseinschätzung vorzunehmen (Vertrauensgutcharakter). Um zu differenzierteren Aussagen zu gelangen, ist eine Detailbefragung unerlässlich. Dabei handelt es sich meist um Fragebatterien, die vielfältige Leistungsaspekte erheben. Fraglich bleibt jedoch, wie sorgfältig und ehrlich, und ob überhaupt, solche Fragebögen ausgefüllt werden. Zu bedenken ist auch, dass eine hohe Verweigerungsrate besteht, da Detailbefragungen Zeitaufwand implizieren, den keinesfalls alle Zielpersonen aufzubringen bereit sind. Dies wäre nicht weiter problematisch, könnte man davon ausgehen, dass die Auskunftsverweigerer struktur­ identisch zu den Auskunftspersonen sind. Dann müsste einfach nur die Fallzahl erhöht werden. Dies ist jedoch keineswegs anzunehmen. Vielmehr dürften zwischen beiden Gruppen erhebliche Unterschiede bestehen. Dann aber sind die Befragungsergebnisse notwendigerweise verzerrt und wenig brauchbar. Eine hohe Verweigerungsquote ist allein schon wegen mangelnder Motivation zur Auskunftserteilung gegeben. Werden Anreize zur Beteiligung gewährt oder in Aussicht gestellt (Verlosung), besteht die Gefahr von Gefälligkeitsantworten, da Kunden einen Zusammenhang zwischen der Art ihrer Antworten und dem Erhalt des Anreizes sehen. Solche Gefälligkeitsantworten sind insb. auch bei persönlicher Befragung durch tatsächliche oder zu vermutende Mitarbeiter eines Anbieters zu erwarten. Außerdem führen Befragungen immer zu einer Rationalisierung der Antworten, da die schriftliche oder mündliche Auskunftserteilung eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Thematik voraussetzt. Dies aber behindert eine wünschenswerte Spontaneität und den Ausdruck emotionaler Gründe.



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Bei der Fokusgruppe handelt es sich um ein Hilfsmittel der Ermittlung bei Kunden, indem nicht ein repräsentativer Querschnitt von ihnen erhoben wird, sondern bewusst nur einige, als besonders wichtig erscheinende Kunden (Konzentrationsverfahren). Auf deren Urteil wird gesteigerter Wert gelegt, sei es, weil der Anbieter sie für besonders befähigt zur Auskunft hält oder sei es, weil sie einen hohen Kundenwert für ihn verkörpern. Die Erhebung erfolgt zumeist bei End- oder Zwischenkunden als Teilnehmer einer Gruppendiskussion (Kundenforum / Lead User-Analyse), die vom Anbieter nach den Kriterien Marktbedeutung und / oder Vertrauensbasis ausgewählt und um ihre Meinungsäußerung in Bezug auf die von ihnen empfundene Zufriedenheit gebeten werden. Die Marktbedeutung kann durch deren Auftragsvolumen oder die Referenzfähigkeit dieser Kunden unterlegt sein. Die Vertrauensbasis resultiert zumeist aus lang laufenden Geschäftsbeziehungen. Diese Kunden werden in mündlicher Form unter Anleitung eines neutralen Moderators zu zufriedenheitsrelevanten Inhalten befragt. Es empfiehlt sich, dieses Gespräch außerhalb des Unternehmens und ohne Teilnahme herausgehobener Unternehmensangehöriger zu führen. Ziel ist die informelle Ermittlung von Leistungswahrnehmungen und Hinweisen zur Verbesserung der Leistung durch Elimination von Angebotsschwächen. Die Aussagefähigkeit der Ergebnisse ist aufgrund der bewussten Auswahl der Erhebungseinheiten und störender gruppendynamischer Effekte eingeschränkt, jedoch entsteht immerhin ein erster Eindruck von Wahrnehmungen, ihre Durchführung ist kostengünstig und schnell, und bei den Teilnehmern entsteht das Gefühl der Einflussnahmemöglichkeit. Problematischer sind Händler oder wissenschaftliche Beiräte einzuschätzen. Erstere verbinden mit ihren Äußerungen immer auch egoistische Zwecke, denen sich ein Anbieter ausgesetzt sieht und kaum entziehen kann, letztere führen durch verzerrte Realitätswahrnehmung, Hörensagen und Voreingenommenheit oftmals geradewegs in die Irre. Beim Tell a Story-Verfahren werden Kunden gebeten, ihre Erlebnisse mit einem Anbieter in Form einer informellen Geschichte zu erzählen. Dabei wird unterstellt, dass Ereignisse, die dabei geschildert werden, zugleich als herausgehoben wahrgenommen worden sind. Weiterhin wird bei dieser Schilderung regelmäßig auch ein Kommentar darüber abgegeben, ob diese Ereignisse positiv oder negativ wahrgenommen worden sind, also als Zufriedenheits- oder Unzufriedenheitsstifter fungieren. Wie aufschlussreich solche Narrationen sein können, hat wohl jeder schon einmal bei der Schilderung von Urlaubserlebnissen bemerkt. Man tendiert dazu, prägende Eindrücke besonders herauszustellen. Dies gilt vor allem für negative Eindrücke, die in der Schilderung zudem dramatisiert werden. Diese herausgehobenen Eindrücke überstrahlen oft die gesamte Wahrnehmung und bestimmen damit den Qualitätseindruck. Aus der Art der Erzählung kann zudem auf die Sichtweise des Anbieters / Angebots geschlossen werden.

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Der Net Promotor Score (NPS) ist ein Instrument zur Ermittlung der Rate, mit der Kunden einen Anbieter weiterempfehlen wollen. Berechnet wird der NPS durch die Differenz zwischen Promotoren und Opponenten des betreffenden Angebots. Die Anzahl wird ermittelt, indem den Kunden die Frage gestellt wird: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Unternehmen XYZ einem Freund  /   einer Freundin oder einem Kollegen  /  einer Kollegin weiterempfehlen werden?“ Gemessen werden die Antworten auf einer Skala mit Werten von 0 (völlig unwahrscheinlich) bis 10 (äußerst wahrscheinlich). Promotoren sind dabei Kunden, die mit 10 oder 9 antworten, also eindeutig positiv eingestellt sind, Opponenten sind diejenigen, die mit 6, 5, 4, 3, 2, 1 oder 0 antworten. Kunden, die mit 8 oder 7 antworten, gelten als unentschieden (passiv Zufriedene) und werden daher bei der Berechnung des NPS nicht berücksichtigt. Der NPS ergibt sich als Differenz aus Promotoren (in %) und Opponenten (in %). Das Ergebnis kann daher zwischen + 100 (nur Promotoren) und – 100 (nur Opponenten) liegen. Es ist insoweit über verschiedene Anbieter, Standorte und Produkte hinweg untereinander vergleichbar (Querschnittvergleich) sowie auch im Zeitablauf (Längsschnittvergleich). Der Vorteil des NPS liegt in der Einfachheit seiner Messung und der Eindeutigkeit seiner Ergebnisse. Es gibt eine Korrelation zwischen NPS und Organisationserfolg, der für über 30 Branchen empirisch belegt und in seinem Loyalty Business Model theoretisch basiert ist. Es handelt sich also um eine praktisch wie theoretisch gut fundierte Messmethode. Zusätzlich sollten durch die Möglichkeit zu offenen Kommentaren detailliertere Gründe für die jeweilige Einschätzung durch Kunden angegeben werden können, die aufzeigen, wie das jeweilige Ergebnis zustande gekommen ist. TRI*M steht für Measuring, Managing, Monitoring der Kundenzufriedenheit. Ausgangspunkt ist der TRI*M-Index als Kennzahl zur Messung des Grads der Kundenbindung. Dieser ergibt sich aus vier Teilbereichen: der Gesamtzufriedenheit der Kunden mit dem Unternehmen, ihrer Bereitschaft, Empfehlungen auszusprechen, der Absicht der Kunden, die Geschäftsbeziehung aufrecht zu erhalten und dem spezifischen Vorteil, den Kunden bei ihrem Anbieter relativ zum Mitbewerber sehen. Die Erhebung erfolgt durch mündliche, schriftliche und telefonische Befragung. Aus den Ergebnissen wird eine TRI*M-Typologie abgeleitet, die eine Beschreibung von Kunden hinsichtlich ihrer Zufriedenheit (niedrig  /  hoch) und ihrer Loyalität (niedrig  /  hoch) vornimmt. Die sich ergebenden Typen werden bezeichnet als •• „Söldner“, diese sind zwar hoch zufrieden, aber wenn sich etwas Besseres findet, untreu und somit gefährdet; •• „Apostel“, diese sind hoch zufrieden und zuverlässig loyal;



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•• „Geiseln“, diese sind unzufrieden, aber durch Verträge, Konditionen und Technologien zumindest vorläufig zwangsweise gebunden; •• „Rebellen“, diese sind unzufrieden und illoyal, können daher jederzeit verlorengehen. Entsprechend dieser Einteilung geht es im TRI*M-Grid um die Identifizierung und Priorisierung von Schlüsselfaktoren zur Verbesserung der Kundenbindung, zur Schaffung von Hygienefaktoren (Vermeidung von Leistungsschwächen) und Motivatoren (als Leistungselemente) sowie zur Umsetzung von Einsparpotenzialen (Maßnahmen ohne Bindungseffekt) und versteckten Chancen (zur Leistungsdifferenzierung) in der Kundenbindung: •• Für „Söldner“ sollten spezielle Kundenbindungsprogramme konzipiert werden. •• „Apostel“ sind durch Loyalitätsprogramme mit Signalen besonderer Wertschätzung abzusichern. •• „Geiseln“ sollten mit Verbesserungsprogrammen eingestimmt werden. •• „Rebellen“ sind opportunistisch zu betreuen, d. h. von Fall zu Fall unter Rentabilitätsgesichtspunkten. Durch die Standardisierung der Erhebung und Auswertung sind auch unternehmens-, branchen- und länderübergreifende Vergleiche (Benchmarking) möglich. 16.1.4.2 Merkmalsorientierte Ansätze Diese beruhen auf multiattributiven Verfahren und gehen davon aus, dass ein Globalurteil in eine Vielzahl von Einzelmerkmalen aufgespalten werden kann. Beim Servqual-(Service-Quality-)Ansatz erfolgt die branchenübergreifende Zufriedenheitsmessung durch Befragung repräsentativ ausgewählter Auskunftspersonen anhand vorgegebener Kriterien, die auf einer Gut-Schlecht-Skala zeitgleich dahingehend beurteilt werden sollen, welche Art von Eindruck sie bei Nachfragern hinterlassen (also die tatsächlich erlebte Leistung) bzw. welchen Grad an Bedeutung (also im Vergleich zu anderen Leistungsmerkmalen) sie einnehmen. Die Operationalisierung erfolgt anhand einer je siebenstufigen Doppelskala mit idealerweise erwarteten und tatsächlich erlebten Leistungen. Es handelt sich um einen Zweiskalen-Einmesspunkt-Ansatz (Diskrepanzenmessung). Aus der Differenz der Antworten kann für jedes Kriterium einzeln, und in der Summe als Durchschnitt über alle Kriterien, die erlebte Leistung gemessen werden. Stellt man die Skalen grafisch untereinander, können die Messwerte vertikal miteinander verbunden werden und ergeben zwei anschauliche Polaritätenprofile, deren Verlauf über die bereits realisierte Leistung und deren Abstand über die verbleibenden Besserungspotenziale Auskunft gibt. Dabei wird

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unterstellt, dass trotz der relativ großen Spezifität hinsichtlich der Branchen die Leistungsbeurteilung vielfach nach ähnlichen Merkmalen vollzogen wird, eine Leistung also umso höher eingeschätzt wird, je besser und wichtiger sie von Kunden erlebt wird. Und dass für dieses Kundenerlebnis im Wesentlichen vier Impulse prägend sind, nämlich mündliche Kommunikation, situative Faktoren, zugrunde liegende Erfahrungen und Anbieterkommunikation. Die Messung erfolgt anhand eines standardisierten Fragebogens, dessen 22 Aussagen (die aus einem großen Set möglicher Aussagen vorab als die treff­ sichersten identifiziert worden sind) gemeinsam fünf Dimensionen (die aus mehreren Dimensionen als besonders hoch ladend identifiziert worden sind) repräsentieren: •• das physische Umfeld einer Leistung, inkl. der Räumlichkeiten, der Einrichtung und des Erscheinungsbilds des Personals (Tangibles  /  4 Items = 11 % Gewichtung), •• die Fähigkeit, die versprochene Leistungserstellung zuverlässig und akkurat auszuführen (Reliability  /  5 Items = 32 % Gewichtung), •• die Gewilltheit und Schnelligkeit  /  Reagibilität bei der Lösung von Kundenproblemen (Responsiveness  /  4 Items = 22 % Gewichtung), •• das Wissen, die Höflichkeit und die Vertrauenswürdigkeit der Mitarbeiter, stellvertretend für die Leistungskompetenz des Anbieters (Assurance  /  4 Items = 19 % Gewichtung), •• die Bereitschaft, sich individuell um jeden Kunden zu kümmern, also das Einfühlungsvermögen des Kundenkontaktpersonals (Empathy  /  5 Items = 16 % Gewichtung). Zu jeder der 22 Aussagen werden zwei Formen erhoben, zunächst die Form der Erlebnisse der Kunden über relevante Dimensionen und dann die Form deren tatsächlicher Bedeutung. Um die Ausprägung der Teilqualitäten hinsichtlich der fünf Dimensionen zu erhalten, wird der Durchschnitt der EindruckBedeutungs-Differenzen über die zu einer Dimension gehörigen Items berechnet. Das Globalmaß wird als Mittelwert aller fünf Dimensionen gebildet. Der Vorteil des Servqual-Ansatzes liegt in der Standardisierung und damit der Möglichkeit, Anbieter / Angebote innerhalb einer Branche oder über Branchengrenzen hinweg miteinander zu vergleichen. Allerdings ist kritisch zu beachten, ob die Kriterien wirklich alle jeweils relevanten Dimensionen erfassen (Vollständigkeit), nicht aber gleich mehrfach abdecken (Redundanzfreiheit), was zu bezweifeln ist. Werden jedoch eigenständige Merkmalskataloge entwickelt, was durchaus sinnvoll ist, entfällt diese Vergleichsmöglichkeit. Auch besteht die Gefahr einer Anspruchsinflation, d. h., die Erwartungen werden in der Abfrage so hochgeschraubt, dass selbst hervorragende Erlebnisse hinter ihnen zurückbleiben und eine Unzufriedenheit konstatiert wird, die so gar nicht gegeben ist.



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Zur Behebung entstehen hohe Kosten, die Preise erforderlich machen, die eben diese Auskunftsgeber nicht bereit sind zu zahlen, was den Anbieter letztlich aus dem Markt herausmanövriert. Auch darf die Urteilsfähigkeit der befragten Personen nicht überfordert werden. Für die Konsequenzen ergeben sich vier Kombinationen: •• Hoher Wert des Leistungseindrucks und großer Wert der Leistungsbedeutung: Kunden sind auf hohem Niveau zufrieden, das Angebot ist hoch wettbewerbsfähig, es gilt unbedingt, dieses Level zu halten (Stärken stärken). •• Hoher Wert des Leistungseindrucks und geringer Wert der Leistungsbedeutung: Kunden verspüren ein hohes Maß an Zufriedenheit, die Wettbewerbsfähigkeit des Angebots wird durch diese Merkmale dennoch kaum verbessert, weil deren Bedeutung als gering eingeschätzt wird (Zuviel des Guten). •• Niedriger Wert des Leistungseindrucks und großer Wert der Leistungsbedeutung: Kunden sind in hohem Maße unzufrieden, die Wettbewerbsfähigkeit des Angebots ist daher fraglich, insofern muss hier entschlossen angesetzt werden, um Schwächen zu beseitigen. •• Niedriger Wert des Leistungseindrucks und geringer Wert der Leistungsbedeutung: Kunden sind begrenzt zufrieden, da diese Merkmale das Angebot aber kaum beeinflussen, sind Maßnahmen hier dennoch nachrangig. Dabei ergeben sich jedoch Mängel in der Auswertungslogik, die für die Einschätzung der Aussagefähigkeit zu berücksichtigen sind. So wird ein niedriger Erlebnis- und ein niedriger Wahrnehmungswert als noch zufriedenstellend interpretiert, obgleich dies lediglich aussagt, dass die geringen Erwartungen eines Kunden an eine Leistung durch ein geringes Erlebnis bestätigt werden, also alles andere als zufriedenheitsstiftend sein dürften. Es kommt somit mitnichten nur auf die Relation von Soll und Ist an, sondern entscheidend muss ein absoluter Referenzstandard für eine als zureichend erachtete Mindestqualität hinzukommen. Bei der Differenzenmessung werden die Komponenten Einstellung (vor der Leistungserstellung  /  Erwartung) und Wahrnehmung (nach der Leistungserstellung  /  Erlebnis) zeitlich getrennt erhoben (Zweiskalen-Zweimesspunkte-Ansatz). Dabei handelt es sich um die Vorher-Nachher-Messung, die sich aus dem C-DParadigma zwangsläufig ergibt. Begeisterung ist danach gegeben, wenn die Erwartungen hinsichtlich einer Leistung von deren Erlebnissen übertroffen werden (positive Diskonfirmität), Unzufriedenheit stellt sich hingegen ein, wenn die Erlebnisse hinter den Erwartungen zurückbleiben (negative Diskonfirmität). Stimmen Erwartungen und Erlebnisse weitgehend überein, entsteht Konfirmität (Zufriedenheit). Zur Messung wird mit einer Kriterienliste gearbeitet, die „Das erwarte ich“Aussagen enthält, die anhand einer (z. B. fünfstufigen) Ratingskala bewertet

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werden (abgestuft von „Trifft voll und ganz zu“ bis „Trifft überhaupt nicht zu“), die vor Ausführung der Leistung bei Kunden erhoben werden (ex ante). Nach Ende der Transaktion werden die Kunden erneut mit derselben Kriterienliste konfrontiert, die dieses Mal „So habe ich es erlebt“-Aussagen enthält, die wiederum auf der gleichen Ratingskala beantwortet werden (ex post). Die Kunden haben damit für sie erkennbar zwar kein Zufriedenheitsurteil abgegeben, tatsächlich haben sie aber implizit nichts anderes als ihre Qualitätswahrnehmung ausgedrückt. Aus der Differenz der Antworten für Erlebnis und Erwartung kann für jedes Merkmal einzeln, und in der Summe als Durchschnitt über alle Merkmale, die tatsächliche Zufriedenheit gemessen werden. Stellt man die Skalen grafisch untereinander und verbindet die Durchschnittsmesswerte, ergeben sich zwei anschauliche Polaritätenprofile, deren Verlauf über das Ergebnis je Merkmal und deren Abstand über die jeweilige Qualitätswahrnehmung Auskunft gibt. Legt man die beiden Profile übereinander, ergeben sich auf Anhieb die Differenzen über alle gemessenen Merkmale. Bei der Vignette-Methode wird ein komplexer Gesamteindruck in differenzierte Einzeleindrücke zerlegt (dekompositioniert), die dann analysiert, gewichtet und gerangreiht werden. Dabei liegen Schlüsselinformationen (Vignettes) zugrunde, aus denen sich konkrete Hinweise darauf ergeben, wo mit Aktivitäten angesetzt werden soll. Dabei wird davon ausgegangen, dass relativ wenige Faktoren letztlich die gesamte Leistungswahrnehmung von Kunden bestimmen, d. h., eine Vielzahl von Einzeldimensionen wird zu übergeordneten Faktoren gebündelt, deren Betrachtung stellvertretend für alle Teilleistungen zur Leistungseinstufung führt (Information Chunks). In dem Maße, wie es gelingt, diese Schlüsselfaktoren zu optimieren, überstrahlen sie andere, weniger relevante Merkmale (Irradiation). Dieses Verfahren zeigt daher, wo der Hebel anzusetzen ist. Problematisch ist allerdings, dass diese Einschätzung jeweils vor dem persönlichen Erfahrungshintergrund der Kunden stattfindet, der naturgemäß individuell erheblich voneinander abweicht. Problematisch ist auch die Identifizierung dieser Kernfaktoren. Dies kann nur erreicht werden, indem der Anbieter zunächst alle Teilleistungen katalogisiert und diese dann einzeln hinsichtlich ihres Leistungsbeitrags bei Kunden abfragt. Dies überfordert aber Auskunftspersonen leicht, so dass man real anders vorgeht, indem einzelne, vom Anbieter definierte Teilleistungen unter Beibehaltung aller anderen variiert (gesteigert, vermindert, weggelassen) werden und die sich daraus ergebende Veränderung im Gesamturteil gemessen wird. Dazu wird Conjoint Measurement (Verbundmessung / CJM) als Hilfsmittel eingesetzt, um den partiellen Beitrag einzelner Merkmale einer Gruppe von Objekten, z. B. im Versandhandel Auspackqualität, Lieferzeit, telefonische Bestellannahme, zu ermitteln. Insofern kann die relative Bedeutung einzelner Objekteigenschaften, z. B. variierte Auspackqualitäten, unterschiedliche Lieferzeitenniveaus, verschiedene Bestellmedien, isoliert werden. Die Teil-



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leistungen, deren Veränderung den größten nachvollziehbaren Ausschlag im Gesamturteil ergeben, sind offensichtlich die Kernfaktoren. Allerdings ufert der Aufwand zur Erhebung kombinatorisch rasch aus, so dass real immer nur wenige Kombinationen gemessen werden können. Auswege bieten hier fraktionelle Designs, die jedoch einen Informationsverlust bedeuten (wegen fehlender Interaktionseffekte), mehrstufige Präsentationsprocedere, die jedoch in Suboptimalität enden können (wegen sukzessiver Verkettung) oder paarweise Bewertungen, die zumindest eine Überforderung der Probanden vermeiden helfen (aber ein Ranking erschweren). Kundenbarometer sind systematisch angelegte Befragungsinstrumente durch Wellenerhebungen (Trackings) auf nationaler Ebene, in großer Fallzahl, branchenübergreifend und in regelmäßigen Abständen (in Deutschland mit stark betriebswirtschaftlichem Bezug). Um als Managementhilfe effektiv zu sein, muss ein solches Instrument in seiner Anlage vom Interesse der Kunden ausgehen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass zwischen Leistungsqualität, Kundenzufriedenheit und Kundentreue bzw. Anbieterwechsel eindeutige Zusammenhänge bestehen. Übersteigt die von Kunden wahrgenommene Leistung deren Erwartungen, wird sie als sehr zufriedenstellend beurteilt, umgekehrt entsteht Enttäuschung. Diese Reaktionen werden überwiegend in Form computergestützter Telefoninterviews bei Kunden abgefragt. Maßstab sind repräsentativ für die Gesamtbevölkerung erhobene Zufriedenheits- und Bindungsdaten, in Deutschland für über 700 namentlich erfasste Anbieter von Gütern und Diensten aus über 50 Branchen bei über 20.000 Personen in privaten Haushalten, repräsentativ für die deutschsprachige Bevölkerung ab 16 Jahren. Die Zufriedenheit der Befragten wird von diesen jeweils von 1–5 benotet und begründet. Durchschnittlich werden vier Branchen je Interview angesprochen. Insgesamt werden 1.800 Unternehmen mit 190.000 Kundenbeziehungen erfasst. Hinzu treten branchenspezifische Zusatzfragen und soziodemografische Strukturdaten sowie Verbrauchertrends. Inhalt der Befragung sind der Kontakt zu Anbietern, die Zufriedenheit mit Anbietern, der Grund für das relative Zufriedenheitsurteil, die Zufriedenheit mit einzelnen branchenrelevanten Leistungsfaktoren, die Intensität  /  Dauer der Kundenbeziehung, Wiederkauf, Cross Buying, Weiterempfehlung und Beschwerdehäufigkeit  /  -zufriedenheit. Im Längsschnittvergleich ist überwiegend eine Verschlechterung des Zufriedenheitsgrads zu verzeichnen, obgleich das Serviceniveau der Anbieter sich in allen Branchen unzweifelhaft stark verbessert hat. Auch dies ist ein Beleg für die Gültigkeit des C-D-Paradigmas, denn die Erwartungen an die Anbieter sind offensichtlich schneller gestiegen als die erlebten Leistungen, mithin ist die Zufriedenheit gesunken. Denkbar ist auch, von allen wahrnehmbaren zunächst die Zufriedenheitskritischen Merkmale zu identifizieren, das sind solche, die Zielpersonen für besonders bedeutsam erachten, und diese dann einzeln hinsichtlich ihres Einflusses

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auf den globalen Leistungseindruck zu bewerten. Die Messung bezieht sich auf Routinekomponenten, bei denen Unzulänglichkeiten nicht geduldet werden, sowie Ausnahmekomponenten, die von Kunden gesondert honoriert werden. Dieser Sichtweise liegt das Kano-Modell zugrunde. Es unterscheidet in •• Basisfaktoren, die lediglich für die Abwesenheit von Unzufriedenheit verantwortlich sind, allein aber noch keine Zufriedenheit herstellen können, da sie als selbstverständlich angesehen werden. Dies sind die Penalties, deren Erfüllung in jedem Fall erwartet und nicht gesondert honoriert, deren Fehlen aber als gravierend empfunden wird. •• Leistungsfaktoren, die bei Vorhandensein ein hohes Maß an Zufriedenheit bzw. bei Nichtvorhandensein ein hohes Maß an Unzufriedenheit hervorrufen, mit wachsender Ausprägung also zu steigender Zufriedenheit führen. Diese sind von einer kritischen Asymmetrie nicht betroffen. •• Begeisterungsfaktoren, die bei Nichtvorhandensein noch keine Unzufriedenheit auslösen, weil man sie nicht unbedingt erwartet, bei Vorhandensein aber zur Begeisterung führen können. Dies sind die Rewards, deren Fehlen also nicht weiter moniert, deren Erfüllung aber besonders honoriert wird. So ergeben sich konkrete Hinweise auf die Leistungssteigerung derart, dass zunächst die Penalty-Faktoren auf ein akzeptiertes Mindestniveau zu hieven sind, bevor es sinnvoll ist, sich mit den Reward-Faktoren zu beschäftigen. Sofern dieses Mindestniveau bei den Penalty-Faktoren aber erreicht ist, kann mit den Reward-Faktoren ein komparativer Konkurrenzvorsprung erreicht werden. Ein Problem liegt darin, was als zufriedenheitskritische Merkmale anzusehen ist. Auf keinen Fall kommt es dabei auf die objektive Bedeutung einzelner Merkmale für die Leistungserstellung an oder auf die subjektive Sicht des Anbieters. Entscheidend ist allein, was Kunden für kritisch erachten. Dazu ist dann eine Vorerhebung erforderlich, die zunächst einmal diese käuferwichtigen Merkmale feststellt, bevor für diese ihr Einfluss auf den globalen Leistungseindruck gemessen wird. Erst wenn die Kernleistungen zuverlässig auf hohem Niveau erbracht werden, können Zusatzleistungen Wettbewerbsvorsprünge erzeugen. Eine Gefahr besteht allerdings im „Pampering“ von Kunden mit Zusatzleistungen, die diese so gar nicht erwartet hätten, nun, da sie ihnen aber geboten werden, gern mitnehmen. Fallen diese Zusatzleistungen dann später einmal, etwa aus Lean ManagementGründen, weg, tritt eine Enttäuschung bei Kunden auf, die ansonsten, also ohne das Angebot solcher Zusatzleistungen, nicht aufgetreten wäre, nun aber zum Nachteil des Anbieters gereicht. Daher empfiehlt es sich, solche Zusatzleistungen an Gegenleistungen zu koppeln (z. B. Bestellumfang, Zahlungsform), sie nur gegen extra Berechnung zu erbringen oder ganz zu unterlassen (No Frills).



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16.1.4.3 Ereignisorientierte Ansätze Als Ereignis werden alle Kontaktpunkte zwischen Anbieter und Kunden, also solche, an denen es zu Interaktionen kommt, angesehen. Diese gehen vom Personal (Kundenkontaktmitarbeiter) oder den Betriebsmitteln  /  Werkstoffen des Anbieters aus und werden von den Kunden als solche wahrgenommen. Bei der Sequenziellen Ereignismessung wird davon ausgegangen, dass Kunden aus allen Situationen nur eine begrenzte Anzahl wahrnehmen können (Onstage), während ihnen eine Vielzahl anderer verborgen bleibt (Backstage). Folglich gilt es, diese Kontaktpunkte zu optimieren. Insofern bedarf es zunächst der Kontaktpunktidentifikation. Dazu wird der Ablauf der Leistungserstellung mit Kunden im Rahmen von offenen, strukturierten Interviews aus deren Perspektive gedanklich Schritt für Schritt durchgegangen und in eine Abfolge der Einzelaktivitäten zur Herbeiführung des beabsichtigten Erfolgs gebracht. Die Erfassung erfolgt auf Basis der gestützten Erinnerung (Aided Recall). Die grafische Darstellung dieser Sequenzen in Form eines Ablaufdiagramms nennt man Blueprint. Allein diese Aufschlüsselung erbringt meist schon erstaunliche Erkenntnisse. Darin werden die unmittelbar von den Kunden wahrnehmbaren Ereignisse (Encounter Points) markiert. Es ergibt sich eine Line of Visibility als Abfolge aller Aktivitäten, die Kunden zu Gesicht bekommen. Kunden werden im persönlichen Gespräch gebeten, diese sichtbaren Teile (Moments of Truth) nochmals gedanklich-emotional nachzuvollziehen. Zum Blueprint gehören also alle, auch die normalerweise „kundenunsichtbaren“, zur Line of Visibility nur die „kundensichtbaren“ Teilprozesse. Da nur letztere für das Qualitätsurteil entscheidend sind, denn die Kundenbeurteilung beruht nur auf dem, was von diesen auch wahrgenommen werden kann bzw. von dem, was wahrgenommen werden kann, wird auf das geschlossen, was unsichtbar bleibt (Halo-Effekt), müssen sich Ansätze zur Leistungssicherung bzw. -steigerung auf diese sichtbaren Teilleistungen konzentrieren. Allerdings ist es tatsächlich so, dass Bemühungen bei „kundensichtbaren“ Prozessen zumeist auch die „kundenunsichtbaren“ einbeziehen müssen, weil letztere Voraussetzung für die Leistungserstellung ersterer sind. Insofern ist die Unterscheidung eher anschaulich zu verstehen. Bei der Kritischen Ereignismessung (Critical Incident Technique / CIT) wird von allen sichtbaren nur die Teilmenge der subjektiv als herausgehoben (zufriedenstellend oder unbefriedigend) erachteten Kernprozesse durch Kunden beurteilt. Da ihnen die größte Bedeutung zukommt, ist Abhilfe von Mängeln dort am dringlichsten. Dazu bedarf es einer Vormessung, um aus allen wahrnehmbaren die positiv oder negativ herausgehoben wahrgenommenen Ereignisse zu selektieren. Indem im Folgenden nur diese beurteilt werden, kommt es zu einer Vereinfachung der Erhebung und zur Vermeidung einer Überforderung der Auskunftspersonen. Dabei gilt, dass kritische Ereignisse von der hochwertigen Erfüllung auch unkritischer wie „kundenunsichtbarer“ Ereignisse abhängen. Zu-

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dem weicht die Ansicht über kritische Ereignisse intersubjektiv voneinander ab (so ist innerhalb eines Flugs für Business-Reisende die Pünktlichkeit von Abflug und Ankunft besonders relevant, für Touristen in derselben Maschine aber vielleicht das Kinoprogramm an Bord). Die Erfassung erfolgt im Einzelnen durch standardisierte, offene Fragen, z. B.: „Denken Sie an einen Vorfall, bei dem Sie als Kunde eine besonders zufriedenstellende bzw. besonders unbefriedigende Leistung erlebt haben. Wann kam es zu diesem Ereignis? Beschreiben Sie die konkreten Umstände, die zu dieser Situation hingeführt haben. Wie haben sich die Mitarbeiter dabei verhalten? Welche Ursachen haben bei Ihnen das Gefühl ausgelöst, dass es sich in diesem Fall um ein besonders zufriedenstellendes bzw. unbefriedigendes Ereignis handelt?“ Daraus kann dann ein Anforderungsprofil an Leistungsprozesse abgeleitet werden. Vorteilhaft ist dabei vor allem, dass von den individuellen Bedarfen der Kunden ausgegangen wird. 16.1.4.4 Problemorientierte Ansätze Problemorientierte Ansätze zur Messung der Zufriedenheit setzen ebenfalls bei Ereignissen an, jedoch nur bei solchen, die als negativ herausgehoben wahrgenommen werden. Denn die positiv wahrgenommenen Ereignisse bilden keinen Ansatz für nennenswerte Verbesserungen. Der Kritischer Pfad-Ansatz (Critical Path Analysis) ist eine Weiterentwicklung der Kritischen Ereignismessung, wobei das Augenmerk jedoch auf einem negativen Aspekt der Kundenbeziehung, nämlich der Abwanderung von Kunden, liegt. Dabei soll der Prozess der Abwanderung, ausgehend von einem negativen, kritischen Ereignis, bis zur Aufnahme einer neuen Kundenbeziehung mit einem anderen Anbieter näher durchleuchtet werden. Daraus lassen sich Konzepte für die Rückgewinnung von Kunden ableiten. Dazu werden sechs Typen von nachfragerseitigen Abwanderungen unterschieden: •• Die reaktive Abwanderung wird nicht durch eine Leistungsschwäche des Anbieters ausgelöst, sondern durch Umstände, die in der Person des Kunden oder seinem Umfeld liegen (z. B. Wohnortwechsel). Dieser Form der Abwanderung kann nur begrenzt entgegengewirkt werden, etwa durch Standortmultiplikation. •• Die emotionale Abwanderung resultiert aus einem als gravierend angesehenen negativen Ereignis, das zu einem affektiv ausgelösten Wechsel des Anbieters führt, die Gründe liegen also nicht in Leistungsmerkmalen i. e. S. Fraglich ist, ob rationale Argumente in der Lage sind, dieses Manko auszugleichen, insofern ist hier eine problematische Situation gegeben.



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•• Die verzweifelte Abwanderung stellt sich ein, wenn vom Kunden bereits eine Vielzahl unzufriedenheitsstiftender Ereignisse im Zeitablauf toleriert worden ist, nunmehr aber durch ein negatives Ereignis „das Fass zum Überlaufen“ gebracht wird. Da hier eine grundsätzlich positive Einstellung des Kunden zum Anbieter zu unterstellen ist, stehen die Chancen bei Wiedergutmachung nicht schlecht. •• Die geplante Abwanderung liegt vor, wenn ein Kunde systematisch Leistungen beim bestehenden Anbieter abzieht oder neue Leistungen gleich bei anderen Anbietern nachfragt, solange, bis die alte Kundenbeziehung gänzlich erodiert ist. Da hier ein bewusstes Vorgehen eingeschlagen wird, wird es schwerfallen, die Kundenbeziehung zu retten. •• Die erzwungene Abwanderung ist gegeben, wenn ein Kunde mit seinen Wünschen bereits mehrfach beim Anbieter auf Ablehnung gestoßen ist und er keine andere Wahl sieht, als sich nach einem neuen Anbieter umzusehen. Dies ist besonders bedauerlich, liegt der Anlass doch allein auf der Anbieterseite, es sei denn, der Anbieter will diesen Kunden bewusst ausgrenzen. •• Die gewünschte Abwanderung kann mit einer inneren Kündigung verglichen werden, der Kunde ist gedanklich und mit seinem Herzen längst bei einem anderen Anbieter, jedoch hält er aus Bequemlichkeit / Gewohnheit die Anbieterbeziehung vorläufig noch aufrecht. Die kleinste Irritation reicht hier bereits als Auslöser. Um die tatsächlichen Verursachungsgründe der Abwanderung zu eruieren, werden häufig indirekte Befragungen anhand programmierter Befragungsbäume (Root-Cause) eingesetzt, da meist andere als die tatsächlichen Gründe argumentativ vorgeschoben werden. Daneben gibt es die anbieterseitige Ausgrenzung unrentabler und auch nicht zu profitabilisierender Kunden. Bei der Problementdeckungsmethode (Problem Detecting Method) werden Aussagen über die Dringlichkeit einer Problembehebung ermittelt. Dabei bedarf es zunächst der Zusammenstellung und Erhebung möglicher Probleme. Dann werden die einzelnen Kundenkontaktsituationen, in denen Probleme auftreten können, nach ihrer Häufigkeit ausgewertet und nach ihrer Problembedeutung für das Leistungserlebnis, und zwar immer aus der Sicht von Kunden, gewichtet. Dazu bedarf es sowohl der Erhebung der Häufigkeit von Leistungsproblemen als auch der Erfassung des Einflusses dieser Probleme auf das gesamte Leistungsurteil. Es ergeben sich häufige und seltene Kundenkontaktsituationen, diese sind kundenwichtig oder kundenunwichtig. Zur Durchführung ergeben sich einzelne Schritte. Für die Ermittlung einer Problemliste geht es zunächst um eine gewisse Vollständigkeit, denn Probleme, die hier „übersehen“ werden, fehlen während des gesamten weiteren Verfahrens. Dann erfolgt eine Komprimierung dieser Liste nach Relevanz- und Redundanz­ aspekten, indem Oberbegriffe für Detailprobleme gebildet und ähnliche Pro­

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

bleme darunter zusammengefasst werden. Es folgt die Erstellung eines Fragebogens mit Statements zu den dabei verbliebenen Problemen, wobei sowohl die Problembedeutung als auch deren Häufigkeit erfasst werden. Anschließend kommt es zur eigentlichen Datenerhebung der Kundenaussagen mit Durchführung der Befragung sowie Sichtung und Auswertung der Daten, um zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Wichtig ist, dass das, was relevant ist, sich allein aus der Sicht der betroffenen Kunden bestimmt. Darin liegt zugleich auch das Problem, denn Nachfrage ist nicht kreativ, d. h., was Kunden für wichtig ansehen oder nicht, darüber können diese kaum initiativ Auskunft geben, sondern nur durch Reflektion auf eine konkrete Leistung. Daraus ergibt sich eine gewisse Unausgewogenheit derart, dass zwar vorhandene Probleme erfasst werden können, Verbesserungspotenziale jedoch verborgen bleiben. Daher können Kunden auch hinsichtlich ihrer Vorstellungen zur Möglichkeit der Problemlösung (etwa bei der Konkurrenz, in verwandten Branchen, bei ähnlichen Funktionen etc.) befragt werden. Etwaige eingeleitete Maßnahmen zur Problembehebung können danach hinsichtlich ihrer Effektivität aus Kundensicht erhoben werden. So erhält man einerseits wertvolle Verbesserungsvorschläge und andererseits ein Feedback darüber, inwieweit eine Problemlösung bereits erreicht ist oder weitere Maßnahmen erforderlich sind. Die Frequenz-Relevanz-Analyse von Problemen (FRAP) ist eine systematisierende Weiterentwicklung der Problementdeckungsmethode. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass ein Anbieter sich umso eher mit einem Problem der Leistungserstellung befassen sollte, je häufiger es auftritt und je bedeutsamer es für Kunden ist. Als Informationsbasis dienen Kundenbefragungen nach Problem­ auftritt (Frequenz), Ausmaß der Verärgerung bei Problemauftritt und Verhaltensreaktion (Relevanz, z. B. Beschwerde / Voice oder Anbieterwechsel / Exit) darauf. Die so erfassten Probleme werden zu Gruppen zusammengefasst. Die Ermittlung der Frequenzwerte erfolgt rein quantitativ, die Ermittlung der Relevanzwerte entsteht durch Multiplikation der Aussagen zu den beiden übrigen Kategorien (Verärgerung / Verhaltensreaktion). Die grafische Darstellung erfolgt in Form eines Diagramms. Problemwertindices errechnen sich als Quotient aus der Summe der für einzelne Problemdimensionen bestimmten Relevanzwerte und der Gesamtzahl der Befragten. Dabei stellt sich zumeist heraus, dass wenige Probleme den größten Anteil der Problemrelevanz ausmachen (Pareto-Prinzip). Hoch frequente und hoch relevante Vorkommnisse (also die mit dem höchsten Produkt) sind zuerst hinsichtlich Leistungsproblemen zu untersuchen, gering frequente und gering relevante Vorkommnisse zuletzt und alle anderen dazwischen liegend. Wobei nicht verschwiegen werden darf, dass auch kleinere Leistungsprobleme in hoher Frequenz nerven ebenso wie seltene, dafür aber durchschlagende Probleme. Insofern geht es eher nur um eine Prioritätsfolge. Voraussetzung für die Anwendung ist allerdings der häufige Kontakt der Kunden zu



16.  Elemente der Kundenbeziehung613

einem Anbieter, da es ansonsten an der aussagefähigen Basis für die Abschätzung der Frequenz mangelt. 16.2

Unzufriedenheitsbearbeitung

Das Gegenteil der Zufriedenheit ist Unzufriedenheit. Diese darf keinesfalls hingenommen werden, sondern muss aktiv, besser noch proaktiv bearbeitet werden. Dazu liegt zwischenzeitlich ein umfangreiches Instrumentarium vor, das in Unternehmen auch weithin genutzt wird. Insofern handelt es sich hier um einen Hygienefaktor. 16.2.1 Bedeutung von Beschwerden Beschwerden sind Artikulationen von Unzufriedenheit seitens Kunden, anderen Personen oder organisationalen Anspruchsgruppen, die gegenüber dem Anbieter, Angehörigen des sozialen Umfelds oder auch Drittinstitutionen (wie Schieds- / Schlichtungsstellen, Verbraucherorganisationen, staatliche Stellen, Medien etc.) mit dem Zweck geäußert werden, auf subjektiv als schädigend empfundene angebots-, unternehmens- oder gesellschaftsbezogene Sachverhalte eines Anbieters hinzuweisen, um eine Änderung kritisierter Sachverhalte zu erreichen oder die Verhandlung bzw. Wiedergutmachung erlittener Beeinträchtigungen (in Anlehnung an Stauss / Seidel). Demnach haben Beschwerden immer eine aktive Komponente (Beanstandung), es handelt sich um geäußerte Unzufriedenheit. Als Beschwerder kommen alle Personen / Gruppen in Betracht, die in einer Interessenbeziehung zum Anbieter stehen (Stakeholders), in erster Linie ist dabei an Kunden zu denken. Die Beschwerde kann gegenüber dem Anbieter selbst, dem eigenen sozialen Umfeld oder dritten Stellen als Helfer geäußert werden. Der Inhalt von Beschwerden kann sich auf den angebotenen Service beziehen, aber auch auf andere Unternehmenstatbestände (z. B. Verhalten gegenüber der Gesellschaft). Die Behebung der Beschwerde kann sich auf die Änderung des beanstandeten Sachverhalts beziehen oder, zumeist, auf eine konkrete Wiedergutmachung für hingenommene subjektive oder objektive Schäden. Diese Wiedergutmachung kann aus dem Vertragsrecht abgeleitet werden oder auf Goodwill beruhen (Kulanz). Die Forderung auf vertragliche Wiedergutmachung wird als Reklamation bezeichnet. Dabei verbinden Kunden (nicht andere Anspruchsgruppen) in der Nachkaufphase (nicht vor oder beim Kauf) Beanstandungen explizit oder implizit mit der Forderung auf einen juristisch durchsetzbaren Rechtsanspruch. Insofern ist eine eindeutige Rechtsgrundlage gegeben, anders als bei Beschwerden, die nicht durch Rechte aus Delikt, Vertrag oder Produkthaftung bewehrt sind, weil sie nicht Ergebnisse betreffen, sondern Prozesse. Dabei bewegt man sich

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im Raum emotionaler Anbieter-Nachfrager-Beziehungen, die aus Unzufriedenheit resultieren. Die Äußerung der Unzufriedenheit erfolgt gegenüber dem Unzufriedenheitsstifter (Unternehmen / Organisation) selbst oder Dritten, etwa Einrichtungen, die sich geschäftsmäßig zumindest auch um die Behandlung von Beschwerden kümmern, oder Personen des sozialen Umfelds. Bei den Einrichtungen kann es sich um parteiische handeln (diese nehmen die Interessen nur eines Interaktionspartners wahr) oder neutrale (sind keiner der beiden Seiten verbunden). Unzufriedenheit führt für gewöhnlich (Ausnahme: Monopolsituation oder Zwangsbindung) zur Abwanderung von Kunden (Exit) und zu negativer Multiplikation dieser Erfahrung im sozialen Umfeld. Daher ist unbedingt Kundenzufriedenheit herzustellen. Als Beschwerdeführer kommen Käufer in Betracht, also Personen, die in ver­ traglichen Beziehungen mit dem Anbieter stehen, aber auch Interessenten, die sich erst im Stadium der Vertragsanbahnung befinden, oder auch vertragsfreie Personen, die nicht in ihrer Eigenschaft als Käufer oder Interessent tangiert, sondern anderweitige Anspruchshalter sind. Beschwerden können im B-t-BBereich erfolgen, also Bestandteil von Geschäftsprozessen sein, oder im B-t-CBereich, also im Kontakt mit privaten Abnehmern. Als Reaktionen im Beschwerdeverhalten ergeben sich aus Kundensicht folgende Möglichkeiten. Keine Auswirkungen bedeutet, dass die Fehlleistung des Anbieters entschuldigt wird. Diese Hoffnung ist angesichts zunehmend austauschbarer Angebote und erhöhter Kritikfähigkeit selbstbewusster Käufer gering. Zwar konzidieren Kunden, dass niemand unfehlbar ist, aber sie sind nicht bereit, hinzunehmen, dass an diesen Fehlern nicht gearbeitet wird. Meidung des Angebots bzw. Anbieters für zukünftige Käufe (Kaufverweigerung) bedeutet, dass unzufriedene Kunden, ohne die Chance der Wiedergutmachung durch den Anbieter zu suchen, zu Konkurrenten wechseln. Die Unzufriedenheit bleibt quasi unsichtbar für den Anbieter und ist gerade deshalb verhängnisvoll. Eine Äußerung der Unzufriedenheit im sozialen Umfeld kann abgestuft erfolgen. Zumindest ist mit Negativwerbung über einen bestimmten Anbieter bei Freunden / Bekannten / Kollegen etc. zu rechnen, höchstens mit dem Aufruf an Dritte, diesen zu meiden (Boykott). Damit geben Kunden ihrer Frustration außerhalb der Einflusssphäre des Anbieters Ausdruck, also ohne eine Korrekturmöglichkeit seinerseits. Sie bewirken damit über die eigene Meidung des Angebots hinaus weitere Kundenverluste. Das Verlangen auf Abhilfe vom Anbieter bedeutet, dass die Beschwerde diesem gegenüber ausdrücklich formuliert und mit einer Forderung zur Abstellung der Mängel verbunden wird. Diese sichtbare Handlung gibt zumindest die Chance, mäßigend auf Beschwerder einzuwirken. Bei nachlässiger, liebloser



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Beschwerdebehandlung wird sich der Ärger des Beschwerders steigern (Kaufverweigerung, Negativwerbung, Boykott, Anruf von Institutionen etc.). Bei sorgfältiger, systematischer Beschwerdebehandlung besteht die Chance, das Negativerlebnis des Beschwerders in ein Positiverlebnis zu verwandeln und somit sogar die Kundenbindung zu steigern. Schließlich bedeutet der Anruf von staatlichen / privaten Institutionen (Schiedsstelle, Verband, Innung etc.), dass Beschwerder sich bei Dritten mit dem Anspruch auf Abstellung der Mängel melden. Zu denken ist an das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen, Verbraucherberatungsstellen etc. Oftmals sind solche Institutionen Selbstschutzeinrichtungen der Branche, die verhindern sollen, dass es zu einer Imageschädigung und mangelnden Akquisitionswirkung auch bei nicht betroffenen gleichartigen Anbietern kommt. 16.2.2 Beschwerdepolitik Unter Beschwerdepolitik versteht man (auf die Kunden-Anbieter-Beziehung gerichtet i. e. S.) die Planung, Organisation, Koordination und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Kundenbeschwerden ergreift. Die Beschwerdepolitik hat mehrere Aufgaben. Die Wiederherstellung von Zufriedenheit impliziert, dass es sich bei Unzufriedenheit um einen vorübergehenden, „heilbaren“ Zustand handelt. Problematisch ist dabei, dass Aktivitäten bei Beschwerdern nicht auf einer unvoreingenommenen Basis ansetzen, sondern gegen eine negative Vorkonditionierung ankämpfen. Dennoch ist es möglich, die Zufriedenheit ehemals unzufriedener Kunden sogar über das durchschnittliche Niveau hinaus zu steigern. Diese Personen bleiben dann als Kunden loyal und werden positive Meinungsmultiplikatoren im sozialen Umfeld. Opportunitätskosten anderer Reaktionsformen wie Abwanderung, negative Meinungsmultiplikation, Boykott etc. implizieren Ertragsausfälle. Diese Ausfälle können sich auf erhebliche Beträge hochkumulieren. Zur Quantifizierung dient der Wert des Customer Lifetime Values. Idealerweise entsteht eine „Kundenleiter“. Diese hat nur eine Chance, wenn Irritationen ausbleiben. Einwandfreie Beschwerdebehandlung ist ein sichtbares Zeichen, dass kundenorientierte Betriebsführung konkret in der betrieblichen Praxis umgesetzt wird. Gerade dann, wenn diese Strategie mit spontanen Nachteilen für den Anbieter, wie Kosten- / Zeitaufwand, verbunden ist, ist ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit gegeben, die nachhaltig positiv wirkt. Zufriedenstellend behandelte Beschwerden führen zu einem Erfolgserlebnis bei Beschwerdern mit der Tendenz zur Weitertragung im sozialen Umfeld. Verbunden mit der Anerkennung für den Beschwerder durch Freunde, Bekannte,

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Kollegen etc. ist auch eine positive Einstimmung für darin involvierte Anbieter. Davon gehen konkret akquisitorische Wirkungen aus. Beschwerden sind Verbesserungsvorschläge, die durch ein Heer von Kundenumtausch / Nachholung bzw. kostenlos, vorgebracht werden. Unvermeidliche Beschwerden machen auf Fehler aufmerksam, die ansonsten verborgen bleiben würden. Wichtig ist, dass diesen Fehlerhinweisen zur zukünftigen Vermeidung konsequent nachgegangen wird, d. h., derselbe Fehler darf nur einmal vorkommen. Die Reduzierung von Fehlerkosten ist ein weiteres Anliegen. Prävention ist zweifelsfrei die effizienteste Form des (proaktiven) Beschwerdemanagements. Wiedergutmachung betrifft Umtausch / Nachholung, Nachbesserung, Wandlung (Rückabwicklung des Abschlusses), Minderung (Preisnachlass / Gutschrift) und ggf. Schadensersatz. Erlösausfälle führen durch Beschwerdeursachen und unzureichendes Beschwerdemanagement zur Abwanderung oder Kaufverweigerung von Kunden. Hinzu kommen gesellschaftliche Nachteile, die infolge immaterieller Belastungen von Kunden wie Stress, Frustration, Deprivation etc. oder materieller Schäden aus Lieferungen und Leistungen (Vermögensschaden) entstehen, dem Verursacher aber nicht direkt angelastet werden können. Durch Beschwerdestimulierung soll der Anteil sich beschwerender unzufriedener Kunden erhöht werden. Dazu dienen die Einrichtung leicht zugänglicher Beschwerdewege (Hotline, E-Mail etc.) und eine proaktive Zufriedenheitserhebung. Dafür müssen Ressourcen zur Beschwerdebehandlung bereitgestellt werden (materielle und personelle Ausstattung, Budget). 16.2.3 Beschwerdemotivation Ursache für Beschwerden ist immer Unzufriedenheit. Kunden, die sich beschweren wollen, nehmen, rational betrachtet, eine Abwägung zwischen den Erwartungen des bei einer Beschwerde entstehenden Aufwands und der dabei für wahrscheinlich gehaltenen Erfolgschance vor. Ihr Aufwand besteht aus Kosten, etwa als Telefon-, Portogebühren, Fahrt-, Belegkosten etc., und psychischer Belastung durch die Konflikthandhabung. Sie schätzen die Dauer und Häufigkeit der zur Zielerreichung für erforderlich gehaltenen Beschwerdekontakte ab, wobei mit deren zunehmendem Ausmaß von Beschwerden abgesehen wird. Die Erfolgschance besteht im ihnen mutmaßlich zuwachsenden Nutzen, z. B. materiell durch Kulanz, immateriell als emotionale Befriedigung. Je höher dieser Nutzen eingeschätzt wird, desto eher wird eine Beschwerde erhoben. Das heißt, will ein Anbieter das Ausmaß unvermeidlicher Beschwerden maximieren, wofür es gute Gründe gibt, muss er dafür Sorge tragen, dass der Beschwerdeaufwand als möglichst gering eingeschätzt wird und zugleich der Beschwerdeerfolg als möglichst hoch. Ein weiterer Faktor ist das Involvement



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der Beschwerdeursache. Hoch involvierende Produkte werden eher zur Beschwerdehandlung führen als gering involvierende. Schließlich kommt es auf situative Faktoren im Umfeld an wie Zeitdruck, Anwesenheit Dritter etc. Ähnlich wie bei Käufen, wird auch bei Beschwerden im Nachhinein eine Bewertung der Zufriedenheit mit dem Beschwerdeausgang vorgenommen. Dafür werden der manifestierte Nutzen und der dazu erforderliche Aufwand verglichen. Übertrifft der Nutzen den Aufwand, ist Beschwerdezufriedenheit gegeben, ist dies nicht der Fall, bleibt Unzufriedenheit zurück. Dieser Saldo wird als Erfahrung für die Erfolgsträchtigkeit späterer Beschwerden beim gleichen oder bei vergleichbaren Anbietern, aber auch für spätere Kaufentscheidungen, vor allem die Anbieterwahl, unterlegt. Das heißt, eine zufriedenstellend behandelte Beschwerde erhöht die Wahrscheinlichkeit des Wiederkaufs, bei nicht zufriedenstellender Behandlung steigt die Gefahr des Anbieterwechsels und damit die des dauerhaften Verlusts des Kunden. Dienstleistungen haben womöglich eine geringere Beschwerdequote als Sachleistungen, weil sich Kunden als notwendiger Externer Faktor für eine etwaig mangelnde Servicequalität zum Teil selbst verantwortlich fühlen. Die Gründe für Nichtbeschwerden sind vielfältig. Häufige Einschätzungen lauten, dass •• Beschwerden als aussichtslos angesehen werden, •• eigene Probleme als zu geringfügig in Relation zur Unternehmensbedeutung angesehen werden, •• ein zu hoher Zeitaufwand zu investieren ist, •• man emotional belastend wirkenden Ärger vermeiden möchte, •• bislang mit Beschwerden ohnehin nur schlechte Erfahrungen gemacht worden sind, •• es einfacher ist, sofort die Geschäftsstätte / den Anbieter zu wechseln, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen, •• man selbst die Mangelbehebung vorgenommen hat, •• der Mangel als nicht weiter tragisch angesehen wird, die Tauglichkeit einer Leistung zu ihrer Zweckerfüllung also nicht wesentlich einschränkt, •• eine Beschwerde einen hohen Kostenaufwand impliziert hätte, •• vermutet wird, dass die Anbieter ohnehin alle „unter einer Decke stecken“ und zusammenhalten, •• die beschwerdeannehmende Stelle nicht ermittelt werden kann, •• die Art und Weise einer Beschwerdeführung unbekannt ist.

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16.2.4 Beschwerderkategorien Es können vier Kategorien unterschieden werden: Aktive Beschwerder, Nichtbeschwerder, Querulanten und Zufriedene Kunden (siehe Abb. 102). Aktive Beschwerder sind Personen, die ihre Unzufriedenheit als Beschwerde (beim Anbieter) vorbringen. Sie liefern gute Anregungen zur Leistungsoptimierung. Daher sollen unvermeidliche, berechtigte Beschwerden maximiert werden, um diese zur Angebotsverbesserung zu nutzen. Infolge des Hangs zur Bequemlichkeit sind für die Ausschöpfung des berechtigten Beschwerdepotenzials Hilfsmittel erforderlich. Dazu gehören Response-Elemente, also solche, die ein Feedback vom Abnehmer zum Anbieter stimulieren. Dazu sind alle Medien geeignet, besonders aber Telefon und Internet wegen der Vorteile der weiten Verbreitung, der schnellen Reaktion, der Dialogfähigkeit, der Kostengünstigkeit und der Möglichkeit zur differenzierten Äußerung. Geringe Beschwerdezahlen sind kein aussagefähiger Indikator für die Abwesenheit von Kundenunzufriedenheit. Ein niedriges Beschwerdeaufkommen kann vielmehr das Ergebnis hoher Beschwerdebarrieren und / oder resignierter Kunden sein. Die Furcht vor Beschwerden ist vor allem deshalb unverständlich, weil Beschwerder keine Gegner sind, sondern hilfreiche Partner, denn sie geben dem Unternehmen wertvolle Hinweise auf Verbesserungen in Potenzialen, Prozessen und Ergebnissen, die ansonsten verborgen bleiben. Die Vernachlässigung von Beschwerden führt zur Nachfrageabwanderung mit geringer Chance der Zurückgewinnung, denn abgewanderten Kunden ist die Abstellung der Beschwerdeursache kaum vermittelbar, da kein Kontakt mehr zu ihnen besteht und sie die Besserung nicht mehr erleben, zumal für sie wenig Anlass zur probeweisen

  

            

 

 

  

  

 

Abb. 102: Beschwerderkategorien



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Rückkehr besteht. Wenn Beschwerdeursachen beim neuen Anbieter noch höher ausfallen, liegt es eher nahe, zu weiteren Anbietern zu wechseln, bevor man zum beschwerdeverursachenden Anbieter zurückkehrt. Dies gilt nur dort nicht, wo keine ausreichende Auswahl an Anbietern besteht. Dies ist jedoch selten der Fall (z. B. bei lokalen Monopolen). Ansonsten ist der Anteil der Beschwerder an den unzufriedenen Kunden (deren Zahl im übrigen mit aller Macht zu minimieren ist) zu maximieren. Unterdrückung vermeidbarer Fehler und Beschwerdemaximierung bei unvermeidlichen Fehlern sind zwei Seiten derselben Medaille. Nichtbeschwerder sind Kunden, die für gewöhnlich gleich zum Mitbewerb abwandern, ohne ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, was verheerende Konsequenzen hat, denn der Anbieter erfährt nichts über deren Unzufriedenheit. Im Gegenteil, subjektiv hat er den berechtigten Eindruck, dass seine Leistungsqualität in Ordnung ist, denn wenn dem nicht so wäre, kämen ja mehr Beschwerden. Insofern sieht er sich in der Richtigkeit seines Anbieterverhaltens bestätigt. Erst auf mittlere Sicht wird er sich wundern, dass immer weniger Kunden sein Angebot in Anspruch nehmen. Und er wird ratlos sein, wieso dies der Fall ist, damit aber wird er auch die ihm unbekannten Ursachen nicht abstellen können und schließlich vom Markt verdrängt werden. Denn während er sich in Sicherheit wiegt, werden im sozialen Umfeld die Nichtbeschwerder zu seinen Lasten tätig. Dabei sind zwei Effekte von Belang. Zum einen sind nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten, d. h., eine einwandfrei erbrachte Leistung ist kaum der Rede Wert, sie wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Erst eine schlecht erbrachte Leistung wird als erwähnenswert angesehen. Insofern liegt eine gravierende Asymmetrie in der Kommunikation vor. Marktforscher haben ermittelt, dass gute Anbietererfahrungen im Durchschnitt an drei Personen des sozialen Umfelds weitergegeben werden, schlechte aber an schätzungsweise 13 Personen. Zum anderen wird die Nachricht mit zunehmender Weitertragung immer dramatischer. Zunächst belanglose Probleme werden im Zeitablauf aufgebauscht, um ihren Nachrichtenwert zu steigern. Damit rückt der betroffene Anbieter in ein immer schlechteres Licht. Nichtbeschwerder verhindern so vielfach die Kontaktaufnahme weiterer potenzieller Kunden und deren Chance, unvoreingenommen originäre Erfahrungen mit dem Anbieter zu machen, denn er impliziert für diese ein vermeidbares Risiko. Daher vermeidet man jeden Kontakt zum Anbieter, oder falls dieser unausweichlich ist (z. B. Behörden), ist man auf negative Erlebnisse konditioniert, nimmt sie also verstärkt wahr und ist daher geneigt, ihr unerwartetes Ausbleiben nicht als Besserung, sondern als Ausnahme von der Regel zu betrachten. Soll diese Kettenreaktion verhindert werden, müssen die berechtigten Beschwerdeäußerungen maximiert werden („Wenn Sie unzufrieden sind, erzählen Sie es mir, wenn Sie zufrieden sind, erzählen Sie es anderen.“).

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Wohl unvermeidlich erfolgen auch Beschwerden ohne zureichenden Grund durch Querulanten. Auf die objektive Berechtigung einer Beschwerde kommt es aber nicht an, bereits eine subjektiv so erlebte Unzufriedenheit reicht aus. Diese Personen sind bei der Reklamationsbehandlung zu besänftigen, denn die objektive Nichtberechtigung ihrer Beschwerde rechtfertigt keineswegs eine abweisende Reaktion. 16.2.5 Beschwerdeinformationen Beim Beschwerdehandling wird zwischen einem direkten, kundeninteraktiven und einem indirekten, organisationsinternen Teil unterschieden. Der direkte Teil umfasst die Beschwerdestimulierung, die Beschwerdeannahme, die Beschwerde­ bearbeitung und die Beschwerdereaktion. Der indirekte Teil umfasst die Beschwerdeauswertung, die Beschwerdekontrolle, das Beschwerdereporting und die Beschwerdeinformationsnutzung. Eine sachkundige Bearbeitung von Beschwerden ist umso eher möglich, je höher der Informationsstand über Beschwerdeinhalte und -formen ist. Diese sind daher umfassend zu erheben, um neben Fehlern bei der Leistungserstellung solche bei der Beschwerdebehandlung zu vermeiden. Das Beschwerdeproblem besteht aus einer Vielzahl von Elementen, die zu erfassen sind. Die Art des Problems ist von fundamentaler Bedeutung. Hier können Potenzial-, Ergebnis- und Prozessprobleme unterschieden werden. Potenzialprobleme beziehen sich auf Menschen und / oder Betriebsmittel, bei Menschen speziell auf deren Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit. Ergebnisprobleme liegen zumeist darin, dass ein Produkt etwas nicht leistet, was Kunden versprochen oder von ihnen so erwartet wurde, und / oder etwas leistet, was Kunden nicht benötigen, wofür sie aber glauben, bezahlen zu müssen. Prozess­ probleme liegen darin, dass das Zustandekommen auch eines einwandfreien Ergebnisses als nicht hinreichend angesehen wird (zu denken ist an vermeidbar erscheinende Lieferzeiten). Die genauen Umstände des Beschwerdevorfalls betreffen Ort und Zeit der Verursachung. Allgemein kann es sich hinsichtlich der Beschwerdezeit um Ursachen in der Vorkaufphase oder der Nachkaufphase handeln. Beschwerden in der Vorkaufphase betreffen etwa die Beratung, hier wiederum zwei Aspekte, nämlich Mängel in der Sympathie oder in der Kompetenz. Sympathiemängel drücken sich in Unfreundlichkeit aus. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie können beim Kunden liegen, der Äußerungen missversteht oder, aufgrund schlechter körperlicher oder geistiger Disposition, missverstehen will. Sie können aber auch beim Verkäufer / Berater liegen, der Signale von Kunden nicht aufnimmt oder unzureichend verarbeitet oder, ganz menschlich, auch nur „mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden“ ist. Sie können in situativen Umständen liegen. Dazu gehören etwa fehlende Varietät bei der Auswahl,



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aber auch Wartezeiten bis zur Bedienung aufgrund hohen Kundenandrangs, Zeitdruck, etwa vor Ladenschluss oder zu Saisonhöhepunkten (z. B. Vorweihnachtszeit) etc. Gründe für Kompetenzmängel sind in drei Bereichen verankert. Mängel in der Sachkompetenz betreffen fehlendes oder unzureichendes Wissen über angebotene Leistungen. Mängel in der Methodenkompetenz betreffen fehlende oder unzureichende Fertigkeiten in der Umsetzung von Leistungen. Und Mängel in der Sozialkompetenz betreffen fehlende oder unzureichende Fähigkeiten zu positiver Interaktion mit Kunden. Jeder Mangel allein ist fähig, Beschwerdeursachen zu schaffen. Abhilfe ist durch entsprechende Schulung möglich. Beschwerden in der Nachkaufphase betreffen als Mangel empfundene mindere Nutzen. Damit ist nicht das Fehlen zugesicherter Eigenschaften gemeint, dieses fällt unter die kaufvertraglich abgesicherte Reklamation, sondern der Eindruck, dass Leistungen, die versprochen worden sind oder unausgesprochen so erwartet werden, nicht erfüllt werden. Die Nachkaufphase ist eine sensible Phase, weil Kunden Anbieter präferieren, von denen sie aufgrund ihrer Erwartungen oder vorliegender Erfahrungen annehmen, dass keine Diskrepanzen auftreten. Dies fördert die Loyalität (Voraussetzung zur Ausschöpfung des Kundenpotenzials). Umgekehrt führen enttäuschte Erwartungen zur (kognitiven) Dissonanz. Wichtig ist auch zu erfassen, welche Frist zwischen Transaktion und Beschwerde liegt und wie lange zwischen Beschwerdeeingang und -reaktion darauf vergeht. Denn ein wesentliches Merkmal zufriedenstellender Beschwerdehandhabung ist die prompte Bearbeitung. Und diese wird mit wachsender zeitlicher Entfernung zwischen Auslöser und Meldung immer schwieriger. Die Beschwerdeverärgerung ist unmittelbar nach Einstellen der Beschwerdeursache am höchsten und sinkt danach durch die Zusicherung der unverzüglichen Bearbeitung (Homöostase, d. h. sowohl positive als auch negative Erlebnisse lassen im Zeitablauf nach), bis zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verärgerung über eine als schleppend empfundene Beschwerdebearbeitung den Ärger über die eigentliche Beschwerdeursache wieder offensichtlich werden lässt und auf ein noch höheres Niveau treibt. Hinsichtlich des Beschwerdeverursachungsorts kann es sich um den Ort des Verkäufers handeln, um den Ort des Käufers oder um einen neutralen dritten Ort. Beschwerdeursachen liegen in unzureichender personeller und materieller Ausstattung des Anbieters. Personelle Mängel werden in fehlender Mitarbeiterqualifikation und -motivation gesehen. Materielle Mängel entstehen durch enttäuschte Erwartungen hinsichtlich der Bequemlichkeit und des Erlebnisses des Kaufs. Die Bequemlichkeit (Convenience) leitet sich aus dem Produkt selbst ab, aus begleitenden Kundendiensten und aus angebotsfernen Elementen, denen häufig akquisitorische Wirkung zukommt. Das Erlebnis leitet sich aus dem Angebotsumfeld ab wie Räumlichkeiten, Ausstattung etc. Deshalb ist es wich-

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tig, diesen Kontaktpunkt zwischen Kunden und von ihm erlebter Leistung (Moment of Truth) positiv zu gestalten. Aus der Fallschilderung können wichtige Hinweise auf die Beschwerdeursache und ihr zugrunde liegende Fehler gezogen werden. Die Fallschilderung des Beschwerders ist wörtlich zu erfassen. Oft stellt sich dabei heraus, dass die Beschwerde auf Missverständnissen beruht. Diese können aus der Beziehung Kunde zu Verkäufer oder Kunde zu Angebot resultieren. Im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation sind aufgrund der Komplexität weite Freiräume für negativ eskalierende Kommunikationsstörungen gegeben. Im Bereich der Mensch-Angebot-Beziehung resultieren Missverständnisse aus unzureichender Anleitung, enttäuschten Erwartungen, fehlender Akzeptanz durch das soziale Umfeld etc. Auch ist zu erfassen, ob es sich um eine Erst- oder eine Folgebeschwerde handelt. Dabei können zwei Sichtweisen vorherrschen. In Bezug auf den Beschwerder kann es sich um eine Person handeln, die zum ersten Mal als aktiver Beschwerder erfasst wird, oder um eine solche, die zum wiederholten Mal als Beschwerder auftritt. Weiterhin kann es sich um einen Querulanten handeln, dessen Behandlung ein sensibles Vorgehen erfordert. Daher ist es erforderlich, bereits bei der Beschwerdeinformation auf die Stammdaten von Kunden zugreifen zu können. Daraus ist ersichtlich, ob eine Person Kunde ist oder nicht, ebenso, welchen Kundenstatus sie hat, etwa nach Zeitabstand des letzten Kaufabschlusses vor der Beschwerde, Häufigkeit der Kaufabschlüsse in einem Zeitjahr und dabei realisiertem Umsatz. Die Daten helfen bei der Entscheidung über die ökonomische Vorteilhaftigkeit von Kulanz. Außerdem kann es sich um eine erstmals oder um eine wiederholt auftretende Beschwerde im Objekt handeln. Letzteres ist ein warnender Hinweis darauf, dass Fehler im Zuge der Ermittlung beim ersten Mal nicht oder nicht zutreffend identifiziert oder zwar zutreffend identifiziert, aber nicht wirklich abgestellt worden sind. Dann muss gehandelt werden, bevor weiterer Schaden entsteht. Weiterhin sind die Implikationen für die unternehmerische Reaktion festzuhalten. Dazu gehört die vom Beschwerder gewünschte Falllösung, also seine Forderung hinsichtlich der Beschwerdereaktion, aber auch die Dringlichkeit zu einer solchen Reaktion. Diese ist gegeben, wenn Gefahr in Verzug ist, wenn Folgeschäden drohen, wenn wichtige Kunden (Key Accounts) betroffen sind etc. Daraus ergibt sich eine Prioritätenfolge für die Bearbeitung von Beschwerden. Beim Umfang der zum Beschwerdeausgleich erforderlichen Maßnahmen stellt sich die Frage der Kulanz. Aus Kundensicht ist kaum einsehbar, wenn „Petitessen“ bürokratischen Aufwand implizieren. Daher ist eine Einteilung der Beschwerdefälle nach dem Umfang ihres mutmaßlichen Ausgleichs erforderlich. Mit geringem Aufwand wiedergutzumachende Beschwerdefälle sind in anderen



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Geschäftsprozessen zu regeln als nur mit hohem Aufwand wiedergutzumachende. Auf erstere entfällt in aller Regel der Löwenanteil der Beschwerdevorfälle. Bei Reklamationen, also dort, wo es um Leistungsmängel im juristischen Sinne geht, ist eine entsprechende Haftung unerlässlich. Bei der Beschwerde greift hingegen häufig die Kulanzregelung, wenn eine Wiedergutmachung vertretbar erscheint und objektiv auch möglich ist. Ansonsten hat immer noch die schlichte Entschuldigung eine erstaunlich entwaffnende Wirkung, welcher der Beschwerder kaum anders als durch Akzeptierung begegnen kann. Beim Beschwerdeführer kann es sich um einen internen oder externen Kunden handeln. Im Allgemeinen wird, wenn nicht anders angegeben, ein externer Kunde als Beschwerdeführer unterstellt. Im Zuge zunehmender Divisionalisierung von Unternehmen, des Out- und Insourcings von Aktivitäten sowie Unternehmenszusammenschlüssen wird verbreitet die Leistungserstellung entlang einer Wertschöpfungskette betrachtet. Je komplexer die Leistungserstellung ­ wird, desto mehr Wertschöpfungsstufen sind darin eingebunden, desto mehr interne Kunden gibt es. Diese können in gleicher Weise Unzufriedenheit mit der bereitgestellten Leistung empfinden wie externe. Sofern es sich nicht um eine Folgebeschwerde handelt, ist die Erfassung der Stammdaten des Beschwerdeführers erforderlich. Zu diesen Stammdaten gehören folgende: •• Name des Beschwerders (mit Firma, Branche, Größenordnung, Ansprechpartner, Titel, Anrede, Funktion etc.), •• Anschrift des Beschwerders (Straße, Postfach, PLZ, Ort, Datum des letzten Updates, Telefon / Telefax / Online-Nummern), •• Kundenstatus (Altkunde / Neukunde, A-B-C-Einteilung, Kundennummer etc.), •• Auftragsdaten (Auftragsweg, Bestellwert, Artikelwahl, Preisklasse, Zahlungsart etc.), •• Rechnungsnummer, -datum, Bestelltermine, Retouren etc., •• Leistungsnummern, Bonitätsdaten (Schufa-Auskunft, Mahnungen etc.), •• Werbedaten (Werbeart, Anzahl, Zeitraum, Besuchshäufigkeit etc.). Zumeist sind der Beschwerdeführer und die durch den Beschwerdevorfall unzufriedene Person identisch. Es gibt jedoch Fälle, in denen eine Person Beschwerdeführer ist, die nicht selbst in den Beschwerdevorfall involviert ist. Dies ist gegeben, wenn eine andere Person, die vermeintlich für fähiger erachtet wird, sich beschwerderelevant zu äußern als die betroffene Person, von dieser aufgefordert wird, die Beschwerde vorzubringen oder die Person sich dazu anbietet, was zu einer willkommenen emotionalen Entlastung führt. Es kann aber auch eine Person in den Beschwerdevorfall involviert sein, ohne selbst Beschwerdeführer zu sein. Dies ist bei indirektem Vertrieb gegeben,

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wo Endkunden sich bei Mitarbeitern des Handels beschweren. Diese Personen sehen sich den Ansprüchen ihrer Kunden gegenüber und geben diese an ihre Lieferanten weiter, sind also mit den Konsequenzen einer Beschwerde konfrontiert, ohne selbst Beschwerder zu sein. Schließlich gibt es den Fall, dass eine Person weder in den Beschwerdevorfall involviert noch Beschwerdeführer ist. Zum Beispiel, wenn Vertreter neutraler Institutionen, an die sich beschwerende Kunden mit dem Ziel der Aufklärung und Information wenden, sich beim Anbieter melden, um dessen Stellungnahme und sachdienliche Reaktion zu erfahren (etwa Medien, deren Redakteure öffentlichkeitswirksam Aufklärung zu beschwerdeverursachenden Sachverhalten einfordern). Die Verärgerung des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Form der Vorbringung einer Beschwerde. Dazu gehören verbale Signale wie Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Wortwahl, Betonung etc., aber auch non-verbale Signale wie Gestik, Mimik, Kopfhaltung etc. Die Handlungsabsicht ergibt sich aus den angekündigten Konsequenzen einer Beschwerde bei Nichterfüllung der damit verbundenen Forderungen. Die Skala reicht von verbalen Entgleisungen über konkrete Drohungen bis zur Ankündigung rechtlicher Konsequenzen. Diese Elemente sind wichtig für die zutreffende Einschätzung der subjektiven und objektiven Bedeutung einer Beschwerde. Beim Beschwerdeobjekt ist die verursachende Leistung festzustellen. Für Produkte gilt uneingeschränkt das Postulat des Total Quality Managements (TQM), wenngleich dieses schwieriger zu erfüllen ist als bei Sachleistungen. Produktbegleitende Services sind ebenso unter dem TQM-Primat zu betrachten, weil das Kernangebot an sich infolge immer höherer Leistungsstandards zunehmend austauschbar und eine positive Differenzierung zumeist nur noch über begleitende Dienste darstellbar wird. Beschwerdeobjekt kann aber nicht nur ein Produkt, sondern auch das Unternehmen selbst sein. Dabei ist vor allem an sein gesellschaftspolitisches Verhalten zu denken. Beispiele sind Shell (Brent Spar), BP (Deepwater Horizon), Bahn (Tarifreform), Hoechst (Chemieunfälle), Nokia (Betriebsschließung) etc. Die gesellschaftliche Verantwortung gehört zum Kernbereich marktorientierter Unternehmensführung. Fehlverhalten kostet Akzeptanz, Sympathie, Kompetenz und Vertrauen in kaum wieder gutzumachendem Ausmaß. Hinsichtlich der Beschwerdeannahme ist der genaue Zeitpunkt der Entgegennahme festzuhalten. Dies ist wichtig, weil Beschwerdebearbeitung auf der Zeitachse stattfindet und die Chance auf Wiederherstellung von Zufriedenheit häufig davon abhängt, innerhalb welcher Zeitspanne entsprechende Aktivitäten eingeleitet werden bzw. greifen. Der Beschwerdeweg ist zu dokumentieren. Dafür kommen mündlich, schriftlich, fernmündlich und telekommunikativ vorgebrachte Beschwerden in Betracht. Während bei schriftlicher und telekommunikativer Vorbringung (E-Mail,



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SMS, Brief etc.) der Beschwerdevorgang bereits dokumentiert ist, ist bei mündlicher bzw. fernmündlicher Vorbringung die Beschwerde erstmals zu dokumentieren. Sofern der telefonische Kontakt präferiert wird, ist vorauszusetzen, dass der Telefonarbeitsplatz zu den üblichen Geschäftszeiten besetzt ist. Anrufbeantworter sind nur außerhalb dieser Zeiten akzeptabel. Evtl. sind mehrere Leitungen zu besetzen, um Wartezeiten zu vermeiden. Wichtig ist auch die Information über den Beschwerdeweg gegenüber Kunden, z. B. als Hinweis auf dem Kassenzettel im Handel. Eine Erwähnung in der klassischen Werbung ist wegen der dabei auftretenden Dissonanzförderung problematisch. Die beschwerdebearbeitende Person muss mit technischem oder fachlichem Verständnis, großer Produktkompetenz, viel Erfahrung und hoher Toleranzschwelle ausgestattet sein. Weiterhin ist der Adressat der Beschwerde bedeutsam. Dies gilt im Falle zentraler Beschwerdebearbeitung oder Nichterreichbarkeit dezentraler Beschwerdebearbeitungsstellen. Denn die entgegennehmende Person ist nicht auto­ matisch Beschwerdeadressat, sondern Mittler zwischen Beschwerdeabsender und eigentlichem Beschwerdeadressaten. Dies ist einerseits von Vorteil, weil diese Person dem Beschwerder unvoreingenommen, quasi neutral, gegenübertreten kann und damit ein praktikables Handling des Beschwerdevorfalls erlaubt, andererseits verleitet dies zu einer Distanz gegenüber dem Beschwerdevorfall, was leicht als mangelnde Betroffenheit fehlinterpretiert werden kann. Auch ist der beschwerdeentgegennehmende Mitarbeiter zu erfassen. Hier gilt, dass dieser im Weiteren für die Behandlung der Beschwerde bis zur Erledigung zuständig und verantwortlich ist (Complaint Ownership). Die betrieblichen Prozesse der Beschwerdebearbeitung sollen dadurch mit möglichst wenig Schnittstellen zwischen handelnden Personen bzw. Abteilungen belastet werden. An diesen Schnittstellen kommt es zu Missverständnissen (Stille Post-Prinzip), zur Verantwortungsdelegation mit eigener Betroffenheitsentlastung und zu Zeitverzögerungen infolge Transfer- und Liegezeiten (Blindaktivitäten) zu Lasten der eigentlichen Bearbeitungszeit. Gibt es einen Beschwerdeeigner, der als Koordinator die Fäden zur Beschwerdebearbeitung und zurück zum Kunden in der Hand behält, selbst wenn verschiedene Personen / Abteilungen im Unternehmen damit befasst sind, werden solche Friktionen minimiert. Der Beschwerdeeigner übergibt das Handling nur zeitweise an Aufgabeneigner (Task Owners), die den weiterbearbeiteten Vorgang immer wieder an ihn retournieren, und steht selbst unter Steuerung des Prozesseigners (Process Owner), d. h. der Instanz, die für das Beschwerdemanagement pretial und disziplinarisch verantwortlich ist. Dabei werden zugleich Standards und Prozesszeiten normiert. Denn bei Beschwerden besteht die Tendenz bei Mitarbeitern, sich für nicht zuständig zu erklären, oder die Bearbeitung hinauszuzögern und andere, vermeintlich wichtigere Aufgaben vorzuschieben.

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16.2.6 Beschwerdestruktur Für eine zügige Beschwerdebearbeitung nutzen einige Unternehmen ein Eskalationssystem. Darunter versteht man ein Procedere, das dem zur Beschwerdebearbeitung aufgeforderten Mitarbeiter eine Frist an Arbeitstagen zur Erledigung, zumindest aber zur Stellungnahme, zugesteht. Erfolgt dies bis zur Deadline nicht, wandert die Beschwerde automatisch in der Hierarchie auf die nächsthöhere Stufe. Dort gibt es wiederum eine bestimmte Prozesszeit zur Bearbeitung. Wird diese nicht eingehalten, wandert der Vorgang auf die nächsthöhere Stufe, bis er im Zweifel bei der Geschäftsleitung angekommen ist. Es ist leicht einsehbar, dass auf keiner Stufe Mitarbeiter ein Interesse daran haben, dass Beschwerden an ihre Vorgesetzten eskalieren, denn diese werden über diesen Arbeitszuwachs alles andere als erfreut sein und dies wird wiederum Auswirkungen auf die Beurteilung der Mitarbeiter haben. In abgeschwächter Form kann bei Nichteinhaltung von Zeitlimits auch zunächst (oder nur) eine Mahnung zur Stellungnahme erfolgen. Alternativ ist denkbar, die Beschwerdeverantwortlichkeit statt bei der, oft genug willkürlich zustande gekommenen, tatsächlichen Beschwerdeentgegennahme an der sachlichen Verantwortung festzumachen. Wie diese ausgestaltet ist, hängt von der Aufbauorganisation des Unternehmens ab. Bei der Funktionsorientierung ergibt sich die Beschwerdeverantwortlichkeit aus der beanstandeten Funktion (z. B. Rechnungswesen bei Beschwerden über Preise und Konditionen), bei Objektorientierung aus dem beanstandeten Objekt (z. B. Zugehörigkeit zur Angebotsgruppe beim Produktmanagement) bzw. dem Beschwerdeführer (z. B. Geschäftssitz des Beschwerders bei der Gebietsorganisation oder Geschäftstyp des Beschwerders bei der Kundenorganisation). Bei der Beschwerdebearbeitung ist festzuhalten, ob und ggf. welche Zusagen / Zugeständnisse Kunden bereits gemacht wurden. Dies ist erforderlich, wenn Gefahr im Verzug ist. Dann gilt es, durch Sofortmaßnahmen zur Beschwerdebehandlung Schadensbegrenzung zu erreichen (z. B. in Form eines Ersatzwagens bei einer Panne des Mietfahrzeugs). Diese Maßnahmen sind zum späteren Beschwerde-Controlling erforderlich. Für den Fall, dass solche Maßnahmen noch nicht eingeleitet wurden, aber für unerlässlich erachtet werden, sind entsprechende Maßnahmen durch den Beschwerdeannehmer / -verantwortlichen nachzuholen. In Bezug auf die Fehlersuche muss die Beschwerdeursache sofort und vollständig offengelegt und abgestellt und unverzüglich in das interne Verbesserungswesen eingebracht werden. Dies bedingt eine intensive, nach Zielgruppen, Produkten, Gebieten etc. systematisierte Beschwerdeauswertung. Dafür bieten sich statistische Verfahren wie Häufigkeitsverteilungen und Kreuztabellierungen an. Außerdem sind die Ursachen daraufhin zu untersuchen, ob sie bereits Endursachen sind oder nur Zwischenstufen, dann sind die Endursachen



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zu identifizieren. Dies führt zur Neugestaltung von Prozessen und Ergebnissen. Hinsichtlich der tatsächlich realisierten Problemlösung auf Beschwerden ist eine Bandbreite zwischen kategorischer Ablehnung ihrer Berechtigung und ungeprüfter Zustimmung zur Wiedergutmachung möglich. Es ist zu überlegen, ob eine Einzelfallprüfung jeder Beschwerde vorgenommen oder Beschwerden der Nachfrager pauschal anerkannt werden sollen. Eine kasuistische Prüfung stellt sicher, dass keine unberechtigten Beschwerden entschädigt werden, erfordert jedoch in jedem Einzelfall erheblichen Zeit- und damit Kostenaufwand. Daher wird dazu übergegangen, selbst zweifelhafte Ansprüche ungeprüft anzuerkennen, weil der damit verbundene Aufwand geringer einzuschätzen ist, zumal wenn positive akquisitorische Effekte dagegengestellt werden. Im Zweifel sollen eingehende Beschwerden mit Kulanz behandelt werden, damit sie beim Partner ein Erfolgserlebnis generieren, so dass einerseits der Beschwerder als Kunde erhalten bleibt und andererseits zur weiteren Unzufriedenheitsäußerung, wenn unvermeidlich, ermutigt wird. Außerdem gilt, dass Großzügigkeit seitens des Anbieters von Nachfragern nur in geringem Maße ausgebeutet wird. Kleinlichkeit zahlt sich nicht aus, vielmehr soll ein fairer Vorschlag zur Bereinigung der Situation erfolgen. Eine Falllösung kann finanzielle, materielle und / oder immaterielle Reaktionen vorsehen. Dabei ist die Fairness gegenüber dem sich beschwerenden Kunden entscheidend. Ist auf diese Weise die Kontaktbrücke zum Kunden erhalten geblieben, gibt sie eine Basis für weitere Geschäftsabschlüsse ab, die von versierten Verkäufern entschlossen genutzt wird (Nachverkauf, Referenzeinholung). 16.2.7 Beschwerdeprozess Während der Bearbeitung sind Kunden über den aktuellen Status ihrer Beschwerde auf dem Laufenden zu halten. Dabei geht es um Umfang und zeitliche Gestaltung der Kommunikation nach der Annahme der Beschwerde. Dazu gehört die Bestätigung des Beschwerdeeingangs. Bei längerer Bearbeitungsdauer kommt ein Zwischenbescheid hinzu, der über die bereits erfolgten Arbeiten und noch ausstehende Klärungen informiert. Auch aus rechtlichen Gründen ist ein formeller (schriftlicher / fernschriftlicher) Endbescheid sinnvoll, der das Ergebnis der Bearbeitung festhält. Darüber hinaus sollte das Ergebnis auch persönlich (mündlich / fernmündlich) kommuniziert werden. Dies verbessert die Atmosphäre durch die verbindlichere Form der Äußerung. Bei überschaubarem Beschwerdeaufkommen, ist eine individuelle Beschwerdereaktionen möglich. Dies ist u. a. ein Zeichen dafür, dass eine Beschwerde ernstgenommen und nicht schematisch, sondern in jedem Einzelfall seriös bearbeitet wird. Bei größerem Beschwerdeaufkommen sprengt die individuelle Reaktion rasch den Rahmen vertretbarer Kosten, so dass standardisierte Reaktionen unvermeidlich sind.

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Die Organisation in Form zentraler oder dezentraler Zuständigkeiten hängt von vielfältigen Einflussgrößen ab, so von Produktart, Kundenanzahl, Vertriebsmethode, Kontaktart etc. Bei zentraler Zuständigkeit ist der Vorteil gebündelter Erfahrung und Spezialisierung gegeben, jedoch sind die innerbetrieblichen Recherchewege oftmals lang, teuer und umständlich. Bei dezentraler Zuständigkeit fehlt es an solcher spezifischen Erfahrung, dafür können Probleme an der Quelle angegangen werden. Mischformen (etwa mittels kostenmäßig definierter Zuständigkeitsübergänge) versuchen hier eine Kompromisslösung. Die Beschwerdebearbeitung erfordert geschultes Personal. Bei Ausstattung mit entsprechenden Befugnissen kann eine Abfederung von Beschwerden erreicht werden. In der Praxis findet das zentrale Beschwerdemanagement oft in Formen von Verbraucherabteilungen statt. Die einfachste Form ist die Ergänzung der Unternehmenswerbung durch individuell abrufbare Verbraucherinformationen. Diese Funktion ist eher als PR-Zweck zu verstehen. Weitergehend kommt es zur tatsächlichen Behandlung individueller Beschwerden, um Kundenabwanderung und negative Mund-zu-Mund-Propaganda zu vermeiden. Proaktive Ziele werden verfolgt, wenn es um die vorbeugende Heilung von Missverständnissen geht, bevor diese zu Beschwerden eskalieren können. Eine strategische Nutzung liegt in der Frühwarnfunktion zur Information des Unternehmens über marktliche und gesellschaftliche Veränderungen. Die Kontrollfunktion überwiegt, wenn es um die Einhaltung von Standards zur Beschwerdeerfüllung innerhalb der Organisation geht. Und eine Anregungsfunktion entsteht, wenn es um Initiativen für kundenorientierte Veränderungen des Angebots / Marktauftritts zur Verminderung der Beschwerderate geht. Denkbar ist die Einrichtung der Stelle eines „Complaint Commissioner“ als Anwalt unzufriedener Kunden im Unternehmen, der mit weitreichenden Informationsrechten ausgestattet ist und in nicht-verantwortlicher Stabsfunktion oder als Externer der Geschäftsleitung direkt mit Verbesserungsvorschlägen zuarbeitet. Ein leistungsfähiges innerbetriebliches Nachrichtenwesen bewirkt dann, dass alle eingehenden Beschwerden ausgewertet und sowohl an die Geschäftsleitung wie auch die betroffenen Stellen weitergeleitet werden. Wichtig ist die Nutzung des gebündelten Know-hows des Kundenkontaktpersonals, das vielfache Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten zur Vermeidung oder besseren Behandlung von Beschwerden aus erster Hand erfährt und in Form von Quality Circles kontinuierlich in der Umsetzung begleitet. Bei dezentraler Zuständigkeit ist ein Empowerment erforderlich, das den mitdenkenden und handelnden Mitarbeiter fordert. Dies setzt die Erweiterung der Gestaltungsspielräume, die Übertragung von Entscheidungspaketen durch Zielvereinbarung und die Verbesserung der Qualifikation dieser Mitarbeiter voraus. Sowie die Kompetenz von Mitarbeitern, ihre Aufgaben vollständig zu erfüllen, d. h., alle notwendigen Entscheidungen zu treffen, um die Anforderungen der Kunden ohne bzw. mit so wenig Rücksprache (Kontrolle) wie möglich



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zu erfüllen. Dadurch, dass Mitarbeiter kundenerkennbar die Fähigkeiten, die Möglichkeiten und damit die Autorität besitzen, auftretende Probleme eigenständig zu lösen und ihren Beitrag zu kontinuierlichen Verbesserungsprozessen zu leisten, können sie effektiv arbeiten und werden beständig motiviert. Dies gilt auch für Teilautonome Arbeitsgruppen, die als selbststeuernden Teams nicht nur ihre Aufgaben, sondern alle ihre Einheit betreffenden Prozesse, d. h. Koordinations-, Planungs-, Kontroll- und Verbesserungsaufgaben in Zusammenhang mit Beschwerden bewältigen, die vordem traditionell durch Vorgesetzte oder spezielle Abteilungen erledigt wurden. Die Teammitglieder tragen gemeinsam die Verantwortung für das Erreichen der Ziele der Einheit. Dieses Empowerment scheitert in der Praxis an vielfältigen Barrieren. Fähigkeitsbarrieren betreffen Denk- und Artikulationsschwierigkeiten (Können). So scheitert eine zufriedenstellende Beschwerdebehandlung nicht selten am Unvermögen der betrauten Mitarbeiter, sich genügend in die Lage des Beschwerders zu versetzen, seine Probleme zu erkennen und das Ausmaß seiner Verärgerung zu begreifen. Informationsbarrieren betreffen mangelnde Kenntnisse der betrieblichen Abläufe und Strukturen (Wissen). Dies ist im Rahmen von Mitarbeiterfluktuation, Aushilfstätigkeiten, Niedriglohngruppen etc. nicht selten der Fall (so ist es oft schwierig, in der Telefonzentrale sein Beschwerdeanliegen nur klar zu machen und von dort an die richtige Stelle durchverbunden zu werden). Risikobarrieren (Dürfen) betreffen die Furcht vor Nachteilen und Übernahme von Verantwortung. Solche Nachteile können materieller oder ideeller Natur sein, erstere etwa durch Furcht vor Kündigung des Arbeitsplatzes infolge als unzureichend beurteilter Leistung bei Kulanz, der Versetzung auf einen anderen, weniger präferierten Arbeitsplatz oder auch der Abmahnung, letztere etwa durch Furcht vor Statusverlust, vor Blamage gegenüber Kollegen oder Frustration mit der Folge gesundheitlicher Schäden. Willensbarrieren betreffen Gleichgültigkeit gegenüber den Beschwerdeanliegen der Kunden oder allgemeine Ressentiments gegenüber dem eigenen Betrieb (innere Kündigung / Wollen). Diese entstehen im Rahmen des Kulturwandels in der Organisation, weg von einer funktionsbezogenen, inneren Sichtweise, hin zu einer kundenbezogenen, marktlichen Sichtweise. Die Anpassung führt oft zu Änderungswiderständen wegen der Aufgabe eingeschliffener Verhaltensweisen und emotionaler Sicherheit. Abhilfe ist auf mehrfache Weise möglich. Zunächst durch Qualifizierung der Mitarbeiter, d. h. Förderung ihrer fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen. Dazu bedarf es der Schulung (Wissensvermittlung) und des Trainings (Verhaltenseinübung). Weiterhin durch ein angemessenes Beschwerde-Informations- und Kommunikationssystem, bei dem jeder Mitarbeiter jederzeit Zugriff auf alle für die Erledigung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen und

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Ressourcen nehmen kann. Ansonsten führt ein Empowerment nur zur Frustration. Wichtig ist zudem die Schaffung einer Vertrauenskultur, bei der es möglich ist, Fehler zu machen und diese auch unumwunden zuzugeben (Freedom to Fail). Diese Freiheit ist Basis für die Förderung von Verantwortungsbewusstsein (Intrapreneurship) der Mitarbeiter. Schließlich bedarf es der konsequenten Unterstützung und Förderung durch Unternehmensleitung und Führungskräfte auf allen Ebenen. Hilfsmittel dazu ist die Etablierung eines beschwerdezufriedenheits- und leistungsorientierten Entlohnungssystems mit materiellen und ideellen Komponenten (Lob). Voraussetzungen sind das Vorhandensein transparenter und beherrschter, d. h. zielgenauer und gering streuender, technischer und adminis­ trativer Procederes sowie die durchgängige Umsetzung und regelmäßige Kon­ trolle der Zielerreichung, um eine einheitliche Ausrichtung aller Aktivitäten im Umfeld der Beschwerdebehandlung zu gewährleisten. 16.2.8 Beschwerdergespräch Beschwerdegespräche gehören zu den unangenehmen Pflichten im Verkauf und sind wegen ihrer Unergiebigkeit gefürchtet. Dies ist schade, bietet doch das Beschwerdegespräch den Zugriff auf Kunden und die Möglichkeit, Unzufriedenheit in Zufriedenheit umzuwandeln. Dazu ist ein professionelles Vorgehen erforderlich, das der Schulung und dem Training unterliegt. Beides unterbleibt in der Praxis häufig wegen vermeintlicher Kostenzwänge, nicht realisierend, dass die Erlösausfälle aus unnötig fatal endenden Beschwerdegesprächen die Kosten der Qualifizierung leicht um ein Vielfaches übersteigen. Nur sind diese Kosten manifest (Out of Pocket Expenses), während die Erlösausfälle „unsichtbar“ (Opportunitätskosten) sind, denn Kunden, die nicht kaufen, wird ein Anbieter nicht gewahr. Zudem wird mit Beschwerdegesprächen leicht eine Kritik an der eigenen Person oder der Organisation, für die man tätig ist, gesehen, die zudem oft genug objektiv unberechtigt ist, worauf es aber nicht ankommt. Solcher Kritik versucht man intuitiv auszuweichen (durch Verleugnenlassen, überstürzte Zugeständnisse, Uneinsichtigkeit etc.). Dabei ist die professionelle Führung eines Beschwerdegesprächs eine Herausforderung für jeden Kundenkontaktmitarbeiter und bietet ihm, bei geschickter Disposition, auch unmittelbar ein Erfolgserlebnis, das nicht nur für Kunden, sondern auch für ihn befriedigend wirkt. Dazu müssen die Kundenkontaktmitarbeiter durch überlegte Reaktion die Annahmesituation der Beschwerde beruhigen, den Sachverhalt klären und die Problemlösung einleiten. Hilfreich ist es, wenn der annehmende Mitarbeiter Beschwerdeeigner und dafür verantwortlich ist, das Kundenproblem zu lösen. Der Beschwerdekontakt soll in einer ruhigen Zone stattfinden, wo andere Kunden nicht mithören / stören können. Beschwerdegespräche sind möglichst unter vier Augen zu führen. Der Kunde soll aufgefordert werden, Platz zu neh-



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men, denn im Sitzen streitet es sich schwerer, im übrigen braucht keine Partei zu der anderen hinab- oder heraufzuschauen. Auch soll der Kunde mit Namen angesprochen werden, denn dies signalisiert ihm persönliche Aufmerksamkeit und wirkt dadurch besänftigend (was voraussetzt, dass man sich über den Kundennamen und dessen korrekte Aussprache kundig gemacht hat). Ebenso soll ausdrückliche Gesprächsbereitschaft signalisiert werden (z. B.: „Lassen Sie uns einmal in Ruhe über dieses Ereignis sprechen.“). Durch Mimik (aufgeschlossene Gesichtszüge), Augenkontakt (Anschauen, freilich ohne anzustarren) und Körpersprache (offene Haltung, leicht vorgebeugt) soll Zuwendung ausgedrückt werden. Man sollte immer eine pauschale Entschuldigung oder zumindest Bedauern zum Ausdruck bringen, ohne dass daraus ein Schuldeingeständnis folgt (z. B.: „Ich bedaure sehr, dass Sie Ärger haben.“). Bewusst ist dabei eine Formulierung in der Ich-Form zu wählen, die persönlicher wirkt. Dem Vortrag des Beschwerdeführers ist zunächst gut und ohne ihn zu unterbrechen zuzuhören, selbst wenn er dabei, was häufig vorkommt, Falsches sagt. Für Verständnisfragen und wichtige Details kann höflich unterbrochen werden, keinesfalls ist eine Wertung der Kundenäußerungen vorzunehmen, die seinen Ärger im Zweifel nur vergrößern. Auf diese Weise wird dem verärgerten Kunden Gelegenheit gegeben, Dampf abzulassen. Erst dann ist er für Erklärungen aufnahmebereit. Daher gilt es, aufmerksam zuzuhören, ihn nicht zu unterbrechen und Sensibilität zu signalisieren, bis dieser sich abreagiert und sein Pulver verschossen hat. Das Gespräch soll dann auf ruhige Art fortgesetzt werden. Auf kundenseitige Übertreibungen soll gelassen reagiert werden, der Beschwerder meint dies meist nicht so genau. Beschimpfungen können in höflicher Form zurückgewiesen, da kontraproduktiv, und die Gesprächsinhalte auf den sachlichen Kern zurückgeführt werden. Wichtig ist, auf keinen Fall mit einem Kunden zu streiten, denn es hat noch niemanden gegeben, der je einen Streit mit einem Kunden gewonnen hätte. Entweder „siegt“ der Anbieter, dann ist der Kunde beleidigt und wechselt, oder es „siegt“ der Kunde, dann hat er wahrhaftig keinen Grund mehr, loyal zu bleiben. Hilfreich ist es, Äußerungen (evtl. nach Abfrage der Erlaubnis dazu) mitzuschreiben. Zum einen beweist dies dem Kunden, dass man seine Beschwerde ernst nimmt, zum anderen mäßigt die Gewissheit der Protokollierung seine Ausdrucksweise, denn wer will schon, dass seine Verbalinjurien aufgeschrieben werden. Außerdem ist das Protokoll wichtig für die zutreffende spätere Beschwerdebearbeitung und -auswertung. Auf jeden Fall sollte man sich davor hüten, Sofortdiagnosen zu stellen. Das Beschwerdegespräch kann zunächst nur der Informationsaufnahme dienen. Zugleich ist der Versuchung zu widerstehen, eigenes Versagen anderen Personen / Abteilungen anzulasten. Erstens ist es dem Kunden gleichgültig, wer innerhalb der Organisation einen Fehler verursacht hat, wichtig ist für ihn nur, dass

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ein solcher Fehler subjektiv zu seinen Lasten entstanden ist, zweitens wird damit der Ärger keinesfalls verringert, sondern eher erhöht, weil einer die Schuld auf den anderen zu schieben versucht. Auf jeden Fall ist die sofortige Bearbeitung der Beschwerde zuzusagen und auch einzuleiten. Je nach Empowerment kann eine Problemlösung, etwa auf Kulanzbasis, sofort angeboten werden. Dabei ist beim Kunden ausdrücklich nachzufragen, ob dieses Angebot seine Beschwerde aufzuheben geeignet ist. Ansonsten werden nur kostenverursachende Maßnahmen eingeleitet, die aber nicht zur Beschwerdezufriedenheit führen. Falls keine sofortige Problemlösung möglich ist, ist dem Kunden eine genaue Prüfung des Vorfalls zuzusagen (Formulierung in Ich-Form; als „Ich veranlasse …“), und zwar unter Angabe der Zeitdauer bis zu seiner Benachrichtigung. Falls dieser Termin nicht eingehalten werden kann, was zu vermeiden ist, da damit das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Anbieters erneut erschüttert wird, ist zumindest ein Zwischenbescheid abzugeben. Das Gesprächsende ist mit einer positiven Formulierung einzuleiten (z. B. Dank an den Kunden). Sobald ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht ist, kann sofort ein Nachverkauf gestartet werden. Denn die Zufriedenheit mit ­einem Angebot / Anbieter ist selten wieder so hoch wie zum Zeitpunkt einer zufriedenstellend behandelten Beschwerde. Insofern ist es legitim, diese positive Einstimmung zu nutzen. Zumindest aber muss die Gelegenheit genutzt werden, weitere Kundenempfehlungen einzuholen und den anwesenden Kunden dabei als Referenz benennen zu dürfen. So verschafft der zufriedengestellte Beschwerder sogar Akquisitionskontakte. Das Kundenkontaktpersonal stellt jedoch oft einen Engpass zur zufriedenstellenden Behandlung von Beschwerden dar. Dies liegt zu einem guten Teil auch daran, dass eine Reihe hoch komplexer Fähigkeiten von in aller Regel dafür unangemessen honorierten Mitarbeitern verlangt werden. Dazu gehört die Fähigkeit, sich in den Interaktionen mit Kunden verbal und schriftlich klar auszudrücken. Dann ist es erforderlich, die Gefühle und den Standpunkt des Kunden anzuerkennen und darauf angemessen einzugehen sowie seine Aufmerksamkeit zur Erfüllung seiner Bedürfnisse und der Behandlung seiner Probleme zu gewinnen. Empowerment erfordert zugleich die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen und etwas zu unternehmen, um Kundenwünsche zu erfüllen, womöglich angesichts von Beschwerden auch überzuerfüllen. Zudem muss ein hoher Grad an Aufmerksamkeit im gesamten Interaktionsprozess vorhanden sein. So ist das eigene Verhalten entsprechend der jeweiligen Situation und der Persönlichkeit des Kunden zu variieren. Gemachte Zusagen müssen weiterhin zeitgerecht und adäquat eingelöst werden. Dabei sind ein positiver Eindruck auf Kunden und eine saubere, ordentliche Erscheinung unerlässlich (Frauen sind im Kundenkon-



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takt besonders erfolgreich). Ebenso ist die Einhaltung hoher sozialer und ethischer Standards im Umgang mit Kunden erforderlich. Vertiefte Kenntnisse in Bezug auf das konkrete Angebot und die kundenbezogenen Leistungen helfen bei der Aufgabenerfüllung. Dies erleichtert die richtige Beurteilung verfügbarer Informationen und die Entwicklung adäquater Problemlösungen. Dies bedingt auch die Sammlung und logische Analyse wichtiger Informationen über die Situation des Kunden. Wichtig ist die Fähigkeit, sich mit Ideen für Beschwerdelösungen bei Kunden Akzeptanz zu verschaffen und sie von der Leistungsfähigkeit des Anbieters zu überzeugen. Dies erfordert die zeitlich und sachlich zutreffende Vorbereitung der kundenbezogenen Arbeit sowie die Flexibilität, unerwartete Kundenprobleme und unvorhergesehenen Arbeitsdruck während des Kundenkontakts auszuhalten. 16.2.9 Beschwerdeauswertung Eine Information der Verantwortlichen über den Ausgang der Beschwerde ist erforderlich, denn aus Fehlern muss gelernt werden, was voraussetzt, dass Fehlleistungen bekannt werden und eine Wiederholung zumindest der betreffenden Fehlleistung ausgeschlossen ist. Zudem kann im Kundengespräch ggf. auf die sauber abgewickelte Beschwerdebearbeitung akquisitorisch hingewiesen werden. Beschwerden weisen auf Mängel in der Leistungsausführung hin. Ihnen kommt damit die Funktion eines Warndienstes für Sicherheitsmängel zu. Daher sollten Beschwerden durch eingehende Analysen geprüft werden. Dies betrifft nicht nur die ethische Verantwortung des Unternehmens, sondern kann auch zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen vorbeugen. Um eine systematische Ursachenanalyse und die Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten zu gewährleisten, ist die Einrichtung einer computergestützten Beschwerdedatenbank empfehlenswert. Damit können Einzeldaten aus Beschwerden aufschlussreich verknüpft und ausgewertet werden. Daraus ergeben sich vielfache Hinweise auf ausmerzbare Schwächen und unausgeschöpfte Leistungspotenziale. Allerdings ist die Einrichtung und Führung einer solchen Datenbank organisatorisch aufwändig. Abschließend muss die Beschwerdezufriedenheit ermittelt werden, denn nur im Fall der Zufriedenheit des Beschwerders mit der Reaktion seines Anspruchsadressaten ist die Voraussetzung für weitere ertragreiche Geschäftsbeziehungen gegeben. Dazu ist eine Ergebniskontrolle mit Feststellung der Zielabweichung zwischen Forderung des Beschwerders und erfolgter Reaktion notwendig. Um sicherzustellen, dass alle Daten in jedem einzelnen Beschwerdefall auch vollständig und zutreffend sowie schnell und strukturiert festgehalten werden, bietet sich die computergestützte Erfassung mit Hilfe entsprechender Bildschirmmasken an. Daraus ist leicht eine Verknüpfung mit Kundenstammdaten und zur Beschwerdedatenbank möglich.

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

Bei der Erfolgskontrolle geht es um die Formulierung von Leistungsstandards für die Beschwerdebehandlung sowie deren kontinuierliche Überprüfung mit Hilfe objektiver und / oder subjektiver Messgrößen. Dabei ist auf das KostenNutzen-Verhältnis abzustellen, d. h., der Nutzen des Beschwerdemanagements wird seinen Kosten gegenübergestellt. Problematisch ist die Bewertung des Nutzens zufriedenstellend erledigter Beschwerden. Selbst die Kosten sind schwierig zutreffend auszuweisen. Zudem ist der Aufwand relativ sicher (Personalkosten, Materialkosten etc.), der Beschwerdenutzen aber unsicher. Die Erfolgs- oder Wirkungskontrolle in der Beschwerdebearbeitung ist ausgesprochen schwierig. Kosten-Nutzen-Analysen sind umstritten, auch weil unklar ist, wie Kosten zuzurechnen sind. Denkbar ist nur die Zurechnung variabler Kostenanteile oder die zweifelhafte Aufteilung des Fixkostenblocks oder der anderweitig entgangene Opportunitätsumsatz / -deckungsbeitrag / -gewinn. Ebenso ist die Bewertung des Nutzens fraglich. Denkbar ist auf der Outputseite die Kennzahl des Kundenwerts aus durchschnittlichem Deckungsbeitrag des beschwerenden Kunden in Bezug auf die beanstandete Leistung in der Vergangenheit, plus nachvollziehbarer Cross SellingWirkung mit weiteren Angeboten des Unternehmens, plus mutmaßlicher Wiederkaufwirkung bei allen Leistungen (durch Vermeidung von Abwanderung), plus potenzieller Empfehlungswirkung (durch Mund-zu-Mund-Propaganda). Dagegen ist der Marktschaden aus Unzufriedenheit zu stellen, gemessen als entgangener Nutzen aus nicht realisierten Käufen. Diese Daten sind überwiegend spekulativ oder bewegen sich auf unsicherem Boden. Auf der Inputseite sind Messungen zur Verringerung der Beschwerdeaufwendungen, Reduzierung von Erlösschmälerungen etc. durch proaktives Beschwerdemanagement, also Vermeidung von Beschwerdeanlässen, Begrenzung von Beschwerdeschäden etc., denkbar. Zur Vereinheitlichung gibt es den internationalen Leitfaden für die Behandlung von Reklamationen in Organisationen (DIN EN ISO 10002:2017). Er unterteilt sich in die Abschnitte Anwendungsbereich (1), normative Verweise (2), Begriffe (3) und Leitprinzipien (4). Hinzu kommen der innerbetriebliche Rahmen zur Reklamationsbearbeitung (5), die Planung, Gestaltung und Entwicklung (6) sowie die Durchführung des Prozesses zur Reklamationsbearbeitung (7). Schließlich geht es um die Aufrechterhaltung und Verbesserung des Prozesses zur Bearbeitung von Reklamationen (8) (im Leitfaden wird nicht exakt zwischen Beschwerden und Reklamationen unterschieden, wie auch ansonsten Kritik berechtigt ist). 16.3

Kundenbindung als Erfolgsfaktor

Innerhalb der Erfolgskette ist Kundenbindung ein wichtiges Glied zwischen der Kundenzufriedenheit als vorökonomischer Zweckgröße und dem Kundenwert als ökonomischer Zielgröße. Zu diskutieren ist, wann Kundenbindung



16.  Elemente der Kundenbeziehung635

vorliegt. Wenn sie jedoch vorliegt, kann sie freiwillig (Kundenverbundenheit) oder erzwungen (Kundengebunden) ausgelegt sein. Nun mag man zweifeln, ob Kunden sich zu einer Bindung an einen Anbieter zwingen lassen. Die Antwort ist ganz einfach. Wir alle gehen nach guter Überlegung Gebundenheiten ein. Die Erklärung ist über die Anreiz-Beitrags-Theorie (March / Simon) plausibel. Jeder Kunde nimmt eine Abwägung zwischen der Vorteilen einer Bindung (= Anreiz) und deren Nachteilen (= Beitrag) vor. Überwiegen die Vorteile, ist es völlig sinnvoll, eine Gebundenheit einzugehen, um in den Genuss der Anreize zu kommen. Und so wie wir alle uns zu der einen oder anderen Bindung zwingen lassen, wenn es uns vorteilhaft erscheint, so lassen sich auch unsere Kunden dazu bewegen. Es kommt allerdings darauf an, ihnen Anreize zu bieten, die sie so hoch einschätzen, dass sie die damit verbundenen Beiträge in Kauf zu nehmen bereit sind. Also gilt es, ausfindig zu machen, um welche Anreize es sich konkret handeln kann. Dabei hilft wiederum ein hohes Maß an Kundennähe, der erste Faktor der Erfolgskette. 16.3.1 Ausprägungen Primäres Ziel des Vertriebs ist ein nachhaltiges Kundenmanagement. Dieses ist für die Erreichung von Kundenbindung zentral. Darunter versteht man alle Maßnahmen eines Unternehmens mit dem Ziel, die bisherigen Verhaltensweisen sowie die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren und auszuweiten. Der Wiederkauf ist das beobachtbare Verhalten einer Person, das einen erneuten Kauf im Hinblick auf einen bestimmten Bedarf bei dem gleichen Anbieter zur Folge hat. Dem kann eine Entscheidungsfindung mit Angebotsvergleich vorausgegangen sein (Präferenz) oder auch nur ein habitualisiertes Wiederkaufverhalten (Gewohnheit). Die Wiederkaufwahrscheinlichkeit ist u. A. von den Wechselkosten abhängig. Dies sind alle Kosten, die als nicht-monetäre Kosten bei einem Marken- oder Anbieterwechsel anfallen. Dazu zählen Such- und Informationskosten, die bei der Auswahl neuer Alternativen anfallen sowie alle Kosten, die durch den Wegfall anbieterspezifischer, also auf andere Anbieter nicht übertragbarer, Nutzenelemente anfallen (wie anderweitig vorhandenes Vertrauen, Risikowahrnehmung etc.). Zur Wiedergewinnung bereits abgewanderter Kunden bzw. Reaktivierung inaktiver Kunden bedarf es der Schaffung von Anlässen, die eine Wiederaufnahme bzw. Intensivierung der Geschäftsbeziehungen initiieren. Dies ist vor allem deshalb schwierig, weil diese ehemaligen Kunden häufig negative Erfahrungen mit dem Anbieter gemacht haben und insofern eine erhebliche Hürde zu überwinden ist. Proaktiv wird das Ziel verfolgt, die Wechselbereitschaft der Kunden durch die Erzeugung und Intensivierung von faktischen

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

oder emotionalen Bindungen zu minimieren bzw. temporär deren Wechsel aus­ zuschließen. Faktische (erzwungene) Kundengebundenheit wird vor allem durch vertragliche Bindungsursachen provoziert (z. B. Leasingvertrag, Wartungsvertrag, Abonnementvertrag). Eine ökonomische Bindung liegt hingegen vor, wenn der Wechsel für eine Seite unverhältnismäßig hohe Wechselkosten bedingt (z. B. Rückkaufwert von Lebensversicherungen). Eine technisch-funktionale Bindung liegt vor, wenn Beschaffungs- oder Kompatibilitätsprobleme zu erwogenen Produkten fremder Anbieter auftreten (z.  B. Computerschnittstellen). Hinzu kommen durch institutionale Unternehmensverbindung bedingte Gebundenheiten sowie durch Spezifität der Leistung (Taylormade) bedingte. Emotionale (freiwillige) Kundenverbundenheit entsteht über einen hohen Grad von Kundenzufriedenheit mit der erhaltenen Leistung und Vertrauen in die zukünftige Leistung des Anbieters (Präferenz, Bequemlichkeit). Dazu dienen z. B. Kundenkontaktprogramme, die auch die persönliche Beziehung zwischen Anbieter und Kunde stärken und fallweise, also zu vom Anbieter ausgelösten Anlässen, aktiviert werden (z. B. Firmenjubiläum, IPO, Merger) oder anlassbezogen, also zu vom Nachfrager ausgelösten, individuellen Zeitpunkten (z. B. Kaufdatum, Geburtstag, Interessentenanfrage). Problematisch ist, dass Präferenzen rasch wechseln können, und damit auch die Kunden, und dass Bequemlichkeit durch Kundenzentrizität bereits weithin Rechnung getragen wird, so dass eine Differenzierung schwierig wird. 16.3.2 Kundenleiter Im Zuge der Gestaltung der Beziehungen zu diesen Kunden ist es zweckmäßig, grob vier Stufen des Beziehungsmanagements (die 4 Rs) zu unterscheiden (siehe Abb. 103).

       

   

  

    

     

Abb. 103: Phasen der Kundenbeziehung

       



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Die erste Phase ist die der Erreichung neuer Kundenbeziehungen (Customer Recruitment / Gewinnung). Dabei geht es um die erstmalige Aufnahme einer Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Nachfrager. Dazu sind anbieterseitig regelmäßig hohe Akquisitionsaufwendungen erforderlich. Zudem bleibt die Erfolgswahrscheinlichkeit angesichts verstärkten Wettbewerbs eher begrenzt. Zur Forcierung wird das Vorkaufmarketing eingesetzt. Die zweite Phase ist die der Pflege dieser Kundenbeziehungen (Customer Retention / Bindung). Denn Kunden werden erst profitabel, wenn sie über den Erstabschluss hinaus in regelmäßigen, möglichst kurzen Abständen Umsätze mit dem Unternehmen tätigen (Wiederkauf). Insofern ist es erforderlich, die einmal akquirierten Kunden gegen die Akquisitionsbemühungen der Konkurrenz zu verteidigen und an sich zu binden. Dies erfolgt durch Maßnahmen zur Steigerung der Kundenverbundenheit (freiwillig) und Kundengebundenheit (erzwungen). Die dritte Phase ist die des Ausbaus der bestehenden Kundenbeziehung (Customer Reinforcement / Entwicklung). Denn ist eine Kundenbeziehung erst einmal stabilisiert, bietet sie hervorragende Möglichkeiten der Ausweitung des Geschäftsumfangs, zum einen wegen der umfassenderen Informationen über Kundenbedarfe auf Lieferantenseite, zum anderen wegen der erarbeiteten Vertrauensbasis auf Abnehmerseite. Die vierte Phase schließlich ist, falls es doch zum Kundenverlust kommen sollte, die des Wiederaufbaus zerbrochener Kundenbeziehungen (Customer Recovery / Rückgewinnung). Angesichts stagnierender Märkte darf die Abwanderung von Kunden zum Mitbewerb nicht hingenommen werden, sondern muss mit der Absicht deren Rückholung in den Kundenstamm beantwortet werden. Nur dies sichert den langfristigen Markterfolg. Die Phasen 2–4 finden nicht mehr in der Vorkauf- sondern in der Nachkaufphase statt. Dadurch ist es erklärlich, dass der Fokus der Aktivitäten sich immer mehr zugunsten der Nachkaufphase verschiebt. Außer bei Aufbau eines neuen Geschäfts (Existenzgründung) oder angesichts stark expandierender Märkte (z. B. Telekommunikation) kann das beste Neugeschäft immer mit bestehenden Kunden erreicht werden. Zumal die Bedienung bestehender Kunden um ein Vielfaches kostengünstiger zu bewerkstelligen ist als die Akquisition neuer. Ziel ist daher die Realisierung einer progressiven Kundenleiter. Die Abfolge ist dabei Kundennähe, dies führt zu Kundenzufriedenheit, dies resultiert in Kundenbindung und dies materialisiert sich in Kundenwert. Diese Kundenleiter geht mit einer typischen „Produktkarriere“ einher, die sich wie folgt darstellt (siehe Abb. 104): •• Eine Person ist potenzieller Nachfrager (Nichtverwender) und erhält die Verwendungskenntnis. Sie wird Problemlösungsinteressent. •• Die Person entwickelt sich zum Kaufinteressenten für das entsprechende Produkt. Zum Interesse kommt also die Kaufabsicht für eine Gattung.

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

Weiterempfehler

Mehrfachkäufer

Aufstiegskäufer

Intensivkäufer

Exklusivkäufer

Wiederkäufer

Probierkäufer der Marke Erstkäufer der Gattung

Kaufinteressent

Problemlösungsinteressent

Abb. 104: Stufen der Kundenleiter

•• Eine Person wird Erstkäufer der Gattung, indem sie die Gattung akzeptiert und eine Marke kennenlernt, sie entwickelt im günstigen Fall Kaufinteresse für diese Marke. •• Eine Person wird Probierkäufer der Marke / des Herstellers. Nunmehr kommt es auf die Nutzungserfahrung an, ob sie markentreu wiederkauft oder nicht. •• Eine Person präferiert günstigenfalls die gewählte Marke / den Hersteller und wird Wiederkäufer. Wiederholt sich der markentreue Kauf häufiger, wird sie damit zum Stammkunden. •• Der Kunde wird Exklusivkäufer, d. h., er entwickelt günstigenfalls eine Monoloyalität zu seiner Marke / seinem Hersteller.



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•• Der Kunde wird Intensivkäufer, d. h., die Kaufmenge steigt (Heavy User), indem der Bedarf stimuliert wird. •• Der Kunde wird Aufstiegskäufer. d. h., er kauft nunmehr wertigere Produktversionen (Up Buying) innerhalb der gleichen Kategorie derselben Marke. •• Der Kunde wird Mehrfachkäufer, d. h., er kauft außer dem betrachteten Produkt weitere Produkte anderer Kategorien desselben Herstellers (Cross Buying), in denen er bisher keine Produkte oder aber Produkte konkurrierender Hersteller gekauft hat. •• Der Kunde wird Weiterempfehler, indem er seinerseits weitere Erstkäufer für die Marke gewinnt. Im Fokus steht damit der Kundenwert (Customer Equity), d. h. der Überschuss aller Einzahlungen aus direkten und indirekten Umsätzen mit einem Kunden im Laufe seiner Nachfragepräsenz am Markt über alle Auszahlungen zur Gewinnung und Betreuung dieses Kunden. Dieser ergibt sich über alle Phasen des Kundenlebenszyklus hinweg. 16.3.3 Phasen im Kundenlebenszyklus Als Phasen im Kundenlebenszyklus können der Vorlauf, Hauptlauf und der Nachlauf unterschieden werden. Zur Vorlaufphase gehören die Interessentenauswahl und die Kundenakquisition. Zur Hauptlaufphase gehören der Beziehungsaufbau, die Produktwerterhöhung, die Produktanzahlerhöhung, die Referenzierung und Weiterempfehlung sowie die Informations- und Integrationsnutzen. Und zur Nachlaufphase gehören die Kundenreaktivierung, die Kundenrückgewinnung und die Kundenausgrenzung (siehe Abb. 105). 16.3.3.1 Interessentenauswahl Bei der Interessentenauswahl (Kundenidentifizierung) ist zwischen aktivem Anfragen und passivem Angefragtwerden zu unterscheiden. Bei aktiven Anfragen geht die Initiative vom Unternehmen aus, das bei potenziellen Nachfragern anfragt, ob die Einleitung einer Geschäftsbeziehung objektiv möglich oder subjektiv erwünscht ist. Dazu ist eine Strukturierung solcher potenzieller Nachfrager erforderlich. Denkbar ist dabei eine Produktorientierung, d. h., man recherchiert in der Branche, welche die eigenen Produkte für gewöhnlich einsetzt, nach solchen Unternehmen, die noch nicht Kunden sind. Dies bietet sich vor allem an, wenn das eigene Produkt nur oder vorwiegend in einer Branche Verwendung findet. Denkbar ist aber auch eine Gebietsorientierung, bei der potenzielle Kunden in Absatzgebieten gesucht werden, in denen bereits Kunden des Unternehmens

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

  

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Abb. 105: Phasen im Kundenlebenszyklus  

  

ansässig sind. Dies bietet sich an, weil in diesen Markträumen schon eine verkäuferische Infrastruktur besteht und zusätzliche Kunden ohne großen logistischen Mehraufwand mitbedient werden können. Denkbar ist aber auch eine Kundenorientierung, z. B. dann, wenn ein Kunde über selbstständige Schwesteroder Tochtergesellschaften verfügt. Dann kann die bestehende Beziehung zum Anlass genommen werden, weitere Geschäftsbeziehungen einzuleiten.



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Zur Recherche ist Sekundärmarktforschung erforderlich. Entsprechende Quellen finden sich in Messekatalogen bzw. Ausstellerverzeichnissen, Mitgliedslisten von Verbänden, IHKen oder Firmennachschlagewerken. Potenzielle Kunden (Prospects, Leads) können aber nicht nur durch den Vertrieb, sondern durchaus auch aus anderen Quellen herrühren. Zu denken ist etwa an den Hinweis von Unternehmensmitarbeitern auf mögliche Kunden oder von Dritten, die als Privatakquisiteure Kontakte herstellen. Derartig vorhandenes Wissen sollte unbedingt dokumentiert und in einer Datenbank abgespeichert und nicht der Fluktuation von Mitarbeitern überlassen werden. Ebenso muss die Kontakthistorie erfasst werden. 16.3.3.2 Kundenakquisition Die Kundenakquisition (Kundengewinnung) hat die Umwandlung von Anfragen bzw. Angeboten in Erst- oder Probeaufträge zum Ziel. Ein Interessent wird dadurch erst zum Kunden. Daher gilt es, jede bearbeitete Anfrage und jedes abgegebene Angebot nach zu verfolgen. Erstaunlich häufig ist es Vertrieblern vergleichsweise gleichgültig, was aus einer bearbeiteten Anfrage oder einem erstellten Angebot wird. Dies ist jedoch betriebswirtschaftlich völlig widersinnig, denn der Aufwand zur Anfragenbearbeitung bzw. Angebotserstellung ist ja bereits erfolgt, so dass die Nachverfolgung keinen nennenswerten Zusatzaufwand bedingt, aber allein die eingesetzten Ressourcen retten kann. Vom Erstauftrag an sollte die Transaktionshistorie detailliert dokumentiert werden. Dazu gehören auch Daten über Ansprechpartner und deren entscheidungswichtige (geschäftliche wie private) Merkmale. Das Nachhaken erfolgt durch anlassbezogene Kontakthaltung, durch Nachfrage zum Stand der Reaktion oder auch durch gezielte Einflussnahme auf die Kontaktbewertung. Man muss jedenfalls fest davon ausgehen, dass man nicht alleine angefragt worden ist bzw. ein Angebot abgegeben hat und dass Konkurrenten sehr wohl eine solche Nachverfolgung betreiben. Insofern ist auch zu überlegen, inwieweit man die Zuschlagschance erhöhen kann. Denkbar sind hier Maßnahmen wie das intelligente Angebot von Einstiegsprodukten, einer attraktiven Absatzfinanzierung oder einer maßgeschneiderten Problemlösung. Als Maßzahl für den Erfolg der Akquisition gilt die Hitrate, d. h., der Anteil der beauftragenden Kunden an allen anfragenden oder angebotserhaltenden Nachfragern. Er schwankt zwischen 0 und 1. Die Hitrate (auch Auftragserfolgsquote / Conversion Rate) weist somit im Geschäftskundenbereich aus, wie viel Prozent der abgegebenen Angebote tatsächlich zu einem Auftrag führen. Der Auftragserfolg ergibt sich aus der Bearbeitung eingegangener Anfragen (passiv) oder aus der Vorlage unterbreiteter Angebote (aktiv). Die Ausarbeitung

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D. Umsetzung im Verkaufsmanagement

solcher Anfragen / Angebote erfordert, je nach Sachlage, einen oft hohen Aufwand. Insofern sind Unternehmen auf den Rücklauf in Form von Umsatz angewiesen, soll eine Profitabilität gewährleistet sein. Außerdem ist bei diskontinuierlicher Auftragsbearbeitung der Nachschub von Aufträgen aus der Akquisitions-Pipeline erforderlich, um ein hohes Beschäftigungsniveau aufrecht zu erhalten. Da sich erfahrungsgemäß nur ein mehr oder minder hoher Anteil der Akquisitionsbemühungen in Aufträgen materialisiert, ist ein entsprechender Überschuss an Anfragen / Angeboten erforderlich. Die Auftragserfolgsquote kann vor allem gesteigert werden, indem •• die potenziellen Nachfrager bewusster ausgewählt werden, •• proaktiv akquiriert wird, also bereits bevor das nachfragende Unternehmen eine Anfrage plant, um den daraus resultierenden Zeitvorsprung für sich zu nutzen, •• der Problemlösungsbedarf des nachfragenden Unternehmens genauer qualifiziert wird, •• abgegebene Angebote aktiv nachbearbeitet werden, •• auch zu normierten Anfragen individuelle, subjektiv besser geeignete Angebote abgegeben werden, •• dem nachfragenden Unternehmen Arbeit abgenommen wird, z. B. durch Hilfe bei der Ausschreibungserstellung, produktbegleitende Kundendienste oder Absatzfinanzierung, •• Kontakt zum anfragenden Unternehmen gesucht wird, um Präferenzen aufzubauen (Customer Integration). 16.3.3.3 Beziehungsaufbau Ist der Erstauftrag erfolgt, gilt es, die Kundenbeziehung zu stabilisieren und in Wiederkäufe zu überführen (Kundenentwicklung / Sozialisation). Denn nach dem Erstkauf verbleibt aufgrund hoher Akquisitionsaufwendungen zumeist noch ein negativer Kundenwert, gegen den mit Folgekäufen erst angearbeitet werden muss. Dabei handelt es sich um die Erlöse innerhalb der bestehenden Produktgruppe, in der ein Kunde Geschäftspartner des Unternehmens ist. Dazu kann an zwei Stellschrauben gedreht werden, dem Preis und der Menge. Beim Preis kann wiederum auf den Bruttopreis oder den Nettopreis abgezielt werden. Da Preissteigerungen in aller Regel kaum durchsetzbar sind, kann versucht werden, den Bruttopreis zu steigern, indem zusätzlich zum Grundpreis Zusatzverkäufe realisiert werden. Dabei kann es sich um Sach- und / oder Dienstleistungen handeln. Bei Sachleistungen ist vor allem an Zubehör (Peripherie),



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Ausstattungen oder Nebenprodukte zu denken. Da diese zur Nutzung des Produkts erforderlich sind oder diese zumindest verbessern, kann der Rechnungsbetrag eines Abschlusses erhöht werden. Die Automobilindustrie beweist, dass dabei Zuschläge von 20 % auf den Grundpreis keine nennenswerte Hürde darstellen. Bei Dienstleistungen ist an produktbegleitende Kundendienste im Nachkaufbereich zu denken. Dazu gehören etwa Wartungs- oder Ersatzteilservices, Help­ lines / Hotlines, Schulungen etc. Denkbar ist auch eine Verbesserung des Nettopreises, also der effektiven Erlöse aus einem Geschäftsabschluss. Zwischen Brutto- und Nettopreis liegen Preisnachlässe, die erhebliche Ausmaße annehmen können. Ursache dafür sind entweder Einstiegskonditionen, die, leichtfertig vergeben, ein Erlösniveau etablieren, von dem man als Anbieter kaum mehr herunter kommt, oder das Ausspielen von Nachfragemacht durch den Vertragspartner. Bei diesen Nachlässen handelt es sich um Rabatte und andere Erlösschmälerungen wie Zugaben, Vertragsstrafen, Gutschriften, Provisionen, Zahlungsausfall, Wechselkursänderungen etc. Der Bestandskundenanteil (BKA, auch Wiederholungskaufrate genannt) ist das Komplement zum Neukundenanteil. Bestandskunden sind damit Wiederholungskäufer und weisen eine gewisse Käuferloyalität auf. Problematisch ist zu bestimmen, ab wann Bestandskunden als Stammkunden zu qualifizieren sind, also solche, die eine überhöhte Loyalität aufweisen. Die Abwanderung von Bestandskunden ist im Wesentlichen durch Unzufriedenheit mit der Betreuung oder, selbst bei Zufriedenheit, mit der emotional motivierten Suche nach Abwechslung zu erklären. Eine Absatzmengensteigerung (je Auftrag oder in erhöhter Frequenz) ist durch die Erhöhung des Lieferanteils in der Produktgruppe (Share of Customer) möglich. Dabei soll erreicht werden, dass ein Kunde möglichst große Anteile seines Bedarfs in einer Produktgruppe beim eigenen Unternehmen kauft oder eine andere Produktgruppe durch die eigen angebotene substituiert. Prinzipiell ist die Obergrenze des Absatzes erst erreicht, wenn ein Kunde seinen gesamten Bedarf in einer Produktgruppe beim eigenen Unternehmen deckt (Single Sourc­ ing). Solange dies nicht erreicht ist oder substituierbare Produktgruppen anderweitig zugekauft werden, ist die Absatzmengensteigerung eine vordringliche Aufgabe des Vertriebs, weil dort Mehrabsätze relativ am leichtesten erreichbar sind. Der Share of Customer (auch Kundenlieferanteil genannt) gibt aus Sicht des Lieferunternehmens an, welcher Anteil der Ausgaben eines Kundenunternehmens in einer Produktkategorie auf eigene Produkte dieser Kategorie entfällt. Primäres Ziel jedes Lieferunternehmens sollte es sein, Single Sourcing-Lieferant bei seinen Kunden zu werden. Das bedeutet, dass der Umsatz des eigenen

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Unternehmens bei einem Kunden in einer Produktkategorie den gesamten Ausgaben des Kundenunternehmens in dieser Kategorie entspricht (SoC = 1). Solange der Quotient